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German Pages [430] Year 1987
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LEXIKON DER MUSIK
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DAS GROSSE LEXIKON DER
MUSIK in acht Bänden herausgegeben von Marc Honegger und Günther Massenkeil Achter Band Štich - Zylis-Gara
Herder Freiburg Basel Wien
DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK herausgegeben von Günther Massenkeil, Bonn auf der Grundlage des DICTIONNAIRE DE LA MUSIQUE herausgegeben von Marc Honegger, Straßburg, Verlag Bordas, Paris Redaktionelle Bearbeitung der deutschen Ausgabe: Karin Andrae, Hamburg; Christian Berger, Kiel; Charles Biegala, Baden-Baden; Marianne Bröcker, Bonn; Marie-Agnes Dittrich, Hamburg; Ursula Eckart-Bäcker, Aachen; Ingela Flotzinger, Graz; Maria Franke, Au bei Freiburg i.Br.; Maximilian Herbstmeier, München; Thomas B. H. Knospe, Kiel; Dieter Kroll, Oststeinbek bei Hamburg; Ulrich Kurth, Kiel; Dieter Möller, Hamburg; Ulrike Patow, Hamburg; Friedemann Pods, Kiel; Barbara Progscha-Weiner, Hamburg; Gertrud Rinderle, Kirchzarten; Peter Ruschenburg, Hamburg; Roswitha Schlager, Erlangen; Angelus Seipt, Köln; Jerg Trescher, Freiburg i.Br.; Petra Weber-Bockholdt, München; Elisabeth Winkler, Graz; Wolfgang Winkler, Graz sowie die Lexikonredaktion des Verlages Herder
Aktualisierte Sonderausgabe
O der französischen Ausgabe: Bordas 1976 Alle Rechte vorbehalten — Printed in Germany O der deutschen Ausgabe: Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1978 und 1987 Herstellung: Freiburger Graphische Betriebe 1992 ISBN 3-451-20948-9
Allgemeine Abkürzungen
Abb. Abh. Abk. Abt. Acad., Accad. a cap., a capp. ad lib. AG. and. Akad. amerik. anglik. Anh. Anm. Anon. anon. Ant., Anth. Arch. Art. Assoc., assoc. AT Auff. Aufl. Ausg. ausgew. Ausw. Bar. B.c.
Bd., Bde. bearb., Bearb. Beitr. Ber. bes. Bibl. Bibliogr., bibliogr. Bol., Boll. Br. Bsp. Bull. Bz. bzw.
Abbildung Abhandlung Abkürzung Abteilung Academia, Académie, Accademia a cappella ad libitum Aktien-Gesellschaft althochdeutsch Akademie amerikanisch anglikanisch Anhang Anmerkung Anonymus anonym Antologia, Anthologie Archiv Artikel Association, associé, associated Altes Testament Aufführung Auflage Ausgabe ausgewählt Auswahl Bariton Basso continuo Band, Bände bearbeitet, Bearbeitung Beitrag, Beiträge Bericht besonders Bibliothek
Bibliographie, bibliographisch Boletin, Bolletino Bratsche Beispiel Bulletin Bezeichnung beziehungsweise
C. ca. Cat. Cemb. C.f.
circa Catalog Cembalo
Ch.
Chor
Cie. Co. Cod.
Compagnie Compagnie
dB ders., dies., dass.
Dezibel derselbe, dieselbe, dasselbe das heißt das ist Dissertation Dissertation maschinengeschrieben Dozent deutsch
d. h. d. i. Diss. Diss. masch. Doz. dt.
Cantus
Cantus firmus
Codex
etc. ev.
Erstaufführung ebenda edidit, Edition eigentlich englisch Enzyklopädie et cetera (= und so weiter) evangelisch
f. f., ff. f., fol. Fag. Faks. Fl. folkl. Forsch. frz. FS
für folgend, folgende Folio Fagott Faksimile Flöte folkloristisch Forschungen französisch Festschrift
GA Gb. gegr. gem.
Gesamtausgabe Generalbaß gegründet gemischt
EA ebd. ed., Ed. eig. engl.
Enz.
V
Gesellschaft Geschichte Gegensatz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Generalmusikdirektor gregorianisch griechisch
ndl. N. F. nhd. Nr(n). N.S. NT
niederländisch Neue Folge neuhochdeutsch Nummer(n) Neue Serie Neues Testament
Ob. OFM
Hz
Heft Handbuch Historia, historisch heilig Herausgeber, herausgegeben Handschrift(en), handschriftlich Hertz
OHG o. J. o. Nr. o. O. o Orch. Org. OSB
Inc. Inst. Instr., instr. int. it.
Incorporated Institut Instrument, instrumental international, internazionale italienisch
Ostr., östr.
Oboe Ordo Fratrum Minorum (Franziskaner) Offene Handelsgesellschaft ohne Jahr ohne Nummer ohne Ort opus Orch ester Orgel Ordo Sancti Benedicti (Benediktiner) Österreich, österreichisch
Jb., Jbb. Jg. Jh(h). Jt.
Jahrbuch, Jahrbücher Jahrgang Jahrhundert(e) Jahrtausend
Kap. Kat. kath. Kb. KG. Kgr.-Ber. Klar. klass. Klv. Klv.-A. KMD Kod. Komp. Kons. Kpm.
Kapitel Katalog katholisch Kontrabaß Kommandit-Gesellschaft Kongreß-Bericht Klarinette klassisch Klavier Klavier-Auszug Kirchenmusikdirektor Kodex Komponist, Komposition Konservatorium Kapellmeister
Philos., philos. Pk. Plur. poln. port. Pos. Präs. Prof. prot. Prov. Ps(s). pseud.
Philosophie, P philosophisch Pauke Plural polnisch portugiesisch Posaune Präsident Professor protestantisch Provinz Psalm(en) pseudonym
Reg. rel. Rev. Riv. russ.
Register religiös Revue, Revista Rivista russisch
lat. Lib lat. Lit. liturg. LP Ltd. lyr.
lateinisch Libretto Literatur liturgisch Longplay, Long Player, Langspielplatte Limited lyrisch
S. SA Sb. Sing. SingSt SJ Slg(en). s. o. Soc. SOCist
MA, ma. Man. MD MH mhd. Mitt. Ms(s). musikal. Musikwiss., musikwiss.
Mittelalter, mittelalterlich Manuale Musikdirektor Musikhochschule mittelhochdeutsch Mitteilung(en) Manuskript(e) musikalisch Musikwissenschaft, musikwissenschaftlich
Suppl. Syn., syn.
Seite(n) Société Anonyme Sitzungsbericht(e) Singular Singstimme Societas Jesu (Jesuiten) Sammlung(en) siehe oben Societá, Société Sacer Ordo Cisterciensis (Zisterzienser) sogenannt spanisch Stimme(en), stimmig staatlich städtisch Streicher Studien siehe unten Supplement Synonym, synonym
Trp. TU
Trompete Technische Universität
NA Nachdr. nat.
Neuausgabe Nachdruck national
u. UA u. a.
und Uraufführung und andere, unter anderem
Ges. Gesch. Ggs. GmbH. GMD gregor. griech. H.
Hdb. Hist., hist. hl. Hrsg., hrsg.
Hs(s)., hsl.
VI
sog. span. St., st. staatl. städt. Str. Stud. S. U.
u. ä. Übers. ung. Univ. Unters. unveröff. u.o. urspr. usf., usw. u.v.a.
und ähnliches Übersetzung ungarisch Universität Untersuchung(en) unveröffentlicht und öfter ursprünglich und so fort, und so weiter und viele andere, unter vielen anderen
veröff. versch. Ven. vgl. Vorb. Vorw.
veröffentlicht verschiedene Verzeichnis vergleiche Vorbereitung Vorwort
wahrsch. Wiss., wiss. WW
wahrscheinlich Wissenschaft, wissenschaftlich Werke (meist Auswahl)
V. v. v.
Violine
z. zahlr. z. B. zeitgen. Zschr. z. T. zus. zw. z. Z.
zu, zum, zur zahlreich(e) zum Beispiel zeitgenössisch Zeitschrift zum Teil zusammen zwischen zur Zeit
von voce, voice, voix (Sing. u. Plur.) Viola
Va. Var. Vc. Ver. Veröff.
Variation Violoncello Verein Veröffentlichung(en)
Abkürzungen oft verwendeter Verlagsorte
A An
Amsterdam
H
Hamburg
NY
New York
Anvers (Antwerpen)
He
Helsinki
Oxford
Au B
Augsburg
Berlin
Hei Hil Hl I Kas Kö Kop L Lau
Heidelberg Hildesheim Halle/Saale
O P
Leipzig Lausanne
Lei
Leiden
Lis Lo Ly
Lisboa (Lissabon)
Ba Bas Be Bol Brau Bru C C/M Ch
Barcelona Basel Bern Bologna Braunschweig Bruxelles (Brüssel)
Cambridge
E
Cambridge/Mass. Chicago Darmstadt Edinburgh
Erl
Erlangen
Ma
F
Frankfurt am Main Firenze (Florenz)
Mi Mn Mos
Da
Fi Fr G Gö Gr
Freiburg im Breisgau Genf Göttingen
Graz
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Innsbruck Kassel Köln Kopenhagen
London Lyon Madrid Milano (Mailand) München Moskau Münster Mainz Nürnberg
Pa
Paris Palermo
Pd
Potsdam
Pr
Prag Roma (Rom) Regensburg Stuttgart Stockholm Strasbourg (Straßburg)
R Rb St Sto Str Tn Tou Tü V W War Wb Wie Wr Wü Z
Torino (Turin) Tournai Tübingen Venezia (Venedig) Wien Warschau Wolfenbüttel
Wiesbaden Weimar Würzburg Zürich
VII
S STICH, Jan Václav (Johann Wenzel), genannt Giovanni Punto, * 28.9. 1746 Žehušice bei Čáslav (Böhmen), t 16.2. 1803 Prag; böhmischer Hornist und Komponist. Er wurde in Prag und Dresden ausgebildet, floh 1766 aus der Leibeigenschaft des Grafen J. Thun, reiste konzertierend durch Europa und galt bald als der bedeutendste Virtuose auf seinem Instrument. 1769-74 war er Mitglied der kurfürstlichen Hofkapelle in Mainz. 1778 trat er in Paris auf, wo W. A. Mozart für ihn den Hornpart seiner Sinfonia concertante KV 297 b = Anh. 9 schrieb. 1782 wurde er Kammermusiker des Grafen von Artois (des nachmaligen frz. Königs Karl X.), 1788 ging er nach London und 1789 erneut nach Paris, wo er 1796-98 Direktor des Théâtre des Variétés Amusantes war. Anschließend kam er über München 1800 nach Wien und lernte L. van Beethoven kennen, der für ihn die Hornsonate op. 17 komponierte und sie mit ihm im selben Jahr aufführte. Š.s Kompositionen schöpfen die damaligen Klangmöglichkeiten des Horns voll aus. WW: Für u. mit Horn: Duos; Trios; Quartette; Quintette; 1 Sextett, 14 Horn-Konzerte (vielleicht Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten). - Ferner 6 Violoncello-Sonaten mit B.c.; FL-Trios; Fl.-Quartette; 1 Klar.-Konzert; 2 Hymnen für Soli, Chor u. Orch. sowie eine Seule et vraie méthode pour apprendre facilement les éléments des Pr et 2e cors (P 1798). Ausg.: 2 Quartette für Horn, V., Va. u. Vc., hrsg. v. A. GOTTRON (Kas 1951 u. 1960) (- Hortus Mus. 93 u. 171). Lit.: G. J. DLABACŽ, Allgemeines hist. Künstler-Lexikon (Pr 1815, Nachdr. 1973); R. MORLEY-PEGGE, The French Horn (Lo 1960, 2 1973); M. POŠTOLKA, S., in: MGG XII; H.A. FITZPA'rRtcK, The Horn and Horn-Playing and the Austro-Bohemian Tradition 1680-1830 (Lo 1970).
STICHERON (von griech. stichos = Vers), in der byzantinischen Kirchendichtung und Musik Bz. für eine einstrophige Hymne. Wie die Troparia (OE Troparion), so wurden auch die Stichera ursprünglich zwischen den Versen eines Psalmes, also in Verbindung mit der Stichologie (daher der Name S.), gesungen. Die Stichera machen das Hauptkorpus des in der Messe und im Offiizium
gesungenen Repertoires aus. Ihre Melodien sind in bestimmten Hss., den sog. Sticherarien, enthalten, die vom 10. Jh. an in großer Zahl überliefert sind. Das vollständige Sticherarion umfaßt die Stichera der Menäen, des Triodion, Pentekostarion und des Oktoechos. Diese gliedern sich nach ihrer Struktur, ihrer Bestimmung, ihrem Inhalt und ihrem liturgischen Ort in Familien : Die Stichera idiomela haben eine eigene metrische Struktur und Melodie, während die Stichera prosomoia im metrischen Bau und in der Melodie einem Modell folgen. Die Stichera anastasima kreisen um die Auferstehung des Herrn; die Theotokia und die Stichera dogmatika gelten der Theotokos (= Gottesgebärerin); die Staurotheotokia sind Klagelieder der Theotokos unter dem Kreuz. Die Stichera heothina werden im Orthros (Morgengottesdienst) gesungen, die Stichera doxastika in Verbindung mit der kleinen Doxologie, die Stichera aposticha mit vereinzelten Psalmversen. Der bedeutendste Dichter von Stichera ist Johannes Damascenus. Andere Meloden des 8./9. Jh. sind Andreas von Kreta, Kosmas von Jerusalem, Theodoros Studites und Theophanes Graptos. Zahlreiche Idiomela, Theotokia und Staurotheotokia stammen von Kaiser Leo VI. - Byzantinischer Gesang. Lit.: E. WELLESZ, A Hist. of Byz. Music and Hymnography (O '1963); C. FLOROS, Universale Neumenkunde, 3 Bde. (Kas 1970); G. AMARGtANAKUS, An Analysis of Stichem in the Deuteros Modes, 2 H.e (Kop 1977). C. FLOROS
STIEDRY, Fritz, * 11. 10. 1883 Wien, t 9.8. 1968 Zürich; amerik. Dirigent östr. Herkunft. Er studierte Komposition bei E. Mandyczewski am Wiener Konservatorium und promovierte zum Dr. jur. an der Universität. Auf Empfehlung G. Mahlers war er 1907-08 Assistent E. von Schuchs an der Hofoper in Dresden, seit 1914 1. Kapellmeister an der Staatsoper in Berlin, 1924-25 Direktor der Wiener Volksoper, dann Konzertdirigent und ging 1928 an die Städtische Oper Berlin, an der er 1929-33 als musikalischer Leiter wirkte. 1933-37 1
Stiefel leitete er die Leningrader Philharmonie, emigrierte 1938 in die USA und war 1946-58 einer der leitenden Dirigenten an der Metropolitan Opera in New York, wo er sich vor allem als Mozart-, Wagnerund Verdi-Dirigent profilierte. S. setzte sich besonders für A. Schönberg ein, zu dessen persönlichem Freundeskreis er gehörte. STIEFEL ř Lingualpfeifen. STIL (engl., frz.: style; it.: stile; span.: stilo). Das Wort geht auf lat. stilus (und nicht aufs Griechische) zurück, wo es statt in seiner ursprünglich konkreten Bedeutung „Griffel" schon bald abstrakt als Terminus der Rhetorik auftrat, der den gewandten und angemessenen sprachlichen Ausdruck auf die ihm gemäßen Stoffe und Situationen bezog und dann etwa nach stilus humilis, mediocris und gravis einteilte. - Daneben wandte die antike Rhetorik aber auch schon einen S.-Begriff an, der erst im 18. Jh., besonders in musiktheoretischem Zusammenhang, wieder entwickelt wurde: statt für das Verhältnis zwischen Beredsamkeit (elocutio) und Sache oder Thema stand stilus für den Bezug einer bestimmten elocutio auf ihren jeweiligen Autor (oder eine Autorengruppe). Während der Terminus im Deutschen als Fremdwort zur Bz. der literarischen Darstellungsweise schon seit dem 15. Jh. belegt ist, gelangt er über it. Stile recitativo erst im Lauf des 17. Jh. in die dt. musiktheoretische Fachsprache (z. B. bei M. Praetorius 1619, Chr. Bernhard um 1660). Bis ins 18. Jh. hinein wird er neben dem schon länger gebräuchlichen lat. Fremdwort stilus (bzw. in irriger Etymologie als stylus: so z. B. Stylus gravis, Stylus antiquus, Stylus ecclesiasticus) z. T. in Synonymität zur ebenfalls aus dem Italienischen entlehnten Maniera (r Manier) verwandt (OE Stile antico, Stile modernö, r Stile concitato, r Stile rappresentativo u. a.). Zwar dauert dieser Gebrauch des Terminus, der mit der Sache auch das Wort aus dem Italienischen übernahm - oder auch aus dem Französischen (r galanter Stil), wobei es zu der bis ins 20. Jh. hinein gebräuchlichen Schreibweise Styl kam -, noch lange an, jedoch entwickelt sich im 18. Jh. ein typisch kunstwiss. S.-Begriff, der sich aus dem Abstand zwischen J. A. Scheibes völlig wertfreier Definition, der Stylus sei eine gewisse Manier des musikalischen Vortrags (Critischer Musicus, 1745), und der Auffassung J. J. Winckelmanns oder J.W. von Goethes ermessen läßt, die zwischen S. und Manier geradezu einen Gegensatz sahen. Damit wird der S. eines Komponisten, einer Epoche, einer Region, einer Schule oder auch, erneut, einer Gattung (z. B. durch den Anspruch des 2
symphonischen S.$) mehr und mehr zu einer kunstwissenschaftlichen Wertungskategorie. Galt J. G. Walther der Personal-S. noch als „die Art und Weise, welche eine jede Person besonders vor sich zu componieren hat" (Musicalisches Lexicon, 1732), oder Scheibe als das, „wodurch sich immer ein Komponist vom anderen unterscheidet" (Critischer Musicus, 1745), so treten zur selben Zeit Ansätze eines stark wertenden S.-Begriffs auf, wie z. B. bei G. E. Lessing, der ausschließlich die Wahrheit als Quelle allen glänzenden S.s gelten lassen wollte. Umgekehrt gilt Stillosigkeit (ebenfalls sowohl umgangssprachlich als auch in kunstwissenschaftlichem Zusammenhang) als schwerwiegender Vorwurf. M. Reger, der einmal bei G. Meyerbeer und G. Mahler „das Fehlen jeglichen S.s" moniert, begründet dieses Verdikt im Sinne des erwähnten Gegensatzes zwischen Manier und S.: beide arbeiteten eben bloß „mit Affektmitteln äußerlicher Natur". Die wissenschaftstheoretische Trennung von erklärenden (Natur-) und verstehenden (Geistes-)Wissenschaften sowie die systematische Ausbildung einer spezifisch geisteswiss. Methodik, wie sie im 19. Jh. einsetzt, rükken den S.-Begriff ins Zentrum kunstwiss. Forschung. Musikwissenschaft wird von Forschern wie G. Adler, E. Bücken oder P. Mies wesentlich als geisteswiss. orientierte S.-Forschung betrieben: durch historische Analyse der Musikwerke und ihres dokumentarischen Charakters bildet die Erkenntnis des (Epochen-)S.s die eigentliche Aufgabe musikwiss. Forschung. Die Methodik einer musikalischen S.-Kunde, wie sie etwa E. Bücken und P. Mies 1923 beschrieben, beruht auf einem S.-Begriff, der wertfrei scheint: „S. ist die Summe aller ... konstant auftretenden musikalischen Formung." Sie vollzieht sich in 2 grundsätzlichen Schritten: 1. Isolierung der einzelnen S.-Momente und 2. „möglichst vollständige Übersicht über das Auftreten des isolierten Faktors im betrachteten Umkreis". Auch der völlig positivistisch orientierte S.-Begriff, den Z. Lissa vorgebracht hat, betont das Moment der Invarianz von S. unter stärkerer Einbeziehung des biographischen Kontexts: „S. ist die Art, in der man sich eines Komplexes technischer Mittel bedient, die für eine bestimmte Zeit und für ein bestimmtes Milieu typisch sind" (Fragen der Musikästhetik, 1954). An welchen konkreten Gestaltungsfaktoren nun S.-Momente unterscheidbar werden, ist ein systematisches Problem, das dem einer Definition der substantiellen Momente vom Inbegriff der Musikwerke in der Musikgeschichte gleichkäme. Die immer wieder einmal unternommenen Kategorisierungsversuche zeigen, daß für den S.-Begriff, wird er als systematisches Problem
Stile rappresentativo
verstanden, dasselbe gilt wie für den Begriff der Musik selbst: Zwar sind S.-Begriffe stets notwendig, wo es um musikwiss. Charakterisierung des (geschichtlichen) Gegenstands geht; sie betreffen jedoch der Möglichkeit nach alle Dimensionen ihres Gegenstands: Form und Inhalt, Satztechnik und Aufführungspraxis, Material, Bedeutung, Gattung und Funktion, möglicherweise selbst noch die Sprache, in der man über Musik redet. Lit.: A. RIEGL, Stilfragen (B 1893); G. ADLER, Der S. in der Musik (L 1911); W. R. WORRINGER, Abstraktion u. Einfühlung Ein Beitr. z. Stilpsychologie (Mn 1911); H. WÖLFFLIN, Kunstgeschichtl. Grundbegriffe (Mn 1915); K. MEYER, Zum Stilproblem in der Musik, in: ZfMw 5 (1922/23); E. BÜCKEN - P. MIES, Grundlagen, Methoden u. Aufgaben der musikal. Stilkunde. Ein Versuch, in: ebd.; E. KATz, Die musikal. Stilbegriffe des 17. Jh. (Diss. Fr 1926); M. FRIEDLAND, Zeitstil u. Persönlichkeitsstil in den Variationswerken der musikal. Romantik (L 1930) (- Slgen. musikwiss. Einzeldarstellungen 14); G. ADLER, Style-Criticism, in: MQ 20 (1934); H. ROSENBERG, On the Analysis of Style, in: AMI 9 (1937); R. H. RowEN, Some 18' Century Classifications of Musical Style, in: MQ 33 (1947); W. WEISSACH, Stilbegriffe u. Stilphänomene. Vier Aufsätze (W 1957); J. S. ACKERMANN, A Theory of Style, in: Journal of Aesthetics 20 (1962); Z. LISSA, Über die nationalen S.e, in: BzMw 6 (1964); W. VETTER, H. Wölfflin u. die musikal. Stilforschung, in: FS H. Engel (Kas 1964); L CROCKER, A Hist. of Musical Style (NY 1966); S. KUNZE, S., in: RIEMANN ML Sachteil; A. HOPF, Die Struktur des ästhetischen Urteils (Mn 1968); E. SHAPER, The Concept of Style. The Sociologist's Key to Art?, in: Brit. Journal of Aesthetics 9 (1969); J. DE LARVE, Guidelines for Style Analysis (NY 1970); K. G. FELLERER, Der Stilwandel in der abendlind. Musik um 1600 (Kö-Opladen 1972); S. KUNZE, Zur Kritik des Stilbegriffs in der Musik, in: Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972 (Kop 1972); G. HAUSSWALD, Musikal. Stilkunde (Wilhelmshaven 1973); C. DAHLHAUS, Musik als Text, in: Dichtung u. Musik, hrsg. v. C. R. CADENBACH Schnitzler (St 1979).
STILE ANTICO (it., = alter Stil), ein im 17. Jh.
geprägter Begriff zur Bz. einer vokalen Satzweise, die am r Kontrapunkt G. P. da Palestrinas orientiert ist. Er setzt das Bewußtsein eines modernen Stils voraus, wie er durch die um 1600 zuerst in Italien zur Geltung kommenden neuen musikalischen Gestaltungskräfte der t Monodie und des r Concerto determiniert ist. Synonyma des S. (und seiner lat. Entsprechung Stilus antiquus) sind im 17./18. Jh. u. a. Stylus bzw. Contrapunctus gravis, Stile a cappella (OE a cappella), Stylus motecticus, Stylus praenestinus, r Prima pratica sowie die entsprechenden it. und dt. Bezeichnungen, darunter seit dem 19. Jh. bes. auch t Palestrinastil. Lit_: CH. WOLFF, Der S. in der Musik J. S. Bachs (Wie 1968) ( Beih.e z. AfMw 6).
STILE CONCERTATO, konzertierender Stil, als Gegenbegriff zu Stile antico oder Stile a cappella (r a cappella) zusammenfassende Bz. für eine vo-
kale und vokal-instrumentale Satzweise vornehmlich des 17. Jh., die auf dem r Concerto-Prinzip in seinen vielfältigen Ausprägungen beruht.
STILE CONCITATO (it., = erregter Stil), eine Satzweise, die von Cl. Monteverdi erfunden wurde, um erregte Vorgänge, wie etwa einen Kampf, musikalisch zu schildern oder um speziell den Affekt des Zornes auszudrücken. Er ist charakterisiert durch schnelle Tonwiederholungen in Sechzehnteln und/oder die Folge daktylischer Rhythmen ( f n usw.). Die frühesten Belege finden sich in Monteverdis Combattimento di Tancredi e Clorinda (1624): Str.
Testo
BUBM113113111133~#1~i0 ,.- l'onta ir - ri -ta lo sdegno al - la vendetta al-la ven-det-ta
B.c.
f
e
-
~
la vendetta poi e la vendetta poi l'onta ri - no-va
Dieses Werk ist gedruckt im B. Madrigalbuch (1638), dessen Madrigali guerrieri weitere Beispiele enthalten und in dessen Vorrede sich Monteverdi programmatisch zum S. äußert. Er wird in der Folgezeit bis ins 18. Jh. hinein von zahlreichen Komponisten (u. a. J. S. Bach, G. Fr. Händel) in ähnlichem Textzusammenhang in weltlicher und geistlicher Vokalmusik verwendet. STILE RAPPRESENTATIVO (it., = dargestell-
ter, darstellender Stil), umfassende Bz. - so erstmals in der Vorrede zu G. Caccinis Euridice (1600) - für die monodische Schreibweise der frühen Oper. Was bereits in den ersten Werken grundsätzlich angelegt ist, hat dann Cl. Monteverdi zukunftweisend weitergeführt: die dreifache Differenzierung des S. in eine erzählende, eine den Wortsinn und -affekt ausdrückende und eine ariose r Monodie (Stile recitativo im engeren Sinn bzw. Stile narrativo, Stile espressivo und Stile arioso, wobei die zeitgenössische Terminologie weder eindeutig noch einheitlich ist). Während sich früh längere Abschnitte im durchgehenden Stile arioso beobachten lassen (die als Vorläufer der r Arie zu gelten haben), wechseln Stile narrativo und Stile espressivo oft auf engstem Raum miteinander ab entsprechend dem erzählenden oder expressiven Charakter des Textes. Satztechnische Grundlage 3
Stile recitativo für beide Stilarten ist die syllabische Deklamation über den gehaltenen Tönen des B. c. Ein klassisches Beispiel ist die Szene der Botin aus Monteverdis Orfeo (1607) mit ihrem Stilwechsel im Verlauf der folgenden Stelle:
(1931) ist das erste symphonische Werk eines Komponisten schwarzer Hautfarbe. Ebenso ist S. der erste Neger, der ein namhaftes amerikanisches Orchester leitete (Hollywood Bowl, 1936) und für Radio, Film und Fernsehen schrieb. Seine Werke
—•— In
a .
un fio - ri - to pra - to
~.
9
- ne una ghir-landa
l'al - tre sue rompa
e~~e
6=610......mmi.mormime. far
con
u-
--_-
gne
~•
.
t
per
--d
_. 1111
le sue chio-me,quand'an-gue in - si -dio -so ch'e
r
gi - va co - gliendo tìo - ri
-
ra fra l'erbeas-co- so,
le pun - se un
(#) 10
piè
(t)
con ve - le-no - so den-te
Ed ec-co
immantinen - te
scolo - rir si il bd vi-so
(b)
Die Ausgangssituation (Euridice pflückt mit ihren Gefährtinnen Blumen) ist bis Takt 6 im Stile narrativo gehalten (weitgehend diatonische Melodik mit regulärer Dissonanzbehandlung). Ab Takt 7, wenn von der Schlange und ihrem Biß und dem Erbleichen Euridices die Rede ist, wechselt und intensiviert sich auch der musikalische Ausdrucksstil (freiere Dissonanzbehandlung, schnelle Modulation nach E-Dur, abrupter Einsatz von g-moll: all dies übrigens erklärbar im Sinne der musikalischen Figurenlehre). Nach Monteverdi (der den Terminus Genere rappresentativo ausdrücklich zur Kennzeichnung seines Combattimento di Tancredi e Clorinda verwendet; ř Stile concitato) und unter seinem Einfluß wird der S. ein zentrales Element der Oper und aller Sologesangformen des 17. Jh., bevor sich aus ihm das l Rezitativ entwickelt.
(5 Symphonien sowie andere Orchesterwerke,
Chorwerke, mehrere Ballette und Opern) sind durch die amerikanische Folklore, insbesondere durch das Negro Spiritual, beeinflußt und fanden durch die Spontaneität des musikalischen Ausdrucks lebhafte Resonanz. S. erhielt die Ehrendoktorwürde mehrerer amerikanischer Universitäten. Lit.: Werk-Verz. in: Bol. interamericano de música (1959) Nr. 14, u. in: Composers of the Americas 5 (Washington/D.C. 1959, Nachdr. 1964); R. R. SIMPSON, W. G. S. The Man and His Music (1964) (—,Diss. Michigan State Univ.); W. G. S. and the Fusion of Cultures in American Music, hrsg. v. R. B. HMS (Los Angeles 1972).
STIMMBÄNDER r Stimme. STIMMBILDUNG r Stimme.
STILE RECITATIVO (it., = rezitierter, rezitierender Stil), sowohl im weiteren Sinn und gleichbedeutend mit ř Stile rappresentativo verwendete Bz. für die Monodie der frühen Oper als auch im engeren Sinn (synonym: Stile narrativo) Bz. für die erzählenden Partien darin. Bezeichnung und wesentliche textlich-musikalische Elemente des S. gehen im Verlauf des 17. Jh. in das / Rezitativ über.
STIMMBOGEN, Inventionsbogen (engl.: crook, shank; frz.: corps (ton) de rechange; it.: ritorto; span.: tonillo), Bz. für zusätzliche Rohrabschnitte, die bei Blechblasinstrumenten (Naturhorn, -trompete) eingesetzt werden, um die Länge der schwingenden Luftsäule und damit die Höhe des Grundtons zu verändern. Stimmbögen bestehen entweder aus kreisrund gebogenen Rohrstücken, die zwischen Mundstück und -rohr eingesetzt werden, oder aus U-förmigen, austauschbaren Teilstücken der Rohrwindung. - r Horn 2).
STILL, William Grant, * 11.5. 1895 Woodville (Mississippi), t 3. 12. 1978 Los Angeles; amerik. Komponist. S. studierte am Oberlin Conservatory. bei G. Chadwick in Boston und bei E. Varèse in New York. Seine Afro-American-Symphony
STIMMBRUCH, Mutation, Mutierung (von lat. mutatio = Änderung), Bz. für den durch rasches Wachsen des Kehlkopfes und hormonale Vorgänge bedingten Stimmwechsel während der Geschlechtsreife. Der Übergang von der Knaben- zur
4
Stimme Männerstimme (oft Mutation von einer Sopranzur Baßstimme und von einer Alt- zur Tenorstimme) ist wesentlich auffälliger, schneller und tatsächlich als „Bruch" hörbar, während der Übergang von der Mädchen- zur Frauenstimme sich langsamer und in viel geringerem Umfang vollzieht. Die künstliche Verhinderung des S.s bei männlichen Sängern durch Entfernung der Keimdrüsen war im 16.-17. Jh. die Voraussetzung für den r Kastraten-Gesang. STIMMBUCH - CHORBUCH. Im musikwissenschaftlichen Sprachgebrauch komplementäre Begriffe für die Aufzeichnungsform mehrstimmiger Kompositionen des 15.-18. Jahrhunderts. Stimmbuch (S.) ist die Bz. für eine Hs. oder einen Druck, der nur eine einzige Vokal- oder Instrumentalstimme einer oder mehrerer Kompositionen enthält. Demgegenüber sind in einem Chorbuch (Ch.) alle Stimmen auf einem „Lesefeld", das die beiden aufgeschlagenen Seiten umfaßt, blockweise je für sich (also nicht untereinander wie bei der / Partitur) notiert, so daß die Stimmen von allen Sängern gleichzeitig gelesen werden können. Die Ch.-Notierung hat ihren Ursprung in der Aufzeichnungsweise der / Motette des 13. Jh. und bleibt für die Kirchenmusik in allen europäischen Ländern bis um 1600 vorherrschend. In der Regel, wie sie etwa in den Werken der Niederländer gegeben ist, sind die Stimmen folgendermaßen auf das verso(links) und recto- (rechts) Blatt notiert:
Überlieferung der Musik vom 18. Jh. ab spricht man nun auch nicht mehr von Stimmbüchern, sondern von Einzelstimmen (so etwa bei Orchester-
und Chorstimmen und in der Kammermusik). Lit.: H. ALBRECHT — H. BESSELER, Chorbuch, in: MGG II; L. FINSCHER, Stimmbuch, in: MGG XII; J. MOREHEN, Part-
books, in: Grove° XVII.
STIMME. -1) Das menschliche Organ zur Klangerzeugung und ein Grundelement jeglicher Musik. Generell sind zu unterscheiden eine Sprech-, Ruf-, Sing- und Flüsterstimme. Davon nutzbar im musikalischen Sinn ist in erster Linie die Sing-S. (OE Gesang), gelegentlich aber auch die anderen Stimmarten (r Sprechen). Wesentlich für die Stimmbildung (Phonation) ist, daß sie durch Regelungs- und Rückkoppelungssysteme des zentralen und peripheren Nervensystems gewährleistet wird. Bis jetzt sind 3 dieser Systeme, über die wir die Stimmbildung kontrollieren und korrigieren, nachgewiesen: 1. akustische Wahrnehmung durch die Luftleitung, 2. akustische Wahrnehmung durch die Knochenleitung und 3. ein taktilkinästhetisches System unter der Beteiligung nervöser Elemente in der Schleimhaut und in den beteiligten Muskeln. Die Abläufe der Ein- und Ausgänge auf den 3 zentralorganischen Stufen lassen sich folgendermaßen schematisch verdeutlichen :
-N. Discentus
Altus
Tenor
Bassus —_
In deutschen Quellen erscheint oft der Tenor auf dem recto-, der Bassus auf dem verso-Blatt. Die S.-Notierung ist jünger als die Ch.-Notierung. Sie hat ihr frühestes Zeugnis in dem r Glogauer Liederbuch (um 1480), ist zunächst auf deutsche Hss. mit weltlicher und geistlich-nichtliturgischer Musik beschränkt, gewinnt aber nach der Verbreitung des Notendrucks in allen Ländern zunehmend an Bedeutung gegenüber der Ch.-Notierung und wird vollends in der Musik des 17. Jh. die Normalform der musikalischen Aufzeichnung von geistlicher und weltlicher Ensemblemusik, während gleichzeitig die Bedeutung der Partitur zunimmt. Für die
Auf den Kehlkopf wirkt der X. Hirnnerv (nervus vagus) mit je einem oberen und unteren Kehlkopfast. Der letztgenannte Nerv (nervus recurrens) hat für die Beweglichkeit der Stimmlippen die größte Bedeutung. Die in der Wirklichkeit äußerst komplizierten und komplexen Steuerungssysteme wirken gleichzeitig 5
Stimme auf die Atmung, Stimm- und Lautbildung und ermöglichen beispielsweise das Nachsingen oder eine Stimmkorrektur beim Mitsingen in der Zeitspanne von nur etwa 6 msec. Darüber hinaus kann experimentell nachgewiesen werden, daß unwillkürliche Kehlkopfbewegungen nicht nur beim Anhören, sondern auch beim inneren Vorstellen von Musik zustande kommen. Diese registrierbaren Bewegungen sind abhängig von der Musikalität der untersuchten Personen. Stimmerzeugung. Bei der Stimmbildung ist der Kehlkopf als Geräuschgenerator einerseits mit dem Atemrohr (Lungen, Bronchialraum, Luftröhre) und andererseits mit dem Ansatzrohr (Rachen-, Mund-, Nasen- und Nasennebenhöhlen) gekoppelt : Nasenhöhle Nasen-Ausgang Segel
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Stimmbänder--
Zungenhöcker Mundhöhle Kehlkopfröhre
Mund-Ausgang
- Luftröhre
und Bronchien
Muskelkraft
Das Organsystem ist durchaus mit einer Orgel vergleichbar. Die vom Stimmgenerator als Engpaß im System ausgehenden Schwingungen breiten sich mit abnehmender Energie auch längs der Körperoberfläche aus. Der Stimmklang wird beeinflußt durch Resonanz und Dämpfung in den erwähnten gekoppelten Räumen.
gend angehobenem Gaumensegel, wie dargestellt, ist der Stimmklang offen genäselt. Unterhalb der Zunge ist auf der Abbildung der Kehldeckel angeschnitten. Seine funktionelle Stellung entscheidet neben Auf- und Abwärtsbewegungen des Gesamtorgans über das „offene" und „gedeckte" Singen. Die Stimmerzeugung ist abhängig von der Bereitstellung genügender Luftmengen und -drucke in der Ausatmungsphase im Rahmen der Sing- und Sprechatmung. Für den Sänger ist die Atemstütze wichtig. Diese allein leitet eine gesangshygienische und ästhetische Atemregulierung, wobei durch eine bewußte Verlangsamung der Ausatmung, unter Kontrolle des Muskelempfindens und . des Drucksinns, das Stützen der Tongebung erreicht wird. Das Stützen (Appoggiare) zeigt eindrucksvoll die enge Verbundenheit der Atmung mit dem Kehlkopf und dem Ansatzrohr. Der Kehlkopf (Larynx) besteht aus Knorpeln, Bändern und der inneren und äußeren Kehlkopfmuskulatur. Dieser myoelastische Apparat ist am Knochen des Zungenbeins „aufgehängt" und außerordentlich beweglich. Das Organ steigt beim Schlucken und bei der Einatmung in die Höhe und senkt sich bei der Ausatmung. Bei unausgebildeten (Natur-)S.n wird bei hohen Tönen der Kehlkopf nach oben gehoben und sinkt bei tiefen Tönen. M. Nadoleczny beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen : Je besser geschult eine S. sei, desto kleiner sei im allgemeinen die Kehlkopfbewegung, namentlich beim Aufwärtssingen, während die Einstellbewegung nach unten vor dem Singen beträchtlich sein kann. Gute Sänger singen aufsteigende Tonfolgen meist mit tiefgestelltem Stimmorgan. Nach Nadoleczny erfolgt diese Tiefstellung beim Kunstsänger häufig, aber nicht immer, bewußt. Während kein starrer Zusammenhang zwischen der Stellung des Kehlkopfs und der Tonhöhe besteht, kann man andererseits einen deutlichen Einfluß seiner Lage auf das Stimmtimbre erkennen. Die veränderte Klangfärbung kommt deshalb zustande, weil sich zugleich mit den Kehlkopfbewegungen auch die Dimensionen des oberen Kehlraums ändern.
Epiglottis Schildknorpel
Stimmbänder
Die obige Abbildung zeigt die Trennung des Mund- und Nasenraumes durch den harten und den beweglichen weichen Gaumen. Bei ungenü6
Musculus vocahs Musculus crioothyreoideus Musculus cricoarytaenoideus lateralis
Stelknorpel Musculus arytaenoideus Musculi crico-arytaenoidei dorsals LPostici') Ringknorpel
Stimme Die vorstehende Abbildung zeigt den Aufbau des Kehlkopfknorpels, einschließlich des Kehldeckels (Epiglottis), und schematisch die Lage der Stimmbänder, vorn fest mit dem Schildknorpel verbunden, hinten beweglich mit den symmetrischen Stellknorpeln, sowie die Funktionen der wichtigsten Muskeln. Zur besseren Darstellung ist das linke obere Schildknorpelhorn abgetragen.
a) Topographie
b) Funktion
Die Abbildung verdeutlicht schematisch die Funktion der Stellknorpel in ihren Gelenken und der anhängenden Stimmbänder bzw. Stimmlippen, wenn man sich den eigentlichen Stimmuskel (musculus vocalis) ergänzt vorstellt. Die Stellknorpel können in ihren Gelenken jeweils kippende und gleitende Bewegungen ausführen, unter anderem um die Spannung des Stimmuskels zu verändern. Die Stimmritze (Glottis) zeigt in gestrichelten Linien die Atmungsstellung, in den ausgezogenen Linien unter Verkürzung links oder Verlängerung rechts in der Abbildung die Phonationsstellung. Die Stimmbildung erfolgt unter den Bedingungen der aerodynamischen und klassischen muskuloelastischen Theorie der Stimmerzeugung. Ein bestimmtes Ausatmungsvolumen von einem bestimmten Luftdruck bewegt die durch das Zentralnervensystem eingestellten elastischen Stimmlippen zu selbsterregten Schwingungen. Die Einstellungsbewegungen vor Phonationsbeginn werden nervös gesteuert. Die Stimmritze ist im allgemeinen zunächst geschlossen und wird durch eine subglottische Luftdruckerhöhung gesprengt. Die dann durch die Glottis strömende Luft bewirkt durch die Sprengung an der Stimmlippenoberseite und durch nachfolgendes Ansaugen der Schleimhaut an der Unterseite der Stimmlippen während der Schwingungen Öffnungs- und Schließungsphasen (Bernoullisches Gesetz). Unter den Bedingungen der Brust-S. ist mit Ausnahme des Anlauten tiefer Töne die Stimmritze geschlossen, der Stimmuskel entspannt, und die Schwingungen sind langsam und ausladend. Mit steigender Tonhöhe strecken sich die Stimmlippen und spannen sich stärker an. In der Mittel-S. kann man einen fast parallelen Verlauf der Stimmlippen feststellen. Deutlich verschieden ist das Schwingungsverhal-
ten in der Kopf-S. bzw. dem OE Falsett. Jetzt bleibt die Stimmritze offen, die Stimmlippen sind straff gespannt und schwingen mit kleiner bis kleinster Amplitude. Beim Falsetton schwingt nur der mittlere Rand der Stimmlippe, während der wesentlich größere, seitwärts gelegene Teil der Stimmlippe sich nicht bewegt. Bei der menschlichen S. handelt es sich nicht um Sinusschwingungen, sondern um komplizierte Schwingungen, die erzeugt werden (OE Fourieranalyse). Ein Klang ist danach charakterisiert als eine Superposition von Sinusschwingungen, deren Frequenzen in einem ganzteiligen Verhältnis zueinander stehen (sog. Harmonische, die in ihrer Folge die Naturtonreihe oder Obertonreihe bilden bzw. Grundton und Formanten). Gute Sänger zeichnen sich durch einen ausgeprägten 3000 Hz-Formanten aus. Stimmleistungen. Nach der Art der Stimmgebung unterscheidet man Flüstern, Räuspern, Husten, Sprechen, Rufen, Singen und Jodeln. Für die Sprech-, Ruf- und Sing-S. sind die Art des Stimmeinsatzes und Absetzen der S. von besonderer Bedeutung. Verschiedene akustische Eindrücke entstehen bei den 3 Möglichkeiten einer genauen Koordination des subglottischen Luftdruckes und der entsprechenden Bewegungsabläufe im Bereich der Stimmlippen : 1. Der für die dt. Sprache charakteristische harte oder feste Stimmeinsatz (z. B. „ab"). Die Glottis wird rasch fest geschlossen, die subglottische Druckkurve steigt steil an, und die Phonation beginnt im Extremfall mit einem Glottisschlag als Ausdruck der Sprengung. 2. Der für die frz. Sprache charakteristische weiche oder leise Stimmeinsatz (z. B. „Manier"). Die Glottis schließt sich langsamer, zunächst zu einem elliptischen Spalt. Durch den allmählich verstärkten Atemdruck, sichtbar durch ein langsameres und weniger steiles Ansteigen der Druckkurve, erfolgen gleichmäßig zunehmende Stimmlippenschwingungen. Diese Art wird beim Gesang seit jeher bevorzugt. 3. Der gehauchte Stimmeinsatz (z. B. „Haus"). Die Annäherung der Stimmlippen vollzieht sich langsam, und man hört ein leises Hauchgeräusch, das rasch und ohne Unterbrechung in die anklingende S. übergeht. Die glottische Einsatzbewegung ist biphasisch, der subglottische Druck steigt langsam in flache Kurvenform an. Der vollständige Verschluß der Glottis erfolgt deutlich verzögert. Entsprechend den Stimmeinsätzen sind 3 Arten des Absetzens der Stimmbildung zu beobachten: Beim harten Absetzen öffnet sich die Glottis rasch unter steilem Abfall des subglottischen Drucks. Beim weichen Absetzen klingt die Stimmgebung nach langsamerer Öffnung der Glottis ohne Geräusch allmählich aus. Beim gehauchten Absetzen öffnet 7
Stimme sich die Glottis langsam, und es ist ein anschließendes Hauchgeräusch hörbar. Bezüglich der Stimmstärke unterscheidet man piano, mezzoforte und forte. Neben den akustischen Eindrücken sind Schalldruckmessungen zu fordern. Die Stimmstärke hat einen deutlichen Einfluß auf die hohen Obertöne. Bei Schwelltönen (crescendo) wird eine deutliche Verstärkung der Amplituden bei erhöhtem subglottischem Druck beobachtet, dem die elastische Spannung der Stimmlippen entgegenwirkt. Die Stimmumfänge der menschlichen S. reichen vom F, (43 Hz) bis zum e4 (2607 Hz) unter Einbeziehung laryngealer Pfeiftöne bis g4 (3100 Hz). R Schilling fand, hochgerechnet auf unsere Bevölkerung, in etwas mehr als der Hälfte der untersuchten Stimmen einen Umfang von 2-2 'h Oktaven, bei einem Viertel einen Umfang von 1 1/2-2 Oktaven und bei etwa einem Sechstel einen Umfang von mehr als 2'h Oktaven. Die extremen Werte, kleiner als 1 1/3 Oktaven und größer als 3 Oktaven, betragen je 1-4%. Die Sing-S.n von Männern und Frauen teilt man ein in ' BaB, l Bariton und . Tenor bzw. . Alt, r Mezzosopran und / Sopran. Diese unterscheiden sich in stimmphysiologischer Sicht nicht nur durch die Verteilung der Register, die vorherrschende Klangfarbe, die Lage des Umfangs, sondern auch durch die mittlere Sprechstimmlage. Die mittlere Sprechstimmlage liegt bei Bässen meist um G und A, bei Baritonen meistens um B und c und bei Tenören meistens um c. Bei den Sängerinnen liegt sie normalerweise eine Oktave höher. Die Altistinnen und Mezzosoprane sprechen meist um a, die Soprane am häufigsten um h oder c'. Wenn es auch keine absolut gültigen Regeln einer Zuordnung zur Stimmgattung gibt, so steht die durchschnittliche mittlere Sprechstimmlage doch in einem bestimmten Verhältnis zur Stimmgattung und bewegt sich an der unteren Grenze des Stimmumfanges. Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus der Breite und Länge der Stimmlippen. Soprane und Tenöre verfügen im allgemeinen über kurze und breite Stimmlippen, Alt-S.n und Bässe haben meist schmale und lange Stimmlippen. Beim 7 Vibrato einer schönen S. zeigen die Schwankungen der Stimmstärke nur eine kleine Amplitude. Sie wiederholen sich 5,6-6,6mal in der Sekunde. Die Unterschiede der Intensität betragen in jeder Phase des normalen Vibratos 2-3 dB, diejenigen der Tonhöhe einen Halbton. Die Tonhaltedauer auf dem Vokal o in der Sprechstimmlage sollte bei berufsmäßigem Sprechen und Singen bei Frauen 18 sec, bei Männern 24 sec nicht unterschreiten. Die Stimmgebung und -leistung wird beeinflußt vom Körperbau, der Konstitution, dem endokrinen 8
Stoffwechsel, dem Stimmgebrauch, dem Alter und der psychosomatischen Ausgangssituation. Die Zusammenhänge von S. und Stimmung sind altbekannt. Groß sind die stimmlichen Unterschiede bei freudiger oder gedrückter Grundstimmung in allen Altersstufen. Schon der Säugling bekundet Mißempfindungen mit harten, Freude und Zufriedenheit mit weichen Stimmeinsätzen. Die Möglichkeiten der Stimmhygiene und Stimmpflege werden bei weitem nicht ausgeschöpft. Auf diesen Umstand deuten die hohen Zahlen der Leistungsverminderung und Heiserkeit (Berufsdysphonie) bei Sing- und Sprechberufen hin. E. LOEBELL
2) Bz. sowohl für den einzelnen vokalen oder instrumentalen Part in einem musikalischen Satz wie auch für das gedruckte Exemplar dieses Parts. Von der Höhe zur Tiefe hin sind in Vokalwerken Sopran-, Alt-, Tenor- und Baß-S.n zu unterscheiden ; Instrumental-S.n werden nach dem jeweiligen Instrument (z. B. Klavier-S., Flöten-S.) benannt, wobei auch hier die tragende, tiefste S. Baß-S. heißt. Ihrer Plazierung entsprechend fungieren S.n als Ober-, Mittel- oder Unterstimmen. Die funktionale Hierarchie dieser S.n - ihre Abstufung als Führungs-, Begleit-, Haupt-, Neben- oder bloße Füll-S. - ist historischen Wandlungen unterworfen : Im ma. r Organum wird die r Vox principalis von der Vox organalis unterschieden. Im organalen Zusammenhang werden die Ober-S.n r Duplum, .sTriplum und Quadruplum genannt, die C.f.-tragende S. řTenor. Hinzu trat schließlich der t Contratenor (der sich später in Alt und Baß aufspaltete) und als Ober-S. der Diskant (7 Sopran). Andere Bz.en der S.n tauchen im Zusammenhang mit dem t Faburdon und r Fauxbourdon und auch im 5-6st. Satz (r Quintus, r Sextus, "Vagans) auf. Im 17. Jh. werden in Verbindung mit dem konzertierenden Stil Concerto-, Principal-, Solo-, Ripieno- und Tutti-S.n unterschieden. Satztechnisch gleichberechtigt sind die S.n etwa in der t Fuge; von ihrer Trennung in r Melodie und Begleitung bzw. von einer Einbeziehung in die thematische Arbeit gehen die Gattungen der Wiener Klassik aus. Ein sich durchdringendes Gewebe von S.n kennzeichnet die Musik des f Impressionismus. Noch bis in das 18. Jh. hinein war es Brauch, auch instrumentale Werke nicht in r Partitur, sondern in Einzel-S.n zu publizieren. Vorbild dafür waren die vokalen Stimmbücher im Unterschied zu Chorbüchern, die auf gegenüberliegenden Seiten je 2 Chor-S.n enthielten. C. KÜHN Lit.: Zu 1): M. NADOLECZNY, Unters. über den Kunstgesang (B 1923); DERS., Physiologie der S. u. Sprache, in: Hdb. der Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, hrsg. v. A. Denker — O. Kahler, I (B
Stimmlagen 1925); R. ZIMMERMANN, Die Messung der Stimmlippenlänge bei Sängern u. Sängerinnen, in: Arch. für Sprachheilkunde u. Stimmheilkunde u. angewandte Phonetik 2 (1938); A. PREISSLER, Stimmumfänge u. -gattungen der menschl. S., in: Arch. für Sprach- u. Stimmphysiologie 3 (1939); R. LUCHSINGER, Stimmphysiologie u. Stimmbildung (W 1951); H. LULLIES, Physiologie der S. u. Sprache, in: O. Ranke, Physiologie des Gehörs (Hei 1953); K. F. FRÜH - K. HARTLIEB, Kybernetische Vorgänge bei der Stimmgebung, in: Zschr. für Naturforsch. 16 (1961); H. CoBLENZER - F. MUHAR, Die Phonationsatmung, in: Wiener Klinische Wochenschrift 48 (1965); H. GUNDERMANN, Die Berufsdysphonie (L 1970); E. LOEBELL, Neue Ergebnisse der Elektroglottographie, in: Verhandlungen des IX. HNO-Weltkongresses, Exc. Med. (1970); R. LUCHSINGER, Die S. u. ihre Störungen, in: ders. - G. E. Arnold, Hdb. der Stimm- u. Sprachheilkunde I (W 1970); F. WINCKEL, Die akust. Grundlagen der Stimmbildung, in: ebd.; H. COBLENZER - F. MUHAR, Atem u. S. (W 1976); M. HEINEMANN, Hormone u. S. (L 1976); G. BÖHME, Methoden Z. Unters. der Sprache, des Sprechens u. der S. (St 1978); W. SEIDNER - J. WENDLER, Die Sängerstimme. Phoniatr. Grundlagen der Gesangsausbildung (Wilhelmshaven 1978); G. HABERMANN, S. u. Sprache (St 1978); M. HIRANO, Clinical Examination of Voice (W - NY 1981); O. LACINA, Versuch einer Klassifikation der Gesangstimmenfehler, in: Folia phoniatrica 34 (1982).
STIMMFÄCHER, in der Bühnenpraxis seit dem 19. Jh. übliche Kategorie für die Zuordnung der einzelnen Stimmgattungen zu bestimmten Opernrollen entsprechend stimmlicher und körperlichdarstellerischer Gegebenheiten und Erfordernisse (vgl. die jeweiligen Bezeichnungen in den Artikeln / Sopran, r Mezzosopran, r Alt, r Tenor, ř Bariton und ' Baß). Diese sehr differenzierte Facheinteilung hat ihre grundsätzliche Bedeutung in der f Gesang-Ausbildung und im Besetzungswesen der Opernhäuser, das bis zur Gegenwart hin eine zunehmende Spezialisierung aufweist. Die Problematik der S. liegt in ihrer Abgrenzung gegeneinander. Zahlreich sind sowohl die Fälle, in denen ein Sänger oder eine Sängerin mehrere Fächer (auch in verschiedenen Stimmgattungen) im Laufe der Karriere oder gleichzeitig beherrscht, als auch Fälle, in denen eine klare Zuordnung zu einem bestimmten Fach nicht möglich ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß auch die Zuordnung vieler Opernpartien zu S.n problematisch ist. STIMMFÜHRUNG, Bz. für die Art und Weise, wie zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Satzarten sowohl die einzelne f Stimme (2) wie auch der Verbund mehrerer Stimmen in ihrem linearen Fortgang geführt werden. Das Fortschreiten in r Gegen-, r Parallel- und r Seitenbewegung zahlt ebenso dazu wie die Weiterführung eines Dominantseptakkordes oder die Behandlung harmoniefremder Töne. Für die r Homophonie kann modellhaft an der r Kadenz (1) skizziert werden, wie die S. die horizontale Verbindung von Klängen reguliert. Dem „Gesetz des nächsten Weges" folgend, schreiten
die Stimmen stufenweise fort, lassen gleiche Töne in derselben Stimme liegen (a) und vermeiden durch Gegenbewegung offene r Parallelen (b): (a)
G. Fr. Handel
Für die / Polyphonie kann andererseits am -' Kontrapunkt demonstriert werden, daß die lineare S. zugleich den Zusammenklang und die wechselseitige Bezogenheit der Stimmen berücksichtigt. Die S. zielt auf den Ausgleich von Bewegungsrichtungen (1), meist auf gegenläufiges, weil selbständigeres Fortschreiten im Tonraum (2) und verlangt Auflösung einer Dissonanz in die / Konsonanz (3):
ir4 r~ cu-jus reg -
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nis.
(31 ! -
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nis.
Orlando di Lasso
Wegen der historisch-stilistisch und nach Satztypen unterschiedlichen Prinzipien lassen sich jedoch keine Regeln fixieren, die für die S. grundsätzlich verbindlich und allgemein gültig sind. STIMMGABEL (engl.: tuning fork; frz.: diapason à branches; it.: diapason, corista; span.: diapasón de horquilla), ein Gerät aus Stahl in Form einer zweizinkigen Gabel, das 1711 von dem englischen Trompeter John Shore erfunden worden sein soll. S.n gibt es in verschiedenen Tonhöhen. Zu Stimmzwecken wird der Ton a' (r Stimmton) verwendet. STIMMKREUZUNG, Bz. für das gegenseitige Über- bzw. Untersteigen zweier Stimmen unterschiedlicher Stimmlage, die dadurch ihre angestammte Position als höhere bzw. tiefere Stimme preisgeben, z. B.: Sopran
Ait
r.
~-~
r
Josquin des Prés
STIMMLAGEN sind die verschiedenen Tonbereiche der menschlichen Stimme, für die heute die (nicht gleichzeitig entstandenen) Bezeichnungen Sopran, Mezzosopran, Alt, r Tenor, / Bariton 9
Stimmstock und l Baß üblich sind. Diese gelten auch für die entsprechenden Stimmen im satztechnischen Sinn. Man spricht hier gelegentlich von den „Lagenstimmen" (r Stimme 2). STIMMSTOCK (engl.: soundpost; frz.: âme; it.: anima; span.: alma), Bz. für ein Fichtenholzstäbchen, das bei Streichinstrumenten senkrecht zwischen Decke und Boden eingesetzt ist. Der S. wird leicht versetzt unter einem Fuß des l Steges angebracht, und zwar an der Seite, an der die höchste Saite über den Steg geführt ist. Der S. hat verschiedene Funktionen: er fängt, wie der l Baßbalken unter dem anderen Fuß des Steges, einen Teil des Druckes ab (der durch die Saitenspannung auf den Steg und von diesem auf die Decke ausgeübt wird) und überträgt insbesondere die Saitenschwingungen von der Decke auf den Boden. Gutes Holz, der richtige Durchmesser, vor allem aber die richtige Position des S.s sind für den Klang eines Streichinstruments ausschlaggebend; die Geigenbauer bezeichnen ihn deshalb auch als M. BRÖCKER Stimme oder Seele. STIMMTAUSCH, Bz. für das Verfahren, 2 oder mehr Stimmen wechselseitig ihren Platz als Ober-, Mittel- oder Unterstimme einnehmen zu lassen : T.43
T.1 7
lp
J. S. Bach, Invention E-Dur
S. ist grundlegend für den engl. l Rondellus des 14. Jh. sowie im doppelten oder mehrfachen l Kontrapunkt. - r Pes.
STIMMTON, Normalstimmton (engl.: standard pitch; frz.: diapason normal; it.: diapason; span.: diapasón normal), Bz. für den Bezugston (a', auch Kammerton genannt) zum Einstimmen der Instrumente. Er wird in der Praxis meist mit Hilfe der r Stimmgabel, neuerdings auch durch elektronische Tonerzeuger angegeben. Bemühungen um eine einheitliche Festlegung des S. s und seiner Höhe erfolgten erst im 19. Jh., zuerst durch die Deutsche Naturforscherversammlung 1834 (440 Hz), dann durch eine frz. Regierungskommission 1858 (435 Hz), der u. a. D. Fr. E. Auber, H. Berlioz, G. Meyerbeer, A. Thomas und J. Fr. Halévy angehörten (1859 setzte aber Adelina Patti für ihre Mitwirkung in Meyerbeers Dinorah eine tiefere Stimmung durch, um ihre Stimme zu schonen). Den Vorschlag von 435 Hz (bei einer Temperatur von 10
15° C) bestätigte eine internationale S.-Konferenz 1885 in Wien. Seit 1939 hat man sich in verschiedenen Standardisierungsvereinigungen auf 440 Hz geeinigt, wenn auch in der Praxis bis heute diese
Norm häufig überschritten wird. Diese Entwicklung des S.s hat im Zusammenhang mit der modernen Instrumentenkunde und der Erforschung der historischen OE Aufführungspraxis die unterschiedlichen Höhen der älteren Stimmungen zum Bewußtsein gebracht. Generell kann man für die Stimmungen von 1500 bis 1600 Differenzen von etwa 4 bzw. 3 Halbtönen nach unten bzw. oben, um 1750 von etwa 2 Halbtönen, um 1850 von etwa 1 Halbton jeweils nach unten und oben annehmen. Im einzelnen sind u. a. die folgenden S.-Höhen nachzuweisen : Orgel der Dresdner Sophienkirche z. Z. J. S. Bachs : 415,5 Hz; Stimmgabel G. Fr. Händels: 422,5 Hz; Stimmgabel W. A. Mozarts: 421,6 Hz; 1858: Turin 445 Hz, Paris 449 Hz, Mailand 451 Hz; 1880: New York (Fa. Steinway) 457 Hz. Im 17.718.3h. waren die Stimmungshöhen nicht nur örtlich verschieden (z. B. Pariser, Wiener, Berliner, St. Petersburger Stimmung), sondern auch für bestimmte Aufführungsbereiche. So gab es den Kammerton (für instrumentale Kammermusik), den bis zu einem Ganzton tieferen Opernton, ihm gegenüber den höheren Chorton oder Kapellton (für die Orgel und die von ihr begleitete Figuralmusik) und den noch höheren Cornett-Ton. Lit.: A. MENDEL, Pitch in the 16. and Early 17. Century, in: MQ 34 (1948); LL. S. LLOYD, Brit. Standard Musical Pitch, in: MR 11 (1950); W. LOTTERMOSER - H. J. VON BRAUNMÜHL, Beitr. z Stimmtonfrage, in: Acustica 3 (1953); A. MENDEL, On the Pitches in Use in Bach's Time, in: MQ 41 (1955); Norm-S. DIN 1317, Blatt 1-3 (B - Kö 1957-62); H.-G. DAEHN, Wohin treibt der Kammerton?, in: NZfM 132 (1971), vgl. dazu: E. F. W. ALTWEIN, in: ebd.; A. MENDEL, Pitch in Western Music since 1500. A Re-examination, in: AMI 50 (1978); DERS., S., in: MGG XVI.
STIMMUNG. - 1) Im musikalischen Sinn ist S. die Festlegung der Tonhöhen aller Töne eines Tonsystems. Die Prinzipien eines Tonsystems bestimmen Anzahl und Verwandtschaft der Töne, aber nicht die akustisch exakte Tonhöhe; dies legt die S. bzw. lTemperatur fest. Einem bestimmten Tonsystem können durchaus verschiedene S.en, einer S. verschiedene Temperaturen zugeordnet werden. Während das Tonsystem theoretisches Konstrukt ist, ist die jeweilige S. mit der Musik der Zeit und dem jeweiligen Klangideal eng verbunden. Zur Festlegung der Tonhöhen wird zunächst der Bezugston aller anderen Töne, z. B. der Kammerton a' (r Stimmton), in seiner Höhe festgelegt. Trotz Normung auf 440 Hz liegt er heute meist darüber; früher schwankte seine Tonhöhe zeitlich
Stimmung und geographisch sehr stark. Im Gegensatz zur heutigen Normal-S. versteht man heute unter alter oder tiefer S. einen Kammerton von 415 Hz, der gis' in Normal-S. entspricht. Nach der Festlegung der absoluten Tonhöhe werden die einzelnen Töne relativ zum Kammerton durch Stimmen oder die Konstruktion der Instrumente „bestimmt". Bei bundfreien Streichinstrumenten sowie beim Singen wird die jeweilige Tonhöhe weitgehend erst bei der Aufführung festgelegt; damit wird die S. flexibel und ordnet sich dem Gestaltungswillen des Musikers unter, sie wird Teil der Interpretation. Besonders bei den besaiteten Tasteninstrumenten (Cembalo, Klavier u. a.) sowie bei der Orgel wird die S. durch das Stimmen festgelegt; wegen der dabei möglichen Genauigkeit sowie der Unmöglichkeit, die Tonhöhe während des Spielens zu korrigieren, werden die Unterschiede, die Vor- und Nachteile sowie die Probleme der verschiedenen S.en sowie ihrer Temperaturen insbesondere bei diesen Instrumenten, vornehmlich aber beim Cembalo und bei der Orgel, wirksam. Die jeder S. immanenten Probleme - eine ideale S. gibt es nicht, auch nicht für eine bestimmte Stilepoche - bilden zugleich den fruchtbaren Keim für eine ständige Veränderung der S.en im Sinne der historischen Entwicklung der Musik. Dieser Prozeß wurde im 19. Jh. durch die allgemeine Einführung der sog. gleichschwebend temperierten S. (r Temperatur) beendet. Erst die Rückbesinnung auf die historische Aufführungspraxis hat zur neuerlichen Verwendung historischer S.en geführt. Eng verwandt - und teilweise gleichbedeutend mit S. benutzt - ist der Begriff der Temperatur. Es ist jedoch sinnvoll, den Begriff S. auf die 3 grundsätzlichen und in ihrer Qualität und Klangästhetik sehr unterschiedlichen Prinzipien der Festlegung der Tonhöhen innerhalb der Musik seit dem Mittelalter anzuwenden, den Begriff Temperatur jedoch auf die sehr vielfältigen Varianten dieser Stimmungen. Unsere heutige sog. gleichschwebend temperierte S. kann allerdings in diesem Sinne einerseits als selbständige S., andererseits als aus der pythagoreischen S. abgeleitete Temperatur betrachtet werden, schließlich auch - historisch richtig - als Temperatur der reinen Stimmung. In der abendländischen Musik gibt es seit dem MA folgende S.en: 1. im MA bis etwa 1500 die pythagoreische S., 2. von 1500 bis etwa 1650, aber auch noch später, die mitteltönige S. und 3. zwischen etwa 1650 und 1800 die reine S. in einer größeren Zahl von Temperaturen, danach die gleichschwebend temperierte S. oder gleichschwebende Temperatur. 1. Bei der pythagoreischen S. sind 11 reine Quinten (Schwingungsverhältnis 3 : 2 entsprechend 702
f Cent) aneinandergereiht, die 12., den r Quinten-
zirkel schließende Quinte ist äußerst unrein (678 Cent) und musikalisch unbrauchbar; Wolfs- reine reine Quinten
quinte Quinten
C -G—D—A—E— H —FIS—CIS—GIS I AS—ES— B —F—C fast reine Terzen
'
solche sehr unreinen Quinten werden Wolfsquinten genannt. Die Wolfsquinte wird normalerweise zwischen Gis/As und Es gelegt, kann aber prinzipiell an jeder Stelle im Quintenzirkel stehen. Die sie einschließenden 4 Terzen (s. o.) sind nur geringfügig unrein (384 zu 386 Cent), die übrigen 8 Terzen des Tonsystems sind zu groß und werden als pythagoreische Terzen bezeichnet (81 : 64 zu 5 : 4 bzw. 408 Cent zu 386 Cent). Diese S. eignet sich für die vorwiegend einstimmige und mehrstimmig quintbetonte Musik des Mittelalters, wirkt bei harmonisch-mehrstimmiger Musik jedoch unrein. 2. Die mitteltönige S. geht im Gegensatz zur pythagoreischen S. nicht von reinen Quinten, sondern von reinen großen Terzen (5 :4 oder 386 Cent) aus. Dies entspricht dem neuen Klangstil der Musik im Zeitalter der Renaissance, in der der Dreiklang zum prägenden Merkmal der harmonischen Polyphonie wird. Das Streben nach Terzreinheit der S. geht aber zwangsläufig auf Kosten der Quintreinheit der S.; somit ist diese S. klangästhetisch grundsätzlich anders als die pythagoreische S. orientiert. Die Bz. mitteltönig geht darauf zurück, daß diese S. im Gegensatz zur reinen S. nur einen Ganzton kennt, der in seiner Größe zwischen den beiden verschieden großen Ganztönen der reinen S. liegt. Die S. hat 8 reine Terzen. 11 von den 12 Quinten sind mitteltönig, d. h. zu klein (696 zu 702 Cent), die 12. Quinte ist als Wolfsquinte (Gis/As Es) mit 735,5 Cent wesentlich zu groß. In einem engen Tonartenbereich um C-Dur besticht diese S. durch große Reinheit, aber auch durch spannungsarme Klangstatik. Modulationen sind praktisch kaum möglich. GIS ~ A—E— H- FIS -CIS i i i F — C — G — D —A reine Terzen
ES —B — F mitteltönige Quinten
3. In der reinen S. sind sowohl Quinten als auch Terzen reine ř Intervalle. Allerdings erweist sich eine solche S. als Utopie. Bereits in der diatoni11
Stimmzug schen C-Dur-Tonleiter muß D verdoppelt werden, damit sich sowohl mit A als auch mit G eine reine Quinte bzw. Quarte einstellt. Geht man aber z. B. über A nach D, so muß beim Erreichen des nächsten Tons auch dieser verdoppelt werden, wenn das Intervall rein sein soll. So ergibt sich ein sich selbst vervielfachendes, abdriftendes Tonsystem, das schon in seiner diatonischen Form nicht realisierbar ist. Die Intervalle der reinen S. beruhten in der Antike auf dem Prinzip der einfachen Zahlenproportion, im Barock auf dem der Obertöne. Für die Verwirklichung der reinen S. heute setzt sich bes. der Musikwissenschaftler M. Vogel ein. reine Quinten
WW : Die Teutsche Litaney ... neben etlichen Geistlichen Liedern für 5 St. (Königsberg 1610); Cantiones sacrae u. Magnificats für 4-10 St. (F 1624); Geistliche Lieder auf gewöhnliche preussische Kirchen Melodeyen für 5 St. (Danzig 1634); Preussische Festlieder(in der Ordnung des Kirchenjahrs) für 5-8 St., 2 Teile (Elbing 1642, Königsberg 1644) (die 3 letzten Slgen. mit Liedern v. Eccard). - Gedruckt wurden mehr als 140 Gelegenheitsgesänge (meist zu Hochzeiten u. Beerdigungen); zahlr. Werke hsl. Ausg.: J. Eccard - J. S., Preussische Festlieder, hrsg. v. G. W. TESCHNER (L 1858); einige daraus auch in: Preußische Festlieder ..., hrsg. v. J. MÜLLER-BLATTAU (1939) (- EDM, LD Ostpreußen u. Danzig 1); ferner zahlr. praktische Ausg. Lit.: A. MAYER-REINACH, Zur Gesch. der Königsberger Hofkapelle in den Jahren 1578-1720, in: SIMG 6 (1904/05); L. KwMIENSKI, J. S. (Posen 1928); H. HAASE, Eine wichtige Quelle für J. S. Grudentinus. 6 Sammelbde. aus Königsberger Beständen zu Göttingen, in: FS F. Blume (Kas 1963); D. HÄRTwIG, S., in: MGG XII.
D F -A- C - E - G -H -D u
u
reine große Terzen
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reine kleine Terzen
2) S. im psychischen Sinn - als Niederschlag freudiger oder trauriger Erlebnisse - steht vielfältig in Beziehung zum musikalischen Schaffen und Hören (OE Affektenlehre). In ganz bestimmter Weise kommt dies im (speziell deutschen) „Stimmungslied" zum Ausdruck. Lit.: Zu 1): W. DUPONT, Gesch. der musikal. Temperatur (Kas 1935); E. BINDEL, Die Zahlengrundlagen der Musik im Wandel der Zeiten, 3 Bde. (St 1950-53); J. M. BARBOUR, Tuning and Temperament. A Historical Survey (East Lansing 1953); C. DAHLHAUS, „Reine" oder „adäquate" S.?, in: AfMw 39 M. DICKREITER (1982).-OETemperatur.
STIMMZUG (engl.: slide; frz.: coulisse; it.: pompa; span.: corredera), ein ausziehbares, erstmals von Haltenhof 1781 (Hanau) beim Waldhorn eingesetztes Verbindungsstück an Blechblasinstrumenten, das zur Korrektur der Stimmung dient und das in verbesserter Form auch bei Ventilinstrumenten verwendet wird. STOBAEUS (Stobeus, Stoboeus), Johann(es), * 6.7. 1580 Graudenz, t 11.9. 1646 Königsberg; dt. Komponist. Er war 1599-1608 Schüler von J. Eccard in Königsberg und wurde dort 1602 Bassist in der Hofkapelle, 1603 Kantor der Domkirche und 1626 Hofkapellmeister. In der Tradition seines Lehrers Eccard und ohne Verwendung von Generalbaß und konzertierendem Stil war S. einer der Hauptvertreter der verschiedenen Formen der Choralbearbeitung in Norddeutschland. Er stand in enger Verbindung mit den Mitgliedern der Königsberger Dichterschule um Simon Dach; H. Albert war sein Schüler. 12
STOCHASTISCHE MUSIK ist ein von I. Xenakis eingeführter Begriff für aleatorische, d. h. den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit unterliegende Musik (im Sinne des mathematischen StochastikBegriffs von Jacob Bernoulli, Ars conjectandi, 1713). Xenakis hat Modelle von Kompositionen, die auf der Basis von Wahrscheinlichkeitsberechnungen ausgeführt wurden, publiziert und kommentiert: zunächst Konstruktionen musikalischer Massenstrukturen (z. B. Scharen von Tonlinien, d. h. Glissandoschwärme, im Orchesterstück Metastasis, 1954, oder Scharen von Ton- oder Geräuschpunkten im Orchesterstück Pithoprakta, 1956). In Achompsis für kleines Orchester (1957) verwendete er eine Vektor-Matrix, die die Häufigkeiten in allen Abschnitten und Klangschichten nach Maßgabe mathematischer Formeln regulierte. Im Streicherstück Syrmos (1959) werden auch Gestalttypen in die Wahrscheinlichkeitsverteilungen einbezogen (z. B. Pizzicatowolken und Netze paralleler Glissandi). Stochastische Modelle hat Xenakis auch in elektroakustischer Tonbandmusik verwendet (z. B. Analogique B, 1959). Die logische Konsequenz der mathematisch formalisierten Komposition war für Xenakis die computergesteuerte Herstellung von Partituren (z. B. ST/10-1, 080262 für Kammerensemble, 1962 berechnet auf dem Computer IBM 7090) und Klängen (z. B. Basismaterial zu La légende d'Eer, 1977). Konzeptionen stochastischer Musik stehen für Xenakis im engen Zusammenhang mit außermusikalischen bzw. musikübergreifenden Aspekten: mit einer Philosophie, die einerseits auf die vorsokratische Ontologie zurückgreift und andererseits die moderne Ablösung des deterministischen Denkens durch Wahrscheinlichkeitsmodelle berücksichtigt; mit der zunehmenden Verbreitung statistischer Produktionsund Rezeptionsweisen in Malerei und Architektur; mit der Analyse nur statistisch faßbarer Mas-
Stockhausen senphänomene in der Natur (z. B. bei Unwettern oder bei Ansammlungen von Grillenschwärmen) oder im menschlichen Zusammenleben (z. B. massenpsychologische Phänomene von Krieg und Aufruhr). Lit. : r Xenakis.
R. FRIST US
STOCKFLÖTE (ung.: czakan), eine im 19. Jh. besonders in den Donauländern als Volksmusikinstrument verbreitete Schnabel- oder Querflöte in Form eines Spazierstocks mit abschraubbarem unterem Teil. Andere Instrumente dieser Form waren Stockklarinette, -oboe und -trompete. Wesentlich komplizierter konstruiert ist die t Stockgeige. STOCKGEIGE, eine um die Mitte des 18. Jh. von Johann Wilde in St. Petersburg erfundene Geige in Form eines Spazierstocks. Die S. hat keinen Hals und Wirbelkasten; die Saiten sind auf Metallschrauben aufgezogen, die mit einem Schlüssel bewegt werden. Zum Spielen wird ein Teil der Stockwandung, die auch den Bogen bedeckt, abgenommen, der übrige Hohlkörper dient als Resonator, der Griff als Kinnhalter. STOCKHAUSEN, Julius, * 22.7. 1826 Paris, t 22.9. 1906 Frankfurt am Main; dt. Sänger und Dirigent. Er studierte vor allem bei M. Garcia in Paris und London, wo er starke Eindrücke von Jenny Lind empfing. 1857/58 sang er an der Opéra-Comique in Paris, war in der Folgezeit aber nur als Konzertsänger tätig. Daneben entfaltete er eine rege Dirigiertátigkeit als Leiter der Philharmonischen Konzerte und der Singakademie in Hamburg (1862-67) und des Sternschen Gesangvereins in Berlin (1874-78). 1869-70 war er Gesanglehrer und Kammersänger am Stuttgarter Hof, lehrte 1878 am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main und leitete seit 1879 dort eine eigene Gesangschule. S. war der bedeutendste Oratorien- und Liedersänger seiner Zeit. Berühmt war seine Interpretation der Schönen Müllerin und der Winterreise von Fr. Schubert. Besonders setzte er sich für die Lieder von J. Brahms ein, deren eigentümliche Kantabilität in nicht geringem Maße von S.s Können beeinflußt zu sein scheint; eigens gewidmet sind ihm die Magelone-Romanzen. S. wirkte auch bei der UA des Deutschen Requiems (1868) mit. Er war gleichfalls als Gesangspädagoge in Deutschland maßgeblich und veröffentlichte einschlägige Werke, darunter Gesangs-Methode (L 1884) und Gesangsunterrichtsmethode, 2 Bde. (L 1885-86). Lit: J. WIRTH-STOCKHAUSEN, J. S., der Sänger des dt. Liedes (L 1927); DIES., F. Chrysanders Briefe an J. S., in: Mf 7 (1957); E. F. KRAvrrr, The „Lied" in 19th Century Concert Life, in: JAMS 18
(1965); J. R. JOINER, The Vocal Principles of Garcia as Represented by His Pupils: Battaille, Marchesi, and S. (1979) ( — Diss. Louisiana State Univ.).
STOCKHAUSEN, Karlheinz, * 22.8. 1928 Mödrath bei Köln; dt. Komponist. Er studierte 1947-51 an der Musikhochschule in Köln (Schulmusik, Klavier und Komposition) und besuchte 1951 erstmals die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, wo er durch O. Messiaen und Karel Goeyvaerts erste Beispiele „punktueller Musik" kennenlernte. Wenig später entstand das punktuelle Kammermusikstück Kreuzspiel, dessen UA 1952 in Darmstadt einen Skandal hervorrief. 1952 bildete sich S. bei O. Messiaen am Pariser Conservatoire und bei P. Schaeffer in dessen Studio für Musique concrète fort. 1953 nach Köln zurückgekehrt, wurde er Mitarbeiter am Studio für Elektronische Musik des WDR und 1963 dessen künstlerischer Leiter. Außerdem war er seit 1953 Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen, ferner am Konservatorium in Basel, 1965 an der University of Pennsylvania in Philadelphia und 1966-67 an der University of California in Davis. 1971-77 war er Professor für Komposition an der Kölner Musikhochschule. Seit 1958 unternahm er Auslandstourneen als Dirigent eigener Werke. Von Anfang an widmete sich S. neben der Arbeit im elektronischen Studio der Komposition von Instrumentalmusik. Ein bereits in Paris begonnener Zyklus von Klavierstücken wurde weitergeführt (I-IV: 1952/53; V-X: 1954/55, IX und X beendet 1961; XI : 1956). Mit dem Ensemblestück KontraPunkte (1952/53) beginnt die endgültige Loslösung von der rein punktuellen Musik und die Entwicklung neuartiger Möglichkeiten, Töne und Geräusche in sogenannten „Gruppenformen" auf verschiedenen Ebenen gliedernd zusammenzufassen. Im Bläserquintett Zeitmaße (1955/56) verbinden sich streng ausnotierte Rhythmen mit verschiedenartigen rhythmischen Freiheiten der einzelnen Spieler. Die komplizierten Rhythmusstrukturen in den Gruppen für 3 Orchester (1955-57) sind so gestaltet, daß sich die Orchester oft in verschiedenen Tempi überlagern. Im Zusammenspiel ergibt sich plastische „Musik im Raum", wie sie in der ungefähr gleichzeitig entstandenen Tonbandmusik Gesang der Jünglinge (1955-56) auskomponiert ist, wo S. elektronische Klänge mit Tonbandaufnahmen einer Knabenstimme verbindet, die apokryphe Bibeltexte singt. Damit hat S. in seiner Tonbandmusik erstmals die Beschränkung auf rein elektronische, konstruktiv-synthetisch erzeugte Klangmaterialien aufgegeben. Diesen Weg setzt er auch in späteren Tonbandstücken fort: in Kontakte (1958/59) mischt er neuartige elektroni13
Stockhausen sche Klänge mit bekannten Klangfarben verschiedener Schlaginstrumente (neben der Fassung für Tonband allein gibt es eine Konzertfassung für Tonband, Klavier und Schlagzeug). Zu dieser extrem geräuschhaften Tonbandmusik schafft S. einige Jahre später ein rein instrumentales Gegenstück: die Mikrophone I, in der Tamtamklänge mit verschiedenartigen Materialien erzeugt und mit Mikrophonen, Filtern und Reglern teils verstärkt, teils technisch verfremdet werden. So entstehen radikale Geräuschstrukturen, wie sie bei S. sonst nur in Aufnahmen improvisatorisch relativ freier Stücke vorkommen (z. B. Aus den sieben Tagen, 1968, in live-elektronischen Aufführungen). Elektronische Klänge werden im Tonbandstück Telemusik (1966) mit Aufnahmen traditioneller Musik verschiedener Länder und Kontinente kombiniert, in Hymnen (1966-67) mit Nationalhymnen und atmosphärisch untermalenden, teils auch stark verfremdeten Geräuschaufnahmen (z. B. Volksmassen, Jazz- und Folkloremusik). In Sirius (1975-77) verbindet S. elektronische Klangstrukturen mit leicht nachsingbaren Melodieverläufen, an denen auch Sänger und Instrumentalisten beteiligt sind. Die Veränderungen, die S.s elektronische Musik erfahren hat, spiegeln sich auch in seinen instrumentalen und vokalen Stükken - am deutlichsten in der Kantate Momente (1962-64/69). Abstrakte Strukturen werden mehr und mehr in plastische Gestalten verwandelt und mit anderen Elementen assoziativ verknüpft: Harmonien, rhythmische und melodische Gestalten verbinden sich mit Texten und Szenen, die Musikalisches außermusikalisch ausdeuten. Seit Mantra für 2 elektronisch transformierte Klaviere (1970) legt S. seinen Stücken nicht nur klar erkennbare Melodien zugrunde, sondern arbeitet auch stark mit herausgehobenen programm-musikalischen Bedeutungen, z. B. als Gebetsritus (Inori für Orchester und Beter, 1974), als Allegorie der Jahreszeiten (Sirius) oder Wochentage (im 1977 begonnenen 7-Tage-Zyklus Licht). WW (in chronologischer Reihenfolge; Numerierung stammt vom Komponisten): 1) Kompositionen: Chöre für Doris a cap. Nr. fr (1950) (nach P. Verlaine); 3 Lieder für Alt u. Kammerorch. Nr. I, (1950); Choral a cap. Nr. 8 (1950); Sonatine für V. u. Klv. Nr. i (1951); Kreuzspiel Nr. 4(1951) für Ob., Baßklar., Klv. u. 3 Schlagzeuger; Formel Nr. 1 (1951) für Orch.; Musique concrète Étude Nr. 4 (1952); Spiel Nr. t (1952) für Orch.; Schlagquartett Nr. I (1952) für Klv. u. 3 x 2 Pk., Neufassung als: Schlagtrio (1973); Punkte Nr. 1 (1952) für Orch., Neufassung (1962); Kontra-Punkte Nr. 1 (1952-53) für Fl., Klar., Ballklar., Fag., Trp., Pos., Klv., Harfe, V. u. Vc.; Klavierstücke I-IV Nr. 2 (1952-53); elektronische Musik Studie I u. // Nr. 3/I u. 3/II (1953-54); Klavierstücke V-X Nr. 4 (1954-55), endgültige Fassung v. IX u. X(1961); ZeitmaBeNr. 5 (1955-56) für S Holzbläser; Gruppen Nr. 6 (1955-57) für 3 Orch.; Klavierstück XI Nr. 7 (1956); elektronische Musik Gesang der Jünglinge Nr. 8 (1955-56); Zyklus Nr. 9 (1959) für
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einen Schlagzeuger; Carré Nr. 10 (1959-60) für 4 Orch. u. Chöre; Refrain Nr. 11 (1959) für 3 Spieler (Klv., Celesta u. Schlagzeug); Kontakte Nr. 12 (1959-60) für elektronische Klänge, Fassung mit Klv. u. Schlagzeug als Nr. 12i; als musikal. Theater Originale Nr. 124, UA: Köln 1961; Momente Nr. 13 (1962-64/69) für Sopran, 4 Chorgruppen u. 13 Instrumentalisten, „Donaueschinger Version" (1965), „Europaversion" (1972); „2 x 7 Seiten für Ausarbeitungen" Plus-Minus Nr. 14 (1963); Mikrophonie I Nr. 15 (1964) für Tamtam, 2 Mikrophone, 2 Filter u. Regler, „Brüsseler Version" als Nr. 151; Mixtur Nr. 16 (1964) für Orch., Ringmodulatoren u. Sinusgeneratoren, Fassung für kleine Besetzung als Nr. 16i (1967); Mikrophonie II Nr. 17 (1965) für 12 Singer, Hammondorg. u. 4 Ringmodulatoren; Stop Nr. 18 (1965) für Orch., „Pariser Version" als Nr. 181(1969) für 18 Spieler in 6 Gruppen, „Londoner Version" (1973); Solo Nr. 19 (1965-66) für ein Melodieinstr. mit Rückkopplung (1 Spieler mit 4 Assistenten, 6 Versionen); elektronische Musik Telemusik Nr. 20 (1966); Adieu Nr. 21 (1966) für Bläserquintett; elektronische u. konkrete Musik Hymnen Nr. 22 (1966-67), Fassung mit Solisten als Nr. 224, Dritte Region der Hymnen als Nr. 224 (1969) mit Orch.; Prozession Nr. 23 (1967) für Tamtam, Va., Elektronium, Klv., Mikrophone, Filter u. Regler; Stimmung Nr. 24 (1968) für Alt, 2 Tenöre u. BaB, „Pariser Version" als Nr. 241; Kurzwellen Nr. 25 (1968) für 6 Spieler; „15 Kompositionen, Mai 1968" Aus den sieben Tagen Nr. 26 (1968), 1: Richtige Dauern für etwa 4 Spieler, 2: Unbegrenzt, 3: Verbindung 4: Treffpunkt, 5: Nachtmusik, 6: Abwärts, 7: Aufwärts, alle für Ensemble, 8: Oben und unten, Theaterstück für Mann, Frau, Kind u. 4 Instr., 9: Intensität, 10: Setz die Segel zur Sonne, 11: Kommunion für Ensemble für Ensemble, 12: Litanei für Sprecher oder Chor, 13: Es u. 14: Goldstaub für Ensemble, 15: Ankunft für Sprecher u. Sprechchor; Spiral Nr. 27 (1968) für einen Solisten mit Kurzwellenempfänger; Dr. K.-Sextett Nr. 28 (1969) für Fl., Va., Vc., Baßklar., Klv. u. Schlagzeug (Vibraphon u. Glokken); Fresco Nr. 29 (1969) für 4 Orch.-Gruppen; Pole für 2 Nr. 30 (1969-70); Expo für 3 Nr. 31 (1969-70); Mantra Nr. 32 (1970) für 2 Pianisten; „17 Texte für Intuitive Musik" Für kommende Zeiten Nr. 33 (1968-70), 1: Übereinstimmung für Ensemble, 2: Verlängerung 3: Verkürzung 4: Über die Grenze für kleineres Ensemble, 5: Kommunikation für kleines Ensemble, 6: Intervall für Klv.-Duo zu 4 Händen, 7: Außerhalb, 8: Innerhalb u. 9: Anhalt für kleines Ensemble, 10: Schwingung für Ensemble, 11: Spektren für kleines Ensemble, 12: Wellen sowie 13: Zugvogel für Ensemble, 14: Vorahnung für 4-7, 15: Japan u. 16: Wach für Ensemble, 17: Ceylon für kleines Ensemble; „Parkmusik für 5 Gruppen" Sternklang Nr. 34 (1971); Trans Nr. 35 (1971) für Orch. (u. Tonband); „13 Musikalische Bilder für Solisten u. Duos" . ALPHABET für. Liege Nr. 36 (1972), daraus „Am Himmel wandre ich ... " als Nr. 364 (1972) für 2 SingSt; Ylem Nr. 37 (1972) für 19 Spieler/Sänger; „Anbetungen für 1 oder 2 Solisten u. Orch." Inori Nr. 38 (1973-74), dazu „musikal. Analyse v. INORI" „ Vortrag über HU"als Nr. 384 (1972) für eine Sängerin oder einen Sänger; „Atmen gibt das Leben ... " Nr. 39 (1974-77) Chor-Oper mit Orch. (oder Tonband); Herbstmusik Nr. 40 (1974) für 4 Spieler, daraus das Schluüduett „Laub und Regen" als Nr. 404 (1974) für Klar. u. Va.; Musik im Bauch Nr. 41 (1975) für 6 Schlagzeuger u. Spieluhren, danach „12 Melodien der Sternzeichen" Tierkreis, Version für ein Melodie- u./oder Akkordinstr. Nr. 414, Version für SingSt u. Akkordinstr. Nr. 419, Version für Kammerorch. Nr. 41i (1977); Harlekin Nr. 42 (1975) für Klar.; Der kleine Harlekin Nr. 424 (1975); Sirius Nr. 43 (1975-77), elektronische Musik u. Trp., Sopran, Baßklar. u. Baß; Amour Nr. 44 (1976), fünf Stücke für Klar.; Jubiläum Nr.45 (1977) für Orch.; In Freundschaft Nr. 46 (1977-78) für Fl. oder Klar. (oder Ob., Horn, Bassetthorn, V. oder Va.); Der Jahreslauf Nr. 47 (1977) für Tänzer u. Orch. (Szene aus dem Zyklus Licht); Michaels Reise um die Erde Nr. 48 (1978) für Trp. u. Orch. (Szene aus Licht); Michaels Jugend Nr. 49 (1978-79) für Tenor, Sopran, BaB, Trp., Bassetthorn, Pos., moduliertes Klv., 3 Tänzer, Tonband mit Chor u. Orch. (3 Szenen aus Licht): Kindheit Nr. 49i, Mondeva Nr. 494, Examen Nr. 494. - 2) Schriften: S.s
Stöhr gesammelte Schriften erscheinen als 1: Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik, hrsg. v. D. Schnebel (Kö 1963); II: Texte zu eigenen Werken, zur Kunst anderer. Aktuelles: hrsg. v. dems. (Kö 1964); III: Texte zur Musik 1963-70, hrsg. v. dems. (Kö 1971); IV: Texte zur Musik 1970-77, hrsg. v. Ch. von Blumröder (Kö 1978). Lit.: K. H. WöRNER, K. S. Werk u. Wollen 1950-1962 (Rodenkirchen 1962, engl. Berkeley - Lo 1973) ( - Kontrapunkte 6); U. DIBELIUS, Moderne Musik 1945-1965 (Mn 1966); K. BOEHMER, Zur Theorie der offenen Form in der Neuen Musik (Da 1967); R. GEHLHAAR, Zur Komposition Ensemble. Kompositionsstudio K S. 1967 (Mz 1968) (= Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 11); J. HÄUSLER, Musik im 20. Jh. (Bremen 1969); F. RITZEL, Musik für ein Haus. Kompositionsstudio K. S. 1968 (Mz 1970) (Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 12); G. O. KOCH, Zw. Mystik u. Technik. K. S., in: HiFi Stereophonie (1971) H. 6, dazu Entgegnung S.s in H. 9; R. FRISIus, K. S.s Hymnen (St 1971) ( - Curriculum Musik 1); D. SCHNEBEL, Denkbare Musik, hrsg v. H. R. Zeller (Kö 1972); W. BUROW, S.s Studie 11 (F 1973); J. PURSE, The Spiral in the Music of K. S., in: Main Currents in Modern Thought 30 (New La Rochelle 1973); R. FRISIus, Klangstrukturen u. Formverläufe, in: Musik u. Bildung 6 (1974) H. 1; C. CARDEW, S. Serves Imperialism (Lo 1974); W. M. STROH, Zur Soziologie der elektronischen Musik (Berg - Z 1975); J. HARVEY, The Music of S. (Lo 1975); R. MACONIE, The Works of K. S. (Lo NY 1976); H. HENCIK, S.s Klavierstück IX, in: Musik u. Zahl, hrsg. v. G. Schnitzler (Bonn 1976) (= Orpheus-Schriftenreihe z. Grundfragen der Musik 17); DERS., K. S.s Klavierstücke X (Herrenberg 1976, NA Kö 1980); Feedback-Papers Nr. 16 (- S.-H.) (Kö 1978); R. FRISIUs, Notation u. Komposition, mit Schallplatten (St 1980); DERS., Komposition als Versuch der strukturellen u. semantischen Synthese. K. S. u. sein Werk-Projekt LICHT, in: Neuland 2, hrsg. v. H. Henck (Kö 1982); K. STOCKHAUSEN, Wille z. Form u. Wille z Abenteuer (Gespräch mit R. Frisius), in: ebd. R. FRISIUS
STOCKMANN, Erich, * 10.3. 1926 Stendal ; dt. Musikethnologe. Er studierte 1946-52 an den Universitäten Greifswald und Berlin und ist seither am Institut für deutsche Volkskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin tätig (seit 1960 als Arbeitsleiter der von ihm aufgebauten Abteilung Volksmusik). 1962 gründete er die Study Group of Folk Music Instruments im Rahmen des International Folk Music Council (IFMC), dessen Vizepräsident er 1975 wurde. Seit 1957 Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität Berlin, habilitierte er sich 1980. S. ist mit der Musikethnologin Doris S., geborene Mehnert (* 3. 11. 1929 Dresden), verheiratet. Schriften: Der musikalische Sinn der elektroakustischen Musikinstrumente (Diss. B 1953); Des Knaben Wunderhorn in den Weisen seiner Zeit (B 1958) (- Veröff. des Inst. für dt. Volkskunde 16). - S. ist Hrsg von: Studia instrumentorum musicae popularis (Sto 1969ff.), darin von ihm selbst: Zur Typologie der Volksmusikinstrumente(1, 1969) u. Die Darstellung der Arbeit in der instrumentalen Hirtenmusik (3, 1974); Hdb. der europěischen Volksmusikinstrumente (L 1968 ff.) (zus. mit E. Emsheimer); Musikethnolog. Jahresbibliogr. Europas seit 1966 (Prellburg 1967 ff.); Sowjet. Volkslied- u. Volksmusikforschung(B 1967) (= Veröff. des Inst. für dt. Volkskunde 37). J. DORFMÜLLER
STOCKMEIER, Wolfgang, * 13. 12. 1931 Essen ; dt. Komponist und Organist. Er studierte 1949-57
an den Musikhochschulen in Essen und Köln, wo er 1957 an der Universität im Fach Musikwissenschaft promovierte. 1960 wurde er an die Musikhochschule Köln berufen (1962 Professor für Theorie, Orgelspiel und -improvisation, 1974 Leiter des Instituts für Evangelische Kirchenmusik), war außerdem 1961-73 Lektor am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln und lehrte an den Landesmusikschulen Düsseldorf (1968-73) und Herford (1973/74). Seit 1941 als Organist tätig (seit 1964 in Langenberg, 1970 KMD), übt S. eine internationale Konzerttätigkeit aus und spielte bisher über 60 Schallplatten ein (u. a. Sämtliche Orgelwerke von J. S. Bach). Als Komponist war S. zunächst von P. Hindemith beeinflußt, setzte sich aber seit 1957 zunehmend mit der Dodekaphonie auseinander, deren Prinzipien er unter dem Gesetz organischen Wachstums individuell abwandelt und mit avantgardistischen Techniken kombiniert. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Orgel-Werke, u.a.: 6 Sonaten (1965-82); Symphonia sacra (1971); Suite (1976); Pro (1979); Kammermusik. - Collage für Orch. (1977); 2 Konzerte für Org. u. Orch. (1965-1973). - Vokal-Werke, darunter die Oratorien Jona (1973); Historien (1979); Christus (1982). - 2) Schriften: Die deutsche Orgelsonate der Gegenwart (Diss. Kö 1958); Musikalische Formprinzipien (Kö 1967); Die Programmusik (Kö 1970) (- Das Musikwerk 36); K Straube als Reger-Interpret, in: M. Reger. Ein Symposium (Wie 1974). -S. war Hrsg. v.: J. Haydn, Sinfonien 1773-74 (Mn 1966) (= GA 1/7) u. Sinfonien 1775-76 (1970) (- ebd. I/8) (zus. mit S. Gerlach); S. Karg-Elert, Sinfonische Kanzonen 1-3 (Mn 1978ff.). Lit.: G. SCHUHMACHER, Zur Geschichtlichkeit der ev. Kirchenmusik im 20. Jh., in: MuK 39 (1969); J. DORFMÜLLER, Orgelmusik in der Auseinandersetzung mit der Dodekaphonie, in: ebd. 44 (1974); DERS., Die C.-f.-Toccata nach 1960, in: ebd. 52 (1982). J. DORFMÜLLER
STÓHR, Richard, * 11.6. 1874 Wien, t 11. 12. 1967 Montpelier (Vermont); östr. Komponist und Musikpädagoge. 1898 beendete er sein Medizinstudium, wandte sich dann aber der Musik zu und war Kompositionsschüler von R. Fuchs am Wiener Konservatorium, wo er 1904-38 Harmonielehre, Kammermusik, Kontrapunkt und Musikdidaktik lehrte (1915 Professor). 1939 emigrierte er in die USA, wo er bis 1941 am Curtis Institute of Music in Philadelphia und 1941-50 am St. Michael's College in Winoosci (Vermont) unterrichtete. WW: l) Kompositionen: Klv.-Stücke; Kammermusik; 4 Symphonien; Vermont-Suite; je ein Trp.- u. Org.-Konzert; Lieder, Chorwerke u. 3 Opern. - 2) Schritten: Praktischer Leitfaden der Harmonielehre (W 1909, "1928, 21 1963); Musikalische Formenlehre (L 1911), NA zus. mit H. Gal u. A. Orel als: Formenlehre der Musik (L 1933, 2 1954); Praktischer Leitfaden des Kontrapunkts (H 1911); Praktische Modulationslehre (L 1915); Ober die Grundlagen musikalischer Wirkungen (L 1924); Fragen und Aufgaben aus der Harmonielehre (W 1931). Lit.: H. SITTNER, R. S., Mensch, Musiker, Lehrer (W 1965) (mit Werk-Verz.).
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Stokowski STOKOWSKI, Leopold Anthony, * 18. 4. 1882 London t 13.9. 1977 Nether Wallop (Hampshire); amerik. Dirigent. Er studierte bei H. Parry und Ch. V. Stanford am Royal College of Music in London, wurde 1903 Bachelor of Music am Queen's College in Oxford und vervollständigte seine Ausbildung später noch in Berlin, München und Paris. Zunächst Organist in London und New York, trat er als Dirigent erstmals 1908 in Paris auf. 1909 übernahm er das Cincinnati Symphony Orchestra und leitete 1912-36 das Philadelphia Orchestra, das er zu Weltgeltung führte. Später dirigierte er u.a. 1942-43 das NBC Symphony Orchestra, 1944-45 das New York City Symphony Orchestra und 1949-50 das New York Philharmonic-Symphony Orchestra. 1962 gründete er das American Symphony Orchestra, das er bis 1973 leitete. 1970 wurde er ständiger Dirigent des London Symphony Orchestra. Als Gast trat er in aller Welt auf. S. stand auch der zeitgenössischen Musik aufgeschlossen gegenüber. 1931 dirigierte er in Philadelphia die amerikanische Erstaufführung von A. Bergs Wozzeck. Berühmt wurden seine umstrittenen - Orchesterbearbeitungen von Orgelwerken J. S. Bachs. Er veröffentlichte Music for All Us (NY 1943). Lit.: E. ARIAN, Bach, Beethoven and Bureaucracy. The Case of the Philadelphia Orch. (1971) (- Diss. Univ. of Alabama); S., Essays in Analysis of His Art, hrsg. v. E. JOHNSON (Lo 1973) (mit Verz. bedeutender Aufführungen, Transkriptionen u. Diskographie); A. CHASINS, L. S. A Profile (NY 1979).
STOLLEN Bar. STOLTZER (Stolczer, Scholczer u. ä.), Thomas, *um 1475 Schweidnitz, t März 1526 bei Znaim (Südmähren); dt. Komponist. Über S.s Jugend ist nichts bekannt. Seine musikalische Ausbildung verdankt er H. Finck. 1519 wird er als Priester mit einer Pfründe an St. Elisabeth in Breslau erstmals aktenkundig; gleichzeitig sorgte er als „Vicarius discontinuus" am dortigen Dom für die musikalische Ausgestaltung der hohen kirchlichen Festtage. Seine Kompositionen wurden im ganzen deutschsprachigen Raum schnell bekannt. Schon vor 1520 rühmte der Wiener Humanist Joachim Vadian S.s leichte musikalische Auffassungsgabe, die ihn befähigte, fremde Stücke sofort nach Gehör aufzuschreiben. Auf Wunsch von Königin Maria berief ihn König Ludwig II. im Mai 1522 als Kapellmeister an den ungarischen Königshof nach Ofen. Die Hochzeitsfeierlichkeiten des Königspaares hatte er bereits im Januar 1522 musikalisch umrahmt. In Ofen baute S. eine relativ große, aus deutschen und ungarischen Sängern bestehende Kapelle auf, deren hoher Leistungsstand die neu entstandenen, 16
z. T. von Königin Maria angeregten Kompositionen widerspiegeln. In dem einzigen von S.s Hand erhaltenen Dokument, einem Brief vom 23. Februar 1526 an Herzog Albrecht von Preußen in Königsberg, erwähnt er seinen soeben vollendeten 37. Psalm und deutet den Wunsch an, in dessen Dienste zu treten. Wenige Wochen später fand S., offensichtlich auf einer Reise nach Prag, in der Taja bei Znaim den Tod. WW (in 30 dt. Sammeldrucken, vor allem 1532-70, und in zahlr. Hss.): 4 Messen (ohne Credo); 26 Motetten oder Motettenzyklen zum Proprium Missae; 15 Responsorien- oder Antiphonen-Motetten; 43 Hymnen; 5 Vesperpsalmen im Falsobordonesatz; 18 Psalmmotetten; 5 Magnificats; 14 weltl. u. geistl. dt. Lieder; 8 Instrumentalstücke; 5 sonstige Sätze.
Der Schwerpunkt von S.s Schaffen, das alle musikalischen Formen der Zeit umfaßt, liegt in der Breslauer Zeit zunächst auf der liturgischen Gebrauchsmusik, in Ofen stärker auf der freien geistlichen Erbauungsmusik in Gestalt der Psalmmotette, die keinen festen Platz in der Messe besaß. Wesentlich jünger als sein Lehrer Finck, lehnte sich S. entschiedener und früher an den franko-flämischen Motettenstil um 1500 an, verleugnete aber in der Beibehaltung des Cantus firmus und in der malerisch-affektiven Wortvertonung seine deutsche Herkunft auch in den letzten Schaffensjahren nicht. Sätze wie die klanglich voll ausgewogene, ganz aus dem Text gestaltete und dennoch Cantus firmus-bezogene Motette O admirabile commercium wurden noch am Ende des 16. Jh. durch Drucke verbreitet und musiziert. Seine zwischen 1524 und 1526 entstandenen, z. T. von Königin Maria erbetenen Vertonungen der Psalmen 12, 13, 37 und 86 auf der Grundlage des Luthertextes dokumentieren in ihrer herben klanglichen Eigenart und ihrem reichlichen Gebrauch von musikalischen Figuren und tiefschürfenden Symbolen den ersten Höhepunkt einer spezifisch deutschen Polyphonie und bilden ein würdiges musikalisches Gegenstück zur Kunst eines Albrecht Dürer, Veit Stoß und Tilman Riemenschneider. Diese ersten großen geistlichen Kompositionen in einer Nationalsprache markieren zugleich die von der Reformation eingeleitete Wende zur Benutzung der Volkssprache im Rahmen der Liturgie, und noch 2 Generationen später wurden sie im lutherischen Mitteldeutschland als Muster des neuen Komponierend schlechthin angesehen. Musikalisches Neuland betrat S. auch mit seinen Octo Tonorum Melodiae, 8 5stimmigen Instrumentalsätzen in den 4 authentischen und 4 plagalen Kirchentönen. Ausg.: 4 di Lieder u. Psalm 13, in: Newe deudsche geistliche Gesenge ... durch G. Rhau, hrsg. v. J. WOLF (L 1908) (- DDT 34); 12 di Lieder, in: Das di Gesellschaftslied in Östr. v. 1480-1550, hrsg. v. L. NowAIC (W 1930) (- DTÖ 72); 40 Hymnen u. 14 lat.
Stólzel Psalmen, in:Th. S., Sämtliche lat. Hymnen u. Psalmen, hrsg. v. H. ALBRECHT- O. GoMaosl (L 1931) (= DDT 65); 3 Messen u. IO Motetten sowie 8 Instr.-Stücke, in:Th. S., Ausgew. Werke, hrsg. v. H. ALBRECHT (L 1942, Nachdr. F 1962) (- EDM 22); 39 Hymnen, in: G. Rhau, Sacrorurn hymrorum liber primus 1-2, hrsg. v. R. GERBER (L 1942-43, Nachdr. Lippstadt 1961) (- EDM 11 u. 25); Ostermesse, hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT (Wh 1959) (- Chw 74); Sämtliche Psalmmotetten, in: Th. S., Ausgew. Werke 2, hrsg. v. DEMS. (F 1969) ( EDM 66); Missa paschalisu. Motetten, in: ebd. 3, hrsg. v. DENS (1982) (a EDM 99). Lit.: H. J. MOSER, Th. S.s Psalm „Noli aemulari" in: ZfMw 14 (1931/32); K. L. HAMPE, Die dt. Psalmel des Th. S. (Diss. Posen 1943), .Auszug, in: Musik des Ostens 1 (1962); L. HOFFMkNNERBRECHT, Tlt. S.s „Octo Tonorum Melodiae", in: AfMw 14 (1957); DERS., Th. S. Leben u. Schaffen (Kas 1964) (mit WerkVerz.); W. DEHNHARD, Die dt. Psalmmotette in der Reformationszeit (Wie 1971) (- Neue Musikgesch. Forsch. 6); L. HOFFMANN-ERBRECHT, Stultzeriana, in: Mf 27 (1974); DERS., Dt. Musiker um 1500 in Osteuropa, in: Dt. Musik im Osteis (Kö W 1976); DERS., Dt. Musik in Böhmen u. Unga-n um i 525. Zur Gestaltung u. zum Symbolgehalt der dt. Psalmmotetten Tb. S.s, in: Die musikal. Wechselbeziehungen Schiesien-östr. (Dülmen 1977); W. STRUDE, Unters. z. mitteldt. Musiküberlieferung u. Musikpflege im 16. Jh. (L 1978); L. HOFFMANN-ERBRECHT, Henricus Finek - musicus excellentissimus (1445-1527) (Kö L. HOFFMANN-ERBRECHT 1982).
STOLZ, Robert Elisabeth, * 25. B. i 880 Graz, t 27.6. 1975 Berlin : östr. Komponist und Dirigent. Er studierte bei R. Fuchs in Wien und bei E. Humperdinck in Berlin, wurde 1897 Korrepetitor in Graz, 1898 2. Kapellmeister in Marburg/Drau, 1902 1. Kapellmeister in Salzburg und !903 Kapellmeister am Deutschen Theater in Brünn. Nach einer Begegnung mit J. Strauß (1899) wandte er sich ganz der leichten Muse zu und schrieb im selben Jahr seine erste Operette, Studentenulk- (UA Marburg 1899). 1907 wurde S. Dirigent am Theater an der Wien; er leitete dort die populärsten Wiener Operetten seiner Zeit. Nach ersten Erfolgen in Deutschland (Servus, Du!, 1911) wurde er international bekannt durch das Lied Hallo, du sül3e Klingelfee (1919) und die Operette Tar.z ins Glück (UA Wien 1920). Seit 1924 war S. in Berlin tätig, wo er sich schnell als einer der besten Komponisten von Musik zu Filmer. profilierte. 1938 emigrierte er über Paris in die USA und schrieb dort hauptsächlich Musik für Hollywood-Filme. 1946 kehrte er nach Wien zurück. S. komponierte bis in sein hohes Alter, dirigierte Konzerte und nahm zahlreiche Schallplatten auf. WW: KIv.-Stücke; Walzer L. Märsche. - Über 2000 Lieder, Chansons u. Schlager, darunter: Salome (1919) (der erste europäische Foxtrott); Mein Liebeslied n;uß ein Walzer sein u. Die ganze Welt ist himmelblau (1930) (als Einlagen für R. Benatzkys Im weiBen ROBI); lin Prater biüň i: wieder die Bäume; Adieu, mein kleiner Gardeoffizier • Wenn die kleinen Veilchen blütr. - Etwa 65 Operetten u. Musicals, u. a.: Wenn die kleinen Veilchen blühn, VA: Den Haag 1932; Venus in Seide, VA: Zürich 1932; Der verlorene Wa!zer, VA: Zürich 1933; Grüezi, VA: ebd. 1934, als: Himmelblaue Träume, VA: Berlin 1935, Neufassung als: Hoch-
zeit am Bodensee, U A : Bregenz 1969; Frühling im Prater, UA: Wien 1949; Trauminsel, VA: Bregenz 1962; Frühjahrsparade, UA: Wien 1964; Wiener Café, VA: Graz 1965. - Ferner Musik zu etwa 100 Filmen.
S. zählt zu den erfolgreichsten und vielseitigsten Vertretern der Wiener Unterhaltungsmusik unseres Jahrhunderts. Er war ein Meister der „kleinen", liebenswürdig-amüsanten Operette und des Wiener Lieds. Auf dem Gebiet des Chansons verwendete er als einer der ersten moderne Tanzrhythmen. Viele seiner Lieder wurden Evergreens. Autobiographische Notizen und Erinnerungen an S. erschienen als Servus, Du! (Mr, 1980). Lit.: W.-t). BRÜMMEL - F. VON BOOTH, R. S., Melodie eines Lebens 0-I 1967); 0. HERBRICH, R. S. König der Melodie (W - Mn 1975); A. LANG, Melodie aus Wien. R. S. u. sein Werk (W - Mn 1980); R. S. Werkverz., hrsg. v. S. PFLICHT (Mn 1981). M. HERBSTMEIER
STOLZE, Gerhard Wolfgang, * 1. 10. 1926 Dessau, t 11. 3. 1979 Garmisch-Partenkirchen; dt. Sänger (Tenor). Er studierte bei W. Bader und R. Dittrich in Dresden und debütierte 1949 an der Dresdener Staatsoper. 1953-61 war er Mitglied der Städtischen Oper Berlin, dann der Wiener Staatsoper und gastierte an den großen Bühnen Europas und an der Metropolitan Opera New York. Regelmäßig sang er in Salzburg und bei den Bayreuther Festspielen (seit 1952), dort mit besonderem Erfolg als David, Loge und Mime. S. wirkte auch bei Uraufführungen zeitgenössischer Opern - u. a. von W. Egk, G. Klebe, Fr. Martin und C. Orff - mit.
STÓLZEL (Stöltzel, Stölzl), Gottfried Heinrich, * 13. 1. 1690 Grünstädtei (Erzgebirge), t 27. 11. 1749 Gotha; dt. Komponist. Er war Schüler von J. Kuhnau, studierte 1707-10 in Leipzig und wirkte 1710-12 als Musiklehrer in Breslau. 1713 reiste er nach Italien und anschließend nach Prag, Bayreuth und Gera. 1719 wurde er Hofkapellmeister in Gotha und war seit 1739 Mitglied von L. Chr. Mizlers „Societät der musikal. Wissenschaften". WW: 1) Instr.-WW: Enharmonische Sonata für Cernb ; etwa 20 Triosonaten; 3 Quartette; je 2 Konzerte für Fl. u. für Ob., l Konzert für 2 Ob. d'amore; 4 Concerti grossi. - 2) Vokal-WW: Etwa 440 Kirchenkantaten; 3 Passionsoratorien; zahlr. Messen (nur Kyrie - Gloria) u.a. lat. Kirchenmusik; etwa 30 weitl. Kantaten, darunter 17 Solokantaten. - Ferner mehrere musiktheoret. Schriften hsl., darunter Abhandlung vom Recitativ.
S. war nach dem vielfältigen Urteil seiner Zeitgenossen einer der großen dt. Komponisten des ausgehenden Barock. Aus seinem ursprünglich sehr umfangreichen Schaffen, von dem nur ein kleiner Teil (u. a. ohne die etwa 20 dt. Opern) ausschließlich hsl. überliefert ist, ragen die Instrumentalkonzerte und die Kirchenkantaten heraus. Beide Werkgruppen vereinen in unterschiedlicher Weise 17
Stomp dt. kontrapunktische Gediegenheit mit it. Stilelementen (Kantabilität, gefällige Melodik). Ausg.: Concerto grosso a quattro chori, in: Instrumentalkonzerte dt. Meister, hrsg. v. A. SCHERING (1907) (- DDT 29/30), dass., hrsg. v. G. DARVAS (F 1972); Enharmonische Sonate, hrsg. v. E. W. BÖHME (Kas 1936); Ob.-Konzert D.-Dur, hrsg. v. H. Tö'rrCHER (H 1954), U. F-Dur, hrsg. V. H. WINSCHERMANN (Wb - Z 1963); mehrere Triosonaten in den Slgen. Collegium musicum u. Nagels Musikarchiv. - Solokantaten Aus der Tiefe rufe ich, hrsg. v. A. ADRIO (B 1948, 2 1957), u. Lob und Dank, hrsg. v. H. ALBRECHT (Lippstadt 1954) (- Organum 1/29); Weihnachtskantate, hrsg. v. DEMS. (ebd. 1953) (= ebd. 1/28). Lit: A. FErr, Musikgesch. der Stadt Gotha (Dias. Fr 1952) (mit Werk-Verz.); W. STEGER, G. H. S.s „Abh. v. Recitativ" (Diss. Hei 1962); F. HENNENBERG, Das Kantatenschaffen v. G. H. S., 2 Bde. (L 1976) (- Beitr. z musikwiss. Forsch. in der DDR 8); P. HUTH, G. H. S.... Bemerkungen zu seinem Instrumentalschaffen, in: Die Einflüsse einzelner Interpreten u. Komponisten des 18. Jh. auf das Musikleben ihrer Zeit (Blankenburg 1980).
STOMP (amerik., = aufstampfen), zunächst eine auf ständiger Wiederholung bestimmter rhythmischer Abläufe beruhende afroamerik. Tanzform, aus der sich später im Jazz eine Spielweise entwikkelte, bei der einer fortlaufenden Melodie ein ostinates rhythmisches Pattern unterlegt wird. Dieses sog. S.-Pattern entsteht meist aus einem Melodiefragment, wird - im Unterschied zum 7 Riff - melodisch ständig verändert und erklingt entweder für die Dauer einzelner Chorusse oder des ganzen Stücks. STOPFEN, eine um die Mitte des 18. Jh. aufgekommene Praxis der Hornisten, die rechte Hand in die Stürze des Horns zu schieben. Durch unterschiedliche Handhaltung kann so der Grundton des Horns verändert und die Naturtonreihe des Instruments (durch zusätzliche diatonische und chromatische Zwischentöne) erweitert werden. Darüber hinaus dient das S. auch zur Dämpfung. Bei anderen Blechblasinstrumenten wird dies durch besondere ř Dämpfer erzielt. STOP-TIME (engl.), r Break.
STORACE, Bernardo, it. Komponist des 17. Jahrhunderts. Er ist 1664 als Vizekapellmeister des Senats von Messina nachweisbar. Seine Selva di va-
ne composizioni d'intavolatura per cimbalo ed organo (V 1664) ist ein wichtiges italienisches Zeugnis für die Variation über Tanzmelodien in der Zeit unmittelbar nach G. Frescobaldi. Ausg.: Selva di vane compasizioni, hrsg. v. B. HUDSON (R 1965) (- Corpus of Early Keyboard Music 7). Lit.: R. A. HUDSON, The Development of It. Keyboard Variations on the „Passacaglio" and „Ciaccona" from Guitar Music in the 17th Century (1967) (- Diss. Univ. of California).
STORACE. - 1) Stephen, * 4. 4. 1762 London, 18
t 19.3. 1796 ebd.; engl. Komponist. Er war Schüler seines Vaters, des aus Italien stammenden Kontrabassisten Stefano S., und seit 1776 des Conservatorio S. Onofrio in Neapel, ging dann mit seiner Schwester und mit dem Tenor M. Kelly nach Wien, wo er seine ersten beiden Opern zur Aufführung brachte und mit W. A. Mozart befreundet war. 1787 kehrte er nach London zurück und wurde 1789 Komponist des Drury Lane Theatre. Seine im gleichen Jahr dort aufgeführte Oper The Haunted Tower war einer der größten Opernerfolge des 18. Jh. in England. Ähnliches gilt auch für The Pirates (1792). WW: 4 it. u. 14 engl. Opern (hsl. oder gedruckt als Klv.-A.), darunter außer den genannten: Gli equivoci (Libr.: L da Ponte nach Shakespeare), UA: London 1786; No Song, No Supper, UA: ebd. 1790. Zahlr. Songs u. Arien aus den Opern erschienen separat. Canzonetts für SingSt u. Cemb. (Lo um 1786); Lamentation of Marie Antoinette ... on the morning of her execution (Lo 1793). 5 Slgen. Sonaten u. a. Stücke für Cemb. (Lo 1784-90).
2) Ann (Nancy), Schwester von 1), * 27. 10. 1765 London, t 24. 8. 1817 ebd.; engl. Sängerin (Sopran). Sie debütierte 15jährig in Italien als Opernsängerin und feierte 1783-87 in Wien Triumphe, nicht zuletzt durch ihr Auftreten in komischen Rollen. Bei der UA des Figaro 1786 sang sie die Susanna, und Mozart schrieb für sie die Konzertarie Ch'io mi scordi di to - Non temer (KV 505), als sie 1787 mit ihrem Bruder und Kelly nach London zurückkehrte. Sie sang dort noch bis 1808. Ausg.: Zu 1): No Song No Supper, hrsg. v. R. FISKE (Lo 1959) (- Mus. Brit. 16). Lit: R. FISKE, S., in: MGG XII; K. u. I. GEIRINGER, S. U. N. S. in Wien, in: ÜMZ 34 (1979); R. FISKE, S., in: Grove• XVIII.
STOUTZ, Edmond de, * 18. 12. 1920 Zürich; Schweizer Dirigent. Er studierte zunächst Jura, dann Violoncello, Klavier, Oboe, Schlagzeug und Komposition in Zürich, Salzburg und Wien. 1952-54 war er Cellist und Schlagzeuger im Tonhalle-Orchester in Zürich, gründete 1954 das Zürcher Kammerorchester und unternahm als künstlerischer Leiter dieses Ensembles zahlreiche Konzertreisen. 1962 gründete er auch den Zürcher Konzertchor, den er ebenfalls leitet. S. widmet sich besonders der Musik des 18. und 19. Jh. STRADELLA, Alessandro, * 1. 10. 1644 Rom, t 25.2. 1682 Genua; it. Komponist. Er stammte aus einer adligen römischen Familie und war möglicherweise Schüler von E. Bernabei. 1655 ist er als Sänger an S. Marcello del Crocifisso bezeugt; später stand er kurze Zeit im Dienst der Familie Colonna und der in Rom lebenden Königin Christine von Schweden. Seit 1665 machte er sich als Komponist von Bühnenwerken und geistlicher
Strambotto Musik einen Namen, war aber auch bekannt durch seine zahlreichen Liebesaffären und mußte 1669 wegen eines Betrugsskandals kurze Zeit Rom verlassen. In dieser Zeit wurde er bekannt mit Filippo Acciaiuoli, der 1671 in Rom das erste öffentliche Operntheater gründete, wo dann auch bis 1673 mehrere Intermezzi S.s aufgeführt wurden. 1675 entstand sein nach eigenem Bekunden bestes Werk, das Oratorium S. Giovanni Battista. 1677 mußte er, diesmal endgültig, Rom verlassen. In Venedig entführte er die junge Adlige Ortensia Grimani nach Turin und wurde bei einem Überfall durch Bedienstete ihrer Familie schwer verletzt. Nach seiner Gesundung ging er nach Genua; hier wurden 1678 3 Opern von ihm aufgeführt. Wiederum im Zusammenhang mit einer Liebesaffäre fiel er ar einem Mordanschlag zum Opfer. S.s abenteuerliches Leben gab im 19. Jh. den Anlaß zu zahlreichen Dichtungen und Opernlibretti, von denen Fr. W. Rieses Alessandro Stradella in der Vertonung von Fr. von Flotow (1844) bis heute das bekannteste Werk ist. WW (fast ausschließlich hsl. erhalten): 1) Instr.-WW: 12 Sinfonien u. Sonaten für V. u. B.c., 19 für 2 V. bzw. V. u. Vc. u. B. c.; 3 weitere Sonaten, davon 1 für Trp. u. 8 Violen; 1 Toccata für Cemb. - 2) Vokal- u. Buhnen-WW: Messe für 16 St. u. B. c. ; etwa 20 Motetten für 1-6 St. u. B.c., teilweise mit 2 V. - Oratorien: S Giovanni Battista; Ester; S. Giovanni Crisostomo; S. Editta; S Pelagia; Susanna (1681). - Etwa 400 it. Kantaten für 1-3 St. u. B.c. (die Hälfte davon mit zweifelhafter Zuschreibung), darunter 290 Solokantaten; etwa 20 Arien u. Kanzonetten. - Opern: II Trespolo tutore, UA: Genua um 1677; La forza dell'amor paterno, UA: ebd. 1678; Le gare dell'amor eroico, UA: ebd. 1679; II moro per amore, UA: Rom 1695; I/ Corispe% - Ferner 26 Intermezzi, Prologe u. a. Kurzopern.
S. ist auch mit seinen Kompositionen in der italienischen Musikgeschichte der 2. Hälfte des 17. Jh. eine außergewöhnliche Persönlichkeit. In allen Gattungen hat er die römische Tradition individuell umgeformt. Am auffälligsten zeigt sich dies darin, daß sich in seinen instrumentalen und vokalen Werken (u. a. in Arien des S. Giovanni Battista) zum ersten Mal die Aufteilung eines 8st. Streicherensembles in ein Concertino und ein Concerto grosso findet. Diese (von S. auch ausdrücklich als solche bezeichnete) Besetzung weist unmittelbar auf das r Concerto grosso als Gattung und auf A. Corelli hin, mit dem S. in seiner römischen Zeit auch persönlich in Verbindung stand. Ausg: E. F. MCCRICKARD, A. S.'s Instr. Music, 2 Bde. (1971) (Diss. Univ. of North Carolina) (mit thematischem Kat. u. Ausg. v. 12 Werken); 3 Sonaten, hrsg. v. E. H. TARR (P 1972); 3 Sinfonien, hrsg. v. DEMS. (P 1972). - D. W. DANIELS, A. S.'s Oratorio S. Giovanni Battista, 2 Bde. (1963) (- Diss. State Univ. of Iowa); 1 Arie daraus, in: G. MASSENKEIL, Das Oratorium (Kö 1970) ( Das Musikwerk 37); La forza dell'amor paterno, hrsg. v. A. GENTILI (R 1931); 4 Arien, in: La Flora I, hrsg. v. K. JEPPESEN (Kop 1949).
Lit.: H. HESS, Die Opern A. S.s (L 1906) (- BIMG II/3); G. RONCAGLIA, Il genio novatore di A. S. (Modena 1941); O. JANDER, A Catalogue of the Manuscripts of Compositions by A. S.... (Wellesley 1960, 21962); DERS., A. S. and his Minor Dramatic Works (1962) (- Diss. Harvard Univ.); DERS., Thematisches Verz. der Kantaten, 2 Bde. (1969) (- Wellesley Edition Cantata Index Series 4); L BIANCHI, Carissimi, S., Scarlatti e l'oratorio musicale (R 1969); H.-B. DIETz, Musikal. Struktur u. Architektur im Werke A. Ss, in: Anal. Mus. 9 (1970); C. GIANTURCo, The Operas of A. S. (Diss. C 1970); K. A. CHAIKIN, The Solo Soprano Cantatas of A. S. (1975) (- Diss. Stanford Univ.); E. F. McCRICKARD, Temporal and Tonal Aspects of A. S.'s Instr. Music, in: Anal. Mus. 19 (1979).
STRADIVARI, Giacomo Antonio, * 1644 oder 1648/49 Cremona, t 18. 12. 1737 ebd.; it. Geigenbauer. S. war Schüler von N. Amati, machte sich vermutlich 1667 selbständig, arbeitete aber bis 1680 noch mit Amati zusammen. Nach einer von Amati beeinflußten 1. Phase - die Instrumente vor 1690 wurden „amatizzati" genannt - entwickelte S. bis um 1700 ein eigenes Modell von größerem Format, das er mit einem heißeren Lack behandelte. Um 1700 setzt die Phase seiner reifen Meisterschaft ein, in der die bis heute weltberühmten Geigen von fülligem Wohlklang und harmonischer Form entstanden. Sie erhielten häufig die Namen der Virtuosen, die sie spielten (Paganini, Viotti, Vieuxtemps, Boissier), oder anderer bekannter Eigentümer. S.s berühmtestes Instrument ist die „Messias", deren Namensgebung darauf zurückgeht, daß ihr damaliger Besitzer, der Mailänder Händler Luigi Tarisio, den Verkauf dieser Violine zwar wiederholt ankündigte, sich aber nicht von ihr trennen konnte. Die klangliche Schönheit der S.-Violinen beruht vor allem auf Bauweise, Wahl des Holzes und Zusammensetzung des Lackes. S. fertigte insgesamt über 1100 Instrumente, davon (heute bekannt) 540 Violinen, 50 Violoncelli und 12 Violen. Letztere erreichten jedoch nicht die Qualität der übrigen Instrumente. Lit.: W. H. A. F. u. A. HILL, A. S. His Life and Works (Lo 1902, Nachdr. NY 1963); A. ALEXANDRE, Les S. (P 1945); G. OrrANI, S. (Mi 1945); W. HENLY, A. S. His Life and Instr., hrsg. v. C. Woodcock (Brighton 1961); P. FRISOLI, The „Museo Stradivariano" in Cremona, in: GalpinJ 24 (1971); K. GOODKING, Violin Iconography of A. S. (Larchmont/N. Y. 1972); S. F. SACCONI, I „segreti" di S. (Cremona 1972, dt. F 1976); G. R. JONES, A. S. and His Craft. A Story of the Master's Life (NY 1973).
STRAMBOTTO (it., von mittellat. strambus s unregelmäßig), in der it. Lyrik des 15. Jh. und später (dort auch Rispetto genannt) Bz. für eine achtzeilige Strophe oder eine Stanze mit 8 elfsilbigen Versen mit dem Reimschema ab ab ab ab (Ottava siciliana) bzw. ab ab ab cc (toskanische Ottava). Zu den bekanntesten Dichtern zählen u. a. L. Giustiniani und Serafino dall'Aquila. Musikalisch weist der S. Ähnlichkeiten zur Frottola auf (beide ste19
Stranz hen in den hsl. und gedruckten Quellen häufig zusammen), unterscheidet sich von dieser jedoch
durch größere melodische Beweglichkeit. In der Regel ist der S. ein Strophenlied, wobei nur die ersten beiden Verse vertont wurden. In den Frottole-Sammlungen O. Petruccis gibt es (seit dem 4. Buch, 1505) auch durchkomponierte Strambotti. STRANZ, Ulrich, * 10.5. 1946 Neumarkt-St. Veit (Oberbayern); dt. Komponist. Er studierte 1966-72 Violine und Komposition (Fr. Büchtger, G. Bialas) an der Münchener Musikhochschule und arbeitete anschließend im Studio für elektronische Musik am Institut für Sonologie der Universität Utrecht. Seit 1974 lebt er als freischaffender Komponist in Zürich und war 1980-81 Stipendiat der Deutschen Akademie in der Villa Massimo in Rom. S. gelangte von einer konstruktiven Reihentechnik zu einer melodisch bestimmten Schreibweise mit tonalitätsbedingten harmonischen Spannungen, die jedoch nicht auf funktionalen Gesetzmäßigkeiten beruhen. Sein Schaffen trägt Züge eines Stilpluralismus und ist eigenen Aussagen zufolge von Bialas, K. Stockhausen, G. Ligeti und O. Messiaen beeinflußt. WW: Anabasis (1970) für Klv.; 2 Streichquartette (1976, 1981). — Für Orch.: Klangbild (1976); Szene (1980); Contrasubjekte(1980) für Streichorch.; Tachys (1974) für Orch. u. Solo—Str.; déjà vu (1973) für Ob. d'amore u. Kammerorch.; Musik für Klavier und Orchester (1978); Auguri (1981) für Va. u. Orch. Lit.: C. KÜHN, Gespräch mit U. S., in: Musica 32 (1978); D. DE u MoTrE, Zur Situation junger dt. Komponisten, in: Avantgarde, Jazz, Pop (Mz 1978) (— Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung 18).
STRATAS, Teresa (eig. Anastasia Strataski), * 26.5. 1936 Toronto; kanadische Sängerin griechischer Abstammung (Sopran). Sie studierte bei Irene Jessner in Toronto und debütierte dort 1958 bei der Canadian Opera Company als Mimi in G. Puccinis La Bohéme. Schon 1959 sang sie erstmals an der Metropolitan Opera in New York, 1962 auch an der Mailänder Scala. In den 60er und 70er Jahren gastierte sie im lyrisch-dramatischen Fach an den großen Opernbühnen Europas und Amerikas, u. a. in Wien, Moskau und Berlin sowie bei den Salzburger Festspielen. STRATTNER, Georg Christoph, * um 1644 Gols (Ungarn), beerdigt 11.4. 1704 Weimar; dt. Komponist. S. war Schüler seines Vetters S. Capricornus, wurde 1659 Kapellknabe und 1661 Altist an der Stuttgarter Hofkapelle, 1666 Kapellmeister am Hof in Durlach (Baden) und 1682 an der Barfüßerkirche in Frankfurt am Main, wo er bereits seit 1675 als Komponist in Erscheinung getreten war. 20
1692 aus der Stadt verwiesen, erhielt er 1694 eine Stelle als Tenorist und 1695 als Vizehofkapellmeister in Weimar. Von seinen Werken ist nur wenig überliefert, darunter eine Kantate Sehet doch, ihr Menschenkinder, die zur Vorgeschichte des deutschen Passionsoratoriums gehört. WW: Etwa 20 Kirchenkantaten sind hsl. erhalten; zahlr. Ist. Kirchenlieder in Gesangbüchern der Zeit; mehrst. Lieder mit B.c. Ausg.: 14 Lieder für 3 St., hrsg. v. F. NOACK, in: Die Kirchenmusik 1/12, 14 u. 15 (Langensalza 1920). Lit.: E NoACK, G. Ch. S. Sein Leben u. seine Werke (Diss. B 1921), Auszüge, in: AfMw 4 (1921).
STRAUBE, Montgomery Rufus Karl Siegfried, * 6. 1. 1873 Berlin, t 27.4. 1950 Leipzig; dt. Organist und Chordirigent. S. war seit 1888 Schüler von H. Reimann und wurde 1895 dessen ständiger Vertreter an der neuen Sauer-Orgel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin und 1897 Organist am St. Willibrordi-Dom in Wesel. Seither machte er sich als Konzertorganist in ganz Deutschland bekannt. In Frankfurt a. M. begann 1898 die lebenslange Freundschaft mit M. Reger, dessen Orgelwerke er fast alle uraufgeführt hat. 1903-18 war er in Leipzig Organist an der Thomaskirche, 1918-39 Thomaskantor, und übernahm 1903 die Leitung des Bach-Vereins, nach dessen Zusammenlegung mit dem Gewandhauschor(1920 ) er bis 1932 auch die Gewandhauschorkonzerte dirigierte. 1907 wurde er Lehrer (1908 Professor) für künstlerisches Orgelspiel am Landeskonservatorium, an dem er 1919-41 auch das von ihm gegründete Kirchenmusikalische Institut der Evangelisch-lutherischen Landeskirche leitete. Zu seinem 70. Geburtstag wurde er mit der Festschrift Gaben der Freunde (L 1943) geehrt. WW: 1) Schriften: M. Reger. in: Mitteilungen der M.-Reger-Ges. 4 (St 1924); Rückblick und Bekenntnis, in: Bach-Gedenkschrift 1950, hrsg. v. K. Matthaei (Z 1950), dass. auch in: Briefe eines Thomaskantors (s. u. Lit.). — 2) Editionen: F Liszt, Orgelkompositionen, 2 Bde. (L 1904); Alte Meister. Eine Sammlung deutscher Orgelkompositionen aus dem 17. und 18.1h. (L 1904), N. F., 2 Bde. (L 1929); !. S. Bach, Sämtliche Orgelwerke II (L 1913), IV (L 1950); Ausgewählte Gesänge des Thomanerchors zu Leipzig (L 1924-36).
S. zählt zu den bedeutenden Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Als Organist vertrat er bis etwa 1913 die romantisch-expressive Auffassung in der Tradition der Wagner-Liszt-Zeit, die sich in einer agogisch und dynamisch fein differenzierten Anschlags- und Phrasierungstechnik zeigte. Durch G. Ramin auf die Schnitger-Orgel in St. Jacobi zu Hamburg aufmerksam gemacht, setzte er sich zunehmend für das barocke Klangideal ein und gab mit der Einweihung der neuerbauten Praetorius-Orgel in der Universität Freiburg i. Br.
Strauß der r Orgelbewegung entscheidende Impulse. Obwohl S. sich vor allem den Werken J. S. Bachs und M. Regers widmete, hatte er eine nahezu vollständige Kenntnis auch der zeitgenössischen Orgelliteratur. Seinem unermüdlichen Wirken ist es zu verdanken, daß die Orgelmusik heute als eine autonome Gattung im öffentlichen Konzertleben anerkannt ist. Als Chordirigent machte er mit der Gesamtaufführung der Kirchenkantaten Bachs (1931-37) und durch die erstmalige Verwendung der originalen „kleinen" Besetzung in Motetten und Oratorien bei den Bachfesten auf sich aufmerksam. Lit. u. Brief-Ausg.: K. S. Briefe eines Thomaskantors, hrsg. v. W. GURLITT— H.-O. HUDEMANN (St 1952, gekürzt B 1959); M. Reger, K. S. Briefzeugnisse einer Freundschaft, hrsg. v. M. MEZGER, in: Württembergische Blätter für Kirchenmusik 40 (1973). — G. ROBERT-THORNOW, M. Reger U. K. S. (Gö 1907, NA L 1929); J. WOLGAST, K. S. (L 1928); M. MEZGER, Bachs Amt u. Erbe im Thomaskantorat v. K. S., in: Theologia viatorum 8 (1961/62); F. HÖGNER, Persönliche Erinnerungen an K. S., in: Gottesdienst u. Kirchenmusik (1972); L. DOORMANN, Das Vermächtnis K. S.s als Bachspieler, in: MuK 43 (1973); F. HÖGNER, K. S. u. die mißbrauchte Musikphilologie, in: MuK 44 (1974); K. S. Wirken u. Wirkung, hrsg. V. CH. U. I. HELD (B 1976) (mit B. A. KOHL unveröff. Briefen u. Dokumenten; vgl. r Reger.
STRAUS (eig. Strauss), Oscar Nathan, * 6.3. 1870 Wien, t 11. 1. 1954 Bad Ischl ; östr. Komponist und Dirigent. Er studierte in Wien bei Hermann Grädener und 1891-93 bei M. Bruch in Berlin. Bis 1899 war er Kapellmeister in Preßburg, Brünn, Teplitz, Mainz und Hamburg. 1900 wurde er als Pianist und Komponist an das neu gegründete Kabarett „überbrettl" von Ernst von Wolzogen in Berlin verpflichtet, wo er mit Chansons wie Die Musik kommt und Der lustige Ehemann erste Erfolge verzeichnen konnte. Mit seiner Operette Ein Walzertraum erlangte er 1907 in Wien Weltruhm. 1939 mußte er emigrieren und lebte in Paris, New York und Hollywood. Nach dem Krieg ließ er sich in Bad Ischl nieder, setzte seine Tätigkeit als Dirigent fort und schrieb weitere Operetten sowie Filmmusiken (u. a. zu Max Ophüls Film Der Reigen, 1950). Zusammen mit Fr. Lehár, L. Fall und E. Eysler gehört S. zu den wichtigsten Vertretern des sogenannten „Silbernen Zeitalters" der Wiener Operette. Ausgehend von J. Offenbachs satirischen Werken und geprägt von der klassischen Wiener Operette, schrieb S. Walzeroperetten mit viel Witz und melodischer Eleganz, in denen er auch zahlreiche neue Tanzrhythmen verwendete. WW: K1v.Stücke; Kammermusik; Orch.-Werke; etwa 500 Chansons u. Chöre. — Operetten, u.a.: Der tapfere Soldat, UA: Wien 1908; Rund um die Liebe, UA: ebd. 1914; Liebeszauber, UA: Berlin 1916; Der letzte Walzer, UA: ebd. 1920; Die Teresina, UA: ebd. 1925; Eine Frau, die weiß, was sie will, UA: ebd. 1932; Drei Walzer, UA: Zürich 1935; Die Musik kommt, UA: ebd. 1948, re-
vidiert als: Ihr erster Walzer, UA: München 1950; Rozena, UA: ebd. 1952; Ballette, darunter: Colombine, UA: Berlin 1904; Die Prinzessin von Brabant, UA: Wien 1912. Lit.: B. GRUN, Prince
of Vienna (Lo 1955, NY 1957).
STRAUSS (eig. Strauß; Straus), Christoph, * um 1575/80 Wien (?), t zwischen 1. und 20.6. 1631; östr. Komponist und Organist. Er war Organist an der Hofkirche St. Michael in Wien, wurde 1614 Pfleger der kaiserlichen Besitzung Kattenburg und 1617 kaiserlicher Vizekapellmeister, wurde aber nach dem Tod Kaiser Matthias' (1619) entlassen. Spätestens seit 1626 wirkte er als Domkapellmeister an St. Stephan in Wien. WW: Nova ac diversimoda sacrarum cantionum compositio, Motetten für 5-10 St. u. Instr. (W 1613); Missae für 8-20 St. mit Instr. u. B. c. (W 1631).
Ausg.: Missa pro defunctis für instr. u. vokalen Doppelchor, in: 3 Requiem für Soli, Chor u. Orch. aus dem 17. Jh., hrsg. v. G. ADLER (W 1923) (— DTÖ 59). Lit.: P. W. GANO, The Masses of Ch. S. (1971) (— Diss. Univ.
of
California).
STRAUSS (eig. Strauß), Wiener Musikerfamilie des 19. Jh., deren großes Verdienst es ist, im Anschluß an Traditionen aus dem 18. Jh. am Zusammenhang zwischen Unterhaltungs- und Kunstmusik festgehalten und der zeitgenössischen Trivialisierung und Sentimentalisierung der Tanz- und Operettenmusik widerstanden zu haben. Damit führte sie vor allem die zentral von ihr gepflegte Gattung des Wiener Walzers auf ein hohes künstlerisches Niveau und zur Weltberühmtheit. - 1) Johann Baptist (Vater), * 14.3. 1804 Wien, t 25.9. 1848 ebd. Er widmete sich nach einer abgeschlossenen Buchbinderlehre (1822) der Musik und spielte in den Ensembles Michael Pamers und J. Lanners Bratsche und Violine. 1825 heiratete er Anna Streim und gründete eine eigene Kapelle, für die er selbst Tänze schrieb, ohne zuvor Kompositionsunterricht erhalten zu haben (später war er Schüler von I. von Seyfried). Für seine außergewöhnliche Karriere spricht die 1822 erfolgte Ernennung zum Kapellmeister des 1. Bürgerregiments, für das er Märsche schrieb, und 1836 die zum Ehrenbürger von Wien. Seit 1833 unternahm er erfolgreiche Konzertreisen durch Österreich und Westeuropa. Sein rastloses Leben und seine ekstatische Arbeitsweise führten zum körperlichen Zusammenbruch, der zur Einschränkung der Konzertreisen zwang, aber auch zur Zerrüttung seines Familienlebens. Nach Lanners Tod (1843) erhielt S. in der Wiener Unterhaltungsmusikszene bald in seinem Sohn Johann einen neuen Rivalen. Bei der Revolution 1848 ergriff er die Partei der Kaiserlichen (Radetzky-Marsch, Jellacic-Marsch). 21
Strauß WW: 149 Walzer; 34 Quadrillen; 29 Galopps; 16 Märsche; 14 Polkas; Fantasien; Potpourris u. etwa 50 Tänze ohne Opuszahlen.
S.' Aufführungsstil zeichnete sich durch Akkuratesse und Vitalität aus und muß eine mitreißende Wirkung ausgeübt haben. Als Komponist gab er seinen Walzern eine Standardform in der von Introduktion und Coda umrahmten 5teiligen sog. Walzerkette. Der musikalische Satz ist durchsichtig, kleingliedrig, harmonisch einfach und von melodischer und rhythmischer Delikatesse. Sein Radetzky-Marsch ist zusammen mit dem Kaiser-Walzer und dem Walzer An der schönen blauen Donau seines Sohnes Johann zu einer Art musikalischer Allegorie Altösterreichs geworden. 2) Johann Baptist (Sohn), Sohn von 1), * 25. 10. 1825 Wien, t 3.6. 1899 ebd. Er ließ sich gegen den erklärten Willen seines Vaters zum vielseitigen Musiker ausbilden (in Komposition u. a. bei J. Drechsler), mit dem Ziel, dem Vater nachzueifern. 1844 debütierte er erfolgreich mit einer eigenen Kapelle. Der äußere Lebensweg gestaltete sich ähnlich dem des Vaters, nur in noch größeren Dimensionen. 1846 begann er Konzertreisen innerhalb Österreichs, weitete sie später über große Teile Europas aus. Seit 1855 verbrachte er 16 Jahre lang jeden Sommer in Pawlowsk bei St. Petersburg, woran viele seiner Kompositionen erinnern. Auftritte bei Weltausstellungen und eine spektakuläre Amerikatournee mit einem Mammutkonzert in Boston anläßlich der 100jährigen Unabhängigkeit der USA bestätigten seinen Weltruhm. S. wurde zeit seines Lebens bewundert, im Alter mit Ehren überhäuft und von Musikern selbst so gegensätzlicher Art wie R. Wagner und J. Brahms hochgeschätzt. WW (etwa 470 Op.-Zahlen): 159 Walzer, darunter: Morgenblätter (1846); An der schönen blauen Donau (1867); Geschichten aus dem Wienerwald (1868); Wein, Weib und Gesang (1869); Wiener Blut (1876); Rasen aus dem Süden (1880); Frühlingsstimmen (1883); Kaiser-Walzer (1888); Seid umschlungen, Millionen (1892); 117 Polkas, u. a.: Annen-Polka (1852); Tritsch-TratschPolka (1858); Im Pawlowskwalde (Im Krapfenwaldl) (1868); Pizzicato-Polka (1869) (zus. mit Josef S.); Neue Pizzicato-Polka (1893); 32 Galopps u. Polkas schnell; 31 Polkas Mazur; 74 Quadrillen; 43 Märsche sowie zahlr. weitere Tänze ohne Opuszahlen; Fantasien. -17 Operetten u. komische Opern (UA in Wien), darunter: Die Fledermaus, UA: 1874; Eine Nacht in Venedig UA: 1883; Der Zigeunerbaron, UA: 1885; Wiener Blut (unvollendet, bearb. v. A. Müller), UA: 1899; ferner Ballettmusik.
Als Operettenkomponist führte S. die vom Wiener Singspiel über J. Offenbach und Fr. von Suppé sich herleitende Tradition zu einem Höhepunkt, erzielte jedoch nur mit wenigen Operetten dauernden Erfolg. Besonders schmerzlich traf ihn der Durchfall seiner Oper Ritter Pázmán in der Hofoper (1892). Selbst die Fledermaus kam bei ihrer ersten Aufführung in Wien nicht an, erst in Berlin 22
und Paris wurde sie zum Erfolg. S.' einzigartiger Rang als Walzer- und überhaupt als Tanzkomponist ist stets anerkannt worden. In einer für die Gründerzeit anachronistischen, andererseits für die Wiener traditionsbewußte Gesellschaft bezeichnenden Weise gelang S. eine Synthese zwischen der vitalen, leicht gefügten Tanzmusik seines Vaters und Lanners mit dem künstlerischen Anspruch, der sich von der Wiener Klassik herleitete. Die Heiterkeit dieser Musik steht zwischen forcierter Lustigkeit und triefender Trivialität in Äquidistanz, aber auch noch genügend fern der gründerzeitlichen Monumentalität wie der gebrauchsmusikalischen Dutzendware. 3) Josef, Bruder von 2), * 20.8. 1827 Wien, t 22.7. 1870 ebd. Er mußte nach einer erfolgversprechenden Laufbahn als Techniker auf Drängen seiner Familie 1853 für seinen erkrankten älteren Bruder einspringen und wurde, zunächst gegen seinen Willen, Musiker. S. war von ernster, bescheidener Wesensart, seine hochgradige Sensibilität neigte stärker als die seines Bruders zu Depressionen und Hypochondrie. Wenn er auch immer in dessen Schatten blieb, erreichte er doch als Komponist und Dirigent große Erfolge. Seine Kompositionen enthalten in ihrer stärkeren Neigung zu elegischer Innigkeit einen von Johann S. unterscheidbaren Ton. Walzer wie Dorfschwalben aus Österreich, Delirien oder Sphärenklänge stehen den besten Werken seines Bruders nicht nach. 4) Eduard, Bruder von 2) und 3), * 15.3. 1835 Wien, t 28. 12. 1916 ebd. Ähnlich wie sein Bruder Josef wurde er von seiner Familie dazu gedrängt, Musiker zu werden. Seit 1859 trat er als Dirigent auf und leitete die berühmte S.-Kapelle mit seinen Brüdern alternierend, nach Josefs Tod allein mit weltweitem Erfolg; 1901 mußte er sie nach 78jährigem Bestehen auflösen. Eine Autobiographie erschien unter dem Titel Erinnerungen (L - W 1906). Ausg.: Zu 1): GA, Klv.-A., 7 Bde., hrsg. v. J. S. (Sohn) (L 1889, Nachdr. NY o.J.); 8 Walzer, hrsg. v. H. GÁi, (W 1928) (- DTÜ 68). - Zu 2): GA, hrsg. v. J. RACEK, 50 Bde. geplant (W 1967 ff.); 3 Walzer, hrsg. v. H. GÁL (W 1925) (- DTÜ 63). - Zu 3): Ausw., 6 Bde., hrsg. v. C. PFLEGER (L 1906, Nachdr. NY o.J.); 3 Walzer, hrsg. v. H. BOTSTIBER (W 1931) (- DTÛ 74). Lit.: Vers. der sämtlichen im Druck erschienenen Kompositionen v. J. S. (Vater), J. S. (Sohn), Josef S. u. E. S., hrsg. v. CH. FLAMME (L 1898, Nachdr. Wie 1972); H. JÄGER-SUSTENAU, J. S. Der Walzerkönig u. seine Dynastie. Familiengesch., Urkunden (W 1965); K. PAHLEN, J. S. Die Walzerdynastie (Mn 1975); M. HvRLIMANN, Die Walzer-Dynastie S. in Zeugnissen ihrer selbst u. ihrer Zeitgenossen (Z 1976). - Zu 1): M. SCHÖNHERR - K. REINÖHL, J. S. Vater. Ein Werkverz. (Lo 1954); A. WEINMANN, Vers. sämtlicher Werke v. J. S. Vater u. Sohn (W 1956) (- Beitr. z. Gesch. des Alt-Wiener Musikverlages 1/2). - H. E. JACOB, J. S. u. das 19. Jh. (A 1937); dass., als: J. S. Vater u. Sohn. Die Gesch. einer musikal. Weltherrschaft (Reinbek 1953, NA Bremen 1960). - Zu 2): J. S. schreibt Briefe, hrsg. v. A. STRAUSS (W 1926); J. S. Bre-
Strauss vier. Aus Briefen u. Erinnerungen, hrsg. v. W. REICH (Z 1950). — J. S., Wirken, Ausstrahlung, Ausstellungskat. Wien, Musikslg. der Östr. Nationalbibi., Inst. für Östr. Musikdokumentation (1975). — R. SPECHT, J. S. (B 1909); E. DECSEY, J. S. (St 1922, W 2 1948); E. SCHENK, J. S. (Pd 1940); H. WEIGEL, J. S. oder die Stunde der Operette, in: Flucht vor der Größe (W 1960, Nachdr. 1970); K. PAHLEN, Der Walzerkönig J. S. (Z 1961); M. PRAwY, J. S., Weltgesch. im Walzertakt (W 1975). — Zu 3): A. WEINMANN, Verz. sämtlicher Werke v. Josef u. E. S. (W 1967) (= Beitr. z. Gesch. des Alt-Wiener Musikverlages I/3); F. MAILER, J. S., Genie wider Willen (Mn 1977). G. GRUBER
STRAUSS, Richard Georg, * 11.6. 1864 München, t 8.9. 1949 Garmisch-Partenkirchen; dt. Komponist. Der Vater, Franz S., war als 1. Hornist ein prominentes Mitglied des Münchener Hoforchesters und seit 1871 Professor an der Königlichen Musikschule. Er bewunderte die klassische Musik und war ein entschiedener Gegner R. Wagners. Seine Frau Josephine, geborene Pschorr, stammte aus einer wohlhabenden Familie. S.' musikalische Ausbildung begann früh, seit 1868 lernte er Klavier, seit 1872 Violine, 1875-80 hatte er Kompositionsunterricht bei Friedrich Wilhelm Meyer. Ein Konservatorium hat S. nie besucht. Seit 1881 wurden verschiedene seiner Kompositionen, darunter eine Symphonie d-moll, in München öffentlich aufgeführt. Nach dem Abitur am Ludwigsgymnasium (1882) besuchte S. einen Winter lang philosophische und kulturgeschichtliche Vorlesungen an der Universität München. Wichtiger jedoch waren für ihn die Mitwirkung als Violinist in dem von seinem Vater geleiteten Münchner Orchester-Verein „Wilde Gung'1", einem noch heute existierenden privaten Liebhaberorchester, und die Freundschaft mit dem 3 Jahre älteren Komponisten L. Thuille. Den Winter 1883/84 verbrachte S. in Berlin, wo er H. von Bülow kennenlernte, der sich nachdrücklich für den jungen Komponisten einsetzte. Bülow vermittelte S. eine Stelle als 2. Kapellmeister der Hofkapelle in Meiningen (1885/86). Hier lernte S. die Praxis des Orchesterdirigierens kennen, zumal er schon bald, nach Bülows Rücktritt von der Leitung der Hofkapelle, das Orchester selbständig leiten mußte. In Meiningen lernte S. A. Ritter kennen, der ihn, „den bisher streng classisch Erzogenen ... endgültig zum Zukunftsmusiker gestempelt hat, indem er ihm die kunstgeschichtliche Bedeutung der Werke und Schriften Wagners und Liszts erschloß". Als 3. Kapellmeister in München (1886-89) lernte S. die Sopranistin Pauline de Ahna (t 13.5. 1950) kennen, die er 1894 heiratete. Wieder durch Vermittlung Billows kam S. 1889 als 2. Kapellmeister an das Hoftheater in Weimar. Im selben Jahr lernte er Cosima Wagner kennen und wirkte erstmals als musikalischer Assistent bei den Bayreuther Festspielen.
In Weimar leitete S. 1894 die Uraufführung seiner ersten Oper Guntram, kurz danach kehrte er als 2. Kapellmeister (neben H. Levi, dessen Nachfolger er 1896 wurde) ans Münchener Hoftheater zurück. Den Schwerpunkt seiner in München nicht unumstrittenen Arbeit bildeten Aufführungen der Opern R. Wagners und W. A. Mozarts. 1898 folgte er einem Ruf nach Berlin als 1. Hofkapellmeister in der Nachfolge F. von Weingartners. S.' Tätigkeit konzentrierte sich zunächst auf die Oper, erweiterte sich aber zusehends um Konzerte mit dem Berliner Tonkünstlerorchester, mit den Berliner Philharmonikern und der Berliner Hofkapelle. Das ihm 1908 verliehene Amt eines GMD der Berliner Hofoper legte S. schon 2 Jahre später wegen seiner vielfältigen anderen Verpflichtungen nieder, blieb aber der Oper durch einen Gastvertrag verbunden, der erst 1918 beendet wurde. In den 20 Jahren seiner Berliner Tätigkeit hatte S. zahlreiche Gastspielreisen unternommen - u. a. 1904 in die USA - und sich intensiv um die berufsständischen Interessen der Musiker gekümmert. Seine Bemühungen urn eine Neuordnung des Urheberrechts auf dem Gebiet der Musik bewirkten die Gründung der GEMA (1915). Waren bis 1898 die meisten seiner symphonischen Dichtungen entstanden, so verlagerte sich in den Berliner Jahren der Schwerpunkt seines Schaffens ganz auf die Oper. 1901 war seine zweite Oper Feuersnot in Dresden unter der Leitung E. von Schuchs uraufgeführt worden. Die Dresdner Hofoper hat in den folgenden Jahren nahezu alle Opern von S. herausgebracht, auch noch nach dem Tode von Schuchs (1914). Seit 1906 arbeitete S. eng mit dem Dichter H. von Hofmannsthal zusammen. Insgesamt 10 Bühnenwerke sind das Ergebnis dieser Zusammenarbeit, die bis zum Tode des Dichters (1929) andauerte und im umfangreichen Briefwechsel zwischen dem Dichter und dem Komponisten in einzigartiger Weise dokumentiert ist. 1919 wurde S. Leiter der Wiener Staatsoper und dirigierte 1922 zum ersten Mal bei den Salzburger Festspielen, zu deren Initiatoren er gehörte. Wie in Berlin kam es auch in Wien zu Konflikten wegen S.' zahlreicher auswärtiger Verpflichtungen. 1924 legte er die Leitung der Wiener Staatsoper nieder und widmete sich seitdem nur mehr der Komposition und seinen Engagements als Gastdirigent. 1933 berief ihn die nationalsozialistische Führung zum Präsidenten der neugeschaffenen Reichsmusikkammer. S., zeitlebens politisch uninteressiert, aber engagiert für die berufsständischen Belange der Musiker, nahm das Amt an, „um Gutes zu tun und größeres Unheil zu verhüten", was ihm später sehr verübelt wurde. Doch schon 1935 mußte er das Amt nieder23
Strauss legen wegen der Zusammenarbeit mit dem jiidischen Schriftsteller St. Zweig, der S. das Libretto für Die schweigsame Frau geschrieben hatte. Neuer Librettist für S. wurde J. Gregor, mit dem er 4 Opern ausarbeitete. Die letzte dieser Opern, Die Liebe der Danae, erlebte wegen der kriegsbedingten Schließung der Theater (1944) vor Kriegsende nur noch eine Generalprobe in Salzburg. Von den Nationalsozialisten wegen seines internationalen Prestiges notgedrungen geduldet, durfte S. dennoch nicht mehr in die Schweiz ausreisen. Nach dem Krieg zog er sich bis 1949 in die Schweiz zurück. An den Ehrungen zu seinem 85. Geburtstag in München konnte er kurz vor seinem Tod noch teilnehmen. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; Musik für Bläserensemble. - Für Orch.: Festmarsch Es-Dur, op. 1 (1876); Symphonie f-moll, op. 12 (1884); symphonische Fantasie Aus Italien, op. 16 (1886); Tondichtung nach N. von Lenau Don Juan, op. 20 (1888); Tondichtung nach W. Shakespeare Macbeth, op. 23 (1886, Neufassung 1890); Tondichtung Tod und Verklärung op. 24 (1889); Till Eulenspiegels lustige Streiche. Nach alter Schelmenweise, in Rondeauform für großes Orchester gesetzt, op. 28 (1895); Tondichtung nach F. Nietzsche Also sprach Zarathustra, op. 30 (1896); Don Quixote Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters; op. 35 (1897); Tondichtung Ein Heldenleben, on. 40 (1898); Sinfonia domestics, op. 53 (1903); Eine Alpensymphonie, op. 64 (1915); Metamorphosen. Studie für 23 Solostreicher (1945). - Konzert Es-Dur fü: Waldhorn mit Orch. oder Klv-Begleitung, op. 11 (1883); Parergon zur Sinfonia domestics für Klv. (linke Hand) u. Orch., op. 73 (1925); 2. Konzert für Horn u. Orch. (1942); Konzert für Ob. u. kleines Orch. (1945); Duett-Concertino für Klar. u. Fag. mit Streichorch. u. Harfe (1947). - 2) Vokal-WW (Textdichter in Klammern): Etwa 150 Klv-Lieder in 30 Zyklen, von denen S. selbst viele orchestriert hat, darunter: 8 Lieder, op. 10 (1883) (H. von Gilm); 4 Lieder, op. 27 (1894) (K. Henckell, H. Hart, J. H. Mackay), darin Morgen; 3 Lieder, op. 29 (1895) (0. J. Bierbaum), darin Traum durch die Dämmerung; 5 Gedichte, op. 46 (1900) (F. Rücken); 5 Lieder, op. 48 (1900) (Bierbaum, Henckell), darin Freundliche Vision; 6 Lieder, op. 56 (1905) (J. W. von Goethe, Henckel',, C. F. Meyer, H. Heine), darin Blindenklage u. Frühlingsfeier; 12 Gesänge Krämerspiegel, op. 66 (1918) (A. Kerr): 6 Lieder, op. 68 (1918) (C. Brentano); Vier letzte Lieder (1948) für Sopr. u. Orch. (H. Hesse, J. von Eichendorff). - Chor-WW: Wandrers Sturmlied für 6st. Chor u. Orch., cp. 14 (1884) (Goethe); 2 Gesänge für I6st. Chor a cap., op. 34 (1897) (F. von Schiller, Rücken); Eine deutsche Motette(Rückert) für 16st. Chor u. 4 Soli, op. 62 (1913); Liederzyklus Die Tageszeiten (Eichendorff) für Männerchor u. Orch., op. 76 (1928). - 3) Bühnen-WW: Opern: Guntram, op. 25, UA: Weimar 1894, Neubearb. ebd. 1940; Feuersnot, op. 50 (Libr.: E. von Wolzogen), UA: Dresden 1901; Salome, op. 54 (nach O. Wilde), UA: Dresden 1905; Elektra, op. 58 (Libr.: H. von Hofmannsthal), UA: ebd. 190); Der Rosenkavalier, op. 59 (Libr.: ders.), UA: ebd. 1911; Ariadne auf Naxos; op. 60 (Libr.: ders.), UA: Stuttgart 1912, neue Bearb. UA: Wien 1916, 3. Fassung als: Der Bürger als Edelmann, UA: Berlin 1918; Die Frau onneSchatten, op. 65 (Libr.: dera.), UA: Wier. 1919; Intermezzo, op. 72 (Libr.: R. S.), UA: Dresden 1924; Die ägyptische Helena, op. 75 (Libr.: Hofmannsthal), UA: ebd. 1928, Neubearb. (Libr.: L. Wallerstein), UA: Salzburg 1933; Arabella, op. 79 (Libr.: Hofmannsthal), UA: Dresden 1933; Die schweigsame Frau, op. 80 (Libr.: S. Zweig nach B. Jonson), UA: ebd. 1935; Friedenstag op. 81 (Libr.: J. Gregor), UA: München 1938; Daphne, op. 82 (Libr.:
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ders.), UA: Dresden 1938; Die Liebe der Danae, op. 83 (Libr.: dera. nach Hofmannsthal), UA: Salzburg i952; Capriccio. op. 85 (Lihr.: C. Krauss u. R. S.), UA: München 1942. - Ballette: Josephs-Legende, op. 63, UA: Paris 1914; Schlagobers, op. 70, UA: Wien 1924. -4) Bearbeitungen: Ch. W. Gluck, Iphigenie auf Tauris, UA: Weimar 1900; L. van Beethoven, Die Ruinen von Athen, ein Festspiel mit Tänzen u. Chören. Musik unter teilweiser Benutzung des Balletts Die Geschöpfe des Prometheus v. L. van Beethoven, UA: Wien 1924. - S. gab auch heraus in erweiterter Form die Insrrumentationslehre von H. Berlioz 2 Bde. (L 1905, NA :955).
Das Leben von S. war gekennzeichnet durch ungewöhnlich zahlreiche Ehrungen und großen wirtschaftlichen Erfolg. Die rastlose Tätigkeit als international berühmter Dirigent kam der Verbreitung seines Werkes zugute, zwang ihn aber auch zu einer planvollen Arbeitseinteilung, damit die Komposition nicht zu kurz kam. Das Gesamtwerk von S. gliedert sich in zwei zeitlich aufeinanderfolgende Hauptgruppen : die symphonischen Dichtungen von der frühen symphonischen Fantasie Aus Italien (1886) bis zu Ein Heldenleben (1898) nur die Sinfonia domestica und Eine Alpensymphonic entstanden später - und die dramatischen Werke von Guntram (1894) his Capriccio (1941). In der Jugend sowie im Spätwerk spielen daneben noch Werke für kleinere instrumentale Besetzungen eine Rolle. Sein Leben lang hat S. außerdem die Gattung Lied gepflegt. Kirchenmusik jedoch hat er, der dem Christentum distanziert gegenüberstand, nicht geschrieben. In seiner Jugend an klassischen Vorbildern geschult, zu denen neben W. A. Mozart L. Spohr, F. Mendelssohn Bartholde und R. Schumann gehörten, öffnete sich S. unter dem Einfluß Alexander Ritters der Lisztschen Vorstellung von der poetischen Idee, die dem einzelnen Werk die ihr entsprechende - immer neue - Form schaffen müsse. Die Musik der symphonischen Dichtungen soll der Ausdruck eines „wahrhaft poetischen Inhalts" sein, der sich nur in Tönen darstellen läßt. Für seine symphonischen Dichtungen entwarf sich S. ein poetisches Programm als fornibildendes Gerüst, für den Hörer empfahl er das Programm als einen - freilich auch entbehrlichen - Anhaltspunkt. Mit Don Juan (in Anlehnung an Nikolaus Lenau, 1888) begann eine Reihe von Meisterwerken, von denen jedes einzelne neue Aspekte von S.' vielschichtiger Persönlichkeit und von seinem überlegenen handwerklichen Können beleuchtet. Till Eulenspiegel und Don Quixote zeigen S.' ausgeprägten Sinn für humoristische Wirkungen: Ihnen dienen die - oft provozierend gemeinten - tonmalerischen Effekte und die parodistische Verwendung überlieferter Formen (Variation, Rondo). Autobiographische Züge tragen die in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander bezogenen Werke Ein Heldenleben und Sinfonia domestica.
Str'awiasky Als kühne Neuerung empfanden die Zeitgenossen die differenzierte Anwendung eines immer weiter ausgebauten Orchesterapparates, vor allem die Selbständigkeit der Bläserstimmen, sowie die zwar im tonalen Rahmen bleibende, aber durch frei behandelte Dissonanzen, Rückungen, auch bitonale Stellen erweiterte Harmonik - Kühnheiten, die der psychologischen Zeichnung der Figuren dienen. In den beiden vertonten Dramen Salome und Elektra werden sie in den Dienst „schärfster Personencharakteristik" und der Schilderung extremer Seelenzustände gestellt. Salome und Elektra begründeten S.' Ruhm als Opernkomponist und sind ein Höhepunkt nicht nur in S.' Schaffen, sondern auch in der Geschichte der modernen Oper überhaupt. In den folgenden Jahren der intensiven Zusammenarbeit mit Hofmannsthal versuchte S. das Ideal einer modernen heiteren Oper in der Nachfolge von Mozarts Buffoopern und Singspielen zu verwirklichen. Nach dem Rosenkavalier, in dem die feine Charakterisierung der Personen durch ihre Sprache ihr Pendant findet in der musikalischen Zeichnung der Figuren (Thematik, Wahl der Tonarten), sind Hofmannsthal und S. diesem Ideal in der Ariadne wohl am nächsten gekommen. Neben den heiteren Sujets, die auch nach Hofmannsthals Tod das Opernschaffen von S. bestimmten (z. B. Die schweigsame Frau), nimmt die in Symbolen sprechende Märchenoper Die Frau ohne Schatten eine Sonderstellung ein. Zusehends reduzierte S. in seinen späteren Opern den Orchesterapparat und vereinfachte die Harmonik - mehr Transparenz sollte die Sänger verständlich bleiben lassen über dem polyphonen Orchester. Die S. lebenslang beschäftigende Frage nach dem Verhältnis von Text und Musik in der Oper wurde das Thema seines letzten dramatischen Werkes, des Capriccio. Die meisten seiner Lieder schrieb S. in den Jahren, in denen seine Frau öffentlich in Liederabenden auftrat (1885-1906). Er bevorzugte zeitgenössische Gedichte, war nicht besonders kritisch in der Textwahl, bemühte sich aber unter dem Einfluß Ritters um eine sorgfältige Deklamation. Viele seiner Lieder hat er selbst orchestriert und damit die damals beliebte Gattung des Orchesterliedes bereichert. Einen Höhepunkt dieser Gattung bilden seine Vier letzten Lieder auf ernste Texte von J. von Eichendorff und H. Hesse, seine letzte Komposition. S. galt in seinen jüngeren Jahren als kühner Revolutionär, der nicht nur mit der Salome heftigen Widerspruch erregte. In späteren Jahren als Traditionalist angesehen, nach dem 2. Weltkrieg sogar als reaktionär verschrien, verdient S. eine neue Wertung seiner Bedeutung für die Musikgeschichte.
Lit.: 1) Werk-Vert., Bibliographien, Dokumente: E. H. MUELLER VON Asow, R. S. Thematisches Ven., vervollständigt u. hrsg. v. A. Ott - F. Trenner, 3 Bde. (W - Mn 1959-74) ( - AV); R.S.-Bibliogr., l: 1882-1944, bearb. v. O.Ortner, hrsg. v. F. GRASBERGER (W 1964), II: 1944-64, hrsg. V. G. BROSCHE (W 1973); R. S., Dokumente .,eines Lebens u. Schaffens. Ausw. u. verbindender Text V. F. TRENNER (Mn 1954); DERS., Die Skizzenbücher v. R. S. aus dem R.S.-Arch. in Garmisch (Tutzing 1977); R. S. Dokumente, Aufsätze, Aufzeichnungen, Vorworte, Reden, Briefe, hrsg. v. E. KRAUSE (L 1980). - 2) Briefwechsel: R. S. - H. vor. Hofmannsthal. Briefwechsel, lsrsg. v. F. STRAUSS - A. STRAUSS (W 1926), NA v. W. Schuh (Z 1952), jeweils ergänzt (Z '1955, '1964, 41970); R. S. et R. Rolland, Corresoondance, Fragments de journal, hrsg. v. G. SANIAZEUILH (P 1951, NA 1959); H. von Billow, R. S. Briefwechsel, hrsg. V. W. SCHUH - F. TRENNER (Bonn 1953) (- R. S.-Jb. 1954); R. S. Briefe an die Eltern 1882-1906, hrsg. v. W. SCHUH (Z 1954); R. S. u. J. Gregor. Briefwechsel 1934-1949, hrsg. v. R. TENSCHERT (Salzburg 1955); R. S. u. S. Zweig, Briefwechsel, hrsg v. W. SCHUH (F 1957); R. S. u. C. Krauss, Briefwechsel, hrsg. v. DEMS. - G. K. KENDE (Mn 21964); Die Welt v. R. S. in Briefen (Der Strom der Töne trug mich fort), hrsg. v. F. GRASBERGER (Tutzing 1967); G. Mahler, R. S. Briefwechsel, hrsg. v. H. BLAUKOPF (Mn - Z 1980). - 3) Biographien u. umfassende Darstellungen: M. STEINITZER, R. S. (B 1911, "1927); E. KRAUSE, R. S. Gestalt u. Werk (L 1955,'1970); N. DEL MAR, R. S. A Critical Commentary on His Life and Works, 3 Bde. (Lo 1962-72, '1978); W. DEPPISCH, R. S. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1968); M. KENNEDY, R. S. (Lo 1976); W. SCHUH, R. S. Jugend u. frühe Meisterjahre. Lebenschronik 1864-1898 (Z 1976). -4) Zu einzelnen Aspekten, Werken u. Werkgruppen: R. GERLACH, Don Juan u. Rosenkavalier. Stud. zu Idee u. Gestalt einer tonalen Evolution im Werk R. S.' (Be 1966) (- Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Ges. 11/13); W. MANN, R. S. Das Opernwerk (Mn 1967); W. GRUHN, Die Instrumentation in den Orchesterwerken v. R. S. (Diss. Mz 1968); K. D. GRAwE, Sprache, Musik u. Szene in „Ariadne auf Naxos" v. H. von Hofmannsthal u. R. S. (Diss. Mn 1969); A. JEFFERSON, The Lieder of R. S. (Lo 1971, NY 2 1972); A. A. ABERT, R. S., Die Opern. Einführung u. Analyse (Velber 1972); D. G. DAVIAU - G. J. BUELOW, The Ariadne auf Naxos of H. von Hofmannsthal and R. S. (Chapel Hill/N. C. 1975) (Studies in Germanic Languages and Literature 80); CH. E. ERWIN, R. S.'s „Ariadne auf Naxos". An Analysis of Musical Style Based on a Study of Revisions (1976) (- Diss. Yale Univ.); B. A. PETERSEN, „Ton u. Wort". The Lieder of R. S. (Ann Arbor 1979); K. ALBRECHT, Unters. z Schaffensprozeß von R. S. (Diss. Bochum 1979); W. WINTERHAGER, Unters. z sog. „Conversationsstil" in der Oper unter besonderer Berücksichtigung des Bühnenschaffens von R. S. (Diss. ebd. 1980); Große dt. Dirigenten (B 1981); W. SCHUH, Straussiana aus vier Jahrzehnten (Tutzing 1981) ( Veröff. der R.S.-Ges. 5); CH. E ERWIN, R. S.'s Presketch Planning for „Ariadne of Naxos", in: MQ 57 (1981). M. MARX-WEBER
STRAWINSKY, Igor Fjodorowitsch, * 5. (17.) 6. 1882 Oranienbaum, t 6.4. 1971 New York; russ. Komponist, seit 1936 frz., später (1945) amerik. Staatsbürger. Sein Vater Fjodor Ignatiewitsch (1843-1902), gleich hervorragend als Sänger (Baß) wie als Charakterdarsteller, war ein berühmtes Mitglied des Marientheaters in St. Petersburg. S. studierte zunächst Jura, wandte sich dann aber doch unter der Anleitung von N. Rimski-Korsakow dem Kompositionsstudium zu, das er 1905-08 mit Sorgfalt und Fleiß absolvierte. Seine frühen Werke (u. a. Symphonie op. 1) zeigen keine Eigen25
Strawinsky art, erst die ersten Orchesterwerke modernen Zuschnitts, das Scherzo fantastique und die Fantasie Feu d'artifice, zeigen den brillanten Instrumentator, der über das Vorbild seines Lehrers und seiner russischen Zeitgenossen hinauszugehen willens war. S. Diaghilew, damals Leiter einer russischen Ballett-Compagnie, hörte S.s Feu d'artifice und gab dem jungen Mann einen Auftrag. Mit dem 1910 in Paris zuerst aufgeführten Ballett Der Feuervogel hatte S. sogleich größten Erfolg, den er später mit Petruschka noch überbot. Feuervogel ist noch ein Märchenballett russ. Tradition, voll rhythmischen Lebens und Farbenglanzes, Petruschka bringt Neues: das Mechanische (das Maschinelle mit seiner essentiellen Präzision) und das Volkstümliche (der Jahrmarkt während der Butterwoche). Sehr im Gegensatz dazu stehen die offen symbolistischen Werke S.s: die Verlaineund Balmont-Vertonungen (vor allem das Männerchorwerk Swesdoliki), die nur wenig bekannt geworden sind. Dazu gehört auch das Ballett Le sacre du printemps, das in Paris am 29.5. 1913 einen beispiellosen Skandal verursachte. Der Inhalt: Menschenopfer zur Weihe des Frühlings, ist symbolisch zu verstehen, der Inhalt der Skythenmode der Zeit verpflichtet - er ist das Werk von S. und dem Maler Nikolas Roerich - mußte in Paris als barbarisch empfunden werden, ebenso die Musik mit ihrer (in einigen Teilen) vorbildlosen rhythmischen Technik und der harten Vorherrschaft der Dissonanz. Bevor S. 1914 eine 1908 begonnene Oper, Le rossignol (eine russ. Märchenoper), beendet hatte, freilich mit gänzlich veränderten tonsprachlichen Mitteln, lernte er bereits im Dezember 1912 A. Schönbergs Pierrot lunaire kennen, wonach er die 3 japanischen Lieder, die tatsächlich eine Grenze markieren, komponierte. Jetzt entstanden nur mehr instrumentale und vokale Miniaturen: 3 Quartettstücke, Lieder mit Klv. oder. Instrumenten. Das große Werk, das als vokales Gegenstück zu Le sacre du printemps geplant gewesen sein mag, Les noces (1912 begonnen), konnte nicht beendet werden und blieb einige Jahre liegen. In den kleinen Stücken klingt Volkstümliches und Populäres an, wird die Erinnerung an die Kindheit beschworen; musikalisch werden die elementaren Konstellationen von Motiven, Figuren, Gesten ohne ihren traditionellen Zusammenhang erforscht. Auch Neues kommt dazu, der Ragtime und vor allem eine neue, bescheidenere Auffassung von der Aufgabe der Kunst. In der Schweiz, wo er seit Kriegsbeginn lebte, seit der russischen Revolution seiner Einkünfte verlustig gegangen, versuchte S. mit Künstlerfreunden eine Wanderbühne zu aktivieren. Die Geschichte vom 26
Soldaten (1918), das erzählte, gespielte und getanzte Märchen vom Soldaten, der seine Seele dem Teufel verpfändet, eine Prinzessin gewinnt, schließlich aber doch zur Hölle fahren muß, ist eine Folge instrumentaler Miniaturen, deren Elementares selbst in den virtuosen Stücken sichtbar wird. Niedere volkstümliche Gebrauchsmusik (Märsche, Tänze, Choräle) bilden das Fundament, die entwickelte rhythmische Technik dient der Darstellung. Das Märchen, das nun kein speziell russisches mehr ist, erscheint in eigenartiger Verfremdung. Mit der Tradition der Ausdrucksmusik und finit den unmittelbare Wirkung hervorbringenden Kunstmitteln hat S. gebrochen. Die Vollendung von Les noces, deren alte Instrumentation er verwirft, sieht ein aus 4 Klv. und Schlagzeug bestehendes „Orchester" vor (neu instrumentiert 1921-23). - Der Auftrag Diaghilews, ein Ballett nach Musik G. B. Pergolesis zu arrangieren, führt S. mit Pulcinella zu etwas Neuem, der systematischen Verfremdung musikalischer Vorlagen: Die alten Musikstücke - sie stammen, wie wir heute wissen, zumeist nicht von Pergolesi - werden nicht einfach modernisiert, S. legt vielmehr durch verschiedene Methoden ihre Konstruktionsprinzipien bloß. Er hat diese „Bearbeitung" dann noch mehrfach weiter bearbeitet, z. B. zweimal auf verschiedene Weise für V. und Klv. ( 1925, 1931), und so ein Kompendium seiner Verfahrensweisen geliefert, die dann, in der neoklassizistischen Ära, auch auf eigene musikalische Gedanken angewandt wurden. Der Übergang zu diesem Neoklassizismus, der nach S.s Übersiedlung nach Frankreich (1920) erfolgte, vollzog sich im Octuor für Blasinstr. (1923), im Konzert für Klv. mit Bläserbegleitung (1924) und in der Sonate für Klv. (1924). In diesen Werken verbindet sich die Vorliebe für Bläser (um Espressivo zu vermeiden) mit dem Klavier (mit seiner unpersönlichen Mechanik) und dem Außenhalt, den die Übernahme älterer Satztypen und Charaktere, vor allem der Bach-Zeit, gewährt. In dieser Schaffensphase, die ein Vierteljahrhundert währte - bis zur Oper The Rake's Progress (1948-51) -, hat S. seine Verfahren entwickelt und z. T. reduziert, auch sehr verschiedenartige Vorbilder (C. M. von Weber, P. Tschaikowsky, G. Rossini, J.-B. Lully usf.) gewählt. Hauptwerke wurden das Opernoratorium Oedipus Rex (1927), die Psalmensymphonie (1931), das Violinkonzert (1931), das Konzert für 2 Klv. allein (1935) und 2 Symphonien (in C, 1939; in Three Movements, 1945). In Paris geriet S. zeitweilig unter den Einfluß des Dichters J. Cocteau, stand auch Pablo Picasso, den er schon 1915 in Rom kennengelernt hatte, nahe und war insgesamt im Pariser Kunstle-
Strawinsky ben integriert. Das Jahr 1939 brachte eine Zäsur: Tod der Mutter, schwere Krankheit und Übersiedlung in die USA, wo er durch den Ausbruch des 2. Weltkriegs überrascht wurde. (Er hielt dort seine Harvard-Vorlesungen Poétique musicale.) Von großer Bedeutung wurde für S., nach einer stattlichen Reihe von Nebenwerken, die Komposition der lateinischen Messe (mit Blasinstr., 1947), die an mittelalterliche Vorbilder (etwa G. de Machaut) und eigene ältere Werke, insbesondere Die Geschichte vom Soldaten, anknüpft. Die Hinwendung zu den Kirchentonarten war eine Vorstufe zur Auseinandersetzung mit der Musik Schönbergs und A. Weberns. Nach der triumphalen UA von The Rake's Progress in Venedig (1951) wurden S.s Kontakte zu Europa wieder enger, vor allem zu Venedig, für dessen Markusdom er seine geistlichen Hauptwerke Canticum sacrum (1955) und Threni (1958) schuf. Seit 1952, dem Entstehungsjahr des Septetts, hat S. sich der Reihentechnik genähert, schließlich eine eigene Version derselben entwickelt. Sie ist zwar im Vergleich zur Methode Schönbergs sehr einfach, entspricht aber der ganz anderen Klangvorstellung des russischen Meisters. Eine Ballettmusik wie die zu Agon, die zwölftönige und modale Partien verknüpft, zeigt jedenfalls eine beachtliche Vielfalt an Satzcharakteren. Durch die modifizierende Übernahme der Methoden der Wiener Schule hat S. jedenfalls ein eigenartiges und auf seine Weise bedeutendes Spätwerk geschaffen und mit ihm seine proteusartige Wandlungsfähigkeit, die bei einem Meister seines Ranges wohl beispiellos ist, erwiesen. Seit den frühen 20er Jahren ist S. vielfach auch als Pianist, später auch mit seinem Sohn Soulima an zwei Klavieren und als Begleiter des Violinisten S. Dushkin, für den er zahlreiche Werke geschrieben hat, aufgetreten, später vielfach als Dirigent eigener Werke. S. hat sein Interpretationsideal unpersönlicher Präzision vielfach verwirklicht. Als Schriftsteller hat er in seiner Chronique de ma vie seine Überzeugungen, die ihn während seiner Pariser Zeit beherrschten, dargelegt, diese dann vielfach, in Zusammenarbeit mit Roland-Manuel, in seinen Harvard-Vorlesungen vertieft. Als Denker stand er auch unter dem Einfluß von Pierre Souvtchinsky. In seiner Spätzeit half ihm R. Craft, der ihn vielfach anregte, indem er ihn u. a. mit den neuen Entwicklungen der Musik seit 1950 vertraut machte, seine Werke dirigierte und kommentierte. WW: 1) lnstr.-WW: a) Für Solo-lnstr.: Trois pieces (1919) für Klar. ; Élégie (1944) für Va. - b) Für Klv.: Sonate fis-moll (1904); Quatre études (1908); Trois mouvements de Pčtrouchka (1921); Piano-Rag-Music (1919); 8 leichte Fünftonstücke Les cinq doigts (1921); Sonate (1924); Sérénade en la (1925); Tango (1940). - Für Klv. zu 4 Händen: Trois pieces faciles (1915); Cinq pieces faciles
(1917). - Für 2 Klv.: Concerto (1935); Sonate (1944). - c) Kammermusik: Suite d'apr+,.s ... Pergolesi (1925) für V. u. Klv.; Duo concertant (1932) für V. u. Klv.; Suite italienne (1932) (nach Pulcinella) für Vc. u. Klv.; Epitaphium (1959) für FL, Klar. u. Harfe. - Für Streichquartett: Trois piéces (1914); Concertino (1920); Double gnon (1959); Septet(1953) für Klv., Horn, Fag., Klar., V., Va., Vc.; Octuor (1923, revidiert 1952) für Bläser. - d) Für Orch.: Symphonie Es-Dur, op. 1 (1905-07); Scherzo fantastique, op. 3 (1908); Feu d'artifice, op. 4 (1908); symphonische Dichtung Le chant du rossignol (1917) nach der Oper Le rossignol später auch als Ballett; Ragtime (1918) für 11 Instr.; Symphonies d'instruments à vent (1920) (zum Gedächtnis C. Debussys); 2 Suiten (1917-25) (nach den Klv.-Stücken zu 4 Minden); Quatres Études pour orchestre (1929), Nrn. 1-3 nach den Trois pièces für Streichquartett. Nr. 4 nach der Étude pour pianola; „Concerto in Es" Dumbarton Oaks (1938) für Kammerorch.; Symphonie in C (1940); Danses concertantes (1941- 42) für Kammerorch.; Zirkuspolka „für einen jungen Elefanten" (1942); Four Norwegian Moods (1942); Scènes de ballet (1944); Scherzo á la Russe (1944); Symphony in Three Movements (1945); Ebony Concerto (1945); Concerto D-Dur „Basler Konzert" (1946) für Streichorch.; Greeting Prelude (1955) (P. Monteux zum 80. Geburtstag); Variations „Aldous Huxley in memoriam"(1963-64). - e) Für Solo-lnstr. u. Orch.: Concerto für Klv. u. Bläser (1924, revidiert 1950); Capriccio für Klv. u. Orch. (1929, revidiert 1949); Concerto D-Dur (1931) für V. u. Orch.; Movements (1958-59) für Klv. u. Orch. 2) Volul-WW: a) Für SingSt u. Klv.: Deux mélodies, op. 6 (1907); Pastorale (1908) (ohne Worte); Deux poémes de P Verlaine, op. 9 (1910); Deux poémes de K. Balmont (1911, revidiert 1947); Trois petites chansons ,.Souvenirs de mon enfance" (1913); Trois počsies de la lyrique japonaise (1913); Trois histoires pour enfants (1915-17); Quatre chants russes (1918); The Owl and the PussyCat (1966). - b) Für SingSt mit Instr. oder Orch.: Le faune et la bergére op. 2 (1906) (nach A. Puschkin) für Mezzosopran u. Orch.; Pribaoutki (Scherzlieder) (1914) für mittlere St. u. 8 Instr.; Berceuses du chat (1916) für mittlere St. u. 3 Klar.; Three Songs from W. Shakespeare (1953) für hohe St., FL, Klar. u. Va; In Memoriam Dylan Thomas (1954) für hohe St. mit Streichquartett u. 4 Pos.; Four Songs for Voici Flute, Harpe, and Guitar (1954) ( .. Bearb. der Quatre chants russes); Anthem The Dove Descending Breaks the Air (1962); geistl. Ballade Abraham and Isaac (1964) für Bar. u. Kammerorch.; Elegy for J. F K. (1964) für mittlere St. u. 3 Klar. - e) Für Chor a cap.: Quatre chants paysans (1914-17), dass., für 4 Hörner bearb. (1954); Pater nosier (1926); Credo (1932); Ave Maria (1934). - d) Für Chor mit Instr. oder Orch.: Kantate Le roi des étoiles (Swesdoliki) (1911) (nach K. Balmont) für Männerchor u. Orch.; Symphonie de psaumes (Psalmensymphonie) (1930, revidiert 1948) für Chor u. Orch.; Kantate Babel (1944) für Sprecher, Männerchor u. Orch.; Messe fin Chor u. Bläser (1948); Cantata (1952) für Sopran, Tenor, Frauenchor u. Instr.; Canticum sacrum. Ad honorem Sancti Marci nominis (1955) für Tenor, Bar., Chor u. Orch.; Threni. Id est Lamentationes Jeremiae Prophetae (1958) für Soli, Chor u. Orch.; Kantate A Sermon, a Narrative and a Prayer(1961) für Alt, Tenor, Sprecher, Chor u. Orch.; Introitus „T S Eliot in memoriam" (1965) für Chor u. Kammerorch.; Requiem Canticles (1966) für Chor u. Orch. - 3) Bühnen-WW: Opern: Mavra (Libr.: B. Kochno nach A. Puschkin) (1922); Opern-Oratorium Oedipus Rex (Libr.: S. u. J. Cocteau) (1927); Melodram Persephone (Text : A. Gide) (1934); The Rake's Progress (Libr.: W. H. Auden u. Ch. Kallman) (1949-51); The Flood. A Musical Play (1962). - Ballette: L'oiseau de feu (Feuervogel) (1910, revidiert 1945); burleske Szenen Pétrouchka (1911, revidiert 1947); Tableau de la Russie païenne Le sacre du printemps (1911-13, revidiert 1947); lyrisches Märchen Le rossignol (1909-14) (nach Ch. Andersen); Burleske Renard (1917); Pulcinella (1920) (Musik nach G. B. Pergolesi); russ. Tanzszenen Les noces (1912-23); Apollon musagéte (1928, revidiert 1947); Le baiser de la fée (1928, revidiert 1950) (in memoriam P. Tschaikowsky); Jeu de cartes (1936); Orpheus (1947);
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Strecker Agon (1954-57). — 4) Schriften: Chroniques de ma vie, 2 Bde. (P 1935, 2 1 962), dt. Übers.: Erinnerungen (Z — B 1937); Poétique mu•• sicale sous forme de six lepon (C/M 1942), dt. Übers.: Musikal. Poetik (Mz 1949, 2 1960, '1966), dass. in: I. S., Leben und Werk, von ihm selbst (Z — Mz 1957); Conversations with Strawinsky(Lo 1959) (zus. mit R. Craft); Memories and Commentaries (Lo 1960), dt. Übers., in: I. S., Gespräche mit R. Craft (Mz 1961); Retrospectives and Conclusions (NY 1969) (zus. mit R. Craft), dt. Übers.: I. S. u. R. Craft, Erinnerungen u. Gespräche (F 1972). — 5) Briefe: Selected Correspondence, hrsg. v. R CRAFT, I (Lo 1982). Lit.: 1) Bibliographien u. Werk-Vert: S.-Bibliogr., hrsg. v. P. D. MAGRIEL, 2., revidierte Aufl., in: S. in the Theatre, hrsg. v. M. Ledermann (NY 1949, Lo 1951, Nachdr. NY 1975); Boosey & Hawkes, I. S. Ein vollständiges Verz. seiner veröff. Werke (engl., frz., dt.) (Lo 1957); E. W. WHITE, S. The Composer and His Works (Lo 1966, 21979) (grundlegend); C. SPIES, Editions of S.'s Music, in: Perspectives on Schoenberg and S., hrsg. v. B. BORETZ — E. T. CoNE (Princeton/N.J. 1968, 21972); I. F. S., A Practical Guide to Publications of his Music, hrsg. v. D.-R. DE LER.MA (Kent 1974). — 2) Biographien u. umfassende Darstellungen: B. DE SCHLOEZER, I. S., in: Von Neuer Musik (Kö 1925); H. FLEISCHER, S. (B 1931); A. SCHAEFFNER, S. (P 1931); A. TANSMAN, I. S. (P 1948); C. F. RAMUZ, Souvenirs sur 1. S. (P 1929, dt. B — F o.J.): R. VLAD, S. (Tn 1958); R. CRAFT, S. (Mn 1962); 1. S., hrsg. v. O. ToMEK (Kö 1963); Schoenberg and S., hrsg. v. B. BORET= — A. T. CoNE (Princeton/N.J. 1968); M DRUSKIN, I. S. Persönlichkeit, Schaffen, Aspekte (russ. Leningrad 1974, erweitert 2 1979, dt. L 1976); D. MÖLLER, J. Cocteau u. I. S. (H 1981); W. DÖMLING, I. S. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1982); TH. HIRSBRUNN'ER, S. in Paris (Laaber 1982); H. LINDLAR, Lübbes S. Lexikon (Bergisch Gladbach 1982); Ausgewählte Essays, hrsg. v. DEMS. (F 1982). — 3) Zu einzelnen Werken u. Werkgruppen : R. CRAFT — A. PIOVESAN — R VLAD, Le musiche religiose di I. S. (V 1957) (mit Werk-Vera.); H. LINDI.AR, I. S.s sakraler Gesang (Rb 1957); H. SCHARSCHUCH, Analyse zu I. S.s „Sacre du printemps". Stud. zu Entstehung u. Gesch. des Leittonklarrges zw. 1400 u. 1940 (Rb 1960); H. HUCKE, Die musikal. Vorlagen zu I. S.s „Pulcinella", in: FS H. Osthoff (Tutzing 1969); E. STAEMPFLI, S.s „Symphonies d'instruments à vent", in: Melos 36 (1969): L. SOMFAI, Symphonies of Wind Instruments, in: Studia musicologica 14 (1972); B. M. WILLIAMS, Time and the Structure of S.'s „Symphony in C", in: MQ 59 (1973); D. GUTKNECHT, S.s zwei Fassungen des „Apollon musagète", in: Musicae scientiae uollectanea. FS K. G. Fellerer (KS 1973); D. ZIMMERSCHIED, I. S., Symphonie de psaumes, in: Perspektiven Neuer Musik, hrsg. v. dems. (Mz 1974); H. KIRCHMEYER, S.s russ. Ballette. „Der Feuervogel", „Petrischka", ,.Le sacre du printemps" (St 1974); N. JERS, I. S.s späte Zwölftonwerke, 1958-1966 (Rb 1976) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 89); A. FORTE, The Harmonic Organisation of the Rite of Spring (New Haven — Lo 1978); M. TRAPP, Stud. zu S.s „Gesch. v. Soldaten" ... (Rb 1978) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 96); A. TRAUB, S., „L'histoire du soldat" (Mn 1981). R STEPHAN
STRECKER, Heinrich Josef, * 24.2. 1893 Wien, t 28.6. 1981 Baden bei Wien; östr. Komponist und Dirigent. Nach dem Kompositionsstudium in Wien (1926-30) war er als Theaterkapellmeister tätig. Bekannt wurde S. vor allem durch seine Wienerlieder (Ja, ja der Wein ist gut 1923 ; Drunt' in der Lobau, 1928; Sing mir das Lied noch einmal, 1937). WW (wenn nichts anderes angegeben, UA in Wien): Singspiele: Es war in Wien vor 100 Jahren, UA: 1928; Loreley, UA: 1929; Erzherzog Johann, UA: 1930; Mutter!, UA: 1931; Die Kleine vom Zirkus, UA: 1931; .Ännchen von Tharau, UA: Breslau 1932;
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Made! aus Wien, UA: 1932; Operette Der ewige Walzer, UA• Bremen 1937.
STREET BAND, Bz. für eine aus der Marching Band entstandene Ensembleform, die als wichtigster Vorläufer der klassischen Band des New Orleans Jazz gilt. In der S. entwickelten sich die Funktion der Sections sowie die typische Besetzung des alten Jazz, die die Spielweise der Marching Band zu jazzmäßiger Praxis tendierend abwandelte (Variantenbildungen vorgegebener Melodien, strophische Variation), jedoch weder emphatischen Gebrauch von Blue notes noch den Bluesstimmenablauf kannte. Weiterhin bildete die S. das Responsorialprinzip nicht voll aus und verfolgte ein noch stärker linear orientiertes Spielideal als die Jazzband. In Form volkstümlicher Blasmusik hielt sie sich regional im Süden der USA bis in die heutige Zeit hinein, während der Jazz geradezu weltweite Verbreitung gefunden hat. STREET CRY ' Worksong. STREHLER, Giorgio, * 14. B. 1921 Barcola (Triest); it. Regisseur und Theaterleiter. Er gründete mit dem Regisseur und Kritiker Paolo Grassi 1947 in Mailand das „Piccolo Teatro", das im selben Jahr mit Maxim Gorkis Nachtasyl eröffnet wurde und heute rund 14000 Abonnenten hat. 1972 wurde S. künstlerischer Berater der Salzburger Festspiele, 1977 auch der Mailänder Scala. S. betreibt eine außergewöhnlich intensive Vorbereitung seiner Einstudierungen. In Leseproben wird das Ensemble mit der Problematik des Stücks bekanntgemacht. Mit seinen Bühnenbildnern, insbesondere Luciano Damiani und Ezio Frigerio, werden Stil und Zielrichtung der Inszenierung festgelegt, deren Hauptwesenszug die gesellschaftskritische Ausleuchtung im Sinne von B. Brecht ist. Für S. hat das Theater eine erzieherische Funktion. Mit zahlreichen Operninszenierungen hat S. auch sein ausgeprägtes Verhältnis zum Musiktheater belegt, erfährt damit aber zum Teil heftige Kritik, so etwa, wenn er in R. Wagners Lohengrin (1981) die Ritter in naziähnlichen Uniformen auftreten läßt. Inszenierungen: A. Honegger, Jeanne d'Arc au bůcher(Mailand 1945); G. Verdi, La Traviata (ebd. 1948); ders., Macbeth (ebd. 1975); ders., Simon Boccanegra (ebd. 1976); A. Berg, Lulu (Venedig 1949); R. Strauss, Ariadne auf Naxos (Mailand 1950); B. Brecht K. Weill, Die Dreigroschenoper (ebd. 1956 u. 1973); I. Strawinsky, L'histoire du soldat (ebd. 1957); W. A. Mozart, Die Entführung aus dem Serail (Salzburg 1965); ders., Die Zauberflöte (ebd. 1974); R. Wagner, Lohengrin (Mailand 1981). — S schrieb Per un teatro umano. Pensieri scritti, parlati e attuati (Mi 1974) (= 1 fatti e le idee 280), dt. Übers.: Für ein menschlicheres Theater. Geschriebene. gesprochene und verwirklichte Gedanken (F 1975). Lit.: E. GMPA, G. S. (Boi 1960).
Streichquartett STREICH, Rita, * 18. 12. 1920 Barnaul bei Nowosibirsk, t 20.3. 1987 Wien; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte u. a. bei Erna Berger und Maria Ivogün, debütierte 1943 in Aussig, sang 1946-50 an der Berliner Staatsoper, 1951-55 an der Städtischen Oper Berlin und 1956-72 an der Wiener Staatsoper. Während ihrer 30jährigen Karriere gastierte sie an den internationalen Musikmetropolen, mit besonderem Erfolg am Covent Garden in London, an der Metropolitan Opera in New York
und bei den Festspielen in Salzburg, Glyndebourne, Bayreuth und Aix-en-Provence. Schwerpunkte ihres umfangreichen Repertoires waren die Partien für Koloratursopran der Opern W. A. Mozarts und R. Strauss', doch feierte sie glänzende Erfolge auch als Konzert- und Liedersängerin. Anfang der 70er Jahre beendete sie ihre Laufbahn und lehrte seit 1974 an der Folkwang-Hochschule in Essen. STREICHER, Johann Andreas, * 13. 12. 1761 Stuttgart, t 25. 5. 1833 Wien ; dt. Pianist, Komponist und Klavierbauer. S. war ein Mitschüler von Fr. Schiller und floh mit diesem 1782 nach Mannheim, wo er als Klavierlehrer lebte. 1794 heiratete er die Pianistin Maria Anna (Nannette) "Stein, die Tochter des Klavierbauers J. A. Stein, die das väterliche Unternehmen im selben Jahr nach Wien verlegte. Nachdem ihr Bruder M. Stein 1802 dort eine eigene Firma gegründet hatte, führte sie mit ihrem Mann das Unternehmen als „Nannette S. née Stein". Es entwickelte die Stein-Tradition maßgeblich weiter (" Klavier) und nahm bald eine führende Stellung in Wien ein. Die S.s unterhielten auch einen musikalischen Salon von großer Wirkungsbreite. Mit L. van Beethoven waren sie bis zu dessen Tod eng befreundet; Nannette kümmerte sich eine Zeitlang um sein Hauswesen. S. veröffentlichte einige Klavierwerke. Postum erschien die Schrift Schillers Flucht (St - Au 1836). - S.s Firma wurde seit 1833 mit weiter steigendem Erfolg von seinem Sohn Johann Baptist (1796-1871), von 1859 bis zu ihrer Schließung 1896 von dessen Sohn Emil (1836-1916) geleitet. Sein Sohn Theodor (1874-1940) war in den ersten Dezennien des 20. Jh. als Komponist von Klavierliedern bekannt. Lit.: TH. FRIMMEL, Beethoven-Hdb. II (L 1926, Nachdr. Hil 1968); W. SZMOLYAN, Die Dynastie Stein — S. — André, in: ÖMZ
STREICHINSTRUMENTE (eingeengt auf Bogeninstrumente; engl.: bowed instruments; frz.: Instruments à archet; it.: strumenti ad arco; span.: instrumentos de arco) sind "Chordophone oder "Idiophone, bei denen die Klangerzeugung durch Anstreichen von Saiten oder anderem Material mit einem (Streich-)Bogen, Reibstab oder durch ein Rad erfolgt. Der erzeugten Reibung wegen zählen die S. bei genauer instrumentenkundlicher Einordnung zu den " Friktionsinstrumenten. Sie stellen aber auch, abgesehen von neueren Instrumentenentwicklungen, nach der Art ihrer Tonbildung die jüngste Instrumentengruppe dar, denn sie lassen sich nicht vor dem 10. Jh. nachweisen. Unter der Sammel-Bz. Streicher (engl.: strings; frz.: Instruments à cordes) werden die im modernen Orchester als Gruppe oder in der Kammermusik eingesetzten S. "Violine, "Viola, "Violoncello und " Kontrabaß zusammengefaßt. STREICHKLAVIER, Sammel-Bz. für äußerlich Klavieren oder Flügeln ähnliche besaitete Tasteninstrumente, deren Saiten jedoch angestrichen wurden. Dies konnte entweder durch mehrere senkrechte Scheibenräder (Geigenwerk), durch Walzen oder Zylinder oder durch kreisförmige Streichbogen oder Streichbänder (Bogenflügel) geschehen. Die Anstreichvorrichtungen wurden entweder mit einem Pedal oder mit einer Handkurbel in Drehbewegung versetzt. Sie strichen beim Niederdrücken der Tasten nur die entsprechenden, z. B. mit kleinen Häkchen an Bogen oder Rad herangezogenen Saiten an. Die Konstruktion des S.s war der Versuch, aus der t Drehleier ein real mehrstimmig spielbares Streichinstrument zu entwikkeln. Erste Skizzen zu einer „Viola organista" finden sich bei Leonardo da Vinci, die ersten S.e baute seit 1575 H. Heyden in Nürnberg. Die Abbildung seines „Nürnbergischen Geigenwercks" sowie der 2. Teil seines Traktats Musicale instrumenturn reformatum (1610) ist bei M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) abgedruckt. Das einzige erhaltene Instrument dieser Zeit, ein spanisch-flämisches S. von Raymundo Truchado (1625), befindet sich heute im Musikinstrumentenmuseum in Brüssel. Noch bis ins frühe 20. Jh. gab es zahlreiche Versuche, S.e zu konstruieren, die jedoch nur vorübergehend Beachtung fanden. M. BRÖCKER
27 (1972).
STREICHQUARTETT (engl.: string quartet; frz.: STREICHERCHOR, streichende Stimmen, Streicher, Bz. für eng mensurierte Labialpfeifen der Orgel, deren Klang dem der Streichinstrumente ähnelt; dazu zählen z. B. Geigenprinzipal, Gambe, Viola, Violon, Cello, Fugara und Salizional.
quatuor à cordes; it.: quartetto d'archi; span.: cuarteto de cuerda) ist einerseits eine Besetzungsangabe, die ein solistisches Ensemble von 2 Violinen, Viola und Violoncello meint, andererseits eine
kammermusikalische Gattung für diese Besetzung, 29
Streichquartett die seit dem 2. Drittel des 19. Jh. als die im Rang höchste innerhalb der Kammermusik angesehen wird. Die Gattung S. entwickelte sich in der Mitte des 18. Jh.; ihre Voraussetzungen reichen jedoch zurück ins 16. und 17. Jh.: in den musiktheoretischen Bereich, der seit G. P. da Palestrina die Vierstimmigkeit als das vollkommenste Prinzip des musikalischen Satzes ansah, die zudem den menschlichen Stimmgattungen Sopran, Alt, Tenor und Baß entsprach. Vorformen des S.s sind die oberitalienischen Concerti und Sinfonie a quattro von G. Tartini und G. B. Sammartini, die sich vom Generalbaß gelöst haben, sind weiter die Triosonaten und erweiterten Sonate a quattro, die es in Italien, Frankreich und Mitteldeutschland zu Beginn des 18. Jh. gab, und schließlich die süddeutschen Quartettsinfonien und Quartettdivertimenti (Fr. Tuma, G. M. Monn). Die Loslösung vom Generalbaß und die beginnende Homogenität des Gesamtklangs sind satztechnische Prinzipien, die das Entstehen der neuen Gattung ermöglichten. Gleichwohl ist die Entstehung kein Prozeß, sondern eine bewußte Erfindung, die unabhängig voneinander den Komponisten J. Haydn und L. Boccherini zuzuschreiben ist. Die zentrale Bedeutung Haydns für die Ausbildung des klassischen S.-Typus wurde schon zu dessen Lebzeiten erkannt; mit den zwischen 1755-59 entstandenen S.en op. 1 und 2 fußt er zwar noch auf der süddeutschen Divertimentomusik, aber spätestens seit den 1769/70 komponierten S.en op. 9 (die S.e op. 3 sind als Werke von Roman Hoffstetter nachgewiesen worden) läßt sich Stimmigkeit des Satzes, polyphone Vertiefung der Homophonie, Ausgleich konzertanter Elemente und motivischer Arbeit, Einbeziehung des durchbrochenen Satzes, Erweiterung und Konzentration der Formen, Differenzierung und Individualisierung der Satzcharaktere und zyklische Bindung der Sätze zueinander konstatieren. Die S.e sind viersätzig, der Formenreichtum bleibt zwar beim stets experimentierenden Haydn erhalten, gewinnt aber feste Konturen. Wirkt sich in den 1771 und 1772 entstandenen S.en op. 17 und 20 experimentelle Vielfalt und dramatischer Ausdruck eher dissoziierend aus, markieren die 1781 komponierten S.e op. 33 (die Haydn selbst als „auf eine gantz neue Art" gesetzt bezeichnet) so etwas wie die Idealform klassischer S.-Komposition. „Höchste Konzentration der Arbeit, größter Reichtum der Gestalten bei strenger Begrenzung des Materials, einfache Klarheit der Form bei subtiler Feinheit des Details, klar überschaubare Gruppierung, Zielstrebigkeit der Entwicklung und höchste Mannig30
faltigkeit in strengster Einheit" (L. Finscher) machen diese neue Art aus, die von nun an far das Komponieren von S.en Verbindlichkeit erhält. In seinen weiteren 8 S.-Zyklen hat Haydn den hier erreichten Standard entwickelt und variiert, aber nicht mehr einschneidend verändert - op. 33 war Anknüpfungspunkt sowohl far W. A. Mozart wie für L. van Beethoven. Boccherinis S.e entstanden seit 1761: anders als bei Haydn gibt es keine kontinuierliche Entwicklung, die Form steht von Anfang an bereits in satztechnischer Vollendung da. Ein voll entwickelter vierstimmiger Satz, charakteristische Tonfälle und konzertante Instrumentenbehandlung prägen alle 91 S.e, die Boccherini 1761-1804 komponierte. Mozarts S.e entstanden zwischen 1770 und 1790; nach Jugendwerken sind es die 6 Haydn gewidmeten S.e KV 387, 421, 428, 458, 464, 465 (entstanden zwischen 1782 und 1785), die - an Haydns op. 33 orientiert - als Frucht „langer und mühseliger Arbeit", wie es in der Widmung heißt, Mozarts Rang als Quartettkomponist ausmachen. Ergänzt werden sie durch die S.e KV 499 (1786) und KV 575, 589 und 590 (1789-90), die das Bild eines formal eher konservativen, aber im Detail außergewöhnlich einfallsreichen und kunstvollen Quartettstils bestätigen und abrunden. Beethovens frühe S.e op. 18 (1798-99) fußen auf Haydn und Mozart; um so gewaltiger ist die Entwicklung über die großräumig-konzertanten S.e op. 59 (1805-06), die subjektiv-individuellen op. 74 (1809) und op. 95 (1810) bis hin zu den spröden, komplizierten, in der Radikalität der Tonsprache inkommensurablen Spätwerken op. 127, 130, 131, 132, 135 und der Großen Fuge op. 133, die Beethoven zwischen 1822 und 1826 schrieb und die wie ein erratischer Block das ganze 19. Jh. beunruhigten. Neben diesen Hauptwerken gibt es zwischen 1770 und 1830 eine Fülle von Quartettkompositionen von Klein- und Nebenmeistern ; denn die Gattung war zur Mode geworden, galt als vorbildlich für hausmusizierende Dilettanten und brachte so auch zahlreiche Trivialstücke, Bearbeitungen und Arrangements hervor. Die Spielarten des Quatuor brillant mit solistischer erster Violine und des Quatuor d'airs connus (also Opernbearbeitungen) fanden besonders in Frankreich und England Verbreitung, während das Quatuor concertant, Haydnschen Satzstrukturen verpflichtet, im Umkreis der Wiener Klassik reüssierte. Zugleich wandelte sich der soziale Ort: seit etwa 1815 gab es mehr und mehr professionelle Ensembles, und seit 1830 setzten sich S.-Konzerte durch: die Einheit von Spieler und Zuhörer, die schon Beethovens op. 59 leugnete, löste sich auf: die anspruchsvoller
Streisand und komplexer werdenden Stücke verlangten den spezialisierten Interpreten. Hatte sich Schubert mit seinen späten S.en c-moll, D 703 (1820), a-moll, D 804, d-moll, D 810 (1824) und G-Dur, D 887 (1826) noch neben Beethoven und eher zum Lyrisch-Intimen tendierend behaupten können, so wich die Quartettkomposition des 19. Jh. dem Vorbild eher aus: Komponisten wie L.Spohr und G. Onslow schrieben konzertante S.e; lediglich F. Mendelssohn Bartholdy (7 S.e zwischen 1823 und 1847) setzte sich mit Beethovens Spätwerk auseinander. In Deutschland blieb das S. eine hochgeachtete, aber eher sporadisch bedachte Gattung: so u. a. bei R. Schumann (3 S.e op. 41, 1842), J. Brahms (3 S.e op. 51 und 67, 1873-75), M. Reger, H. Wolf und H. Pfitzner. Dafür spielte sie in den nationalen Schulen eine große Rolle (A. Dvořák, B. Smetana, P. Tschaikowsky, N. Rimski-Korsakow, A. Borodin, A. Rubinstein, S. Tanejew, A. Glasunow), in den nordischen Ländern (E. Grieg, N. W. Gade, J. Sibelius), in Frankreich (C. Franck, É. Lalo, G. Fauré, Cl. Debussy, M. Ravel) und - weniger umfangreich - in Italien (G. Donizetti, G. Verdi, G. Sgambati). In der ersten Hälfte des 20. Jh. rückt das S. erneut in den kompositorischen Mittelpunkt: die S.e von B. Bartók, L. Janáček, A. Schönberg, A. Berg und A. Webern sind nicht nur individuell ausgeformte Einzelwerke, sie stehen auch wieder für den Rang der Gattung als Ort kompositorischen Experiments und neuer Form, Struktur- und Klangentwicklung. Auch auf P. Hindemith trifft dies zu, und eine ganze Reihe von Komponisten (D. Milhaud, E. Wellesz, H. Villa-Lobos, G. Fr. Malipiero, Dm. Schostakowitsch) schrieb umfangreiche Werkzyklen. Daneben sind I. Strawinskys Quartettstücke eher Versuche, sich aus der Tradition zu lösen. Nach 1945 führte die experimentelle Tendenz, die der Gattung weiterhin anhing, zumal zu einer Ausweitung der klanglichen und klangfarblichen Spektren des S.s (P. Boulez, Livres, 1949; Krz. Penderecki, S.e 1960, 1968; H. Lachenmann, Gran Torso, 1971), schließlich auch zu einer formalen Ausweitung bis in aleatorische (Fr. Evangelisti, Aleatorio, 1959; W. Lutoslawski, S., 1964) und zufallsgesteuerte Bereiche hinein und hält die Strukturen in hyperkomplexen Formen in der Schwebe zwischen festen und scheinbar zufälligen Abläufen (M. Kagel, 1967; G. Ligeti, 1968). In den letzten Jahren dagegen wird eine Tendenz zur formalen Rückbesinqung (S.e von M. Trojahn, 1976; U. Stranz, 1976; W. Rihm) spürbar, ebenso eine bewußte semantische Füllung durch Erweiterung des Klangspektrums (L. Nono, Diotima; H. Zender, Hölderlin lesen) bis hin zur Ergänzung
des Ensembles durch Elektronik (George Crumb, T. de Leeuw, Enrique Raxach). Seit dem zweiten Drittel des 19. Jh. haben sich mehr und mehr feste, spezialisierte Quartettensembles herausgebildet: war es für Beethoven das Schuppanzigh -Quartett, so für Mendelssohn und Schumann das Müller-, für Brahms das Joachimund das Hellmesberger-Quartett, für Schönberg und Hindemith das Rosé-, das Kolisch- und das Amar-Quartett. Waren diese Ensembles in der Regel auf einen engeren geographischen und kulturellen Raum beschränkt, so hat das Zeitalter der Massenmedien dazu geführt, daß führende Quartettensembles unserer Zeit (Amadeus-Quartett, Juilliard String Quartet, LaSalle Quartet, Quartetto Italiano, Alban Berg-, Guarneri- und Melos-Quartett, Tokyo String Quartet) weltweit bekannt geworden sind. Schallplatte und Rundfunk übernehmen immer mehr eine Repertoirepflege, die das öffentliche Konzert nur noch in Ausnahmefällen leistet - von der Präsentation und Durchsetzung neuerer Quartettwerke ganz zu schweigen. Lit.: N. M. D. HERTER, String Quartet Playing (NY 1925); M. PINCHERLE, Les instruments du quatuor (P 1927); W. ALTMANN, Hdb. für S.spieler, 4 Bde. (B 1928-31, Nachdr. Wilhelmshaven 1972); A. E. HULL, The Earliest Known String Quartet, in: MQ 15 (1929); W. W. COBBET, Cyclopedic Survey of Chamber Music, 3 Bde. (Lo 1929, '1964); H. MERSMANN, Die Kammermusik, 4 Bde. (L 1930-33) (— Führer durch den Konzertsaal 3); F. BLUME, Haydns künstlerische Persönlichkeit in seinen S.en, in: Jb. Peters 38 (1931); E. HEIMERAN — B. AUL'CH, Das stillvergnügte S. (Mn 1936, .1978); U. LEHMANN, Dt. u. it. Wesen in der Vorgesch. des klass. S. (WO 1939); T. MAHAIM, Beethoven. Naissance et renaissance des derniers quatuors de Beethoven, 2 Bde. (G 1958); L FINSCHER, Zur Sozialgesch. des klass. Ss, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); DERS., S., in: MGG XII; H. ULRICH, Chamber Music (NY '1966); J. KERMAN, The Beethoven Quartets (Lo 1967); P. BORCIANI, Il quartetto (Mi 1973); L FINSCHER, Stud. z Gesch. des Ss, I: Die Entstehung des klass. S.s (Kas 1974) (— Saarbrücker Stud. z Musikwiss. 3); R. BARRET-AYRES, J. Haydn and the String Quartet (Lo 1974); A. SCHAFFNER, The Modern String Quartet in America before 1800, in: MR 40 (1979); W. KONOLD, Das S. Von den Anfängen bis F. Schubert (Wilhelmshaven 1980); F. SCHNEIDER, Das W. KONOLD S.schaffen in der DDR bis 1970 (L 1980).
STREICHZITHER, ein 1823 von J. Petzmayer (Wien) entwickeltes Streichinstrument mit herzförmigem Korpus ohne Hals. Auf der Decke ist in der Mitte ein mit festen Bünden ausgestattetes Griffbrett befestigt, neben dem sich auf jeder Seite ein Schalloch befindet. Das beim Spielen auf einen Tisch gelegte Instrument hat 3-4, mit einem Bogen angestrichene Metallsaiten. Der Klang der S. ist zart und leicht näselnd. Andere Hersteller bauten auch S.n mit Hals und mit zum Teil phantasievollen, manchmal violinenähnlichen Korpusformen. STREISAND, Barbra, * 24. 4. 1942 New York; amerik. Schauspielerin und Sängerin. Sie nahm 31
Strepponi Schauspielunterricht in New York, arbeitete als Barsängerin und machte durch erste Fernsehauftritte auf sich aufmerksam. Der Durchbruch gelang ihr 1962 mit dem Musical I Can Get It for You Wholesale von H. Rome. Ihren Ruf als hervorragende Musicaldarstellerin festigte sie in Jules Stynes Musical Funny Girl (1964). Für die Verfilmung dieses Musicals wurde sie 1968 mit dem Oscar ausgezeichnet. B. S., die heute zu den profiliertesten Künstlern des Showbusiness zählt, produzierte zahlreiche Schallplatten, veranstaltete Tourneen, trat in Fernsehshows auf und wurde durch viele Filmrollen weltweit bekannt (Hello Dolly, 1969; On a Clear Day You Can See Forever, 1969; The Owl and the Pussycat, 1971; What's Up, Doc?, 1972; Up the Sandbox, 1973; The Way we Were, 1973; For Pete's Sake, 1974). STREPPONI, Giuseppina, it. Sängerin; sie heiratete 1859 G. "Verdi. STRETTA (it., = Druck), Bz. für den im Tempo beschleunigten Schlußabs'hnitt eines Aktfinales in der (speziell it.) Oper des 18./19. Jh., dort wird gelegentlich auch die ,w Cabaletta als S. bezeichnet. In Art der S. ist seit L. van Beethoven häufig ebenfalls die "Coda von Schlußsätzen der Instrumentalmusik im Tempo gesteigert. STRIGGIO (Strigi, Strigia). - i) Alessandro (I), * um 1535 Mantua, t 29.2. 1592 ebd.; it. Komponist. Er entstammte einer adligen Familie und wirkte seit etwa 1560 am Hof der Medici in Florenz als Komponist zahlreicher Intermedien u. a. festlicher Gelegenheitswerke (nicht erhalten). Dort stand er auch mit V. Galilei und weiteren Mitgliedern der Camerata Fiorentina in Verbindung. Mannigfache kompositorische Aufgaben erhielt er von den Höfen in Ferrara und Mantua, wo er seit etwa 1584 lebte, zuletzt als Gran cancelliere (Schatzkanzler). WW: 5 Bücher Madrigale für 5 St. (V 21560, 1570, 1596, 1596, 1597), 2 Bücher fůr 6 St. (V 1560, 1571); Ii cimlamento delle donne al bucato (Das Geschwätz der Frauen beim Waschen), u. La caccia für 4-7 St. (V 1567), NA con il,gioco di primiera für 5 St. (V 1569); Madrigale auch in zahlr. Sammeldrucken 1557-94 sowie in Lautentabulaturen 1568-99; hsl. erhalten ist eine 5st. Missa in diebus illis u. die Motette Ecce beatam luaem für 40 St. u. B. c. (für die Hochzeit des Herzogs Albrecht v. Bayerr, 1568).
S., der auch als virtuoser Lira da gamba-Spieler berühmt war, gehörte zu den bekanntesten Madrigalkomponisten seiner Zeit, freilich ohne daß seine Werke die satztechnische und ausdrucksmäßige Kühnheit anderer seiner Altersgenossen zeigen. Bemerkenswert sind dagegen die drastisch-heiteren Elemente in der Sammlung von 1567, die eine 32
Vorstufe zu den Madrigalkomödiert von O. Vecchi und A. Banchieri darstellt. 2) Alessandro (II), Sohn von 1), * 1573 (?) Mantua, t 6.6. 1630 Venedig. Er ist 1589 als Violenspieler am Florentiner Hof bezeugt, studierte später Jura in Mantua und stand dann dort im Dienst der Gonzaga, seit 1611 als Sekretär des Herzogs Vincenzo I. Er wurde zum Grafen und Marchese erhoben und war zuletzt wie sein Vater Gran cancelliere. In enger Beziehung stand er zu Cl. Monteverdi, für den er das Libretto zum Orfeo (1607) und zu Tirsi e Clori schrieb und mit dem er auch nach dessen Weggang von Mantua befreundet blieb (Briefwechsel teilweise erhalten). Ausg.: Zu 1): 5 Madrigale, in: TORCHI, Arte Mus. I; 11 cicalamento, hrsg. v. B. SOMMA (R 1947) (— Capolavori polifonici del secolo XVI 4). Lit.: Zu 1): R. J. TADLOCK, A. S. Madrigalist, in: JAMS 11 (1958); DERS., The Early Madrigals of A. S., 2 Bde. (1959) ( — Diss. Univ. of Rochester/N.Y.) (mit Übertragung der Madrigale v. 1570 u. 1571); DERS., S., in: MGG XII. — bi 2): r Monteverdi.
STRINGENDO (it., _= drängend ; Abk.: string.), Vortrags-Bz., die eine dem Wortsinn entsprechende, allmähliche Beschleunigung des Tempos fordert; häufig synonym mit l accelerando gebraucht. STROBEL, Heinrich Edmund August, * 31. 5. 1898 Regensburg, t 10.8. 1970 Baden-Baden; dt. Musikschriftsteller. Er studierte bei A. Sandberger und Th. Kroyer in München, promovierte 1922, war seit 1921 Musikkritiker in Erfurt und Berlin (1927-33 Berliner Börsenkurier, 1934-38 Berliner Tageblatt) und 1933-34 sowie erneut seit 1946 Herausgeber der Zeitschrift Melos. Während des 2. Weltkrieges lebte er im Exil in Frankreich und übernahm 1946 die Leitung der Musikabteilung des neugegründeten SWF in Baden-Baden. In dieser Eigenschaft hatte er entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung der r Donaueschinger Musiktage und war damit eine Schlüsselfigur in der Förderung der zeitgenössischen Musik. 1956-69 war S. Präsident der IGNM. 1961 erhielt er die Würde eines Dr. phil. h. c. der Universität Basel. Schriften: P Hindemith (Mz 1928, völlig überarbeitet '1948); C Debussy(Z 1940, '1961, frz. P 1942, span. Ma 1966); P Hindemith. Zeugnii in Bildern (Mz 1955, erweitert 2 1961); 1. Strawinsky (Z — Fr 1956, cngl. NY 1955, Nachdr. 1973); 1. Strawinsky, Poétique musi:ale, dt. Übers.: Musikal. Poetik (Miz 1949); Die Einheit der modernen Kunst, iss: Prisma der gegenwärtigen Musik, hrsg. v. J. E. Berendt u. J. Uhde (H 1959), auch in Melos 30 (1963); Deutsche Musik zw. den Weltkriegen u. Deutschland seif 1945 sowie Vier Jahrzehnte dt. Musiktheater, in: Melos 30 (1963); Die dt. Musik nach 1945, in: Universitas 19 (1964); 1. Strawinsky u. seine Kunstauffassung, in: ebd. 20 (1965): Reflexionen Tiber Debussy, in: Melos 33 (1966), Libretti für Rolf. FS für R. Lebermann (H 1970, auch in: Melos 37, 1970). — Für R. Liebermann
Strophe und Antistrophe schrieb S. die Libretti Leonore 40/45 (1951), Penelope (1954) u. Schule der Frauen (1957). Lit : Sonder-H. H. S. (1968) (- Melos 35, H. 5); In memoriam H. S., in: Melos 37 (1970); H. OESCH, Das „Melos" u. die Neue Musik (Mz 1973).
STROBEL, Valentin (II), getauft 18.10. 1611 Halle, t nach 1669 Straßburg; dt. Lautenist und Komponist, wie sein Vater Valentin S. (I) (um 1575-1640). Er wurde 1629 Hoflautenist in Darmstadt und kam über Stuttgart (1634) an den Hof des Markgrafen von Baden-Durlach, der ihn nach Verlegung seines Hofes in die Nähe von Straßburg dort bis 1638 beschäftigte. S. Chappuzeau (1671) zufolge spielte S. mit einer „délicatesse merveilleuse". Als Komponist war er von der in Frankreich modisch gewordenen Spielweise des r Style brisé beeinflußt. wW: Melodien ... Über Teutsche Wältliche Lieder für SingSt, 2 V. u. B.c., 2 Teile (Str 1652 u. 1654); 4 Tänze für Instr. u. B.c., in: RISM 1658'; Tanzsätze u.a. Stücke für Org., Laute u. Angelica
hsl. erhalten. Lit.: H. RADKE, S., in: MGG XII.
STROHFIDEL, volkstümliche Bz. für r Xylophon. STROPHE (von griech. strophe = Wendung), Bz. für eine Einheit, die eine bestimmte, formal spezifizierte Versmenge zusammenfaßt. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen strophisch gebauter Dichtung und der musikalischen Gattung / Lied; insbesondere die Unterscheidung zwischen (einfachem und variiertem) Strophenlied und durchkomponiertem Lied (z. B. bei Schuberts Vertonungen) gilt dem strophischen Bau einer Dichtung hinsichtlich seiner kompositorischen Behandlung. Historisch entwickelt sich die S. besonders aus Gesang und Bewegung innerhalb der griech. Chorlyrik. Im Zusammenhang mit der humanistischen Wiederentdeckung der antiken Literatur und ihrer formalen und inhaltlichen Adaptation durch die Volkssprachen im 16. Jh. führte P. de Ronsard das Wort neu in die europäische Literatur ein; seine Verwendung in Deutschland geht auf M. Oiitz zurück. In ihrer mehr als 2000jährigen Geschichte hat die S. im Rahmen der einzelnen Nationalliteraturen eine formale Vielfalt erreicht, die sie an beliebigem Ort zu einem zentralen Element der Evolution literarischer Formen und Inhalte macht. Dies dokumentieren nicht zuletzt die zahlreichen, höchst unterschiedlichen Kriterien folgenden Bezeichnungen zur präzisen Bestimmung der S. in den einzelnen Literaturen; z. B. die alkäische, asklepiadeische und sapphische S. in Griechenland, die ambrosianische (ř Hymnus), die / Vaganten-, / Stabat mater- und r Kanzonen-
S. im europäischen Mittelalter, in Italien S.n mit den Bezeichnungen Capitolo, None rime, Sestine, Siziliane, Stanze, Strambotto, Terzine (3 Vers-
zeilen mit weiterführendem Reim) und Villanella, die Chevy-Chase-S. in England, die Nibelungen-, Gudrun- und Volkslied-S. in Deutschland. Die S. wird nach der Gruppierung der einzelnen Verse definiert, die aufgrund festgelegter Kombinationsmöglichkeiten (Assonanz, . Reim, r Metrum) zusammengehören. Vers und S. sind als strukturierte Einheiten wahrzunehmen: Während den Vers Rhythmus und Silbenbetonung bestimmen, ergibt sich die Struktur der S. aus einem bestimmten Anordnungssystem von Gleichklängen und Metren. Das Reimsystem einer S. muß verschiedenen Bedingungen genügen: es muß die Versfolge einer Spannung unterwerfen, die erst in der letzten Zeile aufgelöst wird (z. B. Kreuzreim, umschlingender Reim), und es muß in sich kohärent und vollständig sein, d. h., jeder Reimzeile hat eine korrespondierende Antwortzeile zu entsprechen. Nicht abgeschlossene Gruppen wie Dreizeiler - Reimfolge aba - sind daher ebensowenig als S.n anzusehen wie z. B. paarreimige (aa bb cc) grammatisch selbständige Einheiten; auch dann nicht, wenn diese im Druckbild voneinander abgesetzt sind. Dichtungsgeschichtlich fällt die Auflösung der S. als grammatisch, semantisch, metrisch und klangIich organisierter Einheit mit der des Verses zusammen. Lit.: W. TH. ELWERT, Frz. Metrik (Mn 1961, 4 1978); DERS., It. Metrik (Mn 1968); D. KORZENIEWSKI, Griech. Metrik (Da 1968); R. BAEHR, Einführung in die frz. Verslehre (Mn 1970); K. PLENIO, Bausteine z. altdt. Strophik (Da 1971); U. MöLK - F. WOLFZETTEL, Répertoire métrique de la poésie lyrique française des origines à 1350 (Mn 1972); F. SCHLAWE, Die dt. Strophenformen. Systematisch-chronologisches Reg. z. di Lyrik 1600-1950 (St 1972); J. MAZALEYRAT, Éléments de métrique française (P 1974); A. H. TOUBER, Dt. Strophenformen des MA (St 1975); H. J. FRANK, Hdb. der dt. Strophenformen (Mn - W 1980). W.-D. LANGE
STROPHE UND ANTISTROPHE. - 1) Aus den Chorliedern des griechischen Dramas geläufige Bz., die auf die konkreten Tanzbewegungen des Chores zurückzuführen ist: Auf den Vortrag einer Strophe folgte eine Antistrophe, die von einer entsprechenden Wendung des Chores begleitet war. Versschema und Melodie bleiben dabei innerhalb eines Paares weitgehend identisch. Im Laufe ihrer Entwicklung gelangte die attische Tragödie zu äußerst komplizierten Verknüpfungen der Strophenpaare (z. B. bei Aischylos). - Die auch in Renaissance und Barock intensiv gepflegte Pindarische Ode ist wesentlich durch das Wechselspiel zwischen Strophe und Antistrophe charakterisiert, das 33
Stross in einer thematisch ausgleichenden Epode jeweils seinen Ruhepunkt findet. - 2) In der Rhetorik wird die Bz. Antistrophe synonym mit Epiphora für ein stilistisches Verfahren verwandt, bei dem man eine besondere Wortfolge oder ein ausdrucksstarkes Einzelwort jeweils am Schluß mehrerer aufeinanW.-D. LANGE derfolgender Sätze wiederholt. STROSS, Wilhelm Carl, * 5. 11. 1907 Eitorf (Sieg), t 18. 1. 1966 Rottach-Egern; dt. Violinist. S. studierte bei Br. Eldering und H. Abendroth am Kölner Konservatorium, war seit 1934 Professor für Violine an der Akademie der Tonkunst in München, lehrte 1951-54 an der Kölner Musikhochschule und dann erneut in München. Neben ausgedehnter solistischer Tätigkeit gehörte er 1931-33 dem Elly-Ney-Trio an, spielte 1936-38 im Duo mit Cl. Arrau und war Primarius des S.-Quartetts, das vor allem mit der Aufführung von Werken der Klassik und Romantik große Beachtung fand. Seit 1942 trat S. eine Zeitlang auch mit einem eigenen Kammerorchester auf. STROUSE, Charles Louis, * 7.6. 1928 New York ; amerik. Komponist. S. studierte an der Eastman School of Music in Rochester (1947 Bachelor of Music) und war Kompositionsschüler von N. Boulanger und A. Copland. Er schrieb zahlr. Songs für Revuen und Broadway Musicals, die sich meist mit amerik. Zeitproblemen befaßten. Sein bevorzugter Songtexter war Lee Adams. Von seinen Filmmusiken waren die zu Bonnie and Clyde, The Night They Raided Minsky's und There Was A Crooked Man besonders erfolgreich. WW: Songs für Revuen, u.a. für Shoestring Revue (1955); Shoestring '57(1957); Musicals: Bye, Bye Birdie (1960); All American (1962); Golden Boy (1964); It's a Bird, It's a Plane, It's Superman 1966); Applause (1970); Six (1971); / and Albert, UA: London 1972; Annie(1977); A Broadway Musical (1978). — Ferner schrieb S. symphonische Werke und Kammermusik.
STROZZI. - 1) Giulio, * 1583 Venedig, t 31.3. 1652 ebd.; it. Dichter. Er war Jurist, wirkte als Apostolischer Protonotar in Rom und lebte seit 1620 in Venedig. Hier gründete er 2 Akademien und entfaltete in ihrem Rahmen eine reiche literarische Tätigkeit. Als Librettist war er an den Anfängen der venezianischen Oper entscheidend beteiligt. Seine Libretti (u. a. für Cl. Monteverdi, Fr. Manelli, Fr. Sacrati) sind erhalten; von der Musik existiert nur noch Fr. Cavallis Veremonda (unter S.s Anagramm L. Zorzisto). Texte von ihm enthalten die Madrigale von G. Rovetta, N. Fontei und Barbara S. - 2) Barbara, Adoptivtochter von 1), * 6.8. 1619 Venedig, t nach 1664 vermutlich ebd.; it. Komponistin. Sie war Schülerin von Cavalli und spielte als Sängerin eine führende Rolle 34
in den Akademien ihres Vaters. Ihre Werke sind ein bemerkenswertes Zeugnis für die Entwicklung des / Madrigals in seiner Spätzeit und seine Verbindung mit der Monodie. WW: Madrigale für 2-5 St. u. B.c. (V 1644); 3 Bücher Arien, Arietten bzw. Kanuten für 1 St. u. B. c. (1657, 1659, 1664), 3 Bücher für 1-3 St. u. B. c. (1651, 1654, 1655). Ausg.: Zu 2): Ariette di Francesca Caccini e B. S., hrsg. v. B. SOMMA (R 1930); 2 Arietten in: K. JEPPESEN, La Flora II (Kop 1949). Lit.: Zu 1): bei den genannten Komponisten. — Zu 2): E. RoSAND, B. S.... The Composer's Voice, in: JAMS 31 (1978).
STROZZI, Gregorio, * Anfang 17. Jh. San Severino (Lukanien), t nach 1687 Neapel (?); it. Komponist. Er war Priester und wurde 1634 als Nachfolger seines Lehrers G. M. Sabino Organist der Kirche S. Annunziata in Neapel. Von seinen Werken sind die Capricci da sonare cembali et organi (Neapel 1687) eine interessante Quelle für die zeitgenössischen Gattungen der Musik für Tasteninstrumente. WW: Passionssátze (Turbae) u.a. Karwochengesänge für 4 St. u. B.c. (R 1655); Elementorum musicae praxis für 2 St. (Neapel 1683); Capricci da sonare für Cemb. u. Org. (ebd. 1687). Lit.: U. PROTA-GIURI.EO, Due campioni della scuola musicale napoletana del XVII secolo, in: L'organo 3 (1962); W. APEL, Die südit. Clavierschule des 17.1h., in: AMI 34 (1962); B. HUDSON, S., in: Grove' XVIII.
STROZZI, Piero, * um 1550 Florenz, t nach 1.9. 1609 ebd.; it. Komponist. S. war mit G. Strozzi verwandt und G. Bardi befreundet (r Camerata Fiorentina) und fungiert als dessen Gesprächspartner in V. Galileis Dialogo della musica antica e della moderna (Fi 1581). Von seinen Kompositionen (u. a. zur Hochzeit Francescos de' Medici 1579) sind nur 3 einzelne Gesänge hsl. und in Sammeldrucken erhalten. Ausg.: 1 Madrigal aus Carro della notte, in: F. GHISI, Alle fonti della monodia (Mi 1940). Lit.: ,Camerata Fiorentina, "Medici.
STRUB, Max, * 28.9. 1900 Mainz, t 23.3. 1966 Detmold; dt. Violinist. S. trat bereits mit 13 Jahren öffentlich auf und studierte seit 1916 bei Br. Eldering am Konservatorium in Köln. 1921-22 war er Konzertmeister in Stuttgart, dann an der Dresdener Staatsoper, 1925-28 Professor an der Musikhochschule in Weimar und dann bis 1934 1. Konzertmeister der Staatskapelle Berlin. 1932-45 lehrte er zunächst als Assistent, später als Nachfolger C. Fleschs an der Berliner Musikhochschule. Seit 1947 leitete er Meisterklassen für Violine und für Interpretation und Kammermusik an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold (1957 Professor). Als Kammermusiker fand er mit
Stuckenschmidt seinem 1936 gegründeten Streichquartett (Otto Schad, 2. Violine, Franz Beyer, Viola, Hans Münch-Holland, Violoncello) vor allem in Deutschland große Beachtung. Außerdem spielte er 1934-40 im Trio mit E. Ney und L. Hoelscher. Lit.: H. GROHE, in: Mitt. der H.-Pfitzner-Ges. 16 (1966).
STRUNGK (Strunck), Nicolaus Adam, getauft 15. 11. 1640 Braunschweig, t 23.9. 1700 Dresden ; dt. Komponist und Violinist. Er war der Sohn des Braunschweiger Organisten Delphin S. (1601-94), von dem sich einige Orgelchoräle hsl. erhalten haben und von dem 40 Generalbaßlieder gedruckt wurden (F um 1670). 1660-61 war er Violinist in Celle, hielt sich 1661-65 in Wien auf, wurde dann Kammermusiker in Hannover und 1679 Rats- und Dommusikdirektor in Hamburg. Hier war er bis 1683 mit 9 Opern am Gänsemarkttheater erfolgreich. 1682 ging er als Hofkammerkomponist erneut nach Hannover, schließlich 1688 an den Hof nach Dresden (1692-97 Kapellmeister als Nachfolger von C. Pallavicino). Von hier aus gründete er 1793 ein Opernhaus in Leipzig, an dem bis zu seinem Tod 8 eigene Opern aufgeführt wurden. WW (hsl. erhalten): Capricci u.a. Stücke für Tasteninstr.; Airs für 2 Fl. u. B.c.; je 1 Triosonate u. Sonate für 6 Instr. u. B.c.; 7 lat. u. dt. Motetten für 1-4 St. u. B.c., teilweise mit Instr. - Von den mindestens 18 nachweislich aufgeführten Opern sind erhalten 36 Arien aus Esther (UA: Hamburg 1680) (nur SingSt u. B.c. ohne Instr.) u. Antiope(UA: Dresden 1689; 1. u. 2. Akt v. Pallavicino).
S., von dessen Opernschaffen sich kaum etwas erhalten hat, zeigt in seinen Orgel- bzw. Cembalowerken deutliche Einflüsse von G. Frescobaldi. Diese gehören zu den wenigen Beispielen für den strengen kontrapunktischen Stil in dieser Zeit in Norddeutschland und wurden von J. S. Bach und G. Fr. Händel geschätzt. Als Violinist galt S. bei seinen Zeitgenossen als Meister der Scordatura. Ausg.: 6 Capricci (eines davon als Werk v. G. Reutter d.Ä.), in: Wiener Klv.- u. Orgelwerke aus der zweiten Hälfte des 17. Jh., hrsg. v. H. BOTSTIBER (1906) (- DTÖ 27); 2 Doppelfugen für Org., hrsg. v. M. SEIFFERT (L 1962) (- Organum IV/18); Triosonate, hrsg. v. DEMS. (L 1951) (- ebd. 11I/18); Sonate für 6 Instr., hrsg. v. F. STEIN (Kas 1953) (- Hortus Mus. 103); 14 Arien aus Esther, in: H. CH. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg (Wb 1957). Lit.: F. BEREND, N. A. S. 1640-1700. Sein Leben u. seine Werke ... (Diss. Mn 1913); F. W. RIEDEL, Quellenkundliche Beitr. z Gesch. der Musik für Tasteninstr. in der 2. Hälfte des 17. Jh. (Kas 1960); D. HÄRTwIG, S., in: MGG XIII.
STRUNK, William Oliver, * 22.3. 1901 Ithaca (New York), t 24.2. 1980 Grottaferrata bei Rom; amerik. Musikforscher. Er studierte 1917-19 an der Cornell University in Ithaca (N. Y.) und 1927-28 in Berlin (J. Wolf) und war 1928-37 Bibliothekar (seit 1934 Leiter) der Musikabteilung der Library of
Congress in Washington. 1937-66 lehrte er an der Princeton University (N. Y.). Er war Mitgründer und 1959-60 Präsident der American Musicological Society. Seit 1966 lebte er in Italien. S. war einer der bedeutendsten amerikanischen Musikologen seiner Zeit mit einem weitgespannten (Euvre, in dem zunehmend die Erforschung der byzantinischen Musik einen bevorzugten Platz einnimmt. Er wurde geehrt durch die FS Studies in Music History, hrsg. v. H. Powers (Princeton 1968). Schriften: State and Resources of Musicology in the United States (Washington/D.C. 1932); Source Readings in Music History(NY 1950, Paperbackausg. 1965); The Classification and Development of the Early Byzantine Notations, in: Atti del congresso internazionale di musica sacra (R 1950); The Notation of the Chartres Fragment, in: Ann. Mus. 3 (1955); Die Gesänge der byzantinischegriech. Liturgie, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik 1, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas 1972); Essays on Music in the Byzantine World (NY o.J.); Essays on Music in the Western World (NY 1974).
STUCK, Jean-Baptiste, genannt Batistin, * um 1680 Livorno, t 8. 12. 1755 Paris; frz. Violoncellist und Komponist dt. Herkunft. Er kam um 1700 nach Paris und machte sich 1706 durch einen (den 1.) Kantatenband bekannt, worin er sich als Musiker des Herzogs von Orléans bezeichnet. Später wurde er Mitglied der königlichen Kapelle, spielte im Orchester der Opéra und trat auch im Concert spirituel auf. Als Violoncellist trug S. maßgeblich zur Popularität dieses Instruments in Frankreich bei. Von seinen Kompositionen verdienen am ehesten die Kantaten Beachtung, in denen er frz. und it. Geschmack zu verbinden suchte. WW: 4 Bücher Cantates françoises für 1-2 St, B. c. u. Instr. (P 1706, 1707, 1711, 1714). - Opern: Méléagre, UA: Paris 1709; Manto la fée, UA: Paris 1711; Polydore, UA: Paris 1720; Air für die Oper Thétis et Pélée v. P. Collasse (P 1708). Lit.: M. BARTHÉLEMY, Les cantates de J.-13. S., in: Rech. Mus. 2 (P 1961/62); S. MILLIOT, in: Rech. Mus. 9 (1969).
STUCKENSCHMIDT, Hans Heinz, * 1.11. 1901 Straßburg; dt. Musikforscher und Musikkritiker. S. war 1920-27 freischaffend u. a. in Hamburg, Wien, Paris und Berlin tätig und 1928-29 als Musikkritiker bei der dt. Zeitung Bohemia in Prag. 1931-33 studierte er bei A. Schönberg in Berlin und ging wegen Schreibverbotes 1934 erneut nach Prag, wo er bis 1942 u. a. für das Prager Tagblatt schrieb. 1946 kehrte er nach Berlin zurück, leitete das Studio für Neue Musik beim RIAS Berlin, wurde Musikkritiker der Neuen Zeitung und 1948 Lehrbeauftragter für Musikgeschichte an der Technischen Universität (1953 Professor, Emeritierung 1967). Daneben schrieb S. u. a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. 1974 wurde er Mitglied der Aka35
Studentenlied demie der Künste West-Berlin, 1977 Ehrendoktor der Universität Tübingen. Seit 1932 war S. verheiratet mit der besonders durch Schönberg-Interpretationen hervorgetretenen Sopranistin Margot Lefèbre (1901-81). Zum 65. Geburtstag wurde er mit der FS Aspekte der Neuen Musik (hrsg. v. W. Burde, mit Bibliographie v. H. Poos, Kas 1968) geehrt. Schriften: A. Schönberg(Z 1951, 2 1957); Neue Musik (B 1951) ( Zw. den beiden Weltkriegen 2); Glanz und Elend der Musikkrřtik (B 1957); Strawinsky und sein Jh. (B 1957) (- Anmerkungen z. Zeit 5); Schöpfer der Neuen Musik (F 1958, Mn 1962); B. Blacher (B 1963) (mit Werkverz. v. H. Kunz); Oper in dieser Zeit. Europäische Opernereignisse aus 4 Jahrzehnten (Velber 1964); J. N David. Betrachtungen zu seinem Werk (Wie 1965), M Ravel. Variationen über Person und Werk (F 1966); F Busoni. Zeittafel eines Europäers (Z 1967); Musik des 20. Jh. (Mn 1969); Kriterien und Grenzen der Neuheit, in: Das musikal. Neue u. die Neue Musik, hrsg. v. H.-P. Reinecke (Mz 1969); Die Musik, der Mensch und die Menschen, in: Kölner Zschr. für Soziologie u. Sozialpsychologie 21 (1969); Was ist Musikkritik? Gedanken zur Vernichtung des Kunsturteils durch Soziologie, in: Stud. z. Wertungsforschung 2 (Gr 1969); Kritik und Irrtum, in: FS für einen Verleger (- L. Strecker) (Mz 1973); Schönbergs Berliner Jahre 1926-33, in: A. Schönberg, Ausstellungskat. (W 1974) (Autobiogr.); Zum Hören geboren. Ein Leben mit der Musik unserer Zeit (Mn 1979); Margot Bildnis einer Sängerin (Mn 1981). J. DORFMÜLLER
STUDENTENLIED, Bz. für ein Ständelied mit Volksliedcharakter. Komponisten wie L. Senil, O. di Lasso und J. Eccard schufen im 16. Jh. erstmals Chorwerke, die auf S.een basieren. Bedeutende Sammlungen solcher Gesänge stammen im 17. Jh. von J. Jeep, E. Widmann, J. H. Schein, H. Albert, Chr. Clodius und A. Krieger und bilden das unterhaltende Musiziergut der studentischen Collegia musica (r Collegium musicum). Nach deren Niedergang kam es um die Mitte des 19. Jh., angeregt durch die Männerchorbewegung und die Gründung von Studentenverbindungen, zu einer Wiederbelebung des S.es, die sich in der großen Zahl von nun erscheinenden Kommers- und Liederbüchern widerspiegelt. Am bedeutendsten ist das 1858 erstmals erschienene Lahrer Commersbuch, das seitdem 159 Auflagen erlebte und bis heute akademischen Verbindungen als Gesangsvorlage bei Kneipe, Totengedenken, Rezeption und Kommers, der feierlichen Kneipe, dient. Daneben gibt es viele weitere Liederbücher. Ihr Repertoire ist nur zum Teil spezifisch studentisch, es überschneidet sich, ähnlich wie das der Vereinsliederbücher des 19. Jh., mit anderen Ständeliedern (z. B. Soldaten- und Jägerlied) und verschiedenen Volksliedarten.
Lit.: F. HARZMANN, In dulci jubilo. Aus der Naturgesch. des dt. Kommersbuches (Mn 1924); K. STEPHENSON, Zur Soziologie des Ses, in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr- Kö 1958); DERS., Der heutige Student u. das S. (Kas - Bas 1959) (- Musikal. Zeitfragen 7). H. SCHRODER
STUDENT PRINCE IN HEIDELBERG, THE, amerik. Operette von S. Romberg, Buch und Gesangstexte von Dorothy Donnelly nach dem Schauspiel Old Heidelberg von Rudolf Bleich-
mann, das wiederum auf dem deutschen Stück Alt Heidelberg von Wilhelm Meyer-Forster basierte, nach dessen Erzählung Karl Heinrich. Ort und Zeit der Handlung: Heidelberg, im Jahre 1860. UA: 1. 12. 1924 New York (Al Jolson Theater); 608 Vorstellungen. Verfilmt 1927 und 1954 (mit Mario Lanza in der Titelrolle). Der Studentenprinz Karl Franz muß seiner großen Liebe zur Kellnerin Kathie entsagen, um König zu werden; und als er später nach Heidelberg zurückkehrt, stellt er fest, daß sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen 1äßt. Die Romanze des Prinzen hatte die längste Laufzeit aller Operetten und Musicals der 20er Jahre am Broadway. 25 Jahre lang lief sie über fast alle Bühnen Amerikas und brachte den Brüdern Shubert als Produzenten und den Autoren ein Vermögen ein. Fast alle Lieder wurden populär, besonders: Golden Days, Drinking Song, Deep In My Heart, Dearund Serenade. R. WALLRAF
STUFE, Bz. für die Stelle, die ein Ton innerhalb der siebenstufigen diatonischen Tonleiter einnimmt. - ř Stufenbezeichnung. STUFENBEZEICHNUNG, in der r Harmonielehre ein Bezeichnungssystem für Akkorde und Akkordfolgen, das seit dem 19. Jh. mit der r Funktionsbezeichnung konkurriert. Die Funktionsbezeichnung zielt darauf ab, die Funktion von Akkorden und ihre Beziehung zum tonalen Zentrum der t Tonika zu erkennen und zu chiffrieren. Die S. will dagegen deutlich machen, wie Akkorde in ihrem schrittweisen Fortgang zusammenhängen. Römische Ziffern kennzeichnen - beginnend mit der I. Stufe der Tonika - die sieben Stufen der diatonischen Tonleiter und die auf ihnen errichteten Dreiklänge; in C-Dur:
-.l ~~I i Ill IV V
vi
VII
Ausg.: Dt. Studentenlieder, hrsg. v. G. SCHERER (L 1856, Nachdr. Z 1978); Allgemeines Dt. Commersbuch, hrsg. v. H. SCHAUENBURG - F. SILCHER - F. ERK (Lahr 1858 u. ö., Nachdr. Mn 21975); Dt. Burschenlieder, hrsg. v. K. STEPHENSON (Lahr
S. Sechter, im 19. Jh. Repräsentant der Stufentheorie (Fundamentschrittheorie), war auf J.-Ph. Rameaus Lehre von der t Basse fondamentale zurückgegangen, nach welcher der Zusammenhang
1953).
zwischen Akkorden durch die Abfolge ihrer
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Stumpf Grundtöne garantiert wird. In der gebräuchlichen S. treten Zahlen hinzu, welche - in Anlehnung an den r Generalball - die jeweilige Akkordform vom Baßton her benennen: I6 bezeichnet demnach den r Sextakkord des Dreiklanges der I. Stufe; darin vermischen sich ein grundtöniges (I) und baßtöniges (6) Denken. STUFENGANG nennt P. Hindemith, im Anschluß an H. Schenkers Terminologie (dort Bz. für eine Folge von den Harmonieverlauf bestimmenden Gerüstakkorden), die Reihenfolge von Grundtönen, „welche die Akkordlasten größerer harmonischer Zusammenhänge tragen". Die im S. sich ausprägenden tonalen Zentren garantieren nach Hindemith harmonische Logik und Verständlichkeit. Lit.: H. SCHENKER, Harmonielehre (St - B 1906); P. HINDEMITH, Unterweisung im Tonsatz, l : Theoretischer Teil (Mz 1937,
2 1940).
STUMM, dt. Orgelbauerfamilie. Johann Michael S. (1683-1747) gründete um 1715 in RhaunenSulzbach (Hunsrück) eine Werkstatt, die von 5 aufeinanderfolgenden Generationen bis etwa 1920 weitergeführt wurde. Die wichtigsten Mitglieder der Familie sind außer dem Gründer dessen Söhne Johann Philipp (1705-1776) und Johann Heinrich (1715-1788). Im 18. Jh. gehörten die S.s zu den bedeutendsten Orgelbauern in Südwestdeutschland. Von ihren insgesamt etwa 400 Orgeln sind die berühmtesten in Kirchheimbolandcn (1745; 3 Man., 37 Reg.) und Amorbach (1782; 3 Man., 46 Reg.) verändert erhalten; originalgetreu restauriert wurden u. a. die Orgeln in Rhaunen (1723 ; 1 Man., 13 Reg.), Oberlahnstein (1742; 2 Man., 21 Reg.) und Sulzbach (1746; 2 Man., 23 Reg.). Lit.: F. BÖSKEN, Die Orgelbauerfamilie S. aus Rhaunen-Sulzbach u. ihr Werk (Mz 1960, 2 1980;1 EPPELSHEIM, Die S.-Orgel der ehem. Abtei Amorbach, in: Mf 24 (1971); DERS., Stud. zum Orgelbau der Familie S. in Rhaunen-Sulzbach (Habil.-Schrift Mn 1972).
(La muette de Portici), Grote historische Oper in 5 Akten von D. Fr. E. Auber, Text von E. Scribe und Genmain Delavigne. Ort und Zeit der Handlung: Neapel und Portici bei Neapel, Sommer 1647. UA: 29.2. 1828 Paris (Opéra); dt. EA (in dt. Sprache): 16. 10. 1828 Rudolstadt. In dieser bedeutendsten seiner Opern setzte sich Auber mit einem revolutionären Stoff auseinander, der auf die historischen Ereignisse des neapolitanischen Fischeraufstands von 1647 zurückgeht. Bereits 1706 war mit R. Keisers Masagniello furioso erstmalig eine musikdramatische Version des Stoffes an die Öffentlichkeit gelangt. Erschien der
STUMME VON PORTICI, DIE
Führer der Aufständischen, Masaniello (d. i. Tommaso Aniello), in diesem älteren Werk noch als wahnsinniger Tyrann - was der Historie nahekommt -, so wurde er in Aubers Oper zwar zu einem Volkshelden und Befreier (deutliche Einflüsse von Schillers Wilhelm Tell, 1804), der zugleich aber auch auf Rache an Alfonso, dem Sohn des Vizekönigs, sinnt (Alfonso hatte Fenella, die stumme Schwester Masaniellos, verführt). Die revolutionäre Substanz des Stoffes ging trotz jener romantizistischen Abschwächung bei Auber nicht verloren: 1830 gab die Aufführung der Stummen in Brüssel das Signal zu dem Aufstand, der zur Loslösung der belgischen Provinz von den Niederlanden und zur Unabhängigkeit Belgiens führte. Für die Entwicklung der Grand Opéra bedeutete dieses Werk einen Kulminationspunkt. Ohne Vorbild war bis dahin die Stringenz der tragischen Entwicklung. Eingängige Melodien, die vom Charakter der italienischen Volksmusik geprägt sind, werden - sinntragend variiert - eingesetzt: so weitet sich die volksliedhafte Barcarole zum Kampflied, der friedliche Marktchor zur Musik der bedrohlichen Massenszene - erst M. Mussorgski schuf wieder Volkschöre von solcher dramatischen Gewalt. R. QUANDT
STUMPF, Friedrich Carl, * 21.4. 1848 Wiesentheid (Unterfranken), t 25. 12. 1936 Berlin; dt. Psychologe, Akustiker und Musikforscher. Er studierte in Würzburg und Göttingen, habilitierte sich dort 1870 in Philosophie, wurde 1873 Professor in Würzburg, 1879 in Prag, 1884 in Halle, 1889 in München und 1893 in Berlin, wo er im selben Jahr das Psychologische Institut und 1900 mit seinen Schülern O. Abraham und E. M. von Hornbostel das für die Entwicklung der ř Musikethnologie bedeutsame Phonogrammarchiv gründete. In seinem Hauptwerk Tonpsychologie (der Begriff stammt von ihm) formulierte S., anknüpfend an H. von Helmholtz' tonpsychologisch orientierte Lehre von den Tonvorstellungen, die erste systematisch entwickelte r Musikpsychologie. Zwar war seine elementaristische Theorie der Konkordanz und Diskordanz von Akkorden bald zu revidieren (u. a. durch F. Kruegers Konsonanztheorie von 1899), jedoch kann S. als Begründer der Vergleichenden Musikwissenschaft gelten. Schriften: Tonpsychologie, 2 Bde. (L 1883-90. Nachdr. Hilversum 1965); Musikpsychologie in England, in: VfMw 1 (1885); Lieder der Bellakula-Indianer, in: ebd. 2 (1886); Die pseudoaristotelischen Probleme über Musik, in: Abh.en der Preuß. Akad. der Wiss., Phil.-hist. Klasse 3 (B 1897) (auch separat); Gesch. des Konsonanzbegriffes 1, in: Abh.en der Bayer. Akad. der Wiss., Phil.Philol. Klasse 21 (Mn 1897) (auch separat); Die Anfänge der Musik (L 1911); Beitr. in Zusammenarbeit mit E. M. v. Hornbostel
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Sturm in: Sammel-Bde. für vergleichende Musikwiss. (Mn 1922-23); Die Sprachlaute ... nebst einem Anh. über Instrumentalklänge ( B 1926). — Er gab heraus: Beitr. z. Akustik u. Musikwiss., 9 Hefte (L 1898-1924), darin von ihm selbst: Konsonanz u. Dissonanz in: 1 (1898); Neueres über Tonverschmelzung in: 2 (1898); Differenztöne u. Konsonanz in: 4 (1906) u. 6 (1911); Beobachtungen über Kombinationstöne, in: 5 (1909); Konsonanz u. Konkordanz in: 6 (1911 )• Lit.: J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); H. HUSMANN, Verschmelzung u. Konsonanz (Den Manen C. S.$), in: DJbMw 1 (1957); H. BESSELER, Das musikal. Hören der Neuzeit (B 1959); A. WELLEK, Musikpsychologie u. Musikästhetik (F 1963, Bonn 2 1975).
STURM, DER, Oper in 3 Aufzügen von Frank Martin, Text von W. Shakespeare in der dt. Übersetzung von A. W. Schlegel. Ort der Handlung: die Zauberinsel des Prospero. UA: 17.6. 1956 Wien (Staatsoper). Das Zurücktreten des dramatischen Elements hinter die lyrisch-epische Grundhaltung des Werkes erlaubt dem Publikum - den Intentionen Shakespeares gemäß -, sich vom Geschehen auf der Bühne zu distanzieren. Martins einzige Oper ist durchkomponiert, doch sind innerhalb der einzelnen Auftritte unterschiedliche Handlungskonstellationen durch differenzierte Gewichtung von Harmonik, Melodik oder Rhythmik deutlich voneinander abgegrenzt. Durch Instrumentation und Stimmenregister sind die Personen charakterisiert. Am wenigsten konventionell ist die Rolle des Ariel angelegt: dieser wird von einem Tänzer dargestellt, der Gesangspart ist einem Chor zugewiesen, lautmalerische „luftige" Motive, vorgetragen von einem Kammerorchester, verdeutlichen sein Wesen. (In der Neufassung, UA: Genf 1967, ist Ariel, der größeren Textverständlichkeit wegen, als Sprechrolle angelegt.) Die Verknüpfung von tonartgebundener Akkordik bei kantabler Führung der Gesangsstimmen (die Partie des Caliban etwa ist mit Mitteln der Zwölftontechnik komponiert) gab Anlaß zu der Bezeichnung dieser Komposition als „Synthese Martinscher Ausdrucksformen". K. LANGROCK
STÜRZE l Schallbecher. STURZENEGGER, Richard, * 18. 12. 1905 Zürich, t 24. 10. 1976 Bern; Schweizer Violoncellist und Komponist. Er studierte am Zürcher Konservatorium, 1924-27 bei P. Casals und Nadia Boulanger an der École Normale in Paris und dann bei E. Toch und E. Feuermann in Berlin. 1929-35 war er Solovioloncellist der Dresdner Philharmonie, seit 1935 der Bernischen Musikgesellschaft und 1935-49 Mitglied des Berner Streichquartetts. 1954-63 leitete er eine Meisterklasse am Zürcher Konservatorium und war 1963-77 Direktor des 38
Berner Konservatoriums, an dem er bereits seit
1935 gelehrt hatte. Zu seinem 70. Geburtstag wurde S. mit einer Festschrift geehrt ( Variationen, hrsg. v. E. Hochuli, Be 1975). WW :1) Instr.-WW: Sonate (1934) für Vc. allein ; 3 Tänze (1932) u. Sonate (1950) für Vc. u. Klv. ; Streichtrio (1937); Klv:Trio (1964); 2 Streichquartette (1940 u. 1974). — Für Orch.: Triptychon (1951); Fresco für Streichorch. (1965); 4 Konzerte für Vc. (1933-74); Konzert 3 Gesänge Davids für V. u. Streichorch. (1963). — 2) Vokal-WW: 8 Texte Michelangelo Buonarrotis (nach R. M. Rilke) (1944) für Bar. u. Streichquartett; Omaggio (nach Torquato Tasso) (1945-48); Uelisbrunner Liturgie (1953) für Chor a cap. ; Cantico di San Francesco (1945) für Solostimmen, Chor, Harfe u. Streichorch.; Suite für Bar. u. Vc. (nach P. Verlaine) (1973); Passion nach den Evangelisten Lukas u. Johannes(1975) für 5 St. — 3) Buhnen-WW: Der Frauenschuh (1945), choreograph. Legende für Sopran, BaB, Harfe u. Streichquartett; Richardis (1949), Festspiel für Chor, Blasorch. u. Org. ; Oper Atalante (1968). Lit.: P. MIEG, R. S., in:40 Comp. Suisses; DMS (mit Werk-Verz.); R. S., Werk-Verz. (Z 1970); A. RUBEL!, R. S. Passion nach den Evangelisten Lukas u. Johannes, in: SMZ 116 (1976).
STUTSCHEWSKY, Joachim (Jehojachin), * 26. 1. (7. 2.) 1891 Romny (Ukraine), t 14. 11. 1982 Tel Aviv; israelischer Violoncellist und Komponist. Er studierte 1900-12 am Leipziger Konservatorium (J. Klengel). 1913/14 war er Solocellist in Jena, 1914-24 Solist, Ensemblespieler und Lehrer in Zürich und 1924-38 in Wien Mitglied des Wiener Streichquartetts. 1938 ging er nach Palästina und wirkte dort bis 1948 als Inspektor der Musik in der Kulturabteilung des jüdischen Nationalrates. Gelegentlich unternahm er in- und ausländische Konzertreisen. S. gehörte zu den Initiatoren einer auf der jüdischen Volksmusik basierenden eigenständigen nationalen Kunstmusik, die er auch in seinen eigenen Werken zu realisieren versuchte. WW: 1) Kompositionen: Three for Tlhree (1972) für 3 Vc.; Hassidic Fantasy(1972) für Klar., Vc. u. Klv.; symphonische Dichtung Safed (1964) für Orch.; Kammerkantate Jemama bašimša (Im Spiegel durch 24 Stunden) (1960) für Sprecher, Sopran, Tenor u. Instr. — 2) Schriften: Mein Weg zur jüdischen Musik (W 1935); Musical Folklore of Eastern Jewry(Tel Aviv 1959). — S. war Hrsg. von: Studien zu einer neuen Spieltechnik auf dem Violoncell, 3 Bde. (Mz 1927); Das Violoncellspiel. Etüden, 4 Bde. (Mz 1931). Lit.: J. S.'s Seventieth Anniversary Cat. of Works (Tel Aviv 1961).
STYLE BRISÉ (frz., = gebrochener Stil), ursprünglich Bz. für die bei Zupfinstrumenten (ins-
besondere Laute und Gitarre) „gebrochene" Ausführung eines Akkords als ř Arpeggio, dann auch für die kontinuierliche r Figuration von Akkordfolgen in bestimmten Satztypen der frz. Lautenmusik des 17. Jh. (z. B. bei D. Gaultier). Die Übertragung dieser Satztechnik auf Tasteninstrumente (u. a. durch L. Couperin, J. Champion de Chambonnières, J. H. d'Anglebert) wurde als „Style luthé" (z. B. bei Fr. Couperin), später als S. bezeichnet. Beispiele dafür finden sich nicht nur für
Suchoň Cembalo (so etwa das 1. Praeludium aus J. S. Bachs Wohltemperiertem Clavier I), sondern auch für Violine und für Violoncello (bei J. S. Bach z. B. das P)élude der 1. Cellosuite). Ein neueres Beispiel der Adaption des S. von der Gitarre aufs Klavier bildet der Satz Aragón aus der Suite espaňola (1886) von I. Albéniz, der dann in der Bearbeitung für Gitarre unter dem Titel Leyenda berühmt wurde. STYNE, Jule Kervin (eig. Julius Stein), * 31. 12. 1905 London ; amerik. Komponist und Pianist. Er trat schon früh als Konzertpianist mit den Symphonieorchestern von Chicago und Detroit auf, studierte seit 1914 am Chicago College of Music (Klavier, Komposition), seit 1927 an der Northwestern University und arbeitete später als Bandleader, Gesangslehrer und Arrangeur in Hollywood. Seit 1941 schrieb er Filmmusik, meist mit dem Texter Sammy Cahn (u. a. zu Three Coins in a Fountain, 1954), und 1944 das erste seiner 20 Bühnenmusicals, die teilweise verfilmt wurden. WW (Musicals): High Button Shoes, UA: New York 1947; Gentlemen Prefer Blondes, UA: ebd. 1949; Gypsy, UA: ebd. 1959; Funny Girl UA: ebd. 1964; Fade Out - Fade In, UA: ebd. 1964; Sugar, UA: ebd. 1972; Lorelei, UA: ebd. 1974. Lit.: D. EWEN, Popular American Composers (NY 1962), Suppl. (1972).
SUBBASS, Untersatz, bei der Orgel gedacktes Pedalregister in 32'- oder 16'-Lage. SUBDOMINANTE, Bz. der r Harmonielehre für die 4. Stufe einer Dur- oder Mollskala und den auf ihr errichteten Dreiklang; der Begriff S. (Unterdominante), der auf J.-Ph. Rameau zurückgeht, benennt sie als Quinte unter der r Tonika. Mit der Tonika und r Dominante bildet die S. die Hauptfunktionen einer Tonart (OE Kadenz). Gern an melodischen Höhepunkten eingesetzt, ist für die S. in der r Funktionsbezeichnung als S (Dur) bzw. s (Moll) abgekürzt - der „Klanggehalt" (W. Maler) charakteristisch:
am Konservatorium und Jura (1904 Staatsexamen, 1923 Dr. jur.) an der Universität und wandte sich 1917 endgültig und freischaffend der Musikwissenschaft zu. 1944 wurde er Sekretär, 1950 Direktor der Madrider Abteilung am neugegründeten Instituto Espaňol de Musicología in Madrid und 1953 Mitglied der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid (1954 deren Bibliothekar). S.s Hauptinteresse galt der t Tonadilla u. a. Bereichen der spanischen Musikgeschichte. Schriften: La tonadilla escénica, 3 Bde. (Ma 1928-30), ergänzt durch die selbständige Veröff. Tonadillas teatrales inéditas Libretos y partituras (Ma 1932); La opera en los teatros de Barcelona, 2 Bde. (Ba 1946, Nachdr. 1978); Catálogo musical de la Bibl. Naciona/ de Madrid 3 Bde. (Ba 1946-51) (zus. mit H. Anglés); Historia de la música (Ba 1950, revidiert 2 1965) (zus. mit H. Anglés); Historia de la música espaňola e hispano-americana (Ba 1943), di: Musikgesch. v. Spanien, Portugal Lateinamerika, übers. v. A.-E. Cherbuliez (Z 1957); Catálogo de la Se'xión de música de la Bibliotcca Municipal de Madrid, bisher Bd. 1: Teatro menor. Tonadillas y sainetes (Ma 1965); Un panorama histórico de lexicografía musical, in: Anuario Mus. 25 (1970); Temas musicales madrileňas (Ma 1971) ( = Bibl. de estudios madrileňos 12); F Pedrell y el teatro musical espaňol, in: Anuario Mus. 27 (1972). - S. gab heraus die Slg. La tonadilla escénica (Tonadillas aus der 2. Hälfte des 18. Jh., mit 24 H., ein Werk je H., abgeschlossen) (Ma 1970-73). Lit.: Anuario Mus. 16 (1963) (S. gewidmet, mit ausführlicher Bibliogr.); J. M. LLORENS, Necrologia, in: ebd. 23/25 (1978/80).
SUBJEKT (von lat. subiectum = das Zugrunde-
liegende; engl.: subject; frz.: sujet; it.: soggetto; span.: sujeto). - 1) In der Kontrapunktlehre des 16. Jh. ist S. synonym mit r Soggetto als Bz. für eine Tonfolge, die einem polyphonen Tonsatz als Gerüststimme (r Cantus firmus, r Tenor) dient. 2) In der t Fuge und ihren frühen Nebenformen (r Ricercar, r Kanzone, /Capriccio, t Tiento u. a.) hat der Begriff S. die Bedeutung eines Themas. Entsprechend wird eine Gegenstimme von thematischer Bedeutung r Kontrasubjekt genannt. - 3) Im 18./19. Jh. bezeichnet man mit S. allgemein den Hauptgedanken einer Komposition. SUBSEMITONIUM MODI (lat., = Unterhalbton der Tonart), in der Musiktheorie des 15. bis 18. Jh. Bz. für den als Leitton zur Finalis strebenden Halbton. SUCCENTOR (lat., = Nachsänger), im Mittelalter Bz. für den Vertreter des t Praecentors.
Subdominantische t Funktion erhält jeder Duroder Molldreiklang durch die hinzugefügte große Sexte (r Sixte ajoutée, z. B. g h d ç = S von D-Dur). SUBIRA PUIG, José (Pseudonym Jesús A. Ribó), * 20.8. 1882 Barcelona, t 6. 1. 1980 Madrid; span. Musikforscher. Er studierte Musik bei E. Serrano
SUCHOŇ, Eugen, * 25.9. 1908 Pezinok; slowakischer Komponist. Er studierte in PreBburg und 1931-33 bei V. Novák am Prager Konservatorium. Anschließend lehrte er in Preßburg an der Musikakademie, seit 1948 an der pädagogischen Fakultät der Universität, 1954-60 an der Pädagogischen Hochschule und 1959-74 als Professor für Musiktheorie an der Universität. S. ist ein bedeutender 39
Suder Vertreter einer national inspirierten slowakischen Musik. Seine Werke der letzten Dezennien zeigen die zunehmende Verwendung dodekaphoner Techniken. WW: 1) lnstr: WW: Klv.-Musik; Klv.-Quartett (1933); Streichquartett (1931); Baladická suita (Baladeske Suite) (1935); Serenade (1932/33) für Streichorch., für Bläserquintett (1956); Ouvertüre zum Drama Král' Svätopluk (König Svätopluk) (1935). — Rapsodická suita für Klv. u. Orch. (1965); Fantasie u. Burleske (1933-48) für V. u. Orch. (1956); Metamorfózy(1935) für Orch.; Symphonische Phantasie BACH für Org., Streicher u. Schlagzeug (1972). — 2) Vokal-WW: Melodram Kontemplation (1964) für Sprecher u. Klv.; O horách (Von den Bergen) (19342) für Männerchor; Žalm zeme Podkarpatskej (Psalm des Karpatenlandes) (1938) für Tenor, gem. Chor u. Orch.; Piesne z hór (Lieder aus den Bergen) (1943) für Sopran, Tenor u. Orch. — Zahlr. Lieder. — Oper Krútňava (Der Seelenwirbel, auch Katrena), UA: Preöburg 1949, Klv.-Auszug (1952). — Filmmusik. — Ferner mehrere musiktheoret. Schriften. Lit.: O. DONOVALOVÁ, Charakteristika postáv v Suchoňovej opere Krútňava', in: Hudobnovedné štúdie 5 (1961) (mit dt. u. russ. Zusammenfassung); L. BURLAS, Jednota a vývoi v diele E. Suchoňa, in: Musicologica slovaca 1 (1969) (mit dt. Zusammenfassung); E. Hmms, Zur Oper „Krútňava", in: Opus musicum 4 (1972).
SUDER, Joseph, * 12. 12. 1892 Mainz, t 13.9. 1980 München; dt. Komponist und Dirigent. Er studierte 1912-14 (Komposition bei Fr. Klose, Musikwissenschaft bei Th. Kroyer u. A. Sandberger) in München. Dort war er 1923-60 als Schulmusiker tätig, leitete 1925-28 den Orchesterverein, lehrte 1929-34 an der Volkshochschule und seit 1951 am Polytechnikum. WW: Klv.-Sonate (1918); 2 Sonaten (1919, 1949) für V. u. Klv.; 3 Streichquartette (1919, 1939, 1967); Klv.-Quartett (1936); Kammersymphonie (1924); Sarabande u. Fuge (1942) für 6 Blechbläser. — Symphonische Musik (Nr. 1, 1942; Nr. 2, 1963) für Orch.; Klv.-Konzert (1923-58). — Etwa 50 Klv.-Lieder; Chöre; Messe Dona nobis pacaem (1947) für gem. Chor a cap. — Monodram Urlicht, op. 36 (1941); Oper Kleider machen Leute (Libr. v. S. nach G. Keller), UA: Coburg 1964. — Schrift Entwicklungsmöglichkeiten des Sonatensatzes (Mn 1952). Lit.: K. R. DANLER, Musik in München (Mn 1971).
SUISA, Abk. von Suisse Auteurs, die Schweizerische Gesellschaft für die Rechte der Urheber musikalischer Werke. Sie ist Mitglied der Internationalen Vereinigungen der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften OECISAC und BIEM. SUITE (frz., = Folge), im allgemeinen Sinne eine Folge von selbständigen Instrumentalsätzen, die
als geschlossen aufzuführendes Ganzes konzipiert ist. Aus formtheoretischer Sicht ist die S. der Prototyp einer „lockeren" zyklischen Form, deren Teile - von Ausnahmen abgesehen - weniger direkt aufeinander bezogen sind als etwa die Sätze einer Sonate oder einer Symphonie. Dementsprechend ist das Formprinzip der S. in bezug auf die Anzahl 40
und Funktion der Teile generell nicht auf eine Norm festzulegen, wenn sich auch im Laufe der Entwicklung innerhalb gewisser zeitlicher und
räumlicher Grenzen formale Konventionen bildeten. Die S. hat ihren Ursprung im Tanz und ist zugleich wesentlicher Ausgangspunkt einer eigenständigen Instrumentalmusik. Der lockeren, in der Frühzeit oft mit improvisatorischer Variation verbundenen Struktur entspricht der grundsätzlich heitere und unterhaltende Ausdruckscharakter der S.n-Kompositionen. Zur Terminologie. Die Bildung komplexer, abwechslungsreicher Tanzzyklen durch Aneinanderreihung verschiedenartiger Einzeltänze ist seit dem 15. Jh. in Theorie und Praxis belegt, jedoch blieben sowohl das Prinzip als auch der daraus hervorgehende Formtyp lange Zeit ohne genaue begriffliche Bestimmung. Noch im 17. Jh., als mehrsätzige Tanzfolgen längst zum vertrauten Repertoire gehörten, war es in Ermangelung eines verbindlichen Oberbegriffs üblich, den Formverbund durch Aufzählung aller Einzeltänze umständlich zu umschreiben, z. B. bei I. Posch: Allerley Neuer Paduanen und Gagliarden ... Deßgleichen Intraden und Couranten (1621). Im Verlaufe der Entwicklung bildeten sich für solche Tanzzyklen in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Bezeichnungen: Balletto, Ritornell, Partita, Partie, Sonata da camera, Lesson, Sett, Ordre und Ouverture. Der Terminus S. taucht schon früh auf, meint aber zu-
nächst einfach eine „Folge gleichartiger Tanztypen" (so die suytte de branles bei E. Du Tertre, 1557), später auch „die einer Einleitung folgenden Sätze" (so noch J. G. Walther 1723 bei der Erklärung der Ouverture, die „gleichsam die Thür zu den Suiten oder folgenden Sachen aufschließt" ). Erst seit dem 18. Jh. ist der Ausdruck S. im Sinne der Definition allgemein gebräuchlich. Vor- und Frühformen der Suite. Als Ausgangspunkt der S. gilt die in der europäischen Tanzmusik des MA weitverbreitete Praxis der Kombination zweier gegensätzlicher Tanztypen zu einer 2teiligen Kontrastform: auf einen geraden Schreittanz folgt ein ungeradtaktiger Springtanz, der meist durch „Reduktion" der 4 Zählzeiten des geschrittenen Tanzes auf 3 improvisiert wurde. Im deutschen Sprachbereich nannte man das Kontrastpaar Dantz - Nachdantz bzw. Proportz oder Hoftanz - Hoppertanz bzw. Hupfauf, in Italien Pavane bzw. Passamezzo - Saltarello, in Frankreich Basse danse - Pas de Brabant oder Tourdion, in England Pavan - Galliard. Ein erster schriftlicher Nachweis findet sich in einer it. Hs. aus dem 14. Jh. (BrM, Add. 29987) mit 2 Estampien (La Manfredina und Lamento di Tristano), denen je-
Suite
weils eine Rotta als variierter Nachtanz folgt. Die improvisatorische Praxis solcher Zweiergruppen reicht jedoch mit Sicherheit weiter zurück. Aus dem 15. Jh. kennt man Belege einer Ausweitung des Variationsprinzips zu 3- oder 4teiligen Tanzzyklen. Domenico da Piacenza lehrt in seinem Traktat De la arte di ballare ed danzare (1416) eine Grundmelodie (tenore) auf 4 verschiedene Arten zu rhythmisieren und daraus einen Tanzzyklus zu bilden. Die frühen Musikdrucke zu Beginn des 16. Jh. spiegeln solche Praxis in ausgearbeiteten Sätzen wider: O. Petruccis Lautentabulaturen von 1507/08 enthalten im 4. Buch mehrere Pavanen mit „ihrem" Saltarello und „ihrer" Piva; ein frz. Pendant sind die 1530 bei P. Attaingnant veröffentlichten 18 Basses-danses garnies de recoupes et tordions.
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wachsenden Bedeutung der Instrumentalmusik nach 1600 erhalten auch die Tanzformen ein größeres Gewicht: neben die Gebrauchsmusik tritt die Darbietung als Selbstzweck, das kompositorische Element drängt das Improvisatorische zurück. In den Jahren zwischen 1709 und 1721 zeigt sich in Deutschland nicht nur eine ungewöhnliche Produktivität im Bereich der Tanzkompositionen für Instrumentalensemble, es erfolgt darüber hinaus ein bedeutsamer Schritt in Richtung auf eine Stabilisierung der Form. Der Titel zu P. Peuerls Sammelwerk Newe Padouan, Intrada, Däntz unnd Galliarda (1611) ist nicht nur Inhaltsangabe, sondern zeigt eine verbindliche Folge von 4 Tänzen an, die miteinander durch gleiche Tonart und melodische Substanzgemeinschaft verknüpft sind. Noch weiter in der satztechnischen Ausarbeitung dieses Typus der Variationen-S. geht J. H. Schein in seinem Banchetto musicale (1617), wo er im Vorwort darauf hinweist, daß die 20 Zyklen in der gleichbleibenden Reihenfolge Padouana, Gagliarda, Courente, Allemande und Tripla ( = Nachtanz) „in tono und inventione einander fein respondieren." Padouane
VAZ Gagliarda
~~ ~~~~ ~~ a_ /T~~'~
Courente
Tourdion
J Allemande
1
~ rrr r
Tripla
P. Attaingnant, Basse danse La Brosse und Nachtänze
In allen angeführten Beispielen ist die Zyklenbildung eng mit dem Variationsprinzip verknüpft. Daneben wandte man auch ein gleichsam gegensätzliches Verfahren an: die Zusammenstellung eines Zyklus durch Auswahl von Tänzen aus einem Repertoire. Als Fundus dienten dafür diejenigen Sammelwerke, in denen sich die Tänze systematisch nach Typen geordnet vorfanden. Th. Arbeau gibt in seiner Orchésographie (1589) Empfehlungen für die Anordnung solcher Folgen. Die derart aus vorgegebenem Material arrangierten Tanzfolgen hatten keine gemeinsame melodischharmonische Substanz, doch achtete man bei der Zusammenstellung auf die tonartliche Einheit der Sätze einer Folge, ein Merkmal, das für die S. bis ins 18. Jh. verbindlich blieb. Die Suite im 17. und 18. Jahrhundert. Mit der
J. H. Schein, Incipits der 10. Tanzfolge aus dem Banchetto musicale
Die Variationen-S. war jedoch nicht das Ziel, sondern nur eine, wenn auch bedeutsame Durchgangsphase in der Geschichte der Gattung. In der Folgezeit ist weniger das Streben nach motivischer Einheitlichkeit als vielmehr die Tendenz zur Normierung der Satzfolge festzustellen, wobei das Kontrastpaar Schreittanz-Springtanz die Ausgangsbasis darstellt. Das zu Anfang des 17. Jh. häufig verwendete Kernstück Paduane-Galliarde, zu dem die Courante und meist noch 1 bis 2 weitere Tänze (Allemande, Intrade, Ballett oder Volte) hinzutraten, wurde bald abgelöst von der Dreiergruppe Allemande-Courante-Sarabande (so bei W. Lawes, um 1620; Fr. de Chancy, 1629; A. M. Bartolotti, 1640; J. Rosenmüller, 1645, und ande41
Suite ren). Durch Einbeziehen der aus England stammenden t Gigue (Jig) - bei J. J. Froberger zunächst an zweiter Stelle, bald aber als lebhafter Abschluß - formierte sich von der Mitte des 17. Jh. an ein fester 4sätziger Grundbestand: Allemande-Courante-Sarabande-Gigue, bestehend aus dem doppelten Bewegungskontrast: gemessen-lebhaft und langsam-schnell. Durch Voranstellung einer gewichtigen Introduktion (Sinfonia, Sonata, Praeludium) und „Einmischung" von „Galanterien", wie man die lockeren frz. Tanzformen damals nannte, konnte dieser Formkern nach Belieben erweitert werden. In dieser bei aller Stabilität doch flexiblen Anordnung gewann die S., zumindest in der deutschen Klaviermusik, die Bedeutung eines Formtypus. Wichtige Beiträge dazu schufen - außer Froberger - J. A. Reincken, D. Buxtehude, G. Böhm, J. Kuhnau, J. Krieger. In Italien führte eine entsprechende Entwicklung in der Kammermusik für Streicher zur Sonata da camera mit einem „Preludio" und einer nicht normierten Folge von 3 weiteren Sätzen (Allemanda, Corrente, Giga oder auch Gavotta, Sarabanda und freie Formen). Neben A. Corelli, dem führenden Vertreter dieses Kompositionsstils, sind zu nennen Fr. A. Bonporti, A. Caldara, E. F. Dall'Abaco und A. Vivaldi. Die frz. S.n-Komponisten des 17. Jh. (J. Champion de Chambonnières, J.-Fr. d'Andrieu, L. Couperin, N. A. Lebègue) zeigen stärkeres Interesse an der rhythmischen Profilierung der Tanztypen oder an der phantasievollen Ausgestaltung des Einzelsatzes als an der Festlegung der Gesamtform. Sie kennen keine Begrenzung der Satzzahl und reichern ihre Suites de pieces mit weiteren Tänzen aus dem Ballettrepertoire (Bourrée, Menuet, Rigaudon, Chaconne u. a.), aber auch mit freien Stücken (Air, Plainte) an. Darüber hinaus suchen sie die traditionellen Tänze im Ausdruck zu differenzieren (Allemande gay, Courante grave oder tendre). Das mit der S. verschwisterte Variationsprinzip gewinnt mit den „Doubles" (variierten Wiederholungen) wieder neue Bedeutung, oft sind die Tänze in Form eines Rondeau angelegt. Unmittelbarer hat Frankreich die Gattung der Orchester-S. beeinflußt, nicht so sehr durch originäre Beiträge als durch die aus Balletten oder Opern zusammengestellten Tanzfolgen, vor allem aus den Theatermusiken J.-B. Lullys (Suite des symphonies des vieux ballets de M. de Lully ...). Den zu einem bunten Strauß geordneten Tanzstücken wurde als „point d'attraction" eine pompöse r Ouvertüre (im frz. Stil) vorangestellt. Die effektvolle Form wurde hauptsächlich in Deutschland interessiert aufgegriffen und zu einer eigenen Gattung entwickelt. Wie J. C. Horn in seinem Parergon musicum 42
(1664) beziehen sich etliche andere Komponisten
im Titel ihrer als Ouverturen bezeichneten S.n ausdrücklich auf den frz. Stil (J. S. Kusser, Ph. H. Erlebach, G. Muffat, J. C. F. Fischer). Im 18. Jh. beschleunigt sich der in der Geschichte der S. stetig zu beobachtende Prozeß der Wendung von einer Begleitmusik zu Tanz oder Tafel zur eigenwertigen Kunstform. Er führt in der frz. Klaviermusik zu den Ordres von Fr. Couperin. Hier treten die Tanzformen immer mehr zurück hinter ausgedehnte Folgen von Charakterstücken mit bildhaften, humoristischen, manchmal schwer zu deutenden Überschriften. Die für den Tanz wesensbestimmende symmetrische und klar konturierte Struktur löst sich hier auf in Klang, Kolorit und Ornamentik. In bezug auf die Gesamtstruktur gehen Couperins Ordres auf ein früheres Stadium der Entwicklung zurück: sie sind eher Sammlungen als Zyklen. Im Gegensatz dazu kann man im S.n-Werk J. S. Bachs die Vollendung der S. sehen. Wie bei anderen Formen hat es Bach auch hier unternommen, die Möglichkeiten des Typus systematisch zu ergründen, und hat Grundlegendes geschaffen. Ausgehend von den 4 traditionellen Stammsätzen, hat er in mehreren Werkserien Modelle für eine zyklische Struktur der S. aufgestellt. Die 6 Französischen S.n sind die „Norm". Allemande-Courante-Sarabande-Gigue, wobei vor dem letzten Satz nach damaligem Brauch jeweils eine der „freien" Formen („Menuetten, Bourréen und andere Galanterien") eingeschoben ist. Den 6 S.n für Violoncello wie den 6 Englischen S.n ist zusätzlich ein Prélude vorangestellt, bei den 6 Partiten aus der Clavier Übung wechseln als Einleitungssätze Praeludium, Sinfonia, Fantasia, Ouverture, Praeambulum und Toccata, und bei den 3 Partiten für Violine solo ist jeder Zyklus nach einem individuellen Prinzip angelegt. Darüber hinaus hat Bach auch in der Gestaltung der Einzelsätze durch satztechnische Meisterschaft und harmonische Phantasie Maßstäbe gesetzt. In seinem Schaffen kommen - mit Ausnahme der Improvisation - sämtliche geschichtlich wirksam gewordenen Wesenszüge der S. in vertiefter Weise zur Geltung: die Lockerheit der Form in der flexiblen zyklischen Anlage, das variative Element in subtilen motivischen Beziehungen und durch Double-Varianten, der Unterhaltungswert der Gattung, der hier wörtlich zur „Gemüths-Ergoezung" dienen soll, aber auch it. Kantabilität und frz. Verzierungskunst. Weniger exemplarisch, aber ebenso bedeutsam sind einige weitere Einzelwerke, dazu zählen auch die 4 Orchester-Ouvertüren. Kennzeichnend für Bachs Formdenken ist auch die Übertragung des
Suite S.n-Prinzips auf andere Gattungen (Kantate BWV 194; 1. Brandenburgisches Konzert, BWV 1046). Verbindet sich bei Bach mit der S. die Vorstellung von Ernst und Würde, so bei G. Ph. Telemann die von Anmut und Heiterkeit. Seine S.n in kammermusikalischer und Orchester-Besetzung verwerten deutlich frz. Anregungen. Sie enthalten neben den Tänzen zahlreiche originelle Charakterstücke, die manchmal zu - meist komischen - Programm-S.n zusammengefaßt sind (Burlesque de Quixotte, La bourse, Wasser-Ouverture). Telemanns Ouverture pour ... Louis VIII ... d'Hessen-Darmstatt von 1765 ist eine der letzten Kompositionen der Gattung überhaupt. Die Suite nach 1750. Mit den großen Komponisten des Spätbarock (zu denen auch J.-Ph. Rameau und G. Fr. Händel mit individuellen S.n-Beiträgen zu zählen sind) und vielen gediegenen Meistern mittleren Ranges (J. Chr. Graupner, J. Fr. Fasch, J. D. Zelenka u. a.) schließt die Geschichte der S. im Sinne einer aus Tanzformen zusammengesetzten, geistvoll unterhaltenden Darbietungsmusik ab. Ihre Funktion wird von der 2. Hälfte des 18. Jh. an von der Gattung der Divertimenti, Serenaden und Kassationen übernommen. An deren Abstammung von der S. erinnern die Vielzahl der Sätze und die häufig über die allgemeine Norm hinausgehende Verwendung von Tanzformen (mehrere Menuette, Polonaise, Marsch u. a.). Die alte Bz. Partita überdauert in der Bedeutung „Divertimento für Bläserbesetzung" (OE Harmoniemusik), so etwa in W. A. Mozarts Gran Partita KV 361 für 13 Instrumente oder L. van Beethovens Parthia (Oktett) op. 103. In bezug auf die Gesamtform dominieren hier jedoch Gestaltungsprinzipien des Sonatenzyklus (mit Sonatensatz, Variationen, Liedforn, Rondo usw.). Von nun an verbinden sich mit jeder Neukomposition des älteren S.nModells historisierende Assoziationen zur Musik der Vergangenheit. Dies gilt für Mozarts Klavier-S. im Händel-Stil (KV 399) ebenso wie für E. Griegs Zyklus Aus Holbergs Zeit, op. 40; für Fr. Lachners Suiten (im alten Stil) genauso wie für M. Ravels Tombeau de Couperin. Selbst A. Schönbergs in Zwölftontechnik geschriebene S.n op. 25 und op. 29 sind in der Neuformulierung historischer Modelle ein Sinnbild für den Zusammenhang mit der Tradition. Dennoch bleibt auch nach 1750 das allgemeine Prinzip der S., das als lockere Reihungsform vor allem dem kompositorischen Denken des 19. Jh. entgegenkommt, in 3 Typen, die unterschiedliche Aspekte der Gattung hervorheben, erhalten. In der ersten Kategorie wird das Element des Tänzerischen fortgeführt, etwa in den vielen Serien von
Gebrauchstänzen (Menuette, Deutsche Tänze, Ländler) der Wiener Klassiker, die durch eine Coda formal zusammengefaßt und abgerundet werden. Eine Ausarbeitung dieses Prinzips findet sich später in den Wiener-Walzer-Zyklen (sog. Walzerketten) mit Introduktion und Coda von J. Lanner, J. Strauß Vater und Sohn u. a. Neben den vielen nicht zum zyklischen Vortrag bestimmten Tanzsammlungen des 19. Jh. (Walzer, Mazurkas) trifft man vereinzelt auf zusammengehörige Folgen (R. Schumann, Davidsbündlertänze). Mit zunehmender Bedeutung nationaler Stilformen tritt die Tanz-S. als Begriff wie als Form wieder in den Vordergrund (A. Dvořák, Grieg, E. Granados). In einer anderen Gruppe von S.n sind Instrumentalsätze aus Bühnenwerken zwecks konzertanter Wiedergabe zu Zyklen zusammengefaßt, wobei die Musik aus der Abhängigkeit von Ballett oder Drama in die Selbständigkeit entlassen wird (u. a. bei : Fr. Schubert, Rosamunde; G. Bizet, L'Arlésienne; Grieg, Peer Gynt; L. Delibes, Coppélia; P. Tschaikowsky, Der Nußknacker). Schließlich bildet das 19. Jh. die bei den frz. Clavecinisten schon vorgeprägte Programm-S. zum besonderen Typus aus. Hier sind Charakterstücke als „Szenen" oder „Bilder" unter einem übergreifenden poetischen oder realistischea Titel zusammengeschlossen. Ein wichtiger Ausgangspunkt für dieses Genre, das nicht immer ausdrücklich als S. bezeichnet ist, ist die Klaviermusik Schumanns (Carnaval; Kinderszenen; Kreisleriana u. a.). Die hier zum Ausdruck kommende „tondichterische" Haltung wird von späteren Komponisten aufgenommen. Bevorzugte Themenbereiche sind, neben Motiven aus Dichtung und bildender Kunst, Folklore und Exotik (J. Raff, Italienische Suite; C. Saint-Saëns, Suite algérienne; J. Massenet, Scenes de féeries; M. Mussorgski, Bilder einer Ausstellung; N. Rimski-Korsakow, Scheherazade; M. Reger, Böcklin-Suite). Für die seit Mitte des 19. Jh. zunehmenden Bestrebungen der „Neyerer", sich von dem als lastendes Erbe empfundènen Formenkanon der klassischen Sonate und Symphonie freizumachen, bot das freizügige Gestaltungsprinzip der S. ein geeignetes Mittel. Dem im 19. Jh. eingeleiteten Prozeß einer Aufspaltung des S.n-Begriffs in Typen unterschiedlicher Beschaffenheit und Bestimmung folgt im 20. Jh. die Auflösung des Formtypus. Zwar bestehen die Genres des 19. Jh. zunächst weiter: die S. von Tanzformen (B. Bartók, Z. Kodály, P. Hindemith), die Programm-S. (O. Respighi, D. Milhaud, S. Prokofjew, H. Eisler) und dazu die kaum überschaubare Zahl der aus Balletten, Opern oder Filmen zusammengestellten Zyklen. Es gibt auch An43
Suitner sätze, mittels Austauschs der alten durch moderne Tänze eine zeitgemäße S. zu schaffen: im Bereich des Jazz (Duke Ellington) oder des Gesellschaftstanzes (E. Künneke), in der Kammermusik meist mit parodistischem Unterton (I. Strawinsky, P. Hindemith). Ein charakteristischer neuer Typus der S. hat sich dadurch aber nicht ausgebildet. In den mehrsätzigen Formen der „Neuen Musik", die teils mit assoziationsreichen Überschriften (Incantations, Portraits, Metamorphosen u. ä.), teils in nüchterner Abstraktion als „Musik" oder „Stücke" bezeichnet sind, läßt sich das Prinzip der S. nur noch als Reduktion auf seinen allgemeinen Kern erkennen. So löst sich hier, ähnlich wie in den Anfängen der Gattung, das Besondere der S.n-Form im übergeordneten Gestaltungsprinzip der Reihungsform auf. Lit.: E. NOACK, Ein Beitr. z. Gesch. der älteren dt. S., in: AfMw 2 (1920); K. NEF, Gesch. der Sinfonie u. S. (L 1921); F. BLUME, Stud. z. Vorgesch. der Orchestersuite im 15. u. 16. Jh. (L 1925, Nachdr. 1973); H. BESSELER, Beitr. z. Stilgesch. der dt. S. im 17. Jh. (Diss. Fr 1923); G. OBERST, Engl. Orchestersuiten um 1600 (Diss. B 1928, Wb 1929); R. MÜNNICH, Die S. (B 1934, Nachdr. Wb 1958) (— Musikal. Formen in hist. Reihen o. Nr.); J. DIECKMANN, Die in dt. Lautentabulatur überlieferten Tänze des 16. Jh. (Kas 1931); E. EPSTEIN, Der frz. EinlluB auf die dt. Klaviersuite im 17. Jh. (Wü 1940); D. L HEARTS, Instrumental Music and the Dance in the French Renaissance (1957) (— Diss. Harvard Univ.); F. BLUME — H. HICKMANN — D. HEARTS — H. KÜMMERLING, S., in: MGG XII; H. BECK, Die S. (Kö 1964) ( — Das Musikwerk 26); D. HEARTS, Hoftanz and Basse Dance, in: JAMS 19 (1966); L SCHRADE, Die hsl. Überlieferung der ältesten Instrumentalmusik (Tutzing 1968); J. JOHNSON, The English Fantasia-suite ca. 1620-1660 (1971) (— Diss. Univ. of California, Berkeley); J. WEBSTER, Towards a History of Viennese Chamber Music in the Early Classical Period, in: JAMS 27 (1974); M. PARKER, Some Speculations on the French Keyboard Suites of the Seventeenth and Early Eighteenth Centuries, in: IRASM 7 (1976); D. FULLER, S., in: Grove. XVIII. E PLATEN
SUI TNER, Otmar, * 16.5. 1922 Innsbruck ; östr. Dirigent. Er studierte 1941-43 Klavier und Dirigieren (Cl. Krauss) am Salzburger Mozarteum, war anschließend bis 1945 Kapellmeister in Innsbruck, 1952-57 Städtischer Musikdirektor in Remscheid und 1957-60 GMD beim Pfalzorchester in Ludwigshafen. 1960-64 leitete er als GMD die Staatskapelle und die Staatsoper in Dresden. 1964-71 war und seit 1974 ist S. GMD und Chef der Deutschen Staatsoper Berlin. Gleichzeitig leitet er eine Dirigentenklasse an der Musikhochschule in Wien. 1964-67 dirigierte er bei den Bayreuther Festspielen, wirkte als Gastdirigent häufig auch im Ausland und ist ein international renommierter Mozart-, Wagner- und Strauss-Interpret. In Berlin dirigierte er die UA von P. Dessaus Opern Puntila (1966) und Einstein (1974). SUK, Josef, * 4. 1. 1874 Křečovice, t 29.5. 1935 44
Benešov bei Prag; tschechischer Violinist und Komponist. Er studierte seit 1885 am Prager Konservatorium und seit 1891 bei A. Dvořák, dessen Tochter Ottilie (t 1905) er 1898 heiratete. Mit Studienkollegen gründete er 1892 das Böhmische Streichquartett und war dessen 2. Violinist. 1922 wurde S. Kompositionslehrer am Konservatorium in Prag und 1930 dessen Leiter. WW: Klv.-Quartett a-moll (1891); Klv.-Quintett g-moll (1893); Streichquartette B-Dur (1896) u. Des-Dur (1911). — Für Orch.: Symphonien E-Dur (1897) u. c-moll Asrael (1906); Fantastické scherzo (1905); symphonische Dichtungen: Praga (1904); Pohádka léta (Ein Sommermärchen) (1909); Zráni (Das Reifen) (1914); Legenda o mrtvých vítézích (Legende v. den toten Siegern) (1919); Fantasie für V. u. Orch. (1902). — Kňečvvická mše (Messe v. Kfečovice) (1888) für Soli, Chor, Str., Org. u. Pk.
Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen tschechischen Komponisten wie L. Janáček und V. Novák hat S. sich kaum von der nationalen Folklore inspirieren lassen. Einflüsse nahm er vor allem von Dvořák, aber auch von R. Strauss und den französischen Impressionisten auf. Insgesamt verfolgte er aber einen sehr eigenwilligen Weg von lyrischromantischer zu komplexer polyrhythmischer und polytonaler Schreibweise. Seine Werke berühren oft die großen Fragen des menschlichen Lebens. Lit.: O. ŠOUREK, J. S. (Pr 1954); R. BUDIŠ, J. S. Výbčrová bibliografie (Pr 1965); Z. SÁDECKÝ, Lyrismus v tvorbě J. S. (Pr 1966); J. BERKOVEC, J. S. (Pr 1969); V. ŠTĚDRON, J. S. a Jeho žák, in: Opus musicum 4 (1972); J. TYRRELL, S., in: Grove• XVIII.
ŠULEK, Stjepan, * 5.8. 1914 Zagreb; kroatischer Komponist, Dirigent und Violinist. Er studierte Violine und Komposition an der Musikakademie in Zagreb, wo er 1945 Lehrer und 1947 Professor für Komposition wurde. Außerdem leitete er 1958-62 das Kammerorchester von Radio Zagreb. Seine Kompositionen verbinden neobarocke Polyphonie, klassische Formenstrenge und romantische Expressivität. WW: 6 Symphonien (1944; Eroica, 1946; 1948; 1954; 1963; 1966); 4 Klv.-Konzerte (1949, 1951, 1963, 1970); Konzerte für: Vc. (1950); v. (1951, 1959); Fag. (1958); Va. (1959); Konzert für Klar. u. Kammerorch. (1967); 3 Orch.-Konzerte. — Opern Coriolan (nach W. Shakespeare), UA: Zagreb 1958; Oluja, UA: ebd. 1969. Lit.: K. ŠIPUŠ, S. Š. (Zagreb 1961).
SULLA TASTIERA, sul tasto (it.), ,flautato. SULLIVAN, Sir Arthur Seymour, * 13.5. 1842 London, t 22. 11. 1900 ebd.; engl. Komponist. S. studierte in London und Leipzig und wurde 1866 Kompositionslehrer an der Royal Academy of Music in London und war 1876-81 Direktor der National Training School for Music. S. arbeitete seit 1871 mit dem Librettisten William Schwenck Gilbert (* 18. 11. 1836 London, t 29.5. 1911 Har-
Sulzer row Weald/Middlesex) zusammen. Bereits ihr zweites gemeinsames Werk, die Operette Trial by Jury (1875), hatte einen überragenden Erfolg, und seit 1878, nach H. M. S. Pinafore, war das Team „Gilbert and S." eine Art Markenzeichen auf dem Gebiet der englischen Operette. Höhepunkt ihres Schaffens ,war der Mikado (1885). Später ließen die Erfolge S.s, der seit 1889 zeitweilig auch Libretti anderer Autoren vertonte, nach. WW: Kammermusik u. Orch.-Werke; zahlr. Lieder; Oratorien u. geistl. Gesänge. - Operetten (außer den genannten; Libr., wenn nichts anderes angegeben, v. Gilbert): Thespis, UA: London 1871; The Sorcerer, UA: ebd. 1877; The Pirates of Penzance, UA: Paignton 1879; Patience, UA: London 1881; Princess Ida, UA: ebd. 1844; Ruddigore, UA: ebd. 1887; Ivanhoe (Libr.: J. Surgis), UA: ebd. 1891; Utopia Limited, UA: ebd. 1893; The Grand Duke, UA: ebd. 1896; The BeautyStone (Libr.: A. W. Pinero), UA: ebd. 1898; The Rose of Persia (Libr.: ß. Hood), UA: ebd. 1399; The Emerald Isle (Libr.: ders.), UA: ebd. 1901.
S. zählt zu den populärsten englischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Seine in Zusammenarbeit mit Gilbert entstandenen Operetten werden noch heute in England und in den USA aufgeführt. Sie repräsentieren eine spezifisch englische Stilrichtung der Operette. Gilberts Libretti behandeln exotische und aktuelle Themen. Sie boten S. nicht nur ein meisterhaftes formales Gerast, sie inspirierten ihn auch zu seinen besten musikalischen Einfällen. Farbige Instrumentation und unkonventionelle Rhythmisierung der Gesangsmelodien sind für diese Musik ebenso charakteristisch wie ihre einfache Harmonik. Daß sich die Werke von Gilbert und S. auf dem europäischen Festland niemals recht durchsetzen konnten, hat seinen Grund einerseits in der großen stilistischen Eigenständigkeit von Libretto und Musik, andererseits in den über große Passagen hinweg unübersetzbaren Versen und Wortspielereien Gilberts. Ausg:The First Night Gilbert & S., hrsg. v. R. ALLEN (NY 1958, Lo '1976); The Mikado, Faks. des Autographs, hrsg. v. G. JACOB (Farnborough 1968) Lit: A. H. LAWRENCE, Sir A. S. Life Story, Letters and Reminiscences (Lo 1899, Nachdr. NY 1973, 1980); 1. GOLDBERG, The Story of Gilbert and S. (Lo 1929); R. ALLEN - G. R. D'LuNY, Sir A. S. Composer and Personage (NY 1975); C. BRAHMS, Gilbert and S. Lost Chords and Discords (Lo 1975); J. WOLFSON, Final Curtain. The Last Gilbert and S. Operas (Lo 1977); H. BENFORD, The Gilbert and S. Lexicon (NY 1978); A. HYMAN, S. and His Satellites. A Survey of English Operettas 1860-1914 (Lo 1978). M. HERBSTMEIER
SUL PONTICELLO (it., = am Steg; frz.: au chevalet), bei Streichinstrumenten Spielanweisung, mit dem Bogen so dicht wie möglich am Steg zu spielen. Dabei werden bei hoher Grundgeschwindigkeit des Bogens Klangeffekte erzeugt, für die Obertonreichtum und Abschwächung des Grundtons charakteristisch sind. - flautato.
SULZER, Johann Georg, * 16. 10. 1720 Winterthur, t 27.2. 1779 Berlin; Schweizer Asthetiker. Er studierte Theologie in Zürich, war 2 Jahre Vikar und ging 1743 als Hauslehrer nach Magdeburg. 1747 wurde er in Berlin Mathematiklehrer am Joachimsthalschen Gymnasium, 1750 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, 1775 dort Direktor der philosophischen Klasse. - In seinem Hauptwerk, der lexikalisch konzipierten Allgemeinen Theorie der schönen Künste, entwickelte S. eine philosophische Ästhetik, die der Leibnizschen Monadenlehre, aber auch der Theorie der „sinnlichen Erkenntnis" von Alexander Gottlieb Baumgarten verpflichtet ist. In S.s Ästhetik bildet das Gefühl ein eigenständiges Gemütsvermögen zwischen Erkenntnis und Wollen. Für den musikal. Teil zog er J. Ph. Kirnberger und später auch dessen Schüler J. A. P. Schulz als fachkundige Mitarbeiter hinzu. Beide lieferten zwar das Material für musikalische Spezialartikel (ab Buchstabe S tritt Schulz auch als alleiniger Autor auf), jedoch ist es durchgängig S. selbst, der seine Kunsttheorie auch auf die Tonkunst überträgt: Musik hat den Zweck, die Leidenschaften zu erregen (OE Affektenlehre); zur Darstellung außermusikalischer Gegenstände ist sie nicht geeignet. So fällt z. B. die Anwendung bildhafter und deskriptiver musikalischer Mittel in den Oratorien G. Fr. Händels unter ein scharfes ästhetisches Verdikt Sulzers. Schriften (ohne die nur philosophischen u. ästhetischen): Allge-
meine Theorie der schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden Artikeln abgehandelt, 2 Bde. (L 1771-74, Nachdr. 1773-75 u. 1777, verbessert L '1778-79), mit Zusätzen in 4 Bden. hrsg. v. F. VON BLANKENBURG (L '1786--87), mit neuen Zusätzen (L '1792-99); Die
schönen Künste in ihrem Ursprunge, ihrer wahren Natur u. besseren Anwendung betrachtet (L 1772); Lebensbeschreibung von ihm selbst aufgesetzt (B - Stettin 1809) (postum). Lit.: J. LEO, J. G. S. u. die Entstehung seiner allgemeinen Theorie der schönen Künste (B 1907); H. WILI, J. G. S. Persönlichkeit u. Kunstphilosophie (Diss. Freiburg/Schweiz 1954); W. SEIDEL, Über Rhythmustheorien der Neuzeit (Be - Mn 1975). R. CADENBACH
SULZER, Salomon, * 30.3. 1804 Hohenems (Vorarlberg), t 17. 1. 1890 Wien; östr. Kantor. Er war seit 1820 Kantor in Hohenems, 1825-81 Oberkantor der Wiener Synagoge und wurde mit der Reform und Vereinheitlichung des jüdischen Synagogalgesangs beauftragt. Neben Bearbeitungen traditioneller Gesänge schrieb er eigene Melodien, die Einflüsse seines Freundes Fr. Schubert erkennen lassen. WW: Zahlr. Lieder; hebräische Hymnen. - Denkschrift an die israelitische Cultusgemeinde (W 1876). - S. gab heraus Schir Zion. Gottesdienstliche Gesänge der Israeliten, 2 Bde. (W 1839 u. 1866). Lit.: E. WERNER, S., in: MGG XII; DERS., From Generation to
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Summstimme Generation. Studies on Jewish Mus. Tradition (NY 1968); A. L. RINGER, S. S., J. Mainzer and the Romantic a cappella Movement, in: FS B. Szabolcsi (Kas 1969), auch in: Studia musicologica 11 (1969).
SUMMSTIMME, Bz. für einen durch wortloses Singen mit geschlossenem Mund (daher frz.: Bouche fermée; it.: bocca chiusa) erzeugten Gesangseffekt. Als Begleitstimmen vor allem in Opernchören (G. Verdi, Rigoletto, letzter Akt; G. Puccini, Madame Butterfly, 2. Akt) bereits im 19. Jh. beliebt, werden S.n heute in der Unterhaltungsmusik als wesentliches Untermalungsmittel (Background) eingesetzt. Innerhalb der Neuen Musik erhalten die S.n eine eigene Gestaltungsqualität (z. B. D. Schnebel, Maulwerke). SUNNYLAND, Slim (eig. Albert Luandrew), * September 1907 Lambert (Mississippi); amerik. Jazz- und Bluesmusiker (Gesang, Klavier). Er spielte zuerst in Stummfilmkinos, wurde dann Boogie- und Bluespianist sowie Sänger und gesuchter Begleiter. 1964 warb ihn J. E. Berendt für das „American Folk Bluesfestival" in Deutschland an, was für S., in den USA nur von Eingeweihten beachtet, vermutlich die erste große Anerkennung als Musiker bedeutete. Charakteristisch für sein Spiel ist eine originelle Verbindung von archaisch wirkendem Folk blues und Swing Jazz im Stil von Count Basie. SUŇOL (Sunyol) y Baulenas, Dom Gregorio Maria, OSB, * 7.9. 1879 Barcelona, t 26. 10. 1946 Rom; span. Musikforscher. Er trat 1900 in das Kloster Montserrat ein und leitete 1907-28 dessen Chor. 1931 wurde er Leiter der Scuola Superiore di Canto Ambrosiano in Mailand und 1938 Präsident des Istituto Pontificio di Musica Sacra in Rom. S. war einer der namhaftesten Choralforscher in der 1. Hälfte des 20. Jh. in der Tradition der Schule von Solesmes. Schriften: Método completo de canto gregoriano (Tournai 1905, Ba' 1921, 101959, dt. Ba 1912); Introducció a la paleografia musical gregoriana (Montserrat 1925, frz. Tournai 1935); Missale Ambrosianum (Mi 1935); ferner weitere Choralausgaben. Lit.: H. ANGLES, 11 canto gregoriano e l'opera dell'Abate Dom G. M. S. (R 1948).
SUOR ANGELICA, Oper von G. Puccini ; dt. Titel : r Schwester Angelica. SUPERIUS (lat., = der höhere), im 15.-17. Jh. synonym zu 7 Cantus, " Discantus, " Dessus und lTreble gebrauchte Bz. für die höchste Stimme einer mehrstimmigen Komposition; spätere Bz. r Sopran. SUPPAN, Wolfgang, * 5.8. 1933 Irdning (Steier46
mark); östr. Musikforscher. S. studierte seit 1954 bei H. Federhofer und J. Marx an der Universität Graz (Promotion 1959). Nach freiberuflicher Tätigkeit in Österreich ging er 1961 an das Institut für ostdeutsche Volkskunde in Freiburg i. Br. und war 1963-74 Mitarbeiter am dortigen Deutschen Volksliedarchiv (zuletzt als Oberkonservator). 1971 habilitierte er sich an der Universität Mainz (1973 Professor) und leitet seit 1974 das Musikethnologische Inst. der Musikhochschule Graz. Schriften: H. E. J. von Lannoy (Diss. Gr 1959), Teildruck (Gr 1960); Steirisches Musiklexikon (Gr 1962-66); O. Siegl (W 1966); Das geistliche Lied in der Landessprache, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik I, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas 1972); Deutsches Musikleben zw. Renaissance u. Barock (Tutzing 1973) ( - Mainzer Stud. z Musikwiss. 4); Lexikon des Blasmusikwesens (Fr 1973, 2 1976); Anthropologie der Musik (Mz 1982). -S. war Hrsg. v.: Gottscheer, GA (Mz 1969ff.) (zus. mit R.-W. Brednich); Melodietypen des dt. Volksgesanges I (Tutzing 1976) (zus. mit W. Stiel); Hdb. des Volksliedes, 2 Bde. (Mn 1973-75) (zus. mit L. Röhrich u. R-W. Brednich); Alta musica (Tutzing 1976ff.) (zus. mit E. Brixel); Musikethnolog. Sammelbände(Gr 1977); J. Takács(Eisenstadt 1977). J. DORFMÜLLER
SUPPÉ (Suppé), Franz von (eig. Francesco Ezechiele Ermenegildo Cavaliere Suppé Demelli), * 18.4. 1819 Spalato (Dalmatien; heute Split), t 21.5. 1895 Wien; östr. Komponist und Dirigent. Nach der Schulausbildung studierte er auf Wunsch seines Vaters Jura in Padua. In Italien, vor allem in Mailand, lernte er die zeitgenössische it. Opernproduktion kennen und traf mit G. Rossini, G. Donizetti und dem jungen G. Verdi zusammen. 1835 ging er nach Wien, entschied sich dort endgültig für den Musikerberuf und studierte bei I. von Seyfried und S. Sechter. 1840 wurde er Theaterkapellmeister am Theater in der Josefstadt. Daneben dirigierte er auch an den Bühnen in Baden, Ödenburg und Preüburg. An diesen Theatern begann er mit der Komposition von Begleitmusiken, Ouvertüren und Liedern für die damals sehr beliebten Lokalpossen und Volksstücke. 1845-62 war er Kapellmeister am Theater an der Wien, 1862-65 am Kaitheater und 1865-82 am Carltheater. Danach arbeitete er bis zu seinem Tod als freischaffender Komponist. Angeregt durch die Operetten J. Offenbachs, die seit 1858 auch in Wien aufgeführt wurden, schrieb S. selbst Werke dieser Art. 1860 debütierte er erfolgreich mit dem Einakter Das Pensionat. Zu seinen gröüten Erfolgen zählen die Operetten Die schöne Galathee (1865), Fatinitza (1876) und Boccaccio (1879 ; daraus das Lied Hab' ich nur deine Liebe). Seine Opern fanden dagegen nur geringe Resonanz. WW: Etwa 200 Begleitmusiken zu Possen u. Volksstücken, u.a. zu Dichter und Bauer (1846) u. 's Alraunl (1849); Streichquartette; eine Symphonie; Chormusik u. Lieder sowie 3 Messen. - Büh-
Suspenison nen-WW (UA meist in Wien): Operetten: Die Kartenschlägerin (1862), Neufassung als: Pique Dame (Graz 1864); Zehn Mädchen und kein Mann (1862); Rotte Bursche (1863); Leichte Kavallerie (1866); Banditenstreiche (1867); Donna Juanita (1880); Die Afrikareise (1883); Die Jagd nach dem Glück (1888); Das Modell, unvollendet, vervollständigt v. J. Stern u. A. Zamara (1895); aus nachgelassenen Kompositionen S.s wurden zusammengestellt die Operetten Die Pariserin (1898) u. Die grolle Unbekannte (bearb. v. K. Pauspertl) (1925). — Ferner 3 Opern.
S., der heute in erster Linie als Komponist brillanter Ouvertüren (z. B. zu Dichter und Bauer) populär ist, kann als Schöpfer der Wiener Operette bezeichnet werden. Neben J. Strauß und C. Millökker zählt er zu den großen Meistern des sog. „Goldenen Zeitalters" der östr. Operette. Ein wesentliches Kennzeichen seiner Werke ist die Verbindung von it. Melodik mit der tänzerischen Eleganz der Wiener Unterhaltungsmusik seiner Zeit. Lit.: O. KELLER, F. von S. Der Schöpfer der dt. Operette (L 1905); J. KROMER, F. von S. Leben u. Werk (W 1941); H. HEPPENHEIMER, F. von S.-Gedenkstätte in Gars am Kamp. Erinnerungen an den Mitbegründer der Wiener Operette (Gars 1974); O. SCHNEIDEREIT, F. von S. Der Wiener aus Dalmatien (B 1977). M. HERBSTMEIER
SUPPER, Walter, * 9.9. 1908 Esslingen am Nekkar; dt. Orgelforscher. Er studierte Architektur (1934 Dr.-Ing.) und Orgel in Stuttgart. Seit 1930 war er Organist der Frauenkirche in Esslingen, wurde 1938 Orgelsachberater beim Denkmalsamt Württemberg, 1951 bei der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger und war 1956-73 Hauptkonservator beim Staatlichen Amt für Denkmalpflege in Stuttgart. Außerdem lehrte er seit 1951 an der Musikhochschule Stuttgart und an der Kirchenmusikschule in Esslingen. 1951 gründete er die Gesellschaft für Orgelfreunde, deren Vorsitz er übernahm, und gab 1952-74 die Zeitschrift Ars organi heraus. Schriften: Der Kleinorgelbrief(Kas 1940, 2 1950); Barockorgeln in Oberschwaben (Kas 1942) (zus. mit H. Meyer); Die Orgeldisposition (Kas 1950); Lesebuch für Orgelleute (1950); Die Orgel im Kirchenraum (B 1967) ( — Veröff. der Ges. der Orgelfreunde 29); Über die Arten zu registrieren, in: Ars organi 9 (1961); Ist die Barock-Orgel der Höhepunkt des Orgelbaues? in: ebd. 15 (1967); Die wichtigsten Windladenarten (1969) ( — Acta organologica 3).
SURIANO, Francesco, r Soriano. SUSANNENS GEHEIMNIS (Il segreto di Susanna), Intermezzo in einem Akt von E. Wolf-Ferrari, Text von Enrico Golisciani. Ort und Zeit der Handlung: Salon im Hause des Grafen Gil, Piemont, Gegenwart. UA (dt. von M. Kalbeck): 4. 12. 1909 München. Dieses im Aufbau an G. B. Pergolesis La serva padrona angelehnte Intermezzo wurde als „Loblied des Zigarettenrauchens" bekannt: Der eifersüchtige Graf „wittert" wegen des Geruchs von türki-
schem Tabak einen Nebenbuhler; die erschreckte Reaktion seiner Frau auf diesbezügliche Fragen verstärkt seinen Verdacht. Als Susanna bei Gils überraschender Rückkehr etwas hinter ihrem Rükken verbirgt, greift der Graf nach dem vermeintlichen Beweis für ihre Untreue und verbrennt sich an der brennenden Zigarette. - Wie in seinen früheren Opern erreicht der Komponist durch kammermusikalisch durchsichtige Führung der Orchesterstimmen ein hohes Maß an Textverständlichkeit. Die Übereinstimmung von Wort und Musik soll den Dirigenten F. Mottl zu der Charakterisierung als „wagnerischste aller Opern" veranlaßt haben. Das Werk hatte nach der UA großen Erfolg und fand weite Verbreitung. Die schwungvolle Ouverture in miniatura a quattro temi wurde zu K. LANGROCK einem beliebten Konzertstück. SUSATO, Tylman (Thielman, Tielman), * um 1500, t zwischen 1561 und 1564; ndl. Musikdrukker vermutlich dt. Herkunft (aus Soest/Westf.?) und Komponist. Er war seit 1529 Notenschreiber und 1531-49 Stadtmusikus in Antwerpen. Dort errichtete er 1543 eine Notendruckerei, die erste von Bedeutung in den Niederlanden. S. veröffentlichte 1543-61 vor allem Werke franko-flämischer Komponisten, darunter auch die r Souterliedekens von Clemens non Papa (1556-57). Nach S.s Tod übernahm sein Sohn Jacques (t 1564) die Offizin, die in dessen Todesjahr noch einen Band Chansons von O. di Lasso druckte. WW: Eigene Kompositionen: 2 Bücher Chansons für 2-3 St. (1544, um 1552); in Sammeldrucken 30 frz. u. 6 flämische Chansons sowie 1 Messe, 7 Motetten u. 10 Souterliedekens. — Einzelne Individualdrucke von WW v. Th. Manchicourt u. Th. Crecquillon; zahlr. Sammeldrucke, u.a. 13 Bücher Chansons, 11 Bücher Musyck boexken, 3 Bücher Messen u. 14 Bücher Sacrae cantiones. Ausg.: Musyck boexken, 1, hrsg. v. F. VAN DUYSE (A — L 1908) (— Uitgaven der Vereniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis 24), 3, hrsg. v. F. J. GIESBERT (Mz 1936), 4-7 — Souterliedekens 1-3 v. r Clemens non Papa; B. Chansonbuch (Bru 1970) ( — Corpus of Early Music in Fasc. I/11). Lit.: U. MEISSNER, Der Antwerpener Notendrucker T. S., 2 Bde. (B 1967) (— Berliner Studien z Musikwiss. 11); L. F. BERNSTEIN, The Cantus Firmus Chansons of T. S., in: JAMS 22 (1969); S. BAIN, S., in: Grove. XVIII.
SUSPENSIO (lat.), im 15./16. Jh. Bz. für den f Vorhalt.
SUSPENSION (frz., = Aufschub). - 1) r Vorhalt. - 2) Bei Fr. Couperin und J.-Ph. Rameau (Verzierungstabelle zu den Pièces de clavecin) Bz. für das verzögerte Einsetzen eines Tones (Zeichen: R), z. B. N otierung
Ausführung :
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Suspiratio SUSPIRATIO (lat., = Aufatmen, Seufzen), in der Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. Bz. für eine musikalisch-rhetorische Figur: das Zerschneiden (daher im 18. Jh. auch die synonyme Bz. „Tmesis") eines textlichen und musikalischen Zusammenhangs durch eine oder mehrere Pausen, um damit das Seufzen auszudrücken (über den terminologischen Zusammenhang Pause - Seufzen: r Suspirium). Beispiele finden sich sowohl direkt bei einem entsprechenden Wort, etwa ` r
7r
p
{
So - spi- ra - te
als auch häufig zum Ausdruck der Klage oder eines ähnlichen Affekts, wie bei dem letzten der Sieben Worte ... Christi von H. Schütz:
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voll - bracht
7=71.. 111•1111= ___
Es ist vollbracht,
es
SUSPIRIUM (lat., = tiefes Atmen, Seufzen). - 1) In der Psalmodie und der Modalnotation Bz. für eine Zäsur unbestimmter Dauer, die zugleich die letzte Note verkürzte. Wenn sie angezeigt wird, geschieht das durch die Divisio modi innerhalb eines OE Ordo. - 2) In der Mensuralnotation neben Pausa Bz. für jede kurze ř Pause, deren Dauer sich aus der jeweiligen Notierung ergibt. Dies ist heute noch präsent in der frz. Bz. Soupir für die r Viertelpause. SUSSMAYR (eig. Süßmayr), Franz Xaver, * 1766 Schwanenstadt (Oberösterreich), t 17. 9. 1803 Wien; östr. Komponist. Er war 1779-87 Sängerknabe, später Musiker im Benediktinerstift Kremsmünster und wirkte dann als Musiklehrer in Wien. Hier erhielt er 1790-91 Unterricht bei W. A. Mozart, der ihn auch zu kompositorischen Hilfsarbeiten heranzog. Seit 1792 war er Kapellmeister am Nationaltheater und seit 1794 an der Hofoper in Wien. S. hatte als Opernkomponist beachtliche Erfolge, vor allem mit Der Spiegel von Arkadien (1794) und Soliman der Zweite (1799 ; darin das Terzett Tändeln und scherzen, über das L. van Beethoven seine Klaviervariationen WoO 76 schrieb). Sein Name ist aber bis heute hauptsächlich mit Mozarts Requiem verbunden, dessen Entstehung er unmittelbar miterlebte und das er nach dessen Tod auf Veranlassung Konstanzes ergänzte und vollendete. Sein eigener Anteil daran ist bis heute ungeklärt. Als sicher gilt dagegen, daß von S. die Secco-Rezitative zu Mozarts La clemenza di Tito stammen. WW: Bühnen-WW: Vollständig erhalten sind hsl. 2 Opere buffe,
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12 dt. Opern (meist Singspiele) u. 1 Ballett; zahlr. Einzelstücke daraus erschienen im Druck. — Zahlr. welti. Kantaten, 5 Messen, davon gedruckt eine Missa solemnis (W um 1810), sowie einige weitere kirchenmusikal. Werke. — Instr.-WW: einige Kammermusikwerke; 2 Symphonien, einige lnstr.-Konzerte u. Divertimenti; zahlr. Tänze.
Ausg.: Ouvertüre C-Dur, hrsg. v. 1. KEcsKEMtrI (Budapest 1965, 2 1972) (— Musica rinata 6); Kantate Das Namensfest, hrsg. v. DEMS. (ebd. 1965). — Vgl. auch Mozarts Requiem, hrsg. v. L NovAK (1965) (— Neue Mozart-Ausg. I/1/2, Teil-Bd. II). Lit.: W. LEHNER, F. X S. als Opernkomponist, in: StMw 18 (1931); K. MARGUERRE, Mozart u. S., in: Mozart-Jb. 1962/63; J. KECSKEMÉTI, S.-Hss. in der Nationalbibl. Széchényi, in: Studia musicologica 2 (1962) u. 8 (1966); F. GIEGLING, Zu den Rezitativen von Mozarts Oper „Titus", in: Mozart-Jb. 1967; W. PLATH, Zur Echtheitsfrage bei Mozart, in: ebd. 1971/72; W. Wl.CEK, F. X. S. als Kirchenkomponist (Tutzing 1978) (Wiener Veröff. z Musikwiss. 11).
SUTER, Hermann, * 28.4. 1870 Kaiserstuhl am Rhein, t 22.6. 1926 Basel ; Schweizer Komponist und Chordirigent. Er studierte in Basel, Stuttgart und Leipzig (C. Reinecke). Seit 1902 dirigierte er in Basel die Symphoniekonzerte der Allgemeinen Musikgesellschaft und leitete bis 1925 auch den Gesangverein und die Liedertafel. 1918-21 war er Direktor des Basler Konservatoriums. S. zählt zu den namhaftesten Schweizer Komponisten seiner Zeit und wurde durch das Oratorium Le /audi di S. Francesco d'Assisi (1925) international bekannt. WW: Sonate (1889) für Org. (unveröffentlicht); 3 Streichquartette (1901-21); Streichsextett; Symphonie d-moll; 2 Gesänge für SingSt, V., Va. u. Org.; Die erste Walpurgisnacht (nach J. W. von Goethe, 1910), symphonische Dichtung mit Solostimmen u. Chor; Le /audi di S. Francesco d'Assisi (1925) für Solostimmen, Chor u. Orch. Lit.: W. MERIAN, H. S., 2 Bde. (Bas 1936) (mit Werk-Verz).
SUTERMEISTER, Heinrich, * 12.8. 1910 Feuerthalen bei Schaffhausen ; Schweizer Komponist. S. studierte zunächst an der Univ. Basel dt. und frz. Philologie. Bei einem Studienaufenthalt in Paris 1929/30 lernte er Werke von Cl. Debussy, A. Honegger und D. Milhaud kennen, belegte daraufhin in Basel bei K. Nef Musikgeschichte und studierte seit 1931 bei W. Courvoisier an der Akad. der Tonkunst München, wo später C. Orff sein richtungweisender Lehrer wurde. Seit 1935 widmete sich S. fast ausschließlich seinem kompositorischen Schaffen. 1963-75 war er Kompositionslehrer an der Musikhochschule Hannover. WW: 1) Instr.-WW: Capriccio (1947) für Klar.; Hommage .4 Honegger(1955) für Klv. ; Modeste Mignon (1974) für 10 Blasinstr. — Für Orch.: 2 Divertimenti (1936, 1960); Poéme funébre(1965) für Streichorch.; Sérénade pour Montreux (1970) für 2 Ob., 2 Hörner u. Streichorch. — Konzerte: 3 für KN. (1943, 1953, 1962); 2 für Vc. (1955, 1973); für Klar. (1975); Quadrifoglio (1977), Konzert für FL, Ob., Klar., Fag. u. Orch. — 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder u. Chorwerke, darunter die Kantaten: Andreas Gryphius (1936); Kantate Nr. 2 (1944); Dem Allgegenwärtigen (1958); Das Hohelied „Singen will ich den Hochgesang" (1960); Der Papagei aus
Swarowsky Kula (1961); Erkennen und Schaffen (1963); Sonnenhymne des Echnaton ‚Anbetung dem Gotte" (1965); Omnia ad Unum (1966). - 3) Biiimen-WW: Opern: Die schwarze Spinne (Libr.: A. Roesler nach J. Gotthelf), VA: Radio Bern 1936; Romeo und Julia (Libr.: S. nach Shakespeare), UA: Dresden 1940; Die Zauberinsel(dass.), UA:ebd. 1942; Niobe(Libr.: P. Sutermeister), VA: Zürich 1946; Raskolnikoff(Libr.: ders. nach F. Dostojewski), VA: ebd. 1951; Titus Feuerfuchs, oder „Liebe. Tücke und Perücke" (Libr.: S. nach J. Nestroy), VA: Basel 1958; Seraphine (Libr.: S. nach François Rabelais), VA: Fernsehstudio Zürich 1959; Das Gespenst von Canterville (Libr.: S. nach Oscar Wilde), UA: ZDF 1964; Madame Bovary(Libr.: S. nach Gustave Flaubert), VA: Zürich 1967; Der Flaschenteufel (Libr.: S. nach Robert Louis Stevenson), VA: ZDF 1971.
Faber Music Ltd., Nippon Gakki Co. Ltd. und der Wiener Universal Edition verbunden. In Deutschland wird er durch den Musikverlag B. Schott's Söhne in Mainz vertreten. Schwerpunkte des Verlagsprogramms sind Werke zeitgenössischer Komponisten, darunter L. Berio, N. Castiglioni, L. Dallapiccola, Fr. Donatoni, G. Fr. Ghedini, R. Malipiero, G. Manzoni, G. Petrassi, I. Pizzetti, G. Sinopoli und R. Vlad; der Katalog enthält ferner Hausmusik, Unterrichtswerke und Unterhaltungsmusik.
Ausschlaggebend für S.s Erfolge als Komponist ist die Vielfalt der ihm zu Gebote stehenden Stilmittel, die er zu einer leicht verständlichen, auf Tonalität gegründeten, mit reizvollen Klangfarben angereicherten Musiksprache fügt. Seine erklärten Vorbilder sind gleichermaßen der späte G. Verdi (deutlich in Romeo und Julia, 1940) und C. Orff (Widmungsträger von Madame Bovary, 1967). In seinen Bühnenwerken bemüht sich S. um musikalische Lösungen librettoimmanenter Probleme wie in der Zauberinsel die Darstellung von „magischer Transparenz des Klanges".
SVENDSEN, Johan Severin, * 30.9. 1840 Christiania (heute Oslo), t 14.6. 1911 Kopenhagen; vorweg. Dirigent, Komponist und Violinist. Er unternahm 1862 als Violinist eine Konzertreise durch Schweden und Dänemark und kam nach Deutschland, wo er 1863-67 bei M. Hauptmann, Ferdinand David, E. Fr. Richter und C. Reinecke studierte. 1868-70 lebte er in Paris, 1870-72 in Leipzig und verbrachte den Sommer 1872 in Bayreuth bei R. Wagner. 1872-77 (bis 1874 neben E. Grieg) und 1880-83 wirkte er als Dirigent bei der neugegründeten Musikgesellschaft in Christiania und übte tiefgreifenden Einfluß auf das norwegische Musikleben aus. 1878-80 lebte er wieder in Paris, 1883-1908 war er Hofkapellmeister in Kopenhagen. S. galt als einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit. Obwohl er verhältnismäßig wenig komponiert hat, fanden seine Werke Eingang in das norwegische Konzertrepertoire und zeigen seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, vor allem im Hinblick auf die Instrumentation.
Lit.: G. HAUSSWALD, H. S., Leber, Werk, Persönlichkeit, in: ZfM 109 (1942); J. JA'roN, H. S. Compositeur lyrique, in: SMZ 98 (1958); D. LARESE, H. S. (Amriswil 1972); A. BRINER, H. S. zu seinem 65. Geburtstag, in: Melos/NZ 1(1975). K. LANGROCK
SUTHERLAND, Joan, * 7. 11. 1926 Sydney; austral. Sängerin (Sopran). Sie studierte an der Royal Academy of Music in London, debütierte 1947 in Sydney und ging 1952 an den Covent Garden in London. Als Koloratursängerin wurde sie rasch über England hinaus bekannt und gehörte in den 60er und 70er Jahren zu den gefragtesten Sängerinnen ihres Fachs. 1959 sang sie erstmals an der Metropolitan Opera in New York; Gastspiele führten sie außerdem an die Mailänder Scala, an die Wiener Staatsoper und zum Glyndebourne Festival. Schwerpunkte ihres Repertoires sind die Koloraturpartien in den Opern G. Rossinis, V. Bellinis, G. Donizettis und G. Verdis. J. S. ist mit dem Dirigenten Richard Bonynge verheiratet. Lit.: R. BRADDON, J. S. (Lo - NY 1962, dánisch Kop 1966); E. GREENFIELD, J. S. (Lo 1972, NY 1973) (- Recordmasters 1).
SUVINI ZERBONI, Edizioni Suvini Zerboni, it. Musikverlag. Das aus einer Theatergesellschaft gleichen Namens hervorgegangene Unternehmen wurde 1930 in Mailand gegründet und 1932 von Paolo Giordani (t 1948) erworben, der die Geschäfte bis zu seinem Tod führte. Ihm folgte Ladislao Sugar in der Unternehmensleitung. Der Verlag hat seine internationalen Geschäfte durch gegenseitige Vertretungsverträge geregelt und ist u. a. mit
WW: Oktett (1866). - Für Orch.: 2 Symphonien, 1: D-Dur (1867), 2: B-Dur (1876); Karneval in Paris (1872); Norsk kunstnerkarneval (1874); Festpolonaise (1873); 4 Norwegische Rhapsodien (1872-77); V.-Konzert (1869); Va.-Konzert (1870). Lit.: O. ECKHOFF, Noen trekk ved J. S.s instrumentalstil, in: Dansk Aarbog for Musikforskning 5 (1966/67); DERS., Noen saerdrag ved J. S.s instrumentalstil, in: FS O. Gurvin (Drammen Oslo 1968) (mit engl. Zusammenfassung).
SWAROWSKY, Hans, * 16. 9. 1899 Budapest, t 10.9. 1975 Salzburg; östr. Dirigent. Er studierte bei R. Strauss, A. Schönberg und A. Webern, war Kapellmeister in Stuttgart, Hamburg (1932) und an der Staatsoper Berlin (1934), Dirigent am Opernhaus Zürich (1937-40), Dramaturg bei den Salzburger Festspielen (19404), Leiter der Krakauer Philharmonie (1944-45), Chefdirigent der Wiener Symphoniker (1945-47), Operndirektor in Graz (1947-50) und seit 1959 Dirigent an der Wiener Staatsoper, seit 1957 auch Chefdirigent des Scottish National Orchestra Glasgow. S. galt als herausragender Interpret vor aliem der Werke von R. Strauss, G. Mahler, A. Berg und Webern. Seit 49
Sweelinck 1946 lehrte er an der Wiener Musikakademie; zahlreiche bedeutende Dirigenten der Gegenwart waren seine Schüler, darunter Cl. Abbado, M. Caridis, G. Sinopoli und Z. Mehta. S. veröffentlichte auch Aufsätze u. a. zur Aufführungs- und Dirigierpraxis. Eine Auswahl erschien als Wahrung der Gestalt (hrsg. v. M. Huss, W 1979). SWEELINCK, Jan Pieterszoon, * Mai 1562 Deventer, t 12. 10. 1621 Amsterdam; ndl. Organist und Komponist. Kurz nach seiner Geburt wurde sein Vater, Pieter Swibbertszoon, als Organist an die Oude Kerk in Amsterdam berufen, nach dessen Tode (1573) wurde Cornelis Boscoop sein Nachfolger, der ihn aber nur um wenige Monate überlebte. Anscheinend wurde seitdem der Posten für den jungen S. freigehalten, der in den folgenden Jahren bei Willem Janszoon Lossy in Haarlem studierte. Wahrscheinlich 1577 erhielt S. dann tatsächlich die Organistenstelle an der Oude Kerk, die er bis zu seinem Tode innehatte. Als Amsterdam 1578 zum Calvinismus übertrat, wurde die Kirche Eigentum der Stadt und S. städtischer Angestellter. Da das Mitwirken der Orgel am Gottesdienst untersagt war, veranstaltete S. seitdem täglich öffentliche Orgelkonzerte. Als Lehrer genoß er einen so hohen Ruf, daß zahlreiche Städte, nicht nur niederländische, sondern auch deutsche, ihren jungen Musikern, so z. B. H. Scheidemann, S. Scheidt und J. Praetorius, eine Ausbildung bei ihm finanzierten. S. unterhielt auch Verbindungen zu engl. Musikern (P. Philips und J. Bull). Möglicherweise wurde S. gegen Ende seines Lebens wieder katholisch, denn die 1619 entstandenen Candones sacrae enthalten einen für den calvinischen Glauben unannehmbaren Text. Jedenfalls ist bekannt, daß S. in beiden Konfessionen Freunde hatte. Obwohl er selbst die Niederlande niemals verlassen hat, sind seine Werke in zahlreichen Abschriften in fast ganz Europa verbreitet. Sein Ruhm wird in einer deutschen Fassung seiner Psalmvertonungen (B 1616) als „weltweit" bezeugt. WW: 1) Instr.-WW (hsl. erhalten): Für Org. oder Cemb. (die Zahl der Werke mit zweifelhafter Zuschreibung in Klammern): 19 (+ 6) Fantasien, 4 (+ 1) Echofantasien, 1 (+ 2) Ricercare, (1) Capriccio, 1 Praeludium, 13 (+ 2) Toccaten, 16 (+ 14 Variationszyklen über geistliche Lieder, 12 (+ 4) über weltliche Lieder u. a. Stücke; für Laute: 3 Psalmen, 3 Volten u. 1 Courante. — 2) VokalWW: Chansons für 5 St. (An 1594) (mit 4 Chansons v. C. Verdonck); Rimes franpoises et italiennes für 2-3 St. (Lei 1612); 4 Bücher Pseaumes de David für 4-8 St. (A 1604, 1613, 1614, Haarlem 1621), daraus Ausw. v. 30 bzw. 21 Psalmen mit den dt. Texten v. A. Lobwasser (B 1616, 1618); Cantiones sacrae für 5 St. u. B.c. (An 1619). Ferner ein Hochzeitsgesang für J. (II) Praetorius u. einige Kanons hsl. u. in RISM 1644'. — Die früher S. zugeschriebenen (hsl. erhaltenen, heute verschollenen) Composition-Regeln stammen nicht von ihm.
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S.s Vokalschaffen, dessen Schwerpunkt die Psalmen und die Cantiones sacrae darstellen und das allein zu seinen Lebzeiten und fast vollständig gedruckt wurde, bildet das monumentale Ende der niederländischen Polyphonie. Dagegen markieren S.s Werke für Tasteninstrumente den Beginn einer neuen Epoche. S. war der erste, der eine Technik ausarbeitete, die geeignet war, homogene Stücke von großer Ausdehnung zu strukturieren. Die Fantasien beruhen auf einem einzigen Thema, zu dem nacheinander verschiedene Kontrasubjekte hinzutreten. So entsteht eine Reihe von Fugato-Sätzen, deren Einheit durch die ständige Präsenz des Hauptthemas verwirklicht ist. In seinen Variationszyklen wendet S. fast die gleiche Technik an. Die Toccaten und Echofantasien haben, obgleich in einem differenzierteren Stil geschrieben, nichts von der quasi improvisierten Schreibweise seiner it. Zeitgenossen. S.s Einfluß vor allem auf die dt. Orgelmusik (r Orgel) war beträchtlich. Die Gründer der sog. Norddeutschen Orgelschule, H. Scheidemann, Jacob (II) Praetorius, M. Schildt, und darüber hinaus S. Scheidt waren seine Schüler. S.s Sohn Dirck Janszoon (1591-1652) war ebenfalls Organist und erhielt nach dem Tod des Vaters auf Lebenszeit dessen Amt. Er gab eine Sammlung volkstümlicher ndl. Lieder heraus (= RISM 1644'), die auch 5 Gesänge von ihm selbst enthält. Ihm zugeschrieben werden ferner hsl. erhaltene Variationen über Wie schön leuchtet der Morgenstern (ed. in Bd. 1 der S.-GA). Ausg.: GA, hrsg. V. M. SEIFFERT, 10 Bde. (Den Haag — L 1894-1901), Nachdr. in 8 Bden. (Farnborough 1968), 1: Instr.WW, 2-5: Pseaumes de David 6: Cantiones sacrae, 7: Sst. Chansons, 8: Rimes franpoises ..., 9: Sonstige Vokal-WW, 10: Kompositions-Regeln; Bd. 1 erweitert (A 1943 u. 1958); revidierte Editio altera, hrsg. v. R. LAGAS u.a. (A 1957ff.), bisher mit den Bden. 1, 2, 3 u. 6. — Zahlr. Ausw.- u. Einzelausg. Lit.: B. VAN DEN SIGTENHORST MEYER, J. P. S. en zijn instrumentale muziek (Den Haag 1934, '1946); DERS., De vocale muziek van J. P. S. (ebd. 1948); R. L TUSLER, The Organ Music of J. P. S. (Bilthoven 1958); A. S. CURTIs, S.'s Keyboard Music. A Study of English Elements in Seventeenth Century Dutch Composition (Lo 1968, Lei '1972); F. R. NOSKE, Forma forman. Een struktuuranalytische methode, toegepast op de instrumentale muziek van J. P. S. (A 1969); R. H. TOLLEFSEN, J. P. S. A Bio-Bibliography, 1604-1842, in: TVer 22 (1971/72); M. A. VENTE, S.s Orgelreisen, in: ebd.; J. D. BOWMAN, S.'s „Schwanengesang". A Study of Style and Transition in the „Cantiones sacrae" (1619) of J. P. S. (1972) (— Diss. Univ. of Cincinnati); M. C. BRADSHAw, The Toccatas of J. P. S., in: TVer 25 (1975); W. BREIG, Die Claviermusik S.s u. seiner Schüler im Lichte neuerer Forschungen u. Editionen, in: Mf 30 (1977); R. H. TOLLEFSEN, S., in: Grove° XVIII. F. NOSKE
SWEET CHARITY, amerik. Musical von Cy Coleman, Buch von Neil Simon, nach dem Film Le notti di Cabina von Federico Fellini, Tullio Pinelli und Ennio Flaiano. Liedertexte von Dorothy
Swing Fields. Ort und Zeit der Handlung: New York, in den sechziger Jahren. UA: 29. 1. 1966 New York (Palace Theater), 608 Vorstellungen ; 1969 verfilmt. EA in dt. Sprache: 7.2. 1975 Wiesbaden. Neil Simon und Bob Fosse machten aus der römischen Prostituierten Cabina die New Yorker Ballroom-Hostess Charity Hope Valentine. Trotz negativer Erfahrungen mit Männern bewahrt sie ihren Glauben an das Gute im Menschen. Dem neurotischen Buchhalter Oscar verheimlicht sie ihren Beruf in der Hoffnung auf eine bürgerliche Ehe, aber als er die Wahrheit erfährt, stößt er sie ins Wasser. Wieder einmal rettet sich Sweet Charity und hofft auf ein neues Wunder. Ein Schlager wurde der Song Big Spender; in den USA ist auch If My Friends Could See Me Nowpopulär. R. WALLRAF
SWETLANOW, Jewgeni Fjodorowitsch, * 6.9. 1928 Moskau; sowjetruss. Dirigent und Komponist. Er studierte in Moskau am Gnessin-Musikinstitut und am Konservatorium. 1955-63 war er Dirigent, dann Chefdirigent des Bolschoi-Theaters. Seit 1965 leitet er das Staatliche Orchester der UdSSR, seit 1974 ist er auch Sekretär des sowjetischen Komponistenverbands. Als Komponist steht S. in der Tradition der russischen bzw. sowjetrussischen Musik, als Dirigent zeichnet er sich durch höchste Präzision und die Herausarbeitung eines äußerst differenzierten Orchesterklangs aus. Er propagierte in gleicher Weise Werke sowjetischer und westeuropäischer Komponisten (zahlreiche EA in der Sowjetunion). WW: Kammermusik. - Für Orch.: Symphonie (1956); Prasdnitschnaja poema (Festliches Poem) (1951); symphonische Dichtungen Daugawa (1952) u. Kalina krasnaja (Roter Holunder) (1975); Praeludien (1966); Romantitscheskaja bal/ada (1974); Poem für V. u. Orch. (1974) (in memoriam D. Oistrach); KIv.Konzert (1976). - Kantate Rodnyje polja (Heimatliche Felder) (1949). -S. schrieb Musyka sewodnja (Musik heute) (Mos 1976). Lit.: E. RAZER, E. S., in: Sowjetskaja musyka (1963); W. TOLBA, „Dirischor" glasami dirischora, in: ebd. (1973). E. STÓCKL
SWIETEN, Gottfried Bernhard Freiherr van, * 29. 10. 1733 Leiden, t 29.3. 1803 Wien ; östr. Diplomat und Musikliebhaber ndl. Abkunft. Sohn von Gerhard van S., dem Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, absolvierte er die Ritterakademie Theresianum, wurde Verwaltungsbeamter und anschließend kaiserlicher Diplomat in verschiedenen europäischen Hauptstädten, so 1765-70 in Wien und 1770-77 in Berlin. 1777-1803 war er Präfekt der Wiener Hofbibliothek, 1781-91 auch Präsident der Studien- und Zensurkommission. S. erwarb sich große Verdienste um die Bibliothek und nahm entscheidenden Einfluß auf das geistige Leben und das Unterrichtswesen Österreichs. Als Autodi-
dakt schrieb er u. a. einige Opéras-comiques und 10 Symphonien (1770-77; 3 davon verschollen). Angeregt durch seine Musikerlebnisse in Berlin, veranstaltete er in Wien seit 1782 zahlreiche Privataufführungen, gründete 1786 die „Gesellschaft der Associierten Cavaliers" zur Durchführung von Oratorienaufführungen (J. S. Bach, G. Fr. Handel u. a.) und veranlaßte W. A. Mozarts Bearbeitungen von Oratorien Händels. Für J. Haydn schrieb er nach englischen Vorlagen die Texte der Schöpfung und der Jahreszeiten. C. Ph. E. Bach widmete ihm 6 Quartettsymphonien (Wq 182, 1773) und Sonaten für Kenner und Liebhaber (3. Slg., Wq 57, 1781), L. van Beethoven die 1. Symphonie und J. N. Forkel seine Bach-Biographie (1802). Lit.: M. FRIEDLAENDER, Van S. u. das Textbuch zu Haydns ,Jahreszeiten", in: Jb. Peters 16 (1909); E. F. SCHMID, G. van S. als Komponist, in: Mozart-Jb. 1953; A. HOLSCHNEIDER, Die musikal. Bibliothek G. van S.s, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); D. OLLESON, Baron van S. and His Influence an Haydn and Mozart (Diss. 0 1967); DERS., The Origin and Libretto of Haydn's „Creation", in: HaydnJb. 4 (1968); G. CROLL, Mitt. über die „Schöpfung" u. die ,Jahreszeiten" aus dem Schwarzenberg-Arch., W. PFANNKUCH in: Haydn-Stud. 3 (1974).
SWING (eng/., = Schwingen, Schwung). - 1) Bz. für ein rhythmisches Schlüsselphänomen des Jazz (einschließlich der afroamerikanischen Musik). Der S. ist ein „schwingender" Rhythmus, deutbar als Ineinander von europäisch geprägtem r Beat und afrikanisch tradiertem r Off-beat, d. h. als Komplex aus einer regelmäßigen, gleichsam metronomischen Impulsfolge und antizipierenden oder retardierenden Abweichungsnuancen, als integrale Schichtung gleicher Zeitintervalle und kleinster Zeitverschiebungen des Gleichmaßes, über die der Musiker spontan verfügt. Dieses nicht rationalisierbare „Ineinander" erzeugt einen psychophysischen Spannungszustand mit sensomotorischen Reizen. Die Bewegungsreize wiederum lassen sich als Versuch des Unterbewußtseins deuten, den Spannungszustand zu lösen. Demnach ist das S. genannte rhythmische Phänomen in seinen ihm eigentümlichen Gesetzmäßigkeiten akkulturativ bedingt, von „magisch"-emotionaler Wirkung und notationsmäßig nicht faßbar. Es manifestiert sich im Verlauf der Jazzgeschichte sehr unterschiedlich. Seine historischen Erscheinungsweisen, seine Komponenten und seine Einzelmerkmale haben durchweg assoziativ-bildhafte Bezeichnungen gefunden (Beat, Bounce, Drive, Jump, Off-beat, Rock, Shuffle, Stomp u. a.). - 2) Bz. für einen Abschnitt der Jazzgeschichte (30er Jahre), der zwischen dem frühen, folkloristischen und dem neueren, zur Artifizierung drängenden 'Jazz vermittelt. Die durch die Binnenwanderung der afroamerikanischen Bevölkerung bedingte Verpflanzung 51
Swing des originären Jazz in die industriellen Ballungszentren im Norden der USA und seine davon unabhängige überregionale, ja internationale Verbreitung zwangen zur Anpassung an die Existenzbedingungen von Musik in der euroamerikanisch beherrschten Industriekultur. Der damit verbundene dialektische Austausch von „schwarz" und „weiß" führte zu einer Art „zweiter Akkulturation" (M. Miller), d. h. zur völligen Verschmelzung der afro-euro-amerikanischen Traditionsstränge im Akkulturationsprozeß, allerdings mit starken Tendenzen zur Trivialisierung. - Die Wurzeln des S. liegen im avancierten ř New Orleans Jazz, wie er in den 20er Jahren in Chicago entwickelt worden ist, vor allem aber in dessen Pendants in New York (Harlem) und in Kansas City, dem Hauptschauplatz der afroamerikanischen Musik des Südwestens (OE Kansas City Jazz). Waren die späten 20er Jahre Vorgeschichte, so dominierte das Neue seit 1930. Diese seit 1935 „Swing" genannte Musik wurde um eben die gleiche Zeit zu einem Massenphänomen (1935 Sensationserfolge Benny Goodmans) und erregte dabei auch das Interesse des ofMusiklebens. Anfang der 40er Jahre geriet der S. in eine Krise (1941 Kriegseintritt der USA), gegen Kriegsende war er endgültig vom ř Bebop verdrängt. Die Repräsentanten des S. sind die Big Bands (l Band), die in den 20er Jahren - nach dem Vorbild weißer, jazzbeeinflußter Tanzorchester (Paul Whiteman) - für die Bedürfnisse großer Tanzhallen und der Renommierunternehmen im Gaststättengewerbe entstanden: insbesondere die schwarzen Orchester von Fletcher Henderson (1923), Duke Ellington (1926) und Jimmie Lunceford (1927) in New York und in Kansas City das Orchester von Bennie Moten (1926) sowie - in seiner Nachfolge - von Count Basie (1936), daneben die weißen Big Bands als die eigentlichen ökonomischen Nutznießer, vor allen anderen das Orchester des „King of Swing", Goodman (1934). Innerhalb der Big Bands bildeten sich sog. Combos, d. h. solistisch besetzte und in ihrer Besetzung nicht genormte Kleinensembles der Stars eines Orchesters (Goodman), die nach dem Ende des S. die neuen Repräsentanten des Jazz wurden. Die S.-Ensembles nahmen mit Saxophon (und Vibraphon) neue Instrumente auf, elektrifizierten die Gitarre und erweiterten das Schlagzeug. Lit.: Zu 1): A. M. DAUER, Jazz — die magische Musik (Bremen 1961); E. L. WAELTNER, Metrik u. Rhythmik im Jazz, in: Terminologie der Neuen Musik (B 1965) (— Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 5); E. JosT, Free Jazz. Stilkrit. Unters. z. Jazz der 60er Jahre (Mn 1975); D. J. NoLL, Zur Improvisation im di Free Jazz. Unters. z. Ästhetik frei improvisierter Klangflächen (H 1977). — Zu 2): M. MILLER, Die zweite
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Akkulturation. Ein musiksoziolog. Versuch z. Entstehung des S., in: Jazzforschung/Jazz Research 1 (Gr 1970); S. DANCE, The World of Swing (NY 1974); A. MCCARTHY, Big Band Jazz (Lo 1974). — řJazz. J. HUNKEMÖLLER
SWINGLE SINGERS, frz. Jazzgesangsgruppe, gegr. 1962 von Ward Swingle (* 21.9. 1927), einem in Frankreich lebenden amerikanischen Sanger, Pianisten und Arrangeur. Die Gruppe mit der Solistin Christiane Legrand und in der Begleitung von Kontrabaß und Schlagzeug setzte die Musik von J. S. Bach und dann auch anderer Komponisten des Barock auf in sich stimmige Art und Weise in die Harmonien und Phrasierungen des Jazz um und hatte damit weltweiten Erfolg. Vorläufer der S. war die Gesangsformation „The Double Six of Paris" (1959-62), die nach Art des anglo-amerikanischen Ensembles „Lambert-Hendricks Ross" Instrumentaltitel des Jazz bzw. Chorusimprovisationen von Jazzmusikern wie Lester Young gesanglich interpretierte. SWIRIDOW, Georgi (Juri) Wassiljewitsch, * 3. (16.) 12. 1915 Fatesch (heute Oblast Kursk); sowjetruss. Komponist. Er studierte 1937-41 bei Dm. Schostakowitsch am Konservatorium in Leningrad und lebte dann hier als freischaffender Komponist, seit 1956 in Moskau; 1962-74 war er Sekretär des Komponistenverbandes der UdSSR. Vorwiegend Schöpfer von Vokalwerken, knüpfte S. an die russische Tradition, insbesondere M. Mussorgski, an und entwickelte, indem er charakteristisches Tonmaterial des alten russischen Brauchtumslieds, des Kant (russ. Strophenlied des 17. Jh.), der russischen Kirchenmusik und des zeitgenössischen städtischen und des Massenlieds in seine Werke einschmolz, eine eigengeprägte Tonsprache. Gelegentlich begegnen pentatonische Strukturen, das für die russische Volksmusik typische Schwanken zwischen zwei tonalen Zentren und die sog. Kursker Tonfolge (ein aus Ganztönen bestehendes Tetrachord). WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Kammermusik, u.a. Klv.-Trio (1945); 2 Streichquartette (1945, 1947). — Für Orch.: Symphonie für Streichorch. (1940); Musik für Kammcrorch. (1964); musikal. Illustrationen zu A. Puschkins Metel (Der Schneesturm) (1974); ferner 2 Klv.-Konzerte (1936, 1942). — Zahlr. Vokalwerke, u.a.: Swetlygost (Der prächtige Gast) (1965-76) (Text: S. Jessenin) für SingSt, Chor u. Orch. — Kantaten: Derewjannaja Rus (Das hölzerne Rußland) (1964) (Text: Jessenin); Sneg idjot (Es schneit) (1965) (Text: B. Pasternak); Wessenjaja kantata (Frühlingskantate) (1972) (Text N. Nekrassow); Oda Leninu (Ode auf Lenin) (1976) (Text: R. Roschdestwenski) für Sprecher, Chor u. Orch. — Musikal. Komödien: Raskinulos morje schiroko(Weithin dehnte sich das Meer), UA: Barnaul 1943; Ogonki(Lichtschimmer), UA: Kiew 1951. Lit.: A. SOCHOR, G. S. (Mos 1964, 2 1972); D. PERSON, G. W. S. Notobibliografitscheski sprawotschnik (Mos 1974). E. STÖCKL
Sylvia
SYCHRA, Antonín, * 9.6. 1918 Boskovice (Mähren), t 21. 10. 1969 Prag; tschechischer Musikforscher. Er studierte 1937-39 an der Universität Brünn (Vl. Helfert) Musikwissenschaft sowie 1945-48 an der Universität Prag Ästhetik, wurde nach der Promotion (1946) in Prag Dozent an der Pädagogischen Fakultät, 1948 an der Akademie der Musischen Künste, habilitierte sich 1952 an der Universität Prag und wurde dort im selben Jahr Professor für Ästhetik und Musikgeschichte. Schwerpunkte seiner Forschung waren das Problem des Realismus im Schaffen B. Smetanas, A. Dvořáks und L. Janáčeks sowie Theorie und Praxis marxistischer Musikwissenschaft. Schriften: Hudba a slovo v lidové písni (Musik und Wort im Volkslied) (Diss. Pr 1948); Stranická hudební kritika: spolutvůrce nové hudby (Pr 1951), dt. Übers.: Die Musikkritik der Partei als Mitschöpfer der neuen Musik (B 1953); L Janáček (Pr 1956); Estetika Dvořákovy symfonické tvorby (Habil.-Schrift Pr 1959), dt. Übers.: Die Ästhetik in Dvořáks symphonischem Schaffen (B
1973); Möglichkeiten der Anwendung der Kybernetik und der Informationstheorie in der marxistischen Musikwissenschaft, in: BzMw 7 (1965) u. 12 (1970).
SYLPHIDE, LA, Ballett in 2 Akten. Libretto: L. A. Nourrit, Musik: Jean Schneitzhoeffer (1785-1852). UA: 12.3. 1832 Paris (Théâtre de l'Académie Royale de Musique); Choreographie: Filippo Taglioni (1777-1871). Dt. EA: 29.5. 1832 Berlin (Hofoper). Im wesentlichen folgt das Libretto dieser Ballettkomposition, die als Inbegriff der romantischen Ballett-Feerie gilt, dem von Charles Nodier verfaßten Roman Trilby ou le Lutin d'Argail (1822): Die unglückliche, tragisch endende Liebe des jungen schottischen Bauern James zu einem elfenhaften Zauberwesen, einer Sylphide, markiert das Zentrum der Handlung. - F. Taglioni, der sich von dem von ihm choreographierten Nonnen-Ballett in G. Meyerbeers Oper Robert der Teufel (1831) inspirieren ließ, erarbeitete die sublime choreographische Disposition. Das märchenhafte Ambiente des Szenariums, zudem die eindrucksvolle Gegenüberstellung von Ballet d'action (1. Akt) und Ballet blanc (2. Akt) galten als die entscheidenden Charakteristika dieses Balletts, das richtungweisend für andere Kompositionen (Giselle, Schwanensee, Les Sylphides) wurde. Als künstlerischer Attraktionspunkt erweist sich die Rolle der Sylphide, die maßgerecht für Maria Taglioni konzipiert worden war und von der Tänzerin als Perfektionierung des Spitzentanzes derartig virtuos, expressiv wie auch suggestiv dargeboten wurde, daß sie - vom Publikum fanatisch gefeiert - fortan als Sylphiden-Gestalt identifiziert wurde. - Die heute gültige Version des Werks wurde 1836 von A. Bournonville
(Kopenhagen, Königl. Theater) erstellt; während er das von F. Taglioni entworfene Szenarium unverändert übernahm, bereicherte er hingegen die Choreographie um zahlr. tanztechnische Extravaganzen und fügte letztlich die von H. S. Baron von Lovenskjold komponierte, effektvoll instrumentierte Ballettmusik hinzu. - Wiederholt neu interpretiert, zählt insonderheit diese Fassung zum Repertoire aller namhaften Compagnien. G. LUDIN SYLPHIDES, LES (Chopiniana), Ballett in einem Akt. Choreographie: M. Fokin, Musik: Fr. Chopin, instrumentiert von A. Glasunow und Maurice Keller, S. Tanejew, A. Ljadow, N. Tscherepnin u. I. Strawinsky. UA der 1. und 2. Fassung: 10. (23.) 2. 1907 und B. (21.) 3. 1908 St. Petersburg (MarienTheater); UA der 3. Fassung: 2.6. 1909 Paris (Théâtre du Châtelet). Dt. EA: 1943 Berlin. Diese vielzitierte, von Fokin als „rêverie romantique" apostrophierte Komposition stellt sich als tänzerisch-musikalische Würdigung der klassischromantischen Ballettkunst des 19. Jh. dar. Nach bekannten Klavierstücken von Chopin disponierte Fokin dieses handlungslose „Ballet blanc" als Suite (Prélude A-Dur op. 28, 7; Nocturne As-Dur op. 32, 2; Ges-Dur-Walzer op. 70,2; C-Dur-Mazurka op. 67,3; Prélude A-Dur op. 28,7; cis-mollWalzer op. 64,2; Es-Dur-Walzer op. 18,1), mit der er „die Vermittlung reiner Poesie" tänzerisch zu visualisieren suchte. Vermutlich von F. Taglionis märchenhaftem, ätherischen Feenballett La Sylphide (1832) inspiriert, kreierte Fokin dieses Werk, das er - in Anlehnung an die beiden älteren Fassungen (Chopiniana) - für die erste Pariser Saison der Ballets Russes neu choreographierte. - Neben der subtilen choreographischen Konzeption und der effektvoll orchestrierten Klavierkomposition begründete die exzeptionelle, sublime tänzerische Präsentation der Solisten (Anna Pawlowa, W. Nischinski, Tamara Karsawina, Alexandra Baldina) den triumphalen Erfolg des Balletts, das - auch in jüngerer Zeit - trotz zahlreicher Neuinterpretationen wiederholt in seiner Originalchoreographie aufgeführt wurde. G. LUDIN SYLVIA oder Die Nymphe der Diana (Sylvia ou la Nymphe de Diane), Ballett in 3 Akten von L. Delibes. Libretto: Jules Barbier und Baron von Reinach. UA: 14.6. 1876 Paris (Opéra); Choreographie: Louis Mérante. Dt. EA: 1884 Berlin (Königliches Hoftheater). Das Libretto dieses mythologisch-pastoralen, im klassischen Stil choreographierten Handlungsballetts folgt im wesentlichen T. Tassos Schäferspiel Aminta: Die dem jungen Hirten Aminta von 53
Symbol Orion und Diana verwehrte Liebe zu der Nymphe Sylvia muß sich erst gegen die Willkür der Götter bewähren, ehe die beiden Liebenden zueinandergeführt werden. - Wurde das Handlungsgefüge dieses Balletts aufgrund seiner geringen dramaturgischen Sinnfälligkeit wiederholt kritisiert, erlangte die Musik hingegen derartige Berühmtheit, daß sie vorzugsweise sogar anderen Choreographien (L. Lawrowski, Fadetta, Leningrad 1934) zugeordnet wurde. Nachweislich inspirierte gerade die musikalische Komposition des Werks - besonders in jüngerer Zeit - die Choreographen zu vielbeachteten Neuinterpretationen (G. Balanchine, New York 1951; Fr. Ashton, London 1952 und auszugsweise 1967 ; E. Hanka, Wien 1952; E. Walter, Bregenz 1963 ; L. Seregi, Budapest 1972). G. LUDIN SYMBOL (von griech. symbolon = Kennzeichen, Merkmal, Erkennungszeichen). Der Begriff wird in nahezu allen Natur- und Geisteswissenschaften
verwendet, freilich terminologisch uneinheitlich und oft durch allzu weiten Begriffsumfang mehr verwirrend als erhellend; auch in der Musikwissenschaft ist ein tragfähiger S.-Begriff bisher nur ansatzweise entwickelt worden. Zumindest repräsentiert das musikalische S. in Notation und Klang einen außermusikalischen Sachverhalt, zumeist einen abstrakten Begriff, und gewinnt durch die nachträgliche Setzung von Bedeutung eine zusätzliche Dimension, die jedoch stets abhängig ist von Konventionen, die historisch vermittelt sind. Das musikalische S. kann innerhalb einer Komposition andere abbildhafte Béreiche der Musik überlagern oder durchdringen, z. B. musikalisch-rhetorische Figuren, Ausdruckswerte oder auch Darstellungsbezüge (r Tonmalerei, OE Programmusik). Bestimmte Instrumente, Tonarten, rhythmische oder formale Modelle und Zahlen bilden die Hauptbereiche musikalischer Symbolik im Wandel der Geschichte. Im antiken Griechenland sind der Aulos als Instrument und der Dithyrambus als Rhythmusträger dem Dionysos-Kult zugeordnet und werden ihrer schädlichen ekstatischen Wirkung wegen abgelehnt. Die Kithara und der PäanGesang stehen dagegen für den Gott Apollon. Mittelalterliche Bibelexegeten setzen Musikinstrumente zur symbolischen und allegorischen Deutung von Heilswahrheiten ein. Die Form des 10saitigen Psalteriums gilt als Sinnbild für den Leib Christi, die der Kithara als Zeichen seines Kreuzes. Die Orgel symbolisiert im Frühbarock die Geburt der Welt aus der Musik (A. Kircher). Trompeten als Zeichen von Herrschaft, Posaunen als Klang-S. der Unterwelt und des Jüngsten Gerichts oder Holzbläser für pastorale Szenerien behalten 54
ihre S.-Eigenschaften bis ins 20. Jh; die Kirchentonarten werden im MA in Fortführung antiker Traditionen mit charakteristischen Merkmalen belegt, eine grundsätzliche Unterscheidung bahnt sich in der Deutung des Tongeschlechts von Dur und Moll an. Bis weit über L. van Beethoven hinaus werden einige Tonarten (vorwiegend in der Oper) als Bedeutungsträger eingesetzt (F-Dur/GDur = pastoral ; Es-Dur = heroisch, kriegerisch ; d-moll = unheilvoll, dämonisch). Die franko-flämische Musik des 15./16. Jh. parallelisiert die Trinität und die Unendlichkeit Gottes mit einem 3stimmigen Kanon, mit ternärer Rhythmik, mit Zirkelkanon und perfekter Mensur. In der „Augenmusik" der Zeit stehen die Schwärzung der Notenwerte für Totenklage, Schmerz und Trauer. Das rhythmische Modell des Siciliano kennzeichnet über Jahrhunderte vielfältige Formen der Pastorale. Auf der Grundlage eines naturphilosophisch-mystischen Verständnisses vom Schöpfungskosmos gilt die Zahl seit Urzeiten als S.-Träger und gewinnt, angeregt durch die biblischen S.-Zahlen 1, 3, 7, 12 in der Antike und im MA in der Musik, immer mehr an Bedeutung. Die Zahlensymbolik der Musik der Renaissance verbindet oft die Textidee mit einer bestimmten Kompositionsstruktur, so die Beziehung Gott Vater und Gott Sohn etwa mit einem 2stimmigen Kanon oder die der Gottesmutter zugeschriebene Zahl 7 mit 7-Stimmigkeit oder mit 7 Cantus firmi versehenen marianischen Kompositionen. Das Werk J. S. Bachs bildet nicht nur in bezug auf die Zahlen-S.e, sondern auch für den gesamten Bereich der musikalischen Symbolik einen vielschichtigen und dennoch in sich geschlossenen Höhepunkt. Bis in die Gegenwart bedienen sich die Komponisten häufig der überkommenen Klangsymbolik, der symbolhaften Verwendung von Instrumenten und Tonarten (W. A. Mozart, Die Zauberflöte) oder Akkorden (z. B. l mystischer Akkord), chiffrenhaften Tonfolgen (z. B. B-A-C-H) sowie der r Zahlensymbolik. Die Leitmotivtechnik in den Musikdramen R. Wagners läßt sich als eindrucksvolles Symbolgewebe deuten. Die Komponisten der Wiener Schule verbleiben zwar noch im Spannungsfeld zwischen Symboldenken und struktureller Absolutheit (A. Berg, Violinkonzert), doch mit dem Schwinden von Darstellungs- und Ausdruckshaftigkeit in der Musik wird auch den traditionellen S.en der Boden entzogen. Die Musikwissenschaft hat sich im Anschluß an die Bachforscher J. N. Forkel, Ph. Spitta und A. Schweitzer zu Beginn des 20. Jh. durch H. Kretzschmar und A. Schering intensiv mit S.Analyse und -Interpretation beschäftigt. Scherings
Symmetrie „Symbolkunde", die wesentlich zur Erhellung der barocken Musiksprache beigetragen hat, ist freilich später einerseits durch eine zu umfassende Neutralisierung des S.-Begriffs (z. B. in der Anwendung auf Sachverhalte der musikalischen Figurenlehre), andererseits auch durch Scherings z. T. überzogene literarische „Deutungen" (r Hermeneutik) der Werke Beethovens wissenschaftlich in Verruf geraten. E. Schenk und sein Schülerkreis versuchten in den letzten Jahrzehnten, die Tonsymbolik als philologische Forschungsmethode zu rehabilitieren. Trotz zahlreicher neuerer Arbeiten fehlt aber bis heute eine historisch fundierte Systematik und Typologie musikalischer Symbole. Lit.: H. ABERT, Die Musikanschauung des MA u. ihre Grundlagen (H1 1905, Nachdr. Tutzing 1964); H. KRETZSCHMAR, Anregungen z Förderung musikal. Hermeneutik, in: ders., Gesammelte Aufsätze über Musik II (L 1911); K. ZIEBLER, Das S. in der Kirchenmusik J. S. Bachs (Kas 1930); A. SCHERING, Das S. in der Musik (L 1941); A. SCHMITZ, Die Bildlichkeit der wortbezogenen Musik J. S. Bachs (Mz 1950, Laaber 21970); W. S. HUBER, Motivsymbolik bei H. Schütz (Bas 1961); E. A. LIPPMAN, Symbolik, in: MGG XII; W. DANCKERT, Tonreich u. S.zahl in Hochkulturen u. in der Primitivenwelt (Bonn 1966); W. ELDERS, Stud. z Symbolik in der Musik der alten Niederländer (Bilthoven 1968); H. KAYSER, Die Harmonie der Welt (W 1968); E. SCHENK, Ausgew. Aufsätze, Reden u. Vorträge (Gr — W — Kas 1968); A. ROSENBERG, Die Zauberflöte. Gesch. u. Deutung V. Mozarts Oper (Mn 1972); T. KNEIF, Musik u. Zeichen, in: Musica 27 (1973); R. DONINGTON, R. Wagners „Ring des Nibelungen" u. seine S.e. Musik u. Mythos (St 1976); H. GIESEL, Stud. z Symbolik der Musikinstr. im Schrifttum der alten u. ma. Kirche (Rb 1978); Wörterbuch der Symbolik, hrsg. v. M. LURKER (St 1979) (mit zahlr. Musikartikeln); H. JUNG, Die Pastorale. Stud. z. Gesch. eines musikal. Topos (Be — Mn 1980); DERS., Der S.begriff in der Musikwiss., in: Bibliogr. z Symbolik, Ikonographie u. Mythologie 13 (1980); DERS., Zur Phänomenologie musikal. S.e, in: Kgr.-Ber. Bayreuth 1981. H. JUNG
SYMMETRIE (von griech. symmetria = richtiges Verhältnis, Ebenmaß, Kommensurabilität) ist ein in der Natur, in der Kunst und besonders auch in der Musik erkennbares Strukturierungsprinzip, auf dem alle Rede von der Musik als Harmonie bzw. als rational begründeter, auf Proportionen beruhender Ordnung basiert und das seit der Antike sowohl die Konstruktion der Tonsysteme als auch die Erklärung der zeitlichen Gestalt, mithin die r Form der Musik überhaupt, betrifft und leitet. Dabei übersteigt die Suche nach musikalischer S. in der Musikbetrachtung mitunter den rationalen Untergrund und kann (wie schon im Neupythagoreismus) in mystische Zahlenspekulationen umschlagen. Außer in der allgemeinen Bedeutung (Wohlproportioniertheit und Konkordanz der Teile so, daß sie sich zu einem Ganzen fügen) begegnet S. in der Musik in verschiedenem speziellem Sinne. Insbesondere in der Musik des 20. Jh. (r Zwölftonmu-
sik, l serielle Musik u. a.), aber auch schon in früheren Satzformen und -techniken zeigt sich die bilaterale S. als einfachster Fall eines geometrischen S.-Begriffs auf der Ebene von Akkorden, Motiven (Themen), Formteilen und sogar ganzen Stücken. Hierher gehören etwa die rückläufige Anordnung von Formteilen (alle „Bogenformen" wie ABC B A), die alten kontrapunktischen Verfahren Krebsgang und OE Umkehrung (Spiegelungen an einer Zeit- oder Tonhöhenachse, d. h. im Notenbild an einer Vertikalen oder Horizontalen) sowie der Aufbau von Klängen und Akkorden, sofern ihre Intervallstruktur spiegelsymmetrisch angeordnet ist, oder die Umkehrung von Rhythmen (z. B. J J J wird J J J). Die symmetrischen Bildungen können in diesen Fällen hörbar sein, dienen jedoch als Kunstmittel eigentlich dazu, der Komposition Zusammenhang und Dichte bzw. der musikalischen Form ein architektonisches Gerüst zu verleihen, und erschließen sich in vielen Fällen nur der analytischen Versenkung in den Notentext. Sofern bestimmte Richtungen der Neuen Musik (z. B. die Gruppenkomposition) das Verhältnis von Klang und Form bzw. Zeit neu zu bestimmen versuchten, wurden außerdem höhere Fälle des mathematischen S.-Begriffs bestimmend (z. B. translative und rotative S. n bei M. Kagel, 1960). Der „Nichtumkehrbarkeit" der Zeit trägt in der Musik die Perioden-S. (Korrespondenz von Aufstellung und Beantwortung) Rechnung, deren einfachster Fall die Wiederholung ist. Diese von Tanz und Lied herkommende, auf dem neuzeitlichen (Akzent-)Taktbegriff beruhende und primär metrische Form musikalischer S. ist bei H. Riemann theoretisch ausgebaut zur „Grundlage des Aufbaus musikalischer Formen" (1903, S. 198). Riemann betrachtet das aus 2 Zählzeiten bestehende (auftaktige) Taktmotiv J als „erste S.", zu dem ein weiterer Takt als „ihm antwortend, zu ihm in S. tretend aufgefaßt wird" ; den beiden Takten antworten wieder 2, diesen 4 erneut 4 Takte. Nachdem die Perioden-S. in der Musik der Wiener Klassik ihre reinste Ausprägung gefunden hat, büßte sie in der Kunstmusik im Laufe des 19. Jh. an Verbindlichkeit ein, indem die „Quadratur" (R. Wagner) von einer musikal. „Prosa" abgelöst wurde, die das Korrespondenzprinzip der musikal. Syntax aufkündigte. Eine über die Perioden-S. Riemanns hinausgehende umfassende und mathematisch fundierte Theorie der S. in der Musik fehlt noch. Lit.: H. RIEMANN, System der musikal. Rhythmik u. Metrik (L 1903); W. WERKER, Stud. über die S. im Bau der Fugen ... des Wohltemperierten Klaviers v. J. S. Bach (L 1922); H. EIMERT, Lehrbuch der Zwölftontechnik (Wie '1954, "1973); H. WEYL, S. (Bas — St 1955); M. KAGEL, Translation-Rotation, in: Die Reihe 7 (W 1960); G. MASSENKEIL, Unters. z Problem der S. in der In-
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Symphonia strumentalmusik W. A. Mozarts (Wie 1962); E. WERNER, Grundsätzliche Betrachtungen über S. in der Musik des Westens, in: Studia musicologies 11 (1969); W. SEIDEL, Ober Rhythmustheorien der Neuzeit (Be — Mn 1975). A. RIETHMOLLER
SYMPHONIA (lat., von griech. syn = mit, zusammen und phoně = Schall, Klang), einer der wenigen originär musikalischen Begriffe der Musiktheorie. In der Antike und im MA bedeutet S. soviel wie Konsonanz, auch im Sinne einzelner, als konsonant geltender Intervalle (Oktave, Quinte, Quarte, Einklang), darüber hinaus auch Zusammenklang im realen oder übertragenen Sinne (OE Sphärenharmonie). Andererseits bezieht sich der Ausdruck auch auf ein Instrument, auf dem man Zusammenklänge produzieren kann : in erster Linie die Drehleier, aber auch die r Sackpfeife und, nach 1500, das Clavichord bzw. jegliches Tasteninstrument. Seit dem 16. Jh. findet sich der Terminus S. als Bz. für mehrstimmige Kompositionen (G. Rhau, Symphoniae iucundae, 1538; H. Waelrant, Symphonia angelica, 1585), ohne auf besondere Stileigentümlichkeiten hinzuweisen. Auch hinsichtlich der Symphoniae sacrae von G. Gabrieli (1597, 1615) bzw. von H. Schütz (1629, 1647, 1650) ist noch umstritten, ob der Begriff sich hier wirklich speziell auf das Zusammenwirken von Instrumenten und Singstimmen bezieht. Im 17. Jh. nimmt der Ausdruck die Bedeutung einer rein instrumentalen Musik an und ist synonym mit dem Begriff Sinfonia. Lit.: H. J. MARX, Zur Bedeutung des Begriffs „S." im MA, in: Kgr:Ber. Kopenhagen 1972 (Kop 1972).
SYMPHONIE, Sinfonie (engl.: symphony ; it.: sinfonia; span.: sinfonía), ein mehrsätziges, in bezug auf Besetzung, zeitliche Ausdehnung und kompositorische Ausarbeitung verhältnismäßig groß und anspruchsvoll angelegtes Orchesterwerk. Die S. ist vom späten 18. bis ins 20. Jh. die repräsentative Gattung der Instrumentalmusik, das Medium, dessen sich die Komponisten stets bedienten, wenn sie musikalische Gedanken von besonderer Be-
deutung zum Ausdruck bringen wollten. Allgemeines. Es gibt kein zentrales Urbild der symphonischen Form. Im Verlauf ihrer Entwicklung hat die Gattung 2 Grundtypen ausgebildet, die in der äußeren Erscheinungsform eng miteinander verwandt sind, aber auf verschiedenen ästhetischen Konzeptionen beruhen. Der erste Typus, der beispielhaft in den späteren S.n J. Haydns verwirklicht ist, stellt die nach langer Entwicklungsphase erreichte Standardform dar. Es handelt sich um einen ausgewogenen Verbund von Satzcharakteren: einem markanten und lebhaften Anfangssatz folgt ein eher gesanglicher, langsamerer „Gegen56
Satz" ; am Ende steht ein schnelles Finale von heiterer oder auch ausgelassener Grundstimmung (als „Kehraus'`). In diese statische Symmetrie von Formeröffnung, -zentrum und -abschluß wird ein weiteres Element auflockernd eingefügt, das die Balance zwar stört, aber nicht zerstört: das r Menuett. Es ist ein Satz mit episodischer Funktion, der in Ausdruck und Plazierung (an 2. oder 3. Stelle) dem Charakter des jeweiligen Zyklus angepaßt werden kann. Auch die formale Gestaltung der Teile läßt Normen erkennen: Für den ersten Satz gilt zwingend das Prinzip der r Sonatensatzform, die langsamen Sätze haben oft liedhafte periodische Reihungsform. Das Menuett weist unveränderlich die konventionelle 3teilige Struktur (Hauptteil - Trio - Wiederholung des Hauptteils) auf, und die Kehraus-Finali sind meist als r Rondo (oder auch als beschwingter, gleichsam schwereloser Sonatentypus) gestaltet. Die hier angeführten Merkmale hat die S. allerdings mit anderen Gattungen der Epoche (Sonate, Streichquartett u. a.) gemeinsam. Ihre spezifischen Eigenheiten ergeben sich aus der größerem Besetzung und den entsprechenden stärkeren Wirkungen in bezug auf Klangvolumen und Lautstärkedifferenzierung. Mit der Erweiterung der Klangfarbenskala (anfangs noch begrenzt auf Streicher, 2 Oboen und 2 Hörner) zur klassischen Standardbesetzung erschließt sich der Gattung eine weitere Dimension : das in der Oper früh entdeckte, in der Konzertmusik bis dahin jedoch wenig genutzte Instrumentalkolorit als Strukturelement. Der Grundfarbe des stark besetzten Streichorchesters treten nun je 2 Flöten, Oboen, Fagotte, Hörner, Trompeten und Pauken (gelegentlich auch 2 Klarinetten) gemeinsam als Komplementärfarbe oder auch ais einzelne Farbwerte mit zahlreichen Möglichkeiten der Mischung gegenüber. In zunehmender Erweiterung und Vertiefung hat sich die S. im 18. Jh. zur repräsentativen Instrumentalform entwickelt, die „zum Ausdruck des Großen, des Feierlichen und Erhabenen vorzüglich geschickt" ist (J. A.. P. Schulz, 1793). In den „Pariser" und „Londoner" S. n J. Haydns und den Meisterwerken von W. A. Mozart zeigt sich der klassische Typus der S. in seiner idealen Ausprägung. Mozarts symphonisches Vermächtnis, die letzten 3 seiner S. n (KV 543, 550, 551), weist in Einzelzügen auf eine neue Art der S. hin. Mit L. van Beethovens nicht mehr typischen, sondern individuellen Realisierungen der symphonischen Form vollzog sich eine Umwertung der S. vom geistvollen, beziehungsreichen Klangspiel zur „tönenden Botschaft". Aus der Reflexion, zu der seine „Tondichtungen" anregen, entwickelte sich eine regelrechte Ästhetik der musikalischen Form.
Symphonie Die Gattung galt nun als „anerkannt Höchstes in der Instrumentalmusik" (G. Schilling), als Inbegriff der „absoluten Musik". Der hohe Kunstanspruch zielt zunächst auf die Struktur: Man erwartet außergewöhnliche satztechnische Meisterschaft, vor allem hinsichtlich der ř thematischen Arbeit, aber auch einen überzeugenden tektonischen Aufbau der Gesamtform. Charakteristisch für die S. des 19. Jh. ist ihre „finale", auf den alles zusammenfassenden Schlußsatz hinzielende Anlage. Gleichzeitig sieht man in der S. aber auch die musikalische Ausdrucksform bedeutender, überindividueller Ideen; Empfindungen werden vergrößert projiziert, Gefühlsausdruck wird zum Pathos stilisiert. Musik ist Mitteilung, Adressat ist nicht mehr der einzelne, sondern eine Gemeinschaft, die Allgemeinheit, bei Werken mit ideologischer Tendenz wohl auch „die Menschheit". Charakteristika dieses musikal. Monumentalstils sind große Entwicklungsphasen, ausgedehnte Klangflächen, dynamische Eruptionen und auch das Kunstmittel des Leerlaufs als Sammelstelle für neue Evolutionen. Die Entsprechungen zu der anderen Monumentalform dieser Epoche, der Oper, sind offensichtlich. Nach deren Vorbild wird die S., „die Oper der Instrumente" (E. Th. A. Hoffmann), nun auch als Kunstform institutionalisiert. Die Etablierung der S. als Ressort der offiziellen Kulturpflege brachte der Gattung den Vorteil der Existenzsicherung: Der „Apparat" benötigte für seine Konzertreihen ständig Material und bot daher Aufführungsmöglichkeiten für neue Werke dieses Genres. Doch der Zwang konstanter Orientierung am gleichen Formmodell leitete zugleich einen Abnutzungsprozeß ein. Seit der 2. Hälfte des 19. Jh. traten neben den als alternde Tradition betrachteten Typus der „Ideen-Symphonie" andere „symphonische Formen". Das Bestimmungswort „symphonisch" ist vieldeutig, es kann mit Bezug auf das Urbild weiterhin als Qualitätsprädikat für technisch und geistig höchst anspruchsvolle Musik gemeint sein, wodurch angezeigt wird, daß hier andere Gattungen (Suite, Konzert, Variationenzyklus) auf höchstem kompositorischem Niveau gestaltet sind, es kann aber auch in Verbindungen wie „Sinfonischer Kolo" (ein serbischer Tanz) oder „Symphonisches Nocturno" lediglich eine „Besetzung für großes Orchester" anzeigen und damit auf seine rein quantitative Bedeutung reduziert werden. Das 20. Jh. hat keinen eigenen Typus der S. hervorgebracht, wohl aber eine Vielfalt symphonischer Kompositionen, die die traditionelle Form auf kritische oder affirmative, schöpferische oder eklektische Weise widerspiegeln. Geschichtliches. Die Geschichte der S. im Sinne
des beschriebenen Idealtypus beginnt eigentlich erst nach 1780 mit den reifen symphonischen Werken Haydns und Mozarts. Alles Voraufgegangene, also auch die zuvor entstandenen S.n dieser beiden Klassiker, zählt zur Vor- und Frühgeschichte der Gattung. Ursprung. Die S., dieser Inbegriff der autonomen Instrumentalmusik, gehört ihrer Herkunft nach in den Bereich der Oper. Sie stammt unmittelbar von der (neapolitanischen) Opernsinfonia ab, genauer gesagt, von dem Typus der r Ouvertüre, der seit Ende des 17. Jh. vor allem durch A. Scarlatti geprägt wurde. Die Vielgliedrigkeit der älteren (venezianischen) Opernintroduktionen wird hier erweitert zu 3 relativ selbständigen Formteilen: einem energischen Allegro, einem kantablen, oft nur überleitenden Mittelteil und einem schnellen Tanzsatz im Dreiertakt. Wesentliche Merkmale des späteren S.-Zyklus sind hier schon deutlich erkennbar. (Dem akzentuierten Anfang mit volltönender Dreiklangmelodik ist seine Bestimmung anzumerken : in einer lebhaft plaudernden Gesellschaft sich durchsetzen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Musik lenken zu müssen.) Das Formprinzip verbreitete sich rasch und wurde zum Muster für alle Ouvertüren italienischer Opern im frühen 18. Jahrhundert. Der Formtypus erwies sich aber auch als geeignet für eine rein konzertante Aufführung, so daß Ouvertüren dieser Art oft losgelöst aus ihrem ohnehin nur losen ursprünglichen Zusammenhang bei festlichen Musikdarbietungen eingesetzt wurden. Damit war der entscheidende Schritt zur Entstehung der Konzertsymphonie als Gattung getan. Die Symphonie im 18. Jahrhundert. Die Entwicklung der S. ist Teil des allgemeinen Geschmackswandels seit etwa 1730, der mit der Abkehr vom Stil des Spätbarock eine neue Sprache der Einfachheit (mit durchsichtiger Setzweise, symmetrischen Perioden und durch die Kadenzharmonik geprägten Themen und Formen) ausbildet, ein Idiom, das schließlich im Gestaltungsprinzip der Sonatensatzform die ihm angemessene, allgemein verbindliche Form findet. Die Merkmale dieses klassischen Formtyps sind : 1. der harmonische Grundplan
in Dur: T- D I Modulation -T in Moll: t - tP I Modulation - t
2. Die Verarbeitung bzw. „Entwicklung" des Themenmaterials durch Abwandlung (Durchführung), 3. Dreiteiligkeit der Form durch Wiederaufnahme (Reprise) des 1. Teils (Exposition) nach der Durchführung, 4. Einführung eines zweiten, kontrastierenden Themas (Seitenthema) in die Exposition. Weitere Aspekte der Entwicklung betreffen 57
Symphonie die Satztechnik, das Klangbild, den Eigenwert der Dynamik und die Gestaltung der zyklischen Form. Die früheste Phase der Gattungsgeschichte ist da-
durch gekennzeichnet, daß sich diese Merkmale der Sonatensatzform noch nicht zu einem einheitlichen Ganzen integriert, sondern nur in unterschiedlichen Einzelkombinationen finden. Die Entwicklung der S., die sich im Querschnitt als fortschreitende Annäherung an den klassischen Typus erweist, ist im einzelnen ein diskontinuierlicher Prozeß, an dem viele Komponisten der Epoche beteiligt waren, ohne daB ihr persönlicher Anteil daran exakt zu bestimmen wäre, zumal eine genauere Untersuchung der Gesamtproduktion (ein Katalog der überlieferten S.n des 18. Jh. registriert rund 10000 Werke; vgl. J. LaRue, 1959) noch fehlt. Die von der Musikgeschichtsschreibung allgemein als Fakten behandelten Rückschlüsse aus meist isolierten Forschungen sind nur Teilaspekte und daher hinsichtlich der Zuschreibung von Prioritäten oder wechselseitigen Einflußnahmen mit Vorbehalt aufzunehmen. Unter den ungezählten S.-Komponisten des 18. Jh. ragen einige aufgrund ihrer Individualität oder der Wirkungskraft ihrer Werke heraus. Der Mailänder G. B. Sammartini gilt als der erste Verfasser von Konzert-S.n (vor 1740). Diese enthalten ansatzweise etliche Charakteristika der späteren Norm. Weitere it. Komponisten, die Beiträge zur Gattung lieferten, waren L. Boccherini und der in Spanien wirkende, kaum bekannte, aber originelle G. Brunetti. Die übliche Einteilung der „vorklassischen" S. nach regionalen Zentren geht oft nach äußerlichen Kriterien vor. In Mannheim haben jedoch die Gegebenheiten der kurfürstlichen Hofkapelle und die schöpferische Persönlichkeit ihres Begründers, J. Stamitz, zu einer wirklichen „Schule" geführt. Ihr Beitrag zur Entwicklung der S. besteht darin, die in hervorragendem Orchesterspiel erarbeiteten dynamischen und klangfarblichen Valeurs in die Struktur einbezogen zu haben. In 2 Generationen hat die Mannheimer Schule eine erstaunliche Zahl von Komponisten hervorgebracht, die Wesentliches zur Gattung der S. beigesteuert haben: Fr. X. Richter, I. Holzbauer, A. Filtz sowie die Söhne Stamitz', Carl und Anton, E. Eichner und besonders Fr. Beck. In Wien haben nach den als Innovatoren wohl überschätzten „Vorklassikern" G. M. Monn und G. Chr. Wagenseil Zeitgenossen Haydns wie der produktive K. Ditters von Dittersdorf (ca. 150 S.n) oder die kaum bekannten, aber originellen C. d'Ordořiez und J. Vanhal den Boden für die Klassiker bereitet. Paris - bis zur Revolution der glanzvollste Aufführungsort für Konzertmusik - war auch als Produktionsstätte bedeu58
tend mit S.n von Fr. J. Gossec, S. Leduc und I. Pleyel. Im nördlichen Deutschland führten die Theoretiker einen Disput über die Einbeziehung der Tanzform Menuett in die S., die als Stilvermischung abgelehnt wurde. In der Praxis setzen sich C. Ph. E. Bachs 18 S.n durch ihre individuelle Prägung vom allgemeinen Niveau (J. G. Graun, J. W. Hertel, J. A. Hiller) deutlich ab. In London dominierten der im it. Stil geschulte J. Chr. Bach und C. Fr. Abel. Beide Bach-Söhne hatten erheblichen Einfluß auf Haydn und Mozart und bilden so ein Bindeglied zur Wiener Klassik. Die Symphonien Haydns und Mozarts. Von der kollektiven Leistung der Komponisten im 18. Jh. hebt sich das symphonische Werk der Wiener Klassiker deutlich ab. Zwar sind beide zunächst noch dem an spruchslosen Zeitgeschmack verhaftet, doch leuchten aus der liebenswürdigen Durchschnittlichkeit der Frühwerke etliche Glanzlichter auf. Dabei liegt Haydns Stärke in der formalen Phantasie, Mozarts Kunst im musikalischen Einfall. In Haydns Gesamtbestand von mehr als 104 S.n zählen dazu die „Tageszeiten-Trilogie" (Nr. 6, 7, 8) mit den Untertiteln Le matin, Le midi und Le soire, Nr. 28 A-Dur, Nr. 30 Alleluja und Nr. 31 (mit 4 obligaten Hörnern). Nach 1770 (etwa seit Nr. 43) gewinnt jedes einzelne Werk mehr an Profil, 1785/86 sind mit den „Pariser" S.n (Nr. 82-87) die Merkmale des klassischen symphonischen Stils voll ausgebildet: Durchführungstechnik, durchbrochene Arbeit, obligate Bläserführung. Dazu kommt Haydns persönlicher Stil : die harmonischen und dynamischen Überraschungen, die auch die derbe Pointe nicht scheuen (der berühmte Paukenschlag in Nr. 94), und die häufigen Störungen der metrischen Ebenmäßigkeit durch Verkürzungen oder Dehnungen, die im Gegensatz zu der eher naturhaft wirkenden Asymmetrie bei Mozart etwas Mutwilliges zu haben scheinen. 1791-95 schließt Haydn mit den 12 „Londoner" S.n sein symphonisches Schaffen ab. - Mozart war nur „nebenberuflich" Symphoniker. Seine S.n sind Gelegenheitswerke und stehen in seinem Gesamtwerk vereinzelt da. Die frühen S.n verraten wenig kompositorischen Ehrgeiz, dennoch weisen alle als Markenzeichen einen gewissen Mozartschen Charme auf. Das Clair-obscurKontrastpaar der S.n g-moll (KV 183) und A-Dur (KV 201) des 18jährigen zeigt allerdings deutlich die Handschrift des Genies. Die „Haffner"-S. (KV 385), eine auf 4 Sätze reduzierte Serenade, belegt die Identität von Divertimento- und S.-Stil dieser Schaffensperiode. „Linzer" und „Prager"S. (KV 425 u. 504) sind weitere Stufen zur Vollendung, die mit dem Dreigestirn Es-Dur (KV 543), g-moll (KV 550) und C-Dur (KV 551) erreicht ist.
Symphonie Die Symphonien Beethovens. Das Neue und Besondere an Beethovens reifen Werken war, daß sie dem Hörer den Eindruck vermittelten, es müsse hinter ihrer Klangwirklichkeit ein höherer, ein „metaphysischer" Sinn stehen, den es zu begreifen galt. Dies betrifft allerdings noch nicht im vollen Umfang die beiden ersten S.n C-Dur (1800) und D-Dur (1802), die noch dem Geist der Musik des 18. Jh. verhaftet sind. In handwerklicher Beziehung ist Beethovens symphonischer Stil jedoch auch hier schon voll ausgebildet: Die Orchesterbesetzung mit je 2 Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Hörnern, Trompeten und Pauken ist jetzt die Norm. Als lebhafter Binnensatz wird im Prinzip das Scherzo eingesetzt (der 3. Satz der 1. S. trägt noch die Bezeichnung Menuett, hat aber durchaus Scherzo-Charakter). Satztechnik und Instrumentation sind souverän gehandhabt. Haydns Überraschungstechnik ist hier aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Sinfonia eroica (Es-Dur, Nr. 3, 1805) begründet den Typus der „Ideen-Symphonie", der in der 5. S. c-moll (1808) seine Weiterentwicklung und in der 9. S. d-moll mit Schlußchor über Fr. von Schillers Ode An die Freude (1824) seine äußerste Steigerung erfährt. Mit Einschränkungen läßt sich auch Nr. 7 A-Dur (1813) dieser Gruppe zuzählen. Die übrigen S.n, zeitlich jeweils dazwischen stehend, verhalten sich zu ihren dramatisch bewegten Nachbarwerken wie ausgleichende Kontrapostformen: die verhaltene 4. S. B-Dur (1807), die idyllische 6. S. Pastorale F-Dur (1808) und die humorvolle B. S. F-Dur (1814). In diesem universellen Gesamtwerk mit seinen mannigfaltigen Gestaltungsideen hat Beethoven Generationen nachfolgender Komponisten Muster und Anregungen zur Nachahmung und Weiterführung gegeben. Die Erweiterung der Besetzung um Posaunen (Nr. 5, 6 und 9) und um weitere 2 Hörner (Nr. 9) wurde Ausgangspunkt des romantischen S.-Orchesters. Die für Beethoven typischen Ausdruckscharaktere des Adagio molto (in Nr. 9, auch 3 und 4), des Scherzos und des Apotheose-Finales (Nr. 3, 5, 7, 9), aber auch formale Innovationen wie ein 2.Trio im Scherzo oder die unmittelbare Ineinanderführung zweier Sätze wurden in der S. des 19. Jh. oft verwendete Kunstmittel. Vor allem die 9. S. mit ihrem grenzüberschreitenden Chorfinale löste weitreichende Entwicklungen aus, von der Symphoniekantate (F. Mendelssohn Bartholdy) über die „Ode-Symphonie" in Frankreich (Félicien David) bis zu G. Mahlers vokal-symphonischen Mischformen. R. Wagner sah in seinem Musikdrama die konsequente Fortsetzung der im Schlußsatz der 9. S. eingeleiteten „Erlösung der Musik" durch das Wort. Aber auch formale Be-
sonderheiten erwiesen sich als zukunftsweisend: die motivische „Rückblende" im Schlußsatz auf die vorhergehenden Sätze (A. Bruckner, A. Dvořák) oder der „Vorspann" einer allmählichen Entwicklung des Hauptthemas aus noch ungeformtem Tonstoff im 1. Satz (Bruckner). Doch waren dies alles Langzeitwirkungen, die Zeitgenossen blieben in respektvoller Distanz, hielten sich mehr zu Haydn und Mozart und folgten Beethoven allenfalls in Äußerlichkeiten (L. Spohr, C. M. von Weber). Die Symphonie nach Beethoven: Deutschland bis 1870. Den Komponisten der Romantik wird häufig vorgeworfen, sie seien „eigentlich" keine Symphoniker gewesen. Die Kritik ist nicht unbegründet, wenn der symphonische Stil Beethovens als alleiniges und ausschließliches Kriterium angesehen wird. Eine große Form dieser Art zu schaffen, ist nicht nur eine Frage des Einfalls und des kompositorischen Handwerks, sondern auch eine Frage des Temperaments, dessen zweifellos dazugehörende feurige Komponente vielen Romantikern wohl abging. Der Vorwurf richtet sich selten gegen Fr. Schubert, vielleicht weil seine beiden entscheidenden Beiträge zur Geschichte der S. durch ihre Originalität die Kritik auBer Kraft setzen (während seine früheren S.n - Nr. 1-6, 1813-18 - als Jugendwerke, die sich noch am Vorbild des 18. Jh. orientieren, aus der Wertung herausgenommen sind). An Schuberts „Großer S. CDur" (1828) rühmt ihr Entdecker R. Schumann neben der - allzuoft zitierten - „himmlischen Länge" die „völlige Unabhängigkeit zu den S.n Beethovens" und den „novellistischen" (d. h. epischen) Charakter. In der - nicht für die Entwicklung der S., aber für die Geschichte der Musik - noch bedeutenderen „Unvollendeten" (1822) hat Schubert vielleicht unbewußt den Typus einer „lyrischen Symphonie" schaffen wollen, ein in den beiden auskomponierten Sätzen hinreißend realisiertes Unterfangen, das wohl am Problem der zy7 klischen Form scheitern mußte, aber darin noch Größe beweist. - Wie bei Schubert, so war sicherlich auch bei R. Schumann und F. Mendelssohn Bartholdy die angeborene Begabung für andere Genres ausgeprägter, bei diesem für das charakteristische Orchesterstück und die Kammermusik, bei jenem für Klaviermusik und Lied. Dennoch haben beide in ihrem Bemühen um die „große Form" die Gattung bereichert. Ihre S.n entsprechen sich in der Einbeziehung eines „poetischen" Elements: Unveröffentlichte Untertitel zeigen an, daß hier Eindrücke von Landschaften oder Naturvorgängen in Musik umgesetzt worden sind. Dennoch sind sowohl Mendelssohn Bartholdys „Italie59
Symphonie nische" S. A-Dur (1833) und die „Schottische" amoll (1834) als auch Schumanns „Frühlings"-S. B-Dur (1841) und seine „Rheinische" Es-Dur (1850) eigenwertige symphonische Werke, bei denen die ausgelösten Assoziationen nicht von der Musik ablenken, sondern ihre Wirkung verstärken. Mendelssohn Bartholdys Formen haben vielfach tänzerischen oder balladenhaften Charakter; seine Satztechnik und Instrumentationskunst sind meisterhaft. Dagegen hat sich Schumann, vom Klavier herkommend, mit dem Orchester schwer getan (sein bestes Orchesterwerk ist bezeichnenderweise das Klavierkonzert). Die pastose, selten aufgelichtete Klangfärbung entspricht andererseits ganz dem öfters in versonnenes Grübeln versinkenden Grundton seiner Musik. Daneben gibt es aber auch den jubelnden emphatischen Aufschwung mancher Satzanfänge und mitreißende Schlußsteigerungen. Schumann wie Mendelssohn Bartholdy haben sich intensiv mit dem Problem einer einheitlichen Gestaltung des 4sätzigen Zyklus befaßt. Ersterer kam vor allem in der S. d-moll (1841 komponiert, als „Symphonische Phantasie" aufgeführt, 1851/52 überarbeitet und als Nr. 4 bezeichnet) zu einer eigenwilligen, alle Sätze zu einem einheitlichen Zusammenhang verbindenden Lösung. Die Programmsymphonie. Nach Schumanns letzter S. entstand in einem Zeitraum von fast 20 Jahren in dieser Gattung kein Werk von überragender Bedeutung. Das Vakuum wurde ausgefüllt durch ein neues Genre, bei dem das geistige Konzept der Form als „dichterischer Vorwurf ` konkretisiert wurde : die „Programmsymphonie". Das erste und grundlegende Werk dieser Art hatte H. Berlioz 1830 in Frankreich entworfen : die Symphonie fantastique mit 6 an der zyklischen Form der S. orientierten Sätzen nach einem bizarren, eigenes Erleben und Phantastik mischenden Programm (Épisode de la vie d'un artiste: Reveries, passions; Un bal; Scene aux champs; Marche au supplice; Songe d'une nuit du sabbat). In seinen weiteren programmatischen Werken bezog Berlioz auch andere Gattungen ein (Harold en Italic mit konzertierendem Bratschenpart und Roméo et Juliette, „Symphonie dramatique" mit Solostimmen und Chor, 1839). Angeregt durch Berlioz' Grundidee entwickelte Fr. Liszt in Entsprechung zur Konzertouvertüre das Konzept einer Tondichtung in einem Satz, die sich als ř symphonische Dichtung vor allem bei den Anhängern Liszts und Wagners zu einer eigenen Gattung entwickelte. Doch wurden auch weiter noch mehrsätzige Programm-S.n geschrieben (Liszt: Faust-S., 1854; Dante-S., 1856; J. Raff, 11 Programm-S.n; ein später Nachfahre ist R. Strauss 60
mit Aus Italien, 1886, und der Symphonia domestica, 1903). Deutschland nach 1870. Die historische Zäsur in der Geschichte der S. entspricht genau der Vorbereitungsphase für das symphonische Erstlingswerk von J. Brahms. Es ist symptomatisch, daß aus seinem noch zu Schumanns Lebzeiten 1853 begonnenem ersten Versuch einer Symphonie ein Klavierkonzert (d-moll, op. 15) entstand und daß ein zweiter Anlauf insgesamt 14 Jahre bis zur Vollendung brauchte. 1876 wurde die 1. Symphonie c-moll, op. 68 erstmals aufgeführt. Die Zeitgenossen empfanden sofort den besonderen Rang dieses Werkes. (E. Hanslick schrieb, es sei „kein Komponist dem Stil des späteren Beethoven so nahe gekommen") Brahms' folgende S.n - jede ein ausgeprägt individuelles Werk - halten diese Höhe in Form und Inhalt: Nr.2 D-Dur, op. 73 (1877); Nr. 3 F-Dur, op. 90 (1883); Nr. 4 e-moll, op. 98 (1884/85). Brahms hat keinen neuen symphonischen Baustil geschaffen, aber er hat den traditionellen Grundriß der S. auf eigenschöpferische Art von innen heraus erneuert. Allgemeine Merkmale seines Stils sind die allgegenwärtige Motivverarbeitung, eine daraus resultierende kompakte Setzweise, eine stufenreiche diatonische Harmonik und gedeckte, aber „von innen heraus" leuchtende Klangfarben. Selbst die Ecksätze zeigen einen Anflug von Melancholie, hinter der aber eine ungeheure - gebändigte - Kraft spürbar wird. - Neben diesem bruchlos in die Tradition eingegliederten Brahmsschen tEuvre und seinem Widerschein in gediegenen symphonischen Werken seiner Zeitgenossen und Gefolgsleute (M. Bruch, J. Rheinberger, H. Goetz, F. Draeseke, H. von Herzogenberg u. a.) steht das etwa gleichzeitig entstandene symphonische Schaffen von A. Bruckner (2 frühe, 8 numerierte S.n; das Finale der 9. S. blieb unvollendet) wie ein erratischer Block in der Geschichte der Gattung. Deutliche Stileinflüsse von Beethoven (in Form und Kompositionstechnik), Wagner (in Harmonik und Orchesterklang) und in vieler Hinsicht auch von Schubert sind Bruckners eigener Sprache ohne Rückstände anverwandelt. Im Gegensatz zu allen anderen Komponisten des 19. Jh. war Bruckner nicht bemüht, individuelle Einzelwerke zu schreiben, er schuf sich einen spezifischen Grundtypus, den er in leichten Varianten immer wieder realisierte. Persönliche Stilmerkmale, etwa der geheimnisvoll raunende Beginn, die weitausholenden Steigerungswellen, der typische „BrucknerRhythmus" (Duole + Triole, oder umgekehrt), die orgelmäßige Registerinstrumentierung und die choralartigen oder eruptiven Blechbläserapotheo-
Symphonie sen prägen jedem seiner Orchesterwerke seinen
Stempel auf. Bruckners S.n sind Monumentalformen, die zu ihrer Entfaltung - ihrem Material und ihrem Aufbautempo gemäß - einem ausgedehnten Zeitraum benötigen, dem aber auch ein ausreichend langer symphonischer Atem entspricht. Eine Tendenz zum Monumentalstil findet sich auch bei G. Mahler (9 S.n, 1888-1909; eine 10. S. blieb Fragment). Während Bruckner in naiver Gläubigkeit seine Vorstellung von der gegebenen Weltordnung in Klang umsetzt, sucht der so ambitionierte wie hypersensitive Mahler „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt zu bauen". Im Bestreben, die S. als Ideenkunstwerk weiterzuentwickeln, vergrößert er den Aufführungsapparat (die UA der B. S. benötigte ein Orchester von 170 Musikern), vermehrt die Satzzahl bis auf 7 und sucht vor allem immer nachdrücklicher die „Idee" durch Einbeziehung des gesungenen Wortes zu konkretisieren. Die S.n Nr. 2, 3 und 4 enthalten Vokalformen für Chor und Solisten (Texte aus Des Knaben Wunderhorn); die ausladende B. S. („S. der Tausend") über den Hymnus Veni Creator Spiritus und den Schluß aus Goethes Faust II ist gattungsmäßig ein Großchorwerk und das ausdrücklich als „Eine S." bezeichnete Lied von der Erde ein symphonischer Liederzyklus. Mahlers letzte vollendete, rein instrumentale S. (Nr. 9, D-Dur, 1909), mit einer ungewöhnlich großen Orchesterbesetzung, die aber weitgehend auf differenzierte Weise kammermusikalisch eingesetzt ist, klingt aus mit einem breit ausgeführten Adagio in Des-Dur, als sei sie ein Epilog auf die Gattung, die wie keine andere Instrumentalform musikalisches Sinnbild ihres Jahrhunderts war. Symphonie und Nationalstil. Die S. des 19. Jh. war anerkanntermaßen eine spezifisch deutsche Form. Soweit im übrigen Europa Orchestermusik geschrieben wurde, orientierten sich die Komponisten am klassischen Vorbild (L. Cherubini, G. Bizet, Ch. Gounod, W. St. Bennet, A. Rubinstein u. a.). Das von der Mitte des 19. Jh. an zunehmende Bewußtwerden eigener kultureller Werte der Völker - vor allem in den Randzonen Europas - wirkte sich auch auf die Instrumentalmusik aus, am deutlichsten in programmatischen Werken mit nationalem Sujet, aber auch auf die Symphonie. Hier ergibt sich die kompositionstechnische Schwierigkeit, folkloristisches Material symphonisch zu gestalten. Was bei den Binnensätzen mit liedhaft-balladesken oder tänzerischen Formen sinnvoll sein kann, bleibt bei Kopf- und Finalsätzen, wo es darum geht, den volkstümlichen Dialekt in die Hochsprache der Sonatensatzdialektik zu übertragen, problema-
tisch. - Nordische Länder. Am frühesten entdeckten die skandinavischen Komponisten ihren nationalen Tonfall: in Dänemark J. P. E. Hartmann und vor allem N. Gade; in Schweden Fr. Berwald und in Norwegen J. Svendsen. Von der späteren Generation, die in Kenntnis der Musik Liszts, Wagners und Brahms' aufwuchs, sind der Däne C. Nielsen und der Finne J. Sibelius hervorzuheben. In ihren symphonischen Werken tritt das Folkloristische zugunsten motivischer Substanz zurück, was ihre stärkere übernationale Wirkung förderte. - Osteuropa. Das skandinavische Element blieb insgesamt etwas blaß, doch bekam die S. von seiten der slawischen Musik einen kräftigen und farbigen Akzent. Dabei wird Böhmen, ein Stammland der Musik, primär durch A. Dvořák repräsentiert, von dessen 9 S.n vor allem die 4 letzten (1880-93 entstanden) der älter und gesetzter gewordenen Gattung jugendlich-schwungvolle Impulse zuführten. Neben und nach ihm schufen Zd. Fibich und J. B. Foerster beachtenswerte S.n (während B. Smetana sich mehr der symphonischen Dichtung zuwandte). Aus den übrigen osteuropäischen Ländern sind zu nennen : für Polen J. Elsner zu Beginn und Z. Noskowski am Ende des 19. Jh., für das (nicht-slawische) Ungarn M. Mosonyi und der deutschbürtige R. Volkmann. Einen gewichtigen Beitrag leistete Rußland, vor allem durch die betont russisch „intonierten” S.n von A. Balakirew, N. Rimski-Korsakow und A. Borodin aus der Gruppe der Fünf. Dauernden Erfolg errang aber nur P. Tschaikowsky, dem es gelang, die Mitte zwischen dem heimatlichen Idiom und der von Zentraleuropa übernommenen symphonischen „Weltsprache" zu finden. Neu für die Gattung war an dieser russ. Symphonik die unvermittelte Gegenüberstellung von Melancholie und unbändiger Wildheit. Die Symphonie im 20. Jahrhundert. Mahlers „Abgesang" auf die Gattung der S. hatte rein symbolischen Charakter. In der Realität wurde der S.-Typus des 19. Jh. bis weit ins 20. Jh. fortgeschrieben (außer durch J. Sibelius und C. Nielsen u. a. von E. Elgar, G. Ropartz, H. Pfitzner, R. Vaughan Williams, Fr. Schmidt, C. Szymanowski und A. Bax). Am beharrlichsten hielten russ. Komponisten die Tradition aufrecht - von A. Glasunow über A. Skrjabin, S. Rachmaninow bis zu A. Mjaskowski (27). Andererseits kündigte sich bei den fortschrittlicheren Komponisten ein Auflösungsprozeß an: im Ausweichen auf freiere „symphonische" Formen (Suite, Rhapsodie, Prolog, Konzert) oder im Zurückgehen auf das zumindest im Anspruch verkleinerte Format der Sinfonietta (M. Reger, L. Janáček). Die Hypertrophie der Rie61
Symphonie senbesetzung findet ihr Gegenbild in der Kammer-S. (A. Schönberg, Fr. Schreker, D. Milhaud). Mit der antiromantischen Haltung der Neuen Musik seit dem 2. Jahrzehnt des 20. Jh. scheint das Ende der S. definitiv erreicht zu sein, man schreibt nun „Stücke", „Mouvements" oder einfach „Musik" für Orchester. Der Neoklassizismus der 30er Jahre bringt jedoch eine Neubelebung der Gattung, allerdings mit starkem Akzent auf der Faktur, wobei eine Tendenz zu monothematischer Gestaltung erkennbar wird. Zu den Komponisten der Neuen Musik mit zahlenmäßig oder qualitativ erheblichem symphonischem Schaffen zählen S. Prokofjew (der mit seiner Symphonie classique, 1917, die Wiederbelebung vorwegnahm), A. Roussel, A. Zemlinsky, I. Strawinsky, A. Honegger, G. Fr. Malipiero, B. Martinů, P. Hindemith, J. N. David, E. Krenek und K. A. Hartmann. Auffällig ist die große Zahl von S.n im Werk der Vertreter amerikanischer Musik, in der wohl ein Nachholbedarf für eine bodenständige repräsentative Form bestand : Ch. Ives (der mit seinen 4 eigenwilligen S.n zwischen allen Stilen steht), W. Piston (8), R. Sessions (8), R. Harris (12), A. Copland (4) und W. Schuman (9). Manche als S. bezeichneten Kompositionen gehören nicht zur Gattung im engeren Sinne : Strawinskys Symphonies pour d'instruments à vent greifen auf den (prä-)historischen Sinfonia-Begriff des 17. Jh. zurück, A. Weberns Sinfonie op. 21 ist ein dodekaphonisches Nonett, O. Messiaens Turangalîla-Symphonie eine 1Osätzige Suite und die Symphonie pour un homme seul ein Assoziationen weckender Titel für ein Werk der l Musique concrète von Pierre Henry und P. Schaeffer. Einen begrenzten Aufschwung erfuhr die Gattung noch einmal nach dem 2. Weltkrieg in Osteuropa, größtenteils im Zeichen des sozialistischen Realismus, der im pathetischen Gestus der symphonischen Form das adäquate Medium für seine ideologischen Botschaften sah : in der Sowjetunion A. Chatschaturjan (3), Dm. Kabalewski (4), Dm. Schostakowitsch (15) und S. Prokofjew (mit seiner 5.-7. S.); in der DDR M. Butting (10) und Johannes Paul Thilman (7), in der ČSSR K. B. Jirák (6) und Jan Hanuš (5), in Ungarn P. Kadosa (8) sowie in Polen u. a. W. Lutoslawski (2), Gražyna Bacewicz (6), T. Baird (3) und Krz. Penderecki. Auch im ausgehenden 20. Jh. behauptet sich die S. weiterhin. Zwar scheint sie von ihrer Vorrangstellung als „anerkannt Höchstes" in der Instrumentalmusik endgültig suspendiert zu sein, doch zehrt sie noch von der früheren Reputation. Im Gesamtschaffen mancher „Arrivierten" bildet sie eine zentrale Werkgruppe (G. Klebe, H. W. Henze, P. R. Frikker, 62
H. Searle), bei den Jüngeren wird sie zur Metamusik (Musik über Musik). In Formen dieser Art (etwa L. Berio, Sinfonia, 1968, oder V. D. Kirchner, Sinfonie Nr. 1, 1981) wird mit Techniken wie Parodie, Zitat, Collage, Paraphrase der Glanz der historischen S. in aktueller Brechung reflektiert. Lit. (die Abk. „S." ist nach der jeweiligen Sprache aufzulösen): I) Gesamtdarstellungen, Konzertführer und Sammelbinde:. H. KRETZSCHMAR, Führer durch den Konzertsaal, 1: S. u. Suite (L 1887), bearb. v. F. Noack — H. Botstiber — H. Engel ('1932); F. WEINGARTNER, Die S. nach Beethoven (B 1897,'1926); P. BEKKER, Die S. v. Beethoven bis Mahler (B 1918); K NEF, Gesch. der S. u. Suite (L 1921, Nachdr. Wie 1970); D. F. TOVEY, Essays in Musical Analysis, 1: S.s (0 1935); R. HILL, The S. (Harmondsworth 1949); K. BLAUKOPF, Lexikon der S. (Kö 1952); E. BoRREL, La s. (P 1954); R. KLOIBER, Hdb. der klass. u. romani S. (Wie 1964, 21976); S., in: MGG XII; R. SIMPSON, The S., I: Haydn to Dvořák, II: Elgar to the Present Day (Harmondsworth 1966-67, 2 1973); L HOFFMANN-ERBRECHT, Die S. (Kö 1967) (— Das Musikwerk 29); Die Welt der S., hrsg. v. U. VON RAUCHHAUPT (H 1972); L CUYLER, The S. (NY 1973); R NADEAU, The S. Structure and Style (Boston 1974); J. LARVE — N. TEMPERLEY — S. WALSH, S., in: Grove" XVIII. — 2) Zu einzelnen Epochen, Schulen und lindern: a) 17.-18. Jahrhundert: A HEUSS, Die venetianischen Opern-Sinfonien, in: SIMG 4 (1902/03); H. BozsTIBER, Gesch. der Ouverture u. der freien Orchesterformen (L 1913, Nachdr. Wie 1969); W. FISCHER, Zur Entwicklungsgesch. des Wiener klass. Stils, in: StMw 3 (1915); R. SONDHEIMER, Die formale Entwicklung der vorklass. S., in: AfMf 4 (1922); DERS., Die Theorie der S. u. die Beurteilung einzelner Sinfoniekomponisten bei den Musikschriftstellern des 18. Jh. (L 1925), dazu Bibliogr. Index ..., in: AM1 37 (1965); A. CARSE, Early Classical S.s, in: Proc. R Mus. Assoc. 62 (1935/36); W. H. REESE, Grundsätze u. Entwicklung der Instrumentation in der vorklass. u. klass. S. (Diss. B 1939); A. CARSE, 186 Century S.s. A Short Hist. (Lo 1951); C. L CUDWORTH, The English S.s of the 18. Century, in: Proc. R. Mus. Assoc. 78 (1951/52); P. STEDMAN, Form and Orchestration in the Pre-classical S. (1953) (— Diss. Univ. of Rochester/N. Y.); J. LARVE, A Union Thematic Cat. of 18`" Century Ss, in: FAM 6 (1959); DERS., Major and Minor Mysteries of Identification in the 18"-Century S., in: JAMS 13 (1960); B. S. BROOK, La s. française dans la 2. moitié du XVIII' siècle, 3 Bde. (P 1962). — r Mannheimer Schule; J. "Haydn, W. A r Mozart, L. van r Beethoven. — b) 19. Jahrhundert: S. WALIN, Beitr. z. Gesch. der Schwed. Sinfonik (Sto 1941); T. L GREENAWALT, A Study of the S. in Russia From Glinka to the Early 206 Century (1972) (— Diss. Univ. of Rochester/N. Y.); A. CARSE, The Orchestra from Beethoven to Berlioz (C 1948); P. H. LANG, The S. 1800 to 1900 (NY 1969); D. PISTONE, La s. dans l'Europe du XIX' siècle (P 1977); C. DAHLHAUS, Die Musik des 19. Jh. (Wie 1981) (— Neues Hdb. der Musikwiss. 6). — F. "Schubert, H. r Berlioz, F. r Mendelssohn Bartholdy, R /Schumann, A. 'Bruckner, J. r Brahms, P. I. rTschaikowsky, A. r Dvořák, G. "Mahler, C. A 'Nielsen, J. "Sibelius; vgl. auch Lit. zu den übrigen genannten Komponisten. — c) 20. Jahrhundert: L BIANCHOLLI, S. Prokofiev and His Orchestral Music (NY 1953); M. GRATER, Konzertführer Neue Musik (F — H 1955); A. N. SOCHOR, Sowjetskaja simfonitscheskaja musyka (Leningrad 1955); A BROCK.HAUS, Die Symphonik D. Schostakowitschs (1962) (— Diss. HumboldtUniv. Berlin); E. S. SCHWARTz, The S.s of R Vaughan Williams (1962) (— Diss. Columbia Univ., New York); R J. SwICKARD, The S.s of D. Milhaud (1973) (— Diss. Univ. of California, Los Angeles); J. H. O. MAILLARD — J. NAHOUM, Les s.s d'A. Honegger (P 1974); U. KLEMENT, Probleme des Sinfonischen im DDR-Musikschaffen der letzten Jahre, in: MuGes 25 (1975); E. Voss, S.n als Bekenntnisse L Humanität. Zur Sinfonik K. A
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SYMPHONIE CONCERTANTE (frz., = konzertante Symphonie; it.: sinfonia concertante), Bz. für ein mehrsätziges Orchesterwerk mit mehreren (2-9) solistischen Partien. Dabei handelt es sich nicht, wie die Wortbildung vermuten läßt, um eine Symphonie mit gelegentlich hervortretenden „obligaten" Instrumenten (wie es bei einigen frühen symphonischen Werken J. Haydns der Fall ist).. Nach ihrer auf dem Klangkontrast von Tutti und Solo beruhenden Struktur ist die S. eher eine Konzertform als eine Symphonie. Im Gegensatz zum Doppel- (Tripel- usw.) Concerto des Barocks mit seiner Ritornellstruktur hat die S. jedoch eine sonatenförmige Anlage; vom Concerto grosso, dessen konzertierende Stimmen mehr in das allgemeine Satzgefüge eingebettet sind, unterscheidet sie sich wiederum durch das deutlichere Absetzen von Concertino und Orchester. Allerdings waren die Komponisten in ihrer Bezeichnungsweise nie konsequent. Abgesehen von den zahlreichen synonymen Bezeichnungen wie Sinfonia concertante mit der Kurzform Concertante, Concertone (W. A. Mozart), Sinfonia Concertino (J. G. Albrechtsberger), Sinfonische Concertante (K. Ditters von Dittersdorf), Grand concerto concertant (L. van Beethoven) oder Concertantes Quartett (L. Spohr), weisen im ausgehenden 18. Jh. auch zahlreiche als Konzert, Divertimento, Serenade, Notturno u. a. bezeichnete Werke die Stilmerkmale der S. auf. Es ist kennzeichnend für die Gattung, daß die Gesamtform häufig auf nur 2 Sätze beschränkt ist, nicht selten unter Verzicht auf einen langsamen Satz, ein Zeichen dafür, daß gegenüber dem vorherrschenden Grundton problemloser Heiterkeit das expressive Element zurücktritt. Dies zeigt sich auch darin, daß die Gattung kaum Werke in Molltonarten kennt. Der dem Orchestertutti entgegengestellte konzertierende Part ist bei der S. gleichsam auf mehrere Instrumente verteilt. Anders als beim Solokonzert erscheinen die Anforderungen an die Virtuosität der Spieler weniger hoch, so daß die Partien auch von Orchestermusikern oder guten Amateuren übernommen werden können. Die Zusammenstellung der Sologruppen reicht von einfachen Paaren (2 Violinen, Violine und Viola, 2 Flöten usw.) über gängige Gruppierungen wie Streichoder Bläserquartett bis zu bizarren Kombinationen, etwa 4 Fagotte (Fr. A. Kummer) oder Klavier, Mandoline, Trompete und Baß (L. Koželuch). Im letzten Viertel des 18. Jh. herrschte eine fast ma-
nische Begeisterung für die S., die Hochburg dieser Form geistvoller musikalischer Konversation ohne sonderlichen Tiefgang war Paris. Als beliebteste Komponisten des Genres galten in Frankreich J.-B. Davaux, J.-B. Bréval, J. B. de SaintGeorges, S. Leduc, Fr. J. Gossec, die deutschstämmigen I. Pleyel und Jacques Widerkehr sowie der produktivste S.-Komponist, der Italiener G. M. Cambini (etwa 80 S.$). Deutsches Zentrum für die S. war Mannheim, dessen Komponisten auch das Pariser Konzertleben und die dortigen Musikverlage mit Kompositionen versorgten (I. Holzbauer, Chr. Cannabich, Fr. Danzi, A. u. C. Stamitz, vom letzteren sind über 3 Dutzend Werke der Gattung registriert). Die S. verbreitete sich schnell im übrigen Europa. Komponisten in Böhmen und Österreich (J. Mysliveček, A. Gyrowetz, J. Vanhal, K. Ditters von Dittersdorf, V. Pichl u. a.) leisteten ihren Beitrag ebenso wie die außer Landes wirkenden Italiener (P. Ricci, G. B. Viotti, I. Fiorillo, L. Boccherini), während in Italien selbst die S. kaum Interesse fand. Qualitativ weit über der zeitgenössischen Produktion stehen die 15 konzertanten Sinfonien von J. Chr. Bach in London, eine davon mit 9 Soloinstrumenten. In Norddeutschland findet sich die S. zwar nicht im Titel, wohl aber als Gestaltungsprinzip vieler Konzerte mit mehreren Solopartien (Bach-Söhne und Brüder Graun). - In den höchsten Bereich klassischer Konzertmusik reicht die Gattung mit den Beiträgen von J. Haydn und W. A. Mozart. Dieser hat sich zeitweilig intensiv mit dem Genre befaßt, doch sind 2 Ansätze Fragment geblieben. Ein weiteres, für Paris geschriebenes Werk ist verschollen (das als dessen Umarbeitung geltende Konzertante Quartett, KV Anh. 9, ist wahrscheinlich unecht). Auf einsamer Höhe steht die S. für V. und Va. KV 364, die mit ihren zahlreichen Ausweichungen nach Moll der Gattung einen ganz neuen, elegisch-schwärmerischen Ausdrucksbereich erschließt. Neben diesem ausgereiften Werk stellt ein Concertone KV 190 mit 2 Soloviolinen einen älteren Typus dar, in dem einzelne Orchesterinstrumente (Oboe, Violoncello) sich dem Spiel der Protagonisten gelegentlich solistisch zugesellen. Die Posthorn-Serenade KV 320 enthält 2 Concertante-Sätze, die Mozart auch als selbständige Stücke benutzt hat. Im weiteren Sinne gehören auch das Konzert für Fl. und Harfe KV 299 sowie die Konzerte für 2 bzw. 3 Klv. KV 365 bzw. 242 zu dieser Gattung. J. Haydn hat neben weniger bedeutenden Stücken (Konzert für V. und Cemb. Hob. XVIII: 6; Konzerte und Notturni für 2 Liren Hob. VI Ih : 1-5, Hob. II: 25-32) 1792 für London eine meisterliche Concertante (für Ob., V., 63
Symphonische Dichtung Fag. und Vc. geschrieben, voller Einfallsreichtum und subtiler kompositorischer Kunst, ohne sich jedoch von der Konzilianz des Genres ganz zu lösen. - Nach 1800 ging die Serienproduktion der Gat-
tung allmählich zurück. In L. Spohrs Gesamtwerk bilden 5 Concertanten (1803-33) und ein Konzertantes Quartett (1845) für Streichquartett und Orchester noch eine eigene Abteilung. Im übrigen wird der Typus der S. im 19. Jh. durch markante Einzelwerke als Parergon der Gattung Konzert weitergepflegt. Dazu zählen Beethovens Tripelkonzert für Klv., V. und Vc. (1803), F. Mendelssohn Bartholdys Jugendkonzerte für 2 Klv., Asund E-Dur, sowie für Klv. und V. (1822/23), R. Schumanns Konzertstück für 4 Hörner (1849) und insbesondere das im eigentlichen Wortsinne „symphonische" Konzert für V. und Vc. (1887) von J. Brahms. - Im 20. Jh. begegnet der Begriff der S. wieder häufiger, gelegentlich allerdings sinnverschoben in der Bedeutung einer „Symphonie mit großem Solopart" (G. Enescu, K. Szymanowski, W. Walton, S. Prokofjew u. a.), aber auch im ursprünglichen Sinne bei Kompositionen, die den lockeren Konversationston der Frühklassik wieder aufleben lassen. Dazu zählen neben Einzelwerken von M. Spisak, A. Panufnik, K. Serocki, M. Rózsa u. a. vor allem die konzertanten Formen von Fr. Martin (hier besonders die Petite S. für Harfe, Cemb., Klv. und Streichorch., 1945) sowie eine ganze Werkgruppe im Schaffen von B. Martinů, dessen Sinfonia concertante von 1949 in Klangbild und Geist der Komposition ausdrücklich auf Haydns Vorbild zurückgreift. Lit.: M. BRENET, Les concerts en France sous l'ancien régime (P 1900, Nachdr. 1969); F. TUTENBERG, Die Sinfonik J. Ch. Bachs (Wb 1928); F. WALDKIRCH, Die konzertanten Sinfonien der Mannheimer (Diss. Hei 1931); E. J. SIMON, A Royal Manuscript. Ensemble Concertos of J. C. Bach, in: JAMS 12 (1959); B. S. BROOK, The S. An Interim Report, in: MQ 47 (1961); M. RAsMUSSEN, A Bibliography of Symphonies concertantes, Concerti grossi ..., in: Brass Quarterly 5 (1961); B. S. BROOK, la symphonie française dans 2d la moitié du XVIII' siècle (P 1962); DERS., S., in: MGG XII; H. ENGEL, Das Instrumentalkonzert I (Wie 1971); M. STAEHELIN, Zur Echtheitsproblematik der Mozartschen Bláserkonzertante, in: Mozart-Jb. 1971/72 (1973); B. S. BROOK, The S. Its Musical and Sociological Bases, in: IRASM 6 (1975); A. D. MCCREDIE, Symphonie Concertante and Multiple Concerto in Germany (1780-1850). Some Problems and Perspectives for a Source-Repertory Study, in: Miscellanea musicologica 8 (1976); D. KLÖCKER, Konzertante Sinfonien, in: Tibia 5 (1980); B. S. E. PLATEN BROOK, S., in: Grove° XVIII.
SYMPHONISCHE DICHTUNG (engl.: symphonic poem; frz.: poème symphonique; it. u. span.: poema sinfonico), Bz. für eine von Fr. Liszt begründete Gattung der ř Programmusik. Es handelt sich um selbständige, in der Regel einsätzige Orchesterwerke, denen außermusikalische, durch 64
Überschriften bzw. zusätzliche Texte angedeutete oder näher bezeichnete Sujets zugrunde liegen. Ihre Blüie hatte die S. in der 2. Hälfte des 19. und in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Vorläufer sind die mehrsätzige Programmsymphonie (wesentliche Anregungen gingen von L. van Beethovens Sinfonia pastorale und H. Berlioz' Symphonie fantastique aus) und vor allem die Ouvertüre, speziell die dramatischen Ouvertüren Beethovens und die Konzertouvertüren F. Mendelssohn Bartholdys. Der Begriff S. wurde 1854 von Liszt geprägt und von ihm als Sammeltitel für seinen 1856-61 im Druck erschienenen, 12 Orchesterwerke umfassenden Zyklus verwendet. In der Überzeugung, daß die Symphonie im Schaffen Beethovens ihre geschichtliche Vollendung erreicht habe, strebte Liszt mit der S. einen Neuansatz an, der einerseits durch die Intention einer Erneuerung der Musik durch ihre „alliance plus intime avec la poésie' (Liszt) und andererseits durch die Bewahrung des symphonischen Stils gekennzeichnet ist. Entscheidend für seine Konzeption der S. ist die Auffassung, daß Musik als Sprache höchste Ausdrucksform der Poesie sei. Die Orientierung an Sujets, die in Literatur (V. Hugo, Ce qu'on entend sur la montagne; W. Shakespeare, Hamlet; Fr. von Schiller, Die Ideale) und Malerei (Wilhelm von Kaulbach, Die Hunnenschlacht) vorgeprägt sind, bedeutet daher nicht, daß bekannte Werke gleichsam illustriert oder nacherzählt werden, vielmehr knüpft die S. an das dahinterstehende „Ideal von Geistesstimmungen" an, „welche ... die Gebildeten aller europäischen Länder beseelen und beherrschen", und zielt in der musikalischen Gestaltung gerade auf das in Dichtung und Malerei nicht Darstellbare, auf die „Erzählung innerer Vorgänge" (Liszt), auf den „konkreten Gefühlsgehalt" (R. Wagner). Lehnte Liszt ein an der klassischen Symphonie orientiertes normatives Formschema ab, so biieb die Idee des Symphonischen für seine S. von zentraler Bedeutung: Ihre Form ist nicht rhapsodisch frei angelegt, wie sein Postulat, die Form müsse vom Inhalt bestimmt werden, vermuten lassen könnte, sondern wird durch thematisch-motivische Zusammenhänge und als Konfiguration divergierender Ausdruckscharaktere konstituiert. Wesentliches Element der musikalischen Sprache in der S. Liszts ist das Verfahren der Themen- und Motivtransformation, das Prinzip, entgegengesetzte und scheinbar heterogene Themen und Motive aus denselben diastematisch-melodischen und rhythmischen Grundstrukturen abzuleiten. Läßt sich die Projektion unterschiedlicher Satztypen (als Tempo- und Ausdruckscharaktere) in den z. T. bis zur Auflö-
Symphonische Dichtung sung modifizierten Grundriß der Sonatensatzform in der S. Liszts als Abstraktion des Formmodells der Symphonie begreifen (Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit), so finden in der Entwicklung der S. nach Liszt daneben die verschiedensten Gestaltungsprinzipien Anwendung. So dient z. B. in Till Eulenspiegels lustige Streiche von R. Strauss die Rondoform, in V. d'Indys Istar die Variation der Gestaltung des poetischen Inhalts. Zu den ersten Komponisten aus dem engeren Umkreis der Neudeutschen Schule, die die Gattungsidee der S. aufgriffen, gehören F. Draeseke (Julius Caesar, 1860) und H. von Bülow (Des Sängers Ruch, 1863). Die symphonische Programmusik von J. Raff, J. J. Abert, H. von Herzogenberg und H. Bronsart von Schellendorf hingegen ist zwar im Zusammenhang mit der ästhetischen Begründung der S. zu sehen, aber wie Liszts Faust- und DanteSymphonie mehrsätzig angelegt. Als in den 1870er Jahren eine neue Blüte der Symphonie einsetzte (J. Brahms, 1. Symphonie, 1876), hatte sich die S. im ästhetischen Bewußtsein und im Konzertleben fest etabliert. Neben A. Ritter (6 S., darunter Sursum corda, 1894), Paul Geisler und Fr. Klose traten als Komponisten u.a. H. Wolf (Penthesilea, 1883), S. von Hausegger (Dionysische Phantasie, 1896), A. Schönberg ( Verklärte Nacht, 1899/1917 ; Pelleas und Melisande, 1903) und M. Reger ( Vier Tondichtungen nach Böcklin, 1913) hervor. Der bedeutendste Exponent der S. in Deutschland nach Liszt ist R. Strauss. Seinen zumeist als Tondichtung bezeichneten S. liegen teils an literarischen Werken orientierte Sujets (Macbeth, 1886/90; Don Juan, 1888; Till Eulenspiegels lustige Streiche, 1895; Also sprach Zarathustra, 1896), teils autobiographische Stoffe (Ein Heldenleben, 1898; Sinfonia domestica, 1903) zugrunde. Bei seinem letzten der Gattung zugehörigen Werk, der einsätzigen Alpensymphonie (1915), handelt es sich um eine monumentale Naturschilderung. In Frankreich erwachte das Interesse an der S. nach Gründung der Société Nationale de Musique, die unter dem Motto „Ars Gallica" für eine eigenständige französische Instrumentalmusik eintrat. Eingeführt wurde die S. hier 1872 mit Le rouet d'Omphale von C. Saint-Sačns. Bis in die 1890er Jahre blieb die Société Nationale wichtige Pflegestätte der Gattung. Als Komponisten sind u. a. V. d'Indy, H. Duparc, C. Franck, A. Holmés, A. Messager, E. Chausson, Cl. Debussy und P. Dukas zu nennen. Eine Erweiterung der Ausdrucksmittel erfuhr die S. nicht selten durch die Einführung konzertierender Instrumente (Franck, Les Djinns, 1884) oder durch die Aufnahme von Chören (Franck, Psyché, 1888). In Kompositionen
von A. Roussel, A. Honegger, E. Bondeville, Ch. Koechlin (Le buisson ardent 1945), J.-L. Martinet (Orphée, 1945) und A. Jolivet behielt die Gattung bis weit ins 20. Jh. eine gewisse Aktualität. Zum Träger nationaler Ideen wurde die S. in Böhmen und der späteren Tschechoslowakei. Mit seinen „Symphonischen Gedichten" Richard III., Wallensteins Lager und Hakon Jarl hatte sich B. Smetana 1858-61 noch an Stoffen der Weltliteratur orientiert, mit seinem aus 6 Symphonischen Dichtungen bestehenden Zyklus Mein Vaterland (darunter Die Moldau) schuf er 1874-79 der jungen tschechischen Bewegung in der Verherrlichung von Landschaft, Geschichte und Sagenwelt seiner Heimat gleichsam ein monumentales Nationalepos in Tönen. Spezifisch nationale Sujets nehmen auch in den S. seiner Landsleute Zd. Fibich, A. Dvořák, J. Suk, L. Janáček und O. Ostrčil eine bemerkenswerte Stellung ein. In Rußland traten, anknüpfend an die Bestrebungen M. Glinkas, vor allem die r Gruppe der Fünf und der Beljajew-Kreis für eine eigenständige Musikkultur ein. Diese Intentionen spiegeln sich allgemein in der Stoffwahl der S. dieser Komponisten wider (M. Mussorgski, Eine Nacht auf dem kahlen Berge, 1867; A. Borodin, Eine Steppenskizze aus Mittelasien, 1880; A. Glasunow, Stenka Rasin, 1885), im besonderen aber im Typus der Märchenerzählung (A. Dargomyschski, Baba Jaga, 1862; N. Rimski-Korsakow, Antar, 1867-98; A. Ljadow, Kikimora, 1905). Demgegenüber ist die Konzeption der S. von A. Rubinstein (Faust, 1864), P. Tschaikowsky (Romeo und Julia, 1869; Francesca da Rimini, 1876), S. Rachmaninow (Toteninsel, 1909), A. Skrjabin (Prométhée, 1910) und Sergei Bortkjewitsch (Othello, 1914) deutlich von westlichem Einfluß geprägt. - Der Idee des Zyklus Mein Vaterland von Smetana nahe stehen die S. des finnischen Komponisten J. Sibelius, deren Sujets großenteils auf das finnische Volksepos Kalevala zurückgehen (Kullerwo, 1892; Zyklus Lemminkäinen, 1893-95; Pohjolas Tochter, 1906). Von den Komponisten anderer Länder, in denen die S. eine ähnlich zentrale Bedeutung wie in Deutschland (sowohl was die Gattung selbst als auch was die zur Auflösung der Gattungsgrenzen tendierenden Wechselbeziehungen mit der Symphonie betrifft) oder in Frankreich, Böhmen, Rußland und Finnland (als Medium nationaler Identität) nicht erlangt hat, sind für Italien R. Pick-Mangiagalli, O. Respighi und V. de Sabata, für Ungarn B. Bartók, für Großbritannien W. Wallace, Fr. Delius, E. Elgar und Fr. Bridge, für die USA E. MaoDowell und H. Hanson sowie für Brasilien H. Villa-Lobos zu nennen. 65
Synagogaler Gesang Lit.: E. ZÁDOR-ZUCKER, Über Wesen u. Form der S. D. Beirr. zu ihrer Entwicklungsgesch. v. Liszt bis Strauss (Diss. Mr 1921); R W. S. MENDL, The Art of the Symphonic Poem, in: MQ 18 (1932); J. CHANTAVOINE, Le poème symphonique (P 1950); R KLOIBER, Hdb. der S.n D. (Wie 1967); N. MILLER, Musik als Sprache. Zur Vorgesch. v. Liszts S.n D.en, in: Beitr. z. musikal. Hermeneutik, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1975) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 43); C. DAHLHAUS, Liszts „Bergsymphonie" u. die Idee der S.n D., in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforsch. Preußischer Kulturbesitz 1975 (B 1976); N. MILLER, Élévation bei V. Hugo u. F. Liszt. Über die Schwierigkeiten einer Verwandlung von lyrischen in s. D.en, in: ebd.; D. ALTENBURG, Eine Theorie der Musik der Zukunft. Zur Funktion des Programms im symphonischen Werk v. F. Liszt, in: Liszt-Studien 1 (Gr 1977); DERS., Stud. z. Musikdenken u. zu den Reformplänen v. F. Liszt (Habil.-Schr. Kö 1980); C. DAHLHAUS, Liszts Idee des Symphonischen, in: Liszt-Studien 2 (Mn — Salzburg 1981); A. SEIF r, C. Francks s. D.en (Rb 1981) (— Kölner Beitr. z. Musikforsch. 116). — r Programmusik; s. auch die Lit. zu den einzelnen genannten Komponisten. D. ALTENBURG
SYNAGOGALER GESANG r Israel (in der Diaspora). SYNÁSTHESIE, Bz. für die Mitempfindung einer Sinnessphäre mit einer anderen. Am häufigsten beobachtet wurde das Farbenhören (audition colorée), bei dem auf einen Schallreiz außer einer akustischen Wahrnehmung auch der Eindruck von Farbe (ein Photisma) auftritt. Es gibt jedoch auch andere synoptische Verknüpfungen, bei denen zu einem Gesichtseindruck eine akustische Begleiterscheinung tritt (Tönesehen, Phonismen). Synästhetische Doppelempfindungen variieren graduell im Realitätseindruck. Regelrechte Halluzinationen (etwas nicht Gegebenes wirkt real) sind jedoch selten; eher stellt sich der Zusammenhang zwischen einem akustischen und einem visuellen Eindruck nur als Anmutung, als etwas in der Vorstellung Gedachtes dar. Das häufig zitierte Beispiel, daß der Trompetenton rot sei, geht auf einen Bericht des Philosophen John Locke zurück, der allerdings von den Farberlebnissen eines Blinden handelt. In der Regel sind die erlebten Farbqualitäten bei Synästhetikern ohne große Übereinstimmung, allenfalls die Farbe Weiß wird mehrfach für die Tonart C-Dur erwähnt. Georg Anschütz unterschied eine analytische Form der Synopsie (ein Photismensystem für Einzeltöne) von einem synthetischen Typus (Bildeindrücke zu Musik) und einem komplexen Typus (Assoziationen von Tonarten mit Farben). Zur Erklärung von Doppelempfindungen wurde die Idee, daß ein Reiz auf verschiedene Nervenbahnen überspringt, herangezogen. Entwicklungspsychologisch und phylogenetisch hingegen argumentieren Autoren, die eine ursprünglich gegebene „Einheit der Sinne" annehmen. A. Wellek spricht von Ursynästhesien als allgemeinmenschlich gültigen Entsprechungen von 66
Sinnesbereichen (z. B. hoch-tief und hell-dunkel). Sofern die Idee der r Farbenmusik als ästhetisches Programm auftaucht, werden als mathematische und physikalische Begründungen Zahlenverhältnisse der Schwingungen herangezogen. Solche Spekulationen finden sich bei A. Kircher und Alfred Newton. Den ersten Plan eines Farbenklaviers, bei dem dem Anschlag einer Taste das Aufleuchten einer Farbe zugeordnet werden sollte, entwickelte im 18. Jh. Louis Bertrand Castel. Das Clavier á lumière (realisiert 1915 in New York), das A. Skrjabin in seinem Prométhée vorsieht, koppelt Licht und harmonischen Verlauf. In den 20er Jahren löste Alexander Lazlo die technischen Probleme durch einen Projektor. Wechselnde Projektionen von farbigem Licht benutzte auch Ludwig Hirschfeld-Mack in seiner Farbsonatine (1923). Diese Versuche der Parallelisierung von Farbe und Ton münden in den abstrakten oder den Trickfilm (Oskar Fischinger, Gebrüder Withney, Walt Disney). Vage klingt dieser Gedanke von Entsprechungen in der r MultimediaKunst der 60er Jahre noch an. Jedoch ist hierbei die allseitige Stimulierung des Zuhörers oder Zuschauers wichtiger als die Idee einer durch einen Reiz ausgelösten doppelten Empfindung. Lit.: A. W. RIMINuroN, Colour — Music (Lo 1912); A. LAZLO, Die Farblichtmusik (L 1925); Farbe-Ton-Forschung, hrsg. v. G. ANSCHvrz (H 1931); DERS., Psychologie (H 1953); A. WELLEK, Musikpsychologie u. Musikästhetik (F 1963, Bonn '1975). H. DE LA MOTTE-HABER
SYNCOPATIO, im 15.-18. Jh. Bz. sowohl allgemein für r Synkope wie speziell ihre Anwendung als vorbereiteten r Vorhalt im Kontrapunkt, z. B.:
Regelrecht aufgelöst, ist die S. eine „Figura fundamentalis" (Chr. Bernhard) kontrapunktischer Dissonanzbehandlung; abweichende Weiterführung (S. catachrestica), z. B.
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weist sie, als Lizenz von der Norm, in den Bereich der musikalisch-rhetorischen r Figuren. Lit.: J. MÜLLER-BLATTAU, Die Kompositionslehre H. Schützens in der Fassung seines Schülers Ch. Bernhard (L 1926, Kas 21963).
SYNKOPE, Bz. für die Zusammenziehung einer leichten und der folgenden schweren Zählzeit im Takt, die eine Verlagerung der Betonungen provoziert. In Kunstmusik, r Folklore und /Jazz glei-
Syrinx chermaßen gebräuchlich, erzielt die S. einen spannungsvollen Konflikt zwischen r Metrum und r Rhythmus. I J --_~~ j____ Ì ' ' ï r —I ~.~j
-4-4.). :Er r
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L. van Beethoven, Klaviersonate f -moll, op. 2/1, 1. Satz
Die Verwendung der S. geht bis in die Zeit der Ars nova (G. de Machaut) zurück, wo sich auch ihre erste theoretische Beschreibung findet; angezeigt wird sie u. a. durch Rotfärbung von Noten (r Color). Im Kontrapunkt des 16.-17. Jh. ist die S. wesentlich bei der Einführung von Dissonanzen (r Syncopatio). Die allmähliche Ausbildung des Taktes seit etwa 1600 schuf eine nach Schwerpunkten abgestufte Akzentordnung, gegen die die S. als bewußtes Kunstmittel opponieren konnte. Zumal im Werk L. van Beethovens kommt ihr hervorragende Bedeutung zu ; bisweilen (z. B. 4. Symphonie, 1. Satz, T. 95 ff.) findet sich bei ihm die gleichzeitige Synkopierung aller beteiligten Stimmen, seltener bei J. Haydn (Streichquartett op. 33/2, Es-Dur, 2. Satz) oder W. A. Mozart (Serenade c-moll für 8 Bläser, KV 388, 3. Satz, Trio). Im 19. Jh. kam der Einsatz der S. und anderer Mittel (z. B. r Hemiole) dem wachsenden Streben nach rhythmischer Differenzierung und Irritation entgegen. In dem Maße, wie seit dem 20. Jh. Taktprinzip und Metrum ausgehöhlt oder außer Kraft gesetzt werden, kann nicht mehr im eigentlichen Sinne von S. gesprochen werden, da ihr der Widerpart entzogen ist. Lit.: C. DAHLHAUS, Zur Gesch. der S., in: Mf 12 (1959). C. KÜHN
SYNTHESIZER (engl., von synthesize = durch Synthese verbinden, aufbauen), Bz. für Apparaturen zur Erzeugung elektronischer Klänge. Aus einer Vielzahl von Einzelfunktionen, die sehr genau bestimmbar sind, werden die unterschiedlichen Bestimmungsgrößen von Klängen zusammengefügt. Die zuerst (seit etwa 1964) von dem Amerikaner Robert A. Moog entwickelten S. sind die ersten Geräte der r elektronischen Musik, die ausschließlich zur Erzeugung elektronischer Klänge konstruiert wurden. Außerdem signalisiert die halbautomatische Produktionsmethode der S. den Beginn eines einschneidenden Entwicklungsprozesses in der elektronischen Musik. Unabhängig von ihrem Umfang und Fabrikat funktionieren alle S. auf der Basis der sog. Spannungssteuerung
(engl.: voltage control), d. h., Veränderungen musikalischer Größen wie Tonhöhen, Lautstärken, Artikulation usw. können nicht nur durch manuelle Tätigkeit vorgenommen, sondern durch elektrische Spannungsverläufe halbautomatisch gesteuert werden. Die S. werden einerseits in den Studios für elektronische Musik als schallgenerierende und -transformierende Apparatur eingesetzt, andererseits in der Popmusik sowie in der avantgardistischen r Live Electronic als Musikinstrumente benutzt. Heute sind darüber hinaus S. aller Art und Größe, die sämtlich in Serienproduktion hergestellt werden, in beinahe populärem Ausmaß verbreitet: In den unterschiedlichsten Bereichen, in Rundfunkanstalten, Schallplattenstudios, Theatern, Hochschulen und Schulen sind sie anzutreffen. Man kann sagen, daß erst mit der Entwicklung der S. die elektronische Klangerzeugung auf den Stand technisch legitimer Musikproduktion gebracht wurde, die sich nicht im Imitieren herkömmlicher Instrumente erschöpft, sondern neue, bisher unbekannte Klangbereiche erschließt. Lit.: J. CHADABE, Das elektronische Studio von Albany, in: Melos 38 (1971); A STRANGE, Electronic Music. Systems, Techniques and Controls (Sacramento 1972); H. U. HUMPERT, Was ist u. wie funktioniert ein S., in: Melos 40 (1973); H. EIMERT — DERS., Das Lexikon der elektronischen Musik (Rb 1973, 21977); E. KARKOSCHKA, Ein S. im Musikunterricht, in: Musik u. Bildung 6 (1974); J. O. MUNDIGL, Musik aus Strom (Lo 1975); H. U. HUMPERT, Elektronische Musik. Gesch., Technik, KomH. U. HUMPERT positionen (Mz 1982).
SYNTHÉTISTES (die Synthetiker), Gruppe von sieben jungen belgischen Komponisten, die sich 1925 in Brüssel zusammenschlossen mit dem Ziel, das Publikum auf die verschiedenen Strömungen der Neuen Musik hinzuweisen. Jedes der Mitglieder - M. Poot, Francis de Bourguignon, M. Schoemaeker, R. Bernier, G. Brenta, Jules Strens und Théo Dejoncker (der seine kompositorische Tätigkeit aufgab) -, sämtlich Schüler von P. Gilson, versuchte, seinem Temperament entsprechend eine Synthese dieser Richtungen zu verwirklichen. Sie arbeiteten dabei mit J. Absil zusammen, der aber der Gruppe nicht angehörte. Das Erbe R. Wagners, C. Francks und V. d'Indys ließen die S. unberücksichtigt, da es sich nach ihrer Meinung mit der belgischen Musik kaum mehr vertrage. SYRINX (griech.), Name der antiken griech. r Panflöte mit 5-13 verschieden oder gleich langen, am oberen Rand angeblasenen Einzelrohren. Um verschiedene Tonhöhen hervorzubringen, wurden bei Instrumenten mit gleich langen Rohren diese unterschiedlich hoch mit geschmolzenem Wachs ausgefüllt (Pseudo-Aristot., Probl. XIX, 23). Die Pfeifen der S. bestanden aus Rohr, später 67
Systems teleion auch aus Holz, Bein oder Metall. Die einzelnen Rohre der S. wurden mit Wachs, Harz, Flachs, Leder oder mit Querleisten aus Holz floßartig verbunden. Die S. war auch in Etrurien, im antiken Rom sowie in Ägypten bekannt. Einige oder alle Rohre hatten die den jeweiligen Tonhöhen entsprechenden Längen, so daß diese Instrumente am unteren Ende teilweise oder in ganzer Breite treppenförmig abgestuft waren. Es gab im Römischen Reich auch Instrumente aus einem Stück Holz, in das die einzelnen Rohre nebeneinander gebohrt wurden (Fund in Alésia). Die S. ist erstmals bei Homer erwähnt (Ilias X, 13; XVII, 526). Nach älteren Überlieferungen soll sie von Kybele (Diod. III 58), Marsyas (Ath. IV 184a) oder Hermes (Homerischer Hermes-Hymnos 511 f.), der sie seinem Sohn Pan vererbte, erfunden worden sein. Eine jüngere Überlieferung schreibt ihre Erfindung direkt dem Hirtengott Pan zu (Ovid, Metamorphosen I 688 ff.), der sie sich aus dem Schilfrohr herstellte, in das sich die von ihm verfolgte Nymphe Syrinx verwandelt hatte. Die S. wurde stets als das Instrument der Hirten und Bauern betrachtet und erschien daher in der antiken Literatur (häufig bei Euripides und Theokrit) auch nur in diesem Zusammenhang. Lit.: M. WEGNER, Das Musikleben der Griechen (B 1949); H. HICKMANN, La flute de Pan, in: Chronique d'Égypte XXX/60 (1955); DERS., Ägypten (L 1961, 21975) (— Musikgesch. in Bildern II/1); M. WEGNER, Griechenland (L 1963, 21970) (— ebd. II/4); B. AIGN, Die Gesch. der Musikinstr. des ägäischen Raumes bis um 700 v. Chr. (Diss. F 1963); G. FLEISCHHAUER, Etrurien u. Rom (L 1964, 21978) (— Musikgesch. in Bildern 11/5); H. BECKER, S. bei Aristoxenos, in: Musa — Mens — Musica. Gedenkschrift W. Vetter (L 1969); L VORREITER, Bau u. Stimmung der antiken Syringe, in: Arch. iňr Musikorganologie 1 (1976); DERS., Musikinstr.e des Altertums in Moesien, Pannonien, Dakien u. Sarmatier., in: ebd. 2 (1977); G. HAAs, Die S. in der griech. Bildkunst (Kö — W 1982) ( — Wiener Musikwiss. Beitr. 11). M. BRÖCKER
SYSTEMA TELEION (griech., = vollständiges System), Bz. für das klassische Tonsystem der griech. Musiktheorie, das aus 2 zusammengehörigen Bauformen besteht und deshalb meist gemischt dargestellt wird (1 = Ganzton, 'h = Halbton; absolute Tonhöhe gab es nicht): Erfaßt und benannt sind hier Elemente und Strukturen einer naturgegebenen, durch ein Zentrum (Mese) bestimmten zahlhaften Ordnung, die einst weit über den Bereich der Töne und des Tönens hinaus auch im Kosmos zu walten schien. Von jener Zusammenschau her erklärt sich z. B. die unserem Empfinden entgegengesetzte musikalische Raumorientierung der Griechen, daß hochklingende Töne räumlich der Tiefe, tiefklingende räumlich der Höhe zugeordnet wurden. 68
A Proslambanomenos
1 H
~
_ Hypatě hypaton Parhypatě hypaton
c 1
d
Lichanos hypatón
~
Hypati meson
.- Synaphě
1 e f
Parhypatě mesön
1 g
Lichanos meson
Synaphě ~ Mesě
a a Mesě 1 DiazAuxis !, Tritě ayněmmenon b h Paramesě 1 s Paranětě sync' c' Tritě diezeugmenon ěmmenon 1 1 Niti syněmmenon d' d' Paranětě diezeugmenon e'
~ f'
Nětě diezeugmentin
1
~ Synaphě
Tritě hyperbolaion
g' 1 Paranětě hyperbolaion a'
Nětě hyperbolaion
Der Aufbau des S. - von dessen Zentrum ausgehend - beruht wesentlich auf dem r Tetrachord, einem charakteristischen (für die griech. Musik vielleicht grundlegenden) Viertonsystem, bei dem 2 feste Rahmentöne im Quartabstand 2 bewegliche Tonstufen umschließen. Das diatonisch angelegte S. läßt sich daher durch Umstimmen der beweglichen Tonstufen auch im Sinne der antiken Chromatik und Enharmonik modifizieren (r Genos). Benachbarte Tetrachorde galten als durch Verknüpfung (Synaphě) oder Trennung (Diazeuxis) zusammengesetzt. Dies erklärt die beiden Bauformen : das kleinere (elatton) S. besteht aus 3 verknüpften Tetrachorden (Tetr. hypatön, mesön, syněmmenön) und einer hinzugenommenen Tonstufe (Proslambanomenos); das größere (meizon) S., das 2 Oktaven umfaßt, setzt sich zusammen aus 4 paarweise verknüpften Tetrachorden und dem Proslambanomenos, wobei die mittleren Tetrachorde durch den bedeutsamen diazeuktischen Ganzton (Tonos) zwischen Mesě und Paramesě getrennt sind. Die Mischung beider Bauformen aus den 5 namentlich unterschiedenen Tetrachorden ergab das unveränderliche (ametabolon) S. Die Nomenklatur, gewöhnlich mit Verhältnissen auf der Leier in Verbindung gebracht, ist in ihren ältesten Teilen wahrscheinlich kosmologischer Herkunft (s. u.).
Systems teleion Vollständig (teleion) heißt das System, weil es alle Konsonanzen und die zugehörigen Systeme in sich enthält (Quart-, Quint- und Oktavsysteme, die sich jeweils durch die unterschiedliche Lage der Halbtöne unterscheiden). Geht man vom Stammtetrachord mesön aus (a g f e), führen die Quartgattungen (wegen des Halbtons b a g f) zum Tetrachord syněmmenôn, die Quintgattungen hingegen (wegen des Tonos g f e) zum Tetrachord diezeugmenön und die Oktavgattungen zum Tetrachord hyperbolaiön. Das Tetrachord syněmmenön scheint für die Modulation (Metabole) wichtig gewesen zu sein. Einen Sonderfall bilden die 7 Oktavgattungen, die zunächst nichts weiter als stufenweise verschobene Oktavausschnitte aus einer diatonischen Skala sind. In der Anwendung auf das modifizierbare S. (mit feststehenden und beweglichen Tonstufen) mögen sie typische Eigenheiten der damaligen Tonarten angenommen haben, doch bleibt im einzelnen vieles unklar und umstritten (die feststehenden Tonstufen sind eingerahmt):
rJ
1. 2. 3. 4. S.
d' c' e' d' c' f' e' d' c' 6. g' f' e' d' c' 7. a' g' f e' d' c'
ha g f ha g f ha g f ha g f ha g f ha g ha
e e e e
d c d c d
Mixolydisch HD Lydisch Phrygisch Dorisch Hypolydisch Hypophrygisch Hypodorisch
tung im S., aber der tiefste Tonos des S. selbst. Dies erklärt sich daraus, daB die vom (dorischen) Zentrum abweichenden Oktavgattungen durch die Tonoi lagenmäßig ausgeglichen und in die normale Mittelstellung zurückgebracht werden (daher auch Transpositionsskalen genannt). Daß 13 (oder gar 15) Tonoi nötig waren, ist heute schwer nachzuvollziehen und wurde bereits von Ptolemaios bestritten. Entstehung und Geschichte der Lehre vom S. sind voller Probleme. Dennoch zeichnen sich einige Umrisse ab. Die Hauptwurzel führt zu Pythagoras, dessen fast ganz verschollene Geheimlehre vermutlich die Kugelgestalt und die vollkommene Ordnung des Kosmos mit Beobachtungen anhand der musikalischen Saite in Verbindung brachte. Denkt man sich, im Sinne der rekonstruierten Lehre, eine von der Erde ausgehende Saite sukzessiv verlängert (nicht geteilt!), bilden die 7 Planeten mit der Sonne als Zentrum die Intervalle eines gigantischen Konsonanzensystems: unter- und oberhalb der Sonne jeweils das gleiche Quart-QuintOktavgefüge, oberhalb jedoch in doppeltem Maßstab. Saturn - - - 2
Jupiter
Erneut drängt sich die Frage nach einer vom Zentrum (d. h. vom Dorischen) her bestimmten Ordnung auf, die sich mehr oder weniger auch in der Art der Namengebung spiegelt. Das S., seinem Wesen nach ein abstraktes System, ließ sich auf jede konkrete Tonlage beziehen und hieß dann Tonos (später auch Tropos). Aristoxenos unterschied 13 solche Tonoi, die jeweils durch einen Halbton gegeneinander verschoben und mit Namen benannt waren : Mesč e' Hypermixolydisch oder Hyperphrygisch höherauch:Hyperiastisch(-ionisch) dis' Mixolydisch tiefer auch: Hyperdorisch d' cis' Lydisch tiefer auch: Äolisch c' h Phrygisch b { tiefer auch: Iastisch (Ionisch) a Dorisch
{ f
Hypolydisch
{ tiefer auch: Hypoáolisch
Hypophrygisch { tieferauch:Hypoiastisch(-ionisch) Hypodorisch
gis fis e
Unter den Namen finden wir z. T. dieselben wie bei den Oktavgattungen, aber in anderer Bedeutung. Hypodorisch z. B. ist die höchste Oktavgat-
O
Mars
2
Sonne Venus Merkur Mond
Erde
Als Abbild kosmischer Verhältnisse erklingt der räumlich unterste (nětě) Ton dann am höchsten und der räumlich höchste (hypatě) am tiefsten. So wichtig die Zahlenverhältnisse der 3 ersten Konsonanzen (symphoniai) waren - Oktave (dia pasön) 2 :1, Quinte (dia pente) l'%i :1, später 3 :2 und Quarte (dia tessarön) 1 % : 1, später 4 :3 -, die eigentliche Entdeckung dürfte die einfache Beobachtung gewesen sein, daß die untereinander gleichbleibenden Streckenverhältnisse sich von Oktave zu Oktave im Maßstab verdoppeln - das älteste Beispiel eines logarithmischen Systems. - Die kosmische Ordnung des Konsonanzsystems aus 2 separaten 69
Systema teleion Oktaven wurde brüchig, als Hippasos wenig später zum Doppeloktavsystem überging und nachwies, daß die Undezime (8:3) nicht in das auf den Zahlen 1 bis 4 aufgebaute Konsonanzkonzept paßt (Duodezime 3:1, Doppeloktave 4:1). Der naturgegebene Ganzton (9:8) als Differenz zwischen Quinte und Quarte bestimmte fortan (faßbar seit Philolaos) das mathematisch orientierte Systemdenken : der Ditonos als doppelter Ganzton (81:64), das Limma (kleiner Halbton) als Restintervall zur Quarte (256:243), dazu die spezifischen Systemprobleme des ř Komma, der Apotome, des ř Schisma. Schließlich kam, etwa bei Archytas, die Frage der variablen kleinen Intervalle hinzu (r Enharmonik). In dieser Lage griff Platon das großartige Thema der OE Sphärenharmonie von neuem auf (abstrakt im Staat mit einer dunklen zahlenspekulativen Lösung im Timaios). Andere folgten ihm später, zwar mit physikalisch korrigierten, aber musikalisch blassen Lösungen der ursprünglichen Idee: 7 oder 8 Himmelssphären im diatonischen Intervallabstand und nunmehr umgekehrt angeordnet (z. B. entspricht dem Mond der tiefste Ton). Diese wohl von der Stoa (Poseidonios) ausgehende Revision, die u. a. Cicero und einige Neupythagoreer übernahmen, führte schließlich zum Umdenken auch in der Musiktheorie (Darstellung des Tonsystems von unten nach oben, Umkehr der Tonarten: Dorisch auf d, Phrygisch auf e, Lydisch auf f). - Eine andere Wurzel sind die praktischen Systeme der Leierinstrumente, für die es eine mit Skepsis aufzunehmende antike Genealogie gibt. Dem von Hermes „erfundenen" Viersaiter soll ein Lyder die 5., ein Phrygier die 6. und Terpander die 7. Saite hinzugefügt haben (Heptachord aus Tetrachord mesön und syněmmenön). Die Einführung des Achtsaiters wird Pythagoras oder einem Lichaon zugeschrieben (Tetrachord mesön und diezeugmenön). Weitere Saiten sollen im 5. Jh. v. Chr. hinzugekommen sein (z. B. Elfsaiter des Timotheos). Zuverlässiger scheint eine vereinzelte Nachricht von Aristeides Quintilianus über alte Harmoniai der Platonzeit, die zu dem späteren musiktheoretischen Normbild der Oktavgattungen und Tonoi offenbar nicht recht paßt (Intervallfolge abwärts) : Dorisch 2 - 1/4 - '/4 - 1 - 2 - 1/4 - 1/4 1, Ionisch 1 - 1 1A - 2 - '/4 - V4, Syntonolydisch 1 '/z 2 - 1/4 - '/4 u. a. Unklar bleibt der Ansatz für die griech. Notation, doch wird man ihn im Übergangsbereich zur Praxis vermuten dürfen. Die Lehre vom S. in der eingangs umrissenen klassischen Form stammt im wesentlichen von Aristoxenos (aus seinen heute nur fragmentarisch bekannten Arbeiten zur Wissenschaft vom Melos). Historisch wurde sie möglich erst nach Preisgabe 70
der pythagoreischen Idee, die Intervalle mathematisch exakt zu bestimmen, zugunsten eines schlichten musikalischen Intervalldenkens, dem zufolge z. B. die Oktave 5 Ganz- und 2 Halbtöne enthält. An der aristoxenischen Lehre vom S., zu der es keine Alternative gab, hat die Folgezeit bis ins MA hinein festgehalten - in Kreisen der Pythagoreer allerdings widerstrebend und mehr äußerlich. Schließlich war es Ptolemaios (2. Jh. n.Chr.), der ein letztes Mal den Versuch unternahm, die pythagoreische Idee in der Musiktheorie zu rehabilitieren, indem er die Anzahl der Tonoi aus rationalen Gründen auf 7 beschränkte, alle dort vorkommenden Intervalle in harmonischen Zahlenverhältnissen festlegte und zwischen der tatsächlichen Lage der erklingenden Töne (thesis) und ihrer musikalischen Funktion im S. (dynamis) unterschied. Anders als in Byzanz (z. B. Bryennios) fand dieser subtile Rettungsversuch im lat. MA - vermittelt durch Boëthius - wenig Verständnis. Statt dessen wurde die Lehre vom S. erst neu gefaßt (vgl. die Dasia-Notation in der r Musica enchiriadis) und dann zugunsten einer vereinfachten praktischen Lösung preisgegeben (Guido von Arezzo). Lit.: D. B. MONRO, The Modes of Ancient Greek Music (O 1894); R. P. WINNINcroN- INGRAM, Mode in Ancient Greek Music (C 1936, Nachdr. 1968); O. J. GOMBosI, Die Tonarten u. Stimmungen der antiken Musik (Kop 1939); G. JUNGE, Die Sphärenharmonie u. die pythagoreisch-platonische Zahlenlehre (Kop — L 1948); J. HANDSCHIN, The Timaeus Scale, in: MD 4 (1950); O. J. GOMBOSI, Key, Mode, Species, in: JAMS 4 (1951); J. CHAILLEY, L'imbroglio des modes (P 1960); W. BURKERT, Weisheit u. Wissenschaft. Stud. zu Pythagoras, Philolaos u. Platon (NO 1962); J. CHAILLEY, Nicomaque, Aristote et Terpandre devant la transformation de l'heptacorde grec en octocorde, in: Yuval 1 (1968); J. LOHMANN, Musiké und Logos, Aufsätze z griech. Philosophie u. Musiktheorie, hrsg. v. A. Giannarás (St 1970); M. MARKOVITS, Das Tonsystem der abendlind. Musik im frühen MA (Be — St 1977); B. L. VAN DER WAERDEN, Die Pythagoreer. Bruderschaft u. Schule der Wiss. (Z — Mn 1979); F. ZAMINER, Pythagoras u. die Anfänge des musiktheoret. Denkens bei den Griechen, in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforsch. 1979/80 (B 1981); DERS., Konsonanzordnung und Saitenteilung bei Hippasos von F. ZAMINER Metapont, in:ebd. 1981/82(1982).
SZABELSKI, Boleslaw, * 3. 12. 1896 Radory± bei Lublin, t 27.8. 1979 Kattowitz; poln. Komponist. S. studierte Orgel und Komposition (K. Szymanowski) am Warschauer Konservatorium, war 1929-39 Lehrer für Orgel am Konservatorium und 1945-67 Leiter der Orgel- und Kompositionsklassen der Musikhochschule in Kattowitz. S. pflegte einen sehr expressiven, neobarocken Stil und übernahm seit 1956 Techniken A. von Weberns. WW: 1) Instr.-WW: Werke für Klv. u. Org.; 2 Streichquartette (1924, 1957). — Für Orch.: 4 Symphonien (1924-54), die 2. mit Sopran, Chor u. Orch. ; Orch.-Suite (1938); Etüde (1938); Sinfonietta (1946) für Streichorch. u. Schlagzeug; Concertograsso(1955); Sonette (1958); Aphorismen 9 (1962) u. Präludien (1963) für Kam-
Szene merorch.; Concertino (1954), Konzert (1956) u. Verse (1961) für Klv. u. Orch.; Konzert (1965) für Fl. u. Kammerorch. - 2) VokalWW: Magnificat (1942) für Sopran, Chor u. Orch. ; Heroisches Poem (1952) für gem. Chor u. Orch.; Improvisationen (1959) für Chor u. Kammerorch.
certo (1975) für Streichorch. - Ballade Dzwon (Die Glocke) (1953) (Text: F. García Lorca) für 2 Chöre a cap.; Suita kurpiowska (Kurpische Suite) (1955) für Alt u. 9 Instr. - S. schrieb ferner C. Debussy (Kattowitz 1962). Lit.: B. SCHÄFFER, S., in: Grove. XVIII.
Lit.: B. SCHÄFFER, S., in: Grove• XVIII (mit Ven. der poln. Lit.).
SZABOLCSI, Bence, * 2. 8. 1899 Budapest, t 21. 1. 1973 ebd.; ung. Musikforscher. Er studierte 1917-20 an der Universität Budapest, 1921-23 an der Universität Leipzig (H. Abert), wo er 1923 promovierte, besuchte außerdem 1917-21 die Budapester Musikakademie (Z. Kodály) und 1921-23 das Leipziger Konservatorium (S. Karg-Elert). 1945 wurde er Lehrer für Musikgeschichte an der Budapester Musikakademie und 1961 Leiter des von ihm gegründeten Budapester Bartók-Archivs. S.s umfangreiches und weitgefächertes CEuvre, in dem Leben und Werke B. Bartóks und Kodálys Schwerpunkte sind, ist grundlegend für die Musikgeschichtsforschung in und über Ungarn. Zu seinem 70. Geburtstag erschienen die Festschriften B. S. septuagenario (hrsg. v. D. Bartha, Budapest 1969, = Studia musicologica 11) und Magyar zenetörténeti tanulmányok S. B. 70. születésnapjára (hrsg. v. F. Bónis, ebd.) (beide mit Bibliogr.). Schriften: Probleme der alten ung. Musikgesch., in: ZfMw 8 (1925/26); Zenei lexikon (Musiklexikon), 2 Bde. (Budapest 1930-31, 2 1935, revidiert 3 Bde. 1965) (zus. mit A. Tóth); Ober Kulturkreise der musikat Ornamentik in Europa, in: ZfMw 18 (1935); La musique des Tziganes (P 1938); A zene története (Budapest 1940,' 1974); Five-tone Scales and Civilization, in: AMI 15 (1943); Tre composizioni sconosciute di A. Vivaldi, in: Quaderno dell'Accad. Chigiana 15 (Siena 1947); A melódia története (Budapest 1950), di Übers.: Bausteine zu einer Gesch. der Melodie (ebd. 1959); F Liszt an seinem Lebensabend (ebd. 1959); B. Bartók. Sa vie et son ceuvre(ebd. 1956, 2 1968, dt. 1957); Beethoven (ebd. 1970); Aufstieg der klass. Musik v. Vivaldi bis Mozart (Wie 1970); Tanzmusik aus Ungarn im 16. u. 17.1h. (Kas 1970). Mil vei (Werke), 3 Bde., hrsg. v. F. Bónis (Budapest 1977-82). Lit.: S. B. 1899-1973, in: Magyar zene 14 (1973); F. B6NIS, The Magnum Opus of B. S., in: New Hungarian Quarterly 15 (1974).
SZALONEK, Witold, * 2.3. 1927 Czechowice; poln. Komponist. Er studierte an der Musikhochschule in Kattowitz, wurde dort 1956 Kompositionslehrer, 1961 Adjunkt und 1966 Professor und bildete sich 1962-63 noch bei Nadia Boulanger in Paris weiter. Seit 1972 ist S. Rektor der Musikhochschule in Kattowitz. Als Gastdozent lehrte er 1970 in Aarhus und 1974 an der Musikhochschule in (West-)Berlin. Nach folkloristisch orientierten Anfängen übernahm S. später auch neuere Kompositionstechniken (W. Lutoslawski). WW: Vc.-Sonate (1958); Piernikiana (1977) für Tuba; Proporzioni Nr. 3 (1977) für V., Vc. u. Klv. (oder Harfe); Improvisations sonoristiques (1968) für Klar., Pos., Vc. u. Klv. ; 1 + 1 + 1 + 1(1969) für 4 Streichinstr.; Connections(1972) für S Bläser u. 4 Str. ; Mutazioni (1966) für Kammerorch.; Les sons (1965) für Orch. u. Con-
SZATHMÄRY, Zsigmond, * 28.4. 1939 Hódmezövásárhely bei Szeged; ung. Organist und Komponist. Er studierte 1955-58 am Konservatorium und 1958-63 an der Fr.-Liszt-Musikakademie in Budapest, 1963-64 an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien und 1964-66 an der Frankfurter Musikhochschule. 1970-77 war er Kantor und Organist an der ev.-luth. Kirche in Hamburg-Wellingsbüttel, daneben seit 1972 Dozent für Orgelspiel an der Musikakademie in Lübeck. 1978 wurde er an der Musikhochschule in Freiburg i. Br. Professor für Orgelspiel. Konzertreisen machten S. international als stilistisch vielseitigen und virtuosen Interpreten bekannt. Seine Kompositionen, die aus einer „stark emotionellen Treibkraft" heraus verstanden werden sollen, beziehen auch improvisatorische und Geräuschelemente sowie neue Spielmethoden ein. WW: Streichquartett (1970); Dialog I für Org. sowie ... //für Org. u. Tonband (1971); Katharsis(1972) für Klar., Org. u. Schlagzeug; Con-tact-versation (1972) für V. u. Tonband; Mixtur (1974) für Org.; Fabel (1977) für Org. zu 4 Händen u. Tonband; Modell I (1979) für Kammerensemble u. Tonband bzw. Org. u. Tonband. Disperazione (1970) (Text aus der Bibel u. aus dem Tagebuch der A. Frank) für Sopran, Bar. u. Kammerensemble; Air (1978) für Org., Bar. u. Tonband. B. A. KOHL
SZELL, George (György), * 7.6. 1897 Budapest, t 30.7. 1970 Cleveland (Ohio); amerik. Dirigent ung. Herkunft. Er studierte in Wien (E. Mandyczewski) und Leipzig (M. Reger), wurde 1915 Korrepetitor an der Königlichen Oper in Berlin, wirkte seit 1917 als Dirigent in Prag, Darmstadt und Düsseldorf, war 1924-29 1. Kapellmeister an der Berliner Staatsoper und lehrte 1927-30 an der Berliner Musikhochschule. 1929-37 war er GMD an der Deutschen Oper und der Philharmonie in Prag, 1939 ließ er sich in den USA nieder. Dort arbeitete er 1941-42 mit dem NBC Symphony Orchestra, dirigierte 1942-46 das Orchester der Metropolitan Opera in New York und übernahm dann das Cleveland Orchestra, das unter seiner Leitung eines der international renommiertesten Orchester wurde. Lit.: H. C. SCHONBERG, The Great Conductors (NY 1967); D. WOOLDRIDGE, Conductor's World (Lo 1970); H. J. HIRSH - J. SAUL, G. S. Discography, in: Grand Baton 9 (1972).
SZENE (von griech. skěně = Zelt, Hütte), im griech. Theater der fassadenartige Aufbau, der die Orchestra (die dem amphitheatralischen Halbrund 71
Szenographie gegenüberliegende Bühnenfläche) zum offenen Hintergrund hin abgrenzte; sie repräsentierte die für den dramatischen Zusammenhang erforderlichen Orte (Palast, Tempel, Felsen u. a.). Danach bezeichnete lat. scaena (it. scena) zunächst den äußeren Schauplatz der Handlung. In Schauspiel und Oper auch gleichbedeutend mit Auftritt, dem allgemein durch Auftritt und Abgang von Personen begrenzten Unterabschnitt eines Aktes. In manchen Opernpartituren ist auf die Einteilung nach S.n verzichtet, z. B. Orfeo (Cl. Monteverdi), Parsifal (R. Wagner), Falstaff(G. Verdi). Andererseits kann der S. als Aufbaueinheit musikalisch und dramaturgisch besondere strukturierende Bedeutung zukommen, z. B. Wozzeck (A. Berg), Die Soldaten (B. A. Zimmermann). Seit Ende des 18. Jh. werden auch musikalisch nicht geschlossene, aus rezitativischen und ariosen Teilen zusammengesetzte Partien, die ein geschlossenes Gesangsstück (Arie, Duett, Ensemble) vorbereiten, als S. bezeichnet (Scena ed Aria, Scena e Duetto usw.), z. B. bei W. A. Mozart, Misera, dove son KV 369; L. van Beethoven, Ah, perfïdo, op. 65; C. M. von Weber, Der Freischütz (Nr. 8); häufig auch in der it. und frz. Oper des 19. Jahrhunderts. Im übertragenen Sinne wird der Begriff S. verwendet, wenn man von der „Jazzszene" spricht und damit einen bestimmten Bereich des Jazzwesens K. D. GRÄWE meint. SZENOGRAPHIE (von griech. skenographia = Bühnenmalerei), Theaterdekoration. Das Theater des MA, das auch nach dem Auszug aus der Kirche auf den Marktplatz ein geistliches Spiel blieb (OE Liturgisches Drama, ř Mystère), ereignete sich auf einer Simultanbühne mit „Orten" (loca), die Schauplätze nur symbolisch andeuteten. Die illusionistische Szenengestaltung, das moderne Bühnenbild also, ist erst um 1500 entstanden, bedingt nicht zuletzt durch die Wiederentdeckung des antiken Dramas. Die Geschichte der S. ist ein faszinierendes und umfangreiches Kapitel der Kultur-, Kunst- und Theatergeschichte; die folgenden Anmerkungen geben nur einige Hinweise auf Lösungen, die für die Entwicklung des Bühnenbildes bedeutsam waren, und auf diejenigen Bühnenbauer, die den szenischen Raum in ein Kunstwerk verwandelt haben. Anfänge in Italien. Vitruvs De architectura, eine in augusteischer Zeit geschriebene Gesamtdarstellung der Architektur, die 1487 erstmals gedruckt worden ist, hat der Renaissance eine Vorstellung von Theaterbau und Bühnenform der Antike vermittelt. Die Kunst des späten 15. Jh. beherrschte die „costruzione legittima", die mathematisch kon72
struierte Zentralperspektive, und war damit imstande, diese antike Tradition neu zu beleben. Das war die wichtigste praktische Voraussetzung für die Entstehung des Bühnenbilds, das formal nur die Ablösung des ma. Verfahrens, eine Spielfläche zu organisieren, geistesgeschichtlich jedoch einen Bruch bedeutete: Die Unendlichkeit, in der Denkweise des MA ein Prädikat Gottes, wurde säkularisiert, erlebbar gemacht in fluchtenden Räumen, die die Erfahrungswelt und die Welterfahrung des Menschen spiegelten. Einer der großen Architekten der Hochrenaissance, Baldassare Peruzzi (1481-1536), hat die perspektivische Raumbühne nicht erfunden, aber als erster exemplarisch verwirklicht. Diese Bühne bestand aus einem Proszenium, auf dem die Handlung sich im wesentlichen abspielte, einem nach hinten ansteigenden Teil, der an den Seiten begrenzt war von plastisch geformten Häuserfronten, und einem gemalten Abschlußprospekt, der den realen Raum illusionistisch fortsetzte. Peruzzis Szene war, was die mit entsprechenden Mitteln arbeitende Malerei zu sein nur behauptete: ein dreidimensionales Bild, und sie war ein Rahmen, in dem die Handlung als Einheit von Raum und Zeit sich ereignete. Damit verfügte die Oper im Moment ihres Entstehens über eine praktikable Form der Bühne, die auch den Anforderungen des Musiktheaters genügte. Gegen Ende des 16. Jh. hat Bernardo Buontalenti (1536-1608), der die Ausstattung für die Intermezzi (OE Intermedium) entwarf, die im Rahmen der Florentiner Hoffeste aufgeführt wurden, diese bildhafte Form der Bühne weiterentwickelt zu einer bildmäßig organisierten. Seine flache Periaktenbühne (die dreiseitigen, bemalten Drehprismen ermöglichten die Verwandlung der Szene) entsprach den Anforderungen der von den Florentiner Humanisten erdachten Themen der Intermezzi : Der mythologische Aufwand verlangte eine optisch sinnfällige Darstellung. Die mit Vorliebe im Halbkreis aufgestellten Personen der antikisierenden Pantomimen sind in einen additiven Bildraum hineinkomponiert. Für blitzschnelle Dekorationswechsel verwendete Buontalenti kleine Drehbühnen, und beim Auftritt von Göttern setzte er effektvolle Flugmaschinen ein. Giulio Parigi (1580-1635/36), bei den Aufführungen von J. Peris Euridice und G. Caccinis II rapimento di Cefalo (1600) Assistent Buontalentis und dann dessen Nachfolger als Intendant der Florentiner Hoffestlichkeiten, spielte virtuos mit den Verwandlungsmöglichkeiten dieser Bühne und erweiterte den Einsatz des technischen Apparats. Bei Parigi verwandelte Buontalentis spätmanieristischer, elliptisch ausschwingender Raum sich langsam in
Szenographie einen frühbarocken, durch die Betonung der Tiefenbewegung charakterisierten Aufbau der Szene. Inigo Jones (1573-1652), durch einen Italienaufenthalt mit Parigis Bühnengestaltung aus eigener Anschauung vertraut, verwendete bei der Ausstattung der Masques am engl. Hof die Florentiner Neuerungen - ein erster Höhepunkt des modernen Theaters nördlich der Alpen. Fest und Oper in Frankreich. Das 17. Jh. begriff den Menschen, den Staat und selbst den Planetenhimmel im Bild der Maschine. Die Erfindung der Kulisse durch den Architekten Giovanni Battista Aleotti (1546-1636), theatergeschichtlich betrachtet der Beginn einer neuen Epoche, ermöglichte die Übertragung solcher mechanistischer Vorstellungen auf die Bühne: In einer Zeit, die die theatralische Scheinwelt für ein Spiegelbild der wirklichen Welt hielt, veranschaulichte die mittels eines zentralgesteuerten Kulissensystems hergestellte szenische Illusion die Mechanik der Welt. Giacomo Torelli (1608-78) hat Aleottis Erfindung perfektioniert. Torellis Bühne, ein zentralperspektivisch ausgerichteter Tiefenraum, ist charakterisiert durch eine Verbindung von Kulissensystem und Maschinentheater (La finta paria von Fr. Sacrati, Venedig 1641). Torelli, 1645 von Venedig nach Paris berufen, begann hier, konfrontiert mit den Forderungen des klassischen frz. Dramas, eine Reihe von Bühnenbildtypen zu erarbeiten, die letztlich bis ins 19. Jh. gültig waren. Torellis Landsmann, Carlo Vigarani (1622/23-1713) erhielt 1663 von Ludwig XIV. den Auftrag, die Versailler Hoffeste zu gestalten. Diese „Fetes galantes", die die gesamte Parkfläche als Spielstätte für Oper, Drama, Ballett und Reiterspiel miteinbezogen, bildeten Höhepunkte der theatralischen Selbstinszenierung einer Gesellschaft, die ihr Leben als Komödie spielte - mit dem König als erstem Schauspieler. 1672 unterzeichnete Vigarani einen Gesellschaftsvertrag mit J.-B. Lully, der ihm das Alleinrecht an der Ausstattung von dessen Opern sicherte, die er in Dekorationen, die Torellis Gestaltungsweise fortsetzen und gleichzeitig das inzwischen gesteigerte Repräsentationsbedürfnis des Adels sichtbar machen, auf die Bühne brachte. Jean Bérain (1640-1711), der nach Beendigung des Vertrags zwischen Lully und Vigarani (1680) Ausstattungsleiter der Pariser Oper wurde, hat die klassizistische frz. Theaterdekoration auf den Punkt hingeführt, an dem Theorie und Praxis zusammenfielen. Sein Bühnenraum ist rational konstruiert, die Tiefenbewegung wird abgeschwächt, es entsteht eine Reliefbühne. Der Triumph der Winkelperspektive. Während in Paris die königlichen Bühnenbildner den monu-
mentalen „Style Louis XIV" entwickelten, entwarf in Wien der „Theatralingenieur" Kaiser Leopolds I., Ludovico Ottavio Burnacini (1636-1707), Ausstattungen, die die Szene in eine Phantasmagorie verwandelten, die Räume schufen, die jede Beziehung zu realer Architektur verloren hatten (II pomo d'oro von M. A. Cesti, 1668). Ferdinando Galli Bibiena (1657-1743), nach Burnacinis Tod einige Jahre lang dessen Nachfolger, stellte mit seiner Perspektivbühne „di nuova invenzione" eine der wichtigsten Neuerungen in der Geschichte der S. vor: Er ordnete die Elemente der Dekoration nicht längs einer Achse an, sondern stellte sie übereck, der Zuschauer blickte nicht mehr in einen Raum, der sich in die Tiefe bewegte, auf einen Fluchtpunkt zu, sondern auf eine Reihe von schrägwinklig angeschnittenen Räumen, deren tatsächliche Ausdehnung ihm verborgen blieb (Angelica vincitrice di Alcina von J. J. Fux, Wien 1716). Bibienas „scena per angolo" verzichtete auf die Spiegelbildlichkeit von Zuschauerraum und Bühne zugunsten einer stärkeren Autonomie der Bühne, die durch die vielfältigen Möglichkeiten, Raumfluchten anzudeuten, unterschiedlich gestaltete Raumkompartimente aufeinander zu beziehen, an Lebendigkeit und Kontrastreichtum gewinnt. Bibienas Erfindung wurde von den Mitgliedern seiner Familie, einer Dynastie von Bühnenbildnern, die 3 Generationen lang das Theater beherrschte, in ganz Europa verbreitet. Filippo Juvarra (1676-1736), einer der großen spätbarokken Architekten, der häufig für das Theater arbeitete (Ciro von A. Scarlatti, Rom 1712), hat Bühnenarchitekturen entworfen, die den bibienesken an Eleganz sicher nicht nachstehen, die grandiosen Wirkungen jedoch, die sich mit dem winkelperspektivischen Verfahren erzielen ließen, hat selbst er nicht erreicht. Grand Opéra und Historismus. Mit dem Ancien régime endeten auch das barocke Prunktheater und der barocke Theaterprunk. Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), der letzte bedeutende Architekt, der zugleich Bühnenbildner war, hat mit der Ausstattung zu W. A. Mozarts Zauberflöte (Berlin 1816) noch einmal ein Kunstwerk von hohem Rang geschaffen. Danach kam die Zeit der geschickten und geschmackvollen Handwerker. Alessandro Sanquirico (1777-1849), 1817-32 der Chefbühnenbildner der Mailänder Scala, und Pierre-Luc-Charles Cicéri (1782-1868), seit 1810 in der gleichen Position an der Pariser Opéra, waren Könner, deren Entwürfe durchaus übereinstimmten mit den Erwartungen des Publikums, das Romantik und Pathos liebte. Spätestens mit Angelo Quaglio (1829-90), dem Ausstatter der „Muster73
Szenographie aufführungen" der Opern R Wagners in München, hielt die Historienmalerei Einzug auf der Bühne - Geschichtsgläubigkeit hatte über die Phantasie gesiegt. Adolphe Appias (1862-1928) Versuch, die Inszenierung und Ausstattung von Wagners Werken zu „reformieren", schlug fehl. Seine Ideen, die am Ende des 19. Jh. wohl unzeitgemäß waren, konnte er erst um 1910, zum Teil unzureichend, verwirklichen. Raum und Farbe. Appias Vorstellung einer stilisierten Raumbühne, die die gemalten Kulissendekoration ablösen sollte, entstand aus der Überlegung, den musikalischen Ablauf und das szenische Geschehen miteinander zu verklammern. Alfred Roller (1864-1935) hat in den Jahren der Zusammenarbeit mit G. Mahler an der Wiener Hofoper (1903-1909) ähnliche Gedanken in die Praxis umgesetzt. Bei Roller, der von der Wiener Secessions-Kunst herkam, übernahm die Farbe eine dramaturgische Funktion, das Bühnenbild verstärkte die Absichten der Musik. Durch S. Diaghilew, der für die Aufführungen der Ballets Russes ausschließlich Maler und Bildhauer als Ausstatter verpflichtete (von Léon Bakst über Matisse und Picasso bis zu Max Ernst und Joan Miró), wurde die alte Verbindung von bildender Kunst und Bühne erneuert. Oskar Schlemmer (1888-1943) experimentierte am Bauhaus mit einer abstrakten Bühne, László Moholy-Nagy (1895-1946) übertrug in seinen Ausstattungen für die Berliner Krolloper Gestaltungsprinzipien des Konstruktivismus auf die Theaterpraxis. Von beiden sind wichtige Impulse ausgegangen für das Schaffen der professionellen Bühnenbildner. Aus der Fülle der Szenengestalter, die in der Auseinandersetzung mit aktuellen Strömungen und im Nachdenken über das Erbe einen wesentlichen Beitrag zum modernen Musiktheater geleistet haben, seien 4 herausgehoben : Caspar Neher (1897-1962), ein Bühnenbauer, der den szenischen Raum als eine auf den Horizont des Stücks bezogene, eigene Welt begriff; Wieland Wagner, der für das von ihm geprägte Neu-Bayreuth Appias Ideen fruchtbar machte (und sie mit C. G. Jungs Archetypenlehre verband); Josef Svoboda (* 1920), der mit konstruktivistisch-abstrakten Mitteln die Bühne in einen „psychoplastischen Raum" verwandelt; J.-P. Ponnelle, der mit Phantasie und Ironie Szenen entwirft, die das Geschehen übersetzen in Bilder von hoher visueller Prägnanz. Lit.: H. KINDERMANN, Theatergesch. Europas, 10 Bde. (Salzburg 1958-73); R. ALEWYN — K. SÄLZLE, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument u. Deutung (H 1959); Das Bühnenbild im 19. Jh. Ausstellungs-Kat. (Mn 1959); A. M. NAGLER, Theatre Festivals of the Medici 1539-1637 (New Haven — Lo 1964); D. BABLET, Esthétique générale du décor de théätre de 1870 à 1914 (P 1965); G. SCHÖNE, Bühnenbild u. Kostüm, in:
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Atlantisbuch des Theaters (Z — Fr 1966); Bühne u. bildende Kunst im 20. Jh., hrsg. v. H. RISCHBIE'rER (Velber 1968); H. H. BoRCHERDT, Das europ. Theater im MA u. in der Renaissance (H 1969); Barockes Fest — Barockes Spiet Ausstellungs-Kat. (Schwšbisch Hall 1973); H. CURJEL, Experiment Krolloper (Mn 1979); C.-F. BAUMANN, Bühnentechnik im Festspielhaus Bayreuth (Mn 1980). HELMUT SCHNEIDER
SZERYNG, Henryk, * 22.9. 1918 Zelazowa-Wola bei Warschau ; mexikanischer Violinist poln. Herkunft. Er studierte bei C. Flesch in Berlin, konzertierte 1933 erstmals in europäischen Hauptstädten und war anschließend mehrere Jahre Kompositionsschüler von Nadia Boulanger in Paris. Während des 2. Weltkrieges gab er Konzerte für die Soldaten der Alliierten und verhalf polnischen Flüchtlingen zur Emigration nach Mexiko, wo er 1946 die Staatsbürgerschaft erhielt. Seit 1948 lehrt er an der Universität in Mexico City und setzt sich tatkräftig für die Förderung mexikanischer Komponisten ein. 1954 nahm er seine internationale Konzerttätigkeit wieder auf und zählt heute, insbesondere als Bach-Interpret, zu den bedeutenden Violinisten seiner Generation. SZIGETI, Joseph, * 5.9. 1892 Budapest, t 20.2. 1973 Luzern ; amerik. Violinist ung. Herkunft. Er war in Budapest Schüler von J. Hubay und begann seine Karriere im Alter von 13 Jahren in Berlin, lebte 1907-13 in London und lehrte 1917-24 am Konservatorium in Genf. 1924 nahm er seine Solistentätigkeit wieder auf und errang nun auf vielen Reisen Weltruhm, nicht zuletzt als Interpret zeitgenössischer Musik. Besonders setzte er sich ein für Werke von B. Bartók, A. Berg, E. Bloch, F. Busoni, A. Casella, Fr. Martin, D. Milhaud, S. Prokofjew, M. Ravel, A. Roussel und I. Strawinsky. 194.0 übersiedelte S. in die USA, seit 1960 lebte er in der Schweiz, wo er sich langsam vom Konzertieren zurückzog und seine künstlerische Erfahrung in einigen Büchern niederlegte. Schriften: With Strings Attached (NY 1947, Lo 1949, erweitert NY 21967) (mit Diskographie), dt. Übers. (erweitert): Zwischen den Seiten (Rüschlikon — Z 1962); A Violinist's Notebook (engt. u. dt. Lo 1964); The Ten Beethoven Sonatas for Piano and Violin, hrsg. v. P. Rolland (Urbana/Ill. 1965), dt. Übers. (erweitert): Beethovens Violinwerke (Z 1965); S. on the Violin (Lo 1969, 21979). Lit.: J. L. SOROKER, J. S. (Mos 1968); B. SCHWARZ, S., in: Grove" XVI I I.
SZYMANOWSKI, Karol, * 24.9. (6. 10.) 1882 Tymoszówka (Ukraine), t 29.3. 1937 Lausanne; poln. Komponist. Er studierte 1901-04 Komposition (Z. Noskowski) und Musiktheorie in Warschau. 1905 gründete er mit M. Karlowicz, Gr. Fitelberg, Apolinary Szeluto und L. Róiycki die Gruppe „Mloda Polska" (Junges Polen) zur Förderung zeitgenössischer polnischer Musik. Nach
Szymanowski Aufenthalten in Berlin (1906-08), Warschau, Wien (1912-14), Tymoszówka und Jelisawetgrad (1917-19) lebte S. seit 1919 erneut in Warschau, wo er am Konservatorium lehrte, zog sich aber häufig nach Zakopane (Hohe Tatra) zurück. Mit der Musik der Bergbewohner vertraut geworden, begann er sich zunehmend für die polnische Folklore zu interessieren. 1927-29 leitete er das Warschauer Konservatorium und war 1930-31 Rektor der dar-
aus hervorgegangenen Musikakademie. WW: 1) Inst.-WW: a) Für Klv.: 9 Präludien, op. 1 (1899-1900); Variationen, op. 3 (1901-03); 3 Sonaten: op. 8 (1903-04), op. 21 (1910-11) und op. 36 (1916-17);4 Etüden, op. 4 (1906, 1913, 1951, 1952); Wariacje na polski temat ludowi (Variationen über ein poln. Volksthema), op. 10 (1900-04); Fantasie, op. 14 (1905); Präludium u. Fuge (1909); Metopy (Metopen), op. 29 (1915), 3 Dichtungen für Klv.; 12 Etüden, op. 33 (1916); Maski (3 Masques), op. 34 (1915-16); 20 Mazurken, op. 50 (1924-26); 4 poln. Tänze (1926); 2 Mazurken, op. 62 (1934). - b) Für V.: Violinsonate, op. 9 (1904); Romanze, op. 23 (1910); Nocturno u. Tarantella, op. 28 (1915); Mity(Mythen), op. 30 (1915); 4 Capriccios Paganinis, op. 40 (1918); Kolysanka (La berceuse d'Aitacho Enia)(1925). - c) Kammermusik: Trio, op. 16 (1907); 2 Streichquartette, op. 37 (1917) und op. 56 (um 1927). - d) Für Orch.: Konzertouvertüre, op. 12 (1904-05, neu instrumentiert 1912-13); 3 Symphonien, 1: op. 15 (1906-07); 2: op. 19 (1909-10) : 3: Das Lied v. der Nacht, op. 27 (1914-16) für Tenor (oder Sopran), Chor u. Orch.; 4. Symphonie concertante, op. 60 (1932) für Klv. u. Orch.; 2 V.-Konzerte, op. 35 (1916) und op. 61 (1932-33). - 2) Vokal-WW: 6 Kurpische Lieder(1928-29) für Chor a cap.; Die Liebeslieder des Hafis, op. 26 (1911) für Solost. u. Klv. (Orch.-Fassung 1914); Demeter-Persephone(nach Euripides) (1917, neu instrumentiert 1924); Agave, op. 38 (1917) für Alt, Frauenchor u. Orch.; Stabat mater, op. 53 (1925-26) für Soli, Chor u. Orch.; Veni Creator, op. 57 (1930) für Sopran, Chor, Orch. u. Org.; Litanei zur heiligen Jungfrau Maria, op. 59 (1930-33) für Sopran, Frauenchor u. Orch. -
Ferner etwa 120 Lieder. - 3) Bühnen-WW: Opern Hagith, UA: Warschau 1912, und Král Roger (König Roger) (Text v. K. S. u. J. Iwaszkiewicz), UA: Warschau 1926; Ballettgroteske Mandragora (3 Szenen zu J.-B. Molières Le bourgeois gentilhomme), UA: Warschau 1920; Ballettpantomime Harnasie, UA: Prag 1935. -4) Schriften: Zahlr. Aufsätze in Zeitschriften, u.a. über Fr. Chopin, M. Ravel u. zeitgen. Musik. Gesammelte Schriften erschienen Krakau 1947 u. 1958.
S. nahm Einflüsse Fr. Chopins und A. Skrjabins, später auch R. Wagners, R. Strauss' und M. Regers auf, wandte sich dann dem Impressionismus zu und versuchte schließlich, nach dem Vorbild von B. Bartók und I. Strawinsky einen eigenständigen nationalen Stil zu entwickeln. Trotz dieser intensiven Auseinandersetzung mit vielfältigen musikalischen Strömungen zeigt jede Phase seines Schaffens unverkennbar individuelle Züge. S.s besonderes Verdienst ist es, die polnische Musik wieder in Kontakt mit der allgemeinen europäischen Musikentwicklung gebracht und ihr damit auch die neueren Techniken bis hin zu Atonalität erschlossen zu haben. Lit.: H. H. STUCKENSCHMIDT, K. S., in: ML 19 (1938) (engl.); K. MICHALOWSKI, K. S. Katalog tematyczny dziel, 1: Bibliografia (Krakau 1967); J. M. CHOMINSKI, Studia nad twórczoscia K. S. (ebd. 1969); K. SZYMANOWSKI - J. SMETERLIN, Correspondence and Essays (Lo 1969); Z HELMAN, Zur Modalität im Schaffen S.s u. Janáčeks, in: Colloquium L Janáček et musica europaea (Brünn 1970); T. CHYLIŇSKA, S. i jego muzyka (War 1971); A. R. WIGHTMAN, The Music of K. S. (Diss. York 1972-73); T. CHYLINSKA, S. (Bildmonographie) (Krakau 1973, engl. NY 1973); J. SAMSON, S. and Tonality, in: Studi musicali 5 (1976); DERS., S., an Interior Landscape, in: Proc. R. Mus. Assoc. 106 (1979/80); Z LIssA, Vom Wesen des nationalen Stils in der Musik v. K. S., in: HJbMw 4 (1980).
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T T, t, Abk. für: 1) Tenor; Tutti ; Tonika. - 2) Tempo in a t. = a tempo bzw. T. 1 m° = tempo primo. TABARRO, IL, Oper von G. Puccini; dt. Titel: Der Mantel. TABLA (arabisch). - 1) Im arabischen Sprachraum Sammel-Bz. für verschiedene Trommeln und Pauken. - 2) Bz. für den heute in OE Indien wichtig-
sten Trommeltypus. TABOUROT, Jehan, r Arbeau, Thoinot. TABULA COMPOSITORIA (lat., = Komponiertafel), Bz. für eine seit dem späten 15. Jh. nachweisbare und bis zu Beginn des 17. Jh., in Frankreich bis weit ins 18. und in Italien vereinzelt (z. B. im Liceo Musicale, Bologna) sogar bis ins 19. Jh. gebrauchte Notationshilfe zum Entwurf und zur Ausarbeitung von mehrstimmigen Kompositionen, aber auch zur Spartierung von in Einzelstimmen oder Chorbüchern überlieferten Stücken anderer Komponisten zu Studienzwecken. Der allgemeine Gebrauch der T. - unter diesem Namen erstmals 1537 von Lampadius beschrieben, später auch bei M. Praetorius erwähnt - ist u. a. schon durch die vielen überlieferten Bezeichnungen (dt.: Löschtabell, Kartell; frz.: cartelle; it.: cartella, cartelletta di contrapunto; lat.: scala compositoria, carta; griech.-lat.: palimpsestus) verbürgt. Sie be-
stand aus dauerhaftem Material, das wiederholtes Beschriften und Löschen des Geschriebenen ermöglichte (Schiefer, lederbezogenes Holz, mit Gips und Firnis behandelte Pergament-, Lederoder Leinwandstücke), und war von unterschiedlicher Größe, doch konnte die Fläche jedenfalls ein ganzes Stück bzw. von mehrteiligen Kompositionen einen einzelnen Teil (prima, secunda pars usw.) aufnehmen. Die Notenlinien waren gewöhnlich eingeritzt, entweder in Gestalt der f Scala decemlinealis, wobei der Tonsatz mit allen Stimmen in ein einziges Zehnliniensystem eingetragen wurde, oder als einzelne Fünfliniensysteme, von denen dann jeweils eine den Stimmen der Kompo76
sition entsprechende Anzahl nach Art einer r Partitur zusammengefaßt wurde. Beide Arten sind um 1500 sicher belegt. Von Anfang an ist die Verwendung senkrecht durchgezogener Orientierungsstriche (cancellae) nach Art des Taktstrichs, gewöhnlich im Abstand einer Brevis, anfangs auch oft einer Longa, bezeugt; sie sind mit der Notwendigkeit, das Satzgefüge zu ordnen und die Zusammenklänge zu kontrollieren, begründet. Die Komposition auf dem Zehnliniensystem wurde von Anfängern bevorzugt, weil hier die Intervallverhältnisse mit einem Blick zu überschauen sind, doch bereitete bei dieser Methode im dichten Satz oder bei Stimmkreuzungen mitunter die Unterscheidung der Einzelstimmen Mühe; man behalf sich dabei mittels unterschiedlicher Farben oder Notenformen (rund, rhombisch, herzförmig, dreieckig usw.). Das Komponieren „per systemata", also in Partituranordnung, galt als Verfahrensweise der Geübten (Lampadius zufolge u. a. von Josquin des Prés und H. Isaac angewandt). Fertige Stücke wurden vom Kopisten - nach Einzelstimmen getrennt - in Chor- oder Stimmbücher eingetragen (und zwar ohne Taktstriche, da sich deren Funktion als Orientierungshilfe in der T. erschöpft), danach die T. gelöscht. Daraus erklärt sich für das 16./17. Jh. u. a. das häufige Fehlen von Autographen. Die heutige Kenntnis von der T. widerlegt die frühere Vorstellung, die Komponisten hätten ihre Werke - ohne Partitur - direkt in Einzelstimmen niedergeschrieben; außerdem stellt sie bestimmte Prinzipien moderner Edition (z. B. den Mensurstrich) in Frage. Darüber hinaus erhellt sie Besonderheiten kontrapunktischer Satz- und Schreibweise (z. B. die der r Chiavette) sowie die Umbildung des modalen Tonartbegriffs in die von der Akkordvorstellung geprägte Dur-Moll-Tonalität. Lit.: S. HERMELINK, Dispositiones modorum (Tutzing 1960) ( Münchener Veröff. z Musikgesch. 4); E. E. LOWINSKY, Early Scores in Manuscript, in: JAMS 13 (1960); S. HERMELINK, Die T., in: FS H. Besseler (L 1961); TH. GÖI.I.NER, Notationsfragment aus einer Organistenwerkstatt des 15. 1h., in: AfMw 24 (1967). S. HERMELINK
Tabulatur TABULATUR (von lat. tabula = Tafel ; engl., frz.: tablature; it.: intavolatura; span.: cifra). - 1) Bz. für die Tafel oder das Buch, in denen die Regeln des . Meistersangs eingetragen waren. - 2) Bz. für
verschiedene Notierungsweisen früher Instrumentalmusik (14.-17. Jh.). Im engeren Sinne wird unter T. eine Notation verstanden, in der die Tonstufen nicht durch Noten, sondern durch Buchstaben, Ziffern oder bestimmte Symbole bezeichnet werden. T. bedeutet hier soviel wie Griffschrift, weil die zu spielenden Griffe und nicht die abstrakten Mensuralnoten aufgezeichnet sind. - Iin weiteren Sinne bedeutet T. in der Musik für Tasteninstrumente die Zusammenfassung aller Stimmen einer Komposition auf 2 Liniensysteme (dieses Verfahren hat noch J. S. Bach in der Kunst der Fuge angewandt). Durch die Zusammenziehung auf 2 Systeme oder die Übertragung in eine Griffschrift hebt sich die T. sowohl von der Partituraufzeichnung als auch von der Notation in Chor- bzw. Stimmbüchern ab. Die verbreitetsten Formen der T.-Aufzeichnung sind die Orgel- (bzw. Clavier-) und die Lautentabulatur. Seltener sind T.en für Gitarre, Harfe oder Viola da gamba anzutreffen, die, wie die noch heute gebräuchlichen T. en für Volksinstrumente, primär pädagogischen Zwecken dienten. Orgeltabulaturen. Bei den Orgel-T.en lassen sich eine dt. und eine span. Form unterscheiden. Unter den dt. Orgel-T.en gibt es eine ältere Notationsweise und eine neuere. Die bis etwa 1550 gebrauchte ältere T. verwendet für die Unterstimmen einer Komposition Buchstaben, deren Oktavlage durch Groß- und Kleinschreibung oder durch besondere kleine Striche gekennzeichnet ist (C, c, č usw.). Die rhythmischen Werte sind durch Zeichen wiedergegeben, die der Mensuralnotation entnommen sind. Lediglich die Oberstimme ist in Noten auf einem Liniensystem aufgezeichnet:
1
'OE1
(bg-
-
11
. 11 ri-ßtr
Buxheimer Orgelbuch, fol. 47" (Wach uff myn kort)
á
Die neuere dt. Orgel-T. verwendet (seit etwa 1550) auch für die Oberstimme die Buchstabennotierung TF ~i
Num. ~.
`Primu' Tonu'.
-rr -rr f ~ TT- řfifif a*+ pii-Fv~ 4-11 =ř
I Tr I -rr
aR ~ P ~ T7 j rr I ea D Fg a,y1+ I ,-r Tr I v ~ LY c3 95 A
-F4
-
I d
a
I *1
3
~1 # i=fifi TEM r
v
v
ř
I
w I
v
B. Schmid, Tabu/stur Buch, 1607 Übertragung:
In beiden Aufzeichnungsweisen werden Tonerhö-
hungen (bzw. -erniedrigungen) durch kleine Schleifen angezeigt, die den Tonbuchstaben angehängt sind und die auf die lat. Silbe -is zurückzuführen sind (z. B. = gis oder as); Verzierungen werden in der Oberstimme durch einen abwärts gerichteten Stiel und einen kleinen spitzwinkligen Haken angegeben (~, ' ), deren Ausführung dem 1
späteren Mordent ähnlich gewesen zu sein scheint. Quellen deutscher Orgel-T.en: Robertsbridge-Fragment, um 1325 (London, British Library, Add. 28850); Ileborgh-T., 1448 (Philadelphia, Curtis Institute of Music Library); K. Paumann, Fundamentum organisandi, 1452 (Berlin, Staatsbibl. Preußischer Kulturbesitz, Mus. ms. 40613) (sämtliche hrsg. in: Corpus of Early Keyboard Music 1). — r Buxheimer Orgelbuch; A. Schlick, Tabulaturen etlicher lobgesang(Mz 1512; frühester T.-Druck) (hrsg. v. R. Walter, Mz 1970); J. Buchner, Fundamentum, nach 1524 (Zürich, Zentralbibl., Ms. 284b) (hrsg. in: EDM 55). —T.-Bücher von: J. Kotter, 1513-20/21 (Basel, Univ.-Bibl., F. IX. 22) (hrsg. in: SMD 6); L. Kleber, 1521-24 (Berlin, Staatsbibl. Preußischer Kulturbesitz, Mus. ms. 40026); Fr. Sicher, 1512-21, Nachtrag 1531 (St. Gallen, Cod. 530) (hrsg. in: SMD 8); Johannes von Lublin, 1537-48 (Krakau, Polska Akademia Nauk, Ms. 1716) (hrsg. in: Corpus of Early Keyboard Music 6); Chr. Löffeiholtz, 1585 (Berlin, Staatsbibl. Preußischer Kulturbesitz, Mus. ms. 40034); A. Nörmiger, 1598 (ebd., Mus. ms. 40089). — Sammelhss.: Pelplin, Biblioteka Seminarium, 304-8 (1620-30); Turin, Bibl. Nazionale Universitaria, Racc. Foà 1-8 (1637-40); Lüneburg, Stadtarch., Musikabt., KN 146-9,207-10 (nach 1650). —T.-Drucke von: E. N. Ammerbach (NO 1571 u. 1575); B. Schmid (Str 1576 u. 1607); J. Paix (Lauhingen 1583).
Die span. Orgel-T. verwendet statt der in Deutschland gebräuchlichen Buchstaben Ziffern; in ihr
Übertragung:
77
Tabulatur werden die einzelnen Tasten entweder von 1-42 durchgezählt (J. Bermudo, 1555), oder die weißen Tasten werden numeriert (c = 6, d = 7, e = 8 usw.), während die schwarzen durch Kreuze über den entsprechenden Ziffern als Alternationen kenntx e x lich gemacht sind (cis = 6, es = 7, fis = 9 usw.): rt A
o7 on 11 ,4 N
mit f-k, der 3. mit 1-p usw. bezeichnet; die tiefste Saite (G) wurde verschieden notiert, bei H. Neusidler etwa mit Großbuchstaben (A, B, C ..., ein Kreuz far die leere Saite).
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H. Neusidler, Ein neugeordent künstlich Lautenbuch, 1536 (Ach Lieb mit Leid). - Der Strich rechts neben CC bedeutet: 1
Obertragung: Obertragung:
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Eine weitere Vereinfachung des Systems besteht darin, daß lediglich die weißen Tasten zwischen f und e' mit 1-7 bezeichnet werden und die höher oder tiefer liegenden Oktaven durch zusätzliche Striche oder Punkte gekennzeichnet sind (f' =1 ', f2 = 1' usw.). Die Ziffernnotation ist in den T.Drucken von J. Bermudo (1550 und 1555), L. Venegas de Henestrosa (1557; hrsg. in: MMEsp. 2), A. Valente (1576), A. de Cabezón (1578; hrsg. in : MMEsp 27-29) und Fr. Correa de Araujo (1626; hrsg. in: MMEsp 6 u. 12) verwendet worden. Lautentabulaturen. Im 16. Jh. waren 3 verschiedene Lauten-T.en verbreitet: eine deutsche, eine italienisch/spanische und eine französische. Ihnen gemeinsam ist die Notation der Griffstelle (also der Kreuzungsstelle von Saite und Bund) durch Buchstaben, Ziffern oder eine Kombination von Buchstaben und Ziffern. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Griffe wurde durch rhythmische Zeichen angegeben, die über der Griffschrift eingetragen waren (> oder I = Semibrevis, 1 oder r = Minima usw.). Bei der Übertragung in moderne Notation bereitet dieses Prinzip der rhythmischen Aufzeichnung insofern Schwierigkeiten, als ein solches Zeichen nur den Anfang eines Tones (oder Akkordes) angibt und nicht dessen exakte Dauer. Meist wird heute eine lautengerechte Umschrift (siehe rechts: b) einer auf polyphone Stimmigkeit gerichteten Übertragung (rechts : a) vorgezogen. - Die dt. Lauten-T. sieht für jede Griffstelle ein eigenes Zeichen vor: die leeren Saiten (gewöhnliche Stimmung G c f a d' g') wurden, mit der zweittiefsten beginnend, mit 1-5, der 1. Bund mit a-e, der 2. 78
Hss. Quellen: Königsteiner Liederbuch, etwa 1470-73 (Berlin, Deutsche Staatsbibl., germ. qu. 719; älteste erhaltene Lauten-T.); T.en von: J. Thurner, etwa 1522 (Wien, östr. Nationalbibl., Mus. Ms. 9704) (hrsg in: Musik alter Meister 27); St. Crauss (ebd. Ms. 18688; teilw. hrsg. in: DV) 37); P. Fabricius, etwa 1605--08 (Kopenhagen, Kong Bibl., Samling Thottske quarr 841). - Drucke: A. Schlick (1512); H. Judenkönig (1515-19); H. Gerle (1532-52); Neusidler (1536-44); S. Ochsenkun (1558).
Die it./span. Lauten-T. bildet das Griffbrett des Instruments ab, indem den 6 Saiten die 6 Linien der T. entsprechen. Die Griffstellen wurden durch Ziffern angegeben (0 = Leersaite, 1 = 1. Bund, 2 = 2. Bund usw.). Da die Bünde in Halbtonabständen angebracht sind, bedeutet 1 (in G-Stimmung) von der tiefsten Saite aus gesehen: Gis cis fis b es' as'.
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Tactus Hss. Quellen zur it./span. Lauten-T.: V. Capirola, um 1517 (Chicago, Newberry Library, Case MS VM C. 25) (hrsg. v. O. Gombosi, 1955); J. Fugger, 2. Hälfte 16. Jh. (Wien, Östr. Nationalbibl., MS. 18790); V. Galilei, 1584 (Florenz, Biblioteca Nazionale, Ms. Ant. de Galilei VI); Ph. Hcinhofer, 1604 (Wolfenbüttel, HerzogAugust-Bibl., Cod. Guelf. 18. 7/8). - Wichtige Drucke: F. Spinacino (1507); Francesco da Milano (1536-41); B. Bakfark (1553); M. de Fuenllana (1554); Fr. Tomás de Santa Maria (1565); E. Daza (1576).
Die frz. Lauten-T. hatte zunächst (Attaingnant, 1529) 5 Linien, seit dem T.-Druck von E. Adriaensen (1584) 6. Auf ihnen waren für alle Bünde gleichlautend Buchstaben notiert (a = Leersaite, b = 1. Bund, c = 2. Bund usw.); die Baß- oder Bordunsaiten wurden unter das System notiert und mit eigenen Zeichen versehen (a = F, a = E, = D). Dieses T.-System fand in England weite Verbreitung.
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Lautenbuch der Virginia Renata von Gehema, 17. Jh. (Proportio) Übertragung:
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Hss. Quellen zur frz. Lauten-T.: B. Amerbach, um 1520 (Basel, Univ.-Bibliothek, Ms. F.IX56) (hrsg. in: SMD 6); Wickhambrook Ms. (New Haven, Yale Univ., Cod. Wickhambrook); J. Stobaeus, 1640 (London, British Library, Ms. Sloane 1021); D. Gaultier, um 1655 (Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 C 12) (hrsg. in: Publications de la Soc. Fr. de Mie 6/7); S. L Weiß, um 1730-50 (Dresden, Sächs. Landesbibl., Ms. Mus. 2841 V. 1). - Drucke: P. Attaingnant (1529/30); P. Phalése (1546-73); B. Bakfark (1564); E. Adriaensen (1584-92); J.-B. Bčsard (1603-17); D. Gaultier (1669-72); J. Chr. Berger (1760); K. Kohaut (1761). Ausg.: Spezielle Ausg.-Reihen: Corpus of Early Keyboard Music; Corpus des luthistes français; für Neuausg. vgl. die Art. über die genannten Komponisten. - r Gitarre, r Laute, OE Orgel. Lit.: Zu 2): J. WOLF, Hdb. der Notationskunde II (L 1919); W. APEL, The Notation of Polyphonic Music (C/M 1942, dt. L 1962). - Orgeltabulatoren: W. MERIAN, Der Tanz in den dt. T.büchern (L 1927); L SCHRADE, Die hsl. Überlieferung der ältesten Instrumentalmusik (Lahr 1931, Tutzing =1%8); W. APEL, Die T. des A. Ileborgh, in: ZfMw 16 (1934); W. YOUNG, Keyboard Music up to 1600, in: MD 16/17 (1962/63); H. J. MARX, Der T.-Codex des Basler Humanisten B. Amerbach, in: FS L Schrade (Kö 1963); H. R. ZÖBELEY, Die Musik des Buxheimer Orgelbuchs (Tutzing 1964); TH. GÖLLNER, Notationsfragmente aus einer Organistenwerkstatt des 15. Jh., in: AfMw 24
(1967); M. KUGLER, Die Tastenmusik im Codex Faänza (Tutzing 1972); J. EPPELSHEIM, Buchstaben, Notation, T. u. Klaviatur, in: AfMw 31 (1974); M. KUGLER, Die Musik für Tasteninstr. im 15. u. 16. Jh. (Wilhelmshaven 1975). - Lautentabulaturen: O. KÖRTE, Laute u. Lautenmusik bis z Mitte des 16. Jh. (1901) ( BIMG 1/3); O. CHILESOTTI, Notes sur les tablatures de luth et de guitare, in: Encyclopédie de la musique et Dictionnaire du Conservatoire I (1921); J. DIECKMANN, Die in dt. Lautentabulatur überlieferten Tänze des 16. Jh. (Kas 1931); L SCHRADE, Das Problem der Lautentabulatur-Übertragung, in: ZfMw 14 (1931/32); O. GOMBOSI, Bemerkungen z Lautentabulaturfrage, in: ZfMw 16 (1934); W. BoETrICHER, Stud. z. solistischen Lautenpraxis (Habil -Schrift B 1943); K. DORFMÜLLER, Stud. z Lautenmusik in der ersten Hälfte des 16. Jh. (Tutzing 1968); Le luth et sa musique, hrsg. v. J. JACQUOT (P 1958); R. FLOTLINGER, Die Lautentabulaturen des Stiftes Kremsmünster (W 1965); H. FEDERHOFER, Eine Angelica- u. Guitarrentabulatur, in: FS W. Wiora (Kas 1967); R. FLOTZINGER, Das Lautenbüchlein des J. Thurner (Gr 1971); H. RADKE, Zum Problem der Lautentabulaturübertragung, in: AMI 43 (1971); W. BoETrICHER, Hsl. überlieferte Lauten- u. Gitarrentabulaturen des 15.-18. Jh. (Mn 1978) (- RISM B VII). -r Gitarre, r Laute, r Orgel. H. J. MARX
TACET (lat., = es schweigt), Anweisung für längeres Aussetzen einer Instrumental- oder Vokalstimme. TACTUS (lat., = Schlag), Bz. für die Bewegung der Hand oder des Fingers, durch die die musikalische Mensur im Gleichmaß gehalten wird. Eine tactusähnliche Schlagbewegung kannte schon die Spätantike; Augustinus nennt sie percussio und unterstellt ihr die Bewegung des rhythmischen Geschlechts, dem die Versfüße des Liedes angehören. Der Begriff T. kommt am Ende des 15. Jh. in den Blick der Musiktheorie. Er ist eine Kategorie der Aufführungspraxis und benennt die Schlagart, durch die die Bewegung einer Komposition beim Singen im Lot gehalten wird. Er besteht aus 2 Teilen : aus dem Nieder- und dem Aufschlag. Diese verhalten sich im egalen, geraden T. wie 1 zu 1, im inegalen, ungeraden wie 2 zu 1. Grundsätzlich bezieht man den T. im 16. Jh. auf die Semibrevis (C
). Daneben kann er auch auf die Brevis (OE Allabreve;
und im T. minor auf die Minima be-
zogen werden (C i). Die Musiktheorie des 16. Jh. läßt erkennen, daß der T. keine feste Größe war, auf den die Mensuren bezogen worden wären. Schon um 1500 konnte er verschiedene Bewegungen annehmen. Lit.: G. SCHÜNEMANN, Zur Gesch. des Taktschlagens u. der Textbehandlung in der Mensuralmusik, in: SIMG 10 (1909); DERS., Gesch. des Dirigieren (L 1913); H. BESSELER, Das musikal. Hören der Neuzeit (B 1959) (- Ber. über die Verhandlungen der Sächs. Akad. der Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse 104); C. DAHLHAUS, Zur Theorie des T. im 16. Jh., in: AfMw 17 (1960); DERS., Zur Entstehung des modernen Taktsystems im 17. Jh., in: ebd. 18 (1961); J. A. BANK, T., Tempo and Notation in Mensural Music from the 13' to the 17' Century (A 1972); C. DAHLHAUS,
79
Taddei Zur Gesch. des Taktschlagens im frühen 17. 1h., in: Studies in Renaissance and Baroque Music. FS A. Mendel (Kas 1974). W. SEIDEL
TADDEI, Giuseppe, * 26.6. 1916 Genua; it. Sänger (Bariton). Er studierte in Genua und Rom und debütierte 1936 an der Römischen Oper. Ein Konzert 1946 in Wien vor den amerikanischen Truppen führte zu seinem Engagement an die Wiener Staatsoper (bis 1948) und zu seinem Durchbruch zu internationaler Anerkennung. Er sang 1948-51 und 1955-61 an der Mailänder Scala und gastierte an den bedeutenden Opernbühnen Europas und der USA sowie bei den Salzburger Festspielen. T.s Repertoire und Darstellungskunst umfaßte gleichermaßen dramatische wie komische Rollen in den Opern von W. A. Mozart (u. a. Figaro, Leporello), G. Verdi (Rigoletto, Jago, Falstaff) und G. Puccini (Scarpia). In Italien war er auch in Wagnerpartien (in it. Sprache) erfolgreich (Holländer, Sachs). TAFELKLAVIER Klavier. TAFELMUSIK (engl.: table music; frz.: musique de table), Bz. für Musik, die während der Mahlzeiten erklingt. Die Lösung der Musik von ihrer Sozial- und Unterhaltungsfunktion ist erst eine Erscheinung der letzten beiden Jahrhunderte. Musik als Unterhaltung zu festlichen Mahlzeiten, aber auch als Ablenkung vom Genuß der Nahrungsaufnahme durch Hinwendung zu anderen Bewußtseinsinhalten ist aus dem alten Ägypten ebenso belegt wie aus dem biblischen Judentum, der griechisch-römischen Antike und dem frühen Christentum. Sie hielt sich auch das ganze Mittelalter über. Johannes de Grocheo wollte sogar die Form des Conductus vom Begriff des Gastmahls ableiten. Hoch entwickelte Gesellschaftskunst und Repräsentationsbedürfnis ließen in der Renaissance die T. zu einer wichtigen Kunstform werden. Bildliche Darstellungen vom burgundischen Hof oder etwa der Hochzeit Herzog Wilhelms V. von Bayern (mit der Hofkapelle und O. di Lasso) überliefern diese Praxis ebenso wie ein detaillierter Bericht aus Ferrara, welche Madrigale zu den einzelnen Gängen eines Repräsentationsmahles vorgetragen wurden. Musizieren bei der und Komposition für die fürstliche Tafel gehörten seither zu den festen Bestandteilen der Anstellungsverträge von Hofmusikern (vgl. G. Ph. Telemann, Autobiogr. 1717). Mit dem Erstarken eines städtischen Bildungsbürgertums ging diese Musizierpraxis auch in bürgerliche Schichten über. Besondere Fonnen gab es für diese Musik nicht, vielmehr war jedes weltliche, vor allem moderne Werk zugleich Gesellschafts80
musik. Auch das Musiktheater brachte den Brauch der T. auf die Bühne (z. B. W. A. Mozart, Don Giovanni, Finale 2. Akt). Seit dem 17. Jh. verwendeten Komponisten zunehmend den höfischen Brauch der T. als Sammeltitel für Drucke: J. H. Schein, Banchetto musicale (1617, Suiten); I. Posch, Musicalische Tafelfreudt (1621, Tänze) ; E. Reusner, Musicalische Taffel-Erlustigung (1668, Tänze) u. a. Doch sind derartige Titel eher barocker Manierismus als konkrete Zweckbestimmung des Inhalts. V. Rathgebers Ohrenvergnügendes und Gemüth-ergötzendes Tafel-Confect (1733-46) betont eher den Charakter der Lieder als süße „Nascherei", und Telemanns Musique de table (1733, je 1 Solosonate, Quartett, Suite und Konzert) stellt exemplarisch die Musizierformen der Zeit zusammen, die zwar auch als T. verwendet werden konnten, doch sind die Stücke zu Gängen geordnet. T. ist also von der Begleitung selbst zum festlichen Mahl geworden. Das Divertimento war die letzte Form der Unterhaltungsmusik. Der Autonomieanspruch von Musik vertrug sich seit der Klassik nicht mehr mit einer Unterhaltungsfunktion. Musik wurde einem darauf mehr oder weniger konzentrierten Publikum frontal dargeboten. Wenn „eine vollständig zur Erscheinung gebrachte musikalische Idee ... Selbstzweck" ist, dann wird der Musik nur als Unterhaltung Konsumierende „die Würde der Musik am sichersten diskreditieren" (E. Hanslick, 1854). Der Begriff Unterhaltungsmusik wurde abgewertet und die Verwendung „ernster" Musik zur Unterhaltung und als T. geächtet. Von T. zu unterscheiden ist das engl. Table entertainment, eine spezielle Form schauspielerischer Darbietung, die, frontal zum Publikum, hinter S. KROSS einem Tisch sitzend aufgeführt wird. TAGELIED (mhd.: tageliet, morgensanc), Bz. für ein mehrstrophiges Lied der Minnesänger, das sich formal und inhaltlich an die südfrz. Alba und die nordfrz. Aube anschließt. Thematisch ist das T. auf den dialogisch gestalteten Abschied zweier Liebender im Morgengrauen gerichtet, die von einem Wächter vor dem Beginn des Tages gewarnt wurden. In ihrer konzentrierten, auf volkstümliche Ursprünge zurückweisenden Form bildet die Gattung damit auch die typische Situation des hochmittelalterlichen höfischen Liebenden ab, dessen Liebesgeheimnis ständig individuell und sozial von Eifersucht und Verleumdung - bedroht ist. Bedeutende Albas sind von Giraut de Bornelh, Folquet de Marseille und Guiraut Riquier erhalten, als Aube ist das anonyme Gaite de la tor mit musikalischer Notation am bekanntesten. Unter den
Taglioni überlieferten T.ern ragen die von Wolfram von Eschenbach sowie musikalisch ein- und mehrstimmige Vertonungen von Hermann (Mönch) von Salzburg und Oswald von Wolkenstein hervor. Ph. Nicolais Choral Wachet auf, ruft uns die Stimme (1599) ist ein Beleg für die bereits von romanischen Beispielen geläufige Transposition des weltlichen Genres in den geistlichen Bereich. Die formale Bändigung der extremen Lebenssituation des Abschieds und der äußeren, auch sozialen Bedrohung privaten Glücks verleiht dieser Gattung neben ihrer lyrischen Intensität auch epische und dramatische Kraft. Im Liebesdialog Gueniévre Lancelot aus Chrétien de Troyes' Lancelot wirkt sie ebenso fort wie in der Balkonszene Romeos und Julias It was the nightingale ... bei W. Shakespeare oder im Warnruf Brangänes Habet acht! Schon weicht dem Tag die Nacht aus R. Wagners Tristan und Isolde. Lit.: F. NICKLAs, Unters. über Stil u. Gesch. des dt. T. (B 1929, Nachdr. Nendeln 1967); N. MAYER-ROSA, Stud. zum dt. T. (Diss. TO 1938); F. H. OHLING, Das dt. T. vom MA bis z. Ausgang der Renaissance (Diss. Kö 1938); E. SCHEUNEMANN - F. RANKE, Texte z Gesch. des T. (Be 1947); A. T. HArro, Das T. in der Weltlit.. in: DVfLG 36 (1962); A. JEANROY, Les origines de la poésie lyrique en France au moyen age (P *1969); P. WAPNEWSKI, Wácéterfigur u. soziale Problematik in Wolframs T., in: Der Berliner Germanistentag 1968 (Hei 1970); J. SAVILLE, The Medieval Erotic „alba". Structure as Meaning (NY - Lo 1973); U. KNOOP, Das mhd. T., Inhaltsangabe u. literarhist. Unters. (Marburg 1976); R. J. IMMELÉ, Étude comparée des aubes au moyen âge (1977) (- Diss. Michigan Univ.); A. WOLF, Variation u. Integration. Beobachtungen zu hochma. Tern (Da 1979). W.-D. LANGE
TAGLIAVINI, Ferruccio, * 14. 8. 1913 Reggio nell'Emilia; it. Sänger (Tenor). Er studierte in Parma und Florenz, debütierte dort 1939 als Rodolfo in G. Puccinis La Boheme und wurde 1940 Mitglied der Mailänder Scala. Durch Gastspiele am Covent Garden in London, am Teatro Colón in Buenos Aires, an der Wiener Staatsoper, in Paris und an der Metropolitan Opera in New York profilierte er sich nach dem 2. Weltkrieg als einer der besten lyrischen Tenöre; 1970 zog er sich von der Bühne zurück. Schwerpunkte seines Repertoires waren die Opern G. Donizettis, V. Bellinis und Puccinis und einiger französischer Opern (J. Massenet, Werther, Manon). T. ist mit der italienischen Sopranistin Pia Tassinari verheiratet. C. TEDESCHI, F. T. (R 1942); G. GUALERZI, in: Le grandi voci, hrsg. v. R. Celletti (R 1964) (mit Diskographie).
TAGLIAVINI, Luigi Ferdinando, * 1. 10. 1929 Bologna; it. Organist und Musikforscher. Er studierte 1947-52 Orgel, Klavier und Komposition an den Konservatorien in Bologna und Paris (M. Dupré) und promovierte 1951 an der Universität Padua zum Dr. phil. Seitdem ist er in einer heute unge-
wöhnlichen Weise auf zwei Gebieten gleichzeitig und -gewichtig tätig: als Organist in ganz Europa
konzertierend sowie lehrend an den Konservatorien Bologna (1952-54), Bozen (1959-64) und Parma (seit 1964) und als Musikforscher in Bologna (1953-60 Bibliothekar des Liceo musicale; 1959 Privatdozent an der Universität), seit 1965 in Freiburg/Schweiz (Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität, 1971 Professor). T.s besonderes Interesse gilt Fragen des Orgelbaus und der Orgelmusik sowie der Erforschung und Edition von Werken W. A. Mozarts. Schriften: Studi sui testi delle cantate sacre di .t S. Bach (Diss. Padua 1951, gedruckt ebd. 1956); L'opéra italien du jeune Mozart, in: Les influences étrangères dans l'aeuvre de Mozart (P 1956); Un oratorio sconosciuto di Leopold Mozart, in: FS O. E. Deutsch (Kas 1963); Registrazione organistiche nei Magnificat dei „Vespri"monteverdiani, in: RIMus 2 (1967); Quirino Gasparini and Mozart, in: New Looks at Italian Opera. FS D. J. Grout (Ithaca/ N.Y. 1968); J. G. Walther trascrittore, in : Anal. Mus. 7 (1969); Orgel u. Orgelmusik, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik I, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas 1972); Orgel u. Orgelmusik im 16 lh., in: ebd. 11 (1976). - Editionen: D. Zipoli, Orgel- u. Cemb.-Werke, 2 Bde. (Hei 1957); in der Neuen Mozart-Ausg. die Opern Ascanio in Alba (1956), Betulia liberata (1960) u. Mitridate, Rè di Ponto (1966). - T. ist Hrsg. (seit 1968 zusammen mit Oscar Mischiati) der von ihm und R. Lunelli 1960 gegründeten Zschr. L'organo.
TAGLIONI. - 1) Filippo, * 5. 11. 1777 Mailand, t 11.9. 1871 Como; it. Tänzer und Choreograph. Er debütierte 1794 in Pisa, ging 1799 zu weiterer Ausbildung zu G. B. Coulon nach Paris, trat am Königlichen Theater in Stockholm auf und wirkte dann als Choreograph an den großen europäischen Bühnen, insbesondere in Paris (OE Ballett). WW (Choreographien, UA in Paris): D. Auber, Le dieu et la Bayadère (1830) u. Gustave Ill ou Le Bal masqué (1833); J. M. Schneitzhoeffer, La Sylphide (1832); A. Adam, La fille du Danube (1836). - Balletteinlagen zu: F. Halévy, La juive (1835); G. Meyerbeer, Les Huguenots (1836).
2) Maria (Marianne Sophie), Tochter von 1), * 23.4. 1804 Stockholm, t 22.4. 1884 Marseille; it. Tänzerin. Sie wurde von ihrem Vater und von Coulon in Paris ausgebildet, debütierte 1822 an der Wiener Oper und wirkte in den meisten von ihrem Vater choreographierten Werken mit, so auch in der ballettgeschichtlich bedeutsamen Sylphide von Schneitzhoeffer. 1848 zog sie sich von der Bühne zurück, ging 1858 als Tanzlehrerin erneut nach Paris und wirkte seit 1860 als Ballettmeisterin an der Opéra. M. T. gehörte neben Fanny Elßler, Carlotta Grisi und Fanny Cerrito zu den großen Ballerinen des romantischen Balletts und galt vielen Zeitgenossen geradezu als dessen Inkarnation. Ihr Verdienst ist es, den Tanz zu einer in erster Linie expressiven Kunst erhoben zu haben. Sie führte den Spitzentanz ein. - 3) Paolo, Sohn von 1), * 12. 1. 1808 Wien, t 6. 1. 1884 Berlin; it. Tänzer und Cho81
Tagore
reograph. T. war Schüler seines Vaters und von Coulon. Nach Anfangsjahren in Stuttgart (1825-30) wirkte er später viele Jahre als Direktor des' Hofballetts und Choreograph in Berlin. Er schuf u. a. die Choreographie zu Les plaisirs d'hiver (Les patineurs), wo er Rollschuhläufer auftreten ließ. Seine Tochter Maria (1833-1901) war ebenfalls eine namhafte Tänzerin. J. Strauß widmete ihr 1855 die Marie-Taglioni-Polka. Lit.: ,Ballett. - Zu 2): M. FABREGAS, M. T. (Ba 1958); L. HILL, La Sylphide. The Life of M. T. (Lo 1967); P. MIGEL, The Ballerinas from the Court of Louis XIV to Pavlova (NY 1972).
TAGORE, Rabindranath (Rabindranäthä Thakur), * 6.5. 1861 Kalkutta, t 7.8. 1941 Santiniketan bei Bolpura (Bengalen); indischer Dichter, Philosoph und Komponist. T. veröffentlichte zahlreiche Bücher, besonders Lyrik, in bengalischer Sprache und erhielt 1913 für seine Gedichtsammlung Grtäňjali den Nobelpreis für Literatur. Als Komponist war er von der indischen klassischen Musik und Folklore inspiriert, die er mit Elementen der europäischen Kunstmusik verband. Sein Gesang Jana-gana-mana ... wurde 1950 indische Nationalhymne. 1901 eröffnete T. auf seinem Familienbesitz in Santiniketan eine Schule (später Universität), in der die Musikerziehung einen führenden Platz einnimmt. Schriften: Hindu Music from Various Authors (Kalkutta 1875, 2 1882, Nachdr. 1965); Short Notice of Hindu Musical Instruments (ebd. 1877); Universal History of Musik together with Various Original Notes on Hindu Music (ebd. 1886, Nachdr. 1963). Lit.: H. CH. WOLFF, R. T. u. die Musik, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); F. BOSE, R. T. u. die moderne indische Musik, in: FS W. Wiora (Kas 1967); L. RAY, Rabindranath and Music, in: Journal of the Indian Musicological Soc. 3 (1972).
TAIL GATE (engl.), im Amerikanischen Bz. für die rückwärtige Ladeklappe eines Fuhrwerks, mit dem u. a. bei musikalischen Umzügen zur Zeit des New Orleans Jazz eine Band gefahren wurde. An der geöffneten Klappe saß meistens der Posaunist, um für den Zug seines Instrumentes ausreichend Platz zu haben. Davon abgeleitet ist T. die Bz. für eine Spielmanier der Posaune im frühen Jazz, für die aus afroamerikanischer Vokalmusik stammende Portamenti typisch sind. TAILLE (frz.), im Frankreich des 16.-18. Jh. übliche Bz. für die lTenor-Stimme (vokal und instrumental) sowie für die Instrumente dieser Mittellage (z. B. T. de violon), die im 5st. Instrumentalsatz zwischen ř Haute-contre und / Quinte (3) lag. In ähnlicher Bedeutung verwendet auch J. S. Bach die Bz. T. für die Oboe in der Tenorlage (in F; auch für die Oboe da caccia). 82
TAILLEFERRE (eig. Taillefesse), Marcelle Germaine, * 19.4. 1892 Parc-St-Maur bei Paris, t 7. 11. 1983 Paris; frz. Komponistin. Sie studierte am Pariser Conservatoire, wo sie verschiedene erste Preise errang und mit D. Milhaud, G. Auric und A. Honegger bekannt wurde. Mit ihnen zusammen verkehrte sie bei Ch. Koechlin, später bei E. Satie; mit ihnen gehörte sie auch zur r Groupe des Six. Ihre Werke stehen in der Tradition von G. Fauré, E. Chabrier und M. Ravel, von dem sie vor allem hinsichtlich der Instrumentierung Ratschläge empfing. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: 6 leichte Stücke Fleurs de France (1930); Scènes de cirque (1951); Partita (1951); Jeux de plein air (1918) u. 2 Walzer (1948) für 2 Klv. - Solosonaten für Harfe (1954) u. für Klar. (1958); Sonatine für V. u. Klv. (1973); Streichquartett (1918); Images (1920) für 7 Instr. - Für Orch.: Pavane. Nocturne. Finale(1928); Ouvertüre (1932); A l'exposition (1937); Klv.- u. V.-Konzert (1919, 1936); Ballade für Klv. u. Orch. (1922); Concertinos für Harfe u. Orch. (1926) sowie für Fl., Klv. u. Kammerorch. - 2) Vokal-WW: 6 Chansons (1929) u. Cantate du Narcisse (1937) für SingSt u. Orch.; Concerto des vaines paroles (1956) für Bar. u. Orch. - 3) Bühnen-WW: Oper Les mariés de la Tour Eiffel (1921) (zus. mit den anderen Mitgliedern der Groupe des Six); Operette Dolores, UA: Paris 1950; Comédie musicale Parfums UA: Monte Carlo 1951; Satire lyrique Il était un petit navire, UA: Paris 1951; Opéra-comique Parisiana UA: Kopenhagen 1955; Oper La petite Sirène, UA: ORTF 1958; Opéra-bouffe Mémoires d'une bergère (1959); Kammeroper Le maitre, UA: ORTF 1961. - Ferner Filmmusik. Lit.: C. CHAMFRAY, Hommage à G. T., in: Le courrier musical de France (1965) Nr. 9 (mit Werk-Vers.).
TAKÁCS, Jenö Eugen von, * 25.9. 1902 Cinfalva (Ungarn; heute Siegendorf im Burgenland); östr. Komponist, Pianist und Volksmusikforscher ung. Abstammung. Er studierte 1921-26 Komposition (H. Gal, J. Marx) und Klavier (P. Weingartner) an der Musikakademie in Wien. 1927-32 und 1934-37 war er Professor für Klavier am Konservatorium in Kairo, 1932-34 für Klavier und Komposition an der Universität der Philippinen in Manila. Seit 1926 konzertierte er als Pianist und unternahm 1938 seine erste Konzertreise in die USA. 1939 kehrte er nach Ungarn zurück, war 1942-48 Direktor des Konservatoriums in Pécs und 1949-51 Gastdozent an den Konservatorien in Genf und Lausanne. 1952-70 lehrte er als Professor für Klavier und für Komposition am CollegeConservatory der University of Cincinnati (Ohio). Seit 1926 mit B. Bartók befreundet, nahm T. dessen Werk als Vorbild hinsichtlich einer tonal erweiterten Tonsprache, die zuletzt auch Zwölftonordnungen verwendet. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Klv.-Stücke, u. a. Klänge und Farben (1974) u. Le tombeau de F. Liszt (1977). - Kammermusik, darunter: Trio-Rhapsodie für V., Vc. u. Klv. (1926); Späte Gedanken (1969) für V. u. Gitarre; Oktett für Bläser u. Str. (1975). - Für Orch.: Philippine Suite (1935); Tanzszenen Napolitana (1940);
Takt Suite altungarischer Tänze (1946); Volkstänze aus dem Burgenland (1952); Passacaglia für Str. (1960); Serenade (1966); Sinfonia breve (1981); Concerto (1947), Neufassungen für Klv., Str. u. Schlagzeug (1956, 1977); Partita für Gitarre (oder Cemb.) u. Orch. (1950). — Three Japonese Tanka (1965) für 4st. Chor; Kantate Das Lied von der Schöpfung (1944) für Chor u. Orch.; Toccata mistica (1968) für Chor u. Org. — 2) Schritten: Aus meinem Leben, in: Steirische Musikerjubiläen 1972 (Gr 1972); Erinnerungen an B. Bartók (W 1982).
Instrumental- sowie instrumental begleitete Vokalformen umfaßt, wird in neuerer Zeit immer stärker von modernen großen Orchestern in den Hintergrund gedrängt, in denen neben wenigen traditionellen arabisch-islamischen Instrumenten viele moderne Orchesterinstrumente eingesetzt werden.
Lit.: W. SUPPAN, J. T. — Dokumente, Analysen, Kommentare (Eisenstadt 1977) (— Burgenländische Forsch. 66). B. A. KOHL
TAKT (von lat. tactus = Schlag), seit dem 17. Jh.
TAKEMIT'SU, Toru, * B. 10. 1930 Tokio; japanischer Komponist. Er studierte seit 1948 privat Komposition bei Yasuji Kiyose in Tokio, ist im übrigen aber Autodidakt. Seine unorthodoxe, von aller Tradition unabhängige Schreibweise zeichnet sich durch große klangliche Sensitivität aus. Während die frühen Werke den Einfluß der Wiener Schule (A. Schönberg, A. Berg, A. Webern) sowie französischer Musik zeigen, wandte sich T. in den folgenden Jahren fast allen avantgardistischen Techniken zu. Sehr häufig verwendet er traditionelle japanische Instrumente. 1964 hielt er mit J. Cage Gastvorträge am East-West-Center in Hawaii und beteiligte sich wiederholt an Festivals mit Neuer Musik. 1970 leitete T. das Space Theatre („Weltraumtheater") während der Weltausstellung „Expo '70" in Osaka. WW: Pause uninterrupted(1959) u. FarAway(1973) für KIv.; Folios (1974) für Gitarre; Landscape(1960) für Streichquartett; Waves (1976) für Klar., Horn, 2 Pos. u. Schlagzeug. — Für Orch.: Ballett Ikiru yorokobi (Die Freude zu leben) (1951); Solitude sonore (1958); Ki no kyoku (Musik von Bäumen) (1961); Greens (November-Steps 11) (1967); Textures (1967); Gitimalya (1975); Marginalia (1976); ferner Arc (1966) für Klv. u. Orch.; Asterism (1968) für KIv. u. Orch. ; November-Steps 1(1967) u. Aki (Herbst) (1973) für Biwa, Sakuhati u. Orch. ; Gemeaux (1972) für Ob., Pos. u. 2 Orch. — Kansho (Koralleninsel) (1962) für Sopran u. Orch. — Ferner Filmmusik. Lit.: M.
KANAZAWA, T.. in: Grove. XVIII.
B. A.
KOHL
TAKHT, Tacht (arab., = Bett, Sitz oder Podium), Bz. für das traditionelle Ensemble der r arabischislamischen Musik. Es besteht aus 4-6 Musikern, die r'Ud, r Qanün, ein oder 2 r Kamangě (heute oft europäische Violinen), r Nay, r Riqq und r Darabukka spielen. Zum T. gehören für die vokal-instrumentalen Stücke auch ein Sänger oder eine Sängerin sowie eine Gruppe von 4-6 Chorsängern (so heute in Ägypten, Syrien, dem Libanon und in Jordanien). Das dem T. entsprechende tunesische (Auwadah genannte) Ensemble besteht aus 'Ud, Qanün, Darabukka und Riqq, ohne Streichinstrumente; zum irakischen Ensemble Dschalgi-Bagdadi gehören Santür, das irakische Streichinstrument Dschose, Darabukka und Riqq. Die kleine, sozusagen kammermusikalische Besetzung des T.-Ensembles, dessen Repertoire
M.
BRÖCKER
Bz. für die Schlag- und Maßeinheit musikalischer Ereignisse. Der Begriff bezeichnet das Ordnungssystem, auf das die vielen verschiedenen Notengattungen und -werte, über die die europäische Musik seit dem MA verfügt, bezogen werden. Der T. gleicht die Werte und die elementaren Einheiten, die daraus gebildet worden sind, dadurch einander an und setzt sie dadurch zueinander ins Verhältnis, daß er sie einem konstanten metrischen Gesetz, der Mensur, und einem gleichbleibenden T.-Schlag unterordnet. Die ursprüngliche Bedeutung des T.s als eines 2teiligen, in Nieder- und Aufschlag gegliederten r Tactus, der durch die Hand, den Finger, den Fuß oder imaginär ausgeführt wird, ist noch im 18. Jh. lebendig. J. Mattheson definiert 1739 den T. als ein 2teiliges, aus Niederund Aufschlag bestehendes System, dessen „mensurale” Gliederung aus der Division und Subdivision der T.-Teile hervorgeht. Der 11/4-T. besteht demnach aus: 2 Teilen
V J.
und 12 Gliedern V
J.
mmmm
Noch Mattheson verbindet den Akzent nicht unmittelbar mit der T.-Theorie. Aber seit 1600 pflegt man in Tänzen und in kunstreicher polyphoner Musik den T. dadurch sinnfällig zu machen, daß man seinen Beginn durch einen Akzent betont (R. Descartes). In der 2. Hälfte des 18. Jh. wird der Akzent zu einer zentralen Kategorie der T.-Theorie. Die von J. G. Sulzer 1774 zuerst entwickelte „Akzenttheorie" (H. Riemann) erklärt den T. über einer einförmigen Schlag- oder Tonreihe, die in regelmäßigen Abständen mehr innerlich als äußerlich durch Akzente abgeteilt wird: oder ' ' ' Das grobe Schema kann nuanciert werden. G. W. Fink erklärt 1808 den %-T. als ein Kompositum aus 4 Akzentstufen:
4/4 JJJJ ■ --
Das System der T.-Arten bildet sich im 17. Jh. aus. Der Prototyp des T.s ist der %-T., der „ganze Takt". Die übrigen T.-Arten werden im Verhältnis zu ihm definiert. Der 2/4-T. ist z. B. ein T., in dem 2/4 83
Takt eines ganzen T.s die T.-Einheit bilden. Meist unterscheidet man gerade und ungerade, einfache und zusammengesetzte, im 20. Jh. auch große und kleine Takte. Als gerade gelten der 4/4-, der 2/4-, der %- und der Allabreve-T. (e), als ungerade der der 3/4- und der %-Takt. Die Natur der T.-Arten, die Dreier- und Zweiergruppen in verschiedenen Dimensionen vereinen, also etwa die des %- oder des 1%-Taktes, ist umstritten. Wer wie Mattheson grundsätzlich auf das Verhältnis der T.-Teile sieht, faßt sie als gerade T.e auf. Wer wie J. A. Scheibe auf die Notengattung sieht, die den musikalischen Prozeß bestimmt, im %-T. auf das Achtel, der zählt diese und ähnliche T.-Arten zu den „Tripeltakten". Die Akzenttheorie schaut dagegen grundsätzlich auf die Einheit, über der die Akzentordnung errichtet wird. Das kann im %-T. die punktierte Achtelnote oder das Achtel sein. Im einen Fall handelt es sich um einen geraden T., dessen metrische Glieder durch „Triolen" unterteilt werden, im anderen um einen ungeraden, aus 2 3/s-T.en zusammengesetzten Takt. Viele große T.-Arten gelten in diesem Sinne als Zusammensetzung zweier kleiner. Die einfachen T.-Arten werden von den zusammengesetzten vor allem in der Theorie des 18.Jh. unterschieden, weil sie im Satzbau unterschiedlich behandelt werden. Wo ein einfacher T. herrscht, zählt im Satzbau jeder T., im zusammengesetzten T. dagegen jede T.-Hälfte, so daß das Ende eines 4taktigen Satzes bereits in der Mitte des zweiten notierten T.s erreicht wird. Neuere Theorien nennen solche T.-Arten auch groß (E. Tetzel); klein dagegen T.e, die zu geschwind sind, als daß sie die rhythmische Formation eines T.s sein könnten. T.-Fragmente in diesem Sinne sind z. B. die schnellen 3/4-T.e, in denen die Scherzi des 19.Jh. notiert sind. Hier müssen mehrere notierte T.e zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, wenn sich ein wirklicher T. ergeben soll. Die T.-Theorie des 17. und 18. Jh. spricht jeder T.Art einen bestimmten Charakter zu. Sie unterscheidet die T.-Arten nach Größe, Gewicht und Bewegung. Der 1/4-T., der zu den kleinsten T.-Arten zählt, ist demnach „von Natur" aus sehr leicht, geschwind und fröhlich, der größere 3/4-T. deutlicher, gemessener, aber gleichwohl heiter, der %-T. - der in Kompositionen des 17. Jh. (z. B. bei H. Schütz) noch fröhlichen Charakter trägt - schwer, gravitätisch und lamentabel. Den reinsten Ausdruck findet der klassische Akzentstufen-T. (H. Besseler) in einfachen Lied- und Tanzsätzen. In höher organisierten Formen wird die T.-Bewegung oft nur durch die metrischen Figuren der Begleitung unterhalten. Die Melodie setzt sich scheinbar frei davon ab, ist aber span84
nungsvoll darauf bezogen (singendes Allegro). Widersprüche gegen die regelmäßige Akzentuation des T.s sind häufig und gelten als Ausdrücke des pathetischen oder mutwilligen Widerspruchs gegen die Norm. Im 19. Jh., schon im Werk L. van Beethovens, wird das schrittartige Gefälle des Akzentstufen-T.s dynamisiert. Der musikalische Prozeß geht vom Schritt in ein dynamisches Fließen über. Der T. wird innerlich dynamisiert, seine metrische Struktur nebensächlich und endlich bedeutungslos. Das konkrete Erscheinungsbild des dynamisierten T.s ist das T.-Motiv (Riemann), das den T.-Anfang weich überspielt: < > Die Emanzipation der Neuen Musik vom inneren und äußeren T.-Metrum läßt den T. weithin bedeutungslos werden. - r Taktarten. Lit.: G. W. FINK, Über T., T.arten und ihr Charakteristisches, in: AmZ 13 (1808); H. RIEMANN, System der musikal. Rhythmik u. Metrik (L 1903); E. TEzzEI., Rhythmus u. Vortrag (B 1926); H. BESSELER, Das musikal. Hören der Neuzeit (B 1959) (— Ber. über die Verhandlungen der Sächs. Akad. der Wiss., Phil.-hist. Klasse 104); C. DAHLHAUS, Zur Entstehung des modernen T.systems im 17. Jh., in: AfMw 18 (1961); G. HENNEBERG, Theorien z. Rhythmik u. Metrik (Tutzing 1974) (— Mainzer Stud. z. Musikwiss. 6); E. APFEL, — C. DAHLHAUS, Stud. z. Theorie u. Gesch. der musikal. Rhythmik u. Metrik (Mn 1975); W. SEIDEL, Über Rhythmustheorien der Neuzeit (Be — Mn 1975) (— Neue Heidelberger Stud. z. Musikwiss. 7); C. DAHLHAUS, Stud. z. Gesch. der Rhythmustheorie, in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforsch. Preußischer Kulturbesitz 1979/80. W. SEIDEL
TAKTAKISCHWILI, Otar Wassiljewitach, * 27.7. 1924 Tiflis; sowjetgeorgischer Komponist. T. studierte bis 1947 am Konservatorium in Tiflis, war 1947-52 Dirigent und 1952-56 künstlerischer Leiter der Staatlichen Chorkapelle der Georgischen SSR. Seit 1949 lehrt er am Konservatorium in Tiflis Chorleitung und Instrumentation (1962-65 Rektor, 1966 Professor), wirkt seit 1957 als Sekretär des Sowjetischen Komponistenverbands, seit 1965 als Kulturminister der Georgischen SSR. T. zählt zu den führenden zeitgenössischen georgischen Komponisten. In seiner Musiksprache mischen sich Klangelemente der georgischen Musik mit vielfältigen Ausdrucksmitteln der modernen westeuropäischen Tonkunst. Besonders charakteristisch sind rhythmische Prägnanz und ein weitgespannter melodischer Duktus. WW: Rodnyje kartinki(Heimatbilder) (1975) für Klv.; Sonate für Fl. u. Klv. (1960); Klv.-Trio (1947). — Für Orch.: 2 Symphonien (1949, 1953); symphonische Dichtung Mzyri (1956); 3 Ouvertüren (1950, 1951, 1955); 2 Klv.-Konzerte (1951, 1974); 2 Vc.-Konzerte (1948, 1977); V.-Konzert (1976); Concertino für die Jugend für Klv. u. Orch. (1973). — Oratorien: Schiwoi otschag (Herd des Lebens) (1964, Neufassung 1970); Po sledam Rustaweli (Auf den Spuren Rustawelis) (1964); Nikolas Barataschwili (1970). —
Tales Opern: Mindija, UA: Tiflis 1961; Nagrada (Die Belohnung), UA: georgisches Fernsehen 1964; Tri nowelly(3 Novellen), UA: Tiflis 1967; Pochischtschenije luny (Der Raub des Mondes), UA: ebd. 1977); Uchaschor (Der Schürzenjäger), UA: ebd. 1978. Lit.: L PDLJAKOWA, O. T. (Mos 1956, '1979). E. STÖCKL
TAKTARTEN. Das System der T. bildet sich im 17. Jh. aus. Die řTakt-Bz. wird im oder über dem Liniensystem durch Brüche angezeigt: Der Nenner gibt den rhythmischen Grundwert, der Zähler die Anzahl der Grundwerte innerhalb eines Taktes an. Unterschieden werden gerade (1, 2, 2), ungerade (2, 2, 2), einfache (1,2,1, 2), zusammengesetzte (1, 2, 22, 2) und unregelmäßige (2, ;) T.; diese können im Verlauf eines gedruckten Worttextes auch als % i %/ %, % usw. angegeben werden. TAKTSTOCK (engl.: baton; frz.: bâton ; it.: baccetta; span.: batuta), ein seit dem Ende des 18. Jh. vom ř Dirigenten bzw. Kapellmeister benutzter zylindrischer Stab aus Holz oder Elfenbein (Länge: etwa 30 cm). Bis dahin wurde in der Kirchenmusik, aber auch in der Theatermusik die Taktrolle bzw. der Taktierstab (an den Folgen einer Fußverletzung durch heftiges Aufstampfen starb J.-B. Lully) verwendet. Daneben diente häufig auch der Violinbogen als T. (r Konzertmeister). Erst im Zusammenhang mit dem Stilwandel nach 1750 und der Aufgabe des Generalbasses (und damit der Direktion vom Cembalo aus) bedienten sich Kapellmeister des kurzen T.s (erster Beleg: 1775 J. Fr. Reichardt, später L. Spohr, 1817, G. Spontini, 1820, und F. Mendelssohn Bartholdy, 1835).
TAKTSTRICH, Bz. für den Strich, durch den seit dem 17. Jh. die Takteinheiten voneinander abgesetzt werden. Die Neigung, die Schrift polyphoner Kompositionen dadurch übersichtlich zu machen, daß man sie mehr oder weniger regelmäßig durch vertikale Striche abteilt, zeigt schon im 15. Jh. die Notation für Klavierinstrumente (r Tabulatur) ; außerdem ist die T.-Setzung aus dem Gebrauch der r Tabula compositoria bekannt. Allgemein üblich wird sie mit dem Aufstieg der Instrumentalmusik im 17. Jh.; um 1600 werden Vokalstimmen ohne, Instrumentalstimmen mit T.en notiert (u. a. J. H. Schein, Opella nova, 1618). Grundsätzlich grenzt der T. eine Takteinheit ein ; doch gibt es wichtige Ausnahmen von diesem Prinzip: zusammengesetzte Taktarten, in denen ein notierter Takt 2 einfache Takte zusammenfaßt, und „kleine Takte", die nur ein Teil des wirklich herrschenden Taktes sind (r Takt). Der T. kann insofern als Spielanweisung gelten, als der Klang, der ihm folgt, durch einen Akzent hervorgehoben wird. - Bei der Ober-
tragung älterer Musik werden in der Regel keine T.e gesetzt, sondern sog. Mensurstriche zwischen die Systeme (vgl. Bd. V, S. 272, das obere Bsp.). Lit.: E. TETZEL, Der große Takt, in: ZfMw 3 (1920/21); DERS., Reform oder Entstellung? Eine Erwiderung in Sachen der T.frage, in: ebd. 7 (1924/25); R. CAHN-SPEYER, T. u. Vortrag, in: ebd.; H. KELLER, Großer Takt u. T.setzung, in: ebd.; E APFEL — C. DAHLHAUS, Stud. z. Theorie u. Gesch. der musikal. Rhythmik W. SEIDEL u. Metrik (Mn 1974).
TAL, Josef, * 18.9. 1910 Pinne bei Posen; israelischer Komponist und Pianist. Er studierte an der Berliner Musikhochschule (P. Hindemith), ging 1934 nach Palästina und wurde 1937 Lehrer an der Musikakademie in Jerusalem, die er 1948-52 leitete. Seit 1950 lehrt er Musikwissenschaft an der dortigen Hebrew University und leitet seit 1961 das von ihm gegründete Israel-Zentrum für elektronische Musik. Als Inbegriff des Schaffens von T. gelten seine Opern, von denen Ashmedai, eine Art Mysterienspiel über eine nachbiblische jüdische Legende mit Anspielungen auf die nationalsozialistische Judenverfolgung, und Die Versuchung in Deutschland uraufgeführt wurden (Hamburg 1971 bzw. München 1976). Ashmedai ist zwölftönig und für elektronische Musik geschrieben, rhythmisch komplex und bezwingend in Wortausdruck und Dramatik. Im Unterschied zu anderen Komponisten seines Landes benutzt T. die jüdische und israelische Musik nicht. WW: 1) Instr.-WW: 2 Streichquartette (1959, 1964); Holzbläserquintett (1966). — Für Orch.: 2 Symphonien (1953, 1960); Festive Visionen (1959); 2 Klv.-Konzerte (1944, 1953, mit Tenor 1956); ein Va.-Konzert (1954); Konzert für Vc. u. Streichorch. (1961); Doppelkonzert für V., Vc. u. Kammerorch. (1970). — Konzerte mit elektronischer Musik: für Klv. (1962, 1964, 1970); für Cemb. (1964); für Harfe (1971). — 2) Buhnen-WW: Weitere Opern: konzertante Oper Scha'ul b'En-Dor(Saul zu En-Dor) für 3 Soli, Sprecher u. Kammerorch., UA: Tel Aviv 1957; Kurzoper Amnon wTamar (Amnon u. Tamar), UA: Jerusalem 1961; Massada 967, UA: ebd. 1973. — Ballette: choreographisches Poem Exodus I (1945-46); Ballett Exodus II mit elektronischer Musik (1960). — Ferner das Oratorium The Death of Moses (1967) für Alt, Tenor, Baß, Chor, Orch. u. elektronische Musik; Kantaten u. a. Vokalmusik.
TALA, Bz. für in der indischen Musik verwendete rhythmische Modelle. - r Indien. TALEA (lat., = Stab; it.: taglia), in der Musiktheorie des 14. und 15. Jh. - im Zusammenhang mit einer isorhythmischen Komposition (OE Isorhythmic ; ř Motette) und im Unterschied zu ř Color (2) - zum einen Bz. far einen rhythmisch festge-
legten Abschnitt einer Stimme (dessen rhythmisches Schema als Modell wiederholt wird) sowie die Wiederholung des Modells, zum anderen die gesamte durch die mehrfache Wiederholung eines festen rhythmischen Schemas charakterisierte Stimme. Die Musikforschung des 20. Jh. verwen85
Talich det T. als Terminus musicus nur in der ersten Bedeutung. Häufig läßt sich für das 14. und 15. Jh. eine synonyme Verwendung von T. und Color nachweisen, die sich daraus erklärt, daß Color als Oberbegriff jede Wiederholung melodisch und/ oder rhythmisch gleicher Abschnitte benannte und somit als eine Differenzierung zwischen Color und T. nur dort erforderlich wurde, wo in einer einzigen Stimme sowohl melodische wie auch rhythmische Wiederholung bezeichnet werden mußten (vgl. das Bsp. aus Speravi - Puisque - De bon espoir von G. de Machaut [OE Motette], in dem das melodische Schema [ = Color 1] einmal wiederholt wird [als Color 2 rhythmisch jedoch verändert], während das rhythmische Schema [ = Talea 1] noch zweimal [als Talea 2 und 3] vorkommt). Gleichzeitiges Vorkommen von Color und T. in einer Stimme war zunächst nur für den "Tenor gebräuchlich, auf den anfangs die T.-Ordnung beschränkt blieb, später indessen auch für die Oberstimmen, seit sich Motetten mit streng beachteter T.-Ordnung auch der Oberstimmen vereinzelt bei Machaut, häufig bei J. Ciconia, J. Dunstable, G. Dufay u. a. finden. Lit.: r Isorhythmie.
B. R. SUCH LA
TALICH, Václav, * 28.5. 1883 Kroměříž (Kremsier), t 16.3. 1961 Beroun (Böhmen); tschechischer Dirigent. Er war ein Sohn des Komponisten Jan T. (1851-1915), studierte 1897-1903 Violine bei O. Ševčík und wurde 1904 Konzertmeister in Odessa. 1908 übernahm er die Leitung des Philharmonischen Orchesters Laibach, bildete sich in Leipzig 1910-11 bei A. Nikisch, M. Reger und H. Sitt weiter, ging 1912 als Operndirigent nach Pilsen und 1919 als 1. Kapellmeister zum Tschechischen Philharmonischen Orchester nach Prag. 1935-45 leitete er die dortige Nationaloper, 1932-45 unterrichtete er am Konservatorium und 1946-48 an der Musikakademie. 1949-52 war er in Preßburg Dirigent des Philharmonischen Orchesters und lehrte an der Musikhochschule Dirigieren. 1952-54 wirkte er als Dirigent der Tschechischen Philharmonie erneut in Prag. T. war der führende tschechische Dirigent seiner Zeit; K. Ančerl und V. Karlík gehörten zu seinen Schülern. Lit.: J. BURGHAUSER, Slavní čeští dirigent (Pr 1963); V. T. Dokument života a díla, hrsg. v. H. MASARYK (Pr 1967); M. KUNA, V. T. a SSSR, in: Hudební věda 14 (1977).
TALLIS, Thomas, * um 1505, t 23. 11. 1585 Greenwich bei London; engl. Komponist. T. war 1532 Organist in Dover, 1537-38 in London, 1540-42 an der Kathedrale von Canterbury und wurde 1542 Gentleman der Chapel Royal, wo er bis zu seinem 86
Tod ebenfalls als Organist und Komponist wirkte. Seit 1570 war dort auch W. Byrd tätig, mit dem T. in enger Verbindung stand und mit dem zusammen er auch 1575 ein Druckprivileg für 21 Jahre erhielt. T. komponierte gleichermaßen für die reformierte Kirche Englands unter den Königen Heinrich VIII. und Eduard VI. (vor 1553) wie für den wiederhergestellten katholischen Ritus unter Königin Maria (1553-58) und schließlich erneut für die reformierte Kirche unter Königin Elisabeth (1558-1603) und war in dieser letzten Phase der Tudor-Zeit der führende englische Kirchenkomponist. Die lateinischen Werke der Frühzeit (vor 1547) - Antiphonen und eine Parodiemesse - sind der alten imitationslosen englischen Mehrstimmigkeit verpflichtet. Davon unterschieden sind die Werke zur Zeit Marias der Katholischen. Eigens für sie komponierte T. eine Ist. Messe Puer natus est nobis, die in ihrer reichen Kontrapunktik dem Stil der Niederländer nahesteht. Lateinische Kirchenmusik schrieb T. auch noch unter Königin Elisabeth, nun aber im imitierenden Stil. Hervorzuheben ist hier die 40st. Motette Spem in alium, deren ungewöhnliche Stimmenzahl vermutlich auf den 40. Geburtstag Elisabeths (1573) anspielt. Charakteristischer für T.' Spätstil sind indes die 5st. Lamentationen in ihrer ausgewogenen Kianglichkeit und ihrem verhaltenen Ausdruck. Als einer der ersten anglikanischen Kirchenkomponisten schrieb T. auch Services, Psalmen und Anthems mit englischem Text. Unter seinen wenigen Instrumentalwerken (ausschließlich für Tasteninstrumente und meist gottesdienstlich gebunden) ragen die Variationen über Felix namque für Virginal heraus (1562-64), deren virtuose Satzweise für ihre Zeit außergewöhnlich ist. WW (hsl. u. in Sammeldrucken der Zeit; vgl. auch oben): 3 Messen für 4, 5 u. 7 St.; etwa 30 Motetten für 4-7 St.; je 2 Magnificats u. Lamentationen; engl. Kirchenmusik. — 4 weltliche Gesänge. — 12 Antiphonen u. Hymnen für Org.; einige Stücke für Virginal. Ausg.: Lat. Kirchenmusik, hrsg. v. P. C. BUCK (Lo 1928, Nachdr. NY 1963) (— Tudor Church Music 6); Complete Keyboard Works, hrsg. v. D. STEVENS (Lo 1953); Motette Spem in alium nunquam habui für 40 St., hrsg. v. PH. BRETT (Lo 1966); Engl. Sacred Music, hrsg. v. L. ELLINWOOD, 2 Bde. (Lo 1971), 2. Aufl. revidiert v. P. DoE (1974) ( — Early Engl. Church Music 12-13). Lit.: B. SCHOFIELD, The Manuscripts of T.'s Forty-part Motet, in: MQ 37 (1951); D. STEVENS, The Keyboard Music of Th. T., in: MT 93 (1952); P. DoE, T. (Lo 1968, Lo — NY 21976) (—Oxford Studies of Composers 4); DERS., T., in: Grove° XVIII.
TALVELA, Martti, * 4. 2. 1934 Hitola (Finnland); finnischer Sänger (Baß). Er studierte in Lathi und Stockholm, debütierte 1960 in Helsinki als Sparafucile in G. Verdis Rigoletto, sang 1961-62 an der Königlichen Oper in Stockholm und wurde 1962 Mitglied der Deutschen Oper Berlin. Im selben
Tamtam Jahr trat er erstmals bei den Bayreuther Festspielen auf (als Titurel im Parsifal). Als einer der führenden Vertreter seines Fachs gastierte T. seither vor allem als Wagner-Sänger an der Metropolitan Opera in New York, an der Mailänder Scala, in Rom und an anderen bedeutenden Bühnen Europas. 1972 übernahm er die Leitung der Festspiele von Savonlinna in Finnland. TAMBOUR (frz.), / Trommel ; Trommler. TAMBOURIN (frz.). - 1) T. de Provence ist eine zweifellige zylindrische Röhrentrommel, die meistens eine Länge von ca. 70 cm und einen Durchmesser von 30-35 cm hat. Die über beide Öffnungen gespannten Ziegen-, seltener Kalbs- oder Hundefelle lassen sich mit Hilfe der Schnurspannung stimmen. Das Instrument wird immer zusammen mit dem ř Galoubet gespielt, das der Spieler in der linken Hand hält. Das T. hängt an einem Riemen in der Beuge seines linken Armes; mit einem Holzschlegel in der rechten Hand schlägt er das vordere Fell, über das eine Schnarrsaite gezogen ist. Das T. de Provence ist seit dem 15. Jh. nachweisbar und wird noch heute in der Provence vornehmlich bei Prozessionen und zum Tanz gespielt. In der Kunstmusik wird es (ohne Galoubet) gefordert u. a. von J.-Ph. Rameau (Les ftes d'Hébé, 1739), G. Bizet (L'Arlésienne, 2. Suite), D. Milhaud (Konzert für Schlagzeug und kleines Orchester, 1929/30; Suite française, 1944) und A. Copland (Appalachian Spring 1945). - ' Farandole, r Fluviol. - 2) Als T. du Béarn, T. de Gascogne, T. à cordes wird ein Schlaginstrument mit Saiten bezeichnet, das ebenfalls zur Begleitung des Galoubet verwendet wird. Es hat ein meist kastenförmiges Zargenkorpus, über dessen Decke 6 auf den Grundton und die Oberquinte des Galoubet gestimmte Saiten verlaufen, die mit einem Schlegel angeschlagen werden. Das T. du Béarn, seit dem späten Mittelalter nachzuweisen, war vor allem in der Gascogne, im Béam und im span. Baskenland bekannt. Es erlebte während der Schäfermode des frz. Hofes eine kurze Blüte, die sich in entsprechenden, T. genannten Kompositionen (auch für Cembalo) niederschlug. Als Volksmusikinstrument erhielt es sich bis heute vor allem in den baskischen Regionen. Lit.: r Galoubet.
M. BRÖCKER
TAMBOURMAJOR, Leiter eines ř Spielmannszuges. TAMBURA (von arab. r Tanbür), eine Langhals-
laute mit meist bauchigem, kleinem Resonanzkörper, einem langen Hals mit Bünden und einem fast immer doppelchörigen Bezug von 2-8 Stahlsaiten.
Das Instrument wird mit den Fingern oder mit einem Plektrum gezupft. Die T., im 14. Jh. von den Türken auf dem Balkan eingeführt, ist heute vor allem in Jugoslawien und in den östlich angrenzenden Gebieten verbreitet. Es gibt sie in verschiedenen Größen und mit mehr oder weniger Saiten. Die T. wird als einzelnes Instrument zur Gesangsbegleitung benutzt, häufiger aber setzt sich aus den verschieden großen Instrumenten ein ganzes T.Orchester zusammen, das dann vorwiegend zur Begleitung von Tänzen gespielt wird. - ř TambuM. BRÖCKER rica. TAMBURICA, das kleinste Instrument der r Tambura-Familie, das vor allem in jugoslawischen Tambura-Orchestern für die Melodiestimme und in solistischen Passagen verwendet wird. TAMBURIN, in Deutschland übliche Bz. für die Schellentrommel, manchmal auch für die Rahmentrommel ohne Schellen. TAMTAM (von malaiisch tammittam = Trommelinstrumente), Bz. für den im europäischen Orchester gebräuchlichen, vermutlich aus Ostasien stammenden ř Gong mit unbestimmter Tonhöhe. Das T. ist eine runde, leicht gewölbte Scheibe aus Bronze oder Bronzeblech mit einem schmalen, umgebogenen Rand, die senkrecht in einem Rahmen oder an einem Ständer (meist mehrere T.$) aufgehängt wird. T.s gibt es in unterschiedlichen Größen (Durchmesser zwischen ca. 40 und 125 cm, seltener 150 cm). Das T. wird entweder mit einem schweren Schlegel, dessen Kopf mit Lammfell überzogen ist (T.-Schlegel), oder mit anderen Schlegeln, wie z. B. mit Trommel-, Paukenschlegeln, Trommelstöcken, Besen, angeschlagen. Weitere Möglichkeiten der Klangerzeugung sind das Reiben des Randes mit einem Stahlstab (I. Strawinsky, Le sacre du printemps) oder das Anstreichen mit einem Bogen. Das T. hat einen lang nachhallenden Klang, der mit der Hand oder seit einiger Zeit auch mit einem von P. Dohmen erfundenen Filzscheibendämpfer abgedämpft werden kann. Auf dem Instrument lassen sich sowohl düster-schauerliche (P. Tschaikowsky, 6. Symphonie; R. Strauss, Tod und Verklärung) als auch metallisch strahlende Klänge (M. Ravel, La valse) erzeugen. Das T. wurde erstmals von Fr. J. Gossec für den Trauermarsch zum Begräbnis von Mirabeau (1791) eingesetzt und fand bereits wenig später Eingang in das Orchester der Pariser Opéra (D. Steibelt, Roméo et Juliette, 1793; G. Spontini, La Vestale, 1807). Während es im 19. Jh. und bei einigen Komponisten des 20. Jh. nur vereinzelt vorgeschrieben wurde (Strawinsky, Ravel, 87
Tanbür G. Holst, O. Messiaen, Krz. Penderecki, J. Cage), verwenden es andere Komponisten wie E. Varèse, P. Boulez und K. Stockhausen in ihren Orchesterwerken sehr häufig. - r Schlagzeug. M. BRÖCKER (arabisiert, aus pers. tunbür), Bz. für eine Langhals-ř Laute mit kleinem, bauchigem Korpus und einem langen, meist schmalen Hals mit zahlreichen Bünden. Der T. hat häufig keinen Wirbelkasten, sondern die Wirbel der 2-6 (selten 7) Metallsaiten sind direkt in das obere Ende des Halses gesteckt. Der T. wird entweder mit einem Plektrum oder mit den Fingern angezupft. Langhalslauten lassen sich seit dem 2. Jt. v. Chr. im Vorderen Orient nachweisen und waren, wenn auch selten, sowohl im antiken Griechenland als auch in Rom bekannt. Die Griechen bezeichneten die Laute vermutlich als P(h)andoura, Pandura, die in einigen Quellen als fremdländisches Instrument erwähnt wird. Aus Pandura soll durch Metathesis der Name Tanbur(a) entstanden sein. Eine nochmalige oder spätere metathetische Umstellung aus T. in Pander ist jedoch nicht auszuschließen. In Georgien z. B. heißt der T. Panduri (vgl. auch Bezeichnungen wie l Bandura, ř Bandurria, ř Pandora u. ä.). In Europa wurde der T. im Mittelalter erst wieder durch die Araber eingeführt und erstmals in den Miniaturen zu den Cantigas de Santa Maria des Königs Alfonso el Sabio (um 1280) bildlich dargestellt. Aus diesem vorderorientalischen T. ging später der ř Colascione hervor. Außerhalb Westeuropas verbreitete sich die Langhalslaute T. fast ausschließlich in den Ländern des Vorderen Orients und Mittelasiens bis nach r Indien (Tanpora) sowie in den ehemals islamisch beeinflußten Ländern der Balkanhalbinsel (OE Tambura). Wie aus den Beschreibungen der arabischpersischen Autoren des MA hervorgeht, haben sich schon früh mehrere Typen des T.s herausgebildet, die sich durch unterschiedliche Größen, wechselnde Anzahl der Saiten und vor allem durch verschiedene, von den Bundabmessungen abhängige Stimmungen unterschieden. So beschreibt schon Al-Farabi 2 verschieden große Instrumente mit unterschiedlichen Stimmungen, den T. mizani oder T. bagdadi („gemessener” oder Bagdad-T.) und den persischen T. borasani (T. aus Chorasan). Diese Art der genaueren Kennzeichnung eines T. durch ein hinzugefügtes Wort ist bis heute üblich, wie z. B. der T. Baglama, der T. Šarki (östlicher T.) oder der T. kebir turki (großer türkischer T.) zeigen. Daraus geht hervor, daß der Name T. eine Sammel-Bz. für Langhalslauten ist. Dies trifft jedoch nicht für das ganze Verbreitungsgebiet zu, denn in manchen Gebieten genügt die TANBÜR
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Bz. T. oder Tanbura, Tambura, Tamar, r Domra, in anderen werden Langhalslauten des T.-Typs ganz anders genannt, wie u. a. Saz, Komus oder l Tar. Lit.: F. BEHN, Die Laute im Altertum u. frühen MA, in: ZfMw 1 (1918); H. G. FARMER, A Hist. of Arabian Music to the 13' Century (Lo 1929, Nachdr. 1967); W. STAUDER, Zur Frühgesch. der Laute, in: FS H. Osthoff (Tutzing 1961): B. AIGN, Die Gesch. der Musikinstr. des ágáischen Raumes bis um 700 v. Chr. (Diss. F 1963); R. A. HIGGINS — R. P. WINNINGTON-INGRAM, Lute Players in Greek Art, in: Journal of Hellenic Studies 85 (1965); H. G. FARMER, Islam (L 1966, 2 1976) (— Musikgesch. in Bildern 111/2); G. WILLE, Musica Romana (A 1967); R. G. CAMPBELL, Zur Typologie der Schalenlanghalslaute (Str — Baden-Baden 1968) (— Sig. musikwiss. Abh.en. 47); K. REINHARD, Turquie (P 1969); M. SLOBIN, Kirgiz Instrumental Music (NY 1969); L. VORREITER, Typologische Nomenklatur u. Systematik der Musikinstr. des Altertums, in: Arch. für Musikorganologie 3 (1978) — 4 (1979); S. QASSIM HASSAN, Les instruments de musique en Irak et leur rôle dans la société traditionnelle (P 1980). M. BRÖCKER
TANCREDI, Opera seria in 2 Akten von G. Rossini, Text von Gaetano Rossi nach Voltaires gleichnamiger Tragödie. Ort u. Zeit der Handlung: Syrakus, 1005. UA: 6.2. 1813 Venedig (Teatro La Fenice); dt. EA (it. Sprache): August 1816 München; EA in dt. Sprache: 26.2. 1816 Darmstadt. Der erste Versuch des gerade 21 Jahre alten Komponisten auf dem Gebiet der Opera seria wurde sogleich zu einem Welterfolg. Nach der überaus positiven Aufnahme von La pietra del paragone in Mailand entschloß sich das Teatro La Fenice, Rossini den Auftrag zu dieser (seiner 10.) Oper zu erteilen. Die zeitgenössischen historischen Umstände (der Niedergang der napoleonischen Herrschaft und der in Europa erwachende Patriotismus) legten die Wahl des Tancredi-Stoffes, der von Vaterlandsliebe und Heldentum geprägt wird, nahe. Rossi änderte jedoch den Schluß der Voltaire-Tragödie ab und führte die Handlung zum lieto fine - ein Zugeständnis an die Opernkonvention jener Zeit. - Die Vertonung steht noch gänzlich in der von W. A. Mozart und D. Cimarosa beherrschten Seria-Tradition; ihre Originalität, ihre trotz gewisser Schwächen des Librettos mitreißende musikdramatische Wirkung, die überzeugende Charakterzeichnung und schließlich die musikalische Inspiration machen die Oper zu einem Meisterwerk. Berühmteste Nummer ist die Auftrittsarie des Tancredi (als Hosenrolle konzipiert) Oh patria / Di tanti palpiti, in der in nuce der patriotische wie auch der Liebeskonflikt dargestellt werden; zudem bietet diese Nummer eine der dankbarsten Partien für jede Altistin. R. QUANDT TANEJEW, Sergei Iwanowitsch, * 13. (25.) 11. 1856 Wladimir an der Kljasma, t 6. (19.) 6. 1915 Djudkow (Gouvernement Moskau); russ. Komponist
Tannhäuser und Pianist. Er studierte 1866-75 am Moskauer Konservatorium bei N. Rubinstein (Klavier) und P. Tschaikowsky (Komposition). 1875 debütierte er als Pianist, woraufhin ihm Tschaikowsky im selben Jahr die Uraufführung seines Klavierkonzerts b-moll übertrug. Nach Konzertreisen (u. a. nach Paris) entfaltete er am Moskauer Konservatorium eine reiche Lehrtätigkeit (Komposition, Klavier), zog sich mehr und mehr vom Konzertieren zurück und widmete sich zunehmend dem Komponieren. Im Verlauf der politischen Wirren 1905 verließ er als engagierter Liberaler aus Protest das Konservatorium und wurde zum Mitgründer des Volkskonservatoriums, wo er nun meist kostenlos unterrichtete. Auch nahm er jetzt seine Konzerttätigkeit wieder auf. Mit Tschaikowsky und Rubinstein war T. eine zentrale Persönlichkeit im Moskauer Musikleben seiner Zeit. Zu seinen Schülern zählen u. a. A. Skrjabin, S. Rachmaninow und R. Glière. WW: Zahlr. KIv.Stücke; Kammermusik, darunter: 12 Streichquartette (1876-1911); 2 Streichquintette (1901/03, 1904). - Für Orch.: 4 Symphonien (1874, 1878, 1884, 1901); Ouvertüre auf ein russ. Thema (1882); Suite für V. u. Orch. (1909). - Zahlr. Chorwerke; 3 Kanuten, darunter: Po prochtenii psalma (Beim Durchlesen eines Psalms) (1915). - Operntrilogie Oresteja (nach Aischylos), UA: St. Petersburg 1895. - Ferner zahlr. Bearbeitungen von Werken Tschaikowskys. - T. schrieb Podwischnoy kontrapunkt strogowo písma (Imitierender Kontrapunkt im strengen Stil), 2 Bde. (L 1909, Mos 2 1959, engl. Boston 1962).
T. war ein Mensch von außerordentlicher Intellek-
tualität und vielseitigen Interessen (u. a. für Philosophie, Ästhetik, aber auch Esperanto). Seine Kompositionen - mit der Kammermusik im Zentrum - sind oft von konstruktivistischer Strenge und basieren vielfach auf alten kontrapunktischen Techniken; nur selten offenbaren sie künstlerische Spontaneität. Am erfolgreichsten war sein letztes Werk Beim Durchlesen eines Psalms. Zu den zeitgenössischen Bemühungen um eine national-russische Musik hielt er entschiedene Distanz. Lit. (die Abk. „T." gilt für alle Transkriptionsformen): M. MoNTAGU-NATHAN, Contemporary Russian Composers (NY 1917, Nachdr. Westport/Conn. 1970); G. B. BERNANDT, S.I.T. (Leningrad 1950, 2 1960) (mit Werk- u. Lit.-Verz.); J. WEINBERG, S.I.T., in: MQ 44 (1958); L. Z. KORABELNIKOWA, S.I.T. v Moskovskoj Konservatorii (Mos 1974).
TANGENTE (von lat. tangens = berührend), Bz. für ein Metallplättchen (Metallstift), das in der Mechanik des r Clavichords am Ende der wie ein Hebel wirkenden Taste angebracht ist. Die T. berührt die Saite von unten und bringt sie zum Klingen; gleichzeitig teilt sie diese im erforderlichen Maß ab. TANGO, Bz. für einen aus den Vororten von Buenos Aires stammenden Paartanz im 2/4- oder %-
Takt, der sich seit etwa 1910 rasch in Nordamerika und Europa verbreitete. Vorläufer sind l Habanera und " Milonga, deren rhythmische Begleitfiguren= bzw. Fr9 n auch für den T. charakteristisch sind. Anfangs erregte die exotische Tanzweise (Schräglage der dicht aneinandergehaltenen Körper, zuckende Bewegungen, katzenartige Schritte ; vgl. E. Nick) Anstoß, doch bald etablierte sich der T. als l Gesellschaftstanz und gehört bis heute zum festen Bestand der lateinamerikanischen Tänze auch beim internationalen "Turniertanz (Tempo : M. M. 1` = 132). Bezeichnend für seine Beliebtheit ist seit J. Gilberts Tangoprinzessin (1913) und Fr. Lehárs Tangokönigin (1921) seine Aufnahme in viele Operetten. T.-Evergreens sind La cumparsita von G. M. Rodriguez, Jalousie von J. Gade, Ole Guapa von A. Malando, Blue Tango von L. Anderson und Blauer Himmel von J. Rixner. Eine witzige Parodie ist der von H. Osterwald produzierte Kriminal-Tango. Der T. gelangte auch in die Kunstmusik, so bei I. Albéniz (Damas espaňolas), I. Strawinsky (L'histoire du soldat; T. für Orch.), W. Egk (Peer Gynt) und K. Weill (Dreigroschenoper). Lit.: E. NICK, T., in: MGG XIII; G. BÉHAGUE, T., in: Grove" XVIII (mit Vera. der südamerikanischen Lit.).
TANNHÄUSER und der Sängerkrieg auf Wartburg, Handlung in 3 Aufzügen, Text und Musik von R. Wagner. Ort und Zeit der Handlung: Wartburg und Umgebung (Thüringen), Anfang des 13. Jh.; UA: 19. 10. 1845 Dresden. Elisabeth als Symbol umfassend-aufopfernder Liebe und Venus als Zeichen des sinnlichen Genusses repräsentieren die Pole des seelischen Spannungsfeldes, in dem sich Tannhäuser bewegt; zunächst dem stärkeren Einfluß der Venus unterliegend, ersucht er, gedanklich verhaftet dem christlichen Dogma von der Notwendigkeit einer Sündenvergebung, den Papst vergeblich um Absolution ; erst nach Elisabeths und seinem Tod wird er erlöst. Zwei verschiedene Sagenkreise kombinierte Wagner beim Entwurf der Handlung; seine Hauptquellen waren die Dichtungen Singerkriec uf Wartburc (13. Jh.) und Dannhuser (16. Jh.); weiterer Einfluß wird u. a. der Lektüre von E. Th. A. Hoffmanns Novelle Der Kampf der Sänger zugeschrieben. Die musikalische Behandlung des Stoffes entspricht größtenteils der Tradition der groBen romantischen Oper: Gefühle und Stimmungen werden weniger psychodramatisch in ihren Wandlungen denn eher plakativ-extrovertiert „dargestellt" in Szenen, die zwar durch ein fast ununterbrochenes Klangkontinuum des Orchesterparts verbunden sind, jedoch noch durch die rela89
Tansman tive Geschlossenheit von Arien und Chören ihren Nummerncharakter bewahren. Das Orchester ist weitgehend beschränkt auf die klassischen Funktionen der Begleitung und der Überleitung; lediglich in der Arbeit mit dem Venusbergmotiv und in den 1860 für die Pariser Fassung nachkomponierten Teilen zeigt sich eine größere und z. T. bereits leitmotivische Emanzipation des Orchesterparts. Zündende thematische Einfälle wie etwa Wolframs Arie O du mein holder Abendstern, der Einzug der Gäste auf der Wartburg und vor allem der Pilgerchor Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen, mit seiner dichten chromatischen Harmonik und subtilen Stimmführungstechnik bestimmend für spätere Phasen in Wagners Personalstil, machten Tannhäuser neben Der fliegende Holländer zu Wagners populärstem Werk. W. A.
MAKUS
TANSMAN, Alexandre, * 12.6. 1897 Lódí; frz. Komponist polnischer Herkunft. Neben einem Jura- und Philosophiestudium an der Universität Warschau vervollständigte er seine musikalischen Kenntnisse bei P. Rytel und erhielt 1919 beim ersten polnischen nationalen Musikwettbewerb den 1. und 2. Preis für Komposition. Im selben Jahr ging er nach Paris, wo er seit 1920 aktiv am Musikleben teilnahm. Bedeutende Dirigenten wie S. Kussevitzky, W. Mengelberg, A. Toscanini und P. Monteux setzten sich für seine Werke ein. Als Pianist und Dirigent unternahm T. zahlreiche Tourneen, u. a. nach Österreich, in die USA und nach Japan. 1941-46 lebte er in den USA und kehrte dann nach Frankreich zurück. Obwohl T. stets seinen polnischen Wurzeln (Volksmusik, Mazurka) eng verbunden blieb, so hat er doch auch die verschiedenen Neuerungen der Pariser Avantgarde nach dem 1. Weltkrieg in sein Schaffen mit einbezogen. Andererseits erinnert sein harmonisches, bis zur Polytonalität gehendes Raffinement häufig an M. Ravel, und seine rhythmische Dynamik läßt den Einfluß I. Strawinskys erkennen. WW: je 2 Streich- u. Klv:Trios; 8 Streichquartette; Musique á six (1977) für Klar., Streichquartett u. Klv. — Für Orch.: 7 Symphonien (1925, 1926, 1931, 1939, 1942, 1943, 1944); Diptyque (1969); Stèle (1972) (auf den Tod Strawinskys); Élégie (à la mémoire de D. Milhaud) (1976); 2 Klv.-Konzerte (1926, 1927) u. ein V.-Konzen (1963). — Drame lyrique La nuit kurde, UA: frz. Rundfunk 1927; Opéra-bouffe Le toison d'or, UA: ebd. 1948; Épisode lyrique Le serment (nach H. de Balzac), UA: Brüssel 1955; Fresque lyrique Sabbatai Levi; le faux Messie; UA: Paris 1961; Oper Le rossignol de Boboli, UA: Nizza 1965; Opéra-comique Georges Dandin (1974) (nach Molière). — Ballette: Sextuor, UA: New York 1925; La grande ville, UA: Köln 1932; Bric à brat UA: Lyon 1956; Train de nuit, UA: London 1950; Les habits neufs du roi (nach H. Ch. Andersen), UA: Venedig 1959; Résurrection (nach L. Tolstoi), UA: Nizza 1962. Lit.: I. SCHWERKE, A. T., compositeur polonais (P 1931).
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TANTUM ERGO, Tantum ergo sacramentum ve-
neremur (lat., = Darum laßt uns ein so großes Sakrament verehren), Beginn der 5. Strophe des Hymnus , Pange lingua. Zusammen mit der 6. und letzten Strophe Genitori wird sie (in Verbindung mit dem Versikel Panem de coelo und einer Oration) seit dem 15. Jh. als Abschluß von Prozessionen und Sakramentsandachten unmittelbar vor dem eucharistischen Segen von der Gemeinde gesungen (r Sakramentsgesänge). Dieses Lob- und Danklied auf die Bundestreue Gottes, zeichenhaft dargestellt im „Brot des Lebens", wurde schon früh ins Deutsche übersetzt und von vielen kath. und ev. Gesangbüchern übernommen. In neueren Versuchen (so im Gotteslob von 1975) bemühte man sich darum, die „Segens"-Strophen als selbständige Lieder zu gestalten. Neben mehreren gregorianischen Fassungen hat die Melodie aus dem Anhang des Luxemburger Kyriale von 1768 vor allem im dt. Sprachraum weite Verbreitung gefunden. Die mehrstimmigen Vertonungen des T. (bes. mit lat. Text) sind meist einfache Gebrauchsmusik. Aus ihrer großen Zahl ragen Werke von A. Bruckner und Z. Kodály heraus. Lit.: Hdb. der Liturgiewiss., hrsg. v. A.-G. MARTIMORT, I (Fr 1963).
TANZ. Als rhythmisch vielgestaltige Bewegung gehört der T. sowohl zu den elementaren als auch zu den künstlerisch hochstilisierten Ereignissen in allen Kulturen; er ist terminologisch je nach Sprachstand komplex oder differenziert umrissen. Schon bei den Anthropoiden (Menschenaffen) als Bewegungsrausch anzutreffen, entrückt die periodisch wiederkehrende Bewegung des Körpers oder einzelner Gliedmaßen auch den Menschen aus seinem alltäglichen in ein überalltägliches Dasein. Damit gehört das Tanzen zum wichtigsten Lust- und Rauschmittel, das in Primärkulturen unlöslich mit magischen Handlungen, Gesang und Zeremonie verbunden ist. Diese in ihrer einfachen Form musiklos oder von Schreien und Rufen begleiteten Stampf- und Schleiftänze, wie sie bei den Wedda auf Ceylon, den Semang auf den Philippinen, den Bambuti-Pygmäen des Iturigebietes, den Papua von Neuguinea, den Ureinwohnern Australiens oder in diversen Stämmen Afrikas beobachtbar waren, werden erst in Hochkulturen von ihrem ausschließlichen magischen Bezug gelöst und gewinnen als differenzierte Entäußerung ein Spektrum, das vom Springen auf der Stelle bis zum Kunst-T. oder T.-Drama asiatischer Kulturen sowie dem akademischen Ballett und Ausdruckstanz europäischer Prägung reicht, begleitet von professionellen Musikern in Hof- und Symphonieorche-
Tanz stern. Der T. nahm im Denken und in der Vorstellungswelt nahezu aller Hochkulturen einen zentralen Raum ein: Tanzend erschuf sich Schiwa die Welt, tanzend bewegt sich der Kosmos, tanzend beginnt und endet das Leben (r Totentanz). Gemäß dieser Allgegenwart im menschlichen Leben sind folgende Funktionen zu umreißen: 1. zeremonieller, repräsentativer, sakraler T. einzelner Personen oder Gruppen (Tempeltänze, Kriegstänze, T.Dramen, Kulttänze usw.); 2. mit magischem Sinn erfüllte Tänze und Heil-T. (Schamanen, Medizinmänner, Brauchtänze, Geburt, Mannbarkeit, Hochzeit, Tod); 3. aus abnormer Prädisposition oder abergläubisch motivierter T. (Tarantismus, Veits-T., Exorzismus); 4. mimetische Darstellung oder Zurschaustellung professioneller Tänzer (Pantomime, Ballett usw.); 5. geselliges Tun in allen Schichten und Altersstufen ; 6. Ausüben und Erfüllen von Recht (T.-Gebot); 7. vorgestellter und gedachter T. (in Literatur und bildender Kunst). Getanzt wurde und wird allerorts. Beschränkte sich jedoch das Tanzen bei den Naturvölkern auf heilige Orte, T.-Plätze außer- oder innerhalb der Wohnstätte oder Orte der Initiation, nachts oder bei Tage, so erweitert sich die Zahl der Örtlichkeiten auf Kulturstufen mit urbanen Strukturen auf das Tanzen in Kultstätten, Tempeln, Kirchen, auf Begräbnisplätzen, in Palästen, T.-Häusern, T.-Lauben, Festsälen, Zelten, Theatern, Arenen, Tavernen, Privathäusern, Rathäusern, auf Gassen, Feldern usw. Man tanzte oder ließ tanzen sowohl zum luxuriösen Zeitvertreib beim Mahle als auch als unverzichtbaren Bestandteil von Gottesdienst, Totenkult und Herrschaftsrepräsentation. Dabei war die soziale Stellung des Tanzenden den gleichen Veränderungen unterworfen wie die des Musikers gemäß der herrschenden Moral. Sind im T. der Naturvölker alle Stammesangehörigen einbezogen, so bilden dagegen z. B. indische Tempeltänzer eine eigene Kaste. Mittelalterliche Spielleute waren gesuchte Vermittler von Tänzen, wiewohl sie meist rechtlos waren, während in hellenistischer Zeit das Tanzen als Teil des geselligen Lebens geschätzt und empfohlen wurde. T.-Handlungen können ichbezogen unorganisiert sein oder einer außerhalb liegenden Absicht dienen, zu der die Ausführenden mehrheitlich T.-Kleidung, Masken, Bemalungen, Vermummungen anlegen oder T.Geräte mitführen, die seit dem 19. Jh. in Volksund Völkerkundemuseen gesammelt werden. Als unverzichtbarer Teil magischer Tänze, wie sie sich etwa im Fastnachtsbrauch der Alpenländer gehalten haben, reicht der Vorrat von T-Stäben, Rasselumhängen, Schleiern, Klappern, Glocken, Symbolbeigaben, Bällen, Messern, Schwertern bis zur
überhöhenden Totalmaskierung. Beides, T.-Gerät und T.-Begleitung, haben primär neben der Symbolfunktion den Zweck der rhythmischen Gliederung der Bewegung bis zur organisierten metrischen Strukturierung in der funktionalen T.-Musik, die gewöhnlich eine Koinzidenz von Bewegung und Musik fordert. Systematik. Trotz zahlreicher Publikationen ist es seit der empirischen Erforschung des Tanzens und der Tänze im 19. Jh. bislang noch nicht gelungen, eine umgreifende Systematik sämtlicher Teilmomente des T.es und des Tanzens zu entwerfen, so daß die T.-Forschung als Wissenschaft noch in den Anfängen steckt. Nach wie vor ist mithin auf C. Sachs zu verweisen, der neben dem Versuch einer Gesamtdarstellung der T.-Geschichte einen wichtigen Entwurf (nach Bewegungsarten, Stoffen und Typen, Formen und Tanzmusik gegliedert) vorgelegt hat. Er teilt die Bewegungen ein in (A) „Tänze wider Körper und Musik" (pathogene Krampftänze von Geheimbünden und Schamanenkulturen) und (B) „körperbewußte Tänze", die er untergliedert in: (B a) engbewegte Tänze (Hand-, Augen-, Finger-, Kopf-, Bauch-, Sitz-, Wirbel- und Renktänze) und (B b) weitbewegte Tänze (Weitschritt-, Spring-, Hocke-, Schleuder-, Hüpf-, Ausfall-, Spitzen- und Einbeintänze). Als Stoffe und Typen sind an T.-Geräte gebundene bildhafte Tänze (Tier-, Werbungs-, Fruchtbarkeits-, Waffen-, Masken- und Astraltänze) von bildlosen Tänzen (Medizin-, Jugendweih-, Hochzeits-, Leichen-, Kriegs-, Gesellschaftstänze und die Mehrzahl der Kreisreigen) zu unterscheiden. An Formen nennt Sachs den Einzel- (oder Solo-)T., Paar-T., das Tanzen zu dritt, zu viert sowie in Gruppen. Diese Systematik berücksichtigt als Extreme sowohl die tanzfreudigen als auch die tanzunlustigen Kulturen mit dem Zweck, schriftlos überlieferte Praktiken klassifizieren und in ein Gesamtkonzept der Ethnologie als einen unverzichtbaren Teil einbringen zu können. Tanzgeschichte: Prähistorie, antike Hochkulturen. Die primär durch Bildquellen zu belegende Geschichte des Tanzens beginnt mit den Höhlen- und Steinzeichnungen aus dem Paläo- und Neolithikum, auf denen Tiertänze, Einzeltänze und Kreisreigen erkennbar sind. Diese in großer Zahl gefundenen Zeugnisse in Frankreich, Spanien, der Türkei, Nord- und Südafrika, Skandinavien, Sibirien, Amerika, Australien und Ostasien harren noch einer umfassenden Auswertung. Erste Zeugnisse der Lösung des Tanzens aus magischem wie mythischem Bezug in einen divertierenden finden sich in den Zentren Mesopotamiens (3400 bis ca. 400 v. Chr.), wo es neben den Frucht91
Tanz barkeitskulten zur Verehrung eigener Stadtgötter kam und man, wie im benachbarten ř Ägypten, den Kult- vom Profan-T. unterschied. In Ägypten, dessen literarische und bildliche Quellen von der IV. Dynastie an (2723 v. Chr.) in großem Umfang erforscht sind, reicht das Spektrum der Tänze, die von professionellen Tänzern und Tänzerinnen vollzogen wurden, vom Bestattungsritus bis zum akrobatischen Schau-T., der über Griechenland ins europäische Mittelalter gelangte. Diese Tänze, die weitestgehend philologisch und choreographisch definiert sind, dürften bei anderen Kulturvölkern der unmittelbaren Nachbarschaft (Hethiter, Phrygier, Phöniker, Hebräer) ähnlich gewesen sein. In anderen funktionalen Bezügen ist die Entwicklung des Tanzens zu einer verfeinerten Kunstform in der östlichen Hemisphäre (Indien, China, Japan) verlaufen. T. als fester Bestandteil des Tempelkults und der Theaterpraxis hat sich in r Indien zu einem stilisierten Gebärdenspiel entwickelt, dessen älteste Quelle in den Gedichten des Rigveda vorliegt, auf dem das spätere Lehrbuch der T.- und Schauspielkunst, das dem Bharata zugeschriebene Naryagastra (5./4. Jh. v. Chr.), basiert, das ein ausgebildetes Theaterwesen bereits voraussetzt. Der dort beschriebene strenge T., der 108 T.Figuren (karana) umfaßt und als reiner T., T.Drama und Ausdrucks-T. verstanden wird, lebt heute als Bharata und Kathäkali fort. In T.-Schulen werden zu Tänzern bestimmte Kinder bereits mit 6 Jahren ausschließlich in die Kunst der Körperbeherrschung eingewiesen. Grundlage jeden dramatischen Ausdrucks sind T. und Gesänge auch in r China, dessen wechselvolle Geschichte des umfangreichen Rituals höfischer Musik und T.-Zeremonien 1500 v. Chr. bereits vollständig ausgebildet war. Weitaus jünger sind die ersten Quellen des höfischen und sakralen Tanzes in "Japan, des Kagura-Spieles, des Gigaku und Gagaku der Kaiserzeit, in denen chinesische Traditionen fortleben. Gemeinsam mit ihren Absenkern in die stilisierten T.-Dramen unterer Schichten setzten all jene Tänze ein Höchstmaß von Körperbeherrschung und Vorbildung voraus. In der griech. Antike ist T. - unter einer Vielzahl von nahezu 200 Termini - Chorreigen zu Ehren der Götter, die als Erfinder des T.es galten, SchauT. bei Symposien, Bestattungsritual sowie Element des Dramas und der Komödie, die den Höhepunkt des griech. T.es im 5. Jh. v.Chr. bildeten. Er . wurde gezielt bei der Erziehung eingesetzt und war wie in allen Hochkulturen unverzichtbarer Teil des Kultlebens. Die Pyrrhichě etwa, ein aus Kreta stammender Kriegs-T., u. a. Waffentänze sollten die Mannhaftigkeit stärken, die friedliche Emme92
laia blieb ein Kreisreigen vornehmlich der Frauen. Die akrobatischen Schautänze, Satyrtänze oder in der Orchestra (dem T.-Platz) vollzogenen Chorreigen der Tragödie wurden von professionellen Tänzern ausgeführt. Seit der minoischen Kultur sind Tänze, hier vornehmlich der feierliche Reigen während eines Bestattungsritus, beliebtes Thema im Bildrepertoire auf den archaischen, schwarzund rotfigurigen Vasen. Früheste literarische Belege finden sich in Homers Ilias und Odyssee, später bei Platon, Athenaios, Xenophon und Lukian. Rückschlüsse auf konkrete T.-Musik lassen die wenigen erhaltenen Denkmäler aber nicht zu. In der Römischen Republik, die sich seit dem 2. Jh. v. Chr. im Einflußbereich von Griechenland befand, war T. zwar seit dem 3. Jh. v. Chr. eine in T.Schulen gelehrte Kunst, wurde jedoch zunehmend den Professionellen, die sich zu einer Bühnengenossenschaft zusammengeschlossen hatten (Mimen, Pantomimen, Histriones und Joculatores, vielfach Sklaven), überlassen. Gemäß dem Ciceronischen Wort „Nemo fere saltat sobrius" (im allgemeinen tanzt kein Nüchterner) ist mithin römische T.-Geschichte bis in die Kaiserzeit eine von den benachbarten Ländern abhängige, abgesehen von den T.-Handlungen der Priestersodalitäten, etwa der Salier (salii = Springer). Mittelalter bis 1600. Europäische T.-Geschichte ist bis zum Verfall der ständestaatlichen Ordnung während des 18. Jh. wie diejenige außereuropäischer Kulturen ein Spiegel geltender Konventionen, des geltenden Rechtes, das tanzend vollzogen wurde, wie der Pflichten. T. spielte hier wie in allen primär bäuerlichen Kulturen im Denken (TotenT.) wie im realen Leben eine zentrale Rolle in magischen Riten (Fruchtbarkeitsheilzauber) und im jahreszeitlichen Ablauf. Nur z. T. konnten diese Reste heidnischen Aberglaubens durch die Christianisierung verdrängt werden, so daß sich selbst T.-Prozessionen um die Kirchen oder klerikaler T. allen T.-Verboten seit der Zeit des hl. Chrysostomos zum Trotz halten konnten. Neben den Tänzen zur Fastnacht, den diversen Schwertertänzen, gemischt- oder getrenntgeschlechtlichen, getretenen und gesprungenen r Reigen bestimmen bis zum Beginn des 15. Jh. die Schautänze der Joculatores, Spielleute (f Spielmann) und Spielweiber als akrobatische Darbietungen das Bild. T. war allerorts präsent und vom 11. bis 15. Jh. sogar zu hysterischen T.-Besessenheiten gesteigert (Tarantismus). Bei der Erforschung des Tanzens ist das reiche Bildmaterial heranzuziehen, das in detaillierten Studien differenzierte Schrittabfolgen, Handfassungen, regional unterschiedliche Reigenformationen, den akrobatischen Schau-T. nach T.-Typen zu
Tanz ordnen möglich gemacht hat. Terminologisch im Mittelhochdeutschen mit den Übersetzungen des lat. saltare, ballare und tripudiare wie springen, spiln, gan, swanzen, treten, laufen, tanzen usw. belegbar, führen diese Benennungen teilweise zu den präzisen T.-Anweisungen der ersten T.-Lehrer. Als T.-Begleitung diente gewöhnlich der Gesang (Carol, Virelai, Ballata), andernfalls die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Instrumente: Fiedel, Schalmei, Trompeten, Schellentrommeln, Klappern in variierenden Besetzungen. Mit dem allmählichen Rückgang der Tanzliedpraxis beginnt die Geschichte der T.-Musik. / Estampie, Danse royale, Stantipes, Ductia, Nota, r Saltarello und r Rotta, als Notate in ihrer Funktionalität bisweilen angezweifelt, sind in einigen wenigen Quellen überliefert. Sie mußten bis dahin von den Spielleuten schriftlos adaptiert vorgetragen werden. Während erste Notate ins 13. Jh. datierbar sind, endet die Zeit ausschließlich mündlich tradierter T.Praktiken mit dem Beginn des 15. Jh., als it. Hofhaltungen begannen, T.-Meister in festen Dienst zu nehmen, die hochgeachtete Lehrer, Organisatoren großer Feste nach geltendem Usus und Verfasser von ersten T.-Lehrwerken waren. Domenico da Piacenza (um 1390-1470), „saltatorum princeps" und „re dell'arte" der norditalienischen Familie Este, steht mit seinen Schülern am Beginn kommender Tänzergenerationen, deren Instruktionen fortan für alle Höfe verbindlich wurden. Ihre Traktate waren gegliedert in Beschreibungen der Schritte, Musikbegleitung, Ballsaalordnungen und Kleidung einerseits sowie Choreographien andererseits, die mit und ohne Musik vermittelt wurden. Die Notierungspraxis bestand aus in Blocknotation wiedergegebenen T.-Tenores. Im 15. Jh. vollzog sich auch aufgrund sozialer Umstrukturierungen die Trennung von r Volkstanz und t Gesellschaftstanz. Während sich die höfische Gesellschaft mit der Basse danse burgundischer und der Bassa danza italienischer Prägung präsentierte, wurde das Tanzen in den Städten u. a. von den Zünften, Gilden, Studenten und Burschenschaften, auf dem Lande von der gesamten Bevölkerung getragen. Alle diese am T. teilnehmenden Gruppen hatten eigene Tänze, die in T.-, Hochzeitsoder Zunfthäusern, streng geregelt, getanzt wurden. Als musikalische Besetzung hatte sich für den Gesellschafts-T. die standardisierte r Alta-T.- Kapelle herausgebildet, bestehend aus Schalmeien und einer Trompete, die bei prunkvollen T.-Veranstaltungen auf Emporen postiert war. Der 1450-1525 in allen T.-Quellen dominierende geschrittene offene Paar-T., die t Basse danse, wurde z. T. in r Tabulaturen vermittelt mit wenigen An-
weisungen (R = Révérence, b = branle, ss = 2 einfache Schritte, d = Doppelschritt, r = reprise). Paarig mit raschen, ungeradtaktigen Springtänzen (Bassa danza, Saltarello) verbunden, konnte man sich so gravitätisch als geschlossene Gesellschaft darstellen, wiewohl zum Ablauf eines Festes auch bildhaft-dramatische Tänze, die exotische l Moresca, groteske Tänze englischer Wanderschauspieler, Darbietungs- und Schautänze, nach 1570 auch die tänzerischen Darbietungen der Commedia dell'arte gehörten. Abgelöst wurde die Basse danse von der l Branle und der t Pavane, denen mit 26 Arten im Haupttraktat des 16. Jh., der Orchésographie (1589) von Th. Arbeau, ein breiter Raum gegeben wird. Gemeinsam mit F. Caroso und C. Negri zählt Arbeau zu den Autoritäten, die in antikem Eingedenken höfische u. a. Gepflogenheiten zusammenfassen. Zum Repertoire gehörte neben der gravitätischen Pavane die r Galliarde im Tripeltakt, die den Herren den „grue" (hohen Stoß), den Damen den „pied en l'air" (schleifendes Vorstrecken des Fußes) abverlangte und mit der geschwinderen r Volta eine Einheit bildete, ferner die als Sprödenspiel mit pantomimischen Anspielungen gedachte r Courante, die mit Nach-T. gekoppelte r Allemande oder die exotische t Canarie. Die T.-Musik lag bis 1600 in den Händen sowohl der fahrenden Spielleute als auch der Hofkapellen und der Stadtmusici. Sie hatten das gängige T.-Repertoire zu begleiten, was durch Branlesuiten, später zyklisch angelegte t Suiten geschah, in denen das international gemischte Repertoire aneinandergereiht wurde. Im Laufe des 16.Jh. erschien eine Fülle von T.-Sammlungen im Druck. Neben Antonio Gardanos Edition einer Intabolatura nova di varie sorte de balli (1551) sind die Komponisten G. Gorzanis in Italien, Cl. Gervaise, A. Le Roy und E. Du Tertre in Frankreich, Michael Praetorius, E. N. Ammerbach, G. K. Wekker und B. Schmid in Deutschland, T. Susato in den Niederlanden, J. Dowland, Th. Morley und A. Holborne in England sowie A. de Cabezón und D. Ortiz in Spanien zu nennen. 17. Jahrhundert. In dieser Zeit absolutistischer Herrschaftsstrukturen wurde das Tanzen zunehmend das Privileg professioneller Tänzer. Nach 1580 sah man im r Ballet de cour die Vereinigung aller Elemente des höfischen Festzugs und des Maskenspiels, mit dem die frz. OE Ballett-Kunst im Sinne einer theatralischen Gattung begann. Der T.-Stil, vor allem unter der Herrschaft König Ludwigs XIV., war durch den Raum gliedernde paarige Figurentänze gekennzeichnet unter Bevorzugung der eleganten „pliés" und „élevés". Der Reigen wurde in Frankreich abgelehnt, wiewohl er 93
Tanz durch J. Playford (The English Dancing Master, 1651) im 17. Jh. mit engl. ř Country dances wieder ins Bewußtsein gelangte und neben span., poln., dt. und ung. Tänzen in das Repertoire einging (r Forlana, "Gigue, / Sarabande usw.). Aus der spätmittelalterlichen Tanzpraxis hatte sich deutlich der ungeradtaktige r Nachtanz verselbständigt, so daß seit etwa 1600 ungeradtaktige Tänze auch in der Kunstmusik überwiegen. - Äußeres Zeichen der Statusveränderung der Tänzer wurde die 1661 gegründete Académie de Danse in Paris, in der sich 13 T.-Meister, unter ihnen CharlesLouis Beauchamps, zusammenfanden und sich von der mittelalterlichen Zunft lösten, um freie Künstler zu werden. Es wurden die bis heute geltenden 5 Grundpositionen und die Schrittlänge auf „menu" (klein) festgelegt. Die von ihnen entworfene T.-Schrift mündete in der Chorégraphie (1700) des Beauchamps-Schülers R. A. Feuillet, die nicht nur die präzise Notierung der Schritte möglich machte, sondern auch ihre Relation zur Musik (OE Choreographic). Zu Schautänzen auf der Bühne avanciert, gipfeln die T.-Darbietungen in der r Tragédie en musique von Ph. Quinault und J.-B. Lully und den selbständigen dreigeteilten Balletten (Ouvertüre - Entrées - Grand ballet). In Italien hatten sich die Intermedien mit Moresca und Teilen der Commedia dell'arte zu Teilen der reich ausgestatteten Opern verselbständigt. Die T.-Musik, die nunmehr in großer Zahl gedruckt wurde, mit ihren bedeutendsten Vertretern G. Frescobaldi, A. Corelli, Lully, den Couperins, W. Lawes, H. Purcell, J. J. Froberger und G. Muffat besteht aus Sammlungen von Instrumentalsuiten, denen nach Art der Bühnendarbietungen eine r Ouvertüre vorangestellt wurde. Viele dieser Kompositionen wurden jedoch als stilisierte Vortragsstücke genutzt. 18. Jahrhundert. Bis zum Beginn der Französischen Revolution und dem Untergang des Ancien régime war T. höfische Galanterie, Ballett und Teil bürgerlicher Kultur. Diese hatte bereits begonnen, vermittelt durch T.-Lehrer, nach frz. Vorbild adelige Exercitia anzunehmen (G. Taubert, Rechtschaffener Tanzmeister, 1717). Als Ausdruck dieses aristokratisch-bürgerlichen Lebensstils galten die 3 „Fundamentaltänze" . Bourrée, r Courante und ř Menuett, die sich neben den favorisierten einfachen Country dances nach der Vorlage von J. Playford zu behaupten hatten. Ende des 18. Jh. wurde die Affinität zu Nationaltänzen durch die zunehmende Pflege fremder Tänze zum Ausdruck wachsenden Nationalbewußtseins: Polonaise und Mazurka kamen aus Polen, Polka und Schnellpolka aus Böhmen, Csárdás und Verbunkos aus 94
Ungarn, Bolero, Habanera und Tango seit etwa 1830 aus Spanien, Schottischer Walzer und Ecossaise aus Schottland, Deutsche, Drehtänze, Ländler und Galopp mit zunehmender Beliebtheit aus Deutschland und Österreich. Der Kunst-T. drohte unterdes in seinen geschnürten Kostümen und seiner dekorativen Virtuosität zu erstarren und wurde allerorts einer gründlichen Reform unterzogen gemäß dem Natürlichkeitsideal J.-J. Rousseaus. Als eine der wichtigsten Autoritäten dieser Reform gilt J. G. Noverre, der das in England von John Weaver konzipierte Ballet d'action aufgriff und gemeinsam mit bedeutenden Tänzern (Gaetano Vestris, G. Angiolini) wie mit Musikern, unter ihnen Chr. W. Gluck, zur dramatischen Ballettpantomime formte. Seine große Zahl von Balletten, die mit raschem Erfolg an allen seinen Wirkungsstätten aufgeführt wurden, sollte den „mechanischen" T.-Ablauf durch natürliche Gesten ersetzen, ein Ideal, das freilich erst seit dem 19. Jh eine breite Resonanz fand. Gemeinsam mit Balletten, die das bürgerliche Leben zum Thema hatten (Jean Dauberval, La tille mal gardée, 1789), entfernte sich der Bühnen-T. immer mehr von seiner ursprünglich divertierenden Rolle und wurde zur Ausdruckskunst in der einfachen Tunique, abgesehen von seiner Funktion als Teil der Oper, der namentlich in Paris zwingend war. Die T.-Musik, die sich deutlicher als früher in die Musik zur T.-Praxis sowie diejenige für den Darbietungsbereich (Ballett, Oper) und die Konzertpraxis untergliedert, lag nach wie vor in den Händen der Hofmusiker, die sich jedoch die wachsende Nachfrage mit allen denjenigen Musikern teilten, die nicht bei Hofe waren. Eine Flut von Gebrauchsmusik entstand, Handstücke für das Clavichord u. A. Das Menuett gelangte als Überbleibsel der Suite in die vorklassische und klassische Symphonie und Kammermusik, blieb zudem aber auch über die Französische Revolution hinaus fester Bestandteil in allen Ballsälen. Gebrauchsmusik schrieben auch die Wiener Klassiker und Fr. Schubert; so befinden sich z. B. unter den Werken J. Haydns 285 Tänze. Der Deutsche, der um die Mitte des 18. Jh. gesellschaftsfähig geworden war und gemeinsam mit ř Ländler und Weller unbestimmter Herkunft im ř Walzer mündete, löste als paariger Dreher endgültig die Gespreiztheiten und das Pathos höfischer Attitüde ab und wurde zum bürgerlichen T., der aus den Vorstädten Wiens kam. 19. Jahrhundert. Als derber Dreher seit dem Mittelalter als dem niederen Volke zugehörig apostrophiert, ist der Walzer seit Ende des 18. Jh. mit großer Durchschlagskraft ein Zeichen der sich nach der Revolution vollziehenden sozialge-
Tanz schichtlichen Umstrukturierung. Durch den Wiener Kongreß (1814-15) fand er weltweite Verbreitung; Wien wurde zur T.-Stadt par excellence, eine Stadt, in der die Kluft zwischen Adel und Volk weniger kraß war als etwa in den Städten Frankreichs. Auch am preußischen Hof war noch um 1900 beim offiziellen Teil des Hofballes der Walzer streng untersagt, und von einzelnen Mitgliedern des hohen Adels wurde er überhaupt kritisiert. Bis heute gehört der Walzer in vielerlei Gestalt zu den Standardtänzen, als Wiener Walzer in den 20er Jahren des 19. Jh. geprägt von J. Lanner und J. Strauß Vater und Sohn, die die Wiener T.und Unterhaltungsmusik bestimmten. Die Walzerkompositionen bestehen aus einer Introduktion, 5 Walzern und einer Coda. Als Bestandteil neben r Csárdás, r Tango, r Cancan oder t Polka, die bis zur Mitte des 19. Jh. als Nationaltänze Verbreitung gefunden hatten, geht der Wiener Walzer in die Operette des 19. Jh. ein, fand jedoch auch nachhaltigen Niederschlag in der Kunstmusik als hochstilisiertes Vortrags- und r Charakterstück. Neben dem Walzer und Deutschen beherrschten auch tschech., ung., norwegische und span. Volks- und Nationaltänze die T.-Praxis, bevor sich Europa den neuen mittel- und nordamerik. Tänzen anschloß, die seither das T.-Repertoire bestimmen. Eine Verlagerung der Zentren hatte sich während des 19. Jh. auch beim Bühnen-T. ereignet, dessen entscheidende Impulse seit 1801 aus St. Petersburg kamen, wo Ch.-L. Didelot zum Leiter der kaiserlichen Ballettschule bestellt worden war. Von der Französischen Revolution wenig tangiert, entwikkelte sich das Ballett zu einer Kunstrichtung, die ihre Stoffe u. a. aus der Feen- und Märchenwelt bezog, deren sich Literatur und Malerei schon zuvor angenommen hatten. Die Zeit der triumphierenden Ballerinen, der Fanny Elßler, Maria Taglioni, Carlotta Grisi, denen die Zuschauer zu Füßen lagen, gipfelte in den Balletten von A. Adam (Giselle), L. Delibes (Coppélia) und P. I. Tschaikowsky (Schwanensee) sowie den Choreographien von A. Bournonville. 20. Jahrhundert. Die Akkulturationserscheinungen des 20. Jh. haben das Bild vom Tanzen wesentlich verändert. Trotz diverser Erhaltungsversuche gingen und gehen genuin tradierte Tänze auf allen Kontinenten aufgrund zunehmender Industrialisierung und Zivilisation unwiederbringlich verloren. Das Bild ist seit Beginn des 20. Jh. durch folkloristische Darbietungen, fortwährende Reformen im Kunst- und Gesellschafts-T. der westlichen Welt sowie Revitalisierungsversuche in und außerhalb Europas gekennzeichnet. Ausgehend von Isabella Duncan, erfuhr das akademische Ballett vor
dem 1. Weltkrieg einen weiteren Angriff durch den von ihr proklamierten Ausdruckstanz. Dieser wurde von É. Jaques-Dalcroze in seiner „rhythmischen Gymnastik" und im „freien Tanz" R. Labans weitergetragen und gipfelte im musiklosen pantomimischen Solotanz von Mary Wigman und H. Kreutzberg, verlor sich jedoch nach dem 2. Weltkrieg wieder. Fast parallel dazu entstanden durch Synthese negroider mit amerikanischen T.Elementen moderne Gesellschaftstänze wie r Cakewalk, r Onestep und t Twostep nach der schnellen, stark synkopierten Musik des .Ragtime. Gemeinsam mit den lateinamerik. Tänzen wie Tango, t Foxtrott und Quickstep waren sie längst Bestandteil des virtuosen New Yorker t Musical. Mit Walzer und Yale Blues wurden sie 1929 in der Londoner Great Conference auf Ausführung und Tempo festgelegt und zum Grundbestand seither durchgeführter T.-Turniere (t Turniertanz) erklärt. Nach dem 1. Weltkrieg aus den USA importierte Tänze wie t Shimmy und t Boogie-Woogie, t Samba und t Rumba verloren nach dem 2. Weltkrieg an Popularität und wichen dem t Cha-cha-cha der 50er sowie dem Bossa nova der frühen 60er Jahre, die mit r Twist und t Rock and Roll immer noch getanzt werden. Diskotheken, in denen sich seit etwa 1960 in den Städten das T.-Geschehen vornehmlich der jüngeren Generation neben den T.-Schulen abspielt, verzichten weitestgehend auf reale Musikergruppen, und bedienen sich des Diskjockeys, der, der rasch wechselnden Mode folgend, jeweils aktuelle Schallplatten ansagt und abspielen läßt. Daneben erfreuen sich die aus dem Afroamerikanischen entlehnte Jazzgymnastik und der Jazz dance in Turn- und Gymnastikhallen seit den 70er Jahren großer Beliebtheit. Die zukünftigen Berufstänzer werden in den standardisierten Ballettschulen traditionell ausgebildet und haben sich sowohl das Repertoire des 19. Jh. wie neue Techniken (Akrobatik, Modern dance, Jazz, Action, spontane Bewegungsäußerung) anzueignen und sich experimentellen Zugängen der jüngsten Choreographengeneration offenzuhalten, die heute bisweilen extreme Wege geht, wie 1982 im Wiener Festival „Tanz 82" resümierend festzustellen war. Weltweit scheint seit den 60er Jahren der Trend zu sein, sich sowohl dem Volks-T. wieder anzunähern als auch höfische T.-Praktiken des 15.-18. Jh. wiederzubeleben. (Vergleichbare Tendenzen liegen z. B. in Indien vor, wo seit 1964 traditioneller, lange Zeit vernachlässigter Tempel-T. an geweihten Orten gelehrt wird. Abgesehen von folkloristischen Darbietungen, die in anderen asiatischen Ländern reisenden Touristen vorgeführt werden, scheint sich in Indien das System, in dem der T. ein Teil ist, bis 95
Tanzmeistergeige heute erhalten zu haben.) Von einer zunehmend größer werdenden Zahl von Anhängern wird vereinsmäßig für öffentliche wie halböffentliche Veranstaltungen traditionelles Volkstanzgut gepflegt und geholfen, jahreszeitlich gebundenes Brauchtanzen zu erhalten. Die T.-Musik zeitigte im 1.Jahrzehnt des 20. Jh., angezogen von den Reformen der Ballets Russes unter S. Diaghilew, eine große Zahl bedeutender Ballettkompositionen von Komponisten wie I. Strawinsky, Cl. Debussy, M. Ravel, A. Honegger, Fr. Poulenc u. a., die in berühmt gewordenen Choreographien heute noch das Repertoire bestimmen. Die sich an diesem Standard orientierenden Ballette nach dem 2. Weltkrieg konnten sich bis auf wenige Ausnahmen nur schwer behaupten. T.-Musik im Bereich des Gesellschafts- und unterhaltenden Schau-T.es, auch im Fernsehen, ist heute weitestgehend professionellen Arrangeuren, Bands und der Rock- wie Popszene überlassen. Der Bezug zur neuen Musik, die sich bis zum 19. Jh. als funktionale Musik verstand, fehlt seither nahezu ganz. T.-Kapellen müssen sich zu einem großen Teil auf das Repertoire vergangener Jahrhunderte stützen. 1) Gesamtdarstellungen: A. CZERWINSKI, Gesch. der Tanzkunst (L 1862, Nachdr. Mn 1975); F. M. BÖHME, Gesch. des T. in Deutschland (L 1886, Nachdr. Hil 1967); V. JUNK, Hdb. des T. (St 1930, Nachdr. Hil 1977); C. SACHS, Eine Weltgesch. des T. (B 1933, Nachdr. Hil 1976); P. NET'rL, T. u. Tanzmusik (Fr 1962); Tanzbibliogr. Verz. des deutschsprachigen Schrifttums über den Volks-, Gesellschafts- u. Bühnentanz, hrsg. v. K. PETERMANN, 3 Bde. (L 1965-81); F. RUST, Dance in Society (Lo 1969); R. LANGE, The Nature of Dance (Lo 1975). — 2) Zu einzelnen Epochen Lindern o. Aspekten: M. EMMANUEL, Essai sur l'orchestique grecque (P 1895, engl. 1916); F. APPLI, Die wichtigsten Ausdrücke für das Tanzen in den roman. Sprachen (HI 1925) ( — Zschr. für roman. Philologie Beih. 75); F. WEEGE, Der T. in der Antike (H11926, Nachdr. Hil 1976); E. BRUNNER-TRAUT, Der T. im alten Ägypten (Glückstadt 1938); E. L. BACKMAN, Den religiösa dansen inom kristen kyrke och folkmedizin (Sto 1945, engl. 1952); R. WOLFRAM, Die Volkstänze (Salzburg 1951); W. WIORA — W. SALMEN, Die Tanzmusik im dt. MA, in: Zschr. für Volkskunde 50 (1953); M. DOLMETSCH. Dances of Spain and Italy from 1400 to 1600 (Lo 1954, Nachdr. 1975); J. TEN BOKUM, De dansen van het Trecento (Utrecht 1967); W. TERRY, Modern Dance, in: The Dance Encyclopaedia, hrsg. v. A. Chujoy (NY 2 1967); G. WILLE, Musica Romana (A 1967); K. H. TAUBERT, Höfische Tänze. Ihre Gesch. u. Choreographie (Mz 1968); M. WEGENER, Musik U. T., in: Archaeologia Homerica III (Gö 1968); A. HARDING, An Investigation into Use and Meaning of Medieval German Dancing Terms (Göppingen 1973); M. HUET, Afrikan. Tänze (Kö 1979); Dance, in: Grove. V (mit ausführlicher Lit. zu den einzelner. Epochen u. Ländern); W. SALMEN, Ikonographie u. Choreographie des Reigens im MA, in: AMI 52 (1980); R. BECK-FRIIS, Dansnöjen genom tiden, I: Västeuropeiska danser frän medeltid och renässans (Sto 1980); E. REBLING, Die T.kunst Indiens (B 1981). — /Ballett, /Choreographie, /Gesellschaftstanz, /Volkstanz; vgl. auch die Lit. zu den genannten einzelnen Tänzen u. Personen sowie zu den Länderartikeln. G. BUSCH-SALMEN
TANZMEISTERGEIGE Pochette. 96
TAPISSIER, Jean (eig. Jean de Noyers), t vor August 1410; frz. Komponist. T. trat 1391 in den Dienst Herzog Philipps des Kühnen von Burgund in Dijon, in dessen Gefolge er Reisen nach Mailand, Avignon und Flandern unternahm. Nach Martin le Franc (Champion des dames, um 1440) gehörte er wie J. Carmen und J. Cesaris zu den Komponisten, die „ganz Paris in Erstaunen setzten". Doch sind die betreffenden Werke nicht erhalten, sondern nur 2 3st. Messesätze (Credo und Sanctus) und eine isorhythmische Motette. Ausg.: GA in: Early Fifteenth-Century Music, hrsg. v. G. REANEY, 1 (1955) (— CMM 11/1); die Messesätze auch in: Fourteenth-Century Mass Music in France, hrsg. v. H. STÄBLEINHARDER (1962) (— CMM 29). Lit.: H. BESSELER, Carmen, in: MGG II; G. REANEY, T., in: MGG XIII; C. WRIGHT, T. and Cordier. New Documents and Conjectures, in: MQ 59 (1973).
TAR (persisch, = Saite). - 1) Bz. für eine im Iran und in Kaukasien verbreitete Langhalslaute. Das
Instrument hat ein tiefes bauchiges Korpus, das durch starke beidseitige Einschnürungen, von vorn wie eine 8 aussehend, in zwei ungleich große Hälften unterteilt ist. Die untere Hälfte ist dabei wesentlich größer als die obere. Die Decke besteht aus einer sehr zarten Tierhaut (Kuhherz, Fischblase, Leder aus dem Fell eines Lammembryos) oder seltener aus Pergament. An dem langen Hals sind bis zu 25 früher verschiebbare, heute meist feste Bünde angebracht. Die 4-6 oft doppelchörigen Saiten sind aus Messing und/oder Stahl. Der T. wird als Begleitinstrument zum Gesang, als Solound als Ensembleinstrument verwendet. Obwohl die Anzahl der Saiten auf den als T. bekannten Instrumenten wechselnd ist, ohne daß sich dadurch die Bz. ändert, gibt es verwandte Zupfinstrumente, bei denen durch einen entsprechenden Zusatz im Namen die Anzahl der Saiten angegeben ist, die allerdings nicht immer mit dem realen Saitenbezug übereinstimmt. Dazu gehören Langhalslauten wie der Du-tar = 2saitiger, Sě-tar = 3saitiger (davon Sitar, f Indien), Čar-tar = 4saitiger oder Pandž-tar = 5saitiger T.; die so bezeichneten Instrumente gehören jedoch nach ihren äußeren Merkmalen, vor allem wegen ihrer ganz anderen Korpusform, nicht zur Familie des T., sondern zu der des r Tanbar. - 2) Tar, Tarr (arab.), in den Ländern Nordafrikas Bz. für die -Schellentrommel ; in Algerien auch als Bandar bekannt. - r Daira, f Riqq. Lit.: Zu 1): R. G. CAMPBELL, Zur Typologie der Schalenlanghalslaute (Str — Baden-Baden 1968); S. EL MAHDI, La musique arabe (P 1972). M. BRÖCKER
TARANTELLA (it.). - i) Bz. für einen rituellen it. Tanz, dessen Name sich von der Tarantel, einer
Tarare nach der südit. Stadt Tarent (Taranto) genannten Spinne (Lycosa tarantula), ableitet. So wird u. a. noch 1787 von dort berichtet, daß sich seit dem 15. Jh. die Opfer des Tarantelbisses ihrer Heilung wegen einem zügellosen Tanz hingeben mußten, der manchmal länger als 12 Stunden dauerte (Ch. Compan, Dictionnaire de la danse). Im 16. Jh. hieß ein Fest, an dem alle teilnahmen, die an dieser Krankheit gelitten hatten, „I1 Carnavaletto delle Donne". Heute ist nachgewiesen, daß der Biß dieser Spinne ungefährlich ist; man nimmt jedoch an, daß die ihn begleitenden Symptome (sog. Tarantismus) denselben Ursprung haben wie z. B. der Veitstanz. Der Kranke fiel in eine tiefe Melancholie, dann in eine Art völliger Gefühllosigkeit, aus der er nur mit musikalischen Rhythmen herausgerisšen werden konnte, die in ihm eine wahre Tanzwut auslösten. Ähnliche Therapien finden sich auch außerhalb Italiens und haben sich bis in die neuere Zeit erhalten (z. B. in Dalmatien). Die Musik solcher Tänze, die u. a. von A. Kircher (Magnes sive de arte magnetica, 1641) überliefert ist, steht häufig im %-Takt. - 2) Unabhängig von dem beschriebenen rituellen und therapeutischen Sachverhalt gibt es die T., bezeugt seit dem 18. Jh. in Süditalien, vor allem in Neapel, als lebhaften Volkstanz generell im 'A- oder %-Takt. Von einem Melodieinstrument (Flöte) unter Begleitung von Tamburin und Kastagnetten ausgeführt, ist eine Melodik meist in Sekundschritten mit den Rhythmen J7: .7: und J 1` J 1' charakteristisch. Die formale Gliederung ist meist so, daß einem 1. Teil in Moll mit 2 oder 3 Reprisen ein gleich langer Teil in Dur folgt (wie in vielen neapolitanischen Volksliedern), darauf erklingt die Reprise des 1. Teils mit einer langen, immer schneller werdenden Coda. Die T. ist ein Werbetanz und wird von Paaren in 2 langen Reihen mit lokalen Unterschieden in der Choreographie getanzt. Häufig kommt es dabei zu einer geradezu bacchantischen Ekstase und Ausdauer. In die Kunstmusik hat die T. seit dem frühen 19. Jh. häufig Eingang gefunden, vor allem als Charakterstück für Klavier. Frühestes Beispiel ist das Finale der Klv.-Sonate e-moll von C. M. von Weber (1822); am bekanntesten wurden Fr. Chopins T. op. 43 und Fr. Liszts T. aus seinem Klavierwerk Venezia e Napoli (um 1840). Berühmte vokale T.s stammen von D. Fr. E. Auber (im 3. Akt von La muette de Portici, später für Klv. bearbeitet von Liszt, mit den charakteristischen Einleitungstakten im folgenden Beispiel)
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und von G. Rossini (La danza für SingSt und Klv., ebenfalls bearbeitet von Liszt sowie von O. Respighi in dem Ballett Der Zauberladen). T.Rhythmus als Ausdruck it. Lokalkolorits findet sich häufig in programmusikalischen Orchesterwerken, so bei F. Mendelssohn Bartholdy (Italienische Symphonie), R. Strauss (Aus Italien) und M. Reger (Ballettsuite op. 130). Eine bekannte T. im Bereich der Unterhaltungsmusik ist das Chianti-Lied von G. Winkler. Lit.: M. SCHNEIDER, La danza de espadas y la t., in: Anuario Mus. 2 (1947); R. PENNA, La t. Napoletana. Storia e leggende (Neapel 1963); M. SCHNEIDER — A. WÜRZ, T., in: MGG XIII.
TARARE, Opéra in 5 Akten und einem Prolog von A. Salieri, Text von P.A.C. de Beaumarchais. Ort der Handlung: Palast des Königs Atar (Axur) von Ormus. UA: 8.6. 1787 Paris (Opéra); EA in dt. Sprache: 1788 Preßburg; dt. EA: 23.3. 1804 Hannover; UA der erweiterten Fassung: 3.8. 1790 Paris; dt. EA (in dt. Sprache): 14.8. 1790 Frankfurt am Main. Salieris Meisterwerk bildet einen Meilenstein in der Entwicklung der frz. Tragédie lyrique zur Grand Opéra. Beaumarchais' theatralisches Konzept, die Musik dem Text unterzuordnen und so den revolutionären Charakter dieser dramatischen Darbietungsform deutlich hervorkehren zu können (von den Kritikern als „monstre dramatique" geschmäht), stützt Salieri mit einer Komposition, die ganz auf Situations- und Wortausdruck abgestellt ist: Auf geschlossene, für die Gattung „Oper" typische Gesangsformen verzichtete er nahezu völlig; an ihre Stelle treten variabel eingesetzte Formen des Accompagnato-Rezitativs. Die von V. Hugo in seiner Préface de Cromwell (1827) geforderte „confusion des genres" (Vermischung der Gattungen) ist in diesem Werk bereits antizipatorisch verwirklicht. - Das auf zahlreichen Verwicklungen basierende Intrigendrama erhält durch den mit allegorischen Figuren gearbeiteten Prolog Parabelcharakter. Der politisch brisante Inhalt war dem Pariser Publikum bereits Jahre vor der UA durch geschickt gesteuerte Lesungen Beaumarchais' bekannt. Man fieberte der Premiere entgegen; der Erfolg kannte (auch im entrüsteten Widerspruch) keine Grenzen. Schon im Juli/August 1787 wurden in Pariser Vorstadttheatern 12 Parodien gespielt. Mit einem die konstitutionelle Monarchie verherrlichenden Ballett-Schluß (ursprünglich geplant zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille) wurde das Werk 1790 wiederaufgenommen. Für Salieris Wirkungsort Wien verfaßte L. Da Ponte eine vieraktige Adaptation in it. Sprache (Axur, Ré d'Ormus; UA: B. 1. 1788 im Burgthea97
Tarditi ter; dt. EA: 1788 Leipzig; auf 2 Akte reduziert am 21. 11. 1789 in Dresden). Noch zu Beginn des 19. Jh. lief Tarare in neuer Übersetzung als Atar an mehreren dt. Bühnen. J. SCHLÄDER TARDTTI, Orazio, * 1602 Rom, t 18. 1. 1677 Forli; it. Komponist. Er war Kamaldulensermönch und wirkte 1624-39 zunächst als Organist in Arezzo, Murano und Volterra, dann 1639-45 als Domkapellmeister in Forli, Arezzo, Jesi sowie schließlich 1647-70 in Fačnza. Sein enorm umfangreiches Schaffen (hauptsächlich Kirchenmusik), das sich über nahezu ein halbes Jh. erstreckt, ist bislang noch nicht eingehend untersucht worden. Auffällig ist, daß T. anders als die meisten seiner oberitalienischen Zeitgenossen weder Werke im A capella-Stil noch solche mit der Gegenüberstellung von Concerto- und Ripienostimmen schrieb. WW (alle in Venedig gedruckt): 1) Geistliche WW (teilweise mit V.): 3 Slgen. Messen für 3-5 St. u. B.c.; Messen u. Psalmen für 2 St. u. B.c. (1668), 2 Slgen. für 3-4 St. (1640); 5 Slgen. Motetti a voce sola mit B.c. (1629, 1646, 1650, 1670 [21); 12 Slgen. Motetti cvncertati bzw. Sacri concentus für 1-5 St. u. B.c. (1622-70); 6 Slgen. Psalmen und Litaneien für 3-8 St. u. B.c. (1643-54). - 2) Weltliche WW: 2 Slgen. Arie a voce sola mit B.c. (1628, 1646); 2 Bücher Canzonette amorose für 2-3 St. u. B. c. (1642, 1647); Madrigale für 2-4 St. u. Lettera amorosa für 1 St. u. B. c. (1633), für 3 u. 5 St. (1639).
TARDO (it., = langsam), dem Wortsinn entspre-
chende, seltene Vortragsbezeichnung des 17. Jh. (z. B. bei H. Schütz). TÁROGATÓ (ungarisch). - 1) Seit 1533 bekannte Bz. für ein Rohrblattinstrument, wahrscheinlich für die Kegeloboe, die von den Türken im 16. Jh. in Ungarn eingeführt wurde. Das Instrument hatte 6-8 Grifflöcher und eine im oberen Teil zylindrische, dann bis zur ausladenden Stürze sich erweiternde konische Bohrung. Der Klang war laut und schrill, und das Instrument wurde hauptsächlich im militärischen Bereich, häufig zusammen mit der Trommel (OE Davul), verwendet. In der 2. Hälfte des 19. Jh. war das T. nur noch vereinzelt anzutreffen und wurde schließlich ganz aufgegeben. - 2) Weil das T. zu einem Symbol der ungarischen Unabhängigkeitsbewegungen geworden war, machte 1894-96 József V. Schunda in Budapest den Versuch, ein neues T. zu konstruieren. Daraus entstand ein T., das mit dem alten Instrument dieses Namens keine Ähnlichkeit mehr hatte, jedoch schnell Anklang fand und bis heute in Ungarn sehr beliebt ist. Es ist ein Holzsaxophon mit einem einfachen Rohrblatt, ähnlich dem der Klarinette, und mit einer langen, sich gleichmäßig erweiternden konischen Röhre. Statt der Grifflöcher hat das T. ein modernes Oboen-Klappensystem. Der in der Tiefe kräftige und leicht metallische, in der Höhe 98
weiche Klang des Instruments ist von dem der alten Kegeloboe völlig verschieden. Das T. wird fast immer allein und wegen seines kraftvollen und weittragenden Klanges vor allem im Freien gespielt. Es eignet sich besonders für den Vortrag von langsamen, getragenen Weisen. Sein Repertoire besteht daher auch überwiegend aus den sog. Kurutzenliedern, die teils zu Beginn des 18. Jh., zur Zeit der Unabhängigkeitsbewegung der Kurutzen, teils auch erst im 19. Jh. entstanden. Lit.: B. SÁROSI, Die Volksmusikinstr. Ungarns (L 1967) (- Hdb. der europ. Volksmusikinstr., Serie 1 / 1 ); G. GÁBRY, Le „tárogató", ancien chalumeau hongrois, in: Studia musicologica Academiae M. BRÖCKER Scientiarum Hungaricae 13 (1971).
TARR, Edward Hankins, * 15.6. 1936 Norwich (Connecticut); amerik. Trompeter und Musikforscher. Er studierte Trompete in Boston und Chicago und Musikwissenschaft an der Universität Basel (L. Schrade). 1968 gründete er das E.-T.Blechbläser-Ensemble, das Musik des Barock und der Renaissance auf originalen und zeitgenössische Musik auf modernen Instrumenten spielt. 1968-70 unterrichtete er an der Rheinischen Musikschule Köln, wurde 1969 1. Trompeter des Orchestra della RAI in Rom, ist seit 1972 Lehrer für historische Blasinstrumente an der Schola Cantorum Basiliensis und seit 1973 Dozent für Blechbläser-Kammermusik an der Musikhochschule Freiburg i. Br. Nach Modellen der Nürnberger Trompetenhersteller Hainlein, Ehe und Haas (16./ 17. Jh.) gelang ihm die Rekonstruktion ventilloser Barocktrompeten. T. veröffentlichte Die Trompete (Be 1977, 21978) u. a. einschlägige Aufsätze. TARTINI, Giuseppe, * 8.4. 1692 Pirano (Istrien), t 26.2. 1770 Padua; it. Violinist, Komponist und Musiktheoretiker. Von seinen Eltern für einen geistlichen Beruf bestimmt, erhielt T. seine erste Ausbildung bei den von Mönchen geleiteten Scuole Pie in Capodistria. Einem Klosteraufenthalt entzog er sich durch ein Studium an der Universität Padua (seit 1708). Nach dem Tod des Vaters heiratete er 18jährig - vermutlich unter falschen Angaben - die 2 Jahre ältere Elisabeth Premazore und mußte die Stadt verlassen. Er flüchtete in das Minoritenkloster in Assisi, wo er 3 Jahre autodidaktisch Violine studierte und wahrscheinlich von B. Černohorský (Padre Boemo), dem Kapellmeister des Klosters, Kompositionsunterricht erhielt. 1716 hörte er in Venedig den Violinisten Fr. M. Veracini. Von dessen Technik beeindruckt, setzte er seine intensiven Violinstudien fort. 1721 erhielt er die Stelle eines „primo violino e capo di concerto" an der Basilica di S. Antonio in Padua. 1723-26 lebte er als Kammermusiker des
Taschner Grafen Kinsky in Prag, wo er bei den Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Karls VI. mitwirkte. Nach Padua zurückgekehrt, gründete er 1727 eine in ganz Europa als „Scuola delle Nazioni" rasch berühmt gewordene Violinschule. Trotz mehrfacher Einladungen unternahm er keine Konzertreisen und wirkte lediglich bei religiösen Feierlichkeiten mit (u. a. in Parma, Bologna, Rom, Ferrara und Venedig). Während dieser Zeit beschäftigte er sich auch mit theoretischen Problemen der Musik. Gesprächspartner in diesen Fragen waren Padre A. Vallotti, Kapellmeister an S. Antonio, und der Astronom Graf Gian Rinaldo Carli ; außerdem stand er in Korrespondenz u. a. mit Padre Martini, Fr. Algarotti, König Friedrich II. von Preußen (dem er eines seiner Flötenkonzerte widmete) und J.-J. Rousseau. Das Ergebnis seiner Forschungen faßte T. in dem anspruchsvollen und schwerverständlichen Trattato di musica (1754) zusammen. Die Abhandlung rief zum Teil heftige Polemiken hervor, die T.s letzte Lebensjahre überschatteten, und fand auch in einer leichter faßlichen Form (De' principi dell'armonia musicale, 1767) keine breitere Anerkennung. Nur d'Alembert und Rousseau, der den Traktat ins Französische übersetzte, standen seinen Theorien aufgeschlossen gegenüber. Zu T.s Schülern gehörten P. Nardini und J. G. Naumann. WW: 1) Insti.-WW: Im Druck erschienen (A, P, Lo 1728 — um 1763): 9 Slgen. Sonaten für V. u. B.c. oder Vc.; 4 Slgen. Triosonaten; 5 Slgen. V.-Konzerte; L'arte del arco, ou L'art de l'archet, 38 (später 50) Variationen über die Gavotte aus A. Corellis op. 5, Nr. 10 (P 1758, mit zahlreichen Nachdr.); hsl. erhalten sind etwa 165 V.-Sonaten, darunter die „Teufelstriller-Sonate (1. Ausg. in: J. B. Cartier, L'art du violon, P 1798), etwa 40 Triosonaten, etwa 135 V.-Konzerte, je 1 Va.- u. Vc.-Konzert sowie einige weitere Ensemble-Sonaten u. -Concerti. — 2) Vokal-WW (alle hsl.): 3 Miserere für 3, 4 u. 5 St.; ein Stabat mater für 3 St. u. Org.; 2 Tantum ergo für 3 St.; ein Salve Regina für 4 St.; 20 Canzoncine sacre für 1-3 St. — 3) Schriften: Trattato di musica secondo la vera scienza dell'armonia (Padua 1754); De' principi dell'armonia musicale contenuta nel diatonico genere (ebd. 1767); Risposta di G. T. alla critica al di lui Trattato di musica di Mons. Le Serre di Ginevra (V 1767); Traité des agréments de la musique (P 1771); weitere Schriften sind hsl. erhalten.
Als Komponist wurde T. zunächst von A. Corelli beeinflußt, sowohl in formaler Hinsicht als auch in seinem Instrumentalstil. Den Schritt zu einer eigenständigeren Schreibweise vollzog T. vor allem durch eine individuellere thematische Gestaltung des 1. Satzes, durch eine ausdrucksmäßige Vertiefung des Adagio-Teiles und durch die Aufgabe des imitierenden Stils, der früher ganze Sätze beherrschte. Aber die Concerti und Sonaten seiner Reifezeit reflektieren nicht die allgemeine europäische Musikentwicklung zu Beginn der Klassik. Seit 1740 erhielten die langsamen Sätze ihre beson-
dere Gestalt. Sie waren gleichsam der Angelpunkt für T.s. Streben nach intensiverem musikalischem Ausdruck. Ihnen sind häufig literarische Zitate oder didaktische Anmerkungen in Versform (häufig chiffriert) als eine Art Motto vorangestellt, und sie scheinen einer „teoria degli affetti" zu folgen. Die Melodik der Adagios ist weich und vielgestaltig. Sie erscheint in schlichter Form oder mit ausgeschriebenen Verzierungen. T.s Trattato delle appogiature (gedruckt als Traité des agréments) ist der erste Traktat seiner Art und wendet sich sowohl an Violinisten wie an Sanger. T.s Einfluß auf seine Zeitgenossen war beträchtlich. Er beruht auf seiner Persönlichkeit als Violinist und Komponist, auf seinem Beitrag zur Verbesserung der Violine (Verlängerung des Bogens), auf seinen Forschungen zur Harmonik und Akustik (Entdeckung der Differenztöne) und auf seiner Lehrtätigkeit. Dennoch ist sein Ruhm rasch verblaßt, wenn man von der Beliebtheit einiger seiner Violinsonaten wie der mit dem „Teufelstriller" absieht. Erst im 20. Jh. wurden seine musikalischen und theoretischen Werke in großem Umfang in Forschung und Praxis neu entdeckt. Ausg.: Kompositionen: Le opere di G. T., 1. Reihe, hrsg. v. E. FARINA — C. SCIMONE (Mi 1971 ff.), bisher 11 Bde. Sonaten u. Konzerte. — 5 Canzoncine, in: MS 83 (Mi 1959). — Schriften: Trattato di musica, Nachdr. (Padua 1971) (— Le opere II, 1), dt. Übers.: Traktat über die Musik, hrsg. v. A. RUBELI (Düsseldorf 1966) ( — OrpheusSchriftenreihe ... 6); De' principi dell'armonia, Faks.Ausg. (Hil—NY 1970); dass. (Padua 1973) (— Le opere II, 2); Traité des agréments, Faks.-Ausg., hrsg. v. E. R. JACOBI (Celle — NY 1961). Lit.: M. DOUNIAS, Die Violinkonzerte G. T.s (Wb 1966, Nachdr. 1966) (mit themat. Ven.); M. GOLDIN, The Violinistic Innovations of G. T. (Diss. NY 1955); A. RUBELI, Das musiktheoretische System G. T.s (Diss. Z 1958, Winterthur 1958); P. BRAINARD, Die Violinsonaten G. T.s (Diss. Gö 1959) (mit themat. Ven.); A. PLANCHART, A Study of the Theories of G. T., in: JMTh 4 (1960); E. R. JACOBI, G. F. Nicolai's Manuscript of T.'s „Regole per ben suonare il violino", in: MQ 47 (1961) (mit Faks.Ausg. u. dt. u. engl. Übers.); L. PETROBELLI, T., Algarotti e la corte di Dresda, in: Anal. Mus. 2 (1965); P. BRAINARD, T., in: MGG XIII; P. PETROBELLI, G. T. Le fonti biografiche (V — Mi — Lo 1968); P. BRAINARD, Le sonate a tre di G. T. Un sunto bibliografico, in: RIMus 4 (1969); L. GINSBURG, T. (Mos 1969, dt. Z 1976); M. ABBADO, Presenza di T. nel nostro secolo, in: NRMI 4 (1970); M. PINCHERLE, Tartiniana (Padua 1972); M. STAEHELIN, G. T. Über seine künstlerische Entwicklung, in: AfMw 35 (1978).
TASCHNER, Gerhard, * 25.5. 1922 Jägerndorf (Böhmen), t 21.7. 1976 Berlin; dt. Violinist. Er studierte bei J. Hubay und Br. Huberman, war zunächst Konzertmeister im Stadttheater-Orchester in Brünn und 1941-45 1. Konzertmeister des Berliner Philharmonischen Orchesters. 1945-50 konzertierte er als Solist und wurde 1950 Professor an der Berliner Musikhochschule. W. Fortner widmete ihm sein Violinkonzert (1946). 99
TASSO, Torquato, * 11.3. 1544 Sorrent, t 25.4.
1595; it. Dichter. Nach einer bewegten Jugend stand er seit 1565 in Ferrara im Dienst der Familie d'Este, besonders des Herzogs Alfons II. Seit 1576 unter Verfolgungswahn leidend, befand er sich 1579-86 im Irrenhaus, führte dann ein unruhiges Wanderleben und starb kurz vor seiner Dichterkrönung durch Papst Clemens VIII. T., um dessen Leben sich viele Legenden rankten (etwa die Liebe zur Fürstin Leonore d'Este), erhielt durch J. W. von Goethe ein literarisches (Drama Torquato Tasso, 1790) und durch Fr. Liszt (symphonische Dichtung Tasso. Lamento e trionfo, 1849-54) ein musikalisches Denkmal gesetzt. T. ist eine der genialen Dichtergestalten der ausgehenden Renaissance und erlangte auch in der Musikgeschichte große Bedeutung. Sein Schäferspiel Aminta (1573) markiert einen wichtigen Punkt in der Entwicklung der literarischen und musikalischen r Pastorale im Vorfeld der frühen Oper. Viele Gedichte T.s (vor allem aus den Rime, 1591) und Teile aus dem Epos La Gerusalemme liberata (1575) wurden als Madrigale vertont, u. a. von Ph. de Monte, Cl. Merulo, G. Wert, L. Marenzio und Cl. Monteverdi. Aus dem Gerusalemme stammt ferner der Text zu Monteverdis Combattimento di Tancredi e Clorinda (1624). Und das gleiche Werk diente vor allem als Vorlage für viele Opernlibretti : als Ganzes bei V. Righini (1803), einzelne Episoden daraus unter dem Titel Armida u. a. bei J.-B. Lully (1686), N. Jommelli (1750), A. Salieri (1771), L. Cherubini (1782), Chr. W. Gluck (1783), J. Haydn (1784), G. Rossini (1817) und A. Dvořák (1908), in Erminia sul Giordano von M. Rossi (1633) und in Rinaldo von G. Fr. Händel (1711). Ausg.: GA, 2 Bde., hrsg. v. B. T. Sozzi (Tn 1955-56). Lit.: L FRATI, T. T. in musica, in: RMI 30 (1923); A. EINSTEIN, „Orlando furioso"and „La Gerusalemme Liberata", as Set to Music during the 16d und 17' Century, in: Notes 8 (1950/51); Bibliogr. essenziale tassina, hrsg. v. Comitato per le celebrazioni di T. T. (Mi 1957); P. NETTI., Bemerkungen zu den T.-Melodien des 18. Jh., in: Mf 10 (1957); A. A. ABERT, T., Guarini e l'opera, in: NRMI 4 (1970); N. PIRROTTA, Note su Marenzio e Tasso, in: FS L Ronga (Mi — Neapel 1973); P. FABBRI, T., Guarini e il „Divino Claudio". Componenti manieristiche nella poetica di Monteverdi, in: Studi musicali 3 (1974).
TASTE (engl.: key; frz.: touche; it.: tasto; span.: teda), Bz. für den einzelnen Hebel einer Tastatur oder t Klaviatur (OE Manual, t Pedal), der beim Niederdrücken eine je nach Instrument verschiedene mechanische Vorrichtung in Bewegung setzt, die Saiten anreißt (Cembalo, Spinett, Virginal), anschlägt (Clavichord, Klavier) oder abdrückt (Drehleier), bei einigen Idiophonen Stahlplatten, -röhren oder Glocken anschlägt (Celesta, Glocken100
spiel) oder bei der Orgel die gewünschten Pfeifenventile öffnet. Auch viele der im 20. Jh. entwickelten Instrumente, deren Klangerzeugung auf elektro-mechanische oder auf elektronische Weise erfolgt, sind mit T.n ausgestattet (r elektronische Orgel, f Elektrophone, r Hammondorgel, r Ondes Martenot, r Synthesizer). Die Anzahl der T.n ist je nach Instrument unterschiedlich groß. Sie sind meistens unterteilt in weiße Untertasten, die die Töne einer C-Dur-Skala ergeben, und in die etwas zurückliegenden, schmaleren schwarzen Obertasten für die fehlenden (Halb-)Töne der anderen Skalen. Die umgekehrte farbliche Anordnung ist vor allem bei Tasteninstrumenten des 18. Jh. übM. BRÖCKER lich gewesen. TASTENINSTRUMENTE (engl.: keyboard instruments; frz.: instruments à clavier; it.: strumenti a tastiera; span.: instrumentos de teda), Bz. für alle Instrumente, die mit /fasten ausgestattet sind (r Klaviatur), unabhängig von der Art ihrer Klangerzeugung. Zu den T.n gehören sowohl Saiteninstrumente (Cembalo, Clavichord, Klavier) als auch einige Idiophone (Glockenspiel, Celesta) und Blasinstrumente (Orgel, Regal) und seit einigen Jahrzehnten auch zahlreiche Instrumente, deren Klänge auf elektro-mechanische oder elektronische Weise erzeugt werden (r Elektrophone, r elektronische Orgel, t Hammondorgel, r Ondes Martenot, r Synthesizer). Die Tatsache, daß die Tasten nahezu aller T. in gleicher Weise angeordnet sind, führte in der Unterhaltungsmusik dazu, daß häufig ein einziger Musiker für mehrere akustische und/oder elektronische T. zuständig ist, der in neuerer Zeit deshalb auch gern zusammenfassend als Spieler von „keyboards" bezeichnet wird. M. BRÓCKER TASTO SOLO (it., = eine Taste allein; Abk.: t.s.),
im r Generalbaß (gelegentlich auch durch die Zahlen 0 oder 1 angezeigte) Anweisung, die betreffenden Töne ohne Akkordaussetzung zu spielen. TATRAI, Vilmos, * 7. 10. 1912 Kispest bei Budapest (heute Budapest); ung. Violinist. Nach dem Studium am Ungarischen Nationalkonservatorium (wo er 1946-53 selbst lehrte), war er seit 1933 Konzertmeister in verschiedenen Budapester Orchestern. Seit 1965 ist er Professor an der Fr.Liszt-Musikakademie in Budapest. 1946 gründete er das T.-Quartett, das bis heute zu den renommiertesten Ensembles gehört. Seine Mitglieder waren bzw. sind: V. T., 1. Violine; Albert Rényi, seit 1955 Mihály Szücs (* 27. 10. 1922 Debrecen), seit 1968 István Varkonyi (* 16.6. 1931 Budapest), 2. Violine; Jozseflványi, seit 1959 György Konrád
Taverner (5 18. 10. 1924 Szeged), Viola; Vera Denes, seit 1952 Ede Banda ( 5 6.4. 1917 Budapest), Violoncello. Seit 1952 konzertiert das Quartett häufig bei internationalen Musikfestspielen. Es trat wiederholt mit Beethoven- und Bartók-Zyklen hervor, widmet sich aber generell allen historischen Epochen bis zur Gegenwart. 1957 gründete T. außerdem das Ungarische Kammerorchester, ein Streicher-Ensemble aus Mitgliedern der Nationalphilharmonie, das mit T. als Konzertmeister ohne Dirigenten spielt. TATUM, Art, * 13. 10. 1910 Toledo (Ohio), t 5. 11. 1956 Los Angeles; amerik. Jazzmusiker (Pianist). In früher Kindheit fast völlig erblindet, spielte er in Nightclubs und im Radio und kam 1932 nach New York, wo er noch bei Fats Waller lernte. Nach kurzen Engagements in verschiedenen Bands war T. schon weltbekannt, als er 1943 ein eigenes Trio (mit Kontrabaß, Gitarre) gründete. Sein virtuoses Spiel gilt im Jazz bis heute als unerreicht. Lit.: J. G. JEPSEN, Discography of A. T. / Bud Powell (Brande/ Dänemark 1961).
TAUBER, Richard (eig. Richard Denemy), * 16.5. 1891 Linz, t B. 1. 1948 London; östr. Sänger (Tenor). T. studierte in Freiburg i. Br. und debütierte 1913 in Chemňitz als Tamino in W. A. Mozarts Zauberflöte. 1913-25 war er Mitglied der Dresdner Staatsoper, 1926-28 der Wiener Staatsoper, seit 1919 auch der Berliner Staatsoper. In all diesen Jahren war er einer der führenden lyrischen Tenöre mit einem breiten Repertoire von W. A. Mozart bis R. Strauss. Mit Fr. Lehár befreundet, wandte sich T. Anfang der 20er Jahre zunehmend der Operette zu und trug maßgeblich zum Erfolg von dessen Paganini, Der Z,arewitsch, Friederike und Das Land des Lächelns bei, in denen die tragenden Tenorrollen T. sozusagen auf die Stimme geschrieben sind. Daneben wirkte er auch in einigen frühen Tonfilmen mit. 1933 emigrierte er nach Wien, 1938 nach London; er trat am Covent Garden auf und gastierte in Amerika und Australien. T. komponierte selbst mehrere Operetten, die Musik zu seinen Filmen und Klavierlieder. Lit.: W. KORB, R. T. (W 1966); C. CASTLE — D. N. TAUBER, This Was R. T. (Lo 1971); 0. SCHNEIDEREIT, R. T. (B 2 1976).
TAUSCH, Franz, * 26. 12. 1762 Heidelberg, t 9.2. 1817 Berlin; dt. Klarinettist. Er war Schüler seines Vaters und bereits mit 8 Jahren Mitglied der Mannheimer Hofkapelle, der er 1778 nach München folgte. 1799 wurde er an die Berliner Hofkapelle engagiert und gründete 1805 in Potsdam eine „Pflanzschule" für Klarinettisten. T. war einer der bedeutendsten Klarinettisten seiner Zeit.
WW: Zahlr. Werke für Klar., u.a. 6 Duos für 2 Klar.; 3 Duos für Klar. u. Fag.; 2 Klar.-Konzerte u. 3 Concertanten für 2 Klar. Lit.: F. G. RENDALL, The Clarinet (Lo 1954, 21957); P. CLINCH, Clarinet Concerto no. 3 by F. T. (1762-1817), in: Studies in Music 8 (1974).
TAUSIG, Carl, * 4. 11. 1841 Warschau, t 17.7. 1871 Leipzig; poln. Pianist und Komponist. Er wurde als 14jähriger Schüler von Fr. Liszt und konzertierte seit 1858 öffentlich. Seit 1862 lebte er in Wien, mit J. Brahms bekannt, mit P. Cornelius eng befreundet und von R. Wagner geschätzt. 1865 wurde er, inzwischen eine europäische Berühmtheit, Hofpianist in Berlin und leitete dort 1866-70 eine Schule für „höheres Klavierspiel". Er war hochgebildet, aber im Umgang schwierig. Sein Spiel, ohne virtuose Allüren, galt gleichermaßen als technisch vollendet und schön wie als seelenlos und kalt. WW (sämtlich für Klv.): Salonkompositionen; Tägliche Studien, postum hrsg. v. H. Ehrlich; zahlr. Arrangements; Klv.-A. v. R. Wagners Die Meistersinger. — Er gab heraus J. S. Bachs Wohltemperiertes Clavier u. M. Clementis Gradus ad Parnassum. Lit.: R. SIETz, T., in: MGG XIII.
TAVERNER, John, * um 1490, t 18. 10. 1545 Boston (Lincolnshire); engl. Komponist. Er ist 1514 in London, 1525 als „clerus socius" in Tattershall und seit Ende 1526 als „informator choristarum" am Wolsey Cardinal College (heute Christ Church College) in Oxford nachweisbar. Eine Zeitlang ungerechtfertigt wegen Häresie im Gefängnis, verließ er 1530 Oxford und ging zurück in seine Heimatstadt, wo er nach kurzer kirchenmusikal. Tätigkeit im Rahmen der Guild of Corpus Christi mit wichtigen Verwaltungsaufgaben betraut wurde. WW (hsl. überliefert): 8 Messen für 4-6 St. u. 9 einzelne Messesätze; 26 Motetten für 2-5 Si; 3 Magnificat; einige engl. Adaptionen lat. Werke; 1 In nomine; 4 Partsongs.
T.s Werke repräsentieren im wesentlichen die letzte bedeutende Phase der vorreformatorischen Kirchenmusik in / Großbritannien. Sie sind von großer klanglicher Farbigkeit und meist in einem dichten imitatorischen Kontrapunkt geschrieben, mit Soggetti, die in der Regel einen C. f. kunstvoll umspielen. Der chorale C. f. bei den Worten „in nomine Domini" im Benedictus von T.s Messe Gloria tibi Trinitas wurde zum Modell für die typisch englische instrumentale Gattung des r In nomine. Ausg.: GA, hrsg. v. P. C. BUCK u.a. (Lo 1923-24, 1948, Nachdr. NY 1963) (— Tudor Church Music 1, 3 u. Anhang); The Six-part Masses, hrsg. v. H. BENHAM (Lo 1978) (— Early English Church Music 20). Lit.: D. STEVENS, T., in: MGG XIII; H. R. BENHAM, The Music of J. T. A Study and Assessment (1970) (— Diss. Univ. of Southampton); D. S. JOSEPHSON, J. T. A Documentary Study of His
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Taylor Life and Music (1972) (— Diss. Columbia Univ.); H. BENHAM, The Formal Design and Construction of T.'s Works, in: MD 26 (1972); DERS., The Music of T. A Liturgical Study, in: MR 33 (1972); D. JOSEPHSON, In Search of the Historical T., in: Tempo 101 (1972); I. SPEcroR, J. T. and the „Missa Gloria tibi Trinitas", in: MR 35 (1974); C. HAND, J. T., His Life and Music (Lo 1978); R. BOWERS — P. DOE, T., in: Grove° XVIII.
TAYLOR, Cecil Percival, * 25.3. 1933 New York ; amerik. Jazzmusiker (Klavier), Bandleader und Komponist. Er gründete 1956 ein eigenes Quartett, mit dem er unabhängig von Omette Coleman und Don Cherry zur Entwicklung des Free Jazz beitrug, und spielte mit späteren Gruppen Hard Driving Jazz, u. a. 1958 mit John Coltrane. Anfang der 60er Jahre entwickelte er ein starkes eigenes Profil und gehört seither zur Spitze der Avantgarde im Free Jazz. Seit den 70er Jahren tritt er mit seiner Free Jazz-Gruppe „Unit" auf. T. hat zu einer neuen Behandlung des Klaviers im Jazz gefunden; er verbindet ekstatischen Free Jazz und Clusters mit Elementen der modernen europäischen Konzertmusik. Eine starke Tendenz zur Atonalität bekundet sich u. a. in der Aufgabe der traditionellen Funktionsharmonik, doch werden durch schwerpunktmäßige Umspielung noch tonale Zentren angedeutet. Lit.: A. SPELLMAN, Four Lives in the Bebop Business (NY 1966, Lo 1967); R. ATKINS, C. T., in: Modern Jazz. The Essential Records, hrsg. v. M. HARRISON (Lo 1975); E. Jos-r, Free Jazz (Mz 1976).
TEAGARDEN, Jack (Weldon John), auch „Big T." genannt, * 20.8. 1905 Vernon (Texas), t 15. 1. 1964 New Orleans; amerik. Jazzmusiker (Posaune), Sanger und Bandleader. T. erhielt 1921 sein erstes Engagement, spielte bei Ben Pollack und Paul Whiteman und leitete 1939-47 eine vorzügliche Swing-Big Band. 1947-51 trug er wesentlich zum Profil der „Louis Armstrong All Stars" bei, spielte während der 50er Jahre immer wieder mit Armstrong, führte aber vor allem eigene Gruppen, gelegentlich mit seinem Bruder Charlie T. („Little T.") als Jazztrompeter. T. gilt als der bedeutendste weiße Posaunist des traditionellen Jazz. Typisch für sein Spiel waren virtuose Beweglichkeit, ausgeprägtes Melos und ein lyrisch-wehmütiger Ton, den er auch als Sänger pflegte. Berühmt sind seine verschiedenen Einspielungen des Basin Street Blues. Lit.: C. SMITH, J. T., in: Jazz Monthly 3 (1957); D. SMITH — L. GUTTRIDGE, J. T. The Story of a Jazz Maverick (Lo 1960, Nachdr. 1977).
TEBALDI, Renata, * 1.2. 1922 Pesaro ; it. Sängerin (Sopran). Sie studierte bei Carmen Melis in Parma und debütierte 1941 in Rovigo als Elena in A. Boitos Mefistofele. 1946 holte sie A. Toscanini 102
an die Mailänder Scala, wo sie auch bei der Vorstellung zur Wiedereröffnung des Opernhauses sang (Solopartien in G. Verdis Te Deum und der Preghiera in G. Rossinis Mose in Egitto). Mit sensationellem Erfolg trat sie erstmals 1950 am Covent Garden in London und 1955 an der Metropolitan Opera in New York auf und war in ihrer Glanzzeit ständiger Gast an den großen Opernbuhnen Europas und Amerikas. R. T., die eine der schönsten italienischen Stimmen dieses Jh. besitzt, wurde als führende lyrische Sopranistin vor allem in den Opernpartien Verdis und G. Puccinis gefeiert; sie verband Intonationsreinheit mit technischer Souveränität und Eleganz des Vortrags. Auch als Konzertsängerin fand sie große Resonanz. Lit.: W. PANOFSKY, R. T. (B 1961); H. RosENTHAL, R. T., in: Great Singers of Today (Lo 1966); K. HARRIS, R. T. An Authorised Biography (NY 1975).
TECHNIK. Im antiken Griechenland umfaßte der Ausdruck „techně" die Gesamtheit der Künste und Fertigkeiten in Handwerk, Gewerbe und Kunst. Im MA wurde dieser Begriff als „ars” übersetzt in deřBedeutung einer Synthese von scientia und usus, also von Wissenschaft und Praxis. Vom 18. Jh. an sah man in der T. als dem Erlernbaren und „Mechanischen" künstlerischer Tätigkeit einen Gegensatz zur „Kunst", d. h. einer auf Inspiration beruhenden, geistgetragenen Gestaltung. Die T. im heutigen Sinne als derjenige Bereich menschlichen Denkens und Tuns, in dem die Erkenntnisse der Naturgesetze für das praktische Leben nutzbar gemacht werden, wirkt vor allem über das Instrumentarium auf die Musik ein: von der Knochenflöte über die handgefertigte Violine bis zur Maschinenpauke. Im 20. Jh. gewann die T. sowohl im Bereich der Tonerzeugung (r Elektrophone) als auch auf dem Gebiet der Schallaufzeichnung, -wiedergabe und -verbreitung immer größere Bedeutung. Die Musik kennt außerdem den Begriff der Instrumental-T. im Sinne der kunstfertigen, methodisch entwickelten Handhabung eines Instruments (Spiel-T.) oder der Beherrschung physiologischer Vorgänge bzw. motorischer Abläufe (Gesangs-, Atem-T. der Sänger und Bläser bzw. Schlag-T. des Dirigenten). Bei der r Interpretation von Musik wird nach heutigem Maßstab technische Perfektion zwar als Voraussetzung, aber nicht als absoluter Wert betrachtet. T. schließlich im ursprünglichen Sinne als „Gesamtheit aller Regeln der Kunst" wird in der Musik als Kompositions-T. bezeichnet. Sie umfaßt die eher handwerkliche Seite des musikalischen
Te Deum Schaffens, etwa Satz-T. und Instrumentation. Daneben wird der Ausdruck T. auch als Synonym für „Verfahren" auf spezielle kompositorische Stilmittel angewandt (z. B. Variations-, Stimmtausch-, Zwölfton-, imitatorische T.). Lit.: H. MATZKE, Grundzüge einer musikal. Technologie (Breslau 1931); DERS., Unser techn. Wissen von der Musik (Lindau 1949, 11950); F. K. PRIEBERG, Musik des techn. Zeitaltes (Z— Fr 1956); DERS., Musica ex machina (B — F— W 1960). E. PLATEN
TE DEUM, Te Deum laudamus (lat., = Herr Gott, dich loben wir), ist der von der Legende den Kirchenvätern Ambrosius und Augustinus zugeschriebene „ambrosianische" Lobgesang, dessen aus verschiedenen Quellen kunstvoll geformter Prosatext im Antiphonar von Bangor (um 690, aus dem irisch-keltischen Bereich) erstmals aufgezeichnet wurde. Den Klosterregeln des Benedikt von Nursia sowie Caesarius und Aurelianus von Arles zufolge war das T. in der 1. Hälfte des 6. Jh. in Italien und Südfrankreich verbreitet und bildete den Abschluß des monastischen Nachtofťiziums. Aus diesen Anfängen wurde das T. als Abschluß Bestandteil der r Matutin, ausgenommen die Advents- und Fastenzeit. An besonderen Festtagen, bei Bischofs- und Abtsweihen, Fronleichnams-, Reliquien- und Dankprozessionen sowie bei Messen zu politischen Anlässen (Krönungen, Fürstentaufen usw.) bildete es als Lob-, Dank- und Bittgesang den Abschluß. Ungeklärt ist, ob Niketas von Remesiana (t 441) der Autor des Textes ist. Inhaltlich gliedert sich das T. in 3 Abschnitte: 1. Der Lobpreis Gottvaters ist symmetrisch um das Sanctus gestaltet und wird von der (wahrscheinlich jüngeren) Doxologie beschlossen. 2. Der christologische Teil mündet in das Fürbittgebet Te ergo quaesumus. 3. Abschließende Psalmversikel krönen den Lobpreis. - Für das chorale T. sind 2teilige psalmodische Rezitationsformeln charakteristisch, die zum ältesten Bestand liturgischer Gesänge gehören. Zur Überlieferung der Melodien geben die Musica enchiriadis (Ende 9. ih.) und Guido von Arezzo Hinweise mit Melodiezitaten. Verbreitung und die spätere Übernahme durch M. Luther führten zu Varianten und Neubildungen. In der römischen Kirche stehen heute 4 Melodien zur Verfügung: 1. Der Tonus simplex ; 2. der melodisch reichere Tonus solemnis, der häufig mehrstimmigen Bearbeitungen als C. f. zugrunde liegt; 3. der Tonus juxta morem Romanorum; 4. der Tonus des monastischen Antiphonale. - Bereits für das 9. Jh. sind dt. Übersetzungen nachweisbar, die die Bedeutung des Gesanges für die Volksfrömmigkeit bezeugen; seit dem 16. Jh. gehört die Nachdichtung als Kirchenlied zum festen
Bestand ev. und kath. Gesangbücher (Großer Gott, wir loben dich; Herr Gott, dich loben wir). Die älteste mehrstimmige Bearbeitung des T. ist ein als Fragment erhaltenes Ms. aus der 2. Hälfte des 13. Jh. aus Cambridge. Erst im 15./16. Jh. begegnet das mehrst. T. wieder und bildet mit Magnificat und Hymnen einen Sonderbereich motettischer Sätze. Von den zahlreichen nachweisbaren Kompositionen stammen die meisten von reformatorischen Komponisten. Die überwiegend hsl. Überlieferung läßt auf lokale Bestimmung schlieBen. In vielen motettischen T. ist die versweise Komposition gemäß dem 1 st. T. beibehalten, die überwiegende Zahl der Kompositionen jener Zeit berücksichtigt im Sinne der Alternatim-Praxis nur jeden 2. Vers ; Unterstützung (auch des choralen T.) durch Orgel oder andere Instrumente, besonders Trompeten, ist vielfach belegt. Im ev. Bereich waren Vertonungen des lat. Textes üblich, solche auf dt. Übersetzungen selten. Die 7 T. des M. Praetorius (in Musae Sioniae III, V, VII und Urania) folgen der lat. Tradition. Im Barock wird das T. zu einer der repräsentativ prunkvollen Kompositionen konzertanter Kirchenmusik, die im Zusammenhang mit dem politischen und gesellschaftlichen Leben standen; Sondereffekte wie Glocken oder Kanonen in einigen T. betonen dies. Herausragend sind die T. von M.-A. Charpentier (aus einem von ihnen stammt die Eurovisions-Fanfare), J.-B. Lully (zur Taufe seines Sohnes 1677 geschrieben, dessen Pate Ludwig XIV. wurde) und 4 von J. A. Hasse, davon eines zur Einweihung der Dresdner Hofkirche 1751. A. Caldaras T. entstand zur Taufe des späteren Kaisers Joseph II., H. Purcell und G. Fr. Händel vertonten die seit Mitte des 16. Jh. bekannte engl. Version. Von den T. W. A. Mozarts (KV 141) und der Brüder Haydn ist das für Maria Theresia komponierte Hob. XXIIIc: 2 von J. Haydn das bedeutendste. Neben historisierenden kleineren T. wie dem F. Mendelssohn Bartholdys von 1827 nahmen die T.-Kompositionen im 19. Jh. Dimensionen an, die an Pracht- und Klangentfaltung den Maßstab von Oper und Symphonik legten. Die wichtigsten stammen von H. Berlioz (1854), Fr. Liszt (1859), A. Bruckner, A. Dvořák (1892) und G. Verdi (1896). Im 20. Jh. haben veränderte kompositorische und kirchenmusikalische Auffassungen auch z. T. den Charakter des T. 'erändert. Neben größer besetzten Werken von G. Raphael (1930), J. Haas (1945) und E. Pepping (1956) entstanden das T. für Doppelchor und Bläser von S. Reda (1950) und das T laudamus deutsch von K. Huber (1955/56) aus kirchenmusikalischer Neubesinnung. Das Meißener T. von W. Hufschmidt, zur 1000-Jahr-Feier des Bis103
Teichmüller turns Meißen 1968 geschrieben, bezieht einen fragenden Gegentext von Günter Grass ein. Lit.: Das einstimmige T.: W. BÄUMICER, Das kath. dt. Kirchenlied in seinen Singweisen I (Fr 1883, 21886, Nachdr. Hil 1962); P. WAGNER, Das T., in: Gregor. Rundschau 7 (1907) (z. musikal. Form grundlegend); DERS., Einführung in die gregor. Melodien III (L 1921, Nachdr. Hil — Wie 1962); J. PASCHER, Das Stundengebet der röm. Kirche (Mn 1954); E. KÄHLER, Stud. zum T. u. zur Gesch. des 24. Psalms in der Alten Kirche (Gö 1958) (z. Textgesch. grundlegend), dazu: J. A. JUNGMANN, in: Zschr. für kath. Theologie 81 (1959); O. BRODDE, Ev. Choralkunde, in: Leiturgia. Hdb. des Ev. Gottesdienstes, IV: Die Musik des ev. Gottesdienstes (Kas 1961); P. RADÓ, Enchiridion liturgicum, 2 Bde. (R 1961, 2 1966). — Das mehrstimmige T.: P. GRIESBACHER, Bruckners T. Studie u. Führer (Rb 1919); W. KIRSCH, Grundzüge der T.-Vertonungen im 15. u. 16. Jh., in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); H. OSTHOFF, Das T. des Arnold von Bruck, in: FS F. Blume (Kas 1963); W. KIRSCH, Varianten u. Fragmente des liturg. T.-Textes in den mehrst. Kompositionen des 15. u. 16. Jh., in: Kmib 48 (1964); DERS., Die Quellen der mehrst. Magnificat- u. T.-Kompositionen bis z. Mitte des 16. Jh. (Tutzing 1966) (mit umfassender Bibliogr.); DERS., Zur Kompositionstechnik der mehrst. Alternatim-T. im 15. u. 16. Jh., in: Anuario Mus. 22 (1967); E. SCHMIDT, W. Hufschmidts „Meiüener T.", in: MuK 38 (1968). G. SCHUHMACHER
TEICHMÜLLER, Robert, * 4.5. 1863 Braunschweig, t 6.5. 1939 Leipzig; dt. Pianist und Musikpädagoge. Er studierte am Leipziger Konservatorium Klavier (C. Reinecke) und Theorie (S. Jadassohn), verzichtete aus gesundheitlichen Gründen auf eine Virtuosenkarriere und wirkte seit 1897 als Leiter einer Klavierklasse am Leipziger Konservatorium (1908 Professor). T. gehörte zu den namhaftesten und einflußreichsten Klavierpädagogen seiner Zeit. Er gab Klavierwerke von C. Ph. E. und J. S. Bach, W. A. Mozart, E. MacDowell, M. Reger und A. Rubinstein heraus und veröffentlichte mit Kurt Hemmann Internationale
moderne Klaviermusik. Ein Wegweiser und Berater (L 1927; Nachtrag 1934). Lit.: A. BARESEL, R. T. u. die Leipziger Klaviertradition (L 1934).
TEILTÖNE, Partialtöne, in der Akustik Bz. für den Grundton und die dazugehörigen, mehr oder weniger stark hervortretenden " Obertöne eines musikalischen Tones. TE KANAWA, Kiri, * 6.3. 1944 Gisborne (Neuseeland); neuseeländische Sängerin (Sopran). Sie studierte bei Vera Rosza am Opera Centre in London, wurde 1969 Mitglied der New Zealand Opera Company und gastierte mit diesem Ensemble 1970 bei der Weltausstellung in Osaka. Noch im selben Jahr kam sie an den Covent Garden in London und sang seither an den bedeutenden Opernbühnen Europas. 1974 wurde sie an die Metropolitan Opera in New York verpflichtet. Zu ihren erfolgreichen Rollen, mit denen sie zu einer der führen104
den Vertreterinnen ihres Fachs wurde, gehören die Mozartpartien der Gräfin, Fiordiligi und Elvira. Lit.: M. BARICHELLA, Kiri te Kanawa, in: Opéra (1975).
TELEMANN, Georg Philipp, * 14.3. 1681 Magdeburg, t 20.6. 1767 Hamburg; dt. Komponist. Er war der Sohn des einer Pastorenfamilie entstammenden Magdeburger Diakons Heinrich T. (1646-1685) und besuchte die Gymnasien in Magdeburg, Zellerfeld und Hildesheim. Als Instrumentist und Komponist weitgehend Autodidakt, führte er bereits 1693 in Magdeburg eine (verschollene) Oper Sigismundus auf. Nach instrumentaler Weiterbildung und nach Kompositionsstudien in Zellerfeld schrieb er in Hildesheim (verschollene) Musik zu Schuldramen des Gymnasialdirektors Johann Christoph Lossius und vertonte dessen Singende Geographie. Auch leitete er die Kirchenmusik im Kloster St. Godehard. Reisen nach Braunschweig und Hannover brachten ihn mit frz. Instrumentalmusik und mit der it. Oper in Berührung. Über Magdeburg und Halle/Saale wandte sich T. im Herbst 1701 nach Leipzig und bezog die Universität. Das begonnene Jurastudium gab er jedoch bald auf, nachdem ihn der Leipziger Rat mit der Komposition von Kantaten für die Thomaskirche (im Wechsel mit J. Kuhnau) beauftragt hatte. 1702 gründete er ein studentisches Collegium musicum, das öffentlich musizierte; im selben Jahr übernahm T. auch die Leitung der Leipziger Oper, an der er mehrere eigene Bühnenwerke herausbrachte. 1704 wurde er zum Organisten und Musikdirektor an der Neuen Kirche bestellt. Im Sommer(?) 1705 ging er als Kapellmeister an den französisch orientierten Hof des Grafen Erdmann zu Promnitz nach Sorau in Brandenburg, für den er überwiegend Orchestersuiten komponierte; bei Reisen des Hofes nach Pleß in Oberschlesien und nach Krakau lernte er die „barbarische Schönheit" polnischer Volksmusik kennen. Unter dem Druck der Kriegsereignisse wandte sich T. im Herbst 1706 nach Eisenach und wurde Konzertmeister, später Kapelldirektor der Hofkapelle; 1709 heiratete er hier Louise Eberlin (t 1711). Außer vielen Kammermusikwerken, Konzerten und weltlichen Kantaten entstanden hier die ersten Jahrgänge geistlicher Kantaten. 1712 wurde T. städtischer Musikdirektor und Kapellmeister der Barfüßer-, dann auch der Katharinenkirche in Frankfurt am Main. Neben der Komposition von Kirchenkantaten und städtischer Gelegenheitsmusik widmete er sich der Reorganisation des Collegium musicum der Gesellschaft Frauenstein, mit dem er seit 1713 öffentliche Konzerte veranstaltete und außer zahlreichen eigenen Instrumentalwerken verschiede-
Telemann
ner Besetzung sein erstes Oratorium aufführte (Brockes Passion, 1716). 1714 schloß er mit Katharina Textor, die ihn 1736 verließ, seine wenig glückliche zweite Ehe. Zwischen 1715 und 1718 publizierte T. 4 Sammlungen Kammermusik. 1717 wurde er vom Eisenacher, 1723 vom Bayreuther Hof gegen die Lieferung von Kompositionen zum Kapellmeister „von Haus aus" ernannt; 1716 wurde ihm vom Gothaer, 1717 vom Weimarer Hof das Hofkapellmeisteramt angeboten. Im Sommer 1721 trat T. als Musikdirektor und Kantor am Johanneum in den Dienst der Stadt Hamburg: für die 5 Hauptkirchen hatte er regelmäßig Kantaten und alljährlich eine Passion, außerdem auch Kantaten zu besonderen kirchlichen Gelegenheiten zu schreiben und daneben für traditionelle Veranstaltungen der Stadt und für politische Anlässe Festmusik zu liefern. Auch hier reorganisierte er das (um 1660 von M. Weckmann gegründete) Collegium musicum und veranstaltete mit ihm Öffentliche Konzerte. Eine 1722 erfolgte Bewerbung um das Leipziger Thomaskantorat zog er noch im selben Jahr zurück. 1722-37 leitete T. die Hamburger Oper und schrieb für sie zahlreiche Bühnenwerke. Die 1715 in Frankfurt begonnene Publikation einzelner Werkserien setzte er, beginnend mit dem Kantatenjahrgang Der Harmonische GottesDienst (1725/26), in großem Stile fort. Im Herbst 1737 unternahm er eine längere Reise nach Paris, deren großer Erfolg ihm endgültig internationalen Ruhm sicherte. Nach der Herausgabe zahlreicher, z. T. pädagogisch ausgerichteter Kammermusikwerke beendete er 1740 seine Publikationstätigkeit. Gleichzeitig ging seine kompositorische Produktion merklich zurück: Erst nach 1755 trat T. mit großen Oratorien wieder an die Öffentlichkeit. Er starb als ein hochgeehrter Mann. WW (die Drucke teilweise mit mehreren Aufl.): 1) Instr.-WW: a) Für Klv.: Sept fois sept et un menuet (H 1728); Zweytes Sieben mal Sieben (H 1730); XX kleine Fugen (H 1731); Fantaisies pour k clavessin (H 1733); Fugues légéres & Petits jeux (H 1738-39); Fugirende und verändernde Choräle (H 1735); VI Ouvenuren nebst zween Folgesätzen (Nil vor 1750 u. 1749). - b) Kammermusik ohne B.c.: 12 Fantaisies für Fl. (H 1732-1733); Fantaisie für V. (H 1735); Sonaten für 2 Fl. oder V. oder Blockfl. (H 1727 u. ö.); Canons mélodieux ou VI sonates für 2 Fl. oder V. oder Gamben (P 1738); Duos(second livre) für 2 Fl. oder V. oder Ob. (P 1752); 8 Sonaten für 2 Fl. hsl. - e) Kammermusik mit B.c.: Sonaten (F 1715) u. Sonatinen (ebd. 1718) für V. (F 1715); Kleine CammerMusic bestehend aus VI Parthien für V. oder Fl. oder Ob. (F 1716); Sonate metodiche, Continuation des sonates méthodiques (1728 u. 1732); Xll Solos für V. oder Fl. (H 1728, 1732 u. 1734); 17 weitere Sonaten hsl. - Trios für verschiedene Besetzungen (F 1718); Musique héroïque ou XII Marches für 2 Ob. (H 1728); III Trietti metodici für 2 Fl. oder V. (H 1731); Six concerts et six suites für Cemb. u. Fl. oder verschiedene andere Besetzungen (H 1734); Scherzi melodici (Pyrmonter Kurwoche) für V. u. Va. (H 1734); Sonates corellisantes für 2 V. oder Fl. (H 1735); 82 weitere Triosonaten (hsl). - Quadri für V., Fl. u. Va. da gamba oder Vc. (H
1730); Six quatuors für 2 H. (oder V.) u. 2 Vc. (oder Fag.) (H 1733); Nouveaux quatuors en six suites für Fl., V., Gambe oder Vc. (P 1738); Quatričme livre de quatuors für Fl., V. u. Va. (P nach 1739); 23 weitere Quartette und 9 Quintette hsl. - d) Für Orch.: Erhalten sind etwa 125 (von ca. 1000?) Suiten, darunter 6 Ouvertures à 4 ou à 6 für Str. u. Hörner ad lib. (H 1736); 7 Sinfonien; 2 Divertimenti u. ca. 120 Solokonzerte oder Gruppenkonzerte. - e) Sammeldrucke: Der getreue Music-Meister (H 1728/29) (17 Stücke aus Opern, eine Kantate, 2 Lieder u. 2 Stücke für Klv., eine Sonate für Va. da gamba ohne B.c. sowie mit B.c., 2 Triosonaten u. 2 Trios, 10 Sonaten u. 7 Stücke u. eine Triosonate, außerdem 16 Stücke v. anderen Komponisten); Musique de tablet-Ill (H 1733) (darin je eine Ouvertürensuite, ein Quartett, ein Konzert, eine Triosonate, eine Solosonate mit B. c. u. ein Orch.-Conclusion); Essercizi musicali overo Dodeci soli e dodici trii a diversi stromenti (H nach 1739) (2 Klv.-Suiten, 10 Sonaten mit B.c. u. 12 Triosonaten). - 2) Vokal-WW: a) 114 Oden u. Lieder, darunter die Slgen. Singe-, Spiel- u. Generalbass-Übungen (H 1733/34), 24 theils ernsthafte, theils scherzende Oden (H 1741) u. 35 Lieder, in: J. C. Lossius, Singende Geographie (Hil 1708). - b) Fast allgemeines Evangelisch-musicalisches Liederbuch (H 1730); 12 geistliche Canons mit 2, 3 u. 4 Stimmen (H 1735 oder 1736). - c) Etwa 1400 geistliche Kantaten, darunter die Jahrgänge Harmonischer Gottes-Dienst (H 1725/26), Auszug derjenigen musicalischen und auf die gewöhnlichen Evangelien gerichteten Arien (H 1727), Fortsetzung des Harmonischen Gottes-Dienstes (H 1731/32), Musicalinches Lob Gottes (NO 1744) sowie ein unbetitelter Jahrgang (Hermsdorf 1748); 51 geistliche Gelegenheitskantaten hsl. - d) 10 „Kapitänsmusiken" (jeweils Oratorium u. weltl. Serenade) für Hamburg (hsl. 1724-63); 6 weitere Serenaden. - Weltl. Kantaten: 3 gedruckte Slgen., z.T. Moralische Kantaten (H 1731, 1735-36, 1736-37); zahlr. weitere (auch Werke zu politischen Gelegenheiten) hsl., darunter die Tageszeiten (1759) u. Ino (1765). - e) Oratorien (hsl., meist für Frankfurt; mit Angabe des Textdichters): lm Druck: Music vom Leiden und Sterben des Welt Erläsers (Nü 1745-49). Hsl.: Der für die Sünde der Welt gemarterte Jesu (1716; B. H. Brockes); Seliges Erwägen des Leidens und Sterbens Jesu Christi (1728; Telemann); Die gekreutzigte Liebe oder Tränen über das Leyden und Sterben unseres Heilandes (1731; J. U. von König); Der Tod Jesu (1755; K. W. Ramler); Betrachtung der 9ten Stunde ... (1755; J. J. D. Zimmermann); Donnerode (1755, 1760; J. A. Cramer); „Sing unsterbliche Seele" u.„Mirjam, deine Wehmut" (1759; F. G. Klopstock); Das befreite Israel (1759; Zacharias); Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu (1760; Ramler); Die Auferstehung (1761; Zacharias); Der Tag des Gerichts 1762; Ch. W. Alers). - f) 20 Passionen; zahlr. Messen, dt. Psalmen, Motetten u.a. liturg. Kompositionen. - 3) Buhnen-WW: Opern (hsl., UA in Hamburg): Der geduldige Socrates (1721); Sieg der Schönheit (1722); Der neumodische Liebhaber Damon (1724); Adelheid (1727), Arien daraus (H 1727-28, 2 1733); Pimpinone, Miriways u. Die Lasttragende Liebe oder Emma und Eginhard (1728); Flavius Bertaridus(1729); Don Quichotte der Löwenritter (1761). Einzelne Arien aus weiteren Opern, in: Der getreue Music-Meister (s. o.). - 4) Schriften: Beschreibung der Augen-Orgel so P Castel in Paris erfunden (H 1739); Neues musicalisches System, in: L. C. Mizler, Neu.eröffnete musicalische Bibliothek 3 (L 1746), N. F., in: Unterhaltungen 3 (H 1767).
Mit seinem umfangreichen Schaffen, das alle Gattungen zeitgenössischer Kompositionspraxis einbezieht, dürfte T. der fruchtbarste Komponist des 18. Jh. gewesen sein; die Möglichkeit freilich, sein (Euvre gänzlich übersehen zu können, ist bis heute noch nicht gegeben. - Schon als 40jähriger genoß T., wie die Subskriptionsverzeichnisse seiner Musique de table (1733) und der während des erfolgrei105
Telemann chen Pariser Aufenthaltes (1737/38) entstandenen Nouveaux quatuors beweisen, europäischen Ruhm. Die führenden dt. Theoretiker der Jahrhundertmitte (J. Mattheson, J. A. Scheibe, J. J. Quantz, Fr. W. Marpurg) schätzten ihn weit höher als z. B. J. S. Bach, der ihnen weniger bekannt war: Für sie war T. in allen Fragen der Komposition die große anerkannte Autorität. Vereinzelt galt er auch als Mitbegründer eines neuen Abschnitts der Musikgeschichte. Seinen Kompositionsstil beschreibend, bekannte T. 1729: „Erst war es der Polnische, dann folgte der Französische, Kirchen- und Cammer- und Opern-Styl und was sich nach dem Italiänischen nennt, mit dem ich denn itzo das mehreste zu tun habe." Auf der Basis der Kontrapunkttechnik des dt. Barock, des Formenreichtums der frz. Suite und der vergleichsweise modernen Technik des it. Concerto erstrebte T. in fast allen von ihm verwendeten Gattungen eine „natürlich" wirkende Musik, die nicht nur für den professionellen Musiker und zur Erfüllung traditioneller Aufgaben bestimmt war, sondern mit der er auch unmittelbar die Öffentlichkeit erreichen wollte. Speziell an diese wendete er sich mit der reorganisierenden Gründung von Collegia musica wie mit öffentlichen Konzerten. Das offizielle Amt, das er jeweils bekleidete, diente ihm, indem er dessen traditionelle Grenzen bewußt überschritt, als Ausgangspunkt für ein unmittelbares Eingreifen in das Musikleben der Öffentlichkeit: Durch T.s Wirken wurde der Musik, die bisher überwiegend ausschließlich bestimmte kirchliche, städtische oder höfische Funktion gehabt hatte, ein neuer Wirkungsraum zugewiesen und auch großenteils erschlossen. Dieser neu gewonnenen Öffentlichkeit und den Bedürfnissen des diese tragenden musikliebenden und im besten Falle auch musikausübenden Bürgertums Rechnung tragend, ist T.s Musik weitgehend geprägt von zahlreichen auf die weltoffene Sprache der Klassik vorausweisenden Details. T. ist ein Hauptvertreter der „galanten" Schreibart. Das beginnende 19. Jh. hatte ihn vergessen, und nach der Jahrhundertmitte stand er noch bis in das 20. Jh. hinein fast gänzlich im Schatten J. S. Bachs und wurde als ein „Vielschreiber" abgetan. Gekennzeichnet durch eine neuartige, nicht mehr dem Barock verpflichtete Klangstruktur, steht seine Musik für die Gegenwart ebenbürtig und gleichrangig neben der Musik J. S. Bachs und G. Fr. Händels. Ausg.: G. Ph. T., Musikalische Werke (Kas 1944ff.), bisher sind erschienen 1: 12 Methodische Sonaten; 2-5: Der Harmonische Gottes-Dienst;6-8: 24 Fantasien, 3 Konzerte, 24 Duosonaten ohne B.c.; 9: 6 Triosuiten; 10: 6 Orch.-Ouverturen; 11:6 Konzerte für Fl. u. konzertierendes Cemb.; 12-14: Musique de table; 15: Lukas-Passion 1728; 18/19: 12 Pariser Flötenquartette; 20: Der ge-
106
duldige Socrates; 21: Der neumodische Liebhaber Damon; 22: Das befreite Israel u. Donnerode; 23: 12 V.-Konzerte; 24: Pyrmonter Kurwoche u. Corellisierende Sonaten; 25: 6 Quartette oder Trios. - Einzel-Ausg.: 1) Instr.-WW: Fantaisies pour le clavessin, 3 Douzaines, hrsg. v. M. SEIFFERT (B 1923, Kas '1936, NY 1945). - 6 Sonaten für 2 Fl. oder V. ohne B.c. (1727), 2 Bde., hrsg. v. F. RIKKo (NY 1944); 6 Triosonaten, hrsg. v. W. KOLNEDER (Mz 1958); 12 FL-Sonaten, hrsg. v. G. HAUSSWALD (Kas o.J.); Corellisierende Sonaten für 2 V. oder Fl. u. B.c., hrsg. v. A. HOFFMANN, 2 H.e (Kas 1975) (- Nagels MA 248-249). - V.Konzert F-Dur aus der Tafelmusik, in: Instrumentalkonzerte dt. Meister, hrsg. v. A. SCHERING (L 1907) (- DDT 29/30); Musique de table, hrsg. v. M. SEIFFERT (L 1927) (- ebd. 61/62); Konzert B-Dur für 2 Fl., 2 Ob., V., Vc., Kb. u. B.c., in: Gruppenkonzerte der Bachzeit, hrsg. v. W. KRÜGER (L 1939) (- EDM, RD 11); Konzert a-moll (- Ouvertüre zu Emma u. Eginhard), hrsg v. H. CH. WOLFF (Kas O.J.)( - Hortus Mus. 32);Ouvertüre D-Dur u. tragikomische Suite, hrsg. v. W. HOBOHM (Wie 1981); Konzert c-moll für Ob. u. V., hrsg. v. K. BECKMANN(ebd.).-2) Vokal-WW: Singe-, Spiel- u. Generalballübungen, hrsg. v. M. SEIFFERT (B 1914, Kas' 1935); 24 Oden (1741), hrsg. v. W. KRABBE - J. KROMOLICKI (L 1917) (- DDT 57); Lieder u. Arien aus Der getreue Musikmeister (1728), hrsg. v. D. DEGEN (Kas 1951) (- Hortus Mus. 13). - Motette Werfet Panier auf, in: Thüringische Motetten der ersten Hälfte des 18. ih., hrsg. v. M. SEIFFERT (L 1915) ( DDT 49/50). - Singgedicht Der Tag des Gerichts u. die Kantate Ino, hrsg. v. M. SCHNEIDER (L 1907) ( - DDT 28) (mit Autobiographien T.$); Die Tageszeiten, hrsg. v. A. HEILMANN (Kas 1934); Weihnachtskantate Lobt Gott ihr Christen, allzugleich, hrsg. v. A. ADRIO (B 1946); Schulmeisterkantate, hrsg. v. F. STEIN (Kas 1951); Weihnachtskantate In dulci jubilo, hrsg. v. DEMS. (B 1957); Kanarienvogelkantate, hrsg. v. W. MENKE (Kas 1952); Kleines Magnificat, hrsg. v. E. PACCAGNELLA (R 1958); Singende Geographie, hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1960). - 3) Bühnen-WW: Pimpinone (1725), hrsg. v. TH. W. WERNER (Mz 1936) (- EDM, RD 6, Abt. IV/I). Lit.: 1) Dokumente, Briefwechsel, Biographien u. umfassende Darstellungen: Selbstbiographien dt. Musiker des XVIII. Jh., hrsg. v. W. KAHL (Kö 1948, Nachdr. A 1970); Beitr. zu einem neuen Telemannbild, hrsg. v. G. FLEISCHHAUER - G. LANGE (Magdeburg 1963) (mit Ausw.-Verz. des T.-Schrifttums v. W. Hobohm); Magdeburger T.-Stud. (ebd. 1966ff.); G. Ph. T. Ein bedeutender Meister der Aufklärungsepoche, 2 Teile, hrsg. v. G. FLEISCHHAUER - W. SIEGMUND-SCHULTZE (ebd. 1969) ( Konferenzber. der 3. Magdeburger T.-Festtage 1967); M. RUHNKE, Beziehungen zw. dem Leben u. dem Schaffen G. Ph. T.s, in: ebd.; K. GREBE, G. Ph. T. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1970); J. ALLIHN, G. Ph. T. u. J. J. Quantz (Magdeburg 1971); G. Ph. T., Briefwechsel, hrsg. v. H. GROSSE R. JUNG (L 1972); Musikal. Erbe u. Gegenwart. Musiker-GA in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. H. BENNWITZ u. a. (Kas 1972); G. FLEISCHHAUER, T. u. Klopstock, in: T. u. seine Dichter (Magdeburg 1978); E. THOM, T. u. Praetorius, in: ebd.; C. OEFNER, T. in Eisenach, in: Eisenacher Schriften z Heimatkunde 8 (Eisenach 1980); G. Ph. T. Singen ist das Fundament z Music in allen Dingen. Eine Dokumentenslg, hrsg. v. W. RACKwriz (L 1981). - 2) Stud. zu Werkgruppen u. den einzelnen Werken: M. SEIFFERT, G. Ph. T., „Musique de table" (L 1927) ( Beih.e zu DDT 2); W. MENKE, Das Vokalwerk G. Ph. T.s (Kas 1942) (- Erlanger Beitr. z Musikwiss. 3); W. BRAUN, B. H. Brokkes' „Irdische Vergnügungen in Gott" in den Vertonungen G. Ph. T.s u. G. Fr. Händeln, in: Händel-Jb. 7 (1955); E. VALENTIN, T. in seiner Zeit (H 1960) (- Veröff. der Hamburger T.-Ges. 1); G. GODEHART, T.s „Messias", in: Mf 14 (1961); M. RUHNKE, T. im Schatten v. Bach?, in: Gedenkschrift H. Albrecht (Kas 1962); G. FLEISCHHAUER, Die Musik G. Ph. T.s im Urteil seiner Zeit, in: Händel-Jb. 13/14 (1967/68) - 15/16 (1969/70); W. MAERTENS, G. Ph. T.s Hamburger „Kapitänsmusiken", in: FS W.
Temperatur Wiora (Kas 1967); R. PETZOLDT, G. Ph. T. (L 1967, NY 1974); G. VON DADELSEN, T. u. die sog. Barockmusik, in: Musik u. Verlag. FS K. Vötterle (Kas 1968); L. FINSCHER, Corelli u. die „corellisierenden" Sonaten T.s, in: Studi Corelliani. Kgr.-Ber. Fusignano 1968; A. HOFFMANN, Die Orchestersuiten G. Ph. T.s TWV 55 (Wb 1969) (mit thematisch-bibliogr. Werk-Verz.); S. KRoss, Das Instrumentalkonzert bei G. Ph. T. (Tutzing 1969) (mit thematischem Verz.); H. CH. WOLFF, Das Tempo bei T., in: BzMw 11 (1969); L. FÜREDI — D. VULPE, T. (Bukarest 1971); W. RACKwrrz, G. Ph. T.s Stellung in der Epoche der Aufklärung, in: Händel-Jb. 17 (1971); M. A. PECKHAM, The Operas of G. Ph. T. (1972) (— Diss. Columbia Univ.); H. FREDERICHS, Das Verhältnis v. Text u. Musik in den Brockespassionen Keisers, Händels, T.s u. Matthesons (Mn 1975); B. BASELT, G. Ph. T.s Serenade „Don Quichotte auf der Hochzeit des Comacho", in: HJbMw 3 (1978); M. RUHNKE, T., in: Grove" XVIII; W. MENKE, Themat. Verz. der Vokalwerke v. G. Ph. T., 2 Bde. (F 1982-83); M. RUHNKE, T. Themät.System. Verz. seiner Werke. T.-WerkW. PFANNKUCH verz. (7WW) (Kas usw. 1984)
nähernd gestimmte T.s, die mit Holzschlegeln oder solchen, deren Köpfe mit Gummi oder Filz überzogen sind, angeschlagen werden. Den Namen T. erhielt das Instrument wegen seiner Verwendung in ostasiatischen Tempeln. Der T. wurde zu Beginn des 20. Jh. zuerst durch Jazzbands bekannt und ist seit den 20er Jahren Bestandteil vieler Tanz- und Unterhaltungsorchester. Er hat einen schönen, runden und vollen Klang und sollte, wenn er gefordert wird, nicht durch den r Holzblock ersetzt werden, dessen Klang scharf und spitz ist. Vorgeschrieben werden T.s u. a. von A. Berg (Lulu), B. Britten (Let's Make an Opera), A. Copland (Music for a Great City), L. Foss (Time Cycle) und A. Ginastera (Violinkonzert). M. BRÖCKER
TELEPHON, DAS (The Telephone), Opera buffa in einem Akt von G. C. Menotti, Text vom Komponisten. Ort u. Zeit der Handlung: Lucys Wohnung, Gegenwart. UA: 18.2. 1947 New York (Heckscher Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 20. 1. 1952 Hamburg. Der witzige Einakter wurde für die New Yorker Ballet Society geschrieben und erlebte (als heiteres Gegenstück) seine erfolgreiche UA zusammen mit der ein Jahr älteren, schaurig-unheimlichen Menotti-Oper The Medium. Mit sparsamsten Mitteln (instrumentatorisch, personell, satztechnisch) erzielt Menotti den größtmöglichen Effekt - mehr als das mit einem einzigen Einfall auskommende Libretto erwarten läßt: Ein junger Mann, Ben, versucht, seiner ständig telephonierenden Geliebten Lucy einen Heiratsantrag zu machen. Als es ihm nicht gelingt, zu Wort zu kommen, versucht er es per Telephon - und hat Erfolg. Dem ernsten Problem der Kommunikationslosigkeit in einer hochtechnisierten Welt weicht Menotti im Grunde aus. Seine Musik bleibt auf der einmal gewählten Stilebene der Parlando-Oper nach it. Vorbild, so daß dem Zuschauer stets die Möglichkeit offengehalten wird, das Werk als kleines Unterhaltungspektakel zu goutieren. Der außerordentliche Erfolg bestätigte Menottis Konzept. In einer dt. Fernsehverfilmung spielten Anja Silja und Eberhard Wächter die beiden Rollen. R. QUANDT TEMPELBLOCK (engl.: temple, Chinese oder Korean block), Bz. für ein aus Ostasien stammendes Aufschlag-r Idiophon aus einem ausgehöhlten Kampferholzblock in Form eines stilisierten Fischkopfes mit einem Schlitz an der Vorderseite als Fischmaul. Die nach hinten abgeflachte Holzkugel endet in einem Griff, mit dem der T. an einem Spezialständer befestigt wird. An diesem Ständer befinden sich in der Regel 4-5 verschieden große, an-
TEMPERATUR im musikalischen Sinn bedeutet Ausgleich zwischen den Intervallen einer r Stimmung. Die Prinzipien der pythagoreischen, der mitteltönigen und der reinen Stimmung lassen jeweils verschiedene Realisierungen zu, die insbesondere auch problematische Intervalle durch Ausgleich reiner machen. Somit haben Temperaturen den Charakter nicht theoretisch zu begründender praxisnaher Kompromisse und nicht grundsätzlicher Systeme. Dabei ist zu berücksichtigen, daß jede Einstimmung eines Instruments gewisse Ungenauigkeiten gegenüber der intendierten T. aufweist, so daß eine theoretisch formulierte T. nicht voll identisch ist mit der Stimmpraxis. So können sich verschiedene T.en in der Praxis weitgehend gleichen. Die heute übliche sog. gleichschwebende T. hat eine nach ihrer Einführung auch theoretisch durch die Theorie der Zwölftonmusik begründete Eigenständigkeit erreicht, so daß sie ebenso als Stimmung bezeichnet werden könnte. Die historische Einführung sowie die akustisch-systematische Einordnung rechtfertigen aber auch die Bezeichnung als Temperatur. - Die Systematik der T.en deckt sich nicht ohne weiteres mit ihrer historischen Verwendung. Der folgende kurze historische Überblick wird durch die Tabelle der wichtigsten T.en bzw. Stimmungen ergänzt. Für die praktische Einstimmung mit elektronischen Stimmgeräten sind die Centwerte genannt; sie können als Abweichung von der gleichschwebenden Temperatur leicht eingestimmt werden. In der mitteltönigen Stimmung (P. Aaron 1523 u. a.) ist das Intervall GIS/AS - ES unbrauchbar (Wolfsquinte). A. Schlick (1511), M. Praetorius (1619), M. Mersenne (1648) u. a. haben T.en zur Verteilung dieses Quintenfehlers auf mehrere Intervalle gemacht. Auch die Kirnberger-III-T. ist zumindest als Mischform teilweise mitteltönig 107
Temperatur
gleichschwebende Temperatur
Kel lner (1977)
Barnes (1977)
Kirnberger III (1779)
zu kleine Quinten
Werckme ister III (1691)
Temperatur
mung: sie versuchen sowohl Terzen als auch Quinten möglichst rein zu stimmen, und dies nicht nur in dem Tonartenbereich um C-Dur, sondern auch in den Tonarten bis mindestens 4 Vorzeichen. Dabei erhält jede Tonart einen typischen Reinheitsbzw. Unreinheitscharakter, der zugleich zu einer Tonartencharakteristik führt, eine Tatsache, die mit Einführung der sog. gleichschwebenden T. hinfällig wird. Von besonderem Interesse für die historische Aufführungspraxis der Musik des Barock sind zwei historische und zwei in unserer Zeit vorgeschlagene T.en: Die sog. Werckmeister-III-T. (1691) teilt den Fehlbetrag der pythagoreischen Wolfsquinte auf 4 Quinten auf; die übrigen Quinten sind rein. Bis zu 3 Vorzeichen sind die Tonarten relativ rein, besonders unter Berücksichtigung der Terzen.
nicht mehr; sie ermöglicht andererseits beliebige Modulationen und eröffnet so neue Spannungsfelder der Musik. Sie leitet sich - systematisch betrachtet - als T. der pythagoreischen Stimmung ab, indem sie den Fehler der Wolfsquinte auf alle 12 Quinten verteilt; es gibt keine schlechten Intervalle in dieser T., aber auch keine wirklich reinen Intervalle. Gleiche Intervalle sind nicht gleichschwebend, wie der Name der T. fälschlicherweise sagt; die Anzahl der Schwebungen hängt vielmehr von der Tonhöhenlage des Intervalls ab. Diese T. wurde bereits im 16. Jh. bei der Laute praktisch verwendet und auch theoretisch annähernd genau beschrieben (G. M. Lanfranco, V. Galilei). Sie begann sich im 18. Jh. durchzusetzen.
Praetorius (1619)
(s. u.). Die T.en des Barock, von denen es eine relativ große Anzahl gibt, unterscheiden sich in 2 wesentlichen Punkten von der mitteltönigen Stim-
r---i i--i r--i
CGD
A
EH
FIS
CIS DES
AS ES B F
C
gute Terzen
Die sog. Kirnberger-III-T. ist in ihrem Ansatz eher mitteltönig, gehört aber dennoch zu den wichtigsten T.en des Barock. Sie gewährleistet große Reinheit der Tonarten um C-Dur, macht aber alle anderen Tonarten spielbar bei unterschiedlichen Tonartencharakteristiken. mitteltönige Quinten 1-
reine Quinten
1 11 11 11 r--i
CGD
A
EH
C
10
12
10
6
8
0
CIS
86
102
100
100
98
100
D
203
204
203
202
203
200
ES
321
306
304
304
302
300
E
397
402
397
398
397
400
F
514
510
508
508
506
500
FIS
590
600
601
598
596
600 700
G
707
708
707
704
705
AS
783
804
802
802
800
800
A
900
900
900
900
900
900
B
1017
1008
1006
1006
1004
1000
H
1093
1104
1099
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(11111
FIS CIS DES
AS ES B F C
~
geringfügig zu kleine Quinte
Die von J. S. Bach bevorzugte T. kann nicht mit Sicherheit angegeben werden. Neben der Kirnberger-III-T. gibt es 2 Vorschläge aus neuerer Zeit: H. A. Kellner macht einen Vorschlag aus dem Geiste der Musikanschauung des Barock, J. Barneslegtsta-
tistische Untersuchungen am Wohltemperierten Clavier von J. S. Bach zugrunde. - Die sog. gleichschwebende T. unterscheidet sich im Grunde radikal von den genannten T.en, weil sie nur eine Art von Quinten, Terzen usw. kennt und damit alle Tonarten in ihrer Stimmungsreinheit identisch macht, eine Tonartencharakteristik gibt es hier 108
Centwerte der verschiedenen T.en, bezogen auf a' (440 Hz) entsprechend 900 Cent. Bei tiefer Stimmung a' (415 Hz) sind von den Werten 101 Cent abzuziehen (H. J. Schugk, 1980). Lit.: F. ERNST, Über das Stimmen v. Cemb., Spinett, Clavichord u. Klv. (F 1977); H. A. KELLNER, Eine Rekonstruktion der wohltemperierten Stimmung v. J. S. Bach, in: Das Musikinstrument 26 (1977); J. BARNES, Bach's Keyboard Temperament, in: Early Music 7 (1979); B. BILLETER, Anweisung z. Stimmen v. Tasteninstr. in verschiedenen T.en (B 1979); H. A. KELLNER, Wie stimme ich selbst mein Cemb.? (F 1979); H. J. SCHUGK, Praxis barocker Stimmungen (B 1980). M. DICKREITER
TEMPERIERTE STIMMUNG, im engeren Sinne und im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch die
Tempo sog. gleichschwebend temperierte r Stimmung oder gleichschwebende O Temperatur, die aber nur eine der vielen vorgeschlagenen und realisierten Temperaturen darstellt. TEMPLER UND DIE JÜDIN, DER, Romantische Oper in 3 Akten von H. Marschner, Text von Wilhelm August Wohlbrück nach W. Scotts Roman Ivanhoe (1820). Ort u. Zeit der Handlung: Grafschaft York, 1194. UA: 22. 12. 1829 Leipzig. Das Libretto stellt eine geschickte Straffung der in Scotts Roman erzählten Handlung unter Hervorkehrung des von Haß und Abscheu einerseits und glühendem Begehren anderseits geprägten Verhältnisses zwischen der Jüdin Rebecca und dem Tempelritter Bois-Guilbert dar. Die verwickelte Fabel ist durch frei erfundene typische Einlagen komischer und poetisch-sentimentaler Art aufgelockert. Marschner gelang mit teilweise drastischen Mitteln die treffende musikalische Charakterisierung der handelnden Figuren. Der für seine Opern kennzeichnende deklamatorische Stil, in variabel gestalteten rezitativischen Passagen textund situationsadäquat eingesetzt, findet sich häufiger verwendet als in Vampyr und der späteren Oper Hans Heiling und prägt über weite Strecken die musikalische Faktur des Werkes. Die in der ersten Fassung als störend empfundenen überlangen Sprechdialoge hat Marschner später als Rezitative nachkomponiert. - Ivanhoes Romanze Wer ist der Ritter hochgeehrt (3. Akt), nach einem alten schottischen Schlachtgesang komponiert, erlangte einen hohen Bekanntheitsgrad. J. SCHLÄDER TEMPO (it., = Zeit; Plur.: tempi), Bz. für das (bei notierter Musik meist auf einen bestimmten Notenwert bezogene) Grundzeitmaß eines Musikstücks. - Immer standen T. und auch Dauer in direkter Abhängigkeit zum formalen und funktionalen Rahmen von Musik; so bestimmte sich z. B. das T. bei einem Ruderlied an der Funktion, beim Trauergesang an der Stimmung oder bei unterschiedlichen Tanzformen an der jeweiligen Gattung. Daß schon lange vor der exakten schriftlichen Fixierung der relativen Dauer von Notenzeitwerten in der Musica mensurata schnellere oder langsamere Ausführung z. B. von Choralgesängen üblich und angebracht war, belegen die seit dem 10. Jh. nachweisbaren T.-Bezeichnungen im Zusammenhang mit rhythmisch sonst kaum gebundener Neumennotation: c für „celeriter" (schnell), m für „mediocriter" (mittleres T., mäßig) und t für „tarde" (langsam). Es läßt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, ob mit den Mensurzeichen, aus denen sich im 17. Jh. die Taktzeichen entwickelten,
neben dem rhythmisch-metrischen Verhältnis der verschiedenen Notenwerte zueinander auch schon in gewissem Rahmen das absolute T. (der „Zählzeit") geregelt war, jedoch finden sich in den Musiktraktaten des 13.-16. Jh. immerhin recht häufig Zuordnungen der verschiedenen Notenwerte zu den ihnen entsprechenden Tempi. So parallelisiert z. B. N. Vicentino (L'antica musica, 1555) folgendermaßen : 1=1 moto tardissimo (in sehr langsamer Bewegung); III tardo (langsam); b naturale, non sarà ne presto ne tardo (normal, weder schnell più noch langsam); o mediocre (mittleres T.); mediocre (mehr als mittleres Tempo); j presto (schnell); r veloce (geschwind); ! velocissimo (sehr geschwind). Aus solchen und ähnlichen Anfängen entwickelten sich um 1600 regelrechte T.Vorschriften, die dem einzelnen Musikstück vorangestellt wurden und die zum großen Teil noch heute gebräuchlich sind. Seit ihrem ersten Auftreten in der it. Musik des frühen 17. Jh. gelten diese Satzüberschriften nicht bloß dem T., sondern auch dem Charakter des jeweiligen Stücks: Mit der Bz. von Thema, Gattung oder Stimmung wird ein T.Rahmen festgelegt, oder aber es wird durch einen allgemeinen Hinweis auf das zu wählende T. der Charakter des Satzes näher bestimmt. So bezeichnen Adagio (gemächlich) oder Allegro (lustig, munter) den musikalischen Charakter direkt und nur indirekt ein T., dagegen Lento (langsam) und Presto (schnell) nicht nur Tempi, sondern indirekt auch Stimmungen. Dieser enge Zusammenhang zwischen T.-Angabe und charakterisierender Überschrift, wie er sich durch die Jahrhunderte in T.-Bezeichnungen wie Largo e dolce, Adagio molto e mesto, Allegro bizarro oder Allegretto piacevole spiegelt, fand seinen Ausdruck vom Anfang an auch in den landessprachigen Satzbezeichnungen, wie sie schon früh einige Komponisten bevorzugten: geschwinde (C. Farina, 1627), langsam (H. Schütz, 1629) oder doucement, avec discrétion (J. J. Froberger, 1650). R. Schumann, der im 19. Jh. auf diese Tradition zurückgriff, wählte nicht selten das Mittel der Übersetzung traditioneller italienischer Satzbezeichnungen (z. B.: schnell, mit Feuer; mit Energie und Leidenschaft; langsam, mit inniger Empfindung; mit Humor). - Ein ebenso natürlicher Zusammenhang wie zwischen T. und Stimmung besteht auch zwischen T. und manchen Gattungen oder Formen: meist genügt die Angabe eines in seiner Schrittfolge bekannten Tanzes, um das T. weitgehend zu bestimmen: T. di gavotta, T. di menuetto, Walzertempo usw. Auch der Hinweis auf andere körperliche Bewegungsformen findet sich oft: Andante, T. di marcia, Alla marcia funebre, Langsam wie ein Kondukt u. ä. - Mit der 109
Tempo Erfindung und Popularisierung des r Metronoms ergab sich einerseits die Möglichkeit der exakten T.-Bestimmung. Andererseits hatten die Komponisten schon immer vor allzu mechanischer Taktund T.-Auffassung gewarnt: in Cl. Monteverdis B. Madrigalbuch (1638) heißt es, man solle nach dem T. der Empfindungen der Seele und nicht nach dem der (dirigierenden) Hand singen („a tempo dell'affetto del anima, e non a quello della mano"), und C. Ph. E. Bach formuliert in seinem Versuch über die wahre Art, das KJavierzu spielen (1753): „Der Grad der Bewegung läßt sich sowohl nach dem Inhalt des Stückes überhaupt, den man durch gewisse italiänische Kunst-Wörter anzuzeigen pflegt, als besonders aus den geschwindesten Noten und Figuren darinnen beurteilen. Bei dieser Unterscheidung wird man sich in den Stand setzen, weder im Allegro übereilend, noch im Adagio zu schläfrig zu werden" (Bd. I, 3. Hauptstück, § 10; Orig.-Ausg. S. 107). Da im 19. Jh. das Mittel der T.-Modifikation (ritardando, rallentando, meno allegro, meno mosso, accelerando, stringendo, più allegro, più presto u. ä.) so gebräuchlich war, daß z. B. Fr. Liszt von „leisen crescendi und diminuendi des Rhythmus” sprechen konnte, ist es verständlich, daß sich viele Komponisten so dezidiert gegen den Gebrauch des Metronoms aussprechen wie z. B. C. M. von Weber: „Der Takt (Tempo) soll nicht ein tyrannisch hemmender oder treibender Mühlenhammer sein, sondern dem Musikstück das, was Pulsschlag dem Leben des Menschen ist. Es gibt kein langsames T., in dem nicht Stellen vorkämen, die eine raschere Bewegung forderten, um das Gefühl des Schleppenden zu verhindern. Es gibt kein Presto, das nicht ebenso im Gegensatz den ruhigen Vortrag mancher Stellen verlangte." Auch J. Brahms äußerte sich ähnlich ablehnend gegen den Gebrauch des Metronoms. - Im 20. Jh. tritt mit dem Verfall der musikalischen Gattungen auch die Bedeutung der traditionellen T.-Bezeichnungen zurück. Einerseits geht die Entwicklung in z. B. der seriellen oder der elektronischen Musik auf exakte Dauern (in sec) zu, ohne daß von einem durchgängigen Grundzeitmaß gesprochen werden kann, und andererseits ist in der aleatorischen Musik das Extrem der zeitlich gar nicht mehr gebundenen Notation erreicht. Im Grunde handelt es sich bei diesen beiden Extremen um die Verschärfung des Gegensatzes zwischen rhythmisch-metrisch strikt gebundener und tempofreier Musik, wie er immer schon bestanden hat und in Bezeichnungen wie „à discrétion", „freies Tempo", „senza tempo", „liberamente" bzw. „tmpo primo", „a tempo", „in tempo" auch immer seinen Ausdruck fand. 110
Lit.: R. KOLISCH, T. and Character in Beethoven's Music, in: MQ 29 (1943); R. ELVERS, Unters. zu den Tempi in Mozarts Instrumentalmusik (Diss. B 1952); W. GERSTENBERG, Die Zeitmaße u. ihre Ordnungen in Bachs Musik (Einbock 1952); C. SACHS, Rhythm and T. (NY 1953); W. GuRLrrr, Form in der Musik als Zeitgestaltung (Wie 1955) (— Abh.en der Geistes- u. Sozialwiss. Klasse der Akad. der Wiss. u. der Lit. Mainz 13); F. J. MACHATIUS, Die Tempocharaktere, in: Kgr.-Ber. Köln 1958 (Kas 1959); 1. HERRMANN-GENGEN, T.bezeichnungen. Ursprung u. Wandel im 17. u. 18. Jh. (Tutzing 1959) (— Münchner Veröff. z. Musikgesch. 1); E. BARTHE, Takt u. T. (H 1960); C. DAHLHAUS, Zur Entwicklung des modernen Taktsystems, in: AfMw 18 (1960); S. GULL°, Das T. in der Musik des 13. u. 14. Jh. (Be 1964) (— Publikationen der Schweizerischen musikforschenden Ges. I, 10); H. CH. WOLFF, Das T. bei Telemann, in: BzMw 9 (1969); J. A. BANK, Tactus, T. and Notation in Mensural Music from the 13' to the 17' Century (A 1972); R. LEIBowrrz, T. and Character in the Music of Verdi, in: 3° Congresso int. di Studi Verdiani (Mi 1972); CH. WAGNER, Experimentelle Unters. über das T., in: ÓMZ 29 (1974); W. S. NEWMAN, Freedom of T. in Schubert's Instrumental Music, in: MQ 61 (1975); DERS., Das T. in Beethovens Instrumentalmusik. Tempowahl u. TempoflexibiliR. CADENBACH tát, in:Mf 33 (1980).
TEMPO RUBATO (it., = gestohlene Zeit), Bz. für die musikalische Vortragsart, bei der der Ausführende das Mittel der Temposchwankung nach eigenem Ermessen einsetzt, um den Ausdruck zu modifizieren. Genaugenommen besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen einer tempofreien Vortragsweise (z. B. von vielen Toccaten, Fantasien oder Praeludien), die mit „liberamente" oder „con discrezione" (G. Frescobaldi, J. J. Froberger) bezeichnet wird, und dem T. im strengen Sinn, das nämlich den Temporahmen und das Grundzeitmaß unverändert festhält und nur innerhalb desselben die Verteilung der rhythmischen Werte modifiziert. Auf diese Weise ist es den ř Notes inégales vergleichbar, bei denen ebenfalls gleichmäßig notierte Tonfolgen ungleichmäßig auszuführen sind (z. B. bei L. Couperin). Zwar tritt die ausdrückliche Vortragsbezeichnung Rubato oder T. im Notentext erst seit dem 19. Jh. auf (z. B. bei Fr. Chopin, der für sein T.-Spiel berühmt war), jedoch ist der Ausdruck schon seit 1723 belegt (z. B. bei P. Fr. Tosi). - W. A. Mozart beschreibt in einem Brief an seinen Vater (23.-25. 10. 1777) anschaulich Technik und Effekt des Rubatospiels : „daß ich immer accurat im tact bleybe, über das verwundern sie sich alle. Das Tempo rubato in einem Adagio, daß die lincke hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen." Lit.: L. KAMIENSKY, Zum T., in: AfMw 1 (1918/19); B. BRUCK, Wandlungen des Begriffs T. (Diss. Erl 1928); J. B. MCEwEN, T. (Lo 1928); A. A. JOHNSON, Rubato (Lo 1931); A. KREUZz, Das T. bei Chopin, in: Das Musikleben 2 (1949); H. H. EGGEBRECHT, Stud. zur musikal. Terminologie (Wie 2 1968); M. YESTON, Rubato and the Middleground, in: JMTh 19 (1975). R. CADENBACH
TEMPUS (lat., = Zeit). - 1) Seit der Antike
Tenor als metrischer Terminus Bz. für die Quantität (r Prosodie, r Metrum, r Vers) . - 2) Als Terminus der r Musica mensurabilis im 13. Jh. zunächst Bz. für den kleinsten Zeitwert der rhythmisch geregelten Musik. Dieser wird bestimmt durch die Brevis recta, die den 3. Teil einer Perfektion darstellt. Seitdem die "Semibrevis, die noch bei Johannes de Garlandia als Sonderform der Brevis, d. h. als ihr halber Wert (. _ • • ; J = 4'1' ), angesehen wurde, durch Franco von Köln als selbständiger Notenwert in das System der Mensuralnotation aufgenommen worden ist, bezeichnet T. auch die Dauer der Brevis und das Verhältnis von Brevis zu Semibrevis, ähnlich wie Prolatio das Verhältnis von Semibrevis zu Minima. T. perfectum liegt vor, wenn die Brevis in 3, T. imperfectum, wenn sie nur in 2 Semibreven unterteilt wird (also • = • • • bzw. • = •. ). Seit dem 14. Jh., vor allem unter dem Einfluß von Johannes de Muris, bedeutet T. bis zum 17. Jh. den Mensurgrad der Notenwerte Brevis und Semibrevis, d. h. deren Verhältnis zueinander (3:1 im T. perfectum, 2:1 im T. imperfectum). Als Mensurzeichen des T. gelten O für T. perfectum, C für T. imperfectum bzw. t für Tempus perfectum diminutum. Während der Kreis im 17. Jh. durch die Vorzeichnung t ersetzt wurde, entwickelten sich aus den beiden anderen Zeichen die modernen Taktvorzeichnungen für den %- und ř Alla breve-Takt. - O Notenschrift. Lit.: Zu 2): R BOCKHOLDT, Semibrevis minima u. Prolatio temporis, in: Mf 16 (1963). — Vgl. auch Ausg. u. Lit. zu den genannten Theoretikern. B. R. SUCHLA
TENDUCCI, Giusto Ferdinando, * um 1735 Siena, t 25. 1. 1790 Genua; it. Sänger (Kastrat) und Komponist. Er debütierte 1756 in Venedig und ging 1758 nach London, wo er um 1764 W. A. Mozart und J. Chr. Bach kennenlernte. T. erzielte große Erfolge in London und Dublin, mußte jedoch 1776 England wegen Schulden verlassen. 1778 kam er nach Paris, 1779 wieder nach London, wo er 1780 am Drury Lane Theatre engagiert wurde. Seit 1784 leitete er in Westminster die Händel-Festivals. T. war wegen seiner sängerischen Virtuosität und seiner Darstellungskunst, aber auch als Lehrer, Dirigent und Komponist (einiger Songs und Cembalostücke) angesehen. Lit.: A. HER1oT, The Castrati in Opera (Lo 1956); C. B. OLDMAN, Mozart's Scene for T., i n : ML 42 (1961).
TENEBRAE (lat. = Finsternis; Kurzform von matutina tenebrarum), seit dem MA Bz. für die Matutinen des Offiziums der drei letzten Kartage (sie wurden gewöhnlich nach Auslöschen der Kerzen in völliger Dunkelheit beschlossen). Musikgeschichtlich bedeutsam wurden sie deswegen, weil
sie der liturgische Ort der 2. Lamentationen (die frz. auch Leçons de ténèbres heißen) und des ? Miserere sind. TENNSTEDT, Klaus, * 6.6. 1926 Merseburg a. d. Saale; dt. Dirigent. Er war nach seinem Studium an der Leipziger Musikhochschule (1942-45) an den Städtischen Bühnen in Halle/Saale 1948-51 1. Konzertmeister und 1951-54 2. Kapellmeister. 1954-58 wirkte er als 1. Kapellmeister an den Städtischen Bühnen in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), 1958-62 in Dresden und 1962-70 in Schwerin als GMD. Nach einer einjährigen Tätigkeit an der Komischen Oper Berlin wurde T. 1972 GMD in Kiel, 1979 Chefdirigent des NDR-Sinfonie-Orchesters Hamburg. 1974 schloß er einen Vertrag mit dem Toronto Symphony Orchestra. Mit Wirkung von 1983 wurde er als Chefdirigent an das London Philharmonic Orchestra berufen. TENOR (von lat. tenere = halten, tragen). - 1) In der Psalmodie Bz. für den Ton, auf dem die Psalmverse rezitiert werden (auch Rezitationston und Tuba genannt). Der T. ist in den einzelnen ? Psalmtönen verschieden. - 2) In der Lehre von den ? Kirchentönen Bz. für diejenige Tonstufe, die zusammen mit der ? Finalis für die einzelnen Modi konstituierend ist. Der Zusammenhang zwischen den Psalmtönen und den Kirchentönen ist derart, daß die jeweiligen T.es gleich sind, und zwar in der folgenden Zuordnung: 1. Ton: a; 2. Ton: f; 3. Ton: c; 4. Ton: a; 5. Ton: c; 6. Ton: a; 7. Ton: d; B. Ton: c. - 3) Seit dem 13. Jh. Bz. zunächst für die aus dem Choral entnommene tiefste Stimme im ? Organum, ? Discantus bzw. Clausula (OE Klausel 2), und in der r Motette der Notre-Dame-Epoche. Diese Verwendung des Terminus, der die ältere Bz. vox principalis ablöst, entspricht der zeitgenössischen Auffassung, daß der T. die übrigen Stimmen gleichsam als Fundament „trägt". Das solchermaßen ursprünglich doppelte Wesen des T.s seine Präexistenz und seine tragende Funktion im Stimmenverband - führt dazu, daß man für die Folgezeit zwei Bedeutungen unterscheiden muß: a) T. als vorgegebene Melodie (Choral, Chanson, Lied) im mehrstimmigen Satz; in diesem Sinn bestimmt der T. die Struktur der frühen Motette (r Pes) und ist konstituierend für die sog. Tenormesse (OE Messe; hier ist T. Synonym für r Cantus firmus) und für das ?Tenorlied des 15./16. Jh.; t.es heißen ferner die Gerüstmelodien in it. Tänzen dieser Zeit und gelegentlich die Soggetti in der Kontrapunktlehre. b) T. als Stimme (in einem mittleren Tonhöhenbereich) des mehrstimmigen Satzes. In diesem Sinn bleibt der T. bis zum 14. Jh. die 111
Tenor
tiefste Stimme, die auch dann T. heißt (etwa beim r Conductus), wenn sie keine Choralmelodie trägt. Im 15. Jh. kommt es zu der Entstehung des l Contratenors und seiner Aufspaltung in die später so genannten Stimmen ř Alt und ř Baß. Der T. ist seitdem im regulären 4st. Satz die nächsthöhere Stimme über dem Baß. Im Verlauf des 15.-16. Jh. verliert er in dem Maße seine „tragende" Funktion, in dem die vokale Mehrstimmigkeit ihre Bindung an den Choral aufgibt und die prinzipielle Eigenständigkeit der einzelnen Stimmen das Hauptmerkmal der vokalen l Polyphonie wird (r Stile antico, 7 Palestrinastil). Eine der wenigen Stellen, an denen der T. nach dem 16. Jh. noch in seiner alten Dominanz erscheint, sind die Sieben Worte von H. Schütz. Hier ist der „T. primus" ausschließlich den Worten Christi vorbehalten, während die übrigen Worte auf die anderen Stimmen verteilt sind. Der T. wird vom 15. bis zum 19. Jh. generell im C-Schlüssel auf der 4. Linie notiert, der deshalb auch T.-Schlüssel genannt wird ; seitdem wird er im Violinschlüssel notiert, eine Oktave höher als klingend, mit oder ohne daruntergesetzte 8 (sog. oktavierter Violinschlüssel ; r Notenschlüssel). - Die frz. Bz. für T. war im 17. Jh. Taille mit der Unterscheidung Haute-taille und Basse-taille. - 4) Bz. für die hohe Männerstimme. Ihr Regelumfang reicht von c bis a'. In der Geschichte des l Gesangs seit 1600, der Oper und der von ihr geprägten Gattungen hat der T. und der professionelle T.-Sänger - ebenfalls kurz T. genannt - eine ähnlich große Bedeutung wie der Sopran. So etwa ist der Orfeo sowohl in der Euridice von J. Peri und G. Caccini (1600) als auch im Orfeo von Cl. Monteverdi (1608) eine T.-Partie. Seit der 2. Hälfte des 17. Jh. tritt jedoch der T. in der Oper hinter dem Sopran zurück, da die männlichen Hauptpartien der neapolitanischen Oper in der Regel für ř Sopran geschrieben sind. Aufführungspraktisch interessant ist die Tatsache, daß in der solistischen Kammer- und Kirchenmusik des 17. Jh. Werke für Sopran oft auch eigens für T. bestimmt sind. Eigenes Gewicht erhält der T. im Oratorium und in der Passion des 17.-18. Jh.: ihm ist hier in der Regel die Partie des Testo bzw. des Evangelisten anvertraut. In der Oper beginnt dann um 1800 mit der Ausprägung der it. und frz. GroBen Oper und der dt. romantischen Oper die eigentliche Glanzzeit des T.s als Stimmlage und des T.s als Sängerpersönlichkeit. Dabei zeichnet sich bereits in der 2. Hälfte des 18. Jh. eine Differenzierung der T.-Partien in musikalischer und dramaturgischer Hinsicht ab. Diese läßt im Laufe des 19. Jh. mehrere T.-Stimmfächer entstehen, die sich jeweils durch Stimmtimbre, -charakter, -reife und 112
Spielvermögen unterscheiden. Im dt. Sprachgebrauch sind dies (mit den bekanntesten Rollen; Abgrenzung und Zuordnung sind wie bei allen anderen r Stimmfächern oft problematisch): a) lyrischer T.: Don Ottavio (W. A. Mozart, Don Giovanni), Tamino (Zauberflöte), Almaviva (G. Rossini, Barbier), Alfred Germont (G. Verdi, La Traviata); b) jugendlicher Helden-T. („jugendlicher Held"): Florestan (L. van Beethoven, Fidelio), Stolzing (R. Wagner, Meistersinger), Don José (G. Bizet, Carmen), Don Carlos (G. Verdi), Rodolfo (G. Puccini, La Bohéme), Aiwa (A. Berg, Lulu); c) schwerer Helden-T. („schwerer Held"), wesentlich erst durch die Anforderungen der Opern Wagners entstanden: Tristan, Siegmund, Siegfried, ferner Otello (Verdi); d) T.-Buffo: Pedrillo (Mozart, Entführung), Monostatos (Zauberflöte); dieses Fach verschwindet während des 19. Jh. fast völlig aus der Oper, gehört aber seit J. Strauß als Pendant zur r Soubrette fest zur Operette. Spezielle T.-Partien, die sich der genannten Einordnung entziehen, sind u. a.: David (Wagner, Meistersinger), Mime (Ring), Wenzel (B. Smetana, Die verkaufte Braut), Herodes (R. Strauss, Salome). - 5) T. bezeichnet in Verbindung mit bestimmten Instrumentennamen ein Instrument, dessen Tonlage in seiner Familie der Stellung des T.s im vokalen Verband entspricht, z. B. T.-Blockflöte, T.-Saxophon ; dagegen ist r Tenorhorn eine isolierte Bezeichnung. Lit.: Zu 3): D. HOFFMANN-AXTHELM, T., in: HMT (1973). G.
MASSENKEIL
TENORA, Bz. für ein in B stehendes Doppelrohrblattinstrument in Tenorlage mit t Pirouette (OE Bomhart, t Schalmei), das im 19. Jh. mit Klappen ausgestattet wurde. Die T. mit ihrem lauten, durchdringenden, leicht nasalen Klang eignet sich bes. gut als Freiluftinstrument. Sie ist noch heute das Hauptmelodieinstrument der r Cobla, zu der stets T.s gehören. - r Sardana, r Tiple. Lit.: J. CoLL, Método de tiple y t. (Ba 1950); A. BAINES, Shawms of the Sardana Cobla, in: GalpinJ 5 (1952).
TENORGEIGE r Viola tenore. TENORHORN, dt. Bz. für ein t Bügelhorn in B mit aufwärts gerichtetem Schalltrichter in ovalen Windungen oder in Tubaform oder trompetenförmig mit nach vorn gerichtetem Schallstück. In Großbritannien und den USA wird das T. Baritone genannt, während engl. tenor horn das Althorn in Es, eine moderne Form des Alt-/ Saxhorns, bezeichnet. TENORLIED, moderne Bz. für einen mehrstimmigen Liedsatz des 16. Jh. mit dem C. f. im Tenor
Terradellas als spezifisch deutsche Form der Mehrstimmigkeit innerhalb der Gattung l Lied. Hervorgegangen aus einem von Instrumenten begleiteten Sololied, entwickelte sich das T. über die Dreistimmigkeit (Tenor oft oberste Stimme) um 1530 zu einem ausgewogenen a cappella-Satz. Die Tenores stammen z. T. aus dem Volksliedbereich, häufiger aus dem höfischen Liedgut (Hofweise) oder sind direkt für den mehrstimmigen Satz komponiert. Der Aufbau richtet sich nach den Liedzeilen des Tenors, der Satz ist zumeist akkordisch-syllabisch, gelegentlich finden sich melismatische oder imitatorische Abschnitte nach Art der Motette, die Begleitstimmen können instrumental oder vokal ausgeführt werden. Die Liedmelodie kann zusätzlich auch im Diskant erklingen (Diskant-Tenor-Satz). Die Geschichte des T.s beginnt mit den im t Glogauer Liederbuch überlieferten Sätzen und wird in zahlreichen gedruckten Sammlungen (u. a. von E. Öglin, A. von Aich, Chr. Egenolff, G. Forster) sowie von Komponistengenerationen vorwiegend aus dem süddt. Raum (H. Finck, H. Isaac, P. Hofhaymer; L. Senil, S. Dietrich, L. Lemlin ; G. Forster, C. Othmayr) fortgeführt. Senil als überragender Liedmeister läßt den C. f. durch alle Stimmen wandern oder arbeitet mit 2 Tenores (z. B. O Els/ein - Es taget vor dem Walde, 1544). Die Liedmelodien treten in den Dienst einer kunstvollen polyphon-kontrapunktischen Setzweise nach Art des it. Madrigals und nach der Art, wie O. di Lasso später seine durchimitierte Liedmotette gestaltet. Die ev. r Choralbearbeitung behält Strukturen des T.s bis ins 18. Jh. bei. Lit.: K. GUDEWILL, Zur Frage der Formstrukturen dt. Liedtenores, in: Mf 1 (1948); CH. PET7SCH, Hofweisen der Zeit um 1500 (Diss. Fr 1957); K. GUDEWILL, Beziehungen zw. Modus u. Liedtenores, in: AfMw 15 (1958); W. SEIDEL, Die Lieder L. Senfls (Be — Mn 1969); W. WIORA, Das dt. Lied (Wb — Z 1971); Das T. Mehrstimmige Lieder in dt. Quellen 1450-1580, I: Drucke (Kas 1979) (s RISM Sonderbd. Catalogus musicus IX), I1: Hss. (Kas 1982) (— ebd. X). H. JUNG
TENSO (frz.: tenson; it.: tenzone; port.: tençäo), provenzalische Bz. für ein mehrstrophiges Streitlied, das als Sonderform und im Gegensatz zum řJeu-parti im allgemeinen nur 2 Dialogpartner kennt (z. B. Raimbaut de Vaqueiras' Streitgespräch . mit einer Genueserin Domna, tant vos ai preiada, um 1190). Die T., deren Entwicklung über die mittellat. Conflictus und Altercationes bis auf die Eklogen Vergils und die Idyllen Theokrits zurückverfolgt werden kann, widmet sich polemisch und kunstvoll zugleich individualpsychologischen, sozialen und politischen Fragen, im besonderen Problemen der Liebe und ihrer Kasuistik. Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Dichterzünften
und -wettkämpfen in Nord- und Südfrankreich im 13.-14. Jh. gewann die zumeist mit bekannten Melodien vertonte T. nach Ausweis der (iberlieferungsgeschichte an Ansehen und grenzte sich auch durch die Praxis des in einer oder 2 Tornadas vorgetragenen entscheidenden Richterspruches immer weniger von den anderen volkssprachlichen Streitgedichttypen ab. Lit.: D. J. JONES, La :enson proverwale (Diss. P 1935); F. GENNRICH, Der Gesangswettstreit im Parfait du Paon, in: Romanische Forsch. 58/59 (1947); E. KÖHLER, Zur Entstehung des altprovenzal. Streitgedichts, in: Trobadorlyrik u. höfischer Roman (B 1962); S. NEUMEISTER, Das Spiel mit der höfischen Liebe. Das altprovenzal. Partimen (Mn 1969) (— Diss. Konstanz 1966); 1. KASTEN, Stud. zu Thematik u. Form des mhd. Streitgedichts (Diss. H 1973); The Interpretation of Medieval Lyric Poetry, hrsg. v. W. T. JACKSON (NY 1980). W.-D. LANGE
TENUTO (it., = gehalten ; Abk.: ten.), dem Wortsinn entsprechende Vortrags-Bz. bei einzelnen Tönen und Akkorden, d. h. das Aushalten für die volle Dauer des angegebenen Wertes. TERMEN, Lew, ř Thérémine, Léon. TERPANDROS (Terpander) von Antissa (Lesbos); griech. Kitharode des 7. Jh. vor Chr. Er war besonders in der Gegend um Sparta berühmt, wo einige seiner Gesänge noch bis ins 4. Jh. nach Chr. gesungen wurden. T. soll die 4saitige Phorminx durch die 7saitige Lyra ersetzt und im kitharodischen t Nomos die Aufteilung in 7 Abschnitte eingeführt haben. Lit.: M. WEGNER, T., in: MGG XIII; J. CHAILLEY, Nicomaque, Aristote et Terpandre devant la transformation de l'heptacorde grec en octocorde, in: Yuval 1 (1968).
TERRADELLAS, Domingo Miguel Bernabé (it.: Domenico Terradeglias), getauft 13.2. 1713 Barcelona, t 20.5. 1751 Rom; span. Komponist. Er erhielt seine erste musikalische Ausbildung vermutlich in seiner Heimatstadt und war 1732-38 in Neapel Schüler von Fr. Durante. 1736 wurde dort sein Oratorium Giuseppe riconosciuto aufgeführt und 1739 in Rom seine erste (nicht erhaltene) Oper. Bekannt wurde er 1743 mit Merope, der eine Reihe weiterer Opern folgte. 1743-45 war er Kapellmeister an S. Giacomo degli Spagnuoli in Rom, brachte 1746/47 zwei Opern in London zur Aufführung und kehrte über Paris 1750 nach Italien zurück. T.s nicht sehr umfangreiches Schaffen erweist ihn als einen beachtenswerten Meister des neapolitanischen Stils. J.-J. Rousseau, der um 1747 mit ihm zusammentraf, berichtet über ihn in seiner Lettre sur la musique française (1753). WW: Bühnenwerke: Von den 13 nachweislich aufgeführten Opern sind (hsl. oder als Favourite songs gedruckt) erhalten: Merope (Libr.: A. Zeno), UA: Rom 1743; Artaserse (Libr.: P. Meta-
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Terry stasio), UA: Venedig 1744; Pasticcio Annibale in Capua u. Mitridate, UA: London 1746; Bellerofonte, UA: London 1747; Didone abbandonata, UA: Turin 1750; Sesostri re d'Egitto, UA: Rom 1751. - Oratorium Giuseppe riconosciuto (Text: Metastasio) (1736). - Ferner Arien, ein Te Deum, Messen u. Motetten. Ausg.: La Merope, hrsg. v. R. GERHARD (Ba 1951); eine Solomotette in: DAVISON-APEL Anth. Lit.: J. R. CARRERAS Y BULBENA, D. T. (B 1908); H. VOLKMANN, D. T., in: ZIMG 13 (1911/12); M. F. ROBINSON, T., in: Grove6 XVIII.
TERRY, Charles Sanford, * 24. 10. 1864 Newport Pagnell (Buckinghamshire), t 5. 11. 1936 Westerton of Pitfodels bei Aberdeen; engl. Historiker und Musikforscher. Er war Professor für Geschichte an der Universität Aberdeen und veröffentlichte Studien über J. S. Bach und seine Familie, die teilweise noch heute grundlegend sind. 1935 erhielt er die Würde eines Dr. phil. h. c. der Univ. Leipzig. Schriften (wenn nichts anderes angegeben, in London erschienen): J. S. Bach's Cantata Texts Sacred and Secular (1926, Nachdr. 1966); Bach. A Biography (1928, Nachdr. 1962); J. Ch. Bach (1929, 2 1967); The Origin of the Family of Bach Musicians (1929); Bach. The Historical Approach (1930); Bach's Orchestra (1932, Nachdr. 1958 u. Si Clair Shores 1972). - The Mass in B Minor (1924, 2 1947); The Passions, 2 Bde. (1926-28, Nachdr. Westport/Conn. 1971); The Magnificat, Lutheran Masses, and Motets (1929). - Editionen: Bach's Chorals, 3 Bde. (C 1915-21); J. S. Bach's Original Hymntunes for Congregational Use (1922); Coffee Cantata (1924); Bach's Four-part Chorals (1929). Lit.: P. M. YOUNG, T., in: MGG XIII.
TERRY, Clark, * 14. 10. 1920 St. Louis; amerik. Jazzmusiker (Trompete, Flügelhorn, Bandleader). Er begann 1945 bei Lionel Hampton, spielte Swing und Bebop bei verschiedenen Bands, ging 1948 zu Count Basie und trug 1951-59 wesentlich zum Klangbild der Band von Duke Ellington bei. Seit 1960 tritt T. mit eigenen Gruppen und Tourneebands auf, er gründete eine Big Band, die er seither immer wieder neu formiert. In den USA ist T. auch ein gesuchter Interpret für zeitgenössische Konzertmusik. Typisch für ihn sind Witz, Esprit und Virtuosität, was ihm den Titel „Maurice André der Jazztrompete" eingetragen hat. Gelegentlich nutzt T. seine Leichtatmigkeit zugunsten bloßer Darstellung von Kunstfertigkeit aus. TERRY, Sir Richard Runciman, * 3. 1. 1865 Ellington (Northumberland), t 18.4. 1938 London; engl. Organist und Musikforscher. Er war 1901-24 Organist und Musikdirektor an der neuerbauten (katholischen) Westminster Cathedral und setzte sich für Kirchenmusik der englischen Renaissance ein. Sein Westminster Hymnal (Lo 1912, '1937) war lange das offizielle Gesangbuch der römisch-katholischen Kirche in England. Schriften: Catholic Church Music(Lo 1907), 2. Aufl. als The Music of the Roman Rite (Lo 1931); Voodooism in Music and Other
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Essays (Lo 1934, Nachdr. Freeport/N.Y. 1968). - Editionen: Calvins First Psalter 1539 (Lo 1932) (Faks.-Ausg. v. J. Calvins Aulcuns pseaulmes).
TERTIAN, Terzian, Bz. für ein in der Regel zweifach besetztes, eng mensuriertes Aliquotregister der Orgel, das als 4. und 5. Oberton erklingt, überwiegend als 1W + 1%' gebaut und zur Soloregistrierung verwendet wird. TERZ. - 1) Bz. für die 3. Stufe der diatonischen r Tonleiter. - 2) Bz. für das Intervall mit dem Frequenzverhältnis 4:5 (große Terz) bzw. 5:6 (kleine Terz). In der musikalischen Praxis unterscheidet man die große T. (z. B. c - e) und kleine T. (c es), die das Tongeschlecht als f Dur bzw. r Moll bestimmen, sowie die übermäßige T. (c - eis) und verminderte T. (c - eses). - Bis in das 16. Jh. hinein galt das Intervall der T. als unvollkommene ř Konsonanz: im pythagoreischen System widersprach ihr kompliziertes Verhältnis 64:81 bzw. 27:32 der pythagoreischen Auffassung, daß konsonante Intervalle auf einfachen Proportionen beruhen. In Schlußklängen wurde sie deshalb ausgespart. Ihre Vermeidung sollte zudem einen absoluten Ruheklang als Schluß garantieren, da der Durbzw. Moll-T. harmonisch eine „latente Spannkraft" (E. Kurth) auf- bzw. abwärts eigen ist (7 Leitton). Erst im 16. Jh. wurde, neben der r Quinte, die T. im natürlichen Verhältnis 4:5 bzw. 5:6 als konstitutives Intervall des "Tonsystems aufgefaßt. Sie ist, wie J.-Ph. Rameau (1722) darlegte, Baustein für den ř Dreiklang und OE Akkord. Bis in das 18. Jh. schließen Werke in Moll bevorzugt mit der Dur-T. (OE Picardische Terz), da sie einen höheren Konsonanzgrad aufweist. Die fallende kleine T., die u. a. bei spontanem kindlichem Singen zu beobachten ist, wird auch als Ruf-T. (umgangssprachlich auch : Kuckucks-T.) bezeichnet. - Terzverwandt heißen Akkorde und Tonarten, deren Grundtöne zueinander im Verhältnis einer großen oder kleinen T. stehen; in der Romantik wird die klang- und farbbetonte Terzverwandtschaft zu einem besonderen harmonischen Ausdrucksmittel. - 3) Ursprünglich die 2. der l Horen im r Offizium der römisch-katholischen Kirche. Mit Sext und Non ist sie heute zu den sog. kleinen Horen zusammengefaßt. Lit.: Zu 1): E. KURTH, Die Voraussetzung der theoret. Harmonik u. der tonalen Darstellungssysteme (Be 1913, Nachdr. Mn 1973). C. KÜHN
TERZETT (engl. terzet; frz. trio; it. terzetto; span.: terceto, trio), im Unterschied zum instrumentalen r Trio Bz. für eine Komposition für 3 Singstimmen mit oder ohne Instrumentalbegleitung sowie auch für das entsprechende Vokalensemble. In der Oper
Tetley wird gelegentlich ein r Ensemble oder eine Szene für 3 Sänger mit Orchesterbegleitung T. genannt. TERZGEIGE r Violino piccolo. TESCHEMACHER, Frank, * 14.3. 1906 Kansas City, t 29.2. 1932 Chicago ; amerik. Jazzmusiker (Klarinette, Altsaxophon). Er gründete mit Jimmy McPartland, Bud Freeman und Jim Lannigan in Chicago eine Band, die, in veränderter Besetzung als „Austin High School Gang", anfangs der 20er Jahre Aufsehen erregte. Im Laufe der 20er Jahre spielte er bei Red Nichols, Jan Garber, Ted Lewis und zuletzt bei Wild Bill Davison. T. gehörte zu den führenden Musikern des r Chicago-Stils. TESCHEMACHER, Margarete, * 3. 3. 1903 Köln, t 19.5. 1959 Bad Wiessee; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte am Kölner Konservatorium und debütierte 1924 am dortigen Opernhaus als Micaëla in Bizets Carmen. Ober Aachen (1925-27), Dortmund (1927/28), Mannheim (1928-30) und Stuttgart (1931-34) kam sie 1934 an die Dresdener Staatsoper, der sie bis 1946 angehörte; sie sang dort bei den Uraufführungen der Opern Daphne (1938) von R. Strauss und Die Zauberinsel von H. Sutermeister. Zuletzt gehörte sie 1947-52 dem Opernhaus in Düsseldorf an. Insbesondere als Interpretin von Mozart- und Strauss-Partien erlangte M. T., die in allen Musikmetropolen Europas und Amerikas gastierte, Weltgeltung, war aber auch in Rollen der it. und frz. Oper des 19. Jh. erfolgreich. TESSARINI, Carlo, * um 1690 Rimini, t nach 1766; it. Violinist und Komponist. Er war in Venedig Konzertmeister am Konservatorium SS. Giovanni e Paolo und wurde 1720 Violinist an S. Marco. 1733-43 und wieder 1756-58 wirkte er als Violinist am Dom von Urbino. Vermutlich lebte er 1744-56 in Paris; 1746, 1747 und 1761 hielt er sich in den Niederlanden, 1752 in Frankfurt am Main auf. Nach einem Konzert am 15. 12. 1766 in Arnheim verliert sich seine Spur. T.s Werke, ausschließlich für Streicher mit B. c. und mit ausgesprochen virtuosem Einschlag, stehen in der Tradition A. Vivaldis und zeigen auch Züge der galanten Schreibweise. WW : Im Druck erschienen (meist in Paris, 1729 — um 1763) zahlr. Slgen. V.-Sonaten; einige V.-Duos, zahlr. Triosonaten; Concerti u. Sinfonien für 3 u. 4 Str. u. B. c. ; 12 V.-Konzerte; L'arte di nova modulacione, Capriccio musicale a 7. — Ferner das Lehrwerk Gramatica di musica (R 1741) (in mehrere Sprachen übers.). Ausg.: V.-Konzert G-Dur, op. 1 Nr. 3, hrsg. v. H. MÜLLER (Bonn 1970); V.-Konzert G-Dur, op. 1 Nr. 4, hrsg. v. DEMS. (Adliswil — Z 1973). Lit.: A. DUNNING, Some Notes an the Biography of C. T. and his Musical Grammar, in: StMw 25 (1962); DERS., T., in: MGG XIII.
TEST() (it. = Text), Bz. für die Vertonung des erzählenden Textes, im übertragenen Sinn gelegentlich auch für die Rolle des Erzählers im it. lOratorium des 17.-18. Jh.; er entspricht dem ' Historicus im lat. Oratorium und dem t Evangelisten in der dt. protestantischen 2. Passion und r Historia. Mit der Angleichung des Oratoriums an die Oper im Umkreis der Neapolitanischen Schule wurde der T., da er wesenhaft der dramatischen Struktur entgegengesetzt ist, weithin abgeschafft (z. B. in den Oratorienlibretti P. Metastasios). Lit.: r Oratorium.
TESTORE, Carlo Giuseppe, * um 1660 Novara (Piemont), t nach 1727 Mailand; it. Geigenbauer. Er war Schüler insbesondere von G. Grancino in Mailand, wo er sich um 1687 niederließ. Seine Instrumente zeigen den Einfluß der GuarneriSchule. - Seine Söhne Carlo Antonio (um 1688 bis nach 1764) und Paolo Antonio (um 1690 - nach 1750) führten die Werkstatt weiter und bauten Instrumente ähnlicher Art. Lit.: A. FUCHS, Taxe der Streichinstr.e (L 1907, NA F 1955); R. VANNES, Dictionnaire universel des luthiers, 2 Bde. (Bru 2 1951).
TETLEY, Glen, * 3.2. 1926 Cleveland (Ohio); amerik. Tänzer und Choreograph. Er studierte seit 1948 Modern Dance bei Hanya Holm und Martha Graham sowie klassisches Ballett bei Margaret Craske und Anthony Tudor in New York und gehörte dann verschiedenen amerik. Ballettkompanien an, bevor er 1962 eine eigene Truppe gründete. Für dieses Ensemble schuf T. eines seiner bekanntesten Ballette, Pierrot lunaire, nach der Musik von A. Schönberg (UA: New York 1962), mit dem ihm endgültig der Durchbruch gelungen war. 1969-74 leitete er (zus. mit H. van Manen) das Nederlands Dans Theater und übernahm 1975 die Nachfolge J. Crankos als Direktor und Chefchoreograph des Balletts der Württembergischen Staatstheater in Stuttgart. Seit 1976 ist T. nur noch als Gastchoreograph in Europa und den USA tätig. Eine seiner eigenwilligsten Produktionen der letzten Jahre war die Choreographie zu A. Nordheims The Tempest anläßlich der UA in Schwetzingen 1979. - T. arbeitete zunächst im Stil des amerik. Modern Dance und gelangte dabei zu einer persönlichen, von starker Formkraft und Expressivität geprägten, klassizistisch-abstrakten Bewegungssprache. Durch seine Arbeit mit dem Stuttgarter Ballett wurde er vom Handlungsballett Crankoscher Ausprägung beeinflußt und übernahm dessen Elemente. Seine neuesten Ballette zeigen sich der Eleganz und dem tänzerischen Schwung der Choreographien Jiří Kylians verwandt. 115
Tetrachord Lit.: Pierrot in Two Worlds, Interview, in: Dance and Dancers (1967) Dezember-H.; J. PERCIVAL, G. T., in: Experimental Dance (Lo 1971). B. A. KOHL
TETRACHORD (von griech. tetra = vier und chordě = Saite), in der antiken und mittelalterlichen Musiktheorie Bz. für das typische Viertonsystem (Quartsystem), auf dessen Struktur die jeweiligen Tonsysteme beruhten. Bei den Griechen erhielt das T. vor allem wegen seiner Variabilität besondere Bedeutung, so daß es einerseits der Lehre von den Tongeschlechtern (r Genos) und andererseits der Lehre vom gesamten Tonsystem (r Systema teleion) eine feste Basis bot. In seiner (später ausschließlich gültigen) diatonischen Form enthält es 2 Ganztöne und 1 Halbton in beliebiger Anordnung (etwa a g fe oder g fe d oder fe d c). Wie weit das T. in der Antike auch für die musikalische Praxis bestimmend war, läßt sich schwer nachprüfen; doch mag es in der älteren Zeit eher eine Rolle gespielt haben als später. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, daß irgendeine der T.Formen im Sinne einer bestimmten Tonart festgelegt gewesen wäre (ein „dorisches T." ist nirgends bezeugt). Die antike T.-Lehre hat im Mittelalter weitergewirkt, zumal in der frühmittelalterlichen Tonartenlehre seit Aurelianus (protus, deuterus, tritus, tetrardus) und in den neuen Darstellungen des Tonsystems, besonders der r Musica enchiriadis. Mit dem Aufkommen der r Hexachord-Lehre, der r Solmisation und der Guidonischen Buchstaben (t Guido von Arezzo) verlor die T.-Lehre ihre frühere zentrale Aufgabe und trat fortan in den Hintergrund. F. ZAMINER TETRARDUS ,Kirchentöne. TEUFELS ANTEIL, DES (Carlo Broschi ou La part du diable), Opéra-comique in 3 Akten von D. Fr. E. Auber, Text von E. Scribe. Ort u. Zeit der Handlung: Madrid u. Aranjuez, während der Regierung Ferdinands VI. 1746-59. UA: 16. 1. 1843 Paris (Opéra-Comique); EA in dt. Sprache: 8.7. 1843 Wien (Theater auf der Wieden); dt. EA (in dt. Sprache): 17.9. 1843 Frankfurt am Main. Das Leben des berühmten Kastraten C. Broschi, der unter dem Namen Farinelli bekannt wurde, regte Scribe zu seinem Libretto an. Einige Episoden aus der legendären Karriere des Künstlers flossen in die amüsante Liebesgeschichte ein, in welcher der junge Rafael d'Estuniga mit dem vermeintlichen Teufel Carlo Broschi einen Pakt schließt, um seine Angebetete, Casilda, Broschis Schwester, wiederzufinden. Broschi, ein begnadeter Sanger, heilt den gemütskranken König durch seine musikalische Kunst und gelangt so in eine 116
Position bei Hofe, die es ihm ermöglicht, das junge Paar zusammenzuführen. - Die von den Zeitgenossen gerühmte „douce mélancholie", die dem
Werk eigen ist, war sicherlich ebenso Grund für den dauerhaften Erfolg des Werkes wie die publikumswirksame Teufelsbeschwörung, in der das parodistische Element auf die großen Vorbilder für diesen Operntopos (z. B. in C. M. von Webers Freischutz) zurückverweist. Effektvolle Koloraturpartien schuf Auber für den Part des Broschi - eine Hosenrolle. R. QUANDT TEUFELSKÄTHE, DIE (Čest a Kâča), Oper in 3 Akten von A. Dvořák, op. 112, Text von Adolf Wenzig. Ort der Handlung: Böhmen u. die Hölle. UA: 23. 11. 1899 Prag; dt. EA (in dt. Sprache): 27.4. 1909 Bremen. Das Libretto fußt auf einem böhmischen Volksmärchen mit der für diese Gattung typischen assoziativen Verknüpfung verschiedener Handlungsstränge, dem charakteristischen Handlungsmuster „Bedingung - Erfüllung" und einigen bekannten Motiven : das mit einem losen Maul begabte heiratslustige Mädchen ; die böse Herrscherin, die Bestrafung fürchtet; der dumme Teufel und der standhafte junge Bursche aus dem Volk. In der Libretto-Fassung (die beim Wettbewerb des Nationaltheaters Prag für Opernlibretti 1898/99 mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde) wird die Geschichte zur Parabel über die Freiheit, die dem Volk von einer einsichtigen Herrscherin geschenkt wird. Dvořáks Komposition basiert auf einigen wenigen Motiven (das Personalmotiv des Teufels wird vom „diabolischen" Tritonus-Schritt geprägt), deren Charaktervarianten zu einem leitmotivisch organisierten symphonischen Geflecht verbunden sind. In diesen die musikalische Handlung tragenden Orchestersatz sind meist liedhafte, geschlossene Gesangsformen eingelagert. Elemente slawischer Folklore dominieren in der Themenerfindung; auch das Höllenballett (2. Akt) ist ein wilder slawischer Volkstanz. - Seit der dt. Wiederaufnahme 1956 in Berlin (Komische Oper) ist auch der Titel Katinka und der Teufel gebräuchlich. J. SCHLÄDER TEUFEL VON LOUDUN, DIE, Oper in 3 Akten von Krz. Penderecki, Text vom Komp. nach John Whitings (von E. Fried ins Deutsche übertragenem) Drama The Devils (1961) und dessen Vorlage, Aldous Huxleys aktualisierend-interpretierender Dokumentation The Devils of Loudun (1952). Ort u. Zeit der Handlung: Loudun (bei Poitiers), während des Regimes Ludwigs XIII. und Kardinal Richelieus. UA: 20.6. 1969 Hamburg. Der weltgewandte, durchaus sinnenfrohe Priester
Thailand Urbain Grandier war in Verruf geraten, die um sich greifende Besessenheit der Nonnen eines Ursulinenklosters verschuldet zu haben. Weil seine Verurteilung zudem den staatlichen Machthabern opportun erschien, machte man ihm den Prozeß und ließ den Kleriker am 18.8. 1634 lebendig verbrennen. Diesen prominenten historischen Fall von Hexenwahn erkor Penderecki zum publikumswirksamen Vorwurf seines ersten, inzwischen bereits oftmals inszenierten Bühnenwerks. Grandiers Imitatio Christi, die exaltierte Haßliebe der Priorin Jeanne gleichwie den Inquisitionsgreuel und die Exorzismushysterie suchte der Komponist in jener „postseriellen", von virtuos genutzten Cluster-Techniken und instrumentatorischem Raffinement geprägten Tonsprache zu präsentieren, die er schon in der Lukaspassion so erfolgreich zu beherrschen wußte. Daß seine Opernmusik nicht nur einen Klanghintergrund für das szenische Geschehen bildet, sondern daß ihr auch genuin dramatische Qualitäten eignen, machte (zwei Tage nach der UA) erst die Stuttgarter Produktion unter G. Rennerts Regie und János Kulkas Stabführung deutlich. E. FISCHER TEYBER (Tauber, Tauber u. zahlr. andere Namensformen), östr. Musikerfamilie, deren erstes bekanntes Mitglied, Matthäus (um 1711-1781), seit 1741 Violinist am Wiener Hof war. Von Bedeutung wurden seine vier Kinder: 1) Elisabeth, * 16.9. 1744 Wien, t 9.5. 1816 ebd. Sie war Schülerin von J. A. Hasse und Vittoria Tesi und sang mit Erfolg in Italien, Deutschland und Rußland. - 2) Anton, * 8.9. 1756 Wien, t 18. 11. 1822 ebd. ; östr. Komponist. Er war Schüler von G. B. Martini in Bologna und wurde 1787 1. Hoforganist in Dresden, 1791 stellvertretender Dirigent und Komponist der Wiener Hofoper. Als Nachfolger W. A. Mozarts trat er 1793 als Komponist und Musikmeister in den Dienst der kaiserlichen Familie. Von ihm sind Klavierstücke, Kammermusik, Symphonien, Konzerte, Lieder, 2 Oratorien, Messen u. a. Kirchenwerke erhalten. - 3) Franz, * 25.8. 1758 Wien, t 21. 10. 1810 ebd.; östr. Dirigent und Komponist. Er war Schüler von G. Chr. Wagenseil (Klavier) und 1786-88 Dirigent der Theatertruppe E. Schikaneders in Salzburg. Nachdem er verschiedene Ämter in Deutschland bekleidet hatte, war er 1796-98 in Bern als Dirigent tätig, kehrte 1798 nach Wien zurück und arbeitete mit seinem Bruder und Schikaneder zusammen. 1801 wurde das Theater an der Wien mit seiner Oper Alexandereröffnet. Seit 1807 schrieb er für das Theater in der Wiener Leopoldstadt, wurde 1809 zum Domorganisten an St. Stephan und 1810 zum Hofor-
ganisten ernannt. Von ihm sind Sonaten und Tänze für Klv., eine Messe (1806) sowie mehrere Opern und Singspiele erhalten. - 4) Therese, * 15. 10. 1760 Wien, t 15.4. 1830 ebd. ; östr. Sängerin (Sopran). Sie debütierte 1778 an der Wiener Hofoper, sang 1782 bei der Uraufführung von W. A. Mozarts Die Entführung aus dem Serail die Partie des Blondchens und unternahm zusammen mit ihrem Gatten, dem Tenor Ferdinand Arnold, Konzertreisen. Lit.: Zu 2): K. PFANNHAUSER, Wer war Mozarts Amtsnachfolger?, in: Acta Mozartiana 1II/3 (Au 1956). — Zu 3): A. BAUER, Opern u. Operetten in Wien (Gr — Kö 1955).
THAILAND. Der Überlieferung nach stammt das Volk der Thai aus dem Süden des heutigen China. Der erste bekannte Ort war die Stadt Nan-chao (Provinz Honan), die um 600 n. Chr. ihre Blütezeit erlebte. Seit dieser Zeit und bis zur Invasion der Mongolen in China im 13. Jh. bestanden Beziehungen zwischen Thai und den chinesischen Völkern im Norden. Heute noch lassen sich in nahezu der gesamten Musik Th.s chinesische Elemente nachweisen, insbesondere pentatonische Skalen mit kleiner Terz und der Gebrauch des Quartintervalls. Aufgrund der mongolischen Invasion begannen die Thai nach Süden in das heutige Th. auszuwandern und eroberten bis etwa 1450 das Gebiet des heutigen Kambodscha mit der Hauptstadt Angkor, das von den Khmer besetzt war. Durch Vermittlung der Khmer bereits in einer früheren Zeit - wahrscheinlich über die Handelswege, die von Indien aus durch Nan-chao führten - nahm die Thai-Musik Elemente indischer Musik auf. Die traditionelle Thai-Musik verwendet 3 hauptsächliche Instrumentengruppen: 1. PI phat, ein Ensemble aus Xylophonen, Metallophonen, Gongspielen, Becken, Einzelgong, einer Trommel und einem Doppelrohrblattinstrument (PI); 2. Khrúang sai, ein Ensemble aus verschiedenen Saiten- und Schlaginstrumenten sowie einer Bambusflöte; 3. Mahöri, ein Ensemble aus melodieund rhythmustragendem Schlagwerk, Saiteninstrumenten und einer Flöte. Die Instrumente sind auf 7 Stufen innerhalb der Oktave mit ungefähr gleichem Intervallabstand gestimmt: 2
1
~T l
C
Cis
i
D Dis
E
F
Fis
G
Gis
A B
H
C
Ein Modus kann auf jeder dieser Stufen beginnen. Einige Formen der Vokalmusik weichen von den 7 festen Stufen der Instrumente ab. Wie die Musik Javas und Balis ist die instrumentale Kunstmusik Th.s vielschichtig: eine Hauptme-
117
Thailand
lodie wird gleichzeitig mit ihren verschiedenen Versionen und Variationen kombiniert (Heterophonie). Jede Stimme wird von einem einzelnen Instrument in der diesem eigenen Weise gespielt. Die Hauptmelodie, vom wichtigsten Gongensemble (Không wong yai) vorgetragen, ist traditionell diatonisch und setzt sich aus einer bestimmten Anzahl melodischer Standardmotive und Kadenzformeln zusammen. Die Takteinteilung ist binär, und die Melodien werden durch sich abwechselnde gedämpfte (laute) und nicht gedämpfte (leise) Schläge gestützt, die jeweils einer Schlageinheit entsprechen und auf einem Paar kleiner Becken ausgeführt werden. Die zeitliche Abfolge dieser Schläge bestimmt die Form des ganzen Stückes. Die metrische und rhythmische Betonung fällt ähnlich wie in der Musik Javas und Balis - auf den 2. und 4. Schlag jeder Vierergruppe (nicht so sehr auf den 1. und 3. wie in der westlichen Musik; s. Bsp.: O = nicht gedämpft, + = gedämpft, O = gedämpfter Gongschlag). Die Stufen, die mit dem 4. Schlag jeder Vierergruppe zusammenfallen, nehmen einen besonderen Rang ein, der auf den Quintbeziehungen gründet; sie bilden den Modus (den „Geist") eines Stückes. Eine eigene Thai-Terminologie für die Bezeichnung der Modi gibt es nicht. Die Modus-Vorstellung in der Thai-Musik scheint auf chinesische Einflüsse zurückzugehen: 5 Modi sind möglich, einer auf jedem Ton der pentatonischen Leiter. Dieses System hat sich jedoch in der Thai-Musik aufgelöst, denn mehr als die Hälfte aller überlieferten Stücke steht klar in dem Modus, der auf der 1. Stufe endet bzw. diese weitgehend benutzt. Die 4. und 7. Stufe dienen als Durchgangstöne, Verzierungen oder ermöglichen einen Moduswechsel (meist im Quintabstand). Hierauf beruht der typische Thai-Stil, der durch die folgende Melodie (im 6. Modus: 6 123 56) verdeutlicht wird: 0 o ;~c s■asš
■tri~~:~,~l~l
0o
00
0 o 00
~ 0 0 n
O
o 0o
o
~ --------------~ ----- --- ~~, ._. ,- •-,..-------• --r_:;,. -~---~ — - -. ---~, ~•—~--~-
Ein anderer Stil, Mön genannt (nach dem Volk der Mön), ist noch mehr diatonisch und umfaßt 6 oder 7 Stufen, obgleich die durch Beckenschläge akzen118
tuierten Stufen eher denen der pentatonischen Leiter entsprechen. Hier ein Teil eines Stückes im Mbn-Stil (2. Modus: 23 56 12):
,41
TŤ~~JTI o~ ~~ 1 ~1
■ns _ ~ s~_ - --•■:_=■:~ -•-------------... ---—---- .~ ------• •-----, _ ----_ - -- n ~+sse -- rs~T►rra~~si~r ~
In der Thai-Musik findet sich nur eine begrenzte Anzahl von Formen. Die meisten Stücke, vor allem das ziemlich alte Repertoire des 19. Jh., bestehen aus Aneinanderreihungen einzelner Teile und aus Wiederholungen und Sequenzen. Gegen Ende des 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. entwickelte sich die Variationsform Thao : eine vorhandene Komposition („Mittelfassung") wird auf die doppelte Länge gebracht, dann auf die Hälfte der ursprünglichen Fassung verkürzt; dabei bleiben in jeder Fassung die wesentlichen Elemente der modalen Struktur erhalten. Das oben angeführte 1. Bsp. stellt eine „Mittelfassung", das 2. die ausgeweitete Fassung einer Thao-Komposition dar. In jeder Fassung geht ein vokaler Abschnitt einem gleich langen instrumentalen Teil voraus. Die ThaoForm kann auch als eine rein instrumentale Folge ohne vokalen Teil ausgeführt werden. Obwohl sie nur ziemlich begrenzte Mittel verwendet, bietet die traditionelle Thai-Musik eine große Vielfalt. Infolge der Restriktionen und der Abschaffung zahlreicher königlicher Residenzen (1932), an denen diese Musik seit etwa 100 Jahren gefördert wurde, hat die traditionelle Musik Th.s sich nicht weiterentwickelt und wird nur selten gespielt. Von Zeit zu Zeit entsteht eine begrenzte Zahl von Kompositionen und Bearbeitungen, vor allem für die Theatervorstellungen des Department of Fine Arts in Bangkok. Praktisch jedoch ist die Thai-Musik eine tote Tradition geworden. Lit.: PHRA CHEN DUR[YANGA, Siamese Music (Bangkok 1948), 4. Aufl. als: Thai Music (ebd. 1956); S. MOORE, Thai Songs in % Meter, in: Ethnomusicology 13 (1969); D. MORTON, Music in Th. The Traditional System and Foreign Influences, in: Musikkulturen Asiens, Afrikas u. Ozeaniens im 19. Jh., hrsg. v. R. Günther (Rb 1973); DERS., The Traditional Music in Th. (Berkeley 1976); DERS., Th., in: Grove. XVIII (mit weiterer, auch in Th. erschienener Lit.). D. MORTON
THAIS,
Comédie lyrique in 3 Akten (7 Bildern)
Theile von J. Massenet, Text von Louis Gallet nach dem gleichnamigen Roman von Anatole France. Ort u. Zeit der Handlung: Theben, Alexandrien u. eine Oase, im 12. Jh.; UA: 16.3. 1894 Paris (Opéra). Mit diesem weltweit erfolgreichen Werk reihte sich Massenet unter die Fin-de-siècle-Komponisten ein; literarische Werke wie P. Mérimées Carmen, O. Wildes Salome und G. Flauberts Versuchungen des hl. Antonius stecken in etwa den motivischen Rahmen für Thais ab. Psychologisches und dramatisches Zentrum der Oper ist nicht die Titelheldin, sondern der Mönch Athanael, dem es zwar gelingt, die schöne Kurtisane Thaïs auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, der aber an der in ihm selbst erwachten Liebe zu ihr zerbricht. Über dem Sterbelager der bekehrten Heldin verflucht Athanael Gott. Feinfühlig hat Massenet versucht, den Bereich jenseits moralischer Maßstäbe, den schmalen Grat zwischen Heiligkeit und Laster, zwischen religiöser und erotischer Ekstase, musikalisch sinnfällig werden zu lassen - ein Gedanke, auf den schon Anatole France in seinem Roman Thais (1890) hinwies. Wie später auch R. Strauss in Salome, so vertraut schon Massenet der reinen Instrumentalmusik die Aufgabe an, nicht verbalisierte psychische und gedankliche Prozesse (Bekehrung/Verführung) anzudeuten, ohne daß die für den Stil des Komponisten charakteristische Akzentuierung der fließenden Melodik eingeschränkt würde. Die berühmte Meditation im 2. Akt, nach der unglaubhaft plötzlichen Bekehrung der „Priesterin des Bösen", ist dafür exemplarisch. R QUANDT THALBERG, Sigismund Fortuné François, * B. 1. 1812 Genf, t 27.4. 1871 Posillipo bei Neapel; östr. Pianist und Komponist. Er erhielt seine Ausbildung bei J. N. Hummel und S. Sechter in Wien und bildete sich in Paris noch bei Fr. Kalkbrenner weiter. Seine erste Konzertreise 1830 durch Deutschland machte ihn rasch bekannt. 1836 trat er mit sensationellem Erfolg in Paris auf, der zu einer Parteienbildung von Anhängern Fr. Liszts und Anhängern Th.s führte. 1837 kam es zu einem Wettspiel mit Liszt, bei dem Th. unterlag. Er feierte zwischen 1837 und 1848 zwar weiterhin Triumphe, geriet aber zunehmend in den Schatten Liszts als des genialeren und universelleren Musikers. 1855 reiste er nach Brasilien und Kuba, 1856 nach Nordamerika; 1858 ließ er sich in Neapel nieder. Th.s Vorzüge waren eine außergewöhnliche Technik, kultiviertes Spiel und eine tadellose, überlegene Spielhaltung, doch war sein Vortrag nach Meinung mancher Kritiker zu wenig beseelt und gleichförmig, es fehlte der zündende Funke. Als Klavierkomponist war Th. ohne Bedeutung.
Lit.: E. MÜHSAM, S. Th. als Klv.-Komponist (Diss. W 1937); V. VITALE, S. T. a Posillipo, in: NRMI 6 (1972).
THAYER, Alexander Wheelock, * 22. 10. 1817 South Natick bei Boston (Massachusetts), t 15.7. 1897 Triest; amerik. Musikforscher. Er studierte an der Harvard University, wurde 1843 Assistent an der dortigen Bibliothek. 1854-56 und 1858 besuchte er Deutschland, um Material für eine geplante Beethoven-Biographie zu sammeln. Seit 1862 war er Botschaftsattaché in Wien und 1865-82 amerikanischer Konsul in Triest. Th.s hsl. Beethoven-Biographie hat durch Fülle und sorgfältige Auswertung des Materials neue Maßstäbe gesetzt und ist vor allem in der Übersetzung und Bearbeitung durch Hermann Deiters und H. Riemann grundlegend geworden. Schriften: Ein chronologisches Verz. der Werke L. van Beethoyens (B 1865); Ludwig van Beethoven's Leben. Nach dem Original-Ms. dt. bearbeitet v. H. Deiters - H. Riemann, 5 Bde. (B - L 1866-1908) (bibliographische Details bei r Beethoven, Lit. 3), engl. übers.: E. H. Krehbiel, Life of Beethoven, 3 Bde. (NY 1921, Neudr. 1959), revidierte engl. Ausg.: Thayer's Life of Beethoven, hrsg. v. E. Forbes, 2 Bde. (Lo - Princeton 1964, NA 1970); Ein kritischer Beitr. z. Beethoven-Lit. (B 1877). Lit.: CH. MATCH, The Education of W. Th., in: MQ 42 (1956).
THEILE, Johann, * 29.7. 1646 Naumburg, begraben 25. 6. 1724 ebd.; dt. Komponist. Nach früher Musikausbildung bei J. Schemer in Magdeburg studierte er seit 1666 in Leipzig Jura, betätigte sich als Sänger und Gambenspieler und wurde von hier aus Schüler von H. Schütz in Weißenfels. Anschließend lebte er als Musiklehrer in Stettin, dann in Lübeck. 1673 bis Februar 1675 wirkte er als holsteinischer Hofkapellmeister in Gottorf. 1676 ging er nach Hamburg, wo am 2. 1. 1678 die Gänsemarkt-Oper mit seinem (nicht erhaltenen) Singspiel Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch eröffnet wurde. 1685 wurde Th. Hofkapellmeister in Wolfenbüttel, 1691 in Merseburg. Vermutlich 1694 kehrte er nach Naumburg zurück, wo er nach 1700 als Berater der jährlichen Opernaufführungen wirkte. Zeitweilig war Th. auch am Berliner Hof tätig. Th. war in seiner Zeit als Meister esoterischer kontrapunktischer Künste bekannt, wie dies besonders das Musikalische Kunstbuch bezeugt. Ein gattungsgeschichtlich bedeutsames Werk ist seine Passion (zu der D. Buxtehude ein Widmungsgedicht schrieb). Die monodischen Partien - die noch deutliche Elemente des choralen Passionstons enthalten und nach Anweisung des Komponisten auch a cappella vorgetragen werden können - und die Turbasätze sind sämtlich instrumental begleitet. WW: 1) Kompositionen: Messen für 4-5 St. mit oder ohne B.c. (F
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Thelin — L 1673); Passio ... oder Das Leiden und Sterben unsers Herrn Jesu Christi nach ... Matthäo für Soli, Chor, 2 Va. u. 2 Gamben u. B.c. (Lübeck 1673); hsl. sind erhalten:4 Messen; 7 lat. Psalmen für 4 St. u. Instr.; etwa 20 dt. Motetten für 1-5 St. u. Instr. — Weltliche Arien u. Kanzonetten für 1-4 St., lnstr. u. B.c. (L 1667); hsl. ein dt. Madrigal u. 7 Arien aus der Oper Orontes (UA: Hamburg 1678). — Ferner 2 Sonaten für 3 bzw. 4 Instr. u. B.c. — Musikalisches Kunstbuch (überliefert in zahlr. Abschriften u.a. v. J. G. Walther) mit Kanons, Fugen, Sonaten, Suitensätzen u. Messesätzen für 2-6 St. im doppelten Kontrapunkt. — 2) Schriften: 5 Kontrapunkt-Traktate (hsl.). Ausg.: Matthäus-Passion, hrsg. v. F. ZELLE (L 1904) (— DDT 17); Missa brevis, hrsg. v. R. GERBER (Wb 1932) (= Chw 16); Suite für Str. u. Cemb., hrsg. v. M. SEtFFERT (Wb oJ.) (a Organum 111/19); Unser Matz hat einen grollen langen Bart, in: H. J. MoSER, Corydon (Brau 1933, Nachdr. Hol 1966); Arien aus Orontes, in: H. CH. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg (H 1957); Musikalisches Kunstbuch, hrsg. v. C. DAHLHAUS (Kas 1965) ( _ Denkmäler norddt. Musik 1). Lit.: F. ZELLE, J. Th. u. N. A. Strungk (B 1891); W. MAXTON, J. Th. (Diss. TO 1926); W. SCHULZE, Die Quellen der Hamburger Oper (H 1938); E. SCHENK, J. Th.s „Harmonischer Baum", in: FS M. Seiffert (Kas 1938); DERS., Das „Musikal. Opfer" v. J. S. Bach, in: Anzeiger der phil.-hist.-Klasse der Östr. Akad. der Wiss. 90 (1953); M. GECK, Th., in: MGG kiII; W. BRAUN, Zwei Quellen für Ch. Bernhardts u. J. Th.s Satzlehren, in: Mf 21 (1968); E. J. MACKAY, The Sacred Music of J. Th. (1968) (— Diss. Univ. of W. PFANNKUCH Michigan).
THELIN, Eje, * 1937 in Schweden; schwedischer Jazzmusiker (Posaune). Th. spielte seit 1961 mit eigenen Gruppen, wurde 1967 Dozent für Jazz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz, wo er großen Einfluß ausübte, und trat in den 70er Jahren wieder mit eigenen Formationen und als Gast prominenter Musiker des internationalen Free Jazz und New Jazz auf. Unabhängig von Albert Mangelsdorff in Deutschland, der ihn als sein erstes Vorbild bezeichnet, hat Th. wesentlich zur Erweiterung der Spiel- und Ausdrucksmöglichkeiten der Posaune beigetragen. Er ist ein souveräner Improvisator und zeigt in unbegleiteten Solostücken äußerste Reife; spielerische Merkmale sind Tonmächtigkeit, linear weiche Phrasierung sowie Verhaltenheit und Eleganz im Ausdruck. THEMA, Bz. für den Gegenstand einer Komposition. Das Wort ist in der Musiktheorie seit dem 16. Jh. in Gebrauch. Es wurde zunächst nur gelegentlich verwandt, meist synonym mit Subjectum (lat.) und r Soggetto (it.). Bedeutsam wird der Begriff in der Sonatentheorie des 19. Jh., in der mit Th. die Gedanken großer instrumentaler Formen bezeichnet werden. Im Zusammenhang damit wird der Begriff auch auf ältere Gattungen, vor allem auch auf die ř Fuge angewandt, ein Verfahren, das sich auf historische Vorbilder stützen kann. Gegenstand des Musicalischen Opfers von J. S. Bach ist das vom Komponisten so bezeichnete 120
„Th. regium", das Friedrich der Große Bach gestellt hatte, damit er es in einer Fuge ausführte. Im 16. Jh. meint Th. (s Soggetto) den Wort und Ton vereinenden Vorwurf des polyphonen Satzes: den C. f. oder die zeilenartige Melodie, die dem Abschnitt einer Komposition, z. B. einer Motette, zugrunde liegt. Jeder Abschnitt einer solchen Komposition hat demnach grundsätzlich sein eigenes Thema. Die Fuge mit ihren Vorformen ist die erste Gattung, die, um den Verlust des sinnstiftenden Textes zu ersetzen, sich während ihrer ganzen Dauer auf ein einziges musikalisches Th. konzentriert. Die Gestalt des Fugen-Th.s ist in hohem Maße auf die Technik seiner Bearbeitung abgestellt. Es lädt zur kontrapunktischen Ergänzung ein und läßt dieser melodischen und rhythmischen Spielraum. Je weniger Stimmen eine Fuge hat, um so bewegter ist ihr Th., je mehr Stimmen sie hat, um so ruhiger ist es. Die Charaktere der Themen sind so verschieden wie die der Fugen. Man unterscheidet an den alten vokalen Stil erinnernde Ricercarthemen, modernere Kanonenthemen, Tanz-, Spiel- und pathetische Themen. Die Eigenständigkeit der bedeutenden instrumentalen Gattungen bekundet sich im 18. und 19. Jh. auch in der musikalischen Beredsamkeit ihrer Themen. Die Frage nach der Eigenschaft eines geglückten Th.s hängt in einem so hohen Maße vom Epochen- und Gattungsstil ab, daß man sie losgelöst davon nicht bestimmen kann. Eine Fuge verlangt ein anderes Th. als ein Sonatensatz; eine Symphonie ein anderes als ein Konzert oder eine Sonate, eine große Sonate ein anderes als eine Sonatine, der erste Satz eines zyklischen Werkes ein anderes als der letzte usw. Im allgemeinen sind Melodie und Rhythmus die bestimmenden Faktoren der Themen. Andere können hinzukommen oder diese in den Hintergrund drängen: die Harmonie, metrische Figuren oder die Klangfarbe. Mehr als in den übrigen Partien bekundet sich in der Thematik der Einfallsreichtum und die Erfindungskraft des Komponisten. In Werken großen Formats werden den Hauptthemen Nebenthemen beigegeben oder entgegengestellt. Die Prägnanz der Themen wächst mit dem Format der Werke. Sie ist gering in kleinen Stükken, in Tänzen und liedhaften Sätzen, so gering oft, daß man zögert, von Th. zu sprechen. Sie ist groß in den hochorganisierten l Sonatensatz- und Rondo-Formen. Die dominierende thematische Einheit wird grundsätzlich zu Beginn eines Satzes exponiert. Sie beherrscht ferner den Beginn der großen formbildenden Abschnitte, oft den Beginn der Durchführung und grundsätzlich den der Reprise. Zu Beginn der Exposition und der Reprise
Thematische Arbeit steht das Th. in der Tonika, zu Beginn der Durchführung gegebenenfalls häufig in der Dominante. Themen sind im 18. Jh. meist symmetrisch angelegt und satzartig in sich geschlossen. In der Exposition werden sie oft wiederholt. Dies alles läßt sie im Organismus eines Satzes als Phasen der Stabilität und Ruhe erscheinen. Die Nebenthemen können Varianten des Hauptsatzes sein (J. Haydn) oder damit kontrastieren (L. van Beethoven). Dem Anfangs-Th. folgt meist ein unthematischer Zwischen- oder Llberleitungssatz, der allerdings Motive des Th.s fortspinnen kann, dem Seiten-Th. meist eine mehr oder weniger weitschweifige Ausbreitung, die in förmlichen Kadenzen endet. Die Durchführung der Sonatensatzform hat oft, seit Beethoven regelmäßig, Motive der Themen zum Gegenstand ; sie ist der Ort der t thematischen Arbeit. Manche Komponisten wandeln darin die Themen ab (Fr. Schubert). Der Charakter der Themen hängt in hohem Maße von der Besetzung ab. Die Themen des ersten Symphoniesatzes sind einfach, glänzend und feurig, die Themen des solistischen Sonatensatzes nuancenreich und individuell. Die Themen des Streichquartetts haben das höchste gedankliche Niveau, das Instrumentalmusik zu erreichen imstande ist. Im 19. Jh., schon in manchen Werken Beethovens, tritt die Bedeutung der satzförmigen thematischen Einheiten hinter die der dynamisch bestimmten elementaren Einheiten, der Motive, zurück. E. Th. A. Hoffmann hat das erste 2taktige Motiv der 5. Symphonie von Beethoven zu ihrem Hauptgedanken erklärt. W. Riezler stellt fest, daß der erste Satz der 3. Symphonie ein „Hauptmotiv", nicht aber ein „Hauptthema" habe. Und auch dort, wo sich die Motive noch zu thematischen Sätzen vereinen, ist ihre Gestaltqualität geringer als in der Klassik. An die Stelle faßlicher charakteristischer musikalischer Gedanken treten weiche, schwer greifbare Gebilde, deren Eigenart weniger in der melodisch-rhythmischen Zeichnung als in der organisch-dynamischen Entwicklung eines musikalischen Bewegungselementes besteht (J. Brahms). In klassischen Instrumentalzyklen überschreitet ein Th. die Satzgrenzen grundsätzlich nicht. Im 19. Jh. wird dieses Prinzip vielfach aufgegeben. Man bindet mehrere oder alle Sätze an ein Thema. Diese Themen sind grundsätzlich nicht mehr an das Prinzip der metrischen Symmetrie gebunden. Sie sprechen die Sprache der musikalischen Prosa (Fr. Liszt). Lit.: A. HALM, Zur Phänomenologie der Thematik, in: Von Grenzen u. Ländern der Musik (Mn 1916); W. SENN, Das Hauptthema in den Sonatensätzen Beethovens, in: StMw 16 (1930); F. BRAND, Wesen u. Charakter der Thematik im Brahms-
schen Kammermusikwerk (Diss. Be 1937); H. BESSELER, Bach als Wegbereiter, in: AfMw 12 (1955); K. H. WÖRNER, Das Zeitalter der themat. Prozesse in der Gesch. der Musik (Rb 1969) ( Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 18). W. SEIDEL
THEMATISCHE ARBEIT, motivisch-thematische Arbeit, Bz. für die Ausarbeitung eines zentralen musikalischen Gedankens (OE Thema), vor allem in der t Sonatensatzform, bei der die in der r Exposition aufgestellten Themen in der t Durchführung eine mehr oder minder ausgiebige Abwandlung erfahren. Th. A. ist ein UmgestaltungsprozeB, der, im Gegensatz zu additiver Reihung oder kontrastierender Gegenüberstellung, durch systematische oder zumindest folgerichtige „Ableitung" melodischer Gestalten den Zusammenhang eines musikalischen Verlaufs sinnfällig macht. (A. Schönberg hat die allmähliche Transformation der thematischen Substanz in andere Erscheinungsformen als „entwickelnde Variation" bezeichnet.) Ihrem Prozeßcharakter entsprechend findet sich th. A. überwiegend in formdynamischen Abschnitten (z. B. Durchführungen, Überleitungen, Steigerungen, SchluBabschnitten). Die Verfahren der Abwandlung sind systematisch nicht zu erfassen - sie hängen von der jeweiligen Struktur des Themas und vor allem von der schöpferischen Phantasie des Komponisten ab -, doch lassen sich einige allgemeine Techniken aufzeigen. In der Musik der Wiener Klassik (als frühes Beispiel auch schon in den thematischen Zwischenspielen mancher Fugen J. S. Bachs) findet sich th. A. als Zergliederung, als Abspaltung oder Herauslösung von Motiven aus dem Verbund des Themas. Deren selbständige Weiterentwicklung kann als Auflösungsvorgang (L. van Beethoven, Ouvertüre zu Coriolan, Schlußtakte) oder als ein neue Formeinheiten schaffender morphologischer Prozeß erscheinen. ~~■=~ištï Y~
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Thema (a), Abspaltung (b,c) und Neuformung (d)
von Motiven in L. van Beethoven, 6. Symphonie (Pastora/e), 1. Satz
Daneben findet sich auch die „Variantenbildung" (besonders bei Fr. Schubert und G. Mahler). 121
Thematischer Katalog Th. A. im definierten Sinn gibt es primär im
melodisch-diastematischen Bereich, doch haben sich auch innerhalb des mehrstimmigen Satzgefüges bestimmte Abwandlungsverfahren ausgebildet: die satztechnische Auflösung von Themen durch dialogische Setzweise, „durchbrochene Arbeit" oder r obligates Akkompagnement sowie die andersartige „Beleuchtung" eines Themas durch neue Gegenstimmen oder kontrapunktische (imitatorische) Techniken.
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Entwickelnde Variation in J. Brahms,1. Symphonie, 1. Satz
Über die spezielle Bedeutung im Bereich der So-
natenforrn hinaus werden im weiteren Sinne auch andere Kompositionstechniken, bei denen ein musikalischer Grundgedanke systematisch abgewandelt wird, als th. A. bezeichnet. Dies betrifft sowohl kontrapunktische Formen, bei denen die Verarbeitung des OE Soggettos (oder r Subjekts) sich auf bestimmte Erscheinungsformen (wie Umkehrung, Krebsgang, Augmentation u. a.) beschränkt, als auch die Abwandlung eines Themas in einer Variationenfolge. Th. A. setzt ein Thema voraus, doch finden sich auch in athematischen Kompositionsstilen wie Zwölftontechnik und serieller Musik, bei denen ein vorgeordnetes Bezugssystem von Toneigenschaften an die Stelle eines Themas tritt, bestimmte, aus der Tradition thematischer Abwandlung stammende Verfahren wieder. Lit.: R. RETI, The Thematic Process in Music (NY 1951,'1966); K. H. WÖRNER, Das Zeitalter der themat. Prozesse in der Gesch. der Musik (Rb 1969) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 18). E. PLATEN
THEMATISCHER KATALOG, Bz. für ein Verzeichnis einer bestimmten Gruppe musikalischer, meist mehrstimmiger Kompositionen nach ihren Themen bzw. ersten Noten (Incipit) im Particell, Klavierauszug oder einstimmig (instrumentale oder vokale Melodiestimme oder B. c.). Es gibt auch thematische Verzeichnisse von gregorianischen Gesängen und von Volksliedern. Aus dem 18. und frühen 19. Jh. kennen wir nach Gattungen und Komponisten geordnete hsl. Verzeichnisse von Musiksammlungen, z. B. des Musikarchivs im Stift Göttweig (Wondratsch, 1830, hrsg. von Fr. W. 122
Riedel, 1979). Zu den ersten gedruckten thematischen Archivkatalogen gehören die des päpstlichen Kapellarchivs in Rom (Fr. X. Haberl, 1888) und der großherzoglichen Sammlung in Schwerin (O. Kade, 1893), zu den neueren die der Oettingen-Wallersteinschen Sammlung in Schloß Harburg und der Thurn- und Taxisschen Bibliothek in Regensburg (beide von G. Haberkamp, 1976 und 1981). Der erste thematische Verlagskatalog war der von J. J. Hummel in Amsterdam (1768-74, neu hrsg. von C. Johansson, 1972). Von 1762-87 erschienen Kataloge der von Breitkopf in Leipzig käuflich vertriebenen Abschriften (neu hrsg. von B. S. Brook, 1966). Thematische Kataloge, die das (Euvre eines einzelnen Komponisten verzeichnen, gab es ansatzweise schon im 17. und 18. Jh.; im 19. Jh. erschienen gedruckte Kataloge wie die der Werke von F. Mendelssohn Bartholdy (1843, 1882), R. Schumann (4 1868), Fr. Liszt (1855, 1877), J. Brahms (1887) und C. Saint-Saëns (1897). Sie sollten hauptsächlich anzeigen, welche 3
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Werke im Handel waren. Bahnbrechend für die Musikwissenschaft war das Mozart-Verzeichnis von L. von Köchel (1862), das seit 1964 in 6., bearbeiteter Auflage vorliegt. Eine beachtliche Leistung ist auch Fr. W. Jähns' Weber-Katalog (1871), während A. Wotquennes Verzeichnisse der Werke von Chr. W. Gluck (1904) und C. Ph. E. Bach (1905) heutigen Ansprüchen weniger genügen. Diese richten sich auf die Incipits und Taktzahlen für alle Sätze jedes Werkes, den Werktitel, die Besetzung, die Datierung, den Verfasser des vertonten Textes, den Auftraggeber, die Widmung, die erste Aufführung, früheste Erwähnungen, abweichende Fassungen, die authentischen Quellen (Autograph, Skizzen, beglaubigte Abschriften, Originalausgabe), kritische Neuausgaben, wichtige Literatur, Werke zweifelhafter Echtheit. Während Köchel die Werke chronologisch ordnete, sichtet sie W. Schmieder in seinem BWV (1950) nach Gattungen und zählt sie durch wie Köchel. Der Schubert-Katalog von O. E. Deutsch und anderen (1951, 2 1978) zählt die Werke wie Köchel chronologisch ; die undatierbaren Werke stehen in fortlaufender Weiterzählung am Schluß. Das Beethoven-Verzeichnis von G. Kinsky und H. Halm (1955) folgt den Opus-Nummern und bringt die Werke ohne Opuszahl (WoO) im 2. Teil. A. van Hoboken folgt in seinem Haydn-Veneichnis (1957-78) den Gattungen, numeriert diese römisch und die Werke jeder Gattung arabisch, jeweils mit 1 beginnend. Werke zweifelhafter Echtheit oder unechte Werke stehen bei Köchel, Schmieder und Deutsch im Anhang, bei Hoboken am Ende der einzelnen Gattungen.
Tňeorbe Thematische Kataloge gibt es auch von Werken zahlreicher anderer Komponisten, darunter C. Fr. Abel (W. Knape, 1971), L. Boccherini (Y. Gérard, 1969), A. Bruckner (R. Grasberger, 1977), F. Busoni (J. Kindermann, 1971), D. Buxtehude (G. Karstadt, 1974), Fr. Chopin (M. Brown, 1960; K. Kobylanska, 1979), M. Clementi (A. Tyson, 1967), J. Coprario (R. Charteris, 1977), Fr. Couperin (M. Cauchie, 1949), A. Dvořák (J. Burghauser, 1960), J. Eybler (H. Herrmann, 1976), E. Th. A. Hoffmann (G. Allroggen, 1970), G. Holst (I. Holst, 1974), J. N. Hummel (D. Zimmerschied, 1971), Fr. Kuhlau (D. Fog, 1977), S. von Neukomm (R. Angermüller, 1977), C. d'Ordoňez (A. P. Brown, 1978), G. B. Pergolesi (M. Paymer, 1977) I. Pleyel (R. Benton, 1977), A. Reicha (O. Šotolová, 1977), J. Rheinberger (H.-J. Irmen, 1975), G. B. Sammartini (B. D. Churgin - N. Jenkins, 1976), R. Strauss (E. H. Müller von Mow, 1955-68), A. Vivaldi (A. Fanna, 1968; P. Ryom, 1974). Mancher Th. erscheint im Anhang einer Biographie des betreffenden Komponisten, so bei W. Fr. Bach (M. Falck, 1913), J. Chr. Bach (Ch. S. Terry, 2 1967), C. Franck (W. Mohr, 2 1969), J. J. Fux (Köchel, 1872), G. Gabrieli (E. F. Kenton, 1967), oder als Teil einer Werkausgabe, z. B. bei J. Chr. Fr. Bach (G. Schünemann, 1917). Thematische Kataloge der Musik bestimmter Schulen oder Stilrichtungen sind H. Riemanns Verzeichnis der Mannheimer Symphonien und Kammermusik (1902-06 und 1915), Brooks Verzeichnis frz. Symphonien aus der 2. Hälfte des 18. Jh. (1962) und der Katalog des dt. r Tenorliedes. Auch andere RISM-Bände sind als Thematische Kataloge angelegt. Nachschlagewerke für die Bestimmung von Werken des gängigen Repertoires sind die von Barlow und Morgenstern (Dictionary of Musical Themes, 1948; Dictionary of Vocal Themes, 1950). Lit.: A. OTT, Themat. Verzeichnisse, in: MGG XIII; B. S. BRooK, Thematic Catalogues in Music. An Annotated Bibliogr. (Hillsdale/N.Y. 1972) (Standardwerk); H. WEI Iblk.IN, Bibliogr. musikal. themat. Werkverzeichnisse (Laaber 1978); B. S. BRooK, Thematic Catalogue, in: Grove" XVIII. G. FEDER
THEODORAKIS, Mikis (Mikes Georgiu), * 29.7. 1925 Insel Chios ; griechischer Komponist. Er studierte 1943-50 am Odeion in Athen, war während des 2. Weltkrieges Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung und 1947-49 im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in politischer Haft. 1953-59 setzte er seine Musikausbildung am Pariser Conservatoire bei O. Messiaen und R. Leibowitz fort. Nach Athen zurückgekehrt, wurde Th. seit 1961 erneut politisch aktiv (u. a. als Führer der linksorientierten „Demokratischen Jugend Lambrakis") und nach dem Militärputsch 1967 erneut
inhaftiert; seine Musik wurde verboten. 1970 freigelassen, lebte er bis zum Sturz der Militärregierung 1974 in Paris im Exil. WW: Kammermusik. - Für Orch.: Idipus tirannos (1946), Fassung für Str. (1955); Symphonie (1950); Klv.-Konzert (1958); Suite 1 (1954) für Klv. u. Orch.; Suite II für Orch.; Suite 111 (1956) für gem. Chor u. Orch. - Liederzyklen u. Chorwerke. - Ballett Antigone, UA: London 1959; Bühnenmusik; Filmmusik, u.a. zu: Elektra (1962); Alexis Sorbas(1964); Z(1969). - Th. schrieb: Jin tin elliniki musiki (Für eine griechische Musik) (Athen 1961); Journal de Résistance (P 1971), dt. Übers.: Mein Leben für die Freiheit (Be 1972); Musik für die Massen (Athen 1972).
Th.' ideelles Hauptziel, die politische Aktivierung des Volkes, suchte er durch die Ausbildung einer besonderen Form des „symphonischen Liedes" zu fördern, das in pathetisch-sentimentaler Weise griechische Folklore mit harmonischen Mustern romantischer Symphonik verbindet. In den letzten Jahren tritt dieser politische Anspruch zugunsten einer mehr auf Unterhaltung ausgerichteten Popularmusik zurück. Lit: G. GIANNARIS, M. Th. Music and Social Change (NY 1972) (mit Werk-Verz. u. Diskographie); Y. FLESSAS, M. Th., das Lied eines Volkes (Athen 1974); G. PIERRAT, Th. Le roman d'une musique populaire (P 1977); G. HoLsT, Th. Myth & Politics in ModB. A. KOHL ern Greek Music (A 1980).
THEORBE (engl.: theorbo; frz.: théorbe; it., span.: tiorba), Bz. für eine r Erzlaute (Baßlaute) mit sehr großem Lautenkorpus und in der Regel 2 Wirbelkästen (Krägen), die nicht, wie bei der " Laute, nach hinten abgeknickt sind. Der erste befindet sich in direkter Verlängerung des mit Bünden versehenen Halses. An ihm sind 6-8 einfache oder doppelchörige Griffbrettsaiten befestigt. Mit diesem Wirbelkasten ist der 2. Kragen durch einen kurzen, leicht geschweiften Zwischenhals seitlich versetzt verbunden. Zum 2. Wirbelkasten sind 8 ein- oder doppelchörige Baßsaiten gezogen, die neben dem Griffbrett verlaufen und daher nur in ganzer Länge schwingen. Gewöhnlich bestand der Bezug der Th. aus Darmsaiten, aber schon im frühen 17. Jh. erwähnt M. Praetorius auch Stahl- und Messingsaiten. Er beschreibt 2 verschiedene Th.n (Syntagma musicum II, 1619), die mit dem r Chitarrone identische Römische oder Romanische Th. und die mit Messing- und Stahlsaiten bezogene Paduanische Th. mit 8 auf D, E, F, G, A, H, C D gestimmten Baßsaiten und 8 Griffbrettsaiten E F G c f a d g. Die beiden obersten Saiten sind bei Praetorius - anstatt in d' und g' - eine Oktave tiefer gestimmt, weil ein Höherstimmen dieser Saiten die Saitenspannung so erhöht hätte, daß die Th. dieser Belastung nicht standgehalten hätte. Diese Stimmung hatte zur Folge, daß die beiden äußersten, von den Fingern am einfachsten zu greifenden Saiten nicht die Hauptmelodiesaiten waren, 123
Theorie der Musik sondern zur Ausfüllung in der Mittellage benutzt wurden, während die 3. (auf a gestimmte) Saite die eigentliche Melodiesaite war. Eine andere Stimmung, aber auch mit tiefer gestimmten oberen Saiten, gibt M. Mersenne (Harmonic universelle III, 1636) für eine 14saitige Th. (8 Baß-, 6 Griffbrettsaiten) an. Die Anzahl der Saiten einer Th. sowie deren Stimmung war je nach Zeit und Ort sehr unterschiedlich. So läßt sich nur sagen, daß in der Regel die Griffbrettsaiten in Quarten mit Terzen in der Mitte, die Ballsaiten dagegen diatonisch gestimmt waren. Bei 8 Griffbrettsaiten hatten die tiefsten oft in Fortsetzung der Ballsaiten diatonische Stimmung. Im 18. Jh. war die Th., vor allem in Deutschland, mit 6 doppelchörigen unisono gestimmten Griffbrettsaiten und 8 doppelchörigen jeweils im Oktavabstand gestimmten Ballsaiten ausgestattet und hatte auf den Griffbrettsaiten meistens die gleiche Stimmung wie die Laute. Die Th. entstand in der 2. Hälfte des 16. Jh. in Italien. Die Herkunft des Namens ist trotz zahlreicher Deutungsversuche bisher nicht geklärt. Sie wurde im 17. Jh. und in der 1. Hälfte des 18. Jh. vor allem als Fundamentinstrument im Generalball eingesetzt. Aber auch als Soloinstrument war sie im 17.Jh. sehr beliebt, wie einige gedruckte und hsl. Tabulaturen zeigen (Vera. in: Grove6 XVIII). Zu den Balllauten gehört auch die sog. „theorbierte Laute", deren Griffbrettsaiten zwar an den Wirbeln eines zurückgebogenen Knickhalses wie bei der Laute enden, die daneben aber einen weiteren, je nach Anzahl der Ballsaiten verschieden langen und breiten geraden Wirbelkasten in Verlängerung des Halses hat. Auch dieses Instrument erfreute sich, wie aus vielen Darstellungen ersichtlich, im 17./18. Jh. großer Beliebtheit. Alle Balllauten verloren jedoch in der 2. Hälfte des 18. Jh. ihre Bedeutung und wurden zugunsten anderer Instrumente aufgegeben. Lit.: H. NEEMANN, Laute u. Th. als GeneralbaBinstr.e im 17. u. 18. Jh., in: ZfMw 16 (1934); E. WIN rERNITz, On Archlutes, in: Guitar Review 9 (1949); H.-E. BACH, Die Th., in: Zflb 18 (1964); H. RADKE, Wodurch unterscheiden sich Laute u. Th.?, in: AMI 37 (1965); E. POHLMANN, Laute, Th., Chitarrone. Die Instr., ihre Musik u. ihre Lit. v. 1500 bis z. Gegenwart (Bremen 1968,'1976); R. SPENCER, Chitarrone, Theorbo and Archlute, in: Early Music 4 (1976); I. HARWOOD u.a., Th., in: Grove' XVIII; F. HELLWIG, The Morphology of Lutes with Extended Bass Strings, in: Early M. BRÖCKER Music 9 (1981).
THEORIE DER MUSIK r Musiktheorie. THÉRÉMINE, Léon (eig. Lew Termen), * 3. (15.) B. 1896 St. Petersburg; russ. Physiker. Th. leitete in St. Petersburg seit 1919 das Laboratorium für Oszillographie. Er ist der Erfinder des ersten elektroakustischen Musikinstruments, des von ihm so genannten „Aetherophons" (spätere Bz. Theremin 124
bzw. Thereminovox). Die erste Komposition dafür schuf A. F. Paschtschenko (Symphonisches Mysterium für Theremin und Symphonieorchester); sie wurde 1924 in Leningrad uraufgeführt. In der Folge konstruierte Th. noch weitere elektronische Instrumente, mit denen er auch Konzerte gab. Zusammen mit H. Cowell entwickelte er 1931 ein „Rhythmicon", das Überlagerungen komplizierter Rhythmen ermöglicht. Lit.: W. MEYER-EPPLER, Elektrische Klangerzeugung (Bonn 1949); F. K. PRIEBERG, Musica ex Machina (B — F 1960).
THIBAUD, Jacques, * 27.9. 1880 Bordeaux, t 1.9.
1953 bei einem Flugzeugunglück in der Nähe von Barcelonnette; frz. Violinist. Er studierte 1893-96 bei M.-P.-J. Marsick am Pariser Conservatoire,
spielte 1898-99 als Solo-Violinist bei den Concerts Colonne und machte sich durch Konzertreisen international bekannt. 1905 bildete er mit P. Casals und A. Cortot ein berühmt gewordenes Trio. 1943
gründete er mit Marguerite Long, an deren Musikschule er seit 1940 unterrichtete und mit der er viel konzertierte, den „Concours international de piano et violon Marguerite Long - J. Tb." Lit.: J. P. DORIAN, Un violon parle (P 1947).
THIBAULT, Geneviève (La Comtesse Hubert de Chambure), * 20. 5. 1902 Neuilly-sur-Seine, t 31.8. 1975 Straßburg; frz. Musikforscherin. Sie studierte bei Lazare Lévy (Klavier) und Nadia Boulanger (Fuge und Orgel) sowie bei A. Pirro an der Sorbonne, wo sie seit 1955 lehrte. 1925 gründete sie mit L. de La Laurencie, G. Le Cerf und E. Droz die Société de Musique d'Autrefois, die
sie seit 1954 leitete, war seit 1955 Präsidentin der Groupe d'Études Musicales de la Renaissance, 1968-71 der Société Française de Musicologie und 1961-73 Konservatorin im Musée Instrumental du
Conservatoire de Paris. Im Mittelpunkt ihrer Forschungen stand die französische Chanson des 15./16. Jahrhunderts. Schriften (wenn nichts anderesangegeben, in Pariserschienen): Un manuscrit de chansons françaises à la Bibl. royale de La Haye, in: FS D. F. Scheurleer (Den Haag 1926); Un chansonnier de Philippe le Bon, in: RMie 6 (1926) (zus. mit E. Droz); Chansons au luth et airs de cour(P 1934) (Kommentar u. Quellenstudien); Bibliogr. des poésies de P de Ronsard mises en musique au XVI' siècle(P 1941) (zus. mit L. Perceau); Bibliogr. des éditions musicales publiées par N du Chemin (1549-1576), in: Ann. Mus. 1 (1953) (zus. mit F. Lesure); Le concert instr. au XVI° siècle, in: Musique instr. de la Renaissance (1955); Bibliogr. des éditions d'A. Le Roy et R. Ballard (1551-1598) (P 1955) (zus. mit F. Lesure); Le concert instr. dans l'art flamand au X% siècle et au début du XV!' siècle, in: La Renaissance dans les provinces du Nord (1956); La chanson française au XV siècle de Dufay à Josquin u. La musique instr. au XVI' siècle, in: Encyclopédie de la Pléiade, Histoire de la musique I (P 1960); Les collections privées de livres et d'instruments de musique d'autrefois et d'aujourd'hui, in : Mu-
Thielemans sic Libraries and Instruments (Lo 1961); Les instruments du Moyen Age à la fin du XVIII' siècle, in: La musique: les hommes, les instruments, les oeuvres (P 1965); Eighteenth Century Musical Instruments. France and Britain. Catalogue of an Exhibition (Lo 1973). — Editionen: Poètes et musiciens du XV siècle (P 1924) (zus. mit E. Droz); Trois chansonniersfrançais du XV siècle (P 1927) (zus. mit A. Pirro — E. Droz — Y. Rokseth). Lit.: J. JENKINS, G. T., Madame H. de Chambure. An Appreciation, in: Early Music 4 (1976).
THIBAULT DE COURVILLE, Joachim, * um 1535, t 8.9. 1581 Paris; frz. Komponist. Th. gründete mit J. A. de Baïf 1570 die Académie de Poésie et de Musique, wo er als Lehrer der hier entwickelten r Musique mesurée à l'antique eine herausra-
gende Rolle spielte. Von seinen Kompositionen sind nur wenige in zeitgenössischen Sammeldrukken erschienene Airs erhalten. Ausg.: 4st. Air, in: Anthologie de la chanson parisienne au XVI` siècle, hrsg. v. F. LESURE (Monaco 1952); 2 Airs, in: Airs de cour pour violon et luth (1603-43), hrsg. v. A. VERCHALY (P 1961). Lit.: F. A. YATES, The French Academies of the XVI' Century (Lo 1947); F. LESURE, Sur Th. d.C., in: RMie 42 (1959).
THIBAUT, Anton Friedrich Justus, * 4. 1. 1772 Hameln, t 28.3. 1840 Heidelberg; dt. Jurist und Mu-
sikschriftsteller. Er studierte Jura in Göttingen, Königsberg und Kiel, wo er nach Promotion und Habilitation auch seine Lehrtätigkeit begann, die ihn später über Jena (1801 ordentlicher Professor) 1805 nach Heidelberg führte. Th., als Musiker Dilettant, begann bereits in Jena mit dem Erwerb einer umfangreichen Sammlung älterer geistlicher Musik (einer der größten ihrer Art; heute in der Bayerischen Staatsbibl., Reste auch im Musikwiss. Seminar der Univ. Heidelberg). Seit 1811 leitete er in Heidelberg einen „Singverein", mit dem er Werke des 16.-18. Jh. aufführte. Diese Konzerte waren weithin berühmt und wirkten maßgeblich auf die ř Restauration der ev. und kath. Kirchenmusik in Deutschland und Frankreich. Th.s Schrift Ober Reinheit der Tonkunst (Hei 1825, revidiert 2 1826, 81907) wurde, auch in ihrer teilweise rigorosen ästhetischen Position (z. B. Ablehnung der Instrumentalmusik in der Kirche), zu einem Schlüsselwerk dieser Bestrebungen. Lit.: E. BAUMSTARK, A. F. Th. (L 1841); W. EHMANN, Der Th.Behaghel-Kreis, in: AfMf 3 (1938) u. 4 (1939); W. KAHL, Heimsoeth u. Th., in: FS A. Orel (W 1960).
THIBAUT DE CHAMPAGNE, * 30. (?) 5. 1201 Troyes, t 7. (?) 7. 1253 Pamplona. Er war ein Sohn der Blanche de Navarre und des Grafen Thibaut III de Champagne und ein Enkel der Marie de Champagne. Seit 1234 war er König von Navarra. Durch sein in Hss. des 13. und 14. Jh. überliefertes literar. und musikal. Werk gehört er zu den heraus-
ragenden Gestalten der ma. Literaturgeschichte. Von den ihm zugeschriebenen 79 Texten stammen 61 sicher von seiner Hand. Sie gliedern sich auf in 36 Liebeslieder (Chansons d'amour), 9 Jeux-partis, 5 Débat-Gedichte, 2 Pastourellen, 3 Kreuzzugslieder (Chansons de croisade), 4 Marienlieder, ein religiöses Kampflied (Serventois religieux) und einen religiösen Lai (Lai religieux). Die Gedichte weisen Th. als bewußten Künstler aus, der das formale Raffinement und die stilistische Eleganz der Trouvèrelyrik ebenso sicher beherrscht, wie er den Reichtum geistesgeschichtlicher Strömungen des Okzidents kennt. Sein zentrales Thema ist die Liebe vom kasuistisch-rationalen Diskussionsgegenstand bis zur existentiellen Leiderfahrung des Individuums. Mit seinen Marienliedern fügt er sich in die neu entwickelten Formen des Marienlobes ein. Schon die Grandes chroniques de la France (3. Viertel des 13. Jh.) weisen auf die Einmaligkeit der Kunst Th.s hin; der Musiktheoretiker Johannes de Grocheo (um 1300) empfiehlt sein Liebeslied Ausi conme l'unicorne sui als Beispiel für die Perfektion der Übereinstimmung von Wort und Melodie im „cantus coronatus" bzw. im Conductus, und Dante stellt den Franzosen in De vulgari eloquentia (1304-08) neben den Provenzalen Giraut de Bornelh und den Italiener Guido Guinizelli als Exempel vollendeten Dichtens. Auch die folgenden Jahrhunderte haben diesen Rang nie in Frage gestellt. Ausg.: Les chansons de Th., Roi de Navarre, hrsg. v. A. WALLENSKÖLD (P 1925) (krit. Ausg.). Lit.: G. COHEN, Th., le roi chansonnier, in: Rev. des deux mondes (1954) Sept./Okt.-H.; M. R. DOLLY — R. R. CORMIER, „Aimer, souvenir, souffrir" — Les chansons d'amour de Th., in: Romania 99 (1978); J. G. KEITH, The Chansons of Th. (1979) ( — Diss. Northwestern Univ.); TH. M. SCHEERER, Th., L'autrier par la matinée, in: Einführung in das Stud. der frz. Literaturwiss., hrsg. v. W.-D. Lange (Hei 1979); A. ARENS, Traditionelles u. Originelles bei Th., die Kanzone „por conforter ma pesance", in: RoW.-D. LANGE mania cantal. FS G. Rohlfs II (Tü 1980).
THIELEMANS (eig. Tilmans), Jean „Toots", * 29.4. 1922 Brüssel ; belg. Jazzmusiker (Mundharmonika, Gitarre). Th. gehört seit Mitte der 40er Jahre zur Jazzszene. 1950 begleitete er Benny Goodman in Europa und wanderte 1951 in die USA aus. Dort spielte er im „George Shearing Quintet", gründete eine Combo und ist seither auf allen großen Jazzfestivals in den USA und in Europa zu hören. Bekannt geworden ist auch seine %Takt-Komposition Bluesette. - Auf der chromatischen Mundharmonika war Th. über Jahrzehnte hinweg der einzige Musiker, der dieses Instrument mit unverfälschter Jazzphrasierung spielte, wobei er den Tenorsaxophonsound von Lester Young und Stan Getz auf die Mundharmonika übertra125
Thierry gen hat. In den 70er Jahren ist ihm hierin der Brasilianer Mauricio Einhorn gefolgt. Tonbildung und Improvisation sind linear im Sinne des Cool Jazz, wodurch er sich grundlegend von den expressiven Harmonikaspielern des Folk-Blues unterscheidet. THIERRY. -1) Pierre, * Ende 1604 Paris, t Oktober 1665 ebd.; frz. Orgelbauer. Er arbeitete bei Cr. Carlier und wurde 1644 Orgelbauer des Königs. Seine wichtigsten Werke waren die Orgeln des Hôtel-Dieu in Pontoise (1637-41) und von StPaul in Paris (1644-46). Sein Hauptwerk aber war der Umbau der Orgel von St-Germain-des-Prés (1649-59) in Paris. - 2) Alexandre, Sohn von 1), * 1646 oder 1647 Paris, t 1. 12. 1699 ebd.; frz. Orgelbauer. Er gründete 1671 eine eigene Werkstatt und profilierte sich mit der Fertigstellung der Orgel von St-Séverin (1675) als einer der führenden französischen Orgelbauer seiner Zeit. Durch den Auftrag zum Bau der Orgel von St-Louis-des-Invalides (1679-87, Prospekt verändert erhalten) wurde er Orgelbauer des Königs. Sein Hauptwerk war die Orgel von St-Eustache (1681). Weitere wichtige Werke sind die Orgeln von St-Germain-en-Laye (1684), St-Gervais (Umbau 1676-84) und St-Cyr (1685). Th. arbeitete später u. a. mit R. Cliquot zusammen (St-Quentin, 1697). - 3) François, Enkel von 1), * Ende 1677 Paris, t 22.5. 1749 ebd.; frz. Orgelbauer. Th. baute u. a. die Orgel von Les Innocents (1723, teilweise erhalten in St-Nicolas-duChardonnet); sein Meisterwerk war die vollkommen umgebaute Orgel von Notre-Dame (1730-33, nur Gehäuse teilweise erhalten). Lit.: F. RAUGEL, Les grandes orgues des églises de Paris et du département de la Seine (P 1927); N. DUFOURCQ, Documents inédits relatifs â l'orgue français (P 1935); P. HARDOUIN, P. Th., in: Connaissance de l'orgue (1975/76) Nr. 14-18; DERS., A. Th., in: ebd. (1980/81) Nr. 34-41.
THIRD STREAM (engl., = dritter Strom), eine von G. Schuller geprägte Bz. für Versuche, Jazz (einschließlich afroamerikanischer Musik) und europäische Kompositionstradition in einer Synthese zu verschmelzen. Im weiteren Sinn sind das alle Konvergenzbemühungen von Cl. Debussy über I. Strawinsky bis zu B. A. Zimmermann ; im engeren und eigentlichen Sinn will der „dritte Strom" jedoch mehr sein als nur die Addition der in ihm zusammengeführten Traditionsströme. Setzt dies vor allem den Erhalt der kategorialen Schriftlosigkeit des Jazz voraus, so hat der Th. seine zeitlichen und sachlichen Parallelen erst in der postseriellen Musik und im Free Jazz. Zu seinen Repräsentanten zählen außer Schuller u. a. P. Blatný und G. Gaslini. 126
THOMANERCHOR, Chor (Knaben- und Männerstimmen) der Thomasschule in Leipzig. Diese gehörte ursprünglich wohl zu einem 1212 gegründeten Augustiner-Chorherrenstift und wird 1254 erstmals erwähnt. Ihre vielfältigen Beziehungen zum geistigen Leben der Stadt sind u. a. durch die Mitwirkung des Chores bei den Gründungsfeierlichkeiten der Universität und bei anderen Gelegenheiten auch außerhalb des gottesdienstlichen Bereichs belegt. Seit Einführung der Reformation in Leipzig (1539) standen Th. und Thomasschule unter dem Patronat des Rates der Stadt, der zugleich Dienstherr des Lehrkörpers und Vorgesetzter des Thomaskantors war. Bereits im 16. Jh. hatte der Tb. einen so hohen Standard erreicht, daß ihm zahlreiche Komponisten Werke widmeten. Heute besteht die Hauptaufgabe des Chores in der Ausgestaltung des Sonntagsgottesdienstes sowie einer Vesper am Vorabend, der „Motette", in der Thomaskirche. Das Amt des Thomaskantors, bis J. Kuhnau mit dem des Universitätsmusikdirektors verbunden und seit jeher herausragend im Leipziger Musikleben, genießt heute im In- und Ausland hohes Ansehen. Unter den nachreformatorischen 30 Kantoren befinden sich zahlreiche bedeutende Komponisten, darunter G. Rhau, S. Calvisius, J. H. Schein, J. Kuhnau, J. S. Bach, J. Fr. Doles, J. A. Hiller, M. Hauptmann, W. Rust. Die Thomaskantoren des 20. Jh. sind K. Straube, G. Ramin, K. Thomas, E. Mauersberger und H.J. Rotzsch (seit 1972). Der Th. wurde von anfänglich 8-12 Mitgliedern allmählich erweitert und tritt heute mit bis zu 120 Sängern auf. Von besonderer Bedeutung waren die Impulse des Chores für die Bach-Renaissance im 19. und 20. Jh., insbesondere durch die Pflege der Bachschen Chorwerke (zusammen mit dem Gewandhausorchester). Bahnbrechend war die Gesamtaufführung der Kantaten als Direktübertragungen im Deutschlandfunk 1931-37 unter der Leitung Straubes. Lit.: Aus der Gesch. der Thomanerschule (L 1937); B. KNICK M. MEZGER, St. Thomas zu Leipzig. Schule u. Chor (Wie 1963); H. Llsr, Der Th. zu Leipzig (L 1975); W. HANKE, Der Th. (L 1979); W. FELIX, Aus der Gesch. des Thomaskantorats zu Leipzig(Wie 1980). B. A. KOHL
THOMAS, Charles Louis Ambroise, * 5.8. 1811 Metz, t 12.2. 1896 Paris; frz. Komponist. Er studierte bei Fr. Kalkbrenner (Klavier) und J.-Fr. Le Sueur am Pariser Conservatoire und erhielt für seine Kantate Hermann et Ketty 1832 den Prix de Rome. 1836 nach Paris zurückgekehrt, spielte er als Violinist am Théâtre des Vaudevilles. Seit 1837 trat er, zunächst mit mäßigem Erfolg, als Opernkomponist hervor, gewann aber seit Le Caïd (1849) zunehmend an Ansehen, wurde 1851 Mit-
Thomas glied der Académie des Beaux-Arts und 1852 Lehrer am Conservatoire, das er nach D. Fr. E. Aubers Tod 1871-96 leitete. WW: 20 Opern, meist Opéras-comiques, darunter (UA in Paris): Le carnaval de Venise (1857); Mignon (Libr.: J. Barbier u. M. Carré nach J. W. von Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre) (1866); Hamlet (Libr.: dies. nach W. Shakespeare) (1868); Franwise de Rimini (Libr.: dies. nach Dante) (1882). - Ballette: La gypsy(1839); La tempëte(nach Shakespeare) (1869). - Ferner kirchenmusikal. Werke, Klv.-Lieder u. -Romanzen, Stücke für Klv. u. für Org., einige Kammermusik- u. Orch.-Werke.
Th.' Ruhm und seine Ausstrahlung weit über Frankreich hinaus und seine eigentümliche Stellung in der neueren Operngeschichte beruht vor allem auf Mignon (mit 1000 Aufführungen innerhalb von 28 Jahren allein an der Pariser Opéra-Comique) und Hamlet. Mit diesen Werken setzte er die von Ch. Gounod eingeleitete musikalische Popularisierung von Goethe- und Shakespeare-Stoffen (Faust/Margarethe, Roméo et Juliette) in Form von „lyrischen" Opern fort. Obwohl häufig kritisiert, hat gerade Mignon dank der eingängigen, oft sentimentalen Melodik von großer Kantabilität bis heute nicht an Wirkungskraft verloren. Ausg.: 2 Stücke, in: La musique française de piano, hrsg. v. M. CAUCHIE (Monaco 1957). Lit.: H. DE CURZON, A. Th. (P 1921); M. COOPER, A. Th. (Lo 1950); J. W. KLEIN, Th., in: MGG XIII; M. J. ACHTER, F. David, A. Th., and French „Opéra Lyrique" 1850-1870 (1972) ( Diss. Univ. of Michigan).
THOMAS, Georg Hugo Kurt, * 25.5. 1904 Tönning (Schleswig-Holstein), t 31.3. 1973 Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen); dt. Komponist und Chordirigent. Er studierte in Leipzig bei R. Teichmüller, H. Grabner und K. Straube und bei A. Mendelssohn in Darmstadt. 1925 wurde er Dozent für Musiktheorie am Konservatorium in Leipzig, 1934 Professor an der Berliner Musikhochschule und war 1939-45 Direktor des Musischen Gymnasiums in Frankfurt am Main. Seit 1947 wirkte er als Professor für Chorleitung an der Nordwestdeutschen Musik-Akademie Detmold. 1957 folgte er einem Ruf als Thomaskantor nach Leipzig, gab das Amt aber aufgrund kulturpolitischer Differenzen 1960 wieder auf. 1966 wurde er Dozent für Chorleitung an der Musikakademie Lübeck. Zum 65. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift geehrt (hrsg. v. M. Kluge, Wie 1969). WW: 1) Instr.-WW: Versch. Klv.- u. Org.-Werke; Sonaten für V., für Fl. u. für Vc. u. Klv.; Klv.-Trio, op. 3; Streichquartett, op. 5. Für Orch.: Serenade, op. 10; 2 Spielmusiken, op. 18a u. op. 22; Klv.-Konzert, op. 30. - 2) Vokal-WW: Für Chor a cap.: Messe amoll, op. I (1925); Psalm 137 An den Wassern zu Babel, op. 4; Passionsmusik nach dem Evangelisten Markus, op. 6; Weihnachtsoratorium, op. 17; Kleine Geistliche Chormusik, op. 25; 6 Chorlieder und Madrigale (nach Wilhelm Busch), op. 27; 5 Tierfabeln, op. 31. - Für Chor u. Orch.: Psalm 90 Herr Gott, du bist
unsere Zuflucht, op. 15; Auferstehungs-Oratorium, op. 24; Kantaten, u. a. Jerusalem, du hochgebaute Stadt, op. 12, und Eichendorff-Kantate, op. 37; Chorzyklen, Motetten, Kanons, Lieder für SingSt u. Klv. - 3) Schriften: Lehrbuch der Chorleitung I (L 1935, 16 1970), Il (L 1937, 1 '1969), Ill (L 1948,'1967), engl. Übers.: The Choral Conductor (NY 1971).
Th. wurde schlagartig bekannt durch seine ersten Chorwerke (Messe a-moll, op. 1; Passionsmusik op. 6), die entscheidend zum Wiederaufleben der a cappella-Musik in den 20er Jahren beitrugen. Gleichzeitig begann er eine ungewöhnlich erfolgreiche Tätigkeit als Chorleiter und -erzieher, die bald Mittelpunkt seines Wirkens wurde. Er gründete „Kantoreien" in all seinen Wirkungsstätten (u. a. Dreikönigskantorei in Frankfurt am Main) und übernahm später auch Oratorienchöre (Cäcilienverein Frankfurt am Main, Detmolder Singakademie, Bach-Verein Köln). Sein Lehrbuch der Chorleitung, ein didaktisches Spiegelbild seiner eigenen systematischen Arbeitsweise, wurde Ausbildungsgrundlage einer ganzen Generation von Dirigenten. Lit.: W. WEISMANN, Eine moderne Motettenpassion von K. Th., in: ZfM 92 (1925); M. SCHNEIDER, Brief an K. Th...., in: MuK 24 (1954); A. KOERPPEN, K. Th., in: ZfM 115 (1954); C. GorrWALD, K. Th., in: Gottesdienst u. Kirchenmusik (1964). E. PLATEN
THOMAS, Jess Floyd, * 4.8. 1927 Hot Springs (South Dakota); amerik. Sänger (Tenor). Er debütierte 1957 am Opernhaus von San Francisco. Nach weiterer Ausbildung bei Emmy Seiberlich in Deutschland wurde er 1958 nach Karlsruhe, 1962 nach Stuttgart und 1963 an die Bayerische Staatsoper in München engagiert. 1965 wurde er Mitglied der Wiener Staatsoper und 1969 der Deutschen Oper in Berlin. Th. gehörte bis in die 70er Jahre zu den großen Wagner-Tenören; mit außerordentlichem Erfolg sang er seit 1961 bei den Bayreuther Festspielen (Siegfried, Tannhäuser, Tristan), bei den Salzburger Osterfestspielen sowie an der Metropolitan Opera in New York. THOMAS, Peter, * 1. 12. 1925 Breslau; dt. Komponist. Er studierte am Mohrschen Konservatorium in Berlin, volontierte bei den Unterhaltungsmusikern Hans Carste und Werner Eisbrenner und ist seit 1951 als freischaffender Komponist tätig (u. a. unter den Pseudonymen J. C. Noel, Sten Clift, N. Raskolikow, Raoul Voli). Th., der auch als Produzent und Dirigent für Schallplattenfirmen tätig war, wurde vor allem als Komponist von Film- und Fernsehmusiken bekannt. Für die Musik zu den Filmen Flucht nach Berlin (1961) und Die endlose Nacht (1963) erhielt er Bundesfilmpreise in Gold. Seine bekanntesten Kompositionen für das Fernsehen sind Melissa (1967), Raum127
llompson patrouille(1968), Babeck (1969) und Das Schmunzelkonzert (1981). Erwähnenswert sind auch die beiden Musicals Wodka für die Königin (UA Hamburg 1968) und Boeing-Boeing (UA Oldenburg 1970). THOMPSON, Randall, * 21.4. 1899 New York, t 9.7. 1984 Boston; amerik. Komponist. Er studierte an der Harvard University und privat bei E. Bloch und war 1922-25 Stipendiat der American Academy in Rom. 1927-29 und erneut 1936-37 unterrichtete er am Wellesley College, 1937-39 an der University of California in Berkeley, leitete 1939-41 das Curtis Institute of Music in Philadelphia und 1941-46 die Musikabteilung der School of Fine Arts der University of Virginia in Charlottesville. 1946-48 lehrte er an der Princeton University und 1948-65 an der Harvard University. Th. wurde in den USA vor allem durch seine Chorwerke bekannt. Trotz früher Ansätze zu dissonanter Schreibweise und gelegentlicher Verwendung jazzartiger Rhythmen ist seine Musik insgesamt konservativ; die Melodik ist an der amerik. Folklore, bes. an Kirchenliedern, orientiert. WW: 1) Instr.-WW: Suite (1940) für Ob., Klar. u. Br.; 1 Streichquartett (1941). - Für Orch.: The Piper at the Gates of Dawn (1924); 3 Symphonien (1929, 1929-31, 1949); A Trip to Nahani (1953-54); Jazz Poem (1928) für Klv. u. Orch. - 2) Vokal-WW (erschienen in Boston): Pueri Hebraeorum (1928) für Frauenchor; The Lark in the Morn (1938) u. Alleluia (1940) für Chor a cap. Für Chor u. Orch.: Americana (1932); The Peaceable Kingdom (1936); The Testament of Freedom (1943); Requiem (1958); The Nativity According to Saint Luke (1961) für Soli, Chor, Kirchenglocken, Org. u. Kammerorch.; A Feast of Praise (1962) für gem. Chor u. Klv.; The Passion According to Saint Luke (1965) für Soli, gem. Chor u. Orch.; A Psalm of Thanksgiving (1968) für Kinderchor u. Orch.; The Eternal Dove (1969) für gem. Chor a cap. - Ferner die Oper Salomon and Balkis (1942). Lit.: Q. PORTER, R. Th., in: Modern Music 19 (1942); E. FORBES, The Music of R. Th., in: MQ 35 (1949).
THOMSON, Virgil, * 25. 11. 1896 Kansas City (Missouri); amerik. Komponist. Th. studierte an der Harvard University und bei Nadia Boulanger in Paris, wo er 1925-32 lebte. In Paris fand er Anschluß an maßgebliche Intellektuellen- und Künstlerkreise, war mit Pablo Picasso und Jean Cocteau befreundet und lernte E. Satie und die „Groupe des Six" kennen, deren ästhetisches Konzept ihn stark beeinflußte. In Paris wurde er auch mit der Dichterin Gertrude Stein bekannt, die für ihn die Texte zu den Opern Four Saints in Three Acts und The Mother of Us All schrieb. Der Erfolg von Four Saints (UA New York 1934) reihte ihn unter die führenden amerikanischen Komponisten seiner Zeit ein. Einen weiteren Höhepunkt seines Schaffens bildet die Missa pro defunctis. 1940-54 128
war Th. als einer der einflußreichsten amerik. Kritiker für die New York Herald Tribune tätig. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: 5 Two-Part Inventions(1926); 3 Sonaten (1929-40); 9 Etüden (1940-51); 10 Etüden (1943-44). - Für Org.: Passacaglia (1922); Variations and Fugues on Sunday School Tunes (1926-27); Pange lingua (1962). - Kammermusik: Sonata da chiesa (1926) für Klar., Trp., Va., Harfe u. Pos.; Sonate (1930) für V. u. KIv.; Serenade (1961) für Fl. u. V.; 2 Streichquartette (1931-32); Sonate (1943) für H. solo. - Für Orch.: Three Landscapes: The Seine at Night (1947), Wheat Field at Noon (1948), Sea Piece with Birds (1952); Konzert für Fl., Streicher, Harfe u. Schlagzeug (1954). - 2) Vokal-WW: 3 Messen (1924-59); 5 Songs from William Blake (1951) für Bar. u. Klv.; If Thou a Reason Dost Desire to Know (1958) für Bar. u. KIv.; Missa pro defunctis (1959-60). - 3) Bühnen-WW: Opern Four Saints in Three Acts (Libr.: Gertrude Stein), UA: Hartford (Conn.) 1934; The Mother of Us All (Libr.: dies.), UA: New York 1947. - Ballett Filling Station, UA: Hartford 1938. - Filmmusik: Louisiana Story (1948); Journey to America (1964). - 4) Schriften: The State of Music (NY 1939); The Musical Scene (NY 1945); The Art of Judging Music (NY 1948); Music Right and Left (NY 1951); V. Th. (NY 1966, Nachdr. 1977); American Music since 1910 (NY 1971). Lit.: P. GI.AN"ILL-HICKS, V. Th., in: MQ (1949); K. HOOVER J. CAGE, V. Th. (NY 1959).
THRĚNOS (griech., = das Klagen), in der griech. Antike im weiteren Sinn Bz. für die verschiedenen Arten von Klageliedern, im engeren für die Klage während der Aufbahrung eines Toten, die in der Regel vom r Aulos begleitet wurde. Lateinisch findet sich der Begriff in der Vulgata als Überschrift der r Lamentationen ( Threni, id est lamentationes Jeremiae; so auch der Titel eines Werkes von I. Strawinsky). Gelegentlich wird in der Gegenwart auch die griech. Wortform verwendet, so von O. G. Blaff (Threnos I, II u. IV für verschiedene Instr., III für Baß u. Orgel, 1976-81) und in poln. Übertragung Tren von Krz. Penderecki (Den Opfern von Hiroshima für Orch.). Threnodia nennt B. Britten den letzten Akt seiner Oper Albert Herring, der Formelemente des antiken Th. enthält. THUILLE, Ludwig Wilhelm Andreas Maria, * 30. 11. 1861 Bozen, t 5.2. 1907 München; östr. Komponist. Er studierte in Innsbruck (J. Pembaur) und an der Musikhochschule in München (J. Rheinberger und K. Bärmann), wo er seit 1883 lehrte (seit 1888 Klavier und Harmonielehre, seit 1893 Komposition). Th. gilt als Begründer der gemäßigt modernen sog. Münchner Schule, deren bedeutendste Vertreter, darunter W. Braunfels und W. Courvoisier, zu seinen Schülern gehörten. Seine zus. mit R. Louis verfaßte Harmonielehre (St 1907) war lange ein Standardwerk. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Org.-Sonate, op. 2 (1882); 2 Sonaten für V. u. KIv.; Sonate (1901-02) für Vc. u. Klv., op. 22; KIv.-Quintett, op. 20 (1897-1901); Sextett (1886-88) für Klv. u. Blasinstr., op. 6. - Für Orch.: Symphonie F-Dur (1885-86); Romantische Ouvertüre(Ouvertüre der Oper Theuerdank) (1896). 2) Vokal-WW: Etwa 40 Lieder, u. a. Zyklus Von Lieb' u. Leid u. op. 26 (1900) u. op. 27 (1903); Männerchöre (darunter op. 11 u. 21
Tieffenbrucker nach J. Eichendorff); Frauenchöre (darunter op. 31 nach Eichendorff); Traumsommernacht (1902) für 4 St., V. u. Harfe. — 3) Bichnen-WW: Opern: Theuerdank (Libr.: A. Ritter), UA: München 1897; Lobetanz, UA: Karlsruhe 1898; Gugeline, UA: Bremen 1901 Lit.: F. MUNTER, L Th. (Mn 1923) (mit Werk-Verz.); R. Strauss — L Thuille, Briefe der Freundschaft, 1877-1907, hrsg. v. A. OTT (Mn 1969); V. S. DAVIDSON, The Songs of L Th.: Some Observations (1973) (— Diss. Univ. of Tallahassee).
THURINGUS (Thiiring), Joachim; aus Fürstenberg (Mecklenburg) stammender dt. Musiktheoretiker des 17. Jahrhunderts. Th. ist Verfasser des Nucleus musicus de modis seu tonis (B 1622, erweitert B 1625 als Opusculum bipartitum de primordiis musicis). Der Traktat stützt sich insbesondere auf J. Burmeister und J. Nucius und ist eine der Hauptquellen der Lehre von den musikalischen r Figuren. Sein Einfluß zeigt sich noch bei J. G. Walther. Lit.: A. SCHMITZ, Die Figurenlehre in den theoretischen Werken J. G. Wallhers, in: AfMw 9 (1952); F. FELDMANN, Das „Opusculum bipartitum" des J. Th. (1625), bes. in seinen Beziehungen z. J. Nucius (1613), in: AfMw 15 (1958).
TIBIA (lat., = Schienbeinknochen). - 1) Bz. für den Doppel-/ Aulos, den die Römer wahrscheinlich nicht von den Griechen, sondern bereits von den Etruskern übernahmen. Die aus 2 gleichzeitig
gespielten Röhren mit einfachen oder doppelten Rohrblättern bestehende T. gab es in 2 Hauptformen : als lydische T. mit geraden gleich oder ungleich langen Röhren ohne Schallstück und als phrygische T. (Elymos) mit einem hakenförmig aufgebogenen Schallbecher auf einer Röhre. Die T. war in Rom außerordentlich beliebt; man spielte sie im kultischen Bereich, bei Hochzeiten, Wettkämpfen, Begräbnissen, Theateraufführungen und bei der Arbeit. - 2) Bz. für ein Flötenregister der Orgel. Lit.: Zu 1): H. BECKER, Zur Entwicklungsgesch. der antiken und ma. Rohrblattinstr. (H 1966); G. WILLE, Musica Romana (A 1967).
TIECK, Johann Ludwig, * 31. 5. 1773 Berlin, t 28.4. 1853 ebd.; dt. Dichter. T. gehört zu den bedeutenden Anregern der Romantik, auch der romantischen Musikästhetik. Sein Interesse an der Musik wurde durch W. H. Wackenroder und J. Fr. Reichardt geweckt. Nach Wackenroders Tod gab er dessen Nachlaß heraus (Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst, 1799), dem er mehrere eigene Beiträge zur Musik hinzufügte, so Unmusikalische Toleranz und Die Töne und Symphonien. Für Reichardt schrieb er das unvertont gebliebene Libretto Das Ungeheuer und der verzauberte Wald (1800). Die Zusammenarbeit an der Oper Sakuntula endete mit Reichardts Tod. Seit
1825 arbeitete er als dramaturgischer Berater für das Königliche Schauspielhaus in Dresden, wo er C. M. von Weber kennenlernte, und seit 1842 für die Berliner Bühnen; hier schrieb F. Mendelssohn Bartholdy mehrere Schauspielmusiken zu Textversionen von T. (Sommernachtstraum, Antigone, Ödipus auf Kolonos). - Zahlreiche Werke T.s wurden vertont, u. a. als Opern Pietro con Albano (L. Spohr, 1827), Genoveva (R. Schumann, 1850) und Der gestiefelte Kater oder Wie man das Spiel spielt (G. Bialas, 1975). Von den zahlr. Liedern auf Texte von T. erlangte besondere Berühmtheit J. Brahms' Vertonung der Schönen Magelone. Lit.: K. SCHÖNEWOLF, L T. u. die Musik (Diss. Marburg 1925); A. H. Fox STRANGWAYS, Brahms und T.'s „Magelone", in: ML 21 (1940); R. ERNY, Entstehung u. Bedeutung der romantischen Sprachmusikalität im Hinblick auf T.s Verhältnis z. Lyrik (Diss. Hei 1957); J. TRAINER, L T. From Gothik to Romantik (Den Haag 1964); H. SCHMIDT-GARRE, Musik, die dunkelste aller Künste bei T. — eine Flammen- u. Wolkensäule bei Goethe, in: NZfM 123 (1972).
TIEFFENBRUCKER (Tiefenbrucker, Tuiffenbrugger, Duiffoprugcar, Duyfautbrocard, Deuffenbrugger u. ä.), Instrumentenbauerfamilie dt. Abstammung. Sie war ursprünglich im Weiler Tiefenbruck der Gemeinde Roßhaupten bei Füssen ansässig und verzweigte sich dann nach Frankreich und Italien. Ulrich, eines der ersten bekannten Mitglieder der Familie, wurde vermutlich in Füssen ausgebildet und ist 1513 in Tiefenbruck und 1521 in Venedig nachweisbar. In Roßhaupten wirkten Michael der Ältere (* um 1485) und sein Sohn, Michael der Jüngere (* um 1520, t 1585). Gaspar (Gaspard) der Ältere (* 1514 Tiefenbruck, t 16. 12. 1571 Lyon), vermutlich ein Sohn von Ulrich, ließ sich 1553 in Lyon nieder, wurde 1558 naturalisiert, verarmte aber 1564, als nach Enteignung seines Besitzes (Bau eines Festungsgrabens) der durch eine Finanzkrise geschwächte französische Staat keine Entschädigung zahlen konnte. Gaspar ist der bedeutendste Instrumentenbauer der Familie. Seine Gamben gehören zu den schönsten erhaltenen Instrumenten ihrer Art. Gaspars Söhne, Johann (Jean) und Gaspar der Jüngere, wirkten in Paris und Lyon. Magno (Magnus) der Ältere, der erste namhafte Instrumentenbauer der Familie, ist (vermutlich in hohem Alter) 1557 in Venedig nachweisbar. Magno (Magnus) der Jüngere, wahrscheinlich sein Sohn, führte dort um 1580-1621 ebenfalls eine Werkstatt, in der zahlreiche wertvolle Instrumente hergestellt wurden. Als Instrumentenbauer sind ferner Leonardo der Ältere Anfang 16. Jh. in Padua, Leonardo der Jüngere Ende 16. Jh. in Padua und Venedig nachweisbar. Wendelin, vermutlich ein Sohn von Leonardo 129
Tiefland dem Älteren, wirkte 1551-1611 ebenfalls in Padua; von ihm ist eine größere Anzahl von Instrumenten erhalten. Jacob (t um 1564) wirkte in Genua und Moises, der letzte Instrumentenbauer der Familie, im 18. Jh. in Venedig. Lit.: F. LESURE, Notes sur la facture du violon au XVI' siècle, in: RM (1955); A. LAVER, T., in: MGG XIII; F. HELLWIG, Makers' Marks on Plucked Instruments of the 16d, and 17'h Centuries, in: GalpinJ 24 (1971).
TIEFLAND, Musikdrama in einem Vorspiel und 2 Aufzügen von E. d'Albert, Text von Rudolph Lothar nach dem Schauspiel Terra Baixa (1896) von Angel Guimerá. Ort der Handlung: in den Pyrenäen und in Katalonien. UA: 15. 11. 1903 Prag (Dt. Theater); dt. EA: 9. 10. 1907 Berlin (Komische Oper). Geographische Lebensräume stehen als Sinnbilder für moralische Bereiche: das Hochland, aus dem der arme Hirte Pedro kommt, als Sphäre der Reinheit und Einfachheit des Herzens, und das Tiefland als Ort raffiniert-hinterhältigen Egoismus ; hier wohnt Pedros reicher Herr, der ihn aus eigennützigen Motiven mit seiner bisherigen Geliebten, der Müllerin Martha, verkuppelt und schließlich von Pedro umgebracht wird, als er weiterhin seine Rechte an der Frau, die inzwischen Pedro liebt, geltend machen will. Um das Lokalkolorit zu treffen, hatte sich d'Albert von einem Musikwissenschaftler spanische Tanzweisen und Hirtenrufe beschaffen lassen, die er mit großem musikalischem Geschick entweder in die von ihm selbst erfundene Thematik als Stimmungs- und Farbelemente eingehen ließ oder aber an szenisch wirksamer Stelle direkt zitierte. Klare Eindringlichkeit der Situations- und Figurencharakteristik ohne jegliche psychodramatische Hintergründigkeit sowie eindeutige Dominanz der oft zu „schönen" Kantilenen ausgestalteten Vokalstimmen rücken das Werk trotz des Titels „Musikdrama" und einer durchaus differenzierten Leitmotivik gattungstypologisch eher in den Bereich der veristischen Oper. Nach der UA standen schlechte Urteile der Fachkritik und freundliche Aufnahme durch das Publikum einander gegenüber. Auf Anraten seines Verlegers straffte der Komponist das Werk von ursprünglich 3 auf 2 Akte; die Neufassung wurde ein W. A. MAKUS Welterfolg. TIENTO (span., = Befühlen, Stimmen [eines Instruments]), Bz. für eine im 16. und 17. Jh. in Spanien dem ř Praeludium und Ricercare nahestehende Komposition. Sie scheint ursprünglich dazu bestimmt gewesen zu sein, sich auf einem Tasteninstrument einzuspielen oder die Stimmung eines Saiteninstruments zu überprüfen. Bei M. de
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Fuenllana (Orphenica lyra, 1554) u. L. Venegas de Henestrosa (Libro de cifra nueva, 1557) ist T. gleichbedeutend mit Verseto oder Fantasia, bei D. P. Cerone (El Melopeo, 1613) mit Ricercare. Die Bz. T. begegnet erstmals bei L. de Milan (El maestro, 1535-36) als „tento" und wird später auch in Portugal von M. Rodrigues Coelho (Flores de música, 1620) übernommen. Der T. besteht aus einer Abfolge kurzer imitatorischer Partien, in denen verschiedene Soggetti verarbeitet werden. Unterschieden werden T. „de ballata", „de falsas", „llenos", „de mano derecha". T.s komponierten u. a. A. de Cabezón, B. Clavijo del Castillo, S. Aguilera de Heredia, Fr. Correa de Araujo und J. Cabanilles. Lit.: M. C. BRADSHAW, J. Cabanilles. The Toccatas and T.s, in: MQ 59 (1973); A. GARCÍA- FERRERAS, J. B. Cabanilles. Sein Leben u. Werke (die T.s für Org.) (Rb 1973) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 70); S. KASTNER, Orígenes y evolución del t. para instrumentos de tecla, in: Anuario Mus. 28 (1973) u. 29 (1974); L. JAMBOU, Les origines du „T." (Diss. P 1974).
TIERSOT, Jean-Baptiste Élisée Julien, * 5. 7. 1857 Bourg, t 10.8. 1936 Paris; frz. Musikforscher. Er studierte am Pariser Conservatoire (J. Massenet, C. Franck) und war dort 1883-1921 Bibliothekar. An der Schola Cantorum brachte er mit Ch. Bordes Vokalwerke des 16. Jh. zur Aufführung und in den von ihm gegründeten Concerts historiques du cercle St-Simon Werke des 16.-18. Jh. auf historischen Instrumenten. Viele seiner Schriften zur frz. Musikgesch. sind bis heute grundlegend. Schriften (erschienen in Paris): Hist. de la chanson populaire en France (1889); Rouget de Lisle (1892); Ronsard et la musique de son temps, in: SIMG 4 (1902/03); H. Berlioz et la société de son temps (1904); Notes d'ethnographie musicale, 2 Bde. (1905-10); Les fětes et les chants de la Révolution française (1908); Gluck (1910); J.-J. Rousseau (1912); Hist. de la Marseillaise (1915); Un demi-siècle de musique française ... 1870-1917(1918, '1924); La musique dans la comédie de Molière (1922); La damnation de Faust de Berlioz (1924); Les Couperin (1926, 21975); Smetana (1926); La musique aux temps romantiques (1930); La chanson populaire et les écrivains romantiques (1931); Don Juan de Mozart (1933). - Editionen: Mehrere Volksliedsammlungen; Werke von Adam de la Halle, Fr. Couperin, A. Campra, Chr. W. Gluck; Briefe W. A. Mozarts, H. Berlioz' u. R. Wagners. Lit.: S. WALLON, T., in: MGG XIII.
TIESSEN, Heinz, * 10. 4. 1887 Königsberg, t 29. 11. 1971 Berlin; dt. Komponist. Er studierte Jura an der Universität und Musik am Sternschen Konservatorium in Berlin. Dort war er 1911-17 Musikkritiker der Allgemeinen Musikzeitung, ging dann für ein Jahr als Assistent von R. Strauss und Korrepetitor an das Königliche Opernhaus und war 1918-21 Kapellmeister der Berliner Volksbühne, für die er auch Schauspielmusiken schrieb. 1920-22 dirigierte T. das Akademische Orchester
Tinctoris der Universität Berlin und 1922-23 den „Jungen Chor". 1922-33 leitete er die deutsche Sektion der IGNM, lehrte 1925-45 (1930 Professor) und erneut 1949-55 an der Staatlichen Hochschule für Musik und war 1946-49 Direktor des Städtischen Konservatoriums in Berlin. 1955 wurde er Direktor der Musikabteilung der Akademie der Künste in West-Berlin. Zu seinen Schülern gehören E. Erdmann, Wl. Vogel und S. Celibidache. Seine gemäßigt modernen Kompositionen sind zunächst durch R. Strauss, später durch den musikalischen Expressionismus beeinflußt. WW: I) Instr.-WW: Für Org.: Passacaglia u. Fuge. — Für Klv.: Sonate (1910); Natur-Trilogie (1913); Stücke (1919, 1924-28, 1930); Duo-Sonate (1925) für V. u. KIv. — Kammermusik: Streichquintett (1919-22); Divertimento (1942) für 5 Blasinstr.; Amsel-Septett (1918, Neufassung 1957) für FL, Klar., Horn u. Streichquartett. — Für Orch.: 2 Symphonien: op. 15 (1913), Stirb u. n (Ide (1914); Rondo (1918); Konzertante Variationen (1962) für KIv. u. Orch.; TotentanzSuite (1928) für V. u. kleines Orch., Neufassung als Visionen (1954). — 2) Vokal- u. Bühnen-WW: Lieder; Bühnenmusik ; Tanzdrama Salambo(1924), UA: Duisburg 1929 (Neufassung 1957). — 3) Schriften: Zur Gesch. der jüngsten Musik (Mz 1928); Musik der Natur (Z 1953); Autobiographie Wege eines Komponisten (B 1962). Lit.: W. HUDER, Nekrolog für H. T., in: NZfM 133 (1972).
TIETJEN, Heinz, * 24.6. 1881 Tanger, t 30.11. 1967 Baden-Baden; dt. Opernregisseur und Dirigent. Er war Schüler von A. Nikisch, 1907-22 Opernintendant und -regisseur am Stadttheater in Trier, dann in Breslau und wirkte in Berlin 1925-27 als Intendant der Städtischen Oper und 1927-45 als Generalintendant des Preußischen Staatstheaters und war damit, obgleich kein Nationalsozialist, eine der einflußreichsten Persönlichkeiten des damaligen Kulturlebens. 1933-45 war er auch neben Winifred Wagner künstlerischer Leiter der Bayreuther Festspiele (in den ersten Jahren mit W. Furtwängler als „musikalischem Oberleiter") und schuf dort zusammen mit dem Bühnenbildner Emil Preetorius einen neuen, weniger naturalistischen als symbolistischen Inszenierungsstil. Regelmäßig dirigierte er auch in Bayreuth. 1948-55 war T. Intendant der Städtischen Oper Berlin und 1957-59 der Hamburgischen Staatsoper. Lit.: M. KARBAUM, Stud. z. Gesch. der Bayreuther Festspiele (Rb 1976); E. Voss, Die Dirigenten der Bayreuther Festspiele (Rb 1976).
TIMBRE (frz.), auch im dt. Sprachgebrauch übliche Bz. für die Klangfarbe der Gesangsstimme, gelegentlich auch für die eines Instruments. TIMPANO (it.), r Pauke.
TINCTORIS (Tectoris), Johannes, * um 1435 Braine l'Alleud bei Nivelles (Brabant), t vermutlich vor dem 12. 10. 1511; franko-flämischer Kom-
ponist und Musiktheoretiker. Möglicherweise ist er mit einem 1460 in Cambrai nachweisbaren Chorsänger gleichen Namens identisch. 1463 immatrikulierte er sich an der Universität von Orléans. Eigenen Angaben zufolge war er eine Zeitlang Lehrer der Chorknaben an der Kathedrale von Chartres. Vermutlich um 1472 trat er in den Dienst König Ferdinands I. von Aragonien in Neapel, wo er in der Folge verschiedene Ämter bei Hofe versah. 1487 wurde er an den Hof von Burgund und König Karls VIII. von Frankreich entsandt, um Chorsänger anzuwerben. Möglicherweise besuchte er während dieser Zeit auch Nivelles, wo er eine kirchliche Präbende ohne Residenzpflicht besaß. Anläßlich der Inthronisation von Papst Alexander VI. Borgia (1492) hielt er sich wahrscheinlich in Rom auf. Nach Johannes Trithemius (1462-1516), seinem ersten Biographen, ist er 1495 in Italien nachweisbar; dort verbrachte er vermutlich auch seine letzten Lebensjahre. T. war nach dem Zeugnis von L. Compère (im Text der Motette Omnium bonorum plena, um 1470) und A. Ornitoparchus (Musice active micrologus, 1517) einer der berühmtesten Musiktheoretiker seiner Zeit. Sein Terminorum musicae diffInitorium (Treviso um 1473) gilt als das früheste musikalische Lexikon, da die Definitionen gebräuchlicher musikalischer Termini alphabetisch angeordnet sind. Die übrigen Schriften (mit zahlreichen musikalischen Beispielen, auch von T. selbst) behandeln jeweils einzeln die wichtigen Gebiete der Musiklehre, darunter besonders ausführlich die Kunst des Kontrapunkts, sowie auch Fragen der musikalischen Praxis. WW: Außer dem Diffinitorium wurde gedruckt: De inventione et usu musicae (Neapel um 1487); hsl. erhalten sind (entstanden etwa 1472-77): Comp/exus effectuum muricaes; Proportionale musřces; Liber imperfectionum notarum musicalium; Tractatus de regulari valore notarum; Tractatus de notis et pausis; Liber de natura et proprřetate tonorum; Liber de arte contrapuncti; Tractatus alterationum; Scriptum super punctis musicalibus; Expositřo manus. — Kompositionen: 5 Messen für 3-4 St.; 3 Motetten für 2-3 St.; Lamentationen in dem Sammeldruck RISM 1506'; 8 frz. Chansons u. 1 it. Gesang für 2-4 St. Ausg.: Opera theoretica, hrsg. v. A. SEAY, 2 Bde. (Neuhausen 1975) (= CSM 22); Terminorum musicae diffinitorium, mit frz. Übers. hrsg. V. A. MACHABEY(P 1951); dass., hrsg. v. C. PARRISH (Lo 1964). — Opera omnia (Kompositionen), hrsg. v. F. FELDMANN (R 1960), NA v. W. MELIN (1976) (= CMM 18). Lit.: K. WEINMANN, J. T. u. sein unbekannter Traktat „De inventione et usu musicae" (Rb 1917, NA Tutzing 1961); F. FELDMANN, Musiktheoretiker in eigenen Kompositionen. Unters. am Werk des T., Adam v. Fulda u. Nucius, in: DJbMw 1 (1956); H. RÜSCHEN, T., in: MGG XIII; CH. VAN DEN BORREN, J. T., in: RBMie 21 (1967); W. E. MELIN, The Music of J. T. A Comparative Study of Theory and Practice, 2 Bde. (1973) (= Diss. Ohio State Univ.); G. GERRITZEN, Unters. z. Kontrapunktlehre des J. T. (Diss. Kö 1974); R. STROHM, Die Missa super „Nos amis" v. J. T., in: Mf 32 (1979); H. HÜSCHEN, T., in: Grove' XVIII.
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Tinel TINEL, Edgar, * 27.3. 1854 Sinay (Ostflandern), t 28. 10. 1912 Brüssel ; belgischer Komponist. T. war Kompositionsschüler von Fr. A. Gevaert am Brüsseler Conservatoire und erhielt 1877 für seine Kantate Klokke Roeland den belgischen Prix de Rome. 1881 wurde er Direktor des Instituts Lemmens.in Mecheln, 1889 Inspecteur der Musikerziehung in Belgien, 1896 Professor für Kontrapunkt und Fuge am Brüsseler Conservatoire und 1909 dessen Direktor. 1910 erhielt er den Titel eines Maître de chapelle du Roi. Sein Oratorium Franciscus erlebte über 1000 Aufführungen. WW: Te Deum (1887); Messe pour Notre-Dame de Lourdes (1892); Psalm 150 (1907); Liederzyklus Loversken; lyrisches Gedicht Kollebloemen; Chöre; Marialiederen; Adventliederen. Oratorium Franciscus (1888); Musikdrama Godelieve (1897); geistliche Oper Katharina, UA: Brüssel 1909. Lit: P. TINEL, E. T. (Bru 1923); DERS., Le „Franciscus" de E. T. (Bru 1926); DERS., E. T. (Bru 1946); F. VAN DER MUEREN, E. T., in: MS 58 (1962).
TINTINNABULA (lat., = Klingel, Glöckchen), in der römischen Antike und im MA Bz. für kleine Glöckchen, auch für Tier-,' Schellen. Die Bz. ist allerdings nicht immer genau gegen andere gebräuchliche Glocken- und Schellennamen (r Campana, l Cymbala, Nola, ř Glockenspiel) abzugrenzen. Noch bei M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) zeigt sich eine gewisse terminologische Unsicherheit, denn er zählt die T. ohne genauere Kennzeichnung zu den Instrumenten, die mit Klöppel (r Glocke) oder Kügelchen (Schelle) angeschlagen werden. Lit: E. MORRIS, T. -Small Bells (Lo 1959).
TIPLE (span.; urspr. treble, von lat. triplum = Diskant), Doppelrohrblattinstrument in F mit "Pirouette und seit dem 19. Jh. auch mit Klappen. Die T. hat einen lauten, klaren, fast trompetenähnlichen Klang und eignet sich daher vorzüglich als Freiluftinstrument. Je 2 T.s und 2 ' Tenoras gehören immer zum Ensemble der " Cobla. - " Sardana. TIPPETT, Sir Michael Kemp, * 2. 1. 1905 London ; engl. Komponist. Er studierte bei R. O. Morris am Royal College of Music in London, war 1940-51 Musikdirektor am Morley College in London und 1970-74 künstlerischer Direktor des Bath Festival. 1966 erhielt er den Adelstitel und wurde 1979 Companion of Honour. An klassische Formen gebunden, enthält T.s Musik einen sehr reichen persönlichen Ausdruck. Seine bevorzugt polyphone und polyrhythmische Schreibweise läßt Einflüsse der englischen Musik des 17. Jh. erkennen. Das Concerto für 2 Streichorchester und die Ritual Dances gehören trotz hoher technischer Anforde132
rungen zu den in England meistgespielten Werken zeitgenössischer englischer Komponisten. WW: 1) Instr.-WW: 2 V.-Sonaten; 4 Inventionen für 2 Block-Fl. (1954); Suite in D (1948); Sonate für 4 Hörner (1955); 4 Streichquartette (1935, revidiert 1943; 1941-42; 1945-46;1977-79). - Für Orch. :4 Symphonien (1944-45 ; 1956-57 ;1970-72;1976-77); Praeludium für Blechbláser, Glocken u. Schlagzeug (1962); Concerto für 2 Streichorch. (1938-39); Fantasia concertante über ein Thema v. Corelli (1953) für Streichorch.; Fantasie über ein Thema von Händel (1939-41) für Klv. u. Orch.; Klv.-Konzert (1953-55). - 2) Vokal-WW: 2 Madrigale für Chor a cap. (1942); Motette Plebs angelica (1943) für Doppelchor; Kantate Boyhood's End (1943) für Tenor u. Klv.; The Weeping Babe (1944) für Sopran u. gem. Chor; Liederzyklus The Heart's Assurance (1950-51); Songs for Achilles(1961) für Tenor u. Gitarre; 3 Songs for Ariel (1962) für SingSt u. Klv.; Oratorien: A Child of Our Time (1939-41) für 4 Soli, Chor u. Orch.; Crown of the Year (1958) für Frauenchor u. Instr.-Ensemble; The Vision of Saint Augustine(1965) für Bar., Chor u. Orch.; Magnificat u. Nunc dimittis (1961) für gem. Chor u. Org. - 3) Bühnen-WW: Opern: The Midsummer Marriage, UA: London 1955; King Priam, UA: Coventry 1962. - Schriften: Moving into Aquarius (Lo 1959); A Personal View of Music in England, in: FS L. Strecker (Mz 1973); Aufsatz-Slg. Music of the Angels; hrsg. v. M. Bowen (Lo 1980). Lit: A. ATKINSON, M. T.'s Debt to the Past, in: MR 23 (1962); M. T., A Symposium on his 60th Birthday, hrsg. v. 1. KEMP (Lo 1965); A. WHITTALL, A War and a Wedding. Two Modern British Operas, in: ML 55 (1974); M. SCHEPPACH, The Operas of M. T. in the Sight of Twentieth-Century Opera Aesthetics (1975) (- Diss. Univ. of Rochester); Rhythm in T.'s Early Music, in: Proc. R. Mus. Assoc. 105 (1978-79); E. W. WHITE, T. and his Operas (Lo 1979); M. TIPPETT, Sir M. T. (Austin o.J. [1979)); D. MATTHEWS, M. T.: An Introductory Study (Lo 1980).
TIRÉ (frz., = gezogen), r Abstrich, Aufstrich. TITELOUZE, Jean (Jehan), • * 1563 (1564?) StOmer (Artois), t 24. 10. 1633 Rouen; frz. Organist und Komponist. Er studierte Theologie und wurde nach der Priesterweihe (1585) zum Suborganisten von Notre-Dame in St-Omer, im selben Jahr noch zum Titularorganisten von St-Jean in Rouen ernannt, wo er 1588 das gleiche Amt an der dortigen Kathedrale Notre-Dame erhielt. T. galt als Experte in Orgelbaufragen, so daß er seit 1588 mehrfach bei Neubauten und Restaurationen, u. a. in Amiens, Poitiers und Rouen, tätig war. 1610 wurde T. zum Kanonikus ernannt. Die in Rouen ansässige literarische Gesellschaft Puy de Palinods zeichnete T. 1613 mit der „Silbernen Lilie" aus und ehrte ihn 1630 mit dem Titel eines „Prince". Seit 1622 erörterte er mit M. Mersenne vorwiegend musiktheoretische Probleme. WW: Hymnes de l'église pour toucher sur l'orgue avec les fugues et recherches sur kur plain-chant (P 1623) ; Le Magnificat ou Cantique de la Vierge pour toucher sur Ïorgue, suivant les huit tons de l'Église (P 1626).
T. gilt als der erste namentlich bekannte französische Orgelkomponist. Seine 12 Hymnes de l'église, jeweils unterteilt in 3 oder 4 Versetten, praktizieren Techniken der ndl. Motette; Vorimitation, Zitat des C. f. im Baß, motivische Arbeit mit dem zu-
Toccata grunde gelegten Material bei logischer Gliederung und (wie in S. Scheidts Tabulatura nova III, 1624) Verzicht auf Kolorierung um der polyphonen Strenge willen kennzeichnen T.s Kompositionsweise. Dies gilt auch für die technisch weniger anspruchsvollen 8 Zyklen des Magnificat, die, zusammengesetzt jeweils aus 7 Versetten, jedoch differenzierteren Fugentechniken bis hin zu Augmentation, Engführung und doppeltem Kontrapunkt folgen; indem sie sich darüber hinaus u. a. von der Modalität zur Tonalität hin öffnen, bereiten sie den Übergang von der Renaissance zum Barock vor. Ausg.: GA der Orgelwerke, in: GUILMANT-PIRRO 1; Ausw. v. Orgelstücken, in: Liber Organi 1-2, hrsg. v. E. KALLER (L 1931, Neudruck Mz 1954), u. in: Anthologia organi 8, hrsg. v. S. MARGITTAY (Mz 1980); Hymnes de l'église pour toucher sur l'orgue, hrsg v. N. DuFouRcQ(P 1965). Lit.: N. DUFOURCQ, La musique d'orgue de J. T. à J. Alain (P 1941, '1949); W. ELDERS, Zur Formtechnik in T.s „Hymnes de l'Église", in: Mf 18 (1965). J. DORFMÜLLER
TITTEL, Ernst, * 26.4. 1910 Sternberg (Mähren), t 28.7. 1969 Wien; östr. Organist, Komponist und Musikforscher. Er studierte 1928-32 an der Kirchenmusikabteilung der Wiener Musikakademie und promovierte 1935 an der Wiener Universität mit der Dissertation S. Sechter als Kirchenkomponist. Seit 1933 war er Organist der Franziskanerkirche und 1934-67 (mit Unterbrechung 1938-45) Organist der „Geistlichen Stunde" beim Wiener Rundfunk. Seit 1936 lehrte er Theorie und Komposition an der Musikakademie und wurde 1954 außerordentlicher, 1961 ordentlicher Professor. Seit 1965 hatte T. außerdem einen Lehrauftrag für Kirchenmusik an der kath.-theol. Fakultät der Wiener Universität. T., der als Lehrerpersönlichkeit wesentlich an dem hohen Niveau östr. Kirchenmusik des 20. Jh. beteiligt ist, komponierte mit sicherer Satzkunst in einem nachklassischen, teilweise von der Gregorianik ausgehenden kontrapunktischen Stil in einer bis zu freier Zwölftontechnik erweiterten tonalen Harmonik. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Org.-Stücke; Streichquartett emoll (1930). — Für Orch.: Sinfonietta, op. 44 (1952); Variationen u. Fuge über die Haydn-Hymne, op. 4 (1934); Symphonie a-moll, op. 26 (1947); Symphonia brevis, op. 59 (1953); 2 Org.-Konzerte, op. 18 u. 20 (beide 1941). — Geistliche Vokalwerke, darunter etwa 30 Messen; Kantaten; Magnificat; Proprien; Ordinarien; Motetten; ferner zahlr. weltliche Vokalwerke. — 2) Schriften: Kontrapunktfibel (W 1956); Der neue Gradur, 2 Bde. (W 1959); Österreichische Kirchenmusik (W 1961) (—Schriftenreihe des Allgemeinen Cäcilienverbandes ... 2); Harmonielehre (W 1965); !. Lechthaier (W 1966) ( — Č ostr. Komponisten des 20. Jh. 7); Die Wiener Musikhochschule(W 1967) ( ..Publikationen der Wiener Musikakad. 1); Wiener Musiktheorie von Fux bis Schönberg in: Beirr. z. Musiktheorie des 19. Jh. (Rb 1966) (— Stud. z Musikgesch. des 19. Jh. 4).
Lit.: H. LEMACHER, in: MS 80 (1960); F. HABERL, in: MS 89 (1969); H. JANCIK, in: Singende Kirche 17 (1969/70) (mit WerkB.A. KOHL Veri).
TITUS, Opera seria von W. A. Mozart; Originaltitel : La " clemenza di Tito.
TOBIAS WUNDERLICH, Oper in 3 Akten von J. Haas, op. 90, Text von Hermann Heinz Ortner u. Ludwig Andersen (d. i. L. Strecker). Ort u. Zeit der Handlung: irgendwo in den dt. Alpenländern, Gegenwart. UA: 24. 11. 1937 Kassel. Der Holzschuhschnitzer Tobias Wunderlich protestiert gegen den Verkauf einer wertvollen Heiligenstatue und bittet die in diesem Bild dargestellte Barbara um ein Wunder. Die Heilige steigt von ihrem Postament herab und folgt Tobias, um ihm, wie bereits im Jahre 1490 ihrem damaligen Herrn, als Magd zu dienen und gleichzeitig Modell zu stehen. Der Holzschnitzer gibt das Geheimnis jedoch preis, Barbara nimmt ihren Platz als Statue in der Kirche wieder ein; die Menschen pilgern zu diesem nun berühmten Wallfahrtsort. Tobias aber kann die unter Barbaras Anleitung begonnene Heiligenfigur höchst kunstvoll beenden. Diese Legende, in welcher der Geschäftstüchtigkeit des Dorfoberen die Rechtschaffenheit des Tobias gegenübergestellt wird, bot dem Komponisten Gelegenheit, den von ihm bevorzugten volkstümlichen Stil im Musiktheater anzuwenden. Zahlreiche Volksliedmelodien und Volksweisen prägen den musikalischen Ablauf; die Personen werden durch Erinnerungsmotive gekennzeichnet. Auf diese Weise schuf Haas ein musikalisch gefälliges Werk. K. LANGROCK
TOCCATA (von it. toccare = berühren, schlagen; urspr. auch: spielen [von Tasteninstrumenten]), seit dem 17. Jh. ein dem Wortsinn entsprechendes Instrumentalstück, häufig im Charakter eines Vorspiels oder Übungsstücks (mit solchen Überschriften wie „Praeludium", „Praeambulum", „Intonatione", „Intrata" oder „Etude", obwohl es sich stets um ein und dieselbe Gattung handelt) frei gestaltetes Spielstück, das weder im strengen Stil noch auf der Basis eines C. f. oder Tanzes gearbeitet ist. Zu unterscheiden ist zwischen der T. minor und der T. major. Die T. minor ist ein kurzes, vorwiegend aus geballten Akkordfolgen und schnellen Passagen bestehendes Vorspiel. Es kann sowohl zu liturgischen als auch zu profanen Zwekken dienen und ist oft in Verbindung mit Fugenoder Tanzsätzen überliefert. Nach einzelnen Stükken in den Tabulaturbüchern des 15. und frühen 16. Jh. (K. Paumann, H. Buchner, H. Kotter, L. Kleber, Francesco da Milano u. a) stellen die In133
Toccata
tonationi d'organo von A. und G. Gabrieli (1593) den frühesten Zyklus dieser Gattung dar. Entsprechende Stücke schrieben J. P. Sweelinck, J. E. Kindermann (1645), J. Pachelbel, J. K. Kerll (1686), A. Poglietti, Johann Speth (1693), Fr. X. A. Murschhauser (1696, 1703, 1707), J. K. F. Fischer (1696, 1702, um 1732), Karlmann Kolb (1733), Fr. A. Maichelbeck (1738), Marianus Königsperger (1755), G. Chr. Wagenseil, J. G. Albrechtsberger, J. Chr. Rinck und viele andere Komponisten des 17.-19. Jahrhunderts. Der improvisatorische Charakter, der diesen Stücken zumeist anhaftet, kommt weit stärker zur Entfaltung in der T. major. Hier vereinigen sich Virtuosität und Expressivität zu einem quasi rezitativischen Stilus fantasticus, den bereits A. Kircher (Musurgia universalis, Rom 1650) definiert hat. J. Mattheson (Der vollkommene Capellmeister, 1739) bezeichnet ihn als „die allerfreieste und ungebundenste Setz-, Sing- und Spiel-Art, die man nur erdenken kann". Die Wurzeln dieser Toccatenfantasie sind im expressiven Madrigalstil des späten 16. Jh. zu suchen. Aus der Praxis, Madrigale auf Zupf- und Tasteninstrumenten unter Hinzufügung von Verzierungen, Koloraturen und Passagen zu spielen, entwickelten sich selbständige Instrumentalstücke voller Kunstfertigkeit und Ausdrucksreichtum. So entstand parallel zu den Madrigalen von L. Marenzio, C. Gesualdo und Cl. Monteverdi eine für den Barock typische Gattung. Charakteristisch sind der rhapsodische Charakter ohne festes Formgefüge, der freistimmige Satz ohne ausgedehnte fugierte Abschnitte, der zwischen kompakter Vollstimmigkeit und feingliedriger Zweistimmigkeit wechselt, ferner die freie und oft bizarre Rhythmik sowie die spannungs- und kontrastreiche Harmonik. Diese freie, improvisatorische Kompositionsweise soll auch bei der Wiedergabe der Stücke zum Ausdruck kommen. G. Frescobaldi gibt in der Vorrede zu seinem ersten Toccatenbuch genaue Anweisungen für den Spieler. Dort heißt es beispielsweise: „Diese Spielweise darf nicht immer demselben Takt unterworfen werden ... Die Anfänge der Toccaten müssen langsam und arpeggiert gespielt werden ... Die Kadenzen, auch wenn sie schnell notiert sind, müssen sehr gedehnt werden ; nähert man sich dem Schluß der Passage oder der Kadenz, muß das Tempo langsamer werden ..." Die ersten Zeugnisse dieser fantastischen Toccatae majores sind die Toccate d'intavolatura d'organo von Cl. Merulo (1589, 1604). Sie wurden im Notenkupferstich vervielfältigt, da sich der bis dahin gebräuchliche Notentypendruck bei derart virtuoser und freistimmiger Musik nicht anwenden ließ. Den Höhepunkt dieses Stilus fantasticus bilden 134
die 2 Toccatenbücher von Frescobaldi (1615, 1627), denen in Italien die Toccaten von M. Rossi (um 1640), B. Pasquini (um 1700) und D. Zipoli (1716) folgen. Neben Venedig und Rom galt vor allem der Wiener Kaiserhof als Pflegestätte der Toccatenkomposition. Frescobaldis Schüler J. J. Froberger widmete 12 seiner großen Toccaten Kaiser Ferdinand III. Auch die Organisten Leopolds I., Poglietti und Kern, schrieben Toccaten, demselben Kaiser ist der Apparatus musico-organisticus von Georg Muffat (1690) gewidmet, mit dem die Toccatenkomposition den Gipfel erreichte. In die Fußstapfen des Vaters trat Gottlieb Muffat mit 24 Toccaten und ebenso vielen, in ähnlicher Manier komponierten Capricci. Durch Albrechtsberger und die böhmischen Organisten mit J. Seger an der Spitze wurde der italienisch-süddeutsche Toccatenstil ins 19. Jh. tradiert. Ein äußeres Kennzeichen dieses südlichen Typus ist das Fehlen der obligaten Pedalstimme. Der recht anspruchsvolle Manualsatz ist meist auf jeder Art von Tasteninstrumenten spielbar. Selbst bei den ausdrücklich als Pedaltoccaten bezeichneten Stükken beschränkt sich das Pedal auf wenige, orgelpunktartig gehaltene Töne, auf die bei Frescobaldi sogar verzichtet werden kann, wenn kein Pedal vorhanden ist. Georg und Gottlieb Muffat bezeichneten dagegen genau die für das Pedal bestimmten Töne. Fast alle Stücke können auf einem einmanualigen Instrument ausgeführt werden. Entsprechend den andersgearteten, nach dem Prinzip des architektonischen und farblichen Kontrastes gebauten norddeutschen Orgeln sind auch die Toccaten oder Praeludien der norddeutschen Meister von denen der süddeutschen wesentlich verschieden. Der Manualsatz ist weniger vollgriffig und virtuos, statt dessen wird dem Pedal ein selbständiger, oft solistischer Part zugedacht. Dynamische und farbliche Kontraste können durch Manualwechsel erreicht werden. Beliebt ist die Echomanier bei Sweelinck und seinen Schülern. Im Gegensatz zu den italienischen und süddeutschen Meistern und zu den Prinzipien des fantastischen Stils fügten D. Buxtehude, J. A. Reinken und ihre Schüler fugierte Abschnitte in die T. ein. Offenbar haben hierbei Frobergers Variationskanzonen mit ihren toccatenhaften Einschüben als Vorbilder gedient. Bei J. S. Bach vollzieht sich eine Synthese zwischen südlichen und nördlichen Stilelementen. Seine Manualtoccaten wie auch die bekannte d-moll-T. (BWV 565) und vor allem die gmoll-Fantasie (BWV 542) repräsentieren den Stilus fantasticus des späten Barocks, der in den freien Fantasien von C. Ph. E. Bach seine Fortsetzung fand. Die Tendenz, anstelle plötzlicher Kontraste
Tod in Venedig längere Abschnitte im rhythmischen Einheitsablauf zu notieren, macht sich bereits im letzten Drittel des 17. Jh. bemerkbar, besonders bei Kerll und Georg Muffat, ebenso bei den mitteldeutschen Komponisten wie J. Pachelbel und J. Ph. Krieger, schließlich in größeren Dimensionen bei J. S. Bach („dorische” Toccata, F-dur-Toccata), seinen Zeitgenossen und Schülern. Hieraus entwickelte sich der Typ der Etüden-T., eines virtuosen Perpetuum mobile, das im 19. Jh. in der Klavier- und Orgelmusik vorherrschend wurde (M. Clementi, J. B. Cramer, C. Czerny, R. Schumann, M. Balakirew), bis M. Reger und Cl. Debussy um die Jahrhundertwende durch Mittel impressionistischer Klanggestaltung einen neuen expressiven Toccatentyp schufen. Der Neoklassizismus mit seiner Anknüpfung an Formen und Setzweisen des Barocks hat schließlich das Interesse an der Gattung der T. im 20. Jh. neu belebt (F. Busoni, A. Honegger, J. N. David u. a.). Lit.: L. SCHRADE, Die ältesten Denkmäler der Orgelmusik als Beitr. zu einer Gesch. der T. (Mr 1928); E. VALENTIN, Die Entwicklung der T. im 17. u. 18. Jh. (Mr 1928); W. GEORG'', Klaviermusik (Z - Fr 1950); H. HERING, Das Tokkatische, in: Mf 7 (1954); E. VALENTIN, Die T. (Kö 1958) (- Das Musikwerk 17); W. APEL, Gesch. der Orgel- u. Klaviermusik bis 1700 (Kas 1967); F. W. RIEDEL, Der EinfluB der it. Klaviermusik des 17. Jh. auf die Entwicklung der Musik für Tasteninstrumente in Deutschland während der ersten Hälfte des 18. Jh., in: Anal. Mus. 5 (1968). F. W. RIEDEL
TOCH, Ernst, * 7. 12. 1887 Wien, t 1. 10. 1964 Los Angeles; amerik. Komponist und Pianist östr. Herkunft. Er studierte 1906-09 Medizin und Philosophie in Wien und Heidelberg, 1909-12 Klavier bei Willy Rehberg in Frankfurt am Main und wurde 1913 Lehrer für Klavier und Komposition an der Musikhochschule Mannheim. 1921 promovierte er im Fach Musikwissenschaft an der Univ. Heidelberg. Seit 1929 lebte er als Klavier- und Kompositionslehrer in Berlin, emigrierte 1933 über Paris und London in die USA und lehrte seit 1934 an der New School of Social Research in New York. 1936 ließ er sich in Los Angeles nieder, wo er auch an der University of Southern California lehrte. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Klv.-Stücke; Kammermusik, darunter 13 Streichquartette (1902-53). - Für Orch.: Phantastische Nachtmusik, op. 27 (1920); Komödie in einem Satz (1927); Big Ben (1935); Notturno (1953); Three Pantomimes, 1: Capriccio, 2: Puppet Show, 3: The Enamoured Harlequin (1963-64); 7 Symphonien (1950, 1951, 1953, 1957, 1962, 1963, 1964); Ouvertüren; Vc.-Konzert (1925) mit Kammerorch.; Klv.-Konzert (1926) sowie ein 2. Klv.-Konzert als: Sinfonie (1932). - Kantate Das Wasser (Text: A. Döblin) (1930) für Tenor, Bar., Sprecher u. Chor mit Instr. ; Cantata of the Bitter Herhs(1938) (nach Psalm 126) für Sopran, Alt, Tenor, Baß, Sprecher u. Orch.; Musik (1932) (Text: R. M. Rilke) für Orch. u. Bar.; ferner zahlr. Chorwerke. - Märchenoper Die Prinzessin auf der Erbse (Liter.: B. Elkan nach H. Ch. Andersen), UA: Baden-Baden 1927; Opern-Capriccio Der
Fächer, UA: Königsberg 1930; Oper The Last Tale (1960-62); Film- u. Bühnenmusik. - 2) Schriften: Beiträge zur Stilkunde der Melodie (Diss. Hei 1921), gedruckt als: Melodielehre (B 1923); The Shaping Forces in Music (NY 1948, Nachdr. 1977); Placed as a Link in this Chain ..., hrsg. v. M. Hood (Los Angeles 1971).
T. begann in der Nachfolge von J. Brahms, näherte
sich um 1925 durch freie Kontrapunktik und erweiterte Chromatik der Atonalität, kehrte aber etwa nach 1948 zu einer tonalen Schreibweise zurück. Seit den 30er Jahren ist eine Orientierung am Neoklassizismus unverkennbar, doch bleiben Expressivität und ein dramatisch-epischer Zug stets kennzeichnend für sein schon früh mit vielen Preisen bedachtes Schaffen. T.s Werke wurden in Deutschland vor 1933 sehr häufig aufgeführt; von den Nationalsozialisten wurde seine Musik dann als „entartet" gebrandmarkt. Lit.: N. SLONIMSKY, E. T., 1887-1964, in: NZfM 128 (1967); C. JOHNSON, The Unpublished Works of E. T. (1973) (- Diss. Univ. of Southern California); L. WESCHLER, E. T., 1887-1964. A Biographical Essay (Los Angeles 1974). B. A. KOHL
TOD IN VENEDIG, DER (Death in Venice), Oper in 2 Akten von B. Britten, op. 88, Text von Myfanwy Piper nach der gleichnamigen Novelle (1913) von Th. Mann. Ort und Zeit der Handlung: München u. Venedig, zu Beginn des 20. Jh.; UA: 16.6. 1973 Aldeburgh; dt. EA (in dt. Sprache): 24.9. 1974 West-Berlin. Das Umschlagen von ästhetischer Bewunderung in ekstatisch-sinnliches Begehren des Schönen vollzieht sich in dem erfolgreichen Schriftsteller Aschenbach, dessen Fahrt nach Venedig zu einer Reise in den Tod wird; unter der Oberfläche scheinbar alltäglicher Begegnungen verbergen sich Vorboten der Katastrophe; Aschenbachs seelischer Alarmzustand steigert sich im Verlaufe seiner Bekanntschaft mit dem jungen Polen Tadzio, der sein Schönheitsideal verkörpert. Durch die Konzeption des Tadzio als reiner Tanz- und Pantomimenrolle gelang dem Librettisten ein Kunstgriff, der es Britten ermöglichte, gerade die Gehemmtheit und Panik des hypersensiblen Intellektuellen, der an den Jungen nicht wirklich „herankommt", eindringlich darzustellen: Gerade dort, wo gemäß der literarischen Vorlage die verbale Kommunikation eingeschränkt ist, wird die Musik zum idealen Ausdrucksmedium. Teils klangfarblich-instrumentatorisch, teils mit spätromantischer Themen-Metamorphose charakterisiert Britten in seiner letzten Oper die unterschiedlichen Lebensbereiche : Tadzio, Sinnbild für Schönheit, Kraft und Vitalität, agiert durchweg vor einem klanglichen Hintergrund, der von rhythmisch und farblich reich differenzierten Schlagwerk-Kombinationen dominiert wird; Aschenbachs seelische Ent135
Toëschi wicklung hingegen erhält in sensibler Charaktervariantentechnik ihre ästhetisch stimmige klangliche W. A. MAKUS Präsentation. TOËSCHI (eig. Toesca della Castella-Monte), dt. Musikerfamilie it. Herkunft. - 1) Alessandro, * vor 1700 Rom (?), begraben 15. 10. 1758 Mannheim. Er wurde nach Reisen durch England und Deutschland 1725 „second maître des concerts" am württembergischen Hof, wo seine Frau als Sängerin wirkte; um 1730 heiratete er zum 2. Mal, verließ nach dem Tod des Herzogs (1737) den Hof und wurde 1742 Konzertmeister, um 1750 auch Direktor der instrumentalen Kirchenmusik am Mannheimer Hof. Seine wenigen erhaltenen Werke stehen in der Tradition des it. Barock. WW: Sonate für V. u. Cemb. (F 1720). - Hsl. sind erhalten : Sonate D-Dur für V. u. B.c.; Konzert für 2 V., Str. u. B.c. (Dresden).
2) Karl Joseph (Carlo Giuseppe), Sohn von 1), getauft 11. 11. 1731 Ludwigsburg, t 12.4. 1788 München. Er war Schüler von J. Stamitz, trat 1752 in das Mannheimer Orchester ein, wurde 1759 Konzertmeister und dirigierte Ballette sowie dt. und frz. Opern. Mehrmals reiste er nach Paris, wo im Concert spirituel viele seiner Werke aufgeführt wurden. 1763 und 1777/78 traf er mit W. A. Mozart, 1774 mit Chr. W. Gluck zusammen. 1778 folgte er mit dem größten Teil des Orchesters dem Kurfürsten Karl Theodor nach München. T. ist neben Chr. Cannabich und K. Stamitz der bedeutendste Komponist in der 2. Generation der ř Mannheimer Schule. Seine Symphonien prägen seit 1769 die Pariser Symphonik, in den Sonatensätzen erhält das 2. Thema mehr Gewicht als bei seinen Zeitgenossen. WW: Im Druck erschienen zahlr. Duette, Trios, Quartette, Quintette u. Sextette für Str., teilweise mit FL; mindestens 66 Symphonien; 19 F1.- u. 11 V.-Konzerte. - Hsl. erhalten über 30 Ballette, z.T. zus. mit Chr. Cannabich, F. Deller u. 1. Fränzl.
3) Barbara Margaretha Sidonia, Tochter von 1), * 16.7. 1733 Ludwigsburg, t nach 1763. Sie war Tänzerin am Mannheimer Hof und mit dem Violoncellisten Innozenz Danzi verheiratet; aus der Ehe ging Fr. OE, Danzi hervor. - 4) Johann Baptist Maria (Giovanni Battista Maria, auch Johann Christoph Maria), Sohn von 1), * vor 1740, t 3.3. 1800 München. Er war Schüler von J. Stamitz und Cannabich, wurde 1755 Violinist, 1758 auch Ballettdirigent, 1774 Konzertmeister in Mannheim ; 1778 folgte auch er dem Kurfürsten Karl Theodor nach München. WW: 6 Triosonaten für 2 V. u. Baß (P 1768). - Hsl. sind erhalten: Konzert für Va. d'amore (Entwurf); Quartett für Va. d'amore, Fl., V. u. Vc.; Sonata a-moll für Va. d'amore u. Baß (Paris, Wien).
5) Karl Theodor, Sohn von 4), * 7.4. 1768 Mann136
heim, * 10. 10. 1843 München. Er wurde 1780 Violinist im Münchner Hoforchester und trat bereits 1785 als Solist hervor. 1799 trat er in den Ruhestand und ist danach nur noch mit Tänzen für die Hofbälle hervorgetreten. Wie sein Vetter Fr. Danzi gehört er zur 3. Mannheimer Generation. WW: Je 6 Münchner Redoute Ländler (Mn 1822, 1823, 1824); 6 Münchner Odeon Ländler (Mn 1828); 6 Hofball Ländler (Mn 1831); Vergib mein nicht (Mn 1832); ferner 6 Wiener Walzer für Gitarre (Mn um 1830). - Hsl. sind erhalten: V.-Konzert; Symphonia concertante für V., Fl.; Symphonie C-Dur; Sinfonia pastorale; 2 Ouvertüren; Cantilena O Maria für 4 St., Solo-V. u. Orch. Ausg.: Zu 2): Symphonie B-Dur, in: Sinfonien der Pfalzbayerischen Schule, hrsg. v. H. RIEMANN (1902) (- DTB 7/2); Fl.Quartett u. Fl.-Quintett, in: Mannheimer Kammermusik des 18. Jh. I, hrsg. v. DEMS. (1914) (- DTB 15); Klv.-Trio G-Dur, in: ebd. II, hrsg. v. DEMS. (1915) (- DTB 16); Symphonie D-Dur, hrsg. v. A. CARSE (Lo 1936); Sinfonie D-Dur, hrsg. v. R. MONSTER (Lörrach 1958); FL-Konzert G-Dur, hrsg. v. DEMS. (Mn 1962) (- Alte Musik, Leuckartiana 31 b); F1.-Konzert F-Dur, in: Fl.-Konzerte der Mannheimer Schule, hrsg. v. W. LEBERMANN (1964) (= EDM 51); 6 Fl.- u. 6 Fag.-Duette, hrsg. v. DEMS. (Mz 1969) (- II flauto traverso 76-77). - Zu 4): Sonate für Va. d'amore u. Baß, hrsg. v. D. NEWLIN - K. STUMPF (W 1963) ( Diletto mus. 127). Lit.: R. MONSTER, Die Sinfonien T.s (Diss. Mn 1956); W. LEBERMANN, Biographische Notizen über J. A. Fils, J. A. Stamitz, C. J. u. J. B. T., in: Mf 19 (1966); DERS., Zur Genealogie der T., in: ebd. 22 (1969); DERS., Giovanni Battista oder Johann Christoph? Ein Nachtrag z. Genealogie der T., in: Mf 27 (1974). - ,MannheiG. SCHUHMACHER mer Schule.
TOLBECQUE, belg. Musikerfamilie, die sich nach der Restauration in Frankreich niederließ. In der 1. Generation waren 4 Brüder als Violinisten in Paris tätig : Isidore Joseph (1794-1871); Jean-BaptisteJoseph (1797-1869), er auch als Dirigent der Pariser Bälle; Auguste Joseph (1801-69), der später in London wirkte; Charles Joseph (1806-35). GröBere Bedeutung erlangte in der 2. Generation Auguste, ein Sohn des letzteren, * 30.3. 1830 Paris, t 8.3. 1919 Niort. Er war Violoncellist, lehrte 1865 am Conservatoire in Marseille und spielte dann in Paris bei der Société des Concerts du Conservatoire und in verschiedenen Quartetten. Später unterhielt er eine Instrumentenwerkstatt in Niort. Seine 1. große Instrumentensammlung verkaufte er 1879 an das Conservatoire in Brüssel. Schriften (von Auguste): L'art du luthier (Niort 1903, Nachdr. 1969); Gymnastique du violoncelliste (P 1875); Quelques considérations sur la lutherie (P 1890); Souvenirs d'un musicien en province (Niort 1896); Notice hist. sur les instr. á cordes et á archet (P 1898).
TOLL TRIEBEN ES DIE ALTEN ROMER, dt. Filmtitel von St. Sondheimers Musical A r Funny Thing Happened on the Way of the Forum. TOLSTOI, Lew Nikolajewitsch, * 28.8. (9.9.) 1828
Tomášek auf dem Gut Jasnaja Poljana bei Tula, t 7. (20.) 11. 1910 Astapowo (Gouvernement Kaluga); russ. Schriftsteller. T., Verfasser der großen Romane Woina i mir (Krieg und Frieden, 1863-69) und Anna Karenina (1873-77), scharfer Kritiker sozialer Ungerechtigkeit, war von Jugend auf neben dem russ. Volkslied mit klassischen Klavierkompositionen vertraut, die seine Mutter vortrug. Als junger Mann studierte er Schriften über Musik und J.-J. Rousseaus Dictionnaire de musique. Unveröffentlichtes Fragment blieb eine Art enzyklopädisches Lehrbuch zum Studium der Grundlagen der Musik, an dem T. Ende der 50er Jahre arbeitete. 1849 nahm T. den in Moskau lebenden dt. Pianisten Rudolph (Vorname nicht überliefert) mit auf sein Gut und vervollkommnete sich bei ihm im Klavierspiel. Zusammen mit Wassili Botkin setzte er sich 1858 für die Gründung einer Kammermusikgesellschaft in Moskau ein. Die Tonkunst soll nach T. die sittliche Haltung der Menschen beeinflussen und muß daher auch von einfachen Menschen verstanden werden können. Von dieser Position kritisierte er die Musik seiner Zeit, in der er nur den auf Genuß gerichteten Zeitvertreib der Künstler und „gebildeten" Müßiggänger erblickte. Er negierte fast alle nach L. van Beethoven entstandenen Kompositionen. Sein Urteil über Beethoven selbst war starken Schwankungen unterworfen, dagegen schätzte er J. Haydn, W. A. Mozart, Fr. Chopin, P. Tschaikowsky. WW (Vertonungen nach T.): Kammermusik: L. Janáček, L Streichquartett (1923) u. Klv.-Trio (1909) nach Krejzerowa sonata (Kreutzer-Sonate). — Für Orch.: A. Roussel, symphonisches Prélude Résurrection, op. 4 (1903). — Vokalwerke: Ch. H. Parry, Ode War and Peace(1903) für Soli, Chor u. Orch.; L. Durey, Kantate La guerre et la paix (1949); N. N. Tscherepnin, The Story of Ivan the Fool für Rezitator, Soli, Chor, Orch. u. elektron. Geräte, UA: BBC London 1968. — Opern: F. Alfano, Risurrezione, UA: Turin 1904; L. Janáček, Anna Karenina (1907) (unvollendet); dem., Živá mrtvola (Der lebende Leichnam) (1916) (unvollendet); J. Hubay, Anna Karenina, UA: Budapest 1915; R. Réti, Iwan und die Trommel (1933); O. Ostrčil, Honzovo království (Hansens Königreich), UA: Brünn 1934; S. Prokofjew, Woina i mir (Krieg und Frieden), UA: Moskau 1944, 2. Fassung Leningrad 1955; R. Wagner-Régeny, La légende de l'homme heureux (1947) (unvollendet); B. Martinů, Pastoraloper What Men Live By, UA: NBCFernsehen New York 1953; J. Cikker, Vzkřísení (Auferstehung), UA: Prag 1962. Lit.: R. HOHENEMSER, L. T. u. die Musik, in: ZfMw 2 (1919/20); G. ABRAHAM, T. and Mussorgsky, in: Studies an Russian Music (Lo 1936); L. T. i musyka, hrsg. v. S. G. PALJUCH — A. W. PRoCHOROWA(Mos 1977). E. STÖCKL
TÓLZER KNABENCHOR, hervorgegangen 1957 aus dem 1956 gegründeten Singkreis Bad Tölz (Oberbayern) und geleitet von G. Schmidt-Gaden. Zentrale des als Privatunternehmen geführten Chores ist das Studio in München. Seine Ausbildungsstufen haben den Status einer staatlich aner-
kannten Musikschule. Der Großteil der Ausbildungskosten wird durch Einnahmen aus Konzerten, Opernauftritten, Fernsehsendungen und Schallplattenaufnahmen gedeckt. Das Repertoire des Chores umfaßt Volkslied, Folklore, Unterhaltungsmusik, Oper und Oratorium sowie ältere Musik. Der T. als Ganzes oder einzelne Solisten daraus wirkten u. a. bei den Festspielen in Bayreuth, Salzburg, Edinburgh und München, den Luzerner Musikfestwochen und den Berliner Festwochen mit, ebenso bei den Uraufführungen von Krz. Pendereckis Lukaspassion (1966) und Utrenja (1971). TOMÁŠEK (Tomaschek), Václav Jan Křtitel (Johann Wenzel), * 17.4. 1774 Skutsch (Böhmen), t 3.4. 1850 Prag; böhmischer Pianist und Komponist. T., als Musiker im wesentlichen Autodidakt, machte sich früh als Klavierlehrer und -virtuose in seinem Heimatland einen Namen. Seit 1806 erhielt er von dem Grafen Georg Buquoy eine Pension auf Lebenszeit, die ihm freies Schaffen ermöglichte. 1824 gründete er in Prag als Alternative zum Konservatorium eine eigene Musikschule. Sein Haus in Prag wurde eine Stätte, die viele Künstler anzog, die Prag besuchten, so N. Paganini, R. Wagner, H. Berlioz und Clara Schumann. Auf vielen Reisen unterhielt T. Beziehungen u. a. zu J. W. von Goethe, J. Haydn und L. van Beethoven, und er war der Lehrer einer ganzen Generation von böhmischen Musikern, unter ihnen J. V. Voříšek, A. Dreyschock und E. Hanslick. Mit seinen Eklogen (seit 1807), Rhapsodien und Dithyramben zählt T. zu den Schöpfern des romantischen Charakterstücks für Klavier und ist auf diesem Gebiet der unmittelbare Vorläufer von Fr. Schubert. Auch seine Klavierlieder über Texte von Goethe, Fr. von Schiller und A. Puschkin waren im 19. Jh. allgemein bekannt. WW: Im Druck erschienen: Klv.-Sonaten; Slgen. mit Klv.-Stükken (Eklogen, Rhapsodien und Dithyramben), op. 35, 39, 40, 47, 51, 52, 63, 65, 66, 83, 110; Klv.-Trio, op. 7; Klv.-Quartett op. 22; Symphonien u. Klv.-Konzerte. — Goethe-Lieder, op. 53-61; Schiller-Lieder, op. 24, 29, 31; tschech. Lieder, op. 48, 50, 71, 82. — Einige geistliche u. weltliche Kompositionen hsl. — Oper Seraphine, UA: Prag 1811. Ausg.: Ecloga, op. 63 Nr. 1 u. Rhapsodie, op. 41 Nr. 1, in: Čeští klasikové, hrsg. v. J. RACEK — J. SÝKORA (Pr 1954) (= MAB 20); Tre ditirambi für Klv., op. 65, hrsg. v. I. POHANKA (1956, 2 1972) (= ebd. 29); Églogues pour le pianoforte (I: op. 35, 39, 47 u. 51), hrsg. v. A. BORKOVA — TH. STRAKOVA (1970) (— ebd. 73); Lenore, in: Balladen v. G. A. Bürger ..., hrsg. v. D. MANICKE (Mz 1970) (= EDM 46); Klv.-Werke, hrsg. v. D. ZAHN (Mn 1971). Lit.: M. POSTLER, V. J. T., Bibliogr. (Pr 1960); J. KÁDNEROVÁ, V. J. T. Výberová bibliografie (Kladno 1974). — M. TARANTovÁ, V. J. T. (Pr 1946); M. VvsLouzILovÁ, V. J. T.s Lieder zu tschech. Texten, in: Sborník prací filosofické fakulty brněnské university 22 (1974); A. SIMPSON, T., in: Grove• XIX.
137
Tomasi TOMASI, Henri Fredien, * 17.8. 1901 Marseille, t 13. 1. 1971 Paris; frz. Komponist. Er studierte in Marseille und am Pariser Conservatoire, wo er 1927 einen Grand Prix de Rome erhielt, arbeitete 1930-35 am frz. Rundfunk und leitete 1946-50 die Oper von Monte Carlo. Seine überwiegend für das Theater geschriebene Musik spricht unmittelbar an, ist rhythmisch vielfältig und klanglich farbig. WW: Drames lyriques: L'Atlantide, UA: Mülhausen 1954: Sampiero corso, UA: Bordeaux 1956; Don Juan de Maňara (nach O. Milosz), UA: München 1956, frz. Mülhausen 1967; Il poverello, UA: ORTF 1960; Le silence de la mer. UA: Toulouse 1964; ferner Opéras-bouffes u. Ballette.
TOMASINI. - 1) Aloisio Luigi (I), * 22.6. 1741 Pesaro, t 25. 4. 1808 Eisenstadt; it. Violinist und Komponist. Er wurde 1757 Mitglied der Kapelle des Fürsten Esterházy in Eisenstadt, 1762 1. Violinist und bald Konzertmeister unter J. Haydn, der für ihn mehrere Violinkonzerte schrieb. Seit 1802 leitete er die höfische Kammermusik. WW: Duos concertants für 2 V. (W 1800, P o.J.); 3 Streichquartette (W um 1807). — V.-Konzerte u. 24 Divertimenti für Baryton, V. u. Vc. sind hsl. erhalten.
2) Anton Edmund, Sohn von 1), * 17.2. 1775 Eisenstadt, t 12. 6. 1824 ebd.; it. Bratschist. Er trat 1791 in die Kapelle der Esterházy ein, bei der er 1820 Konzertmeister wurde. - 3) Aloisio Luigi (II), Bruder von 2), * um 1780, t 1858 Neustrelitz; it. Violinist. Er war seit 1796 Mitglied der Esterházyschen Kapelle, wurde 1808 wegen seiner Heirat mit der Sängerin Sophie Groll entlassen und trat im selben Jahr in die Hofkapelle in Neustrelitz ein, wo er 1825 Konzertmeister wurde. Von J. Haydn und J. N. Hummel hochgeschätzt, war T. vor allem in Wien ein angesehener Solist seines Instruments. Ausg.: Zu 1): Ausgew. Instrumentalwerke, hrsg. v. E. SCHENK (1972) (= DTÖ 124); 2 Divertimenti für Baryton, V. u. Baß, hrsg. v. H. UNVERRICHT (Z 1970). Lit.: H. WESSELY, in: MGG XIII. — Zu 1): F. KORCAK, L. T...., Konzertmeister der fürstlich Esterhazyschen Kapelle in Eisenstadt unter J. Haydn (Diss. W 1952); E. FRUCHTMAN, The Baryton Trios of T., Burksteiner and Neumann (1960) (= Diss. Univ. of North Carolina); J. HARICH, Das Haydn-Orch. im Jahre 1780, in: Haydn-Jb. 8 (1971).
TOMBEAU (frz., = Grabmal), in Frankreich Bz. für eine frz. Instrumental- oder Vokalkomposition zum Gedächtnis an einen verstorbenen Freund, Dichter oder Musiker, in der Regel ein gravitätischer, feierlicher Satz, häufig in Moll und in der Frühzeit im Charakter einer Pavane oder Allemande. T.x gibt es im 17. Jh. für Laute (E. Gaultier, T de Mézangeau; D. Gaultier, T. de Raquette und T de l'Enclos; J. Gallot, T d'Henriette d'Angleterre; Ch. Mouton, T de Madame de Fontange), Gitarre (R. de Visée, T de Fr. Corbette), Cembalo (L. Couperin, T de Blancrocher; J. H. 138
d'Anglebert, T de Chambonnières; J. J. Froberger, Lamento sur /a mort de Ferdinand IV) und Viola da gamba (M. Marais, T de Lully und T de Sainte-Colombe). Zu Ende des 18. Jh. entstanden auch T.x für Klavier (Frédéric Auguste Lemière, T de Mirabeau le patriote, 1791). Im 20. Jh. knüpfen wieder einige Werke an diese Tradition an. Dabei handelt es sich sowohl um Orchesterstücke (L. Aubert, T de Chateaubriand, 1948) und Werke für Klavier (M. Ravel, Le t. de Couperin, 1917) oder Orgel (M. Dupré, Le t. de Titelouze, 1942) als auch um Kammermusik (M. Pinchard, T de Marin Marais für Fl., V., Va. da gamba und Spinett, 1967) oder gemischtes Ensemble (Pinchard, T de Federico García Lorca für Sprecher, Vokalensemble, Fl., Klar., Trp., Vc., Schlagzeug und Klv., 1960). Lit.: M. ROLLIN, Le „t." chez les luthistes, in: Bull. de la Soc. d'études du XVII' siècle 6 (1954) und 9 (1957); CH. VAN DEN BORREN, Esquisse d'une histoire des „t.x" musicaux, in: StMw 25 (1962).
TOMKINS (Thomkins, Tompkins, Tonkins), Thomas, * 1572 St. Davids, begraben 9.6. 1656 Martin Hussingtree (Worcestershire). Er war der Sohn eines Organisten und erhielt seine Ausbildung wahrscheinlich in London bei W. Byrd. 1596-1646 wirkte er als Organist an der Kathedrale zu Worcester. Um 1620 wurde er daneben Gentleman der Chapel Royal in London, 1621 dort auch Organist. WW: 1 Madrigal in Th. Morleys Triumphs of Oriana (1601); Songs of 3, 4, S and 6 Parts (Madrigale) (Lo 1622); Musica Deo Sacra (5 Services, Preces mit Psalmen u. 94 Anthems) für 4-10 St. u. Org. (Lo 1668); weitere geistliche Werke hsl. — Für Tasteninstr.: 8 In Nomine, 8 Miserere u. 1 Offertorium; einige Fantasien. Grounds u. Tanzsätze. — Für Consort: 2 In Nomine; Fantasien u. Tanzsätze.
T. ist der Hauptmeister des r Anthem in der unmittelbaren Nachfolge von Byrd. Dabei handelt es sich je etwa zur Hälfte um Verse Anthems und um Full Anthems. Die Satzweise ist in der Regel kontrapunktisch dicht und zeigt nur wenig Einfluß des it. konzertierenden Stils. Das gilt auch für T.' Madrigale, die die Spätzeit der Gattung in England repräsentieren und in ihrer Qualität im Vergleich zu den Werken der älteren Madrigalisten heute unterschiedlich bewertet werden. Unter T.' Instrumentalwerken finden sich einige besonders ausdrucksvolle Stücke. T.' Halbbruder John (um 1586-1638), dessen Brüder Giles (um 1587-1668) und Robert (Daten unbekannt) sowie sein Sohn Nathaniel (1599-1681) waren ebenfalls Organisten. Ausg.: 5 Services u. 2 Psalmen, hrsg. v. P. C. BUCK (Lo 1928, NY 2 1963) (= Tudor Church Music 8); 73 Virginalstücke. hrsg. v. S. D. TUTTI.E: (Lo 1955) (— Mus. Brit. 5); Sämtliche Madrigale, hrsg. v. E. H. FEa .Low'F.s, revidiert v. Th. Dart (Lo 1961) ( — The
Tonadilla Engl. Madrigaliste 18); Musica Dien sacra l—III, hrsg. v. B. ROSE (Lo 1965-73) (— Early Engl. Church Music 5, 9 u. 14); 13 Anthems, hrsg. v. R. CAVANAUGH (New Haven 1968) (— RRMRen 4). Lit.: D. W. STEVENS, Tudor Church Music (NY 1955 u.ö., Nachdr. 1973); DERS., Th. T. (Lo 1957, Nachdr. 1967); J. KERMAN,The Elisabethan Madrigal (NY 1962); P. LE HuRAY,T., in: Grove. XIX.
TOM-TOM, Bz. für ein der r Trommel verwand-
tes Instrument mit zylindrischem Korpus und einem, heute meist 2 Fellen, die, einzeln mit Schrauben gespannt, annähernd auf bestimmte Tonhöhen gestimmt werden können. T.s gibt es in verschiedenen Größen mit Zargenhöhen zwischen 16-60 cm und Felldurchmessern von 15-50 cm. Sie werden mit Paukenschlegeln, Trommelstöcken oder seltener auch mit Jazzbesen gespielt. Im Orchester werden meist 2 oder 3, manchmal auch bis zu 7 verschieden große T.s verwendet. Einzelne kleinere, meist einfellige T.s lassen sich mit einem speziellen Halter an der Großen Trommel befestigen. An größeren Instrumenten sind verstellbare Beine angebracht, so daß sich die Schlagfelle aller T.s auf gleicher Höhe befinden. Das T. wurde aus der lateinamerikanischen Tanzmusik der 20er Jahre in die Jazzensembles übernommen und wird seitdem häufig auch im Orchester vorgeschrieben, so von I. Strawinsky, B. Maderna, C. Orff und K. Stockhausen - r Schlagzeug. TOMYRIS, Oper von R. Keiser; dt. Titel: Die großmütige Tomyris. TON. - 1) Das Ausgangselement der Musik als Tonkunst, dessen musikalische Erscheinung von
der physikalischen Auffassung abzugrenzen ist. Musikalisch ist ein T. bestimmt durch seine Eigenschaften t Tonhöhe, t Tondauer, t Tonstärke und r Klangfarbe; er unterscheidet sich damit vom r Klang, verstanden als das Zusammentreffen mehrerer Töne. Die musikalische Anschauung ist historischem Wandel unterworfen: War etwa ein T. in der dur-moll-tonalen Musik des 17.-19. Jh. eingebunden in ein funktionales und hierarchisches Beziehungssystem (r Funktionsharmonik), so gehen t Atonalität und t Zwölftonmusik von der Gleichrangigkeit aller Töne und ihrer Relation zueinander aus. Physikalisch beruht der T., im Gegensatz zum Geräusch, auf periodischen Schwingungen. Anzahl pro Sekunde (r Frequenz), Dauer und Weite (r Amplitude) der Schwingung bestimmen seine Höhe, Dauer und Lautstärke; als T. für den Menschen wahrnehmbar sind Frequenzen zwischen 16 und 20000 Hz. Da aber jeder gespielte oder gesun-
gene T. ein Komplex aus dem erklingenden T. und mitschwingenden Obertönen ist, wird er im physikalischen Sinne als Klang definiert (OE Obertöne). Der reine, nicht weiter zerlegbare T. ist hier der obertonlose Sinuston, der für die r elektronische Musik ein Grundmaterial darstellt. C. KÜHN 2) In der mhd. Literatur Bz. für die Melodie oder Weise einer strophischen Dichtung bzw. die Dichtung selbst im Hinblick auf ihre metrische Struktur. Ein Dichter war zugleich „Ton"-Setzer wie Sänger. Im r Meistersang war die Erfindung eines T.es, bei der strenge Regeln zu beachten waren, Voraussetzung für die Ernennung zum „Meister". Jeder neue T. erhielt einen eigenen Namen, z. B. „roter", „blauer" oder „grüner T.", „Schneckenton" oder „Pelikanweise". TONADILLA (von span. tonada = Lied). Zunächst als Synonym von „canción" für ein Gesangstück gebraucht, bezeichnete T. seit der 2. Hälfte des 18. Jh. eine kurze heitere Oper, die, dem it. Intermezzo nahestehend, charakteristisch für das Madrider musikalische Theater war. In Spanien und Lateinamerika war sie bis zum Beginn des 19. Jh. obligatorisches Zwischenspiel bei jeder Aufführung von „Comedias", von Dramen und Tragödien. Es gab T.s „a solo", für 2, 3 oder mehr Personen, gelegentlich auch mit Chor. Anfangs gliederte sich die T. in 3 Hauptteile : Einleitung, Couplets (coplas) und Finale (meist r Seguidillas). Im Zusammenhang mit der schnellen Weiterentwicklung vergrößerte sich die Zahl der'Musiknummern. Trug die T. ursprünglich komische, ironische, satirische und volkstümliche Züge, so griff sie nach und nach auch galante, pastorale und mythologische Themen auf. In einer ersten Periode (1751-57) stand die T. noch u. a. dem r Sainete nahe. Als wichtigster Vertreter dieses Typus gilt Antonio Guerrero. Später (1758-70) fand sie ihre eigentliche Ausprägung als volkstümliche, heiterkomische Gattung u. a. durch L. Misón, José und Antonio Palomino, P. Aranaz y Vides, Juan Marcolini, P. Esteve y Grimau, Antonio Rosales und Jacinto Valledor. 1771-90 erlebte die T. ihren Höhepunkt u. a. durch B. de Laserna, P. del Moral, Mariano Bustos und Guillermo Ferrer. In der Folgezeit unterlag die T. Einflüssen der Opéra-comique, vor allem aber der it. Oper (so z. B. bei Tomás Abril, Bernardó Álvarez Acero und M. García) und gab z. T. ihre national-volkstümlichen Sujets auf. Zu Anfang des 19. Jh. verlor sie an Bedeutung. Erst im 20. Jh. wieder schuf E. Granados eine Liedersammlung, die er Tonadillas en estilo antiguo nannte. 139
Tonale Beantwortung Fast alle T.s (etwa 2000 hsl. überlieferte und oft anonyme Stücke) werden in Madrid (Biblioteca municipal) aufbewahrt. Zu den namentlich bekannten Librettisten zählen T. de Iriarte, Ramón de la Cruz und Luciano Francisco Comella, zu den berühmtesten T.-Interpreten Diego Coronado, José Espejo, Miguel Garrido, Sebastián Briňoli, Maria Ladvenant, Maria Antonia Fernández (genannt La Caramba), Maria Mayor Ordóňez (genannt La Mayorita) und Lorenza Correa. Die T.s enthalten nicht nur die wichtigsten Tanztypen und populären Tanzlieder des 18. Jh., sondern sie sind auch durch die Schilderung des volkstümlichen Lebens mit seinen Soldaten, Ärzten, „majos", „majas", Handwerkern, Advokaten und Dienstboten ein Spiegelbild dieser Zeit. Ausg. u. Lit.: J. OESubirá (Schriften-Verz.). — J. M. HAMBACH, Formunters. zur szenischen T. (Diss. Bonn 1955). G. BOURLIGUEUX
TONALE BEANTWORTUNG, bei der ' FugenKomposition Bz. für die abgewandelte Transposition des f Dux im ř Comes, wobei der Comes zunächst die Tonart des Dux übernimmt und erst im weiteren Verlauf in die exakte Quintbeantwortung übergeht. TONALITÄT, im weitesten Sinne Bz. für jegliche Beziehung von Tönen und Klängen zueinander, im einschränkenden Verständnis Bz. für das hierarchisch geordnete Bezugssystem von Tönen und Akkorden in der dur-moll-tonalen Musik des 17.-19. Jh., dessen - zeitlich nicht streng fixierbare - Entstehung an mehrere Voraussetzungen gebunden war: an die Ablösung der ř Kirchentöne durch die neuzeitlichen Tongeschlechter 7 Dur und ř Moll; an die moderne 7 Tonleiter mit ihrer Grundtonbezogenheit; an die Anerkennung vom ř Akkord als unmittelbar gegebener klanglicher Einheit. Dementsprechend ist die Dur-Moll-T. auf dreifache Weise bestimmt : durch die melodische Bindung an die Dur-Moll-Tonleiter, durch die - in der Skalenform des Dur angelegte - Beziehung auf den Grundton und den auf ihm errichteten Dreiklang (OE Tonika) sowie, harmonisch gesehen, durch den tonalen Zusammenhang von funktional unterschiedenen Akkorden, wie er sich modellhaft in der r Kadenz (1) ausprägt. In dieser 7 Funktionsharmonik sind die Tonika - als das übergeordnete Zentrum aller harmonischen Vorgänge -, die ř Dominante und die f Subdominante die Hauptfunktionen, die eine "Tonart eindeutig bestimmen; die anderen Akkorde sind ihnen als Nebenfunktionen untergeordnet (7 Harmonielehre). Vor allem die zunehmende Chromatisierung der Harmonik (OE Leitton) führte im späten 19. Jh. all140
mählich zum Zerfall der Tonalität. Übergangsstufen zur r Atonalität, die nicht mehr auf ein tonales Zentrum bezogen ist, benennt A. Schönberg in seiner Harmonielehre (1911): die „schwebende T." als mehrdeutiges Schwanken zwischen zwei oder mehr Tonarten und die „aufgehobene T.", deren „harmonische Ungebundenheit" eine Tonart nicht mehr befestigt. Für eine nicht mehr herkömmlich strikt tonale, jedoch nicht atonale Musik ist auch der - unscharfe - Sammelbegriff „erweiterte T." gebräuchlich. Als r Polytonalität wird das simultane Übereinander mehrerer Tonarten bezeichnet. C. KÜHN
TONAR, Tonale (von lat. liber tonarius = Buch
der Tonarten), Bz. für ein Buch, das das Repertoire des t Gregorianischen Gesangs (wie Antiphonen von f Offizium und r Messe, Responsorien, Gradualien, Alleluias, Offertorien usw.) in der Folge der r Kirchentöne anordnet. Innerhalb dieser Ordnung folgen die Gesänge zunächst der Einteilung des liturgischen Kalenders, später zuweilen auch der alphabetischen Ordnung. Handelt es sich um eine Sammlung von Antiphonen, so werden diese zusätzlich in der Reihenfolge der den einzelnen Kirchentönen zugewiesenen psalmodischen r Differentiae, die den Psalmvers mit dem Anfang der Antiphon verbinden, angeordnet. Die ursprüngliche Aufgabe des T.s bestand darin, dem Sänger eine Gedächtnisstütze beim Anstimmen (Intonieren) der Gesänge zu geben, da diese anfangs ohne Notation oder nur mit Hilfe von linienlosen Neumen notiert worden sind. Die ältesten Quellen sind das T. von St-Riquier aus dem späten B. Jh., das T. von Metz, das um 830 kompiliert worden ist, ferner das T. des Aurelianus Reomensis von etwa 850. Seit dem 11. Jh. lassen sich 2 Gruppen unterscheiden : Das Voll-T. dient dem praktischen Gebrauch durch den Sänger und umfaßt das gesamte Repertoire. Das Kurz-T. ist für die Unterweisung bestimmt und führt lediglich einige Beispiele zur Darstellung der einzelnen Kirchentöne auf. T.e werden bis zum 16. Jh. überliefert, doch dienen sie nunmehr ausschließlich der Unterweisung in der Theorie der 8 Kirchentöne. Lit.: W. LIPPHARDT, T., in: MGG XIII; C. T. RUSSELL, The Southern French Tonary in the Tenth and Eleventh Centuries (1966) (— Diss. Princeton Univ.); H. BECKER, Das Tonale Guidos I. (Mn 1975) (— Münchener Beitr. z. Mediävistik u. Renaissance-Forsch. 23); M. HUGLO, Tonary, in: Grove' XIX. — /Gregorianischer Gesang. B. R. SUCHLA
TONARTEN, die Festlegung des Tongeschlechtes als 7 Dur oder / Moll auf einer bestimmten Tonstufe, wodurch für ein musikalisches Werk der Grundton mit seinem Dreiklang (OE Tonika) als tonales Zentrum sowie ein entsprechendes Bezugs-
Tonband system zwischen Tönen und Akkorden fixiert sind. Melodisch prägen sich T. in der ihnen zugehörigen r Tonleiter aus, harmonisch durch die auf den Stufen der Tonleiter errichteten Akkorde; eindeutig ausgesprochen werden T. durch die Verbindung ihrer Hauptfunktionen Tonika, r Subdominante und r Dominante, den Dreiklängen der I., IV. und V. Stufe (r Kadenz 1). Grund-T. in der dur-moll-tonalen Musik des 17.-19. Jh. sind C-Dur und a-moll; in ihnen leben der ionische und äolische Modus der alten Kirchentöne fort. Durch Transposition der C-Durund a-moll-Tonleiter werden alle übrigen Tonleitern und somit T. gewonnen; um jeweils die Identität der Intervallschritte zu garantieren, wird das Hinzutreten der Vorzeichen (t und b) erforderlich. Die Dur- bzw. Moll-T. folgen, von C bzw. a ausge-
hend, einander im Quintabstand ihrer Grundtöne; diese Distanz begründet die Quintverwandtschaft benachbarter T.: Dur: Ces
Ges
Des
As
Es
G
F C
B
c
Fis ■ •• s■-w~ ~~~~.~ ~~• .
~ II- -i~~~ ~~L ~~ j}•~~ - - ~ ~ L _~
Moll: as es b f
ton, im Gegensatz zum weichen Lydischen, eine ernste, charakterfestigende Tonart. Diese Vorstellungen wirkten, ungeachtet aller musiktheoretischen Unterschiede, über die Kirchentöne des MA bis in die modernen Tonarten nach; so wird d-moll, gleich dem Dorischen, ein ernst-erhabener T. zugesprochen, zumal unter dem Eindruck herausragender Werke (J. S. Bach, Kunst der Fuge; W. A. Mozart, Requiem; L. van Beethoven, 9. Symphonie; u.a.). Das gleichsam Wegweisende hochbedeutender Werke für die Einschätzung und Bestimmung vom T. steht ebenso hinter der personalen Zuordnung bestimmter Tonarten (Bachs hmoll, Mozarts g-moll, Beethovens c-moll). Andererseits kann die Wahl einer Tonart auch von praktischen Erwägungen diktiert sein: das in älterer Musik übliche D-Dur für Blechbläser, an das sich der T. des Festlichen heftet, nahm auf spieltechnische Vorgaben der Instrumente Rücksicht. Daß dem Tongeschlecht t Dur seit dem 16. Jh. ein
g
a
Prinzipiell unbegrenzt, ist in t temperierter Stimmung die Zahl der T. auf 12 Dur- und 12 Moll-T. beschränkt: da hier die 12stufige chromatische Tonleiter auf jedem Ton - der z. B. als cis und des zwar sinnhaft unterschieden, klanglich aber identisch ist - je eine Dur- und Molltonleiter ermöglicht, ergeben sich insgesamt nur 24 T.; nur das gleichschwebend temperierte System gestattet auch, die T. im geschlossenen r Quintenzirkel darzustellen. Dur- und Moll-T., deren Grundtöne das Verhältnis einer kleinen Terz bilden, haben gleiche Vorzeichen (z. B. G-Dur und e-moll); sie heißen Paralleltonarten. War für Barock und Klassik die Quintverwandtschaft grundlegend, so wird in der Romantik Terzverwandtschaft (OETerz 2) von T. zu einem bevorzugten Ausdrucksmittel. Voraussetzung für die Existenz von T. ist die tTonalität; Musik der r Atonalität, die kein tonales Zentrum mehr kennt, ist nicht an bestimmte T. gebunden. C. KOHN
TONARTENCHARAKTER, Bz. für Ausdrucksgehalt, Stimmung oder musikalische Farbe, die einer bestimmten t Tonart zugeschrieben werden oder tatsächlich zugehören. Die - letztlich unentschiedene - Frage nach dem T. reicht zurück bis in die Ethoslehre der Antike, nach der die Musik sittliche Wirkungen verbürgt; das Dorische etwa ist für Pla-
h
fis
cis
Cis ■.w~ ~ •~.~ ~ . ~
gis
dis
ais
fröhlich-heller, dem r Moll ein dunkel-trauriger Charakter zugesprochen wird, ist musiktheoretisch begründbar: mit der Eigenart der großen bzw. kleinen Terz sowie der Nomenklatur (durus = hart, molle = weich), die sich der früheren Schreibweise der t Akzidentien verdankt. Ebenso dürfte der Ausdruck des Lichten bzw. Gedämpft-Weichen, der den Durtonarten mit t- bzw. b -Vorzeichnung zugewiesen wird, maßgeblich von bildhaften Vorstellungen beeinflußt sein: daß die t -Tonarten, vom neutralen C-Dur aus gesehen, aufwärts gerichtet sind, die b-Tonarten dagegen abwärts fallen (OE Quintenzirkel). Ob daher die Transposition in eine andere Tonart - wie z. B. bei Fr. Schuberts Impromptu G-Dur (1 t) aus op. 90, das ursprünglich in Ges-Dur (6 b) stand - den T. eines Werkes verletzt, bleibt als Frage bestehen. Lit.: R. SCHUMANN, Charakteristik der Tonarten, in: ders., Gesammelte Schriften über Musik u. Musiker (L 1854, '1914); P. MIES, Der Charakter der Tonarten (Kö — Krefeld 1948). C. KOHN
TONAUFNAHME, Synonym für r Schallaufzeichnung. TONBAND, Magnet(ton)band, ein als Tonträger dienendes, mit magnetisierbarer Auflage beschichtetes Kunststoffband. Unbespielt dient es professionellen und privaten Aufnahmezwecken (OE Schallaufzeichnung); bespielt ist es als Musi141
Tonband Cassette im Handel erhältlich. Bandbreiten sind 3,8 mm für MusiCassetten; 6,3 mm ('/. Zoll) für normale Spulen-Tonbandgeräte; 12,7 mm ('/2 Zoll), 25,4 mm (1 Zoll), 50,8 mm (2 Zoll) für Studio-Aufnahmen und industrielle Zwecke. Als erster beschrieb Oberlin Smith 1888 ein funktionsfähiges Magnettongerät. W. Poulsen konstruierte 1898 das Stahldraht-„Telegraphon", das seit 1907 mit Gleichstromvormagnetisierung funktionierte. C. Lorenz baute eine Stahlbandmaschine. 1921 empfahl Nasarischwily die Verwendung von Papierbändern mit Magnetpulverschicht. 1928 stellte F. Pfleumer ein selbstgebautes Gerät mit solchen Papierbändern vor. Entscheidende Verbesserungen brachte jedoch das 1921 von W. L. Carlson und G. W. Carpenter entdeckte und 1937 von H. J. von Braunmühl und W. Weber im Reichsrundfunk weiterentwickelte Hochfrequenz-Vormagnetisierungsverfahren. 1942 wurde das erste Stereo-(Zweispur-)„Magnetophon” von AEG im Reichsrundfunk für Musikaufnahmeversuche eingesetzt. Breite Verwendung fanden T.Geräte auch als Reportagegeräte und mit rotierender Wiedergabekopftrommel zum langsamen Entziffern von Funksprüchen im militärischen Bereich. Nach 1945 machten der Deutsche Rundfunk und deutsche Schallplattenfirmen als erste ausschließlich von der Magnettontechnik Gebrauch, während die gegen Kriegsende als Beutestücke in die USA gelangten T.-Geräte von Alexander Poniatowski als erste zu kommerzieller Serienreife gebracht (Ampex) wurden. Heute besteht das T. fast ausschließlich aus einem PVC- oder ähnlichen Trägermaterial, das in breiten Bändern kalandriert, danach mit pulverisiertem Magnetit beschichtet und auf die gewünschte Breite geschnitten wird. Ausgangsmaterial für bespielte Bänder sind meist dieselben Aufnahmen wie für die Herstellung von ř Schallplatten. Von den Aufnahmen wird ein Mutterband kopiert; in einen Schnellkopierautomaten gespannt, werden davon mit hoch übersetzter Geschwindigkeit elektromagnetisch Kassettenbandkopien auf Vorratsspulen gezogen. In Konfektioniermaschinen werden die Programme von den Vorratsspulen abgetrennt und in die MusiCassetten eingespult. Durch Verwendung verschiedener Bandsorten sind abgestufte Produktionsqualitäten möglich (Eisenoxyd, Chromdioxyd, Rein-Eisen). Erste T.-Geräte für den Privatgebrauch erschienen in Deutschland um 1950 (AEG-Magnetophon). Die ersten bespielten Stereobänder „Stereosonic" (noch auf offenen Spulen) bot 1954 die Schallplattenfirma EMI an. Der Wettstreit um cassettierte Ausführungen ent142
schied sich 1963 zugunsten der Philips-CompactCassette (Handelsname MusiCassette). Wettbewerber waren im wesentlichen 3 M, Teldec und Saba. Das von Lear-Jet eingeführte Endlos-Kassetten-System konnte sich daneben bis Ende der 70er Jahre halten. Bestimmte Verfahren (Dolby, Philips-DNL, dbx) führten seit 1970 zu besserer Unterdrückung des verbleibenden Bandrauschens. Im Herbst 1981 wurden erstmals Digital-Kassettengeräte vorgestellt. Während Video-Kassettengeräte mit AudioConverter bereits eingeführt sind, befinden sich Digitalgeräte mit feststehender Speicherkarte als Tonträger noch in Entwicklung. P. K. BURKOWITZ TONBANDMUSIK, zusammenfassende Bz. für Musik, die nur mit Hilfe der Tonbandtechnik klanglich realisiert werden kann (d. h. nicht allein mit live musizierenden Sängern oder Instrumentalisten) und deren Werke als bespielte Tonbänder fixiert sind (exakte Partituren zu T. gibt es nur in Ausnahmefällen). Die klangliche Realisierung dieser Musik erfolgt nicht im Moment der Aufführung, sondern vorher, während der Produktion im Studio. - Die grundlegenden Verfahren der Studioproduktion sind: Aufnahme, Schnitt und Montage, klangliche Verarbeitung. Das aufgenommene Material kann unterschiedlicher Herkunft sein. Alle Klangmaterialien, die sich auf akustischem Wege produzieren und mit Mikrophonen aufnehmen lassen, bezeichnet man als konkrete Klänge. Außerdem gibt es synthetische Klänge, die sich im Studio mit Hilfe von Generatoren (elektronische Klänge) oder von Computern (Computerklänge) realisieren lassen. Dementsprechend ergibt sich folgende Einteilung der T.: 1. konkrete Musik (ausgehend von Mikrophonaufnahmen - z. B. von Umweltschall, von Klängen bestimmter Klangerzeuger oder Musikinstrumente, von Sprache, von vorgefundener Musik); 2. t elektronische Musik (ausgehend von synthetischen, mit Generatoren bzw. Synthesizern erzeugten Klängen); 3. synthetische t Computermusik (d. h. Musik, deren Klangmaterial mit Hilfe von Computern produziert wird); 4. elektroakustische Musik (Musik, die Klänge verschiedener Kategorien verwendet). Die Techniken der klanglichen Verarbeitung in der T. lassen sich, unabhängig vom Ausgangsmaterial, in Verfahren einteilen, die entweder den Verlauf der aufgenommenen Klänge (z. B. Zeitlupe oder Zeitraffer) oder die klanglichen Eigenschaften in einem bestimmten Augenblick verändern (z. B. Filterung) bzw. die eine wechselseitige Beeinflussung verschiedener Klänge ermöglichen (Intermodulation). - Die produzierten Klänge werden
Tonhöhe durch Schnitt und Montage kombiniert und über Lautsprecher wiedergegeben. Führende Vertreter der T. sind P. Schaeffer, Pierre Henry, J. Cage, H. Eimert, K. Stockhausen, I. Xenakis und François Bayle. Produktionen der T. gibt es seit 1951. Am Pariser Studio für r Musique concrète hatte Schaeffer seit 1948 zunächst mit technisch manipulierten Schallplatten gearbeitet, bis 1951 beim ORTF die Tonbandtechnik eingeführt wurde. Wenig später entstanden die ersten Produktionen der amerikanischen Tape music (Cage; unabhängig davon auch O. Luening und V. Ussachevsky) und der elektronischen Musik (Eimert, Stockhausen). Die elektroakustische Musik entwickelte sich seit 1955/56 (Stockhausen, Gesang der Jünglinge) aus Mischformen zwischen konkreter und elektronischer Musik. Musik mit computer-erzeugten Klängen wird seit den 60er Jahren produziert (Lejaren A. Hiller, Xenakis, Jean Claude Risset). Seit den späten 60er Jahren werden Techniken der T. auch in experimenteller Popmusik angewendet (u. a. The Beatles, Revolution Nr. 9). Die neueren Techniken der Spannungssteuerung und der Computerisierung von Klangproduktion und -verarbeitung sowie vielfältige Anwendung in reiner und angewandter Musik haben seitdem zu einer vielseitigen Weiterentwicklung der T. geführt. Lit.: H. DAVIES, Répertoire int. des musiques électroacoustiques (P 1968); M. CHION — G. REIBEL, Les musiques électroacoustiques (Aix-en-Provence 1976); P. SCHAEFFER, Musique concrète — Elektroakustische Musik (St 1974); D. KEANE, Tape Music Composition (Lo 1980); M. CHION, La musique électroacoustique (P 1982). —r Elektronische Musik, r Musique concrète. R. FRISIUS
TONBUCHSTABEN bilden das historisch älteste Mittel, die Tonhöhe anzugeben. In unterschiedlicher Notation für Vokal- und Instrumentalmusik waren bei den Griechen die fortlaufenden Buchstaben des Alphabets im Gebrauch (r Notenschrift). Deren Ersatz durch lateinische Buchstaben im 6. Jh. (Boëthius) und die Beschränkung der T. auf den Raum der Oktave im 10. Jh. führten zu den heutigen /Tonnamen. Mit den vorgesetzten T. c und f, Vorläufern des heutigen C- und F-Schlüssels, bezeichnete im 11. Jh. Guido von Arezzo die Tonhöhe von Notenlinien. Fortgelebt haben T. einerseits in der řTabulatur und andererseits, als Kürzel für Akkorde, im Jazz. - r Gitarre. TONDAUER ist neben der r Tonhöhe eine zentrale Eigenschaft des musikalischen Tons. Akustisch gesehen, fällt die T. zusammen mit der Dauer der Schwingung eines elastischen Körpers (z. B. einer Saite). In der Musik ist die Festlegung von T.n und ihrer Beziehung zueinander das Mit-
tel musikalisch-zeitlicher Ordnung (OE Rhythmus). Dabei ist T. eine relative, keine absolute Größe, da sie von Artikulation und Tempo abhängt: eine angestoßene Viertelnote ist kürzer als eine gehaltene, eine Viertelnote im Andante ist von längerer Dauer als eine im Allegro. In der ? seriellen Musik wird die T. wie die anderen r Parameter reihenmäßig behandelt. Das Streben aber der Neuen Musik nach äußerster Differenzierung der T. bis hin zu irrationalen Zeitwerten schlug andererseits vielfach in Verzicht auf exakte Angabe der T. um. - r Noten, ř Notenschrift. TONERHÖHUNG r Akzidentien. TONERNIEDRIGUNG r Akzidentien. TONGENERATOR, Oszillator, in der Elektroakustik Bz. für einen ř Generator zur Erzeugung elektrischer Schwingungen im Hörbereich, die über Lautsprecher hörbar gemacht werden. In der Musikelektronik entspricht der T. den mechanisch schwingenden, tonerzeugenden Teilen der akustischen Instrumente (Saite, Mundstück usw.), wobei (neben Zwischenformen) im wesentlichen 3 Schwingungsformen zur Verfügung stehen: ř Sinusschwingung (Schwingung ohne Obertöne); Sägezahn- (Klangspektrum mit allen Obertönen) und Rechteck-. Schwingung (mit ungeradzahligen Teiltönen der Obertonreihe). T.en werden (ebenso wie Filter und Verstärker) meist in spannungsgesteuerten Ausführungen gebaut, um einen problemlosen und vielfältigen Zugriff zu erreichen. Damit können sie durch Manuale, andere Generatoren, Lichtschranken u. ä. gesteuert oder programmiert werden, was die nahezu unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten des Synthesizers ermöglicht. Eine Sonderform des T.s findet sich in ausschließlich temperiert gestimmten t elektronischen Orgeln: dort werden in einer sehr hohen Oktave alle Halbtöne erzeugt und durch Frequenzteiler in die verwendeten Oktaven transponiert. TONGESCHLECHT 7 Dur, f Moll. TONHÖHE zählt neben řTondauer zu den „zentralen" Eigenschaften eines Tones gegenüber r Tonstärke und r Klangfarbe als „peripheren" Eigenschaften (J. Handschin). Akustisch gesehen, ist die T. abhängig von der Anzahl der Schwingungen pro Sekunde (Frequenz) eines elastischen Körpers, z. B. einer Saite: die T. steigt mit wachsender Frequenz. Dabei zeigt T. 2 Komponenten: einerseits die linear sich verändernde Höhe, die an den Eindruck zu- bzw. abnehmender Helligkeit gekoppelt ist; andererseits die tTonigkeit, die solcher Veränderung als zyklisch wiederkehrendes Moment ent143
Toni communes gegensteht (G. Révész, E. M. von Hornbostel; Gehör). Im Einstimmen von Instrumenten orientiert man die T. am . Stimmton. Nicht nur dessen historische Schwankungen, sondern auch der Umfang von Instrumenten (das Klavier im 18. Jh. hatte F. als tiefsten Ton) sowie der sich wandelnde Stilwille (die Neue Musik entdeckte und nutzte auch extreme Lagen) beeinflussen Art und Einsatz der Tonhöhe. In der ' Zwölftonmusik wird sie in Form von Reihen organisiert; die ř serielle Musik ordnet neben der T. auch die anderen r Parameter vor. TONI COMMUNES (lat., = allgemeine Töne), im
Gregorianischen Gesang Bz. der typischen Rezitations- und Singweisen für Gebete, Lesungen, Präfationen, das Pater noster usw., in allgemeinerem Sinne auch der r Psalmtöne. In den liturgischen Büchern (meist am Schluß) wird die Anwendung der T. auf verschiedenartige Texte durch Beispiele und Regeln erläutert. TONIC SOL-FA, Bz. für eine auf Solmisationsprinzipien beruhende Gesangs- und Notationsmethode, die von Sarah Ann Glover Anfang des 19. Jh. erarbeitet und von J. Curwen um 1840 weiterentwickelt wurde und in der engl. Musikausbildung eine bedeutende Rolle spielte. Sie basiert auf der Dur-Tonleiter (c d e f g a h) und den zugeordneten 7 ' Solmisations-Silben mit der engl. Schreibweise doh, ray, me, fah, soh, lab, te, die mit d r m f s l t notiert werden. Diese Silben (bzw. Buchstaben) bezeichnen keine feste Tonhöhe: In ihrer Relation zur transponierbaren Tonika (movable doh) sind sie jedoch stets gleich. Akzidentielle Erhöhung (X) wird durch die Silben de, re, (my), fe, se, le, (ty), Erniedrigung (b) durch die Silben (du), ra, ma, (fu), (sa), la, ta (die eingeklammerten Silben sind die Ausnahmen) angezeigt. Die Oktavierung nach oben wird mit d' ť m' usw., die nach unten mit d, r, m, usw. bezeichnet. Die Tondauern werden mit Hilfe eines komplizierten Zeichensystems angegeben. - Die deutsche Weiterentwicklung der T. ist die r Tonika-Do-Methode. Lit.: B. RAINBOW, The Land without Music (Lo 1967); DERS., in: Grove' XIX.
TONIGKEIT, Bz. für die Eigenfarbe und den Eigencharakter eines Tones, die es gestatten, ihn unabhängig von seiner tatsächlichen Höhe als den *leichen Ton zu identifizieren. T. begründet die Ahnlichkeit von Tönen im Oktavabstand : die Tonqualität z. B. des Tones C, seine „C-igkeit", ermöglicht, etwa c' und c2 als den Ton C wiederzuerkennen. Beim Ton gilt daher die T. als zyklisch wieder144
kehrendes Merkmal gegenüber der - entsprechend der Frequenz - linear sich ändernden r Tonhöhe. TONIKA, Bz. der r Harmonielehre für die 1. Stufe einer Dur- oder Mollskala und den auf ihr errichteten Dreiklang. Der Begriff T. - in der r Funktionsbezeichnung als T (Dur) bzw. t (Moll) abgekürzt - geht auf J.-Ph. Rameau (1726) zurück (tonique). Für die Dur-Moll-,Tonalität des 17.-19. Jh. ist der zentrale Rang der T. grundlegend: sie bildet das Zentrum, um das alle harmonischen Vorgänge gruppiert sind. Modellhaft zeigt dies die einfache Kadenz (1): in ihrer Abfolge von r Subdominante, r Dominante und T., den 3 Hauptfunktionen einer Tonart, ist die T. das eigentliche Ziel. Erst aufgrund dieser Norm kann ein r Trugschluß als Besonderheit wahrgenommen werden. Da andererseits auch der Beginn mit der T. die Regel ist, vermitteln erst Abweichungen den Reiz des Ungewöhnlichen (z. B. L. van Beethoven, 1. Satz der Klaviersonate Es-Dur, op. 31,3). Solche im 19. Jh. zunehmende tonale Labilisierung führte in letzter Konsequenz zur r Atonalität, die nicht mehr auf eine übergeordnete T. bezogen ist. TONIKA-DO, Bz. für die auf J. Wenz zurückge-
hende Gesangs- und Unterrichtsmethode, die aus der ' Tonic Sol-fa abgeleitet wurde. Das lange im dt. Musikunterricht eine wichtige Rolle einnehmende T.-System basiert auf den abgewandelten Solmisations-Silben do re mi fa so /a ti zur Benennung der (auf verschiedene Grundtöne beziehbaren) diatonischen Stufen der Durtonleiter und einem Handzeichenvorrat zu deren Veranschaulichung. TONLEITER, eine gewöhnlich durch den Rahmen der Oktave begrenzte, geordnete Aufeinanderfolge von Tönen als spezifischer Ausschnitt aus dem gesamten Tonvorrat eines řTonsystems. Auf die dur-moll-tonale Musik des 17.-19. Jahrhunderts bezogen, grenzt sich T. begrifflich gegen die vormaligen r Kirchentöne ab. Für diese gilt die Bz. Modus, noch im 18. Jh. synonym für T. gebraucht und später z. B. von O. Messiaen auf seine gleichnamigen Skalenbildungen übertragen. Die Begriffe Skala und T. hingegen, beide auch kurz als Leiter gebräuchlich, sind nicht verbindlich unterschieden. Einerseits jedoch ist Skala, ohne unbedingt an die Oktave gebunden zu sein, als ein übergreifend allgemeiner Terminus für geordnete Tonreihen zu verstehen; daher kann z. B. eine Dur-T., an die sich unwillkürlich der Begriff T. heftet, auch als Skala bezeichnet werden. Andererseits wird die Bz. Skala gewöhnlich auf außereuropä-
Tonmalerei ische Ordnungen angewandt (r Arabisch-islamische Musik, r China, f Indien, r Indonesien, "Japan, r Korea). Als historisch am ältesten gilt die 5stufige Pentatonik, die nur Ganztöne und Terzen einschließt. Sie läßt sich auf die r Quinte als das Ausgangsintervall des pythagoreischen Systems zurückführen : Von einem Ton aus abwärts und aufwärts schreitende Quinten ([f] ♦- c - g n - a . e) ergeben, zur Tonfolge gereiht, eine pentatonische Skala (d e g a c, oder mit dem Ton f statt e: d fg a c). Halbtöne kennt die ursprüngliche Pentatonik nicht. Doch liegt in dem latenten Halbtonschritt e-f bereits die allmähliche Erweiterung zur Sechsstufigkeit beschlossen (d e f g a c); aus ihr entwickelt sich durch Einbeziehung eines weiteren Quintschritts (e♦h) die r Heptatonik : de f g a h c (d). Diese 7stufige Leiter ist bei den Kirchentönen mit dem zentralen Dorisch identisch. Schon in der griechischen Musik war das Dorische - dort allerdings vom Ton e ausgehend und abwärts gerichtet - der Mittelpunkt des r Systema teleion. Aus den Kirchentönen gingen im 17. Jh. die Durund Moll-T. hervor. Jede Dur-T. - darin den griechischen Skalen verwandt - beruht auf 2 gleich gebauten Viertonfolgen (Tetrachord), z. B. die CDur-T.:cdef ; gahc; T.n in Moll dagegen lassen sich theoretisch in drei Erscheinungsformen unterscheiden (natürliches, harmonisches, melodisches . Moll). Durch Hoch- bzw. Tief-r Alteration jedes einen Tons wird aus der 7stufigen ř Diatonik die 12stufige chromatische T. (r Chromatik). Auf jedem der 12 Töne kann eine Dur- und Moll-T. errichtet werden, die jeweils eine .Tonart ausprägt; die klangliche Identität von Tönen aufgrund der r Enharmonik in Rechnung gestellt, ergeben sich daher mit 12 Dur- und 12 Moll-T.n die 24 T.n und Tonarten des temperierten Systems (l Temperatur). Gleich der chromatischen T. teilt auch die " GanzTonleiter die Oktave in gleiche Distanzen. Vor allem von Cl. Debussy wurde diese T. als kompositorische Möglichkeit genutzt, inspiriert vom Klangvorbild der javanischen Musik und ihrer Skalen (ř Pélog, r Sléndro). Wie Umfärbungen der Dur- und Moll-T. wirken dagegen das folkloristische sog. Zigeuner-Dur und -Moll (r Zigeunertonleiter); bei großer Durterz bzw. kleiner Mollterz enthalten sie jeweils 2 übermäßige Sekundschritte. Kennzeichen für die ř Blues-T. ist das intonationsmäßige Changieren der III. und VII. Stufe (c d C. KÜHN es/e f g a b/h c). TONMALEREI. Im allgemeinen versteht man un-
ter T. die Nachahmung außenmusikalischer Gegebenheiten mit musikalischen Mitteln. L. van Beethoven, der in seiner 6. Symphonie von den Möglichkeiten der T. ausgiebigen Gebrauch machte (Bachesrauschen, Vogelgesang, Regen und Gewitter, Blitz und Donner), ließ im Programm der Uraufführung den bekannten programmatischen Satzüberschriften die Anmerkung folgen: „(mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey)". Vermutlich geht diese Unterscheidung auf das 1780 erschienene Werk Ueber die musikalische Malerey des Berliner Philosophen und Theatermannes J. J. Engel zurück, der zwischen einer objektiven und einer subjektiven T. unterschied. Während er die subjektive als Ausdruck (eigener) Empfindung bezeichnete, sah er in der objektiven die (nachahmende) Darstellung äußerer Gegebenheiten. Die systematische Tragfähigkeit dieser Unterscheidung Engels wie auch seiner ansatzweisen Einteilung gegenständlicher musikalischer Darstellung je nach dem Sinnesbereich, dem der dargestellte Sachverhalt zugehört, bewährt sich bei einem Blick auf die überaus reichhaltige Geschichte der Anwendung von T. in der Musik noch immer. In erster Linie geht es wesensgemäß um die nachahmende Darstellung akustischer Gegebenheiten, der belebten und unbelebten Natur. Einige besonders häufig auftretende Sujets sind Gewitter (A. Vivaldi, I quattro stagioni; M. Mussorgski, Die Nacht auf dem kahlen Berge); Wind, Sturm (J. S. Bach, Der zufriedengestellte Aeolus, BWV 205; R. Strauss, Don Quixote); Erdbeben (J. Haydn, Die 7 Worte des Erlösers); Wasser, Gewässer (B. Smetana, Die Moldau; Cl. Debussy, La mer); und in der belebten Natur besonders der " Vogelgesang sowie sonstige Tierstücke (von Debussys Poisson d'or über zahllose Frosch- und Eselsstücke bis zu N. Rimski-Korsakows Hummelflug). Daß T. als Mittel der musikalischen Darstellung sehr häufig nur akzidentell in größerem musikalischem Zusammenhang verwandt wurde, belegen Stellen wie Erdbeben und Hahnenschrei in Bachs Johannespassion, die Einbeziehung von Posthornsignalen in W. A. Mozarts gleichnamiger Serenade (KV 320) sowie das Auftreten einer blökenden Schafherde in Don Quixote von R. Strauss. In einigen Fällen kam es zur Ausbildung regelrechter Gattungen, so beispielsweise bei der musikalischen Abschilderung von Schlachten- oder Jagdlärm (OE Battaglia, r Chasse, "Jagdmusik, lJagdsignale), Glockengeläut ("Carillon) oder von gleichmäßig sanfter Wiegen- und Wellenbewegung (r Barkarole, ř Berceuse). Im Zusammenhang der T. als Mittel der Textausdeutung bei Vokalmusik sei auch auf die enge Ver145
Tonmalerei bindung zwischen r Musik und Sprache sowie auf die Bedeutung musikalischer Rhetorik (r Figuren) besonders im 17. und 18. Jh. hingewiesen (OE Symbol). Noch die musikalische. Nachahmung von Tonfall und Sprachmelodie z. B. in Beethovens Streichquartett op. 135 („Muß es sein? Es muß sein!") sowie, theoretisch fundiert und durchaus substantiell, bei L. Janáček hängt zwar mit der Technik der T. zusammen, stellt dort aber einen Grenzbereich dar. Auch die Komposition aufgrund akustischer „Anlässe" (wie z. B. in den beiden Cembalostücken Le tic-toc-choc von Fr. Couperin oder in D. Scarlattis berühmter „Katzenfuge”, deren Thema durch den Lauf einer Katze über die Tastatur inspiriert sein soll) bildet einen solchen Grenzfall, denn Inhalt und Anlaß einer Komposition sind zu unterscheiden. Zum Zwecke der T. wurden nicht selten auch neue Musikinstrumente konstruiert (OE Amboß, l Peitsche, l Windmaschine) bzw. auch erweitert (bes. bei der Orgel, z. B. l Donnerzug, r Kuckucksruf, Nachtigallenruf, / Zimbelstern), auch die Einbeziehung von Glocken in das übliche Orchesterinstrumentarium gehört hierher. Andererseits kam es jedoch noch häufiger zum tonmalerischen Mittel der Imitation von bestimmten Musikinstrumenten durch andere (O Tambourin). Der Streit um den ästhetisch-künstlerischen Wert von ausschließlich der T. gewidmeten Kompositionen, der sich Ende des 19. Jh. auch auf die l Programmusik übertrug, entstand durch die Begriffsverwirrung, in der T. weniger eine Technik als eine Gattung zu sehen und aus ihr das Prinzip für ableitbar zu halten, Musik sei ihrem Wesen nach eine darstellende Kunst. So kam es bisher nur ansatzweise zu dem Versuch, die musikalische Darstellung in einem primär „ikonographischen" Interesse zu beschreiben und historisch zu werten, wobei besonderes Augenmerk auf die Technik musikalischer Darstellung von räumlicher Bewegung (Beschleunigung, Höhe, Tiefe, Aufstieg, Fall, Bewegungslosigkeit u. ä.) sowie auf die T. zu legen ist, die auf dem psychologischen Phänomen der Synästhesie beruht. Lit.: J. J. ENGEL, Ueber die musikal. Malerey (B 1780); J. G. SULZER, Gemälde, in: Allgem. Theorie der schönen Künste II (F — L 3 1798, Nachdr. Hil 1966); G. WEBER, Ober T., in: Caecilia 3 (Mz 1825); A. B. MARX, Über Malerei in der Tonkunst (B 1828); H. BERLIOZ, De l'imitation musicale, in: Revue et Gazette musicale de Paris 4 (1837), dt. Obers.: T., in: Mk 12 (191 2/ 1 3); W. WOLF, Über T., in: Gesammelte musik-ästhetische Aufsätze (St 1894) ; H. RIEMANN, Programmusik, T. u. musikal. Kolorismus, in: Präludien u. Studien I (F 1895); E. VON WÖLFFLIN, Zur Gesch. der T., in: Sb. der bayer. Akad. der Wiss. (1897) Nr. 2; P. MIES, Ober T., in: Zschr. für Ästhetik u. allgem. Kunstwiss. 7 (1912); F. SCHWABE, Ober T. in Schuberts Winterreise (Z 1920); A. SANDBERGER, Zu den geschichtl. Voraussetzungen der Pastoralsinfo-
146
nie, in: Ausgew. Aufsätze zur Musikgesch. I1 (Mn 1924); CH. VAN DER BORKEN, La musique pittoresque au XV siècle, in: Kgr.-Ber. Bas 1924 (L 1925); H. UNVERRICHT, Hörbare Vorbilder in der Instrumentalmusik bis 1750, 2 Bde. (Diss. B 1954); C. DAHLHAUS, Musica poetica u. musikal. Poesie, in: AfMw 23 (1966); H. RÖSING, Musikal. Stilisierung akust. Vorbilder in der T. (Mn —Salzburg 1977) R. CADENBACH
TONMEISTER, Bz. für den verantwortlichen Leiter für die aufnahmetechnische Realisation einer primär musikalisch-künstlerischen Darbietung. Er ist Mittler zwischen künstlerischem und technischem Gestaltungsbereich; von ihm wird Stilkenntnis vorausgesetzt, um die technischen Mittel entsprechend einsetzen zu können. Er hat dafür zu sorgen, daß Live-Llbertragungen und Produktionen bei Rundfunk, Fernsehen, Theater und in der Phono-Industrie in musikalisch-interpretatorischer und klanglich-technischer Hinsicht ein Optimum darstellen. Deshalb muß der T. mit allen technischen Mitteln (Limitem, Verzögerern, Halleinheiten, Mikrophonen, Mehrspurmaschinen, Digitalgeräten) vertraut sein und deren Einsatzmöglichkeiten und Effektwirkungen kennen. Er muß die Einwirkungsursachen raumakustischer Parameter auf seine Aufnahme quantitativ abschätzen können, um dementsprechend Mikrophonart und -aufstellung auszuwählen. Da die Speicherung eines musikalisch-künstlerischen Ereignisses ein transformatorischer Prozeß ist, hat der T. entscheidenden Einfluß auf die Qualität des Endproduktes (Schallplatte, Tonband). An ihm liegt es, ob die Intentionen des Interpreten bzw. Komponisten vollkommen zur Wirkung kommen. In dieser Eigenschaft ist der T. als Co-Interpret zum eigentlichen Interpreten zu sehen. Sein stilistisches Einfühlungsvermögen und der daraus resultierende Einsatz technischer Mittel entscheiden mit über die Qualität einer Aufnahme. Eigene Ausbildungsstätten für T. gibt es an der Staatl. Hochschule für Musik Westfalen-Lippe in Detmold und an der Staatl. Hochschule für Musik und DarstelW. CZESLA lende Kunst Berlin. TONNAMEN, hervorgegangen aus den r Tonbuchstaben, sind die Namen für die 7 Stammtöne, mit denen die heutige Notenschrift rechnet: ř A, H, /C,lD,rE,rF,oG; als B. Ton folgt, mit demselben T. versehen, die Oktave des jeweiligen Ausgangstons. Diese T. entsprechen - mit Ausnahme des H, das jedoch früher O B hieß - dem Anfang des lateinischen Alphabets. Um in ihrer tatsächlichen o Tonhöhe eindeutig benannt zu sein, erhalten die Töne, im Rahmen der Oktave jeweils vom Ton C ausgehend, zusätzliche Bezeichnungen ; die „eingestrichene" Oktave etwa
Tonsprache SubKontraoktave Große Oktave Kleine Oktave kontraoktave A2H2 C,D,E,F,G,A,H, CDEF GAH cd e f ga h
Eisgestrichene Zweigestrichene Dreigestrichene Vorgestrichene Oktave Oktave Oktave ' Oktave .~i:` --~-- —
t •
~~ d,e, f'
~ T :
ff rc basks
•
g' a' h'
♦i
-----
•
c3d3e3 f2g3 a2 h2:C3d3e3f3g3a3 h3 c4d4e4f4g4a4 ha:ca
..
beginnt mit dem „eingestrichenen" C, kurz als c' (auch als č oder c') notiert. Alteration eines Tones ändert den T.: chromatisch erhöhten Tönen wird die Silbe -is, chromatisch erniedrigten die Silbe -es angehängt, wobei die Töne E, A und H erniedrigt Es, As und B heißen. Zweifache Alteration wird entsprechend durch -isis bzw. -eses ausgedrückt, wobei hier die Töne E, A und H erniedrigt Eses, Asas und Doppel-B heißen. TONPSYCHOLOGIE, ältere Bz. für l Musikpsychologie. Sie verbindet sich mit dem gleichnamigen Werk von C. Stumpf. E. Kurth sprach in Abhebung von Stumpf von Musikpsychologie, ein Begriff, der sich aus Gründen der Entsprechung zum frz. und angelsächsischen Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Die Unterscheidung von A. Wellek, T. sei Gehörpsychologie, Musikpsychologie hingegen Kulturpsychologie, gilt heute als veraltet. TONQUALITÄT ř Tonigkeit. TONSATZLEHRE r Satzlehre. TONSIGNET, Bz. für ein thematisches Kürzel, ein einprägsames Motiv, das in den Medien Hörfunk, Film und Fernsehen eine Reihe von Funktionen erfüllt: 1. hat es Ankündigungs-, Erkennungs- und Wiedererkennungsfunktion; 2. stimmt es den Zuschauer auf den folgenden Film emotional ein („Sportstudio"-Signet = dynamisches Geschehen); 3. sorgt es als Element der Periodizität für Zuverlässigkeit und Konstanz; 4. signalisiert es einen Schein von Wichtigkeit (Nachrichten-Fanfaren); 5. suggeriert es bei Serien-Sendungen, wo der Abspann = Vorspann ist, weitere Fortsetzungen; 6. gilt es bei großen Spielfilmen als Handelsmarke (trade mark), z. B. das MGM- oder David O. Selznick-Signet; 7. peilt es per musikalische Stilistik einen gewünschten Rezipiententyp an (Rockmusik = jugendlicher Zuschauer, Kinderlied = Kleinkind, Barockmusik = Senioren usw.); B. hat das T. gelegentlich einen programmatischen Bezug zum Inhalt der Sendung („Hier und heute” - R. Schumanns Rheinische Symphonie, Radio Bremen „Et in terra pax” aus der h-moll-Messe von J. S. Bach, „Eurovision" - Sinfonia zu M.-A. Charpen-
tiers Te Deum); 9. leistet es eine Zuschauer-Dy-
namisierung („Kommissar” und Jazz-Klanglichkeit). In Ankündigungsfunktion und als Erkennungsmarke darf ein T. relativ abstrakt sein (vgl. WDR- und NDR-Signet). Gelegentlich zeichnet es Sendestrecken besonders aus (NDR III : B-A-C-H) oder hat Lokalkolorit (Bayerischer Rundfunk: So lang der alte Peter). WDR Ill
NDR
8 ~.....:
Lit.: G. HECHT u. a., „Tagesschau" — ein notwendiges Ritual?, in: Mediendidaktische Modelle. Fernsehen, hrsg. v. D. Baacke (Mn 1973); A. RIETHMÜLLER, Das T., in: AfMw 30 (1973); H.-CH. SCHMIDT, Musikal. Titel von Seriensendungen des Fernsehens, in: Musik in den Massenmedien Rundfunk u. Fernsehen (Mz H.-CH. SCHMIDT 1976); DERS., Filmmusik (Kas 1982).
TONSPRACHE, Musiksprache, musikalische Sprache und ähnliche Begriffsbildungen verweisen als Metapher bzw. Topos auf Analogien oder Gemeinsamkeiten zwischen Sprache und Musik. Bereits seit der Antike sind vielfältige Beziehungen zwischen Sprache und Musik erkannt bzw. hergestellt worden (OE Griechenland, Musik und Sprache, Trivium). Im 16. Jh. kam es mit der Übertragung von Prinzipien und Techniken der Textgestaltung auf die Musik zur Ausbildung einer musikalischen Rhetorik (r Figuren), deren Darstellung im musiktheoretischen Schrifttum zur terminologischen Fixierung des Topos von der Musiksprache (Musik als Sprache der Affekte) führte. Seit dem 18. Jh. hat die Formel von der Sprachhaftigkeit oder der Sprachähnlichkeit mit ganz unterschiedlicher Akzentsetzung gleichermaßen der Erläuterung von Gemeinsamkeiten wie der Verdeutlichung der Unterschiede zwischen Sprache und Musik gedient (z. B. als Zeichen- bzw. Kommunikationssystem). Lit.: H.-H. UNGER, Die Beziehungen zw. Musik u. Rhetorik im 16.-18. Jh. (WO 1941); H. H. EGGEBRECHT, Musik als T., in:
AfMw 19 (1961), wieder abgedruckt in: DERS., Musikal. Denken (Wilhelmshaven 1977); M. BIELrrz, Musik u. Grammatik. Stud. z. ma. Musiktheorie (Mn — Salzburg 1977) (— Beitr. z. Musikforsch. 4); F. RECKOW, T., in: HMT (1979); G. ALBERSHEIM, Die T. (Tutzing) (— Mainzer Stud. z. Musikwiss. 15); K. W. NIEMÖLLER, Der sprachhafte Charakter der Musik (Opladen 1980). D. ALTENBURG
147
Tonstärke TONSTÄRKE ist neben r Tonhöhe, ř Tondauer und r Klangfarbe eine Eigenschaft des musikalischen Tons. Akustisch gesehen, hängt die T. ab von der Schwingungshöhe (r Amplitude) eines elastischen Körpers, z. B. einer Saite. Als musikalisches Moment ist T. keine fixierte Größe, auch wenn sie sich als Skala von Graden angeben läßt: zum einen fehlt ein absoluter Bezugspunkt, zum anderen prägt sich ein und dieselbe T. bei verschiedenen Instrumenten unterschiedlich aus. OE Dynamik, " Lautstärke. TONSYSTEM. Jede Musikkultur benutzt aus dem unendlich großen Vorrat denkbarer Tonhöhen eine ganz bestimmte Auswahl, die im allgemeinen durch die Anzahl der Tonstufen pro Oktavraum gekennzeichnet ist; die Tonhöhen sind nur relativ zu einem Stimmton festgelegt, nicht absolut. Die einzelnen Töne sind untereinander durch Verwandtschaftsgrade in Beziehung gesetzt. Auswahl und Ordnung sind also die beiden Merkmale eines Tonsystems. T.e sind einerseits kulturspezifisch, andererseits aber auch historisch veränderlich. Dabei kann ein bestimmter Tonvorrat gleichbleiben, während sich die Prinzipien der Ordnung ändern; umgekehrt kann ein bestimmtes Ordnungsprinzip unterschiedliche Tonauswahlen erklären. Ein T. ist stets Theorie. Sie bestimmt nicht, zumindest nicht immer, die exakte Tonhöhe der einzelnen Töne (die die " Stimmung bzw. die l Temperatur festlegt). Für den jeweiligen musikalischen Gebrauch wird im allgemeinen eine von verschiedenen möglichen Tonauswahlen aus dem T. benutzt, eine sog. " Tonleiter. Ist diese auf einen Hauptton zentriert, handelt es sich um eine "Tonart. Das Tongeschlecht bezieht sich auf die Anordnung unterschiedlicher Tonstufen innerhalb einer Tonart. In der abendländischen Musik sind vor allem folgende Ordnungsprinzipien und die damit verbundenen Tonauswahlen von Bedeutung: 1. Das Prinzip der Quintverwandtschaft auch pythagoreisches Prinzip genannt - legt den Tonverwandtschaften das Intervall der Quinte zugrunde. Es ist nach der Oktave (Schwingungsverhältnis 2:1) das nächst einfache Intervall (Schwingungsverhältnis 3:2) und das zugleich einfachste Intervall, das ein T. begründen kann. Die Oktave führt ja stets zu einem Ton mit demselben Charakter (z. B. von C nach c, c' usw.); eine Aneinanderreihung von Quinten führt hingegen stets zu einem neuen Ton (z. B. von C nach G, sodann nach d, a, e', h' usw.). Zugleich ist die Quinte durch den höchsten Sonanzgrad nach dem Einklang und der Oktave ausgezeichnet. Die Aneinanderreihung von 4 Quinten (z. B. C -G -d -a - e') ergibt nach 148
entsprechender Oktavversetzung der Tonstufen das 5stufige oder pentatonische T. (r Pentatonik). Die Aneinanderreihung von 6 Quinten (z. B. F, C - G - d - a - e' - h') ergibt das 7stufige oder heptatonische T. (r Heptatonik); mit seinem charakteristischen Wechsel von Ganz- und Halbtönen wird es Diatonik genannt. Weiterhin kann das Prinzip der Quintreihung das T. der Neuzeit mit seinen 12 Stufen begründen ; dabei werden an die Quintenreihe der Diatonik 5 weitere Quinten (oben fis2 cis' - gis' und unten B2 - Es2) angehängt. Durch Hinzufügen weiterer Quinten entstehen zunächst doppelte Bestimmungen der Halbtonstufen (z. B. gis/as, dis/es, ais/b usw.), sodann dreifache Bestimmungen aller Tonstufen (z. B. c/des es/His, cis/des/Hisis usw.). Diese durch das T. sich ergebenden Dreifachbestimmungen kennt zwar die Notenschrift mit 35 Tonstufen, die Musizierpraxis hingegen nicht oder nur teilweise; diese Tatsache wird mit Enharmonik bezeichnet. Der Name des neuzeitlichen T.s ist demnach diatonisch-chromatisch-enharmonisches Tonsystem. Die r Stimmung des pythagoreischen T.s, d. h. die akustische Realisierung, ist entweder die pythagoreische Stimmung, vor allem beim 7stufigen T. des MA, oder die gleichschwebend temperierte Stimmung (r Temperatur) beim 12stufigen T. seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. - 2. Das Prinzip der harmonischen Oktavteilung führt zunächst zur Diatonik : Die Oktave 2: 1 (= 4:2) wird in Quinte 3:2 und Quarte 4:3 geteilt, die Quinte 3:2 (= 6:4) in die große Terz 5:4 und die kleine Terz 6:5, die große Terz 5 :4 (= 10 :8) in den großen Ganzton 9 :8 und den kleinen Ganzton 10:9. Die übrigen Intervalle ergeben sich aus den genannten als Ergänzungen zur Oktave oder als Differenzen zwischen zwei Intervallen. Dieses Prinzip des T.s begründet die an sich unrealisierbare reine Stimmung, die zu einer ganzen Reihe von Temperaturen, letztlich historisch auch zur gleichschwebenden Temperatur geführt hat. - 3. Als „natürliche" Erklärung erschien seit der Entdeckung der Obertonreihe (r Obertöne), aber insbesondere seit J.-Ph. Rameau, die Ableitung des T.s aus den Tönen dieser jedem musikalischen Ton innewohnenden Tonreihe. Die Obertonreihe liefert zunächst die diatonische Tonleiter; die Schwingungszahlen ergeben sich unmittelbar aus dem Verhältnis der jeweiligen Ordnungszahlen der Teiltöne: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1011 1213141516... C c g c' e' g' b' c' d2 e2 fis' g2 a' b' h' c'
...
B, Fis und A sind anders bestimmt als bei der harmonischen Teilung bzw. der reinen Stimmung. Die
Tonus peregrinus übrigen Intervalle bestimmen sich entweder aus höheren Obertönen oder aus einer fiktiven, physikalisch nicht existenten „Untertonreihe", die spiegelbildlich zur Obertonreihe gedacht wird. Lit.: J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); H. E. LAUER, Die Entwicklung der Musik im Wandel des T. (Kö 2 1960); W. DANCICERT, Tonreich u. Symbolzahl (Bonn 1966). M. DICKREITER
TONTRÄGER, zusammenfassende Bz. für Mittel (Medien), auf denen Schallereignisse aufgezeichnet und für eine beliebige Zeit zu beliebig häufiger späterer Wiedergabe gespeichert werden können. Die gebräuchlichsten Typen der T. sind die r Schallplatte, das řTonband (Magnettonband, Compact-Cassette) und die Video-Cassette, deren Tonträgerteil mit einem Bildträger synchron verbunden ist. Alle diese T. haben ihre eigene Geschichte, die in erster Linie eine Geschichte der rasch fortschreitenden technischen Vervollkommnung im physikalisch-akustischen Bereich wie bei der großindustriellen Herstellung ist. Zusammen haben die T. unter soziologischen wie ästhetischen Aspekten vor allem im Bereich der Musik eine durchgreifende Veränderung der gemeingesellschaftlichen Funktion von Musik, ihrer mengenmäßigen öffentlichen wie privaten Präsenz und Greifbarkeit sowie ihrer Wirkungsfähigkeit als eines Mittlers von musikalisch-akustischen Erfahrungen jedweder Art verursacht. Die Zwangsläufigkeit der großtechnischen Herstellung und damit Industrialisierung des Mediums T. machte die auf einem Konsumartikel „transportierte" Musik weitgehend ebenfalls zu einem Konsumartikel, der sich den entsprechenden marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen fand : gewisse Musikformen, speziell im Bereich der reinen Unterhaltung (r Schlager, / Popmusik), aber auch des r Jazz und
In
exitu Israel de 2E- gypto
vor allem der r Rock music, etablierten sich als ausgesprochene „Schallplattenmusiken", die fast ausschließlich auf T.n präsent sind und sich von deren Technik wie kommerziellen Zwängen ihren Stil („Sound") und ästhetischen Habitus bestimmen lassen. Daraus erklärt sich teilweise die andauernde Diskussion um die Bestimmung des öffentlichen Status der T., ob sie etwa als „Kulturträger" (wie Bücher) anerkannt oder als „reine Industrieprodukte” weiterhin definiert bleiben sollen. Gravierend sind die Rückwirkungen der T. auf das traditionelle öffentliche Musikleben (Konzert, Musiktheater). Zwar ist die Befürchtung eines konkurrierenden Nebeneinanders von zwei öffentli-
chen „Musikkulturen" nicht Wirklichkeit geworden, doch sind die Einflüsse der „SchallplattenKultur" (zusammen mit der „Rundfunk-Kultur" als einem ihrer wichtigsten Multiplikatoren) auf die „Konzert-Kultur" eindeutig greifbar, von der Herausbildung internationaler Interpreten-Hierarchien und der Förderung von Interpreten-Karrieren bis in die subtilen ästhetischen Fragen der Interpretation (Klangbildung, spieltechnische Perfektionierung) hinein. Enorm gefördert haben die T. die Erweiterung des Repertoires. Sie haben die Neuentdeckung und Durchforschung entlegener Musikepochen und Musikregionen vorangetrieben und überhaupt die praktisch dauernde Präsenz und „Abhörbarkeit" eines großen Teils der komponierten Musik überall in der Welt ermöglicht. Unabsehbar sind die bedeutenden Umwälzungen, die T. in Methodik und Praxis der musikwissenschaftlichen Forschung wie der Musikpädagogik in allen ihren Teilgebieten bewirkt haben. Lit.: C. RIEss, Knaurs Weltgesch. der Schallplatte (Z 1966); R. FRisius, Musik als Konsumartikel, in: Perspektiven der kommunalen Kulturpolitik, hrsg. v. H. Hoffmann (F 1974); S. BoRRis, Kulturgut Musik als Massenware (Wie 1978). H. G. SCHÜRMANN
TONUS (lat.; von griech. tonos = Ton, Klang, urspr.: Spannung), ma. Bz. für Tonart (r Kirchentöne), gleichbedeutend gebraucht mit l Modus. TONUS PEREGRINUS, Bz. für einen Psalmton, der später entstand als die regulären 8 r Psalmtöne. Der Zusatz peregrinus (= fremd, ausländisch) kann sich darauf beziehen, daß dieser Ton in der Regel dem Ps. 113 In exitu Israel vorbehalten ist, oder eben darauf, daß er den anderen Tönen gegenüber „fremd" ist. Von diesen unterscheidet er sich wesenhaft durch das Vorhandensein von 2 versch. Rezitationstönen für die Vershälften:
domus Jacob de populo bar - ba -ro:
•
Auf den T. in seiner „germanischen" Version (OE Germanischer Choraldialekt) mit der charakteristischen Terz im Initium wird seit der Reformation das dt. r Magnificat Meine Seele erhebt den Herrn gesungen (siehe die Melodie dort). In rhythmisierter Form erklingt die gleiche Version des T. im Introitus des Requiem von W. A. Mozart (Solosopran bei den Psalmworten Te decet) : c ý(Ir i Te de
et
- cet hym - nus, De -us in Si - on,
ti - hi redde- tur vo-tum in Je-ru -
sa - lem
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Tonus rectus Vereinzelt ist die Verwendung dieses Tons in der 4. Orgelsonate („Tonus peregrinus") von J. Rheinberger. G. MASSENKEIL
Lit..,' Psalmtöne.
TONUS RECTUS (lat., = schlichter Ton), Bz. für das Rezitieren eines Textes mit erhobener Stimme auf einer Tonhöhe. Das Lesen im T. ist eine traditionelle Form insbesondere des Vorlesens zu den Mahlzeiten in Klöstern und religiösen Gemeinschaften. Es soll gute Textverständlichkeit gewährleisten, affekthaftem Vortrag vorbeugen und den Vorleser hinter den Text zurücktreten lassen. Im weiteren Sinne wird auch die Verwendung liturgischer Lektions- und Orationstöne, vor allem deren Übertragung auf den Vortrag volkssprachlicher Texte, als Vortrag im T. bezeichnet. TONWORTSYSTEM, Bz. für eine von C. Eitz erfundene Solmisationsmethode. Für den Gesangsunterricht an Schulen bestimmt, sollte das T. über ein auf Konsonanten und Vokalen aufgebautes Lautsystem die diatonischen und chromatischen Tonbezeichnungen einer Tonleiter genauer als die bisher bekannten Solmisationsmethoden vermitteln. Die 12 Halbtöne wurden mit folgenden Silben ausgedrückt: bi
ro ri
to
mu mo
gu su
pa
la
de
pu da
fe
ki
mi bi.
ke
TÖPFER, Johann Gottlieb, * 4. 12. 1791 Niederroßla (Thüringen), t 8.6. 1870 Weimar; dt. Organist und Komponist. Er wurde 1817 Seminarmusiklehrer und 1830 Stadtorganist in Weimar und war schon früh als Orgelbauautorität, Virtuose, Improvisator und Komponist allgemein anerkannt. Sein Hauptwerk, das Lehrbuch der Orgelbaukunst (1855), das weitgehend auf Dom Bédos de Celles' Werk L'Art du facteur d'orgues aufbaut, bietet zum ersten Mal eine mathematische Theorie des Orgelbaus. Von seinen Kompositionen sind besonders die Choralfantasien für Orgel zu nennen, die maßgeblich zur Entwicklung der Choralfantasie im 19. u. 20. Jh. beitrugen. WW: Die Orgel. Zweck u. Beschaffenheit ihrer Teile (Erfurt 1843, 2 1862); Lehrbuch der Orgelbaukunst nach den besten Methoden älterer u. neuerer... Orgelbaumeister..., 4 Bde. (Wr 1855), völlig umgearb. v. M. Allihn (ebd. 2 1888), neu bearb. v. P. Smets (Mz 31936, •1955-60). Ausg.: Ausgew. Orgelwerke, hrsg. v. H. J. BUSCH (Bonn 1978); Concert-Fantasie Was mein Gott will, das g'scheh; hrsg. v. W. SYRÉ (ebd. 1979); Concert-Fantasie Jesu, meine Freude, hrsg. V. DEMS. (ebd. 1979). - Lehrbuch der Orgelbaukunst, umgearbeitet von Allihn, hrsg. v. W. L. SUMNER (Buren 1972); Die Orgel, hrsg. v. A. REICHLING (Kas 1982).
150
Lit.: F. FRIEDRICH, J. G. T., in: BzMw 19 (1977); M. VON HINTZENSTERN, J. G. T. - Organist, Komponist, Orgelbautheoretiker, H. J. BUSCH in : MuK 51(1981).
TOPOS (griech., = Ort, Stelle, Gegend; auch Thema, Stoff), in der antiken Rhetorik (Aristoteles, Cicero) Bz. für den sprachlichen Allgemeinplatz. Die Topoi gehören in die Lehre von der rednerischen Findung bzw. Erfindung (Ars inveniendi). Im Rückgriff darauf spielt der Begriff auch in der musikalischen Rhetorik des Barock eine Rolle (vor allem bei J. Mattheson). „Loci topici" sind hier Erfindungshilfen bei der Komposition; es gibt z. B. einen Locus notationis (melodische Grundelemente), einen Locus descriptionis (vokale und instrumentale Affektdarstellung) und einen Locus testimoniorum (Zitatcharakter einer Melodie). Diese Topik ist eng verbunden mit den musikalischen r Figuren und gebunden an die Erlernbarkeit innerhalb einer handwerklichen Kunstlehre. Im Anschluß an die „historische” bzw. „poetische Topik" von E. R. Curtius und Anregungen von W. Gurlitt folgend spricht man neuerdings auch in der Musikwissenschaft verstärkt und gelegentlich in einem sehr weiten Sinn von Topoi. Die T.Forschung sieht ihre Aufgabe darin, schematisiert oder gar klischeehaft erscheinende Denk-, Vorstellungs- und Ausdrucksformen der musikalischen Produktion durch die Geschichte zu verfolgen, ihre Kontinuität und Wandlung, ihr Auftauchen und Versinken sowie individuelle, personalstilistische Ausprägungen zu beschreiben. Gegenstand dieser Untersuchungen sind u. a. die autonom musikalischen Elemente, die „topischen" Charakter angenommen haben (Taktarten, rhythmische und metrische Muster, harmonische und melodische Eigenheiten), geprägte Formeln mit sprachähnlichem Bezeichnungscharakter (Affekte, Naturphänomene im Jahresablauf, Naturgewalten, Vorstellung des Todes), die Topik des Klanglichen (situationsbedingte Instrumentation), gattungstypische Topoi (Requiem-Vertonungen, Arientypik), technisch-topische Darstellungsweisen (Variation, Ostinato, Kanon), Zitat-T. (Übernahme oder Verpflanzung musikalischer Stile, „Musik über Musik") oder von der Literatur angeregte topische Felder wie Krieg (r Battaglia), Jagd (O Jagdmusik), r Pastorale (Locus amoenus, Ideallandschaft). Lit.: W. GURI.ITT, Nachwort, in: A. Schering, Das Symbol in der Musik (L 1941); E. R. CURTIUS, Europäische Lit. u. lat. MA (Be Mn 1948, 6 1967); T.forschung, hrsg. v. M. L. BAEUMER (Da 1973); W. JAKSCH, H. I. F. Biber, Requiem à IS. Unters. z. höfischen, liturg. u. musikal. Topik einer barocken Totenmesse (Mn Salzburg 1977); E. LANG-BECKER, Szenentypus u. Musik in Rameaus tragédie lyrique (ebd. 1978); H. JUNG, Vom literar. z. musikal. T., in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas - Bas - Lo 1980); DERS.,
Tornada Die Pastorale. Stud. z. Gesch. eines musikal. T. (Be - Mn 1980); Topik. Beitr. z interdisziplinären Diskussion, hrsg. v. D. BREUER - H. SCHANZE (Mn 1981). H. JUNG
TOPPER, Hertha, * 19.4. 1924 Graz; östr. Sängerin (Alt). Sie studierte am Konservatorium in Graz, debütierte am dortigen Opernhaus 1945 als Ulrica
in G. Verdis Un ballo in maschera und ist seit 1952 Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München (1955 Bayerische Kammersängerin). H. T. gastierte mehrfach bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen, an der Staatsoper in Wien, an der Mailänder Scala, in Brüssel, London, Amsterdam und Rom sowie an der Metropolitan Opera in New York. Ihre großen Erfolge feierte sie in Opern von W. A. Mozart und R. Strauss (Oktavian im Rosenkavalier) und R. Wagner; auch als Liedund Oratoriensängerin genießt sie hohes Ansehen. TORCHI, Luigi, * 7. 11. 1858 Mordano bei Bologna, t 18. 11. 1920 ebd.; it. Musikforscher. Er studierte an den Konservatorien in Bologna, Neapel und Leipzig (S. Jadassohn, C. Reinecke), war 1885-91 Lehrer für Musikgeschichte und Bibliothekar am Liceo Rossini in Pesaro und anschließend bis 1916 am Liceo musicale in Bologna, wo er seit 1895 auch Komposition unterrichtete (1906 Professor). 1894-1904 war er Chefredakteur der Rivista Musicale Italiana. T. hat sich besonders für die Verbreitung der Opern R. Wagners in Italien eingesetzt; wichtig sind bis heute seine Forschungen zur älteren italienischen Instrumentalmusik und seine Editionen. WW: R. Wagner(Bol 1890, 2 1913); La musica strumentale in Italia nei secoli XVI, XVII e XVIII, in: RM I 4-8 (1897-1901), auch
Eleganti canL'arte musicale in Italia
separat (Tn 1901, Nachdr. Bol 1969). - Editionen:
zoni ed arie it del secolo XVII (Mi
1894);
(ebd. 1897-1907, Nachdr. 1968). Lit.: F. VATIELLI, Necrologia di L T., in: RMI 27 (1920).
TORCULUS, Neume, r Notenschrift. TORELLI, Giuseppe (Iseppo, Gioseffo), * 22.4. 1658 Verona, t 8.2. 1709 Bologna; it. Violinist und Komponist. T. war Kompositionsschüler von G. A. Perti in Bologna, wurde dort 1684 Mitglied der Accademia Filarmonica, 1686 Violetta- und 1689 Tenorviola-Spieler im Orchester an San Petronio, dem er bis zu dessen Auflösung 1696 angehörte. Im Titel seiner Concerti musica/i, op. 6 (Au 1698) bezeichnet er sich als Konzertmeister des Markgrafen von Brandenburg. Zusammen mit dem Sänger Fr. A. Pistocchi ist er von Ende 1699 bis März 1700 in Wien nachweisbar, wo sein Oratorium Adam auss dem Irdischen Paradiess verstossen aufgeführt wurde (Musik verschollen, gedruckter Text erhalten). Vermutlich über Ansbach
kehrte er 1701 nach Bologna zurück. Dort wirkte er im neugegründeten Orchester unter Perti bei besonderen Anlässen als Violinist mit. WW: Sonate a tre stromenti con il b. c., op. 1 (Bol 1686); Concerti da camera a due violini e basso, op. 2 (Bol 1686); Sinfonie a 2, 3, e 4 istromenti, op. 3 (Bol 1687); Concertino per camera a violino e violoncello, op. 4 (Bol o.J.); Sinfonie a tre sowie Concerti a quattro, op. 5 (Bol. 1692); Concerti musicali a quattro. op. 6 (Au 1698); Capricci a violino o viola overo arciliuta, op. 7 (o.O., o.J.); Concerti grossi con una Pastoral per il Santissimo Natale, op. 8 (postum Bol 1709); Sonata D-Dur a 3 für 2 V. u. Violone, in: Autori diversi (o.O., o.J. [Bol 1700D. - Hsl. sind erhalten: 11 Sinfonie (Sonaten) für Trp., Str. u. B. c. ; 9 Sinfonie (Sonaten) für 2 Trp., Str. u. B.c.; Sonate G-Dur für Vc. u. B.c.; 8 Sinfonie (Concerti) für Ob., Trp., Str. u. B. c. ; Sinfonia für Ob., Str. u. B. c.; Sinfonia F-Dur für 2 Hörner, Str. u. B.c.; 8 Ripienkonzerte für Str. u. B.c.; 3 Concerti grossi für Str.; Sonate e-moll für V. u. B.c.; Sinfonia d-moll für V. u. Vc.; 3 Perfidien; 4 Konzerte; Cantata Lumi dolenti für Alt u. B. c.
T. hat entscheidenden Anteil an der Ausprägung instrumentaler Formen des Hochbarock. Durch motivische Trennung zwischen Tutti und Solo vertieft er das bereits von A. Stradella entwickelte Concerto grosso-Prinzip und erweitert es zur Doppelchörigkeit. T. gilt als der Schöpfer des Soloviolinkonzerts, in dem er prägnante Tuttiteile von virtuosen, spielerischen und verzierungsreichen Solopassagen trennt. Die Herkunft aus Canzone, Kirchensonate, Ritornell und Perfidia wird in den neuen Formen mit dem hochbarocken (heutigen) Streichorchester als Grundlage aufgehoben. Während in op. 5 die Sinfonie a tre noch Beispiele alter Kirchensonaten sind, stehen die Concerti a quattro im neuen orchestralen Stil. Sein Hauptwerk, op. 8, ist mit je 6 ausgereiften Concerti grossi und Violinkonzerten einheitlich und läßt die Erfahrungen aus der Spielpraxis erkennen. Ausg.: Concerto a-moll für 2 Solo-V., Streichorch. u. Gb., op. 8 Nr. 2, hrsg. v. B. PAUMGARTNER (Mz 1956) ( - Antiqua 107); Sonata a cinque Nr. 7 u. Nr. 1 für Trp., Streichorch. u. B. c. bzw. Sinfonia D-Dur für 2 Trp., 2 Ob., Streichorch. u. B.c., hrsg. v. F. SCHROEDER (W 1965 bzw. 1971) (- Diletto musicale 164-165 bzw. 310); V.-Konzert e-moll, op. 8 Nr. 9, hrsg. v. M. ABBADO (Mi 1968); Trp.-Konzert u. 2 Sonaten für Trp., Streichorch. u. B.c., 3 H.e, hrsg. v. E. H. TARR (Lo 1968, 1973); Sinfonia für Trp., 2 Konzerte für eine Trp., 2 Konzerte für 2 Trp. u. Sinfonia für 2 Trp. u. 2 Ob. mit Streichorch. u. B. c., hrsg. v. E. SEIDEL (H 1971, 1973) ( Ars instr. 56-58 u. 67). Lit.: F. GIEGLING, G. T. Ein Beitr. z. Entwicklungsgesch. des Instrumentalkonzerts (Kas 1949) (mit Werk-Verz.); B. MAZZAFERRATA, G. T., in: Musicisti della Scuola emiliana, hrsg. v. A. Damerini - G. Roncaglia (Siena 1956); R. E. NORTON, The Chamber Music of G. T. (1967) (- Diss. North Western Univ.); U. ZINGLER, Stud. z. Entwicklung der it. Vc.-Sonate v. den Anfängen bis z Mitte des 18. Jh. (Diss. F 1967); R. C. VAN NUYs, The History and Nature of the Trumpet as Applied to the Sonatas of G. T. (1969) ( - Diss. Univ. of Illinois); E. J. ENRICO, G. T.'s Music for Instrument Ensemble with Trumpet (1970) (- Diss. Univ. of Michigan). G. SCHUHMACHER
TORNADA 7 Canso, OE Cobla. 151
Torrefranca TORREFRANCA, Fausto (eig. Fausto Acanfora Sansone dei duchi di Porta e Torrefranca), * 1.2. 1883 Monteleone Calabro (heute Vibo Valentia), t 26. 11. 1955 Rom; it. Musikforscher. T. absolvierte 1905 ein Ingenieurstudium an der Universität in Turin und studierte dann autodidaktisch Musikwissenschaft. Seit 1907 redigierte er die Rivista Musicale Italiana, wurde 1913 Dozent an der Universität Rom, 1914 Lehrer für Musikgeschichte und 1915 auch Bibliotheksdirektor am Konservatorium in Neapel. 1924-38 war er Bibliotheksdirektor am Mailänder Konservatorium, lehrte 1930-35 an der Katholischen und 1934-36 an der Staatlichen Universität. 1941 erhielt er einen Ruf für Musikgeschichte an die Universität Florenz. T. widmete sich besonders stilgeschichtlichen Untersuchungen (z. B. Entwicklung der Sonate), wobei er die Bedeutung bis dahin weniger beachteter italienischer Komponisten, darunter A. Della Ciaja, G. B. Sammartini, G. Platti, insbesondere aber A. Vivaldi, hervorgehoben hat. Schriften: G. Puccini e l'opera internazionale (Tn 1912); L'impressionismo ritmico e le sonate del Cavaliere Della Ciaja (Mi 1913); Le origini it. del romanticismo musicale. I primitivi della sonata moderna (Tn 1930, Nachdr. Bol 1969); II segreto del Quattrocento (Mi 1939); Firenze musicale (Fi 1943); La musica strumentale it (ebd. 1949); G. B. Piatti e la sonata moderna, postum hrsg. v. A. BONACCORSI (Mi 1963) (- Istituzioni e monumenti
den Münchener Hof, 1704 wegen des Spanischen Erbfolgekrieges erneut nach Brüssel (diesmal in die Verbannung) und begleitete ihn auch in den unsteten Jahren der Flucht 1706-14. 1715 kehrte der Kurfürst endgültig nach München zurück, wo T. 1732 zum Hofkapellmeister avancierte. In T.s Bühnenwerken ist der wachsende Einfluß der französischen Oper gegenüber der venezianischen und neapolitanischen Tradition deutlich (u. a. in der Einbeziehung von Balletten und in der Instrumentation). Seine Duette mit Generalbaßbegleitung nach dem Vorbild A. Steffanis weisen ihn als Meister dieser Gattung aus. WW (hsl. erhalten, hauptsächlich in München, Bayer. Staatsbibl.): Etwa 100 it. Kammerduette mit B.c.; 25 Opern, darunter für München L'innooenza difesa (1715); Astianatte (1716); La Merope (1719); Eumene u. Lucio Vero (1720); L'amor d'amico vince ogni altro amore (1721); Griselda (1723); Amadis aus Griechenland (1724); Wenceslao (1725); L'Epaminonda (1727); Nicomode (1728); Edippo (1729); L'Ippolito (1731); Ciro (1733); Catone in Utica (1736). - Ferner 16 Festkantaten, Serenaden u. á. Einige kirchenmusikal. Werke; 10 it. Oratorien. - Ferner 2 Sonaten für 4 Instr. Ausg.: Ausgew. Werke, hrsg. v. H. JUNKER (1920) (- DTB 19/20) (mit dem 3. Akt v. Merope u. Stücken aus anderen Opern). Lit.: K. KREMER, P. T. u. seine Kammermusikwerke (Diss. Mn 1956); O. KAUZ, T., in: MGG XIII; R. MONSTER, Neu aufgefundene Opern, Oratorien u. szenische Kantaten v. P. T., in: Musik in Bayern 13 (1976).
dell'arte musicale it., N. S. 2). Lit.: R. PAOLI, F. T., in: Mf 9 (1956).
TORRES Y MARI INEZ BRAVO, José (Joseph) de, * 1665 Madrid, t 4.7. 1738 ebd.; span. Komponist. Er wurde 1697 1. Organist der königlichen Kapelle in Madrid und eröffnete dort wenig später die bedeutendste spanische Musikdruckerei seiner Zeit. 1724 wurde er Hofkapellmeister und Leiter der Chorknaben. WW: Messen für 4-6 St. (Ma 1703). - Hsl. erhalten sind 14 Messen, Requiem, 4 Passionen, 4 Magnificat, Sequenzen, Litaneien, 2 Te Deum, über 30 Motetten. - Reglas generates de acompaňar en organ, clavicordio y harpa (Ma 1702, 21736). - Er gab heraus (mit einigen eigenen Werken) F. de Montanos, Arte de canto Ilanb (1592) (Ma 1705, '1734). Lit.: J. E. DRUESEDOW, The „Missarum Liber" (1703) of J. de T. (1663-1738) (1971) (- Diss. Univ. of Indiana); Y. LEVASSEURDE-REBOLLO, The Life and Works of J. de T. (1975) (- Diss. Univ. of Pittsburgh); F. J. LEÓN TELLO, La teoria espaňola de la música en los siglos XVII y XVIII (Ma 1974).
TORRI, Pietro, * um 1650 Peschiera bei Verona, t 6.7. 1737 München; it. Komponist. T. wirkte 1667-84 als Hoforganist bzw. Hofkapellmeister in Bayreuth und wurde 1689, vermutlich auf Empfehlung von A. Steffani, Organist am Münchner Hof, wo er in Kurfürst Max Emanuel einen großzügigen Förderer fand. T. folgte ihm 1692 als Maître de chapelle nach Brüssel, 1699 wieder an 152
TORRIANI, Vico Oxens, * 21.9. 1920 Genf; Schweizer Sänger und Schauspieler. T. lernte während des Militärdienstes Gitarre und Akkordeon, siegte 1947 mit Tessiner Liedern in einem Gesangswettbewerb und erhielt bald darauf erste Engagements bei Radio Zürich und Radio Basel sowie erste Schallplatten- und Filmverträge. In den 50er und 60er Jahren einer der beliebtesten Schlagersänger in Deutschland, unternahm er Tourneen im In- und Ausland, trat als Bühnenschauspieler und Operettensänger auf, wirkte in zahlreichen Musikfilmen mit und errang vor allem durch seine Fernsehshows große Popularität, u. a. Grüezi, Vico; Hotel Victoria (1959-69 ; in dieser Reihe stellte sich T. auch als Hobbykoch vor); Der goldene Schuh; Veni Vidi Vici; Musik kennt keine Grenzen. Erfolgreiche Schlager wurden : Ananas aus Caracas, Café oriental, Bella bella Donna, Schön und kaffeebraun, In der Schweiz, Kalkutta liegt am Ganges. Eigenes künstlerisches Gewicht hat T. auch als Sänger Schweizer Volkslieder. Lit.: E. GAA, V. T., der Künstler u. Mensch (NO 1957).
TORTELIER, Paul, * 21. 3. 1914 Paris; frz. Violoncellist. Nach seiner Ausbildung am Pariser Conservatoire spielte er 1937-39 im Boston Symphony Orchestra und 1945/46 im Orchestre de la
Toscanini Société des Concerts du Conservatoire in Paris. 1947 begann er seine solistische Laufbahn, die ihn seit Beginn der 50er Jahre in die Musikzentren der ganzen Welt führte. Seit 1956 lehrt er am Pariser Conservatoire. T. ist auch als Komponist hervorgetreten. Er veröffentlichte auch Lehrwerke, darunter How I Play, How I Teach (Lo 1975). TOSCA, Musikdrama in 3 Akten von G. Puccini, Text von G. Giacosa und L. Illica nach dem Drama La Tosca (1887) von Victorien Sardou. Ort und Zeit der Handlung: Rom, im Juni 1800. UA: 14. 1. 1900 Rom ; dt. EA (in dt. Sprache) : 21. 10. 1902 Dresden. Treue zum politischen Ideal und zum geliebten Menschen erweisen sich als moralische Postulate, die, gleichzeitig und konsequent zu erfüllen gesucht, zur persönlichen Katastrophe der Sängerin Tosca und des Malers Cavaradossi führen. Das private Schicksal der Hauptfiguren spielt vor dem Hintergrund der Ereignisse um die Schlacht von Marengo am 14.6. 1800, in der Napoleon die Österreicher schlug - ein Sieg, der von der jungen italienischen Intelligenz, zu der auch Cavaradossi zählt, als ein Schritt auf dem Weg zur „Befreiung" Italiens freudig begrüßt wurde. Die von der Handlung vorgegebenen Situationen der Härte, die Folterung und Hinrichtung Cavaradossis, der Tod des Polizeipräsidenten Scarpia durch die Hand Toscas und Toscas Selbstmord, ließen Puccini anfangs vor einer Vertonung zurückschrecken, boten ihm jedoch andererseits ideale Möglichkeiten für musiktheatralische Wirkungen. Vor allem die Äußerung des greisen Verdi, er schriebe selber eine Oper über La Tosca, wenn er nicht schon zu alt dazu wäre, mag Puccini zur Aufnahme der Arbeit bewogen haben. - Meisterhaft sicher verstand es der Komponist, die sehr dichte und an äußerer Aktion reiche und dadurch nicht leicht vertonbare Handlung musikalisch zu einem differenzierten und stets schlüssig begründeten Wechsel von lyrischen und dramatischen Szenen aufzulockern, bei dem höchste Ausdrucksintensität und subtile Situationscharakteristik vor allem zurückzuführen sind auf den nahtlosen, melodisch und satztechnisch virtuosen Übergang zwischen den beiden Hauptfunktionen des Arioso als Gefühlsausdruck und „gesungener Aktion"; die kompositorischen Mittel einer musikalischen Gestik erscheinen in Tosca gleichermaßen in der Vielfalt bereichert und bis zu ausdrucksmäßigen Extremen erweitert. W. A.
MAKUS
TOSCANINI, Arturo, * 25.3. 1867 Parma, t 16. 1. 1957 New York; it. Dirigent. Er studierte Violon-
cello und Komposition am Konservatorium in Parma und schloß sich als Violoncellist und 2. Chorleiter einer italienischen Operntruppe an. Auf einer Tournee durch Brasilien (1886) sprang er mit glänzendem Erfolg bei einer Aida-Aufführung in Rio de Janeiro als Dirigent ein und wurde danach an italienische Bühnen geholt. 1892 dirigierte er in Turin die Uraufführung von R. Leoncavallos Pagliacci und 1896 von G. Puccinis La Boheme. 1898 wurde er an die Mailänder Scala verpflichtet, wo er bereits 1887 als Violoncellist bei der Uraufführung von G. Verdis Otello mitgewirkt hatte. An der Scala bis 1902 sowie 1906-08 engagiert, ging er 1908 als künstlerischer Direktor an die Metropolitan Opera in New York (1910 UA von Puccinis La fanciulla del West), kehrte aber 1915 nach Italien zurück und wirkte 1920-27 erneut als künstlerischer Leiter der Mailänder Scala (1926 UA von Puccinis Turandot). Anschließend leitete er 1927-36 (1933 GMD) die New York Philharmonic, die mit ihm 1930 erstmals auf Europa-Tournee ging, und 1937-54 das NBC Orchestra. 1930 und 1931 war er Dirigent bei den Bayreuther und 1935-37 bei den Salzburger Festspielen (u. a. mit R. Wagners Meistersingern und W. A. Mozarts Zauberflöte). 1946 dirigierte er die Vorstellung zur Wiedereröffnung der Mailänder Scala. T. war einer der überragenden Dirigenten seiner Zeit. Gegenüber einer subjektiven Auslegung des Notentextes vertrat er kompromißlos eingehendes Studium und exakte Umsetzung der Partitur, womit er wichtige Impulse für das Ideal der werkgetreuen Interpretation gegeben hat. Gleichzeitig wurde T. der große Vermittler der italienischen Tradition mit ihrem Höhepunkt in Verdis Schaffen. Gerade bei Verdi bewies T. durch die genaueste Beachtung der geforderten Tempo- und dynamischen Vorschriften, daß schriftliche Fixierung und Wiedergabe eng korrespondieren. Als Operndirigent gleichermaßen von hoher Bedeutung bei Werken etwa von Mozart, L. van Beethoven, Wagner und Puccini, wurde T. auch einer der führenden Konzertdirigenten, dessen Repertoire sich hauptsächlich auf die Musik seit der Wiener Klassik konzentrierte. Mit der Interpretation von Beethovens Symphonien und von dessen Missa solemnis setzte er bis heute kaum erreichte Maßstäbe. Lit.: H. TAUBMANN, The Maestro. The Life of A. T. (NY 1951,
dt. Be 1951); S. CHOTLINOFF, T. An Intimate Portrait (NY 1956, Nachdr. NY 1976, dt. Wie 1956); A. LEZNO-PANDOLFI, T., ein Leben für die Musik (Z 1957); R. C. MARSH, T., der Meisterdirigent (Z 1958); P. C. HUGHES, The T. Legacy. A Critical Study of A. T.'s Performances of Beethoven, Verdi and Other Composers (Lo 1959, NY 21969) (mit Diskographie); S. THIEMANN SOMMER, T. Memorial Archives, in: FAM 16 (1969); S. ANTEK, So war T. (Z — St — W 1970); G. BARBLAN, T. e la Scala (Mi 1972); R.
153
Tosi C. MARSH, T. and the Art of Orchestral Performance (Westport/ Conn. 1973); B. W. WESSLING, T. in Bayreuth (Mn 1976); H. SACHS, T. (NY 1978, dt. Mn 1980). D. THOMA
TOSI. - 1) Giuseppe Felice, it. Komponist des 17. Jahrhunderts. Er war Organist an S. Giovanni in Monte in Bologna und 1679 Präsident der Accademia Filarmonica, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte, wirkte 1680-83 als Kapellmeister an der Accademia della Morte und 1682-83 auch am Dom von Ferrara. 1683 nach Bologna zurückgekehrt, war er 1692-93 2. Organist an S. Petronio. T. veröffentlichte ein Buch Salmi concertati für 3-4 St. (Bol 1683) und ein Buch Kammerkantaten (Bol 1688). Er schrieb auch zahlreiche, zumeist nicht erhaltene Opern. - 2) Piero Francesco, Sohn von 1), * um 1653/54 Cesena, t 1732 Faenza; it. Sänger (Kastrat) und Komponist. Er war Schüler seines Vaters und machte sich als Sänger in ganz Europa bekannt. Von 1692 an lebte er mehrere Jahre in London, wo er später Gesang unterrichtete, und wirkte 1705-11 als Hofkomponist sowie ähnlich wie A. Steffani - als diplomatischer Beauftragter des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in Wien. Von ihm stammen Opinioni de' cantori antichi e moderni ... (Bol 1723), eine wichtige Gesangsschule mit aufschlußreichen Hinweisen zur Vortragskunst seiner Zeit. Ausg.: Zu 2): Opinioni ..., hrsg. v. A. DELLA CORTE, in: Canto e bel canto (Tn 1933). Lit.: Zu 2): K. WICHMANN, Der Ziergesang u. die Ausführung der Appoggiatura (L 1966); R. CELLETTI, La vocalità al tempo del T., in: NRMI 4 (1967); T. THOMAS, Belcanto: die Lehre des Kunstgesanges nach der altit. Schule (B 1968).
TOTEN AUGEN, DIE, Oper in einem Prolog und einem Akt von E. d'Albert, Text von Marc Henry (frz. Urfassung) und Hanns Heinz Ewers (dt. Fassung). Ort und Zeit der Handlung: Jerusalem, am Tag des Einzugs Jesu. UA: 5.3. 1916 Dresden. Die menschliche Neigung, ein schön gestaltetes Gesicht und einen guten Charakter als untrennbare Einheit zu empfinden, wird der blinden Myrtocle zum Verhängnis: Durch Jesus von ihrer Blindheit geheilt, hält sie statt des häßlichen Senators Arcesius einen schönen Offizier für ihren Gatten; Arcesius bringt den Soldaten aus Eifersucht um; als Myrtocle die Wahrheit erfährt, läßt sie sich vom Sonnenlicht blenden und lebt weiter mit Arcesius. D'Alberts zweitgrößter Bühnenerfolg weist im Vergleich zu seinem „genialen Wurf` Tiefland eine kühnere harmonische Sprache auf; das spätromantische Klangbild wurde nun durch impressionistische Elemente wie etwa freitonale Reizdissonanzen angereichert. Differenziert ausgestaltet ist das Verhältnis von orchestralem Zwischenspiel 154
und Vokalpart, das nicht in einfachem Wechsel besteht, sondern in satztechnisch geschickter Verzahnung, wobei die Agogik des Orchesterparts in sensibler Anpassung aufs engste dem szenisch-gestischen Spiel folgt - ein Stilelement, das gleichermaBen von R. Wagner und G. Puccini bis zur PerfekW. A. MAKUS tion ausgeprägt worden war. TOTENTANZ (frz.: danse macabre). Der vielfach sehr weit gefaßte Begriff bezeichnet im engeren Sinne die bildliche und/oder textliche Darstellung eines Tanzes, den der Tod oder auch mehrere Todesgestalten mit menschlichen Ständevertretern ausführen. Totentänze sind seit dem 15. Jh. vor allem im dt. und frz. Sprachraum auf Fresken, in Hss. und Drucken überliefert. Während die ältere Forschung den Ursprung des T.es in volkstümlich-germanischen Vorstellungen von einem nächtlichen Gräbertanz Verstorbener erkennen wollte, sieht man heute den engen Zusammenhang mit geistlichen Traditionen, vor allem der Bußpredigt in der Zeit der großen Pestepidemien, in deren Mittelpunkt das Thema von Gericht und Verdammnis stand. In vielen Totentänzen sieht man am Anfang einen Prediger. Der Tanz selbst führt als Warnung vor dem „unbereiten tod" in die Hölle. Allmählich mildert sich dieser Charakter im Sinne einer nur noch allgemeinen Mahnung an den Tod und das Sterbenmüssen. Tanzgeschichtlich entsprechen die älteren Darstellungen dem (Ketten-)Reigen bzw. dem Branle, die jüngeren dem paarigen Aufzug bzw. der Basse danse und der Pavane. Musikinstrumente begegnen in der Regel am Anfang, entweder in Gestalt eines Todesspielmanns mit Dudelsack am Fuß der Predigerkanzel oder mehrerer Todesmusikanten vor einem Beinhaus. Auch innerhalb der Tanzreihe finden sich häufig Instrumente, sei es als Standesattribut beim Spielmann, sei es in der Hand des Todes. In der Auswahl, der Formgebung und der Spielweise manifestieren sich beziehungsreiche Zusammenhänge organologischer, sozialgeschichtlicher und symbolischer Art. Die ursprünglich für die Gattung konstituierenden Tanzszenen und Instrumentenmotive treten später vielfach zurück zugunsten von anderen Szenen, in denen der Tod seine Opfer aufsucht, so schon in Hans Holbeins Holzschnittfolge (vor 1526). Originale Musik zum T. ist nicht überliefert, doch gibt es Berichte aus dem 15. Jh., die auf szenische Aufführung schließen lassen. T.-Motive sind noch lange im Volks- und Kunstlied lebendig geblieben bis hin zu Fr. Schuberts Der Tod und das Mädchen und dem Leiermann aus der Winterreise. Bereits in Tabulaturbüchern des 16. Jh. gibt es Stücke mit Titeln
Tourte wie Mattasin oder Toden Tantz (A. Nörmiger, 1598), Der schwarze Knab (H. Kotter, 1513). Fr. Liszts Totentanz (1849 u. ö.) für Klv. und Orchester ist ein freier Variationenzyklus über den ersten Teil der Sequenz Dies irae. J. G. Kastners La danse macabre für Soli, Chor und Orchester (1852) enthält gesungene Dialoge zwischen Tod und Ständevertretern. C. Saint-Satins komponierte 1875 eine symphonische Dichtung La danse macabre. A. Honegger schrieb sein Oratorium La danse des morts 1940 auf einen Text von P. Claudel. W. Krafts Lübecker Totentanz für Soli, Chöre, 16 Soloinstr., Org. und Tänzer entstand 1954. Lit.: G. KASTNER, Les danses des morts (P 1852); I. S. KOZÁKY, Gesch. der Totentänze, 3 Bde. (Budapest 1936-44); H. ROSENFELD, Der ma. T. (Kö 1954, '1974); S. COSACCHI, Makabertanz (Meisenheim 1965); E. KOLLER, T. (1 1980); R. HAMMERSTEIN, Tanz u. Musik des Todes. Die ma. Totentänze u. ihr Nachleben (Be—Mn 1980). R. HAMMERSTEIN
TOTE STADT, DIE, Oper in 3 Akten von E. W. Korngold , op. 12, Text vom Komponisten und seinem Vater Julius Korngold (unter dem Pseudonym Paul Schott) nach George Rodenbachs Roman Bruges-la-Morte (Das tote Brügge, 1892). Ort und Zeit der Handlung: Brügge, Ende des 19. Jh.; UA: 4. 12. 1920 Hamburg und Köln (am selben Abend). Klangliche Ästhetisierung des Alten und Vergangenen, eine Atmosphäre der Versunkenheit und des Schwebens zwischen Traum und Realität sind Hauptcharakteristika des musikalischen Bildes, das von Korngold in seiner erfolgreichsten Oper entworfen wird. Paul lebt zurückgezogen in Brügge, der „toten" Stadt, passiv und mutlos seiner verstorbenen Frau nachtrauernd. Deren Ebenbild glaubt er in der jungen Tänzerin Marietta zu sehen; durch einen Traum erkennt er jedoch, daß seine Gefühle für Marietta nur der krampfhafte Versuch waren, seine Frau zu neuem Leben zu erwecken: Als Marietta sich über Pauls Ergriffenheit und beinahe sakralen Ernst belustigt, erwürgt er sie; mit dem Erwachen ist Paul von seinen Zwangsvorstellungen befreit und beginnt ein neues Leben. - Nicht nur die unheimlich-groteske Parodie auf die Auferstehungsszene aus Meyerbeers Oper Robert der Teufel ist die Ursache für die einstige Berühmtheit des Werkes ; Korngolds Treffsicherheit in der Auswahl kompositorischer Mittel von Spätromantik und Impressionismus sowohl in der Affektdarstellung als auch in der Situationscharakteristik, vor allem jedoch die Beherrschung des klanglich „überwältigenden" Orchesterapparats (u. a. dreifaches Holz, Celesta, Orgel und Glockenspiel) weisen die Oper als musikalisches W. A. MAKUS Meisterstück aus.
TOURDION, Tordion, im 16. Jh. verbreiteter frz. Hoftanz im schnellen Dreiertakt. Der T. wurde als Nachtanz zur Basse danse getanzt. Unter anderem von Th. Arbeau (Orchésographie, 1589) als eine Abart der Galliarde beschrieben, sollte der T. jedoch im Unterschied zu dieser nicht gesprungen, sondern mit leicht angehobenen Beinen geschritten werden. - Suite. TOURNEMIRE, Charles Arnaud, * 22. 1. 1870 Bordeaux, t 3. 11. 1939 Arcachon; frz. Organist und Komponist. Er studierte bei Ch.-M. Widor und C. Franck am Conservatoire in Paris, war dort von 1898 bis zu seinem Tod Organist an St-Clotilde und seit 1919 auch Lehrer für Ensemblespiel am Conservatoire. T., ein international anerkannter Virtuose und Improvisator auf der Orgel, hat als Komponist vor allem die geistliche Orgelliteratur durch liturgisch gebundene Werke (über gregorianische Melodien) bereichert. Beispielhaft ist seine Sammlung Orgue mystique mit Orgelmusik für die 51 Sonntagsoffizien des Jahres. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Musik; Kammermusik. — Für Org.:
Triple Choral (1910); L'orgue mystique, 3 Bde. (1927-32); 7 Poèmes-Chorals pour les sept paroles du Christ (1935); Postludes libres (1935); Symphonie-Choral (1935); Symphonie sacrée (1936); Suite évocatrice (1938); 2 Fresques symphoniques sacrées (1938-39). — Für Orch.: 8 Symphonien; die 6. mit Soli, Chor u. Org. (1900-24). — 2) Vokal-WW: Lieder; Pater nosteru. Salutation angélique (1896); Sagesse (1908); Le sang de la sirène (1904) für Soli, Chor u. Orch.; Psaume LVII (1908-09) für Chor u. Orch. Ferner mehrere Opern, darunter Les dieux sont morts; Antikes Drama in 2 Akten, UA: Paris 1924. — 3) Schriften: César Franck (P 1931); Précis d'exécution, de régistration et d'improvisation (ebd. 1936); Petite méthode d'orgue (ebd. 1949). Ausg.: L'orgue mystique (P 1965). Lit.: B. LESPINARD, L'„Orgue mystique” de Ch. T. Impressions plain-chantesques (P 1971); J.-M. FAUQUET, Catalogue des oeuvres de Ch. T. (G 1979); F. PEETERS, Ein Poet der Orgel. Das Orgelschaffen v. Ch. T., 1870-1939, in: MS 99 (1979).
TOURTE, Bogenmacherfamilie aus der 2. Hälfte des 18. Jh., die bis 1835 in Paris arbeitete. Louis (?) T. père wirkte um 1740-80, sein Sohn Xavier T., genannt der Ältere, 1770-86 in Paris; doch erreichte keiner von beiden die Perfektion der Bogen von François T., Bruder des vorigen, * um 1747 Paris, t 26.4. 1835 ebd., der der „Stradivari des Bogens" genannt wird. Er änderte auf Anregung von G. B. Viotti die Wölbung, den Aufsatz und die Metallzwinge am Frosch des Bogens. Dabei verwendete er ausschließlich in der Maserungsrichtung geschnittenes Pernambukholz. Seine Bogen sind selten und haben hohen Liebhaberwert. Lit.: F. FARGA, Geigen u. Geiger (Z 1940,'1950); J. RODA, Bows for Musical Instruments of the Violin Family (Ch 1959); H. WHISTLER, F. T., Bow Maker Supreme, in: Music Journal 23 (1965).
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Tovey TOVEY, Sir Donald Francis, * 17.7. 1875 Eton, t 10.7. 1940 Edinburgh; engl. Pianist, Komponist und Musikforscher. Er absolvierte 1898 die Universität Cambridge und wurde 1914 Professor für Musik an der Universität Edinburgh. 1917 gründete er das nach dem Musikmäzen John Reid (1721-1807) benannte Reid Symphony Orchestra. T. komponierte Instrumentalmusik, Lieder, Chorwerke und eine Oper, doch beruht seine Bedeutung auf seinen musikologischen Publikationen. Seine Analysen zeitgenössischer und älterer Werke sind ein bedeutender Beitrag für das Musikverständnis in der angelsächsischen Welt, vergleichbar dem Einfluß von H. Riemann in Deutschland. Schriften: A Companion to the Art of Fugue (Lo 1931); Musical Form and Matter (Lo 1934); Essays in Musical Analysis, 6 Bde. (Lo 1935-39, "1972); A Musician Talks, I: The Integrity of Music, 11: Musical Textures (Lo 1941, Nachdr. St. Clair Shores/Mich. 1977); Essays in Musical Analysis Chamber Music(Lo 1944); Essays and Lectures on Music hrsg. v. H. J. Foss (Lo 1949). Lit.: A. H. Fox STRANGWAYS, D. F. T., in: ML 21 (1940); E. J. DENT, D. T., in: MR 3 (1942); M. GRIERSON, A Biography Based on Letters (Lo 1952, Nachdr. Westport/Conn. 1970); G. L WHATLEY, D. F. T. and His Contributions to the Study of Harmony and Counterpoint (1974) (- Diss. Indiana Univ.).
TOZZI, Giorgio, * 8. 1. 1923 Chicago; amerik.
Sänger it. Herkunft (Baß). Nach seiner Gesangsausbildung in Chicago debütierte er 1949 am Ziegfield Theater in New York als Tarquinius in The Rape of Lucretia von B. Britten, studierte danach in Mailand bei Giulio Lorandi und gastierte an der dortigen Scala mit großem Erfolg; seit 1955 ist er Mitglied der Metropolitan Opera in New York. Gastspiele führen ihn regelmäßig nach Europa, vor allem zu den Salzburger Festspielen, nach Wien, London, Paris und an die großen Bühnen Italiens. Im Zentrum seines Repertoires stehen die Buffopartien der it. Oper und seriöse Rollen wie Sarastro, König Philipp, Fiesco, Mephisto oder Hans Sachs. Tp, Abk. für Tonikaparallele. tr, Zeichen für den r Triller, im Notendruck durch * oder ' r- wiedergegeben. TRABACI (Trabacci), Giovanni Maria, * um 1575 Montepeloso (heute Irsina, Prov. Matera), t 31. 12. 1647 Neapel; it. Komponist. Er war Schüler von J. de Macque, trat 1594 als Sänger in die Kapelle der Santa Casa dell'Annunziata in Neapel ein und war gleichzeitig Organist am Oratorio dei Filippini. 1601 wurde er Organist, 1614 Kapellmeister der Königlichen Kapelle in Neapel. T. gilt in der Geschichte der italienischen Orgelmusik des frühen 156
17. Jh. als Vertreter der typischen neapolitanischen Kanzone. Seine Passionen sind ein für das 17. Jh. ungewöhnlich eigenständiger Beitrag zur Gattung in ihrer lateinischen Form. WW: 2 Bücher Ricercate, canzone franose capricci u.a. für Tasteninstr. (Neapel 1603, 1615). - Motetten für 5-8 St. (ebd. 1602); Messen u. Motetten für 4 St. (ebd. 1605, mit B.c. 1616); 2 Bücher Madrigale für 5 St. (ebd. 1606, 1611); Villanellen für 3-4 Si (ebd. 1606); 2 Bücher Vesperpsalmen u. Messe für 4 St. u. B.c. (V 1608, 1630); Sylva harmonics, Bearb. früherer Motetten für 1 St. u. B.c. (Neapel 1609); Passionen nach den 4 Evangelisten (ebd. 1634) (Evangelist 3st., die übrigen Personen Ist. choral, Turba 4st. mit zu verdoppelnden Instr. ad lib.). Ausg.: 20 Motetten für 4-8 St. u. 2 Messen a due chori, in: L'oratorio dei Filippini ... di Napoli, hrsg. v. G. PANNAIN (Mi 1934) ( Istituzioni e monumenti dell'arte musicale italiana 5); Composizioni per organo e cembalo, hrsg. v. O. MtsCHU'rt (Brescia 1964) (- Monumenti di musica italiana 1/3). Lit.: R. J. JACKSON, The Keyboard Music of G. M. T., 2 Bde. (1964) (- Diss. Univ. of California); M. PERRUCCt, G. M. T. ed E. R. Duni nella storia della musica italiana (Matera 1965).
TRACTULUS, Neume, . Notenschrift. TRACTUS (lat.), Bz. für einen Gesang der römischen Meßliturgie an Bußtagen nach Epistel oder Lesung aus dem Alten Testament anstelle des Alleluia oder auch eines Graduales. Der Name ist möglicherweise eine Übersetzung des griech. heirmos, mittelalterliche Autoren haben ihn von „tractim" (in einem Zuge vorgetragen) oder von den Klagen der Heiligen abgeleitet, die aus tiefstem Herzen „hervorgezogen" („tractus") würden. Der T. scheint erst im 7. Jh. in die römische Liturgie aufgenommen worden zu sein. Die Texte sind den Psalmen entnommen, die Verse wurden ursprünglich wohl von einem Kantor solistisch vorgetragen, später wurde der Vortrag im Wechselchor geläufig. Allen T.-Melodien liegt eines von 2 psalmtonartigen Vortragsmodellen zugrunde, von denen das eine der 2. und das andere der B. Tonart zugerechnet wird. In den einzelnen Versen der T. wurden diese Vortragsmodelle je nach den Voraussetzungen des Textes und der Phantasie des Kantors melodisch verschiedenartig ausformuliert. Die Aufzeichnung der T.-Melodien zu Beginn der schriftlichen Überlieferung des Gregorianischen Gesanges im 9./10. Jh. vermittelt durch die Varianten zwischen den einzelnen Versen und den verschiedenen T. ein lebendiges Bild von der Vortrags- und Improvisationskunst der mittelalterlichen Kantoren. In den ältesten Handschriften umfaßt das Repertoire der T. nur 14 Stücke, von denen 11 auf die Weise des B. und 3 auf die Weise des 2. Tons gesungen werden; von den letzteren war der T. Eripe me vom Karfreitag nach dem Zeugnis des Amalar von Metz (um 775 bis um 850) erst jüngst geschaffen worden. Im Laufe des 9. Jh. wurde ferner die
Tradition Weise der T. des B. Tons auf die Cantica der Osternachtsliturgie übertragen und dabei die Melodie des T. Laudate Dominum als Vorbild gewählt. Außerdem wird die Weise des 2. Tons von 3 Stücken benutzt (De necessitatibus vom Quatembermittwoch der Fastenzeit, Domine exaudi vom Mittwoch der Karwoche und Domine audivi vom Karfreitag), die in den ältesten Quellen als „Graduale" und erst später, offenbar aufgrund ihrer Melodien, als T. bezeichnet werden. Das Melodiemodell der T. ist in diesen 3 Stücken mit Rücksicht auf die abweichende Vortragsweise des Graduale (Wechselgesang zwischen Chor und Kantor) abgewandelt. Vom 10. Jh. bis zum Ausgang des Mittelalters wurde das älteste Repertoire der T. durch Texte aus verschiedenen Büchern der Heiligen Schrift erweitert. Das Graduale Romanum von 1908 enthält 87, das von 1974 noch 25 Tractus. Die Melodien der nachgeschaffenen T. lehnen sich an die der alten T. an und dokumentieren beispielhaft die Geschichte der „gregorianischen" Nachkompositionen im Mittelalter. Dabei wurden für Texte traurigen Charakters T. des 2. Tons, für Texte freudigen Charakters T. des B. Tons als Modell genommen. Lit.: H. RiEMANN, Der strophische Bau der T.-Melodien, in: SIMG 9 (1907/08); P. WAGNER, Einführung in die gregor. Melodien, III: Gregor. Formenlehre (L 1921); R.J. HEssERT, Antiphonale missarum sextuplex (Bru 1935); H. SCHMIDT, Die T. des zweiten Tones in gregor. u. stadtröm. Überlieferung, in: FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1957); DERS., Unters. zu den T. des zweiten Tones, in: KmJb 42 (1958); H. HucxE, T., in: MGG XIII; DERS., T.-Stud., in: FS B. Stiblein (Kas 1967); L TREITLER, Homer and Gregory. The Transmission of Epic Poetry and Plainchant, in: MQ 60 (1974). H. HUCKE
TRADER, Willi, * 24.3. 1920 Berlin, t 12. 11. 1981 Hannover; dt. Chordirigent. Er studierte 1939-42 Schulmusik an der Hochschule für Musikerziehung (u. a. bei H. Chemin-Petit) und 1945-46 Komposition bei P. Höffer am Internationalen Musikinstitut in Berlin. 1949 gründete er den Rupenhorner Singkreis Berlin sowie den Niedersächsischen Singkreis Hannover (auch Singkreis Willi Trader), mit denen er sich besonders für die zeitgenössische Chormusik einsetzte, sowie 1953 die von ihm bis 1958 geleitete Jugendmusikschule Hannover. Im selben Jahr wurde T. Dozent für Allgemeine Musikpädagogik und Chorleitung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover (1964 Professor). WW: Editionen: Hustedter Singbuch (Wb 1949); Liedblattreihe Alk musizieren (Mz 1952) (zus. mit F. Jöde); Chorbuch zu Musik in der Schule (Wb 1965) (zus. mit E. Kraus u. F. Oberborbeck); Handbuch des Musikschulunterrichts (Rb 1979) (zus. mit D. Wucher u. H.-W. Berg). J. DORFMÜLLER
TRADITION. Versteht man unter T. die Form, in
der Vergangenes in der Gegenwart fortwirkt, so ist man dem ursprünglichen terminologischen Sinn des Begriffs sehr nahe: Traditio bezeichnete im römischen Recht den Vorgang formlosen Eigentumserwerbs durch Übergabe. Durch die Differenzierung dieses denkbar weiten Begriffs von T. speziell im Zusammenhang mit dem Problem der Kontinuität der Kunstgeschichte (etwa in „wirkende" und „begriffene" T., vgl. dazu H. H. Eggebrecht, 1973) entsteht die Frage, inwieweit T. bewußt gewollt werden kann, ohne in kritisierbaren Traditionalismus überzugehen. Th. W. Adorno hat 1956 seinen Ideologieverdacht gegen jegliche restaurativ-traditionalistische Einstellung in der Kunst so präzisiert: „T. ist schlecht dort, wo man sie, gerade weil es an ihr gebricht, zur Gesinnung erhebt" (S. 136). In Wahrheit sei T. nur dann wirklich (und als Gegenbegriff zu jedem Fortschritt notwendig), wenn sie (in einer Formulierung Sigmund Freuds) „die Wiederkehr eines Vergessenen" sei. G. Mahlers oft zitiertes Wort „T. ist Schlamperei" bezieht sich auf diesen Ideologieverdacht, nach dem T. schlecht sei, „sobald sie sich auf die Macht des nun einmal Bestehenden gründet" (Adorno, 1956, S. 133). Ein gutes Beispiel für die fundamentale Bedeutung des T.s-Begriffs als einer kunstgeschichtlichen Kategorie stellt das Verhältnis von l Notenschrift und r Aufführungspraxis dar: Hier nämlich wird der Abstand zwischen der nur andeutenden Neumen-Notation und der exakten schriftlichen Fixierung aller Parameter der Komposition (z. B. in der t seriellen Musik) besonders deutlich: Exaktheit der schriftlichen Fixierung und die Macht bzw. lebendige Wirklichkeit von (Aufführungs-) T.en sind offenbar direkt aufeinander bezogen. Auch im Falle des Nebeneinandertretens alter und neuer Kompositionstechniken (wie z. B. im frühen 17. Jh. r Prima pratica und r Seconda pratica) oder Musizierformen (z. B. in der r Folklore, wo zwischen traditioneller Musik und Autorenmusik unterschieden wird) dient der T.s-Begriff zur Charakterisierung der Bereiche gegeneinander; so z. B. auch der engl. Ausdruck „traditional", der (urspr. sogar in polemischem Sinn) zur Unterscheidung des New Orleans Jazz der 20er Jahre vom Swing der 30er Jahre gebraucht wurde und der sich von daher auf die Bezeichnung der älteren Jazzmusikergeneration in den 40er Jahren sowie auf (Amateur-) Gruppen, die nach wie vor den New Orleans-Stil kopieren, ausdehnte. Lit.: TOI. W. ADORNO, T., in: Dissonanzen (Gö 1956), Wiederabdruck in: Gesammelte Schriften XIV (F 1973); G. KRÜGER, Gesch. u. T., in: ders., Freiheit u. Weltverwaltung (Fr — Mn 1958); J. PIEPER, Über den Begriff der T. (Kö — Opladen 1958); H. H.
157
Traditional Jazz EGGEBRECHT, Neue Musik - T. - GeschichtsbewuBtsein, in: Ober das musikal. GeschichtsbewuBtsein, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1973). R. CADENBACH
TRADITIONAL JAZZ, Sammel-Bz. für heute noch gepflegte Stilformen des frühen Jazz von den Anfängen bis in die Swing-Ara (DixielandJazz, New Orleans Jazz, Chicago-Stil, Swing, Ragtime). Lit.: C. G. HERZOG ZU MECKLENBURG, Stilformen des Jazz, I: Vom Ragtime z. Chicago-Stil (W 1973) (mit Diskographie).
TRAËTTA, Tommaso Michele Francesco Saverio, * 30.3. 1727 Bitonto bei Bari, t 6.4. 1779 Venedig; it. Komponist. Er studierte 1738-48 bei Fr. Durante und L. Leo am Conservatorio di Loreto in Neapel und machte sich als Komponist von Kirchenmusik und Opern bekannt, von denen die ersten in Neapel aufgeführt wurden. 1758 wurde er Hofkapellmeister in Parma und Musiklehrer der Prinzessinnen. Hier blieb er bis 1765 und schrieb weitere erfolgreiche Opern für it. oder ausländische Theater. In Wien arbeitete er mit dem Grafen Durazzo und mit Marco Coltellini zusammen, die für ihre opernreformatorischen Ideen bekannt waren. 1765 reiste er nach Venedig, wo er die Leitung des Conservatorio dell'Ospedaletto SS. Giovanni e Paolo übernahm. Sein internationaler Ruf brachte ihm 1768 die Einladung der Zarin Katharina II. für eine Stellung als Kapellmeister und Musiklehrer in St. Petersburg ein. Außer seinen den Publikumsgeschmack befriedigenden Werken schrieb er sein Hauptwerk, die in St. Petersburg aufgeführte Oper Antigona (Text: Coltellini). Krank geworden, mußte er 1774 Rußland verlassen. In London erlangten 2 neue Opern mäßigen Erfolg. 1777 kehrte T. nach Italien zurück und ließ sich, nach kurzem Aufenthalt in Neapel, in Venedig nieder. WW: Von den etwa 40 nachweislich aufgeführten Opern sind hsl. erhalten: Farnace, UA: Neapel 1751; Didone abbandonata, UA: Venedig 1757; Olimpiade u. Buovo d'Antona, UA: Verona bzw. Venedig 1758; Ippolito ed Aricia, UA: Turin 1759; Enea nel Lazio, UA: ebd. 1760; I Tintaridi o Castore e Polluce, Le feste d'Imeneo u. Stordilano, UA: Parma 1760 (das letzte Werk als II cavaliere errante u.a. auch Esterháza 1782); Armida, UA: Wien 1761; Sofonisba, UA: Mannheim 1762; Ifigenia in Tauride, UA: Wien 1763; Antigono, UA: Padua 1764; Le serve rivali, UA: Venedig 1766; Siroe re di Persia, UA: München 1767; Antigona, UA: St. Petersburg 1772; Lucio Vero, UA: ebd. 1774; Germondo, UA (u. Druck als Favourite Songs): London 1776; La disfatta di Dario, UA: Venedig 1778. - Italian Duets (Lo 1762); einzelne Arien hsl. erhalten. - Messe, Passion, Stabat mater u. a. kirchenmusikal. Werke sowie Oratorium Rex Salomone (1766) hsl. überliefert. - Für Orch.: 3 Sinfonien.
Jeglichem fremden Einfluß gegenüber relativ unabhängig, zeigt das theatralische Schaffen T.s das Nebeneinander von traditionellen Elementen der / Neapolitanischen Schule und erneuernden Ten158
denzen, die auf ein Vertiefen der Ausdrucksmittel, Annäherung von Rezitativ und Arie und sinnvollere Integration von Balletten und Chören in die Handlung zielten. Diese Gestaltungsmerkmale, die Glucks Reformwerk vorbereiten, sind besonders in Sofonisba, Ifigenia in Tauride und Antigona wahrnehmbar. Mehr konventionell, konnten seine Opere buffe doch breiten Erfolg in ganz Europa erzielen, der auch nach T.s Tode fortwirkte. T.s Sohn Filippo Trajetta (1777-1854) war ebenfalls Komponist. Im it. Befreiungskampf gegen die Franzosen geriet er in Gefangenschaft und entfloh 1799 nach den USA, wo er in Boston, New York und Philadelphia eine erfolgreiche Lehrtätigkeit entfaltete. Ausg.: Ausgew. Werke (aus den Opern), hrsg. v. H. GOLDSCHMIDT (1914-16) (- DTB 14/1 u. 17); Sinfonia D-Dur, hrsg. v. E. BONELLI (Padua 1959); Stabat mater, hrsg. v. A. ROCCHI (F 1966); Ifigenia in Tauride, hrsg. v. H. M. BRowN (NY 1978) ( s It. Opera 164.0-1770 47). Lit.: H. BLOCH, T. T.'s Reform of Italian Opera, in: Collectanea historiae musicae 3 (1963); D. HEARTZ, Operatic Reform at Parma. „Ippolito ed Aricia", in: Kgr.-Ber. Parma 1968; D. BI NETTI, T. e F. Trajetta (T.) nella vita e nell'arte (o.O. 1972).
TRAGÉDIE EN MUSIQUE, seit dem 18. Jh. auch Tragédie lyrique (das Adjektiv entspricht hier nicht dem deutschen „lyrisch", sondern ist synonym mit „en musique"), Bz. für die frz. Oper mit tragischem Sujet des 17./18. Jahrhunderts. Die Gattung entstand in dem Bemühen, die antike Tragödie wiederzuerwecken, und unter dem Vorbild der frühen it. Oper. Vorläufer sind in Frankreich die Pièces à machine (z. B. Pierre Corneille, Andromaque), die r Comédie-ballet, das t Ballet de cour, die durch Kardinal Mazarin eingeführten Aufführungen italienischer Opern, und die dramatische r Pastorale, wie sie R. Cambert erstmals in frz. Sprache realisierte. Aus diesen verschiedenen Gattungen schuf G.-B. Lully zus. mit dem Librettisten Ph. Quinault als Synthese die 5aktige T. mit vorausgehendem Prolog; frühestes Werk ist Cadmus et Hermione (1673). Wie die gesprochene Tragödie verarbeitet die T. Stoffe aus der antiken Mythologie sowie aus dem Sagenkreis des MA und der Renaissance (z. B. T. Tasso, La Gerusalemme liberata), l äßt aber im Unterschied zum Sprechtheater die Forderung nach Einheit von Ort, Zeit und Handlung außer acht. Die Intrige beruht hauptsächlich auf verwikkelten Liebesbeziehungen, die in der Regel ein Deus ex machina zu einem glücklichen Ende führt. Träger der Handlung sind meist zweitrangige Gottheiten und Heroen der antiken Mythologie (z. B. Bacchus, Polyphème, Flore oder Hébé) oder Helden aus der Dichtung des MA und der Renaissance. Ihr Gefolge bilden die Genien und
Transmission die Naturkräfte, als Vermittler zwischen Göttern
und Protagonisten dienen Zauberer und Priester. Mit seiner relativen Einfachheit, seinem Aufbau, seiner Versifizierung und seiner Handlungsführung wirkte das Libretto wieder auf die gesprochene Tragödie, in mancher Beziehung auf die Dichtung im allgemeinen zurück; die Diskussion, die im 18. Jh. in Frankreich über die Operndichtung geführt wurde (O Buffonistenstreit), ist auch Teil der Literaturgeschichte. Kernstück der T. bildet das ř Rezitativ, dessen metrisch-rhythmische Gestaltung und dessen Intonation sich an der Deklamation der Tragödie in der Comédie-Française orientiert; es kann auch in kurze Ariosi übergehen. Die T. weist verschiedene Airtypen (2- und 3teilige und Refrain-Airs), Duette, Terzette und große Chorpartien, an Instrumentalstücken die sog. frz. r Ouvertüre, deskriptive Symphonies oder Préludes und große Ballettszenen auf. Der Prototyp der T. - Lully schrieb fast jedes Jahr eine T., zuletzt Armide et Renaud (1686) - blieb auch nach Lullys Tode bis in die Mitte des 18. Jh. hinein maßgebend, so u. a. für M.-A. Charpentier, A. Campra, H. Desmaret, M. P. de Montéclaire, A. C. Destouches und J.-J. Mouret. So stand auch J.-Ph. Rameau fest in der Tradition der Lullyschen T., wenn auch mit erweiterten musikalischen Mitteln (z. B. Steigerung des Ausdrucks im Rezitativ, differenziertere Behandlung des Orchesters). Nach Rameaus Tode trat die T. in der Gunst des Publikums gegenüber der neueren Gattung der Opéra-comique in den Hintergrund. Erst Chr. W. Gluck brachte mit seiner Iphigénie en Aulide (1774) die T. wieder zu Ehren ; er übernahm Geist und Thematik der Gattung, die er musikalisch mit neuen Mitteln realisierte. Auch Glucks musikalische Gestaltung steht in enger Wechselwirkung mit Drama und Sprache; während jedoch bisher das Rezitativ Vers und Versbau peinlich genau berücksichtigt hatte, behandelt es Gluck nunmehr frei nach dem Vorbild des it. Recitativo accompagnato und streicht vor allem mit dem Orchester die expressiven Momente und dramatischen Höhepunkte heraus - das Rezitativ, das auf Einfachheit und Wahrheit zielt, wird zur musikalischen „Prosa". Konform mit der neuen Auffassung von musikalischem Theater in Frankreich wird am Ende des 18. Jh. die T. durch das r Drame lyrique abgelöst. Lit.: J. ÉCORCHEVILLE, De Lully à Rameau. L'esthétique musicale (P 1906); R. ROLLAND, Musiciens d'autrefois (P 1908, 1 .1947), dt. Übers.: Musiker von ehedem (Mn 1925, NA Olten 1951); H. ABERT, W. A. Mozart 1 (L 1919, °1973); R. GUIET, L'évolution d'un genre. Le livret d'opéra en France de Gluck à la Révolution (P 1936); J. VIER, Histoire de la littérature française, 11: XVIII' siècle (P 1970); E. GIULIANI, Le public et le répertoire de l'Opéra à l'époque de J. J. Rousseau 1749-1757 (Diss. P 1971);
C. GIRDLESTONE, La tragédie en musique considérée comme genre littéraire (1673-1750) (G 1972); J. R. ANTHONY, French Baroque Music from Beaujoyeulx to Rameau (Lo 1973, 21978 [revidiert]). — r Ballet de cour, /Open
TRAGÉDIE LYRIQUE (fa., = lyrische [ = musikalische] Tragödie), seit dem 18. Jahrhundert Benennung für die r Tragédie en musique. TRAKTUR, bei der t Orgel Bz. für die Verbindung zwischen Tasten und Tonventilen (Spielfraktur) oder Registerzügen und Registerventilen bzw. -schleifen (Registertraktur). TRANSKRIPTION (engl. und frz.: transcription; it.: transcrizione). - 1) In der Musikwissenschaft Bz. für das Übertragen alter, heute nicht mehr unmittelbar lesbarer musikalischer Zeichen (Neumen, Mensuralnotation, Tabulaturen) in die heutige Notenschrift, das praktischen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen soll (OE Edition). Auch schriftlich nicht vorfixierte Musik wird häufig nach einer Tonaufnahme - aus Gründen wissenschaftlicher Erfassung und Auswertung umgesetzt in Noten (OE Musikethnologie). Wichtig ist, daß die T. eine Bearbeitung darstellt, niemals einen vollgültigen Ersatz des Originals bietet. - 2) In der Musik Bz. für die Umsetzung eines Stückes auf einen anderen als den ursprünglich vorgesehenen Klangkörper. Seit dem 14. Jh. sind Vokalwerke in Orgel-, später auch in Lauten-? Tabulatur „abgesetzt", „intavoliert" (f Intavolieren) worden. Eine neue Bedeutung gewann der Terminus T. im 19. Jh.: Fr. Liszt bezeichnete seine Klavierübertragungen - neben Fantasien, Reminiszenzen, Illustrationen, t Paraphrasen -besonders dann als T.en, wenn sie Lieder getreulich nachzeichnen. Fr. Schuberts Lieder etwa sind erst in den T.en Liszts einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden. Im Anschluß an Liszt wurden häufiger Stücke, die vorgegebene Kompositionen oder musikalisches Material reflektieren, T. genannt (z. B. O. Respighi, Rossiniana). Lit.: Zu 1): O. ABRAHAM E. M. VON HORNBOSTEL, Vorschläge für die T. exotischer Melodien, in: SIMG 11 (1909/10); E. GERSON-KIWI, Towards an Exact T. of Tone-Relations, in: AMI 25 (1953); D. STOCKMANN, Das Problem der T. in der musikethnolog. Forsch., in: Dt. Jb. für Volkskunde 12 (1966); M. HOOD, The Ethnomusicologist (NY 1971). — Zu 2): F. BUSONI, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (L 1916); P. RAABE, Liszts Schaffen (St — B 1931); L. LUETZEN, Die Violoncell-T.en F. Grützmachers (Rb 1974) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 79); H. Loos, Zur Klavierübertragung von Werken für u. mit Orch. des 19./20. Jh. (Diss. Bonn 1980). H. LOOS
TRANSMISSION (von lat. transmittere = über-
führen), bei der Orgel ein platzsparendes Umschaltsystem, durch das ein oder mehrere Register 159
Transponierende Instrumente eines Manuals ohne Betätigung der Koppel im Pedal oder auf einem anderen Manual mitspielen. Diese Stimmen sind durch je einen besonderen Registerzug, oft mit anderen Namen, gekennzeichnet. Die so transmittierten Stimmen ersparen eine ganze Pfeifenreihe. T.en können auch in verschiedenen Tonhöhen auf einem Manual oder dem Pedal eingerichtet werden. - Beispiele: Bourdon 16' erklingt im Pedal als Bourdonbaß 16' (Einsparung von 30 Pedalpfeifen); Oktav 4' erklingt im selben Manual auch als Oktav 2' (anstatt 2 x 56 Pfeifen nur 67, Einsparung von 45 Pfeifen). TRANSPONIERENDE INSTRUMENTE, Bz. für diejenigen Instrumente, für die die Musik in einer anderen Tonart notiert wird, als sie erklingt. Die Notierung erfolgt im Violinschlüssel mit c' als Grundton für jedes Instrument. Die Note c' stimmt jedoch beim Spiel auf einem transponierenden Instrument nicht mit dem real erklingenden Grundton überein, der - je nach Länge des Instrumentenkörpers - entsprechend höher oder tiefer erklingt. Daher ist immer die genaue Angabe des tatsächlichen Grundtons für T. nötig, so klingt z. B. auf einem Horn „in B" das notierte c' als b, d. h. eine große Sekunde tiefer, auf einer Klarinette „in A" als a, d. h. eine kleine Terz tiefer, auf einer Trompete „in hoch B" als b', d. h. eine kleine Septime höher. Wenn z. B. eine Klarinette in A die folgenden Noten (W. A. Mozart, Rondo zu einem Quintett A-Dur, KV Anh. 88 = 581 a) spielt
4,— r r
I _Ir -r_r r
-
so erklingen die Töne
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Umgekehrt müßten, wenn die notierten Töne
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erklingen sollen, folgende Noten gespielt werden
. _rr rř Zu den T. gehören ausschließlich Blasinstrumente, im weiteren Sinne aber auch alle Instrumente, die eine oder mehrere Oktaven höher oder tiefer klingen, als sie notiert sind, weil bei realer Notation zu viele Hilfslinien benötigt würden. Das gilt z. B. für die Piccoloflöte in c2, das Kontrafagott, Tenorund Baßsaxophon in c und C, den Kontrabaß, die Gitarre und die Laute. Für Blasinstrumente wurde die transponierende Notation im 17./18. Jh. einge160
führt, zuerst für Hörner, dann auch für Trompeten. Weil auf diesen Instrumenten nur die Töne gespielt werden konnten, die zu den r Naturtönen des Instrumentengrundtons gehörten, benötigte man je nach vorgeschriebener Tonart mehrere Instrumente mit verschiedenen Grundtönen oder verschiedene l Stimmbogen für ein Instrument. Auch bei Holzblasinstrumenten wurden viele verschiedene Größen mit unterschiedlichen Grundtönen entwickelt, so daß ein Musiker, der meistens mehrere Instrumente der gleichen Familie spielte, bei klingender Notierung für jedes Instrument einen anderen Fingersatz hätte lernen müssen, so z. B. einen für die nichttransponierende Oboe in c', einen anderen für die Oboe d'amore in a oder für das Englisch Horn in F oder aber viele verschiedene für die insgesamt 12 Klarinettentypen. Dagegen kann er, bei immer gleicher Griffloch-, Klappen- oder Ventilanordnung und gleichbleibender Notierung in c' stets den gleichen Fingersatz anwenden. Die heute am häufigsten im Orchester verwendeten T. sind Englisch Horn in F, Klarinette in B und A, Baßklarinette in B und A, Horn in D, Es oder F, Trompete in B, D, Es und F und Kornett in B und in A. Einige Komponisten des 20. Jh. sind dazu übergegangen, die T. wieder klingend zu notieren, so u. a. A. Schönberg, A. Berg, A. Webern, S. Prokofjew oder A. Honegger. In diesem Zusammenhang ist auch die „Einheitspartitur" von H. r Stephani zu erwähnen. Lit.: N. HERZ, Theorie der transponierenden Musikinstr. (W 1911); H. ERPFF, Lehrbuch der Instrumentation u. Instrumentenkunde (Mz 1959); A. C. BANES, Transposing Instruments, in: M. BRÖCKER Grove' XIX.
TRANSPONIERENDE KLAVIATUR heißt bei Tasteninstrumenten (Orgel, Cembalo, Klavier) eine Klaviatur, die versetzt oder verschoben werden kann, um das Transponieren von einer Tonart in eine andere, z. B. bei der Gesangsbegleitung je nach Stimmlage des Sängers, zu erleichtern. Wird eine T. entsprechend benutzt, so erklingt eine andere Tonart als die auf der Tastatur gespielte. Transponierende Klaviaturen sind seit dem 16. Jh. nachzuweisen. Bereits A. Schlick (Spiegel der Orgelmacher und Organisten, 1511) erwähnt 2 Orgeln mit Klaviaturen, die sich um einen Ganzton seitwärts verschieben ließen. Eine andere Art der T. wurde besonders häufig bei Transpositionscembali benutzt, deren 2 Manuale um eine Quarte versetzt waren, so daß die Taste C auf dem einen Manual als C, auf dem anderen, transponierenden als F erklang. Für einmanualige Tasteninstrumente wurden zahlreiche verschieden transponierende Klaviaturen entwickelt, mit deren Hilfe die angeschlagenen Töne einen Halbton, einen Ganzton
Traquenard oder ein anderes Intervall höher oder tiefer klangen. Erst die Einführung der temperierten t Stimmung ermöglichte den Gebrauch der T. über die ganze Oktave. Seit der 2. Hälfte des 18. Jh. wuchs daher die Anzahl der neuentwickelten transponierenden Klaviaturen und führte vor allem in England und in Frankreich im 19. Jh. zu einer unübersehbaren Fülle von Konstruktionen, bis zu der von A. Wolff (Paris 1873) erfundenen T., die auf jedes Klavier aufgesetzt werden konnte. Heute ist man davon abgekommen. Lit.: T. NORLIND, Systematik der Saiteninstr., II: Gesch. des KIv. (Hannover 1939); A. MENDEL, Devices for Transposition in the Organ before 1600, in: AMI 21 (1949): E. M. RIPIN, The Two-manual Harpsichord in Flanders before 1650, in: GalpinJ 21 (1968); DERS., Transposing Keyboard, in: Grove XIX. M. BRÖCKER
TRANSPOSITION (von lat. transponere = versetzen), Bz. für die Versetzung musikalischer
Strukturen auf eine andere Stufe eines Tonsystems; hierbei bleiben die ursprünglichen Relationen der Intervalle zueinander erhalten. Zwar spricht man bisweilen auch mit Bezug auf das Tonsystem der antiken Musiktheorie von T. (z. B. bei T.-Skalen oder -Modi), jedoch dann in anderem Sinn (r Ptolemaios, r Systema teleion, r Oktoechos, r Kirchentöne). T. im oben definierten Sinn tritt als Praxis der musikalischen Ausführung, als Mittel der Bearbeitung von Musikwerken sowie als satztechnischer (meist formbildender) Sachverhalt auf. In der musikalischen Aufführungspraxis ist es bei rein vokalen Besetzungen nicht üblich, von T. zu sprechen, wenn in anderen, der Stimmlage (z. B. eines Chores) angemessenen Tonarten gesungen wird. Treten jedoch Begleitinstrumente (z. B. Orgel oder Klavier) hinzu, so wird hier T. erforderlich, wie auch bei unterschiedlicher Höhe des f Stimmtons. Mechanische Transpositionsvorrichtungen (r Transponierende Klaviatur) haben sich nicht durchsetzen können. Nicht selten ist zu transponieren, um die Klavierbegleitung an die Stimmlage des Sängers anzupassen ; hier halten die Verlage häufig Ausgaben für hohe, mittlere oder tiefe Stimme bereit. Zwar wurde bisweilen über die ästhetische Problematik der Werktreue solcher T.en diskutiert, doch haben die Komponisten selbst diesem Verfahren meist bedenkenlos zugestimmt, erleichterte es doch die Verbreitung ihrer Lieder. Die neue Schubert-GA enthält für einige Liedsammlungen zusätzliche transponierte Ausgaben für unterschiedliche Stimmlagen. In der Instrumentalmusik ist T. häufig ein Mittel der Bearbeitung, insbesondere bei Uminstrumentationen: W. A. Mozarts Konzert KV 314 steht für Flöte in D-Dur, für Oboe in C-Dur; L. van Beetho-
ven transponierte die Streichquartettfassung seiner Klv.-Sonate E-Dur op. 14, 1 nach F-Dur (um die C-Saiten von Viola und Violoncello als Grundton der Dominanttonart C-Dur verwenden zu können), und Fr. Schuberts Impromptu op. 90, 3 (D 899) in Ges-Dur erschien seit der Erstausgabe häu-
fig (mit zusätzlich erleichterter Taktvorzeichnung) nach G-Dur transponiert. Als Bearbeitungsmittel hat insbesondere J. S. Bach die T. fremder und eigener Werke überaus häufig und aus den unterschiedlichsten Gründen angewandt: seine Cembalofassung des V.-Konzerts G-Dur op. 3, 3 von A. Vivaldi steht in F-Dur (BWV 978); dasselbe T.sVerhältnis besteht zwischen dem 3. Brandenburgischen Konzert (BWV 1049) in G-Dur und der Bearbeitung als Cemb.-Konzert in F-Dur (BWV 1057); der erste Satz der III.-Partita E-Dur (BWV 1006) erscheint in der Sinfonia der Kantate Nr. 29 für Orchester mit obligater Orgel (BWV 29) in DDur, und das Magnificat (BWV 243) stand zunächst in Es-Dur und wurde erst später nach DDur transponiert. Als formbildendes Element tritt das satztechnische Mittel der T. z. B. in der Fugendurchführung (. Fuge), in der Reprise der Sonatensatzform oder in der Reihentechnik der t Zwölftonmusik und der r seriellen Musik auf. Auch bestimmte Satztechniken wie t Sequenz oder r Imitation beruhen gelegentlich auf dem Mittel der T. (r Rosalie). TRAPP, Max Hermann Emil Alfred, * 1. 11. 1887 Berlin, t 31.5. 1971 ebd.; dt. Komponist. Er studierte bei P. Juon und E. von Dohnányi und lehrte 1920-34 an der Berliner Musikhochschule, 1924-30 am Konservatorium in Dortmund sowie 1951-53 am Städtischen Konservatorium in Berlin. Außerdem leitete er 1934-45 eine Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste in Berlin. In seinem spätromantischen Schaffen steht T. in der Nachfolge von M. Reger, R. Strauss und H. Pfitzner. WW: KIv.-Stücke; Kammermusik. — 7 Symphonien; Konzerte für: V. (1925); Klv. (1931); Vc. (1938). — Vokalwerke, u. a. Vom ewigen Licht (1942) für Sopran, Bar., Chor u. Orch. — Ferner Musik zu einem Schattenspiel Der letzte König von Orplid (nach Mörike), VA: Königsberg 1922. Lit.: E. KROLL, T., in: MGG XIII.
TRAQUENARD, Bz. für einen wenig bekannten raschen frz. Tanz im Vierertakt (% oder C), für den der punktierte, den Trab eines Pferdes nachahmende Rhythmus J7J J.D 13 J charakteristisch ist. Der T. findet sich auch in dt. Instrumentalsuiten des 17. Jh., insbesondere bei von frz. Musik beeinflußten Komponisten wie Ph. H. Erlebach, Georg Muffat oder J. C. F. Fischer. 161
Trauermarsch TRAUERMARSCH (engl.: funeral march; frz.: marche funèbre; it.: marcia funebre; span.: marcha fúnebre), Bz. für einen speziellen ř Marsch-Typus, der durch seinen langsamen Schreitrhythmus mit einem tatsächlichen, bühnenmäßig dargestellten oder gedachten Trauerzug verbunden ist. Ein Vorläufer ist das frz. lTombeau, ein frühes Beispiel der Dead march in G. Fr. Händels Saul (in C-Dur mit Streichern und Trompeten). Die Ausnahmestellung eines solchen Stückes entspricht der zeitgenössischen Auffassung, daß ein musikalischer Marsch eigentlich einen freudigen Charakter haben müsse; nach J. Mattheson (1739) soll er „niemals lustig genug seyn: traurig, kläglich, jämmerlich und weinend darff man ihn eben nicht machen". Das ändert sich jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts. Die Marches lugubres (nun in Moll und meist mit einer „düsteren" Instrumentation) gehören zum festen Bestand der frz. Revolutionsmusik. Zu den bekannten Komponisten zählt Fr. J. Gossec. Möglicherweise empfing von dort L. van Beethoven Anregungen für seine Trauermärsche in der Klaviersonate op. 26 und in der Sinfonia eroica. Sie sind zusammen mit Fr. Chopins berühmter Manche funèbre aus der Klv.-Sonate b-moll Modelle geworden für die zahlreichen ähnlichen T.-Charakterstücke, vor allem in der Klaviermusik des 19./20. Jahrhunderts. Auch in Opern dieser Zeit erscheinen Trauermärsche, so in R. Wagners Götterdämmerung und in G. Puccinis Turandot. Lit.: H. LEICHTENTRITT, Musikal. Formenlehre (L 1911, '1971) (— Hdb. der Musiklehre 8), erweiterte engl. Übers.: Musical Form (C/M — Lo 1951, NA C/M 1956, 1961). B. HÖFELE
TRAUTONIUM, Bz. für ein von dem Physiker Dr. Friedrich Trautwein (1888-1956, seit 1935 Professor an der Musikhochschule Berlin) konstruiertes elektronisches Musikinstrument mit Niederfrequenz-Kippschwingungsgenerator, elektrischen Formantkreisen und Spielmanual, dessen horizontal liegende Metallsaite als elektrische Widerstands- und Kontaktvorrichtung wirkt. Das Gerät wurde auf dem Berliner Fest „Neue Musik" 1930 vorgestellt, AEG und Telefunken bauten Modelle. P. Hindemith komponierte Sechs Stücke für 3 Trautonien (1930) und ein Konzertstück mit Streichorch. (1931). Sein und Trautweins Schüler Oskar Sala verhalf dem Instrument als Virtuose (u. a. mit den Berliner Philharmonikern), Komponist und Theoretiker zum Durchbruch und entwickelte es weiter zum 2manualigen Mixtur-T. (Patente in Deutschland, Frankreich und den USA), das zur Keimzelle seines Berliner elektronischen Studios wurde. Auf diesem Gerät ist die in der Natur nicht 162
existierende Untertonreihe realisierbar. Es erlaubt eine Klangfarbensynthese von größter Variationsbreite. Abklingvorrichtung, Rauschgenerator und Frequenzumsetzer ermöglichen feinste Nuancierungen. Weitere Originalwerke schufen P. Höffer (Kleine Kammermusik, 1932), H. Genzmer (2 Konzerte mit Orchester, 1937, 1952; Suite de danses, 1964; Cantate pour soprano et sons éléctroniques, 1964), Hermann Ambrosius (Rhapsodie, 1941), J. Weismann (Variationen und Fuge mit Orch., 1943), Klaus Jungk (Musik für T. und Streichquartett, 1951), J. Baur (Concertino, 1956) und Helmut Riethmüller (Konzert mit Orch., 1957). P. Dessau zog das Instrument in der Oper Lucullus (1951) heran, C. Orff in der Entrata (1954). O. Sala komponierte und spielte Musik für zahlreiche Spiel-, Kultur- und Fernsehfilme, u. a.: The Birds (Alfred Hitchcock 1963); Stahl, Thema mit Variationen (Mannesmann 1960); Der Fächer (Musikpreis Industriefilm-Forum Berlin 1962); A fleur d'eau (Goldene Palme, Cannes 1963); Resonanzen und Suite für elektronisches Schlagwerk (1970); Musique stereo (1972) ; Elektronische Impressionen (1979). Lit.: F. TRAUTWEIN, Elektrische Musik (B 1930); O. SALA, Experimentelle u. theoret. Grundlagen des T.s, in: Frequenz 2 (1948/49); F. TRAUTWEIN, Elektron. Klangerzeugung u. Musikästhetik, in: Jb. der Techn. Hochschule Aachen 6 (1954); DERS., Perspektiven der Musikelektronik, in: Gravesano, hrsg. v . Meyer-Eppler (Mz 1955); O. SALA, Elektron. Klanggestaltung mit dem Mixtur-T., in: ebd.; DERS., Subharmonische elektrische Klangsynthese, in: Klangstruktur u. Musik, hrsg. v. F. Winckel (B 1955); DERS., Mixtur-T. in der Studiotechnik, in: Gravesaner Blätter 7 (1962). S. GOSLICH
TRAUTWEIN, Friedrich, schuf das řTrautonium. TRAVIATA, LA (dt. wörtlich : Die Entgleiste), Oper in 3 Akten von G. Verdi, Text von Fr. M. Piave nach dem Roman La dame aux camélias (Die Kameliendame) (1848) von Alexandre Dumas d.J. Ort u. Zeit der Handlung: Paris, um 1700. UA: 6.3. 1853 Venedig (Teatro La Fenice); dt. EA (in dt. Sprache): 10. 11. 1857 Hamburg. La Traviata beschließt nach Troubadour die berühmte Trias der mittleren Schaffensperiode Verdis, die seinen Weltruhm begründete. Mit einem Buckligen, einer Zigeunerin und einer tuberkulösen Lebedame macht der Komponist Randfiguren der Gesellschaft bühnenfähig. In La Traviata wagt er es, das unheldenhafte Sterben einer jungen Frau auf der Bühne darzustellen, das schmählich hilflose Dahinsiechen in einer Krankenstube. Zum ersten Male wird das Sterben künstlerisch ergreifend gestaltet anstelle der ekstatisch-heroischen Hingabe an den Tod. 1852 lernte Verdi die Bühnenfassung des Romans kennen, dessen Inhalt auf eine
Trecento
wahre Begebenheit zurückgeht und der zum Bestseller wurde. Er ist tief beeindruckt: Das Thema ist noch brandaktuell. „Ein anderer hätte das vielleicht nicht komponieren können", gestand Verdi später in einem Brief, „wegen der Zeit, wegen tausend anderer dummer Hemmungen. Ich tat es mit besonderem Wohlgefallen." - „Einfach und voll Leidenschaft": so charakterisiert Verdi den Stoff der Oper. Einfach und leidenschaftlich ist auch die Musik. Verdi experimentiert nicht, das Orchester begleitet. Nur gelegentlich, namentlich in den Vorspielen zum 1. u. 3. Akt, wird spürbar, daß er neben der Singstimme auch die Seelengewalt des Orchesters entdeckt. Verdi gelingt es, jede einzelne Nummer zu einem musikalischen Kabinettstück zu formen. Das bestimmt den anhaltenden Welterfolg der Oper. Dennoch wurde die UA zum Fiasko. Die unschuldig Schuldige ist Fanny Salvini-Donatelli, die erste Traviata, deren üppige Proportionen kaum denen einer erfolgreichen Lebedame und schon gar nicht dem körperlichen Habitus einer Lungenkranken entsprachen. Die Neubesetzung dieser Rolle brachte der Oper den durchschlagenden Erfolg. H. BECKER TRAXEL, Josef Friedrich, * 29.9. 1916 Mainz, t B. 10. 1975 Stuttgart; dt. Sänger (Tenor). Er studierte in Mainz und Darmstadt und debütierte 1942 in Mainz als Don Ottavio in W. A. Mozarts Don Giovanni. Nach dem 2. Weltkrieg sang er zunächst am Stadttheater in Nürnberg und 1952-71 (1954 Kammersänger) an der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart. Gastspielverträge banden ihn zeitweise auch an die Wiener Staatsoper, an die Bayerische Staatsoper in München und an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg. 1952 wirkte er als Merkur in der Uraufführung von R. Strauss' Liebe der Danae erstmals bei den Salzburger Festspielen mit und 1953 erstmals in Bayreuth (1957-58 als Walther von Stolzing). In den 50er und 60er Jahren trat er häufig auch in anderen europäischen Musikzentren und seit 1957 in den USA auf. T., dessen Stimme besonders im Belcanto beeindruckte, beherrschte die großen Opernpartien seines Faches von W. A. Mozart bis R. Wagner und R. Strauss ; auch als Konzert- und Oratoriensänger fand er weite Beachtung. Seit 1953 war er Gesanglehrer (1965 Professor) an der Musikhochschule in Stuttgart. TREBLE (engl.; von lat. triplum), in England Bz. für eine hohe Vokal- oder Instrumentalstimme, insbesondere für eine Kinderstimme. Seit dem 14. Jh. wurde mit T. zunächst die oberste Stimme eines 3st. Satzes bezeichnet. Im 4st. Satz oder .. Sight trat der Quatreble, meist eine Quinte höher
als der T., darüber. Nach dem 15. Jh. blieb der Terminus T. neben den Synonymen Superius, Cantus und Discantus gebräuchlich. Im 18. Jh. wurden diese Termini durch die Bz. Sopran bzw. Soprano verdrängt; lediglich für Kinderstimmen und im Zusammenhang mit bestimmten Instrumenten blieb T. erhalten (z. B. T. recorder = Altblockflöte, im Unterschied zu Descant recorder = Sopranblockflöte). Der G- oder Violinschlüssel heißt im Englischen T. clef. TRECENTO (it., = [11300), auch im Deutschen
verwendete kunstwissenschaftliche Bz. für das it. 14. Jahrhundert. Die Musik des T. ist in etwa zeitgleich mit der r Ars nova, die eigentlich lediglich Frankreich betrifft. Jedoch bezeichnet man im musikwissenschaftlichen Schrifttum in einem weiteren Sinne oft das T. als eine it. Ars nova. - Das T. ist charakterisiert durch eine Wiederbelebung der musikalischen Schaffenskräfte und manifestiert sich hauptsächlich auf weltlichem Gebiet mit der reichen und vielfältigen Entwicklung der mehrstimmigen Gattungen, während das interessanteste Phänomen der it. Musik im 13. Jh. die 1 st. l Lauda ist. Diese Entwicklung vollzieht sich in Mittel- und Norditalien (Florenz, Padua, Bologna, Perugia) und wurde begünstigt durch die Umwandlung der sozialen Verhältnisse. Die wichtigsten musikalischen Hss., die dieses Repertoire überliefern, sind: Ms. Rossi 215 der Bibl. Vaticana in Rom (um 1370-80); Codex 299 987 des BrM (Ende 14. Jh.); Ms. italien 568 und Ms. français 6771 (Codex Reina) der Bibl. Nat. in Paris; Codex Panciatichiano 26 der Bibl. Nazionale in Florenz; Codex Pal. 87 (Codex Squarcialupi) der Bibl. MediceaLaurenziana in Florenz. Außerdem finden sich Komponisten der letzten Phase der Musik des T. im Ms. 1047 des Musée Condé in Chantilly 1047, im Codex M.5.24 (Lat. 568) der Bibl. Estense in Modena, im Ms. J. II.9 der Bibl. Nazionale in Turin und im Ms. Q.15 des Civico Museo Bibliografico Musicale in Bologna. Aus diesen Hss. sind auch die Namen der Komponisten bekannt, die zwischen 1325 und 1425 wirkten: Giovanni da Cascia, Piero, Jacopo da Bologna, Laurentius de Florentia, Gherardello de Florentia, Vincenzo da Rimini, Donatus de Florentia, Nicolaus de Perugia, Bartolino da Padova, Paulus de Florentia, Gratiosus de Padua, Andreas de Florentia, Zacharias, Anthonello da Caserta, Bartolomeo da Bologna, Matteo da Perugia, Corrado da Pistoia und vor allem Fr. Landino, schließlich der Niederländer J. Ciconia, der durch die Musik des T. nachhaltig beeinflußt wurde. Die Musik des T. steht in Zusammenhang mit der 163
Tredezime Entwicklung einer eigenständigen Notation (r Notenschrift, dort eigener Abschnitt im Kap. Mensuralnotation; vgl. auch r Divisiones, r Punctus 5). Die Hauptgattungen der T.-Musik sind r Madrigal, r Caccia und r Ballata. Diese Kunst, die in der älteren frz. und engl. Tradition wurzelt, scheint ziemlich plötzlich in Italien aufgebrochen zu sein. Zwei Traktate, die Summa artis rytmici vulgaris dictaminis von Antonio da Tempo (1332) und der Trattato de li ritmi volgari von Ghidino da Sommacampagna, geben darüber Aufschluß. Vorangegangen war der Entwicklung der T.-Musik die große literarische Blütezeit des „dolce stile nuovo", dessen zutiefst lyrische Inspiration in Formen einmündete, die - sogar terminologisch - eine Verbindung mit dem Gesang widerspiegeln (Ballade, Kanzone). Poesie und Musik sind in dem neuen mehrstimmigen Stil immer eng verbunden. Die größten Dichter erscheinen als Verfasser der Texte: Fr. Petrarcas La fiera testa wurde von Bartolino da Padova, Non al suo amante più Diana piacque von Jacopo da Bologna vertont, Giovanni Boccaccios Non so qual'i mi voglio von Laurentius de Florentia, Franco Sacchettis Povero pellegrin von Nicolaus de Perugia, Altri n'arà la pena von Landino. Dem höfischen Milieu entstammend, vermitteln die etwa 600 erhaltenen Kompositionen des T. eine Kunst von einfacher und spontaner Inspiration und nicht ohne Raffinement. Die Melodik der Gesänge ist reich und fließend, ihre Rhythmik frei und abwechslungsreich, ihre Harmonik tendiert bereits zur dominantischen Tonalität. Diese Kunst erschöpfte sich am Anfang des 15. Jh.; verschiedene politische Gründe trugen zu ihrem Niedergang bei, u. a. die Rückkehr des päpstlichen Hofes nach Rom 1377, die eine verstärkte Übernahme frz. Geschmacks und frz. Kompositionstechniken nach sich zog, sowie die Krise einiger der größten it. Signorien. Schließlich verbreiteten sich in Italien volkstümlichere Formen (r Strambotto, Dialektballaden) und die Musik nahm teil an der europäischen Verbreitung des Stils der r franko-flämischen Schule.
für das Intervall mit einer großen, kleinen, übermäßigen oder verminderten Sexte über der Oktave. TREGIAN, Francis, * um 1574, t 1619 London ; engl. Musikliebhaber. T. war Schüler der Jesuitenkollegien in Eu und Douai und 1592-94 Kammerherr von Kardinal Allen in Rom. 1605 nach England zurückgekehrt, wurde er 1609 wegen seines Glaubens eingekerkert. Während seiner Haft stellte T. das berühmte Fitzwilliam Virginal Book zusammen, die wichtigste Quelle englischer Virginalmusik des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts. Von seiner Hand stammen vermutlich aber auch 2 weitere wichtige Hss. dieser Zeit, die Hs. Egerton 3665 (London, BrM) und deren Fortsetzung, die Hs. Sambrooke (Sammlung Drexel der New York Public Library). Insbesondere die beiden letztgenannten Sammlungen zeigen eine deutliche Vorliebe für Werke katholischer Komponisten. Neben englischen Komponisten sind auch die bedeutendsten italienischen und niederländischen Meister der Zeit vertreten. Mehrere Kompositionen stammen von T. selbst. Lit.: TH. DART — R. MARLOWE, T.,
in: Grove" XIX.
TREMBLEMENT (frz.), r Triller.
TREMOLO (it., = zitternd). - 1) Bz. für eine schnelle Tonwiederholung, die auf Streichinstrumenten durch kleine, rasche Bewegungen des Bogens im Ab- und Aufstrich, auf Blasinstrumenten als r Flatterzunge, auf Schlaginstrumenten als r Wirbel, auf Zupfinstrumenten (zum Aushalten langer Töne) mit einem Plektrum hervorgebracht wird. Zu unterscheiden sind das T. mit rhythmisch genauer Ausführung und das T. mit rhythmisch unbestimmter, schnellstmöglicher Ausführung. Die Notierung erfolgt in Sechzehnteln oder Zweiunddreißigsteln, meist mit Hilfe von Abbreviaturen (z. B.I). Bereits 1617 in einer Triosonate von B. Marini vorgeschrieben, wurde das T. erstmals zum Ausdruck kriegerischen Geschehens bei Cl. Monteverdi (Il Combattimento di Tancredi e Clorinda, 1624) eingesetzt (r Stile concitato). - 2) Bz. für einen raschen, mehrmaligen Wechsel zweier verschiedener Töne. Auch hier wird die Ausführung meist durch Abbreviaturen angezeigt,
Ausg. u. Lit.: Sammel-Ausg. v. Musik des T. u. die wichtigste Lit.: r Caccia, r Madrigal, r Italien ; Ausg. von Werken der genannten Komponisten bei den entspr. Artikeln. — Neuere Lit.: M. L. MARTINEZ, Die Musik des frühen T. (Tutzing 1963) ( _ Münchner Veröff. z. Musikgesch. 9); K. VON FISCHER, Zum Wort-Ton-Problem in der Musik des it. T., in: FS A. Geering (Be— St 1972); F. A. GALLO, Marchetus in Padua u. die „franko-venetische" Musik des frühen T., in: AfMw 31 (1974); K. VON FISCHER, The Sacred Polyphony of the Italian T., in: Proc. R. Mus. Assoc. 100 (1973/74); D. BAUMANN, Die 3st. it. Lied-Satztechnik im T. (Baden-Baden 1979) (—Sig. musikwiss. Abh. 64); Italy, in: M. CAPPELLI Grove. IX
z. . - 3) Beim Gesang Bz. für eine dem Vibrato ähnliche (nicht mit ihm identische) Bebung eines Tones durch zu große Stimmintensität (Tremolieren).
TREDEZIME (von lat. tredecim = dreizehn), Bz.
TREMULANT, bei der Orgel Bz. für eine mecha-
r Ballata,
164
B.4__
Trexler nische Vorrichtung (Wippventil) im Windkanal. Der ursprünglich vor einzelnen Windladen disponierte T. wurde nach 1700 in den Hauptkanal eingebaut. Insbesondere bei Flötenregistern und Regalen war im dt. und frz. Orgelbau der schwache T. (frz.: tremblant doux) mit sich langsam bewegendem Wippventil, das den gleichmäßigen Luftstrom in leichte Bebung (Tremolo) versetzt, üblich. Der starke T. oder „stoßende Bock", bei dem sich das mit Blei beschwerte Wippventil rasch bewegt und heftige Windstöße erzeugt, wurde vor allem zu kräftigeren Zungenstimmen disponiert, deren Intonationsunregelmäßigkeiten durch ihn abgemildert wurden. Im 19. Jh. wurde der T. weitgehend durch schwebende Register (7 Unda maris, r Vox coelestis) verdrängt; erhalten blieb er bei der /Vox humana. Im 20. Jh. werden auch regulierbare T.en gebaut. TRENET, Charles, * 18. 5. 1913 Narbonne; frz. Chansonsänger, Komponist und Textdichter. Er studierte zunächst Kunst in Berlin und Paris und war seit 1930 als Filmdekorateur tätig. Zu dieser Zeit entstanden seine ersten Chansons (Fleur bleue, La polka du roi). 1937 debütierte er in Marseille mit dem Lied Je chante als Sänger eigener Chansons. 1938 folgte sein erster Auftritt in Paris (im Théâtre ABC). T.s La mer wurde ein Welterfolg. In Frankreich bekannt wurden besonders ra d'la joie, La route enchantée, La vie qui va, C'est bon, Mes jeunes années, L'âme des poètes, Pauvre Georges André, Sacre farceur und Mon village enLit.: M. ANDRY, Ch. T. (P 1953); P. MICHEL, Ch. T. (P 1964); M. PEREZ, Ch. T. (P 1965) (- Poètes d'aujourd'hui 125).
TREPAK (von altruss. trepati = stampfen), ein altrussischer Bauerntanz, bei dem mit den Füßen gestampft wurde, im 2/4-Takt und schnellen Tempo. Er wurde entweder von einem Einzeltänzer oder als Paar- oder Gruppentanz ausgeführt. Im Gegensatz zur Kamarinskaja und Baryschnja, denen er im Charakter nahesteht, ist der T. an keine bestimmte Melodie gebunden. Ihm liegt die rhythmische Struktur .:. ..... .... zugrunde, die in tanzartigen Weihnachtsliedern (koljadka), in den Gesängen der Skomorochen, in Scherz- und Tanzliedern sowie in Rundgesängen vorkommt. Der T. fand Eingang in die russische Kunstmusik, u. a. bei A. Rubinstein, P. Tschaikowsky (im Nußknacker und im V.-Konzert), N. Rimski-Korsakow (Sadko), M. Mussorgski (Lieder u. Tänze des Todes) und I. Strawinsky (Petruschka). TRETJAKOW, Wiktor Wiktorowitsch, * 11. 10.
1946 Krasnojarsk; sowjetrussischer Violinist. T. studierte seit 1959 in Moskau und erhielt 1965 den 1. Preis beim Allunionswettbewerb für ausübende Musiker und 1966 beim Tschaikowsky-Wettbewerb und spielt seither als 1. Solist in der Moskauer Philharmonie. T. konzertiert in der Sowjetunion sowie u. a. in Österreich, Frankreich, Italien und in den USA. Er vereinigt brillante Technik und kantable Schönheit des Geigentons mit einer bis ins letzte Detail ausgefeilten Werkinterpretation und zählt zu den führenden sowjetischen Violinvirtuosen der Gegenwart. TREXLER. - 1) Georg, * 9.2. 1903 Pirna an der Elbe, t 15. 12. 1979 Leipzig; dt. Komponist und Kirchenmusiker. T. studierte in Leipzig 1926-29 am dortigen Kirchenmusikalischen Institut Orgel (K. Straube), Tonsatz und Dirigieren und wirkte 1927-30 als Organist der katholischen Liebfrauenkirche und 1930-71 als Kantor und Organist an St. Trinitatis (Propsteikirche); 1947 wurde er KMD. 1935-70 lehrte T. am Konservatorium (seit 1942 Hochschule für Musik) die Fächer Orgel, Chorleitung und Partiturspiel für die Ausbildung katholischer Kirchenmusiker (1948 Professor). Die regelmäßig von ihm veranstalteten Konzerte mit dem Propsteichor fanden nach Zerstörung der Kirche seit 1945 hauptsächlich in der Universitätskirche statt. Insbesondere unter dem Einfluß A. Bruckners und J. S. Bachs sowie J. N. Davids schuf T. Kirchenmusik in einem tonal erweiterten, harmonisch herben und an der Gregorianik geschulten Stil. Rhythmische Vitalität und ein humorvoller Zug kennzeichnen besonders seine Instrumentalwerke. WW: Für Org.: Toccata über ein Thema aus dem Gloria der e-moll-Messe von A. Bruckner (1949); Introduktion und Passacaglia über ein Thema der VIII. Symphonie von A. Bruckner (1949); Partita über ein eigenes Thema (1965); Partita für Orgelpositiv (1979). - Sonate (1953) u. Suite (1958) für Vc. u. Klv.; Trio für V., Va. u. Klv. (1953); Bláserquintett (Spitzweg-Suite) (1956); Sextett für Bläserquintett u. Klv. (1959). - Für Orch.: Sinfonia
breve(1953); Toccata maestaso(1955); Konzert in D(1962); Symphonische Burlesken (1963); Konzerte für: Vc. (1952); Klv. (1953); Org., Str. u. Pauken (1959). - Motetten; Responsorien;
Litaneien; Proprien; Psalmen; Das Deutsche Te Deum (1976) für gem. Chor u. Org.; zahlr. dt. u. lat. Messen; Deutsches Ordinarium (1956-67); Kantaten Metanoeite (1951) für Bar.-Solo, gem. Chor u. Orch. sowie Assumpta est Maria (1958) für 4 Soli, gem. Chor u. Orch. - T. schrieb Liturgie und Kirchenmusik (L 1951).
2) Roswitha, Tochter von 1), * Leipzig; dt. Sängerin (Sopran). Sie war Schülerin von Agnes Giebel und an der Musikhochschule in Dresden und debütierte in J. S. Bachs Weihnachtsoratorium in der Leipziger Thomaskirche. Seit Beginn der 70er Jahre arbeitet sie vor allem mit zeitgenössischen Komponisten zusammen, u. a. mit L. Dallapiccola, 165
Triangel P. Dessau, H. W. Henze, W. Lutoslawski und L. Nono; internationale Anerkennung errang sie mit Liedern der Wiener Schule und H. Eislers sowie mit vertonten Songs von B. Brecht. R. T. betreute Interpretationskurse in den Niederlanden und in den USA und tritt in fast allen bedeutenden Musikzentren des Ostens und Westens auf. Schriften: Vorschläge, Eisler zu singen, in: MuGes 28 (1978); Was
der Sänger von Brecht lernen kann oder Meine Auffassung von Weill in: Brecht-Jb. 1979; Kritik als Spar. Erfahrungen mit Gesangs-Satiren von DDR-Komponisten, in: MuGes 29 (1979) ; Erfahrungen mit Mozart und Mahler, in: Eiserne Lerche (1980). Lit.: Zu 1): R. WALTER, in: MuA 7 (1954/55); G. BERGER, Zum kirchenmusikal. Schaffen G. T.s, in: MuA 12 (1960); R. WALTER,
in: MS 93 (1973); F. A. STEIN, Ein ganz Großer der Kirchenmusik ging heim. G. T...., in: MS 100 (1980). - Zu 2): W. SANDNER, Vom Charme der Wiener Schule gefesselt. Porträt R. T., in: Musik u. Medizin 5 (1979). B. A. KOHL
TRIANGEL (von lat. triangulum = Dreieck; engl., frz.: triangle; it.: triangolo; span.: triángulo), Bz. für ein Schlaginstrument, bestehend aus einer Stahlstange, die zu einem gleichseitigen Dreieck (Seitenlänge 30 cm) geknickt ist. An einer Schnur hängend, wird das T. (auch der bzw. die T.) mit einem Stahlstäbchen, dessen Länge und Dicke unterschiedlich sein kann, angeschlagen. Der helle, klingelnde Klang des T.s zeichnet sich durch großen Obertonreichtum aus, der eine genaue Tonhöhenbestimmung unmöglich macht. Das T. ist in Europa seit dem MA bekannt. Es wurde im 18. Jh. im Gefolge der r Janitscharenmusik in das Orchester eingeführt, z. B. im Zusammenhang mit der Hervorhebung von Orientalismen (OE Exotismus), wie etwa in der Entführung aus dem Serail von W. A. Mozart, oder als Nachahmung von Militärmusik, wie z. B. in der 9. Symphonie von L. van Beethoven. Seitdem gehört es fest zum Orchesterinstrumentarium und wird als r Schlagzeug-Instrument auch häufig solistisch eingesetzt. TRIAS HARMONICA (mittellat., = harmonische Dreieinigkeit), in der dt. Musiktheorie des späten 16., 17. und frühen 18. Jh. Bz. für einen konsonierenden Dreiklang, und zwar entweder als T. maior bzw. perfecta oder naturalis (= konsonierender Dreiklang mit großer bzw. vollkommener oder natürlicher Terz) für den Durdreiklang oder als T. minor bzw. imperfecta oder mollis (= konsonierender Dreiklang mit kleiner bzw. unvollkommener oder weicher Terz) für den Molldreiklang. Trias anarmonica bezeichnet einen dissonierenden Dreiklang. - Nachdem vor allem J. Lippius (1612) die Anerkennung des Dreiklangs als vollkommenster Harmonie durchgesetzt hatte, wurde der Dreiklang in Anlehnung an die ma. Tradition, die die Zahl Drei von der hl. Dreieinigkeit ableitet und 166
daher als vollkommen betrachtet, als Symbol der göttlichen Trinität gedeutet. TRICARICO, Giuseppe, * 25.6. 1623 Gallipoli (Apulien), t 14. 11. 1697 ebd. ; it. Komponist. T. erhielt seine erste Ausbildung in Neapel, ließ sich später in Rom nieder und wurde 1654 Kapellmeister an der Accademia dello Spirito Santo in Ferrara, wo 1655 seine Oper L'Endimionezur Aufführung kam. Von etwa 1660 bis 1663 war er Kapellmeister der Kaiserin Eleonore in Wien, für deren Hof er Oratorien und Opern im Stil der römischen Schule schrieb. Anschließend zog er sich nach Gallipoli zurück. WW: Concentus ecclesiastici für 2-4 St. u. B.c. (R 1649); weitere Motetten u. eine Messe hsl. bzw. in Sammeldrucken 1654-64; hsl. sind ferner erhalten: die Oratorien La gara della Misericordia e
Giustizia di Dio u. Adamo ed Eva; einige it. Kantaten. Lit.: A. CAVICCHI, T., in: MGG XIII.
TRICHET, Pierre, * 1586 oder 1587 Botdeaux, t 1644 ebd.; frz. Musiktheoretiker. T. war Advokat am Parlament in Bordeaux, sammelte daneben Instrumente und beschäftigte sich mit Organologie. Sein um 1640 vollendeter Traité des instruments de musique (hsl. Paris, Bibl. Ste-Geneviève) ist eine wichtige Ergänzung zu den organologischen Schriften von M. Praetorius und M. Mersenne, mit dem er in Briefwechsel stand. Ausg.: Traité des instruments de musique, hrsg. v. F. LESURE (Neuilly-sur-Seine 1957), Suppl. in: GalpinJ 15 (1962) u. 16 (1963). Lit.: E. M. RIPIN, The French Harpsichord Before 1650, in: GalpinJ 20 (1967).
TRICINIUM (lat., = Dreigesang), im 16. Jh. vor allem im dt. protestantischen Umkreis, wohl in Anlehnung an r Bicinium gebrauchte Bz. für eine 3st. Komposition im imitatorischen Stil, in der die Dreistimmigkeit als Kontrast zur regulären Vieroder Fünfstimmigkeit gesehen wird. Insbesondere Kompositionssammlungen, die 3st. Vokalund Instrumentalstücke unterschiedlicher Faktur und Komponisten enthielten und vor allem dem geselligen Musizieren dienten, wurden mit dem Titel Tricinien oder Tricinia veröffentlicht, so u. a. von G. Rhau, C. Othmayr, Gr. Aichinger, S. Calvisius und M. Franck. TRIENTER CODICES, eine Gruppe von 7 Musik-Hss. aus dem 15. Jh., die im Castello del Buon Consiglio bzw. im Archivio Capitolare zu Trient aufbewahrt werden (Sigel: Tr 87-93). Von verschiedenen Schreibern um 1440 und 1475 in Trient und für den dortigen Gebrauch geschrieben, enthalten die T. 1864 mehrstimmige, zumeist lat. geist-
Trio
liche Gesänge (Meßordinarien, -proprien, Motetten, Hymnen u. a.). Als Komponisten sind u. a. die großen Meister ihrer Zeit vertreten : G. Binchois, G. Dufay, J. Dunstable, H. Isaac und J. Ockeghem. Die T. stellen nach Umfang und Inhalt die bedeutendste Quelle für die Kenntnis der mehrstimmigen geistl. Musik des 15. Jh. dar. Ausg.: 1)TO 14/15 (mit themat. Ver. von Tr 87-92), 22, 38, 53, 61 (mit themat. Ver. von Tr 93), 76. Lit.: H. FEDERHOFER, T., in: MGG XIII (ausführliche Bibliogr.).
TRILLER (engl.: trill, shake; frz.: trille; it.: trillo; span.: trino), Bz. für eine Verzierung, die in einem mehr oder weniger schnellen Wechsel zwischen einem Hauptton („Hauptnote") und seiner Obersekunde („Nebennote") besteht. Der Terminus ist in dieser Bedeutung üblich seit der 2. Hälfte des 17. Jh. und geht von Frankreich aus, wo synonym auch die Begriffe „Tremblement" und „Cadence” verwendet wurden. „Trillo" hieß in der it. Musiklehre des frühen 17. Jh. eine Gesangsmanier: die schnelle Tonrepetition, wie sie vor allem auf der Paenultima einer melodischen Kadenz ausgeführt werden konnte. Der T. ist entstanden aus entsprechenden melodischen Formeln der r Kolorierungs- und t Diminu-, tions-Praxis des 16. Jahrhunderts. Wie die meisten anderen t Verzierungen wird er durch besondere Zeichen angegeben; seit dem späten 18. Jh. sind dies die typographisch standardisierten Anfangsbuchstaben des Wortes T. ohne oder mit nachfolgender, den T.-Vorgang nachzeichnender Wellenlinie, deren Vorhandensein und Länge sich nach dem verfügbaren Notationsraum richtet: . Die leiterfremde Erhöhung oder Erniedrigung der Nebennote wird durch ein Akzidenz über oder vor dem Zeichen angegeben: z. B. lďr oder b~6r. Es gibt kurze und lange Triller. Der kürzeste heißt r Pralltriller und wird durch - oder 9ér angezeigt. Für die Ausführung längerer T. (die sich von einer Zählzeit bis zu mehreren Takten erstrecken können) sind seit dem 18. Jh. bestimmte Arten des Beginns (der Vorbereitung) und des Endes zu unterscheiden, die jeweils durch Abbreviaturen oder kleinere Noten angezeigt werden : für den Beginn der einfache r Vorschlag von oben oder von unten, z. B. (in den Klv.-Variationen op. 34 von L. van Beethoven) : ie_piir• v _ s!a
und der r Doppelschlag; für das Ende der r Nachschlag (vgl. dort die Beispiele, von denen c auch den anklingenden Doppelschlag zeigt). Ein nicht
derart verzierter und notierter T. beginnt in der Regel mit dem Nebenton auf der Zeit (zumindest in der Musik bis zur Wiener Klassik), es sei denn, der vorangehende reguläre Ton ist bereits die Obersekunde, und er endet mit einem kurzen Anhalten auf dem letzten Ton. Es ist freilich zu beachten, daß die Lehre von den T.n höchst komplex und in ihrer Terminologie und ihren Ausführungsanweisungen von Autor zu Autor unterschiedlich ist. Gerade in diesem Fall widersprechen starre Regeln historisch und künstlerisch dem Wesen der Verzierungen insgesamt. Eine Folge von T.n auf verschiedenen Tonstufen nennt man „Trillerkette” oder „Kettentriller". Lit.: E. R. JACOBI, T., in: RIEMANN ML, Sachteil.
TRILLO (it.), t Triller.
TRIO (von it. tre = drei). - 1) Als Satz-Bz. bei Tänzen (z. B. Menuett) und Märschen ein zwischen dem Hauptteil und seiner Wiederholung eingeschobener Mittelteil. Der Terminus weist darauf hin, daß es sich ursprünglich um einen im Unterschied zur Vollbesetzung der Rahmenteile 3st. Satz handelte, so bei J.-B. Lully um einen Abschnitt in der Besetzung für 2 Ob. oder 2 Fl. und Fag. innerhalb einer 5st. Streicherbesetzung. In r Menuett und r Scherzo hat das T. seit der Wiener Klassik vollere Besetzung, ist in der Regel jedoch ruhiger gehalten als der Hauptsatz und weist kantable Melodieführung, häufig auch Tonart- und Tempowechsel auf. - 2) In einem umfassenderen Sinn im Unterschied zu /Terzett Bz. für eine Komposition für 3 solistische Instrumente, im allgemeinen auch für das entsprechende Instrumentalensemble. Während des Barock war die Triosonate (r Sonate) eine weit verbreitete Form. Seit dem 18. Jh. wird eine Sonate für 3 Instrumente meist T. genannt. Ihre häufigste Besetzung ist die für Klavier, Violine und Violoncello (Klavier-T.). Die ersten Kompositionen dieser Art zeigen ein Übergewicht des Klaviers, so noch bei J. Haydn, während später bei W. A. Mozart und L. van Beethoven die 3 Instrumente gleichwertig behandelt werden. Mozarts späte Klavier-T.s und das sog. Kegelstatt-T. (mit Klar. statt V. und Va. statt Vc.), Beethovens Klavier-T. op. 11 sowie Fr. Schuberts späte Klavier-T.s bedeuten den Höhepunkt der Gattung überhaupt. Seit der Romantik blieb das Klavier-T. beliebt; so schrieben F. Mendelssohn Bartholdy, R. Schumann, Fr. Chopin, J. Brahms, A. Dvořák, P. Tschaikowsky, E. Chausson, C. Saint-Saëns, M. Reger, M. Ravel und G. Fauré bedeutende Werke dieser Gattung. - Andere wichtige T.-Besetzungen stellen das Streich- und das 167
Triole Bläser-T. dar. Das Streich-T. in der Normalbesetzung mit Violine, Viola und Violoncello, das urspr. auch orchestral aufgeführt werden konnte (z. B. J. Stamitz, op. 1), ist seit Haydn und Mozart - ein Meisterwerk ist das Divertimento KV 563 - ausschließlich für solistische Besetzung bestimmt, so auch die Streich-T.s von Beethoven und Schubert. Während die Romantik diese Gattung vernachlässigte, schrieben im 20. Jh. Streich-T.s u. a. M. Reger, P. Hindemith, A. Roussel, D. Milhaud, A. Schönberg, A. Webern und B. Martina. Einen besonderen Fall der Streich-T.-Besetzung bilden die zahlreichen Divertimenti für Baryton, Va. und Vc., die J. Haydn für den Fürsten Esterházy geschrieben hat. - Bläser-T.s gibt es mit oder ohne Mitwirkung des Klaviers. Zu nennen sind das T. für 2 Ob. und Englisch Horn von Beethoven, die Serenaden für Fl., V. und Va. von Beethoven und Reger, die T.s für Klv., Klar. und Vc. von Beethoven, Brahms und V. d'Indy, das T. für Klv., V. und Horn von Brahms sowie die Sonate für Fl., Va. und Harfe von Cl. Debussy. Bläser-T.s für Ob., Klar. und Fag. wurden im 20. Jh. vor allem in Frankreich beliebt; Werke in dieser Besetzung schrieben u. a. Ch. Koechlin, J. Ibert, Milhaud, G. Auric und J. Françaix. - 3) Im besonderen Bz. für ein 3st. Orgelstück auf 2 Manualen und Pedal (Orgel-T.) nach dem Vorbild der T.-Sonate, wobei die beiden Oberstimmen auf die beiden Manuale verteilt sind. Bedeutende Werke dieser Art sind die Orgel-T.s BWV 583-584 von J. S. Bach. Lit.: Zu 2): W. ALTMANN, Hdb. für Klaviertriospieler (Wb 1934); A. KARSCH, Unters. z. Frühgesch. des Klaviertrios in Deutschland (Diss. Kö 1943); W. FISCHER, Mozarts Weg v. der begleiteten Klaviersonate z. Kammermusik mit Klv., in: MozartJb. 1956; R. CH. BLUME, Stud. z. Entwicklungsgesch. des Klaviertrios im 18.1h. (Diss. Kiel 1962); E. PLATEN, Beethovens Streichtrio D-Dur, op. 9 Nr. 2, in: Colloquium Amicorum. FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1967); H. UNVERRICHT, Gesch. des Streichtrios (Tutzing 1969) (= Mainzer Stud. z. Musikwiss. 2).
TRIOLE (engl.: triplet; frz. triolet; it.: terzina; span.: tresillo), Gruppe oder Folge von 3 Noten gleichen Werts, deren Dauer 2 oder 4 metrisch gleichwertigen Noten entspricht. Die T. wird in der Regel durch eine unter oder über die Noten gesetzte „3" gekennzeichnet. Beispiel für eine Achtel-T. :
TRIOSONATE, aus 2 thematisch gleichrangigen Melodiestimmen und B. c. bestehende Kammermusikgattung des 17./18. Jh. - ' Sonate. TRIPELFUGE r Fuge. TRIPELKONZERT 7 Konzert. 168
TRIPELTAKT r Takt. TRIPLUM r Duplum. TRISTAN-AKKORD, der aus einer Schichtung von Tritonus, großer Terz und Quarte bestehende Vierklang, der in der Einleitung zum 1. Aufzug von R. Wagners r Tristan und Isolde mit der werkimmanenten hohen Spannungsintensität als „umfassendstes Leitmotiv des ganzen Musikdramas" (E. Kurth) präsentiert wird.
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In der Orthographie von Takt 2 (in Takt 83 notiert Wagner gleichzeitig enharmonisch P-ces2-es2 as2 ; diese Akkordspannung nutzte auch L. van Beethoven im 1. Satz der Klaviersonate op. 31, 3) erscheint der Akkord als Umkehrung des gismoll-Klanges mit sixte ajoutée (oder als Unterseptimakkord des nicht klingenden a) in subdominantischer Funktion. Mit den Termini der Funktionentheorie wird der T. an dieser Stelle als dominantischer „Doppelleittonklang" E-Dur gedeutet: Terz und Quinte erklingen, der Grundton e wird durch die auseinanderstrebenden Leittöne f und dis2 vertreten (allerdings wird dis2 nicht in den erwarteten Grundton e2, sondern in dissonanter Septimparallele zum Baß in die Septime d2 des Zielklanges geführt). Da der T. in einer „Grundstellung" nicht aus der Tradition der Terzenschichtung erklärbar ist, wird er häufig als Wendepunkt zur Quartenharmonik und damit zur Atonalität bezeichnet. Lit.: K. GRUNSKY, Das Vorspiel u. der erste Akt v. „Tristan u. Isolde", in: R.-Wagner-1b. 2 (1907); E. KURTH, Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners „Tristan" (Be — L 1920, B '1923. Nachdr. Hil 1968); A. LORENZ, Der musikal. Aufbau v. R. Wagners „Tristan u. Isolde" (B 1927, Nachdr. 1968) (— Das Geheimnis der Form bei R. Wagner I I); M. VOGEL, Der T. u. die Krise der modernen Harmonielehre (Düsseldorf 1962); H. SCHARSCHUCH, Gesamtanalyse v. Wagners „Tristan" (Rb 1963); C. DAHI,HAUS, „Tristan"-Harmonik u. Tonalität, in: Melos/NZ 4 (1978). K. LANGROCK
TRISTANO, Lennie (Leonard Joseph), * 19.3. 1919 Chicago, t 18. 11. 1978 New York; amerik. Jazzmusiker (Klavier) und Bandleader. T., 1928 erblindet, erhielt seine Ausbildung am Conservatory of Music in Chicago, kam 1946 nach New York und führte ein eigenes Trio, das unabhängig von Miles Davis zur Entwicklung des Cool Jazz beitrug und insbesondere seit 1949 mit T.s Schülern Lee Konitz (Altsaxophon) und Warne Marsh (Te-
Tritonus norsaxophon) eines seiner Zentren wurde. Seit 1951 bildete T. mit großem Erfolg Jazzmusiker aus und trat kaum noch als Solist und Ensemblespieler hervor, fand aber 1965 bei den Berliner Jazztagen noch einmal starke Resonanz. Durch Erweiterung der Harmonien, kontrapunktische Satzgestaltung (insbesondere seit den 60er Jahren unter dem Einfluß der Musik J. S. Bachs) und einen Trend zur Atonalität zielte T. auf eine lineare und komplexe Form des Cool Jazz. Sein Stück Intuition, 1949 aufgenommen, gilt jazzhistorisch als Vorwegnahme des Free Jazz. Lit.: N. SHAPIRO — N. HENTOFF, Jazz erzählt (Mn 1962); W. F. VAN EYLE, Discography of L. T. (Zaandam 1966); A. POLILLO, Jazz, Gesch. u. Persönlichkeiten der afro-amerik. Musik (Mn 1978); J. E. BERENDT, Das Große Jazzbuch (F 1981).
TRISTAN UND ISOLDE, Handlung in 3 Aufzügen, Text und Musik von R. Wagner. Ort und Zeit der Handlung: Cornwall u. Bretagne, frühes Mittelalter (fiktive Zeit der Sage). UA: 10.6. 1865 München. Die magische Kraft eines Zaubertranks verwandelt tödliche Feindschaft in leidenschaftliche Liebe, die ihre Erfüllung erst im Tod findet; die Stationen der seelischen Entwicklung, der die Hauptfiguren fast machtlos ausgeliefert sind, bilden das Gerüst der inneren Handlung, die das Werk beherrscht. Der Stoff geht auf einen alten keltischen Sagenkreis zurück ; Wagners Hauptquelle war Gottfried von Straßburgs unvollendetes Versepos Tristan und Isolt (um 1210). Unter äußeren Schwierigkeiten hatte der Komponist im August 1857 nach dem 2. Akt des Siegfried die Arbeit am Ring abgebrochen, um zur Verbesserung seiner finanziellen Situation möglichst rasch ein leicht aufführbares Werk zu schreiben; im August 1859 wurde die Oper vollendet. Es gelang Wagner, in Tristan und Isolde eine Tonsprache zu entwickeln, die nicht nur in der Ausprägung seines eigenen Personalstils, nicht nur in der Geschichte des Wort-Ton-Verhältnisses, sondern in der gesamten Geschichte absolut-musikalischer Satzstruktur einen Meilenstein darstellt. Ober die Integration voneinander klanglich und dramatisch gleichrangigem Vokal- und Orchesterpart sowie über die Erfindung charakteristischer Motive und deren Verbindung zu einem Leitmotivsystem hinausgehend, war es eine geniale Konzentration des Zusammenspiels von Harmonik, Rhythmik und Melodik, welche die für den „Tristan-Stil" charakteristische permanent hohe Spannungsintensität konstituierte : Vorhaltsdissonanzen treten in verstärktem Maße stimmführungsmäßig unvorbereitet auf und werden nicht zu sofortiger Auflösung, sondern zu
weiteren Dissonanzen geführt; beteiligt sind daran in freien Kombinationen und in unregelmäßigen Abständen alle Stimmen des Satzes, d. h., Mittelstimmen und Baß werden z. T. voll ausmelodisiert und können so relativ leicht dem leitmotivischen Beziehungsgeflecht eingefügt werden. Die dabei fast zwangsläufig entstehende Polyrhythmik und metrische Vielfalt gestattet allerfeinste Nuancierung in der Darstellung insbesondere von Gefühlsund Stimmungswandlungen; Wagner selbst empfand den 2. Akt des Tristan als sein Meisterstück in der von ihm als kompositorisches Ideal betrachteten „Kunst des Übergangs". - Daß die Erweiterung der satztechnischen Mittel dem Wunsch der Hörer nach Intensivierung und Sensibilisierung des musikalischen Erlebens entsprach, beweist nicht nur der triumphale Erfolg der UA; der Tristan-Stil wurde - gleichermaßen durch Übernahme wie durch bewußte Ablehnung - bestimmend für die weitere Entwicklung von Instrumental- und Vokalmusik der Spätromantik bis zur W.A. MAKUS Gegenwart. - t Tristan-Akkord. TRISTROPHA, Neume, " Notenschrift. TRITĚ (griech., von tritos = dritter), r Systema teleion. TRITONIUS, Petrus (latinisiert aus Peter Treibenreif), * um 1465 Bozen, t wohl 1525 Hall in Tirol (?); östr. Gelehrter und Komponist. Er studierte an den Universitäten Wien, Ingolstadt und Padua und lehrte seit etwa 1502 an der Litteraria Sodalitas Danubiana des K. Celtis in Wien. 1508, nach dessen Tod, kehrte er nach Bozen zurück, war dort Leiter der Lateinschule und ging in gleicher Funktion 1512 nach Hall, 1521 nach Schwaz und um 1524 wieder nach Hall. Aus T.' Zusammenarbeit mit Celtis entstanden seine Melopoiae, das erste bedeutende Zeugnis der humanistischen Odenkomposition (OE Ode; ebd. der Beginn eines Satzes von T.). Sein Hymnarius gehört in die Vorgeschichte der dt. kath. Gesangbuchtradition. WW u. Ausg.: Melopoiae (detaillierter Titel: r Celtis) (Au 1507, 2 1507, F' 1532, 41551), NA, hrsg. v. G. VECCHI (Bol 1967); Hymnarius: durch das gantz Jar verteutscht (Schwaz 1524) (mit gedruckten Notenlinien, aber ohne Noten). Lit.: G. VECCHI, T., in: MGG XIII.
TRITONUS, Bz. für die aus 3 Ganztonschritten bestehende übermäßige r Quarte, z. B. c' - fis' ; sie bildet die Mitte der Oktave und markiert im t Quintenzirkel als Gegenpol (fis) den Punkt äußerster Entfernung vom Ausgangston (c). In t temperierter Stimmung sind T. (c' - fis') und verminderte r Quinte (c' - ges') zwar klanglich gleichlau169
Trittico tend, jedoch sinnhaft unterschieden: fis ist ein
aufwärts, ges ein abwärts strebender Leitton; als simultane Intervalle verlangen sie regulär die Weiterführung zur großen oder kleinen Sexte (b/h -g') bzw. großen oder kleinen Terz (des' -f /fes' ). Dem MA galt der T. als „diabolus in musica" (Teufel in der Musik); sein Verbot als melodischer Schritt (OE mi) blieb im strengen Satz bis in die Romantik hinein wirksam, wurde aber im 17. Jh. im Sinne der Figurenlehre zugunsten ausdrucksstarker Auslegung gern durchbrochen (t Saltus duriusculus, t Querstand). TRITTICO, IL, Einakter-Trilogie von G. Puccini; r Gianni Schicci, Der r Mantel, / Schwester Angelika.
TRITTO, Giacomo, * 2.4. 1733 Altamura bei Bari, t 18.9. oder 17. 11. 1824 Neapel ; it. Komponist. Er war Schüler von L. Fago, G. Abos und P. Cafaro am Conservatorio della Pieta dei Turchini in Neapel, wurde dort Maestrino, dann Assistent von Cafaro, 1785 Secondo maestro straordinario, 1793 Secondo maestro und war 1799 Primo maestro. Nach Umwandlung des Instituts in das Collegio Reale di Musica (1806) übernahm er mit G. Paisiello und F. Fenaroli dessen Leitung (bis 1813) und lehrte dort bis zu seinem Tod. Er war als Lehrer (u. a. von V. Bellini, Farinelli, G. Spontini und S. Mercadante) bedeutender als mit seinen Werken. - Sein Sohn Domenico (1776-1851), eines von 18 Kindern, wirkte als Kirchenkapellmeister und Lehrer am Collegio Reale in Neapel und schrieb Opern und Kirchenmusik von ebenfalls nur lokaler Be-
deutung. WW: 51 Opern, darunter: !l convitato di pietra, UA: Neapel 1783; Arminio, UA: Rom 1786; Cesare in Egitto, UA: ebd. 1805; Marco Albinio in Siria, UA: Neapel 1810. - Lehrwerke: Generalbal3schule Partimento e regole generali ... (Mi 1821); Scuola di contrappunto (Mi 1823). Lit.: U. PROTA-GIURLEO, T., in: MGG XIII; S. KUNZE, Don Giovanni vor Mozart (Mn 1972) (= Münchener Univ.-Schriften, Reihe der Philos. Fakultät 10).
TRITUS r Kirchentöne. TRIVIALMUSIK (von lat. trivialis = allgemein zugänglich, gewöhnlich, gemein), Bz. für minderwertige, massenhaft verbreitete Musik. In der Sache ist eine Abgrenzung der T. von t Salonmusik, Unterhaltungsmusik und t Gebrauchsmusik kaum möglich. Terminologisch hebt sich der Begriff von diesen Termini durch seinen negativ wertenden Beigeschmack des ästhetisch Fragwürdigen ab und steht dem des musikalischen Kitsches nahe. T. und Kitsch berühren sich in der Verbin170
dung von Simplizität und Emphase, wobei Kitsch (von kitschen = mit fabrikmäßiger Oberflächlichkeit herstellen) entweder als Steigerung von T. oder als T. mit besonderem Anspruch (W. Wiora) angesehen wird. T. und Kitsch können auch als Verfallsformen verschiedener Stile aufgefaßt werden. Während Kitsch als abgesunkene Romantik oder heruntergekommener Manierismus gilt, wird T. eher im Zusammenhang mit epigonalem Klassizismus gesehen (C. Dahlhaus). Die Frage nach den Kriterien der T. berührt ein wertästhetisches Grundproblem: nämlich die kontrovers diskutierte Frage, ob Trivialität mittels Analyse am Notentext dingfest gemacht werden kann oder ob sich der Eindruck trivialer Momente erst aus dem rezeptionspsychologischen Kontext ergibt, d. h. aus der psychologischen oder soziologischen Situation des Hörers. Die musikästhetische Auffassung von Trivialität (Dahlhaus, H. Rauhe, K. M. Komma u. a.) geht davon aus, daß am Notentext gezeigt werden könne, worin sich Kunstmusik von T. unterscheidet. Als allgemeine Merkmale des Trivialen gelten u. a. der Potpourricharakter der Musik, d. h. die Reihung heterogener, zwar für sich reizvoller, aber zusammenhangloser musikalischer Details, falsches Pathos, isolierte Effekte, aufgesetzte Ornamente, Repetitions- und Sequenzierungszwang, Stilbrüche, Zehren von fremder Substanz, Verwischung der Gattungsgrenzen, kurz: das Mißverhältnis zwischen äußerem Aufwand und innerem Gehalt. Während H. Mersmann (1935) noch davon ausging, daß mit dem Wert des Kunstwerks auch die Haftpunkte der Analyse wachsen oder schwinden, hat Rauhe (1967) versucht, aus der statistischen Auswertung der 500 populärsten Lieder des 19. Jh. (vom Ständelied bis zum Gassenhauer) sowie einer Analyse moderner Schlager einen Katalog trivialer musikalischer Kriterien zu gewinnen (z. B. die ungewöhnliche Behandlung der melodischen 7. Stufe in Dur [unaufgelöster Leitton], emphatische Sext- und Septimensprünge, die Sexte als Spitzenton reizharmonischer Akkorde). Dagegen ist eingewendet worden, solche Wendungen kämen gelegentlich auch in der Kunstmusik vor (H. de la Motte-Haber). Der Unterschied dürfte darin liegen, daß trivialitätsanfällige Phrasen in klassisch-romantischer Kunstmusik in der Regel durch den Kontext (z. B. das Sekundganggesetz) gerechtfertigt oder aber funktional gebunden sind (Textausdeutung). Der Auffassung, ästhetische Werturteile ließen sich durch Sachurteile (Notentextanalyse) begründen, wird von musiksoziologischer Seite mit dem Hinweis begegnet, daß es objektivierbare Kriterien der T. nicht geben könne, da Werturteile von histo-
Trojahn rischen und soziologischen Gegebenheiten abhängen (John H. Mueller u. a.). Aus den sich widersprechenden Standpunkten ist zu folgern, daß zwischen einem objektorientierten Trivialitätsbegriff (der beim Hörer eine durch Ausbildung erworbene Urteilskompetenz voraussetzt) und einem subjektorientierten unterschieden werden muß (Trivialität als situativ oder psychisch begründeter Eindruck). Leichte Musik hat es wohl zu allen Zeiten gegeben. Die Entstehung der T. im engeren Sinne hängt jedoch mit den politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen des 18. und 19. Jh. zusammen, vor allem mit der industriellen Revolution. Die Folge der durch die soziale Umschichtung, aber auch durch die Labilität der politischen Lage bedingten allgemeinen Verunsicherung war ein starkes Bedürfnis nach Ablenkung und Zerstreuung. Der dem 19. Jh. eigene Sentimentalismus trug das Seine zur Entstehung einer neuen Gebrauchsmusik bei, deren einziger Zweck es war, zu amüsieren, und die sich daher durch Leichtigkeit, Gefälligkeit und Kürze auszeichnen mußte. Das rapide Anwachsen des musikalischen Interesses in breiten Bevölkerungsschichten äußerte sich in einem vermehrten Bedarf an leicht spielbarer, unterhaltender Musik. Schon um 1830 zeigten 2/3 der Verlagskataloge Unterhaltungsmusik an, vornehmlich Stücke für das Pianoforte. Klavierstücke wie Das Gebet einer Jungfrau von Tekla Badarzewska, Les cloches du monastère von Lefébure-Wély oder Rendez-vous von Wilhelm Aletter, auf sentimentale Rührung hin angelegte Salonpiècen, gelangten nach Erscheinen sogleich in den verschiedensten Ausgaben auf den Markt. Die fortschreitende Mechanisierung förderte die Etablierung eines eigenen Berufszweiges, der sich auf die simplifizierende Imitation konzerthafter Musik verstand (Nachahmung expressiver und virtuoser Effekte). Für die Verbreitung der T. sorgten neben zahlreichen Salonalben und reisenden Virtuosen auch r mechanische Musikwerke wie Spieldose, Spieluhr und Orchestrion. - Eine der T. vergleichbare sozialpsychologische Funktion erfüllt im 20. Jh. der r Schlager. Lit.: R. HOHENEMSER, Das Triviale in der Musik, in: Mk 5 (1905/06); H. MERSMANN, Versuch einer musikal. Wertästhetik, in: ZfMw 17 (1935); T. KNEIF, Die geschichtlichen u. sozialen Voraussetzungen des musikal. Kitsches, in: DVfLG 37 (1963); J. H. MUELLER, Fragen des musikal. Geschmacks (Kö 1973) ( — Kunst u. Kommunikation 8); M. GREINER, Die Entstehung der modernen Unterhaltungsliteratur (H 1964); E. EGGLI, Probleme der musikal. Wertästhetik im 19. Jahrhundert. Ein Versuch über schlechte Musik (Winterthur 1965); Stud. zur T. des 19.1h., hrsg. v. C DAHLHAUS (Rb 1967) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 8); H. RAUHE, Zum Wertproblem der Musik, in: Didaktik der Musik 1967 (H 1968); W. WIORA, Über die Zunahme trivialer Melodik im neueren Volkslied, in: FS W. Graf (W 1970) ( — Wie-
ner musikwiss. Beitr. 9); Das Triviale in Lit., Musik u. Bildender Kunst, hrsg. v. H. DE LA MOTTE-HABER (F 1972) ( — Stud. z. Philos. u. Lit. des 19. Jh. 17); K. M. KOMMA, Vom Ursprung u. Wesen des Trivialen im Werk G. Mahlers, in: Musik u. Bildung 5 (1973); DERS., Kriterien des musikal. Kitsches, in: ebd. 8 (1976); N. J. SCHNEIDER, T., in: Brockhaus Riemann Musiklexikon II W. FISCHER (Wie—Mz 1979).
TRIVIRGA, Neume, Notenschrift. TRIVIUM (lat., = Ort, an dem drei Wege zusammentreffen ; Dreiweg), seit dem 9. Jh. Bz. für die Gruppe der sprachlichen Disziplinen (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) der aus der griechischen Enkyklios paideia hervorgegangenen Septem artes liberales (OE Quadrivium). Im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance gewannen die Fächer des T. besondere Bedeutung innerhalb der Studia humanitatis. Aufgrund ihrer Stellung im Lehr- und Bildungssystem und im Zusammenhang mit der Entwicklung von Techniken des musikalischen Vortrags bzw. der Vertonung von Sprache haben insbesondere Grammatik und Rhetorik sowohl mit ihren Denkkategorien und mit ihrer Terminologie (O Distinctio, / Klausel, . Periode, / Punctus, Stil) als auch mit ihren Prinzipien und Techniken der Gestaltung (r Artikulation, t Figuren, r Musik und Sprache) die Musiktheorie und die Musik bis gegen Ende des 18. Jh. wesentlich mitgeprägt. Lit.: E. R. CURTIUS, Europäische Lit. u. lat. MA (Be 1948, 9 1978); H. HÖSCHEN, Artes liberales, in: MGG I; DERS., Die Musik im Kreise der artes liberales, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); Artes liberales. Von der antiken Bildung z. Wiss. des MA, hrsg. v. J. KOCH (Lei — Kö 1959); J. DOLCH, Der Lehrplan des Abendlandes (Ratingen '1971); M. BIELITZ, Musik u. Grammatik. Stud. z. ma. Musiktheorie (Mn—Salzburg 1977) (= Beitr. z. MuD. ALTENBURG sikforsch. 4).
TROCHÄUS Metrum. TROJAHN, Manfred, * 22. 10. 1949 Cremlingen bei Braunschweig; dt. Komponist. T. studierte 1966-70 Flöte an der Niedersächsischen Musikschule in Braunschweig und 1970-78 an der Musikhochschule in Hamburg, wo er auch Kompositionsschüler von D. de la Motte war. 1977 und 1979-80 lebte er als Stipendiat der Villa Massimo in Rom, 1978-79 zu weiterer Ausbildung in Paris, wo er heute als freischaffender Komponist seinen ständigen Wohnsitz hat. Von der Zwölftontechnik ausgehend, entwickelte T. eine freitonale Formensprache von stark emotionalem Charakter. In lyrischen und expressionistischen Zügen, vor allem orchestraler Art, knüpft er an G. Mahler und A. Berg an, während er bei Clustertechniken die ametrische Polyphonie G. Ligetis und bei der Verwendung musikalischer Zitate Verfahren von B. A. Zimmermann zum Vorbild nimmt. 171
Trojaner WW: Conduct I (1977) für Org. mit 2 Spielern; Objet trouvé (1976) für Fl. u. Cemb.; El cielo baja (1982) für 2 Klv.; Streichquartett (1976); 2. Streichquartett (1981) (Text: G. Trakl) mit Klar. u. Mezzosopran; Les couleurs de la pluie (1971) für 5 Fl. u. Altfl.; Kammerkonzert für 8 Instr. (1973); Notturni trasognati (1977) für große Fl., Altfl. u. Kammerorch. - Für Orch.: 3 Symphonien (1974, 1978, 1982); Abschied (1978); Berceuse (1980); 5 Seebilder (1980-82) mit Mezzosopran; Conduct II (1978) für Streichorch. u. Schlagzeug. - architectura caelestis (1974-76) für 8 Frauenst. u. Orch.; „... stiller Gefährt der Nacht" (1978) (Text : F. G. Klopstock), Kammermusik für Sopran, FL, Vc., Schlagzeug u. Celesta. Lit.: C. KÜHN, Auf der Suche nach dem Eigenen. Der Komponist M. T., in: Musica 32 (1978); P. DANNENBERG, Ein Flötenspieler, der Sinfonien komponiert. Gespräch mit M. T., in: NMZ 28 (1978/79); D. DE LA MOTTE, Zur Situation junger dt. Komponisten, in: Avantgarde, Jazz, Pop (Mz 1978) (= Veröff. des Inst. B. A. KOHL für Neue Musik u. Musikerziehung 18).
TROJANER, DIE (Les Troyens), Oper in 2 Teilen (5 Akten) von H. Berlioz, Text vom Komponisten nach Vergils Aeneis. Ort u. Zeit der Handlung: 1.Teil: Troja, während des Trojanischen Kriegs; 2. Teil: Karthago, nach dem Trojanischen Krieg. UA des 2. Teils unter dem Titel Les Troyens à Carthage (Die Trojaner vor Karthago) : 4. 11. 1863 Paris (Théâtre Lyrique); dt. EA (in dt. Sprache): 6. 12. 1890 Karlsruhe. UA des 1. Teils unter dem Titel Die Eroberung Trojas (La Prise de Troye) in dt. Sprache: 5. 12. 1890 Karlsruhe. Dreiundzwanzig Jahre arbeitete Berlioz an diesem Monumentalwerk, zu dem er von Caroline von Sayn-Wittgenstein (Widmungsträgerin des Werkes) angeregt worden war. An den gewaltigen Dimensionen des Werks scheiterten jedoch alle Versuche, die Oper in Paris auf die Bühne zu bringen; die Direktion der Opéra gab Wagners Tannhäuser den Vorzug, was zum Bruch zwischen den beiden Komponisten führte. Erst 1863 entschloß sich das Théâtre Lyrique zur Annahme der drei KarthagoAkte für eine separate UA. Um das Segment zu einem sinnvollen Ganzen zu runden, wurde es in 5 Akte gegliedert, denen man einen die fehlenden Troja-Akte zusammenfassenden Prolog voranstellte. Im Dezember 1890 inszenierte Felix Mottl erstmals das gesamte Werk an zwei aufeinanderfolgenden Abenden - für den 1. Teil bedeutete dies eine deutschsprachige UA. - Die Handlung folgt zwar der Vorlage von Vergils Epos, doch bietet diese dramatische Umgestaltung nur einen schwachen Abglanz des klassischen Meisterwerks. Die beiden ersten Akte schildern die entscheidende Phase des Trojanischen Kriegs und schließen mit der Einnahme der Stadt durch die Griechen. Der 2. Teil ist eine Dramatisierung der in Karthago spielenden Liebesepisode zwischen Dido und Aeneas; als der Held nach Italien aufbricht, ersticht sich die karthagische Königin mit dessen 172
Schwert. - Die Grand opéra, wie sie sich in Frankreich herausgebildet hatte, entsprach eigentlich nicht den musikdramatischen Vorstellungen des Komponisten, doch läßt sich dieser Operntypus in den Trojanern kaum verleugnen. Zu reichhaltig ist der Fundus an theatralischen Effekten (Verkündung des Untergangs Trojas durch den Geist Hectors; pantomimische Szene der Waldgötter vor Aeneas' Entscheidung, nach Italien aufzubrechen - beides dramatisch entscheidende Szenen), zu deutlich treten die musikalischen Gestaltungsmerkmale der Grand opéra hervor (szenischer u. musikalischer Kontrastreichtum, Erweiterung der Arien/Solonummern auf der einen, thematische Kleingliedrigkeit auf der anderen Seite). Volksmassen und Heere auf der Opernbühne geben Anlaß zu großen Chören, doch wirken diese nicht so überzeugend wie die rein instrumentalen, wesentlich „sprechenderen" Teile der Oper. R. QUANDT TROMBA /Trompete.
TROMBONCINO (Trombonzin, Trombecin), Bartolomeo, * um 1470 Verona oder Umgebung, t um 1535 Venedig (?); it. Komponist. Er war Sohn und Schüler von Bernardino Piffaro, wirkte von etwa 1489 bis 1512 am Hof der Gonzaga in Mantua und hielt sich daneben zur Aufführung eigener Kompositionen auch in anderen Städten auf, zwischen 1501-12 vor allem am Hof der Este in Ferrara. 1499 ermordete er seine Frau und deren Liebhaber, scheint aber deshalb nicht in Ungnade gefallen zu sein. Nach 1512 wirkte er in Ferrara, Venedig, Vicenza und Norditalien. T. nahm wie M. Cara an den vor allem durch Isabella d'Este geförderten Bestrebungen teil, die it. Musik von franko-flämischen Einflüssen zu befreien, und zwar besonders durch Pflege von in der it. Volksmusik wurzelnden Gattungen wie der Frottola, zu deren bedeutendsten Vertretern T. gehört. WW: 176 Frottolen in den dieser Gattung gewidmeten Sammeldrucken von O. de' Petrucci u. A. Antico 1504-31, auch in gedruckten u. hsl. Org.- u. Lautentabulaturen; 15 Lauden. - Lamentationen für 4 St. in RISM 1506'. Ausg.: r Frottola. - Die Lamentationen, in: Mehrst. Lamentationen aus der ersten Hälfte des 16. Jh., hrsg. v. G. MASSENKEIL (Mz 1965) (- Musikal. Denkmäler 6).
Lit.: A. EINSTEIN, A. Antico's „Canzoni nove" of 1510, in: MQ 37 (1951); G. CROLL, Zu T.s „Lamentationes Jeremiae", in: Collectanea historiae musicae 2 (1965); C. DAHLHAUS, Unters. z. Entstehung der harmonischen Tonalität (Kas 1968) (- Saarbrükker Stud. z. Musikwiss. 2); F. Lutst, Le frottole per canto e liuto di B. T. e M. Cara nella edizione adespota di A. Antico, in: NRMI 10 (1976).
TROMBONE r Posaune. TROMMEL (engl.: drum ; frz.: caisse, tambour; it.:
Trommel tamburo; span.: tambor), Sammel-Bz. für r Schlag-
instrumente, in der Regel für Membranophone, fälschlich auch für einige Idiophone, wie die aus einem ausgehöhlten Holzstück oder Baumstamm bestehende Holz- und/oder Schlitz-T. der Südsee, Afrikas und Lateinamerikas, ebenso für einige r Membranophone, die nicht angeschlagen werden (r Reibtrommel, r Mirliton). T.n sind weltweit verbreitet und haben ein hohes Alter. Sie lassen sich nach der Anzahl der Felle (aus gegerbter Kalbs-, Ziegen- oder Eselshaut, heute oft aus Kunststoff) und nach der Gestalt ihrer Resonanzkörper (aus Holz, Ton, Metall) einteilen. Instrumente mit 2 Fellen sind Röhren-T.n und haben entweder eine Sanduhr- oder Doppelbecherform (r Tsuzumi), eine Faßform oder eine zylindrische Form. Zylinder-T.n können auch nur mit einem Fell bespannt sein ebenso wie Rahmen-T.n, deren ein oder zwei Felle über einen nur wenige Zentimeter hohen runden oder eckigen Holzreifen gezogen sind (r Schellentrommel, f Pandero, r Daira). T.n mit nur einem Fell sind im allgemeinen unten offen, sie haben eine nach unten enger werdende konische Röhre, wie die Vasen- oder Becher-T.n aus Ton oder heute auch aus Metall (r Darabukka), oder es sind Gefäß-T.n wie die t Pauke (OE Nacaires, r Naggära). Die T.-Felle werden je nach Herkunft der Instrumente unterschiedlich befestigt. Bei außereuropäischen T.n sind sie oft festgeleimt, festgenagelt, mit einer um die Zarge gewickelten Schnur gehalten oder mit einer Schnurspannung ausgestattet. Zwei Felle werden meistens durch eine Schnur- oder Leinenspannung miteinander verbunden (Tsuzumi). Dazu befestigt man die Felle an Fellwickelreifen, die über den Rand der Zarge gezogen werden. Ober den Fellwickelreifen wird ein Felldruck- oder Fellspannreifen gelegt, durch den die meist im Zickzack von Reifen zu Reifen verlaufende Schnur (T.-Leine) gezogen ist. Die Spannung der Felle erfolgt durch Anziehen der Leine und durch Lederschlaufen, die über jeweils 2 benachbarte, ein V bildende Schnurteile gezogen sind und höher oder tiefer geschoben werden können. In Europa scheinen zuerst 1- oder 2fellige Rahmen-T.n, vermutlich durch das r Tympanum der griech.-römischen Antike, bekannt geworden zu sein. Die schon im Alten Ägypten nachweisbare Zylinder-T. mit Leinenspannung kam wahrscheinlich erst durch die Kreuzzüge nach Europa, denn erst seit dem 14. Jh. sind meist ziemlich kleine 2fellige T.n belegt, die zusammen mit der Einhandflöte (r Galoubet) gespielt wurden. Im 15./16. Jh. entstand eine wesentlich größere bis zu 1 m hohe 2fellige Zylinder-T., die in den europäischen Hee-
ren zur r Querpfeife gespielt wurde und deshalb auch Landsknechts-T. hieß. Sie wird noch immer in r Spielmannszügen, in Südfrankreich mit dem Galoubet zusammen und seit dem 19. Jh. gelegentlich im Orchester gespielt (OETambourin). Anfang des 18. Jh. trat neben die hohe Landsknechts- oder „Rühr"-T. die Große oder „Türken"-T., die durch die Türken in Europa bekannt wurde. Sie hatte im Verhältnis zu ihrem großen Felldurchmesser nicht nur eine ziemlich geringe Zargenhöhe, sondern sie wurde auch im Unterschied zu den anderen T.n auf beiden, senkrecht gehaltenen Fellen gespielt (r Davul, t Tupan), wie es heute noch in engl. und amerik. Militärkapellen üblich ist. Im Orchester, in der Militärmusik anderer Länder und im Jazz wird die Große T. heute nur auf einem Fell geschlagen. Im Orchester ruht sie auf einem Bock, in der Unterhaltungsmusik und im Jazz ist sie mit einem Fußpedal (Fußmaschine) ausgestattet, mit dem der Spieler den Anschlag eines Schlegels auf einem Fell bewirkt. Die Große T. wurde in der Kunstmusik zuerst nur dann eingesetzt, wenn die Musik ein türkisches oder orientalisches Kolorit erhalten sollte (OE Janitscharenmusik), gehört jedoch heute zum festen Instrumentarium. Seit Ende des 18. Jh. werden T.n nicht mehr nur aus Holz, sondern auch aus Messing oder aus einem anderen Metall, heute auch aus Kunststoff hergestellt. Gleichzeitig wurde die Schnurspannung durch 6-10, bei der Großen T. bis 12 auf den Felldruckreifen wirkende Spannschrauben ersetzt. Im Unterschied zur Großen T. mit meist 2 gleich starken Fellen haben die verschiedenen im 19. Jh. aus der Landsknechts-T. hervorgegangenen Kleinen T.n ein stärkeres Schlag- und ein dünneres Resonanzfell. Das wesentliche Merkmal dieser Kleinen T.n ist ihre Ausstattung mit Schnarrsaiten (engl.: snare; frz.: timbre; it.: corda; span.: bordón) aus Darm oder aus metallumsponnenem Kunststoff, die über das Resonanzfell gezogen sind. Beim Anschlag schwingt die Resonanzmembran gegen die Schnarrsaiten und erzeugt so den charakteristischen Schnarrton der Kleinen Trommel. Die Spannung der Schnarrsaiten läßt sich durch eine Schraube regulieren, sie können auch mit einem Hebelmechanismus ganz vom Fell entfernt werden, wodurch der Klang des Instruments dumpfer wird. Die im Orchester verwendeten Kleinen T.n haben meist 4-10 Darm-, die Militärund Jazz-T.n bis zu 18 Metallsaiten. Je nach Verwendungszweck haben Große und Kleine T.n verschiedene Zargenhöhen und Felldurchmesser. Die Große T. hat als Orchesterinstrument eine Zargenhöhe von 35-55 cm (Felldurchmesser ca. 70 bis 173
Trompe 100 cm), als Militärinstrument von 25-45 cm (36-76 cm), als Jazzinstrument von ca. 30-40 cm (45-70 cm). Die Kleine T. hat als Orchesterinstrument eine Zargenhöhe von 16-18 cm (Felldurchmesser ca. 35-38 cm), als Militärinstrument von 10-17 cm (ca. 30-38 cm) und als Jazz-T. von 12-14 cm, auch 8-10 cm (ca. 35 cm). Alle T.n werden je nach gewünschtem Klang mit unterschiedlichen Schlegeln, Rute, Besen u. a. gespielt. Die T.Felle lassen sich zwar mehr oder weniger stark spannen und ergeben einen entsprechend differen-
zierten Klang, sie können jedoch nicht auf eine bestimmte Tonhöhe gestimmt werden. Zum Schlagwerk des modernen Orchesters gehören heute auch . Bongos, O Congas oder ,Tom-Toms. Lit.: H. BURGER, Das T.-Buch (Plauen 1934); F. BERGER, T. n u. Pfeifen, in: Musica aeterna 2 (Z 1948); U. FISCHER, Zu den mitteldt. T.n, in: Archaeologica geographica 2 (1951); H. HICKMANN, Die Gefäßtrommel der Ägypter, in: Mitt. des Dt. Archäologischen Inst., Abt. Kairo 14 (1956); DERS., Die altägyptische Röhrentrommel, in: Ortens 17 (1964); W. STAUDER — H. HICKMANN — CH. CASKEL, T. n u. Pauken, in: MGG XI I I. — r Schlagzeug. M. BRÜCKER
TROMPE (frz.). - 1) Seit dem 12./13. Jh. verwendete Bz. für ein Blasinstrument in Frankreich, dessen genaue Beschaffenheit aus den Quellen nicht immer klar hervorgeht. Es scheint sich jedoch stets um ein Blechblasinstrument mit konischer Röhre gehandelt zu haben, meistens wohl um ein langgestrecktes, gerades, oft sehr langes Horn, das haupt-
sächlich als Signalinstrument diente. Später wurde der Name auch auf andere gewundene, gerade oder leicht bis halbmondförmig gebogene Horninstrumente übertragen. So gab es im 17. Jh. in Frankreich vor allem die T. de chasse mit 21/2 Windungen, im 18. Jh. aber auch noch Instrumente gleichen Namens mit nur leicht gebogener Form. OE Horn. - 2) Im 17./18. Jh. frz. Bz. für die t Maultrommel. Lit.: E. A. BowLES, Unterscheidung der Instrumente Busine, Cor, T. u. Trompete, in: AfMw 18 (1961).
TROMPETE (engl.: trumpet; frz.: trompette; it.: tromba; span.: trompeta). - 1) Blechblasinstrument aus Messing, Goldmessing oder Neusilber, seltener aus Silber oder Gold, mit enger zylindrisch-konischer, schlaufenförmig gebogener Röhre (Bügelform) und einem wenig ausladenden Schalltrichter. Die moderne T. hat 3 Ventile mit verschieden langen, U-förmigen Ventilbogen, die beim Öffnen die Hauptröhre verlängern. Der Grundton wird dadurch um einen Ganzton (1. Ventil), Halbton (2. Ventil) oder um 1 1/2 Töne (3. Ventil) erniedrigt. Durch Kombination mehrerer Ventile sind noch tiefere Töne spielbar. Der 174
Tonvorrat einer Natur-T. ohne Ventile besteht nur aus den t Naturtönen. Dagegen können auf der Ventil-T. durch Veränderung der Rohrlänge verschiedene Naturtonreihen gespielt werden. Auf diese Weise ist die Ventil-T. ein voll chromatisch spielbares Instrument. Außer der C-T. gehören die T.n zu den " transponierenden Instrumenten. T.n-Instrumente sind sehr alt und wurden aus Holz, Rinde, Rohr, Elfenbein oder später aus Metall hergestellt. Die obere Öffnung wurde zu einem Wulst ausgearbeitet und manchmal auch geweitet, denn das aus Elfenbein, Knochen oder Metall gefertigte, einsteckbare Mundstück ist jüngeren Datums. Langgestreckte T.n wurden bereits in Ägypten als Kult-, als militärische Signal- und als Symbolinstrumente königlicher Macht verwendet. Ähnliche Funktionen hatten sie auch in der griech.-römischen Antike (r Salpinx, r Tuba, r Lituus). Im ma. Europa waren T.n vermutlich aus der Spätantike und aus Byzanz bekannt und wurden dann durch die Araber in Spanien und durch die Kreuzfahrer weiter verbreitet. Das arabischpersische Wort für T. war annafir, aus dem span. aňafil wurde. Andere seit dem 12./13. Jh. geläufige Bz.en waren r Clairon, r Busine, aber auch Tromba, Trompa, t Trompe, von dem durch Diminutivbildung der heutige Name T. abgeleitet wurde (erstmals bei Dante, Divina Commedia, Inferno XXI, 47). Ende des 14. Jh. begann man, Metallröhren zu biegen, und die bisher langgestreckte T. wurde aus geraden Röhrenteilen oder Stangen mit verbindenden U-Bögen zusammengesteckt. Zuerst baute man sie in S-Form, im 15. Jh. legte man dann einen der beiden äußeren Röhrenabschnitte um, so daß die erste Stange sich neben dem Schallstückrohr befand. Neben diese handliche Natur-T. in Bügelform trat bald eine ebenfalls bügelförmige Zug-T., deren Mundstück an einem längeren, in der ersten Stange verschiebbaren Röhrenteil saß; dieser konnte unterschiedlich weit herausgezogen und somit der Grundton bis zu 3 Halbtönen erniedrigt werden. Noch im 18. Jh. wurde sie mit der Bz. Tromba da tirarsi von J. S. Bach vorgeschrieben. Neben der bügelförmigen Natur-T. und der Zug-T. gab es im 16.-18. Jh. mehrfach gewundene Jäger-T. bzw. italienische Trompeten. Im Gegensatz zu anderen Instrumenten wurde die T. im Laufe des 16. Jh. nicht zu einer ganzen Familie ausgebaut, sondern zur Veränderung des Grundtons wurden gerade „Setzstücke" oder Krummbögen benutzt, die zwischen Mundstück und Hauptrohr eingesetzt wurden. So erreichte man auch die Anpassung an verschiedene Tonarten. Während des 16. Jh. wuchsen die Anforderungen an die Trompeter, die nun schon bis zum 13. Na-
Trompete turton blasen mußten. M. Praetorius schrieb einen Tonumfang vom 2.-8. bzw. 12. Naturton vor, notierte dazu jedoch als mögliche Töne den Grundton und die Naturtöne bis zum 16. bzw. 22. Für M. Mersenne galten der 1.-15. Naturton als spielbar. Im mehrstimmigen T.n-Satz, in dem jede Stimme ihren speziellen Namen hatte, war die Bz. für die höchste, vom B. Naturton an aufwärts zu blasende Stimme r Clarino. Das sog. Clarinblasen entwickelte sich im 17./18. Jh. zu einer höchst virtuosen Kunst. Die Fertigkeit der Spieler bestand nicht nur darin, daß sie bis an die Grenzen der ansprechbaren Teiltöne zu blasen hatten, sondern sie konnten vor allem solche Töne der Naturtonreihe wie den 11. und den 13., die nicht rein sind, durch das sog. Treiben sauber blasen. Demgegenüber wurde seit der Mitte des 18. Jh. zunehmend eine größere chromatische Beweglichkeit in den unteren Lagen sowie eine stärkere Anpassungsfähigkeit an verschiedene Tonarten gewünscht. Bis zu diesem Zeitpunkt war für 3 Jahrhunderte Nürnberg das führende europäische Zentrum für den Bau von Blechblasinstrumenten. Dort wirkten u. a. so berühmte Hersteller wie Hans Neuschel, die Familien Ehe, Haas, Hainlein und Schnitzer. Diese Namen sind vor allem mit dem Bau von Natur-T.n verbunden. Mit den Veränderungen der T. in der 2. Hälfte des 18. Jh. sind die Namen anderer berühmter Hersteller verbunden, wie u. a. die Familien Leichambschneider und Kerner (Wien), M. Sauerle (München), I. Lorenz (Linz), Haltenhof (Hanau), Köhler (London) und Halary (Paris). Der erste Versuch, die T. zu verbessern, war die in Anlehnung an das Stopfen beim r Horn von Michael Wöggel (Karlsruhe 1777) entwickelte StopfT. ; dafür wurde die T. entweder so gebogen, daß die Hand in die Stürze eingeführt werden konnte, oder sie wurde halbmondförmig (frz.: trompette demilune) gebaut. Ebenfalls nach dem Vorbild des Horns wurde eine Inventions-T. entwickelt, die verschieden lange, auswechselbare U-förmige Stimmbögen hatte, die gleichzeitig als Stimmzüge zur feineren Einstimmung des Instruments dienten. In England entwickelte der Trompeter John Hyde (Instrumentenbauer Woodham) eine neue Art der Zug-T., die Slide Trumpet, die wie die Posaune einen U-förmigen, jedoch nach oben ausziehbaren Zug hatte. Die später verbesserte Slide Trumpet wurde während des ganzen 19. Jh. in England gespielt. Ein weiterer Verbesserungsversuch war die r Klappen-T. Bereits seit der Mitte des 18. Jh. wurde mit Klappen-T.n experimentiert, erfolgreich war jedoch erst der Virtuose Anton Weidinger, für den J. Haydn und J. N. Hummel ihre Konzerte schrieben. Die wichtigste Verände-
rung der T. bedeutete die Erfindung der r Ventile. 1818 ließen sich Blühmel und Stölzel (Berlin) ein Schub- oder Pumpventil patentieren, das bereits 1820 auf die T. übertragen wurde. Nach mehreren Verbesserungs- und Änderungsversuchen von Ventilen entwickelte 1839 E. F. Périnet (Paris) aus dem Schubventil das Périnet-Ventil, das neben dem 1832 von Joseph Riedl (Wien) konstruierten Dreh- oder Zylinder-Ventil bis heute benutzt wird. Die Ventil-T. (in B und Es) wurde zuerst in der Militärmusik eingesetzt; sie fand jedoch nur zögernd Eingang im Orchester (zuerst in F), wo sie sich erst gegen das leichter zu blasende Kornett durchsetzen mußte, das besonders in Frankreich und in den USA bis zu Beginn des 20. Jh. bevorzugt wurde. Die heute im Orchester üblichsten Instrumente sind D-, C-, B/A- (umschaltbar; Umfang: f-d3), F- und Es-T.n, außerdem besonders die Hoch-B-Trompete. Für ein gedämpftes Spiel (con sordino) wurde schon im 17. Jh. (Cl. Monteverdi, Orfeo) ein entsprechender Dämpfer benutzt, der, aus Holz oder Pappe (heute auch aus Metall oder Kunststoff) bestehend, in die Stürze eingeführt wird. Noch heute werden zur Dämpfung und zur Erzielung bestimmter Effekte verschiedene Dämpfer benutzt. Um 1880 setzten bereits die ersten Versuche ein, T.n zu entwickeln, auf denen die hohen Clarinpartien der Barockmusik zu spielen waren. Einer der ersten, die auf einer geraden 2ventiligen A-T. die T.n-Partien der h-moll-Messe von J. S. Bach in der richtigen Lage bliesen, war Julius Kosleck (Berlin). Seine wie auch die folgenden, der NaturT. der Bach-Zeit nicht entsprechenden Konstruktionen (T.n in hoch D, F, G, A, B) wurden oft fälschlich als „Bach-T.n" bezeichnet. Richtung175
Trompete weisend für die Wiederentdeckung der Clarinblastechnik war die von O. Steinkopf und H. Finke 1960 gebaute, gewundene T., deren Intonation durch 3 (nicht auf historische Vorbilder zurückgehende) Löcher in der Röhre korrigiert werden konnte. Seit 1973 wird (in der Schola Cantorum Basiliensis) wieder versucht, auf nachgebauten Natur-T.n die im 17./18. Jh. übliche Anblastechnik, vor allem das „Treiben", zu erlernen, um den Originalklang dieser Instrumente wiederzugewinnen. Die meisten Spieler, die heute die Clarinpartien dieser Literatur blasen, benutzen dazu noch die Hoch-A/B-T., die ebenfalls häufig als „Bach-T." bezeichnet wird. - 2) Neben den Bz.en Tromba, Trummet, Trommet, Tuba, Clairon oder Clarin Bz. einer für den spanischen Orgelbau charakteristischen Zungenstimme (OE Lingualpfeifen) zu 16', 8' und 4' mit trompetenähnlichem Klang und mit trichterförmigen Schallbechern, die waaM. BRÖCKER gerecht in den Raum ragen. Musik für Trompete. Bereits seit der 2. Hälfte des 12. Jh. war die T., abgesehen von ihrer traditionellen Funktion als f Signal-Instrument, vor allem im militärischen Bereich (OE Militärmusik), Instrument der höfischen und städtischen Repräsentation. Sie wurde zum einen im Ensemble mit Schlaginstrumenten (seit Mitte des 15. Jh. dann mit den neu aufkommenden großen Kessel-r Pauken), zum anderen in der Gruppierung mit Holzblas- und Schlaginstrumenten (seit etwa 1300 in Deutschland nur noch selten mit Schlaginstrumenten, im 15. Jh. wurde diese Besetzung dann als r Alta bezeichnet), drittens im reinen T.n-Ensemble (spätere Bz.: Trompetercorps) verwendet. Der Tonumfang der Natur-T. war bis weit ins 15. Jh. auf wenige Töne aus dem unteren Bereich der Naturtonreihe beschränkt. (Die Trompetta- bzw. Tuba-Partien in Werken von E. Grossin, A. de Lantins, J. Fr. Gemblaco u. a. sowie G. Dufays Et in terra „ad modum tubae" lassen nur bedingt Rückschlüsse auf Ambitus, Idiomatik und Repertoire der Zugund Natur-T. in dieser Zeit zu.) War die T. im MA vor allem Rechts- und Herrschaftszeichen bei der Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen und in Prozessionen, so erhielt sie, davon kaum zu trennen, seit dem 15. Jh. zunehmend eine zentrale Rolle im höfischen und städtischen Fest, bei der Tafel ebenso wie beim Tanz, in allegorischen Spielen (später in der Oper) ebenso wie in der Kirche. Musik für T. gehörte gleichermaßen zu Krönungen, Hochzeiten, Trauerfeiern, Reichstagen und Friedensfeiern wie zu Ratsveranstaltungen, Zunftschmäusen und Fürstenbesuchen (r Stadtpfeifer). Mit der im ausgehenden 15. Jh. einsetzenden Entwicklung der Clarinblastechnik (des Überblasens 176
in die hohe Lage der Naturtonreihe vom B. Naturton an) wurden die Voraussetzungen für einen neuen Typ der Musik für T. geschaffen. Im mehrstimmig improvisierten T.n-Satz wurde die ältere Technik des „Feldstückblasens", die u. a. durch das „Schmettern" sowie spätestens seit dem 16. Jh. durch die Verwendung der Doppelzunge gekennzeichnet ist, mit dem am Vorbild der menschlichen Singstimme orientierten Clarinblasen kombiniert. Die ältesten überlieferten Repertoiresammlungen für T. entstanden gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jh. (M. Thomsen, H. Lübeck, C. Bendinelli). Sie enthalten sowohl einstimmige Signale als auch einstimmig notierte Improvisationsvorlagen für das mehrstimmige Musizieren sowie Beispiele für die Ergänzung einer Clarin- zur vorgegebenen Quinta- bzw. Prinzipalstimme (Thomsen, Bendinelli). Konkrete Hinweise zur Improvisationspraxis gibt Bendinelli in seiner als Lehrwerk konzipierten Sammlung Tutta l'arte della Trombetta. Zu den ältesten mehrstimmig aufgezeichneten T.n-Stücken zählt die Toccata zu Cl. Monteverdis Orfeo (V 1609), die in der Tradition der bei Festveranstaltungen üblichen zeremoniellen Bläserstücke steht. In den ersten Jahrzehnten des 17. Jh. fand das Ensemble von T.n und Pauken u. a. in Kompositionen von H. Schütz und M. Praetorius Aufnahme in die Kirchenmusik. Von der Virtuosität der Clarinblaskunst in der 1. Hälfte des 17. Jh. zeugt die Trompetenschule Modo per imparare a sonare di tromba (F 1638) von G. Fantini, die auch die ersten bekannten Stücke für T. und B. c. enthält. In zunehmendem Maße wurde die T. seit der Mitte des 17. Jh. in Opern, Kantaten und Oratorien als obligates Instrument verwendet, insbesondere zur Darstellung des heroischen Affekts bzw. als fürstliches Attribut. Daneben gewann sie seit den 1660er Jahren als Soloinstrument mehr und mehr Bedeutung in der Instrumentalmusik. Für den Hof des Fürstbischofs von Olmütz in Kremsier schrieben u. a. J. H. Schmelzer, P. J. Vejvanovský und H. I. Fr. Biber zahlreiche Suiten und Sonaten mit obligaten T.n. Die Mehrzahl der Sonaten, Sinfonien und Konzerte mit 1-4 konzertierenden T.n von M. Ca77ati, P. Franceschini, G. Torelli (36 Werke), D. Gabrielli, G. M. Jacchini, G. B. Bononcini und G. B. Martini war für die Festmessen zu Ehren des Schutzheiligen an San Petronio in Bologna bestimmt. Ebenso hatte die T. als obligates Instrument in vielen dt. Städten im 17. Jh. Eingang in die Kirchenmusik gefunden. Ein Zentrum war Leipzig. Die T.n-Partien in den Motetten und Kantaten von S. Knüpfer, J. Schelle, J. Kuhnau und in den Kantaten von J. S. Bach stellten z. T. beachtliche
Tropar Anforderungen an die Leipziger Stadtpfeifer. Für fürstliche Auftraggeber schrieben in Deutschland u. a. G. Ph. Telemann. J.S. Bach (2. Brandenburgisches Konzert), Chr. Graupner, J. Fr. Fasch, J. M. Molter u. J. W. Hertel ihre Concerti grossi und Solokonzerte. Zentren der höfischen Clarinblaskunst waren im 17. und 18. Jh. neben Kremsier Wien, Salzburg, Dresden, Weißenfels, London und Versailles. Unabdingbar gehörten zu den großen Festopern des kaiserlichen Hofes in Wien heroische Arien und Chöre mit z. T. virtuosen T.n-Partien (M. A. Cesti, A. Bertali, J. J. Fux). Mittel höfischer Repräsentation war die Musik für T. auch am Hof in London (H. Purcell; G. Keller; G. Fr. Händel,
Wassermusik und Feuerwerksmusik) und vor allem am Hof Ludwigs XIV. in Versailles (J.-B. Lully, M. R. Delalande). - Die Zeit von 1750 bis um 1800 ist gleichermaßen von einer letzten Blüte der Clarinblaskunst wie von ihrem Niedergang gekennzeichnet. Zu den letzten Konzerten für die Natur-T. zählen jene von J. Riepel, L. Mozart und J. M. Sperger, die z. T. die extreme Höhe bis zum 20. oder gar 24. Naturton (M. Haydn) fordern. Nicht mehr für die Natur-, sondern für die Klappen-T. sind die Konzerte von J. Haydn (1796) und J. N. Hummel (1803) geschrieben. Im Orchester der Klassik und der Romantik wurde die T. fast ausschließlich als Tuttiinstrument, nur gelegentlich auch solistisch verwendet. Neben den neu aufkommenden Ventil-T.n (H. Berlioz, Ouvertüre zu Les francs-juges, 1826; H. A. Chelard, Macbeth, 1827) behaupteten sich im Orchester bis weit in die 2. Hälfte des 19. Jh. Natur-T.n, bis sich die ersteren endgültig durchsetzten. Zunehmend wurden in Opern und Orchesterwerken gegen Ende des 19. Jh. die spieltechnischen Möglichkeiten der Ventil-T. ausgeschöpft (N. Rimski-Korsakow, G. Mahler, Cl. Debussy, R. Strauss). In der neueren Musik, insbesondere nach 1945, hat die T., angeregt teils durch den Jazz, teils durch die Wiederentdeckung der T.n-Musik des Barock, auch als Soloinstrument wieder an Bedeutung gewonnen. Als Komponisten sind u. a. G. Enescu, B. Martinů, A. Honegger, P. Hindemith, H. Tomasi, A. Jolivet, Y. Baudrier, J. Françaix, B. A. Zimmermann, M. Kagel und V. Globokar zu nen-
nen. Eine zentrale Rolle kam zunächst dem Kornett, dann seit den 20er Jahren mehr und mehr der T. im Jazz zu. Einerseits wurde hier eine ganz charakteristische Idiomatik, Artikulation und Phrasierung geschaffen, andererseits eine der alten Clarinblastechnik vergleichbare Technik des LJberblasens in die extrem hohe Lage (zunächst P, dann b3 und höher) entwickelt. Richtungweisend war die
Spieltechnik von L. Armstrong, daneben müssen u. a. B. Beiderbecke und aus der folgenden Generation D. Gillespie, M. Davis und M. Ferguson erD. ALTENBURG wähnt werden. Lit.: Geschichte u. Technik der T.: Quellen: M. PRAETORIUS, Syntagma musicum, II: De organographia (Wb 1618, 2 1619), Faks.-Ausg. v. W. Gurlitt (Kas 1958-59); M. MERSENNE, Harmonie universelle 3 (P 1636), Faks.-Ausg. v. F. Lesure (P 1963); G. FANTINI, Modo per imparare a sonare di tromba (F 1638, Faks.-Ausg. Mi 1934); J. E. ALTENBURG, Versuch einer Anleitung z ... Trompeter- u. Paukerkunst (Halle 1795, Faks.-Ausg. Bilthoven 1966). — Studien: W. STAUDER — H. HICKMANN — A. BERNER, Trompeteninstrumente, in: MGG XIII (mit ausführlichem Verz. der älteren Lit.); F. KÖRNER, Stud. z. T. des 20. Jh. (Diss. Graz 1963); J. M. BARBOUR, Trumpets, Horns and Brass (East Lansing/Mich. 1964); H. HEYDE, T. u. T.-Blasen im europäischen MA (Diss. L 1965); PH. BATE, The Trumpet and Trombone (Lo 1966); H. ZORN, Die T. in der dt. Orch.-Musik v. ca. 1750 bis ins 20. Jh. (Diss. 11972); D. L. SMITHERS, The Music and History of the Baroque Trumpet before 1721 (Lo 1973); D. ALTENBURG, Unters. z Gesch. der T. im Zeitalter der Clarinblaskunst (1500-1800), 3 13de. (Rb 1973) (= Kölner Beitr. z Musikforschung 75); R. DAHLQVIST, The Keyed Trumpet and Its Greatest Virtuoso, Anton Weidinger (Nashville 1975) (= Brass Research Series, Nr. 1); D. KRICKEBERG — W. RAUCH, Kat. der Musikinstr.-Museum Berlin (B 1976); A. BAIBlechblasinstr. NES, Brass Instr. (Lo 1976); E. H. TARR, Die T. (Be — St 2 1978); DERS., Trumpet, in: Grove° XIX; J. H. VAN DER MEER, Die europäischen Musikinstr. im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, I: Hörner u. T.n, Membranophone, Idiophone (Wilhelmshaven 1979) Quellenkat. zur Musikgesch. 16); H. HEYDE, T. — Posaune — Tuben. Musikinstr.-Museum der KarlMarx-Univ. Leipzig, Kat. III (L 1980). — Musik für T.: W. OSTHOFF, Trombe sordine, in: AfMw 13 (1956); M. RASMUSSEN, A Bibliogr. of Chamber Music Including Parts for Trumpet or Cornetto, in: Brass Quarterly 3 (1959/60); R. C. VAN NUYS, The Hist. and Nature of the Trumpet as Applied to the Sonatas of G. Torelli (1969) (— Diss. Univ. of Illinois); E. J. ENRICO, Giuseppe Torelli's Music for Instr. Ensemble with Trumpet (1970) (— Diss. Univ. of Michigan); M. MORISSET, Étude sur la musique française pour trompette de Lully à Rameau, in: Rech. Mus. 13 (1973); P. L. CIURCZAK, The Trumpet in Baroque Opera, Its Use as a Solo, Obbligato, and Ensemble Instr. (1974) (= Diss. North Texas State Univ.); C. BENDINELLI, Tutta l'arte della Trombetta (1614). hrsg. v. E. H. Tarr (Kas 1975) (— Documenta musicologira 11/5); D. ALTENBURG, Zum Repertoire der Hoftrompeter im 17. u. 18. Jh., in: Alta Musica 1 (Tutzing 1976); E. H. TARR —T. WALKER, „Bellici carmi, festivo fragor". Die Verwendung der T. in der it. Oper des 17. Jh., in: HJbMW 3 (1978); D. ALTENBURG, Zum Repertoire der Türmer, Stadtpfeifer u. Ratsmusiker im 17. u. 18. Jh., in: Alta Musica 4 (Tutzing 1979); J. HÖFLER, Der „Trompette de menestrels" und sein Instr.. in: TVer 29 (1979); S. Ž.AK, Musik als „Ehr u. Zier" im ma. Reich (Neuss 1979); E. H. TARR, Die Musik u. die Instr. der Caramela Real in Lissabon, in: Basler Stud. z Interpretation der Alten Musik (Z 1980) (— Forum Musicologicum 2). M. BRÖCKER — D. ALTENBURG
TROMPETTE MARINE ' Trumscheit.
TROPAR, Troparium, Tropharium, spätmittelalterliche Bz. für eine Hs., die eine Sammlung von Tropen (r Tropus) enthält. Die aus der Zeit vor und um 1000 erhaltenen Quellen mit Tropen sind nicht als abgrenzbarer Hss.-Typus anzusehen, da sie auch andere Gattungen der älteren und jünge177
Troparion ren liturgischen Monodie enthalten, in erster Linie / Sequenzen, daneben Prozessionsantiphonen und Litaneien, das Ordinarium in griech. Sprache (ostfränkischer Bereich), Verse zum Introitus und zum Offertorium, Alleluiamelodien, die 8 Kirchentöne u. a., so daß Verbindungslinien zum Sequentiar/ Prosar (in der Regel mit dem T. verbunden), zum späteren Prozessionar, zum / Cantatorium und zum /Tonar gezogen werden können. Aus der Tatsache, daß viele der als T.-Prosare einzustufenden Quellen des 10. und 11. Jh. aus Lagen zusammengebunden sind, denen jeweils Tropen zu einzelnen Choralgattungen entsprechen, wurde geschlossen, daß den Sammlungen des 10. Jh. separate Libelli vorausgingen, deren Repertoire geschlossen oder ausgewählt kopiert wurde oder, auf die zugehörigen Feste und Choralgesänge verteilt, in ein r Graduale (mit Tropen) einging. Lit.:rTropus.
K. SCHLAGER
TROPARION (griech., von tropos = Melodie), in Dichtung und Musik der byzantinischen Kirche Bz. für ein kurzes, einstrophiges Gebet oder einen kurzen Hymnus. Es ist eine der ältesten Formen der griech. Hymnographie und hat sich wahrscheinlich aus kurzen Refrains entwickelt, die nach jedem Psalmvers gesungen wurden. Die Kirchenhistoriker zählen zu den ersten Verfassern von Troparien, ebenso die Dichter Anthimos und Timokles (um 464), deren Werke nicht erhalten sind. Die ältesten bekannten Troparien stammen von dem Syrer Auxentios (5. Jh.). Sie sind nicht sehr umfangreich und paraphrasieren Psalmverse oder Abschnitte des NT. Dem Kaiser Justinian (527-565) wird das T. Ho monogenes zugeschrieben, das Teile des Symbolum Nicaenum paraphrasiert. Unter den ältesten Troparien ist ferner das berühmte Oster-T. Christos anestě ek nekrön zu nennen. Seine Ausführung ist gebunden (in Refrainform) an die der Psalmverse 67, 2-4 und 117, 24. Mehrere Handschriften schreiben dem Patriarchen Sophronios von Jerusalem (t 638) 3 Zyklen von je 12 Troparien zu, die für die Horen an Weihnachten, Epiphanie und Karfreitag bestimmt sind. Die 4 für die Vespern an Weihnachten und Epiphanie bestimmten Troparien im Asmatikon müssen ebenfalls ziemlich alt sein. Der Begriff T. bezeichnet auch die verschiedenen Strophen, die die Oden des r Kanon bilden. Die Handschriften des 9. Jh., die Troparien enthalten, heißen Tropologia. Offen bleibt, ob und in welchem Maße ein Zusammenhang zwischen T. und r Tropus besteht. Lit.: M. STÖHR, Troparia, in: MGG XIII; 0. STRUNK, Tropus
and T., in: FS H. Husmann (Mn 1970); H. HUSMANN, Hymnus u. T., in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforschung 4 (1971).
178
TROPUS (lat.; von griech. tropos = Wendung, Ausdrucksweise, auf Sprache und Musik bezogen), im Bereich der Musik des MA Sammelbegriff für freie Texte und Melodien, die einzelne Gattungen des r Gregorianischen Gesangs einleiten, unterbrechen oder fortführen, ohne daß der Choral verändert wird. (Man spricht hier auch vom Verfahren der Tropierung oder des Tropierens.) Der Zusammenhang mit der schon in der Antike geläufigen Verwendung des Begriffs in der Rhetorik, im Sinne des Gebrauchs von Bild und Figur im Dienst des sprachlichen Ausdrucks, stellt sich ein, wenn man die frei gedichteten T.-Texte als ornamentale Fassungen und als ausdeutende Umschreibungen des biblischen Wortes versteht, dem sie hinzugefügt werden. Die sprachlichen Mittel, mit denen der altüberlieferte sanktionierte Text der Heiligen Schrift vergegenwärtigt wird, und die Deutungen, die er mit den neu gesehenen und formulierten Bildern und Gedanken erfährt, öffnen einen Zugang zur Glaubenshaltung des mittelalterlichen Menschen. Als ein Spiegel des Liturgieverständnisses, der theologischen Gelehrsamkeit und der literarischen Kunstfertigkeit sind die T.-Dichtungen mit der gleichzeitig in die Geschichte eintretenden r Sequenz vergleichbar. Als gemeinsame Wurzeln können die schöpferische Aneignung der römischen Liturgie nördlich der Alpen und die Neubewertung von Sprache und Literatur durch die karolingische Renaissance betrachtet werden. Auch in seiner musikalischen Bedeutung ist der Begriff T. aus dem Altertum bekannt. Schon bei Pindaros wird damit nicht nur der Gesang allgemein, sondern eine näher bestimmte Art und Weise des Gesangs angesprochen, die in späteren Zitaten und in der mittelalterlichen Musiktheorie mit den Systemen der melodischen Tonalität verbunden ist. In der synonymen Verwendung von T. mit harmonia und den mittelalterlichen Bezeichnungen für die Kirchentöne, tonus und modus, setzt sich dieser Ansatz fort. In allgemeiner gehaltenen Beschreibungen von Musik, z. B. bei Venantius Fortunatus oder Cassiodorus im 6. Jh., kann T. auch im Sinne von Melodiewendung ohne Bezug auf Musiktheorie stehen, in diesen Fällen gleichbedeutend mit sonus und cantus. In Form von unterschiedlichen Zusätzen zu den einzelnen Gattungen des Gregorianischen Gesanges sind die Tropen seit dem 9. Jh. überliefert, seit dem 10. Jh. gesammelt in sog. r Troparen oder vereinzelt in anderen Choralhandschriften innerhalb der Formulare für Messe und Offizium. Die 3 möglichen Arten der Tropierung werden, nach neuer Terminologie, als meloform, melogen und logogen bezeichnet.
Tropus
Eine meloforme Tropierung besteht aus Melodieabschnitten, die einem vorhandenen Gesang an den Einschnitten und am Ende des Textes in der Art von Zwischen- und Nachspielen hinzugefügt werden. Ein Zeugnis dafür scheint der St. Galler Chronist Ekkehard (IV.) zu geben, wenn er dem vielseitig tätigen Tu(o)tilo, einem Zeitgenossen des Sequenzendichters Notker Balbulus, die Komposi-
ten Anzahl von Tönen, denen er bei syllabischer Textierung eine gleiche Anzahl von Silben unterlegen konnte. Die entstehende Textierung durfte die Länge des Melismas nicht überschreiten und hatte sich in den Sinnzusammenhang des ursprünglichen Textes einzufügen, d. h., Anfang und Schluß der eingeschobenen Betrachtung mußten aus dem Text hervorgehen und in ihn wieder einmünden.
~~~_ --- ~ _-~:r• ~~-— -•- ~ - ~ �r-~~~ ...et [Versi [Prosula:J Et
•
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sicut ce -sicut liliorum candor in gloria manebis coram christo beate et
• -
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Et
ceu pulchritudo rosarum
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•• • -~-- i—T • ~ - ~-~T i e [Vers:) [Prosula:J rutilabis magno decore quasi arbor in tellure que vocitatur nomine ce -
~ s-- ~ -drus multi - plica drus
-
bitur.
Textierungstropus (Prosula) zum Melisma ce - drus aus dem Alleluiavers Justus ut pa/ma (Corpus troporum II/1, S. 85, Nr. 40,1), Paris, Bibl. Nat. lat. 903, 99v
tion von Neumata zuschreibt. Da an dieser Stelle auch von den beiden Saiteninstrumenten Psalterium und Rotta die Rede ist, wird man sich unter Neumata textlose Melodien vorzustellen haben, wie sie als konstante oder „wandernde" Melismen mit verschiedenen liturgischen Gesängen überliefert sind. Es ist nicht auszuschließen, daß zumindest einige dieser meloformen Erweiterungen des Chorals einen gemeinsamen Ausgangspunkt für die Geschichte von Tropen und Sequenzen darstellen. Unter der melogenen Tropierung ist die Textierung eines ursprünglich textfreien Melodieabschnitts zu verstehen. Es kann sich bei diesem Melodieabschnitt um ein freies Melisma handeln, von dem anzunehmen oder nachzuweisen ist, daß es seinerseits als meloformer Tropus bereits zum Gesang hinzugekommen ist, oder um ein Melisma,
[Tropus:] Hodie parvu - lo - rum cunu - le prcci - oso
potenter — 4.-
eva - sit inle - sus ide - o
fra - tres
Ein logogener T. entsteht, wenn Text und Melodie neu geschaffen werden. Bei der Wahl dieser Bezeichnung geht man davon aus, daß der neue Text am Anfang steht und mit einer Melodie versehen wird. Der entstehende Wort-Ton-Abschnitt verbindet sich mit einem überlieferten Gesang, in der Funktion als Einleitung oder als Interpolation. In diesen Beispielen wird man beobachten können, daß nicht nur der neue Text in den gegebenen Zusammenhang paßt, sondern auch der zu diesem Text erfundene Melodieverlauf auf die bestehende Choralmelodie abgestimmt ist. Trotz dieser doppelten Zuwendung des T. zum Choral bietet die logogene Tropierung den meisten Freiraum für die Erfindung von Texten (nicht selten in hexametrischer Form) und Melodien, da die äußere Beschränkung entfällt, die ein gegebenes Melisma auferlegt.
perfun - dun - tur sangui- ne sed cristus qui queri - tur
de - voti alla - te dicen - tes
[Introitus:] Ex o - re
-~--.
di s
- fan - ti - um de - us et lacten - ti - um .. Einleitungstropus zum Introitus Ex ore infantium (Corpus troporum I/1, S.111), Bamberg, Staatl. Bibi Lit.12, 46
das dem Gesang als Eingangs-, als Binnen- oder Paenultima-Melisma angehört und in Form einer längeren Notenkette über einer Silbe des biblischen Textes gesungen wird. In beiden Fällen ist davon auszugehen, daß dem T.-Dichter eine Melodie vorgelegen hat: ein Melisma mit einer begrenz-
Die einzelnen Gesangsgattungen der Messe und des Offiziums bieten unterschiedliche Ansatzpunkte für die Art der Tropierung. Die melismenreichen Propriumsgesänge wie Alleluia und Offertorium der Messe und die Responsoria prolixa aus der Matutin gewähren Raum für die syllabische 179
Tropus Austextierung der weitläufigen Notenketten, die sich über einzelne Silben des Textes wölben. Die antiphonalen Gesänge wie der Introitus oder die Communio der Messe zeigen - zumindest in ihrer ursprünglichen Ausführung mit mehreren Versen und Doxologie - Gliederungspunkte, Einschnitte und Zäsuren, die sich für Interpolationen eignen. Der Introitus, der als Eingangsgesang der Messe auf den Inhalt und die Bedeutung des Sonn- oder Feiertages einstimmt, kann mittels einer vorangestellten Introduktion erweitert werden, die den Festgedanken dem Vorstellungsvermögen der Gläubigen näherbringt. In Dialogform wird diese Einleitung zum Ausgangspunkt für Oster- und Weihnachtsspiele (r Liturgisches Drama). Während die Tropierung der genannten Propriumsgesänge im Verlauf des Mittelalters abnimmt, erhält sich der Gebrauch und die Verbreitung von Tropen zu den Gesängen mit gleichbleibendem Text, da bei diesen die Notwendigkeit der Interpretation in Richtung auf den jeweiligen liturgischen Anlaß offenkundig blieb. In erster Linie sind hier die Kyrietropen zu nennen. Zumindest einige aus dem älteren Repertoire sind als „Schein"-Tropen zu bezeichnen, da sie wahrscheinlich nicht zum Choral hinzugekommen, sondern schon mit ihm entstanden sind. Die Melismen dieser Kyriemelodien wären unter diesen Voraussetzungen aus einer Enttextierung entstanden. Musikalisch eigenständige Introduktionen und Interpolationen bilden unter den Kyrietropen eine Minderheit und sind nur mit wenigen Melodien des älteren Repertoires verbunden. Dagegen bestehen die Tropen zum wortreicheren Gloria aus selbständigen Text- und Melodiezeilen, die vor und zwischen die einzelnen Abschnitte des Hymnus angelicus eingefügt werden, wobei hinsichtlich der Reihenfolge und der Verbindung mit den verschiedenen Gloriamelodien beständige und wandernde Zeilen zu unterscheiden sind. Aus dem Ordinarium missae sind auch die Sanctus- und Agnusmelodien häufig tropiert worden, seltener das Credo. Unter den Lesungen und Gebeten haben Epistel und Pater noster begrenzte Bedeutung in der Tropenpraxis erlangt. Aus den strophischen Paraphrasen, in die der Schlußversikel Benedicamus Domino - Deo gratias eingegangen ist, entwickelten sich lateinische geistliche Lieder. Liedhafte Form und Melodik kennzeichnet auch viele Tropen, die im Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen Choraltradition stehen und u. a. in Verbindung mit Ordinariumsmelodien, mit gereimten Alleluiaversen, mit Sequenzen und den Marianischen Antiphonen überliefert sind. In diesen Beispielen geht die ursprünglich angestrebte 180
Einheit zwischen Choral und T. verloren, wenn die T.-Melodik eine der neuen rhythmischen Dichtung entsprechende Form annimmt und in den weltlichen Bereich drängt, während gleichzeitig der Choral, auch in nachgestalteter Neukomposition, in der Tradition „prosaischer" Melodik mit zumindest neumatischem Wort-Ton-Verhältnis verbleibt. Kennzeichnend für dieses letzte Stadium in der Geschichte des T. ist einerseits der Nachweis von Cento-Tropen, die aus Sequenzenabschnitten und geistlich-nichtliturgischen Texten zusammengewürfelt sind, andererseits die Loslösung von Liedtropen aus dem Zusammenhang mit dem Choral und ihre Überlieferung in Form selbständiger Cantiones, deren Nachleben bis in das nationalsprachliche Kirchenlied beobachtet werden kann. Nicht nur im Bereich des geistlichen Liedes, auch in der mehrstimmigen Musik, beginnend mit den Organa aus Winchester (Anfang des 11. Jh.) bis hin zu Meßfragmenten und Meßzyklen des 13.-15. Jh., haben die Tropen Spuren hinterlassen. Die solistisch vorgetragenen textlichen oder textlich-musikalischen Erweiterungen des Chorals waren Einbruchstellen für die Mehrstimmigkeit und gehören zu den frühesten Beispielen notierter mehrstimmiger Musik. Für Theorien hinsichtlich usueller Ausführungsmöglichkeiten und für Beobachtungen überlieferter mehrstimmiger Kompositionstechniken lassen sich Tropen als Beispiele heranziehen, mögen sie einstimmig als Melisma und Prosula oder im Satz als C. f. notiert sein. In die Vatikanische Choralausgabe sind keine Tropen mehr einbezogen worden. Im Kyriale (1905) erinnern nur noch die das Kyrie begleitenden Textmarken (Lux et origo, Kyrie Fons bonitatis, Kyrie Deus sempiterne u. a.) an das bewundernswerte Vermögen der Dichter und Musiker des Mittelalters, den Gregorianischen Gesang mit den Tropen gleichzeitig zu erneuern und zu bewahren (OE Kyrie). Ausg. u. Lit.: H. HUSMANN, Tropen- u. Sequenzenhss. (Mn 1964) (— RISM B V'); DOM HESBERT, Le tropaire-prosaire de Dublin. Ms. Add. 710 de l'Univ. de Cambridge (Rouen 1966) (— Monumenta musicae sacrae 4); B. STÄBLEIN, T., in: MGG XIII; K. RÖNNAU, Die Tropen z. Gloria in excelsis Deo (Wie 1967); P. R. EVANS, The Early Trope Repertory of St-Martial de Limoges (Princeton/N.J. 1970); G. WF.Iss, Introitus-Tropen, I: Das Repertoire der südfrz. Tropare des 10. u. 11. 1h. (Kas 1970) (— Monumenta monodica medii aevi III); W. ARZT, Peripherie u. Zentrum. Vier Stud. z. ein- u. mehrst. Musik des hohen MA, 1. Folge, in: Forum musicologicum I (1975); J. BOE, Rhythmical Notation in the Beneventan Gloria Trope „Aureas Arces", in: MD 29 (1975); R. JONSSON, Tropes du propre de la messe, I: Cycle de Nod (Sto 1975) (— Corpus troporum I ); O. MARCUSSON, Prosules de la messe, I: Tropes de l'alleluia (Sto 1976) ( — Corpus troporum 2); T. J. MCGEE, The Liturgical Placements of the Quem quaeritis Dialogue. in: JAMS 29 (1976); CH. M. ATKINSON, The
Troubadour Earliest Agnus Dei Melody and Its Tropes, in: JAMS 30 (1977); TH. F. KELLY, New Music from Old. The Structuring of Responsory Prosas, in: ebd.; CH. ROEDERER, The Frankish Dies sanctificatus at St. Gall, in: ebd.; A. PLANCHART, The Repertory of Tropes at Winchester (Princeton 1977); B. STÄBLEIN, Pater noster-Tropen, in: FS F. Haberl (Rb 1977), Wiederabdruck in: Musik u. Gesch. im MA (Göppingen 1983); B. BARCLAY, Organa letitie. in: MD 32 (1978); M. HUGLO, Aux origines des tropes d'interpolation. Le trope méloforme d'introit. in: RMie 64 (1978); R. JONSSON, Corpus troporum, in: Journal of the Plainsong & Mediaeval Music Soc. 1 (1978); M. HUGLO, On the Origins of the Troper-Proser, in: ebd. 2 (1979); R. JONSSON, Quels sont les rapports entre Amalaire de Metz et les tropes liturgiques, in: Atti del XVIII convegno di studi ... Todi 1977 (Todi 1979); O. MARCUSSON, Comment a-t-on chanté les prosules?, in: RMie 65 (1979); D. A. B,JoRKt, The Kyrie Trope, in: JAMS 33 (1980); DERS., Early Settings of the Kyrie eleison and the Problem of Genre Definition, in: Journal of the Plainsong & Mediaeval Music Soc. 3 (1980); N. SEVESTRE, The Aquitanian Tropes of the Easter Introit. A Musical Analysis, in: ebd.; G. IVERSEN, Tropes de l'Agnus Dei (Sto 1980) (— Corpus troporum 4); K. SCHLAGER, Zur Definition des T. im späten MA, in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980); R. STEINER, Prosula, in: Grove. XV; DIES., Trope. in: ebd. XIX; D. A. BORIC, The Early Frankish Kyrie Text. A Reappraisal, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 12 (1981); K. SCHLAGER, Die Neumenschrift im Licht der Melismentextierung, in: AfMw 38 (1981); W. ARLT, Zur Interpretation der Tropen, in: Forum musicologicum 3 (1983); L. TREITLER, Observations on the Transmission of Some Aquitanian Tropes, in: ebd. K. SCHLAGER
TROESTER, Arthur, * 11.6. 1906 Rostow am Don; dt. Violoncellist. Er studierte 1929-31 bei P. Casals, war 1935-45 1. Solovioloncellist des Berliner Philharmonischen Orchesters und 1946-74 Konzertmeister beim NDR Sinfonieorchester in Hamburg. 1949-78 unterrichtete er an der Hamburger Musikhochschule und wurde 1978 Lehrer an der Lübecker Musikhochschule. Bis 1970 bildete er mit C. Hansen und Erich Röhn ein Klaviertrio, mit Alexander Kaul spielte er im Duo und trat auch als Solist auf. Seine Programme enthielten vorzugsweise Werke zeitgenössischer Musik. G. Klebe widmete ihm ein Violoncellokonzert. TRÓTSCHEL, Elfride, * 22. 12. 1913 Dresden, t 20.6. 1958 Berlin; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte in Dresden und debütierte 1934 an der dortigen Staatsoper, der sie bis 1944 angehörte. 1947-53 sang sie an der Berliner Komischen Oper und war danach bis zu ihrem Tod Mitglied der Berliner Städtischen Oper. E. T., die u. a. auch bei den Salzburger Festspielen, in London und Florenz sowie beim Glyndebourne Festival auftrat, galt als bedeutende Vertreterin des lyrisch-dramatischen Sopranfachs. TROUBADOUR, Trobador (von provenzalisch
trobar = [er]finden; vielleicht zu vulgärlat. tropare statt spätlat. contropare = bildlich sprechen und griech.-lat. tropus = rhetorische Figur), frz. Bz. für
den südfranzösischen, provenzalisch (altprovenzal., nach dem Bejahungsartikel Lengua d'oc, daher heute okzitanisch) schreibenden Dichter, den Schöpfer der volkssprachlichen Kunstlyrik des Abendlands, die um 1100 in vollkommener Form mit Guillaume IX d'Aquitaine beginnt und fortgeführt, differenziert und bereichert wird durch Autoren wie Marcabru, Bernart de Ventadorn, Giraut de Bornelh, Bertran de Born, Jaufré Rudel, Arnaut Daniel, Folquet de Marseille, Gaucelm Faidit, Arnaut de Mareuil, Raimbaut de Vaqueiras, Aimeric de Peguilhan, Peire Vidal, Peire Cardenal, Raimon de Miraval, Guiraut Riquier sowie den Italiener Sordel(lo) oder den Katalanen Cerveri de Girona (auch Guillem de Cervera). Überliefert sind die Namen von ca. 460 T.s, unter ihnen 20 Dichterinnen (trobairitz), 25 Italiener und 15 Katalanen, die etwa 2600 Texte (von denen 264 Melodien erhalten sind) hinterließen. Ihre literarisch-musikalischen Aktivitäten führten sie an Höfe Nordfrankreichs, Deutschlands, Ungarns, Italiens, Spaniens und Portugals. Ein wesentlicher Teil der Forschungsdiskussion besteht aus Versuchen, den Ursprung dieser hochartifiziellen Kunst zu klären, deren Lösungen, die jeweils wesentlich von den geistesgeschichtlichen Tendenzen aus der Zeit des Interpreten mitgeprägt werden, sich nach den ihnen zugrunde liegenden verschiedenen Hypothesen gliedern lassen: 1. Verbindung der T.-Texte mit der Liedform des Zéjel und bestimmten, von den Arabern seit dem 9. Jh. entwickelten Motiven (A. Roncaglia). 2. Verbindung der T.-Dichtung mit der literarischen, in Nordfrankreich durch die Romane Chrétiens de Troyes und die Lais der Marie de France bekannten Überlieferung der Kelten (J. Marx). 3. Initiative der Katharer (D. de Rougemont). 4. Einfluß bestimmter Elemente des aquitanischen Versus, eines nicht liturgischen und daher auch nicht zwingend religiösen, im 11. Jh. im Umkreis des Klosters Saint-Martial in Limoges nachweisbaren gesungenen Textes in lat. Sprache (J. Chailley). - 5. Erklärung der hohen Liebeserfahrung der Provenzalen aus dem Vorbild der christlichen Liebe und dem durch Venantius Fortunatus propagierten frühmittelalterlichen dulcedo-Ideal (R. Bezzola). - 6. Zusammenhang zwischen den Dichtungen Ovids und denen der T.s (D. Scheludko). - 7. Übereinstimmungen zwischen der T.und Vagantenlyrik, die allerdings über dem gelehrten Spiel den reinen Ton der Verzweiflung Liebender vergißt (R. Bezzola, H. Spanke). - B. Soziologische Deutungen der provenzalischen Lyrik aus der speziellen Situation des Individuums in seiner feudalrechtlich geordneten, ständisch gegliederten 181
Troubadour Welt (C. S. Lewis) bzw. fälschliche Zuschreibung der Erfindung dieser Dichtung einer spezifischen Gruppe, dem sog. Kleinadel (E. Köhler, U. Mölk), z. B. Anregung des hohen Ranges der Frau bei den T.s durch den Pagendienst der angehenden Ritter (I. Feuerlicht). - 9. Populäre Traditionen, die die provenzalische Lyrik in bestimmten Gattungen (Alba, Pastorela, Mai- und Tanzlieder) aufnimmt, eine auch auf dem Argument beruhende Oberlegung, daß literarische Kunstformen stets aus volkstümlichen Spielarten des Literarischen herauswachsen (F. Diez). - Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die spezifische historische, geographische und kulturelle Gemengelage, deren Schichten die angeführten 9 Hypothesen umreiBen, zur Herausbildung der provenzalischen Lyrik geführt hat. Die soziale Herkunft der T.s ist im Gegensatz zu der der in ihren Diensten stehenden Spielleute niederen Standes (provenzal. joglars, frz. jongleurs) nach Auskunft ihrer Vidas (provenzal. Biographien) sehr unterschiedlich: Bernart de Ventadorn etwa war Sohn eines Mannes, der auf der Burg Ventadorn den Backofen heizte, der Vater des Aimeric de Peguilhan war Tuchhändler in Toulouse, von Giraut de Bornelh, den seine Vida als „meiller trobaire", den besten T., bezeichnet, teilt diese Quelle nur mit, er sei niederen Standes („hom de bas afar") gewesen, Bertran de Born war Vizegraf von Hautefort in der Dordogne und trat im Alter dem Zisterzienserorden bei, die Trobairitz Beatrix de Dia war Gräfin, Guillaume IX d'Aquitaine Herzog und Jaufré Rudel Fürst von Blaye (Saintonge). Daß sich auch Könige in dieser Kunst versuchten, beweist z. B. Alfonso el Sabio. Die Verschiedenheit der sozialen Herkunft wird aufgefangen durch Bildung und höfisches Verhalten des einzelnen T.s, seine dichterische und kompositorische Gewandtheit konzentriert sich im Rahmen der Liebeslieder wesentlich auf Darstellung, Diskussion und Erläuterung charakteristischer Aspekte der „höfischen Liebe" oder hohen Minne (fin' amors). Verfeinerung und Stilisierung der Liebesbeziehung ergeben sich aus Anmut und Artigkeit der Liebenden, die Sublimierung der sinnlichen Leidenschaft verleiht die höchste Erfüllung (joi d'amor). Geheimnis, Trauer, Freude und spirituelle Erleuchtung verleihen dieser Liebe die AuBerordentlichkeit einer religiösen Erfahrung, die auch die Sprache der Dichter entscheidend prägt. Der christliche „amor perfectus” wird zum erreichbaren Absoluten innerweltlicher Existenz. Gestalt gewinnt dieses Thema vor allem in der OE Canso; neben ihr überliefern die provenzalischen Texte noch Beispiele anderer Gattungen, u. a. , Descort, 182
r Jeu-parti, Partimen, " Pastourelle, r Planctus, -' Sirventes und řTenso; die Bezeichnung „vers" umfaßte um 1100-50 neben der Canso auch andere Gattungen. Die T.s bilden in ihren Dichtungen 4 Metaphernkreise aus, denen die okzidentale Kunstlyrik der Folgezeit ihre Spezifität verdankt, sie aufnimmt und bis in die Gegenwart verwandelt (z. B. Ezra Pound). Es sind dies der Kampf, das Feuer, der Vasallendienst und das Martyrium als charakterisierende, präpsychologische Symbole der Befindlichkeit des Liebenden. Diese Begriffsfelder gehen z. T. auf römische Vorstellungen (vgl. Ovid, Amores, I, 9 v.1: „militat omnis amans et habet sua castra Cupido"; Vergil, Aeneis, IV, vv. 68 ff.: ,,... uritur infelix Dido") zurück oder sind wie der Vasallendienst vom Kontext der zeitgenössischen Gesellschaftsordnung und ihren Rechtsbegriffen oder wie das Martyrium von christlichen Vorstellungen bestimmt, das letztere aus seinem ursprünglichen Umfeld mit einer Kühnheit herausgelöst, die die heute empfundene Abgegriffenheit der Metapher nicht mehr vermittelt. Die literarische Technik der T.s geschieht in höchstem Maße bewußt, was nach H. van der Werf 1575 verschiedene, metrische, davon 1200 jedoch nur einmal auftretende Schemata belegen. Der Rang eines Dichters ergibt sich wesentlich aus seiner formalen Kunstfertigkeit, die sich besonders in der Verknüpfung der Strophen untereinander, ihrer Gliederung und der Verteilung der Reimwörter ausdrückt. Ziel des T.s ist (vgl. Dante Alighieri, De vulgari eloquentia, II, 9, 6) die Harmonie, die sich aus der melodischen Struktur der Strophe (cantus divisio), dem Verhältnis zwischen Verszeilen und Reimen (partium habitudo) und der Anzahl von Zeilen und Silben (numerus carminum et sillabarum) ergibt. Die Reflexion über ihre Kunst umschreiben die T.s mit Begriffen wie „trobar braus", „trobar clar", „trobar dus", „trobar leu", „trobar naturau", „trobar prim" und „trobar ric", die trotz ihrer Mehrdeutigkeit eine Skala von Ausdrucksmöglichkeiten erkennen lassen, die vom ungekünstelten, schlichten und natürlichen Stil bis zum hermetisch-verschlüsselten, esoterisch-manieristischen Sprachduktus reichen. Die T.-Dichtung ist mit musikalischer Begleitung vorzustellen, wobei eine bestimmte einstimmige Melodie - und entsprechend eine bestimmte Strophenform - nicht zwingend an einen einzigen Text gebunden sein muß, wie z. B. das Lerchenlied des Bernart de Ventadorn Can vei la lauzeta mover zeigt, das zu mehreren anderen, geistlichen und weltlichen Liedern die strophisch-musikalische Grundlage abgab (r Kontrafaktur). Grundsätzlich
Troubadour
erschwert die Überlieferungslage im Zusammenhang mit den Melodien die musikalische Rekonstruktion erheblich. Zwar lassen sich durch die Kontrafakturen und durch den Vergleich mit nichtprovenzalischen Liedern und geistlichen Gesängen bestimmte Einsichten zu rhythmischer und modaler Struktur gewinnen, werden aber durch Varianten, die vermutlich auf der jeweils voraufgegangenen mündlichen Tradierung der Melodie beruhen, vielfach wieder in Frage gestellt. Während die ersten T.s offenbar die Form der durchkomponierten Strophe - wohl auch um sich von populären Liedern abzugrenzen - bevorzugten (nach Dante, De vulgari eloquentia, II, 10, 2-3, eine „oda continua usque ad ultimum progressive, hoc est sine iteratione modulationis cuiusquam et sine diesi"), gewinnen im Laufe der Zeit melodische Parallelismen an Einfluß, die auf die Doppelversikelordnung der Sequenz zurückzuführen sein könnten. Melodien, die sich an Psalmtöne anschließen und besonders nach 1170 eine stärkere Berücksichtigung von volkstümlichen - auch nordfranzösischen? - Weisen erkennen lassen, die herkunftsgemäß eine häufigere Zeilenwiederholung aufweisen, kennzeichnen die weitere Entwicklung der T.-Musik. Mit dem Ende der Albigenserkriege endet die Kunst der Provenzalen. Die Toulouser Bürger, die sich 1323 zu einem Konsortium zur weiteren Pflege der provenzalischen Lyrik zusammenfanden, als neue gültige Dichtungsordnung von Guilhem Molinier die Leys d'amors redigieren ließen und die Blumenspiele stifteten, besiegelten den Untergang dieses einzigartigen höfisch-geistigen Abenteuers. Am romantischen Neubeginn der europäischen Literatur allerdings sind die T.s wieder beteiligt: als Helden der literarischen Fiktion und als Zeugen der schmerzlichen Spontaneität des Empfindens, die Klassik und Klassizismus verschütteten. Mme. de Staël oder August Wilhelm Schlegel bürgen für die Intensität dieser Rezeption. Lit.: 1) Verzeichnisse: A. PILLET - H. CARSTENS, Bibliogr. der T.s (H11933) ( - Schriften der Königsberger Gelehrten Ges., Sonderreihe 3); 1. FRANK, Répertoire métrique de la poésie des t.s, 2 Bde. (P 1953-57) (- Bibl. de l'École des hautes études 302-303); D'A. S. AVALLE, La letteratura medievale in lingua d'oc nella sua tradizione manoscritta. Problemi di critica testuale (Tn 1961) ( Studi e ricerche 16), dt. Auszug in: Gesch. der Textüberlieferung I1 (Z 1964); A. VINCENTI, Bibliogr. antica dei trovatori (Mi Neapel 1963). - 2) Anthologien: J. BOUTIÈRE - A.-H. SCHUTZ, Biographies des t.s (P 1950, 2 1964 (überarbeitet]); F. GENNRICH, Tis, Trouvères, Minne- u. Meistersang (Kö 1951, 2 1960) (- Das Musikwerk 2); E. LOMMAT7,SCH, Leben u. Lieder der provenzal. T.s, 2 Bde. (B 1957-59); F. GENNRICH, Der musikal. Nachlaß der T.s, 3 Bde. (Da - Langen 1958-65) (- Summa musica medii aevi 3, 4, I S); R. NELLI - R. LAVAUD, Les t.s, 11: Le trésor poétique de l'occitanie (P 1966); D. RIEGER, Mittelalterliche Lyrik
Frankreichs, 1: Lieder der Trobadors (St 1980) (provenzal./dt.). 3) Einzelarbeiten: J. B. BECK, La musique des t.s (P 1910, Nachdr. 1973); F. GENNRICH, Grundriß einer Formenlehre des ma. Liedes als Grundlage einer musikal. Formenlehre des Liedes (H1 1932); A. JEANROY, La poésie lyrique des t.s, 2 Bde. (Toulouse - P 1934); H. SPANKE, Beziehungen zw. romanischer u. ma. Lyrik mit besonderer Berücksichtigung der Metrik u. Musik (B 1936); D. DE ROUGEMONT, L'amour et l'occident (P 1939, 2 1956); R. R. BEZZOLA, Les origines et la formation de la littérature courtoise en occident, 500-1200, 3 Bde. (P 1944-63); J. MARX, La légende arthurienne et le Graal (P 1952); H. HUSMANN, Das Prinzip der Silbenzählung im Lied des zentralen MA, in: Mf 6 (1953); DERS., Die musikal. Behandlung der Versarten im Troubadourgesang, in: AMI 25 (1953); J. CHAILLEY, Les premiers t.s et le versus de l'école d'Aquitaine, in: Romania 76 (1955); E. HOEPFFNER, Les t.s (P 1955); H. H uSMANN, Époques de la musique provençale du moyen âge, in: 1" congrès int. de la langue et littérature du Midi de la France (Avignon 1955); H. ANGLÉS, El canto popular en las melodías de los trovadores provenzales, in: Anuario Mus. 14 (1959) - 15 (1960); E. KÖHLER, Trobadorlyrik u. höfischer Roman (B 1962); H. FRIEDRICH, Epochen der it. Lyrik (F 1964); M. LAZAR, Amour courtois et „fin" amors' dans la littérature du XII' siècle (P 1964); E. KÖHLER, Esprit u. arkadische Freiheit (F 1966); B. STÄBLEIN, Zur Stilistik der T.-Melodien, in: AMI 38 (1966); Der provenzal. Minnesang. Ein Querschnitt durch die neuere Forschungsdiskussion, hrsg. v. R. BAEHR (Da 1967) ( Wege der Forsch. 6; bes. die Beitr. v. I. Feuerlicht u. A. Roncaglia), vgl. dazu: W.-D. LANGE, in: Roman. Forsch. 79 (1967); U. MÖLIc, Trobar clus - trobar leu (Mn 1968); J. H. MARSHALL, The Donatz Proensals of Uc Faidit (Lo 1969); E. JAMMERS, Die Rolle der Musik im Rahmen der roman. Dichtungen des 12. u. 13. Jh., in: Grundriß der roman. Lit.en des MA, 1: Généralités, hrsg. v. M. Delbouille (Hei 1972); J. H. MARSHALL, The Razos de Trobar of Raimon Vidal and Associated Texts (Lo 1972); H. VAN DER WERF, The Chansons of the T.s and Trouvères. A Study of the Melodies and Their Relation to the Poems (Utrecht 1972); L T. TOPSFIELD, T.s and Love (C 1975); E. KÖHLER, Vermittlungen. Romanistische Behr. zu einer historisch-soziologischen Literaturwiss. (Mn 1976); D. RIEGER, Gattungen u. Gattungsbezeichnungen der Trobadorlyrik. Unters. z. altprovenzal. Sirventes (Tü 1976) (- Beih.e z Zschr. für roman. Philologie 148); J. A. FLEMING, The T.s of Provence (Folcroft/Pa. 1977); P. BEC, La lyrique française au moyen âge (X11'-XI1I' siècles). Contribution à une typologie des genres poétiques médiévales, 2 Bde. (P 1977-78); DERS., Trobairitz occitanes et chansons de femmes françaises, in: Perspectives médiévales 5 (1979); M. u. M. RAUPACH, Französisierte Troubadourlyrik. Zur Überlieferung provenzal. Lieder in fn. Hss. (Tü 1979); J. STEVENS -TN. KARP, T.s, trouvères, in : Grove. XIX (weitere Lit.); U. MÖUC, Die provenzal. Lyrik, in: Neues Hdb. der Literaturwiss, VII: Europäisches Hochmittelalter (Wie 1981). - Zu einer Diskographie: A. ZERBYCROS, Discographie occitane générale. Des t.s à la „Nouvelle Chanson" (Béziers 1979). W.-D. LANGE
TROUBADOUR, DER (11 trovatore), Oper in 4 Akten von G. Verdi, Text von Salvatore Cammarano nach dem gleichnamigen Sčhauspiel (1836) von Antonio García Gutiérrez, nach dem Tode Cammaranos (1852) vollendet von Leone Emanuele Bardare. Ort u. Zeit der Handlung: Biskaya u. Aragón, 1409. UA: 19. 1. 1853 Rom (Teatro Apollo); dt. EA (in dt. Sprache): 20.4. 1855 Braun-
schweig. Obwohl Verdi noch ganz in der Traditionslinie V. Bellinis und S. Mercadantes steht, wird mit 183
Trouvère
Troubadour der Einfluß der frz. Grand opéra spürbar. Der Troubadour ist die „klingende Parabel" über die Rache einer Zigeunerin. Um den Feuertod ihrer Mutter zu rächen, warf Azucena in der Verwirrung ihrer Sinne den eigenen Sohn statt des Grafensprosses in das Feuer. Seither lebt sie in dumpfem Schuldgefühl. Nur sie weiß, daß Manrico in Wahrheit der Sohn des Grafen ist. In ihrer Liebe zu Leonore werden die Brüder, Graf Luna und der Troubadour Manrico, zu Rivalen, ohne um ihre Blutsverwandtschaft zu wissen. Erst als Graf Luna seinen Bruder auf das Schafott schickt, entdeckt ihm die Zigeunerin das Geheimnis: „Er war dein Bruder." Ein echter Bühneneffekt, ein Colpo di scena, wie ihn G. Meyerbeer in den Hugenotten und J. Fr. Halévy in der Jüdin vorgebildet hatten. Verdi erfüllt das grausame Geschehen mit zündender Musik, malt unbedenklich durch die Wahl plakativer Mittel die schroffen Gegensätze in glühenden Farben aus. Wenn Azucena ihre suggestive Arie Stride la vampa (Lodernde Ramme) kauernd hervorstößt, wenn Manrico seine berühmte Stretta Di quella pira l'orrendo foco (Lodern zum Himmel seh' ich die Flamme) anstimmt, dann vollzieht sich immer wieder Oper als Faszinosum, das alle Bedenken puritanischer Ästheten hinwegfegt. H. BECKER TROUVÈRE (altfrz. troveor, zu frz. trouver = fin-
den, erfinden; wahrsch. vom vulgärlat. tropare [statt spätlat. contropare = bildlich sprechen u. griech.-lat. tropus = rhetorische Figur]), Bz. für den nordfranzösischen, zumeist in anglonormannischer, champagnischer oder pikardischer Mundart schreibenden Lyriker des 12.-13. Jh., dessen Werk wesentlich durch die Kunst der "Troubadours und die regionalen Liedtraditionen geprägt ist. Zeitlich setzt die nordfranzösische Form der mittelalterlichen Liebesdichtung um 1160 ein, möglicherweise unmittelbar von Marie de Champagne, einer Tochter Eleonores von Aquitanien, angeregt. Als erste T.s gelten im allgemeinen Guiot de Provins (2. Hälfte 12. Jh. - Anfang 13. Jh.), Huon d'Oisy (t 1190) und der bedeutende Epiker Chrétien de Troyes, von dem 2 große Liebeslieder erhalten sind. Auch der zum Jahrhundertende mit seinem Vers de la mort hervortretende Zisterziensermönch Hélinand de Froidmont könnte zu dieser Gruppe gehört haben. In ihrer Folge entfaltet sich die Dichtung der T.s aristokratisch-höfisch und bürgerlich-städtisch u. a. in Werken von Adam de la Halle, Audefroi le Bastart, Blondel de Nesle, Chastelain de Coucy, Colin Muset, Conon de Béthune, Gace Brulé, Gautier de Coinci, Gautier de Dargies, Raoul de Soissons oder Thibaut IV de 184
Champagne. Von den 2130 bibliographisch erfaßten T.-Dichtungen sind mindestens zwei Drittel mit Melodien überliefert. In enger thematischer Anlehnung an die Provenzalen - allerdings kühler und rationaler als diese - pflegten die T.s als Gattungen besonders Aube (r Tagelied), r Ballade, r Chanson (Kanzone), Chanson de croisade, Chanson d'histoire (auch Chanson de toile), r Descort, r Estampie, "Jeu-parti, "Lai, Motet, "Pastourelle, Rondel, tRotrouenge, rSirventes und r Virelai. Beleg für die vielfältige volkstümliche Inspiration der entsprechenden Texte ist der Einschub von textgliedernden, auch musikalisch strukturierenden Refrains. - Wie die Troubadours sind die T.s in höchstem Maße formbewußt, ja, ihre Kunst scheint sich in noch stärkerem Maße als die der Provenzalen bei stereotyper, diesen entlehnter Themenstellung in Vollendung und Variation des Formalen zu erfüllen, dessen ästhetische Gesamtheit die harmonische Symbiose von Sprache und Musik bedingt. Die einstimmigen Melodien der T.s weisen der historischen Abhängigkeit entsprechend viele Gemeinsamkeiten mit denen der Troubadours auf; allerdings schätzen sie die durchkomponierte Strophe weniger als das kunstreiche Wechselspiel von Wiederholung, Variierung und Kontrast und erweitern die musikali-
schen Ausdrucksmöglichkeiten besonders seit dem 13. Jh. durch die Einbeziehung von volkstümlichen Lied- und Tanzelementen. - Einzelne Genera der T.-Dichtung lebten - auch durch ihre Pflege in bürgerlichen Dichtergesellschaften (r Puy) - bis in die Renaissance fort, die sie mit den neuen Vorbildern aus der griechischen und römischen Antike sowie dem italienischen Trecento zum Untergang bestimmte. Lit.: 1) Verzeichnisse: G. RAYNAUD, Bibliogr. des chansonniers français des XII1' et XIV' siècles, 2 Bde. (P 1884, NY 2 1970): H. SPANKE, G. Raynauds Bibliogr. des altfrz. Liedes neu bearb. u. ergänzt (Lei 1955); U. MöL.K — F. WOLFZETrEI,, Répertoire métrique de la poésie lyrique française des origines a 1350 (Mn 1972). — 2) Anthologien: Altfrz. Romanzen u. Pastourellen, hrsg. v. K. BARTSCH (L 1870, Nachdr. Da 1967); Le chansonnier français de St-Germain-des-Prés, hrsg. v. P. MEYER — G. RAYNAUD (P 1892); J. BÉDIER — P. AUBRY, Les chansons de croisade (P 1909); Le chansonnier de l'Arsenal, hrsg. v. P. AUBRY — A. JEANROY (P 1909—I0); Rondeaux, Virelais u. Balladen aus dem Ende des 12., dem 13. u. dem i. Drittel des 14. Jh., hrsg. v. F. GENNRICH, I (Dresden 1921), II (Gö 1927), III (Langen 1963); Le chansonnier d'Arras, hrsg. v. A. JEANROY (P 1925); A. LÄNGFORS, Recueil général des jeux-partis français (P 1926); Le chansonnier Cangé, hrsg. v. J. BECK (P— Philadelphia 1927) (= Corpus cantilenarum medii aevi, I/1); Le manuscrit du roi, hrsg. v. J. u. L. BECK (Lo — O — Philadelphia 1938) )= ebd. 2); I. FRANK, T.s et Minnesänger, in: Recueil de textes (Saarbrücken 1952); N. H. J. VAN DEN BooGAARD, Rondeaux et refrains du XII' au début du XIV' siècle (P 1969). —3) Einzelarbeiten: F. GENNRICH,T.lieder u. Motettenrepertoire, in: ZfMw 9 (1926/27); H. SPANKE, Dt. u. frz. Dichtung des MA (St — B 1943): W. APEI., Rondeaux, Virelais and Ballades
Trumscheit in French 13' Century Song, in: JAMS 7 (1954); J. CHAILLEY, Une nouvelle théorie sur la transcription des chansons des t.s, in: Romania 78 (1957); H. ANGL(.s, Die volkstümlichen Melodien bei den T.s, in: FS J. Müller-Blattau (Saarbrücken 1960); TH. KARP, Borrowed Material in T. Music, in: AMI 34 (1962); J. MAILLARD, Évolution et esthétique du lai lyrique, des origines à la fin du XIV^"" siècle (P 1963); J. SCHUBERT, Die Hs. Paris Bibl. Nat. fr. 1591. Kritische Unters. der Trouvèrehandschrift R (F 1963); H. VAN DER WERF, Deklamatorischer Rhythmus in den Chansons der T.s, in: Mf 20 (1967); DERS., Recitative Melodies in T. Chansons, in: FS W. Wiora (Kas 1967); P. DRONKE, The Medieval Lyric (Lo 1968, dt. Mn 1973); H. ORENSTEIN, Die Refrainformen im Chansonnier de l'Arsenal (Brooklyn/N. Y. 1970); TH. KARP, Interrelationships between Poetic and Music Form in „Trouvère' Song, in: FS M. Bernstein (NY 1977); H.H. S. RÄKEL, Die musikal. Erscheinungsform der T.poesie (Be 1977); R. NELLI, Troubadours et t.s (P 1979); J. STEVENS — TH. KARP, Troubadours, t.s, in: Grove" XIX. — /Troubadour. W.-D. LANGE
TROYANOS, Tatiana, * 9. 12. 1938 New York; amerik. Sängerin (Alt). Sie studierte an der Juilliard School of Music in New York und debütierte dort 1963 an der City Center Opera. 1965 ging sie an die Hamburgische Staatsoper, wo sie 1969 die Jeanne bei der UA von Krz. Pendereckis Die Teufel von Loudun sang. Gastspiele führten sie in die Musikzentren Europas und Amerikas. Eine ihrer Glanzpartien ist der Sesto in W. A. Mozarts La clemenza di Tito, den sie mit großem Erfolg bei den Salzburger Festspielen 1976-77 und 1979 sang. TROYSEN, Jan, r Majewski, Hans Martin.
TRUGSCHLUSS, Bz. für eine Schlußwendung in dur-moll-tonaler Musik, bei der auf die Dominante eine andere Funktion als die řTonika folgt, so daß die Hörerwartung „betrogen" wird. ~ ~~~{~~.~ f ,,,
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J. Haydn, Klaviersonate Nr.10, C- Dur (Hob. XVI: 1), 1. Satz
Die Musik des Barock und der Klassik setzt für den T. meist den Dreiklang der VI. Stufe ein (in C-Dur: a-moll, in a-moll: F-Dur; r Leittonwechselklang); bisweilen wird auch die VI. Stufe aus der gleichnamigen Moll- bzw. Durtonart entlehnt (in C-Dur dann: As-Dur, in a-moll: fis-moll). In spätromantischer Musik, sofern sie sich vom Kadenzgefüge und tonaler Eindeutigkeit lossagt, verliert der Begriff T. seinen Sinn. TRUMBAUER, Frankie (Frank), * 30.5. 1901 Carbondale (Illinois), t 11.6. 1956 Kansas City; amerik. Jazzmusiker (Saxophon) und Bandleader.
Mit 17 Jahren hatte er seine erste eigene Band, spielte in den 20er Jahren u. a. bei Phil Napoleon und hatte 1925-26 wieder eine Band, zu der auch Bix Beiderbecke gehörte. Danach spielte er bei Jean Goldkette und Paul Whiteman, hatte in den 30er Jahren nochmals ein eigenes Orchester und trat seit 1940 nur noch selten auf. T. gehörte zu den bedeutendsten Saxophonisten seiner Zeit, sein Einfluß reicht bis zu Lester Young. Seine Schallplatteneinspielungen mit Beiderbecke, aber auch mit Joe Venuti und Jack Teagarden haben jazzgeschichtlich hohen Rang.
TRUMSCHEIT (von trumme, trumpe = Trommel oder Trompete, und Scheit = Holz), Nonnengeige, Marientrompete, Trompetengeige (engl.: trumpet marine; frz.: trompette marine; it. u. lat.: tromba marina; im 16./17. Jh. auch tympanischiza), Bz. für ein seit dem 12. Jh. nachweisbares einsaitiges Streichinstrument mit schmalem, langem, am unteren Ende offenem Resonanzkasten, der, oft aus 3 Brettern zusammengesetzt, sich nach oben verjüngt und in einen Hals oder direkt in den Wirbelkasten übergeht. Die einzige dicke Saite ist vom unteren Ende der Decke über einen Steg zum Wirbelkasten gezogen. Der nicht festgeleimte, asymmetrisch geformte Steg hat 2 ungleich lange Füße; über den kurzen, senkrecht stehenden Fuß wird die Saite geführt, während der längere, lose auf der Decke ruhende Fuß beim Spiel die Schwingungen der angestrichenen Saite auf die Decke überträgt und durch das ständige Aufschlagen einen schnarrenden und knatternden, aus der Ferne trompetenähnlichen Klang erzeugt. Das Aufschlagen wird oft noch durch ein unter dem Fuß eingelegtes Stück Hartholz, Glas, Metall oder Elfenbein verstärkt. Auf dem T. wurden nur " Flageolett-Töne, d. h. nur Töne aus der Obertonreihe des Grundtons gespielt. Der Spieler berührte die ';fite nur leicht mit den Fingern der linken Hand, wä hrend er mit dem Bogen in der rechten Hand die Saite oberhalb, zwischen Wirbelkasten und abgreifenden Fingern, anstrich. Kleine Instrumente wurden schräg nach oben gehalten. Die größeren hatten später eine Länge von ca. 2 m und wurden dann gegen die Schulter gelehnt und auf dem Boden aufgestützt. Seit dem 17. Jh. hatte das T. auch r Aliquotsaiten, 1-3 auf der Decke oder später bis zu 49 unter der Decke. Vom 16. bis ins 18. Jh. war das Instrument sehr beliebt und wurde sogar in öffentlichen Konzerten gespielt, wie 1675 in London, wo ein T.-Quartett auftrat. In Frankreich gehörte das T. 1679-1767 zu den Instrumenten der Grande Écurie. In dieser Zeit entstanden über 300 Kompositionen für T., u. a. von J.-B. Lully (Ballettmusik 185
Trunk
TRUMSCHEIT
für Fr. Cavallis Serse, 1660), J. M. Gletle (Musica genialis, 1675) und A. Scarlatti (Il Mitridate Eupatore, 1707). Ein bekannter Virtuose dieser Zeit war Jean-Baptiste Prin (um 1669 - nach 1742), der 367 Stücke sowie eine Abhandlung über das T. schrieb (Traité de la trompette marine, Ly 1742). Um die Mitte des 18. Jh. begann der Niedergang des T.s; es hielt sich aber noch als Straßeninstrument bis Ende des 19. Jahrhunderts. Lit.: P. GARNAULT, La trompette marine (Nizza 1926); F. W. GALPIN, M. Prin and his Trumpet Marine, in: ML 14 (1933); M. VOGEL, Zur Etymologie von „tromba marina", in: Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972 (Kop 1974); C. ADKINS, New Discoveries in the Development of the Trumpet Marine, in: ebd.; DERS., Trumpet Marine, in: Grove° XIX; DERS. - A. DICKINSON, The Trumpet M. BRÖCKER Marine (A; in Vorb.).
TRUNK, Peter, * 17.5. 1936 Frankfurt am Main, t 1. 1. 1974 New York; dt. Jazzmusiker (Kontrabaß). Er trat seit Mitte der 50er Jahre mit amerik. Jazzgrößen wie Kenny Clarke, Zoot Sims und Stan Getz auf und gehörte 1958-59 dem AlbertMangelsdorff-Septett und danach dessen Quintett an. In den 60er Jahren war er Mitglied der Formationen von K. Edelhagen, Dusko Gojkovic und K1. Doldinger und gründete später mit M. Schoof, mit dem er seit 1969 zusammenspielte, das „New Jazz Trio". T. galt als der führende dt. Jazzbassist, dessen Spiel sich durch melodische und rhythmische Ausgeglichenheit und höchste Differenzierung in der Begleitung auszeichnete. Seine stilistische Palette reichte vom herkömmlichen Modern Jazz bis zu Experimenten aus Free Jazz und Kammermusik; zuletzt wandte er sich einem gemäßigten, nicht auf Lautstärke bedachten Jazzrock zu. 186
TRUNK, Richard, * 10.2. 1879 Tauberbischofsheim (Baden), t 2.6. 1968 Herrsching am Ammersee; dt. Komponist. Seine künstlerische Heimat war München: hier studierte er bei J. Rheinberger an der Staatl. Akad. der Tonkunst, hier entfaltete er eine vielfältige Tätigkeit als Pädagoge, Dirigent, Konzertbegleiter und Musikreferent. Nur zweimal folgte er auswärtigen Berufungen: 1912-14 nach New York als Dirigent der berühmten Männerchorvereinigung „Arion Society" und 1925-34 nach Köln als Dirigent des Männergesangvereins, Direktor des Rheinischen Musikschule und Professor an der Musikhochschule. 1934 wurde T. Präsident der Akademie der Tonkunst in München; daneben leitete er den Hochschulchor, 1935-39 auch den Chor des Lehrergesangvereins sowie die Chorkonzerte der Musikalischen Akademie. 1945 trat er in den Ruhestand. Das kompositorische Schaffen T.s steht in der Tradition der deutschen Romantik und umfaßt neben Instrumentalmusik vor allem zahlreiche Klavierlieder und Chorwerke. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke, Kammermusik. - Für Orch.: Serenade für Streichorch. (1925); Divertimento (1940/41); Musik für Streichorchester (1962). - 2) Vokal-WW: Über 200 Klv.-Lieder, darunter Eichendorff-Lieder (1920); Weihnachtslieder (1920-30); Geistliche Lieder mit KIv. oder Org. (1945/46). Zahlr. Chorwerke, u.a. für Männerchor: Aus des Knaben Wunderhorn. op. 30 (1910); Drei Männerchöre, op. 51 (1923); Romantische Suite (1930). Lit.: A. Orr, R. T. (Mn 1964) (mit Werkverzeichnis).
t.s., Abk. für r tasto solo. TSCHAIKOWSKY, Pjotr (Peter) Iljltsch, * 25. 4. (7. 5.) 1840 Wotkinsk im Ural (Gouvern. Wjatka, heute Udmurtische ASSR), t 25. 10. (6. 11.) 1893 St. Petersburg; russ. Komponist. Sohn des Bergwerkdirektors (seit 1858 Direktor des Technologischen Instituts in St. Petersburg) Ilja Petrowitsch und der französischstämmigen Alexandra Andrejewna T., besuchte er seit 1850 die Rechtsschule in St. Petersburg und erhielt 1859 eine Anstellung im Justizministerium. 1861 trat er in die Musikklasse der Russ. Musikgesellschaft ein, die 1868 in ein Konservatorium umgewandelt wurde. T. quittierte 1863 den Staatsdienst, widmete sich ausschließlich seinem Musikstudium und absolvierte das Konservatorium mit der Komposition einer Kantate über Fr. von Schillers Ode An die Freude. 1866-77 unterrichtete er als Professor für Musiktheorie am Moskauer Konservatorium, 1872-76 war er daneben Musikkritiker der Russkije wedomosti; 1876 besuchte er auch die ersten Bayreuther Festspiele. Nikolai Rubinstein, damals Direktor des Moskauer Konservatoriums, empfahl ihn der reichen
Tschaikowsky und musikverständigen Nadeschda Filaretowna von Meck, die T. aus Begeisterung und Zuneigung eine jährliche Summe von 6000 Rubeln aussetzte, so daß er seit 1878 als freischaffender Komponist
leben konnte. T.s Verhältnis zu Frauen war distanziert. Abgesehen von homosexueller Veranlagung war er ein introvertierter Individualist, der die persönliche Freiheit über alles schätzte. Eine kurzzeitige Verlobung mit der belgischen Sängerin Désirée Artót (1868) wurde bald wieder gelöst. 1877 heiratete er die 28jährige Konservatoriumsschülerin Antonina Iwanowna Miljukowa, die sich ihm förmlich aufgedrängt hatte; er trennte sich bereits nach wenigen Wochen wieder von ihr, doch sie verfolgte und erpreßte ihn zeitlebens. Aus diesen Gründen vermieden T. und Frau von Meck verabredungsgemäß persönliche Begegnungen, pflegten aber einen intensiven Briefwechsel (1204 Briefe), dem wichtige Informationen über Leben, Schaffen und Ansichten T.s zu entnehmen sind. 1890 beendete Frau von Meck die Beziehung abrupt, ohne daß Gründe erkennbar wurden; T. war tief verletzt, da er seinen besten Freund zu verlieren glaubte. Finanziell war T. jetzt auf Zuwendungen nicht mehr angewiesen, da er über steigende Einkünfte aus seinen Kompositionen und seit 1887 auch durch Konzertverpflichtungen als Dirigent seiner Werke verfügte. Großzügig unterstützte er bedürftige Freunde, Verwandte und Musiker; in seinem Wohnort Maidanowo ließ er 1866 eine Schule einrichten. T. war von Jugend an hypersensibel und psychisch labil, arbeitete aber intensiv. Er rang sich zum Dirigieren durch, um Unsicherheit zu bekämpfen, und hatte Erfolg. Schon zuvor hatte er mit Vorliebe Italien, Frankreich und die Schweiz besucht, nun entwickelte er eine rege Gastspieltätigkeit, die ihn in zahlreiche europäische Länder und in die USA führte. Sein persönlicher Einsatz trug zur erfolgreichen Verbreitung seiner Werke bei, deren sich auch führende Musiker seiner Zeit annahmen, unter ihnen H. Richter, H. von Bülow, A. Nikisch und G. Mahler. Als erfolgreichem Komponisten wurden T. in Rußland offizielle Ämter angetragen, denen er sich nicht entziehen konnte; das ihm 1881 angebotene Direktorat des Moskauer Konservatoriums lehnte er jedoch ab, übernahm aber die Betreuung einer fortgeschrittenen Kompositionsklasse. T.s Einfluß auf die nachfolgende russ. Komponistengeneration, so auf seinen Schüler S. Tanejew oder auf Dm. Schostakowitsch und I. Strawinsky, war groß. 1885 wurde T. Direktoriumsmitglied der Russ. Musikgesellschaft, später auch Ehrendoktor der Universität Cambridge und korrespondierendes Mitglied der Académie Fran-
çaise. Seine labile psychische Konstitution ließ ihn nur mit Mühe alle gesellschaftlichen Verpflichtungen ertragen, immer wieder floh er in die Einsamkeit; seit 1892 bewohnte er ein eigenes Landhaus in Kain bei Moskau, das heute als T.-Museum zugänglich ist. Frühzeitig gealtert, starb er 9 Tage nach der UA seiner 6. Symphonie an einer Cholerainfektion. Auf dem Friedhof des AlexanderNewski-Klosters in St. Petersburg wurde er beigesetzt. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Zahlr. Klv.-Stücke, darunter: op. 1: Scherzo à la russe (1864); op. 2: Souvenir de Hapsal (1867); op. 9 (1870); op. 10 (1872); op. 19 (1873); op. 21 (1873); op. 37a: Wremena goda (Die Jahreszeiten) (1876); op. 36: Detski albom (Kinderalbum) (1878); op. 40 (1878); op. 51 (1882) u. op. 72 (1893). — 4 Streichquartette: B-Dur (in einem Satz) (1865); D-Dur, op. 11 (1871); F-Dur, op. 22 (1874); es-moll, op. 30 (1876); Souvenir d'un lieu cher, op. 42 (1878) für V. u. Klv.; Klv-Trio a-moll, op. 50 „A la mčmoire d'un grand artiste" (d.i. N. G. Rubinstein) (1882); Streichsextett d-moll, Souvenir de Florence, op. 70 (1890), Neufassung (1892). — Für Orch.: 6 Symphonien: 1: g-moll, op. 13 Simnije grasy (Winterstürme) (1866), Neufassung (1874); 2: c-moll, op. 17 (Kleinrussische) (1872), Neufassung (1879); 3: D-Dur, op. 29 (1875); 4: f-moll, op. 36 (1877); 5: e-moll, op. 64 (1888); 6: h-moll, op. 74 (Pathétique) (1893); Symphonie in 4 Bildern Manfred op. 58 (1885) (nach Byron); 4 Suiten: d-moll, op. 43 (1879); C-Dur, op. 53 (1883); G-Dur, op. 55 (1884); 4: Mozartiana G-Dur, op. 61 (1887); Ouvertüre Grosa (Das Gewitter), op. 76 (1864) (zum gleichnamigen Drama v. A. Ostrowski); Charakternyje tanzy (Charaktertänze) (1865), als Tänze der Landmädchen in den 2. Akt der Oper Wojcwoda aufgenommen; Torschestwennaja uwertjura na datski gimn (Festouvertüre auf die dänische Hymne), op. 15 (1866); symphonisches Poem Fatum, op. 77 (1868); Fantasieouvertüre Romeo i Dschuljetta (1869) (nach W. Shakespeare), 2. Fassung (1870), 3. Fassung (1880); Burja (Der Sturm), op. 18 (1873) (nach dems.); Serbo-russki marsch (Serbisch-russ. oder Slawischer Marsch), op. 31 (1876); Fantasie Francesca da Rimini, op. 32 (1876) (nach Dante); Capriccio italien, op. 45 (1880); Serenade für Streichorch., op. 48 (1880); Fantasieouvertüre Hamlet, op. 67 (1888); Sérénade mélancolique, op. 26 (1875) u. Valse-Scherzo, op. 34 (1877) für V. u. Orch.; Variationen über ein Rokoko-Thema, op. 33 (1877) u. Pezzo capriccioso, op. 62 (1887) für Vc. u. Orch.; Konzertfantasie, op. 56 (1884) für Klv. u. Orch. — Konzerte: 3 für Klv., b-moll, op. 23 (1875); G-Dur, op. 44 (1880), Neufassung (1893); Es-Dur, op. 75 (18931; für V. D-Dur, op. 35 (1878). — 2) Vokal-WW: Lieder mit Klv.: je 6 Romanzen: op. 6 (1869); op. 16 (1872); op. 25 (1875); op. 27 (1875); op. 28 (1875); op. 38 (1878); op. 57 (1884); op. 63 (1887); op. 73 (1893); je 7 u. 12 Romanzen, op. 47 (1880) u. op. 60 (1886); ferner 6 Duette op. 46 (1880) u. ein Vokalquartett Notsch (Die Nacht) (1838); ferner Chöre u. Kantaten. — 3) Bühnen-WW: Opern: Wojewoda (Der Heerführer), UA: Moskau 1868; Undina (1869); Opritschnik (Der Leibwächter), UA: St. Petersburg 1872; Kusnez Wakula (Wakula, der Schmied), UA: ebd. 1874, umgearb. als: Tscherewitschki (Die Pantöffelchen), UA: Moskau 1887; Jewgeni Onjegin (Eugen Onegin), UA: Moskau 1879; Orleanskaja dewa (Die Jungfrau von Orléans), UA: St. Petersburg 1881; Mazeppa, UA: Moskau 1884; Tscharodejka (Die Zauberin), UA: ebd. 1884; Pikowaja dama (Pique Dame), UA: St. Petersburg 1890; /olanta, UA: ebd. 1892. — Ballette: Lebedinoje asero (Schwanensee), UA: Moskau 1877; Spjaschtschaja krasawiza (Dornröschen) (1889); Schtschelkuntschik (Der Nußknacker), UA: St. Petersburg 1893, daraus die NuBknackersuite, op. 71; ferner Bühnenmusik zu Ostrowskis Der falsche Demetrius(1867) u. Snegurotschka (Schneewittchen) (1873) sowie zu Shakespeares
187
Tschaikowsky Hamlet (1891). -4) Schriften: Rubowodstwo k praktitscheskomu isutscheniju garmonii (Mos 1872, engl. 1900, Nachdr. Canoga Park/Calif. 1970), dt. Übers.: Leitfaden zum praktischen Erlernen der Harmonie (L 1899).
T. ist der am häufigsten aufgeführte russ. Kompo-
nist, wenn auch - zumindest außerhalb seiner Heimat - nur einige Werke zum festen Repertoire gehören, wie die Opern Eugen Onegin und Pique Dame, die letzten 3 Symphonien, die Ballette Schwanensee, Dornröschen und Nußknacker, das 1. Klavier- und das Violinkonzert und nur weniges mehr. Die Einschätzung T.s ist unterschiedlich : Er gilt als Komponist des russ. Volkes, dessen Musik gesellschaftliche Zustände widerspiegelt, als europäisierter Salonrusse, als Kosmopolit, aber auch als Komponist, in dessen Musik Glätte und hohles Pathos vorherrschen. Jedoch verfälschen Pauschalurteile das Bild T.s, das nur durch differenzierte Analyse der Werke hinsichtlich ihres musikalischen Gehaltes unter Beachtung der geistigen und emotionalen Bezüge einigermaßen gerecht gewürdigt werden kann. Die Qualität der Kompositionen ist unterschiedlich, sie ist bedingt durch die natürliche Entwicklung des Komponisten, die kompositorischen Anlässe und die individuellen Fähigkeiten. T. war äußerst selbstkritisch; er vernichtete seine frühen Opern Der Wojewode und Undťne und unterzog andere Werke Umarbeitungen. Auch zweifelte er an seinen Fähigkeiten als Opernkomponist, ließ aber von diesem Genre nicht ab, da er glaubte, auf diese Art mehr Menschen erreichen zu können als mit instrumentaler Musik. Ausgeprägt ist ein nationales, ja manchmal patriotisches Element, was vor allem, aber nicht nur in Bearbeitung und Verwendung russischer Volkslieder zum Ausdruck kommt. T. setzte sich für andere russ. Komponisten ein. Seine Haltung gegenüber der „Gruppe der Fünf" war durchaus positiv, aber differenziert; er bemängelte, besonders bei M. Mussorgski, den er für den begabtesten Komponisten dieser Gruppe hielt, Vernachlässigung der musikalischen Technik. Literarisch und philosophisch hoch gebildet, mit mehreren Sprachen vertraut, war T. als Komponist westeuropäischen Einflüssen gegenüber aufgeschlossen, besonders solchen der it., frz. und dt. Musik. W. A. Mozart war sein Idol, G. Bizets Carmen seine Lieblingsoper, L. van Beethovens Symphonie war sein Vorbild. Er erweiterte die symphonische Konzeption, kam zu fließenden Übergängen zwischen Symphonie und symphonischer Dichtung mit angegebenem oder heimlichem Programm. Auch stand er unter dem Einfluß von H. Berlioz (Idée fixe), R. Wagner (Instrumentation) und R. Schumann (Charakterstück). Er erkannte die Leistun188
gen von Wagner und J. Brahms an, ohne deren Musik zu lieben, schätzte dagegen E. Grieg und A. Dvořák. Literarische Vorlagen fand er u. a. bei A. Puschkin, Nikolai Gogol, Alexander Ostrowski, Fr. von Schiller und W. Shakespeare. T. verfügte über eine fast unerschöpfliche musikalische Phantasie; aufgrund subjektiver emotionaler Erfahrungen lotete er das gesamte Spektrum der menschlichen Gefühlssphäre aus und fiel häufig von einem Extrem ins andere. Sein unverwechselbarer Personalstil besteht nicht nur in Virtuosität und Perfektion, sondern beinhaltet auch Widersprüche und Zweifel. Das dürfte um so mehr erkennbar werden, je mehr sich die Interpreten auch jenen Werken T.s zuwenden, die bisher nicht oder kaum bekannt sind. Ausg.: GA der musikal. Werke, auf ca. 70 Bde. geplant (Mos 1946ff.). - Musykalnye feljetony i sametki, hrsg. v. G. A. LAROSCH (Mos 1898), dt. Übers.: Musikal. Erinnerungen u. Feuilletons, hrsg. v. H. STÜMEKE (B 1899), NA als: Erinnerungen u. Musikkritiken (L 1974) (- Reclams Universal-Bibi. 554); Polnoje sobranije sotschineni Literaturnyje proiswedenija i perepiska, hrsg. v. A. N. ALEXANDROW u.a. (Mos 1953ff.). Lit. (im folgenden Verz. gilt die Abkürzung „T." für alle Namensschreibungen, auch für „Čaikovski"): 1) Werk-Verz., Dokumente u. Briefwechsel: P. 1. JURGENSON, Cat. thématique des ceuvres de P. T. (Mos 1897, Neudruck NY 1940, Nachdr. Lo 1965); Systematisches Verz. der Werke v. P. I. T. Ein Hdb. für die Musikpraxis (H 1973). - K. J. DAWYDOW, Awtografy P. 1. Tschajkovskowo v arkiwe Domamuseja w Klinu (Mos - Leningrad 1950, Mos 2 1952), vgl. dazu: S. BERTENSSON, The T. Museum at Klin, in: MQ 30 (1944). - Wospominanija i pisma, hrsg. v. 1. GLEBOW (Petrograd 1924); Perepiska s N. F. von Mekk, 3 Bde., hrsg. v. W. A. SCHDANOW - N. T. SCHEGIN - B. X. PSCHIBYSCHEVSKIJ (MOS - Leningrad 1934-36), Ausw. dt. als: Teure Freundin. P. I. T. in seinen Briefen an N. von Meck, hrsg. v. E. VON BAER - H. PEZOLD (L 1964); Briefe an F. Mackar, C. Saint-Saëns, Ě. Colonne u. a., i n : V. FÉDORov, T. et la France. i n : RM ie 54 (1968). - 3) Biographien u. umfassende Darstellungen: 1. KNORR, T. (B 1900); M. 1. TSCHAIKOWSKI, Schisn P. 1. Tschaikowskowo, 3 Bde. (Mos 1900-02, dt. Mos - L 1901-02); E. EVANS, T. (Lo 1906, Lo - NY 1957, 1966); B. W. ASSAFJEW (i I. Glebow), P. I. T. (Petrograd 1922); M. D. CALVOCORESSI - G. ABRAHAM, Masters of Russian Music (Lo 1936); H. WEINSTOCK, T. (NY - Lo 1943); A.-E. CHERBULIEZ, T. (Z 1948); R. PETZOLDT, P. T. Sein Leben in Bildern (L 1953); E. GARDEN, T. (Lo - NY 1973); E HELM, P. I. T. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1976); V. VOLKOFF, T. A Self-Portrait (Boston - Lo 1975). - 4) Zu einzelnen Werken und Werkgruppen: B. W. ASSAFJEW, Instrumentalnoje twostschestwo Tschaikowskowo (Petrograd 1922); E. BLOM, T., Orchestral Works (Lo 1927, Nachdr. Westport/Conn. 1971); N. F. FINDEISEN, Kamernaja musyka Tschaikowskowo (Mos 1930); D. SCHITOMIRSKI, Balety P. Tschaikowskowo (Mos - Leningrad 1950); B. W. ASSAFJEW, Jewgeni Onegin (Mos 1944, dt. Pd 1949); S. FROLOWA, Fortepiannyje sonaty P. 1. Tschaikowskowo (Mos 1955); J. A. KREMOLJOW, Simfonii P. I. Tschaikowskowo (Mos 1955); W. W. PROTOPOPOW - N. W. TUMANINA, Opernoje twortschestwo Tschaikowskowo (Mos 1957); R. THOMAS, T.s Es-Dur-Sinfonie u. Idee einer Sinfonie „Das Leben", in: NZfM 138 (1967); R. LEIBOWITz, Une fantasmagorie lyrique. „La dame de pique", in: Les fantômes de l'opéra (P 1972); J. N. TJULIN, Proiswedenija Tschaikowskowo. Strukturny analiz (Mos 1973); U. NIEBUHR, Der Einfluß A. Rubinsteins auf die Klavierkonzerte P. T.s, in: Mf 27 (1974). M. BOBÉTH
Tschechoslowakei TSCHECHOSLOWAKEI. Der böhmisch/tschechische Staat entwickelte sich seit dem 10. Jh. gesondert von der kulturell verwandten Slowakei, die seit dieser Zeit zum Machtbereich Ungarns gehörte; ein gemeinsamer tschechoslowakischer Staat wurde erst 1918 geschaffen. Die Musik in den böhmischen Ländern: Mittelalter. Der Gregorianische Gesang wurde in Böhmen gegen Ende des 10. Jh. aus Süddeutschland übernommen, die ältesten Quellen stammen jedoch erst aus dem 12. Jh., einheimisches Schaffen entfaltete sich seit dem 13. und besonders im 14. Jh., in dem die Entwicklung der institutionellen Basis des Choralgesanges gipfelt. Eine Sonderstellung scheint der böhmische Raum in der Geschichte des europäischen Liedes einzunehmen: schon im 11.1h. entsteht hier das älteste slawische geistliche Lied in der Volkssprache, die Leise Hospodine pomiluj ny, und seit dem 14. Jh. wird Böhmen zu einem der wichtigsten Entwicklungszentren der lat. r Cantio, die von hier aus auch ins Ausland ausstrahlt. Vom 13. Jh. an wurde am Prager Königshof der dt. Minnesang gepflegt, dessen Wirkung im differenzierten - jedoch mehr nur textlich erhaltenen - Repertoire des böhmischen Kunstliedes des 14. Jh. nachzuweisen ist. Was die Mehrstimmigkeit betrifft, so kann man den Import 2st. Choralgesänge im Organal- und besonders Stimmtauschstil seit der Mitte des 13. Jh. voraussetzen ; 100 Jahre später tauchen erste einheimische Benedicamus-Tropen in diesem Stil auf. Der Einfluß der Ars nova-Kunst, die wahrscheinlich in Böhmen keine entsprechenden kulturellen Voraussetzungen fand, ist nur in der Satztechnik einiger 2st. geistlicher Kantilenen erhalten. Zur wichtigsten Art mehrstimmiger Komposition in Böhmen wird seit dem Ende des 14. bis in die Mitte des 15. Jh. die mehrtextige Motette, die auch in ausländischen Quellen erscheint. Die wahrscheinlich rege Pflege der ma. Instrumentalmusik wird durch 2 Spielmannsweisen und zahlreiche literarische Quellen belegt. Reformation. Die hussitische Bewegung eröffnet in Böhmen schon zu Anfang des 15. Jh. die 200 Jahre währende Epoche der Reformation. Die kulturelle Entwicklung dieser Zeit wird hauptsächlich von den bürgerlichen Mittelschichten getragen, deren evangelische Kantoreien (Fraternitates litteratorum) als Hauptzentren der böhmischen Kunstmusik anzusehen sind. Die vorwiegend auf den ausländischen Import orientierte Musikpflege der aristokratischen Kreise beginnt sich gegen Ende der Epoche breiter zu entfalten; 1576-1612 war Prag der Sitz der kaiserlichen Hofkapelle (unter Ph. de Monte, J. Regnart und K. Luyton), gleichzeitig
wirkte in Böhmen der Slowene J. Gallus. - Das böhmische Musikschaffen dieser Zeit gehört größtenteils in den Bereich der geistlichen Musik; es fehlen hier völlig das Madrigal und verwandte Gattungen, auch Quellen der Instrumentalmusik tauchen erst spät und vereinzelt auf. Mit den Hussiten beginnt in Böhmen die Tradition nationalsprachiger Choralgesänge, die sich besonders im 16. Jh. entfaltet; als Spezifikum gelten reiche Liedinterpolationen des Chorals (besonders in den Rorate-Messen für Advent). Durch das Hussitentum angeregt, beginnt sich seit Anfang des 15. Jh. von der lat. Cantio das schnell anwachsende Repertoire des tschechisch-sprachigen Reformationsliedes abzuspalten (r Hussitenlieder), das - im 16. Jh. besonders durch Verbreitung der Gesangbücher der Böhmischen Brüder - auch in die Nachbarländer dringt. - Die mehrst. Komposition findet in Böhmen ihre Hauptpflege in den kirchlichen Fraternitates litteratorum. Das traditionelle, noch ma. geprägte Repertoire, das hier z. T. bis zum 30jährigen Krieg weitergepflegt wird, beginnt von der 2. Hälfte des 15. Jh. an Einflüsse der niederländischen Polyphonie aufzunehmen. Die Reihe der erhaltenen, zunächst anonymen Kompositionen dieser Stilrichtung wächst zu einem relativ breiten und technisch anspruchsvollen Schaffen böhmischer Komponisten in der 2. Hälfte des 16. Jh. an (Pavel Spongopeus Jistebnický, Jiří Rychnovský, Krýštof Harant u. a.), das allerdings nur fragmentarisch erhalten ist. Barock. Der mißlungene Aufstand gegen die Habsburger 1620 zog die Vertreibung der ev. Intelligenz und Oberschichten nach sich; die Folge war ein allgemeiner Niedergang des Landes (besonders der Städte) und die Ansiedlung eines fremden Militäradels ohne musikalische Tradition. Unter diesen Umständen konnte sich ein neuer Stil nur auf dem Gebiet der kath. Kirchenmusik ungehindert entwickeln, doch wirkten sich auch hier die Wirren des 30jährigen Krieges lähmend aus. Die Entwicklungskontinuität bewahrte damals - neben der Folklore - vor allem die stets anwachsende Gattung des nationalsprachigen geistlichen Liedes. Erst in der 2. Hälfte des 17. Jh. beginnt sich die böhmische Kirchenmusik stärker zu entfalten, wobei die heimische Tradition mit it. und süddt. Anregungen zusammenfloß. Unter den wenigen Komponisten des 17. Jh. ragt vor allem A. Michna hervor, und seinen Gipfel erreicht der böhmische Barock bei J. D. Zelenka und B. Černohorský. Größere Lücken weist die Geschichte der barokken Instrumentalmusik auf, die noch in der 2. Hälfte des 17. Jh. nur in wenigen Zentren gepflegt wurde: Im Wirkungsfeld der bedeutenden 189
Tschechoslowakei bischöflichen Kapelle zu Kremsier (Kroměříž) führte u. a. J. P. Vejvanovský den an it. Vorbildern orientierten Stil eigenständig weiter; breiteres Schaffen entfaltete sich erst vom Anfang des 18. Jh. in den Schloßkapellen, deren Zahl seit dieser Zeit schnell zunahm. Unbekannt war in Böhmen im 17. Jh. die Oper, die hier erst 1724 eine ständige Bühne in Prag fand und sich fast ausschließlich auf it. Import beschränkte. Stärkeren Anteil hatten die einheimischen Komponisten auf dem Gebiet des lat. und it. Oratoriums. Insgesamt waren für die böhmische Musik des Barock eine begrenzte Entfaltung der prunkvollen Großformen sowie verstärkte Bindungen an die Volksmusik wichtige Kennzeichen, die auch den relativ kontinuierlichen Stilübergang zu einem neuen Stil in der Epoche der Wiener Klassik erklären. Die Zeit der Wiener Klassik. Der neue Stil entsteht hier bereits früh aus der regen Wechselwirkung von Kunst- und Volksmusik, und zwar der ungünstigen sozialen Verhältnisse wegen nicht innerhalb der dünnen bürgerlichen Mittelschicht, sondern in den kirchlichen und höfischen Kapellen, die auch die intensive musikalische Erziehung mit ausschließlich einheimischen Kräften übernahmen. Die ersten typischen Formen des bürgerlichen Musiklebens erscheinen erst verspätet gegen Ende des 18. Jh., als auch der it. Einfluß vor dem dt. zurücktritt (beispielhaft dafür ist u. a. der außerordentliche Widerhall W. A. Mozarts in Böhmen). Die Zeit der Wiener Klassik gehört zum wichtigsten Abschnitt innerhalb des böhmischen Musikschaffens. In den böhmischen Ländern entwickelte sich die Kunstmusik weiterhin fast ausschließlich in der Sphäre der Kirchenmusik : die führende Persönlichkeit auf diesem Gebiet war Fr. X. Brixi ; typisch ist das reiche, meist sozusagen halbprofessionelle Schaffen der Kantoren in der Provinz mit ihren kleinen Weihnachtskantaten im Volkston, sog. Pastorellen. Die einheimische Instrumentalkomposition konzentrierte sich meistens auf kleine Gattungen der Unterhaltungsmusik (Tänze). Die Entwicklung der nationalsprachigen Oper und des Singspiels hingegen war durch gesellschaftliche Verhältnisse gehemmt. - Die künstlerisch bedeutendste Musik böhmischer Komponisten (einschließlich der meisten in Böhmen selbst fehlenden Gattungen) entstand in der Emigration, zu der besonders seit den 40er Jahren des 18. Jh. sowohl die mißlichen Verhältnisse in Böhmen führten als auch der Anklang, den die volkstümlich inspirierte böhmische Musik im Ausland fand, in einer Zeit, für die das ästhetische Postulat der Natürlichkeit charakteristisch war. Böhmische Musiker, u. a. Fr. Benda, J. Mysliveček, J. Stamitz, J. L. Dussek, 190
A. Reicha, Fr. X. Richter, L. Koželuch, P. Wranitzky, wirkten damals in verschiedenen europäischen Ländern und spielten eine international anregende Rolle, insbesondere als Wegbereiter des klassischen Stils (r Mannheimer Schule). Erwähnenswert sind auch die Anregungen J. A. Bendas auf dem Gebiet des Melodramas und die Dusseks für die Entwicklung der musikalischen Romantik. 19. Jahrhundert. Erst im 19. Jh. beginnt sich gegen die zum Großteil deutschen Oberschichten das neu entstehende tschechische Bürgertum durchzusetzen. Inmitten der politischen und nationalen Diskriminierung benutzt es die Kultur als gewichtigstes Instrument der nationalen Wiedergeburt. Aus diesem Grunde spielt hier im 19. Jh. die Idee der Nationalmusik eine außerordentlich wichtige Rolle. Die neuen Musikinstitutionen entstehen anfangs noch aus deutscher Initiative (u. a. das Prager Konservatorium 1811). Die Entfaltung der zielstrebig tschechischen Musikorganisationen in der 2. Hälfte des 19. Jh. - besonders der schnell sich mehrenden Gesangvereine - gipfelt im Aufbau des Prager Nationaltheaters aus öffentlichen Sammlungen (Eröffnung 1881, Neubau 1883 nach einem Brand).
Im böhmischen Musikschaffen überwiegt bis in die Mitte des 19. Jh. ein mehr eklektizistischer
Klassizismus, der neue stilistische Anregungen nur innerhalb des lyrischen Klavierstückes bringt (J. V. Tomášek, J. V. Voříšek; OCharakterstück). Die Ergebnisse der Bemühungen um die Nationalmusik sind vorerst nur von lokaler Bedeutung: es sind das meist dilettantische nationalsprachige Kunstlied (Editionsreihe Věnec, 1835-44), im Volkslied wurzelnde Chorlieder (am bedeutendsten die von Pavel Křižkovský, 1820-85) und vereinzelte Opernversuche in tschechischer Sprache, die mit dem singspielartigen Dráteník von Fr. Škroup (1826) beginnen. Die Idee der tschechischen Nationalmusik findet ihre eigentliche Realisierung erst nach 1860 im Schaffen von B. Smetana, A. Dvořák und Zd. Fibich, die von einer Reihe von Eklektikern begleitet werden (K. Bendl, Vilèm Blodek, Josef Richard Rozkošný u. a.). Das ältere konservative Ideal der Nationalmusik (Nachahmung des Volksliedes) wird hier durch eine Musik abgelöst, die auf eine national individuelle Art die Anregungen der europäischen Romantik und besonders der Neuromantik entfaltet. Solchermaßen werden alle Gattungen der damaligen Kunstmusik gepflegt; Inbegriff dieser Art sind die Werke Dvořáks, die auch internationalen Widerhall finden. Die Zeit seit 1890. Im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Aufstieg des Landes kommt es auch zur breiteren Entfaltung der professionellen
Tschechoslowakei Musikensembles und Institutionen seit den 90er Jahren (1892 Böhmisches Quartett, 1901 Tschechische Philharmonie usw.). Nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 entwickelt sich das Musikleben auch außerhalb Prags intensiver, und internationale Kontakte werden angeknüpft und verstärkt. Die Wiederherstellung des Musiklebens nach dem 2. Weltkrieg wird 1948 in neue Bahnen gelenkt. Damit beginnt die Epoche der Bestrebungen in Richtung auf eine staatlich beeinflußte und durch den Staat unterstützte Musikkultur. Im böhmischen Musikschaffen der ersten Jahrhunderthälfte waren - neben J. B. Foerster, als Lyriker vergleichbar mit G. Fauré - besonders V. Novák und J. Suk, zwei dem spätromantischen und mit impressionistischen Elementen bereicherten Stil verpflichtete Persönlichkeiten, führend. Ihre zahlreichen Schüler wurden die Repräsentanten einer überwiegend traditionalistischen Orientierung der böhmischen Musik zwischen den beiden Weltkriegen. Den Anregungen der nachromantischen Avantgarde hat sich u. a. O. Ostrčil selbständig genähert, und besonders - auf eine ganz individuelle, durch die Folklore inspirierte Art - L. Janáček, der wohl wichtigste böhmisch-mährische Komponist dieser Zeit. Seit den 20er Jahren kommt es zu einer begrenzten Entfaltung der modernen, besonders durch Paris vermittelten Anregungen (Groupe des Six, I. Strawinsky). Zum bedeutendsten und zugleich national charakteristischsten Resultat dieser Bestrebungen wurde das Werk des im Ausland wirkenden B. Martinů. Viel kleiner war demgegenüber in den böhmischen Ländern der Einfluß der 2. Wiener Schule: A. Hába hat zwischen den beiden Weltkriegen seine athematische und mikrointervallische Kompositionsmethode selbständig entwickelt; erst im Rahmen des verspäteten Eindringens der europäischen Neuen Musik in Böhmen seit den 60er Jahren werden die Prinzipien der Reihenkomposition folgerichtiger ausgenutzt. Nach 1950 wurde die Entwicklungskontinuität des Musikschaffens vorübergehend durch die offiziell geförderte Welle eines traditionalistischen Eklektizismus unterbrochen. Erst gegen Ende der 50er Jahre wird an den Nachlaß der Vorkriegsavantgarde wieder breiter angeknüpft, und um 1960 kommen Kontakte mit der europäischen Neuen Musik hinzu. Diese neuesten Stilrichtungen werden hier jedoch folgerichtig nur auf einer relativ schmalen Basis entwickelt: die Mehrheit der zeitgenössischen tschechischen Komponisten - an die Musiksprache von A. Honegger, B. Bartók, S. Prokofjew, Martinů, an Neoklassizismus u. a. anknüp-
fend - orientiert sich meist nur frei an Elementen der Reihenkomposition, der Aleatorik u. a. Zu nennen sind hier namentlich M. Kabeláč, Klement Slavický (* 1910), Vladimír Sommer und Jan Novák (* 1921), Otmar Mácha (* 1922), Viktor Kalabis (* 1923), Peter Eben (* 1929), Jan Klusák (* 1934), Luboš Fišer (* 1935). - Musikwissenschaft wurde seit 1869 an der dt. Universität in Prag gelehrt (A. W. Ambros, G. Adler, J. Rietsch, G. Becking, P. Nettl), seit 1877 an der tschech. Universität (O. Hostinský, Zd. Nejedlý). Seit 1921 existiert ein musikwiss. Lehrstuhl auch in Brünn (Brno), seit 1945 in Olmütz (Olomouc). 1962 wurde das Musikwiss. Institut der Tschechoslowakischen Akademie der Wiss. gegründet. Volksmusik. Im tschechischen Volkslied scheinen weniger archaische Elemente bewahrt worden zu sein als im Liedgut der übrigen Slawen. Die älteste Schicht der weltlichen Volksliedweisen ist in den geistlichen Kontrafakten des 15.-16. Jh. überliefert, wo sich wahrscheinlich das Volkslied und die mehr künstlichen, städtischen Liedgattungen wechselseitig beeinflußten. Der Großteil des Volksliedrepertoires, wie es in den Sammlungen des 19. Jh. zusammengetragen wurde, formte sich endgültig erst im 17. und 18. Jh., im ländlichen Milieu, allerdings auch in Wechselwirkung mit der damaligen Kunstmusik. Der Grundcharakter des tschechischen Volksliedes wurde durch seine enge Verbindung mit Tanz und Instrumentalmusik beeinflußt : es zeichnet sich aus durch periodischen Aufbau, durch vorwiegend Dur- und skalenakkordische Melodik und durch lose Verbindung von Text und Musik. In Ostmähren ist jedoch ein anderer Typus des wortgebundenen Liedes mit unregelmäßig gebauter, überwiegend modaler Ausdrucksmelodik verbreitet; dort ist auch die Folklore landschaftlich stärker differenziert und vielleicht in manchen Gattungen auch altertümlicher. Die Musik der Slowakei. Volksmusik. Die slowakische Volksmusik hat lange ihre archaischen Züge (Terz- und Quartaufbau, absteigende Melodik usw.) bewahrt. Das neuere Volkslied beruht auf quintakkordalem Gerüst und weist z. T. Bezüge zur dur-moll-tonalen Funktionsharmonik auf. Zu den wichtigsten Instrumenten der slowakischen Volksmusik gehören Pfeifen, insbesondere Hirtenpfeifen (Fujara), Dudelsack, Hackbrett u. a., die solistisch und auch kombiniert mit verschiedenen Saiteninstrumenten verwendet werden. Mittelalter und Renaissance. Die Anfänge des Chorals in lat. wie auch in sog. kirchenslawischer Sprache (diese wurde 885 durch Rom verboten) reichen bis ins 9. Jh. zurück, die ältesten Quellen stammen aber erst aus dem 12. Jh. (Evangelista191
Tschechoslowakei rium aus Nitra), und Hss. des 14./15. Jh. bezeugen ein reiches heimisches Schaffen (Sequenzen, Reimoffizien, Hymnen, Tropen usw.). Die weltliche bzw. instrumentale Musik wird durch den slawischen Spielmann („Igric") repräsentiert, der seit dem 13. Jh. aus Urkunden verschiedener Art bekannt ist. Schwerpunkt der Musikpflege im 16. Jh. ist die Mehrstimmigkeit. Das Repertoire, das z. T. archaische Formen umfaßt (Organa, Conductus in Choralhandschriften, mehrtextige Motetten, Rondeaux), besteht bis ins 17. Jh. entweder aus anonym überlieferten Stücken - z. B. das Antiphonar der Anna Weiland aus Preßburg (1572) mit etwa 400 Kompositionen für 2-6 St. - oder aus Werken it., franko-flämischer und dt. Komponisten. Es ist ausschließlich geistlich (Motetten, Messen, Magnificats und sog. Schuloden) und wurde hauptsächlich in den Kirchen größerer Städte (Preßburg, Košice, Levoča, Bardejov, Kremnica usw.) gesungen. Barock. Die Musikkultur dieser Zeit in der Slowakei ist mannigfaltig und vielschichtig. Die ältere Polyphonie wird wie in anderen Ländern zwar weiter gepflegt, doch setzen sich auch neuere Formen durch, u. a. bei Jan Šimbracký (Organist in Spišské Podhradie, t 1657), Zacharias Zarevutius (etwa 1625-65), S. Capricornus und J. Kusser, deren Kompositionen ausgeprägt moderne Züge tragen (mehrchörige Motetten u. Messen in venezianischem und römischem Stil u. geistliche Konzerte nach M. Praetorius, H. Schütz u. a.). Im Unterschied dazu ist die barocke Instrumentalmusik mehr einheimisch orientiert. Die bedeutendsten Denkmäler, wie das Tabulaturbuch aus Levoča (um 1670), der Vietoris-Kodex (um 1660), die Lied- und Tanzsammlung der Anna Szirmay Ketzer (1730), die beiden Hss. aus Uhrovec (1730, 1742), enthalten neben internationalen Suiten-Sätzen zahlreiche instrumentale Volkslied- und Tanzbearbeitungen für verschiedene Instrumente und Instrumentengruppen. Dabei ist schriftlich oft die einzelne Komposition nur skizziert, so daß die Ausarbeitung (Harmonisation, melodische Ornamentierung) dem Interpreten überlassen ist. Das gilt auch für die Arien und Pastorellen. Die Weihnachtslieder und Messen für kleinere Solo-, Chorund Instrumentalbesetzung und B. c. stehen ihrer melodischen Substanz nach in der bewußten Nähe zur Volksmusik. Kompositionen dieser Art stammen hauptsächlich von Franziskanermönchen, wie z. B. Paulinus Bajan (1721-92) und Edmund Pascha (1714-72). Jozef Pantaleon Roškovský (1734-89) und František Xaver Budinský folgen dagegen stark it. Vorbildern (Kantate, Da capoArie). - Im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation spielte das einstimmige Gemeindelied 192
eine bedeutende Rolle, und zwar nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen den beiden Konfessionen, sondern auch in der Entwicklungsgeschichte der slowakischen Sprache und Literatur. Die Lieder wurden z. T. mündlich, z. T. durch hsl., meistens aber durch gedruckte Gesangbücher, wie z. B. Cithara Sanctorum (1636, ev.) und Cantus Catholici (1655, kath.), verbreitet. Die Zeit der Wiener Klassik. Die Musik der Wiener Klassik fand in der Slowakei eine sehr günstige Aufnahme. In den großen Musikaliensammlungen in Preßburg, Trnava, Trenčín, Pruské, Kremnica, Košice, Rošňava, Humenné, Banská Bystrica, Uhrovec finden sich zahlreiche Werke in zeitgenössischen und z. T. auch autorisierten Abschriften von J. Haydn, W. A. Mozart, L. van Beethoven, die mehrmals in Preßburg, der damaligen Haupt- und Krönungsstadt des ehemaligen Ungarn, und in anderen Städten und Schlössern weilten und konzertierten. In kleineren Ortschaften konzentrierte sich das Musikleben weit bis ins 19. Jh. noch immer überwiegend auf Kirchenchöre und die städtischen Musik- und Gesangvereine, die der neueren, aus Österreich und Böhmen einströmenden Musik nicht verschlossen blieben. Zu den bedeutendsten, in der Slowakei tätigen Komponisten zählt A. Zimmermann. Sein Zeitgenosse Georg Družecký (1745-1819) ist hauptsächlich durch (Bläser-)Kammer- und Orchestermusik sowie durch Opern- und Ballettkompositionen bekannt geworden. In Preßburg wirkten außerdem die Komponisten Heinrich Klein (Leiter des 1828 gegründeten sog. Kirchenmusikvereins) und sein Nachfolger Jozef Kumlík; aus Preßburg stammte auch J. N. Hummel. Außerhalb Preßburgs wurden die Musikerfamilien Zomb (in Košice) und Skalmík (Ostslowakei), in Banská Bystrica Ján Čaplovič und in Trenčín Augustin Smehlítz als Kapellmeister und als Komponisten von Kirchenmusik bekannt. Die slowakische Nationalmusik. Das Entstehen der slowakischen Nationalmusik im 19. Jh. wurde durch 2 Faktoren beeinflußt: durch die musikalische Romantik in den anderen europäischen Ländern und durch den Aufstieg des slowakischen Nationalbewußtseins. Die Anfänge sind sehr bescheiden, es handelt sich ausschließlich um Sammlungen und einfache Bearbeitungen (Harmonisierungen) von slowakischen Volksliedern (Martin Sucháň, 1832; Ladislav Füredy, 1837), z.T. durch musikalisch nicht geschulte Schriftsteller und Patrioten. Erst in der 2. Hälfte des 19. Jh. treten die eigentlichen Vertreter der slowakischen Nationalmusik auf. Die erste auch kompositorisch geschulte Persönlichkeit dieser Richtung ist J. L.
Tscherepnin Bella, dem es freilich nur in wenigen ganz frühen und späten Werken vergönnt war, eine organische Synthese von romantischer Musiksprache und nationalen Elementen zu schaffen. Bella veröffentlichte auch einige Studien über die Problematik der slawischen und der slowakischen Nationalmusik. Mikulaš Schneider Trnavský (1881-1958), einer der jüngeren Repräsentanten der romantischen Nationalmusik, komponierte hauptsächlich Lieder, Mikulaš Moyzes (1872-1944) Kammerund Orchesterwerke. Viliam Figuš-Bystrý (1875-1937) ist der Komponist der ersten slowakischen Nationaloper Detvan (nach einem Gedicht von A. Sládkovič), die, obwohl 1924 komponiert, ganz dem romantischen Stil verpflichtet ist. Als fortschrittlichster Vertreter dieser Gruppe gilt Frico Kafenda (1883-1963), der sich neben seiner Tätigkeit als Konzertpianist und Pädagoge überwiegend dem Kammermusikschaffen widmete. Die moderne slowakische Musikkultur. Der Beginn einer musikalischen Neuentwicklung fällt 1918 mit der Entstehung der ersten tschechoslowakischen Republik und mit der nationalen Befreiung der Slowaken zusammen. Der breitangelegte Entwicklungsprozeß einer „Professionalisierung" der slowakischen Musikkultur, der die Gründung und den Aufbau verschiedener Musikinstitutionen nach sich zog und bald nach diesem Zeitpunkt begann, wurde erst nach dem 2. Weltkrieg beendet. Symptomatisch dafür ist, daß das erste slowakische Konservatorium 1919, das Opernhaus 1920, die slowakische Philharmonie aber erst 1948 und die Musikhochschule 1949 entstanden. Von großer nationaler Bedeutung ist auch die Tatsache, daß nach 1948 die gesamte Finanzierung des slowakischen Musikwesens durch den Staat gewährleistet wurde. Das zeitgenössische slowakische Musikschaffen wird durch 3 Komponistengenerationen repräsentiert. Zu der ersten gehören A. Moyzes, E. Suchoň und J. Cikker. Aus der 2. Generation ragen František Babušek (1905-54), Šimon Jurovský (1911-63), Andrej Očenáš (* 1911), Ladislav Holoubek (* 1913), Jozef Kresánek (* 1913), Dezider Kardoš (* 1914), Oto Ferenczy (* 1921) und Ján Zimmer (* 1925) heraus. Sie sind fast alle Schüler von Moyzes und suchen nach einem Ausgleich zwischen den Strömungen und Techniken der 1. Hälfte des 20. Jh. (Bartók, Strawinsky, Janáček, Novák u. a.) und dem nationalen slowakischen Musikerbe. Ihr Schaffen, wie auch das der 3. Generation mit Ladislav Burlas (* 1927), Ivan Hrušovský (* 1927), Roman Berger (* 1930), Ilja Zeljenka (* 1932), Duän Martinček (* 1936), L. Kupkovič, Peter Kolman (* 1937) und Juraj Hatrík (* 1941), ist stilistisch nicht einheitlich; einige kom-
ponieren eher konservativ mit neoklassizistischen Tendenzen, andere experimentieren mit elektronischer und konkreter Musik. In der Slowakei wirken auch einige ungarische Komponisten, wie z. B. der Bartók-Schüler Alexander Albrecht (1885-1958). - Das Zentrum der musikwiss. Forschung in der Slowakei ist das Institut für Musikwiss. der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (gegr. 1951) und das Seminar für Musikwiss. der Phil. Fakultät der Komenský-Universität in Preßburg (gegr. 1921). Denkmäler slowakischer Musikkultur werden in der Musikabteilung des Slowakischen Nationalmuseums in Preßburg und in der Sammlung Matica Slovenská in Martin (Mittelslowakei) sowie in anderen Archiven und Bibliotheken aufbewahrt. Lit.: 1) Denkmälerausg.: a) Böhmen: Musica Antiqua Bohemica (Pr 1943 ff.) ( — MAB); Česká varhanní tvorba/Musica Bohemica per organo, hrsg. v. J. REINBERGER, 3 Bde. (Pr 1954-58); Documenta historica musicae/Hudebně historickí dokumenty (Pr 1955 ff.); Česká polyfonni tvorba/Musica polyphonica Bohemiae, hrsg. v. J. SNIžKOVÁ (Pr 1958). — b) Slowakei: Fontes musicae in Slovacia (Pr [seit 1971: Pr — Bratislava] 1967 ff.); Monumenta musica Slovaca, hrsg. v. J. KRESÁNEK — R. RYBARIČ (Martin 1974ff.). — 2) Musikgesch. Böhmens: Z NEJEDLÝ, Dčjiny české hudby (Pr 1903); J. BRANBERGER, Musikgeschichtliches aus Böhmen (Pr 1906); P. NETTL, Musik-Barock in Böhmen u. Mähren (Brünn 1927); V. HELFERT— E. STEINHARD, Gesch. der Musik in der Tschechoslowakischen Republik (Pr 1936, 21938); R. NEWMARCH, The Music of Czechoslovakia (0 1942, Nachdr. 1969); F. ZAGIBA, Das tschech. u. slowakische Musikschaffen zw. den beiden Weltkriegen, in: Zschr. für Ostforsch. 4 (1955); R. Quon(A, Die Musik der Deutschen in Böhmen (B 1956); K. M. KOMMA, Das böhmische Musikantentum (Kas 1960); P. ECKSTEIN, Czechoslovak Opera. A Brief Outline (Pr 1964); V. ŠTEPÁNEK — B. KARÁSEK, An Outline of Czech and Slovak Music (Pr 1964);J. BUiGA, Musiker u. musikal. Institutionen im Zeitalter des Barocks in den böhmischen Ländern, in: Beitr. z Musikgesch. Osteuropas, hrsg. v. E. Arro (Wie 1977); J. VOLEK — S. JAREŠ, Dějiny české hudby v obrazech (Pr 1977). — 3) Musikgeschichte der Slowakei: F. ZAGIBA, Geschichte der slowakischen Musik v. den frühesten Zeiten bis z Gegenwart, in: Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa 4 (1940); J. KRESÁNEK, The Work of Slovak Composers, in: Slavonic and East European Review 24 (1946); J. Šíp, Slowakische Musik (Pr 1959); R. RYBARIč, DieHauptquellen u. Probleme der slowakischen Musikgesch. bis zum Ende des XVIII. Jh., in: Musica antiquae Europae orientalis I (Bydgoszcz 1966); P. FALTIN, New Music in Slovakia, in: Slovenská hudba 11 (1967). —T., in: MGG XIII; Czechoslovakia, in: J. KOLIBA— R RYBARIČ Grove• V.
TSCHEREPNIN. -1) Nikolai Nikolajewitsch, * 3. (15.) 5. 1875 St. Petersburg, t 26.6. 1945 Issy-lesMoulineaux (Seine); russ. Dirigent und Komponist. T. studierte bis 1898 bei N. Rimski-Korsakow am Konservatorium in St. Petersburg, war dort 1908-18 Professor für Orchesterleitung am Konservatorium und 1908-13 Kapellmeister des Opernhauses. 1909, 1911 und 1912 dirigierte er die Ballets Russes von S. Diaghilew auf Auslandstourneen. 1918-21 leitete er das Nationalkonservato193
Tscherepnin rium und die Oper in Tiflis und lebte dann in Paris, wo er 1925-29 und 1938-45 das Russische Konservatorium leitete. 1922 bearbeitete er für die Oper in Monte Carlo M. Mussorgskis Jahrmarkt von Sorotschinzy. Seine Erinnerungen wurden postum veröffentlicht (Leningrad 1976). T.s Werke sind in ihren Grundlagen traditionell. Nach einer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen französischen Musik, insbesondere dem Impressionismus, zeigen die im Exil entstandenen Kompositionen zunehmend nationalen Charakter. WW: Oper: Vanka, UA: Belgrad 1935. — Ballette: Pavillon d'Armide, UA: St. Petersburg 1908; Narcisse et Echo, UA: Monte Carlo 1911; Le masque de la mort rouge, UA: Moskau 1922; Dionysus UA: London 1922; Russian Fairy Tale, UA: ebd. 1923; Romance of the Mummy, UA: ebd. 1924.
2) Alexander Nikolajewitsch, Sohn von 1), * 8. (20.) 1. 1899 St. Petersburg, t 29.9. 1977 Paris; russ. Pianist und Komponist. Er studierte am St. Petersburger Konservatorium, dann am Konservatorium in Tiflis und in Paris (I. Philipp), von wo aus er eine internationale Solistenlaufbahn begann. 1934-37 bereiste er den Fernen Osten und unterrichtete 1938-45 am Russischen Konservatorium in Paris. 1949-64 war er Professor für Komposition an der DePaul University in Chicago und ließ sich dann in New York nieder. Zunächst von S. Prokofjew beeinflußt, experimentierte T. später mit neuen (u. a. mit der aus 3 gleichstrukturierten Tetrachorden bestehenden 9stufigen sog. T.-Tonleiter: cdesesefgasahc') und kontrapunktischen Verfahren (Intrapunctus, Interpunkt). Andere konstitutive Elemente seines Werkes bildeten sich durch die Auseinandersetzung mit der Musik verschiedener außereuropäischer Kulturen (Ägypten, China) heraus. WW: Für Orch.: 4 Symphonien: op.42 (1927); op.77 (1951); op. 83 (1952); op. 91 (1957); 6 Klv.-Konzerte: op. 12 (1920); op. 26 (1923); op. 48 (1932); Fantasie, op. 87 (1947); op. 96 (1963); op. 99 (1965); ferner ein Konzert für Mundharmonika u. Orch., op. 86 (1953). — Opern: 01"— 01", op. 35 (nach L Andrejew), UA: Weimar 1928, Neufassung: New York 1934; Die Hochzeit der Sobeide, op. 45 (nach H. von Hofmannsthal), UA: Wien 1933; Die Heirat, op. 53 (nach M. Mussorgski), UA: Essen 1937; gesungenes Märchen The Farmer and the Nymph für Sopran, Tenor, Sprecher u. Orch., op. 72, UA: Aspen 1952. — Ballette: Ajanta's Frescoes, UA: London 1923; Training op. 37 Nr. 3, UA: Wien 1934; TrepaL UA: New York 1938; La légende de Rasin, UA: Paris 1941; Le déjeuner sur l'herbe (nach J. tanner), UA: ebd. 1945; Chota Rostaveli (Choreographie: S. Lifar), UA: Monte Carlo 1946 (nur 2. Akt v. T., 1. u. 3. Akt v. A. Honegger bzw. T. Harsányi); La femme et son ombre, op. 79 (nach P. Claudel), UA: Paris 1948; Le gouffre (nach L Andrejew), UA: Nürnberg 1969. Lit.: CH. PALMER, Tcherepnin, in: Grove° XVIII. — Zu 1): Wospominija musykant, hrsg. v. O. TOMAKOWA (Leningrad 1976). — Zu 2): W. REICH, A. T. (Bonn 1959, 21970); N. SLONIMSKY, A. T. Septuagenarian, in: Tempo (1968/69) Nr. 87; R. LAYTON, A. T. at 75, in: ebd. (1974) Nr. 130.
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TSCHUDI, Burkhard (anglisiert: Burkat Shudi), r Broadwood & Sons. TSUZUMI (japanisch), allgemeine Bz. für Trommel, im engeren Sinne speziell für die Sanduhrtrommel mit 2 Membranen, die durch eine Schnurspannung miteinander verbunden sind. Da der in der Mitte sehr schmale Instrumentenkörper sich bis zu den beiden, weit überstehenden Fellen erweitert, befinden sich die Spannschnüre in weitem Abstand vom Korpus, und der Spieler kann durch Zusammendrücken der Schnüre die Felle mehr oder weniger straffen und so deren Tonhöhe verändern. Es gibt 3 verschiedene T.-Größen, die sich in Funktion und Spielweise unterscheiden. Das San-no-tsuzumi ist koreanischen Ursprungs und wird im r Gagaku-Orchester gespielt. Es liegt waagerecht vor dem Spieler, der nur eine der Membranen mit einem einzelnen Schlegel anschlägt. Das kleinere Ko-tsuzumi ist Bestandteil des r NO-Ensembles. Es wird mit der linken Hand auf die rechte Schulter gelegt, und die rechte Hand schlägt auf die vordere Membran. Der Spieler greift mit seiner linken Hand so in die Spannschnüre, daß er durch unterschiedlichen Druck die Tonhöhen der Membran verändern kann. Etwas größer ist das auch zum NO-Ensemble gehörende O-tsuzumi das mit dem linken Arm gegen die linke Hüfte gehalten und mit der rechten Hand geschlagen wird. Auf ihm werden unterschiedliche Tonhöhen durch den Druck des ganzen linken Arms gegen die Schnurspannung erzeugt. Lit.: /Japan.
M. BRÖCKER
TUBA (von lat. tubus = Röhre). - 1) Bz. für das wichtigste Blechblasinstrument der römischen Antike. Die T. war ein langgestrecktes trompetenähnliches Instrument mit Kesselmundstück, metallener Röhre und ausladendem Schallstück. Beim Spiel meistens schräg nach oben gehalten, wurde sie bei feierlichen Prozessionen, Begräbnissen, bei Spielen in der Arena, vor allem aber als Militärinstrument benutzt. Die römische T. hatte vergleichsweise eine sehr viel größere Bedeutung für die altrömische Musik als die ihr entsprechende griech. r Salpinx. - 2) Name der zur Gruppe der l Bügelhörner gehörenden Baßinstrumente mit weiter konischer Röhre, die im Unterschied zu l Helikon und r Sousaphon in länglich-ovaler Form gewunden ist und in einem wenig ausladenden, nach oben gerichteten Schallstück endet. Mit dieser ovalen Tubenform wurden auch Bügelhörner der Altbzw. Tenor- und der Bariton-Lage (r Bariton 2, Euphonium 1) gebaut. Die im Orchester am häufigsten eingesetzte T. ist die Baß-T. in F mit 4
Tucker Hauptventilen und 2 Kompensationsventilen zum Ausgleich der Intonationsunreinheiten bei der Kombination mehrerer Ventile. In der Blasmusik wird neben Helikon und Sousaphon vor allem eine Baß-T. in Es (/ Bombardon 2) verwendet. Die erste um 1840 ins Orchester eingeführte T. war die von W. Wieprecht und J. G. Moritz (Berlin) entwickelte, 1835 patentierte Baß-T. in F mit 5 Ventilen. Die größere, erst im letzten Drittel des 19. Jh. ins Orchester aufgenommene Kontrabaß-T. mit 3-4 Ventilen, sehr weitem Rohr und ausladendem, nach unten gerichtetem Schallstück entwickelte seit 1845 V. F. Cervený (1883 ; Kaiserbaß). Außerdem gibt es noch eine Doppel-T., eine Kombination von Baß- und Kontrabaß-T., mit 6 Doppelventilen und einem Umschaltventil. Die T. gehört in Deutschland (anders in der Schweiz) nicht zu den /transponierenden Instrumenten. Die heute gebräuchlichsten Stimmungen sind für die Baß-T. in F und Es (Tonumfang je nach Anzahl der Ventile etwa Des, [H,] - a' [f'] / [C,] A, - es'), für die Doppel-T. in F/C und F/B (C, - f'/B2 - P) und für die Kontrabaß-T. in C oder B (C, - c'/B2 - b). Die Baß-T. wird heute im Orchester, in Tanz- und Unterhaltungsorchestern, in Jazzbands und in der Harmonie- und Blechblasmusik gespielt. Solowerke für Baß-T. schrieben R. Vaughan Williams (Konzert f-moll für Baß-T. und Orchester, 1954) und P. Hindemith (Sonate für Baß-T. und Klv., 1955). Die Kontrabaß-T., in Unterhaltungsorchestern selten zu finden, wird ver allem in der Harmonie- und Blechblasmusik, aber auch im Orchester benutzt. Sie wurde u. a. von R. Wagner (Der
BASSTUBA
Ring des Nibelungen), A. Bruckner (7., 8., 9. Symphonie) und R. Strauss (Elektra) vorgeschrieben. 3) Wagner-T., Bz. für eine auf Anregung von R. Wagner um 1880 gebaute Mischform zwischen T. und Waldhorn. Die Wagner-T. hat 4 Ventile und wird in der gleichen ovalen Form wie die anderen Tuben gebaut, sie hat jedoch eine sehr viel engere konische Röhre. Als Tenor-T. in B und als Baß-T. in F haben sie den Tonumfang B, - I.' bzw. F, - c2. Die Wagner-T. wird transponierend notiert, und zwar von jedem Komponisten verschieden. Im Orchester vorgeschrieben wurde sie u. a. von Wagner (Der Ring des Nibelungen), Bruckner (7., 8., 9. Symphonie), Strauss (Don Quixote, Ein Heldenleben, Elektra, Eine Alpensymphonie, Die Frau ohne Schatten), A. Schönberg (Gurre-Lieder) und L. Janáček (Sinfonietta). In Frankreich werden meistens anstelle von Wagner-Tuben / Cornophone benutzt. - 4) T. curva (gekrümmte T.), ein ventilloses, während der Fn. Revolution entwikkeltes Blechblasinstrument für feierliche Anlässe. Es wurde von Fr. J. Gossec, L. Cherubini, aber auch von É. N. Méhul (Joseph) vorgeschrieben. / Buccin. - 5) In der Orgel ist T. eine Zungenstimme (O Trompete) zu 32' (als Kontra-T. auch im Pedal), 16', 8' und 4'. Als T. mirabilis war sie eine in der romantischen Orgel sehr beliebte, heute kaum noch gebaute Hochdruckzungenstimme zu 8'. - 6) Im liturgischen Rezitativ und in der Psalmodie (O Psalmtöne) ist T. die bereits in frühen Quellen überlieferte Bz. für den Rezitations- oder Reperkussionston, der heute im allgemeinen mit dem ebenfalls aus dem MA überlieferten Terminus / Tenor bezeichnet wird. - 7) In der Vulgata und in späteren lat. Quellen allgemeine Bz. für Blechblasinstrumente, die als aus dem weltlichen Bereich abgeleitete Herrschaftsattribute innerhalb des Sakralen auf die himmlische Sphäre mit den musizierenden Engeln vor Gottes Thron übertragen wurden. In der Kunst des MA werden sie als Businen dargestellt. Später wird der literarische und musikalische Topos den / Trompeten und / Posaunen zugeordnet (so z. B. Tuba minim im Requiem von W. A. Mozart). Lit.: Zu 1): G. FLEISCHHAUER, Etrurien u. Rom (L 1964, 2 1978) (— Musikgesch. in Bildern II/5); G. WILLE, Musica Romana (A 1967). — Zu 2): G. KASTNER, Manuel général de musique militaire (P 1848, Nachdr. G 1973); H. BOUASSE, Instr. A vent, 2 Bde. (P 1929-30); CH. KOECHLIN, Les instr. à vent (P 1948); H. KuNITz, Tuba. Die Instrumentation (L 1968); A. BAINES, Brass Instr. Their History and Development (Lo 1976); C. J. BEVAN, The Tuba Family (Lo 1978); DERS. — J. W. MCKINNON, Tuba I u. Il, in: Grove' XIX. — Zu 4): D. CHARLTON, Tuba curva, in: Grove' XIX. M. BRÓCKER
TUCKER, Richard (eig. Reuben Ticker), * 28.8. 1913 Brooklyn (New York), t 8. 1. 1975 Kalama195
Tuckwell zoo (Michigan); amerik. Sänger (Tenor). T. debütierte 1945 als Enzo in La Gioconda von A. Ponchielli an der Metropolitan Opera in New York und gehörte seither zu deren Stammkünstlern. Ebenfalls in der Rolle des Enzo gastierte er 1947 mit glänzendem Erfolg erstmals in Europa in der Arena von Verona als Partner von Maria Callas, ferner am Covent Garden in London, an der Wiener Staatsoper und an der Mailänder Scala. Vor allem in den Heldenrollen der it. und frz. Oper des 19. Jh. zählte er in den 50er und 60er Jahren zu den führenden Tenören der Nachkriegszeit. Lit.: G. GUALERZI, Le grandi voci (R 1964) (mit J. B. S'rEANE, The Grand Tradition (Lo 1974).
Diskographie);
TUCKWELL, Barry, * 5. 3. 1931 Melbourne; australischer Hornist. T. studierte am Konservatorium in Sydney und sammelte erste praktische Erfahrungen als Mitglied australischer Orchester. 1950 kam er nach England, war 1955-68 Mitglied des London Symphony Orchestra und Lehrer an der Royal Academy of Music, trat dann vor allem in Kammermusik-Ensembles und gelegentlich als Solist auf und gründete 1968 ein eigenes Bläserquintett. 1965 erhielt er den Orden des British Empire. T. gehört zu den führenden Hornisten seiner Generation. Sein Repertoire reicht vom Barock bis zur Moderne. TUDOR, David Eugene, * 20. 1. 1926 Philadelphia; amerik. Pianist und Komponist. T. studierte Orgel, Klavier und Komposition und war 1938-48 als Organist und Lehrer tätig. Seither tritt er als Pianist avantgardistischer Musik auf, arbeitete längere Zeit mit J. Cage zusammen und lehrte mit ihm am Black Mountain College (North Carolina). 1951 gründete er mit Cage das „Project of Music for Magnetic Tape", mit dem erstmals Kompositionen mit Live Electronic realisiert wurden. 1953 schloß er sich der Merce Cunningham Dance Company an. 1956, 1958, 1959 und 1961 lehrte er bei den Internationalen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und später an mehreren amerikanischen Universitäten. T. hat wichtige, z. T. ihm gewidmete Klavierkompositionen uraufgeführt, u. a. von Cage, K. Stockhausen und S. Bussotti; außerdem spielte er erstmals in Amerika P. Boulez' Sonate (New York 1950), die viele amerikanische Komponisten nachhaltig beeinflußte. WW (für Tanz., Film, Theater, Fernsehen; — Multimedia): Bandoneon! (1966); Reunion (1968); Video III (1968); Rainforest (1968, Neufassung 1972); Video/Laser I (1969) u. II (1970). Gymnastics(1970). —Schrift: From Piano to Electronics, in: Music and Musicians 20 (1972). Lit.: M. 1974).
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NYMAN, Experimental Music. Cage and Beyond (Lo B. A. KOHL
TUMA, Franz Seraf Ignaz Anton (František Ignác Antonín Tůma), * 2. 10. 1704 Adlerkosteletz (Böhmen), t 30. 1. 1774 Wien ; böhmischer Komponist. Er war in Prag möglicherweise Schüler von B. Černohorský und kam wahrscheinlich 1722 nach Wien. Dort wirkte er von etwa 1731 bis 1741 als Komponist und Kapellmeister des Grafen Franz Ferdinand Kinsky, dann der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine, nach deren Tod (1750) er eine Pension erhielt. Er lebte dann in hohem Ansehen auch als Gamben- und Theorbenspieler weiterhin in Wien, später im Prämonstratenserkloster Geras (Niederösterreich). T.s hauptsächlich kirchenmusikalischen Werke, die als Inbegriff des östr. Spätbarock gelten, sind teilweise im Stile antico in der unmittelbaren Tradition von J. J. Fux, teilweise in einem Mischstil nach der Art A. Caldaras geschrieben. Gelegentlich zeigen sich auch Elemente des galanten Stils. WW (hsl. erhalten): 53 Messen; 29 Psalmen u. Vespergesánge; 13 Marianische Antiphonen; 5 Stabat Mater u. zahlr. weitere liturgische Werke. — 13 Sinfonien, 16 Sonaten u. 18 Partiten meist für Str. u. B.c. Ausg.: Stabat mater für 4 St. u. Org., hrsg. v. J. PLAVEC (Pr 1959); Instr.-WW, hrsg. v. J. RACEK — V. BELSKÝ (Pr 1965 u. 1967) ( — MAB 67 u. 69); 3 Partiten u. Sinfonia (Sonate), hrsg. v. R. LÖCK, 4 Hefte (Kö 1968). Lit.: G. REICHERT, Zur Gesch. der Wiener Messenkomposition in der ersten Hälfte des 18. Jh. (Diss. W 1936); H. VOGG, F. T. als Instrumentalkomponist (Diss. W 1951); A. PESCHEK, Die Messen v. F. T., 2 Bde. (Diss. W 1957); TH. M. KLINKA, The Choral Music of F. I. T. (1975) (— Diss. Univ. of Iowa); M. POŠTOLKA, T., in: Grove° XIX.
TUNDER, Franz, * 1614 Burg auf Fehmarn, t 5. 11. 1667 Lübeck; dt. Komponist. Er wurde 1632 stellvertretender Organist auf Schloß Gottorf bei Schleswig, Residenz der Gottorfer Linie der Herzöge von Schleswig-Holstein. Dort machte er sich bei dem Frescobaldi-Schüler J. Hecklauer mit der neuen italienischen Musik vertraut, ehe er 1633 dessen Amt als hauptamtlicher Hoforganist übernahm. Daneben versah er den Dienst in der Hofkapelle und Unterrichtete die herzoglichen Kinder. Seit 1641 wirkte T. als Organist an der St. Marienkirche in Lübeck. Seine außergottesdienstlichen Orgelvorträge wurden dort 1646 zu einer festen Einrichtung. In diesen „Abendspielen" brachte er auch vokale und instrumentale Ensemblemusik zur Aufführung. Sie bilden den Ursprung für die berühmten r Abendmusiken seines Schwiegersohns und Amtsnachfolgers D. Buxtehude. WW (hsl. erhalten): 7 Choralfantasien, 2 Choralvariationen u. 4 Praeludien für Org. — 9 geistliche Konzerte bzw. Arien für l St., 9 für 3-6 St. u. B.c.
T.s Choralfantasien, Toccaten, Praeludien, freie Fantasien und Fugen nutzen den Klangreichtum
Turina der Orgel voll aus und betonen das improvisatorische Moment im Sinne des „Stylus phantasticus". Charakteristisch ist ferner die Kontrastwirkung von strengem kontrapunktischem und konzertierendem Stil in ein und demselben Orgelwerk. Die Ensemblemusik verdeutlicht, daß T. sich den modernen Gattungen, wie der Sonate, der Aria und dem geistlichen Konzert italienischen Stils, nicht verschloß. Unter seinen 18 erhaltenen Vokalwerken befinden sich sowohl Cantus firmus-freie Solomotetten und Arien wie auch Choralkantaten. Insgesamt sind seine Kompositionen zwischen dem Schaffen H. Scheidemanns und den Werken Buxtehudes einzuordnen. Die Toccatafugen T.s wie auch einzelne Vokalwerke (Ein kleines Kindelein, An Wasserflüssen Babyions) gehören schon lange zum Repertoire. Ausg.: Gesangswerke, hrsg. v. M. SEIFFERT (1900) (— DDT 3); Choralbearb., in: Keyboard Music from Polish Manuscripts, hrsg. v. J. GoLos — A. SUTxowstu (R 1967) (— Corpus of Early Keyboard Music 10/2); Sämtliche Choralbearb. für Org., hrsg. v. R. WALTER (Mz 1956); Sämtliche Org.-Werke, hrsg. v. K. BECKMANN (Wie 1974). Lit.: W. STAHL, F. T. u. D. Buxtehude, in: AfMw 8 (1926); P. WINZENBURGER, The Music of F. T. (1965) (— Diss. Univ. of Rochester); M. GECK, F. T., in: MuK 37 (1967); J. ROCHE, Rovetta and T. An Interesting Example of Plagiarism, in: Early Music 3 (1975). W. RICHTER
TUNSTEDE, Simon, * Norwich, t 1369 Bruisyard (Suffolk); engl. Franziskanermönch. T. ist nach einer nicht belegbaren Zuschreibung E. H. de Coussemakers Verfasser der 4teiligen Schrift De quatuor principalibus musicae (ed. in : Coussemaker Scr. IV), eines Musiktraktats der r Ars nova. Sie ist weitgehend eine Kompilation älterer Traktate und behandelt im letzten Buch die Mensuralnotation, die Kunst des Diskantierens und die Kompositionsgattungen Conductus, Organum, Hoquetus und andere. Lit.: G. REANEY, The Question of Authorship in the Medieval Treatises on Music, in: MD 18 (1964); DERS., in: MGG XIII.
TUPAN, Tapan, Bz. für eine große zylindrische, manchmal auch leicht faüfärmige O Trommel mit 2 unterschiedlich dicken Schaf- und Lammfellmembranen. Die Felle können mit Hilfe einer Schnurspannung gestimmt werden, und das Instrument wird so gehalten, daß die beiden Felle senkrecht oder etwas schräg für beide Hände des Spielers leicht zugänglich sind. Auf die dickere Membran wird meist mit der rechten Hand in weit ausholenden Bewegungen kräftig mit einem gekrümmten hakenförmigen Schlegel geschlagen, während auf das dünnere Fell mit einem Stöckchen in der linken Hand leichte, rhythmisch gliedernde Schläge ausgeführt werden. Das in den Balkanländern als
T. oder Tapan, in der Türkei als r Davul bekannte Instrument wird immer zusammen mit der r Zurnä
gespielt. TURANDOT, Lyrisches Drama in 3 Akten von G. Puccini, Text von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzis gleichnamigem Schauspiel (1762). Ort und Zeit der Handlung: Peking, in märchenhafter Vergangenheit. UA: 25. 4. 1926 Mailand (Scala); dt. EA (in dt. Sprache): 4.7. 1926 Dresden. Puccinis letztem Werk liegt ein Märchenstoff zugrunde : die Geschichte von der grausamen Prinzessin Turandot, die jeden, der sich um ihre Gunst bewirbt und drei schwierige von ihr gestellte Rätsel nicht zu lösen vermag, hinrichten läßt und erst durch die großmütig menschliche Haltung des persischen Prinzen Kalaf von ihrer Gefühlsstarre befreit wird. Nach Madame Butterfly ist Turandot Puccinis zweite Oper, in der spätromantische Kompositionstechniken verwoben werden mit Elementen fernöstlichen Kolorits; diese bestehen vor allem in reizvollen Klangkombinationen durch Mischung traditioneller Orchesterinstrumente mit charakteristischem Schlagwerk sowie im thematischen Material, das z. T. aus authentischen chinesischen Melodien entwickelt ist. Der musikalische und szenische Kontrastreichtum des Werkes resultiert vor allem aus dem dichten Nebeneinander von komischen Figuren - wie etwa den drei Ministern Ping, Pang und Pong - und tragischen Gestalten wie der Sklavin Liú, die Selbstmord begeht, um den von ihr heimlich geliebten Kalaf zu schützen; die Sterbeszene der Liú gilt als eine der ergreifendsten musikalischen Todesdarstellungen innerhalb der veristischen Oper. - Erste Bekanntschaft mit dem Stoff hatte Puccini in Berlin gemacht, wo er eine Aufführung der Turandot in der Inszenierung von M. Reinhardt und mit F. Busonis Bühnenmusik gesehen hatte. Vollenden konnte jedoch der Komponist das Werk nicht mehr; sein Schüler Fr. Alfano schrieb SchluBduett und Finale nach hinterlassenen Skizzen. Bei der UA brach A. Toscanini mit Erreichen des Endes von Puccinis Originalmanuskript ab und teilte dem Publikum mit, daB an jener Stelle der Tod dem Meister die Feder aus der Hand genommen hätte. Erst von der zweiten Aufführung an wurde das Werk in der heute bekannten komplettierten Fassung gespielt. W. A. MAKUS
TURBA (lat., = Haufe, Menge), Sammel-Bz. für die Gruppen der Jünger, Hohenpriester, Juden,
Soldaten u. dergleichen in der mehrstimmigen ř Passion. TURINA, Joaquin, * 9. 12. 1882 Sevilla, t 14. 1. 197
Türk 1949 Madrid; span. Komponist. Er studierte bei José Trago in Madrid und 1905-13 bei V. d'Indy an der Schola Cantorum in Paris. 1914 nach Madrid zurückgekehrt, wirkte er u. a. als Dirigent der Ballets Russes und bis 1925 als Chorleiter des Teatro Real, wurde 1931 Professor für Komposition am Konservatorium und 1941 Leiter der allgemeinen Musikabteilung im Erziehungsministerium. T. gilt neben I. Albéniz, E. Granados und M. de Falla als einer der bedeutendsten spanischen Komponisten im frühen 20. Jahrhundert. Mit de Falla, dem er auch als Freund lebenslang verbunden war, teilte T. das Ziel einer nationalspanischen Musik von allgemeingültigem Charakter, obwohl beide Musiker stilistisch verschiedene Wege gingen. T.s Musik spiegelt die Heiterkeit, Anmut und Farbigkeit der andalusischen Folklore, deren Reinheit und Ursprünglichkeit er zu erhalten suchte. WW :1) Instr.-WW: Für Klv.: Suite Sevilla (1909); Sonata romántica (1909); Rincones sevillanas (1911); Klv. Zyklus (1930); Proccsión del Rocío (1913); Danzas fantásticas (1920). - Für Orch.: Sinfonía sevillana (1920); Rapsodia sinfónica für Klv. u. Streichorch. (1931). - 2) Schriften: Enciclopedia abreviada de la masica, 2 Bde. (Ma 1917, 21947); Tratado de composición (ebd. 1946). Lit.: F. SoPEŇ,, J. T. (Ma 1943, 2 1956); L. E. POWELL, The Piano Music of J. T. (1882-1949) (1974) (- Diss. Univ. of North Carolina); DERS., The Influence of Dance Rhythms an the Piano Music of J. T., in: MR 37 (1976); DERS., The Place of J. T. in Spanish Pianism, in: Anuario Mus. 31/32 (1976/77).
TURK, Daniel Gottlob, * 10. B. 1750 Claußnitz bei Chemnitz, t 26.8. 1813 Halle; dt. Komponist und Musiktheoretiker. Er war Schüler von G. A. Homilius an der Dresdner Kreuzschule, studierte seit 1772 in Leipzig und wurde 1774 Kantor in Halle, später auch Universitätsmusikdirektor. Als guter Organisator aktivierte er das Konzertleben in Halle und führte neben Oratorien von G. Fr. Händel auch zahlreiche Opern von W. A. Mozart sowie anderer Musiker nichtszenisch auf. Sein begabtester Schüler war C. Loewe. Neben Kantaten und anderen geistlichen und weltlichen Werken schrieb T. zahlreiche Sonaten und Stücke für Klavier, die zwischen 1776 und 1808 meist im Selbstverlag gedruckt wurden. In ihnen kommt weniger der künstlerische Ehrgeiz als vielmehr eine unverkennbare pädagogische Zielsetzung zum Ausdruck, die seine ganze musikalische Tätigkeit beherrschte. In dieser Hinsicht folgte T. als typischer Bildungsmusiker seiner Zeit unmittelbar den Bestrebungen J. A. Hillers. Seine musikgeschichtliche Bedeutung liegt eindeutig auf musiktheoretischem Gebiet. Die Clavierschule (1789), nach C. Ph. E. Bach, J. J. Quantz und L. Mozart das letzte der „Universallehrbücher" der Musik im 18. Jh., verbindet eine allgemeine Musiklehre mit der Behandlung einiger technischer Fragen des Klavier198
spiels. Trotz mancher Neuerungen ist dieses Werk retrospektiv orientiert, denn noch immer gibt er dem Clavichord vor dem Pianoforte den Vorzug; auch die praktische Seite der spezifischen Klaviertechnik kommt kaum zur Sprache. Von anderen Schriften T.s war die Kurze Anweisung zum GeneralbaB-Spielen (1791, '1841) weit verbreitet. WW (gedruckt in Halle - Leipzig): 1) Kompositionen: Für Klv.: 9 Slgen. Sonaten mit unterschiedlichen Titeln (1776-89); 5 Slgen. Handstücke bzw. Tonstücke, eine davon für Klv. zu 4 Händen (1792-1808). - Kantaten Der Sieg der Maurereyu. Die Hirten bey der Krippe (1780, 1782); ferner einige Klv.-Lieder. - 2) Schriften u. Lehrwerke: Von den wichtigsten Pflichten eines Organisten (Hl 1787, '1838); Clavierschule, oder Anweisung zum Clavierspielen für Lehrer und Lernende ... nebst 12 Handstücken (L HI 1789, 2 1802); Kurze Anweisung zum Klavierspielen (ebd. 1792, 21805); Kurze Anweisung zum Generalbassspielen (ebd. 1791,'1841); Anleitung zu Temperaturberechnungen (H11808). Ausg.: 4 Klv.-Sonaten, hrsg. v. H. ALBRECHT (Lippstadt 1951-54) (- Organum V/9, 13, 19, 24); Kleine Handstücke für angehende Klavierspieler, hrsg. v. C. AUERBACH (Hannover 1933, 2 1960) (- Nagels MA 93); dass., hrsg. v. W. SERAUIcY (H1 1948, 2 1953); 30 "Tonstücke für4 Hände, hrsg. v. DEMS. (H11948). - Clavierschule, Faks.-Nachdr., hrsg. v. E. R. JACOBI (Kas 1962); Von den wichtigsten Pflichten eines Organisten, hrsg. v. B. BILLETER (Hil 1966); Anweisung zum GeneralbaIspielen, hrsg. v. DEMS. (Hil 1971). Lit.: G. E. HEDLER, D. G. T. (Diss. L 1936) (mit Werk-Verz.); W. SERAUKY, Musikgesch. der Stadt Halle 11/2 (Hl 1942), dazu: Musikbeilage (1943, Hil 2 1971); B. BILLETER, D. G. T.s Beitr. zur Kirchenmusik, in: MuG 17 (1963); L. HOFFMANN-ERBRECHT, T., in: MGG XIII; Catalogue of the Music Library of D. G. T.,
sold in Halle, 13 January 1817, hrsg. v. A. HYATT KING (A 1973). L. HOFFMANN-ERBRECHT
TURKEI. Die wechselvolle Geschichte Kleinasiens - also nahezu des gesamten Gebietes der heutigen T. - ist gleichzeitig eine Geschichte der Auseinandersetzung und Symbiose östlicher und westlicher Kulturen. In ihrem Verlauf beherrschten dieses Gebiet (bzw. Teile davon) Hethiter, Perser, Griechen und Römer, später aus dem Osten vordringende türkische Stämme (1071 Sieg bei Mantzikert über Byzanz), schließlich Seldschuken (seit 1134) und Osmanen (seit 1300). 1922 schuf Kemal Atatürk ein republikanisches Staatssystem nach westeuropäischem Vorbild. Infolge ihrer bewegten Geschichte hatten die Türken engen Kontakt mit zahlreichen Kulturen, deren Einflüsse schwer zu bestimmen sind. Unterscheiden kann man in der türkischen Musik rituelle Elemente des asiatischen Schamanentums, eine gleichfalls asiatische Pentatonik mit absteigender Tonfolge, wie man sie noch bei den Tscheremissen findet, Modi, die aus dem phrygischen und lydischen Tonsystem hervorgegangen sind, bedeutende Spuren der alten persischen Musik, Teile der griech. Musiktheorie, Reste christlichen Hymnengesanges aus Kappadokien und den beherrschenden Einfluß des Islam sowie auch des Buddhismus, des Manichäismus
Türkei und des Nestorianismus. Aus dem hethitischen Kulturbereich ist die Darstellung eines Hirsches auf Sistren bekannt, der auch in bestimmten Volksliedern eine große Rolle spielt. Auch die Form der auf hethitischen Fresken dargestellten Instrumente ähnelt der heutiger Instrumente. Wenig ist bekannt über die zur Zeit der Seldschuken am Beginn der Osmanenherrschaft gebräuchlichen Instrumente. Im 15. Jh. gibt der türkische Musiktheoretiker Ahmet Oglu $ükrullah eine ziemlich präzise Beschreibung der Instrumente seiner Zeit: Iklig" (2saitige Stachelgeige), Ud (5saitige Laute ; r `Üd), Rebab (Laute mit 3 Doppelsaiten ; ' Rabäb), Çeng (24saitige Harfe), Nüze (81saitige Harfe), Kanun (Zither mit unterschiedlicher Saitenzahl ; ř Qanon), eine Flöte mit 7 oder 9 Löchern und die Schalmei Mizmär. Im Verlauf ihrer Geschichte haben die Türken die empfangenen Einflüsse miteinander verbunden, und sie exportierten ihrerseits ihre eigene musikalische Konzeption in alle Teile Europas und des Orients, die ihnen durch die Ausbreitung des osmanischen Reiches zugänglich waren. Diese Musik wurde in all ihren Aspekten mündlich tradiert. Hinsichtlich Tonsystem, Techniken und Instrumenten lassen sich jedoch eine Volksmusik und eine Kunstmusik unterscheiden, die zahlreiche Elemente aus der religiösen Musik schöpfen und nicht ohne wechselseitige Beziehungen sind. Die religiöse Musik. Die Musik des orthodoxen islamischen Kultes ist gänzlich vokal. Die Melodie dient vor allem als Stütze des Wortes, ist „Schmuck der Lesung". Die Gebetszeremonien in der Moschee sind durch verschiedene Formen von Gesängen gekennzeichnet: die Aufforderung der Gläubigen zum Gebet, die vom Muezzin von der Höhe des Minaretts herab gesungen wird; die Rezitation des Korans, eine komplexe Kunst, die ein langes Studium der Tongebung, des Stimmtimbres und der Beziehungen zwischen Silben, Akzenten und Rhythmen erfordert; daneben „Dua" und „Tesbih", zwei Gebetsformen. Zahlreiche Gesänge sind an verschiedene Anlässe gebunden : die Feier der Geburt des Propheten, die Zeit des Ramadan, die Beschneidungszeremonien, die Begräbnisse. Die bedeutendsten dieser Gesänge sind der Mevlüt, dessen Text Süleyman Çelebi (14. Jh.) zugeschrieben wird, und der Miraciye, komponiert von einem Musiker des 18. Jahrhunderts. Andere Arten von Musik entwickelten sich seit der Seldschuken-Zeit in-den Bruderschaften (Tarikat), in denen 'lie Musik eine wichtige Rolle spielt. Sie gilt hier als Bindeglied zwischen dem Menschen und seinem göttlichen Ursprung und bildet ein mächtiges Hilfsmittel in dem Bemühen um die
Vervollkommnung des Daseins. Die Instrumente, die Gegenstand verschiedener Symbolismen sind, haben Anteil an den Riten, während die menschliche Stimme ihre ursprüngliche Bedeutung beibehält. Genannt seien hier bei dem Orden der Tanzenden Derwische der Ney (Flöte aus Schilfrohr mit 7 Löchern) und die Kudüm (kleine kupferne Pauken mit einem Fell aus Ziegenhaut). Diese Instrumente, zu denen zuweilen die Halile-Bekken hinzukommen, bilden zusammen mit einer Gruppe von Sängern das Ensemble Mitnb, das die Musik des Ayin, des Hauptritus des Mevlevî, ausführt; dabei handelt es sich um eine äußerst ausgearbeitete Musik, die sich seit dem 13. Jh. in Konya, einem der kulturellen Zentren dieser Epoche, entwickelte. Sie beruht auf dem System der Makam (r Maqam), das den persischen Dastgah-s oder den indischen Raga entspricht und das mit modalen, nicht temperierten Skalen und melodischen Formeln jedem Makam eine Entwicklungsstruktur, ein besonderes Ethos zukommen läßt. Darüber hinaus gibt es ein rhythmisches System, das auf dem Prinzip der zyklischen Wiederkehr beruht. Diese Systeme werden die Grundlage der türkischen Kunstmusik. - Die Musik des BektashiOrdens ist dagegen von volkstümlichem Wesen. Die Nefes-Gesänge, die im Verlauf der Zeremonien erklingen, werden von dem Saz begleitet, einer in der ganzen T. verbreiteten Lautenfamilie. Die Melodien dieser Gesänge besitzen einen eigentümlich befehlenden und energischen Charakter und einen klar hervortretenden Rhythmus. Diese Eigenschaften finden sich in unterschiedlichem Ausmaß auch in der Musik anderer Orden, die bestimmte Formen gemeinsam haben, wie z. B. Ilâhi, eine Vokalkomposition über mystische Gedichte in türk., pers., oder arab. Sprache. Die Volksmusik. Die Volksmusik ist ein direkter Reflex der asiatischen Traditionen, die die Türken zur Zeit ihrer Wanderungen mitbrachten. Den Melodien liegen 7tönige Skalen mit einem absteigenden pentatonischen Gerüst zugrunde; diese Struktur ist erstaunlicherweise mit dem tetrachordalen System kombiniert, das phrygischer und lydischer Tradition entstammt. Die volkstümliche Rhythmik umfaßt u. a. den Aksak- (= hinkend) Rhythmus, von dem es mehrere Typen gibt und den die Türken auf dem Balkan, besonders in Bulgarien, eingeführt haben. Er wird, je nachdem ob er schnell oder langsam ist, verschieden aufgefaßt. Der schnelle Aksak erscheint als Kombination zweier untereinander irrationaler Werte (z. B. J und J.), der langsame als eine Kombination unregelmäßiger Gruppen (2 oder 3) von regelmäßigem Grundrhythmus (z. B. 3 + 3 + 2 Achtel). 199
Türkei Instrumente. a) Chordophone: Der Oberbegriff Saz umfaßt eine Reihe von Langhalslauten verschiedener Dimensionen: Die kleinste heißt Cura mit 3 Saiten; es folgen Baglama mit 3 Doppelsaiten (2 - 2 - 2), Bozuk mit 8 Saiten (3 - 2 - 3) und Avk sazi mit 9 Saiten (3 - 3 - 3); das größte Instrument der Saz-Familie ist die Meydan sazi mit 12 Saiten (4 - 4 - 4). Ferner die 3saitige Kamängě. b) Aerophone: Zurna (r Zurna), Ney (r Nay; zylindrische Schalmei); Kaval (r Kawal); Düdük, eine kleine Flöte. - c) Membranophone : Kup oder r Darabukka; r Davul, Dümbek (kleine Pauke); Zilli Def (Schellentrommel). - d) Idiophone: Zil (kleines Becken); Zilli masa (Metallklapper); Ka~ik (Holzlöffel). Auch einige westliche Instrumente fanden Eingang: die Violine (Keman) und die Kla, rinette (Klârinet). Die Volksmusik ist stets engstens an bestimmte Lebensumstände gebunden: Geburt, Hochzeit, Begräbnis, Arbeit, Feste sind Gelegenheiten zum Singen und zum Tanzen. In den Liedern spielt die Improvisation eine große Rolle; der momentanen Eingebung wird große Freiheit gelassen, insbesondere bei den Worten, die auch ein aktuelles Ereignis kommentieren können. Die Wiegen-, Hochzeits-, Liebes-, Abschieds-, Klage- und erzählenden Lieder haben verschiedene poetische Formen, bei denen 2 Stile unterschiedlich miteinander kombiniert werden können: als Uzun hava (langer Gesang) mit freiem Rhythmus im Charakter eines stark verzierten Rezitativs oder als Kink hava (gebrochene Melodie), wenig verziert und mit gemessenem Rhythmus. Der Sänger begleitet sich dazu häufig auf der Saz baglama. Der Tanz kann begleitet werden von Liedern oder von Instrumenten (Zurna, Davul, Saz, Ka.5ik). Die hauptsächlichen Tänze sind: im Westen der Türkei der Zeybek; an den Ufern des Schwarzen Meers der Horon; in Zentralanatolien der Halay; im Osten der Bar. Neben diesen von Männern ausgeführten Gruppentänzen gibt es auch Einzeltänze, etwa den Ka.ik havap (Löffeltanz) oder den Çifte telli. - Gewisse Arten der Volksmusik sind eigentümlich für einen bestimmten Ausdruck oder gebunden an eine Gelegenheit: schildernde und Hirtenmusik, gespielt auf dem Kawal; Kampfmusik, gespielt auf dem Kaba zurnä (tiefe Zurna) und auf dem Davul. Auch heute noch gibt es sog. Avik (= Verliebte), d. h. Sanger, die von Dorf zu Dorf ziehen und abends Lieder singen, in denen legendäre Helden der Vergangenheit verherrlicht werden, darunter besonders der populäre Köröglu. Die Kunstmusik. Ihre Ursprünge bleiben ungewiß, denn die ersten rein türkischen Zeugnisse reichen nicht vor das 15. Jahrhundert. Sicher ist hingegen, 200
daß sie ein Zweig einer den moslemischen Völkern des Mittleren Orients gemeinsamen Musik ist, die u. a. von al-Farabí (10. Jh.), Avicenna (11. Jh.) und Safiaddín (13. Jh.) auf der Grundlage der byzantinischen, griechischen und persischen Gegebenheiten kodifiziert wurde. Auf der Basis dieses Erbes schufen die Türken eine eigenständige und subtile Kunst, die in den jeweiligen Hauptstädten des Reiches ihre Blüte erlebte : in Konya im 13., in Bursa im 14. und in Istanbul im 15. Jahrhundert. Dabei läßt sich die folgende Chronologie aufstellen: 13.-14. Jahrhundert. Durch die Impulse des Ordens der Tanzenden Derwische erreichte die Musik ein hohes technisches und geistiges Niveau. - 15. Jahrhundert. Epoche der Gärung und gleichsam der Geburtswehen ; verschiedene Traktate entstehen, u. a. von Yusuf bin Nizameddin, Hizir bin Abdullah und Abdul Kadir (sein Mekacid-ulelhan enthält die älteste notierte türkische Melodie). - 17. Jahrhundert. Drei große Musiker bestimmen diese Periode: Hafiz Post, Osman Dede und vor allem Buhûrîzade Mustafa Itrî. Demetrius Cantemir erfand ein neues Notationssystem. - Im 18. Jh., dessen Beginn das „Zeitalter der Tulpen" genannt wird, kommt es vor allem unter dem kunstliebenden Sultan Selim III. zu einer intensiven Musikpflege. Unter den Musikern ragen Zaharya Efendi, Kara Ismail Aga, Haci Sâd-ullah Aga hervor. - 19. Jahrhundert. Als bedeutendster Komponist gilt Hamamîzâde Ismail Dede (1. Hälfte des Jh.). Der armenischstämmige Hamparsum Limonciyan erfindet eine musikalische Notation, die es erlaubte, zahlreiche bis dahin nur mündlich überlieferte Werke schriftlich festzuhalten. - 20. Jahrhundert. An seinem Anfang beginnen Musikologen und Theoretiker, darunter Rauf Yekta Bey und Suphi Ezgi, die Werke und das musikalische Wissen der Vergangenheit aufzuzeichnen, während ein Musiker, Tanburi Cemil Bey, der die ganze Größe der türkischen Kunstmusik verkörperte, Schallplatten einspielt, die musterhaft werden für die Kunst der Makam. Nach einer langen schwierigen Zeit besinnen sich heute manche junge türkische Musiker auf diese Tradition. Die Kunstmusik basiert auf dem System der Makam und der rhythmischen Zyklen nach Art der Musik des Mevlevî-Ordens. Im Laufe der Jahrhunderte wurden zahlreiche Makam erfunden, von denen jedoch nur wenige überdauerten ; gegenwärtig sind etwa 30 Makam in Gebrauch. Sie werden unter der Bz. Fasl zusammengefaßt. Einige davon werden vokal (Beste, Kâr, $arki), andere instrumental (Pe§rev, Taksim) ausgeführt. Die Musik westlicher Prägung. Musikalische Wechselbeziehungen zwischen Westeuropa und
Turmmusik der Türkei gibt es seit dem 18. Jh. Bestimmte In-
strumente, wie die Klarinette und das Fagott, wurden in der T. eingeführt. Im 19. Jh. wurden it. Musiker (u. a. Giuseppe, der Bruder G. Donizettis) vom Sultan ins Land gerufen und beauftragt, eine Militärmusik im europäischen Stil aufzubauen. Indessen, obwohl bereits 1831 eine erste westlich orientierte Musikschule und 1912 in Istanbul ein Konservatorium gegründet wurden, war es doch erst die Errichtung der Republik durch Atatürk, die - konform mit der gesamten politischen Ausrichtung der modernen T. - eine mächtige Bewegung des Interesses für die westliche Musik bedingte. Aus Anlaß der Gründung des Konservatoriums in Ankara (1925) wurden einige junge Musiker, A. A. Saygun, Ulvi Cemal Erkin (1906-73), Necel Kâzim Akses (* 1908), nach Paris und Wien geschickt, um dort ihre musikalischen Studien zu betreiben. Bezeichnend für die kulturelle Anbindung an den Westen war aber auch, daß 1934-37 P. Hindemith von der türkischen Regierung entscheidend zum Aufbau des gesamten Musiklebens im Lande herangezogen wurde. Ihm folgte in verantwortungsvoller Position am Konservatorium in Ankara, dann am Gazi-Institut (bis 1970) E. Zuckmayer. Die genannten türkischen Musiker gelten zusammen mit Cemal Reit Rey (* 1904) als die erste Komponistengeneration ihres Landes. Ein Großteil der Werke von Rey ist vom Impressionismus geprägt, mit dem er während seiner Jugend und seines Studiums in Paris in Berührung kam. Er schrieb u. a. Klavierwerke, Kammermusik, symphonische Dichtungen mit türkischen Sujets und Operetten. Saygun ist der bekannteste Komponist dieser Generation. Von Akses stammen hauptsächlich symphonische und kammermusikalische Werke. - Aus der nach 1914 geborenen Generation ragt Bülent Tarcan (* 1915) hervor. Er war Schüler von Rey und Saygun und vertritt mit seiner Kammermusik, mit Konzerten, Orchester- und Ballettmusik eine ausgeprägt nationale Richtung. - Bülent Arel (* 1919), der in New York lehrt, und I1han Usmanbas (* 1921) wandten sich der seriellen und elektronischen Musik zu. - Die nachfolgende Komponistengeneration kehrt wieder zu einer Konzeption zurück, die in starkem Maße Elementen der traditionellen türkischen Musik Raum gibt. Besonders bemerkenswert ist hier Nevid Kodalli (* 1924) mit Symphonien, Bühnenwerken sowie u. a. mit einem Oratorium Atatürk. Die zunehmende musikalische Orientierung der T. nach dem Westen ist freilich nur ein Teil der Wechselbeziehungen. Ein anderer Teil ist der Einfluß in umgekehrter Richtung. Er prägt sich im
18./19. Jh. vor allem in der vielfältigen Verwendung der ř Janitscharenmusik aus. Lit.: G. ORANSAY, Die melodische Linie u. der Begriff Makam der traditionellen türk. Kunstmusik v. 15. bis zum 19. Jh. (Ankara 1966); K. REINHARD, Die gegenwärtige Praxis des Epengesanges in der T., in: Grazer u. Münchener balkanologische Stud. (Mn 1967); DERS., Cultivation and Encouragement of Traditional Music in Turkey, in: Creating a Wider Interest in Traditional Music (B 1969); B. MAUGUIN, L'utilisation des échelles dans la tradition musicale turque contemporaine (Diss. P 1969); K. REINHARD — U. REINHARD, Turquie (P 1969); J. P. REICHE, Stilelemente süd-türk. Davul-Zurna-Stücke, in: Jb. für musikal. Volksu. Völkerkunde 5 (1970); C. AHRENS, Instr. Musikstile an der ost-türk. Schwarzmeerküste (Mn 1970); K. REINHARD, Grundlagen u. Ergebnisse der Erforschung türk. Musik, in: AMI 44 (1972); DERS., Die T. im 19. Jh., in: Musikkulturen Asiens, Afrikas u. Ozeaniens im 19. Jh., hrsg. v. R. Günther (Rb 1973); K. L SIGNELL, The Turkish „Makam" System in Contemporary Theory and Practice (Diss. Seattle 1973); E. OKYAY, Die Schulmusikerziehung in der T. Ihre geschichtl. Entwicklung u. ihr heutiger Zustand, in: Mitt. der di Ges. für Musik des Orients 12 (1973/74); E R. MEYER, „Turquerie" and Eighteenth-Century Music, in: Eighteenth-Century Studies 7 (1974); L PICKEN, Folk Musical Instruments of Turkey (Lo 1975); B. BARTÓK, Turkish Folk Music from Asia Minor, hrsg. v. B. Suchoff (Princeton/N. J. 1976); W. D. PACK, P. Hindemith in Turkey (1977) (— Diss. Brigham Young Univ., Utah); C. ZIMMERMANN-KALYONCU, Dt. B. MAUGUIN Musiker in der T. im 20. Jh. (F 1985).
TURMMUSIK. Seit dem 15. Jh. entwickelte sich neben dem Stundenabblasen der Türmer, dem einstimmigen Signal oder Choral, das mehrstimmige Abblasen bei Tagesanbruch, zur Mittagszeit und am Abend. In vielen Städten wurde diese zur Ehre Gottes erklingende T., die zugleich als Mittel städtischer Repräsentation betrachtet wurde, von den r Stadtpfeifern ausgeführt. Zu den musikalischen Aufgaben der Türmer bzw. Stadtpfeifer gehörte ferner das Anblasen (Melden) Fremder, das Begrüßen von Hochzeitspaaren beim Kirchgang sowie das Musizieren vom Turm bei besonderen Anlässen (Fürstenbesuchen, Friedensfeiern, brauchtümlichen Festen, Weihnachten usw.). Bevorzugte Instrumente für die Stundensignale waren Horn, (Zug-)Trompete und Posaune; charakteristisch für das mehrstimmige Abblasen war der reine Trompetensatz und vor allem die Besetzung mit Zinken und Posaunen. Das mehrstimmige Repertoire umfaßte instrumental ausgeführte Vokalsätze (u. a. Motetten und Kantionalsätze), choralgebundene Instrumentalsätze sowie Fanfaren, „Turmsonaten", Intraden und Suitensätze. Unmittelbar aus der Stadtpfeiferpraxis hervorgegangen sind die Sammlungen von J. Chr. Pezel (1670 u. 1685) und G. Reiche (1696); daneben sind die Bicinia (1553) von J. Wannenmacher, die Sonaten von G. Chr. Störl (um 1700) und Fr. Schneider (1803) sowie die 3 Equale (1812) von L. van Beethoven zu nennen. Nachdem in der 2. Hälfte des 18. Jh. das Abblasen z. T. schon reduziert worden war, wurde ihm mit 201
Turner der Auflösung der Stadtpfeifereien und der Abschaffung des Türmeramtes im 19. Jh. in den meisten Städten die Grundlage entzogen. Im 20. Jh. kam es, ausgehend u. a. von den Bestrebungen von L. Plaß (1914) und A. Müller (1925), mancherorts zu einer Wiederbelebung des Turmblasens durch r Posaunenchöre und andere Vereinigungen. Neben Editionen regte diese Bewegung zahlreiche neue Kompositionen an (u. a. A. von Beckerath, W. Hensel, P. Hindemith, K. Marx, Heinrich Kaspar Schmid und Roland Würz). Lit.: L. PLAss, Blick in die Sig. musikal. Wahrzeichen dt. Städte, in: Zschr. für Schulmusik 6 (1933); H. J. MoSER, Tönende Volksaltertümer (B 1935); L. PRAUzzscH, Das Soester Gloria u. die Turmmusik auf St. Petri (Soest 1958); E. A. BOWLES, Tower Musicians in the MA, in: Brass Quarterly 5 (1961/62); L. PRAUTzscH, Das Christkindwiegen in Hessen, in: Beitr. z. Gesch. der ev. Kirchenmusik u. Hymnologie in Kurhessen u. Waldeck (Kas 1969); D. ALTENBURG, Zum Repertoire der Türmer, Stadtpfeifer u. Ratsmusiker im 17. u. 18. Jh., in: Alta musica 4(Tutzing 1979). D. ALTENBURG
TURNER, Tina (eig. Annie Mae Bullock), * 26. 11. 1938 Brownsville (Tennessee); amerik. Rock- und Soulmusikerin. 1956 begann sie als Wochenendsängerin im Bluesensemble „Kings of Rhythm" ihres späteren (1958) Ehemannes Ike Turner (* 5. 11. 1931 Clarksdale/Mississippi), mit dem sie seitdem stets zusammen auftrat. Durch ein Engagement für das Vorprogramm einer Amerikatournee der Rolling Stones wurde das Paar 1969 international bekannt. 1974 trennte sich T. T. von ihrem Mann und unternahm mit eigener Band und Tanzgruppe zahlreiche Tourneen, u. a. 1979 nach Deutschland. Besonderen Erfolg hatte sie mit Songs, in denen Frustrationen und sexuelle Wünsche des Publikums angesprochen wurden. Zu ihren erfolgreichsten Titeln gehören River Deep - Mountain High (1966) und Nutbush City Limits (1973). TURNIERTANZ (engl.: competitive dancing) ist die bei Amateuren und Professionals dem Leistungssport zuzurechnende Wettkampfform des Tanzsports, ausgehend um 1910 von England. Es gibt Mannschafts-, Formations- (8 Paare) und Einzelwettbewerbe. Letztere werden in 3 Kategorien ausgetragen - Junioren (bis 18), Hauptgruppe (bis 35 Jahre), Senioren (männliche Partner über 35) -, jeweils in den Leistungsklassen E/D/C/B/A und S = Sonderklasse. Deutsche, Europa- und WeltMeisterschaften (erstmals 1921 Berlin, 1927 Frankfurt am Main, 1909 Paris) finden jährlich statt in der Standard-Disziplin (Langsamer Walzer, Tango, Wiener Walzer, [Slow-]Foxtrott, Quickstep), in der Lateinamerikanischen Disziplin (Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso doble, Jive) und der Allround-Disziplin (alle 10 Tänze). All202
roundpaare ertanzen seit 1969 einen World-Cup (ab 1983 als Weltmeisterschaft). Figuren, Tempi, Kleidung sind durch eine Turnier- und Sportordnung, die international einheitlich ist, vorgeschrieben. Bewertet werden rhythmische Gestaltung und Takt, Bewegungsablauf und Fußarbeit sowie Körperlinien. In der Bundesrepublik Deutschland ist der „Deutsche Tanzsport-Verband" (DTV) im „Deutschen Sportbund" (DSB) mit z.Z. rund 82000 Mitgliedern in etwa 800 Clubs für den T. der Amateure zuständig. Angeschlossen sind seit kurzem die „Föderation Deutscher Majoretten" und der „Deutsche Verband der Amateure im Rock 'n' Roll und Jazztanz". Der DTV ist Mitglied des „International Council of Amateur Dancers", dem z. Z. 27 nationale Verbände in allen Erdteilen angehören. In der DDR untersteht der T. der „Zentralen Arbeitsgemeinschaft Turniertanz". Im T. der Professionals gelten die Regeln des „International Council of Ballroom Dancing", dem in der Bundesrepublik Deutschland der „Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband" mit seinem „Professional-Turnieramt" angehört. Lit.: PH. RICHARDSON, A Hist. of English Ballroom Dancing (1910-45) (Lo 1946); H. GÜNTHER - H. SCHÄFER, Vom Schamanentanz zur Rumba. Gesch. des Gesellschaftstanzes (St 1959); Tanzbibliogr. Verz. des deutschsprachigen Schrifttums über den Volks-, Gesellschafts- u. Bühnentanz, 3 Bde., hrsg. v. K. PETERMANN (L 1965-81); F. E. VON GARNIER, Bernhold, Beat u. Bossanova (Mn 1972); H. J. SCHÄFER, Gesch. des nat. u. int. Verbandes u. seiner Meisterschaften (Neu-Isenburg o.J.); Turnier- u. Sportordnung des Dt. Tanzsport-Verbandes (ebd. o.J.). H. J. SCHÄFER
TUSCH (frz.: touche; wahrscheinlich hervorgegangen aus den älteren engl. Formen tuck, tucket; it.: toccata), Bz. für ein kurzes, in der Regel improvisiertes, ein- oder mehrstimmiges Signal, das ursprünglich von Trompeten ausgeführt wurde, heute auch von anderen Instrumenten bzw. vom ganzen Orchester, meist als stereotype Formel auf einem Akkord (häufig D-Dur) gespielt wird. Die traditionelle Funktion dieses Signals ist die von Hochrufen begleitete musikalische Bekräftigung eines Trinkspruchs und die Begrüßung hochgestellter Persönlichkeiten bei Festveranstaltungen. TUITI (it., = alle). - 1) Im Unterschied zu Solo im Concerto grosso zu Concertino - und z. T. synonym zu r Ripieno gebrauchte Bz. für den Einsatz aller Instrumente in Instrumentalwerken, in Werken gemischter Besetzung für den aller Instrumental- und Vokalstimmen bzw. auch für die Abschnitte in dieser Besetzung. - 2) Bei der Orgel seit dem 19. Jh. Bz. für eine Vorrichtung, durch die alle Register gleichzeitig gezogen werden (im frz. Or-
Tyrolienne
gelbau synonym zu r Grand chceur). Im 17./18. Jh. wurde als T.-Registrierungsvorschrift der Terminus Plenum (OE Organo pleno) gebraucht. - 3) Beim Klavier wird durch die Angabe tutte le corde die Dämpfungsvorschrift r una corda aufgehoben. TWIST, amerik. Modetanz der frühen 60er Jahre des 20. Jh. aus dem Umfeld des Rhythm & Blues. Bei gelöster Tanzhaltung und leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper werden Füße, Knie und Hüfte abwechselnd nach links und rechts gedreht (engl.: twisted), während die Arme eine Gegenbewegung in die jeweils andere Richtung ausführen (MM J = ca. 152-192). Der T. kennt keinen Platzwechsel. Als besondere Figur gilt der sog. Korkenzieher (mit geschlossenen Knien wird nach links und rechts eine Kniebeuge ausgeführt). Geübte Tänzer neigen überdies ihren Rücken auf den Boden, ohne die T.-Bewegungen zu unterbrechen. Mit T.-Schlagern genoß der Sänger Chubby Chekker eine gewisse Popularität (Let's Twist Again). TWO BEAT JAZZ (engl.), weniger gebräuchliches Synonym für t Traditional Jazz. Die Bz. weist darauf hin, daß im T. die metrische Struktur des frühen Jazz mit den Akzentuierungen der 1. und 3. Taktzeit durch die tiefen Instrumente hervorgehoben wird, ohne daß bei den häufigen halbtaktigen Harmoniewechseln im T. die Akzente auf der 2. und 4. Taktzeit an Lautheit und rhythmischer Bedeutung zurücktreten. TWOSTEP (engl., = Zweischritt), amerik. Gesellschaftstanz der 90er Jahre. Entstanden aus der Polka, behält der T. aber nur deren Chasséschritte bei. Man tanzt ihn im Marschtempo. Als charakteristisches Musikstück gilt J. Ph. Sousas Komposition The Washington Post (1889). Das musikalische und choreographische Umfeld des T. kann man kaum exakt beschreiben. Der Name findet sich häufig in synonymer Verwendung mit Bz.en afroamerikanischer Tänze wie Cakewalk, Ragtime oder Turkey troff. Der T. zählt zu den Vorläufern des Foxtrotts. Um 1910 kommt als populärer Nachfolger des T. der Onestep auf. TXISTU (baskisch), eine baskische Einhandflöte (mit 3 Grifflöchern, 2 vorderständigen und einem hinterständigen Daumenloch), die wie das kleinere provenzalische r Galoubet mit einer Trommel zusammen zur Tanzbegleitung gespielt wird (O Tambourin), in neuerer Zeit auch im Ensemble von verschiedenen Spielern mit einem Baß-T., 2 T.s und einer Trommel. Lit.: P. H. OLAZARAN DE ESTELLA, T. Tratado de flauta vasca
(Bilbao 2 1951).
TYE, Christopher, * um 1500, t 1572; engl. Komponist. T. war vermutlich 1508-17 Chorknabe am King's College in Cambridge. Er erhielt 1536 den Grad eines Bachelor of Music, 1545 den eines Doctor of Music, ist dort seit 1537 als „lay clerk" nachweisbar und wurde 1547 Chancellor der Universität. Außerdem wirkte er seit 1543 als Magister choristarum an der Kathedrale von Ely und - ohne offizielles Amt - in den 50er Jahren als Sänger in der Königlichen Kapelle. 1544-50 war er Musiklehrer des Prinzen Edward. T. gehört zu den ersten Komponisten anglikanischer Kirchenmusik und schrieb auch als einer der ersten Stücke für Gamben-Consort, die den Beginn der englischen Instrumentalmusik markieren. WW: Stücke für Gambenconsort, u.a. 21 4 Est. In Nomine u. 4 bis Sst. Dum transisset. — The Actes of the Apostles, translated into English Metre to Synge and Play upon the Lute für 4 St. (Lo 1553). — Hsl. erhalten sind: 3 4-6st. Messen u. einzelne Messesätze; ferner Anthems, Motetten u. Magnificat. Ausg.: The Instrumental Music, hrsg. v. R. W. WEIDNER, u. The Latin Church Music, hrsg. v. J. R. SATTERFIELD, 2 Bde. (Madison/Wisc. 1967-72) (— RRMRen 3 u. 13-14); English Sacred Music, hrsg. v. J. MOREHEN, u. Messen, hrsg. v. P. DoE, 2 Bde. (Lo 1977-80) (— Early English Church Music 19 u. 24). Lit.: R. W. WEIDNER, Instrumental Music of Ch. T., in: JAMS 17 (1964); J. R. SATTERFIELD, A Catalogue of T.'s Latin Music, in: Gedenkschrift G. Haydon (Chapel Hill 1969); N. DAVISON, The „Western Wind" Mass's, in: MQ 57 (1971); J. LANGDON, T. and His Church Music, in: MT 113 (1972); R. W. WEIDNER, T.'s „Acts of the Apostles". A Reassessment, in: MQ 58 (1972).
TYMPANON (griech., = Trommel). - 1) r Tympanum. - 2) Frz. Bz. für das t Hackbrett.
TYMPANUM (lat.; von griech. tympanon), in der griech.-römischen Antike Bz. für die mit einer oder mit 2 Membranen bespannte Rahmen-tTrommel, die mit einer Hand gehalten, mit der anderen gespielt wurde. Das fast nur in den Händen von Frauen oder Silenen dargestellte T. gehörte zu den Instrumenten der orgiastischen Kulte des Dionysos und der Kybele und wurde vermutlich mit ihnen in Griechenland und Rom eingeführt. Im MA bedeutete T. ebenfalls eine 1- oder 2fellige Rahmentrommel, während es später als Bz. für die Heerpauke benutzt wurde (S. Virdung, 1511; M. Praetorius, 1619; J. E. Altenburg, 1795). Die Bz. findet sich auch in der Vulgata-Übersetzung des AT, z. B. in Ps. 150,4: Laudate eum in tympano et choro (dt. in der Einheitsübersetzung: Lobt ihn mit Pauken und Tanz). TYROLIENNE (frz.), im 19. Jh. Bz. für einen vom r Ländler abgeleiteten volkstümlichen frz. Rundtanz im synkopierten '/a-Takt. Er hat auch Eingang in die Kunstmusik (u. a. in G. Rossinis Guillaume Tell) und in die Salonmusik gefunden.
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U ÜBERBLASEN, bei Blasinstrumenten Bz. für das Anblasen eines höheren Teiltons anstatt des Grundtons (= 1. Teilton) durch Erhöhung von Anblasdruck oder Lippenspannung. Flageolettund Überblastöne sind daher von der Erzeugung her gleich. Bei oktavierenden Instrumenten (Flöten-, Oboen- und Saxophoninstrumenten) entsteht der 2. Teilton (= Oktavteilton). Bilden die Grundtöne den Tonraum der 1. Oktave, so ermöglicht also das Ü. in den 2. Teilton den Tonraum der 2. Oktave. Ü. in eine 3. Oktave ist möglich, jedoch bei den einzelnen Instrumenten unterschiedlich, da dann in den 3., 4. und 5. Teilton überblasen werden muß (vielfach nur in Kombination mit Spezialgriffen). Bei quintierenden Instrumenten (alle Klarinetteninstrumente) wird in den 3. Teilton überblasen (= Quinte über der Oktave). Im Tonraum der 2. Duodezime erscheinen also als Überblastöne alle Grundtöne aus der 1. Duodezime. Auch eine 3. Duodezime ist möglich; durch Ü. in den S. Teilton (= große Terz über Doppeloktave). - Bei " Naturtoninstrumenten wird der verfügbare Tonvorrat ausschließlich durch Ü. hervorgebracht. Gleichfalls sind bei der Orgel bestimmte Stimmen, wie Quer-, Rohr-, Dulzflöte oder Schweizerpfeife, bei doppelter Pfeifenlänge als überblasende Register disponiert. Baubedingt können bei zu starkem Winddruck jedoch auch z. B. eng mensurierte Labialpfeifen 'Oberschlagen. Lit.: A.
HEINE, Akustische Phänomene (Mn 1978).
ÜBERLEITUNG, Bz. für die Partie innerhalb größerer musikal. Ereigniszusammenhänge, die zwischen Hauptteilen vermittelt. Die Eigenart einer Ü. hängt vom Verhältnis der Hauptteile zueinander ab. So gibt es Ü.s-Stücke zwischen tonal, zwischen thematisch, zwischen dynamisch und klanglich unterschiedlichen Kernsätzen. In Ü.en der klassischen Instrumentalformen wird meist die tonale Distanz zwischen den Themen überbrückt. In der Exposition eines Sonatensatzes ist der Ü.sSatz ein wichtiges Moment. Er vermittelt zwischen 204
der Tonart des Haupt- und des Seitensatzes. Oft geht er von Motiven des Hauptsatzes aus und spinnt sie fort, ist aber an sich nicht thematisch. Lit.: B. SHMAGAR, On Locating the Retransition in Classic Sonata Form, in: MR 42 (1981); R. VAN DER LEK, Zum Begriff Übergang u. zu seiner Anwendung durch A. Lorenz auf die Musik v. Wagners „Ring", in: Mf 35 (1982). — rSonatensatzform.
ÜBERMÄSSIG werden r Intervalle genannt, die sich durch Erhöhung bzw. Erweiterung reiner oder großer Intervalle um einen Halbton ergeben. ÜBERSCHLAGEN. - 1) Bei Blasinstrumenten und Orgelpfeifen Bz. für das r Überblasen. - 2) Beim Klavierspiel Bz. für das Kreuzen der Hände aus spieltechnischen Gründen, z. B. beim " Arpeggio- und " Passaggio-Spiel, oder bedingt durch die Kompositionsanlage vieler Werke für Cembalo, die häufig eine Aufteilung für 2 Manuale vorsah. Das Ü. eines Fingers über den Daumen wird in der Klaviertechnik Übersetzen genannt. - 3) Bei der Singstimme umgangssprachliche Bz. für den Wechsel der Stimme von der Bruststimme ins Falsett, z. B. beim r Jodeln. ÜBUNGSSTÜCK. Im Unterschied zur " Etüde dient das Ü. der Ausbildung bestimmter technischer Fertigkeiten, in der Regel ohne dabei auch nach ästhetischen Gesichtspunkten oder hinsichtlich möglicher Aufführungen komponiert zu sein. Meist sind 0.e einem speziellen Problem gewidmet (z. B. Oktavpassagen, Akkordspiel, Staccato oder chromatischen Läufen). Daß D. Scarlatti seine Klaviersonaten 1738 als Essercizi per gravicembalo erscheinen ließ, zeigt ebenso wie M. Regers Sammlung von Canons für Pianoforte durch alle Dur- und Molltonarten (1895), daß sich der Typ des reinen Ü.s eher aus der Faktur selbst ergibt als aus dem Titel. Berühmte Sammlungen von .en bilden K. Czernys zahlreiche Schulen für Klavier, O. Ševčíks Schule der Violin-Technik (1883) oder Fr. Grützmachers Hohe Schule des Violoncellospiels (1891).
Uhl UCCELLINI, Don Marco, Rum 1603 Forlimpopoli, t 10.9. 1680 ebd.; it. Violinist und Komponist. U. war Geistlicher, studierte Violine und Gesang in Assisi, war 1641-62 „capo degli strumentisti" am Hof der Este in Modena, 1647-65 Kapellmeister am Dom in Modena und seit 1665 am Hof in Parma, wo er auch mehrere (nicht erhaltene) Bühnenwerke schrieb. U. ist mit seinem fast ausschließlich instrumentalen Schaffen einer der Hauptvertreter der Soloviolinsonate des 17. Jahrhunderts. Seine Werke dieser Gattung führen in der Spieltechnik über B. Marini hinaus und bereiten den Weg für das Schaffen der r Bolognesischen Schule. WW: 3 Slgen. Sonate, sinfonie, et correnti bzw. Sonate, arie, et correnti für 1-4 Instr. u. B. c. (V 1639-45); Sonate over canzoni für V. u. B. c. (V 1649); Sonaten für 1-3 V. u. B. c. (An 1668); Sinfonie óoscarecie, brandi, corrente u. a. Tanzsätze für V. u. B. c. mit 2 V. ad lib. (An 21669); Sinfonici concerti brievi e facili für 1-4 V. u. B. c. (V 1667). -Salmi concertati für 1-5 St., 2 V. u. B. c. (V 1654). Ausg.: 2 Sonaten, 3 Correnti u. 3 Arien, in: TORCHI, Arte Mus. VII (1907); Aria Die Hochzeit der Henne und des Kuckucks hrsg. v. G. LENZEWSKI (B 1930); Sinfonia 4 3, hrsg. v. E. SCHENK (W 1953) (- Hausmusik 151). Lit.: F. GÖTHEL, U., in: MGG XIII; F. M. PAJERSKI, M. U. ...
and His Music, 2 Bde. (NY 1979) (- Diss. New York Univ.).
'ÜD (von arab. al-`üd — das Holz), Kurzhalslaute mit einem tiefen, aus vielen schmalen Spänen zusammengesetzten bauchigen Korpus mit Holzdecke, in der sich ein oder mehrere Schallöcher befinden. Der `Úd hat einen kurzen Hals ohne Bünde, der in einem nach hinten abgewinkelten Wirbelkasten endet (Knickhalslaute). Er wird mit einem Federkielplektrum (Adlerfeder) gespielt. Das Instrument hat heute 5 doppelchörige Saiten, von denen die 3 höchsten aus Darm oder Nylon, die 2 tiefsten aus mit Kupfer umsponnener Seide bestehen. Die Stimmung wechselt je nach Gebiet, ist jedoch am häufigsten in Quarten auf G A d g c'. Manche Spieler benutzen auch noch eine 6., meist auf f' gestimmte Saite. Neben diesem bundlosen `Cd mit 5 Doppelsaiten gibt es in Tunesien auch einen 4saitigen mit Bünden. Der `Ud entstand im Gebiet des Irak und wurde von dort aus im 6./7. Jh. nach Mekka und dann nach Medina gebracht. Er verbreitete sich schnell in allen arabisch-islamischen Ländern und wurde bald das wichtigste Musikinstrument dieser Gebiete. Seine große Bedeutung bestand nicht nur darin, daß er das beliebteste Musikinstrument wurde, sondern daß er gleichzeitig auch als Demonstrationsinstrument der Musiktheorie, an dem das Tonsystem erklärt wurde, fungierte (dem r Monochord der Griechen vergleichbar). Deshalb behandelten ihn auch alle arabischen Musiktheoretiker in ihren
Traktaten besonders ausführlich. Zuerst hatte der `Cd nur 4 Saiten, die 5. Saite erhielt er im 9. Jh. durch den berühmten arabischen, in Spanien wirkenden Lautenisten Ziryab, der auch das bis dahin gebräuchliche Holzplektrum durch einen Federkiel ersetzte. Später verbreitete sich der `Ud bis weit nach Zentralasien hinein und in die Gebiete südlich der Sahara. Es entwickelten sich auch in den arabischen Ländern verschieden geformte, besaitete und gestimmte Lauten, die sowohl mit als auch ohne Bünde gespielt wurden. In Europa wurde der `Ud von den Arabern in Spanien eingeführt und verbreitete sich von dort aus über ganz Europa. Aus dem arabischen Namen al-`üd wurde al laud, laúd, lute, luth, liuto und OE Laute. Lit.: J. SPECTOR, Classical 'ad Music in Egypt with Special Reference to Maqamat, in: Ethnomusicology 14 (1970); A. SHILOAH, Un ancien traité sur le `üd d'Abü Yüsuf al-Kindl, in: Israel Oriental Studies 4 (1974); H. G. FARMER, `Od, in: Grove* XIX. r Arabisch-islamische Musik. M. BRÜCKER
UdSSR, Sowjetunion, r Rußland. 'UGAB r Israel (Biblische Zeit). UGOLINO DA ORVIETO, * um 1380, t 1457 Ferrara; it. Musiktheoretiker und Komponist. U. ist erstmals 1411 als Mitglied des Domkapitels in Forli nachweisbar. 1415 vertrat er die Stadt beim Konzil in Konstanz, wurde im selben Jahr Kanonikus und 1425 Archidiakon an S. Croce. Wegen seiner Parteinahme für die Welfen mußte er 1430 Forli verlassen und flüchtete nach Ferrara, von wo aus er sich vergeblich um seine früheren Ämter in Forli bemühte. Etwa 1535 bis 1548 war er Dekan am Dom in Ferrara. U.s Traktat Declaratio musicae disciplinae (um 1430) ist eine der letzten Musikschriften in der Tradition des Mittelalters. Er umfaßt 5 Bücher und einen Anhang über das Monochord und behandelt den Gregorianischen Gesang, die Mensuralmusik, den Kontrapunkt, die mathematischen Relationen der Intervalle und die Chromatik. Von seinen Kompositionen sind lediglich 3 2st. Stücke erhalten. Ausg.: Declaratio musicae disciplinae, hrsg. v. A. SEAY, 3 Bde. (1960-62) (- CSM 7). Lit.: G. PIETZSCH, Die Klassifikation der Musik v. Boetius bis U. v. O. (Hl 1929, Nachdr. Da 1968); A. SEAY, U. of O., Theorist and Composer, in: MD 9 (1955) (mit 2 Stücken); DERS., The Declaratio musicae disciplinae of U. of O. Addenda, in: MD 11 (1957); A. HUGHES, U. The Monochord and Musica Ficta., in: MD 23 (1969).
UGRINO VERLAG rJahnn, Hans Henny. UHL, Alfred, * 5.6. 1909 Wien; östr. Komponist. Er studierte 1927-31 an der Wiener Musikakade205
Uhland mie Komposition (Fr. Schmidt), lebte anschließend bis 1938 freischaffend in Zürich, Paris, Berlin, Amsterdam und Istanbul und trat hauptsächlich mit Filmmusik hervor. Im 2. Weltkrieg schwer verwundet, lehrt U. seit 1945 als Professor für Komposition an der Musikakademie in Wien. 1970-74 war er Präsident der (östr.) Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM).
fessor für Musikästhetik und Musiktheorie an der Musikhochschule Budapest (1980 Rektor) und 1961 Mitarbeiter des Bartók-Archivs (seit 1969 Institut für Musikwissenschaft) der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, das er 1973-80 leitete. Seit 1959 ist er Mitglied des Präsidiums des Verbandes ungarischer Musiker. Für sein Schaffen erhielt er mehrfach Auszeichnungen, u. a. 1961 den Erkel- und 1966 den Kossuth-Preis.
WW: Gitarrenstücke; Kleine Suite sowie 30 Etüden für Va. (1973); 2 Streichquartette (1946) u. Jubiläumsquartett (1961); Humoreske (1965) für Bläserquintett. — Für Orch.: Vier Capricen (1945); Concertante Sinfonie (1943) für Klar. u. Orch.; Concerto a ballo (1966); Allerlei Spielmusik (1970) für Spielmusik-Gruppen; Sinfonietta (1978); Drei Skizzen (1979). — Chöre a cap.; Kantaten; oratorisches Musikdrama Gilgamesch (1956, Neufassung 1968) für Soli, Sprecher, gem. Chor, Knabenchor u. Orch. — Oper Der mysteriöse Herr JA UA: Wien 1966.
Schriften: Bartók breviarium (Budapest 1958, '1980) (zus. mit V. Lampert); Debussy(ebd. 1959); A valóságzenei képe(Das musikal. Abbild der Wirklichkeit) (ebd. 1962, tschech. Pr 1967); Béla Bartók, 2 Bde. (ebd. 1965,' 1976, engl. ebd. — Boston 1971, dt. Budapest 1973); Einige inhaltliche Fragen der Brückensymmetrie in Bartóks Werken, in: Studia Musicologica 5 (ebd. 1963); A müfaikategória sorsa és jelentösége a zeneesztétikában (Schicksal u. Bedeutung der Kategorie der Gattung in der Musikästhetik), in: Mitt. der Abt. für Sprach- u. Lit.-Wiss. der Ungarischen Akad. der Wiss. 29 (ebd. 1974); Premisszák Bartók zenéjének megértéséhez (Prämissen zum Verständnis der Musik Bartóks), in: Magyar Zene 22 (1981); Zenéröl, eszetétikáról, cikkek, tanulmányok (Aufsatzsammlung über Musik und Ästhetik) (ebd. 1980).
Lit-: A. WITESCHNIK, A. U. (W 1966) (— östr. Komponisten des 20. Jh. 8).
UHLAND, Johann Ludwig, * 26.4. 1787 Tübingen, Ť 13. 11. 1862 ebd.; dt. Dichter, Germanist und Politiker. Nach dem Jurastudium (Promotion 1810) in Tübingen war er zeitweilig Advokat in Stuttgart, bis er 1819 in den württembergischen Landtag gewählt wurde. 1829 erhielt er eine Professur für deutsche Sprache und Literatur in Tübingen, die er jedoch politischer Auseinandersetzungen wegen nach wenigen Jahren niederlegte. Er lebte seither als Privatgelehrter; 1848/49 gehörte er der Frankfurter Nationalversammlung an. - U. gilt als einer der bedeutendsten Dichter der deutschen Spätromantik. Die Volkstümlichkeit seiner Sprache (beispielhaft im Lied vom guten Kameraden) führte zu besonders zahlreichen Vertonungen seiner Gedichte, zunächst durch C. Kreutzer und Fr. Silcher, dann im Rahmen des Kunstlieds u. a. durch J. Brahms, F. Busoni, A. Knab, Fr. Liszt, C. Loewe, O. Schoeck, Fr. Schubert, R. Schumann, R. Strauss u. H. Wolf. U. hat auch in seinen Dramen Gesangseinlagen und Bühnenmusik vorgesehen. Seine Sammlung Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlungen und Anmerkungen (2 Bde., St 1844-45, Nachdr. 1968) machte ihn zu einem der ersten Erforscher deutscher Volkspoesie. Lit.: M. FRIEDLAENDER, U.s Gedichte in der Musik, in: U.s Werke, hrsg. v. L Fránkel, I (L — W 1893); H. FROESCHLE, L U. u. die Romantik (Kö 1974). B. A. KOHL
UJFALUSSY, József, * 13.2. 1920 Debrecen; ung. Musikforscher. Er studierte von 1938 bis zur Promotion 1944 an der Universität Debrecen klassische Philologie sowie 1946-49 an der Musikhochschule Budapest Komposition, Dirigieren und Musikgeschichte. Zunächst in der Musikabteilung des Kulturministeriums tätig, wurde U. 1955 Pro206
UKULELE (hawaiisch, = hüpfender Floh), Bz. für eine kleine Gitarre, die aus der Cavaquinho oder Machete genannten kleinen portugiesischen Gitarre entstand. Diese wurde 1879 von Portugiesen aus Madeira nach Hawaii mitgebracht. Das Instrument hat 4 Darm-, Nylon- oder manchmal auch Stahlsaiten, die von einem Querriegel zu hinterständigen Wirbeln gezogen sind. Es gibt verschiedene Stimmungen der 4 Saiten, am häufigsten sind sie in a' d' fis' h' gestimmt. Die Saiten werden nicht mit den Fingern, sondern mit einer Metallplatte abgegriffen und mit einem am Finger befestigten Plektrum angerissen. Die heute in verschiedenen Größen gebaute U. wurde auf den HawaiiInseln schnell populär und kam nach 1910 auch nach Nordamerika, wo sie ebenso wie in Westeuropa seit den 20er Jahren gelegentlich in Tanzmusikkapellen benutzt wird. Eine Weiterentwicklung der U. ist die r Hawaii-Gitarre. Lit.: E. JACOVACCI, Méthode d'ukulele (P 1926); H. A. RoBERTs, Ancient Hawaiian Music (Honolulu 1926, Nachdr. 1967).
ULANOWA, Galina, * B. 1. 1910 St. Petersburg; russ. Tänzerin und Ballettmeisterin. Sie war Tochter eines Ballettregisseurs und einer Tanzpädagogin, absolvierte 1928 die Ballettschule Waganowa, wurde Mitglied und alsbald Solistin des KirowBalletts in Leningrad. Seit 1935 gastierte sie beim Bolschoi-Ballett in Moskau, dessen Primaballerina assoluta sie 1944-61 war. Als ausdrucksstarke Interpretin sowohl klassisch-romantischer Paraderollen (A. Adam, Giselle) wie zeitgenössischer Partien (S. Prokofjew, Romeo und Julia) wurde sie in den 50er Jahren auf Tourneen auch im Westen ge-
Umlauff feiert und mit Ballettfilmen bekannt (Romeo und Julia; Giselle; Schwanensee u. a.). 1962 trat sie letztmals auf. Seither widmete sie sich vornehmlich der Rolleneinweisung ausgewählter Nachwuchstänzerinnen. Lit.: F. FÜHMANN, G. U. (B 1961); A. KAHN, Days with G. U. (NY 1962).
ULENBERG, Kaspar, * 1549 Lippstadt (Westfalen), t 16.2. 1617 Köln ; dt. Theologe, Dichter und Komponist. Nach Studien in Wittenberg war U. zunächst lutherischer Pfarrer, konvertierte 1572 zum katholischen Glauben und wirkte seit 1575 als Pfarrer in Köln. 1592-1615 war er dort Regens des Lorenz-Gymnasiums, 1610-12 Rektor der Universität und 1605-12 Pfarrer an der Universitätskirche St. Columba. U. wurde bekannt durch Die Psalmen Davids, d. h. den gesamten Psalter in dt. Liedparaphrasen mit 80 Melodien, die vermutlich ebenfalls von U. stammen. Diese Psalmlieder sind das kath. Gegenstück zum r Hugenottenpsalter und seinen dt. Übertragungen. Die Melodien wurden neuerdings eine wichtige Quelle für das kath. Gesangbuch Gotteslob. Eine 4st. Bearbeitung des U.-Psalters schuf K. OE Hagius (1589 bzw. 1606). WW: Die Psalmen Davids in allerlei Teutsche gesangreimen bracht (Kö 1582, mit mindestens 11 Aufl. bis 1710). Lit.: J. OvERATH, Unters. über die Melodien des Liedpsalters v. K. U. (Kö 1960) (— Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 33); W. LIPPHARDT, U., in: MGG XIII.
ULTIMA (lat.; Abk. von vox ultima - letzter Ton), seit der ma. Musiktheorie Bz. für den letzten Ton einer Ligatur oder einer Klausel. - OE Paenultima. ULTRASCHALL r Hörfläche. UMDEUTUNG, Bz. für das Verfahren, einen Ton als einen gleich klingenden anderen Ton zu notieren und aufzufassen, z. B. ein - gegebenes oder im Kontext zu erwartendes - fis als ges zu schreiben. U. setzt die r temperierte Stimmung mit ihrer Möglichkeit zur r Enharmonik voraus. Wird ein ganzer Akkord umgedeutet, z. B. Ces-Dur zu H-Dur, spricht man von enharmonischer Verwechslung. Enharmonische U. und Verwechslung werden z. T. leichterer Lesbarkeit wegen vollzogen, gestatten aber vor allem, vom musikalischen Sinn her, die kühnsten harmonischen Verbindungen. UMKEHRUNG, bei einem r Intervall die Oktavversetzung des oberen oder unteren Tones, bei einem Akkord der Aufbau auf einem anderen Akkordton als dem Grundton, bei einer Tonfolge
- wichtig vor allem in t Fuge, r Kanon und
r Zwölftonmusik - die Richtungsänderung der einzelnen Intervallschritte: eine große Terz aufwärts wird zur groBen Terz abwärts usw. Durch U. eines Intervalls entsteht jenes Intervall, das das gegebene zur Oktave ergänzt (Komplementärintervall), z. B. c' - e' / e' - c2; dabei werden aus groBen kleine, aus übermäßigen verminderte Intervalle und umgekehrt. UMLAUF, Carl Ignaz Franz, * 19.9. 1824 Baden bei Wien, t 13.2. 1902 Wien; östr. Zithervirtuose. Nach seiner kaufmännischen Ausbildung wandte er sich der Musik zu, wurde Zitherspieler, unternahm Konzertreisen durch ganz Europa, war in Wien Hofmusiker und gründete dort als erster eine öffentlich konzessionierte Zitherschule. U. führte die „Wiener Stimmung" (a' d' g' g c, im Gegensatz zur sog. „Münchner Stimmung" a' a' d' g c) für die Zither ein, die heute jedoch nur noch historische Bedeutung hat. U. schrieb eine Neue vollständige theoretisch praktische Zitherschule (über 100 Aufl. und mehrere Übersetzungen). Seit 1858 veröffentlichte er jährlich Salon-Alben mit eigenen Kompositionen und Bearbeitungen bekannter Stücke für Zither. Lit.: J. E BENNERT, Illustrierte Gesch. der Zither (Luxemburg 1881) (mit Autobiographie U.$); A. VON NIKL, Die Zither. Ihre hist. Entwicklung bis z. Gegenwart (W 1927); J. BRANDLMEIER, Hdb. der Zither (Mn 1963).
UMLAUFF. - 1) Ignaz, * 1746 Wien, t 8.6. 1796 Meidling bei Wien; östr. Komponist. U. spielte seit 1772 als Bratschist im Wiener Hofopernorchester. 1778 wurde mit seinem Singspiel Die Bergknappen das Deutsche Nationalsingspiel in Wien eröffnet und U. noch im selben Jahr zum Kapellmeister des neuen Ensembles ernannt, das bis 1783 bestand. 1783 ging er als Substitut A. Salieris an die italienische Oper und vertrat ihn seit 1789 auch als Hofkapellmeister. In dieser Funktion wirkte er mit, als W. A. Mozart seine Bearbeitung von G. Fr. Händels Messias (1789) aufführte. Begabt mit Sinn fair Theatereffekte und musikalischem Humor, war U. der erfolgreichste Singspielkomponist vor K. Diners von Dittersdorf. Für sein populärstes Werk, Die schöne Schusterin, komponierte L. van Beethoven 1796 zwei Einlagen (WoO 91). WW: Singspiele: Die Apotheke, UA: Wien 1778; Die schöne Schusterin UA: ebd. 1779; Das Irrlicht UA: ebd. 1782; Die gliicklichen Jtger, UA: ebd. 1785; Der Ring der Liebe oder Zemire u. Azors Ehestand, UA : ebd. 1785. — Einige kirchenmusikal. Werke.
2) Michael, Sohn von 1), * 9.8. 1781 Wien, t 20.6. 1842 Baden bei Wien; östr. Dirigent und Komponist. Schüler seines Vaters und von J. Weig,l, war er 207
U-Musik zunächst Violinist der Deutschen Oper in Wien und 1810-25 2. Kapellmeister beider Hoftheater. U. unterstützte Beethoven bei der UA der Oper Fidelio (1814) und der 9. Symphonie (1824). WW: Singspiele Der Grenadier (1812); Das Wirtshaus in Granada (1812), etwa 10 Ballette. Ausg.: Zu 1): Die Bergknappen, hrsg. v. R. HAAS (191 l) (— DTÖ 36). Lit.: A. BAUER, Opern u. Operetten in Wien (Gr — Kö 1955); H. WILSDORF, Ber. über eine Auff. des Singspiels „Die Bergknappen", in: Dt. Jb. für Volkskunde 12 (1966); E. BADURA-SKODA, U., in: MGG X111.
U-MUSIK Unterhaltungsmusik. UNA CORDA (it., = eine Saite; Abk. u. c.), beim Klavierspiel Anweisung für die Bedienung des linken Pedals, mit dessen Hilfe Tastatur und Mechanik leicht nach rechts verschoben werden und somit nur noch eine statt der sonst 2 oder 3 Saiten angeschlagen werden. Die Bz. U. verwendete u. a. L. van Beethoven im langsamen Satz des Klv.Konzerts G-Dur, op. 58. Aufgehoben wird diese Anweisung durch die Vorschrift „tutte le corde". UNA COSA RARA o sia Bellezza ed onestà, Dramma giocoso in 2 Akten von V. Martin y Soler, Text von L. Da Ponte nach La luna della sierra von Luis Vélez de Guevara. Ort der Handlung: Adra, ein Dorf in der Sierra Morena. UA: 17. 11. 1786 Wien (Burgtheater); dt. EA (in dt. Sprache): Frühjahr 1787 Köln als Lilla, oder Schönheit und Tugend. Das Werk, in dem das vergebliche Werben des span. Thronfolgers um ein schönes Dorfmädchen gezeigt wird, das in den Dorfjungen Lubino verliebt ist und diesen heiratet, erhält seine komischen Züge aus der Gegenüberstellung des tugendhaften Paares Lubino/Lilla und des sich ständig streitenden Ehepaares Tita und Ghita. Durch Zuordnung verschiedener musikalischer Stilebenen unterscheidet der Komponist die Figurengruppen in ihrem sozialen Status; so verwendet er in Verbindung mit Prinz und Königin zweiteilige, von Accompagnati eingeleitete Arien, während bei der Charakterisierung der Dorfbevölkerung einfache Weisen vorherrschen. Die durchgehend tänzerische musikalische Gestaltung schließt auch die Verwendung des Walzers ein, was wesentlich zur Verbreitung und Anerkennung des als anstößig geltenden Tanzes beitrug, als dessen „Erfinder" der Komponist lange fälschlich bezeichnet wurde. Der traditionellen Orchesterbesetzung gewinnt Martin gerade im Holzbläsersatz auffällige Effekte ab. Die heute fast vergessene Oper erzielte einen überwältigenden Erfolg, der den von Mozarts kurz 208
zuvor aufgeführter Hochzeit des Figaro bei weitem übertraf. Innerhalb kurzer Zeit wurde das Werk in 9 europ. Sprachen aufgeführt; Teile daraus wurden besonders in engl. Pasticci immer wieder verwendet. Mozart läßt zu Beginn der Tafelmusik in Don Giovanni einen Satz aus dem 1. Finale der Oper (O quanto un si bel giubilo) anklingen. TH. MENGER
UNDA MARIS (lat., = Meereswelle), Bz. für ein Orgelregister in 8'-Lage, dessen Pfeifen in Schwebung zu einem Salizional gestimmt werden. UNDERGROUND MUSIC (engl.), Bz. für eine Rock music-Richtung in der 2. Hälfte der 60er Jahre, die als unmittelbarer Ausdruck von Gefühlen und Werten der damaligen protestierenden jugendlichen Subkultur galt. Die U. läßt sich nicht als einheitlicher musikalischer Stil beschreiben, denn sie besteht aus einem Konglomerat unterschiedlicher Idiome, die letztlich nur der rebellische Gestus einigt, und zwar sowohl in den Songtexten als auch in den musikalischen Abläufen. Es dominiert eine eher anarchische als konkret sozialrevolutionäre Haltung, die den Vorstellungen eines genußvollen Hier und Jetzt ohne Zwänge verbunden ist. Zu den Protagonisten zählen vor allem amerikanische Bands (The Fugs, Alice Cooper, Frank Zappa, Jefferson Airplane), aber auch englische (Jethro Tull) und deutsche (Amon Düül I und II). Lit.: T. KNEIF, Rockmusik u. Subkultur, in: Rockmusik. Aspekte z. Gesch., Ästhetik, Produktion, hrsg. v. W. Sandner (Mz 1977).
UNDEZIME (von lat. undecima = die elfte), Bz. für das Intervall, das aus einer Oktave plus einer Quarte besteht. Man unterscheidet reine U. (z. B. c-P), übermäßige U. (c-fis') und verminderte U. (c-fes'). UNDINE, Zauberoper in 3 Akten von E. Th. A. Hoffmann, Text von Friedrich de la Motte Fouqué nach dessen gleichnamiger Erzählung (1811). Ort u. Zeit der Handlung: ein Fischerdorf, das Schloß in der Reichsstadt u. die Burg Ringstetten, um 1450. UA: 3.8. 1816 Berlin (Schauspielhaus). Indem Fouqué die trennungslose Vermischung der Handlungsebenen des Realen und Wunderbaren als Kennzeichen des wahrhaft Romantischen in der Bühnenhandlung umzusetzen versuchte, schuf er ein dramaturgisch wenig geschickt aufgebautes Libretto unter einer poetischen Idee, für deren musikalische Gestaltung Hoffmann (noch) nicht die adäquaten Mittel zur Verfügung standen. Basis der musikalischen Artikulation ist die formale klassische Ausgewogenheit des Kompositionsstils im
Unendliche Melodie 18. Jahrhundert. Hoffmann sprengt diese Einheit lediglich in der Durchbrechung von Periodengrenzen, der Erfindung bizarrer Themen und Motive und durch harmonische und instrumentatorische Effekte; diese werden zu Trägern charakteristischen musikalischen Ausdrucks (am prägnantesten für die dämonische Gestalt des Wasserfürsten Kühleborn ausgebildet). Die Einschmelzung der traditionell geformten Gesangssoli in die musikalische Szene, ariose Gestaltung von Rezitativen, die formalen Eigenwert gewinnen, und die großformale Gliederung der Szene durch symphonische Disposition des thematischen Materials (z. T. als Erinnerurgs- und Leitmotiv ausgebildet) repräsentieren die modernen Züge des Werkes. Wahrung der Nummernabfolge u. Sprechdialoge weisen auf den älteren Operntypus. Ungeachtet der wenig homogenen Gestaltung erkannten Zeitgenossen die historische Bedeutung des Werkes, das zusammen mit L. Spohrs Faust als früheste dt. romantische J. SCHLÄDER Oper gilt. UNDINE, Romantische Zauberoper in 4 Akten von A. Lortzing, Text von Lortzing nach Fr. de la Motte Fouqués gleichnamiger Erzählung (1811). Ort und Zeit der Handlung: ein Fischerdorf, das Schloß in der Reichsstadt und die Burg Ringstetten, um 1450. UA: 21. 4. 1845 Magdeburg. Lortzing stellte eine in vielen Belangen dramaturgisch schlüssigere Bühnenfassung von Fouqués Erzählung her als der Autor selbst (in seinem Libretto für E. Th. A. Hoffmanns Oper). Insbesondere die Verquickung komplementärer dramatischer Ebenen, in denen die neu eingeführten komischen Figuren Hans und Veit für die Rezeption der Zauberhandlung dramaturgisch-funktional unentbehrlich sind, erhöht die Bühnenwirksamkeit der Fabel. Die musikalische Gestaltung der dramatischen Ebenen setzte Lortzing durch die konsequente Verwendung von Stilmitteln des Musikdramas (für die Zauberhandlung) und der dt. Spieloper (für die komische Handlung) gegeneinander ab und schuf sich durch die entstehenden Kontraste wirkungsvolle Pointierungsmöglichkeiten. Die bekannteste Nummer der Oper, Veits Lied Vater, Mutter, Schwestern, Brüder, die in ihrer schlichten Faktur das musikalische Komplement zum hochdramatischen Finale des 3. Aktes (mit Kühleborns Arioso Oh kehr zurück) bildet, mag für diese Technik als gelungenstes Beispiel dienen. Auf diese Weise repräsentiert Undine den Typus der romantischen Spieloper. - Für die Wiener EA (20. 10. 1847) unterzog Lortzing das Werk einer gründlichen Revision. J. SCHLÄDER UNDINE, Ballett in 3 Akten und 5 Bildern. Mu-
sik: H. W. Henze. Libretto und Choreographie: Frederick Ashton (* 1904). UA: 27. 10. 1958 London (Covent Garden). Dt. EA: 1959 in München (Bayer. Staatsoper), Choreographie: Alan Carter. Diese wohl jüngste tanztheatralische Interpretation der von Friedrich de la Motte Fouqué verfaßten Zaubernovelle Undine (1811) unterscheidet sich wesentlich von anderen sowohl für das Sprech- als auch für das Musik- oder Tanztheater konzipierten Gestaltungen des literarischen Sujets: Die im Libretto vorgezeichneten märchenhaft-atmosphärischen Valeurs wie auch das skizzierte Szenarium werden in eine mediterrane Landschaft transformiert; die ursprüngliche, in der literarischen Quelle dargestellte höfische Sozialordnung ist gegen die der Bauern und Fischer ausgetauscht. Überdies sind auch die Namen der Figuren entsprechend angeglichen: Ritter Huldbrand - Palemon; Bertalda - Beatrice; Kühleborn - Tirrenio. Die psychisch-emotionalen Stimmungen der Handlungsträger wie auch das südländisch-maritime Ambiente vermag die musikalische Komposition - aufgrund ihrer illustrativen gestischen Möglichkeiten - prägnant nachzuzeichnen. Rhythmische sowie instrumentatorische Akzente implizieren Assoziationen an namhafte Ballettmusiken bedeutender Komponisten (A. Borodin, P. Tschaikowsky, S. Prokofjew, I. Strawinsky). Bewußt für eine kammermusikalische Besetzung konzipiert, suchte der Komponist die Partitur so zu disponieren, daß die Ballettmusik von jedem beliebigen, auf Gastspielreisen befindlichen Ensemble aufgeführt werden könne. - Im Gegensatz zu Fr. Ashtons vielkritisierter Choreographie vermochte M. Fonteyn mit ihrer Gestaltung der Titelrolle eine wegweisende Interpretation zu präsentieren. G. LUDiN UNENDLICHE MELODIE, eine von R. Wagner stammende Wortprägung, die nur einmal in seiner Schrift Zukunftsmusik (1860) erscheint. Wagner hat aber, wie Cosima Wagners Tagebücher bezeugen, den Ausdruck später noch im Gespräch gebraucht. Was Wagner darunter verstand, ist umstritten. Die Diskussion konzentriert sich auf die Frage, ob es sich um einen kompositionstechnischen, einen ästhetischen oder um einen geschichtsphilosophisch-weltanschaulichen Begriff handelt; möglich ist aber auch eine Verbindung verschiedener Bedeutungsaspekte. Am geläufigsten ist die kompositionstechnische Bedeutung, die allein durch die Kritik hervortrat, der Wagners Wortschöpfung begegnete (E. Hanslick): nicht zuletzt diese Kritik hat die U. im Sinne einer „ununterbrochenen Melodie" verstanden und dabei deren angebliche Formlosigkeit attackiert. Wagner 209
Ungaresca hingegen meinte wohl gerade die genuine Form melodischer Entfaltung. Sie war ihm Inbegriff musikalisch-dramatischer Gestaltung in der Verbindung von Ahnung, Vergegenwärtigung und Erinnerung (r Leitmotiv), in der Korrespondenz von Versmelodie, Orchestermelodie und dramatischer Aktion - in der Verschränkung von Musik und dichterischer Absicht. In der U. sah Wagner die Verwirklichung einer bei L. van Beethoven vorgebildeten, aber erst durch das Musikdrama einzulösenden unbegrenzt melodischen Funktion und Verknüpfung. Die unbezweifelbare Emphase dieser Konzeption hebt den Ausdruck U. freilich selbst bei kompositionstechnischer Orientierung ins Ästhetisch-Philosophische. U. ist ein Begriff fluktuierender Bedeutung. Lit.: E. HANSLICK, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitr. z. Revision der Ästhetik der Tonkunst (L '1896) Vorwort; M. GECK, R. Wagner u. die ältere Musik, in: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik (Rb 1969) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 14); F. RECKOW, Zu Wagners Begriff der „unendlichen Melodie", in: Das Drama R. Wagners als musikal. Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1970) (— ebd. 23); DERS., U., in: HMT (1971); K. KROPFINGER, Wagner u. Beethoven. Unters. z. BeethovenRezeption R. Wagners (Rb 1975) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 29); Cosima Wagner. Die Tagebücher, hrsg. v. M. GREGOR-DELLIN — D. MACK, II :1878-1883 (Mn — Z 1977). K. KROPFINGER
UNGARFSCA, Bz. für einen stilisierten ung. Tanz, erscheinend neben den Titeln Ungarischer Tang Passamezzo ongaro oder Ballo ongaro u. a. in den Tanzsammlungen von W. Heckel (1562), J. Paix (1583) und A. Nörmiger (1598). Die U. enthält in Form und Rhythmus Charakteristika, die in Beschreibungen des 16. und 17. Jh. mit dem Heiduckentanz, einem wilden, vom Dudelsack begleiteten Schäfer- und Soldatentanz, in Verbindung gebracht werden. Die seit dem 18. Jh. in die Kunstmusik (vor allem von den Wiener Klassikern) aufgenommenen Ungarismen haben mit der U. allerdings wenig zu tun. Die häufig darauf hinweisenden Satzbezeichnungen alla ungarese, all'ungherese, alla zingarese, all'ongarese (so z. B. bei den raschen Schlußsätzen in Streichquartetten und Klaviertrios von J. Haydn) beziehen sich vielmehr auf Stilelemente des im 18. Jh. entstandenen r Verbunkos, die in zahlreichen Werken Haydns, W. A. Mozarts, L. van Beethovens und vieler späterer Komponisten satz- und themenkonstitutiv verwendet werden. Lit.: T. ISZvwNFFY, All'ongarese. Stud. z Rezeption ung. Musik bei Haydn, Mozart und Beethoven (Diss. Hei 1982).
UNGARISCHE HOCHZEIT, DIE, Operette in einem Vorspiel u. 3 Akten von N. Dostal (1895-1981), Text von Hermann Hennecke nach der ung. Erzählung Szelistye von Koloman Mik210
száth. Ort u. Zeit der Handlung: Ungarn, um 1750. UA: 4.2. 1939 Stuttgart. Der Tradition der Wiener Operette von E. Kálmán und Fr. Lehár folgend, schuf Dostal ebenfalls eine „Magyaren-Operette". Die Liebe des Grafen Stefan Bardossy zu Janka, der Tochter des Stuhlrichters, findet dank des Urteilsspruches der Kaiserin Maria Theresia nach einem durch die Inspektionsreise verursachten Verwirrspiel ihre Erfüllung. Auch in dieser Operette dominieren die aus anderen Werken Dostals bereits bekannten künstlerischen Versatzstücke. Ohne die Publikumswirksamkeit von Fr. Lehárs Kompositionen zu erreichen, benutzt Dostal ähnliche Techniken, um die Handlung und die Rollen musikalisch zu gestalten. Charakteristische Melodien wie etwa im Csárdás Ungarmädel lieben, dal3 Atem dir vergeht, im Walzer Du bist meines Lebens Seligkeit oder im Tanzduett Kleine Etelka, sag doch bitte ja sowie lyrische Melodien untermalen das farbenprächtige Bild dieser Operette. Unter veränderten politischen Verhältnissen mußte auch Dostal die einst glänzende Operettentradition weiterführen, was ihm mit der unverfänglichen Thematik in Ungarische Hochzeit gelang. Dem Werk ist bis heute dauerhafter Erfolg beschieden. B. DELCKER UNGARN. Das ung. Volk, das zur Zeit der Eroberung (Ende des 9. Jh.) des heutigen ung. Territoriums aus 7 Volksstämmen bestand, hat zwei ethnische Wurzeln : die finno-ugrische und die altaische mit Vorherrschaft des Türkischen. Nachdem sich die - berittenen und nomadisierenden - U. im Donaubecken niedergelassen hatten, erfuhren sie von den Völkern, mit denen sie zusammenlebten, verschiedene Einflüsse. Nach mehreren aufeinanderfolgenden Einfällen in das westliche und südliche Europa wurden sie schließlich christianisiert und bildeten seither jahrhundertelang das östliche Bollwerk des christlichen Abendlandes. Die Sprache, Hauptfaktor der ung. Kultur, blieb im wesentlichen finno-ugrisch, trotz türkischer, slawischer, germanischer oder anderer Entlehnungen, auch trotz der lat. Strukturierung durch die Kleriker des Mittelalters. Mittelalter. Die erhaltenen musikalischen Quellen gehören ausnahmslos der Kirchenmusik an. Sie sind in den Codices enthalten, die zum Gebrauch der seit dem 11. Jh. aufblühenden Klöster oder (wie das jüngst entdeckte Antiphonarium von Graz) für Weltpriester geschrieben wurden. Die Texte sind lat. mit vereinzelten ung. Passagen. Das erste bekannte ung. Gedicht, eine Klage der Hl. Jungfrau, ist die Adaption einer lat. Dichtung von Geoffroy de Breteuil. Das Speculum musicae
Ungarn von Jacobus Leodiensis und die Aufzeichnungen über Musik des Erzbischofs L. Szalkai (Ende 15. Jh.) deuten auf eine hochentwickelte Musikpraxis in den Klöstern hin, die mit einem methodischen Unterricht im Gregorianischen Gesang verbunden war. Die ersten Schritte zu einem eigenständigen Schaffen bekunden sich in der Hymne Gaude, felix Hungaria, deren Melodie im späten 14. Jh. von einem Dominikaner aus Kassa (Oberungarn) komponiert wurde. Zu Beginn des 16. Jh. erscheinen die ersten ung. Adaptionen liturgischer Gesänge (Codex Nádor) und, fast gleichzeitig, das erste Fragment eines weltlichen Gesangs. Lediglich indirekte Zeugnisse geben Aufschluß über die weltliche Musikpflege im MA. Die Regierungszeit Bélas III. (Ende 12. Jh.) markiert den Höhepunkt der frz. Präsenz in Ungarn. Unter der Herrschaft seines Sohnes Imre findet der Besuch des Troubadours Peire Vidal statt. Zur Zeit der Anjou (14. Jh.) empfängt der Hof von Buda dt. Spielleute (Suchenwirt, Mügeln, Teichner), unter König Sigismund Minnesänger und Meistersinger (Oswald von Wolkenstein, M. Behaim), bis es schließlich in der 2. Hälfte des 15. Jh. zur Prachtentfaltung des Königs Matthias Corvinus (1458-90) kommt. Der ung. Hof ist nun eines der politischen und kulturellen Zentren Europas. Bedeutende it., frz. und dt. Musiker wie Stefano von Salerno, J. Barbireau und J. Stockem wirken in Buda. Die Vokalmusik genießt ihrer Vergangenheitsbindung und der mündlichen Überlieferung wegen das größte Interesse. Besonders bedeutend in diesem Zusammenhang sind die Zeugnisse der ersten bekannten Gesta Hungarorum, die eines anonymen Priesters König Bélas III. („P. dictus magister", um 1200) und die von Kézai (Ende des 13. Jh.). Der Magister, der mit Verachtung von den Volkssängern spricht, sie aber auch zitiert, enthüllt unfreiwillig die Aufteilung der ung. Kultur in einen schriftlichen und einen mündlichen Bereich. Nur der letztere repräsentiert die Kontinuität der Tradition mit der Vergangenheit, deren Spuren sich heute noch in der Folklore finden. Die Frage der epischen Gesänge bleibt damit eines der wesentlichsten Probleme der ma. ung. Musik. Die älteste Bz. für einen Sänger ist Regös (aus derselben Wurzel wie révül = in Ekstase fallen), was ein Beweis für den schamanenhaften Ursprung dieser Gesänge sein könnte. Nach Galeotto, dem Historiker Matthias Corvinus', hörte man an dessen Tafel epische Gesänge (sog. Historiengesänge), die den Mut der Helden der Türkenkriege priesen. Es ist dies etwa dieselbe Epoche, aus der die Texte der ersten bekannten epischen Gesänge stammen. Volksmusik. Als Volksmusik wird in U. die ge-
samte Musik bezeichnet, die mündlich von einer Generation zur anderen weitergegeben wird, ohne die Schicht der Bauern zu verlassen, die ihrer relativen Isolierung wegen die einzige Bewahrerin der Tradition gewesen ist. Die ung. Volksmusik ist nicht nur reich und verschiedenartig, sondern bildet auch ein zusammenhängendes System. Die volkstümlichen Melodien gehören zu 3 Kategorien; es sind dies: 1. Der alte Stil, charakterisiert durch eine strophische Struktur von 4 isometrischen Versen (Abschnitte), durch das Nebeneinander von „parlando"- und „giusto"-(Tanz-) Rhythmen, durch das Vorhandensein einer pentatonischen Skala ohne Halbton - zumindest in den typischsten melodischen Wendungen - und durch eine absteigende melodische Struktur, die von einer genauen Wiederholung der ersten 2 Abschnitte eine Quinte tiefer bis zu einer Melodieführung reicht, die freier ist, in der aber die Schlußnote des letzten Abschnitts immer tiefer liegt als die des ersten: Parlando, rubato
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2. Der neue Stil, bei dem die stets klare strophische Struktur in den meisten Fällen ebenfalls aus 4 isometrischen Abschnitten besteht; der Tanzrhythmus herrscht hier vor, doch auch das „Parlando" ist nicht völlig ausgeschlossen; die pentatonischen Wendungen zeigen sich immer in einer umfangreicheren und gemischten Skala; schließlich ersetzt eine melodische Struktur, die auf Wiederholung beruht, die absteigende Struktur des alten Stils: Tempo glum
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211
Ungarn 3. Eine gemischte Gruppe; sie vereinigte alle Melodien, die nicht unter die beiden ersten Kategorien fallen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die 4 hauptsächlichen musikalischen Dialekte (Transdanubien; Oberungarn und Slowakei; Puszta; Siebenbürgen und Teile der Bukowina und Moldau) eigene Verfahrensweisen in der Skalenverwendung (z. B. „neutrale" Terzen und Septen in Transdanubien) und in der Häufigkeit bestimmter beliebter Formeln haben, aber nicht in den allgemeinen Zügen der oben zitierten Typologie. Die Melodien der 1. und 2. Kategorie bilden den idiomatischen Teil der ung. Volksmusik. Die gemischte Gruppe vereinigt alle Melodien, die der Volksmusik des Auslands oder der Kunstmusik verschiedener Epochen entstammen und, aus welchen Gründen auch immer, nicht den ersten beiden Gruppen assimiliert wurden. Es gibt noch andere Arten: die Kolomeikas (geradtaktige rhythmische Periode mit weiblicher Kadenz), die sich in einigen r Ungarescas des 16. und 17. Jh. finden, und die aus ihnen hervorgegangenen Tänze (z. B. der Hajdútánc). Schließlich findet man Lieder, die durch ihre Worte oder ihre Melodie Spuren der veřschwundenen Welt der Riten bewahren. Die rituellen Gesänge und ihre Überreste heben sich übrigens ziemlich deutlich von den anderen Volksliedern ab. Sie sind verbunden a) mit Kinderspielen und -reigen, b) mit jahreszeitlichen Bräuchen und Gedenktagen, c) mit Bräuchen zu besonderen Anlässen (Verlobungen, Hochzeiten, Begräbnissen), d) mit bestimmten gemeinsamen Arbeiten. Die idiomatischen Melodien sind nach Meinung der Musikforscher eurasischer (vorherrschend altaischer) Herkunft. Das Material der anlaßgebundenen Gesänge ist heterogener. Die Kinderlieder basieren meist auf einer Hexachord-Skala, deren Reste sich auch bei den indo-europäischen und finno-ugrischen Völkern finden. Gebunden an die jahreszeitlichen Riten gibt es Regös-Gesänge (derselbe Ausdruck wie für die vermuteten alten epischen Gesänge) mit finno-ugrischen Elementen; der melodische Typus der Totenklagen (eine Art Maqam mit sukzessivem Halt auf 2 benachbarten Noten) zeigt Entsprechungen zu bestimmten rituellen Gesängen der Ugrier in Sibirien und sogar mit der melodischen Formel des finno-karelischen Kalewala. Neben diesen alten altaischen oder uralischen Elementen hat die ung. Volksmusik noch die Spuren jüngerer, westeuropäischer Einflüsse bewahrt: Kirchenlieder, Balladen, westeuropäische Tänze. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Das Geschick U.s änderte sich plötzlich 1526 durch die Niederlage bei Mohács und den Tod König Lajos' II., der
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den Beginn langer innerer Kämpfe zwischen Parteigängern und Gegnern der östr. Könige markiert. Ins Jahr 1541, in dem Buda durch die Truppen Suleimans I. erobert wird, fällt auch die Dreiteilung des Landes: ein Teil wird von den Türken kontrolliert; ein Teil des Königreichs verbleibt unter habsburgischer Herrschaft; Siebenbürgen wird unabhängiges Fürstentum unter türkischem Protektorat. Diese Teilung bleibt bis 1718 erhalten (Frieden von Passarowitz). 1553 publiziert der Drucker Hoffgreff aus Klausenburg (Siebenbürgen; heute Cluj) eine Liedersammlung und 1554 die Cronica des Sebestyén Tinódi, die aus historischen Gesängen bestehen (die ihrerseits aus mündlichen epischen Traditionen resultieren) und mit Melodien und Texten veröffentlicht wurden. Sie bezeugen, vor allem bei Tinódi, ein weitgehendes Bemühen um Synthese: ung. und ausländische, volkstümliche und gelehrte Elemente sind in vollendetem Gleichgewicht vereint. Einige Gesänge davon wurden in der Volksmusik wiedergefunden, was ihre Beliebtheit beweist. Eine andere zeitgenössische epische Gattung ist die der „schönen Geschichten" (széphistóriák), eine Art Märchen oder moralisierender Geschichten mit fantastischen Elementen. Die Instrumentalmusik, vor allem für Laute, wird im 16. Jh. durch Meister von internationalem Ansehen repräsentiert: durch B. Bakfark aus Siebenbürgen und die Brüder Neusidler aus Sopron. Die Ungaresca findet in frz., dt. und poln. Tanzsammlungen (J. Paix, W. Heckel, P. Phalèse, B. Schmid, Johannes von Lublin) Aufnahme und bleibt bis ins 17. Jh. in Mode. Im 16. Jh. drangen die lutherische, calvinische und unitarische Reformation aus dem Westen und Norden Europas in U. ein und veränderten rasch das geistliche und intellektuelle Leben. Gegen Ende des 16. Jh. ist U. ein vorherrschend protestantisches Land. Das erste prot. Graduale von István Gálszécsi erscheint 1536 in Krakau, wo schon 1518 mit den Epithoma utriusque musices practice von Stephan Monetarius ein musiktheoretisches Werk veröffentlicht wurde. Die ersten prot. Gesangbücher (G. Huszár, P. Bornemissza) enthalten noch viele Elemente des Gregorianischen Gesangs, daneben auch Melodien aus dem Umkreis des dt. luth. Chorals, Volkslieder und freie Paraphrasen biblischer Texte. Der erste ung. Musikdruck (1548), eine Sammlung mit Schuloden von J. Honterus, ist dem Reformgeist verpflichtet. Der Psalter wird ins Ung. übersetzt, den Melodien des Hugenottenpsalters angepaßt und 1 607 von Albert Szenczi Molnár veröffentlicht. Das „Alte Graduale" (1636) von J. Keserüi Dajka und József Geleji
Ungarn Katona offenbart die prot. Auffassung hinsichtlich der Musik. Auf kath. Seite findet im frühen 17. Jh. eine bedeutende Erneuerung statt: die bis dahin nicht zugelassenen Volksgesänge werden in der Sammlung Cantus catholici (Nagyaszombat 1651; Ausg. in slowakischer Sprache 1655) offiziell propagiert, die mehrere Male aufgelegt und durch
ähnliche Sammlungen fortgeführt wird. Auf musikalischem Gebiet nutzt die kath. Kirche die Methoden der Protestanten zu ihren eigenen Zwecken - nicht ohne Erfolge, denn U. wird wieder mehrheitlich katholisch. Unter den weltlichen Gesängen waren die „Blümchen" (Liebeslieder) besonders lange beliebt. Ihr Ursprung liegt im MA, die ältesten bekannten Texte wurden aber erst im späten 17. Jh. aufgezeichnet. Ihre tatsächliche Bedeutung kann nur im Lichte der Lyrik des 16. Jh. bewertet werden, besonders in den Werken des Dichters und Humanisten Bálint Balassi (1554-94), die er zu bekannten it., dt., türkischen, poln., serbo-kroatischen u. a. Melodien schrieb. Die Zeit nach dem Verlust der Unabhängigkeit ist durch das Fehlen eines Königshofes und eines städtischen Bürgertums mit ung. Kultur gekennzeichnet. Deren Rolle wird übernommen von den Herrschaftsresidenzen, deren Bedeutung 3 Jhh. lang zunimmt. Am Ende des 16. Jh. wirken am Hof der Báthory berühmte it. Musiker (G. Diruta, Pietro Busto), am Hof von Gábor Bethlen Deutsche, Italiener, Franzosen und Spanier; auch die Prinzen Rákóczi sind während 4 Generationen musikbegeistert. Im habsburgischen Teil U.s unterhalten die Esterházy und andere Adlige ständige Kapellen, deren Zusammensetzung interessant ist: neben den Instrumenten der Kunstmusik spielen dort türkische Blasinstrumente, später als l Tárogató bekannt, eine ziemlich große Rolle. 4 bedeutende Hss. vom Ende des 17. Jh., der Codex Kájoni aus Siebenbürgen, der Codex Vietórisz (Slowakei), die Tabulatur von Löcse (Nordungarn) und die Sammlung Stark (Westungarn), ermöglichen es, die Musikpflege an diesen Residenzen zu beurteilen. Die 3 ersten Mss. sind in Orgeltabulatur, das letzte in moderner Notenschrift geschrieben. Obwohl sie aus 3 verschiedenen Gegenden stammen, enthalten sie analoge Stücke: ung. oder andere Tänze, Liebeslieder und Vokalstücke, sämtlich für ein Tasteninstrument bzw. einige Stücke im Codex Vietórisz für Trompete. Die ung. Tänze lassen deutlich eine rhythmische Verwandtschaft mit der Ungaresca erkennen. Weitere Zeugnisse adliger Musikpflege sind die geistlichen Werke von János Kájoni (17. Jh.) und die Harmonia Caelestis des Fürsten Paul Esterházy (1711).
Die Städte, die abseits von der türkischen Invasion lagen, zeigen eine überwiegend dt. beherrschte Kultur, deren Einfluß sich durch die Einwanderungen im 18. Jh. noch verstärkt und deren Nachwirkungen noch zu Beginn des 20. Jh. spürbar sind. Dieses Umfeld prägte eine Reihe hervorragender Musiker, wie A. Rauch, J. Wohlmut in Sopron, János Spielenberg in Löcse, S. Capricornus und Johann Kusser in Preßburg (Bratislava), das eine Zeitlang auch die Wahlheimat von Fr. Liszt, E. von Dohnányi und B. Bartók werden sollte. Das Entstehen von Residenzorchestern, die Einwanderung und eigenständiges Musikleben in einigen Städten : diese Phänomene strömen im späten 18. Jh. zusammen und tragen wesentlich zur Bildung der ung. Nation bei. Es ist jene Epoche, in der J. Haydn als Kapellmeister der Fürsten Esterházy für etwa 30 Jahre in U. lebt; sein Bruder Michael, später K. Ditters von Dittersdorf sind Kapellmeister des Bischofs von Großwardein (Nagyvárad), J. G. Albrechtsberger wirkt in Györ. Dem niederen prot. Adel kommt im 18. Jh. in einem relativ kleinen Gebiet die Rolle der Mittelschicht zu. In Debreczin (heute Debrecen) beginnt der junge G. Maróthy mit einer Erneuerung des Musikunterrichts am Calvinistischen Kolleg. Sein Chor und der von Sárospatak üben einen großen Einfluß auf die ganze Umgebung aus; ihre Funktion geht über das schulische und kulturelle Leben hinaus. Ihr Repertoire zeigt das Eindringen einer beträchtlichen Zahl westlicher Gesänge in Ungarn. Zusammen mit den nach diesem Vorbild gestalteten Liedern bilden diese die Grundlage eines ung. Rokoko, das durch eine neue Verbindung von Dichtung und Musik, das Eindringen der westlichen metrischen Dichtung, durch den Sinn für die Natur und das Natürliche und ein gesteigertes Interesse für die Sprache des Volkes gekennzeichnet ist. Aus dieser Zeit datieren auch hsl. Sammlungen (sog. Melodiarien) von mehr oder weniger traditionsreichen Gesängen, die ihrer Seltenheit oder ihrer allgemeinen Verbreitung wegen aufgezeichnet werden. Solche Sammlungen sind zwischen 1750 und 1850 sehr zahlreich. Das bekannteste Melodiarium ist das von Adam Pálóczi Horváth (1813), eine der Hauptquellen für das musikalische Erbe der vorangehenden Jahrhunderte. Dem musikalischen Rokoko folgt die Zeit der Wiener Klassik, die sich in U. ohne Zweifel in dem neuen Stil der Volksmusik (s. o.) manifestiert. Die Epoche des Verbunkos. Über die Beziehungen zwischen U. und den Türken im 16. und 17. Jh. ist noch wenig bekannt. Später haben Zigeuner südasiatischer Herkunft in der ung. Musik als Komponisten (J. Bihari, Pista Dankó), Virtuosen oder Un213
Ungarn terhalter eine wichtige Rolle gespielt; es sind vor allem Geiger und Cimbalomspieler von Mihály Barna, Panna Cinka (17. Jh.) bis zu A. Rácz und Béla Radics im 20. Jahrhundert. Die Instrumentalmusik des 18. Jh. ist nur durch einige wenig repräsentative Sammlungen bekannt. Manche davon führen den Stil des vorangehenden Jh. weiter (Sammlung von Susanne Lányi), andere enthalten Elemente einer Musikpraxis, die sich in voller Entwicklung befindet (Sammlung Linnus) und deren Vollendung ein Stil ist, der heute unter dem Namen r Verbunkos bekannt ist. Um 1790 trat in Buda eine Theatertruppe auf; ihre musikalische Leitung versahen János Lavotta, danach Antal Csermák. Aufgeführt wurde Pikkó Hertzeg és Jutka Perzsi, ein nicht erhaltenes Drama mit Musik von József Chudy. Die erste bekannte Musik dieser Art ist die zu György Cserny vors Gábor Róthkrepf (1812), der unter dem Namen Mátray ein Förderer der ung. Musikpflege und Musikforschung wurde. Das erste ständige Theater wird Anfang des 19. Jh. in Klausenburg gegründet. Dort werden 2 ung. Opern von József Ruzitska aufgeführt, von denen Bélas futása(Bélas Flucht, 1822) im ganzen Land anhaltenden Erfolg hatte. In ihr verschmelzen Verbunkos-Stil und konventionelle Operntechniken. In Pest wird 1812 das dt. Theater eröffnet; auf dem Spielplan stehen dt., it. und frz. Opern. Der Verbunkos-Stil ist von Anfang an mit der Entstehung der Theaterkunst in U. verbunden. Die ersten Kompositionen (von János Babnik, Ferdinand Kauer, Joseph Bengraf) erscheinen seit 1790 und finden schnell nationales Gehör. Zu ihrer Verbreitung tragen hauptsächlich die Zigeuner-Ensembles bei. Um 1800 erreicht der neue Stil mit Bihari, Lavotta und Csermák seinen ersten Höhepunkt In ihrer musikalischen Faktur vereinigen sich unter dem starken Einfluß der Wiener Klassik Elemente unterschiedlicher Herkunft zu einer vollendeten Ausgewogenheit. Doch dieser Einfluß ist nicht einseitig, denn bei J. Haydn, W. A. Mozart, L. van Beethoven, Fr. Schubert und später bei J. Brahms, Liszt, P. de Sarasate, G. Bizet, J. Massenet, L. Delibes, A. Messager und M. Ravel finden sich aus dem Verbunkos hervorgegangene ung. Elemente. In der Zeit der Romantik gewinnt der Verbunkos seine Apotheose als einer der Hauptfaktoren der nationalen Einheit. In diese Zeit fällt auch die Zentralisierung U.s; Pest wird die geistige Hauptstadt des Landes. Dort entsteht ein Nationaltheater (1837), in dem neben ausländischen vor allem ung. Opern (von F. Erkel, M. Rózsavölgyi, András Bartay, Fr. und K. Doppler, später von M. Mosonyi, György Császár, Károly Huber u. a.) 214
aufgeführt werden; 1840 wird dort dank der großzügigen Unterstützung von Liszt eine Musikschule gegründet, die von Mátray geleitet wird; es entstehen Chöre, und es werden Instrumentenbauer und Verleger tätig. In Veszprém erscheint um 1830 die bedeutende Verbunkos-Sammlung von Ignác Ruzitska, der 1840 in Pest analoge Sammlungen folgen. In Pest wirkt auch M. Rózsavölgyi, der Hauptvertreter des Verbunkos dieser 2. Periode. Von dort aus erobern sich auch die aus dem Verbunkos hervorgegangenen und von professionellen Choreographen für das Volk geschaffenen ung. Tänze wie der r Csárdas das Land und sogar das Ausland. Diese stürmische Zeit führt zur nationalen Revolution von 1848 und zum Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich (1848-49). Während der folgenden Periode der Unterdrückung behält der Verbunkos seine Bedeutung und findet Eingang in die symphonische Musik (Liszt, Mosonyi). Diese Epoche ist gezeichnet durch die Blütezeit der vermeintlich ung. Lieder, die den Schein des Volkstümlichen tragen und für die die Namen u. a. von Béni Egressy, József Szerdahelyi, Kálmán Simonffy, Elemér Szentirmay, Pista Dankó, Elek Erkel, József Dóczy, L. Serly bezeichnend sind. Die letzte Periode des 19. Jh. beginnt 1867, im Jahr der Geburt der östr.-ung. Doppelmonarchie. Die Kunst mit nationaler Tendenz tritt nun deutlich zurück. Die bedeutendsten ung. Komponisten dieser Zeit, meist Schüler von Liszt, Mosonyi und Fr. R. Volkmann, geraten unter den ästhetischen und stilistischen Einfluß R. Wagners: Ö. Mihalovich, Károly Aggházy, Géza Zichy, Károly Szabados, Árpad Szendy, Ödön Farkas und J. Hubay. Der Verbunkos verschwindet allmählich und wird in Randgebiete oder so konventionelle Gattungen wie die Wiener Operette verdrängt, die ihren Glanz durch international berühmte ung. Komponisten (E. Kálmán, Fr. Lehár) erhält. Nur Sándor Bertha in Paris und Ede Poldini in der Schweiz arbeiten weiter im Geist von Mosonyi und schaffen eine gleichermaßen ung. und europäische Musik. Mosonyi stirbt 1870; seine Zeitgenossen finden kaum Gehör. Selbst Liszt steht am Ende seines Lebens isoliert da. Paradoxerweise entstehen zur selben Zeit, als Hunderttausende U. in die Neue Welt auswandern, in U. die glanzvollsten musikalischen Institutionen : so die Budapester Musikakademie, 1875 mit Liszt als Präsidenten gegründet, und die 1883 eröffnete Oper. Seit 1886 wird die Akademie von Mihalovich geleitet, deren Auftrag in der groBen Expansion der ung. Pianistenschule (die Liszt-Schüler Arpád Szendy, István Thomán) und der Geigerschule (J. Hubay, J. Joachim, C. Flesch, Leopold Auer, Franz von Vecsey, J. Szigeti, Emil
Ungleiche Heirat Telmányi, Ede Zathureczky, André Gertler) bestimmt sein wird. Gegenwart. Die große Erneuerung der ung. Musik im frühen 20. Jh. ist das Werk von B. Bartók und Z. Kodály. Ihre historische Bedeutung liegt darin, daß sie die Kontinuität der ung. Musik wiederhergestellt und diese endgültig in den europäischen Kontext eingeordnet haben. Auf die Erfahrungen von Bélar Vikár gestützt, sammelten sie systematisch die Volksmusik ihres Landes, stellten deren Charaktere und Typologien fest und zogen daraus ästhetische und pädagogische Schlüsse. Die Forschungen waren später bei Kodály historisch, bei Bartók vergleichend orientiert. Neben ihnen wurde L. Lajtha auf demselben Gebiet bedeutend, während sich A. Molnár, Aladár Tóth und B. Szabolcsi vor allem mit den theoretischen Grundlagen dessen beschäftigten, was man von nun an als die neue ung. Schule bezeichnen kann. Diese stützt sich vor allem auf Kodály, dessen Persönlichkeit die ung. Musik für mehr als ein halbes Jahrhundert beherrscht. Die Schülergeneration umfaßt Komponisten (Jenö Adám, Lajos Bárdos, Ferenc Szabó, F. Farkas, Pál Kadosa, Zoltán Horusitzky, Jenö Gaál, István Szelényi, János Viski, György Ránki, S. Veress, Gábor Darvas, András Mihály, Rudolf Maros, Rezsö Sugár, István Sárközi, E. Szervánszky, P. Járdányi) sowie Pädagogen, Musikwissenschaftler und Ethnomusikologen (Jenö Adám, Szabolcsi, Lajos Bárdos, Ervin Major, Benjamin Rajeczky, György Kerényi, S. Veress, Jenö Vécsey, Imre und Sándor Csenki). Zu dieser Schule zählen auch Komponisten und Interpreten, die sich im Ausland niederließen : G. Szell, T. Serly, M. Rózsa, A. Doráti, E. Ormandy, M. Seiber, T. Harsányi, Georges Sebastian, G. Frid und André Gertler sowie die Musikwissenschaftler O. Gombosi und P. H. Lang. Das Aufblühen der Kodály-Schule, die schon in den 30er Jahren mit der Reform des Chorgesangs begann, wuchs nach 1945 durch die Verstärkung eines Systems der Musikerziehung, das auf einer aktiven und einheitlichen Methode basiert und heute große internationale Autorität genießt. Das gilt auch für die ung. Musikwissenschaft und Ethnomusikologie, die in Europa eine wichtige Stellung einnimmt (D. Bartha, F. Bónis, Kálmán Csomasz-Tóth, János Demény, László Eösze, Zoltán Falvy, Zoltán Gárdonyi, János Kárpáti, István Kecskemeti, György Kroó, Dezsö Legány, Ernö Lendvai, Gábor Lukö, János Maróthy, György Martin, László Somfay, Péter Szöke, András Szöllösy, J. Ujfalussy, Péter Várnai, Lajos Vargyas und Vikár). Komponisten wie Attila Bozay, Zsolt Durkó, György Kurtág, György Läng, Kamilló Lendvai,
Emil Petrovics, Zs. Szathmáry und - mit weltweitem Echo - G. Ligeti fanden inzwischen einen Durchbruch auch zu avantgardistischer Musik, in der erstmals seit einem halben Jahrhundert das musikalische Erbe Kodálys neueren und kosmopolitischeren Tendenzen weicht. Lit.: 1) Denkmälerausg.: Corpus musicae popularis Hungaricae, hrsg. v. B. BARTÓK — Z. KODÁLY, 5 Bde. (Budapest 1951 ff.); Régi magyar dallamok tára, 2 Bde. (ebd. 1958-70); Monuments Hungariae musicae (Budapest — Graz 1963 ff.). — 2) Studien: O. GoMBosi, Die ältesten Denkmäler der mehrstimmigen Vokalmusik aus U., in: Ungarisches Jb. 11 (B 1931); Musicologia Hungarica (Budapest 1934-36, Budapest — Kas 1967ff.); E. C. REARICK, Dances of the Hungarians (NY 1939, Nachdr. 1973); Zenetudományi tanulmányok, hrsg. v. B. SZABOLCSI — D. BARTHA, 10 Bde. (Budapest 1953-62); O. GOMBOSI, Music in Hungary, in: G. Reese, Music in the Renaissance (NY 1954, revidiert 2 1959); F. BÓNIS, A Vietóriszkodex szvit-tancai, in: Zenetudományi tanulmányok 6 (1957); Studia memoria B. Bartók sacra (Budapest — Lo 1958) (frz., engl. u. dt.); Magyar zenetudomány, hrsg. v. F. BÓNIS (Budapest 1959ff.); Liszt-Bartók (Akten des 2. int. musikwiss. Kgr. Budapest) (ebd. 1963) (frz., engl., dt., russ.); Folk Music Research in Hungary (ebd. 1964); S. ERDELY, Methods and Principles of Hungarian Ethnomusicology (Den Haag 1965); B. RAJECZKY — B. SZABOLCSI — Z. GÁRDONYI — I. FABIAN, U., in: MGG XIII; L. VARGYAS, Researches into the Medieval Hist. of Folk Ballad (Budapest 1967); B. SÁRosI, Die Volksmusikinstrumente U.s (L 1967); B. SZABOLCSi, Tanzmusik aus U. im 16. u. 17. Jh. (Budapest 1970); J. MANGA, Musique et instruments populaires des Hongrois (ebd. 1971); B. SzABOLcsI, A Concise History of Hungarian Music (ebd. 21974); U. BARDos, Volksmusikartige Variierungstechnik in den ung. Passionen (15.-18. Jh.) (ebd. 1975); J. VIGNE, La musique hongroise (P 2 1976); P. SANTARCANGELI, Cenni sulla storia della musica ungherese, in: NRMI 11 (1977); Contemporary Hungarian Composers (BudaJ. GERGELY pest 4 1979).
UNGERADER TAKT Takt. UNGER(-SABATIER), Karoline (in Italien: Carlotta Ungher), * 28. 10. 1803 Stuhlweißenburg, t 23.3. 1877 Florenz; östr. Sängerin (Alt). Sie studierte u. a. in Wien bei Aloysia Lange, der Schwägerin W. A. Mozarts, und bei J. M. Vogl, debütierte 1821 dort an der Hofoper als Dorabella in Mozarts Cosi fan tutte. K. U. war mit L. van Beethoven bekannt und wirkte zusammen mit Henriette Sontag 1824 bei der UA von dessen 9. Symphonie und von Teilen der Missa solemnis mit. 1825-27 war sie in Neapel, 1827-30 an der Mailänder Scala engagiert. Sie sang dann weiter in Italien, 1833-34 in Paris, 1837-40 in Wien und 1840-42 in Dresden, wo sie ihre Bühnenkarriere beendete. K. U. war die bedeutendste östr. Sängerin ihrer Zeit und feierte Triumphe vor allem im it. Fach; sie war aber auch eine hervorragende Schubert-Sängerin. G. Donizetti, V. Bellini, S. Mercadante u. a. schrieben für sie Opernpartien. UNGHERESE, all'ungherese (it.), r Ungaresca.
UNGLEICHE HEIRAT, DIE, Lustiges Zwischen215
Unisono spiel von G. Ph. Telemann; Originaltitel : r Pimpinone. UNISONO (it., = Einklang; engl.: unison: frz.: unisson; span.: unisono; Abk.: unis.) entsteht, wenn in 2 oder mehr Instrumenten oder Singstimmen gleichzeitig derselbe Ton oder derselbe Melodieabschnitt erklingt, sei es im Einklang oder im Abstand von einer oder mehr Oktaven (OE Oktave 2). Dabei lassen sich unterscheiden: U. als aufführungspraktischer Sachverhalt, z. B. beim Singen einer Melodie durch Frauen- und Männerstimmen (etwa beim kirchlichen Volksgesang), und U. als satztechnische Erscheinung: Episodische U.-Führung gehört seit dem 18. Jh. zu den elementaren Mitteln der instrumentalen Mehrstimmigkeit. So beginnen etwa ein Drittel der Symphonien W. A. Mozarts und zahlreiche Ouvertüren im Unisono. Im Vokalsatz dient U. gelegentlich zur emphatischen Hervorhebung bestimmter Worte, so z. B. in dem Turbasatz Andern hat er geholfen in J. S. Bachs Matthäuspassion bei den Schlußworten (er hat gesagt) Ich bin Gottes Sohn. UNIVERSAL EDITION (UE), östr. Verlag, gegr. 1901 in Wien, anfangs nur mit dem Zweck, durch Herausgabe von Klassikerausgaben und instruktiven Werken den östr. Bedarf zu decken. Seit 1904 gingen durch Ankäufe anderer Verlage, so des Münchner Musik-Verlags Josef Aibl, u. a. Werke von A. Bruckner, M. Reger, G. Mahler und R. Strauss in die UE über. Seit dem Eintritt Emil Hertzkas in die Firma (1907) verschob sich das Interesse des Verlages immer mehr zugunsten zeitgenössischer Musik. UE trat nun mit •Komponisten wie Mahler, A. Schönberg, A. Berg, A. von Webern, Fr. Schreker, A. von Zemlinsky, K. Szymanowski, A. Casella, L. Janáček, B. Bartók, Z. Kodály, E. Krenek, D. Milhaud, Dm. Schostakowitsch, K. Weill, R. Wagner-Régeny in dauernde Verbindung. 1938-45 war die UE in dt. Hand und wurde danach als Aktiengesellschaft wiederhergestellt. Auch das Verlagsprogramm orientierte sich wieder an neuen Strömungen in der Musik. So erwarb das Haus nacheinander Werke von Fr. Martin, G. von Einem, G. Fr. Malipiero, R. Liebermann, L. Dallapiccola, P. Boulez, K. Stockhausen, L. Berio, M. Kagel, H. Pousseur, R. HaubenstockRamati, O. Messiaen, Gy. Ligeti, Fr. Cerha, G. Amy, Cr. Halffter, Edisson Denissow, A. Schnittke, Gy. Kurtág und W. Rihm. - Die in London bestehende Universal Edition Ltd. vervollständigte den Katalog der UE durch die Produktion von Werken angelsächsischer Komponisten wie H. Birtwistle, R. R. Bennett, D. Bedford, 216
Bernard Rands, Nigel Osborne, St. Reich, Murray Schafer usw. - In der UE erscheinen ebenfalls quellenkritische Ausgaben klassischer Musik unter den Seriennamen Wiener Urtext Edition (zus. mit B. Schott's Söhne), Wiener Querflötenedition, Universal Orgel Edition, Philharmonia-Taschenpartituren, A. Schönberg-GA (zus. mit B. Schott's Söhne) u. a. UNTERHALTUNGSMUSIK, U-Musik, Sammel-Bz. für alle Musikgattungen und Stilarten unterhaltenden Charakters. In diesem umfassenden Verständnis markieren analog auch in der Praxis bei den elektronischen Medien auf der einen Seite des Spektrums neben der Spieloper des 19. Jh. mancherlei populäre Werke des Konzertrepertoires des 17.-19. Jh. die Grenze („Kleine Stücke großer Meister"), auf der anderen Seite sind Pop und Rock (auch experimentelle Formen), Teile des Jazz und progressive U.-Werke, die sich der zeitgenössischen E-Musik nähern, anzusiedeln. Dazwischen liegen u. a. das Gebiet der sog. Semiklassik (beispielsweise Stücke von E. Elgar, E. Grieg, A. Dvořák oder P. Tschaikowsky, zus. mit den populären Stücken großer Meister auch als gehobene U. bezeichnet), Ouvertüren und Ballettmusik, zyklische und rhapsodische Werke, der große Walzer, das Charakterstück, Salonmusik, Volkslied und Folklore, Volksmusik und volkstümliche Musik, Operette, Musical und Filmmusik, Standard- und Modetänze, Schlager, Chanson und internationaler Song. Durch Stil- u. Gattungsfusionen ergeben sich ferner zahlreiche Zwischenfarben. Mit U. wird zugleich im engeren Sinn jener Teilbereich gekennzeichnet, der nicht eindeutig als Popmusik, Tanzmusik oder Folklore empfunden wird. In dieser Verwendung ist der Begriff etwa gleichbedeutend mit Light Music (engl.), wohingegen die Bezeichnungen Musique légère (frz.), Musica leggera (it.) oder Leichte Musik (dt., umgangssprachlich) umfassender sind. Das Wort U. selbst und seine Definition zur Kennzeichnung einer speziellen Musikart läßt sich bereits im 19. Jh. nachweisen. Louis Köhler nennt in seinem Führer durch den Klavierunterricht (1865) U. als eigene von insgesamt 5 bei ihm unterschiedenen Gattungen. Er kennzeichnet sie als „zuckersüß aber charakterlos ... aufgeputzt freilich mit eitlem Flittergold". Das Musikalische Conversations-Lexikon von H. Mendel (1878) charakterisiert U. als „diejenige Musik, die keinen anderen Zweck verfolgt als den ..., angenehm die Zeit zu vertreiben". Bereits vor 1815 ist bei E. Th. A. Hoffmann die sprachliche Verbindung von Musik und Unterhaltung nachzuweisen. („Der Konzertmei-
Unterhaltungsmusik ster hatte mich zu einer musikalischen Unterhaltung ... eingeladen.") Bis etwa Ende des 18. Jh. war die der Unterhaltung des Adels oder der übrigen Bevölkerung dienende Musik an bestimmte Anlässe des höfischen, städtisch-bürgerlichen oder ländlichen Lebens gebunden und meist eher eine „Musik bei der Unterhaltung", etwa bei der Tafel. So beschreibt I. Kant 1790 in seiner Kritik der Urteilskraft Tafelmusik als „ein wunderliches Ding, welches nur als angenehmes Geräusch ... unterhalten soll und, ohne daß jemand auf die Komposition die mindeste Aufmerksamkeit verwendet, die freie Gesprächigkeit ... begünstigt". Die mit der Industrialisierung im Verlaufe des 19. Jh. einhergehenden, alle Bevölkerungsschichten erfassenden Veränderungen und die damit häufig verbundene Entwurzelung vieler Menschen, die sich bei der Suche nach Arbeit von den überkommenen lokalen und sozialen Bindungen lösten, führten zu einem grundlegenden Wandel der Lebensweise. Arbeitszeit und Freizeit standen sich nun oftmals anders als in der ständisch orientierten Gesellschaft noch des 18. Jh. weitestgehend ohne Bezug gegenüber. Das hatte auch entscheidende Auswirkungen auf die unterhaltende Musik. Sie erfuhr analog den gesellschaftlichen Veränderungen gleichfalls eine Verselbständigung und erhielt einen gleichsam autonomen Charakter im Sinne von „Musik als Unterhaltung". Konzerte zur Entspannung und Musik zum Amüsement wurden jetzt auch ohne spezielle Anlässe jederzeit erwartet. Die Statten musikalischer Darbietungen waren öffentliche Parks und Plätze, Bier- und Weinlokale, Fabrik-, Festhallen und Konzertpaläste („Tonhallen"), Schiffe und Eisenbahnwaggons bei längeren Reisestrecken, Salons, Kaffee- und Kurhäuser sowie Etablissements für Vergnügungen aller Art vom Varieté und später der Music hall bis zum Zirkus und Eislaufpalast. Ein solcher Massenbedarf zog eine bis dahin nicht gekannte Kommerzialisierung der Musik nach sich. Komponisten, Arrangeure, Musiker, Konzertagenten, Verlage, Notendrucker und Musikalienhändler stellten sich rasch auf die Bedürfnisse einer wenig vorgebildeten Konsumentenschicht ein. Bei Autoren wie A. Czibulka oder É. Waldteufel waren Opuszahlen um 400 keine Seltenheit. Für alle Lebenslagen und Gelegenheiten wurde die passende Musik angeboten : für festliche Ereignisse, für gesellige Anlässe, Musik zur Entspannung, zur gefühlvollen Untermalung, Stücke für Anfänger oder Fortgeschrittene, für Kinder oder Erwachsene usw., Originalkompositionen und Bearbeitungen von Opernmelodien oder anderen bekannten Werken in Form von Potpourris, Fantasien, Paraphra-
sen oder Variationen in den unterschiedlichsten Besetzungen wetteiferten um die Gunst der Massen. Die Breite des Repertoires spiegelt sich in Titeln der Kompositionen wider, wie etwa Waldandacht (Fr. Abt), Gebet einer Jungfrau (Tekla Badarzewska), Stephanie-Gavotte (Czibulka), Heinzelmännchens Wachtparade (Richard Eilenberg), Poème (Zd. Fibich), Melodie in F (Anton Rubinstein), Gladiator-Marsch (J. Ph. Sousa) oder Schwungräder (J. Strauß). Weitere häufig verwendete Titel waren „Romanze", „Idylle", „Serenade", „Ständchen" oder „Intermezzo". „Stoffliche", d. h. außermusikalische Assoziationen wurden durch meist an charakteristische Spielfiguren gebundene Lautmalerei unterstrichen. Auch folkloristisches und exotisches Kolorit war beliebt und sollte die Phantasie auf Länder wie Spanien, Italien, Schottland, Tirol, Ungarn, Rußland, Persien, Japan oder China lenken. Ganz allgemein bediente sich die U. der Gestaltungsmittel des Charakterstücks, des Liedes, des Tanzsatzes und der zyklisch oder rhapsodisch angelegten Komposition. Sehr beliebt war zudem bereits seit der Zeit der großen Virtuosen das oft nur auf vordergründige Brillanz ausgerichtete konzertante Element. Für die klangliche Realisierung kamen neben Klavier und kammermusikalischen Kombinationen aller Art vor allem Salonorchester Wiener, Berliner und Pariser Prägung in Betracht (r Salonmusik), daneben auch das klassisch-romantische Symphonieorchester, gelegentlich, wie bei USA-Reisen von Johann Strauß, mit mehreren hundert Musikern besetzt. Entwicklungsgeschichtlich sind bei der U. nach stilistischen Kriterien 3 Phasen zu unterscheiden. Die erste reicht von der Mitte des 19. Jh. bis etwa 1924, dem Jahr der Uraufführung von G. Gershwins Rhapsody in Blue. Die bis dahin verbreitete U., wie sie zuvor charakterisiert wurde, stand klanglich eindeutig in der „klassisch-romantischen" Tradition. Musik dieser Art war auch noch weiterhin erfolgreich, beispielsweise Kompositionen von R. Stolz, sie wurde jedoch in der 2. Phase zunehmend ergänzt durch Werke, die unter Einbeziehung impressionistischer Klangfarben in Melodik, Rhythmik, Harmonik u. Instrumentation vom Jazzidiom und von Merkmalen der modischen Tanzmusik geprägt waren. In den USA schrieben Musical- und Filmkomponisten solche Stücke, größere Werke stammen u. a. von M. Gould und Larry Coleman, in Großbritannien machten sich Komponisten wie Ronald Binge und Robert Farnon einen Namen, in Frankreich etwa Paul Bonneau oder Pierre Devevey, und in Deutschland profilierten sich in dieser bis etwa 1955 währenden 217
Unterhaltungsmusik 2. Phase „moderner U." u. a. Ernst Fischer (besonders einflußreiche Komposition Südlich der Alpen), Hans Bund, Erich Börschel, G. Winkler, H. Carste, G. Haentzschel oder Siegfried Merath. Formal blieb es bei den bereits zuvor gebräuchlichen Typen, z. T. wurden Orchestersuiten bevorzugt. Ihre Verbreitung fand U. nun vor allem im inzwischen etablierten Rundfunk, in Unterhaltungs- und Kurkonzerten sowie mit Einschränkungen auch auf Schallplatte. Bereits seit etwa 1950 zeichnete sich die 3. Phase mit einem deutlichen Trend zur kürzeren, 2 bis 5 Minuten dauernden U.-Komposition ab, zugleich verstärkte sich die Ausrichtung auf die aktuelle Tanzmusik. Das tänzerische Intermezzo Holiday for Strings des Amerikaners David Rose verkörperte diesen Typ ebenso wie vergleichsweise viele der populären Kompositionen Leroy Andersons, beispielsweise Blue Tango oder Sleigh Ride. Satztechnisch fallen in dieser 3. Phase die Emanzipation der Reizakkorde sowie die gezielte, durch charakteristische Nebenstimmen noch hervorgehobene Verwendung der harmonischen Nebenstufen und die damit verbundenen typischen Vorhaltbildungen auf. Ein weiteres Merkmal ist der meist durchlaufende modisch-tänzerische Rhythmus. Seit Anfang der 60er Jahre finden auch Rockelemente Eingang in die U., ein frühes Beispiel ist H. Mancinis Baby Elephant's Walk. Als „Soft-Rock" war Anfang der 80er Jahre Ballade pour Adeline mit Richard Clayderman erfolgreich. Eine Sonderform stellen die sog. „Classics" dar, an bekannte Originalkompositionen der E-Musik angelehnte Arrangements mit moderner Rhythmusgruppe. Der eigenständige instrumentale Teil der U. scheint seit Ende der 60er Jahre durch die sich immer stärker durchsetzende vorwiegend vokale Schlager- und Popmusik etwas in den Hintergrund des Interesses zu rücken. Von daher erklärt sich auch, daß immer seltener charakteristische Originalkompositionen entstehen und U. zunehmend in Form meist instrumentaler Arrangements bekannter Evergreens oder neuerer Vokaltitel in Erscheinung tritt. Auch das konventionelle Unterhaltungslied, etwa in der Art von Fr. Grothes Postillion-Lied, hat kaum moderne Entsprechungen gefunden. Als klangprägende Arrangeure, die überwiegend auch als Komponisten und Orchesterleiter bekannt wurden, sind u. a. H. Mancini, Percy Faith, Michel Legrand, Frank Chacksfield, Heinz Kiessling, Mladen Gutesha, Hans Hammerschmid oder Claus Ogerman zu nennen. Klangkörper für diese Art der U. sind heute weitestgehend an Rundfunkanstalten gebunden oder werden von Tonstudios für Produktionen gezielt zusammengestellt. Aus den USA und Eu218
ropa erlangten Orchester wie die von P. Faith, H. Mancini, Franck Pourcel, Caravelli, H. Zacharias oder A. Mantovani international Geltung. Diese U.-Klangkörper können traditionell besetzt sein (Typ „Concert Orchestra", wie z. B. das lange Jahre von A. Fiedler geleitete Boston Pops Orchestra) oder bei Einbeziehung einer modernen Rhythmusgruppe die Big Band-Struktur der Bläserbesetzung bzw. den Streichorchestercharakter betonen. Hörner, Holzbläser, Harfe, aber auch Bandoneon, Mundharmonika, Panflöte und andere Spezialinstrumente einschließlich vielfältiger Perkussions- und elektronischer Instrumente dienen neben ungewöhnlichen Gruppierungen und satztechnischen Besonderheiten, wie u. a. dem „Mantovani-Effekt", der Erzielung des speziellen U.-Sounds. Ferner unterstützen die Mittel der elektronischen Klangbeeinflussung entscheidend das Streben nach klanglicher Brillanz. Das Werturteil über U. war bisher stark an ästhetischen Kriterien orientiert, die eine „hohe" Bildungsmusik als Maßstab zugrunde legten. Die „niedere" Erscheinungsform der U. wurde unter dieser Voraussetzung meist abwertend beurteilt. Die typischen „U-Musik"-Merkmale, etwa die auf einfachen Entsprechungen beruhende Prägnanz musikalischer Vorgänge, die auf Vertrautheit und Eingängigkeit der gewählten Gestaltungsmittel basierende Breitenwirkung sowie die schwer wägbaren speziellen Reizelemente galten häufig als Beleg für Banalität. U. wurde daher nicht selten als eigentlich verwerflicher Zeitvertreib im Sinne der Ablenkung von vermeintlich Wichtigerem eingeschätzt. Erst neuerdings scheint sich eine eher funktionale Beurteilung durchzusetzen, die den Wert der U. am Grad des Unterhaltenden als „Verringerung eines gewissen emotionalen Defizits auf Zeit" (Harry Pross) bemißt. Dem Unterhaltenden wird so eine humanisierende Wirkung und damit ein Eigenwert zuerkannt, da es die Langeweile, den negativen Gegensatz von Unterhaltung, zu überwinden vermag. Lit.: TH. W. ADORNO, Einleitung in die Musiksoziologie (F 1962); H. MANCINI, Sounds and Scores (o.O. 1962, 2 1967); Stud. z. Trivialmusik des 19. Jh.. hrsg. v. C. DAHLHAUS (Rb 1967); A. WÜRz, U., in: MGG XIII; G. SCHMIDTCHEN, Die Bedeutung der leichten Musik für das Verhältnis des Hörers z. Radio, in: Int. Zschr. für Kommunikationsforsch. 1 (1974); M. PRAWY, J. Strauß (W 1975); K. KUHNKE — M. MILLER — P. SCHULZE, Gesch. der Pop-Musik I (Bremen 1976, '1977); I. KELDANYMOHR, „U." als soziokulturelles Phänomen des 19. Jh. (Rb 1977) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 47); R. M. ISHERWOOD, Popular Musical Entertainment in 18d-Century Paris, in: IRASM 9 (1978); C. DAHLHAUS, Die Musik des 19. Jh. (Wie 1980); A. LAMB — CH. HAMM, Popular Music, in: Grove• XV. R HESS
UNTERSATZ, Bz. für ein Orgelregister im Pedal, meist als 32', seltener als 16'. Es ist in der Regel mit
Urheberrecht gedackten Pfeifen versehen, entspricht also dem r Subbaß. In großen Orgeln des 19. Jh. gibt es den U. 32' ab c gelegentlich als Manualregister. UNTERTÖNE heißen die Teiltöne, die - spiegelbildlich der aufsteigenden Obertonreihe (r Obertöne) entsprechend - von einem Erzeugerton aus abwärts gerichtet sind. Die Annahme von U.n, deren natürliche Existenz nicht belegbar ist, dient dem r Dualismus zur theoretischen Erklärung des Moll. UNTREUE LOHNT NICHT (L'infedeltà delusa), Burletta in musica in 2 Akten von J. Haydn, Text nach M. Coltellini. Ort u. Zeit der Handlung: Florenz, im 18. Jh.; UA: 26.7. 1773 Esterháza. Haydn schrieb diese Oper (der Textdichter ist nicht bekannt) zum Namenstag der verwitweten Fürstin Maria Anna Louise Esterházy. Eine weitere Aufführung erfolgte anläßlich eines Besuches der Kaiserin Maria Theresia; einige Forscher gründeten die Angabe des UA-Termins auf das zu diesem Ereignis gedruckte Textbuch. Das Material zu diesem nach heutigem Verständnis einfältigen Intrigenspiel mit possenhaften Verkleidungs- und Verwechslungsszenen war lange Zeit verschollen; eine deutschsprachige Fassung mit dem Titel Liebe macht erfinderisch gelangte 1930 in Wien zur Wiederaufnahme. 1959 erklang in Budapest die Originalfassung; der weitgehend komplettierte Notentext wurde 1961 von H. C. Robbins Landon veröffentlicht. Haydns Einfallsreichtum bei der Komposition führte zu internationaler Verbreitung der Oper, wobei der Text häufig bearbeitet wurde. Der heute gebräuchliche dt. Titel geht auf eine Fassung von Fr. Kühnelt (Hannover 1962) zurück. K. LANGROCK
UNVERRICHT, Hubert Johannes, * 4.7. 1927 Liegnitz; dt. Musikforscher. Er studierte in Berlin 1947-51 an der Humboldt-Universität und 1952 bis 1953 an der Freien Universität, an der er 1954 mit der Diss. Hörbare Vorbilder in der Instrumentalmusik bis 1750 promovierte. Er war 1956 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Haydn-Instituts Köln, seit 1962 bis zur Habilitation (1967) Assistent an der Universität Mainz, wurde dort 1971 Professor und Wissenschaftlicher Rat und lehrt seit 1980 an der Kath. Universität Eichstätt. U. ist Mitglied u. a. des Herder-Forschungsrats Marburg sowie des Arbeitskreises für schlesisches Lied und schlesische Musik Bensberg. 1973-80 war er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Musik der Klassik sowie die Musikgeschichte Schlesiens und des Rheinlands.
Schriften: Die Eigenschaften u. die Originalausgaben v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung für die moderne Textkritik (Kas 1960); Die Simrock-Drucke v. Haydns Londoner Sinfonien, in: Stud. z. Musikgesch. des Rheinlands 2 (K 1962); Die beiden Hoffstetter (Mz 1968) (zus. mit A. Gottron u. A. Tyson) (- Beitr. z. mittelrheinischen Musikgesch. 10); Gesch. des Streichtrios (Tutzing 1969) (- Mainzer Stud. z. Musikgesch. 2); Die Kammermusik (Kö 1972) (- Das Musikwerk 46); Die orchesterbegleitete Kirchenmusik v. den Neapolitanern bis Schubert, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik II, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas 1976); Beziehungen schlesischer Komponisten u. Musik z Wiener Klassik, in: Die musikal. Wechselbeziehungen Schlesien-Österreich (Dülmen 1977); L van Beethoven. Sinfonie Nr. 6. Einführung u. Analyse (Mz 1980); F. J. Fröhlich, in: Musik in Bayern 22 (Tutzing 1981). - Editionen : Haydn-GA I/18 (- Symph. 102-104), XIV/2-4 (Barytontrios), IV (Sieben letzte Worte; Orch.-Fassung) u. XXVIII (dass., Vokalfassung) (Mn - Duisburg 1958 ff.); L Tomasini, Divertimenti(Wb 1970). - Er gab heraus: Musik u. Musiker am Mittelrhein 1 u. 2 (Mz 1974, 1980) (zus. mit K. Oehl); Musik des Ostens 8 (Kas 1982) (zus. mit F. Feldmann).
URHEBERRECHT (engl.: copyright; frz.: copyright, droit d'auteur; it.: diretto d'autore; span.: derechos de autor, copyright), Bz. der Rechtsbestimmungen, die den Schutz des geistigen Eigentums, d. h. von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst, zum Gegenstand haben. Die Anfänge der Entwicklung des U.s liegen im mittelalterlichen Privilegienwesen. So erhielt der Komponist O. di Lasso 1581 ein kaiserliches Privileg, das seine Werke gegen Nachdruck schützte. Die Idee vom geistigen Eigentum führte dann allmählich zum Erlaß von Gesetzen zum Schutz des Urhebers, so vor allem in Frankreich in der Zeit der Revolution (1791-93). Im 19. Jh. wurden in Deutschland Urhebergesetze erlassen. Das U.s-Gesetz von 1870 brachte zugunsten der musikalischen Urheber auch das Aufführungsrecht, machte es aber noch von einem Vorbehalt der Rechte abhängig. Das Literatururhebergesetz von 1901 (zum Schutz von Kunstwerken wurde 1907 das Kunstschutzgesetz erlassen) gewährte dann neben dem Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht auch das Aufführungsrecht, ohne einen Vorbehalt zu verlangen. Nun konnten sich auch r Verwertungsgesellschaften bilden, die das Aufführungsrecht für die Urheber wahrnahmen. 1933 wurde durch Gesetz die STAGMA als einzige musikalische Verwerťungsgesellschaft geschaffen, die 1945 in OE GEMA umbenannt wurde. - In der 1. Hälfte des 20. Jh. führten große Erfindungen zu Verwertungen musikalischer Werke, die vom Literatururhebergesetz von 1901 nicht berücksichtigt werden konnten, so vor allem die Entwicklung des Tonfilms und des Hörfunks sowie des Fernsehens. 1965 wurde das heute noch geltende U.s-Gesetz erlassen, das die modernen Werkverwertungsarten in das Urheberrecht einbezog. Da nach dem Territorialitätsgrundsatz das U. an 219
Urheberrecht den Grenzen des Schutz gewährenden Staates haltmacht, versuchte man, durch völkerrechtliche Ver-
träge einen möglichst viele Länder umspannenden Schutz zu erreichen. 1886 haben 10 Staaten, darunter auch Deutschland, die Berner Übereinkunft abgeschlossen, die seitdem mehrfach revidiert wurde (daher RBÜ) und der inzwischen etwa 70 Staaten angehören. Nach ihr werden die Urheber in allen Vertragsstaaten wie Inländer geschützt, darüber s. hinaus werden ihnen aber noch gewisse Mindestrechte gesichert. Nach dem letzten Krieg wurde ein Welturheberrechtsabkommen abgeschlossen. Auch die ausübenden Künstler, die Schallplattenindustrie und der Rundfunk forderten einen internationalen Schutz ihrer Leistungen. 1961 wurde daher das Rom-Abkommen abgeschlossen, das ihrem Schutz dient. - Entsprechend diesem Abkommen enthält das dt. U.s-Gesetz von 1965 nicht nur einen Schutz der Urheber, sondern auch einen Leistungsschutz für die ausübenden Künstler, die Tonträgerhersteller und die Rundfunkanstalten. Es schützt die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst, wenn diese eine persönliche geistige Schöpfung darstellen ; ferner aber auch Bearbeitungen solcher Werke, vorausgesetzt, daß diese nicht nur eine handwerkliche Leistung darstellen. Das Gesetz gewährt dem Urheber ein umfassendes U. an seinem Werk, das seine ideellen Interessen (Urheberpersönlichkeitsrecht), aber auch seine Vermögensinteressen (Verwertungsrechte) sichert. Zu den Befugnissen des Urheberpersönlichkeitsrechts gehören das Veröffentlichungsrecht, das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft und das Recht, Entstellungen des Werkes zu verhindern. Als Verwertungsrechte gewährt das Gesetz dem Urheber das alleinige Vervielfältigungsrecht, Verbreitungsrecht, Ausstellungsrecht, ferner das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht, aber auch das Senderecht, das Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger und das Recht der Wiedergabe von Funksendungen. Die Verwertungsrechte kann der Urheber anderen, z. B. einem Verleger, aber auch einer Verwertungsgesellschaft, als Nutzungsrechte einräumen. Das U. wird allerdings zugunsten der Allgemeinheit eingeschränkt. Im Gegensatz zu manchen ausländischen Rechten kennt unser Gesetz aber keine Einschränkung des Melodienschutzes. Variationen, in denen eine fremde Melodie benutzt wird, bedürfen also der Zustimmung des Komponisten der Melodie. § 52 des Gesetzes läßt jedoch eine vergütungsfreie Aufführung musikalischer Werke zu, wenn die Aufführung keinem Erwerbszweck dient, die Teilnehmer ohne Entgelt zugelassen werden und den aus220
übenden Künstlern keine besondere Vergütung gezahlt wird. Unter denselben Voraussetzungen sollen auch Aufführungen bei kirchlichen Veranstaltungen frei sein. Letztere Bestimmung wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Das Bundesjustizministerium bemüht sich zur Zeit, den § 52 neu zu fassen. Danach soll die Aufführungsfreiheit wesentlich eingeschränkt werden. Dagegen soll mit Recht nach wie vor der Gemeindegesang bei kirchlichen Veranstaltungen vergütungsfrei bleiben. Durch § 53 wird die private Tonbandüberspielung zugelassen, jedoch haben die Gerätehersteller an die Verwertungsgesellschaften eine Vergütung zu zahlen. Im Gespräch ist zur Zeit die Einführung einer Leerkassettenabgabe. - Die wesentlichste Beschränkung des U.s ist seine zeitliche Begrenzung. Die Schutzfrist betrug früher 30 Jahre (nach dem Tod des Urhebers), wurde dann 1934 auf 50 Jahre und 1965 auf 70 Jahre verlängert. - Einen geringeren Schutz gewährt das Gesetz wissenschaftlichen Ausgaben (z. B. Ausgaben alter Meister) und Ausgaben nachgelassener Werke. Auch dem ausübenden Künstler gewährt es nur einen geringeren Schutz. Lit.: E.-J. MESTMÄCKER — E. SCHULZE, Kommentar z. dt. U. (F 1961); H. RIEDEL, Originalmusik u. Musikbearbeitung. Eine Einführung in das U. der Musik (Mn 1971); B. SAMSON, U. (Pullach 1973); H. HUBMANN, Urheber- u. Verlagsrecht (Mn '1978); E. ULMER, Urheber- u. Verlagsrecht (B '1980); E. SCHULZE, U. in der Musik (B '1981); C. MAsouvi, Kommentar z. Berner Übereinkunft ... (Kö 1981). H. HUBMANN
URSPRUNG, Otto, * 16. 1. 1879 Günzlhofen (Bayern), t 14.9. 1960 Schondorf am Ammersee; dt. Musikforscher. Er wurde 1904 zum Priester geweiht und studierte nach einigen Jahren Tätigkeit in der Seelsorge Musikwissenschaft in München (1911 Dr. phil.). 1912-26 war er Chorvikar an St. Cajetan, später Ehrenkanonikus an der Allerheiligenhofkirche in München und lehrte 1932-49 als Honorarprofessor an der Universität. Schwerpunkt seiner Forschungen war die katholische Kirchenmusik in ihren geschichtlichen, theologischen und ästhetischen Grundlagen. Schriften: J. de Kerle. Sein Leben u. seine Werke (Mn 1913); Span.-katalanische Liedkunst des 14. Jh., in: ZfMw 4 (1921/22); Die Gesänge der hl. Hildegard, in: ebd. 5 (1922/23); Aufsätze zur Gesch. des dt. Liedes, i n : AfMw 4 (1922) — 6 (1924); Restauration u. Palestrina-Renaissance in der kath. Kirchenmusik der letzten zwei Jahrhunderte (Au 1924); Münchens musikal. Vergangenheit v. der Frühzeit bis z. R. Wagner (Mn 1927); Die kath. Kirchenmusik (Pd 1931); Hildegards Drama „Ordo virtutum": Gesch. einer Seele, in: Miscelánea.... FS H. Anglés 11 (Ba 1961). — Editionen: J. de Kerle, Ausgew. Werke 1 (1926) ( — DTB 34); L. Senil, Messen (1936) (= EDM 5) (zus. mit E. Löhrer).
URSULEAC, Viorica, * 26.3. 1894 Czernowitz,
t 22. 10. 1985 Ehrwald (Tirol); rumänische Sängerin (Sopran). Sie studierte an der Wiener Musik-
Ussachevsky akademie und bei Lilli Lehmann in Berlin und debütierte 1924 in Frankfurt am Main. Ober Dresden und Wien kam sie 1933 an die Berliner Staatsoper und 1937 an die Bayerische Staatsoper in München. Sie gastierte an allen bedeutenden europäischen Opernbühnen und bei den Salzburger Festspielen (1930-34 und 1942-43). V. U. war mit dem Dirigenten Cl. Krauss verheiratet; beide waren eng mit R. Strauss befreundet, und V. U. sang unter Krauss die weiblichen Hauptrollen bei den UA von Arabella (1933), Der Friedenstag (1938) und Capriccio (1943). Nach dem Tod ihres Mannes war sie als Gesangspädagogin, u. a. am Salzburger Mozarteum, tätig. URUGUAY. Das heutige Territorium des Landes war im 16. Jh. von kriegerischen Indianerstämmen besiedelt, die von den Spaniern nur mit großer Mühe besiegt werden konnten. Als Streitobjekt zwischen den Kronen Spaniens und Portugals widerfuhr dem Land eine Periode blutiger Kämpfe, die eine Entwicklung künstlerischen Lebens kaum begünstigten. Die Musikgeschichte U.s setzt daher erst relativ spät ein. Dabei spielten die Jesuitenmissionare, die der Musik großen Wert beilegten, eine wichtige Rolle. Die Indianer waren musikalisch sehr begabt, und jedes Dorf besaß Gesangs- und Instrumentalgruppen, die sowohl religiöse als auch weltliche Musik spielten; selbst Opern wurden gelegentlich vorgetragen. 1793 wurde die „Casa de Comedias" von Montevideo eröffnet, wo span. Tonadillas und Zarzuelas sowie später it. Opern (als erste 1830 G. Rossinis L'inganno felice) aufgeführt wurden. Die Künstler, die hier auftraten, waren die gleichen wie in Buenos Aires und Rio de Janeiro: die span. Komponisten und Dirigenten Antonio Aranas und Antonio Sáenz, der Ungar Franz Joseph Deballi, der in Madrid geborene Sänger und Komponist Pablo Rosquellas. Sáenz war auch der Gründer der Sociedad Filarmónica, die in der Hauptstadt U.s 1831-35 bestand. Sie verfügte über ein Liebhaberorchester von 22 Mitgliedern aus den führenden gesellschaftlichen Kreisen der Stadt, die in Privathäusern, im Theater oder in der Kirche spielten. Deballi wurde zusammen mit dem kreolischen Schauspieler Fernando Quijano der Schöpfer der uruguayischen Nationalhymne. Auch der it. Violinist und Dirigent Santiago Massoni spielte im Musikleben dieser Zeit in Montevideo eine bedeutsame Rolle. - 1856 wurde das prächtige Teatro de Solls als Opernhaus eingeweiht, während die Casa de Comedias, seit 1855 in Teatro de San Felipe y Santiago umbenannt, die Pflegestätte der leichten Musik, d. h. der Zarzuela und der frz. Operette,
war. In der Oper hatte der einheimische Komponist Luis Sambucetti (1860-1926), der Gründer des Nationalorchesters von U. (1908), Erfolg. Die Pioniere der Moderne in U. waren Alfonso Broqua (1876-1946) und Carlos Pedrell (1878 bis 1941). Beide lebten in Paris, beschworen aber mit Vorliebe in ihren Partituren die typische Musik, die Traditionen und die Landschaften ihrer Heimat. Eine derartige Bindung an die traditionelle Musik ist noch deutlicher zu spüren bei Eduardo Fabini (1882-1950), der sie geradezu naiv in alle seine Werke übertrug. Erwähnt sei auch der französischstämmige Komponist Luis Clouzeau Mortet (1874-1957). Unter den Zeitgenossen ist Hector Tosar (* 1923) unbestritten der am meisten beachtete Komponist des Landes und einer der repräsentativsten Komponisten des gesamten südamerikanischen Kontinents. Vor ihm war Carlos Estrada (1909-1970) die beherrschende Figur des Musiklebens: Als Konservatoriumsdirektor in Montevideo bildete er eine Reihe jüngerer Komponisten aus, u. a. Ricardo Storm (* 1930), Luis R. Campodónico (* 1931), José Serebrier (* 1938), der als Dirigent international bekannt wurde, und Sergio Cervetti (* 1940). Internationale Karriere machte die Pianistin Dinorah Varsi (* 1939). - Von Interesse ist die Tatsache, daß der sog. argentinische r Tango gleichermaßen in Montevideo wie in Buenos Aires beheimatet ist. Zahlreiche berühmte Tangos, wie La cumparsita von Matos Rodrigues, wurden von Komponisten U.s geschrieben. Montevideo ist Sitz des von Fr. C. Lange gegründeten Instituto Interamericano de Musicología. Das SODRE (Servicio Oficial de Difusión RadioEléctrica) besitzt ein hervorragendes Orchester und organisiert Konzerte, Festspiele und Wettbewerbe. Lit.: 1) Denkmälerausg.: 1. PEREDA VALDÉS, Cancionero popular uruguayo (Montevideo 1947). — 2) Studien: F. C. LANGE, La organización musical en el Uruguay, in: Bol. latino-americano de música (1935); Revista musical argentina 2/2 (1937) (Sonder-Nr. Uruguay); C. VEGA, Panorama de la música popular argentina (Buenos Aires 1944); L. AYESTARÁN, La música escénica en el Uruguay, in: Rev. Mus. Chilena 3 (1947); DERS., Fuentes para el estudio de la música colonial uruguaya (Montevideo 1947); DERS., La Música indigena en el Uruguay (ebd. 1949); DERS., La música en el Uruguay (ebd. 1953); DERS., El folklore musical uruguayo (ebd. 1967); DERS., Teoría y práctica del folklore (ebd. 1968); S. SALGADO, Breve historia de la música cuita en el Uruguay (ebd. 1971). L. H. CORREA DE AZEVEDO
USSACHEVSKY, Vladimir Alexis, * 21. 10. (3.11.) 1911 Hailar (Innere Mongolei); amerik. Komponist russ. Herkunft. 1931 in die USA emigriert, studierte er bis 1935 am Pamona College (Calif.), dann bis zur Promotion (1939)' an der Eastman School of Music der University of Ro221
Ussachevsky chester (N. Y.) Komposition (Bernard Rogers und H. Hanson). Seit 1947 lehrt er Komposition am Music Department der Columbia University in New York, wo er 1951 mit den ersten amerikanischen Versuchen einer Tonbandmusik mit elektronischen Mitteln begann. Zeitweise arbeitete er eng mit O. Luening zusammen, mit dem er (zus. mit M. Babbitt und R. Sessions) 1959 das Columbia Princeton Electronic Music Center gründete. WW: 1) Kompositionen: Für Tonband: Sonic Contours (1952); Piece (1956); Metamorphoses (1957); Linear Contrasts (1958); Wireless Fantasy (1960); Of Wood and Brass (1965); Suite from Musk for Films (1967); Piece for Computer (1968); Conflict (1975). - 2 Dances (1948) für Fl. u. Klv.; Piece (1947) für Fl. u. Kammerorch. ; Theme and Variations (1936) für Orch.; Jubilee Cantata (1938) für Bar., Sprecher, Chor u. Orch.; Missa brevis (1972) für Sopran, Chor u. Orch. - 2) Schriften: Sound Materials in the Experimental Media of Musique concrete, Tape Music and Electronic Musik in: Journal of the Acoustical Soc. of America 29 (1957); The Process of Experimental Musi; in :Journal of the Audio Engineering Soc. 6 (1958); Synthetic Means in: The Modern Composer and his World (Toronto 1961); Applications of Modern Technology in Musicology, Music Theory and Composition, in: Papers of the Yugoslav-American Seminar on Music (Bloomington/Ind. 1970).
U. gilt als der erste Komponist einer reinen r Tonbandmusik amerikanischer Prägung (tape music), die nach Art der „klassischen Studiotechnik" gearbeitet ist. Besonderen Wert legt er auf Manipulationen der Klangfarben und auf eine Verbindung von modaler mit tonaler Dur-Moll-Harmonik.
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Seine Vokalwerke sind stark von den Gesängen der russisch-orthodoxen Liturgie beeinflußt. Lit.: Werk-Vers., in: Composers of the Americas 9 (Washington/ D. C. 1963); L M. CROSS, A Bibliogr. of Electronic Music (Toronto 1967). B. A. KOHL
UT, die erste r Solmisations-Silbe (im 17. Jh. ersetzt durch r Do), die im mittelalterlichen r Hexachord-System je nach Transposition die Töne c, f oder g bezeichnet. - Im Französischen ist Ut der Ton r C. UTENDAL, Alexander, * um 1530 in den Niederlanden, t 7.5. 1581 Innsbruck; franko-flämischer Komponist. Er trat 1564 als Altist in die Prager Hofkapelle ein und folgte 1566 Erzherzog Ferdinand nach Innsbruck, wo er seit 1580 als Vizekapellmeister nachweisbar ist. Seine Werke stehen in der Tradition von O. di Lasso. WW: Psalmi poenitentiales für 4 St. (Nü 1570); 3 Bücher Sacrae cantiones für 5-6 St. (Nü 1571-77); Messen für 5-6 St. u. Magnificat für 4 St. (Nü 1573); Fröliche neue Teutsche und Frantzösische Lieder für 4-5 u. mehr St. (Nü 1574); weitere Werke in Sammeldrucken 1568-89. Ausg.: 1 Motette, in: Josquin u. a., Acht Lied- u. Choralmotetten, hrsg. v. H. OSTHOFF (Wb 1934, 2 1954) (- Chw 30); 3 Motetten, hrsg. v. H. KÜMMERLING, in: Fusa 7 (1982) Beilage. Lit.: H. FEDERHOFER, U., in: MGG XIII; I. Bossvrr, Die „Psalmi poenitentiales" (1570) des A. U., in: AfMw 38 (1981).
v V, v, Abk. für: 1) r Vox, r Violine, r Versett oder r Versus. - 2) volti in v.s. = r volti subito. VACCAI, Nicola, * 15.3. 1790 Tolentino, t 5. oder 6.8. 1848 Pesaro; it. Komponist. Er war 1812-15 Schüler von G. Paisiello in Neapel und debütierte dort 1815 als Opernkomponist. Nach weiteren mä-
ßigen Erfolgen auf diesem Gebiet machte er sich jedoch einen hervorragenden Namen als Gesanglehrer und wirkte in dieser Eigenschaft in Venedig, Triest, Paris (1830) und London (1831-33). Er kehrte dann nach Italien zurück und lehrte seit 1837 Komposition am Konservatorium in Mailand, dem er 1838-44 auch als „Censore", d. h. amtsführender Direktor, vorstand. Während ihn von seinen Kompositionen (17 Opern, vokale Kammermusik, Kirchenmusik) nichts überlebt hat, ist V. heute noch weithin bekannt durch seine r Solfeggien (Metodo pratico di canto italiano, Lo 1832 u. ó.). Lit.: F. LIPPMANN, V., in: MGG XIII.
VAGABOND KING, THE (dt. Titel: König far einen Tag), amerik. Operette von R. Friml, Buch von Brian Hooker, Russel Janney und W. H. Post nach dem Schauspiel If I Were King von Justin Huntley McCarthy. Liedertexte von Brian Hooker. Ort und Zeit der Handlung: Paris, zur Zeit König Ludwigs XI. UA: 21.9. 1925 New York (Casino Theater), 511 Vorstellungen. Verfilmt 1930 u. 1956.
Frankreichs Herrscher Ludwig XI. erlaubt dem Vagabunden und Poeten François Villon für einen Tag seine Rolle als König einzunehmen. Das phantasievolle Spiel zeigt, wie es Villon gelingt, Paris vor den Truppen des Herzogs von Burgund zu retten und sich selbst in den aristokratischen Armen seiner Geliebten Catherine de Vaucelles zu finden. Populär wurden die Lieder Song of the Vagabonds, Some Day und Only a Rose. R. WALLRAF
VAGANS (lat., Abk. für vox vagans = umherstrei-
fende Stimme; auch vox quinta oder Quinta), in einer 5st. Komposition des späten 15. und 16. Jh. Bz. für die 5. Stimme, die zu dem als „vollkommen" angesehenen (G. Zarlino spricht 1558 in den Istitutioni harmoniche von der „perfettione dell'harmonia" eines 4st. Satzes) regelhaften 4st. Satz mit den Stimmen Diskant, Alt, Tenor und Baß hinzutritt. Da die Vierstimmigkeit in bezug auf Stimmführung, Klauselbildung u. A. nicht erweitert werden konnte, kommt der V. jeweils als 2. Stimme einer der 4 Hauptstimmen (d. h. als Diskant II, Alt II usw.) vor. Stimmführung und Stimmumfang richten sich nach der jeweiligen Stimmlage. Diese 5. Stimme ohne feste Stimmlage muß somit von Komposition zu Komposition in eine andere Stimmlage „wandern" (daher der Name). B. R. SUCHLA
VAGANTEN (von lat. vagari = umherschweifen). In mittellat. Sprache sind die Vagantes die schreibenden, der Schicht der weltlich Gebildeten angehörenden Dichter des europäischen MA (besonders des 12. und 13. Jh.). Seiner Herkunft entsprechend versieht der Vagant von Fall zu Fall das gewählte literarische Ausdrucksmittel mit volkssprachlichen Einschüben. Die sog clerici vagantes oder vagi wurden als reisende Scholaren sozial offenbar höher eingestuft als die ebenfalls der Vagantendichtung zuzurechnenden Goliarden (von Golias = Goliath, Beiname des Teufels). Die diesseitige, sinnliche Dichtung der V. gliedert sich inhaltlich in Trink-, Spiel- und Liebeslieder, Bittgedichte, Parodien sowie persönliche und politische Satiren. Ihre bedeutendsten Autoren - im Wortsinn keine V. - sind Hugo von Orléans, der Archipoeta, Peter von Blois, Walther von Châtillon, Serlo von Wilton und Philipp der Kanzler; wichtige Quellen sind die Cambridger Lieder-Hs. (Mitte 11. Jh.) mit den Carmina Cantabrigensia, die Arundel-Sammlung (2. Hälfte 12. Jh.) und die Carmina Burana (1. Hälfte 13. Jh.). Formales Kennzeichen ist die 13silbige, rhythmisch geglie223
Valderrábano derte V.-Zeile, die aus einem steigenden 7- und einem fallenden 6-Silbler besteht; die aus ihr gebildete V.-Strophe ist 4zeilig. Die in Archipoetas Loblied für Rainald von Dassel erwähnte „melodia musica" belegt die musikalische Begleitung der zum Vortrag bestimmten V.-Lyrik, deren Melodien im allgemeinen in linienlosen Neumen und in Kontrafakturen überliefert sind. Ihrer schwierigen Rekonstruktion hat C. Orff mit seiner Vertonung der Carmina Burana andere Auswege zu weisen versucht. Ausg. u. Lit: Himmel u. Hölle der Fahrenden. Dichtungen der großen V., hrsg. v. M. LÖPELMANN (B 1940, St 2 1951); M. BECHTHUM, Beweggründe u. Bedeutung des Vagantentums in der lat. Kirche des MA (Jena 1941); W. SALMEN, Der fahrende Musiker im europäischen MA (Kas 1960); V.dichtung, lat. u. dt., hrsg. v. K. LANGOSCH (F — H 1963) (— Exempla classica 78); P. DRONKE, Die Lyrik des MA. Eine Einführung (Mn 1973). — W.-D. LANGE /Carmina Burana.
VALDERRÁBANO, Enríquez (Anriquez) de, * um 1500 Peňaranda de Duero, t nach 1557 ; span. Lautenist. V. ist der Verfasser eines Libro de música de vihuela, intitulado Silva de sirenas (Valladolid 1547). Das Werk enthält Intavolierungen von Messesätzen, Motetten und weltlichen Gesängen für Vihuela, für 2 Vihuelas und für Singstimme und Vihuela sowie Fantasias (u. a. von V. selbst), Sonetos u. a. Stücke für Vihuela. Von den namentlich genannten Komponisten sind zahlenmäßig am stärksten Josquin des Prés, Cr. de Morales, N. Gombert und A. Willaert vertreten. Ausg.: Libro de música, hrsg. v. E. PUJoL 2 Bde. (Ba 1965) ( — MMEsp 22-23). Lit: C. JACOBS, Tempo Notation in Renaissance Spain (Brooklyn/N. Y. 1964); J. J. REY, E. de V. Siete obras de C. de Morales para una y dos vihuelas, in: Tesoro sacro musical 59 (1976).
VALEN, Olaf Fartein, * 25.8. 1887 Stavanger, t 14. 12. 1952 Haugesund; norwegischer Komponist. Er absolvierte 1909 ein Orgelexamen am Konservatorium in Oslo und studierte 1909-11 bei M. Bruch an der Musikhochschule in Berlin. 1927-35 war er Inspektor der Norsk Musiksamling in Oslo. 1935 erhielt er einen staatlichen Künstlerlohn, zog sich 1939 nach Valevág zurück und widmete sich ausschließlich der Komposition. V. entwickelte einen eigenständigen, freitonalen, polyphonen Stil. Sein Violinkonzert gilt als Markstein in der neueren norwegischen Musikgeschichte.
Lit: O. GURVIN, F. V. (Oslo 1962); B. J. KORTSEN, F. V., Life and Music, 3 Bde. (ebd. 1965); F. L WINDEBANIC, The Music of F. V., 1887-1952 (Diss. Lo 1973).
VALENTE, Antonio, it. Organist und Komponist der 2. Hälfte des 16. Jh. Seit früher Kindheit erblindet, ist er 1565-80 als Organist an S. Angelo a Nido in Neapel nachweisbar. Seine Intavolatura enthält alle zeitgenössischen Gattungen der Musik für Tasteninstrumente. Im Unterschied zu dieser primär wohl cembalistisch bestimmten Sammlung sind die Versi spirituali, die in Partitur notiert sind, eher für den organistischen Gebrauch gedacht. WW: Intavolatura de cimbalo, recercate, fantasie et canzoni francese (Neapel 1576); Versi spirituali sopra tutte le note con diversi canoni spartiti per sonar ne gli organi, messi vespere e altri officii divini (ebd. 1580). Ausg.: Versi spirituali, hrsg. v. I. FUSER (Padua 1958); Intavolatura de cimbalo, hrsg. v. CH. JACOBS (0 1973). Lit.: J. A. BURNS, Neapolitan Keyboard Music from V. to Frescobaldi (1953) (— Diss. Harvard Univ.) (mit vollständiger Ausg. der „Intavolatura de cimbalo"); DERS., A. V. Neapolitan Keyboard Primitive. in: JAMS 12 (1959).
VALENTE, Caterina Germaine Maria, * 14. 1. 1931 Paris; dt. Sängerin span.-it. Abstammung. C. V. kommt aus einer Artistenfamilie, trat 1937 in Stuttgart erstmals öffentlich als Sängerin auf und erregte 1953 durch ihre Mitwirkung als Jazzsängerin beim Orchester K. Edelhagen großes Aufsehen. Durch Tourneen, Filme, Rundfunk- und Fernsehproduktionen (u. a. im deutschen Fernsehen Bonsoir, Kathrin, 1957-64) sowie zahlreiche Schallplattenaufnahmen wurde C. V., die auch virtuos Gitarre spielt, rasch zu einem der vielseitigsten und erfolgreichsten Stars im internationalen Showbusiness. Zu ihren bekanntesten Schlagern gehören Melodia d'amore, Ganz Paris träumt von der Liebe, Malagueňa, The Breeze and I, Fiesta cubana und Hawaiiana Melodie. C. V.s Bruder, mit dem sie häufig zusammen auftritt, ist der Schlagersänger Silvio Francesco.
WW: 1) Instr.-WW: Stücke für Klv. u. Org.; 2 Streichquartette, op. 10 (1929) u. 13 (1931); Pastorale, op. 11 (1930); Le cimetiere marin, op. 20 (1934); La is/a de las calmas, op. 21 (1934); 5 Symphonien, op. 30 (1939), 40 (1944), 41 (1946), 43 (1949), 45 (1951); V.-Konzert, op. 37 (1940); Klv.-Konzert, op. 44 (1950). — 2) Vokal-WW: Lieder nach Gedichten v. J. W. von Goethe, Michelangelo, E. Mörike; Motetten für gem. Chor, Frauen- u. Männer-
VALENTIN, Erich, * 27. 11. 1906 Straßburg; dt. Musikforscher. Er studierte bei A. Sandberger an der Universität München und promovierte dort 1928. Nach einer Tätigkeit als Musikkritiker in Magdeburg unterrichtete er 1939-45 am Mozarteum in Salzburg und leitete dort das Zentralinstitut für Mozartforschung. 1949 wurde er Dozent an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold und lehrte seit 1953 (1955 Professor) Musikwissenschaft an der Musikhochschule in München, deren Direktor er 1964-72 war. Zu seinem 70. Geburtstag wurde ihm eine Festschrift gewidmet (hrsg. v. G. Weiß, Rb 1976, mit Bibliographie).
chor.
Schriften: Die Entwicklung der Tokkata im 17. u. 18.1h. (Mr
224
Valls 1930); G. Ph. Telemann (Burg 1931); Wege zu Mozart (Rb 1941, 4 1950); Mozart (Hameln 1947); Mozart, Wesen u. Wandlung (Salzburg 1953); Hdb. der Chormusik, 2 Bde. (Rb 1953-57, NA 1968); Hdb. der Instrumentenkunde (Rb 1954, erweitert °1974);
Musica domestic. Von Gesch. u. Wesen der Hausmusik (Trossingen 1959); Goethes Musikanschauung(Olten 1960); Telemann in seiner Zeit (H 1960) (- Veröff. der Hamburger Telemann-Ges. 1); Mozart and his World (Lo - NY 1970); Zeitgenosse Mozart. 4 Vorträge (Au 1971). - V. gab heraus: Hdb. der Schulmusik (Rb 1962), NA als Neues Hdb. der Schulmusik (Rb 1975) (zus. mit H. Hopf); Die ev. Kirchenmusik. Hdb. fürStudium u. Praxis(Rb 1967) (zus. mit H. Hofmann); Hdb. des Musikunterrichts fürMusikschullehrer u. freie Musikerzieher (Rb 1970). - V. war 1950-55 Hauptschriftleiter der ZfMund 1955-59 Schriftleiter der NZfM.
VALENTINI, Giovanni, * 1582 oder 1583 Venedig, t 25.4. 1649 Wien; it. Komponist. Er war Schüler von G. Gabrieli in Venedig und wirkte dann als Organist König Sigismunds III. in Polen. 1614 wurde er Organist der Hofkapelle Erzherzog Ferdinands in Graz, dem er nach dessen Kaiserkrönung (1619) nach Wien folgte; 1629 avancierte er dort zum Hofkapellmeister. V. führte in Wien den venezianischen Stil ein und legte die Grundlagen für die konservative Haltung, die bis J. J. Fux die Wiener Hofmusik prägte. WW: 5 Bücher (2 davon unvollständig) Canzoni, Madrigale, Musiche concertate bzw. Musiche da camera für 1-11 Si u. B.c. (V 1609-25); Musiche für 2 St. (V 1622). - Missee concertatae für 4, 6 u. 8 St. u. B.c. (V 1617); Salmi, hinni u.a. für l-4 St. u. B.c. (V 1618); Messa, Magnificat et Jubilate für 7 Chöre u. Trp. (unvollständig erhalten) u. Messen für 4 u. 8 St. u. B. c. ad lib. (V 1621); 5 geistliche Konzerte in RISM 1615". - Instr.-Kanzonen u. -Sonaten hsL erhalten. Lit.: H. FEDERHOFER, Musikpflege u. Musiker am Grazer Habsburgerhof der Erzherzöge Karl u. Ferdinand v. Inneröstr. (1564-1619) (Mz 1967); E. URBANEK, G. V. als Messenkomponist (Dias. W 1974).
VALENTINI, Giuseppe, * um 1680 Florenz oder Rom, t 1746 Florenz; it. Violinist und Komponist. V. war seit etwa 1708 bis 1712 Violinist des Fürsten Francesco Maria Ruspoli in Rom, dort vielleicht auch Schüler von A. Corelli und wirkte dann vermutlich im Dienst des Fürsten Michelangelo Caetani in Caserta. Seit 1735 scheint er in Florenz gelebt zu haben, trat aber in Rom bis 1746 als Komponist bei religiösen Anlässen in Erscheinung. Von V. haben sich nur Instrumentalwerke erhalten. Sie sind von Corelli beeinflußt und enthalten gelegentlich volkstümliche Elemente. WW: Idee per camera u. Allettamenti per camera für V. u. B. c. (R 1706-07 u.1714); für 2 V. u. B.c: Sinfonie (R 1701), Bizzarrie per camera (R 1703), Fantasie musicali (R 1706), Villeggiature armoniche (R 1707); Concerti grossi (Bol 1710); Concerti für Str. (A 1724).
Er war ein Schüler von G. M. Nanino, blieb aber als Musiker Amateur. Er galt als einer der besten Kontrapunktisten seiner Zeit. Dies bezeugen vor allem seine Kanons, darunter Illos tuos (R 1629) mit mehr als 2000 Resolutionsmöglichkeiten und der Canone nel Nodo (= Knoten) di Salomone für 96 bzw. 512 Stimmen (R 1631), die in Anspielung auf die Apokalypse auf 144000 vermehrt werden können. Die Kanons gehören auch in geradezu spektakulärer Weise zum sog. römischen Kolossalbarock. Als Theoretiker beschäftigte sich V. mit vielen Themen, u. a. mit den Tonarten. WW (in Rom gedruckt): 4 weitere einzelne Kanons, 2 davon für 5 Chöre (1631, 1645); postum erschienen: 4 Bücher Motetti bzw. Letanie o concerti für 2-4 St. u. B. c. (1654); je 2 Bücher Motetten für 1 St. u. B. c. (1654); Motetti per processioni für 4 St. (1655); Madrigale für 5 St. u. B. c. (1654); Canzonette e arie für 1-2 St. u. B.c. (1657); Canoni musicali (1655). - 17 musiktheoretische Schriften (hsl. erhalten). Lit.: L. KUNZ, Die Tonartenlehre des römischen Theoretikers u. Komponisten P. F. V. (Kas 1937); S. MARTINOTTI - A. ZIINo, V., in: Grove. XIX.
VALLOTTI (Valotti), Francesco Antonio, * 11.6. 1697 Vercelli, t 10. 1. 1780 Padua; it. Komponist und Musiktheoretiker. Er trat 1716 in das Minoritenkloster in Crest (Dauphiné) ein (Priesterweihe 1720) und kam über Mailand 1721 nach Padua. Dort war Francesco Antonio Calegari sein Kompositionslehrer, und 1722 wurde er 3. Organist, 1727 Vizekapellmeister und 1730 Kapellmeister an S. Antonio. Hier wirkte er bis an sein Lebensende, teilweise zusammen mit G. Tartini, der das Orchester leitete. V.s Ruhm als Kirchenkomponist und Vertreter einer kunstvollen kontrapunktischen Schreibweise war weit verbreitet und nachhaltig. Friedrich der Große bestellte bei ihm für die Einweihung der St. Hedwigskathedrale in Berlin u. a. ein Te Deum. Es ist dasselbe Stück, das später G. Verdi stark beeindruckte. V.s Bedeutung als Theoretiker, zumal in seinem Verhältnis zu J.-Ph. Rameau und Tartini, ist noch nicht erschöpfend untersucht. Eine wichtige Quelle hierfür sind auch die zahlreichen Briefe (u. a. an G. B. Martini). WW: Kompositionen (hsl. erhalten, meist für 4 St., auch mit Org. u. Str.): Einzelne Messesätze; zahlr. Psalmen, Antiphonen, Hymnen u. a. Offiziumsgesänge; Instrumentalfugen. - Schriften: Della scienza teorica e pratica della moderna musica, 4 Bücher, davon gedruckt nur Buch 1 (Padua 1779), NA als: Trattato della moderna musica, hrsg. v. B. Rizzi (ebd. 1950); die Bücher 2-4 u. weitere Traktate hsl. erhalten Lit.: O. WESSELY, J. J. Fux u. F. A. V. (Gr 1967) (- Jahresgabe der J.-J.-Fux-Ges. 1966); S. I-iANSELL, V., in: Grove. XIX.
Lit.: C. SARTORI, V., in: MGG XIII.
VALENTINI, Pier Francesco, * um 1570 Rom, t 1654 ebd.; it. Musiktheoretiker und Komponist.
VALLS, Francisco, * 27. 12. 1665 Barcelona, t 2.2. 1747 ebd.; span. Komponist. Er wurde 1688 Kapellmeister an der Kathedrale von Gerona und 225
Valse 1696 stellvertretender sowie 1709 regulärer Kapellmeister an der Kathedrale in Barcelona. V. war einer der bedeutendsten Kirchenkomponisten seiner Zeit in Spanien. Bekannt wurde er auch durch die 20jährige Kontroverse (mit über 50 Stellungnahmen spanischer Autoren) um eine unvorbereitete Nonendissonanz in seiner Missa Scala aretina, in die auch A. Scarlatti eingriff (Discorso di musica sopra un caso particolare, nur erhalten in dt. Übersetzung in: J. Ph. Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes, 1779). WW: 12 Messen für 2-16 St., teilweise mit Instr.; zahlr. Motetten, Psalmen, Responsorien, Magnificat u.a. Offiziumsgesänge. — Villancicos (Ba 1709), weitere mehr als 100 hsl. — Schriften: Respuesta ... (betr. die None in der Missa Scala aretina) (Ba 1716); Mapa armónico práctico (hsl., Verteidigung der span. gegen die it. u. frz. Musik). Lit.: J. LóPEz-CALO, L'intervento di A. Scarlatti nella controversia sulla Messa „Scala Aretina" di F. V., in: Anal. Mus. 5 (1968); DERS., V. and the Spanish Baroque, in: MT 113 (1972); F. J. LEÓN TELLO, La teoria esparňola de la música en los siglos 17 u. 18 (Ma 1974).
VALSE, LA, Choreographisches Gedicht in einem Akt. Musik: M. Ravel, UA: 12.5. 1929 Monte Carlo. Libretto und Choreographie: Bronislawa Nischinska. Dt. EA: 1965 Stuttgart (Württembergisches Staatstheater). Ursprünglich für die Ballets Russes komponiert, wurde Ravels Ballettmusik überraschenderweise von S. Diaghilew abgelehnt. Ida Rubinstein hingegen nahm die Komposition äußerst enthusiastisch auf und vermochte sie für ihre eigene Compagnie zu erwerben. Nach einem Gemälde von Eugène Lami (1800-90) wurden sowohl das Szenarium als auch das handlungslose Tanzgeschehen entworfen, das sich als „Danse macabre", als „phantastischer und unentrinnbarer Wirbel", als fiktiver, tödlich endender „Walzer im Rahmen eines kaiserlichen Hofes um 1855" (M. Ravel) vollzieht. In einem pointierten Arrangement künstlerisch-tänzerisch visualisiert, fand die Ballettmusik, die zuvor schon wiederholt mit großem Erfolg konzertant aufgeführt worden war, außergewöhnliche Anerkennung. Das Raffinement der Orchestrierung, die sublimen dynamischen Schattierungen sowie die kantablen melodischen Wendungen weisen das Werk als „Apotheose des Wiener Walzers" (M. Ravel) aus. - Neben der von Br. Nischinska kreierten Fassung erlangte vor allem die Version G. Balanchines (UA: 20.2. 1951 in New York, City Center) wohlwollende Beachtung, in der zwei Werke Ravels (La valse und Valses nobles et sentimentales) zu einer Ballettkomposition zusammenG. LUDIN gefügt wurden. VAMPYR, DER, Romantische Oper in 2 Akten 226
von H. Marschner, Text von Wilhelm August
Wohlbrück nach der gleichnamigen Erzählung (1819) von John Polidori (nicht, wie oft angegeben, nach einem Prosaentwurf Lord Byrons). Ort u. Zeit der Handlung: Schottland, im 17. Jh.; UA: 29.3. 1828 Leipzig. Wohlbrück hat die schauererregenden Ereignisse, die in der literarischen Vorlage erzählt werden, durch die Hinzufügung eines Liebeskonflikts und die aus der Märchenmotivik bekannte Aufgabenstellung für den Vampir, innerhalb eines Tages der Hölle drei Jungfrauen ausliefern zu müssen, um ein weiteres Jahr leben zu dürfen, dramatisch zugespitzt. Der Änderung im Handlungsverlauf ist der (im Gegensatz zur Erzählung) glückliche Ausgang der Librettofassung gemäß. Marschners Partitur offenbart den musikdramatisch stilistischen Umbruch der Zeit: Im Nebeneinander von zündenden it. Opernmelodien und dt. Singspielweisen, mit der zumeist dreiteiligen Anlage der geschlossenen Nummern, mit der Wahrung des Formschemas „Rezitativ und Arie" und mit dem gesprochenen Dialog hält Marschner an Konventionen der Oper fest. Der Aufbau musikalisch-szenischer Komplexe, die vielfältige Verwendung des AccompagnatoRezitativs, die geschickte Einlagerung melodramatischer Passagen in Szenenkomplexe und ausgefallene Instrumentierungen zur Charakterisierung des Höllischen repräsentieren „moderne" Züge im Bestreben um eine psychologisierende Gestaltung von Handlung und Figuren. Markantestes Beispiel für diesen musikdramatischen Stil - wie für die eigentümliche Version des Vampir-Stoffes - ist die Große Szene Nr. 14, in der Lord Ruthven auf schauerliche Weise das Verdammtsein zum Vampir beschreibt. J. SCHLÄDER VAN DAMME, Joseph, andere Namensform des Sängers José van r Dam. VANDER LINDEN, Albert Charles Gérard, * 8.7. 1913, t 22.7. 1977 Löwen ; belg. Musikforscher. Nach seiner Promotion an der Universität in Brüssel studierte er Musikwissenschaft in Lüttich, Brüssel und Basel. 1946 wurde er Sekretär der Société belge de Musicologie, lehrte 1948-53 Musikgeschichte am Athénée Royal d'Ixelles, seit 1956 am Institut Supérieur d'Histoire de l'Art et l'Archéologic und seit 1965 an der Universität in Brüssel. Außerdem wurde er 1951 Bibliothekar am Brüsseler Conservatoire und 1956 Vorsitzender der Internationalen Kommission der wissenschaftlichen Musikbibliotheken. Seit 1967 gehörte er auch der Académie Royale de Belgique an. V. redigierte seit
Varèse 1958 die Revue Belge de Musicologie, in der er zahlreiche eigene Beiträge veröffentlichte. Schriften: O Maus et la vie musicale belge(Bru 1950) sowie zahlr. Art. in Zschr.en u. Sammelwerken, u. a. in: Hommage á Ch. van den Borren (An 1945) u. Mélanges E. Classon (Bru 1948).
VANHAL (Vaňhall, Wanhal), Johann Baptist (Jan Křtitel), * 12. 5. 1739 Neu-Nechanitz (Ostböhmen; heute Nové Nechanice), t 20.3. 1813 Wien; böhmischer Komponist, Violinist und Organist. V. entstammte einer leibeigenen Bauernfamilie. Ersten Musikunterricht erhielt er mit 7 Jahren von einem Schullehrer in Marschendorf und Orgelunterricht seit etwa 1752 vom Schulrektor in Neu-Nechanitz. 1757 wurde er Organist in Opočno, 1759 Chorregent in Hněvčeves. Durch die Gräfin Schaffgotsch, die auf ihn aufmerksam geworden war, kam er 1761 nach Wien, wo er sich als Klavier- und Violinlehrer schnell einen Namen machte und sich freikaufen konnte. Auch war er dort Schüler K. Ditters von Dittersdorfs. Auf einer Italienreise 1769-71 lernte er Chr. W. Gluck und Fl. Gaßmann kennen. Die ihm angebotene Kapellmeisterstelle in Dresden konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht annehmen; er verbrachte die folgenden Jahre auf den ung. Gütern des Grafen J. Erdödy, bis er 1780 nach Wien zurückkehrte.
Lit.: P. R. BRYAN, The Symphonies of J. V., 2 Bde. (1956) (- Diss. Univ. of Michigan) (mit thematischem Verz.); C. SCHOENBAUM, Die böhmischen Musiker in der Musikgesch. Wiens v. Barock bis z. Romantik, in: FS E. Schenk (1962) (- StMw 25); L. MEIEROTT, Die Schlacht bei Würzburg 1796 als Vorlage musikal. Kompositionen, in: Mainfränkisches Jb. für Gesch. u. Kunst 23 (1971); M. POšTOLK.A, V., in: Grove6 XIX (mit der tschech. Lit.). G. SCHUHMACHER
VARADY, Julia, * 1.9. 1941 Oradea (Siebenbürgen); rumänische Sängerin (jugendlich dramatischer Sopran). Sie erhielt ihre Ausbildung bei Emilia Popp in Klausenburg, debütierte dort 1962, war 1972-73 Mitglied der Oper in Frankfurt am Main und gehört seitdem der Bayerischen Staatsoper in München an. Auftritte beim Edinburgh Festival (1974), bei den Salzburger Festspielen (1976) und an der Metropolitan Opera in New York (1977) machten sie international als prominente Sängerin vor allem in Mozart-, Verdi- und Puccini-Partien bekannt. 1978 sang sie bei der UA der Oper Lear von A. Reimann die Rolle der Cordelia. J. V. ist mit dem Sänger D. Fischer-Dieskau verheiratet.
V. war der erste Komponist, der vom Erlös seiner Kompositionen und des Unterrichts lebte. Von seinen Zeitgenossen wurde er hoch geschätzt; J. Haydn und W. A. Mozart führten Werke von ihm auf. Symphonien, Klavier- und Kammermusikwerke erschienen in Wien, London, Paris, Lyon, Mainz, Berlin, Bonn und Hamburg im Druck; andere Kompositionen wurden hsl. in ganz Europa verbreitet. Soweit sein Werk erforscht ist, liegt V.s Bedeutung in der Symphonik und Kammermusik, während vieles von seiner Klaviermusik zur Tagesproduktion für den Unterricht gehört. Seine Melodik ist zuweilen durch die böhmische Volksmusik geprägt.
VARESE, Edgard (Edgar) Victor Achille Charles, * 22. 12. 1883 Paris, t 6. 11. 1965 New York; amerik. Komponist frz. Herkunft. V. studierte in Paris seit 1904 an der Schola Cantorum (V. d'Indy, A. Roussel) und seit 1905 am Conservatoire (Ch.-M. Widor), arbeitete dann als Komponist und Dirigent in Paris und Berlin (1908-13). Er wurde von Cl. Debussy, F. Busoni und R. Strauss gefördert, der ihm in Berlin 1910 die Uraufführung der symphonischen Dichtung Bourgogne für großes Orchester ermöglichte. Fast alle seine bis 1913 entstandenen Partituren sind verschollen (u. a. die Rhapsodie romane für Orchester, 1906, und die Oper bdipus und die Sphinx nach H. von Hofmannsthal; die Partitur Bourgogne hat V. 1961 vernichtet). 1915 wanderte V. in die USA aus und erhielt 1927 die amerik. Staatsbürgerschaft. In New York wirkte er als Dirigent (z. B. 1919 mit dem auf Neue Musik spezialisierten New Symphonic Orchestra) und als einflußreicher Veranstalter von Konzerten mit Neuer Musik in der International Composer's Guild (ICG), die 1922-27 u. a. Werke von M. Ravel, I. Strawinsky, A. Schönberg, A. Webern und V. aufführte; nach der Auflösung der ICG war V. 1928 Mitbegründer der Pan American Association of Composers.
Ausg.: Konzert für Kb. u. Orch., hrsg. v. H. HERMANN (Partitur) - M. SCHLENKER (Klv.-A.) (L 1957); Sinfonia g-moll, hrsg.v. H. C. R. LANDON (W 1965) (- Diletto musicale 38); Klar.-Sonate Es-Dur, hrsg. v. D. STOFER (MZ 1971) (- Klar.-Bibi. 14); Trio a Serenade, in: H. UNVERRICHT, Die Kammermusik (Kö 1972) (- Das Musikwerk 46); Org.-Konzert, hrsg. v. F. HASELBöcK, u. Va.-Sonate Es-Dur, hrsg. v. A. WEINMANN (W 1973) (- Diletto musicale 562 u. 544).
WW: Amériques für groBes Orch. (1920-21); Offrandes für Sopran u. Kammerorch. (1921); Hyperprism für kleines Orch. u. Schlaginstr. (1922-23); Octandre für 6 Bläser u. Kontrabaß (1923); Intégrales für kleines Orch. u. Schlaginstr. (1923-25); Arcana für groBes Orch. (1926-27); Ionisation für 13 Schlagzeuger (1930-31); Ecuatorial für Baß u. Instr.-Ensemble (rev. Fassung für Chor aus Baßstimmen u. Instr. 1961); Density 21.5 für Fl. (1936); Déserts für Orch. (1950-54) u. Tonband-Interpolationen
WW: Im Druck erschienen: Sonaten (auch mit programmatischem Titel), Capricci u. a. für Klv.; Fugen u. a. für Org.; Duos für Fl., V. u. a. Instr. und für V. u. Klv.; Trios für Str., für Str. u. Bläser und mit Klv.; 72 Streichquartette, Quartette mit Bläsern u. mit Klv.; 6 Streichquintette; etwa 73 Symphonien; Konzerte für verschiedene Instr. - Deutsche Kinderlieder (W 1796) u. weitere Klv.-Lieder. - Etwa 60 Messen, davon 2 gedruckt (W 1818); etwa 60 Motetten u. weitere kirchenmusikal. Werke hsl. - Lehrwerk: Anfangsgründe des Generalbasses (W 1817).
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Varèse (1954, 3 Neufassungen 1959-61); Poème électronique (1957 bis 1958, für die Brüsseler Weltausstellung 1958) für 3 Tonbandgeräte, 425 Lautsprecher und 20 Verst.ärkerkombinationen; Nocturnal für Sopran, Chor aus Baßstimmen u. Orch. (1960-61) (unvollendet, nach Skizzen ergänzt v. Chou Wen-chung).
Die meisten Werke V.s entstanden in den Jahren 1920-36. Sie sind gekennzeichnet durch kompliziert-aperiodische Rhythmik, durch konsequent chromatische Melodik und Harmonik sowie durch markante Geräuschstrukturen (meistens realisiert mit stark besetztem Schlagzeug). In den Werken für großes Orchester tritt das Schlagzeug gleichwertig neben die Tonhöheninstrumente (Amériques, Arcana). In verschiedenen Ensemblestücken treten Sirenen- und Geräuschstrukturen zunehmend in den Vordergrund (in Hyperprism werden 16 Schlaginstrumente verwendet, in Intégrales 17 ; in Ionisation für 36 Schlaginstrumente mit 13 Spielern kommen fast ausschließlich Geräusche vor). Nur 2 Kompositionen aus dieser Zeit kommen ohne Schlagzeug aus (Octandre für 6 Bläser und Kontrabaß, Density 21.5 für Flöte). In den vokalinstrumentalen Werken vollzieht sich eine Umorientierung von der illustrierenden Textvertonung (Of?randes) zur Komposition musikalisierter Sprachlaute (Ecuatorial; noch wesentlich weiter geht er hierin später im unvollendeten Nocturnal). In Ecuatorial verwendete V. erstmals elektrogene Instrumente (Theremin-Instrumente, die in der revidierten Fassung von 1961 durch 2 Ondes Martenot ersetzt wurden). Damit löste er ein, was er schon 1907 als ästhetische Forderung Busonis kennengelernt und selbst 1916 öffentlich vertreten hatte. Zu der damals von V. avisierten interdisziplinären Zusammenarbeit bei der klanglichen Weiterentwicklung der Musik kam es aber nicht. Vergeblich bemühte sich V. um die Einrichtung eines Experimentalstudios mit Hilfe der Bell Telephone Laboratories (1927) oder der Filmindustrie (1940). Er geriet in eine lang andauernde Schaffenskrise, die erst in den 50er Jahren durch zwei große Werke mit elektroakustischer Ausstattung überwunden wurde: Déserts und Poème électronique. In seiner geradlinigen Entwicklung, die traditionelle Ton- und Klangordnungen Schritt für Schritt überwand, hat V. die Musik nach 1945 nachhaltig beeinflußt. Lit.: E. VARÈSE, Erinnerungen u. Gedanken, in: Darmstädter Beitr. Z. neuen Musik 3 (1960); G. CHARBONNIER, Entretiens avec E. V. (P 1970) (mit einem analytischen Essay v. H. Halbreich); K. BOEHMER, Über E. V., in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1972); R. BRINKMANN, Anmerkungen zu V., in: ebd.; H. JOLIvtir, V. (P 1973); F. OIJELLETrE, E. V. (P 1973); L VARÈSE, V., A Looking-glass Diary, I: 1883-1928 (NY 1973); O. VIVIER, V. (P 1973); E. V. Rückblick auf die Zukunft, hrsg. v. H. K. METZGER - R. RIEHN (Mn 1978) (— Musik-Konzepte 6) (mit Werk-Verz., R. FRISIUS Bibliogr. u. Diskographie).
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VARGA, Tibor, * 4.7. 1921 Györ (Raab); ung. Violinist. Er studierte 1931-38 an der Musikakademie in Budapest bei J. Hubay und C. Flesch, debütierte mit 10 Jahren und begann 2 Jahre später seine internationale Karriere. 1949 wurde er Professor an der Nordwestdeutschen Musikakademie (heute Musikhochschule) in Detmold. Dort gründete er 1954 ein eigenes Kammerorchester, mit dem er auch seit 1964 jährlich bei dem Festival T. V. in Sion (Schweiz) auftritt. V. gilt als engagierter Interpret besonders zeitgenössischer Werke. Die Solokonzerte von B. Bartók, A. Berg und A. Schönberg verdanken V. ihren eigentlichen Durchbruch in Deutschland. Lit.: R. CANTIENI, Une leçon d'authenticité. Cours T. V. à Sion. in: SMZ 107 (1967).
VARIABLE MEEREN, erstmals von B. Blacher gebrauchte Bz. für übergeordnete metrische Einheiten, die nach mathematischen Gesetzen gebildet werden. So sind z. B. in seinem Klv.-Stück Ornament die Takteinheiten als arithmetische Reihe aufgebaut (%, %, % usw.). V. als formstiftendes Mittel wurden außer von Blacher (Klv.-Konzert op. 42, Ornament op. 44 für Orch.) auch von K. A. Hartmann (Konzert für Klv., Bläser und Schlagzeug, 1954) und H. W. Henze (Streichquartett, 1952) verwendet.
VARIANTE bezeichnet im philologischen Sinn eine Stelle oder einen Abschnitt eines Musikstücks in einer von der originalen Lesart abweichenden Fassung. Zum Unterschied von „Version", bei der es sich auch um die völlige Neukomposition eines Satzes handeln kann (so hat z. B. W. A. Mozart für seine Symphonie D-Dur, KV 297, 2 langsame Sätze komponiert, von denen aber nur einer gespielt werden soll), bezieht sich die V. stets auf eine nur in geringem Maße vom Original abweichende Aufzeichnung. Liegen von einer Komposition mehrere als original anzusehende, aber durch leichte Abweichungen gekennzeichnete Quellen vor (z. B. ein Autograph und ein Originaldruck), so ist im Falle einer Neuedition seitens des Herausgebers im Kritischen Bericht darauf hinzuweisen. Eine V. nennt man auch die vereinfachte Fassung einer im Originaltext schwer auszuführenden Stelle. Die vereinfachte V. wird in den Noten durch die Bz. ossia (it., = oder) angezeigt. - In der Harmonielehre H. Riemanns wird die nicht durch eine Modulation erzielte Wendung eines DurDreiklangs nach Moll als Moll-V. bezeichnet. - In satztechnischem Sinn bezeichnet V. die Variation eines Themas in Details bei gleichzeitiger Wahrung seiner Gestalt als Ganzes. Diese Art der Va-
Variation riantenbildung drang aus der Liedkomposition (V.n einer Melodiezeile bei wechselndem Text) in die Instrumentalmusik ein (Fr. Schubert, G. Mahler); in ihrem lyrisch-epischen Charakter ist sie dem „dramatischen" Prinzip der r thematischen Arbeit entgegengesetzt. VARIATION (von lat. variatio = Verschiedenheit), in der Musik Bz. für die Veränderung einer vorgegebenen musikalischen Substanz hinsichtlich ihrer melodischen, rhythmischen, harmonischen oder satztechnischen Erscheinung. Dabei gilt es, der vorgegebenen Substanz ihren Modellcharakter dadurch zu bewahren, daß jede ihr folgende V. herausragende Elemente des Vorgegebenen beibehält, um diesem so auch bei weiterreichenden Abwandlungen seine stete Gegenwärtigkeit zu sichern. Die beiden musikalischen Urprinzipien Wiederholung und Kontrast bestimmen somit auch das Wesen des Variierens. Da die vorgegebene musikalische Substanz auch seitens des Hörers als ein den V.en zugrunde liegendes Modell erkannt werden und in Erinnerung bleiben soll, wird sie einen gewissen äußeren Umfang nicht überschreiten dürfen. Es gibt Fälle, in denen die zu variierende Substanz nur aus ganz wenigen Einzeltönen besteht, so z. B. das absteigende Tetrachord: oder auch das oft bearbeitete BACH-Thema: Nur in Ausnahmefällen geht das abzuwandelnde Modell über den Umfang eines Volkslieds hinaus. - Das Verfahren, eine vorgegebene Tonfolge in veränderter Erscheinungsweise zu wiederholen, ist vermutlich so alt wie die Musik überhaupt. Es ist weder an einen bestimmten kulturellen Entwicklungsstand gebunden (setzt also nicht das Vorhandensein einer Tonschrift voraus), noch gehört es festumgrenzten gesellschaftlichen Bereichen an. Wir begegnen dem V.s-Prinzip bei Naturvölkern und in Hochkulturen aller musikgeschichtlich erfaßbaren Epochen, und es gehört sowohl der sakralen als auch der weltlich-profanen Musikausübung an. Die ältesten Schriftdokumente für die Anwendung des V.s-Verfahrens finden wir im Zusammenhang mit den Notre-Dame-Organa und bei der frühen Motette. So konnten innerhalb eines Organums des beginnenden 12. Jh. nebeneinander mehrere Clausulae erscheinen, die zueinander in variativer Beziehung stehen, und in der isorhythmischen r Motette des 14. Jh. ist die mehrmalige Wiederholung eines feststehenden rhythmischen Modells
bei wechselnder melodischer Materie (OTalea) zu beobachten, wodurch sich ebenfalls ein V.s-Zusammenhang ergibt. In der polyphonen r Messe des 15.-16. Jh. gewinnt das V.s-Verfahren besonders dann an Bedeutung, wenn den 5 Ordinariumsteilen ein gemeinsamer C. f. oder eine vorgegebene mehrstimmige Komposition zugrundeliegt, also bei Tenor-Messen und Parodie-Messen. Seit dem 15. Jh. begegnen wir auch im Bereich der weltlichen Musik erstmals in größerem Umfang schriftlich aufgezeichneten V.en, wobei aber nicht daran zu zweifeln ist, daß es auch in der älteren schriftlosen Sphäre der europäischen Spielmannsmusik schon immer eine reiche, auf Improvisation beruhende V.s-Praxis gegeben hat. In der vorzugsweise instrumental ausgeführten Tanzmusik des 15.-16. Jh. (~ Basse danse) war es üblich, eine zumeist in primitiver Notation festgehaltene Gerüstmelodie improvisierend auszuzieren (zu kolorieren) und bei der folgenden Wiederholung des Stücks metrisch zu verändern. Die so entstehende Abfolge eines im geraden Takt ausgeführten Vortanzes und eines nachfolgenden, im Dreiertakt (Proportio tripla) stehenden Nachtanzes stellt eine wichtige Stufe auf dem Wege zur Suite des 17. Jh. dar, in der wir ebenfalls des öfteren eine auf gleicher melodischer und harmonischer Materie fußende zyklische Bindung von 2 oder mehr metrisch unterschiedlichen Sätzen finden (z. B. Pavane - Galliarde, Passamezzo - Saltarello, Allemande - Courante). Daneben ist auf die im 15.-16. Jh. übliche Übertragung vokaler Vorlagen (Motetten, Liedweisen u. a.) auf zu polyphonem Spiel befähigte Instrumente (Tasteninstrumente, Laute, Gitarre) hinzuweisen. Das künstlerische Ziel des r Intavolierens bestand einerseits darin, die präexistente Vokalkomposition auch in der kolorierten Fassung durchscheinen zu lassen, zugleich aber galt es, sich so weit von ihr zu lösen, daß auch der Spielfreude des Instrumentalisten Genüge getan wurde, um so eine eigenständige und auf ihre Weise „originale" Instrumentalmusik entstehen zu lassen. In der r Versetten-Praxis des 15.-18. Jh. ist bis zu einem gewissen Grade noch die Möglichkeit gegeben, den direkten V.sZusammenhang von vokalem Modell und instrumentaler Variation nebeneinander zu hören. - Seit dem 16. Jh. begegnen wir dem V.s-Begriff in der uns geläufigen Bedeutung von „Thema mit Variationen" (auch „Aria con variazioni", „Aria variata", „Air varié", „Variationes super ...", „Veränderungen über ..."). Es handelt sich dabei stets um eine Aneinanderreihung mehrerer in sich abgeschlossener Stücke, denen ein gemeinsames musikalisches Modell, eben das „Thema", zugrunde liegt, das sie auf unterschiedliche Weise verändern. 229
Variation Im Regelfall wird das Thema bei der praktischen Ausführung des Zyklus in originaler Gestalt der 1. V. vorangestellt, doch gibt es auch Fälle, in denen auf das einleitende Zitat des noch unveränderten Themas verzichtet wird. Die um diese Zeit in Italien, Spanien, England, seit 1600 auch in den Niederlanden und in Deutschland entstehenden V.s-Zyklen weisen bereits die Mehrzahl der bis zum 20. Jh. wesentlichen V.s-Mittel auf: So kann z. B. eine V.s-Reihe dadurch entstehen, daß ein Choral- oder Lied-C. f. in allen Sätzen beibehalten wird, während die Zusatzstimmen verändert werden. In der Basso ostinato-V. verändern sich die Oberstimmen über der aus einer feststehenden Tonfolge gebildeten Baßstimme (r Passacaglia, r Chaconne, l Ground). Es kann aber auch die Themenmelodie selbst einer steten Modifizierung unterworfen werden, wobei dann häufig die Harmoniefolge in allen Sätzen unverändert bleibt. Das kompositionsästhetische Problem, den reinen Reihungscharakter einer V.s-Folge zu überwinden und den Eindruck einer zyklisch in sich abgeschlossenen Großform zu erzielen, suchten die Komponisten auf verschiedene Weise zu lösen. Neben dem eher vordergründigen Verfahren, die Bewegtheit der Sätze sukzessiv zu steigern bzw. zu reduzieren, neigte man schon bald dazu, zyklusbildende Formungsschemata, die bereits im Rahmen anderer Gattungen entwickelt und erprobt worden waren, auch auf dem Gebiet der V. anzuwenden. So wurde z. B. das Da capo-Modell der neapolitanischen Opernarie auf den V.s-Zyklus übertragen, indem das Thema nach der letzten V. noch einmal in seiner Originalgestalt wiederkehrt. Im späten 18. und im 19. Jh. versuchte man auch, Elemente der Sonate in den V.s-Zyklus zu integrieren (langsame Einleitung, Takt-, Tempo- und Charakterwechsel von Satz zu Satz, Ausgestaltung der letzten V. zu einem „Finale" u. a.). Auch wurde versucht, eine Verbindung von Rondoform und V.s-Zyklus zu erzielen durch eine variative Behandlung des Rondothemas (sog. Variationsrondo). Seit dem 18. Jh. wurden gelegentlich auch ganze Sonatensätze als V.s-Zyklus gestaltet (so z. B. W. A. Mozart, Sonate KV 331; L. van Beethoven, Sonate op. 26). - V.en über Choralmelodien erhielten oft die Bz. Choralpartita. - Ein besonderer V.en-Typus wurde von den engl. Virginalisten um 1600 entwickelt. In ihrem umfangreichen Klavierwerk finden wir neben „normalen" V.s-Zyklen (z. B. die „Walsingham"V.en von W. Byrd und J. Bull) auch V.s-Reihen, bei denen jede V. nochmals in sich eine Variierung erfährt, indem in jedem Satz eine zeilenweise Veränderung vorgenommen wird, das heißt: Innerhalb jedes Satzes findet ein Variierungsprozeß 230
nach dem Schema a-a'/b-b'/c-c' usw. statt. Allein das r Fitzwilliam Virginal Book enthält über 200 V.en oder Tänze mit variierten Teilwiederholungen. Diesem Schema folgen später J. P. Sweelinck und sein Schülerkreis in ihren weltlichen LiedV.en. - Die sog. Goldberg-V.en (BWV 988) von J. S. Bach stellen ein Gipfelwerk der V.s-Gattung (und der Klaviermusik insgesamt) dar. Dieser nach einem symmetrischen Gesamtplan angelegte Zyklus von 30 V.en über einem vorgegebenen Baßgerüst vereinigt in sich nahezu alle denkbaren Variierungsmöglichkeiten, indem in ihm tänzerische, virtuos-klavieristische und kontrapunktische Gestaltungsmittel in höchster Vollendung eingesetzt und zu einer in sich geschlossenen Großform von geradezu enzyklopädischer Gesamtschau vereinigt werden. Sowenig ein solches Werk als zeittypisch bezeichnet werden kann, so wenig konnte es als Vorbild für die nachfolgende Komponistengeneration dienen. Dasselbe gilt für Bachs weiteres spätes V.s-Schaffen : für die Canonischen Veraenderungen Ober das Weynacht-Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her(BWV 769), für das Musicalische Opfer (BWV 1079) und für Die Kunst der Fuge (BWV 1080). - Die zumeist für das Klavier bestimmten V.en des späteren 18. Jh. gehören fast ausnahmslos dem Typus der Melodie-V. (mit konstanter Harmoniefolge) an, bei dem das vorgegebene Thema figurativ verändert wird. Die auffallende Bevorzugung dieses V.s-Typus hatte neben musikalischen und stilistischen Gründen auch eine gesellschaftsgeschichtliche Ursache : Die sich während der 2. Hälfte des 18. Jh. in Deutschland vollziehende Emanzipation des Bürgertums hatte die Schaffung einer eigenständigen Hausmusikkultur zur Folge. Dazu gehörte neben der zunehmenden Pflege des l vierhändigen Klavierspiels das Spielen von V.en über beliebte und modische Themen (Lieder, Anetten usw.) in einer dem dilettierenden Spieler angepaßten Machart. Der seit etwa 1770 zu beobachtende Brauch, grundsätzlich geläufige Themen zu variieren, erleichterte sowohl dem Spieler als auch dem Hörer von vornherein den „Einstieg", daneben aber kam das kompositorische Verfahren, jeder V. eine spezifische Spielformel zugrunde zu legen, mittels deren die betreffende V. sodann nahezu allein ausgearbeitet wurde, dem technischen Vermögen des Laien überaus entgegen - hatte er die Formel erst einmal im Griff, war sogleich auch der weitere Verlauf der jeweiligen V. spieltechnisch erfaßt. Diese Zugehörigkeit zur Gesellschaftskunst des späten 18. Jh., und das bedeutet: die Zugehörigkeit zum Typus der figurativen V., ist der wichtigste gemeinsame Bezug, der die V.s-Zyklen vorklassischer Kleinmei-
Varnay ster mit denen von J. Haydn und Mozart verbindet. Unter den zahllosen V.s-Reihen, die zwischen dem Ende des Barock und dem Beginn der Wiener Klassik komponiert wurden, ragen die 1778 entstandenen V.en über Les folies d'Espagne (La follia) von C. Ph. E. Bach besonders heraus. Mozart dürfte der erste gewesen sein, der seine V.s-Zyklen durch die bewußte Einbeziehung von Elementen der klassischen Sonate (Adagio-V. an vorletzter Stelle, Ausformung der letzten V. als Finale) anreicherte und ihnen damit, erstmals seit J. S. Bach, wieder die Geschlossenheit einer den Reihungscharakter überwindenden Großform garantierte. Seinem Vorbild folgten Beethoven, C. M. von Weber und der junge Fr. Schubert. Dabei muß freilich darauf hingewiesen werden, daß - wie im Falle der Goldberg-V.en - Werke wie Beethovens DiabelliV.en oder das V.s-Finale seiner Sonate op. 111, erst recht die V.en op. 34 u. 35 und die Finali der Sinfonia eroica und der 9. Symphonie sich einer gattungsgeschichtlichen Einordnung weitgehend entziehen. - Dem romantischen Streben nach einer poetisierenden Verklanglichung von Seelenzuständen kam das V.s-Prinzip insofern entgegen, als es die Möglichkeit bot, mit der Abfolge der einzelnen Sätze zugleich den ständigen Wechsel psychischer Situationen zu spiegeln. Ohne dabei gleich an Programmusik zu denken, lassen sich solche mittels einer V.en-Reihe geschaffenen musikalischen Psychogramme bei Werken wie den Études symphoniques, op. 13 von R. Schumann (1834) oder den Variation sérieuses, op. 54 von F. Mendelssohn Bartholdy (1841) durchaus erkennen. Die demgegenüber eher klassizistische Haltung J. Brahms' bestimmt auch seine V.s-Werke, von denen die V.en fiber ein Thema von G. Fr. Händel, op. 24 (1862) im besonderen genannt seien. Seinem Vorbild folgten vornehmlich A. Dvořák, M. Reger, C. Franck, G. Fauré u. a. Wenngleich die Mehrzahl der V.s-Zyklen seit 1600 für das Klavier bestimmt ist, so darf nicht übersehen werden, daß auch die Kammermusik, die symphonische Musik und gelegentlich auch die Vokalmusik V.s-Werke allerersten Ranges aufweisen. Doch erscheinen die V.en hier zumeist nicht als separate Werke wie in der Klaviermusik, sondern im Rahmen einer übergeordneten Gattung, z. B. innerhalb eines Streichquartetts, einer Violinsonate oder einer Symphonie; die Opern- und Kantatenliteratur des Barock enthält bedeutende Beispiele für Arien, die auf der Grundlage eines ostinaten Baßthemas gebaut sind. Zu den großen eigenständigen symphonischen V.s-Zyklen gehören etwa die Orchestervariationen von Brahms (Haydn-V.en, op. 56a), M. Reger (Beethoven-V.en, op. 86; Hil-
ler-V.en, op. 100; Mozart-V.en, op. 132), A. Schönberg (V.en für Orch., op. 31) und P. Hindemith (Philharmonisches Konzert, 1932; Der Schwanendreher, 1935; Symphonische Metamorphosen über Themen von C. M von Weber, 1943). - Unübersehbar sind all die nicht als V.s-Zyklus gekennzeichneten, aber gleichwohl auf dem V.s-Prinzip beruhenden Gestaltungen innerhalb anderer Gattungen. Es gibt in der Instrumentalmusik der zurückliegenden 200 Jahre ungezählte Beispiele, deren Wesensmerkmal ein unausgesetztes Variieren ist. Das gilt für das Schaffen des späten Haydn und das von Beethoven in gleichem Maße wie für das gesamte Instrumentalwerk von Brahms und nicht zuletzt für die Klavierparaphrasen von Fr. Liszt. Für die Vertreter der Zwölftonmusik seit Schönberg und die der seriell strukturierten Musik seit A. Webern, O. Messiaen und P. Boulez gewann das V.s-Prinzip und mit ihm die alte Gerüsttechnik wieder eine geradezu existentielle Bedeutung. In der Musik seit etwa 1970 beansprucht überdies das improvisierte Variieren einer vorgegebenen musikalischen Substanz wieder zunehmende Beachtung, wobei die Einbeziehung asiatischer Musizierpraktiken, vor allem indischer, zweifellos richtungweisende Anstöße gegeben hat. Lit.: M. FRIEDLAND, Zeitstil u. Persönlichkeitsstil in den Variationswerken der musikal. Romantik (L 1930); J. MÜLLER-BLATTAU, Gestaltung — Umgestaltung. Stud. z. Gesch. der musikal. V. (St 1950); H. CH. WOLFF, Die Variationstechnik in den frühen Messen Palestrinas, in: AMI 27 (1955); K. VON FISCHER, Die V. (Kö 1956) (— Das Musikwerk 11); B. HANSEN, V. u. Varianten in den musikal. Werken F. Liszts (Diss. H 1959); A. ALBRECHT, Die Klaviervariation im 20. Jh. (Diss. Kö 1961); E. APFEL, Ostinato u. Kompositionstechnik bei den engl. Virginalisten der elisabethanischen Zeit, in: AfMw 19/20 (1962/63); K. VON FISCHER, Zur Entstehungsgesch. der Orgelchoral-V., in: FS F. Blume (Kas 1963); K. GEIRINGER, Bemerkungen z. Bau von Beethovens Diabelli-V.en, in: FS H. Engel (Kas 1964); P. S. ODEGAR, The V. Sets of A. Schönberg (Berkeley 1964) (— Diss. Univ. of CaliforH. WOHLFARTH nia).
VARNAY, Astrid Ibolyka Maria, * 25.4. 1918 Stockholm ; amerik. Sängerin ung. Herkunft (Sopran). Als Tochter eines Sängerehepaares, das seit 1920 in den USA lebte, erhielt sie ersten Gesangsunterricht bei ihrer Mutter, später in New York bei Hermann Weigert, mit dem sie sich 1944 verheiratete. 1941 debütierte sie an der Metropolitan Opera in New York als Sieglinde in Die Walküre von R Wagner, wobei sie für die erkrankte Lotte Lehmann einsprang. Erst 1948 trat sie erstmals in Europa auf, anfangs an der Covent Garden Opera in London und in Florenz; 1951-67 zählte sie zu den Stammkünstlern der Bayreuther Festspiele, u. a. als Senta, Brunhilde und Isolde. 1952 wurde sie Mitglied der Münchner Staatsoper und sang vor 231
Varviso allem auch in Berlin und Wien. 1970 erhielt sie eine Professur am Düsseldorfer Konservatorium. A. V. zählt zu den herausragenden Wagner-Interpretinnen des 20. Jahrhunderts. Lit.: B. W. WESSLING, A. V. (Bremen 1965).
VARVISO, Silvio, * 26.2. 1924 Zürich ; Schweizer Dirigent. Er studierte am Konservatorium seiner Heimatstadt bei P. Müller-Zürich, wurde 1946 am Stadttheater St. Gallen Kapellmeister und wirkte 1950-58 am Stadttheater Basel (seit 1956 als musikalischer Oberleiter), wo er u. a. die Uraufführungen von H. Sutermeisters Opern Die schwarze Spinne und Titus Feuerkopf dirigierte. Später war er als Gastdirigent tätig, u. a. 1958-61 an der Städtischen Oper Berlin und 1962 an der Covent Garden Opera in London. Im selben Jahr wurde er ständiger Dirigent der Metropolitan Opera New York, wo er auch die letzte Aufführung in der alten „Met" leitete. 1965-72 war er Musikdirektor der Königlichen Oper Stockholm und 1972-79 GMD der Württembergischen Staatsoper Stuttgart. Heute ist V., der u. a. auch beim Glyndebourne Festival und bei den Bayreuther Festspielen dirigierte, künstlerischer und musikalischer Leiter der Pariser Opéra. VARVOGLIS, Marios, * 10. (22.) 12. 1885 Brüssel, t 30.7. 1967 ebd.; griech. Komponist. Er lebte 1902-20 in Paris, wo er bei X. Leroux, G. Caussade und V. d'Indy studierte, dazwischen in Wien und Düsseldorf und unterrichtete nach seiner Rückkehr in die Heimat 1920-24 in Athen am Odion Athinon, dann am Hellenekon Odeion, das er seit 1937 zusammen mit A. Evangelatos leitete. 1957 wurde er Präsident des griech. Komponistenverbands. WW: Klv.- u. Kammermusik, u.a. ein Streichquartett (1912); Pimeniki suita (Pastoralsuite) für Streicher (1912). - Für Orch.: To panijiri (Die Kirmes) (1909); symphonisches Vorspiel Daphnes ká kiparissia (Lorbeerbäume u. Zypressen) (1950); Elliniko kapritsio (Griech. Capriccio) (1914) für Vc. - Opern: Ajia Varvara (Heilige Barbara) (1912) (fragmentarisch erhalten); Apojewma tis agapis (Nachmittag der Liebe), UA: Athen 1944.
VASQUEZ, Juan, * um 1500 Badajoz (Estremadura), t um 1560 Sevilla; span. Komponist. Er ist 1551 als Musiker bei Don Antonio de Zúňiga in Osuna (Andalusien) nachweisbar, wurde 1556 zum Priester geweiht und stand um 1560 im Dienst von Don Gonzalo de Moscoso y Cásceres Penna in Sevilla. V. ist der Hauptvertreter des ř Villancico in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. WW: Villancicos y canciones für 3-5 St. (Osuna 1551); Agenda defunctorum (Gesänge der Totenliturgie) für 4 St. (Sevilla 1556); Recopilación de sonetos y villancicos für 4-5 St. (ebd. 1560); Vi-
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Ilancicos für u. mit Vihuela auch in den Tabulaturen v. E. Valderrábano, D. Pisador u. M. de Fuenllana. Ausg.: Recopilación de sonetos ..., hrsg. v. H. Angles (Ba 1946) (- MMEsp 4); für die Tabulaturen siehe die genannten Autoren. Lit.: M. SCHNEIDER, Ein heute noch lebendes Volkslied bei J. V., in: Anuario Mus. 15 (1960); E. A. RUSSELL, Villancicos and Other Secular Polyphonic Music of J. V. A Courtly Tradition in Spain's „siglo del oro" (1970) (- Diss. Univ. of Southern California); DIES., The Patrons of J. V. A Biographical Contribution, in: Anuario Mus. 26 (1971); J. V. Polifonista pacense del siglo XVI, hrsg. v. F. PEDRAJA MuŇoz (Badajoz 1974).
VAET, Jacobus, * 1529 Courtrai oder Harelbeke (Westflandern), t 8. 1. 1567 Wien; franko-flämischer Komponist. Er wurde 1543 Chorknabe an Notre-Dame in Courtrai, wo N. Gombert eine Pfründe besaß. 1547 immatrikulierte er sich an der Universität Löwen. 1550 ist er als Tenor bei der Flämischen Kapelle von Kaiser Karl V. nachweisbar, aber schon 1553 stand er in Diensten des Erzherzogs Maximilian, dessen Kapellmeister er auch blieb, als dieser Kaiser wurde. In seinem Schaffen schließt er sich Gombert an. WW: Modulationes(Motetten) für 5-6 St. (V 1562); zahlr. weitere Motetten in Sammeldrucken 1553-68 u. hsl.; 9 Messen (meist Parodiemessen) für 4-8 St.; je 8 Hymnen, Magnificat u. Salve Regina hsl.; 3 Chansons in Sammeldrucken 1556-68. Ausg.: GA, hrsg. V. M. STEINHARDT, 7 Bde. (1961-68) (- DTÖ 98, 100, 103/104, 108/109, 113/114, 116 u. 118). Lit.: M. STEINHARDT, J. V. and His Motets (East Lansing/Mich. 1951) (mit Werk-Verz.); DERS., Addenda to the Biography of J. V., in: The Commonwealth of Music. Gedenkschrift C. Sachs (NY 1965); W. PASS, J. V.s u. G. Prenners Vertonungen des „Salve Regina" in Joanellus' Sammelwerk v. 1568, in: FS E. Schenk (Kas 1975).
VAUDEVILLE, im 16./17. Jh. auch Voix de ville (frz., = Stimme der Stadt), Bz. für ein leichtes Lied, das in Frankreich im 15.-19. Jh. seinem Namen gemäß auf den Straßen der Stadt erklingt und dessen Couplets auf eine und dieselbe Melodie gesungen werden. Sein Ursprung ist umstritten, desgleichen der Zusammenhang mit dem „Vau-devire" (Vaudevire), einer normannischen Gedichtart des 15. Jh. Der Terminus begegnet zuerst in der Moralité La condamnation de bancquet (1507) von Nicole de La Chesnaye, in der von Chansons „tant de musique que de vaul de ville" die Rede ist. In ähnlichem Sinn unterscheidet L. Bourgeois im Titel und im Inhalt seines 1. Psalmenbuchs (1547) Gesänge in einer ungezwungenen V.-Satzweise („familiere ou vaudeville") und solche in einer kunstvolleren Art („plus musicales"). Gemeint ist hier der syllabisch deklamierende Satz Note gegen Note (r Homophonie) mit der Hauptstimme im Superius, wie er nach Bourgeois u. a. bei D. Lupi (Chansons spirituelles, 1548) und dann musterhaft bei Cl. Janequin (Proverbes de Salomon, 1558; 82
Vaughan Williams pseaumes de David, 1559) zu beobachten ist. Als früheste Veröffentlichung von V.s hat das 1. Chansonbuch von P. Certon (1552) zu gelten. Den 4st. Sätzen liegen Melodien zugrunde, die im Titel des Tabulaturdrucks Second livre de guiterre von A. Le Roy (2 1555) auch ausdrücklich als Chansons en formes de voix de ville bezeichnet werden. Die Satzweise solcher V.s ist die gleiche wie die des frühen r Air de cour. Bezeugt wird dies unmittelbar in der ersten dieser Gattung gewidmeten Sammlung von Le Roy (1571), in der es heißt, daß man diese Lieder früher Voix de ville genannt habe. Die Hauptquelle des V. im 16. Jh. ist dann der Recueil des ... chansons von J. Chardavoine (1588). Noch um 1600 lassen sich Air de cour und V. kaum unterscheiden; gemeinsame Charakteristika sind außer ihrer satztechnischen Einfachheit die Verwendung bekannter Melodien (frz.: timbres) und die mündliche Überlieferung. Diese Kennzeichen grenzen jedoch im 17. Jh. das V. gegenüber dem Air de cour ab. Es wird nun das Lied des gemeinen Volkes („peuple commun", so bei A. Oudin, Curiosités Françoises, 1656) in den Straßen, nimmt dabei eine Wendung zum Satirischen und Politischen und erhält einen ziemlich munteren, manchmal auch trivialen Ton. Eine zentrale Quelle hierfür ist Ballards La clef des chansonniers (1717), eine Sammlung von 300 - wie es dort heißt: „in der Öffentlichkeit seit mehr als 100 Jahren verbreiteten" - Vaudevilles. Sie wird in der Folgezeit erweitert durch das Repertoire des 1733 gegründeten Pariser literarisch-kulinarischen Clubs „Caveau", in dem auch V.s gesungen wurden, und durch das Repertoire ähnlicher Vereinigungen zu der Sammlung Clé du caveau von O. Capelle (P 1811; 2350 Gesänge mit Noten), die als die bedeutendste ihrer Art anzusehen ist. V.s wurden seit dem späten 17. Jh. häufig auch in den Darbietungen von Comédies in den Pariser Vorstadttheatern (Théâtres de la foire) gesungen. Es entwickelte sich daraus eine eigene Comédie en vaudevilles, die ein Vorläufer der ř Opéra-comique ist. Mit zunehmender Bedeutung der r Ariette wurde das V. in der 2. Hälfte des 18. Jh. aus der Opéra-comique verdrängt und konstituierte seinerseits eine neue Form des gesprochenen Lustspiels, Comédie-vaudeville oder einfach V. genannt, mit eigenen Theatern. Es wurde in Frankreich im ganzen 19. Jh. gepflegt und unter demselben Namen auch in anderen Ländern übernommen, bis hin nach Rußland. Im angelsächsischen Raum wurde daraus eine bis ins 20. Jh. existierende, ebenfalls als V. bezeichnete Varieté-Veranstaltung. Die Verwendung von V.s am Ende von Comédies der 2. Hälfte des 18. Jh. führte dazu, daß der Ter-
minus V. auch für einen speziellen Typ von Finale in der Opéra-comique verwendet wurde (sog. V. final): alle Sänger tragen, zum Publikum gewendet, die Moral des Stückes in einer Art Strophenlied vor. Solche V.s gibt es auch außerhalb Frankreichs ; das bekannteste Beispiel ist das (eigens so bezeichnete) V. am Schluß von W. A. Mozarts Entführung aus dem Serail. Lit.: K. J. LEVY, V., vers mesurés, airs de cour, in: Poésie et musique au XVI' siècle (P 1954); D. HEsR'rz, V., in: MGG XIII; M. HONEGGER, Les chansons spirituelles de D. Lupi et les débuts de la musique protestante en France au XVI' siècle, 2 Bde. (Lille 1971); C. BARNES, V., in: Grove' XIX.
VAUGHAN, Denis Edward, * 6. 6. 1926 Melbourne; austral. Dirigent. Er studierte Orgel in London und Paris sowie Kontrabaß in Wien, wurde 1950 Mitglied des Royal Philharmonic Orchestra London, 1953 Assistent von Sir Th. Beecham, später von V. Gui beim Glyndebourne Festival und von H. Knappertsbusch in Bayreuth und war an den Opernhäusern von Hamburg und München tätig. Mit dem von ihm gegründeten Orchestra of Naples unternahm V. Tourneen durch Europa. Die Stockholmer Konferenz für eine Revision der Berner Konvention aus dem Jahre 1967 zum Schutz von Originaltexten ist durch V.s Entdeckung von Widersprüchen zwischen Handschriften und gedruckten Partituren der Werke G. Verdis und G. Puccinis ausgelöst worden. 1970 dirigierte V. erstmals nach dem Originaltext Verdis La Traviata an der Sadler's Wells Opera in London.
WILLIAMS, Ralph, * 12. 10. 1872 Down Ampney (Gloucestershire), t 26. 8. 1958 London; engl. Komponist. Er erhielt seine Ausbildung in Charterhouse, an der Royal Academy of Music in London sowie am Trinity College in Cambridge, setzte sie als Schüler von M. Bruch an der Akademie der Künste in Berlin fort und vervollkommnete sie in Paris bei M. Ravel. 1901 promovierte er in Cambridge zum Doctor of Music. Seit 1920 lehrte er am Royal College of Music in London. Ein privates Einkommen ermöglichte V. ein weitgehend freies Schaffen. VAUGHAN
WW: I) Instr.-WW: Prelude and Fugue c-moll (1930) für Org.; V.-Sonate a-moll (1957); Six Studies in English Folk Songs (1927) für Vc. (V., Va., Klar.) u. Klv.; 2 Streichquartette, g-moll (1908, revidiert 1921) u. a-moll (1945). — Für Orch.: In the Fen Country (1904, revidiert 1905 u. 1907, Instrumentation revidiert 1935); Symphonien: 1: Sea Symphony (1909) mit Bar., Sopran u. Chor; 2: London Symphony (1914, revidiert 1918-34); 3: Pastoral Symphony (1922) mit Sopran; 4: f-moll (1935); 5: D-Dur (1940) (J. Sibelius gewidmet); 6: e-moll (1945); 7: Sinfonia antarctica (1953) mit Sopran u. Frauenchor; 8: d-moll (1956); 9: Fantasia on a Theme by Th. Tallis (1909). — Konzerte für: KIv. (1933), bearb. v.
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Vaughan Williams V. Lasker für 2 Klv. u. Orch. (1946); Ob. (1944); Balltuba f-moll (1954); ferner The Lark Assending (1921) u. Concerto accademico d-moll (1925) für V. u. Orch. u. Concerto grosso für Str. (1950); Five Variants of „Dives and Lazarus" (1939) für Streichorch. u. Harfe; Partita für doppeltes Streichorch. (1948); Romance (1951) für Mundharmonika, Streichorch. ad lib. u. Klv. 2) Vokal-WW: Lieder u. Volksliedbearb.en; Toward the Unknown Region (1907, revidiert 1918) u. Messe g-moll (1923) sowie das Oratorium Sancta Civitas (1926) für Chor. - Five Mystical Songs (1911) für Bar., gem. Chor u. Orch.; Fantasia on Christmas Carols (1912) für Bar., gem. Chor u. Orch.; flas campi (1925) für Va., Kammerchor u. Kammerorch.; Five Tudor Portraits (1936) für Soli, Chor und Orch.; Serenade to Music(1938) für 16 Solo-St. oder Chor u. Orch.; dass. bearb. für Orch. (1940); Kantate The Sons of the Light (1950) für gem. Chor u. Orch.; An Oxford Elegy (1952) für Sprecher, Chor u. Orch.; Weihnachtskantate Hodie (1954) für Sopran, Tenor, Bar., gem. Chor, Knabenchor, Org. ad lib. u. Orch. - 3) Bühnen-WW: Opern: Hugh the Drover, UA: London 1924; Sir John in Love, UA: ebd. 1929; Riders to the Sea, UA: ebd. 1937. - „Romantic Extravaganza" The Poisoned Kiss, UA: Cambridge 1936; Morality The Pilgrim's Progress, UA: London 1951. - Ballett Old King Cole, UA: Cambridge 1923. - 4) Schriften: English Folksongs(Lo 1912, NA 1966); National Music (Lo 1934, Neudruck 1963, 21972); Some Thoughts on Beetho-
ven's Choral Symphony, with Writings on Other Musical Subjects (Lo 1953); The Making of Music (Ithaca/N.Y. - Lo 1955, Nachdr. 1965).
V. ist der Vertreter des musikalischen Nationalismus in England; seine Grundauffassungen in dieser Hinsicht legte er in National Music, seinem schriftstellerischen Hauptwerk, dar. Er strebte nach einer nationalen Musik, die sich von der langen it. und dt. Hegemonie befreien sollte. Sein Stil, den man als neomodal bezeichnen könnte, orientiert sich an den engl. Volksliedern (die er selbst bei Volkssängern sammelte), am elisabethanischen Madrigal, an H. Purcell (dessen Welcome Odes er edierte) und am Choral (er leitete die Publikation des English Hymnal von 1906). V.s erstes bedeutendes Werk, die Kantate Toward the Unknown Region, wurde 1907 auf dem Festival in Leeds aufgeführt; vorher hatte er bereits einige Lieder geschrieben, darunter die Songs of Travel (1904). Mit der Fantasia on a Theme by Th. Tallis (1909) und mit der Sea Symphony (1910) wurde er international bekannt. Das letztgenannte Werk, 4sätzig und mit Chören auf einen Text von Walt Whitman, ist die 1. von 9 Symphonien, die den wesentlichen Kern von V.s Schaffen darstellen. 3 weitere von ihnen tragen programmatische Titel (2., 3. und 7.), und auch die 4., 5.. und 6. Symphonie lassen sich programmatisch deuten. Nur die beiden letzten Symphonien sind als absolute Musik anzusehen. Die Konzerte sind in ihrer Ausdehnung wie in ihrer Substanz kleiner und geben der Virtuosität wenig Raum. - V.s erster musikdramatischer Versuch entstand 1909 für eine Aufführung von Aristophanes' Wespen in griech. Sprache in Oxford; die Ouvertüre hat sich im engl. Konzertrepertoire gehalten. Auf Hugh the Drover, für das V. einige Volks234
lieder umgearbeitet hat, folgte Sir John in Love nach The Merry Wives of Windsor von W. Shakespeare, später das für seine reife Zeit sehr typische Ballett Job, die „Romantic Extravaganza" The Poisoned Kiss mit Sprechtexten (1936) und Riders to the Sea, das Wort für Wort auf einem Stück von John Millington Synge beruht. Keines der Ballette ist auf traditionelle Choreographie hin angelegt, keine der Opern, mit Ausnahme von Sir John in Love, folgt den gewohnten Opernkonventionen. V. war sicher kein Konservativer, jedoch vereinigte er in seiner Person und in seiner Kunst auf merkwürdige Weise Traditionalismus und Radikalismus. Während des 2. Weltkrieges schrieb er die Musik zu 7 Filmen, u. a. Scott of the Antarctic, was auf die spätere 7. Symphonie hinweist. V.s letztes Ballett, Epithalamion, wurde 1953 für das Fernsehen geschrieben. - In seiner Chormusik, so in der Messe g-moll, dem Oratorium Sancta Civitas, den Five Tudor Portraits (1936), An Oxford Elegy und der Weihnachtskantate Hodie steht V. fest in der englischen Tradition. Er schrieb auch zahlreiche Gelegenheitswerke für Festspiele, Krönungen, Gottesdienste u. a., so die Serenade to Music zum 50jährigen Dirigentenjubiläum von H. Wood, die für 16 bekannte Solisten bestimmt war. Das Stück überschreitet freilich den Rahmen eines Gelegenheitswerkes und kann als der Inbegriff lyrischen Ausdrucks bei V. angesehen werden. Sein Leben lang schrieb V. auch Volksliedbearbeitungen für Chor. Er war der Meinung, daß die Musik ihren Platz im Leben der Gemeinschaft hat, und kein Anlaß erschien ihm für sie zu unwichtig oder zu niedrig. Lit.: R. V. W. (Lo 1961) (mit Werk-Vert. u. Diskographie); P. R. STARBUCK, R. V. W. A Bibliography (Lo 1967); F. F. CLOUGH G. J. CUMING, Discography, 1964-71, in: The Music Yearbook 1972/73; L. FOREMAN, V. W. A Bibliography of Dissertations, in: MT 113 (1972). - Heirs and Rebels. Letters Written to Each Other and Occasional Writings on Music by R. V. W. and G. Holst, hrsg. v. U. VAUGHAN WILLIAMS - I. HOLST (Lo 1959). - A. E. F. DICKINSON, An Introduction to the Music of V. W. (Lo 1928); H. Foss, R. V. W. (Lo 1950, Nachdr. Westport/Conn. 1974); P. M. YOUNG, V. W. (Lo 1953); F. HOWES, The Music of R. V. W. (Lo 1954); S. PAKENHAM, R. V. W. (Lo 1957); J. DAY, V. W. (Lo 1961, NA 1972); A. E. F. DICKINSON, V. W. (Lo 1963); M. KENNEDY, The Works of R. V. W. (Lo 1964) (mit Werk-Vert. u. Bibliogr.); E S. SCHWARTZ, The Symphones of R. V. W. (Amherst/Mass. 1964); U. VAUGHAN WILLIAMS, R. V. W. (Lo 1964); M. HURD, V. W. (Lo 1970); R. DOUGLAS, Working with R. V. W. (Lo 1972). F. HOWES
VECCHI, Orazio Tiberio, getauft 6. 12. 1550 Modena, t 19./20.2. 1605 ebd.; it. Komponist und Dichter. Er war Priester und erhielt seine musikalische Ausbildung bei dem Servitenmönch Salvatore Essenga. 1577 ist er in Bergamo, 1578 in Brescia bezeugt und wirkte 1581-84 als Domkapellmeister in Salò, 1584-85 in Modena, wo er wegen
Végh familiärer Probleme entlassen wurde. Anschließend war er bis 1592 Domherr, später Archidiakon in Correggio und nahm von hier aus zusammen mit G. Gabrieli und L. Balbi an der Revision eines von A. Gardano (V 1591) veröffentlichten Graduale Romanum teil. 1592 wurde er wieder Kapellmeister am Dom von Modena und 1598 dort auch Maestro am Hof des Herzogs Cesare d'Este. 1600 reiste er mit dem Kardinal Alessandro d'Este nach Rom und mit dem Grafen Fontanelli nach Florenz, wo er der Aufführung der Euridice von J. Peri beiwohnte. Im folgenden Jahr lehnte V. eine Berufung als Hofkapellmeister Kaiser Rudolfs II. und Nachfolger Ph. de Montes ab. Intrigen seines Schülers G. Capilupi und die Mißgunst des Bischofs von Modena führten 1604 zu seiner Amtsentlassung, die er nur wenige Monate überlebte. WW (in Venedig gedruckt, teilweise mit zahlr. Aufl.): l) Geistli-
che WW: 2 Bücher Motetten für 4-8 St. (1579, 1590); Sacrae cantiones für 5-8 St. (1597); Lamentationen für 4 St. (1587); Messen für 6 u. 8 St. (1607); Hymnen für 4 St. (1604). - 2) Weltliche WW: Canzonette: 4 Bücher für 4 St. (2 1580, 1580, 1585, 1590), in 1 Bd. (Nü 1593), mit dt. Texten (Nü 1610); für 6 St. (1587); für 3 St. (1597), dt. (Nü 1606); Madrigale für 6 St. (1583), für 5 St. (1589); Selva di varia ricreatione ... madrigali, caprieci, balli, arie u. a. für 3-10 St. (1590); Convito musicale ... soggetti, et capricci für 3-8 St. (1597); L'Amfiparnaso, Comedia harmonica für 5 St. (1597); Le veglie di Siena overo i van humori della musica moderna für 3-6 St. (1604); Dialoghi für 7-8 St. u. B. c. (1608) - Weitere geistl. u. weltl. Werke in Sammeldrucken der Zeit erhalten.
V., der auch eine große Zahl von kirchenmusikalischen Werken in einem den Vorschriften des Trienter Konzils entsprechenden einfachen Stil komponierte, erlangte seine Originalität und seinen geschichtlichen Rang auf dem Gebiet der weltlichen Musik: nicht in der gelehrten Form des Madrigals (das er nur wenig pflegte), sondern in jener heiteren Unterhaltungsmusik, die während der Renaissance üblich war und die in seinen Werken genial erstrahlt. Die Selva di varia ricreatione, der Convito musicale und Le veglie di Siena mit ihrer Aufeinanderfolge von heiteren Stücken - Kanzonetten, Villotte, Giustiniane, Tedesche, Mascherate, Dialoge - stehen in der Nähe zu ähnlichen Stücken von G. Croce und sind Erben des spöttischen Geistes von Cl. Janequin und der humoristischen Stücke mit Dialekttexten von O. di Lasso u. a. zahlreichen it. Komponisten des 16. Jahrhunderts. Im Amfiparnaso sind die Gesänge sogar nach Art der Commedia dell'arte disponiert, und es fehlt ihnen auch nicht ein gewisses Pathos, das durch die Mittel des Madrigals ausgedrückt wird. So kommen in dieser - wie man sie nennen kann Madrigalkomödie nach V.s eigenen Worten „der ernste mit dem heiteren, der schwere mit dem scherzhaften und tänzerischen Stil" zu einer besonders glücklichen Synthese zusammen, die be-
reits altertümlichen Gestaltungstendenzen einen neuen Sinn und eine neue Daseinsberechtigung verleiht. Ausg.: 21 Stücke aus Selva ... (1590), hrsg. v. O. CHILESOTTI (Mi 1892, Nachdr. Bol 1968) (- Bibl. musica Bononiensis IV/26); Le veglie di Siena, hrsg. v. B. SOMMA (R 1941, NA 1958); Amfiparnaso, hrsg. v. DEMS. (R 1953); dass., hrsg. v. C. ADKINS (Chapel Hill 1977); Convito musicale, hrsg. v. W. R. MARTIN (R 1966); Missa in Resurrectione Domini, hrsg. v. R. RÜEGGE (Wb 1967) (= Chw 108). Lit.: J. C. HOL, O. V.s weltliche Werke (Str 1934, Nachdr. BadenBaden 1974) (= Sig. musikwiss. Abh.en 13); B. RODGERS, The Madrigals of O. V. (1954) (- Diss. Univ. of California); R. RÜEGGE, O. V., geistl. Werke (Be 1967) (- Publ. der Schweizer Musikforsch. Ges. 11/15); C. SARTORI, O. V. e T. Massaino a Salò. Nuovi documenti inediti, in: Renaissance-muziek. 1400-1600. FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); A.-P. TORELLI, O. V., „Poetica musicale" (Modena 1969); W. KIRKENDALE, Franceschina, Girometta, and Their Companions in a Madrigal „A Diversi linguaggi" by L. Marenzio and O. V., in: AMI 44 (1972). E. BARASSI
VEERHOFF, Carlos (Carlo) Heinrich, * 3.6. 1926 Buenos Aires ; dt. Komponist argentinischer Herkunft. Er studierte Komposition bei H. Grabner (1943-44) und B. Blacher (1952) an der Berliner Musikhochschule und privat bei K. Thomas und H. Scherchen. 1948-51 lehrte er Musiktheorie an der Universidad Nacional de Tucumán, war dann Assistent von F. Fricsay in Berlin und lebt seit 1952 als freischaffender Komponist in München. WW: Klv.-Stücke; Streichquartette; Bläserquintette. - Für Orch.: 5 Symphonien: Panta rhei (1953); Sinfonie in einem Satz (1956); Spirales (1966, revidiert 1969); Nr. 4 (1974); Nr. 5 (1981); Mirages (1966); Akróasis(1966) für 24 Bläser u. Schlagzeug; Textur(1969, revidiert 1971); Torso (1971); Sinotrauc (1973); Concertino da camera (1979); Dorefamie (1981); je ein V.- u. Klv: Konzert. - Gesinge für Sangsára (1976) für Mezzo-Sopran, Tonbänder, St. u. Orch. - Opern : Targusis( 1958); Die goldene Maske( 1968); Es gibt doch Zebrastreifen(1970) für 2 Sänger u. 8 Instr. ; Kammeroper Der Grüne (1972). - Ballette: Pavane royale (1953) (mit Chor); El porquerizo del rey, UA: Buenos Aires 1963.
VÉGH, Sándor, * 17.5. 1912 Klausenburg (heute: Cluj, Rumänien); frz. Violinist ung. Herkunft. Er studierte an der Musikhochschule in Budapest, wurde 1935 Mitglied des Ungarischen Streichquartetts und gründete 1940 das V.-Quartett, mit dem er 1946 in den Westen ging und das in den 50er und 60er Jahren Weltruf erlangte, u. a. mit der zyklischen Aufführung der Streichquartette L. van Beethovens und B. Bartóks. V., der in der Schweiz lebt, konzertierte häufig auch mit P. Casals beim Festival de Prades und im Duo mit den Pianisten K. Engel, W. Kempff und R. Serkin. Er lehrte an der Musikakademie der Stadt Basel, an der Musikhochschule Freiburg i. Br. (1955-62) und am Konservatorium Düsseldorf (1962-79). Seit 1978 leitet er auch die Salzburger Camerata Academica. 235
Veichtner VEICHTNER, Franz Adam, * 10.2. 1741 Regensburg, t 3.3. 1822 Klievenhof (Kurland); dt. Violinist und Kapellmeister. Nach seiner Ausbildung bei J. Riepel (Musiktheorie) und Fr. Benda (Violine) in Potsdam trat er in die Dienste des baltischen Grafen Hermann von Keyserling. 1765 berief ihn Erbprinz Peter als Konzertmeister an den kurländischen Hof in Mitau. Er komponierte dort u. a. auch Singspiele für das höfische Liebhabertheater und viele Tafelmusiken und gilt als der Repräsentant der Vorklassik im Baltikum. Nachdem Kurland 1795 zu Rußland gekommen war (3. Polnische Teilung), wirkte V. 1795-1820 als Kammermusikus der kaiserlichen Kapelle in St. Petersburg. WW: Im Druck erschienen: 3 Slgen. Fantasien u. Sonaten für V. u. BaB; 3 Streichquartette; 4 Symphonien (Mitau 1770); Simphonie russienne (Riga 1771); V.-Konzert (ebd. 1775). - Opern: Ce-
phalus und Prokris, UA: Mitau 1779; Cyrus und Cassandra, UA: Libau 1784. Lit: W. SALMEN, J. F. Reichardt (Fr 1963); E. GERCKEN, F. A. V. u. das Musikleben am kurländischen Hof, in: Baltische Hefte (1965) Nr. 11; J. MÜLLER-BLATTAU, Benda, V., Reichardt,
Amenda. Zur Gesch. des nordostdt. Violinspiels in der Frühklas-
und anderen Dichtern der Antike, schrieb V. zahlreiche Gedichte, Heiligenviten und Hymnen, von denen řPange lingua und Vexilla regis bis heute in der röm.-kath. Liturgie verwendet werden. VENATORINI, Giuseppe, r Mysliveček, Joseph. VENEGAS DE HENESTROSA (Hinestrosa), Luis, * zwischen 1500 und 1510 Hinestrosa (Burgos), t nach 1557 vermutlich Toledo; span. Komponist. Er stand von etwa 1534/35 bis 1545 im Dienst des Kardinals Juan de Tavera in Toledo. 1543 ist er als Pfarrer in Hontova bei Toledo bezeugt. V. veröffentlichte ein Libro de cifra nueva para teda, harpa y vihuela (Alcalá de Henares 1557) in Orgeltabulatur (mit Ziffern). Es enthält als die bedeutendste span. Sammlung ihrer Art im 16.Jh. Intavolierungen von geistlichen und weltlichen Gesängen sowie zahlreiche Tientos, Fantasien (für Vihuela) und Falsobordoni (Fabordones). Viele Stücke sind mit Verzierungen versehen. Als Komponisten sind ndl. und span. Meister genannt; am häufigsten ist A. de Cabezón vertreten.
E. STÖCKL
Ausg.: Libro de cifra nueva, in: H. ANGLÈs, La música en la corte de Carlos V (Ba 1944, 2 1965) (- MMEsp 2).
VEJVANOVSKÝ, Pavel Josef (Weiwanowski, Paul Joseph), * um 1633 oder um 1639 Hochwald (heute Hukvaldy) oder Hultschin (heute Hlučín), begraben 24.6. 1693 Kremsier (heute Kroměříž); böhmischer Komponist. Er wirkte als Trompeter von 1664 bis zu seinem Tod in der Kapelle des Erzbischofs in Kremsier und versah daneben auch das Amt eines Chori praefectus an der St. Mauritiuskirche. V. ist einer der wichtigsten böhmischen Instrumentalkomponisten des 17. Jahrhunderts. Seine Werke lassen das Vorbild J. H. Schmelzers erkennen, zeigen aber in der Melodik auch volkstümliche Züge.
Lit.: J. MOLL ROQUETA, Músicos de la corte de Cardenal Juan Tavera, in: Anuario Mus. 6 (1951); J. WARD, The Editorial Methods of V. de H., in: MD 6 (1951); C. JACOBS, V., in: Grove° XIX.
sik, in: Musik des Ostens 4 (Kas 1967).
WW (hsl. in Kremsier erhalten): Serenaden, Balletti u. Sonaten verschiedenster instrumentaler Besetzung, häufig mit Trp. solistisch oder chorisch. - Zahlr. Messen u. a. kirchenmusikal. Werke. Ausg.: Serenate e sonate sowie Composizioni per orchestra, 4 Bde., hrsg. v. J. POHANKA (Pr 1958-61) (6 MAB 36, 47-49). Lit.: J. BvžGA, V., in: MGG XIII; J. SEHNAL, Die Musikkapelle des Olmützer Bisch. Karl Liechtenstein-Castelkorn in Kremsier, in: KmJb 51 (1967); D. SMITHER, V., in: Grove° XIX.
VENANTIUS FORTUNATUS Honorius Clementianus, * um 530 bei Treviso, t um 600 Poitiers; lat. Dichter. V. verließ 565 Italien zu einer 2jährigen Pilgerreise an das Grab des hl. Martin in Tours, reiste dann durch Gallien, wo sich sein Ruhm als Dichter rasch verbreitete, und ließ sich schließlich in Poitiers nieder. Dort wurde er 576 zum Priester und 599 zum Bischof geweiht. Geschult an Vergil 236
VENEZIANA r Giustiniana.
VENEZIANISCHE SCHULE. - 1) Bz. für eine Gruppe von Komponisten, die in Venedig zwischen 1530 und 1630 vor allem an San Marco gewirkt und die Entwicklung der bedeutendsten vokalen und instrumentalen Formen des 16. und 17.Jh. beeinflußt hat. Die überragende Persönlichkeit der V. ist A. Willaert, der am 12. 12. 1527 in der Nachfolge Petrus de Fossis' zum Kapellmeister an San Marco berufen worden war. Unter seinem 3'/2 Jahrzehnte währenden Wirken als Kapellmeister, Komponist, Theoretiker, Lehrer und Organisator wurde Venedig, das bis dahin bereits eine wichtige Rolle vor allem in der Entwicklung des r Notendrucks gespielt hat, zu einem Zentrum oberitalienischer Musikkultur, das weitgehend unabhängig von der gleichzeitig wirkenden r Römischen Schule eine charakteristische Ausprägung und europäische Geltung gefunden hat. Der eigenwertige Stil der V. manifestierte sich zunächst in den Kompositionen Willaerts, wurde aber bald allgemeingültig in dem großen Kreis seiner Schüler, Anhänger und Freude, zu denen u. a. Annibale Padovano, A. Barges, L. Barre, J. Brumel, J. Buus, M. A. Cavazzoni, B. Donato, A. Gabrieli, G. Guami, Cl. Merulo, G. Parabosco, C. Porta, A. Romano,
Veneziano C. de Rore, N. Vicentino, G. Zarlino gehörten, ferner unter seinen Nachfolgern im Amt des Kapellmeisters (de Rore 1563, Zarlino 1565-90, Donato 1590-1603, G. Croce 1603-09, C. Martinengo 1609-13, Cl. Monteverdi 1613-43). Willaert, als Schüler J. Moutons dem Erbe der r franko-flämi-
schen Schule verpflichtet, widmete sein Schaffen vor allem der r Motette, mit der er zwischen traditionellem polyphonem Stil der franko-flämischen
Schule und Satz- und Klangstrukturen bodenständiger it. Musik vermittelte. An ältere Musizierpraktiken knüpfte die r Doppelchor-Technik an, die Willaert zunächst in seinen 8st. Salmi spezzati (1550), später auch in seinen Motetten anwendete und die in der Folge zur Mehrchörigkeit weiterentwickelt wurde. Diese gelangte von Venedig aus nach 1580 in alle Teile Europas und wurde u. a. ein wesentlicher Bestandteil der Festmusik des Barock. Mit seinen r Psalmvertonungen leitete Willaert eine Tradition ein, die von Venedig aus im Laufe des 17. Jh. zu einer bedeutenden Gattung der kath. und ev. Kirchenmusik vor allem in Deutschland (r Vesper) wurde. Willaert wirkte aber auch auf dem Gebiet der volkstümlichen Vokalmusik seiner Zeit zukunftsweisend : Seine Villanellen brachten dieser ursprünglich lokal auf Neapel beschränkten Gattung internationale Geltung (O. di Lasso, L. Marenzio, J. Regnart, H. Schein u. a.) und seine mehrst. Lied-/ Kanzonen, stilistisch der Villanella nahestehend und wie diese als bewußte Nachbildungen volkstümlicher Lieder komponiert, fanden gemeinsam mit denen von A. Gabrieli, Donato, Merulo u. a. ihre Weiterentwicklung einerseits in der r Kanzonette (Croce, Monteverdi), andererseits in der r Monodie (r Camerata Fiorentina), der Opern-/ Arie und in der r Madrigal-Komödie. Willaerts Vokalmusik ist vor allem durch sorgfältige Textdeklamation und einen durch diese erst wirksamen musikalischen Ausdruck der im Text objektivierten AtTekte (r Ai fektenlehre) gekennzeichnet. Das zeigt sich besonders ausgeprägt in Willaerts r Madrigalen, mit denen er nachhaltig auf seine Schüler, vor allem auf de Rore mit dessen charakteristischem, durch r Chromatik gekennzeichnetem Stil (r Musica reservata, l Seconda pratica), Einfluß ausübte und somit Venedig neben Florenz und Rom zu eineni wichtigen Zentrum der Madrigal-Komposition machte (Vicentino u. a.). Neben der Vokalmusik entwickelte die V. auch die selbständige Instrumentalmusik weiter: In der Orgelmusik, deren wichtigstes Lehrbuch Il Transilvano von G. Diruta stammt, wurde neben dem intonierenden r Ricercar (M. A. Cavazzoni) und der tToccata (Padovano, A. und G. Gabrieli, Diruta, Merulo) vor al-
lem das Imitations-Ricercar (Willaert, Padovano, G. Cavazzoni, Merulo, A. und G. Gabrieli) gepflegt. In der Musik für Instrumentengruppen (z. B. Posaunen-, Cornetto-, Streicherensemble) gelangten Ricercar (Buus, Willaert) und Kanzone (A. und G. Gabrieli, Guami, Merulo) zu fortwirkender Bedeutung: Mehrchörige Setzweise und häufige, durch Tripeltaktteile erreichte Gliederung in Abschnitte führten zur Entwicklung von t Sonate und Symphonie. Großformen vokal-instrumentaler Mischbesetzung gipfelten im Zusammenwirken von Singstimmen und Instrumenten, Chören und Solisten über meist instrumentalem Klangfundament (A. und G. Gabrieli, Concerti, 1587) im r Concerto und t geistlichen Konzert. Kodifiziert wurde der Stil der V. vor allem in den Schriften von Zarlino, der als Schüler Willaerts die „vollkommene" Kunst seines Lehrers rühmt und in seinen Istitutioni harmoniche mehr als 40 Sätze Willaerts nennt, und Vicentino, der die chromatisch expressive Klangkunst Willaerts lehrend weiterentwickelte. - Die kulturelle Blüte Venedigs wurde 1630 durch die Pest, die zahlreiche Musiker dahinraffte, abrupt beendet. Das Wirken der V. hat in hohem Maße die Musik Europas, vor allem des dt. Raumes, bis weit in das Barock hinein beeinflußt (H. I. Fr. Biber, J. K. Kern, J. H. Schmelzer). Das zeigen z. B. die Kompositionen der oft als „Deutschvenezianer" bezeichneten Komponisten J. Gallus, H. L. Haßler, Gr. Aichinger, H. und M. Praetorius und nicht zuletzt von H. Schütz, der 4 Jahre lang in Venedig bei G. Gabrieli studiert hat und am Ende dieser Lehrzeit in der Widmungsvorrede seines Opus 1 seinen Lehrer enthusiastisch als „Woge" beschreibt, „die ganz Italien mit gewaltigerem Rauschen als jede andere ... mit sich reißt" („onda, che tutta l'Italia, con mormorio più d'ogni altro ... và illustrando"). - 2) Bz. für die Venezianische Opernschule (r Oper). Lit.: C. VON WINTERFELD, J. Gabrieli u. sein Zeitalter, 3 Bde. (B 1834, Nachdr. Hil 1965); W. B. KIMMEL, Polychoral Music and the Venetian School, 2 Bde. (1954) (- Diss. Univ. of Rochester/ N. Y.); F. FANO - F. BLUME, Venedig u. venezian. Hss. A. die Musikgesch. Venedigs, I: Von den Anfängen bis um die Mitte des 16.1h., in: MGG XIII; D. ARNOLD, dass., II: Von 1560 bis 1797, in: ebd.; W. GERSTENBERG, Willaert, in: MGG XIV; H. BECK, Grundlagen des venezian. Stils bei A. Willaert u. Cipriano de Rore, in: Renaissance-muziek. 1400-1600. FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); W. GERSTENBERG, Um den Begriff einer V., in: ebd.; D. KÄMPER, Stud. z. instr. Ensemblemusik des 16. Jh. in Italien (Kö- W 1970) (- Anal. Mus. 10); S. SCHMALTZRIED, H. Schütz u. a. zeitgen. Musiker in der Lehre G. Gabrielis. Stud. zu ihren Madrigalen (Neuhausen 1972) (s Tübinger Beitr. z. Musikwiss. 1); E. SELFRIDGE-FIELD, Venetian Instrumental Music from Gabrieli to Vivaldi (0 1975); D. ARNOLD, Venice, in: Grove• B. R. SUCHLA XIX.
VENEZIANO (Veneziani), Gaetano, * 1656 Bi237
Venezuela sceglie, t 15.7. 1716 Neapel ; it. Komponist und Organist. V. war 1666-76 Schüler von Fr. Provenzale am Conservatorio S. Maria di Loreto in Neapel und wirkte 1679-1716 als Organist in der Königlichen Kapelle. 1703 siegte er in einem Wettbewerb um die Nachfolge A. Scarlattis als Hofkapellmeister, verlor aber nach dem Einmarsch der Osterreicher 1707 diese Stellung. Er lehrte auch seit 1684 am Conservatorio S. Maria di Loreto, das er 1695-1716 leitete. Von ihm sind zahlreiche kirchenmusikalische Werke, meist im a cappella-Stil, darunter 5 Passionen, erhalten. - V.s Sohn Giovanni (1683-1742), ebenfalls Organist der Königlichen Kapelle in Neapel und Kapellmeister am Conservatorio S. Maria di Loreto, war einer der ersten Komponisten heiterer Opern mit Dialekttexten, die sich jedoch nicht erhalten haben. VENEZUELA. Als wirtschaftlich arme Kolonie der span. Krone besaß V. in den ersten Jahrhunderten seiner Existenz kein so bedeutendes musikalisches Leben wie etwa das Nachbarland Kolumbien. In einem Teil seiner Volksmusik spiegelt V. den Einfluß der Afrikaner, der in allen Küstenregionen der Antillen nachweisbar ist. Selbst der Nationaltanz / Joropo mit seinem span. Charakter enthält Spuren der Negerkultur, die in der Gegenüberstellung von selbständiger Melodiebewegung und polyrhythmischer Begleitung deutlich werden. Seit 1591 gab es in der Hauptkirche von Caracas eine Orgel, die von Melchior Quintela gespielt wurde. Der erste Kapellmeister der Kathedrale, Gonzalo Cordero, wurde 1671 ernannt. Ihm folgten Buenaventura de Los Angeles (1678), Francisco Pérez de Camacho (1687) - der Professor für Musik an der 1725 gegründeten Universität wurde -, Silvestre Media-Villa (t 1737), Jacob de Mirando, Ambrosio Carreňo (1770), Gabriel Liendo (1775) sowie Alejandro und Cayetano Carreňo (1789 und 1791). Der Familie Carreňo entstammen zahlreiche Musiker des Landes, u. a. die am Ende des 19. Jh. zu den bedeutendsten Pianisten zählende Teresa Carreňo. C. Carreňo (1774 bis 1836) gehörte zum Kreis junger begabter Musiker, die der Pater Pedro Palacios y Soja auf seiner Besitzung in Chacao (heute Stadtteil von Caracas) versammelte, damit sie musizierten und die zahlreichen Partituren seiner Bibliothek studierten. Zu dieser Gruppe gehörten auch Juan Manuel Olivárez (1760-97), José Francisco Velásquez d. Ältere (t 1805), José Antonio Caro de Boesi (t 1814), Pedro Nolasco Colón, José Angel Lamas (1775 bis 1814), Juan José Landaeta (1780-1814) und José Francisco Velásquez d. Jüngere (t 1822), die heute als die „Klassiker" V.s gelten. Ihre Werke umfas238
sen geistl. Kompositionen mit lat. Texten oder der span. Tradition zugehörige Tonos, Pésames und Villancicos in der Volkssprache. Einige engagierten sich im Kampf für die Unabhängigkeit der span. Kolonien, der von Simón Bolívar ausgelöst wurde, und schrieben patriotische Lieder zur Unterstützung der revolutionären Begeisterung. Landaeta und Caro de Boesi wurden erschossen. Landaeta komponierte zahlreiche Lieder dieser Art, von denen das zu Beginn des Unabhängigkeitskrieges 1810 entstandene Gloria al bravo pueblo rasch populär und später die Nationalhymne V.s wurde. 1819 gründete der ebenfalls als Komponist patriotischer Gesänge bekannte Lino Gallardo (um 1770-1837) im damals noch von den Spaniern besetzten Caracas eine Musikakademie und eine Philharmonische Gesellschaft. Aber Institutionen, die unter solchen Umständen entstanden waren, hatten wenig Überlebenschancen. In den Jahren nach der Unabhängigkeitserklärung verschwanden musikalische Aktivitäten fast völlig. Einzig José Maria Montero (1782-1869), der in der Tradition der älteren Komponisten stand, hielt den Sinn für die Musik lebendig und gab ihn an die Jüngeren weiter. Sein berühmtester Schüler war sein Sohn José Angel (1839-81), der Schöpfer der ersten venezolanischen Nationaloper. Montero war auch der Lehrer des Politikers und Schriftstellers Felipe Larrazábal (1816-73), der ein ausgezeichneter Amateurpianist und -komponist war. Auf ihn geht die Gründung eines Konservatoriums in Caracas (1868) zurück; das jedoch nur kurz bestand. Die erste feste Einrichtung dieser Art gründete die Regierung 1877 als Abteilung des Instituto Nacional de Belas Artes (heute Consejo Nacional de la Cultura). Die der span. Tradition verpflichtete Zarzuela wurde von mehreren Komponisten gepflegt, u. a. von Montero, José G. Núňez und Federico Villena. In der ersten Hälfte des 20. Jh bemühten sich Vicente Emilio Sojo (1887-1974), Juan Bautista Plaza (1898-1965) und Juan Lecuna (1899-1954) um die Erneuerung des Musiklebens in ihrem Lande. Sojo war einer der Gründer des Orfeón Lamas und der Orquesta Sinfónica Venezuela. Plaza veröffentlichte die Werke von Komponisten der Kolonialzeit. Angel Sauce (* 1911) und Antonio Estévez (* 1916) gehören zu den heute führenden Komponisten, ebenso die Ethnologin und Komponistin Isabel Aretz (* 1909 in Buenos Aires); sie ist die Frau des Musikethnologen und Leiters des Instituto Nacional de Folklore, Luis Felipe de Ramón y Rivera. Von dem Mäzen Inocente Palacios gefördert, wurden erstmalig 1954 Festivals lateinamerik. Musik
Vento
in Caracas durchgeführt. Caracas wurde dadurch eine Zeitlang ein bedeutendes musikalisches Zentrum, von dem Impulse für ganz Lateinamerika ausgingen. An der dortigen Oper gab es glänzende Spielzeiten mit im Ausland zusammengestellten Ensembles unter der Schirmherrschaft der Regierung. Die venezolanische Hauptstadt ist auch der Sitz des Instituto Interamericano de Etnomusicología y Folklore, an dem junge Wissenschaftler aus allen Staaten Südamerikas ausgebildet werden. Lit.: Archivo de música colonial venezolana, hrsg. v. J. B. P[.AZA, 12 Bde. (Montevideo 1943); DERS., Music in Caracas during the Colonial Period (1770-1811), in: MQ 29 (1943); J. A. CALCAŇO, La ciudad y su música. Crónica musical de Caracas (Caracas 1958); I. ARETZ, Instrumentos musicales de V. (Cumaná 1967); L. F. RAMÓN Y RrvERA, La música folklórica de V. (Caracas 1969); DERS., La música afrovenezolana (ebd. 1971); DERS. - G. BEHAGUE, V., in: Grove° XIX.. L. H. CORREA DE AZEVEDO
VENI CREATOR SPIRITUS (lat., = Komm,
Schöpfer Geist), Beginn des bekanntesten, Hrabanus Maurus (9. Jh.) zugeschriebenen Pfingsthymnus. Er steht im klassischen ambrosianischen Versmaß und zeigt wörtliche Anklänge an den Adventshymnus Veni redemptor gentium. Die im 16. Jh. von den Humanisten vorgenommenen Textkorrekturen wurden im Zuge der vatikanischen Liturgiereform zurückgenommen. Die überflüssige 7. (doxologische) Strophe kam später hinzu. Die 4teilige Melodie (im B. Kirchenton), der 4zeiligen Textstrophe entsprechend, gehörte ursprünglich zum Osterhymnus Hic est dies verus Dei des Ambrosius und wurde erst später auf das V. übertragen (früheste Aufzeichnung im Hymnar von Kempten um 1000). In der Liturgie hat der Hymnus als Gebet um den Hl. Geist und seine Gaben seinen Platz in der 1. und 2. Vesper von Pfingsten, bei verschiedenen Weihe- u. Profeßriten, in Predigt- und Wortgottesdiensten sowie bei Besinnungstagen. Bereits im 12. Jh. gibt es Versuche, das V. ins Deutsche zu übertragen, später u. a. von M. Luther, Angelus Silesius, J. W. von Goethe, H. Bone. In neuerer Zeit vertonte G. Mahler den lat. Text im 1. Teil seiner B. Symphonie. W.
BRETSCHNEIDER
VENI SANCTE SPIRITUS (lat., = Komm, Heili-
ger Geist). - 1) Versbeginn des 2. Alleluja-Gesangs vom Pfingstfest. Die ma. dt. Übertragung Chum heiliger Geist, herre got wurde von M. Luther 1524 erweitert und in den ev. Gottesdienst übernommen, wo es als Introitus-, Gradual- und Predigtlied große Bedeutung erlangt hat (Komm, Heiliger Geist, Herre Gott). - 2) Pfingstsequenz der römischen Liturgie, eine von den 4 Sequenzen, die 1570 ins Römische Meßbuch aufgenommen wurde.
Text (dem lange in Paris lehrenden Engländer Stephen Langton zugeschrieben) und Melodie dürften in Paris um 1200 entstanden sein. Die Dichtung, Ausdruck ma. H1.-Geist-Frömmigkeit, umfaßt 10 Strophen im trochäischen Versmaß mit je 3 regelmäßig akzentuierten Versen. Die Melodie im 1. Modus besteht aus 5paarig wiederholten Strophen mit deutlichen Binnenzäsuren. Von den mehrstimmigen Vertonungen ist bemerkenswert eine 4st. isorhythmische Motette von J. Dunstable mit dem Sequenztext in der Oberstimme und einem Tenor, der aber auf der choralen Melodie des Hymnus ř Veni Creator Spiritus beruht. J. Walter verbindet das V. in einem 6st. Satz mit der im 13./14. Jh. entstandenen Pfingstleise Nun bitten wir den Heiligen Geist. w. BRETSCHNEIDER VENTIL (engl.: valve; frz.: piston, cylindre; it.: pistone; span.: pistón, cilindro), Bz. für eine mechanische Vorrichtung, mit deren Hilfe die Länge der Schallröhre bei Blechblasinstrumenten verändert werden kann. Auf Druck verlängert ein V. durch Öffnen eines Zusatzbogens die Gesamtlänge der Röhre und vertieft damit den Grundton des Instruments. Durch die Erfindung der V.e wurden die Blechblasinstrumente (Horn, Kornett, Trompete, Tuba, seltener Posaune) voll chromatisch spielbar. Das erste Pump-V. (frz.: piston) ließen sich 1818 Blühmel und Stölzel (Berlin) patentieren. Es wurde 1830 von L. Uhlmann in Wien (Wiener V., Schub- oder Stechbüchsen-V.), dann 1835 von Moritz und Wieprecht in Berlin (Berliner Pumpen) und 1839 von Périnet in Paris (PérinetV.) verbessert. Das Pump-V. sowie das 1832 von J. Riedl in Wien entwickelte Dreh- oder ZylinderV. (frz.: cylindre) werden bis heute verwendet. Im allgemeinen haben die Instrumente 3 V.e, die den Grundton um einen Ganzton (1. V.), einen Halbton (2. V.) oder l'' Töne (3. V.) vertiefen. Nur bei Baßinstrumenten wird häufig noch ein 4. V. (Vertiefung um 2'72 Töne) benutzt. Die bei Kombination mehrerer V.e auftretenden Intonationsdifferenzen lassen sich durch ein oder mehrere sog. Kompensations-V.e ausgleichen. Außerdem werden noch Umschalt-V.e verwendet, um die Gesamtstimmung einiger Instrumente zu verändern (Doppelhorn, Doppeltuba, Trompete). Lit.: H. HEYDE, Zur Frühgesch. der V.e u. V.instrumente in Deutschland 1814-1833, in: Brass Bulletin 24 (1978) - 27 (1979); PH. BATE, Valve, in: Grove° XIX; R. DAHLQVIST, Some Notes an the Early Valve, in: Galpini 33 (1980). M. BRÖCKER
VENTO, Ivo de, * um 1544, t 1575 München; Komponist vermutlich flämischer Herkunft. Er
wurde 1556 Chorknabe der bayerischen Hofkapelle Herzog Albrechts V. und ging 1560 auf Ko239
Venuti sten des Herzogs zu weiterer Ausbildung nach Venedig, wo er wahrscheinlich Schüler von Cl. Merulo war. 1564 nach München zurückgekehrt, wirkte V. unter O. di Lasso als Organist der Hofkapelle. 1568 beteiligte er sich mit an den Festlichkeiten anläßlich der Heirat des Herzogs Wilhelm VI. mit Renate von Lothringen und folgte dem Herzog an seinen Hof in Landshut. 1569 kehrte er in seine frühere Stellung in München zurück. V. erlangte große Bedeutung als Komponist deutscher weltlicher und geistlicher Lieder, die auch noch lange nach seinem Tod verbreitet waren. WW (in München gedruckt): Latinae cantiones für 4 St. (1569), für 5 St. (1570); 2 weitere Slgen. 4st. Motetten (1571, 1574); Quinque motetae mit einigen Madrigalen, Chansons u. dt. Liedern für 5-9 St. (1576); 3 Messen (hsl.). - Neue Teutsche Lieder(mit unterschiedlichen Titeln) für 3 St. (1572), für 4 St. (1570, 1572), für 5 St. (1573), für 4-6 St. (1570). Weitere Madrigale in Sammeldrucken 1564-75. Ausg.: 2 dt. Motetten in: Acht Lied- u. Choralmotetten, hrsg. v. H. OSTHOFF (Wb 1934, 2 1974) (- Chw 30); 4st. weltl. Chorlieder, hrsg. v. H. KULIS (Fr 1955) (- Christophorus Chorwerk 6); 2 Lieder in: P. WINTER, Lob des Weines (F 1969). Lit.: K. HUBER, I. de V. (Diss. Mn 1918); H. OSTHOFF, 1. de V., in: MGG XIII.
VENUTI, Joe (Giuseppe), * 19.3. 1894 Lecco am Comer See, t 14.8. 1978 Seattle (Washington); amerik. Jazzmusiker (Violine). V. wuchs in den USA auf, erhielt 1923 zusammen mit dem Gitarristen Eddie Lang, seinem langjährigen Gefährten, das erste Engagement, spielte in bedeutenden Bands wie denen von Red Nichols, Paul Whiteman, Frank Trumbauer und bei den Dorsey-Brüdern. In die 2. Hälfte der 20er Jahre fallen seine jazzgeschichtlich bedeutsamen Duos mit E. Lang; ihr kammermusikalischer Swing-Jazz fand später in V.s Gruppe „Blue Four" eine Fortsetzung. Seit den 30er Jahren trat V. mit eigenen Bands auf und hatte bis in die 7 0er Jahre großen Erfolg. V. gilt neben Stéphane Grappelly als der erste bedeutende Geiger des Jazz. Er spielte mit ebensoviel Schmelz wie Expressivität und liebte gelegentlich auch das Virtuose, das er mit Akkordspiel auf allen 4 Saiten verband. VERACINI, Francesco Maria, * 1.2. 1690 Florenz, t 31. 10. 1768 ebd. ; it. Violinist und Komponist. Er war Schüler u. a. seines Onkels Antonio (* 17. 1. 1659 Florenz, t 25. 10. 1733 ebd.), der als Violinist und Kapellmeister seit 1682 in Florenz wirkte und von dem 3 Sammlungen Sonaten für 1-3 V. u. B. c. erhalten sind (Fi bzw. Modena 1692-96). V. erregte schon als Kind Aufsehen durch sein virtuoses Spiel. Seit etwa 1711 unternahm er Konzertreisen, spielte 1714 als Solist in den Zwischenakten der italienischen Oper in London, 1715 am Hof des 240
Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg in Düsseldorf und 1716 in Venedig, wo ihn G. Tartini bewunderte. 1717-22 war V. 1. Violinist der Hofkapelle in Dresden, kehrte aber bald nach Italien zurück. 1735-45 hielt er sich mit Unterbrechungen in London auf, wo er einige Werke für die mit dem Opernunternehmen G. Fr. Händels rivalisierende Opera of Nobility schrieb. 1745-50 lebte er in Pisa, zuletzt in Florenz. WW : Sonaten u. Sonate accademiche für V. u. B. c. (Dresden 1721, Lo 1744); 3 V.-Konzerte in Sammeldrucken etwa 1719-36. - Hsl. erhalten: Sonaten für V. od. Blockfl. u. B. c. (1716); Dissertazioni (Sonaten) ... sopra l'opera quinta del Corelli; weitere V.-Sonaten; 2 Concerti. - Opern (hsl. oder gedruckt als Favourite Songs): Adrian in Siria, UA: London 1735; Partenio, UA: ebd. 1738; Rosalinda, UA: ebd. 1744; ferner einige Kantaten. - Traktat /! trionfo della pratica musicale (hsl.)
V. war einer der großen Violinvirtuosen seiner Zeit, dessen Spiel und exzentrischer Charakter oft kontrovers diskutiert wurden. Als Komponist gilt er als einer der letzten Vertreter der barocken Violinsonate. Vor allem seine Sonate accademiche zeigen eine für die damalige Zeit (u. a. nach dem Urteil Ch. Burneys) ungewohnte Kühnheit und Ausdruckskraft. Ausg.: V.-Konzert D-Dur, hrsg. v. B. PAUMGARTNER (Kas 1959) (- Hortus Mus. 169); 12 Sonaten (1716), hrsg. v. W. KOLNEDER (L 1959); 12 Sonaten nach Corelli, hrsg. v. DEMS., 3 Hefte (Mz 1961); 3 Sonate accademiche, hrsg. v. DEMS., 3 Hefte (L 1962-71); 3 Sonaten (1716), hrsg. v. F. BAR (1973) (- Hortus Mus. 215). Lit.: M. GRAY WHITE, The Life of F. M. V., in: ML 53 (1972); F. C. RICCI, Note sull'opera violinistica di F. M. V. (R 1973), J. W. HILL, The Life and Works of F. M. V. (Ann Arbor 1979) ( Studies in Musicology 3).
VERA COSTANZA, LA, Dramma giocoso in musica von J. Haydn ; dt. Titel : r List und Liebe. VERBÄNDE r Musikorganisationen. VERBONNET, Jean, OE Ghiselin. VERBUNKOS (ung.; von dt. Werbung), Bz. für einen volkstümlichen Instrumentalstil in r Ungarn. Charakterisiert wird der V. durch den Wechsel langsam (lassú)-schnell (friss), eine mit übermäßigen Sekunden durchsetzte Dur- und Moll-Heptatonik (r Zigeunertonleiter) und einen typischen rhythmisch-melodischen Formelschatz (punktierte Rhythmen innerhalb binärer Metren, Triolengirlanden, eine spezifische, aus der r Cambiata entstandene „Bokázó"-Kadenzformel). Der Ursprung des V. liegt in den Burschentänzen, die bei der Rekrutenwerbung für das Habsburgerheer seit 1715 ausgeführt wurden; geprägt wurde er durch das virtuose Spiel der Zigeunermusikanten, in dem die
Verdi
ung. Volksmusiktradition mit islamisch-nahöstlichen, balkanischen, slawischen und kunstmusikalischen (dt. und it.) Elementen organisch durchsetzt erscheint. Auf den „frühen V." (1780-1810) folgte seine Glanzperiode (1810-40), in der Virtuosen wie J. Bihari, János Lavotta und Antal Csermák breitere Formen schufen und der V. dabei zum repräsentativen Musikstil Ungarns schlechthin wurde; eine 3. Zeitspanne (1840-80) schloß die Entwicklung ab. Der schnelle Teil des V. wurde im r Csárdás weitergeführt. Eine der wichtigsten Sammlungen mit 135 V. gab Ignác Ruzitska heraus : Magyar Nóták Veszprém Vármegyélböl (15 Bde., 1823-32). Der V. hat im 19. Jh. befruchtend auf das ungarische Kunstliedschaffen (Béni Egressy, Elemér Szentirmay u. a.) eingewirkt, hat den nationalen Zug des angehenden ung. Opernschaffens (József Ruzitska, F. Erkel u. a.) geprägt und die Orchesterwerke von Fr. Liszt und schließlich das frühe Schaffen von B. Bartók beeinflußt. Lit.: P. P. DoMOKos, Beziehungen der Musik des 18. Jh. in Ungarn z ung. Volksmusik von heute, in: Studia musicologica 4 (1964); B. SZABOLCSI, Gesch. der ung. Musik (Budapest 1964); F. BóNI5, Bartók u. der V., in: ÖMZ 27 (1972); B. RAJECZKY, V., in: MGG XIII; B. SÁRosI, Zigeunermusik (Z — Fr 1977). G. HABENICHT
VERDECKUNG (engl.: masking), in der Akustik Bz. für einen Effekt, der beim gleichzeitigen Hören zweier Töne mit verschiedener Lautstärke und Tonhöhe auftritt. Dabei wird der leisere Ton nicht wahrgenommen, also vom lauteren Ton verdeckt. Ob eine V. eintritt, hängt jedoch nicht nur von den Amplituden beider Töne ab, sondern auch von ihren Frequenzen. Tiefe Töne (bis etwa 500 Hz) lassen sich kaum verdecken. Sie sind wahrzunehmen, sobald ihre Amplitude oberhalb der Hörschwelle liegt, unabhängig von der Tatsache, ob und wie laut ein zweiter Ton gleichzeitig erklingt. Hohe Töne dagegen werden leicht verdeckt, und zwar um so eher, je niedriger die Frequenz des verdekkenden Tones ist. Aus diesem Grund mag es vorkommen (und wird häufig kritisiert), daß die zahlenmäßig schwächer besetzten Bässe eines Orchesters die an Zahl überlegenen Mittel- und Oberstimmen verdecken. Die zahlenmäßige Verteilung der Orchesterinstrumente erklärt auch umgekehrt die Tatsache, daß eine V. tiefer Instrumente durch höhere weitgehend ausgeschlossen ist. In der elektronischen Musik wird die V. als kompositionstechnisches Mittel bewußt eingesetzt. VERDELOT (Verdelotto), Philippe, * zwischen 1470 und 1480 Verdelot, Les Loges (Seine-etMarne), t vor 1552 Florenz (?); frz. Komponist. Er kam wahrscheinlich in sehr jungen Jahren nach
Italien und ist 1523-27 als Kapellmeister am Baptisterium von S. Giovanni in Florenz nachgewiesen. 1524 sang er vor Papst Clemens VII. in Rom. Weitere biographische Zeugnisse existieren nicht; aus dem Text einzelner Werke, die auf bestimmte Ereignisse oder Umstände hinweisen, und aus ihrer Überlieferung sowie aus indirekten Quellen läßt sich schließen, daß V. sich auch in Bologna (vgl. das Madrigal O singular dolcezza del sangue bolognese), Rom (1529-33), Venedig (1533-42) und schließlich wieder in Florenz aufgehalten hat. WW: 3 Bücher Madrigale für 4 St. (V 1533, 1534, 1537), das 1. Buch für SingSt u. Laute bearb. v. A. Willaert (V 1536); Madrigale für 5 St. (V 1535); zahlr. weitere Madrigale für 4-6 St. in zahlr. Sammeldrucken des 16. Jh., auch in Tabulaturdrucken; 3 Chansons. — 2 Messen u. etwa 50 Motetten in Sammeldrucken des 16. Jh. u. hsl. erhalten.
Mit C. Festa ist V. der prominenteste Vertreter des r Madrigals am Beginn seiner neuen Blüte im 16. Jahrhundert. Seinen internationalen Ruhm und Nachruhm auch als Motettenkomponist bezeugt nicht zuletzt die Verwendung einiger seiner Werke als Vorlagen zu Parodiemessen (u. a. von J. Arcadelt, G. P. da Palestrina, N. Gombert, O. di Lasso, Cr. Morales). Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. A.-M. BRAGARD (R 1966ff.) (— CMM 28), bisher 3 Bde.; weitere Ausg. s. Groves XIX.
Lit.: D. L. HERSH (HARRAN), Ph. V. and the Early Madrigal, 2 Bde. (1963) ( — Diss. Univ. of California); A.-M. BRAGARD, Etude bio-bibliographique sur P. V.... (Bru 1964); N. BÖKER-HEIL, Die Motetten v. Ph. V. (Diss. F 1967); H. C. SLIM, V., in: Groves XIX.
VERDI, Giuseppe (Fortunino Francesco), * 9. (oder 10.) 10. 1813 Roncole bei Busseto (Parma), t 27. 1. 1901 Mailand; it. Komponist. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf; sein Vater Carlo führte ein Wirtshaus in Roncole und betrieb nebenher einen Weinhandel, die Mutter Luigia Uttini stammte wie V.s Vater aus alteingesessener Familie von Gastwirten mit kleinem Landbesitz. Frühzeitig erhielt V. Musikunterricht und war mit 9 Jahren bereits als Kirchenorganist von Roncole angestellt. Seit 1823 besuchte er das Gymnasium in Busseto, seine musikalische Ausbildung übernahm der städtische Musikdirektor Ferdinando Provesi. Entscheidende Förderung erfuhr V. durch den wohlhabenden Kaufmann Antonio Barezzi, einen rührigen Musikliebhaber, der die Musikgesellschaft von Busseto präsidierte. 1831 siedelte V. in das Haus seines Gönners über, und mit dessen Unterstützung - neben einem Stipendium des Monte di pietá - konnte er seine Ausbildung in Mailand fortsetzen. Am dortigen Konservatorium, das später seinen Namen tragen sollte, wurde er im Juni 1832 abgewiesen. So wurde er Privatschüler des erfahrenen Theaterpraktikers Vincenzo Lavigna, der 241
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jahrzehntelang als Maestro al cembalo an der Mailänder Scala wirkte, für die er auch 5 seiner Opern geschrieben hatte. Nach fast 3jährigem Studium bei Lavigna kehrte V. nach Busseto zurück, wo er als Nachfolger Provesis im März 1836 zum Maestro di musica gewählt wurde, was ihn zur Einstudierung und Leitung der Musikgesellschaftskonzerte und zum Unterricht an der Musikschule verpflichtete. Im Mai dieses Jahres heiratete er Margherita Barezzi, die Tochter seines Gönners. Für die Akademien der Società Filarmonica schrieb V. zahlreiche Kompositionen, die außer einem Tantum ergo verschollen sind. Ferner arbeitete er an einer Oper unter den Titeln Lord Hamilton und Rocester, vermutlich Vorstufen zu Oberto. Im Februar 1839 kündigte V. seinen Vertrag und kehrte mit Frau und Sohn nach Mailand zurück. Die Tochter Virginia war anderthalbjährig bereits im August 1838 gestorben, und auch der Sohn Icilio verstarb noch vor der Aufführung von Oberto conte di San Bonifacio (1839), der ein Erfolg wurde und V. die dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Verlagshaus Ricordi wie auch weitere Aufträge des Impresario Bartolomeo Merelli brachte. Bedeutete die Annahme des Erstlings an der Mailänder Scala einen verheißungsvollen Beginn, so mußte die 2. Oper, Un giorno di regno (1840), in einer Zeit ablehnender Haltung gegenüber der Opera buffa und des Zerfalls dieser Gattung fast zwangsläufig zum Fiasko führen. Noch während der Komposition hatte V. im Juni auch seine Frau Margherita verloren, das Unglücksjahr 1840 brachte ihm die tiefste Lebenskrise. Doch auf Drängen Merellis vollendete er die 3. Oper, Nabucodonosor, bald zu Nabucco verkürzt, schon im Herbst 1841. Die Premiere an der Mailänder Scala (1842), an der V.s spätere Lebensgefährtin Giuseppina Strepponi als Abigaille beteiligt war, gestaltete sich zu einem Triumph, der den Komponisten über Italiens Grenzen hinaus bekannt machte. Ein Jahr später gelang ihm mit I Lombardi alla prima crociata eine Wiederholung des Erfolgs. Von Aufträgen überhäuft, folgten für V. Jahre angestrengtester Arbeit, die er Anni di galera (Galeerenjahre) nannte.'orn denen V.s einziger Schüler, Emanuele Muzio, in liriefen an Barezzi eine Vorstellung vermittelt. Zunächst gewann sich V. die bedeutendsten Opernhäuser Italiens, La Fenice in Venedig (Ernani, 1844; Attila, 1846), das Teatro Argentina in Rom (I due Foscari, 1844) und das Teatro S. Carlo in Neapel (Alzira, 1845). Seine erste Shakespeare-Vertonung führte ihn ferner an das Teatro della Pergola in Florenz (Macbeth, 1847), während es bei einer weiteren Oper für Mailand (Giovanna d'Arco, 1845) zum Bruch mit Merelli und der 242
Scala gekommen war. Dann versuchte V. im Ausland Fuß zu fassen, in London mit I masnadieri (1847) und in Paris mit Jérusalem (1847), einer erweiterten Umarbeitung der Lombardi und sein erster Kontakt mit der Opéra (1847). Mit den Erträgen seiner Opern gewann V. rasch finanzielle Unabhängigkeit und erwarb 1848 Ländereien in Sant'Agata bei Busseto. Die 1851 bezogene Villa blieb bis zu seinem Tod bevorzugter Wohnsitz, doch lebte er in diesen Jahren noch vorwiegend in Paris, wo Giuseppina Strepponi als Gesangspädagogin tätig war. Dort entstand neben II corsaro (1848) und Teilen von Luisa Miller (1849) die bewußt als patriotisches Bekenntnis angelegte Battaglia di Legnano (1849). Das Publikum hatte schon frühere Opern V.s politisch aufgefaßt, aber mit den Aufständen von 1848 gegen die östr. Fremdherrschaft wurde er selbst zum Sinnbild des Risorgimento. 1859 diente sein Name gar als politisches Akronym : V(ittorio) E(manuele) R(6) D'I(talia). Nach dem erfolgsarmen Stilelio (1850), der später in Aroldo (1857) umgewandelt wurde, schrieb V. jene 3 Werke, die zur ständigen Stütze des internationalen Repertoires wurden : Rigoletto (1851), II Trovatore (1853) und La Traviata (1853). Dann folgten Les vépres siciliennes (1855), die erste Originalkomposition im Genre der großen frz. Oper, und Simon Boccanegra (1857), auf dessen Neuerungstendenzen das Publikum verständnislos reagierte. Darauf befaßte sich V. mit W. Shakespeares King Lear, einem schon früher erwogenen Opernprojekt, das ihn noch bis ins Alter begleitete, ohne je verwirklicht zu werden. Statt dessen komponierte er für Neapel Un ballo in maschera, ließ das Werk aber nach Kontroversen mit der Zensur in Rom aufführen (1859). Nach dieser Oper konnte V. sich erstmals vom Produktionszwang befreien und sich seinem landwirtschaftlichen Betrieb in Sant'Agata widmen. Im Winter lebte er mit Giuseppina Strepponi, die 1859 seine Gattin wurde, meist in Genua, wo er sich 1866 im Palazzo Sauli einmietete. Seit 1861 versah er zudem für 4 Jahre ein politisches Amt als Abgeordneter des ersten it. Parlaments in Turin. Die folgenden Werke waren wieder ausländischen Bühnen zugedacht; für St. Petersburg schrieb V. La forza del destino (1862) und für Paris Don Carlos (1867), der wie zuvor die frz. Neufassung von Macbeth (1865) wenig Anklang fand. 1867 wurde für V. ein weiteres Unglücksjahr: Anfang des Jahres starb sein Vater und im Juli, noch schmerzvoller für ihn, der väterliche Freund Barezzi. Dann kehrte V. nach 24 Jahren Abwesenheit mit einer 2. Version von La forza del destino (1869) an die Mailänder Scala zurück. Hier erlebte auch die für Kairo kom-
Verdi ponierte Aida (1871) unter V.s Leitung 1872 ihre brillante europäische Erstaufführung. Die Titel-
partie sang Teresa Stolz, die V. bis zu seinem Tod auch persönlich eng verbunden war. Aida blieb V.s letztes Auftragswerk, und es sollten 15 Jahre vergehen, bevor er dann auf eigene Initiative mit neuen Bühnenwerken nochmals hervortrat. In der Zwischenzeit entstanden freilich mehrere Kompositionen: In Neapel schrieb er 1873 das Streichquartett e-moll, und nach dem Ableben des von ihm zuhöchst verehrten Dichters A. Manzoni vollendete V. ein Requiem, dessen Finalsatz Libera me er schon 1869 komponiert hatte, damals als Teil einer im Kollektiv verfaßten Totenmesse für G. Rossini bestimmt. Die Uraufführung des Requiem (1874) in der Mailänder Kirche S. Marco stand unter V.s Leitung. Wie zu Beginn der Karriere waren Mailand und die Scala wieder Mittelpunkt seines Wirkens, wo 1880 auch 2 kleinere Werke zuerst Gehör fanden, ein Pater noster für 5st. Chor und das Ave Maria far Sopran und Streicher. Bis zum Zerwürfnis (1871) hatte Angelo Mariani, der erste it. Dirigent modernen Stils und Vorkämpfer R. Wagners, seinem Freund V. als Interpret unschätzbare Dienste geleistet. In den 1870er Jahren widmete sich V. nun selbst vermehrt der musikalischen und szenischen Wiedergabe der neueren Werke; von Aida leitete er Einstudierungen in Parma, Neapel, Wien und Paris, mit dem Requiem gab er Konzerte in Paris, London, Wien und 1877 auf dem Niederrheinischen Musikfest in Köln. 1879 begann die Zusammenarbeit mit A. Boito, dessen Inno delle nazioni V. 1862 für die Londoner Weltausstellung vertont hatte. Im November dieses Jahres erhielt V. die erste Fassung von Otello, doch legte er zunächst Revisionen von Simon Boccanegra (1881) und Don Carlos (1884) vor. Im Laufe der 80er Jahre schränkte V. das Reisen ein und lebte zunehmend zurückgezogen, den Sommer hindurch in Sant'Agata, während des Winters in Genua, wo er 1874 in den Palazzo Doria umzog. Seit 1882 wurde V. der alljährliche Besuch des Kurorts Montecatini zur Gewohnheit, wo er jeweils im Frühsommer einige Zeit verbrachte. Mit Otello begann V. im März 1884, Anfang Oktober 1885 war die mehrmals unterbrochene Arbeit im wesentlichen abgeschlossen. Orchestrierung und Korrekturen sowie Diskussionen über Ausstattung und Darsteller nahmen jedoch ein weiteres Jahr in Anspruch. V. leitete auch die Proben, während eine weltweite Presse das Werk mit Spannung erwartete. Die Mailänder Uraufführung am 5. Februar 1887 erzielte bei Publikum und Kritik einen Erfolg ohnegleichen. Zeitlebens hatte sich V. für wohltätige Zwecke verwendet. 1888 wurde das von ihm gestif-
tete Krankenhaus in Villanova unweit Sant'Agata eröffnet, und 1889 entwickelte er aufwendige Pläne zum Bau eines Altersheims für Musiker in Mailand. In das Jahr 1889 fiel auch die erste Beschäftigung mit Falstaff; der auf eine Anregung Boitos zurückging. Im August nahm V. die Komposition auf, die sich freilich bis Ende 1892 hinzog. Die Premiere dieser Commedia lirica am 9.2. 1893 hatte wie alle späteren Werke V.s überragenden Erfolg. Trotzdem ließ sich der nun 80jährige Komponist nicht mehr zu weiteren Bühnenwerken bewegen. Nur für die frz. Aufführung von Otello schrieb V. 1894 noch die Ballettmusik. Den Abschluß seines Schaffens bildeten ein Te Deum und ein Stabat mater, die er mit den älteren Laudi alla Vergine Maria und Ave Maria (sopra una scala enigmatica) zu den Quattro pezzi sacri vereinte. Am 27. Januar 1901 erlag der greise V. in Mailand einem Schlaganfall und wurde an der Seite Giuseppinas, die im November 1897 gestorben war, in der von ihm gegründeten Casa di riposo per musicisti beigesetzt. WW: 1) Instr.-WW: Streichquartett e-moll (1873). - 2) VokalWW : Lieder für SingSt u. Klv.: Sei romanze (1838); L'esule (1839); La seduzione (1839); Chi i bei di m'adduce ancora (1842); Album di sei mmanze (1845); Il poveretto (1847); L'abandonnée (1849); Barcarola (1850); Fiorara (1853); La preghiera del poeta (1858); II brigidin (1863); Stornello (1869); Pietà, Signor (1894). Weitere Vokalwerke: Scena lirica Io la vidi e a quell'aspetto (1832-35 ?); Notturno Guarda che bianca luna(1838); Inno popolare Suona la tromba (1848); Inno delle nazioni (1862). -3) Geisel. Werke: Tantum ergo (1836); Messa da Requiem (1874) für 4 Solost., Chor u. Orch.; Pater noster, Ave Maria (1880); Quattro pezzi sacri (1889-97). - 4) Bühnen-WW: Opern : Oberto, conte di San Bonifacio (Libr.: A. Piazza, revidiert v. T. Solera), UA: Mailand 1839; Un giorno di regno (Il finto Stanislao) (Libr.: F. Romani, revidiert v. Solera?), UA: ebd. 1840; Nabucodonosor (Na. bucao)(Libr.: Solera), UA: ebd. 1842; I Lombardi alla prima crociata (Libr.: ders.), UA: ebd. 1843, revidiert frz. als: Jérusalem (Libr.: A. Royer u. G. Vatz), UA: Paris 1847; Ernani(Libr.: F. M. Piave nach V. Hugo), UA: Venedig 1844; 1 due Fori (Libr.: ders. nach Lord Byron), UA: Rom 1844; Giovanna d'Arco(Libr.: Solera nach F. von Schiller), UA: Mailand 1845; Alzira (Libr.: S. Cammarano nach F.-M. Voltaire), UA: Neapel 1845; Attila (Libr.: Solera u. Piave), UA: Venedig 1846; Macbeth (Libr.: Piave u. A. Maffei nach W. Shakespeare), UA: Florenz 1847, revidiert frz. (Libr.: C. Nuitter u. A. Beaumont), UA: Paris 1865; I masnadieri (Die Räuber) (Libr.: Maffei nach Schiller), UA: London 1847; B corsaro (Der Korsar) (Libr.: Piave nach Byron), UA: Triest 1848; La battaglia di Legnano (Die Schlacht von Legnano) (Libr.: Cammarano), UA: Rom 1849; Luisa Miller (Libr.: dem. nach Schiller), UA: Neapel 1849; Stiffelio (Libr.: Piave), UA: Triest 1850, revidiert als: Aroldo, UA: Rimini 1857; Rigoletto (Libr.: ders. nach Hugo), UA: Venedig 1851; B Trovatore (Libr.: Cammarano u. L. E. Bardare), UA: Rom 1853; La Traviata (Libr.: Piave nach A. Dumas fils), UA: Venedig 1853; Les vepres siciliennes(Libr.: E. Scribe u. C. Duveyrier), UA: Paris 1855; Simon Boa canegra (Libr.: Piave u. G. Montanelli), UA: Venedig 1857, revidiert (Libr.: A. Boito), UA: Mailand 1881; Un ballo in maschera (Ein Maskenball) (Libr.: A. Somma nach Scribe), UA: Rom 1859; La forza del destino (Die Macht des Schicksals) (Libr.: Piave), UA: St. Petersburg 1862, revidiert (Libr.: A. Ghislanzoni), UA:
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Verdi Mailand 1869; Don Carlos (Libr.: J. Méry u. C. du Locde nach Schiller), UA: Paris 1867, revidiert als: Don Carlo (it. Fassung), UA: Mailand 1884; Aida (Libr.: Ghislanzoni), UA: Kairo 1871; Otellb (Libr.: Bobo nach Shakespeare), UA: Mailand 1887; Falstaff (Libr.: ders. nach Shakespeare), UA: ebd. 1893.
Im Werk V.s findet die von Rossini eingeleitete Reform, die den Opera seria-Typ metastasianischer Prägung endgültig überwunden hatte, eine kontinuierliche Fortsetzung. Fast konkurrenzlos beherrscht V. 50 Jahre lang die Oper in Italien. Beginnend mit den Frühwerken, die vielerorts schlagartig G. Donizetti und V. Bellini von der Spitze des Spielplans verdrängen, kann V. diese Stellung bis zu den beiden Spätwerken behaupten, während der Oper zur gleichen Zeit in G. Puccini und im Verismo neue Impulse erwachsen. - Zu Recht betrachtete V. Nabucco als eigentlichen Beginn seiner Karriere. Oberto zeigt, was schon zeitgenössische Kritiker aufhorchen ließ, Ansätze zu persönlichem Stil; das von den Vorgängern übernommene Nummernprinzip bleibt aber weithin leeres Formschema, sichtbar an statischen, funktionsarmen Introduktionschören und Arien, denen ein vermittelnder szenischer Zwischenteil fehlt. An Un giorno di regno ist bemerkenswert, wie sich V. den geschmeidigen Buffostil Rossinis zu eigen macht, etwa in den Duetten für die beiden Bässe, doch erschöpft sich die Oper in vordergründig brillantem Spiel. Die sentimentalen, wenn nicht tragischen Züge von Donizettis wenig späterem Don Pasquale sind ihr fremd. Mit Nabucco setzt sich V. indes deutlich von den Vorgängern ab. Die Nummern sind vor allem gegenüber Bellini stark gestrafft, vermehrt von Aktion durchdrungen, und der gesamte Handlungsablauf wird strikt vorangetrieben. Die Melodielinie gewinnt mit ausgreifenden Intervallsprüngen, die innerhalb eines weitgespannten Ambitus häufig in die Grenzbereiche vorstoßen (Abigaille), schärfste Konturen. Eine aufpeitschende (Polaccarhythmus) und schroffe (Synkopen-)Rhythmik zielt in schnellen Tempi auf äußerste Schlagkraft, demselben Zweck der krassen Effekte dienen abrupte dynamische Kontraste und wuchtige Orchesterschläge mit oft grellen Blechbläserakzenten. Bezeichnend ist ferner ein schlichtes und starres, am Strophenbau orientiertes Harmoniegerüst mit bereits im Text angelegten, festen Modulationsstellen (häufige Molleintrübung im Artenmittelteil; Moll-Dur-Wechsel im Schlußteil von Romanzen). Diese Merkmale bleiben bestimmend für V.s Frühwerk. Nabucco und I Lombardi, noch stärker als dann Giovanna d'Arco und Attila, werden in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Temistocle Solera zu ausgesprochenen Monumentalopern, in deren Zentrum gewaltige 244
Chorszenen und breit angelegte Ensembles stehen. Während hier die Konflikte der Figuren nur Teil einer übergreifenden Staatsaktion sind, tritt mit den (von V. entscheidend vorgeformten) Textbüchern Fr. M. Piaves eine Wendung zum persönlichen, verinnerlichten Drama ein. Das Schlußterzett aus Ernani, eine in ihrer musikalisch eindringlichen Personencharakterisierung und ihrer Situationsausdeutung singuläre Finalszene, ist dafür beispielhaft. Neben dem intimeren Liebesdrama, mit dem sich V.s Ausdrucksmittel verfeinern, steht das für seine Entwicklung letztlich bedeutendere Machtdrama, das markante Gestalten in neuartiger Personenkonstellation auf die Bühne bringt. In diesem Operntyp verblaßt der Tenor zum schwächlichen Liebhaber (Ismaele, Oronte, Foresto), doch gewinnt zugleich der Sopran an Kraft (Abigaille, Odabella, Lady Macbeth). Vor allem aber rücken die tiefen Männerstimmen als machtbesessene - hybride oder skrupellose - Charaktere (Nabucco, Attila, Macbeth, Francesco Moor) in den Brennpunkt der Aktion. An diesen psychologisch differenzierten Gestalten entwickelt V. einen deklamationsnah profilierten Charaktergesang, der nach dramatischer Wahrheit strebt und dem früheren Belcantoideal der reinen Gesangsoper eine Absage erteilt. Richtungweisend ist darin Macbeth, in dem die von V. zahlreich beigegebenen Ausdrucksbezeichnungen geradezu konstitutiver Bestandteil der Partitur werden. Für die formale Entwicklung ist die szenische Auflockerung und Dramatisierung der starren Nummernkonstruktion bedeutsam, vornehmlich der 4teiligen Standardform, einer kombinierten Kontrast- und Steigerungsanlage, die in Solonummern (bes. den als Cavatina bezeichneten Auftrittsarien) folgenden Aufbau hat: einleitendes Rezitativ (Scena) langsamer erster Artensatz (primo tempo, cantabile) - szenischer Zwischenteil (tempo di mezzo) schneller zweiter Artensatz (cabaletta). Den Schematismus durchbricht V. etwa in der Arie Luisa Millers: Durch stärkste Beteiligung Wurms wird die Solonummer dialogisch ausgeweitet; das dramaturgisch entscheidende Briefdiktat fällt in die traditionell handlungsarme Scena; 2 Orchestergesten versinnlichen sigelartig die polare psychologische Grundsituation, Luisas Verzweiflung und Wurms Diabolic; ein Andante agitato mit rhythmisch markanter Begleitfigur und eine esmoll-Cabaletta verleihen den musikalischen Sätzen individuelles Gepräge. Weiterhin treten häufiger frei geformte, großflächige Szenenkomplexe auf wie die als Einheit geschlossen vertonte Tempesta in Rigoletto. Oder es begegnen Nummern wie das Duett zwischen Rigoletto und Sparafucile,
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deren Konstruktion von einer eigenständigen Orchestermelodie ausgeht, über der sich der Gesang rhythmisch freier entfalten kann, während die Komposition gewöhnlich bei der Vokalebene ansetzt und die Gesangsphrasen, die als versabhängige rhythmische Modelle erscheinen, in periodischen Ablauf bringt. Der Aufsplitterung der Oper in isolierte Nummern tritt V. entgegen, indem er die Werkeinheit durch Herstellung szenischer Bezüge verstärkt. Dies geschieht durch jeweils den Auftritt begleitende Personenmotive (I due Foscari) oder durch wiederholt zitierte Kernmotive, in denen sich dramatische Ideen verkörpern (Hornmotiv in Ernani; Fluchmotiv in Rigoletto). Hinzu kommen die gerade in Orchestervorspielen vielfach verwendeten Erinnerungsmotive. So findet sich eine eindrucksvolle motivische Verarbeitung in der Einleitung zum Schlußakt von Luisa Miller. Drohend erklingt zunächst das variierte Schicksalsmotiv der Sinfonia, dem sich dann das Liebesthema der ersten Introduktion, nur vom gläsernzerbrechlichen Klang zweier Flöten getragen, als blassester Abglanz vergangenen Glücks anschließt. Die typisierten Formen der Nummernoper bleiben, wenn auch zunehmend verarbeitet, beherrschend bis La Traviata. Erst unter frz. Einfluß kommt es mit Simon Boccanegra zu einschneidenden Neuerungen in Richtung eines individuell gestalteten und in kontinuierlichen Fluß gebrachten musikalischen Dramas. Allein ein Beginn, der auf den konventionellen Introduktionschor verzichtet und inmitten eines Dialogs ansetzt, dessen Verse stark aufgebrochen sind (sog. versi spezzati), läßt die veränderte Haltung erkennen. Bezeichnend ferner, daß V. gerade bei dieser Oper den zu jener Zeit verwegenen Wunsch nach einem Prosalibretto äußerte, was ihm selbst Boito später versagte, denn auch diesem galt die Versifikation noch als unverzichtbar. Erfolgreicher sind, wie etwa die 3 Textfassungen von Amelias Auftrittsarie in Un ballo in maschera belegen, V.s Forderungen nach einem neuen Sprachstil, den er später unter dem Begriff der Parola scenica zusammenfaßt. Im Gegensatz zum abstrakt reflektierenden, gehobenen, aber phrasenhaften Darstellungsstil versteht V. darunter eine direkt auf die konkrete Handlung und gegenwärtige Situation bezogene szenische Sprache. V.s Vorstellung richtet sich auf einen Aktionscharakter der Librettosprache, womit das Geschehen an unmittelbarer Präsenz gewinnen soll. Überhaupt findet die szenische Dimension immer stärkere Beachtung. Wiederum auf frz. Vorbild hin wird seit Simon Boccanegra ein Regiebuch („disposizione scenica") angefertigt und den Theatern für ihre Inszenierungen zur Ver-
fügung gestellt. Ein klares Indiz, daß die szenische Darstellung als integraler Bestandteil der Komposition verstanden wird. Daneben finden weitere Verschiebungen in dem einst nach strenger Hierarchie geregelten Sängerpersonal (compagnia di canto) statt. Nach den Männerstimmen werden die tiefen Stimmlagen der Frauen aufgewertet. Mußte sich V. in Luisa Miller für die Gestalt der Federica noch mit einer mittleren Rolle (parte comprimaria) begnügen, so erhalten Mezzo und Alt jetzt erste Partien. Sie bereichern die Personenkonstellation um eine schillernd komplexe Charakterrolle, die wie schon Rigoletto nicht geradlinig angelegt ist, sondern eine in Haßliebe tief gespaltene Persönlichkeit zeigt (Azucena, Eboli, Amneris). Überdies erweitert sich das Handlungsgerüst, das vormals wesentlich auf 3-4 Personen abgestützt war, um eine Vielzahl in die Aktion verflochtener Gestalten mit eigenem Gepräge, die gewichtige Akzente setzen und V.s Verlangen nach „varietà" nachkommen. Die Auffächerung der tragenden Rollen gilt namentlich für Un ballo in maschera (Ulrica, Oscar) und La forza del destino (Preziosilla, Guardiano, Melitone), wo selbst die Randfigur des Trabuco zur konzisen Charakterstudie gerät, ferner für Don Carlos (Großinquisitor). Auch in szenischer Hinsicht ist den späteren Werken eine höhere Komplexität eigen, und zwar durch Aufteilung der Bühne in Aktionsräume mit simultan geführten Teilhandlúngen (Terzettino dialogato in Don Carlos). Mitunter sind solche Szenen schon durch das Bühnenbild vorgegeben (Finalakt von Rigoletto; das als Scena divisa angelegte Schlußbild von Aida). Entscheidend ist die Aufspaltung in Aktionsräume für die beiden Alterswerke und ihre musikalische Gestaltung, vorab für die mittleren Akte von Otello und das Gartenbild in Falstaff: Einen Höhepunkt bildet das Concertato im Hause Fords, wo V. 3 räumlich getrennte Gruppen zu einem geschlossenen Aktionsensemble verschweißt. Mit der gesteigerten Differenzierung des Librettos, dramaturgisch wie formal, gehen entsprechende Änderungen in V.s Kompositionsstil einher. An die Stelle großflächiger, einfacher Harmoniegerüste tritt eine reicher entfaltete, nuanciert chromatisierende Harmonik, die mit ihrem feinrastigen und durchbrochenen Bau ein subtiles Eingehen auf die Personencharakteristik und Situationsdramatik erlaubt. Unter Verzicht auf schematische Begleitfiguren wird der Orchestersatz aufgelockert und beweglicher, die Instrumentalebene erhält durch stark motivische Prägung eigene Ausdruckskraft. Über die Bedeutung der Klangfarbe selbst in früheren Werken täuscht V.s Gewohnheit hinweg, die Opern nachträglich, 245
Verdi meist erst während der Proben, zu instrumentieren. Doch bezeugen seine Anweisungen für die Orchestrina in Macbeth eine sensible Klangvorstellung, und im stehenden Klang aus leeren Quinten der Violoncelli und darüberliegendem Oboenton, mit dem die Unwetterszene in Rigoletto anhebt, spiegelt sich eine spezifische Klangabsicht, wobei die Instrumente schon in der Kompositionsskizze vermerkt sind. Die Klangfarbe wird dann zunehmend raffiniert eingesetzt, so etwa in der „Litanei" am Schluß von Falstaff, wenn V. durch Bläsermischklang die Assoziation von Orgelklang hervorruft. Für den Spätstil grundlegend ist ein Bedeutungsverlust des Verses für die Vertonung, die sich kaum noch mit der Umsetzung des Akzentschemas in rhythmische Modelle bescheidet. Maßgeblich sind vielmehr die unregelmäßigen Sinneinheiten des Textes sowie einzelne Wortbetonungen, die als musikalisch-rhetorische Akzente hervorgehoben werden, womit sich die Periodik verliert und die Vokalphrasen dem natürlichen Tonfall folgen. Besonders für Falstaff gilt, daß eine flexiblere Sprachvertonung die frühere Verskomposition ersetzt. Auf diesen Sachverhalt dürfte sich Boito hauptsächlich beziehen, wenn er in V.s letztem Bühnenwerk eine „völlig neue Kunstform" verwirklicht sieht. Lit.: 1) Werk-Verzeichnisse u. Bibliographien: C. HOPKINSON, A Bibliography of the Works of G. V. 1813-1901, 2 Bde. (NY 1973-78); M. CHUSID, A Cat. of V.'s Operas (Hackensack/N. J. 1974); E. SURIAN, Lo stato attuale degli studi verdiani. Appunti e bibliografia ragionata (1960-1975), in: RIMus 12 (1977). - 2) Briefe u. Dokumente: A. PASCOLATO, Re Lear e Ballo in maschera, lettere die G. V. ad A. Somma (Città di Castello 1902); G. CESARI - A. Luzio, I copialettere di G. V. (Mi 1913, Nachdr. Bol 1968) (- Bibl. musica Bononiensis V/23); G. MORAZZONI, Lettere inedite di G. V. (Mi 1929); A. ALBERTI, V. intimo, carteggio di G. V. con il conte Opprandino Arrivabene (1861-1886) (Verona 1931); L. A. GARIBALDI, G. V. nelle lettere di E. Muzio ad A. Barezzi (Mi 1931); R. DE RENSIS, F. Faccio e V., Carteggi e documenti inediti (Mi 1934); Carteggi verdiani, 4 Bde., hrsg. v. A. Luzio (R 1935-47); C. GATTI, V. nelle immagini (Mi 1941); A. OBERDORFER, G. V., autobiografia dalle lettere (Mi 1951); W. WEAVER, V. A Documentary Study (Lo 1977, dt. B 1980); H. BUSCH, V.'s Aida, the History of an Opera in Letters and Documents (Minneapolis 1978); M. MEDICI - M. CONATI, Carteggio V.-Boito (Parma 1978); F. WALLNER-BASTÉ, V. aus der Nähe, ein Lebensbild in Dokumenten (Z 1979); H. BUSCH, G. V. Briefe (F 1979); M. CONATI, Interviste e incontri con V. (Mi 1980). - 3) Veröff. des Istituto di Studi Verdiani, Parma: Bollettino: I/1-3, Un ballo in maschera (1960); 11/4-6, La forza del destino (1961-66); III/7-9, Rigoletto (1969-82). - Quaderni: 1, 11 corsaro (1963); II, Gerusalemme e I Lombardi alla prima crociata (1963); III, Stiffelio (1968); IV, Genesi dell'Aida (1971). - Atti: Venedig 1966 (1969), II: Verona 1969 (1971), III: Mailand 1972 (1974); Studi verdiani (1982 ff.). -4) Biographien u. umfassende Darstellungen: A. POUGIN, V., vita aneddotica (Mi 1881, frz. Original P 1886, dt. L 1887); G. MONALDI, G. V. (Tn 1899, '1951, dt. St 1898); C. GATTI, V. (Mi 1931,'1953); F. TODE, G. V., His Life and Works (Lo 1931, Nachdr. Lo 1962, 2 1964); H. GERIGK, G. V. (Pd 1932); K. HoLL, V. (B 1939, erweitert 2 1943, Lindau '1947,
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Wien '1948, Neudruck Z 1948); D. HUSSEY, V. (Lo 1940, NY 1949, 2 1962, revidiert Lo - NY 1963, Nachdr. Lo 1973); M. MILA, G. V. (Bari 1958); F. ABBIATI, G. V., 4 Bde. (Mi 1959); H. KÜHNER, G. V. (Reinbek 1961); F. WALKER, The Man V. (Lo 1962); G. MARTIN, V. (NY 1963, Lo 1965); G. MARCHESI, V. (Tn 1970);
W. WEAVER - M. CHUSID, The V. Companion (NY 1979); J. BOURGEOIS, G. V. (dt. H 1980); C. CASINI, V. (Mi 1981); D. R. KIMBELL, V. in the Age of lt. Romanticism (C 1981); H. GAL, G. V. (F 1982). -S) Zu einzelnen Werken u. Werkgruppen: A. BASEVI, Studio sulle opere di G. V. (Fi 1859); G. RONCAGLIA, G. V. (Neapel 1914); M. MILA, II melodramma di V. (Bari 1933); F. 1. TRAVIS, V.'s Orchestration (Diss. Z 1956); G. RONCAGLIA, Galleria verdiana, Studi e figure(Mi 1959); L. K. GERHARTZ, Die Auseinandersetzungen des jungen V. mit dem literarischen Drama (B 1968) (- Berliner Stud. z. Musikwiss. 15); CH. OSBORNE, The Complete Operas of V. (Lo 1969); G. BALDINI, Abitare la battaglia. La storia di G. V. (Mi 1970); J. BUDDEN, The Operas of V., 3 Bde. (Lo 1973-81); M. MILA, La giovinezza di V. (Tn 1974); F. NOSKE, The Signifier and the Signified. Studies in the Operas of Mozart and Verdi (Den Haag 1977); G. V. (1979) (- Musik-Konzepte l0); M. MILA, L'arte di V. (Tn 1980). P. ROSS
VERDONCK (Verdonch, Verdonk), Cornelis, * 1563 Turnhout, t 5.7. 1625 Antwerpen ; ndl. Komponist. Er wurde 1572 zusammen mit Ph. Rogier Sängerknabe in der Hofkapelle König Philipps II. in Madrid und kehrte nach der Mutation in die Heimat zurück, wo er Schüler von S. Cornet wurde. 1579-98 wirkte er wieder in der Madrider Hofkapelle. Dann stand er in Antwerpen bis zu seinem Tod in den Diensten des Gouverneurs von Wicheln und Ceeskamp. V. ist deswegen bemerkenswert, weil von ihm Werke überliefert sind (sog. Bildmotetten), die zu den ersten Zeugnissen des Notenstichs gehören. WW: Poésies françoises für 5 St. (An 1599); Madrigale für 6 St. (An 1603); weitere Chansons u. Madrigale in zahlr. Sammeldrukken der Zeit. - 5 lat. Gesänge, darunter A vegratia plena u. Magnificat auf Kupferstichen v. J. Sadler (nach Gemälden v. M. de Vos).
Ausg.: Die genannten Motetten in: Ndl. Bildmotetten v. Ende des 16. Jh., hrsg. v. M. SEIFFERT (L 1929) (- Organum 1/19 u. 20); Ave gratia, hrsg. v. J. CHRIST (Bonn 1956). Lit.: M. SEIFFERT, Bildzeugnisse des 16. Jh. für die instr. Begleitung des Gesangs u. den Ursprung des Musikkupferstiches, in: AfMw 1 (1918/19); G. MASSENKEIL, V., in: MGG XIII.
VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA. Da in Amerika eine Nation aus Einwanderern entstanden ist, ist die einzige wirklich amerik. Musik die der r Indianer. Doch erst nach mehreren Jahrhunderten begannen sich die Musikethnologen für die präkolumbischen Modi und Rhythmen zu interessieren. Die Spanier brachten Hymnen und Gesänge der kath. Kirche auf den amerik. Kontinent. Die weltliche span. Musik folgte erst später und hinterließ Spuren in den Volksliedern der alten span. Besitzungen in Nord- und Südamerika. Die engl. Siedler kamen im Laufe des 17. Jh. nach
Vereinigte Staaten von Amerika Amerika und ließen sich an der Atlantikküste nieder. Das erste in Nordamerika herausgegebene Buch war das Bay Psalm Book, das 1640 gedruckt wurde. Seine 9. Ausgabe enthielt 13 Melodien, auf die die Psalmen gesungen werden konnten. Um die Mitte des 18. Jh. kam eine Gruppe deutschsprachiger Missionare, die sich in Pennsylvania niederließen und als „Moravians" (Mähren) bekannt wurden und einen großen kulturellen Widerhall erfuhren. Drei ihrer Mitglieder, Conrad Beissel (1690-1768), John Antes (1740-1811) und Johann Friedrich Peter (1746-1813) waren allgemein bekannte Komponisten. Die Engländer Alexander Reinagle (1756-1809) und Benjamin Carr (1768-1831) wanderten nach der Revolution in die V. aus und widmeten sich der Praxis, der Komposition und dem Unterricht von Musik. Der erste in Amerika geborene Komponist ist Fr. Hopkinson, einer der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Im Vorwort seiner Slg. mit Cembalostücken, die 1788 in Philadelphia erschien, bezeichnet er sich als erster Kolonist amerik. Herkunft, der ein musikalisches Werk hervorgebracht habe. Es gab mehrere Amateurmusiker unter den amerik. Staatsmännern. Benjamin Franklin wird die Erfindung der r Glasharmonika zugeschrieben ; Thomas Jefferson, der 3. Präsident der V., war ein passionierter Musikliebhaber und spielte Violine und Cembalo. Andere Amateure schrieben Hymnen und unterrichteten im Gesang, vor allem William Billings (1746-1800) aus Boston, der geistreiche „fugierte Lieder" vertonte. Die Entstehung der Musikinstitutionen. Das erste amerik. Orchester, das regelmäßige Konzerte gab, war die Pierian Sodality of Harvard University, die 1808 in Boston gegründet wurde. Die Handel and Haydn Society entstand 1815 in Boston mit dem Ziel, Chorwerke von G. Fr. Händel, J. Haydn u. a. Komponisten aufzuführen. Allmählich wurde die Musikerziehung in das Programm der amerik. Schulen aufgenommen. Die Initiative hierzu ging auf L. Mason, den Gründer der Bostoner Musikakademie (1832) und Komponisten sehr zahlreicher religiöser Gesänge, zurück. Die amerik. Gesellschaft des 19. Jh. hatte eine ausgeprägte Vorliebe für großartige Unternehmungen: Phineas Taylor Barnum, der berühmte amerik. Zirkus-Impresario, ließ den Dirigenten Louis Antoine Jullien in die V. kommen, der eine Reihe spektakulärer Aufführungen leitete, einige im Stil der Fireman's Quadrille, zu der die Darstellung eines Brandes gehörte. Anläßlich der Beendigung des Bürgerkrieges wurden 1869 und 1872 zwei Jahresfeiern für den Frieden veranstaltet. 100 Bostoner Feuerwehrmänner wurden engagiert, um während der Auf-
führung des Schmiedechors aus G. Verdis Troubadour bei einem Monsterkonzert echte Ambosse zu schlagen. Die Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit (1876) wurde in Philadelphia mit einem Galakonzert unter der Leitung von Th. Thomas gefeiert, der R. Wagner dazu bewogen hatte, für diese Gelegenheit einen Grol3en Festmarsch zu komponieren. Beseelt von dem gleichen emphatischen und bombastischen Gefühl, hatte schon früher der in Böhmen geborene A. Ph. Heinrich eine Grand American Chivalrous Symphony und eine Grand National Heroic Fantasia für 44stimmiges Orchester komponiert. Eine andere typisch amerik. Gestalt war Silas Gamaliel Pratt (1846-1916). Er schrieb Oratorien, die die amerik. Geschichte illustrieren. William Henry Fry (1813-64), dem es nicht an Beredsamkeit fehlte, amerik. Komponisten zur Vertonung von Opern anzuregen, war selbst der Autor einer Oper Leonora, einer schwächlichen Imitation V. Bellinis und G. Donizettis. Unter den Verfechtern der Musik „made in USA" ist George Frederick Bristow (1825-98) erwähnenswert: seine Oper Rip van Winkle und seine Niagara Symphony sind zumindest dem Titel nach amerikanisch. Ihre Musik jedoch ist eine Mischung aus it. Melos und dt. Harmonik. Die Werke von L. M. Gottschalk, einem in New Orleans geborenen Pianisten, der in Europa und Amerika eine glänzende Karriere machte, sind wesentlich interessanter: es handelt sich meist um Klaviermusik, die durch lateinamerik. Rhythmen geprägt ist. Gottschalk bearbeitete auch Gesänge seiner Heimat im Stil der Pariser Salonmusik. Im 19. Jh. besaßen die Deutschen das Monopol auf den Gebieten der Musikaufführung und -veröffentlichung und der Musikerziehung sowie des Instrumentenbaus. So wurde z. B. das Boston Symphony Orchestra seit seiner Gründung (1881) bis zur Verhaftung von K. Muck am Ende des 1. Weltkrieges von dt. Dirigenten geleitet. Diesen folgten die Franzosen H. Rabaud und P. Monteux, dann für ein Vierteljahrhundert der Russe S. Kussewitzky, der Franzose Ch. Münch, der Österreicher E. Leinsdorf und der Deutsche W. Steinberg, schließlich 1973 der Japaner S. Ozawa. Aus der Geschichte der anderen, im 19. Jh. gegründeten amerik. Orchester von Weltruf (r New York Philharmonic, r Philadelphia Orchestra, r Chicago Symphony Orchestra) ist zu erwähnen, daß das New Yorker mit L. Bernstein 1957-69 erstmals einen gebürtigen Amerikaner als Chef hatte. Was die führende Rolle der Deutschen im amerik. Musikleben des 19. Jh. angeht, so sind für New York L. Damrosch und seine Söhne Frank und Walter zu nennen, die als Dirigenten und Pädagogen 247
Vereinigte Staaten von Amerika wirkten, für Chicago Th. Thomas, der Gründer des dortigen Symphony Orchestra. Auf dt. Einwanderer gehen auch die meisten amerik. Klavierbaufirmen (insbesondere r Steinway) und Musikverlage (u. a. r Schirmer) zurück. Zu den in Amerika geborenen bedeutenden Verlagsgründern zählt Theodore Presser (seit 1883 in Philadelphia). Es waren die it. Sänger, die auf der amerik. Szene erschienen, seitdem die Oper ein „big business" war. An der ersten Opernbühne in den V., dem 1883 gegründeten Metropolitan Opera House in New York, versammelte sich eine glänzende Konstellation it. Sanger, darunter E. Caruso, B. Gigli, E. Pinza und T. Schipa. Die seit 1944 bestehende New York City Opera brachte mehrere moderne Opern, die der Metropolitan nicht rentabel genug erschienen, zur Aufführung. Ein eigenes Opernensemble hatte New Orleans, das sich vor allem dem frz. Repertoire widmete. San Francisco verpflichtete bis zur Gründung der San Francisco Opera Company 1923 reisende Operntruppen. Die Chicago Grand Opera Company erlebte einen Wechsel von Erfolg und Mißerfolg. 1954 wurde die Lyric Opera of Chicago gegründet, die zu einer vielversprechenden Zukunft bestimmt ist. Da die . musikalischen Aktivitäten in den V. nicht von der Regierung getragen werden, ist die Existenz von Operncompagnien, Orchestern und Kammermusikvereinigungen abhängig von privater Initiative und Großzügigkeit. So gründete Elizabeth Sprague Coolidge 1925 bei der Library of Congress in Washington eine nach ihr benannte Stiftung, die Festivals und Konzerte veranstaltet und Kompositionsaufträge vergibt. Bedeutende Impulse für die moderne Musik sind auch von S. Kussewitzky, seinem Berkshire Music Festival in Tanglewood (Mass.) und seiner Stiftung ausgegangen. Vor dem 1. Weltkrieg gingen die jungen amerik. Musiker zum Studium nach Deutschland, obwohl es in den V. keineswegs an hervorragenden musikalischen Ausbildungsstätten fehlte. Das 1865 in Boston gegründete New England Conservatory zog seit jeher junge Talente an. Das National Conservatory in New York lud 1892 A. Dvořák ein, in den V. zu lehren. Er komponierte dort 1893 seine 9. Symphonie mit dem bezeichnenden Titel Aus der neuen Welt. 1920 finanzierte Augustus Juilliard die Gründung der Juilliard Music School in New York. 1921 dotierte George Eastman, der Erfinder des Kodak-Fotoapparates, die Eastman School of Music in Rochester (N. Y.). In Philadelphia entstand 1924 eine weitere herausragende Ausbildungsstätte, das Curtis Institute of Music. Zu erwähnen ist schließlich, daB in den V. jedes College und jede Universität eine eigene Musikabteilung hat. 248
Die Suche nach einer nationalen Identität. In ihrem Bemühen, eine typisch amerik. Schreibweise zu schaffen, widmeten sich die Komponisten auch der Erforschung der Musik der ersten Bewohner des Landes. So inspirierten die Indianer die Indian Suite für Orchester von E. MacDowell sowie die Opern Poia von Arthur Newin und Shanewis von Ch. W. Cadman. Fasziniert war man auch von der Musik der Schwarzen. St. Forster, der erste große amerik. Liederkomponist, erklärte, der erste Komponist „äthiopischer" Gesänge (wie man die Lieder der Schwarzen allgemein nannte) werden zu wollen. G. Gershwins Oper Porgy and Bess (1935) ist das bedeutendste durch das Leben der Neger angeregte Werk in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gershwin ist auch Schöpfer einer Gattung, die unter dem Namen „symphonischer Jazz" bekannt wurde und für die die Rhapsody in Blue (1924) beispielhaft ist. Of Thee I Sing (1931), eine politische Satire, erhielt als erste amerik. Operette den begehrten Pulitzer-Preis. Lange vor Gershwin hatten amerik. Komponisten aus der Opéra-comique und der europäischen Operette eine eigene Gattung geschaffen, das r Musical, mit dem New Yorker Broadway als Zentrum. Besonders erfolgreiche Werke sind bis heute: Rose-Marie von R. Friml (1924), No, No, Nanette von V. Youmans (1925), Show Boat von J. Kern (1927), Oklahoma ! und South Pacific von R. Rogers (1943 bzw. 1949) und Kiss me Kate von C. Porter (1948). Am Broadway glänzten darüber hinaus I. Berlin, dessen patriotischer Song God Bless America bald eine inoffizielle amerik. Nationalhymne wurde, G. M. Cohan - sein Over There war das Kernlied des amerikanischen Expeditionskorps in Frankreich während des 1. Weltkrieges - und der unter dem Pseudonym Vernon Duke schreibende Russe Vladimir Dukelsky (1903-69) mit dem Chanson April in Paris. Geradezu ein Klassiker auf der amerik. Bühne wurde die Dreigroschenoper des in die V. emigrierten K. Weill. Der erste amerik. Komponist von internationaler Weite ist E. MacDowell. Er erhielt seine Ausbildung in Deutschland, aber seine Werke zeigen den Geist der amerik. Volksmusik und der typisch amerik. Rhythmen. Seine Klavierstücke sind charakteristisch für eine amerik. Romantik. Um die Jahrhundertwende bildete sich in New England eine Gruppe von Komponisten, die alle ebenfalls in Deutschland studiert hatten: J. K. Paine, der erste Professor für Musik an der Harvard University,
mit eingängiger, romantisch inspirierter Musik; A. Foote, Spezialist lyrischer Melodik in Werken nach Art des dt. romantischen Klavierlieds; G. W. Chadwick mit Orchesterwerken, die eine merk-
Vereinigte Staaten von Amerika würdige Mischung der Tonsprachen von J. Brahms, A. Dvořák und R. Wagner aufweisen; H. Parker, herausragend als Chorkomponist; H. Hadley, der eine Anzahl von Stücken in orientalischem Stil schrieb; Frederick S. Converse (1871-1940) mit mehreren Symphonien und gefälligen Ouvertüren; D. Gr. Mason, ebenfalls ein geschickter Symphoniker. In diesen Zusammenhang gehören auch drei Frauen : Amy Mary Beach (1867-1944), die erste Amerikanerin, die für sich ein Klavierkonzert schrieb, sowie die in Deutschland ausgebildete Mabel Daniels (1878-1971; Chorkomponistin) und Margaret Ruthven Lang, die 1972 im Alter von 104 Jahren starb. Ein umfangreiches Euvre hinterließen Edgar Stillman Kelley (1857-1944), doch ist seine Musik trotz solider dt. Schulung und der Verwendung amerik. Sujets heute nur noch von retrospektivem Interesse. Weniger kurzlebig scheinen die Werke von Arthus Sheperd (1880-1958) zu sein. Von ihm stammt das „musikalische Panorama" Horizons, das den amerik. Westen zum Thema hat. Paradoxerweise schrieb der Autodidakt H. Fr. Gilbert beachtenswertere Kompositionen als seine professionell in Deutschland ausgebildeten amerik. Zeitgenossen. Von regionaler Bedeutung ist John Powell (1882-1936) mit vielen Klavier- und einigen Orchesterwerken, die Elemente der Volksmusik seiner Heimat Virginia enthalten. Ein Komponist hielt sich abseits von dieser allgemeinen Strömung: Ch. Ives, der seit seinem Tode als der bedeutendste amerik. Komponist des 20. Jh. gilt. Seine Musik, von außergewöhnlicher Art, bekundet ein profundes Gespür für das amerik. Melos und bereitet den Weg für die modernen Techniken. Zu Beginn dieses Jh. geschrieben, enthält sie im Keim Polytonalität, Atonalität, Polyrhythmik, ja sogar Aleatorik und experimentelle Verwendung von Vierteltönen. Fast alle Werke Ives' haben als Themen amerik. Sujets. Die Concord-Sonate, durch Schriften der großen Transzendentalisten, der Vertreter einer bestimmten philosophischen Richtung in Concord (Mass.), inspiriert, ist so schwierig, daß sich erst Pianisten einer späteren Generation daran gewagt haben. Das Orchester-Triptychon Three Places in New England malt das ewige Amerika, geboren in der nationalen Revolution und gereift in der Freiheit. Das Werk ist eine Anthologie moderner Kompositionsverfahren, enthält aber Elemente amerik. Kirchenlieder, Balladen und Volkslieder, die Ives in seiner Kindheit in New England gehört hatte. Sein Altersgenosse C. Ruggles war ebenfalls Individualist, der komponierte, ohne Rücksicht auf die Aufführungskonventionen und -schwierigkeiten zu neh-
men. Sein Interesse richtete sich mehr auf die mystischen Aspekte der Kunst im allgemeinen. Eng mit Ives und Ruggles zusammen arbeitete John Becker (1886-1961); seine Musik voller Klangkraft und Dissonanzen harrt noch der Entdeckung und Anerkennung. In der hier besprochenen Zeit begannen die in Frankreich entwickelten neuen Techniken und Ideen die amerik. Komponisten zu beeinflussen, die sich den dt. musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten zu entziehen suchten. Zu ihnen zählen E. B. Hill, Ch. M. Loeffler, ein Elsässer, der sich in Boston niederließ, und Ch. T. Griffes, dessen Klavierstücke am besten den modernen amerik., von Cl. Debussy und M. Ravel inspirierten Stil wiedergeben. Die amerikanischen Komponisten und die Tendenzen des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche amerik. Komponisten wurden angezogen durch den Aspekt der Mechanisierung des modernen Lebens. Das bezeugen Werke wie das Ballett Skyscrapers(Wolkenkratzer) von J. A. Carpenter (1926), eine zu Ehren des zehnmillionsten Ford-Autos geschriebene Fantasie von Emerson Whitborne (1884-1958) und vor allem das Ballet mécanique für 8 Klaviere, Pauken und Flugzeugpropeller von G. Antheil (1925). Der Kult des Primitivismus wurde auch eine Ausdrucksform der amerik. Moderne. Einer der ersten, der das Bedürfnis nach Flucht aus der jetzigen Zivilisation musikalisch ausdrückte, war Leo Ornstein (* 1892), der 1915 das Publikum mit einem Wild Men's Dance für Klavier schockierte. Aus der Überzeugung, daß der Ausdruck des modernen Lebens neue technische Mittel erfordere, verwendete H. Cowell zum ersten Mal Ton-r Cluster und Glissandi auf den Saiten des Klaviers. J. Cage, der zusammen mit Cowell studierte, erfand das ř Prepared piano und verwendete die Stille als dynamisches Element der Komposition (in dem Stück 4' 33" mit der provozierenden Angabe „Tacet, any instrument"). Wenn überhaupt ein Komponist die Realitäten des modernen Zeitalters auszudrücken wußte, dann E. Varèse; dieser franko-amerikanische Musiker realisierte eine Synthese zwischen der cartesianischen Logik seines Heimatlandes und der Technologie seiner Wahlheimat. Sein Ziel definiert er mit dem Ausdruck „organisierter Klang". Er kümmert sich wenig um die Vorstellung von Konsonanz und Dissonanz, von Durchführung oder thematischer Arbeit; allein bedeutend ist für ihn die logische Abfolge der Töne. In Arcana setzt er die Suche nach dem Stein der Weisen in präzise Klänge um; Hyperprism und Intégrales suggerieren das Zusammentreffen mathematischer und klanglicher Konzepte in einer klanglichen Geometrie. Ionisa249
Vereinigte Staaten von Amerika tion ist für Schlagzeug ohne bestimmte Tonhöhe und 2 Sirenen geschrieben. Déserts ist das erste
Werk, in dem gleichzeitig die elektronischen Tonbandklänge und die instrumentalen Klänge des Orchesters verwendet werden, Poème électronique, für den Philips-Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung von 1958 geschrieben, das erste Beispiel für „Weltraum"-Musik. Wenige amerik. Komponisten haben versucht, Varèse in der musikalischen Ausnutzung mathematischer Disziplinen zu folgen: 2 Sätze des Symphonic Poem after Descartes von John Vincent haben als Titel Vortex und Folium, d. h. 2 Begriffe, die der analytischen Geometrie entlehnt sind. Nach den Versuchen von Varèse hat sich die elektronische Musik in den V. am Rande der musikalischen Komposition weiterentwickelt, zumal durch O. Luening und Vl. Ussachevsky und ihre Tape music (Tonbandmusik). Die Verbesserung des t Synthesizers ermöglichte es amerik. Komponisten wie M. Babbitt, Charles Wuorinen (* 1938) und Mario Davidovsky (* 1934), sich auch der ,' Computer-Musik zu widmen. Mit der Änderung der musikalischen Blickrichtung von Deutschland nach Frankreich machte eine ganze Generation junger Komponisten aus Paris sozusagen eine Wiege mit N. Boulanger als „Amme". Zu dieser amerik. „Boulangerie" gehörten Persönlichkeiten wie W. Piston, R. Hams, A. Copland und V. Thomson, die dazu berufen waren, den nationalen Charakter der amerik. Musik endgültig zu etablieren. Piston, bedeutend als Symphoniker, verwendet eine tonale Schreibweise und klassische Formen, weiß aber das traditionelle musikalische Material in sehr persönlicher Weise zu variieren. Harris erweist sich als national eingestellt. Die Titel seiner Symphonien spielen oft auf amerikanische Persönlichkeiten, vor allem auf Abraham Lincoln, und Ereignisse an. Sein Kompositionsstil beruht vertikal wie horizontal auf einem eigenen modalen System, bei dem jeder Modus an einen bestimmten Geisteszustand, ein „Ethos" gebunden ist. Wenn Piston amerik. Volkslieder verwendet, behandelt er sie rhythmisch, melodisch und harmonisch so, daß sie eine originale Prägung erhalten. Copland zögerte nicht, sich in seinem Klavierkonzert (1926) eine aus dem Jazz stammende Rhythmik anzueignen, was das Publikum in einer heilsamen Weise schockierte. Seine späteren Werke sind durch das amerik. Leben inspiriert: die Ballette Billy the Kid, Rodeo und Appalachian Spring, das Orchesterwerk El salón Mexico (über mexikan. Gesänge) und Lincoln Portrait für Sprecher und Orchester wurden außerordentlich populär. Seine symphonischen und kam250
mermusikalischen Werke sind eine Art geschickter Erforschung der modernen Polyphonie mit gelegentlicher Dodekaphonie. Thomson lebte viele Jahre in Paris, wo er sich eine einzigartige Kunst der musikalischen Arbeit erwarb, eine Komposition gleichsam zu ziselieren. Nach Libretti von Gertrude Stein schrieb er 2 Opern, Four Saints in Three Acts und Mother. D. Diamond schrieb mehrere Symphonien in einem sehr ausgedehnten, neoromantischen Stil sowie Ballette und viel Kammermusik, bevor er sich mit der Zwölftonmusik beschäftigte. M. Blitzstein wurde durch kurze Opern bekannt nach Art des proletarischen Theaters, von denen The Cradle Will Rock in den V. einen beträchtlichen Erfolg hatte. Die Musik von John Vincent (* 1902) ist charakterisiert durch eine romantische Inspiration und eine Schreibweise von großer Logik und Kohärenz. Elie Siegmeister (* 1909) folgte zu Beginn seiner Karriere der Tradition der Folkloristen. Seine ersten Orchesterwerke malen das musikalische Amerika von Region zu Region. In seinen 5 Symphonien und seiner Kammermusik zeigt er konstruktives Bemühen und erprobt kühnste Dissonanzen, während seine Oper The Plough and the Stars (Der Pflug und die Sterne) (1963) in einem dramatisch-impressionistischen Stil geschrieben ist. Joseph Wagner (1900-74) hinterließ Symphonien, Kammermusik, Oratorien, Ballette und Opern in einem gleichsam rhapsodischen Stil, harmonisch sehr modern und mit polytonalen Kombinationen. Bernard Rogers (1893-1968) komponierte Kammermusik und symphonische Dichtungen von beschwörendem Ausdruck. Arthur Berger (* 1912) eignete sich einen neoklassizistischen Stil an, verwendet aber auch serielle Techniken. Der europäische Neoklassizismus war für die amerik. Komponisten von großem Reiz, und sie wandten sich ihm in verschiedener Weise zu. W. Riegger folgte den Formprinzipien der klassischen Musik, gebrauchte aber auch moderne dissonanzreiche Techniken. Seine Symphonien sind Muster eines aufgeklärten Modernismus. R. Sessions ist ein Meister des polyphonen Satzes, der wiederum oft auf die Zwölftontechnik zurückgreift. Seine 8 Symphonien beleuchten am besten den amerik. Neoklassizismus. Auch die 9 Symphonien von W. Schuman können als neoklassizistisch bezeichnet werden, doch sind sie in ihrer melodischen Struktur und ihrem rhythmischen Elan vor allem amerikanisch. Ross Lee Finney (* 1906) verdankt seinen Ruf seiner Kammermusik, die in einem gewissermaßen kompakten Stil geschrieben ist. Leo Sowerby (1895-1968) war ein Meister des neobarocken Stils. W. Q. Porter folgte ebenfalls den neo-
Vereinigte Staaten von Amerika barocken Prinzipien unter häufiger Verwendung von Polytonalität. In den zahlreichen Orchesterund Kammermusikwerken von P. Creston erscheint der rhapsodische Geist des modernen Amerika in eine sehr strukturierte Form gegossen. N. Dello Joio machte sich einen Namen gleicherweise als Komponist von Instrumental- und Vokalwerken. Peter Mennin (* 1923), wie Creston und Dello Joio it. Abstammung, gehört zu den bedeutendsten amerik. Symphonikern. Zu weiteren Komponisten der neoklassischen Richtung zählen auch R. Thomson, Halsey Stevens (* 1908), V. Persichetti, George Rochberg (* 1918), L. Kirchner, Benjamin Lees (* 1924), G. Schuller und A. Hovhaness. Die moderne amerik. Musik ist nicht frei von ausgesprochener Orientierung an der Romantik. H. Hanson bezeichnet seine 2. Symphonie ganz offen als „romantisch". Für seine Oper Merry Mount, eines der wenigen Auftragswerke der Metropolitan Opera Company, die an amerik. Komponisten ergingen, wählte er ein amerik. Sujet. Eine der großen Persönlichkeiten des Landes in diesem Zusammenhang ist S. Barber mit einer lyrischen Grundhaltung. All seine symphonischen, kammermusikalischen, instrumentalen (Klavier) oder vokalen (Oper) Werke sind durch strömende Melodik von großer Natürlichkeit und Kantabilität gekennzeichnet. Zwei seiner Opern wurden an der Metropolitan Opera in New York uraufgeführt. Lyrischen und rhapsodischen Charakter haben auch die Werke von Ernst Bacon (* 1898), Gardner Read (* 1913), Irving Fine (1914-62), Ellis Kohs (* 1916) und Easley Blackwood (* 1933). Die moderne amerik. Musik hat eine starke Tendenz, sich Elemente verschiedener Kulturen und Rassen anzueignen. Das bezeugen etwa der farbige Komponist W. Gr. Still mit einer Afro-American Symphony und einer Oper Troubled Island, die den Aufstand der Farbigen auf der Insel Haiti zum Thema hat, während die Werke von Ulysses Kay (* 1912), eines anderen farbigen Komponisten, nicht unbedingt von solchen Sujets angeregt sind; Louis Ballard (* 1931), ein indianischer Komponist aus dem Stamm der Cherokee-Quapow, schrieb Orchester- und Chorwerke, die von der Volksmusik seiner Vorfahren beeinflußt wurden. In diesen Zusammenhang gehört auch eine wenigstens kurze Erwähnung des /Jazz als eines der bedeutendsten Phänomene in der Musik des 20. Jh., das von den V. seinen Ausgang nahm. Zahlreich sind die europäischen Komponisten, die in Amerika Zuflucht suchten : S. Rachmaninow, I. Strawinsky, A. Schönberg, B. Bartók, die Österreicher E. Toch, E. Krenek, E. W. Korngold und
Ernst Kanitz, die Deutschen Werner Josten, Erich Itor Kahn, K. Weill, St. Wolpe, Jan Meyerowitz und Gene Gutche, der Ungar Eugen Zador, die Tschechen J. Weinberger und Paul Reif, die Russen L. Saminsky, J. Schillinger, der Schweizer E. Bloch und der Italiener M. Castelnuovo-Tedesco. Auch P. Hindemith emigrierte in die V. und nahm die amerik. Staatsbürgerschaft an, kehrte aber einige Jahre vor seinem Tod nach Europa zurück. B. Martinů und D. Milhaud hielten sich lange in Amerika auf, und A. Tscherepnin ließ sich schließlich nach einer Tätigkeit in Paris in New York nieder. In seinen Werken blieb er seinem russ.-romantischen Stil treu. N. Lopatnikow machte in Europa Karriere und emigrierte kurz vor dem 2. Weltkrieg in die V., wo er weiterhin in einem aufgeklärt neoklassizistischem Stil komponierte. N. Nabokov spielte eine wichtige Rolle auf der internationalen Ebene, behielt aber in den V. seinen Wohnsitz. Ein einzigartiger Fall in der amerik. Musik ist G. C. Menotti, der bereits in seiner Jugend in die V. kam, aber seine it. Staatsangehörigkeit beibehielt. Paradoxerweise erreichten seine Opern über eigene engl. Libretti auf den amerik. Opernbühnen einen
unvergleichlichen Erfolg. Von besonderer Bedeutung unter den amerik. Komponisten ist E. Carter, der ein eigenes serielles System der „metrischen Modulation" entwickelt hat, wie vor allem seine 3 Streichquartette belegen. Strawinsky hielt Carters Doppelkonzert für Cemb., Klv. und 2 Kammerorchester (1961) für ein amerik. Meisterwerk. L. Foss begann seine Karriere als Pianist und ist auch ein bekannter Dirigent. Als Komponist gilt er als Erfinder der organisierten Improvisation, eines Verfahrens, das darin besteht, in einer vorgegebenen Komposition unbestimmte Passagen offen zu lassen. In seinem Euvre ist der Einfluß von I. Xenakis spürbar. Der bekannteste amerik. Musiker der Gegenwart ist zweifellos L. Bernstein, der große Dirigent und gefeierte Komponist der West Side Story (1957) u. a. Broadway-Musicals. Von ihm stammen aber auch
bedeutende symphonische Werke wie The Age of Anxiety für Klv. und Orchester (1949), in dem ihm eine besonders eindrucksvolle Kombination von modernen und Jazz-Techniken gelang. Neue Musik und Avantgarde. In den V. sind nahezu alle avantgardistischen Strömungen vertreten, und einige sind auch dort entstanden (f Prepared piano, r Tonbandmusik). Eine originelle Persönlichkeit war H. Partch. Er konstruierte Instrumente für eine 43tönige nichttemperierte Skala und schuf mit seinen Bühnenwerken, die meist auf amerik. Sujets basieren, unterhaltsame Kuriositäten. Zu den älteren Vertretern der ame251
Vereinigte Staaten von Amerika rik. Avantgarde zählen auch L. Harrison, der wie Partch eigene Instrumente herstellt, Bernard Herrmann (5 1911), Henry Brant (5 1913), Robert Erickson (5 1917) und der 1923 in China geborene Chou Wen-Chung, ein Schüler von Varèse. Er schuf einen Stil, in dem sich chinesische Rhythmen von einer fast kalligraphisch anmutenden Subtilität verbinden mit fein ausgewogenen Strukturen, die für die aktuellen Strömungen in den V. charakteristisch sind. An die alten Modi der japanischen Hofmusik erinnern die instrumentalen Skizzen von Paul Chihara (5 1938), einem Amerikaner japanischer Herkunft. Einer der ersten amerik. Komponisten, die eine graphische Notation verwenden, ist E. Brown (r Notenschrift; dort auch ein Beispiel). Von ihm stammt auch die Idee der offenen Form, mit der sich in Europa K. Stockhausen beschäftigte: die verschiedenen Teile eines Werkes können in beliebiger Reihenfolge gespielt werden. La M. Young geht noch weiter: seine Klangmaterialien sind nicht mehr spezifisch musikalisch, wie u. a. das Poem for Chairs, Tables and Benches bezeugt. Ancient Voices of Children (1970) von G. Crumb gilt als eines der bezeichnendsten Werke der modernen amerik. Musik. Weitere Komponisten mittleren und jüngeren Alters der Avantgarde in den V. sind: A. de la Vega (5 1925), Salvatore Martirano (5 1927), Kenneth Gaburo (5 1927), Jacob Druckman (5 1928), Larry Austin (5 1930), Robert Ashley (* 1930), Alvin Lucier (5 1931), Michael Colgrass, der Bulgare Henri Lazarof und der Koreaner N. J. Paik (* 1932), Morton Subotnick und Eric Salzman (5 1933), Robert Reynolds (5 1934), Gordon Mumma (* 1935), Robert Moran (5 1937), Lowell Cross (* 1938), Charles Boone (5 1939), Charles Doge (* 1942) und David Rosenboom (5 1947). Während die meisten Komponisten der Avantgarde elektronische Klänge mit Lautstärken oft bis an die Grenzen des Erträglichen verwenden, experimentieren andere mit einem Klangniveau an der untersten Grenze der Hörbarkeit (u. a. M. Feldman, Christian Wolff, * 1934, und Harold Budd, * 1936). T. Riley macht Monotonie und Uniformität zum stilistischen Prinzip. Die Aufführung seines Orchesterstückes In Cdauert so lange, wie die Musiker oder Zuhörer die ständige Wiederholung von C-Dur-Skalen ertragen. Pauline Oliveros (* 1932) steht im Gefolge des Dadaismus und des Surrealismus. Die „soundpieces" von Charles Amirkhanian (5 1945) verwenden Esperanto oder andere künstliche Sprachen. Musikwissenschaft. Die Musikwissenschaft bildet in den USA eine relativ junge Disziplin. Der erste Lehrstuhl wurde 1930 an der Cornell University in 252
Ithaca (N. Y.) für O. Kinkeldey eingerichtet, der in Berlin studiert hatte. Neben ihm wurden bes. G. Reese (New York Univ.), O. Strunk (Princeton Univ./N. J.) und W. Rubsamen (Univ. of California in Santa Barbara) sowie der Musikethnologe Ch. Seeger (Univ. of California in Los Angeles und Harvard Univ. in Cambridge/Mass.) für die amerik. Musikwissenschaft von Bedeutung. Nach 1933 etablierten sich Emigranten aus Europa, vor allem aus Deutschland, an amerik. Universitäten, die später schulbildend werden sollten ; so lehrten P. H. Lang und C. Sachs an der Columbia Univ. in New York, W. Apel und O. Gombosi an der Harvard Univ., L. Schrade an der Yale Univ. in New Haven (Conn.), Dr. Plamenac an" der Univ. of Illinois in Urbana, A. Einstein am Smith College in Northampton (Mass.), M. Bukofzer an der Univ. of California in Berkeley, K. Geiringer an der Boston Univ., später an der Univ. of California in Santa Barbara, P. Nettl an der Univ. of Indiana in Bloomington sowie E. Lowinsky an der Columbia Univ., der Univ. of California in Berkeley und der Univ. of Chicago. Heute sind die V. ein Kernland der Musikwissenschaft. Schwerpunkte der Forschungen sind die Musik des MA und der Renaissance sowie die Neue Musik. - 1934 wurde die American Musicological Society gegründet. Als ihr Publikationsorgan veröffentlicht die Gesellschaft seit 1948 das Journal of the American Musicological Society (JAMS). Ein weiteres wichtiges Periodikum ist die Zeitschrift The Musical Quarterly (MQ), deren 1. Jahrgang 1915 erschienen ist. Die bedeutendste von den V. ausgehende Publikationsreihe ist das Corpus Mensurabilis Musicae (CMM) mit bisher 250 Einzelbänden. Lit.: 1) Bibliographien: D. L. HLKON, Music in Early America. A Bibliography of Music in Evans (Metuchen/N. J. 1970); J. V. HATCH, Black Image on the American Stage. A Bibliography of Plays and Musicals, 1770-1970 (NY 1970); R. H. MEAD, Doctoral Dissertations in American Music. A Classified Bibliography (Brooklyn/N. Y. 1974); P. S. HEARD, American Music, 1698-1800. An Annotated Bibliography (Waco/Tex. 1975); B. RUST, The American Dance Band Discography, 1917-1942, 2 Bde. (New Rochelle/N. Y. 1975); H. W. HITCHCOCK, American Music before 1865 in Print and on Records. A Biblio-Discography (ebd. 1976). - 2) Studien: D. G. SONNECK, Early Opera in America (NY 1915); American Composers on American Music, hrsg. v. H. D. COWELL (NY '1962); E. E. HIPSCHER, American Opera and lis Composers (Philadelphia/Pa. 1934);1. T. HOWARD, Our American Music (NY 1946, revidiert'1965); D. EWEN, American Composers Today (NY 1949); G. CHASE, America's Music (NY 1955, '1960); D. EWEN, Complete Book of the American Musical Theater (NY 1958, '1970); 100 Years of Music in America, hrsg. v. P. H. LANG (NY 1961); J. MATTFELD, A Handbook of American Operatic Premieres, 1731-1962 (Detroit/Mich. 1963); W. H. MELLERS, Music in a New Found Land. Themes and Developments in the Hist. of American Music (Lo 1964, NY 1965); E. B. BIRGE, History of Public School Music in the United States (Washington 1966); E. C. EDWARDS - W. T. MARROCCO,
VerhuLst Music in the United States (Iowa City 1968); B. C. MALONE, Country Music U.S.A. A Fifty-Year History (Austin/Tok. 1968); R. F. CAMUS, The Military Band in the United States Army Prior to 1834 (Ann Arbor/Mich. 1969); H. W. HITCHCOCK, Music in the United States. A Historical Introduction (Lo 1969, 21974); B. KArz, The Social Implications of Early Negro Music in the United States (NY 1969); H. C. LAHEE, Annals of Music in America. A Chronical Record of Significant Musical Events, from 1640 to the Present Day (NY 1969); G. S. MACPEEK, Musicology in the United States. A Survey of Recents, in: FS G. Haydon (Chapel HilVN. C. 1969); I. SABLOSKY, American Music (Chicago - Lo 1969); D. EWEN, New Complete Book of the American Musical Theatre (NY 1970); J. HOPKINS, Festival! The Book of American Music Celebrations (NY - Lo 1970); W. S. B. MATHEWS, A Hundred Years of Music in America (NY 1970); F. L RrrrER, Music in America (NY 1970); E. BORROFF, Music in Europe and the United States (Englewood Cliffs/N. J. 1971); P. HEMPHILL, Nashville Sound. Die Welt der Country u. Western Music (dt. TO - St 1971); J. MATrF ELD, Variety Music Cavalcade, 1620-1961. A Chronology of Vocal and Instr. Music Popular in the United States (Englewood Cliffs/N. J.'1971); J. A. MUSSULMAN, Music in the Cultured Generation. A Social History of Music in America, 1870-1900 (Evanston/Ill. 1971); K. ROBBERTS, Music in America. A Proper View before Howard, in: MR 32 (1971); N. SLONIMSKY, Music Since 1900 (NY 41971); V. THOMSON, American Music since 1910 (NY 1971); D. EWEN, Great Men of American Popular Song (Englewood Cliffs/N. J. 1972); A. WILDER, American Popular Song. The Great Innovators, 1900-1950 (NY 1972); H. E. CooK, Shaker Music. A Manifestation of American Folk Culture (Lewisburgh/Pa. 1973); M. V. DAVISON, American Music Periodicals, 1853-1899, 2 Bde. (Diss. Minneapolis/Minn. 1973); P. HART, Orpheus in the New World. The Symphony Orchestra as an American Cultural Institution (NY 1973); R. LEWINE - A. SIMON, Song of the American Theatre. A Comprehensive Listing of More than 12000 Songs (NY 1973); K. H. MUELLER, Twenty-Seven Major American Symphony Orchestras. A History and Analysis of their Repertoires, Seasons 1842-43 through 1969-70 (Bloomington/Ind. 1973); M. ROACH, Black American Music. Past and Present (Boston/Mass. 1973); R. SCHICKEL, The World of Carnegie Hall (Westport/Conn. 1973); S. GREEN, The World of Musical Comedy (South Brunswick Lo'1974); W. T. MARROCCO - H. GLEADSON, Music in America (NY 1974); W. C. HANDY, Negro Authors and Composers of the United States (NY 1976, Nachdr. einer Ausgabe v. 1938); W. L HUBBARD, History of American Music (NY 1976); B. C. L JACOBS, Musica. The First Guide to Classical Music on American Radio Stations (Edison/N. J. 1976); B. NETrL, Folk Music in the United States (Detroit/Mich. '1976); L ROWELL, American Organ Music on Records (Braintree/Mass. 1976); R. J. WOLFE, Early American Music Engraving and Printing (Urbana/Ill. 1980); B. A. ZUCK, A History of Musical Americanism (Ann Arbor/Mich. 1980); S. C. FARRELL, Directory of Contemporary American Musical Instr. Makers (Columbia/S.C. 1981). N. SLONIMSKY
VERFSS, Sándor, * 1.2. 1907 Klausenburg (heute Cluj, Rumänien); ung. Komponist und Musikforscher. Er war Schüler von B. Bartók (Klavier) und Z. Kodály (Komposition) an der Musikakademie Budapest, an der er später (1943-48) selbst Komposition lehrte. 1929-33 war er Mitarbeiter der Musikabteilung des Ethnographischen Museums, 1936-40 Assistent Bartóks an der Akademie der Wissenschaften in Budapest. Seit 1949 lebt er in Bern (1975 Schweizer Staatsbürger), wo er seit 1950 am Konservatorium lehrt. 1968 wurde er Ex-
traordinarius an der dortigen Universität. Als Gastdozent lehrte er an mehreren amerikanischen Universitäten. V. war eine der tragenden Persönlichkeiten im ungarischen Musikleben in der Generation nach Bartók. In seinen Werken verbindet er Elemente moderner Techniken mit einem national-ungarischen Idiom. WW: 1) Kompositionen: Je eine V.- u. Vc.-Sonate (1935, 1967); Trio für Cemb., V. u. Vc. (1972); 2 Streichquartette (1935, 1937); Bláserquintett (1968). - Exposition, Variation, Recapitulation (1964) für Kammerorch. - Für Orch.: Symphonie (1936); Sinfonia Minneapolitana (1954); Variationen über ein Thema v. Kodály (1962); je ein V.- u. Klv.-Konzert (1939, 1954); Concertino für Streichquartett u. Orch. (1961); Erinnerungen an Paul Klee (1952) für 2 Klv. u. Streichorch. - Ballette: Csodafurulya (Die Wunderschalmei), UA: Rom 1937; Térszili Katica, UA: Stockholm 1949. - 2) Schriften: B. Bartók, the Man and the Artist (Lo 1948); La raccolta della musica popolare ungherese(R 1949); Einführung in die Streichquartette v. B. Bartók in: SMZ 90 (1950); B. Bartóks 44 Ducts für zwei Violinen, in: FS E Doflein (Mz 1970). Lit.: E DOFLEIN, S. V., in: Melos 21 (1954); A. TRAUB, Melodische Artikulation. Zur „Sonata per Violoncello solo" v. S. V., in: SMZ 120 (1980); J. DEMÉNY, V., in: Grove• XIX (mit Verz. auch der ung. Schriften).
VERETTI, Antonio, * 20.2. 1900 Verona, t 13.7. 1984 Rom; it. Komponist. Er studierte in Verona und am Konservatorium von Bologna bei Fr. Alfano. 1926 ließ er sich in Mailand nieder, wo er in avantgardistischen literarischen Kreisen verkehrte, Musikkritiker der Fiera letteraria war, Konzerte gab und musikgeschichtliche Vorlesungen hielt. In Rom gründete er die Accademia della Gioventù Musicale Italiana, die er bis Ende 1943 leitete. In der Folge war er Direktor der Konservatorien in Pesaro (1950-52), Cagliari (1953-55) und in Florenz (1956). V., Mitglied verschiedener Musikakademien, seit 1956 auch Präsident der Accademia L. Cherubini di Musica, Lettere e Arti figurative in Florenz, wandte sich in seinem späteren Schaffen der Zwölftontechnik zu. WW: Für Orch.: Sinfonia italiana (1929); Sinfonia epica (1938); Ouverture della campana (1950); Klv.-Konzert (1949); Concertino für Fl., Klv. u. Str. (1957); Fantasia für Klar. u. Orch. (1958). - Oratorium Il figliuol prodigo (1942); Prière pour demander une étoile (1966) für Kammerchor, revidiert für Chor u. Orch. (1967). - Opern: Il favorito del re, UA: Mailand 1932, revidiert als: Burlesca, UA: Rom 1955; Una favola di Andersen (1934); Azione coreografica I! galante tiratore, UA: San Remo 1933; Mistero musicale e coreografico I sette peccati, UA: Mailand 1956. Lit.: N. COSTARELLI, A. V. e la sua Prière pour demander une étoile, in: Chigiana 23 (1966).
VERGLEICHENDE MUSIKWISSENSCHAFT r Musikethnologie. VERGRÖSSERUNG r Augmentation. VERHULST, Johannes Joseph Hermann, * 19.3. 1816 Den Haag, t 17. 1. 1891 ebd.; ndl. Dirigent und Komponist. Nach musikalischen Studien in 253
Verismo Den Haag trat er 1832 als Organist und Violinist in die Hofkapelle ein. Anschließend verbrachte er einige Zeit in Deutschland und übernahm 1842 nach seiner Rückkehr in die Niederlande die Leitung der Königlichen Kapelle in Den Haag und der Chöre der Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst in Rotterdam. 1886 zog er sich vom öffentlichen Leben zurück. Sein kompositorisches Schaffen war von R. Schumann und F. Mendelssohn Bartholdy beeinflußt. WW: Streichquartette; Ouvertüren; Symphonien; geistliche Werke sowie Lieder u. Chöre. Ausg.: Symphonie op. 46, hrsg. v. J. TEN BoKum (A 1971) ( _ Exempla musica Neerlandica 5). Lit.: G. WERxER, in: Mens en melodie 21 (1966).
VERISMO (it., von vero = wahr), auch im Deutschen (hier mitunter auch Verismus) und in anderen Sprachen gebräuchliche Bz. für eine dem Naturalismus (Émile Zola) verwandte Richtung der it. Literatur, die in einem sehr vagen Sinn auf die it. Oper des ausgehenden 19. Jh. übertragen wurde. Wichtigster Vertreter des literarischen V. war Giovanni Verga, der für eine Theatertruppe mit Eleonora Duse seine Novelle Cavalleria rusticana als Theaterstück bearbeitete und mit diesem einen sensationellen Erfolg erzielte (UA: Turin 1884). Die veristische Dramaturgie, die vor allem von Luigi Capuana theoretisch formuliert wurde, ersetzte die damals auf dem Theater noch übliche versgebundene Sprache durch Prosa, vermied moralisierende Elemente oder Stellungnahmen des Autors zu dem dargestellten Geschehen, das meist in einem niederen sozialen Milieu spielte; der Alltag des einfachen Volkes mit seinen Konflikten wurde nicht verklärt, aber auch nicht als Ergebnis politischer Verhältnisse kritisiert (metodo impersonale). Nach der Emphase des Risorgimento war der V. eine Reaktion der Ernüchterung in einem Land, das sich in der Phase forcierter Industrialisierung wiederfand. - Das Modell der veristischen Oper, das wegen seines Erfolges viele Nachahmer fand, war P. Mascagnis Vertonung von Cavalleria rusticana (1890); in seinem Gefolge wurde der Einakter zu einer beliebten Sonderform der Oper (z. B. R Leoncavallo, Pagliacci; U. Giordano, Mala vita). Die Gliederung abendfüllender Opern in Bilder (quadri) anstelle der klassischen Einteilung in Akte unterstreicht den Bildcharakter der veristischen Operndramaturgie, der sich von der Milieuzeichnung des literarischen V. herleitet. Auch der Verzicht auf eine Ouvertüre oder ein längeres Orchestervorspiel, durch den der Blick zu Beginn der Oper sofort auf die Bühne freigegeben wird, kann in diesem Zusammenhang als ein veristisches Mo254
ment interpretiert werden, während der Verzicht auf eine Einteilung der Oper in Nummern zwar notiert ist, kompositorisch aber selten eingelöst wird. Die Intentionen des literarischen V. sind bis auf Relikte (Leoncavallo betont im Vorwort zu Pagliacci, daß sein Werk eine wahre Begebenheit schildere, die er selbst erlebt habe) der Oper weitgehend verlorengegangen: Sie bildete keine „musikalische Prosa" aus (Mascagnis Libretto von Cavalleria rusticana ist wieder in Verse zurückübersetzt), die Schilderung sozialen Milieus wird zur „sozialen Exotik" (E. Voss, 1978); überhaupt wird, anders als im V., zeitlich oder räumlich entferntes Kolorit - vor allem dann von G. Puccini - bevorzugt. Dies macht den Begriff des V. in der Oper fragwürdig. Als werbewirksames Schlagwort ist er Produkt des Konkurrenzkampfes zwischen den beiden großen it. Musikverlagen Ricordi (mit Puccini, später mit R. Zandonai als Komponisten) und Sonzogno, der die Giovane scuola italiana (Mascagni, Leoncavallo, Giordano, Fr. Cilea) unter Vertrag hatte (E. Wolf-Ferrari veröffentlichte bei beiden). - Außerhalb Italiens gelten als Vertreter der veristischen Oper in Frankreich G. Charpentier (Louise) und A. Bruneau (Messidor, Libretto von Zola!), in Deutschland u. a. E. d'Albert (Tiefland). Lit.: G. VERGA, Vorwort zu „L'amante di Gramigna", in: Le opere di G. Verdi, I (Mi 1940); L. CAPUANA, Gli „lsmi" contemporanei (Mi 1973); CH. DURAND, Der Verismus in der frz. Opernmusik, in: Antares 7 (1958); U. ECKART-BÄCKER, Frankreichs Musik zw. Romantik u. Moderne (Rb 1965) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 2); R. MARIANI,V. in musica e altri studi (Fi 1976); Die „Couleur locale" in der Oper des 19. Jh., hrsg. v. H. BECKER (Rb 1976) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 42); E. Voss, V. in der Oper, in: Mf 31 (1978); C. DAHLHAUS, Musikal. H. WEBER Realismus. Zur Musikgesch. des 19. Jh. (Mn 1982).
VERKAUFTE BRAUT, DIE (Prodaná nevěsta), Komische Oper in 3 Akten von B. Smetana, Text von Karel Sabina. Ort u. Zeit der Handlung: ein Dorf in Böhmen, im Jahre 1866. UA: 30.5. 1866 Prag (Interimstheater); EA in dt. Sprache: 2.4. 1893 Wien . (Theater an der Wien); dt. EA: 1.7. 1893 Berlin (Theater Unter den Linden). Aus einer Trotzreaktion heraus komponierte Smetana dieses Werk, das heute als tschechische Nationaloper schlechthin gilt. Nach seinem Bühnenerstling Die Brandenburger in Böhmen (1862) mußte sich der Komponist den Vorwurf gefallen lassen, als offenkundiger Wagnerianer nicht in der Lage zu sein, eine tschech. Oper zu komponieren. In der Musik der Verkauften Braut nun traf Smetana das nationale musikalische Idiom so vortrefflich, daß die gesamte Oper als Adaptation slawischer Volksweisen angesehen wurde, obgleich
Verlobung in San Domingo
nicht ein einziges Thema nach einer originalen Melodie entstanden ist. Der volkstümliche Einschlag der Musik findet sich gleichermaßen in den lebendigen tänzerischen wie in den lyrisch-elegischen Szenen. Im Rahmen der motivisch sparsam ausgestatteten komödiantischen Handlung entwarf Smetana stilsicher charakterisierte Typen, von denen die Partie des Heiratsvermittlers Kezal eine der wirkungsvollsten aller Baßbufforollen ist. - Bei der UA hatte das Werk in einer zweiaktigen Version mit gesprochenen Dialogen zunächst keinen großen Erfolg. Für eine Aufführung in St. Petersburg (1871) arbeitete Smetana die Partitur um, komponierte u. a. den Furiant (2. Akt) und Maries Rezitativ und Arie Endlich allein! (3. Akt) hinzu und gab der Oper die heute gültige dreiaktige FasJ. SCHLÄDER sung. VERKLEINERUNG , Diminution. VERLAINE, Paul, * 30.3. 1844 Metz, t 8. 1. 1896 Paris; frz. Dichter. Er entstammte einer Familie, in der viel musiziert wurde, und war mit Mathilde
Mauté, der Tochter einer hervorragenden Pianistin verheiratet. Mit zahlreichen Musikern war er befreundet, u. a. mit E. Chabrier. V. gehörte zu den Dichtern des Parnasse contemporain (u. a. mit Th. Gautier, Ch. Baudelaire und St. Mallarmé), die sich als Reaktion gegen die Romantik verstanden (charakteristisch ihre Auffassung des L'art pour l'art), und teilte ihre Schwärmerei für R. Wagner. Die Titel seiner Gedichtsammlungen La bonne chanson (1870) und Romances sans paroles (1873) und der Anspruch seiner Art poétique (1882) „de la musique avant toute chose" zeigen V.s ständiges Bemühen um Musikalität der Sprache. Die dichterischen Formen stehen bei V. oft dem Chanson nahe (Strophe mit Refrain), die Klangqualitäten der Sprache sind geschickt eingesetzt, die Rhythmen subtil differenziert. Er schrieb jedoch keine Texte der Vertonung wegen. Gleichwohl ist die Zahl der Komponisten groß, die Gedichte von ihm in Musik setzten. Zu nennen sind Cl. Debussy, E. Chausson, G. Fauré, J. Massenet, Ch. Koechlin, M. Ravel, Fl. Schmitt, außerhalb Frankreichs u. a. C. von Pászthory. Für Chabrier schrieb V. die Libretti zu 2 Operetten ( Vaucochard et fils P', 1863; Fish-ton-Kan, 1865) und einer Opéra bouffe (L'étoile, 1877), und verschiedene Ballette sind von seinen Gedichten inspiriert. Lit.: L MAURICE-AMOUR, V., in: MGG XIII; M. MÜLLER, Musik u. Sprache. Zu ihrem Verhältnis im frz. Symbolismus (Diss. Bonn 1982).
VERLOBUNG IN SAN DOMINGO, DIE, Oper in einem Akt von W. Zillig, Text vom Komponi-
sten nach der Novelle (1811) von H. von Kleist. Ort u. Zeit der Handlung: San Domingo, 1803, Erstsendung (Funk): 26.6. 1957; UA (szenisch) : 25.2. 1961 Bielefeld. In Kleists Erzählung vom Aufstand der Neger gegen die Weißen, in dessen Verlauf ein frz. Offizier seine Retterin, eine Farbige, tötet und sich in Erkenntnis seines tragischen Fehlverhaltens selbst richtet, wird die innere Entwicklung der Personen in dramatischer Rede dargestellt; an Höhepunkten wird unvermittelt der nüchterne Bericht von den Ereignissen fortgesetzt. Zillig vertraute den epischen Teil einem Erzähler (Journalisten) an, während er die Dialoge als Opernszene gestaltete. Das musikalische Material entwickelt der Komponist aus Keimzellen der Begleitmusik zum melodramatischen Erzählertext, so daß der Hörer auf die musikalischen Elemente in den Opernszenen vorbereitet ist. Das Werk ist mit den Techniken der Dodekaphonie gestaltet: Eine Zwölftonreihe (die das Zitat der Marseillaise erlaubt) erhält für den formalen Ablauf ordnende Funktion; die kämpfenden Rassen werden musikalisch durch rhythmische Reihen verdeutlicht (wodurch sich eine Art rhythmischer Polyphonie ergibt), und auch in der Instrumentation wird Zwölftöniges symbolhaft und schulmeisterlich-vordergründig in Klang umgesetzt: Zu den zwölf Solostreichern treten solistisch je sechs Holz- und Blechbläser, zwölf Instrumente (einschließlich Celesta, Cembalo, Harfe und Klavier) werden zum Schlagwerk gezählt. K. LANGROCK
VERLOBUNG IN SAN DOMINGO, DIE, Oper in 2 Akten von W. Egk, Text vom Komponisten nach der Novelle (1811) von H. von Kleist. Ort u.
Zeit der Handlung: ein Pflanzerhaus im frz. Teil der Insel San Domingo, 1803; Ort u. Zeit des Vorund Zwischenspiels: Port-au-Prince, Gegenwart. UA: 27. 11. 1963 München (Staatsoper). Egk wurde von der literarischen Vorlage durch die „betäubende Dosis von Brutalität, Exotik, Liebe und Haß ... und dazu ein nicht zu übersehendes höchst aktuelles Element" gefesselt. Kleists nüchternen Tatsachenbericht voller Dramatik formte der Komponist in eine stimmungsvolle, poetisch verdichtete Bühnenhandlung um; diese wird im Rückblick aus der Gegenwart (in Vor- und Zwischenspiel) durch die Herren Schwarz und Weiß aus der jeweiligen Sicht der 1803 im Kampf liegenden Parteien berichtet. Die Schatten der vier handelnden Personen kommentieren diese Berichte und ziehen die Lehre daraus: „Sie müssen lernen, miteinander zu leben, sonst werden sie aneinander sterben so wie wir." In der musikalischen Gestal255
Verlorene Paradies tung des Stoffes verzichtet Egk weitgehend auf folkloristische Elemente. Farbige Instrumentation, phantasievolle Harmonik und dem Sprachfluß folgende expressive Gesangspartien bewirken die beklemmende Faszination dieser Oper. K. LANGROCK VERLORENE PARADIES, DAS (Paradise Lost), Sacra Rappresentazione in 2 Akten von Krz. Penderecki, Text von Christopher Fry nach J. Miltons gleichnamigem Epos (1667). UA: 29. 11. 1978 Chicago; dt. EA (in dt. Sprache) : 28.4. 1979 Stuttgart. Penderecki und der engl. Dramatiker Fry gingen durchaus unbefangen daran, den tiefgründigen Sündenfall-Mythos für das Musiktheater zu adaptieren, ihn ins Szenisch-Unmittelbare zu übersetzen. Der Librettist, der als Drehbuchautor von Hollywood-Filmen wie Ben Hur oder Die Bibel bereits über einschlägige Erfahrungen verfügte, kompilierte aus Miltons voluminösem, die theologisch-philosophische Problematik eigenwillig interpretierendem Epos die Textgrundlage des Himmel und Hölle umspannenden Spectaculums; der Komponist entschied sich beim Ausgestalten der stark zum Oratorischen hin tendierenden SchauBilder für eine Tonsprache, die kaum noch auf den ehemals radikalen Avantgardisten Penderecki schließen läßt, sondern pointiert das stilistische Repertoire der Spätromantik einbezieht. Gerade das Assimilieren vertrauter musikalischer Idiome wird dazu beigetragen haben, daß dieses von der Chicagoer Lyric Opera (ursprünglich zum Bizentenarium der USA) in Auftrag gegebene Werk bislang wenn nicht bei den Rezensenten, so doch beim Publikum vorbehaltlose Zustimmung gefunden hat. VERLORENE SOHN, DER (L'Enfant prodigue), Scène lyrique in einem Akt von Cl. Debussy, Text von E. Guinand. Ort und Zeit der Handlung: ein Dorf am See Genesareth, in biblischer Zeit. UA: 28.2. 1910 London (Covent Garden); EA in dt. Sprache: 9. 11. 1910 Zürich ; dt. EA: Dezember 1910 Magdeburg. Das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn bildet die stoffliche Grundlage zu diesem Werk. Guinand gestaltete das Libretto schlicht, stellenweise sentimental und wies der Mutter, die um den Verlust ihres Sohnes trauert, eine tragende Rolle zu. Die Niedergeschlagenheit der Eltern steht in wirkungsvollem Kontrast - den Debussy auch musikalisch reflektiert - zur Schönheit der Natur (Sonnenaufgang) und zum heiteren Fest der Dorfbewohner. Debussy erfüllte, indem er den Text als Kantate vertonte, eine Bedingung für den Prix de Rome, den er 1884 mit diesem Werk gewann ; sze256
nische Aufführungen folgten erst später. Die kompositorischen Schulregeln, von der Harmonik bis zum unvermeidlichen Unisono bei der Wiedervereinigung der Familie, befolgt der Komponist hier relativ streng, und Wagnerismen wie die leitmotivische Arbeit mit dem „Azael"-Ruf der Mutter lassen noch den Bayreuth-Pilger erkennen, doch verweisen Parallelakkordik, Klangflächen und differenzierte Instrumentation (Klangfarben) bereits auf den meist fälschlich als „Impressionismus" bezeichneten Debussy-Stil. R. QUANDT VERLORENE SOHN, DER (Bludny syn), Ballett in 3 Szenen. Libretto: Boris Kochno (* 1904), Musik : S. Prokofjew (op. 46). UA: 21.5. 1929, gemeinsam mit I. Strawinskys Renard. Paris (Théâtre Sarah Bernhardt) mit den Ballets Russes, Choreographie: G. Balanchine; dt. EA: 1931 Essen (Folkwangschule), Choreographie: K. Jooss. Das Sujet dieser Ballettkomposition, die sowohl vom Publikum als auch von den Kritikern enthusiastisch aufgenommen wurde, folgt jener Version der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn (Lukas-Evangelium, Kapitel 15, Vers 11-24), die auf alten byzantinischen Ikonen dargestellt ist. Während G. Balanchine eine raffinierte, von Stilelementen der neoklassizistischen Moderne geprägte choreographische Disposition präsentierte, suchte S. Prokofjew ein nahezu absolut musikalisches Werk zu komponieren, in dem er viel mehr um die Transparenz des Satzes, die polyphone Führung der Stimmen sowie um eine einfache Melodik und Harmonik bemüht war als um die mimetische Qualität einer tanzgerechten Ballettmusik. Gerade den konzertanten Charakter seiner eher experimentellen Ballettkomposition akzentuierte S. Prokofjew nachträglich, indem er das thematische Material seines Werkes auch in die Symphonische Suite, op. 46a (1929), des weiteren in die 4. Symphonie, op. 47 (1929/30, revidiert als op. 112), und letztlich in die Sechs Stücke für Klavier, op. 52 (1930/31), aufnahm. G. LUDIN VERMINDERT werden r Intervalle genannt, die sich durch Erniedrigung bzw. Verkleinerung reiner oder kleiner Intervalle um einen Halbton ergeben. VERS (von lat. versus = Wendung [des Pfluges], Furche, Reihe), Bz. für die durch r Metrum und r Rhythmus gegliederte Textzeile, die einen verwandt organisierten Kontext (z. B. den Reim im Gedicht) verlangt, auch die Einzelzeile in gebundener Rede. Der V. erhält seine unterschiedlichen Charakteristika durch die verschiedenen Formen von quantitierender, alternierender und akzentuie-
Versett render Dichtung: a) Die quantitierende Dichtung
kennzeichnet eine in einem bestimmten System festgelegte Folge von kurzen und langen Silben. Sie bestimmt als Ordnungsprinzip die Dichtung der griech. und römischen Antike sowie die ihr imitatorisch folgenden poetischen Formen von Mittelalter und Renaissance, Barock, Klassik und Romantik (z. B. der daktylische Hexameter oder Pentameter, der jambische Senar oder der trochäische Septenar zu den sie jeweils konstituierenden Grundelementen von Daktylus, Jambus und Trochäus; r Metrum). Das antike Prinzip der quantitierenden Dichtung erfährt eine späte Wiederbelebung im 16. Jh. in der humanistischen Odenkomposition (OE Ode) in Deutschland und in der r Musique mesurée à l'antique in Frankreich. Man spricht dort ausdrücklich von den V. mesurés. - b) Die alternierende Dichtung (von lat. alternare = abwechseln) ist durch den regelmäßigen Wechsel von einsilbiger Hebung und einsilbiger Senkung bestimmt. Entsprechend finden sich in ihr nur „jambische" (steigend alternierende) oder „trochäische" (fallend alternierende) V.-Maße. Dieses Gliederungssystem, das die romanischen Literaturen des Mittelalters auch unter dem Einfluß mittellat. Dichtungsformen (OE Hymnus, r Vaganten) entwickelten und an germanische Nachahmer weitergaben, prägt die numerische Gliederung (z. B. in Acht-, Zehn-, Elf- [it.: Endecasillabo] oder Zwölfsilbler [Alexandriner]). - c) Die akzentuierende Dichtung charakterisiert der Zusammenfall von Metrum und natürlichem Sprachduktus, von V.Akzent und Wortbetonung. Sie ist auf den germanischen Sprachraum beschränkt und wurde in Deutschland durch M. Opitz (Das Buch von der deutschen Poeterey, 1624) verbindlich. Die in den beschriebenen Formen verfaßten Dichtungen sind musikalisch höchst unterschiedlich und differenziert verarbeitet worden. Dies gilt nicht nur für die quantitierenden Hymnen oder die akzentuierenden Sequenzen des lat. Mittelalters, sondern ebenso auch für die alternierenden romanischen Texte wie z. B. die r Chansons de geste oder die Lyrik der r Troubadours, die sich allein aus der Einheit von Wort und Musik (son e vers) versteht. Wie intensiv die Beziehung zwischen V. und Musik ist, zeigen besonders das Kunstlied (r Lied), in dem sich Rhythmus der Sprache und Bewegung der Melodie im idealen Entwurf harmonisch vermählen, oder die Operntexte R. Wagners, die auf die Konstituierung einer Totalität im Gesamtkunstwerk abzielen (OE Musik und Sprache). St. Mallarmés Essay La musique et les lettres geht dieser Möglichkeit zu absoluter Verschmelzung und Steigerung aus der Perspektive des Wortkünst-
lers nach, der Rhythmus und Melodie der Sprache als Teile der im Universum der Töne entworfenen Symbolik erfaßt. Der V. wird so über seine von Symbolisten und Futuristen erkannte phänomenologische Beschränkung hinaus, die zur Entwicklung des modernen Vers libre und der Parole in libertà führte, zum denkbaren Absoluten, das das Schweigen allein einholt. Lit.: T. S. ELIOT, Der V. Vier Essays (B — F 1952); W. SUCHIER, Frz. V.lehre auf hist. Grundlage (Tü 1952), 2. Aufl. bearb. v. R. Baehr (Tü 1963); M. BURGER, Recherches sur la structure et l'origine des v. romans (G 1957); W. KAYSER, Gesch. des dt. V.es (Mn 1960, 21971); F. CALIRI, Ritmi e stile. Compendio di versificazione italiana e nozioni di stilistica (Fi 1961); R. BAEHR, Span. V.lehre auf hist. Grundlage (Tü 1962); M. GRAMMONT, Petit traité de versification française (P 1965); W. M. LINDSAY, Early Latin Verse (0 1968); J. V. STUMMER, V., Reim, Strophe, Gedicht. Ein Lehr- u. Lesebuch über das Handwerkliche der dt. Dichtkunst (Thun — Mn 1968); R. BAEHR, Einführung in die frz. V.lehre (Mn 1970); F. LIPPMANN, Der it. V. u. der musikal. Rhythmus. Zum Verhältnis von V. u. Musik in der it. Oper des 19. Jh...., in: Anal. Mus. 12, 14 u. 15 (1973-75); H. J. DILLER, Metrik u. V.lehre (Düsseldorf — Be — Mn 1978); M. GAUTHIER, Promenade autour de la musique des v., in: Bull. de l'Association W.-D. LANGE G. Budé 1 (1978).
VERSCHMELZUNG, in der Tonpsychologie Bz. für die Wahrnehmung zweier gleichzeitig erklingender und in bestimmten Intervallen zueinander stehender Töne als ein einzelner Ton. Am deutlichsten wird die V. bei einer Oktave: Der Grundton und alle Obertöne der Oktave fallen mit den Obertönen des tieferen Tones zusammen, sie verschmelzen vollständig. Bei Quinten, Quarten usw. ist die Zahl der gemeinsamen Obertöne und damit die V. geringer, während bei Dissonanzen nicht mehr von V. gesprochen werden kann. Der Grad der V. wird als wichtigstes Merkmal bzw. sogar als Definition von Konsonanz angesehen. Lit.: H. HUSMANN, Eine neue Konsonanztheorie, in: AfMw 9 (1952); DERS., V. U. Konsonanz, in: DJbMw 1 (1956); E. TERHARDT, Ein psychoakustisches Konzept der musikal. Konsonanz, in: Acustica 36 (1976).
VERSCHRÄNKUNG entsteht, wenn im harmonischen Satz zwei Phrasen oder Motive ineinandergreifen, d. h., wenn der Schlußton einer Phrase oder eines Motivs gleichzeitig Anfangston des nächsten ist. Ein häufig vorkommender Fall von V. bildet im Wiener klassischen Satz die Verknüpfung des Schlußakkords einer Periode mit dem Beginn eines den Satzverlauf weiterführenden, gegenüber der Periode andersartigen Gerüstbauabschnitts. VERSETT, Versetl (von frz. verset, Diminutiv zu vers; engl.: verset; it.: versetto; span.: versículo, verso), Bz. für ein kurzes Orgelstück, das auf die Gepflogenheit zurückgeht, wonach seit Ende des 14. Jh. im Gottesdienst Organist und Sängerchor, 257
Versetzungszeichen jener mit kunstreichem polyphonem Spiel, dieser mit choralem Unisono alternatim die Verse (OE Versus) liturgischer Gesänge ausführten, „ad levandos animos fidelium" (Benedikt XIV., Bulle Annus qui, 1749). Die Entwicklungsgeschichte dieser V.en führte einerseits zum choralgebundenen Typ der frz. ř Orgelmesse bzw. zum ev. Choralvorspiel und zur Choralpartita. Andererseits entstanden im Laufe des 17. Jh. choralfreie V.en von praeludienhaftem, fugiertem oder tanzhaftem Charakter, die nach dem Vorbild der Psalmen- und Magnificat-V.en zyklisch „per omnes tonos" angelegt wurden, jeweils mehrere Stücke pro Tonart. Neben einer großen Zahl verflachter Gebrauchsmusik ragen einige Meisterwerke hervor (u. a. J. K. Kern, Modulatio organica, 1686; J. C. F. Fischer, Ariadne musica, 1702), die J. S. Bachs Wohltemperiertem Clavier den Weg bereiteten. Lit.: F. P. CONSTANTINI, Die Entwicklung der Versettenkomposition vom ausgehenden Mittelbarock bis z Rokoko (Diss. W 1967); DERS., Zur Typusgesch. von J. S. Bachs Wohltemperiertem F. P. CONSTANTINI Klavier, in: Bach-Jb. 55 (1969).
VERSETZUNGSZEICHEN r Akzidentien. VERSFUSS r Metrum. VERSIKEL (von lat. versiculum = kleiner Vers; engl.: versicle), insbesondere in der kath. und anglikanischen Liturgie Bz. für einen liturgischen Ruf, auf den eine liturgisch ebenso festgelegte Antwort (lat.: responsum; engl.: response) der Gemeinde folgt, z. B. Der Herr sei mit euch mit dem Responsum Und mit deinem Geiste. VERSTÄRKER, in der Elektroakustik Bz. für einen „aktiven", d. h. mit Röhren bzw. Transistoren bestückten Baustein, der die r Amplitude elektrischer Signale vergrößert (Spannungs-V.) bzw. die für einen Verbraucher (z. B. r Lautsprecher) erforderliche Leistung liefert (Leistungs-V.); für letztere Anwendung ist ein niedriger Innenwiderstand des als Spannungsquelle fungierenden V.s notwendig. Qualitätskriterien sind insbesondere t Frequenzgang, r Verzerrungen und r Fremdspannung (r elektroakustische Übertragungskette). Eine besondere, im Synthesizer und in der elektronischen Orgel verwendete Bauform ist der spannungsgesteuerte V. (Voltage Controlled Amplifier, VCA), dessen Verstärkung durch eine Steuerspannung geregelt wird. Diese kann von einem Tasten- oder Saiten-Manual, aber auch von anderen V.n herrühren. Hierdurch erst (und durch spannungsgesteuerte r Generatoren und r Filter) wurde die Entwicklung der heute gebräuchlichen r Synthesizer 258
möglich, wie sie vor allem von Robert A. Moog initiiert wurde. VERSTELLTE EINFALT, DIE, Opera buffa von W. A. Mozart; meist gespielt als: Die r Heuchlerin aus Liebe. VERSTELLTE GÄRTNERIN, DIE, Dramma giocoso von W. A. Mozart; meist gespielt als: Die r Gärtnerin aus Liebe. VERSUS (von lat. vertere = umwenden). - 1) In übertragenem Sinn Bz. für die Zeile, in der Poesie für den Vers, in der Bibel für die Unterteilung der Psalmen und der Kapitel der Bücher (die Verseinteilung der lat. Vulgata geht auf die Bibelausgabe des Pariser Druckers Robert Estienne, 1551 und 1555, zurück und stimmt nicht durchgehend mit der bei der Psalmodie üblichen und den Gesängen des Gregorianischen Gesangs zugrunde liegenden Gliederung überein). - 2) Im Gregorianischen Gesang Bz. für die im Wechselgesang von 2 Chören vorzutragenden textlichen und melodischen Abschnitte und Vortragsanweisung für den Einsatz des 2. Chores; in r Responsorium, r Graduale, r Alleluia und r Offertorium für die dem Kantor zufallenden Teile des Wechselgesangs (Zeichen : V); in r Introitus und /Communio für den Psalmvers zur Antiphon; außerdem für das řVersikel; ferner im 9./10. Jh. für den in metrischen Versen abgefaßten Hymnus, zum Unterschied von nichtmetrischen Lobgesängen (z. B. Gloria und Te Deum) und von dem dem hl. Ambrosius zugeschriebenen Grundrepertoire metrischer Hymnodie. Über die Alternatimpraxis, d. h. die Stellvertretung eines von 2 psalmodierenden Chören durch Vortrag und mehrstimmige Bearbeitung des C. f. auf der Orgel, ging der Begriff V. in die Instrumentalmusik über (r Versett). VERTRETUNGSKLANG, in der r Harmonielehre Bz. für jene Akkorde, die vertretungsweise die Stelle anderer Akkorde einnehmen können. Die Dreiklänge der I. (r Tonika), IV. (OE Subdominante) und V. Stufe (r Dominante) sind Hauptfunktionen, die eine Tonart eindeutig bestimmen. Die Dreiklänge der II., III., VI. und VII. Stufe, auch als Nebendreiklänge oder Nebenfunktionen bezeichnet, gelten daher jeweils als V. (r Funktionsharmonik). Zu unterscheiden vom V. ist die r Klangvertretung, welche die wechselnde Funktion einzelner Töne meint. VERURTEILUNG DES LUKULLUS, DIE, Oper in 12 Szenen von P. Dessau u. B. Brecht. Ort u.
Verzerrung Zeit der Handlung: Rom im Altertum, das Schattenreich. UA: 12. 10. 1951 Berlin (Staatsoper). In seinem Radiostück Das Verhör des Lukullus (1939) zeigt Brecht die Rechtfertigung des heldenhaften Feldherrn vor einem unbestechlichen Gericht, das die vielen Toten der Feldzüge gegen die kulinarische Bereicherung der Speisekarte und die Einführung des Kirschbaums in Mitteleuropa abwägen muß. Bei der Umarbeitung zu einem Libretto wurde neben „organisatorischen" Änderungen insbesondere die Verkündung des Urteils aufgenommen: Ins Nichts mit ihm! Am 17. 3. 1951 fand in der Berliner Staatsoper eine Probeaufführung unter dem alten Titel statt; Anregungen aus der anschließenden Diskussion führten zu weiteren Umarbeitungen, deren Ergebnis als endgültige Fassung veröffentlicht wurde. In Zusammenarbeit mit Dessau und H. Scherchen (Dirigent der UA) nahm Brecht dennoch weitere Veränderungen vor. Dessau bezeichnete dieses Werk als „Friedensoper" ; in seiner Komposition erhellt er die gesellschaftspolitische Bedeutung des Textes durch teils hintersinnige (Form, Harmonik), teils signalhaft einfache (Instrumentation, Melodik) Karikierungen von Topoi der „kulinarischen" Oper. Die musikalisch größte Bedeutung kommt den Chören zu, deren wuchtige Textdeklamation in der Orchesterbesetzung (als Holzbläser nur Flöten, Verzicht auf Geigen und Bratsche, Schlagwerk mit zehn Spielern) seine Entsprechung findet. K. LANGROCK VERWERTUNGSGESELLSCHAFT (VerwGes), Bz. für juristische Personen, die nach dem Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vom 9. 9. 1965 (WahrnG) Nutzungs-, Einwilligungsrechte oder Vergütungsansprüche nach dem Urheberrechtsgesetz vom 9.9. 1965 (UrhG) für Rechnung mehrerer Urheber oder Inhaber verwandter Schutzrechte zur gemeinsamen Auswertung wahrnehmen. Vorläufer der V.en war eine Organisation in Frankreich, die „Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique" (SACEM), die bereits 1850 anläßlich eines Streitfalles im musikalischen Bereich gegründet worden ist. In Deutschland entstand erstmals mit der „Genossenschaft Deutscher Tonsetzer" (GDT) und der „Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht" (AFMA) eine V., aus der sich die heutige GEMA entwickelte. In anderen Bereichen entstanden V.en erst sehr viel später (etwa seit 1950): r GEMA. Die „V. Wort" (VG Wort) nimmt treuhänderisch die Rechte der Wortautoren wahr und umfaßt heute 6 Berufsgruppen (1. Autoren und Übersetzer schöngeistiger und
dramatischer Literatur, 2. Journalisten, Autoren und Übersetzer von Sachliteratur, 3. Autoren wissenschaftlicher und Fachliteratur, 4. Verleger von schöngeistigen Werken und von Sachliteratur, 5. Bühnenverleger, 6. Verleger von wissenschaftlichen Werken und Fachliteratur). - Die „Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH" (GVL) nimmt treuhänderisch die Rechte der ausübenden Künstler und die Rechte der Tonträgergesellschaften wahr. Gesellschafter der GmbH sind die „Deutsche Orchestervereinigung e. V." und die „Deutsche Landesgruppe der internationalen Vereinigung der phonographischen Industrie e. V." - Die „Zentralstelle für private Überspielungsrechte" (ZPO) ist ein Zusammenschluß der GEMA, GVL und VG Wort und zieht die Vergütungen nach dem UrhG ein und verteilt diese nach einem bestimmten Schlüssel an die GEMA, VG Wort und GVL. - Die „Interessengemeinschaft musikwiss. Herausgeber und Verleger" (IMHV) nimmt die Rechte (Schutz bestimmter Ausgaben) im musikalischen Bereich wahr. Die V. Bild-Kunst vertritt die Rechte für bildende Künstler sowie Fotografen und Grafikdesigner. Bei der „Gesellschaft zur Übernahme und Wahrnehmung von Filmaufführungsrechten mbH" (GUFA) handelt es sich um einen Zusammenschluß von Filmproduzenten. - r AKM, OE CISAC, M. HOHMANN 2. SUISA. VERZERRUNG, Bz. für die Veränderung einer Schwin*ung bei einer elektrischen oder mechanischen Übertragung. Ein Übertragungssystem, das außer einer allgemeinen Verstärkung oder Abschwächung keine Änderung des Schwingungsverlaufes bewirkt, wäre verzerrungsfrei; es heißt linear, da der Schwingungsverlauf am Ende des Übertragungsweges eine (in mathematischem Sinne) lineare Funktion des ursprünglichen Schwingungsverlaufes ist. Tatsächlich aber treten bei jeder Übertragung mehr oder weniger starke Nichtlinearitäten und damit V.en auf. Im menschlichen Ohr wird ein wahrgenommenes akustisches Signal bei der Übertragung durch das Trommelfell und die Gehörknöchelchen erheblich verzerrt; zur ursprünglichen Frequenzstruktur kommen zusätzliche Kombinations- und Obertöne hinzu. Bei elektroakustischen Übertragungssystemen ist eine möglichst von V. freie Wiedergabe äußerst wichtig. Die hier typischen V.en treten als unharmonische Obertöne auf, die schon bei geringer Intensität (neben der von einem Gerät erzeugten Störspannung wie Rauschen und Brummen) deutlich und unangenehm hörbar werden und deren Maß (anteilig in % ausgedrückt) der Klirrfaktor ist. Apparaturen in 259
Verzierungen Tonstudios arbeiten mit Werten unter 1,5%, Tonbandgeräte der HiFi-Norm lassen 5% zu; Verstärker dagegen liegen heute meist unter 0,1%. VERZIERUNGEN, Ornamentik (engl.: ornamentation; frz.: ornementation; it.: ornamentazione; span.: ornamentación). - 1) Allgemein Bz. für sämtliche Formen und Spielarten „ausschmückender Abwandlung" einer melodischen Linie oder eines Satzgefüges. V. dienen nicht allein dem Bedürfnis nach Abwechslung, sondern haben auch die Funktion der Bereicherung statischer Tonfolgen, der Intensivierung rasch verklingender Töne; sie verdeutlichen durch Akzentuierung die Gliederung der Linien und stehen als emphatische Hervorhebungen von Details im Dienste des Ausdrucks. Das Prinzip des Verzierens ist nah verwandt mit dem der r Variation - in der ornamentalen Umspielung kann man den Ausgangspunkt der Variationstechnik sehen -, doch unterscheiden sich beide dadurch, daß die Variation eine formgestaltende Verfahrensweise darstellt, während die V. nur akzidentellen Charakter haben. Sie können allerdings für die musikalische Form relevant werden; etwa als modifizierte Wiederholung von Phrasen oder von größeren Formabschnitten (so bei C. Ph. E. Bachs Sonaten „mit veränderten Reprisen"). - Die Belebung regulierter musikalischer Abläufe durch mehr oder minder spontane Unre-
(= Doppelschlag) und Quiebro (— Triller) bei Tomás de Santa Maria (1565), doch gibt es für sie noch keine abstrakten Zeichen. Im 17. und 18. Jh. erreicht die Verzierungskunst ihren Höhepunkt. Verzierung bedeutet nun lebendige Vortragskunst schlechthin. Sie umfaßt nicht nur das Verschnörkeln melodischer Linien, sondern schließt auch die Kategorien des Rhythmus und der Dynamik ein: durch lebendige rhythmische Spielweisen wie das r Tempo rubato oder die „zierliche" Ausführung bestimmter rhythmischer Figuren (r Notes inégales, r Lombardischer Rhythmus, r punktierter Rhythmus) auf der einen, durch Lautstärkeschattierungen von Einzeltönen (r Messa di voce) oder Phrasen (Echowiederholungen) auf der anderen Seite. Die einzelnen Stilbereiche entwickeln jetzt bestimmte Charakteristika: Die „italienische Art" bevorzugt improvisatorische Ornamentik (bes. deutlich in den r Koloraturen der Sanger), sie stellt die freien über die formelhaften V. und ist nach J. J. Quants, „willkürlich, ausschweifend, gekünstelt ... auch öfters frech und bizarr". Das folgende Notenbeispiel zeigt im Ausschnitt einen Vergleich der Notierung des Erstdrucks der Sonate a Violino, op. 5, von A. Corelli (R 1700) mit einer Amsterdamer Ausgabe von etwa 1715, „où l'on a joint les agréments des Adagio de cet ouvrage, composez par Mr. Corelli comme il les joue".
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gelmäßigkeiten gehört zum Wesen jeglichen Musizierens. In der schriftlich fixierten abendländischen Musik sind Spuren solcher Praxis schon in den „Zierneumen" des Gregorianischen Gesangs nachweisbar. Im MA werden die verschiedenen Formen der Verzierung als „Flores" bezeichnet. Von besonderer Bedeutung ist das ornamentale Prinzip bei der Ausfüllung von C. f.-Haltenoten eines Gerüstsatzes durch r Kolorierung. Die gleichartige Praxis der l Diminution, der Aufgliederung von langgehaltenen Tönen in kleinere Notenwerte, dient in der Instrumentalmusik des 17. Jh. sowohl der akzidentellen Verzierung als auch der systematischen Variation eines gegebenen Melodiemodells (r Glosas). In der Musik für Tasteninstrumente bilden sich seit dem 16. Jh. häufig wiederkehrende, voll ausgeschriebene Verzierungsfloskeln aus. Vereinzelt werden sie in der Musiklehre der Zeit schon mit Namen belegt: Mordant bei E. N. Ammerbach (1571) ; Redoble 260
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Französische Verzierungskunst ist dagegen formelhaft und stärker reguliert. Quanti findet sie „sklawisch, doch modest, deutlich, nett und reinlich im Vortrage". Im Extrem wirkt der italienische Geschmack überladen, der französische eher manieriert. Die deutschen Komponisten nahmen Elemente beider Stile auf und pflegten bewußt einen „vermischten Geschmack". So finden sich italienische Diminutionspassagen häufig unvermittelt neben den Agréments französischer Provenienz. Musiktheorie und -didaktik der Zeit befassen sich ausgiebig mit diesem Problem : Die normierten, zur Floskel verfestigten V. werden als „wesentliche Manieren", die freien, meist improvisierten Ornamente als „willkürliche Veränderungen" bezeichnet. J. S. Bach hat im 2. Teil seiner Clavier-Úbung bestehend in einem Concerto nach Italienischem Gusto und einer Ouverture nach Französischer Art nicht nur die typischen Formen, sondern auch die Verzierungstechniken der beiden Stilarten exempla-
Verzierungen risch vorgestellt. In seinem Gesamtschaffen zeigt sich deutlich die Tendenz, V., die über das rein Dekorative hinausgehen, nicht mehr dem Interpreten zu überlassen, sondern verbindlich in die Komposition einzubeziehen. Diese Haltung setzt sich seit dem späten 18. Jh. allgemein durch. Als V. gelten hinfort nur noch einige „wesentliche" Standardornamente (s. u.). Allerdings zeigen vor allem gewisse Klavierkompositionen freieren, improvisatorischen Charakters (Fantasien, Impromptus, manche langsame Sätze) in ihrem oft in kleinen Noten gestochenen Passagenwerk noch deutlich Elemente des ornamentalen Stils (z. B. L. van Beethoven, Sonate c-moll, op. 10 Nr. 1, Adagio molto; Fr. Chopin, Nocturne op. 9, Nr. 3 [s. nachstehendes Bsp.]).
2) Im engeren Sinn (auch: Manieren, Ornamente; engl.: embellishment, ornaments, graces; frz.: ornements, broderies, agréments; it.: abbellimenti, fioriture; span.: adornos, floreos) Bz. für bestimmte, zur Formel verfestigte ornamentale Figuren oder Spielweisen, hauptsächlich in Gestalt der
Belebung einer „Hauptnote" durch kürzere Notenwerte, die im Schriftbild durch spezielle Zeichen oder kleinere Noten angezeigt werden. Schon das frühe MA kennt bei der Notierung des Gregorianischen Gesanges Zeichen mit rein ornamentalem Charakter wie " Plica, Quilisma und Oriscus (r Notenschrift). Seit dem frühen 17. Jh. beginnt man damit, die Ausführung von V. wie Trillo oder Groppo (= r Doppelschlag) häufig durch hinzugefügte Wortabkürzungen (t oder g) zu fordern, anstatt sie auszuschreiben. Im 17. und 18. Jh. entwickelt sich, vor allem in Frankreich, mit den „wesentlichen Manieren" eine differenzierte Verzierungskunst von kaum überschaubarer Vielfalt. Eine gewisse systematische Klassifizierung der V. ergibt sich aus ihrer Funktion : 1. Akzentuierung der Hauptnote durch rhythmische oder harmonische Schärfung (r Pralltriller, r Schneller, r Mordent, r Schleifer, r Vorschlag). - 2. Intensivierung oder Belebung der Hauptnote durch rhythmische oder dynamische Mittel (/ Triller ohne Nachschlag, r Ribattuta, r Bebung, r Vibrato, r Tremolo, r Messa di voce). - 3. Intensivierung der Hauptnote durch Umspielung (Triller mit ř Nachschlag, r Doppelschlag). - 4. Verbindung zweier Hauptnoten durch Intervallausfüllung (r Nachschlag, ř Schleifer, r Coulade, Tirata, Cascada).
Die Herkunft der V. aus dem Bereich der musikalischen Improvisation wirkt sich auf ihre Wiedergabe aus: Ein Vergleich der in zeitgenössischen Lehrwerken aufgezeichneten Beispiele zeigt, daß bei der Ausführung dieser Floskeln eine beträchtliche Variabilität möglich war. Die durch keine allgemeine Übereinkunft geregelte Vielfalt der V. zeigt sich auch in ihrer Benennung und den entsprechenden Siglen. Einerseits treten viele Begriffe synonym auf (z. B. Trille, Cadence, Tremblement), andererseits kann eine Bezeichnung verschiedene Bedeutung haben („accent” kann als Vorschlag, aber auch als Nachschlag gemeint sein). Desgleichen kann eine Verzierung durch verschiedene Zeichen angegeben werden (r Triller), jedoch auch ein bestimmtes Zeichen unterschiedlich interpretierbar sein (A. als Triller oder Pralltriller). Über ihre rein dekorative Bestimmung hinaus sind V. im 17./18. Jh. gelegentlich auch Mittel des Ausdrucks, was ihre Einbeziehung in die Lehre von den musikalisch-rhetorischen r Figuren bezeugt (r Koloratur). Aus der großen Zahl von „wesentlichen Manieren" der Barockzeit wurden nur Triller, Vorschlag und Doppelschlag als Standardverzierungen in die Musik des 19. Jh. übernommen. Der ausgeschriebene Doppelschlag gewinnt in der Musik R. Wagners und der Spätromantik eine gewisse Bedeutung als melodischer Ausdruck pathetischer Emotionen. In der Musik des 20. Jh. haben akzidentelle V. kaum noch Bedeutung. Gelegentlich finden sich noch traditionelle ornamentale Floskeln, doch dienen sie nun nicht mehr als Ausschmückung, sondern sind, wie auch das neuentdeckte r Glissando, Mittel des Ausdrucks oder haben motivische Funktion. Quellen: Prinzipien u. Zeichen der Verzierungskunst enthalten viele Lehrwerke des 16.-18. Jh.; als Autoren kommen vor allem in Betracht: A. Agazzari, A. Agricola, J. R. Ahle, J. E. Altenburg, J.-Fr. d'Andrieu, C. Ph. E. Bach, B. de Bacilly, E. G. Baron, Chr. Bernhard, G. M. Bononcini, J.-B. Cartier, M. Clementi, G. L Conforti, M. Corrette, Fr. (II) Couperin, G. Diruta, G. Fantini, Hermann Finck, S. Ganassi, Fr. S. Geminiani, J. A. Hiller, J. M. Hotteterre, J. N. Hummel, É. Loulié, Th. Mace, Fr. W. Marpurg, J. Mattheson, M. Mersenne, M. P. de Montéclair, L Mozart, L de Narváez, D. Ortiz, J. (I) Playford, M. Praetorius, W. C. Printz, J. J. Quants, J.-Ph. Rameau, Fr. W. Rieds, J. Rousseau, L Spohr, G. Tartini, P. Fr. Tosi, D. G. Türk. Lit.: 1) Allgemein: E. D. WAGNER, Musikal. Ornamentik (B 1869); H. GERMER, Die musikal. Ornamentik (L 1878); E. DANNREUTHER, Musical Ornamentation, 2 Bde. (Lo 1893-95); F. KUHLO, Über melodische V. in der Tonkunst (Diss. B 1896); M. KUHN, Die Verzierungs-Kunst in der Gesangs-Musik des 16. bis 17. Jh. (L 1902, Nachdr. Wie 1969) (— BIMG 1/7); A. SCHERING, Zur instrumentalen Verzierungskunst im 18. Jh., in: SIMG 7 (1905/06); H. GOLDSCHMIDT, Die Lehre von der vokalen Ornamentik I (Charlottenburg 1907); J. DODGE, Ornamentation as Indicated by Signs in Lute Tablature, in: SIMG 9 (1907/08); A. BEYSCHLAG, Die Ornamentik der Musik (L 1908, Nachdr.
261
Vesper 1953); H. LEICHTENTRITT, Zur Verzierungslehre, in: SIMG 10 (1908/09); A. DOLMETSCH, The Interpretation of the Music of the 17. and 18. Centuries (Lo 1915, Nachdr. Seattle/Wash. 1969); J. ARGER, Les agréments et le rythme (P 1917); P. BRUNOLD, Traité des signes et agréments employés par les clavecinistes français des XVII' et XVIII' siècles (Ly 1925, Nachdr. Nizza 1965); P. C. ALDRICH, The Principal Agréments of the Seventeenth and Eighteenth Centuries (1942) (— Diss. Harvard Univ.); H.-P. SCHMrrz, Die Kunst der Verzierung im 18. Jh. (Kas 1955); W. GEORGII, Die V. in der Musik. Theorie u. Praxis (Z — Fr 1957); W. SMIGELSKI, Zur Aesthetik des musikal. Ornaments (Diss. B 1957); K. WICHMANN, Der Ziergesang (L 1966); E. DERR, Zur Zierpraxis des späten 18. Jh., in: ÓMZ 32 (1977); J. E. SMILES, Directions for Improvised Ornamentation in Italian Method Books of the Late Eighteenth Century, in: JAMS 31 (1978); R. DONINGTON, Ornaments, in: Grove. XIII. — 2) Einzelfragen: H. EHRLICH, Die Ornamentik in Beethovens Klavierwerken (L 1897); M. SEIFFERT, Die V. der Sologesänge in Händels „Messias", in: SIMG 8 (1906/07); H. SCHENKER, Ein Beitr. z. Ornamentik als Einführung zu Ph. E. Bachs Klavierwerken .. . (W o. J., 21908, Nachdr. 1954); E. DANNREUTHER, Die V. in den Werken v. J. S. Bach, in: Bach-Jb. 6 (1909); J. P. DUNN, Ornamentation in the Works of F. Chopin (Lo 1921); P. C. ALDRICH, Ornamentation in J. S. Bach's Organ Works (NY 1950); A. KREUTZ, Die Ornamentik in J. S. Bachs Klavierwerken. Suppl. z. Urtext-Ausg. der Engl. Suiten (L 1950); W. EMERY, Bach's Ornaments (Lo 1953); R. STEGLICH, Das Auszierungswesen in der Musik W. A. Mozarts, in: Mozart-Jb. 1955; E. BADURA-SKODA, Über die Anbringung von Auszierungen in den Klavierwerken Mozarts, in: ebd. 1957; J. u. M. V. HALL, Handel's Graces, in: Händel-Jb. 3 (1957), dt. Übers.: Händels V., in: ebd.; W. KOLNEDER, G. Muffat z. Aufführungspraxis (Str — Baden-Baden 1970); H. M. BROWN, Embellishing Sixteenth-century Music (Lo 1976); F. NEUMANN, Ornamentation on Baroque and Post-Baroque Music, with Special Emphasis on J. S. Bach (Princeton 1978). E.
PLATEN
VESPER, Vesperae (von lat. vespera = Abend), die vorletzte der r Horen im Offizium der kath. Kirche und das liturgische Abendgebet. Sie hat heute den folgenden Aufbau: Eröffnung - Hymnus - Psalmen mit Antiphonen (Pss. 110, 111 oder 112, 113) - neutestamentliches Canticum (Offb. 19,1-2) - Lesung - Homilie - Magnificat - Fürbitten - Vaterunser - Entlassung. Die V. kann an Hochfesten, Sonntagen und Herrenfesten auch am Vorabend gefeiert werden. Dies entspricht der Tatsache, daß vor der Neuordnung der Liturgie durch das 2. Vatikanische Konzil bestimmte Feste 2 Vespern hatten: für den Vorabend und für den Abend selbst. Für den Gesang der V. sind im Antiphonale Romanum die entsprechenden choralen Melodien vorgesehen, im Gebet- und Gesangbuch Gotteslob auch eine Adaption mit dt. Text. - Der mehrstimmige Gesang der lat. V. führte im 16.-17. Jh. zu einer Hochblüte der ř Psalmvertonung und des Magnificat. Beteiligt daran war auch in der 1. Hälfte des 16. Jh. der ev. Gottesdienst (bedeutend hier vor allem die Vesperarum precum officia von G. Rhau, 1540). Aus der immensen Zahl gedruckter und hsl. V.-Psalmen bedeutender und unbedeutender Komponisten des 16.-18. Jh. haben nur wenige Werke ihre Zeit überdauert, so 262
Cl. Monteverdis monumentale Marienvesper von 1610 und die Vesperae de Dominica bzw. die Vesperae solennes de confessore von W. A. Mozart (KV 321 und 339). Lit.: A. SCHARNAGL, V., in: MGG XIII; Werkbuch z. Gotteslob, hrsg. v. J. SEUFFERT, 9 Bde. (Fr 1975-79).
VESPRI SICILIANI, I, Oper von G. Verdi ; dt. Titel : Die Sizilianische Vesper.
VESQUE VON PÜTTLINGEN, Johann (Pseudonym : J. Hoven), * 23.7. 1803 Opole, t 30. 10. 1883 Wien ; östr. Komponist. Er studierte Rechtswissenschaft in Wien und war dort 1827-72 als Jurist (seit 1838 im diplomatischen Dienst) tätig. Seine musikalische Ausbildung erhielt er u. a. bei I. Moscheles und seit 1833 bei S. Sechter. 1866 wurde er zum Baron erhoben und 1876 Mitglied des Deutschherrenhauses. Als einflußreicher Musiker war V. maßgeblich an der Gründung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien beteiligt. Sein Liedschaffen gilt als bedeutendster österreichischer Beitrag zwischen Fr. Schubert und J. Brahms, während seinen Opern nur wenig Erfolg beschieden war. V. schrieb außerdem ein grundlegendes Werk über Das musikalische Autorrecht (W 1864). WW: Instr.- u. Orch.-Werke; 2 Messen; 300 Lieder. — Opern: Turandot, UA: Wien 1838; Liebeszauber, UA: ebd. 1845; Der lustige Rath, UA: Weimar 1852. Lit.: H. SCHULTZ, J. V. von P. (Rb 1931) (mit Werk-Ven.); H. IBL, Stud. zu J. V. von P.s Leben u. Opernschaffen (Diss. W 1950).
VESTALIN, DIE (La vestale), Tragédie lyrique in 3 Akten von G. Spontini, Text von V. J. E. de Jouy. Ort u. Zeit der Handlung: Rom, in der Antike. UA: 16. 12. 1807 Paris (Opéra); EA in dt. Sprache: 12. 11. 1810 Wien (Kärntnerthor-Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 18. 1. 1811 Berlin. Die Handlung ist auf die im Zwiespalt zwischen Liebe und Pflichterfüllung stehende Priesterin der Vesta, Julia, zugeschnitten, welche ihren Geliebten Licinius in den Tempel hereinläßt und damit das Verlöschen des Heiligen Feuers bewirkt; daraufhin zum Tode verurteilt, wird sie erst durch das Eingreifen der Göttin selbst gerettet, die durch einen Lichtblitz das Feuer im Tempel wieder entzündet. Der Text war bereits von Fr. A. Boieldieu, L. Cherubini u. É. N. Méhul abgelehnt worden, bevor er Spontini angeboten wurde, der sogleich seine innere Spannung bemerkte. Die dramaturgische Konzentration auf die Protagonistin ermöglicht den Aufbau eines psychologischen Dramas, als dessen Höhepunkte die Soloszenen Julias im 1. und 2. Akt sich durch besondere Dichte der menschlichen Empfindung auszeichnen, durch die Musik wirkungsvoll unterstützt. Die Mischung frz.
Viadana und it. Opernelemente trug wohl wesentlich zum triumphalen Erfolg der Oper bei, die nur unter großen Schwierigkeiten und mit nachdrücklicher Unterstützung der Kaiserin Josephine zur Aufführung gebracht werden konnte. Der Erfolg machte Spontini zu einem der führenden Opernkomponisten Europas; im Juli 1810 erhielt er für die Vestalin den am 28. 11. 1809 gestifteten Preis für die beste Oper des vergangenen Dezenniums. TH. MENGER
VETIER, Hermann Walther, * 10. 5. 1891 Berlin, t 1.4. 1967 ebd.; dt. Musikforscher. Er absolvierte ein Dirigentenstudium in Leipzig und studierte anschließend Musikwissenschaft an der Universität Leipzig (H. Abert), wo er 1920 promovierte. 1927 habilitierte er sich in Breslau und wurde nach Lehrtätigkeiten in Hamburg und Greifswald 1941 Ordinarius an der Universität Posen und 1946 als Nachfolger von A. Schering an der HumboldtUniversität in Berlin. V. stand in der wissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Tradition von Abert, mit dem er u. a. auch die Vorliebe für die Musik der Antike gemeinsam hatte. Wie dieser war er ein Gegner purer „Musik-Philologie" und vertrat die Auffassung, daß Künstler und Werk in der Musikgeschichte eine Einheit bilden. Manche seiner Arbeiten sind bis heute grundlegend. Schriften: Die Arie bei Gluck (Diss. Halle 1920); Das friihdt. Lied, 2 Bde. (Münster 1928) (Habilitationsschrift); Der humanististische Bildungsgedanke in Musik u. Musikwissenschaft (Langensalza 1928); F. Schubert (Pd 1934); J. S. Bach, Leben u. Werk (L 1938, 2 1943); Der Kapellmeister Bach (Pd 1950); Der Klassiker Schubert, 2 Bde. (L 1953); Mythos - Melos - Musica. Ausgew. Aufsätze z. Musikgesch., 2 Bde. (L 1957-61); Ch. W. Gluck (L 1964); Tschech. Opernkomponisten. Ein stilkundlicher Versuch, in: FS J. Racek (Brünn 1965). Ferner zahlr. Artikel zur Musik der Antike in der Realenzyclopaedie der Class. Altertumswissenschaften u. in MGG. - V. war Hrsg. des DJbMw (1956-66) u. edierte J. N. Forkel, Ober J. S. Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke (B 1966, Kas 1968). Lit.: H. BECKER, W. V. in memoriam, in: Mf 20 (1967).
VETTER AUS DINGSDA, DER, Operette in 3 Akten von E. Künneke, Text von Hermann Haller u. Fritz Oliven nach einem Lustspiel von Max Kampner-Hochstädt. Ort u. Zeit der Handlung: Schloß de Weert in Holland, um 1920. UA: 15.4. 1921 Berlin (Theater am Nollendorfplatz). Verfilmt 1934 u. 1954. Von den sieben handelnden Personen sind vier als Hauptakteure an dieser harmlosen Verkleidungskomödie beteiligt. Julia de Weert fühlt sich, obwohl in einen „Wandergesellen" verliebt, an ihren vor sieben Jahren nach Batavia ausgewanderten Vetter Roderich gebunden, der sich seinerseits, nach Holland zurückgekehrt, in Julias Freundin verliebt. Die Komposition der Operette fällt in
jene Schaffensphase, in der Künneke zwischen großer Operette und kleiner Musikkomödie als Werktypus eine Entscheidung treffen wollte. Dem Komponisten gelingt eine geschickte Verschmelzung: ein intimer Handlungsrahmen wird mit den glanzvollen musikalischen Mitteln der großen Operette gefüllt. Ich bin nur ein armer Wandergesell wurde ein Schlager und ragt aus der Fülle der Melodien heraus. Die heiteren, primär rhythmisch geprägten Lieder und Ensemblesätze dominieren gegenüber den weichen, lyrischen Melodien, wobei allen das Volkstümlich-Schlichte eigen ist was das Publikum ansprach und einer der Gründe für den damaligen Welterfolg war. Bis heute ist Der Vetter aus Dingsda eine häufig gespielte Operette an dt. Bühnen. B. DELCKER VETTER MICHEL r Rosalie. VIADANA (Grossi da V.), Lodovico, OFM, * um 1560 Viadana/Po, t 2.5. 1627 Gualtieri bei Viadana; it. Komponist. V.s Bezugnahme auf Tommaso Gratiani läßt vermuten, daß auch er (in Ravenna?) Schüler C. Portas war. Nachweisbar ist er 1594-97 als Domkapellmeister in Mantua, war es aber vielleicht schon früher. 1594 war er Hofakten zufolge in München, um 1596/97 nach eigenem Zeugnis in Rom und 1597/98 vermutlich in Padua. 1602 wirkte V. als Maestro di cappella für ein Jahr in Cremona, 1608-09 an der Kathedrale in Concordia und 1610-12 an der Kathedrale in Fano. Vor seiner Rückkehr nach Viadana war er 1614-17 Ordensdefinitor der Franziskanerprovinz Bologna. 1623 wurde er nach Busseto bestimmt. Im Konvent von Gualtieri ist er gestorben. WW (gedruckt in Venedig, teilweise mit mehreren Aufl.): 2 Bücher Vesperpsalmen für 5 St., 1 (1588), mit B.c. (6 1609), 2 mit B.c. (1604); Canzonette für 4 bzw. 3 St. (1590, 1594); 2 Bücher Falsi bordoni für 5 St. (1596) u. für 4 od. 8 St. u. B.c. (R 1612); Messen für 4 St. (1596), mit B.c. (1612); 2 Bücher Completorium Romanum für 8 St. (1597), für 8 St. u. B. c. (1606), ein Buch für 4 St. u. B. c. (1609); Motetten für 8 St. (1597); Missa defunctorum für 3 St. (1598), mit B. c. (1667); Officium defunctorum für 4 St. (1600), für 5 St. (1604); Cento concerti ecclesiastici für 1-4 St. u. B.c. (1602), 2. u. 3. Buch als Concerti ecclesiastici für 1-4 St. u. B.c. bzw. für 2-4 St. u. B. c. (1607, 1609); Letanie ... di Loreto für 3-8 u. 12 St. u. B.c. (1605); Psalmen für 4 St. u. B.c. (1608); Lamentationes Hieremiae für 4 gleiche St. (1609); Karwochen-Responsorien für 4 St. (1609); Sinfonie musicali für 8 St. u. B. c. (1610); Salmi campagnoli für 4 u. 8 St. u. B.c. (1612); Salmi a quattro chori per cantare e concertare mit B. c. (1612); Centum sacri concentus für 1 St. u. B. c. (F 1615); 24 Credo a canto fermo für 1 St. (1619).
V.s musikgeschichtlicher Rang beruht in erster Linie auf seinen Cento concerti ecclesiastici, von denen die Entwicklung der Motette und des .s Concerto im 17. Jh. in Italien sowie im katholischen und evangelischen Deutschland (r geistliches Konzert) maßgeblich bestimmt ist. Doch sind 263
Viadana diese Concerti im Schaffen V.s nicht isoliert und nicht nur gattungsgeschichtlich zu sehen. Wesentlich ist auch, daß er in seinem gesamten (fast ausschließlich kirchenmusikalischen) (Euvre im Sinne der nachtridentinischen Reformbestrebungen um Verständlichkeit und Ausdeutung der lateinischen Texte bemüht ist. Er erreicht dies durch stilistische Synthese von motettischer Kurzgliedrigkeit und anfänglich unbegleitetem, vorwiegend homorhythmischem 4st. Satz, der durch die Reduktion oberitalienischer Vielchörigkeit gewonnen wurde. Die 4 Messen von 1596 sind Missae breves (der Titel der letzten, L'hora passa, spielt analog P. Cerones Melopeo y Maestro [S. 688] darauf an) und zunächst ohne B. c., aber bereits nach demselben Satzprinzip konzipiert, das V.s von einem „Basso per l'organo" (r Generalbaß) begleitete Cento concerti von 1602 auszeichnet. Sein Generalbaßsatz führte zur Betonung der Außenstimmen und zu einer geregelten Harmonisierung der Füllstimmen. V. schuf in seinen vielgestaltigen Falsi bordoni die Mittel zur Aussetzung dieses (unbezifferten) Orgelbasses. Sie bilden den Vorrat an deutlich dreiklangsorientierten dominantischen Kadenzformeln. V.s Generalbaß erlaubte die Befreiung der Oberstimme bis zur Abstraktion in der Einstimmigkeit - nicht nur in den Concerti, sondern auch in dem Sonderfall der Missa dominicalis (im 2. Buch der Concerti, 1607) - ebenso im Triosatz, erlaubte aber auch die Erweiterung zum konzertanten Klangreichtum der vokal und instrumental besetzten 4chörigen Psalmen von 1612, in denen er die neuen stilistischen Möglichkeiten zusammenfaßte. V. legte seine Neuerungen dar in den Vorreden zu den Cento concerti, zu den Lamentationen und zu den 4chörigen Psalmen. Sie zeigen ihn als jenen äußerst pragmatischen und zielstrebigen Modernisten, für den ihn bereits seine Zeitgenossen hielten (u. a. A. Banchieri und M. Praetorius). Ausg.: Opere, hrsg. v. C. GALLICO (Mantua — Kas 1964ff.) ( Monumenti Musicali Mantovani), bisher 1 Bd. erschienen; Missa dominicalis, hrsg. v. A. SCHARNAGL (Rb 1954, 2 1964) (— Musica divina 10); 3 geistliche Konzerte für Alt u. B. c., hrsg. v. R. EWERHART (Kö 1969) (— Cantio sacra 40). Lit.: F. MOMPELLIO, L V. Musicista fra due secoli (Fi 1967) (mit Werk-Vera.). — M. SCHNEIDER, Die Anfänge des B.c. u. seiner Bezifferung (L 1918, Nachdr. Farnborough 1971) (mit 11 Concerti); F. T. ARNOLD, The Art of Accompaniment from a Thorough-Bass as Practised in the 17th and 18th Century (Lo 1931, Nachdr. 1961); A. ADRIO, Die Anfänge des geistl. Konzerts (B 1935); H. H. EGGEBRECHT, Arten des Generalbasses im frühen u. mittleren 17. Jh., in: AfMw 14 (1957); S. KUNZE, Die Instrumentalmusik G. Gabrielis, 2 Bde. (Tutzing 1963); DERS., Die Entstehung des Concertoprinzips im Spätwerk G. Gabrielis, in: AfMw 21 (1964); C. GALLICO, L'arte dei „Cento Concerti Ecclesiastici" di L V., in: Quaderni della Rass. Mus. 3 (1965); J. J. SoLURI, The Concerti ecclesiastici of L Grossi da V. (1967) ( — Diss. Univ. of Michigan); F. BURKLEY, Priest Composers of the
264
Baroque. A Sacred-secular Conflict, in: MQ 54 (1968); H. HAACK, Anfänge des Generalbausatzes. Die „Cento Concerti Ecclesiastici" (1602) v. L V. (Tutzing 1974); J. LESTER, Root-Position and Inverted Triads in Theory around 1600, in: JAMS 27 (1974). H.-W. KOTREN
VIARDOT-GARCIA, Pauline, /Garcia 4). VIBRAPHON, ein Anfang der 1920er Jahre in Nordamerika entwickeltes Metallstabspiel (r Metallophon) mit 2 Reihen auf einem Gestell klaviaturmäßig angeordneter Leichtmetallplatten, unter denen sich abgestimmte Aluminiumröhren als Resonatoren befinden. Am oberen Ende der Röhren sind auf einer Welle Metallscheiben angebracht, die sich mit Hilfe eines Elektromotors um die Längsachse drehen lassen, so daß die Resonatoren abwechselnd geschlossen und geöffnet werden. Die Schnelligkeit der Rotation, die als Vibrato empfunden wird, läßt sich stufenlos einstellen. Das V. hat einen weichen Klang mit langem Nachhall, der sich durch eine mit einem Fußpedal verbundene Dämpfung regulieren läßt. Gewöhnlich hat das V. einen Tonumfang von 3 Oktaven, von f bis P, und wird mit sehr weichen Schlegeln, oft jeweils 2 in jeder Hand, angeschlagen. Für bestimmte Effekte werden andere Schlegelarten benutzt. Es gibt auch elektronische V.e, die statt der Resonatoren elektromagnetische Tonabnehmer haben. Das V. wurde vor allem durch Jazzmusiker wie Lionel Hampton und Milt Jackson (Modern Jazz Quartet) bekannt. Seit den 30er Jahren wird es, zuerst selten, seit 1945 immer häufiger, auch in Kompositionen vorgeschrieben, u. a. solistisch von D. Milhaud (Konzert für Marimba, V. und OrcheM. BRÖCKER ster, 1947). - r Schlagzeug. VIBRATO (it.), Bz. für periodische Tonhöhenund Lautstärkeschwankungen (r Modulation) bei Singstimmen, Streich-, Zupf-, Blas- und Perkus-
sionsinstrumenten. Im engeren Sinne wird der Begriff V. nur für Tonhöhenmodulationen angewendet; Lautstärkemodulationen dagegen nennt man r Tremolo. Diese Unterscheidung kann allerdings zu Mißverständnissen führen, da beim V. Tonhöhenschwankungen fast immer von Veränderungen der Lautstärke begleitet werden. Auch wenn Lautstärkeschwankungen vermieden werden sollen (was perfekt nur mit elektronischen Mitteln durchführbar ist), so führen Tonhöhenschwankungen mehrerer gleichzeitig erklingender Stimmen zu r Schwebungen und damit wieder zu Lautstärkeschwankungen. Die Entstehung des V.s scheint auf die Lautenmusik des 16. Jh. zurückzugehen, wo man den Ton der gezupften Saite durch schnelle Wiederholungen zu verlängern suchte. Die Lautenisten und
Victimae paschali laudes Gambisten des 17. Jh. unterschieden 2 Arten von V.: die erste Art, wie heute durch Verändern des Aufsetzwinkels eines Fingers ausgeführt, wurde in der Lautenmusik verre cassé (engt.: sting) und in der Gambenmusik langueur oder plainte genannt; die zweite (eher als Verzierung zu verstehende), mit 2 Fingern ausgeführte Art, bei der ein Finger auf der Saite blieb und der andere die Saite dicht daneben rasch und leicht berührte, hieß battement, pincé, balancement, flatté, flattement oder tremblement serré (engl.: closed shake; it.: tremolo, ondeggiamento). Im 17. und 18. Jh. wurde - insbesondere bei der Violine - ein regelmäßig langsames oder schnelles und ein beschleunigendes V. (von G. Tartini und L. Mozart Tremolo genannt) unterschieden, das der Ausschmückung vorerst nur einzelner Stellen diente. Im 19. Jh. bereicherte diese Arten L. Spohr durch das verlangsamende V. (auch Bebung genannt, die jedoch von der r Bebung auf dem Clavichord zu unterscheiden ist). Während seitdem das V. auf Streichinstrumenten allgemein üblich und bis zu Beginn des 20. Jh. zur Ausdruckssteigerung gebraucht wurde, wird heute häufig die Spielweise senza v. (it., = ohne V.) oder der Kontrast zwischen Tönen mit und ohne V. als kompositorisches Mittel eingesetzt (z. B. B. Bartók, 4. Streichquartett). Das heute auch auf Blasinstrumenten ausgeführte V. ist mittels einer besonderen Atemtechnik oder durch leichtes Öffnen und Schließen der Grifflöcher möglich. - r Vibraphon. VICENTINO, Nicola, * 1511 Vicenza, t vermutlich 1576 Mailand; it. Komponist und Musiktheoretiker. V. war Schüler von A. Willaert in Venedig, später Hofkapellmeister in Ferrara, trat 1549 als Musiklehrer in den Dienst des Kardinals Nicholas Ridolfi in Rom und ist seit 1551 im Dienst des Kardinals Ippolito II. d'Este nachweisbar. In das Jahr 1551 fällt eine berühmt gewordene Kontroverse mit V. Lusitano über die 3 antiken Tongeschlechter, in der V. unterlag. Seine Theorien, die im Geiste des Humanismus auf eine kompositorische Wiederbelebung des chromatischen und enharmonischen Genus zielten, stellte er in seinem Traktat L'antica musica ridotta alla moderna prattica (1555) dar. Im 5. Buch dieser Abhandlung beschreibt er ein von ihm entwickeltes 31 töniges Cembalo (/ Archicembalo) zur Demonstration dieser Tongeschlechter, deren Durchsetzung er auch mit eigenen Kompositionen zu fördern suchte. Später konstruierte er dafür auch ein Arciorgano. 1563-65 war V. Domkapellmeister in Vicenza. 1570 nennt er sich selbst „Rector" an S. Tommaso in Mailand. WW: 2 Slgen. Madrigale für 5 St. (V 1546, Mi 1572); Motetten für
5 St. (Mi 1571). — Schriften: L'antica musica ridotta alla moderna prattica (R 1555); Descrizione deli'arciorgano (V 1561).
Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. H. W. KAUFMANN (R 1963) ( — CMM 26); L'antica musica, Faks: Ausg., hrsg. v. E. E. LOWINSKY (Kas 1959) (= DMl 1/17); Descrizione, engl. Übers. in: H. W. KAUFMANN, V 's Arciorgano, in: JMTh 5 (1961). Lit.: H. W. KAUFMANN, V. and the Greek Genera, in: JAMS 16 (1963); DERS., The Life and Works of N. V. (1966) (— MSD 11)nERs., More on the Tuning of the Archicembalo, in: JAMS 23 (1970); D. HARRAN, V. and his Rules of Text Underlay, in: MQ 59 (1973); M. R. MANIATES, V.'s „Incerta et occulta scientia' Reexamined, in:JAMS 28 (1975); G. CATTIN, Nel quarto centenario di N. V., teorico e compositore, in: Studi musicali 5 (1976); V. RIPPE, N. V. — sein Tonsystem u. seine Instrumente, in: Mf 34 (1981); C. DAHLHAUS, Musikal. Humanismus als Manierismus, in: ebd. 35 (1982).
VICKERS, Jon (Jonathan) Stewart, * 29. 10. 1926 Prince Albert (Saskatchewan); kanadischer Sänger (Tenor). Er studierte am Konservatorium in Toronto, debütierte 1954 bei der Canadian Opera Company, kam 1957 an den Covent Garden in London, wo er als Riccardo in G. Verdis Un ballo in maschera auf sich aufmerksam machte, 1959 an die Wiener Staatsoper und wurde 1960 Mitglied der Metropolitan Opera in New York. In seinen Glanzrollen, bes. in Opern R. Wagners und als Otello (Verdi), Canio (R. Leoncavallo, Pagliacci) und Florestan (L. van Beethoven, Fidelio), gastierte er in den Musikmetropolen der Welt, u. a. bei den Bayreuther (1958) und Salzburger Festspielen (1966), an der Wiener Staatsoper und an der Mailänder Scala. V. gehört zu den derzeit prominentesten Sängern im schweren Heldenfach. Lit.: N. GOODWIN, J. V., in: Opera 4 (1962); D. CAIRNS, Responses (Lo 1973); J. ARDOIN, J. V., in: The Tenors, hrsg. v. H. H. Breslin (NY 1974); H. LUDWIG, J. V. Interview, in: Opernwelt (1975).
VICTIMAE PASCHALI LAUDES (lat., = dem Osterlamme singet Lob), ř Sequenz, die in der abendländischen Liturgie an jedem Tag der Osterwoche gesungen wird. Wipo von Burgund (t um 1048) gilt als Verfasser von Text (und Melodie?). Der ursprünglich regelmäßige Aufbau (einstrophige Einleitung, 3 Doppelstrophen, einteiliger Schluß) ging durch die im Meßbuch von 1570 erfolgte Weglassung der 6. Strophe, die als antisemitisch empfunden wurde, verloren. Während der 1. Teil der Sequenz (in Assonanz) den theologischen Inhalt der Osterbotschaft entfaltet, bringt der 2. Teil (in Reimen) den Dialog zwischen den Jüngern und der Maria von Magdala, gefolgt von einem Lobpreis der Gemeinde. Die weitgespannten Melodien (im bevorzugten 1. und 2. Kirchenton) könnten aus dem Alleluia-Gesang des 5. Ostersonntags entwickelt worden sein. Bereits seit 1100 finden sich zahlreiche lat. und dt. Nach265
Victoria dichtungen, die für die Osterspiele große Bedeutung erlangten. Die aus dem V. hervorgegangene, auf das 12. Jh. zurückgehende OE Leise Christ ist erstanden wurde häufig vom Volk zwischen den Strophen-Paaren gesungen, ein Brauch, der heute wieder belebt wird (vgl. auch die Ostermesse des J. Galliculus).
liegen ihnen chorale Cantus firmi oder eigene Motetten, oft mit Marientexten. Wie die mystischen Schriftsteller, Maler und Bildhauer seiner Epoche verband auch V. künstlerische Strenge und Emotion zu harmonischer Einheit, ohne aus dem Blick zu verlieren, daß die Musik die Seelen zu Gott erheben soll.
Lit.: J. HANDSCHIN, Gesungene Apologetik, in: Miscellanea liturgica. FS L C. Mohlberg (R 1949); Lat. Osterfeiern u. Osterspiele, hrsg. v. W. LIPPHARDT, 5 Teile (B - NY 1975-76).
Ausg.: GA, hrsg. v. F. PEDRELL, 8 Bde. (L 1902-13, Nachdr. Farnborough 1965-66); Opera omnia, hrsg. v. H. ANGLÉs, 4 Bde. (Ba 1965-68) (- M M Esp 25, 26, 30, 31); 15 Motetten u.a., in: Antología polifónica sacra, hrsg. v. S. RUBIo (Ma 1954-56); Missa pro defunctis, hrsg. v. R. WALTER (Rb 1962) (- Musica divina 15). Lit.: F. PEDRELL, T. L de V. (Valencia 1918); T. N. Riva, V.'s „Lamentationes Geremiae", in: Anuario Mus. 20 (1965); J. A. KRIEWALD, The Contrapunoal and Harmonic Style of T. L de V. (1968) (- Univ. of Wisconsin, Madison); H. ANGLÉS, Problemas que presenta la nueva edición de las obras de Morales y de Victoria, in: FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); T. N. RIVE, An Examination of Victoria's Technique of Adaption an Reworking in his Parody Masses, in: Anuario Mus. 24 (1969); E. C. CRAMER, The Officium Hebdomadae Sanctae of T. L de V., 2 Bde. (1973) (- Diss. Boston Univ.); G. B. SHARP, Byrd and V. (Sevenoaks 1974); K. VON FISCHER, Unbekannte Kompositionen V.s in der J. SUBIRÁ Bibl. Nazionale in Rom, in: AfMw 32 (1975).
VICTORIA, Tomás Luis de (Ludovico da Vittoria), * um 1548/50 Avila, t 27.8. 1611 Madrid; span. Komponist. Er war Chorknabe an der Kathedrale von Avila, ging 1565 nach Rom, um Theologie zu studieren, insbesondere aber auch um seiner „natürlichen Neigung" zur Musik zu folgen, und wurde Schüler des Collegium Germanicum. Möglicherweise erhielt er in dieser Zeit Unterricht von G. P. da Palestrina am benachbarten Seminario Romano, vielleicht auch von J. von Kerle, der um 1562-68 in Rom lebte. 1569-74 wirkte V. als Sänger und Organist an S. Maria di Monserrato und 1573-76 als Kapellmeister am Collegium Germanicum und an S. Apollinare. 1575 zum Priester geweiht, war er, nachdem er sich der Gemeinschaft des hl. Filippo Neri angeschlossen hatte, 1578-85 Kaplan an deren Kirche S. Girolamo della Caritá. Spätestens 1587 kehrte er nach Spanien zurück und wurde Kaplan der Kaiserin Maria, der Tochter Kaiser Karls V. und Witwe Maximilians II., die sich 1581 in das Kloster der Descalzas Reales in Madrid zurückgezogen hatte. 1592 ging V. wieder für einige Jahre nach Rom und wurde 1595 Organist und Titularkapellmeister der Kaiserin. Er war auch nach deren Tod 1603, zu dem er ein Requiem komponierte, in dem genannten Kloster tätig. WW (jeweils mit zahlr. Aufl. u. Nachdr.): 2 Bücher Messen für 4-8 St. (R 1583, 1592); 2 Slgen. Motetten für 4-8 St. (V 1572, R 1585); 2 Slgen. Messen, Psalmen, Magnificat u.a. für 4-8 St. (V 1576, Ma 1600); Hymnen für 4 St. (R 1581); Magnificats für 4 St. (R 1581); Officium hebdomadae sanctae für 3-8 St. (R 1585) (mit 2 Passionen u. 9 Lamentationen); Officium defunctorum für 6 St. (Ma 1605).
Als einer der ganz wenigen Komponisten seiner Zeit hat V. ausschließlich kirchenmusikalische Werke geschrieben. Obwohl diese zahlenmäßig weniger umfangreich sind als das Schaffen Palestrinas und Lassos, kommt er an Bedeutung ihnen gleich und hat als der größte spanische Vertreter der klassischen Vokalpolyphonie zu gelten. Unvergleichlich in ihrer Art sind V.s Officium hebdomadae sanctae und das Officium defunctorum. Seine Messen, von schlichtem und natürlichem Ausdruck, stehen dem Palestrinastil nahe, berücksichtigen aber auch die spanische Tradition. Zugrunde 266
VICTORIA UND IHR HUSAR, Operette in einem Vorspiel und 3 Akten von P. Abraham, Text von Alfred Grünwald u. Fritz Löhner-Beda nach dem ungarischen Original von Emmerich Földes. Ort u. Zeit der Handlung: Sibirien, Japan u. Ungarn, nach 1918. UA (in ung. Sprache): 21.2. 1930 Budapest; dt. EA (in dt. Sprache): 15.8. 1930 Berlin (Metropol-Theater). Die wirkungsvolle, bunte Mischung aus verschiedenen Schauplätzen vermittelt in diesem Werk ein ansprechendes exotisches Kolorit. Den kontrastreichen Wechsel dieser klischeehaften Versatzstücke zeichnet Abraham musikalisch nach. Neben Tänzen wie dem Csárdás übernimmt er auch Tanzrhythmen wie Foxtrott, English Waltz u. a.; gestopfte Trompetenklänge, virtuose Klavierpassagen, enggeführte Saxophonstimmen und eine farbige, sehr „modern" anmutende Harmonik tragen zur Kolorierung des Geschehens bei. Bekannteste Nummern sind Meine Mama war aus Yokohama und das Duett Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände. - Das Publikum war von dieser Operette fasziniert; sie gehörte zu den groBen Operettenerfolgen ihrer Zeit, sicherlich nicht zuletzt wegen der Anklänge an Nachkriegswirren, in denen viele Zuschauer eigene Erlebnisse nach Ende des Ersten Weltkriegs wiedererkannten. Heute sind einige der Melodien populärer als die B. DELCKER Operette insgesamt. VIELLE (frz.), r Drehleier, r Fiedel, r Orgelleier. VIERA, Joe, * 4.9. 1932 München; dt. Jazzmusi-
vierhändiges Klavierspiel ker (Sopran- und Altsaxophon) und Bandleader. V. gehört seit 1955 zur deutschen Jazzszene, tritt bis heute mit eigenen Bands auf und kreiert als Bandleader und Arrangeur einen Modern Jazz, der meist handwerklich gelungen, bisweilen aber überladen wirkt. Daneben wirkt V. seit den frühen 60er Jahren als Jazz-Dozent (Remscheid, Burkhausen), ist seit 1968 Direktor des Education Center der Europäischen Jazzföderation in München und seit 1972 Leiter des Jazzstudios an der Musikhochschule in Hannover. In Wien gibt V. seit 1970 die reihe jazz heraus, in der er als eigenen Beitrag
rari, Text von G. Pizzolato nach der gleichnamigen Komödie (1760) von C. Goldoni. Ort u. Zeit der Handlung: Venedig, um 1800. UA (in dt. Sprache): 19.3. 1906 München. Das Sujet dieses Werkes ähnelt in hohem Maße dem der Erfolgsoper Die neugierigen Frauen (1903), mit der Wolf-Ferrari in Deutschland seinen Ruhm begründet hatte. Hier wird allerdings das polternde Wesen der vier Haustyrannen, die über ihre Frauen und Kinder beliebig verfügen zu können glauben, gegenüber den weiblichen Ränkespielen in den Vordergrund gerückt. Mit kleiner
Der Free Jazz Formen und Modelle (1974) veröffentlichte. Er schrieb ferner Jazz in Europa (Mn 1965) und Grundlagen derJazzrhythmik (W 1970).
Orchesterbesetzung, eingängigen und mitreißenden Melodien unter Verwendung venezianischer Volksmusik und überraschenden harmonischen, den tonalen Bereich kaum verlassenden Wendungen schuf Wolf-Ferrari eine Musik, die in ihrer Leichtigkeit dem Sujet angemessen ist. Zahlreiche humorvolle musikalische Charakterisierungen von Personen und Situationen führten zu großer Anerkennung dieser Oper; der Komponist wurde einmal mehr als Erneuerer der Opera buffa gefeiert. Das Intermezzo zwischen den beiden ersten Akten wurde von Kritikern als das reizvollste Stück im Gesamtwerk des Komponisten bezeichnet.
VIERDANK (Fierdanck, Feyerdanck u. ä.), Johann, * um 1605 wahrsch. bei Dresden, begraben 1.4. 1646 Stralsund; dt. Komponist. Er gehörte seit 1615 zunächst als Chorknabe, dann als Violinist der Dresdner Hofkapelle unter H. Schütz an. 1631-32 Instrumentalist der Hofkapelle in Güstrow, war er seit 1635 Organist an der Marienkirche in Stralsund. V. ist ein eigenständiger Vertreter des dt. geistlichen Konzerts in der Schütz-Nachfolge. Seine Instrumentalwerke enthalten Violinduette, die zu den frühesten dieser Gattung zählen. WW: Neue Pavanen, Gagliarden, Balletten und Correnten für 2 V. u. B.c. (Greifswald 1637), 2. Teil mit Capricci, Canzonen und Sonaten für 2-5 Instr. mit u. ohne B. c. (Rostock 1641). — 2 Bücher Geistliche Concerte für 2-9 St., Instr. u. B.c. (Greifswald 1641, Rostock 1643); einige weitere Werke hsl. erhalten. Ausg.: Triosuite, hrsg v. M. SEIFFERT (L 1925) (— Organum 111/4); 5 Instr.-Stücke u. 2 geistliche Konzerte, in: Denkmäler der Musik in Pommern 1/3 u. 4, hrsg. H. ENGEL (1930-33); Weihnachtskonzert Ich verkündige euch grolle Freude, hrsg. v. DEMS. (Kas 1933,'1949); Capricci, hrsg. v. DEMS. (Kas 1950) ( — Hortus Mus. 21); 2 geistl. Konzerte, hrsg.v. H. ERDMANN (Kas 1950). Lit.: W. VETTER, Altpommersche Variationskunst, in: Musik in Pommern (1937), Wiederabdr. in: Mythos— Melos— Musica II (L 1961); G. WEISS, J. V...., Sein Leben u. sein Werk (Diss. Marburg 1956); DERS., V., in: MGG XIII.
VIERFUSS, Tonhöhen-Bz. bei Orgelregistern, die sich auf die theoretische Länge der tiefsten Pfeife bezieht, nämlich 4 Fuß (4' = etwa 1,30 m). Alle Register, die beim Anschlagen der Taste C die obere Oktave c erklingen lassen, heißen 4'-Register. In diesem Sinne wird der Begriff auch beim Cembalo gebraucht. Ferner spricht man von der 4'-Lage, wenn ein Instrument oder eine Pfeife eine Oktave höher klingt als notiert. Andererseits können 8'-Register als r gedackte Stimmen in 4'-Länge gebaut sein. VIER GROBIANE, DIE (I quattro rusteghi), Musikalisches Lustspiel in 3 Akten von E. Wolf-Fer-
K. LANGROCK
VIERHÄNDIGES KLAVIERSPIEL, Bz. für das gemeinsame Musizieren zweier Personen auf einem (Primo- und Secondospieler im Diskantbzw. Baßbereich), in weiterem Sinne auch auf 2 Tasteninstrumenten. In der Regel handelt es sich um 1 bzw. 2 Klaviere, aber auch andere gleichoder verschiedenartige Tasteninstrumente und deren Kombination sind möglich. - Bereits im 10. Jh. berichtet der Mönch Wulstan vom Spiel zweier Brüder auf der Orgel zu Winchester. Erste Kompositionen für Virginal zu 4 Händen stammen aus dem 17. Jh. (u. a. von Th. Tomkins). Diese Spielart konnte sich jedoch zunächst nicht durchsetzen, denn 2 Personen hatten kaum Platz an den kleinen Instrumenten jener Zeit. Erst der erweiterte Umfang des Hammerklaviers im 18. Jh. schuf die notwendigen räumlichen Voraussetzungen für V., wie es in exemplarischer Satzweise in W. A. Mozarts Sonate KV 19d, die er gern mit seiner Schwester Maria Anna spielte, begegnet. Ein Gemälde von J. N. de la Croce hat diese Szene festgehalten, wie an dem charakteristischen Übergreifen zu erkennen ist. 5 weitere Sonaten (KV 375a, 123a, 186c, 497, 521) und ein Andante mit Variationen (KV 501) schuf Mozart in den Jahren 1772-87. Die neue Spielart verbreitete sich schnell. J. Chr. Bach und eine Reihe seiner Zeitgenossen komponierten für Klv. zu 4 Händen; zu den ersten Drucken zäh267
vierhändiges Klavierspiel len Ch. Burneys Four Sonatas or Duets for Two Performers an One Pianoforte or Harpsichord (1777). Während L. van Beethoven für V. nur wenige unbedeutendere Werke schuf, bildet neben einigen Stücken C. M. von Webers einen Höhepunkt das umfangreiche Werk Fr. Schuberts mit Märschen, Ouvertüren, Rondos, Variationen, Divertissements, Fantasien, Polonaisen, Ländlern, einer Fuge und 2 Sonaten. V. entfaltete sich in der Folgezeit insbesondere im Kreis des häuslichen Musizierens und wurde von den Komponisten zunehmend berücksichtigt. R. Schumann ist hier zu nennen und J. Brahms, dessen Ungarische Tänze zu den beliebtesten Stücken der Gattung gehörten. Gegen Ende des 19. Jh. erreichte V. so große Popularität, daß nahezu alle Komponisten der Zeit entsprechende Werke schufen; dazu setzte eine große Produktion an Salonmusik und erleichterten Ausgaben ein. Vierhändig vermochte man auf dem Klavier selbst mit geringen technischen Mitteln geradezu orchestrale Wirkungen hervorzubringen; dadurch erlangte V. auch besondere Bedeutung im Bereich der Orchestermusik, die in zahllosen derartigen Arrangements von Musikern und Liebhabern studiert wurde (r Klavierauszug). Im 20. Jh. hat V. auf einem Instrument wie die Arrangements weitgehend an Interesse verloren. Eines der wenigen neueren Stücke schrieb Siegrid Ernst (Quattro mani dentro e fuon). Eher für Musiker bestimmt war V. auf 2 Instrumenten. Die größeren technischen Möglichkeiten wurden genutzt zu freier musikalischer Entfaltung; sie machten es auch in gesteigertem Maße geeignet für die Darstellung von Orchestermusik. Die Symphonien Bruckners etwa wurden zunächst als Arrangements für 2 Klaviere vor einem größeren Publikum aufgeführt, und selbst A. Schönberg arbeitete in den Konzerten des Vereins für musikalische Privataufführungen auf diese Weise. Nähe zur Orchestermusik und Eignung zum öffentlichen Vortrag charakterisieren auch die Originalkompositionen. Nach vereinzelten frühen Werken von G. Farnaby und Fr. Couperin schrieb J. S. Bach Konzerte für 2 Klv. (BWV 1060, 1061, 1062), C. Ph. E. und W. Fr. Bach folgten seinem Beispiel, ebenso Mozart (KV 316a) und F. Mendelssohn Bartholdy (2 Konzerte und ein Duo concertant, das in Zusammenarbeit mit I. Moscheles entstand). Concerto pathétique nannte Fr. Liszt ein größeres Werk für 2 Klaviere. Gleichberechtigt nebeneinander stehen die beiden Fassungen von Brahms' Haydn-Variationen, op. 56 (für Orchester bzw. für 2 Klv.), ähnlich verhält es sich mit M. Regers Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart, op. 132. Im 20. Jh. blieb die Komposition 268
für 2 Klaviere aktuell. Neben Reger, M. Ravel, I. Strawinsky, D. Milhaud, P. Hindemith, W. Lutoslawski, K. Serocki und K. Stockhausen sind als Komponisten bedeutender Werke zu nennen Cl. Debussy (En blanc et noir), B. Bartók (Sonate für 2 Klv. und Schlagzeug) und P. Boulez (Structures). V. zu pädagogischen Zwecken wird in beiden Arten im Klavierunterricht genutzt, um Ensemblemusizieren vorzubereiten und durch größere Klangfülle das musikalische Interesse zu stärken. Auf diese Verwendung verweisen J. Haydns II maestro e lo scolare, Stücke Strawinskys mit leichtem Primo- bzw. Secondo-Part sowie die Hinzufügung eines 2. Parts zu bekannter Sololiteratur (z. B. zu Mozart-Sonaten durch E. Grieg). Lit.: M. W. EBERLER, Stud. zur Entwicklung der Setzart für Klv. zu vier Händen von den Anfängen bis zu F. Schubert (Diss. Mn 1922); TH. W. ADORNO, Vierhändig, noch einmal (1933), in: Impromptus (F 1968); K. GANSER - L. KUSCHE, Vierhändig (Mn 1937); J. MÜLLER-BLATTAU, Zur Gesch. u. Stilistik des 4händigen Klaviersatzes, in: Jb. Peters 47 (1940); A. ROWLEY, Four Hands, One Piano (Lo 1940); H. M. MILLER, The Earliest Keyboard Duets, in: MQ 29 (1943); W. GEORGII, Klaviermusik (Z 1950); H. MOLDENHAUER, Duo-Pianism (Ch 1950); E. LUBIN, The Piano Duet. A Guide for Pianists (NY 1976); H. HERING, Bemerkungen z. Zusammenspiel im Klavierduo, in: Mf 30 (1977); H. KÜHN, Ist das v. K. ein überflüssig gewordenes HilfsH. LOOS mittel?, in: Musik u. Bildung 12 (1980).
VIERNE, Louis Victor Jules, * 8. 10. 1870 Poitiers, t 2.6. 1937 Paris; frz. Organist und Komponist. Blind geboren, erhielt er durch eine Operation 38 Jahre lang einige Sehkraft. Er studierte hauptsächlich bei C. Franck und Ch.-M. Widor am Pariser Conservatoire. Seit 1892 bzw. als Substitut Widors an St-Sulpice und am Conservatoire, war er von 1900 bis zu seinem Tod (der ihn auf der Orgelbank ereilte) Organist an Notre-Dame in Paris. 1916-20 lebte er in der Schweiz. Seit 1911 unterrichtete er auch an der Schola Cantorum. V., dessen Spiel ideal auf die räumlichen Gegebenheiten von Notre-Dame abgestimmt war, gilt als einer der großen Organisten seiner Zeit und genoß durch zahlreiche Konzertreisen vor allem als Improvisator Weltruhm. Von seinen Kompositionen sind die Orgelwerke, vor allem die aparten Fantasiestücke, seit langem fester Bestand im internationalen Repertoire. Auch als Lehrer (u. a. von M. Dupré, M. Duruflé, A. Schweitzer und Nadia Boulanger) hatte er entscheidenden Einfluß. WW: Préludes u.a. Stücke für Klv.; Sonaten für V. bzw. Vc. u. Klv., Streichquartett. - Für Org.: 24 Pieces en style libre (1913); Pièces de fantaisie, 4 Bde. (1926-27): Triptyque'1929-31); 6 Symphonien (1898-30); Messe basse (1912); Messe basse pour les défunts (P 1934). - Für Orch.: symphonische Dichtung Les djinns (1925); Poème (1926) für Klv. u. Orch.; Orchestergesänge Eros (1916), Dal vertice (1917), Psyché (1926). - Ferner Klv.-Lieder u. eine Messe solennelle für 4 St. u. 2 Org. (1900). Lit.: B. GAVOTY, L. V. (P 1943).
Vietnam
VIERTELNOTE (amerik.: quarter-note; engl.: crotchet; frz.: noire; it.: semiminima; span.: negra), Bz. für eine Note, deren Wert '/a einer ganzen Note ausmacht. Das Notenzeichen der V. (J) ist aus dem Zeichen für die Semiminima entstanden. Die der V. entsprechende Pause ist die Viertelpause. VIERTELPAUSE (amerik.: quarter-note rest; engl.: crotchet rest; frz.: soupir; it.: pausa di semiminima; span.: silencio de negra), Bz. für eine Pause (4), die der Dauer einer Viertelnote entspricht. Sie ist aus der ř Semiminima-Pause der Mensuralnotation hervorgegangen. VIERTELTONMUSIK. Die neuzeitliche V., die sich als 24stufige Temperatur realisiert, hat zwei Wurzeln : 1. akustische Versuche im Anschluß an H. von Helmholtz mit dem Ziel der Tondifferenzierung, 2. Erkenntnis von Mikrointervallen in der Volksmusik verschiedener Länder. Die Versuche, Tasteninstrumente zu konstruieren, auf welchen sich Vierteltöne (oder andere Mikrointervalle) intonieren lassen, und dann entsprechende Kompositionen beizustellen, sind u. a. mit den Namen R. H. Stein, W. Möllendorff (Patent: 1915), J. Mager (Gebrauchsmusterschutz 1912) verknüpft. Entsprechende Versuche gab es auch in den USA, in Rußland und in Paris, wo I. Wyschnegradsky früh mit V. hervortrat. A. Hába, der bekannteste Komponist von V., ging von der Volksmusik seiner (ostmährischen) Heimat aus, schrieb V. seit 1920 (2. Quartett, op. 7), später auch Sechsteltonmusik (seit 1923, 5. Quartett, op. 15) und sogar Fünfteltonmusik (16. Quartett, op. 98, 1967), daneben aber auch weiter chromatische und diatonische Werke. Er ließ Viertel- und Sechsteltonklaviere (und Harmonien) bauen, auch entsprechende Blasinstrumente und konnte so eine Vierteltonoper (Matka) realisieren. Auch A. Berg (Kammerkonzert 1924) und B. Bartók verwendeten gelegentlich Vierteltöne (Sonate für V. solo, 1944), desgleichen P. Boulez (Le visage nuptial, 1946), L. Nono u. a. Die V. ging, wie alle Musik in Mikrointervallen, in der elektronischen Musik auf. Lit.: A. HÁBA, Mein Weg z. Viertel- und Sechsteltonmusik (Düsseldorf 1971) (mit Lit.-Ven.); L. KALLENBACH-GRELLER, Die hist. Grundlagen der Vierteltöne, in: AfMw 8 (1926); S SCHNEIDER, Mikrotöne in der Musik des 20. ih. (Bonn 1975) (mit BiR. STEPHAN bliogr.).
VIER TEMPERAMENTE, DIE, Klassisches Ballett in fünf Sätzen, Musik: P. Hindemith. UA: 20. 11. 1946 New York (Ballet Society, Central High School of Needle Trades), Choreographie : G. Balanchine; dt. EA: 1952 Düsseldorf.
Von Hindemiths Konzert Thema und vier Varia-
tionen für Klavier und Streicher (1940) angeregt, entwarf Balanchine das handlungslose Ballett The Four Temperaments, das sich als konstruktivistische Komposition des traditionellen klassischen Tanzes darbietet. Die medizinischen Theorien der Antike nutzte Balanchine lediglich als inspiratorisches Moment, um die vier Temperamente, die den vier Elementen zugeordnet werden, künstlerisch-tänzerisch zu interpretieren. Parallel zu Hindemiths fünfsätziger Kammermusik (Theme, Melancholy, Sanguine, Phlegmatic, Choleric) im Stile der „neuen Sachlichkeit" gestaltete Balanchine eine Choreographie neoklassizistischer Prägung, in die er auch Elemente des Modern Dance einG. LUDIN fügte. VIERUNDSECHZIGSTELNOTE (amerikanisch: sixty-fourth note; engl.: hemidemisemiquaver; frz.: quadruple croche; it.: semibiscroma; span.: semifusa), Bz. für eine Note, deren Wert 'h. einer ganzen Note ausmacht. Die alleinstehende V. wird mit 4 Fähnchen 0), gruppenweise „gebalkte" V.n mit 4 Balken notiert. Die der V. entsprechende Pause ist die Vierundsechzigstelpause. VIERUNDSECHZIGSTELPAUSE (amerikanisch: sixty-fourth note rest; engl.: hemidemisemiquaver rest; frz.: seizième de soupir; it.: pausa di semibiscroma; span.: silencio de semifusa), Bz. für eine Pause (i), die der Dauer einer Vierundsechzigstelnote entspricht. VIETNAM. In musikalischer Hinsicht bildet V. zusammen mit China, Korea, Japan und der Mongolei eine große Familie. In allen diesen Ländern weisen die musikalische Terminologie, die Notationssysteme und die Instrumente deutliche Spuren des chinesischen Einflusses auf. So sind die vietnames. Tonstufen ho, xu, xang, x8, công, liu, u nichts anderes als vietnames. ausgesprochene chinesische Tonnamen (OE China). Mehrere Namen von rituellen Gesängen sowie die meisten Instrumente sind chinesischen Ursprungs. Aufgrund seiner geographischen Lage stand V. aber auch in Kontakt mit dem alten der indischen Kultursphäre zugehörigen Königreich Champa. Der Einfluß von dort macht sich bemerkbar in der Verwendung einiger Rhythmusinstrumente, so der Doppelfelltrommel Trông com, die der indischen Mrdaňga (OE Indien) mit der in der Mitte des Fells aufgetragenen sog. Stimmpaste entspricht, ferner in der Bedeutung der Improvisation und der reichen melodischen Ornamentierung sowie in der Lehre rhythmischer Formeln durch Lautmalereien. Die 269
Vietnam Vietnamesen haben sich diese beiden Kulturen assimiliert und eigene Instrumente geschaffen, z. B. Din bâu oder Dan dôc huyen, ein einsaitiges Instrument nur mit Obertönen, und Sinh tien, eine Klapper aus Geldmünzen. Die Geschichte der vietnames. Musik läßt sich seit der Gründung der 1. (Dinh-)Dynastie (968-980) in 4 große Perioden gliedern (über die Musik vorher hat sich kein Zeugnis erhalten) : Die 1. Periode (10.-14. Jh.) ist charakterisiert durch den gemeinsamen Einfluß der chinesischen und Champa-Musik auf die vietnames., die 2. Periode (15.-18. Jh.) durch das Überwiegen des chinesischen Einflusses, die 3. Periode (19. Jh. bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs) durch die Sicherung der Originalität der vietnames. Musik und den Beginn eines ziemlich oberflächlichen Einflusses der weltlichen Musik, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die 4. Periode durch Versuche einer Restauration der vom völligen Aussterben bedrohten traditionellen Musik, durch das Entstehen einer neuen Musik westlichen Stils und den Beginn eines Eindringens der westlichen Musik. In der vietnames. Musik gibt es 2-, 3-, 4- und Stönige Skalen mit oder ohne Nebenstufen. Die Grundskala ist die folgende: oder
ho xu
(au) xang se cóng(oan) hu u sang xč
Diese Stufen stellen keine absoluten Tonhöhen dar. Der Grundton (ho) kann auf c, d, f, g usw. liegen. Die Instrumente werden nach Bedarf, nach dem Stimmumfang der Sanger, gestimmt. Die Grundskala kann in mehreren Gestalten erscheinen, je nach dem zugrunde liegenden Dieu ( _ Modus). In der Kunstmusik unterscheidet man 2 Dieu-Gruppen, Bac und Nam, mit „modalen Nuancen" (hoi). Die Hauptcharakteristika dieser Dieu sind: 1. eine bestimmte modale Skala: pentatonisch, ähnlich der Grundskala, für Bac; 3-, 4oder Stönig „unregelmäßig" für Nam : oder
ho
xu
oder
sang se cóng oan hu
oder
u xang xě
2. eine Hierarchie der Tonstufen: ho als Fundament-Stufe, danach xang und xe sind die wichtigsten Stufen. In beiden Dieu können sie als Anfangs-, Schluß- und Ruheton dienen. Im Bac können die Stufen xu und công gegebenenfalls als erster oder letzter Ton erscheinen; 3. das Vorhandensein von spezifischen Verzierungen für die wichtigen Stufen, vor allem für xang; 4. im allge270
meinen ist das Tempo des Bac von Moderato bis Presto, das des Nam von Lento bis Moderato: 5. Bac drückt Freude, Fröhlichkeit, bisweilen Feierlichkeit aus, Nam hingegen Melancholie, Trauer, manchmal Ruhe. Der Dieu Bac enthält die modalen Nuancen Bac (im eigentlichen Sinn), Nhad (im Süden), Thien oder Thuyen (in Zentral-V.) und Quang, der Dieu Nam die Nuancen Xuân, Ai, Dao und in einem bestimmten Maß Oan. Eine enge Verbindung besteht zwischen der Melodie und der sprachlichen Intonation. Der Vietnamese kennt 6 verschiedene Sprechtöne. Die Melodie eines Stückes kann Veränderungen im Tempo und in der Dauer unterworfen sein. Für den Bereich des Rhythmus ist zu erwähnen das Fehlen oder die extreme Seltenheit von Dreierrhythmen, die Häufigkeit von Synkopierungen und das Vorhandensein von rhythmischen Zyklen und Polyrhythmik. Es gibt mehrere Arten von Volksmusik : Arbeitsgesänge (ho), Gesänge zu ländlichen Festen (hat hôi), die hauptsächlich Wechselgesänge sind (co, la, trông quân, quân ho), Blindengesänge (hat )(âm), Besitzgesänge (châu van), Volkstheatergesänge (hat chèo, hat bôi) und von Tanz begleitete Gesänge (xoe). Die Kunstmusik wird von der rituellen Hofmusik gebildet: Musik des Himmelsplatzes, der Tempel, der Fünf Opfer, der großen und der einfachen Audienzen, der Festessen, des Palastes usw. Diese Musik ist wie die, die früher von professionellen Sängerinnen ausgeführt wurde, im Aussterben begriffen. Es gibt auch noch eine Art kammermusikalischer Unterhaltungsmusik (ca hue in Zentral-V., din tâi tu im Süden), ein traditionelles Theater (hat tuông, hat bôi), ein Volkstheater (hat chèo) und ein sog. erneuertes Theater (hat cai luong). In jüngerer Zeit führte der Einfluß westlicher Musik zur sog. erneuerten (nhac cai cach) oder neuen Musik (tân nhac). Hierbei handelt es sich vor allem um Gesänge im Stil der Tanz- und Varieté-Lieder und um einige Werke für Symphonieorchester. Diese Musik ist im Kommen und beginnt die Gunst des Publikums zu gewinnen. Lit.: TRÄN VAN KHÊ, La musique vietnamienne traditionnelle (P 1962); DERS., V. Les traditions musicales (P 1967); DERS., La musique vietnamienne ..., in: Musikkulturen Asiens, Afrikas u. Ozeaniens im 19. Jh. (Rb 1973); J. BALABAN, Vietnamese Folk Poetry (Greensboro/N. C. 1974); PHAM-DUY, Musics of Vietnam (Carbondale/Ill. — Lo 1975); VO PHAN THANH GIRO TRINH, Ca-dao. Vietnamese Popular Songs (Bru 1975); TRAN VAN KHÊ, Situation de la musique en république socialiste du Viět-Nam, in: AMI 49 (1977); DERS., V., in: Grove° XIX (mit weiterer Lit. desTRAN VAN KHĚ selben Autors).
VIEUXTEMPS, Henri Joseph François, * 17.2.
Villa-Lobos 1820 Verviers, t 6.6. 1881 Mustapha (Algerien); belgischer Violinist und Komponist. Nach erstem Unterricht u. a. bei seinem Vater, der nach Beendigung seiner Offizierslaufbahn als Instrumentenbauer und Klavierstimmer tätig war, wurde Ch. A. de Bériot auf ihn aufmerksam und unterrichtete ihn 1829 privat und 1830/31 am Conservatoire in Paris. Auf Reisen bildete V. sich bei L. Spohr in Kassel und W. B. Molique in Stuttgart weiter; bei S. Sechter in Wien und A. Reicha in Paris studierte er Komposition. 1834 traf er in London mit N. Paganini zusammen. 1846 wurde V. Solist von Zar Nikolaus I. und Professor in St. Petersburg, löste aber 1851 seinen Vertrag entgegen dem Wunsch des Zaren. Nach vielen erfolgreichen Reisen, davon drei in die USA, wurde er 1871 Professor am Conservatoire in Brüssel. 1873 erlitt er einen Schlaganfall und konnte seine Unterrichtstätigkeit danach nur noch vorübergehend ausüben. V. war einer der bedeutendsten Violonisten seiner Zeit und ein hervorragender Pädagoge, zu dessen Schülern u. a. J. Hubay gehörte. Seine Kompositionen sind vom 4. Violinkonzert an in mancher Hinsicht den Werken Fr. Liszts gleichzustellen. WW: Für V. u. Klv.: Sonate, op. 12; Duo concertant über Don Giovanni, op. 20; Caprice-hommage e Paganini, op. 9 (auch für V. u. Orch.). — Für V. u. Orch.: 7 V.-Konzerte (op. 10, 19, 25, 31, 37, 47, 49); Fantasia appassionata, op. 35; Ballade et polonaise, op. 38; Fantaisie-Caprice u. a.; 2 Vc.-Konzerte. — Ouvertüre über die belgische Nationalhymne für Chor u. Orch. Lit.: M. KUFFERATII, V., sa vie et son ceuvre (Bru 1882) (mit der Autobiographie V.'); E. H. MÜLLER VON ASOW, Ein ungedruckter Brief v. H. V. an W. A. Mozart Sohn, in: FS E. Schenk (Kö 1962) (— StMw 25); E. YSAYL, H. V., mon maitre, hrsg. v. P. Andrč (Bru 1968); A. VANDER LINDEN, L'exotisme dans la musique de Ch. de Bériot (1802-70) et d'H. V., in: Bull. de la Classe des Beaux-Arts de l'Acad. Royale de Belgique 52 (1970). G. SCHUHMACHER
VIGANÒ, Salvatore, * 25.3. 1769 Neapel, t 10.8. 1821 Mailand; it. Tänzer und Choreograph. V. war ein Sohn des bekannten Ballettmeisters Onorato V. (1739-1811) und ein Neffe von L. Boccherini, von dem er wahrscheinlich Kompositionsunterricht erhielt. 1786 debütierte er in Rom als Tänzer in dem von ihm komponierten Intermezzo La vedova scoperta. 1788 wirkte er zusammen mit seinem Onkel Giovanni bei den Krönungsfeierlichkeiten für Karl VI. in Madrid mit, wo er die Tänzerin Maria Medina (t 1833 Paris) heiratete. Beide wurden Schüler des Choreographen Jean Dauberval, eines Schülers von J. G. Noverre, der dessen ästhetische Konzepte in die Praxis umzusetzen versuchte. Auf zahlreichen Tourneen wurde das Ehepaar in ganz Europa gefeiert, insbesondere auch in Wien, wo sie erstmals 1793 mit überwältigendem Erfolg auftraten und V. 1799-1803 als Ballettmeister wirkte. In Wien schrieb V. das Libretto zu
L. van Beethovens Ballett Geschöpfe des Prometheus, durch das er noch heute bekannt ist. 1811 ging er nach Mailand, wo er nur noch als Choreograph tätig war. Lit.: C. SARTORI, V., in: MGG XIII; G. WINKLER, Das Wiener Ballett v. Noverre bis F. ElBier (Diss. W 1967); F. REYNA, V. e le sue creature, in: L'opera 5 (1969).
VIHUELA, wie it. ř Viola und von dem gleichen provenzalischen Wort (viula oder viola) abgeleitet, span. Sammel-Bz. für Streichinstrumente. V. de péňola war bis zum 15. Jh. die span. Bz. für die OE Chitarra battente, V. de arco für die r Fiedel bzw. im 16. Jh. für die f Viola da gamba. Die V. de mano, die V. im engeren Sinn, ist das span. Zupfinstrument der Kunstmusik des 16. Jh. und in dieser Zeit von ähnlich großer Bedeutung wie die r Laute in den übrigen europäischen Ländern. Die Bauweise der V. entspricht weitgehend der der lGitarre (vgl. die Beschreibung bei J. Bermudo, 1555): ovaler Korpus mit nur leicht eingezogenen Flanken, Decke mit Schallöchern und einem Querriegel zur Saitenbefestigung. Anders als die Gitarre hatte die V. 6, seltener 7 doppelchörige Saiten in der gleichen Regelstimmung wie bei der Laute: G c f a d' g'. Das V.-Repertoire umfaßte Intavolierungen von geistlicher und weltlicher Vokalmusik (auch für Singstimme und V.), Fantasias, Tientos, Glosas, Romances, Sonetos und Tanzsätze. Die Notierung erfolgte in der it. Lauten-r Tabulatur. Die Blütezeit der V.-Musik wird repräsentiert durch die 1535-76 erschienenen Sammlungen (die meist auch Spielanweisungen für V. enthalten) von L. Milan, L. de Narváez, A. Mudarra, E. de Valderrábano, D. Pisador, M. de Fuenllana, L. Venegas de Henestrosa, T. de Santa Maria und E. Daza. Am Ende des 16. Jh. wurde die V. mehr und mehr durch die Gitarre, die Viola da gamba und die Tasteninstrumente abgelöst. Ausg.: Siehe bei den genannten Komponisten. Lit.: J. WARD, The V. da mano and its Music (1953) (— Diss. New York Univ.); M. PRYNNE, A Surviving V. da mano, in: GalpinJ 16 (1963); A. BERNER, V., in: MGG XIII; D. POULTON, V., in: Grove" XIX. — Vgl. Lit. zu den einzelnen Komponisten.
VILLA-LOBOS, Heitor (Héctor), * 5.3. 1887 Rio de Janeiro, t 17. 11. 1959 ebd.; brasilianischer Komponist. Er studierte bei Agnelo França (Harmonielehre) und Benno Niederberger (Violoncello). Seit 1915 organisierte er in Rio de Janeiro regelmäßig Konzertveranstaltungen mit eigenen Werken. 1923-24 und 1927-30 hielt er sich in Paris auf, wo seine Werke großes Aufsehen erregten, und reiste auch nach Brüssel, Lissabon und Barcelona. 1930 nach Brasilien zurückgekehrt, widmete er sich der musikalischen Jugend- und Volksbildung und wurde 1932 Leiter des Musikschulwe271
Villa-Lobos sens von Rio de Janeiro und 1942 von Brasilien. 1942 gründete er das Conservatório Nacional de Canto Orfeônico. 1944 besuchte er erstmals die USA und hielt sich seitdem abwechselnd dort, in Brasilien und in Frankreich auf. V. war u. a. Präsident der von ihm 1945 gegr. Academia Brasileira de Música, korrespondierendes Mitglied des Institut de France und anderer Akademien. WW: 1) Instr.-WW: 12 Etüden (1929) u. 6 Praeludien für Gitarre; 2 Duette: für V. u. Br. (1945) u. Ob. u. Fag. (1957); 17 Streichquartette (1915-57); Quintette (1928) für Blasinstr.; Nonett (1923) für Blasinstr., Harfe, Schlagzeug u. Chor; 14 Chôros (1920-29) für einzelne Instr., versch. Ensembles u. mit Orch.; Bachianas brasileiras (1930-44) für Klv. u. versch. Ensembles. - Für Orch.: 12 Symphonien (1916-56); 2 Sinfonieaas (1915, 1947); mehrere symphonische Dichtungen; Suite sugestiva (1929); 4 Suiten Diescobrimento do Brasil (1936-42); Konzerte: 5 für Klv. (1945-54), 2 für Vc. (1915, 1953), für Gitarre (1951), für Harfe (1953), für Mundharmonika (1955). - 2) Vokal-WW: Lieder; Oratorium Vidapura, UA: Rio de Janeiro 1922; Missa STo Sebastiäo (1937). - 3) Biibnen-WW: Opern Izath, UA: Rio de Janeiro 1958; Yerma, UA: Santa Fé 1971. - Ballette Amazonas (1917), UA: Paris 1929; Uirapuru (Der verzauberte Vogel), UA: Buenos Aires 1935.
Das (Euvre von V. ist umfangreich, aber ungleich. Nur wenige Werke entstanden vor seinem 25. Lebensjahr. Danach setzt eine erste Schaffensphase ein (1912-19), in der man noch nichts von der starken Identifizierung mit der Seele seines Landes, mit seiner Natur und seinen Gesängen spürt. Das ist erst in der zweiten Phase mit den Chôros als Zentrum (1920-29) der Fall. In dieser monumentalen Werkgruppe, vom Solostück für Gitarre bis zur Komposition für Chor und Orchester reichend, huldigt V. den Volksmusikanten seiner Jugend; das gemeinsame Improvisieren mit ihnen versuchte er hier kompositorisch wieder aufleben zu lassen. In einer dritten Phase (1930-44) entdeckt V., gleichsam überwölbt von J. S. Bach, die Affinitäten von dessen Musik zur brasilianischen Volksmusik, in der jede Instrumentalstimme eine große melodische Selbständigkeit besitzt. Diese Affinitäten verwirklicht er in den Bachianas brasileiras, die wie die Chôros für verschiedene instrumentale Besetzungen bestimmt sind (Nr.9 für Chor und Streicher). Die letzte Phase, von Virtuosität gekennzeichnet, ist den Konzerten gewidmet. Lit.: V. MARIZ, H. V. (Rio de Janeiro 1949, engl. Gainsville/Fla. 1963, Washington/D. C. 21970, fn. P 1967) (mit Werk-Vera.); C. PAULA BARROS, O romance de V. (Rio de Janeiro 1951); J. C. DE ANDRADE MUIUCY, V. Uma interpretaçäo (ebd. 1960); M. BEAUFILS, V. Musicien et poéte du Brésil (P 1967); A. M. DE GIACOMO, V. Alma sonora do Brasil (Sao Paulo 61972); L. M. PEPPERCORN, H. V. Leben u. Werk des brasilian. Komponisten (Z - Fr 1972); V. FARMER, An Analytical Study of the Seventeen String Quartets of H. V. (Ann Arbor 1973); E. NOGUEIRA FRANçA, V. Síntese critica e biográfica (Rio de Janeiro 2 1973); A. NOBREGA, Os chôros de V. (ebd. 1975); T. SArrros, H. V. e lo violao (ebd. 1975); L. M. PEPPERCORN, Le influenze del folklore brasiliano nella musica de V., in: NRMI 10 (1976); F. B. DASILVA,
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Misleading Discourse and the Message of Silence. An Adornian Introduction to V.'s Music, in: IRASM 10 (1979); L. M. PEPPERCORN, H. V. I1 burlone, in: NRMI 14 (1980). L. H. CORREA DE AZEVEDO
VILLANCICO (span.; Diminutiv zu villano = der Bauer), Bz. für eine - vermutlich auf das r Virelai zurückgehende - literarische und musikalische Gattung volkstümlich weltlichen oder geistlichen Inhalts, die sich im 16. Jh. in Spanien besonderer Vorliebe erfreute. In seiner einfachsten Form besteht der V. aus einem 2-3zeiligen Estribillo (Refrain) und einer Folge von 4zeiligen Strophen (Copla), deren letzte sich mit dem Refrain reimt (Vuelta). Im Cancionero musical de Palacio (OE Cancionero) sind etwa 400 höfische, volkstümliche oder religiöse V.s u. a. von J. Urreda, J. Cornago und J. del Encina überliefert. Die V.s Encinas sind z.T. der strengen mehrstimmigen Satzweise der franko-flämischen Liedkunst verpflichtet, zeigen in der Mehrzahl jedoch eine schlichte Homophonie, vergleichbar mit der der it. l Frottola. Im 16. Jh. war der V. eine Art span. Gegenstück zum Madrigal; häufig sind V.s auch für Singstimme mit Instrumentalbegleitung oder rein instrumental. Die Hauptquellen dieser Zeit sind der Cancionero von Medinaceli und der Sammeldruck Villancicos de diversos autores (= RISM 15563°, sog. Cancionero von Uppsala) sowie die r Vihuela-Sammeldrucke. Im 16. Jh. entstand auch die Praxis, in den span. Kirchen volkssprachige geistliche V.s zu singen, und zwar vor allem in den Matutinen von Weihnachten und Epiphanie. Dieser Usus wurde zwar 1596 von König Philipp II. aus Sorge um die Reinheit der Kirchenmusik verboten, lebte aber unter Philipp III. wieder auf. Der geistliche V. erfreute sich nun im 17.-18. Jh. einer enormen Beliebtheit in allen span. und lateinamerik. Kirchen. Er entwickelte sich in dieser Zeit zu einer Art Kirchenkantate mit Chören, Rezitativen, Arien, Duetten und Terzetten mit instrumentaler Begleitung. Sein Aufbau : Kurze Einleitung (Tonada) für Solostimme (meist Sopran), Estribillo für Chor oder Doppelchor (6-12stimmig), kurze Copias für 1, 2 oder 3 Stimmen und Reprise des Estribillo. Mehr und mehr trat der V. an die Stelle der liturgischen Gesänge, und zahlreiche Kathedralen hatten eigene Dichter in ihrem Dienst, die V.-Texte für die jeweiligen Kapellmeister schreiben mußten. Die Texte von ziemlich mittelmäßiger Qualität wurden in Heften veröffentlicht und den Gläubigen in die Hand gegeben. Solche V.s schrieben u. a. Gregorio Silvestre, Ph. Rogier, J. Pujol, M. Romero, G. de Ghersem, J. B. Comes, J. Cererols, S. Durón, Fr. Valls, P. Fuentes, J. de Nebra, A. Soler, Fr. Morera, P. Aranaz und J. Lidón.
Villanella Heutzutage ist der V. ein traditionelles Weihnachtslied von volkstümlichem und pastoralem Charakter und von Volksinstrumenten begleitet, wie man ihn in Spanien auf den Straßen und in den Kirchen in der Weihnachtszeit hören kann. Ausg.: r Cancionero. Lit.: H. ANGLÉS, Die spanische Lředkunst im 15. u. am Anfang des 16.3h., in: FS Th. Kroyer (Rb 1933); 1. POPE, Musical and Metrical Form of the V., in: Ann. Mus. 2 (1954); P. LE GENTIL, Le virelai et le v. (P 1Q54); A. SÁNCHEZ ROMERALO, El v. (Ma 1969);J. MOLL, Los v.s cantados en la Capilla Real a fines del siglo XVI y principios del siglo XVII, in: Anuario Mus. 25 (1970); F. u. J. HARRISON, A V. Manuscript in Ecuador: Musical Acculturations in a Tri-Ethnic Society, in: FS K. von Fischer (Mn 1973); E. T. STANFORD, El v. y el corrida mexicano (Mexiko 1974); 1. POPE — E. T. STANFORD, V., in: Grove' XIX. G. BOURLIGUEUX
VILLANELLA (von it. villano = Bauer), Bz. für eine it. Liedform des 16. Jh., die ihrer Herkunft nach alla napolitana genannt wird. Zunächst gebrauchte man die Termini Villanesca, Canzon villanesca und Aria napolitana, um 1565 setzte sich - neben r Villotta und Canzon napolitana bzw. Canzonetta alla napolitana - die Bz. V. durch. Außer auf die geographische Herkunft weisen die Namen auch auf den vorwiegend ländlichen Charakter einer Form hin, die mit ihrer großen Einfachheit von Text und Musik zur Nachfolgerin der Frottola wird und die - zusammen mit anderen volkstümlichen Liedformen wie Mascherata, Moresca, Giustiniana, Todesca, Greghesca, Canti carnascialeschi und später Canzonetta und Balletto in deutlichem Gegensatz zu der höfischen und gelehrten Eleganz des Madrigals steht. Wahrscheinlich stammt die poetisch-musikal. Form der V. vom r Strambotto ab (ab ab ab cc) mit Hinzufügung eines Refrains nach jedem Zeilenpaar (abR abR abR ccR). Ursprünglich war die Villanesca-V. 3st., im Unterschied zur 4st. Frottola. Die gelegentliche Verwendung vors parallelgeführten Dreiklängen, wie in dem folgenden Beispiel, verlieh ihr einen bewußt antiakademischen archaischen Gusto.
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Den Übergang von der Frottola und dem Strambotto zur V. markiert das Schaffen des Neapolitaners Giovan Tommaso di Maio, der zunächst an dem Sammeldruck Fioretti di frottole (Neapel 1519) mitarbeitete und später ein Buch eigener Canzon villanesche (V 1546; daraus das voranstehende Beispiel) veröffentlichte. Vorher waren Villanellen schon in Sammeldrucken erschienen (RISM 15375 und 15378). Bedeutendster Vertreter der Gattung in dieser Zeit ist (mit seiner ersten
Sammlung 1541) G. D. Del Giovane. In der frühen V. erscheinen häufig volkstümliche und mundartliche Texte; charakteristisch ist eine homorhythmische Satzweise (volkstümlicher Herkunft?) mit kurzen imitatorischen Abschnitten. Del Giovane ist auch in der folgenden Phase der V. vertreten, die inzwischen auch in Norditalien heimisch wurde und nun eine Sprache von größerem Raffinement aufweist und manchmal auch 4stimmig ist (vgl. die Sammlung von 1567). Wahrscheinlich geht diese Wandlung der V. auf A. Willaert zurück, der die V. aus provinzieller Enge in die Weite einer universell geschätzten Gattung versetzte (Canzoni villanesche, 1545). Weiterhin berühmt waren in der Mitte des 16. Jh. auch die Villanellen-Drucke von B. Donato, Perissone Cambio (1545 und 1551), O. di Lasso und G. Nasco. Zwischen 1565 und 1574 gibt es eine Gruppe neapolitanischer Komponisten, die zwar die oberitalienischen Neuerungen übernahmen, aber doch stärker in der älteren Tradition (Dreistimmigkeit, strikt syllabische Deklamation im homorhythmischen Satz, Quintenparallelen) standen: G. L. Primavera, M. Troiano und vor allem Gian Leonardo Mollica (genannt dell'Arpa). Dieser Typus der V. eignete sich auch für eine Ausführung mit Solostimme und Instrumentalbegleitung (Laute oder Gitarre, Colascione, Viole und Violine, Cembalo, Harfe, ja sogar Kastagnetten und Tambourin) und wurde manchmal zum Tanz verwendet. Insgesamt jedoch nähert sich in dieser Zeit die V. in Textinhalt und -struktur (u. a. durch Aufgabe des Refrains) und in der musikalischen Satzweise immer mehr dem Madrigal. Bezeichnend hierfür sind die 3st. Villanellen von L. Marenzio (5 Bücher 1584-87) und die 5-6st. von G. Ferretti (1567-85) und G. de Wert (1589). Von nun an werden die Grenzen zu Madrigal und r Kanzonette fließend. Mit ihnen zusammen wird die V. auch in Deutschland heimisch und fließt in den Stil des schlichten Gesellschaftsliedes ein, so vor allem bei J. Regnart, L. Lechner und Fr. Lindner, im 17. Jh. bei J. H. Schein. Für Frankreich ist zu nennen J.-B. Bésard. Ausg. (nur Sammelausg.): H. ENGEL, Villanellen für 3 St. (Kas 1928); S. A. LUCIANI, Villanelle alla napolitana a 3 voci di musicisti baresi del secolo XVI (1574) (R 1941); A. Willaert and His Circle, Canzone villanesche alla napolitana (with Villotte), hrsg. v. D. G. CARDAMONE (Madison/Wis. 1978) (— RRMRen 30). — Vgl. die Verz. bei den genannten Komponisten. Lit.: F. NICOLINI, La Villanelle napoletana, in: RMI 54 (1952); B. M. GALANTI, Le v. alla napolitana (Fi 1954); W. H. RUBSAMEN, V., in: MGG XIII; E. FERRARI BARASSI, La v. napoletana nella testimonianza di un letterato, in: NRMI 2 (1968); D. G. CARDAMONE, The Debut of the „Canzone villanesca alla napolitana", in: Studi Musicali 4 (1975); DIES., The „Canzone villanesca alla napolitana" and Related Forms, 1537-1570 (Ann Arbor 1981). E. FERRARI BARASSI
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Villanesca VILLANESCA r Villanella. VILLOTTA, um 1530 in Italien Bz. für einen 4st. Gesang, dem ein venezianisches Volkslied oder Straßenlied zugrunde liegt. Solche Gesänge sind schon vorher bekannt, u. a. von Josquin des Prés, L. Compere, H. Isaac und M. Pesenti, und zwar im Rahmen der ř Frottola. Das Volkslied, stets im Tenor, wird allein intoniert und von den anderen Stimmen imitatorisch oder homorhythmisch weitergeführt. Die V. schließt in der Regel mit einem Abschnitt in lebhaftem Dreierrhythmus, der als Nio (= Nest) bezeichnet wird. Die Texte haben einen heiter-volkstümlichen Charakter und eine sehr unregelmäßige metrische Struktur; häufig erscheinen sinnlose Textsilben wie li-lo-le. Beliebt ist auch die „Incatenatura", die „Verkettung" mehrerer Volkslieder, die einen bestimmten Typus des r Quodlibet bildet (vgl. bereits die Frottola Fortuna d'un gran tempo von L. r Fogliano). Komponisten der V. in ihrer sozusagen klassischen Phase um 1530 sind u. a. M. Cara und Sebastiano Festa. In der Folgezeit verliert der Begriff V. seine feste Bedeutung. Er begegnet im 16. Jh. bei Gesängen unterschiedlichen textlichen und musikal. Charakters bes. bei Alvise Castellino, genannt Varoter (1541), Matthias Werrekoren (1549) und F. Azzaiolo (1557-69) und wird auch synonym mit r Villanella und Canzone villanesca gebraucht. Ausg.: Sämtl. Villotte vor 1530, in: F. TORREFRANCA, II segreto del Quattrocento (Mi 1939). — Vgl. die Verz. zu den genannten Komponisten. Lit.: B. BECHERINI, Tre incatenature del Codice Fiorentino Magl. XIX 164-167, in: Collectanea historiae musicae I (1953): W. H. RUBSAMEN, V., in: MGG XIII; E. APFEL, F. Azzaiolos Villotten (1557, 1559), Ostinato u. volkstümliches Lied, in: Aufsätze u. Vorträge (Saarbrücken 1977). — r Frottola.
VINA, Bz. für ein im Norden r Indiens auch Bin genanntes und seit dem 15. Jh. nachgewiesenes Saiteninstrument mit 4 Melodie- (häufig C b c f) und 3 Resonanzsaiten (rechts c c', links c'); als Resonanzkörper dienen 2 Kürbisse. Die südindische Abart der V. hat die Form einer vergrößerten Mandoline. VINCENTIUS (Vincent), Caspar, * um 1580 StOmer, t vor Juni 1624 Würzburg; franko-flämischer Organist und Komponist. Er war Chorknabe an der Kathedrale von St-Omer, an der Hofkapelle des Erzherzogs Ernst von Österreich und nach dessen Tod 1595 an der Kaiserlichen Kapelle in Wien unter Ph. de Monte. Um 1602 wurde er Stadtorganist in Speyer, wo er mit dem Rektor der Lateinschule, A. Schadaeus, befreundet war. 1615 ging er als Organist an St. Andreae nach Worms und 1618 274
als Domorganist nach Würzburg. V. ist vor allem wichtig durch seinen Beitrag (25 Motetten und Generalbad) zum Promptuarium musicum von Schadaeus. V. schrieb auch einen Generalbad (Bassus ad organum nova methoda dispositus, Wü 1625) zu O. di Lassos Magnum opus musicum. Lit.: W. BOETTICHER, O. di Lasso u. seine Zeit (Kas 1958); M. A. Brabanter Orgel (A 1958, 2 1963); M. SACK, Zur Würzburger Musikgesch. am Anfang des 17. Jh., in: Mainfränk. Jb. für Gesch. u. Kunst 11 (1959); J. G. KRANER, V., in: MGG VENTE, Die
XIII.
VINCI, Leonardo, * zwischen 1690 und 1696 Strongoli (Kalabrien) oder Neapel, t zwischen 27. und 29. 5. 1730 Neapel ; it. Komponist. Er war seit 1708 Schüler von Gaetano Greco am Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo in Neapel. 1719 brachte er dort mit großem Erfolg seine erste Commedia musicale (im neapolitanischen Dialekt), Lo cerato fauzo (nicht erhalten), zur Aufführung und konnte sich 1722 mit seiner ersten Opera seria, Pu-
blio Cornelio Scipione, ebenso auf dem Gebiet der Opera seria durchsetzen. Nach dem Tod A. Scarlattis 1725 wurde er Pro-Vice;naestro der Hofkapelle in Neapel, wirkte daneben als Kapellmeister und Komponist auch an auswärtigen Bühnen. 1728 wurde er Kapellmeister am Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo. V. gehört zu den führenden Komponisten der Neapolitan. Schule. Melodiebildung und Ornamentik zeigen deutlich den Einfluß der Kastratenvirtuosen dieser Zeit. WW: Arien u. Kammerkantaten. — Etwa 50 Bühnenwerke, darunter Commedie musicali auf neapolitanische Texte (davon nur erhalten Le zite 'n galera, 1722) u. zahlr. Opere serie, u.a. auf Libretti v. P. Metastasio: Didone abbandonata, VA: Rom 1726; Siroe, re di Persia, UA: Venedig 1726; Catone in Utica. VA: Rom 1728; Alessandro nelle Indie, VA: ebd. 1729; Artaserse, VA: ebd. 1730. — Ferner So/os für Fl. oder V. u. B.c. (Lo um 1746); Overtures für 7 Instr. (ebd. 1748). Ausg.: 2 Fl.Sonaten, hrsg. v. J. Bopp (Bas 1949, 1951). Lit.: K. GEIRINGER, Eine Geburtstagskantate v. P. Metastasio u. L. V., in: ZfMw 9 (1926/27); U. PROTA-GIURLEO, L. V., in: 11 convegno musicale 2 (1965); R. B. MEIKLE, L. V.'s „Artaserse". An Edition with an Editorial and Critical Commentary (1970) ( = Diss. Cornell Univ.); H. HELL, Die neapolitanische Opernsinfonie in der ersten Hälfte des 18. Jh. (Tutzing 1971) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 19).
VINCI, Pietro, * um 1535 Nicosia (Sizilien), t 1584 ebd. oder Piazza Armerina; it. Komponist. V. war
1568-80 Kapellmeister an S. Maria Maggiore in Bergamo und 1581 am Dom von Nicosia. Er gilt als der früheste einer Gruppe von bedeutenderen sizilianischen Komponisten und war als Madrigalist besonders geschätzt. WW (gedruckt in Venedig): Messen für 5-8 St. (1575), für 4 St. (1581); Motetten für 4 St. (1578), 2 Bücher für 5 St. (1558, 1572), für 8 St. (1582); Lamentationen für 4 St. (1583); Sonetti spirituali für 5 St. (1580). — Madrigale für 3 St. (1583), für 4 St. (1583), 7 Bü-
Viola cher für 5 St. (1561-84), 2 Bücher für 6 St. (1571, 1579). — Instr.WW: Musica a due voci (Ricercari) (1560); weitere Ricercari bei den ist. Madrigalen u. in RISM 1591.. Ausg.: Die Instr.-Werke in den Drucken v. 1560 u. 1591, hrsg. v. P. E. CARAPEZZA (R 1971-72) (— Musiche rinascimentali siciliane 2-3). Lit.: F. MOMPELLIO, P. V. Madrigalista siciliano (Mi 1937) (mit 8 Madrigalen); DERS., V., in: MGG XIII; D. KÄMPER, Stud. z. instr. Ensemblemusik des 16. Jh. in Italien (Kö — W 1970) (— Anal. Mus. 10); H. A. MAGLIOCCO, The „Ricercari a Tre" of P. V. and Antonio I1 Verso (Diss. Norman 1972).
VIOLA. - 1) Sammel-Bz. für Streichinstrumente. Die Sprachwissenschaft leitet den Terminus vom altprovenzalischen viola bzw. viula als onomatopoetische Bildung ab und kann ihn seit dem 12. Jh. belegen, von wo aus er sich über vielle zum frz. viole wandelt, während in Spanien die Entwicklung zu vihuela führt, in Italien dagegen bei V. bleibt. C. Sachs führt V. über das mittellat. vialla auf das ahd. fidula und diese „Mittler"-Form auf asiatische Sprachen zurück. Im MA ist V. (samt den geographisch bedingten Varianten) als generelle Bz. der Streichinstrumente anzusehen. Erst im 16. Jh. entwickelt sich eine durch unterschiedliche Bauweise bedingte Aufteilung in die Familie der Violininstrumente (r Viola da braccio) und die Familie der Violeninstrumente, deren bedeutendster Vertreter die l Viola da gamba (= Gambe) wurde. Die wichtigsten Baumerkmale dieser Violeninstrumente sind: zum Hals hin spitz zulaufender Korpus, flacher und im Oberteil leicht abgeknickter Boden, kein Randüberstand an den Zargen, C- oder flammenförmige Schallöcher, 5-7 Spielsaiten und (bei den Gamben) 7-8 Bünde um den Hals. Da die meisten Instrumente der Violinbauweise in Armhaltung gespielt wurden, war es im 16. Jh. üblich geworden, alle Instrumente der Violinfamilie als Viole da braccio zu bezeichnen (auch das zwangsläufig in Kniehaltung zu spielende Ballinstrument, das Praetorius z. B. „Bas-Geig de bracio" nennt). Dies sollte eine terminologische Unterscheidung von den eigentlichen Instrumenten der Violenbauweise ermöglichen, die ursprünglich für alle Stimmlagen prinzipiell für die Knie- (bzw. Schoß-)Haltung bestimmt waren und deshalb alle unter dem Sammelbegriff Viola da gamba liefen. Da sich beide Streichinstrumentenfamilien aber immer nahe berührten und auch öfters überschnitten (Violenbauweise für Armhaltung - Violinbauweise für da gamba-Haltung), entstand grolle terminologische Verwirrung, die auch die Komponisten kaum zu klären imstande waren zu einer Zeit, da die Austauschbarkeit der Instrumente allgemein üblich war. Klarheit kann aber oft die Untersuchung des musikalischen Textes bringen;
Stimmlage und Schreibweise einer nicht genauer bezeichneten V.-Stimme des 17. oder frühen 18. Jh. erlauben meistens mit einiger Sicherheit eine Zuweisung zu einem bestimmten Instrument: Stimmen, die das c unterschreiten und Baß- und/oder Tenorschlüssel verwenden, weisen eindeutig auf eine Gambe hin. Der Diskant-Schlüssel (C-Schlüssel auf der 1. Linie) weist auf eine Diskant-Gambe hin; nur Stimmen, die Alt- (und für die hohen Lagen Violin-)Schlüssel verwenden, erlauben, V. als Bratsche zu betrachten. Die Klassifizierung der Violeninstrumente, die uns die erhaltenen Exemplare und die Literatur liefern, ergeben folgendes Bild: Es wurden sämtliche Stimmlagen als Viole da gamba gebaut: Sopran, Alt, Tenor, Ball; die Kontrabaß-Gambe lebt in leicht abgewandelter Form heute noch als Kontrabaß weiter. In selteneren Fällen wurden Instrumente in Violenbauweise für die Armhaltung bestimmt: Discant- und Alt-Violen, die niedrigere Zargenhöhe aufweisen. Ferner deutet eine starke, kreisförmige Rundung des Halses auf die kugelartige Handformung der da braccio-Haltung, während ein Hals in Form einer abgeflachten Ellipse dem parallel zur Saitenebene ausgestreckten Daumen der da gamba-Haltung entspricht. In der Tenor-Baß-Lage finden wir noch die r Viola da spalla; sie ist Vorläufer der 7 Viola pomposa und trägt, wie diese, trotz Armhaltung die Baumerkmale der Violenfamilie. Zu den Violen gehört noch die ř Viola d'amore, die 7 Viola bastarda und das l Baryton. Für den heutigen Sprachgebrauch ist zu beachten, daß im Rahmen der praktischen Musikausübung das Wort V. und seine beiden gängigen Pluralformen Violen (dt.) und Viole (it.) nur noch für die Bratsche benutzt werden. Alle anderen Instrumente werden heute durch entsprechende Zusätze kenntlich gemacht: Viola da gamba (Plural Viole da gamba) usw. Im instrumentenkundlichen Rahmen jedoch kann die genaue Bedeutung nach wie vor nur aus dem Kontext entnommen werden; die größte Verwechslungsmöglichkeit besteht in der frz. Musik des 18. Jh.: hier bedeutet Viole (Plural Violes) prinzipiell die Tenor-Baß-Gambe. 2) Bz. für das Altinstrument der Violinfamilie mit den 4 Saiten c g d' a'. Das im dt. Sprachgebrauch gleichberechtigt verwendete Wort Bratsche für die V. leitet sich aus it. viola da braccio ab; in Frankreich hieß sie im 17. und 18. Jh. r Quinte (de violon), wurde aber seit dem letzten Drittel des 18. Jh. in der Regel Alto (aus it. alto viola), in England Tenor genannt. Der Bau der V. entspricht dem der Violine, allerdings in durchweg etwas größeren Maßen ; insbesondere ist sie im Verhältnis meist 275
Viola auch breiter. Der Resonanzkörper hat eine Länge zwischen 37 und 43 cm. Die Spieltechnik entspricht im Prinzip der der Violine, doch sind vor allem die heute bevorzugten größeren Bratschen, besonders in virtuosen Passagen, erheblich schwerer zu spielen. Im 17. Jh. gab es zahlreiche Bratschen mit größeren Ausmaßen (bis zu 48 cm Korpuslänge), die dem Bedürfnis nach einem kraftvollen Tenorinstrument im 5stimmigen Streichersatz dieser Zeit entgegenkamen. Diese nie tiefer als c notiertén Instrumente, die immer auf dem Arm gehalten wurden, trugen den Namen V. tenore (frz. r Taille [de violon]) im Unterschied zu V. alto (frz. Haute-contre [de violon]). Sie wurden im Tenorschlüssel, mitunter im Altschlüssel notiert. Mit der Verringerung der Stimmenzahl auf 4 im Streichersatz verschwanden diese Instrumente zu Beginn des 18. Jh. zugunsten der Bratsche. - Für die höfische und kirchliche Aufführungspraxis in den relativ kleinen Räumen des 18. Jh. waren Bratschen mit verhältnismäßig kleinen Korpuslängen von etwa 37-39,5 cm am häufigsten. Im Zusammenhang mit der Vergrößerung der Orchester und Konzertsäle zu Beginn des 19. Jh. wurden auch Bratschen mit größerem Klangvolumen benötigt, wie dies zahlreiche Neukonstruktionen aus dieser Zeit belegen : Violon-ténor von B. Dubois (1833), Grand V. von N. Paganini (1834), Contralto von J.-B. Vuillaume (1855), ř Viola alta von H. Ritter (1876) und Violotta von A. Stelzner (1891). Da diese Instrumente meist unhandlich und schwer zu spielen waren, konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen. Geigenbauern des späten 19. und 20. Jh. gelang es jedoch, im wesentlichen unter Beibehaltung traditioneller Maße, die Klangfülle der V. entscheidend zu verbessern, wobei sich die ideale Korpuslänge auf etwa 41,2-41,5 cm eingependelt hat. Musik fůr Viola (Bratsche). Im 17. Jh. läßt sich das Violin- und V.-Spiel nicht trennen, da die Streichermusik den meist 5stimmigen Satz mit nahezu gleichberechtigten Partien bevorzugte. Erst die Entwicklung der Triosonate, des Concerto grosso und des Violinkonzerts trennten die hohen, mittleren und tiefen Streicher in deutlich unterschiedene Instrumentalgruppen, von denen die mittlere, die Bratschen, mehr und mehr vernachlässigt und zur harmonischen Ausfüllung degradiert wurde, so daß bereits um die Mitte des 18. Jh. das V.-Spiel im Orchester, den Quellen zufolge, zu sehr schwacher Qualität abgesunken war. In den seltenen Fällen, wo in Kammermusik und Konzeyt anspruchsvollere V.-Partien vorkamen (im letzten Viertel des 18. Jh. häufiger als davor und danach), wurden diese in der Regel von Geigern gespielt (auch des276
halb die meist kleinen Mensuren zu jener Zeit) : So-wohl C. Stamitz als auch A. Rolla (Paganinis Lehrer), die beiden berühmtesten Bratschisten vor bzw. um 1800, waren im Orchester Geiger. In der Nachfolge bürgerte es sich ein, daß Geigenvirtuosen gelegentlich auch V. spielten : F. Fiorillo, R. Kreutzer, Chr. Urhan (der die V.-Partie in H. Berlioz' Harold en Italic erstaufführte), N. Paganini (der sich früh mehrere V.-Kompositionen schrieb, u. a. weil der ihm ursprünglich zugedachte Harold nicht virtuos genug war), H. Vieuxtemps, H. Wieniawski u. a. Auch Komponisten wie J. S. Bach, W. A. Mozart und L. van Beethoven spielten gerne V., und A. Adam, A. Dvořák und É. Lalo waren zeitweise berufsmäßige Bratschisten. Nachdem das solistische, von der Violine herkommende Bratschenspiel im 2. Drittel des 19. Jh. so gut wie ganz außer Gebrauch gekommen war, entstand genau zu gleicher Zeit ein neues V.-Spiel, das sich nach den Erfordernissen der gerade neu entstandenen romantisch-symphonischen Literatur richtete : bevorzugte mittlere und tiefe Lagen, schnelle und schwere Läufe und Passagen, jedoch unter Ausschluß der früher häufigen hohen Lagen und der früher durchaus üblichen Dezimengriffe. Dieses auch noch heute „moderne" V.-Spiel taucht zunächst bei Berlioz, dann aber vor allem bei R. Wagner (besonders im Ring) und R. Strauss auf und stellte die V.-Gruppe im Orchester in besonderer Weise heraus mit oft exponierten und schwierigen Aufgaben. - Erst aufgrund dieser kompositorischen Erfordernisse und der nun vorhandenen besser entwickelten Instrumente tauchten nach der Mitte des 19. Jh. zahlreiche bedeutende Bratschisten auf, aus denen auch bald Solisten hervortraten: H. Ritter, Cl. Meyer, Tb. Laforge, H. Casadesus (der auch unter den Namen von J. Chr. Bach und G. Fr. Händel zwei V.-Konzerte schrieb). Im 20. Jh. wuchs die Zahl der V.-Solisten beständig, u. a. C. Aronowitz, R. Barschai, V. Borissowski, K. und P. Doktor, W. Forbes, B. Giuranna, P. Hindemith, U. Koch, W. Primrose, L. Tertis. W. Trampler, M. Vieux und E. Wallfisch. Solistisch bzw. konzertierend verwendeten die V. im 18. und beginnenden 19. Jh. u. a.: J. S. Bach (6. Brandenburgisches Konzert; obligat auch in Kantate BWV 5, 6, 16, 213), G. Ph. Telemann, J. Fr. Fasch, J. G. Graun, Chr. Graupner und J. J. Quantz, später C. Ph. E. und J. Chr. Fr. Bach, Fr. und G. A. Benda, L. Boccherini, J.-B. Bréval, Fr. X. Brixi, G. M. Cambini, J. Chr. Cannabich, Fr. Danzi, K. Diners von Dittersdorf, Fr. J. Gossec, J. u. M. Haydn, Fr. A. Hoffmeister, I. Holzbauer, W. A. Mozart, P. Nardini, I. Pleyel, J. Reicha, J. Fr. Reichardt, Rolla, A., J. und C. Stamitz, J. B. Vanhal
Viola da braccio und C. Fr. Zelter. Diese Komponisten schrieben zahlreiche Konzerte für V. und Orchester, konzertante Symphonien (verschiedenster Besetzung mit V.), Sonaten (z. T. mit obligatem Klavierpart), aber auch Duos für V. und Violoncello (für diese Besetzung ist u. a. noch das Duett mit 2 obligaten Augengläsern (WoO 32) von L. van Beethoven komponiert). In der übrigen Kammermusik spielte die V. bis zum 19. Jh. eher eine untergeordnete Rolle. Ausnahme bildet hier jedoch das Spätwerk von Haydn (Streichquartette) und Mozart (Streichquartette und -quintette und die Trios KV 498 und 563). Seit Beethoven nimmt die V. in der Kammermusik indes eine mit den anderen Instrumenten gleichberechtigte Stellung ein. Während im 19. Jh. nur wenige Kompositionen für V. und Orchester entstehen (J. N. Hummel, Potpourri op. 94; Paganini, Sonata per la gran viola e orchestra; C. M. von Weber, Andante und Rondo ungarese), wird die V. öfters auch mit solistischen Partien innerhalb der Orchesterliteratur betraut (Berlioz, Harold, La damnation de Faust; Adam, Giselle; Weber, Freischlitz; Strauss, Don Quixote; H. Wolf, Italienische Serenade). An speziellen kammermusikalischen Werken für V. und Klavier sind aus dem 19. Jh. zu nennen : Beethoven, Notturno, op. 42; J. Brahms, 2 Sonaten, op. 120 (für Klar. oder V. und Klv.); A. Glasunow, Elegie; M. Glinka, Sonate d-moll; Hummel, Sonate op. 5; Fr. Liszt, Romance oubliée; F. Mendelssohn Bartholdy, Sonate c-moll; R. Schumann, Märchenbilder, op. 113; Vieuxtemps, Sonate op. 36, und Wieniawski, Reverie. Im 20. Jh. erlebt das Konzert bzw. -stück für V. und Orchester eine neue Blütezeit. Zu nennen sind u. a.: B. Bartók (op. post., 1945), C. Beck (1949), B. Blacher (1954), E. Bloch (Suite hébraïque), M. Bruch (Concerto für Klar. und V., 1913), J. N. David (Melancholia), G. Enesco (Concertstiick), W. Fortner (Concertino, 1934), J. Françaix (Rhapsodie, 1944), H. W. Henze (Compases), K. A. Hartmann, Hindemith (3 Konzerte), G. Fr. Malipiero (Fantasia concertante; Dialoghi Nr. 5), B. Martinů (Rhapsodie Concerto, 1954), D. Milhaud (3 Konzerte), W. Piston, J. Rivier (Concertino, 1935) und W. Walton. Solosonaten für V. schrieben u. a.: M. Reger (3 Suiten, op. 131 d, 1915), Bloch (Suite), W. Burkhard, A. Chatschaturjan, J. N. David, H. Genzmer, Hindemith, E. Krenek, G. Raphael und I. Strawinsky (Élégie). Daneben entstanden auch zahlreiche Werke für V. und Klavier (u. a. von B. Britten, Hindemith, H. Genzmer, A. Honegger, Krenek, Martinů und Milhaud), aber auch die V. besonders herausstellende Kammermusikkompositionen wie etwa B. Smetanas Streichquartett Z mého života,
die Streichquartette von Bartók, A. Schönberg, A. Berg und A. Webern, ferner Cl. Debussys Sonate für Flöte, V. und Harfe und Hindemiths Trio für Heckelphon, V. und Klavier. Lit.: Zu 1): M. PRAETORIUS, Syntagma musicum, 3 Bde. (Wb 1614-1619, Nachdr. Kas 1958-59); C. SACHS, The History of Musical Instruments (NY 1940, Lo 21942). — Zu 2): C. SACHS, Hdb. der Musikinstrumentenkunde (L 1930, Nachdr. Wie 1976); DERS., The History of ... (s. o.); B. TOURS — B. SHORE, The V. (Lo 1946); H. BESSELER, Zum Problem der Tenorgeige (Hei 1949); Die V., Jb. der im. V:Forschungs-Ges., hrsg. v. W. SAwoDNY (Kas 1980 ff.); Y. MENUHIN — W. PRIMROSE, Violine U. V. (F 1982) (— Y. Menuhins Musikführer). — Musik fair Viola: W. ALTMANN — W. BORISSOWSKY, Lit.-Verz. für Bratsche u. Viola d'amore (Wb 1937); F. ZEYRINGER, Lit. für V. (Hartberg 1976); M. W. RILEY, The History of the V. (Ann Arbor 1980); U. DRÜNER, Das V.-Konzert vor 1840, in: FAM 28 (1981). U. DRONER
VIOLA, Alfonso della, " Della Viola. VIOLA ALTA (it.), eine Altvioline in der Stimmung c g d' a' ; sie wurde von Hermann Ritter zwischen 1872 und 1875 entworfen und von dem Würzburger Geigenbauer K. A. Hörlein gebaut. Sie ist in allen Maßen etwas größer als eine Viola (Korpuslänge ca. 48 cm) und damit auch größer und dunkler im Ton. 1898 ließ Ritter eine 5. Saite e2 hinzufügen, die die Spielbarkeit erheblich verbesserte. Trotz der Anerkennung durch R. Wagner und R. Strauss konnte sich die V. auf die Dauer nicht durchsetzen. Lit.: H. RITTER, Die V. (Hei 1876); DERS., Die fünfsaitige Altgeige V. (Amberg 1898).
VIOLA BASTARDA, ein Streichinstrument der Tenor-Baß-Lage mit verbindenden Baumerkmalen der r Viola da gamba und der Lira da gamba (OE Lira): C- oder F-Löcher, Rosette, Schnecke, Stimmung in Quinten und Quarten. Das Korpus zeigt sonst überwiegend Baumerkmále der Viola da gamba. In England hieß die V. ř Lyra Viol und ist erstmals 1652 belegt, während sie in Italien bereits seit 1589 nachgewiesen ist. Madrigale bzw. Ricercate für V. stammen u. a. von Girolamo dalla Casa u. Aurelio Virgiliano (hrsg. v. B. Thomas, Lo 1980). VIOLA DA BRACCIO (von it. braccio = Arm). 1) Im 17. und frühen 18. Jh. übliche Bz. für die heutige OE Viola (Bratsche), vor allem in Italien und auch in Deutschland. - 2) Im 16. und 17. Jh. auch Sammelbegriff für alle Instrumente der Violinfamilie, deren Vertreter der Diskant- und Alt-Stimmlagen schon immer in Arm-(da braccio-)Haltung gespielt wurden (zur Unterscheidung von den Instrumenten der r Viola da gamba-Familie, deren 277
Viola da gamba
sämtliche Stimmlagen in der Regel in Kniehaltung gespielt wurden). Während in Frankreich der Gattungsname Vyollons für die Violinfamilie bereits 1523 erstmals belegt ist, taucht in Italien die Familie (mit den Stimmlagen Alt, Tenor, Baß) erstmals 1535/36 in einem Fresko von Gaudenzio Ferrari auf. Einen noch 3saitigen Prototyp einer Violine hatte der gleiche Maler bereits 1529 dargestellt, so daß man annehmen darf, daß die ganze Familie der Violininstrumente sich etwa gleichzeitig (und nicht, wie bisher öfters behauptet, das Altinstrument zuerst) im frühen 16. Jh. aus der Vereinigung von Merkmalen des r Rebec und der r Lira (da braccio) entwickelt hat. Von Anfang an werden das Fehlen der Bünde und die Quintenstimmung als wichtigste Kennzeichen der V.-Instrumente beschrieben (M. Agricola 1528, G. M. Lanfranco 1533, S. Ganassi 1542), während die baulich heute als charakteristisch geltenden Merkmale der Violinfamilie sich erst in der 2. Hälfte des 16. Jh. unter dem Einfluß der Schulen von Gasparo da Salò und der Amati-Dynastie definitiv herausbilden. VIOLA DA GAMBA (it.; dt. auch Gambe; engl. auch viol; frz.: viole de gambe). - 1) Bz. für eine vom 16. bis ins 18. Jh. weitverbreitete Familie von Streichinstrumenten. Die einzelnen Instrumente
dieser Familie hatten sehr unterschiedliche Größen, Formen und Stimmungen. Die gebräuchlichsten Größen waren die Diskant-V. (engl.: treble viol ; frz.: dessus de viole), die Alt/Tenor-V. (engl.: tenor viol ; frz.: taille de viole) und die BaßV. (engl.: bass viol; frz.: basse de viole), die häufig auch einfach als V. bezeichnet wurde. Außerdem gab es noch die Großbaß-V. (r Violone) und im 17./18. Jh. ein Kleindiskant-Instrument mit 6 oder 5 Saiten, das als pardessus de viole bezeichnet wurde (? Quinton). Die Violen unterscheiden sich im Bau wesentlich von den Instrumenten der Violinenfamilie (7 Violine, T Viola da braccio). Sie haben einen flachen, zum Hals hin abgeknickten Boden, sehr hohe, sich nach oben hin verjüngende Zargen, vom Hals abfallende Schultern, weit geöffnete Mittelbügel, einen flachen Steg und am häufigsten C-förmige, mit der Öffnung nach außen weisende Schallöcher. Die 7 nicht fest eingelassenen, sondern beweglichen Darmbünde sind im Halbtonabstand um den Hals gewunden und verknotet. Ein B. Bund in der Oktave der leeren Saiten konnte, nach Chr. Simpson (1659), angebracht werden. Der Wirbelkasten wird selten durch eine Schnecke, häufiger durch einen geschnitzten Frauen- oder Tierkopf (Löwe, Pferd usw.) abgeschlossen. In der Regel hat die V. 6 Saiten. Eine 7. tiefe Baßsaite, die bei frz. Baßviolen des 17. Jh. 278
häufig anzutreffen ist, wurde nach J. Rousseau (Traité de la viole, 1687) erstmals von M. de Sainte-Colombe aufgezogen. Die 6 Saiten sind im allgemeinen in Quarten mit einer großen Terz in der Mitte gestimmt. Im 16./17. Jh. gab es eine Vielzahl verschiedener Stimmungen, die gebräuchlichsten waren jedoch die, welche S. Ganassi in seiner Regola rubertina (1542) angegeben hat: d g c' e' a' d2 für die Diskant-V., G c f a d' g' für die Alt-/Tenor-V. und (A,) D G c e a d' für die Baß-Viola da gamba. Die 6 Saiten des Pardessus de viole wurden in gleicher Weise gestimmt, jedoch lag die große Terz nicht mehr in der Mitte (g c' e' a' d2 g2), während der r Quinton die Quinten- und Quartenstimmung g d' a' d2 g2 (M. Corrette, Méthode pour apprendre à jouer ... du pardessus, 1748) hatte. Die V. wird mit dem Hals nach oben weisend je nach Größe auf die Oberschenkel gestützt oder zwischen den Beinen gehalten. Sie ist ebenso wie die Laute ein mehrstimmig spielbares Instrument. Der Bogen wird mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand im sog. Untergriff gehalten (Handfläche nach oben), während Mittel- und Ringfinger sich an den Bogenhaaren befinden, so daß deren Spannung durch den entsprechenden Druck des Mittelfingers geändert werden kann. Der Klang der V. ist zart und leicht nasal. Die V. erschien gegen Ende des 15. Jh. zuerst in Spanien und wurde von dort aus vermutlich nach Italien eingeführt. Von Italien aus kam das Instrument nach Deutschland und vor allem nach England, wo es sehr schnell Verbreitung fand. Auch in Frankreich wurde die V. gespielt, erhielt aber erst die entscheidenden Anregungen durch den berühmten frz. Spieler A. Maugars, der sich einige Jahre am engl. Hof aufgehalten hatte. In Italien erschien 1542 die erste Abhandlung über die V. von Ganassi, und das Instrument erreichte bereits im 16.Jh. eine Blütezeit, wurde aber bald durch die Violine in den Hintergrund gedrängt. In England war die V. besonders in der 1. Hälfte des 17. Jh. außerordentlich beliebt. Diese Vorliebe für die V. als ř Consort- wie als Soloinstrument führte zu den engl. Entwicklungen der r Lyra Viol und der r Division Viol, die die gleiche Stimmung wie die BaßV., aber ein etwas kleineres Korpus hatte und ein sehr virtuoses Spiel erlaubte. Gegen Ende des 17.Jh. jedoch wurde die V. auch in England von der Violinenfamilie verdrängt. Am längsten hielt sich die V. in Deutschland und Frankreich. Als erste Instrumente der Familie wurden die Diskantund die Tenor-V. aufgegeben, während die Baß-V. noch bis ins 18. Jh. hinein in Gebrauch blieb. In Frankreich hatte nicht nur die Baß-V. begeisterte Anhänger, wie z. B. Hubert Le Blanc (Défense de
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la basse de viole contre les entreprises du violon et les prétentions du violoncell, 1740), sondern es entstanden auch Instrumente (z. B. Quinton), die wenigstens für einen Teil der Violinliteratur geeignet waren. Diese Bemühungen hatten jedoch keinen bleibenden Erfolg, und so wurden im 18. Jh. zahlreiche Instrumente in Violoncelli umgebaut. Bereits Ende des 19. Jh. versuchte A. Dolmetsch durch Nachbauten alter Instrumente die für V. komponierte Musik wieder aufzuführen. Seither, in den letzten Jahren zunehmend, wächst das Interesse für die V. ständig. Von den Initiatoren dieser Bewegung sind neben A. und N. Dolmetsch u. a. vor allem Chr. Döbereiner, A. Wenzinger, Johannes Koch und Wieland Kuijken zu nennen. Musik für Viola da gamba. Im 16. Jh. bestehen die Kompositionen für V. im wesentlichen aus Stükken für Violen-Ensemble. Neben den Ricercari von A. Willaert und V. Galilei, den Fantasien von Cl. Le Jeune und E. Du Caurroy, die auch auf anderen Instrumenten gespielt werden können, gibt es vor allem zahlreiche engl. Werke, die für diese Besetzung geschrieben wurden (r Consort). Die Brownings, / In nomine-Kompositionen und English fancies von W. Byrd, M. East, A. Ferrabosco, G. Coperario, O. Gibbons, T. Hume sind ausdrücklich für die V. bestimmt. Im 17. Jh. wurde diese Art von Musik vervollkommnet und durch die Fantasien von W. Laves, M. Locke und vor allem durch H. Purcell bereichert. Auch in Italien und in Spanien sind schon seit dem 16. Jh. solistische Werke für V. entstanden. In den Ricercari vermitteln Ganassi und D. Ortiz die Kunst der Di-
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minution und Improvisation; die wenigen überlieferten it. Werke sind Improvisationsstücke. Die engl. r Divisions des 17. Jh. sind gleichfalls Improvisationen „ex tempore" über einen gegebenen Baß. Dazu zählen Kompositionen von J. Jenkins, Thomas Lupo und vor allem von Chr. Simpson (The Division-violist, 1659). In Frankreich und Deutschland wurde diese Art von Musik weniger gepflegt. Im wesentlichen bestehen die Kompositionen für V. aus Suiten und Sonaten u. a. von D. Funck, J. G. Ahle, J. Schenk und insbesondere A. Kühnel, der die V. als Harmonieträger einsetzte und nicht nur als Melodieinstrument. Diese charakteristische Schreibweise findet sich gleichermaBen auch in Frankreich. Von Maugars und M. de Hoffmann, den ersten Virtuosen auf der V., sind keine Kompositionen überliefert, da sie sich vor allem der Kunst der Improvisation in Anlehnung an die Italiener widmeten (Maugars, Response faite à un curieux, 1639). Die Concerts à 2 violes égales von Sainte-Colombe legen ein Zeugnis über dessen Unterricht ab: Die 1. V. ist fast immer sehr melodisch und relativ einfach, während die 2. - wohl die Partie des Lehrers, der seinen Schüler begleitet - akkordisch angelegt und schwierig ist. Der bedeutendste Gambist des 17. Jh. ist zweifellos M. Marais. Aber auch Komponisten, die keine Gambisten waren, schrieben für die V.: so etwa D. Buxtehude (Sonate, obligat in einer Kantate), M.-A. Charpentier (Concert à quatre parties de violes ohne B.c.) und Fr. Couperin (2 Sonaten für V. mit B. c.). Ansonsten wurde die V. als Baß- bzw. B.c.-Instrument eingesetzt. Während die V. in England im 18. Jh. an Bedeutung verlor, erlebte sie in Deutschland eine neue Blüte, nunmehr jedoch vorwiegend als Melodieinstrument - ähnlich dem inzwischen bevorzugten Violoncello -, z. B. in den Werken von C. Fr. Abel, G. Ph. Telemann, G. Fr. Händel, J. S. und C. Ph. E. Bach. In Frankreich wurde allerdings zu Beginn des 18. Jh. noch an der spezifischen Schreibweise für die V. festgehalten. Neben Kompositionen von J. de Caix d'Hervelois, J. Bodin de Boismortier, M. Corrette und Roland Marais stellt das Werk von A. Forqueray den Höhepunkt des V.-Spiels dar. J. B. Forqueray vollendete die nicht zum Abschluß gebrachten Suiten seines Vaters und gab sie heraus (z. T. in Transkription für Cembalo). In der Folge, als Violine, Bratsche und Violoncello die V. verdrängten, behielt
sie noch eine Funktion im semantischen Bereich zum Ausdruck der Süße und des Schmerzes, wie z. B. in der Johannes- und Matthäuspassion und in einigen Kantaten (BWV 198, 205) von J. S. Bach. Zu neuer Bedeutung gelangte die V. erst wieder im 20. Jh.: so z. B. bei Gerald Bennett (Studie), David 279
Viola d'amore Loeb (Canzona fantasia quasi sarabanda; Chaconne; Fantasia a due scherzi), C. Beck (Dialog), Joseph Haselbach (Mironton), R. Vuataz (Partita), Peter Benary (Kleine Kammermusik), J. Fr. Zbinden (Sonate en trio), R. Kelterborn (Inventionen und Intermezzi), Z. Durkó (Iconographia) und M. Pinchard (Tombeau de M. Marais). Einige dieser Werke wurden für A. Wenzinger und Hannelore Müller aus Basel geschrieben. Andere Solisten
haben mit ihrer Arbeit gleichfalls zur Wiederbelebung der V. beigetragen, darunter auch N. Harnoncourt. Schulen für V. schrieben u. a. P. Grümmer, Chr. Döbereiner, Wenzinger. 2) In der Orgel Bz. für eine offene, zylindrisch gebaute Labialstimme. Die V. ist der Hauptvertreter des r Streicherchores und wird meist in 8'-, seltener in 16'- oder 4'-Lage gebaut. Charakteristikum ist eine scharfe, schneidende Klangfarbe. Die V. findet sich schon im dt. Orgelbau des 17. Jh.; im 18. Jh. u. a. als Spitzflöte (G. Silbermann). Lit.: A. EINSTEIN, Zur dt. Lit. für V. im 16. u. 17. Jh. (1905) ( BIMG I1/1); CH. DÖBEREINER, Über die V. u. ihre Verwendung bei J. S. Bach, in: Bach-Jb. 8 (1911); E. VAN DER STRAETEN, The History of the Violoncello, the V., their Precursors and Collateral Instruments (Lo 1915, Nachdr. 1971); G. HAYES, Musical Instruments and their Music, II: The Viols ... (Lo 1930); S. BACHER, Die V. (Kas 1932); R. ERAS, Über das Verhältnis zw. Stimmung u. Spieltechnik bei Streichinstrumenten in Da-gamba-Haltung(Diss. L 1958); F. LESURE, Une querelle sur le jeu de la viole en 1688, J. Rousseau contre Demachy, in: RMie 46 (1960); Y. GÉRARD, Notes sur la fabrication de la viole et la manière d'en jouer ..., in: Rech. Mus. 2 (1961/62); N. DOLMETSCH, The V., Its Origin and History, lu Technic and Musical Resources (Lo — NY 1962); S. MILLIOT, Réflexions et recherches à propos de la v. et du violoncelle en France, in: Rech. Mus. 4 (1964); A. BERNER, Viola, in: MGG XIII; H. BOL, La basse de viole du temps de M. Marais et d'A. Forqueray (Bilthoven 1973) (— Utrechts Bijáragen tot de Muziekwetenschap 7); 1. HARWOOD, An Introduction to Renaissance Viols, in: Early Music 2 (1974); C. A. MONSON, Voices and Viols in England 1600-1650. The Sources and the Music (1974) (~ Diss. Univ. of California); N. HARDERS, Die V. u. Besonderheiten ihrer Bauweise (F 1977) (= Das Musikinstr. 17); J. RUTLEDGE, How Did the V. Sound?, in: Early Music 7 (1979); I. WOODFIELD — L. ROBINSON, Viol, in: Grove6 XIX (mit Verz. der Quellen für Bau und Spielweise des 16.-18. Jh.). M. BRÖCKER — M. F. BLOCH
VIOLA D'AMORE (it.; frz.: viole d'amour), ein Streichinstrument, dessen Korpus meist die Baumerkmale der 7 Viola da gamba, in selteneren Fällen jedoch auch Abweichungen in geschwungener Form aufweist. Die Schallöcher sind flammenförmig, zusätzlich ist eine Rosette eingelegt. Die Korpuslänge schwankt zwischen 35 und 43 cm, die Zargenhöhe zwischen 4 und 7 cm. Die Besaitung besteht aus 7 (seltener 6) Spielsaiten und 7 (bei der Sonderform des Englisch Violett 14-20) Aliquotsaiten, die (neben dem Saitenhalterknopf an eigenen Pflöckchen oder Nägeln beginnend) unter
weiter unter dem Griffbrett und in dem kräftigen Hals durchlaufen. Sie führen auf der Unterseite des Wirbelkastens vorbei und sind an dessen äußerem Ende auf eigene Wirbel gespannt. Beim Spielen schwingen sie mit und verleihen der V. einen hellen und silbrigen, lieblichen Klang. Während die oberen Saiten heute in der Regel im D-Dur- (d moll-) Akkord, A, d, a, d', fis' (P), a', d2 gestimmt werden, waren früher sehr unterschiedliche Stimmungen üblich. Die Aliquotsaiten werden unisono mit den Spielsaiten oder chromatisch dazwischen gestimmt. Der Ursprung der V. ist in England zu suchen, wo sie sich unter dem Einfluß orientalischer Instrumente mit Resonanzsaiten entwickelt haben dürfte, die durch den Kolonialhandel importiert worden waren. Während schon M. Praetorius 1619 England als Ursprungsland der Instrumente mit Aliquotsaiten angibt, stammt die erste Erwähnung der V. aus John Evelyns Tagebuch von 1679; 1687 erscheint sie in J. Rousseaus Traité de la viole und, im selben Jahr, in D. Speers Grundrichtigem ... Unterricht der musikalischen Kunst. Die Erhöhung der Spielsaitenzahl auf 7 schreibt J. P. Eisel 1738 den Italienern zu. Im Laufe des 18. Jh. findet die V. eine große Verbreitung, die im Auftreten der reisenden Virtuosen A. Ariosti, Ritter von Esser und C. Stamitz ihren Höhepunkt erfährt. Mit Stamitz' Tod verschwindet das Instrument und findet erst seit dem Beginn des 20. Jh. wieder größere Verbreitung, vor allem durch das Eintreten von Louis van Waefelghem, H. Casadesus und P. Hin-
dem Saitenhalter, durch kleine Löcher im Steg,
demith.
280
Viola tenore Werke für V. schrieben Ariosti (6 Lezioni, 1728), A. Vivaldi (8 Konzerte), J. S. Bach (obligat in den Kantaten BWV 152 und 205 und in der Johannespassion), G. Ph. Telemann (1 Konzert, Kantaten, Sonaten), Chr. Graupner (7 Konzerte, Triosonaten, Kantaten), Fr. Benda, Fl. Gaßmann, Fr. A. Hoffmeister, P. Locatelli, J. J. Quanti, Fr. W. Rust, C. Stamitz (3 Konzerte, 2 Sonaten). Im 19. Jh. wurde die V. öfters mit Soli in Opern betraut, u. a. bei G. Charpentier, G. Donizetti, W. Kienzl, J. Massenet, G. Meyerbeer (Les Huguenots), H. Pf tzner und G. Puccini (Madama Butterfly), während im 20. Jh. Komponisten wie J. N. David, G. F. Ghedini, Hindemith (Sonate op. 25 Nr. 2; Kammermusik Nr. 7, op. 46), L. Janacek, Ch. M. Loeffler (La mort de Titangiles), Fr. Martin (Sonata da chiesa) und O. G. Blarr (Thrěnos II) als Kammermusik-Instrument einsetzten. Lit.: W. ALTMANN — W. BORISSOWSKY, Lit.-Ver. für Bratsche u. V. (Wb 1937); W. E. KÖHLER, Beitrag zur Gesch. u. Lit. der V. (Diss. B 1938); K. STUMPF, Neue Schule für V. (W 1957); K. GOFFERJE, Ariostis Lezioni für die V., in: DJbMw 6 (1961); J. H. VAN DER MEER, Zur Frühgesch. der V., in: Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972 (Kop 1974); P. HINDEMITH, Über die V. (1937), in: Hindemith-Jb. 4 (1974/75). M. ROSENBLUM, Contributions to the History and Literature of the V. A Translation and Expansion of W. E. Köhleřs Beitr. z. Gesch. u. Lit. der V. (1976) (— Diss. New York Univ.); H. DANKS, The V. (Halesowen 1976, 2 1979). U. DRONER
VIOLA DA SPALLA (it., = Schultergeige), ein Instrument der / Viola da braccio-Familie in Tenor-Baß-Lage. Die V. war lediglich im 17. und frühen 18. Jh. verbreitet. Nach J. Mattheson (1713), J. F. B. C. Majer (1732), J. P. Eisel (1738) und J. G. Walther (1732) wurde sie mit einem Band an der Brust befestigt und wie ein r Violoncello gestimmt. Sie gilt als Vorläufer der ř Viola pomposa. VIOLA DI BARDONE . Baryton. VIOLA DI FAGOTTO r Fagottgeige. VIOLA POMPOSA, ein 5saitiges Streichinstrument in Tenor-Baß-Lage und der Stimmung C G d a e'. Die V. entspricht den verkleinerten Maßen und der Form des Violoncellos. Die Gesamtlänge beträgt etwa 75 cm, die Korpuslänge 45-47 cm, die Mensur etwa 42 cm und die Zargenhöhe 6-9 cm. Die Erfindung dieses Instruments wird seit J. N. Forkel (Musikal. Almanach für Deutschland 1782) und E. L. Gerber (Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler, 1790-92) J. S. Bach zugeschrieben, der den Geigenbauer J. Chr. Hoffmann 1724 mit dem Bau dieses Instruments beauftragt haben soll, um die Ausführung schwerer instrumentaler Tenor-Partien (die die damals noch we-
nig entwickelte Violoncello-Technik nicht gestattete) zu ermöglichen. Bei der Entwicklung der V. konnte Bach auf ähnliche Instrumente zurückgreifen, die schon vorher existierten: die z Fagottgeige und die .Viola da spalla. Bachs Neuerung ist demnach nur die Hinzufügung der 5. Saite. Da sich in Bachs Werken jedoch nirgends der Name V. finden läßt, hingegen ein Violoncello piccolo oft für obligate Instrumentalstimmen in Kantaten (u. a. BWV 6, 41, 183) verwendet wird, wurden Forkels und Gerbers Angaben bezweifelt. Die Tatsache aber, daß diese Violoncello piccolo-Stimmen sich in Bachs Hss. im Stimmheft des Soloviolinisten befinden, scheint zu beweisen, daß Bachs Violoncello piccolo auf dem Arm gespielt wurde und mit Forkel-Gerbers V. identisch ist. Die V. war in Deutschland und Böhmen bis gegen Ende des 18. Jh. verbreitet und kommt außer bei Bach noch in Kompositionen von J. G. Graun, Johann Gottlieb Janitsch, Christian Joseph Lidarti und G. Ph. Telemann vor. Lit.: E. T. ARNOLD, Die V., in: ZfMw 13 (1930/31) — 14 (1931/32); F. GALPIN, V., in: ML 12 (1931); H. ENGEL, Zur Lit. für die V., in: ZfMw 14 (1931/32), vgl. F. GALPIN, in: ebd., vgl. G. KINSKY, in: ebd.; H. HUSMANN, Die V., in: Bach-Jb. 33 (1936); H. BESSELER, Zum Problem der Tenorgeige (Hei 1949). U. DRONER
VIOLA TENORE. - 1) Im 17. und frühen 18. Jh. eine größere Bratsche mit 44-48 cm Korpuslänge (gegenüber normalerweise 39-42 cm) und oft auch etwas höheren Zargen. Im meist 5stimmigen Streichersatz jener Zeit war der V. die 4. Stimme zugedacht, der sie, bei gleicher Stimmung wie die r Viola (c g d' a'), dank des erheblich größeren Korpus die nötige Klangfülle zu geben vermochte. Diese Stimme wurde im Alt- oder Tenorschlüssel notiert. Die Praxis einer ausgesprochen tiefliegenden 2. Violastimme im geteilten Bratschensatz hat sich bis zu J. S. Bach (BWV 12 und 18), G. Fr. Händel und G. Ph. Telemann erhalten. In Frankreich wurde die Partie der V. als r Quinte (de violon) bezeichnet; dieser Terminus taucht später noch gelegentlich bis ins letzte Viertel des 18. Jh. auf, allerdings zur Bz. der gewöhnlichen Bratsche, bevor er gänzlich durch die Bz. Alto (bzw. alto viola) ersetzt wurde. Erhaltene Exemplare der V. sind heute äußerst selten, da viele von ihnen, vor allem die von Gasparo da Salò und aus der Werkstatt der Amati, zur Zeit der Reduzierung des Streichersatzes von 5 auf 4 Stimmen verkürzt worden sind. Das bekannteste Instrument dieser Art ist die Viola medicea von A. Stradivari von 1690 (Korpuslänge 47,8 cm; Zargenhöhe 4,3 cm). - 2) 1905 bezeichnete Hermann Ritter in seiner Neuordnung des Streichquartetts (die sich freilich nicht durchsetzen 281
Violetta konnte) das 3. Instrument als V. bzw. Tenorgeige; die übrigen waren Violine, r Viola alta und Viola
bassa. Ritters V. hatte doppelte Violinmensur (Korpuslänge 71 cm, Zargenhöhe 6,2 cm) und wurde dementsprechend eine Oktave tiefer als die Violine gestimmt. Als einziger bekannterer Komponist hat S. Tanejew 1911 dieses Instrument in seinem Trio op. 31 für Violine, Bratsche und V. berücksichtigt. Lit.: Zu 1): H. BESSELER, Zum Problem der Tenorgeige (Hei 1949); D. D. BOYDEN, The Tenor Violin, in: FS O. E. Deutsch U. DRONER (Kas 1963).
VIOLETTA, ein kleines Streichinstrument in AltLage. Die Bz. V. wurde in verschiedener Bedeutung verwendet: Bei M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) ist die V. picciola das höchste Instrument der Viola da gamba-Familie mit a' als höchster Saite. Im 18. Jh. kommt der Name V. wechselweise als kleine Gambe oder kleine AltViola da braccio vor; in der sehr häufigen Besetzung „Due Violini, V. e Basso" (spätes 18. Jh.) ist V. jedoch als Bratsche zu betrachten. Die V. all'inglese (Englisch Violett) ist eine größere Viola d'amore mit 7 Spiel- und 14 Resonanzsaiten. Die V. marina, die G. Fr. Händel in der Oper Orlando (1732/33) vorschreibt („per le Signori Castrucci"), wird allgemein als eine Art Viola d'amore oder Englisch Violett verstanden. VIOLINE (Diminutiv von Viola; engl.: violin; frz.: violon; it.: violino; span.: violin; dt. auch řGeige), Bz. für das Diskantinstrument der r Viola da braccio-Familie, zugleich das wichtigste Streichinstrument der abendländischen Kunstmusik. Die V. ist aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt. Das Korpus besteht aus einem gewölbten Boden und einer ebenfalls gewölbten Decke, beide mit Hohlkehle, die durch Zargen verbunden sind. Die Decke, in die 2 f-förmige Schallöcher geschnitten sind, besteht meist aus Fichtenholz, Zargen und Boden aus Ahorn. Decke und Boden werden in der Regel aus 2 Einzelteilen längs zusammengeleimt und stehen leicht über die Zargen hinaus. Die Zargen werden aus 6, über heißem Metall gebogenen Einzelteilen zusammengesetzt und mit Klötzen verbunden. Durch den Unterklotz, in dem auch der Knopf zur Befestigung des Saitenhalters sitzt, werden die beiden Zargenteile des Unterbügels, durch die 4 Eckklötze die Zargenteile des Mittelbügels mit denen des Unter- und Oberbügels verbunden. Die Zargen des Oberbügels sind am Oberklotz, dem Bindeglied zwischen Hals und Korpus, befestigt. Der Hals mit dem Griffbrett endet in einem Wirbelkasten mit 4 seitenständigen 282
Wirbeln und der abschließenden Schnecke. Saitenhalter, Griffbrett und Wirbel sind gewöhnlich aus Ebenholz gefertigt. Die schwingende Länge der vom Saitenhalter über einen Steg auf der Decke zu den Wirbeln gezogenen Saiten ist begrenzt vom Steg und vom ř Sattel am oberen Ende des Griffbretts. Im Innern des Korpus steht an der Seite des Steges, an der die höchste Saite aufliegt, zwischen Decke und Boden der r Stimmstock. Unter dem anderen Fuß des Steges ist längs der sich nach beiden Enden zu verjüngende r Baßbalken unter die Decke geleimt. Baßbalken und Stimmstock haben akustische wie statische Funktion. Die 4 Saiten der V. mit der Stimmung g d' a' e2 bestehen heute manchmal aus Kunststoff; früher wurde Darm, seit dem 18. Jh. für die G- und seit einigen Jahrzehnten auch für die D- und A-Saite (metall-)umsponnener Darm verwendet, für die E-Saite jedoch meist Stahl. Die Stahlsaiten bedingten - der besseren Einstimmung wegen - eine die t Wirbel-Funktion ergänzende Verwendung des sog. Feinstimmers am Saitenhalter. Die V. hat sich zunächst mit nur 3 Saiten vermutlich im 2. Viertel des 16. Jh. aus verschiedenen Streichinstrumenten entwickelt. Sie besaß in ihrer Frühform vor allem Elemente des Rebec (bundloses Griffbrett, 3 Saiten in Quintstimmung, seitenständige Wirbel in einem Wirbelkasten) und Merkmale der Lira da braccio (Korpusform, abgesetzter Hals und f-Löcher). Einzelne charakteristische Merkmale der späteren V. (wie Schnecke, Viersaitigkeit, Wölbung und Hohlkehle sowie Randüberstand von Decke und Boden) lassen sich bereits in Darstellungen des ausgehenden 15. Jh. nachweisen. Obwohl die Bz. V. zuerst in frz. Quellen erscheint, entstand das Instrument selbst wohl in Oberitalien. Die V. wurde vermutlich nicht als Sopraninstrument eines bereits vorhandenen Altinstruments (der Viola da braccio) entwickelt, sondern es ist wahrscheinlicher, daß die ganze Familie mit Diskant-, Alt- und Baßinstrument ungefähr zur gleichen Zeit entstand, denn alle 3 Instrumente stellte bereits Gaudenzio Ferrari 1535/36 auf einem Fresko im Dom zu Saronno (bei Mailand) dar. Um 1550 erhöhte sich die Anzahl der Saiten auf 4, die in Quintstimmung erstmals von Ph. Jambe de Fer (Épitome musical, Ly 1556) erwähnt werden. Zu den frühesten erhaltenen Instrumenten gehören V.n von Gasparo da Sale. (Brescia) und A. Amati (Cremona), auf den die klassische Form der V. zurückgeht. Ihre idealen, bis heute eingehaltenen Korpusmaße fand 1713 A. Stradivari (r Geigenbauer), dessen Instrumente jedoch wie die meisten älteren V.n in anderen Teilen gegen 1800 umgebaut wurden. Die Saiten erhielten
Violine
Schnecke Wirbelkasten
•
.
-
Wirbel Sattel
VIOLINE
Decke
Mittelbagel f -Lâcher, Schalllöcher
Steg
Saitenhalter Knopf
eine höhere Spannung und wurden länger, so daß Hals und Griffbrett ebenfalls verlängert werden mußten. Wegen des gleichfalls erhöhten und stärker gewölbten Steges änderte sich der Winkel der Saiten über dem Griffbrett, weshalb Hals und Griffbrett eine Neigung nach rückwärts erhielten. Zusätzlich mußte wegen des nun stärkeren Drukkes, den der Steg auf die Decke ausübte, der Baßbalken verstärkt werden. Die V. wurde bis um 1750 in sehr unterschiedlicher Haltung gespielt. Man hielt sie waagerecht, leicht abwärts geneigt oder fast senkrecht gegen Brust oder Schulter, manchmal auch gegen den Hals gestützt. Im 18. Jh. benutzte man zunehmend auch das Kinn zum Festhalten des Instruments, meistens aber rechts vom Saitenhalter, während heute das Kinn links vom Saitenhalter auf einen aufgesetzten Kinnhalter gestützt ist. Dieser wurde jedoch erst von L. Spohr (1820) erfunden. Bis zur endgültigen Herausbildung des modernen r Bogens durch Fr. Tourte um 1785 wurden sehr unterschiedliche Bögen benutzt. Neben dem Legato-, Spiccato- und Staccato-Spiel ist auch schon früh das Pizzicato mit der rechten Hand nachzuweisen. Der Klang der V. verändert sich durch das Aufsetzen eines r Dämpfers, andere Möglichkeiten sind das Anstreichen der Saiten nahe dem Steg (OE sul ponticello) oder das Streichen bzw. Klopfen der Saiten mit dem Holz des Bogens (OE col legno). Da nahezu alle alten V.n, den späteren Anforderungen entsprechend, umgebaut wurden, läßt sich auf ihnen wie auf den modernen V.n die Musik aus der
Zeit vor 1800 kaum spielen. Daher werden (vereinzelt bereits seit etwa 1930) in neuerer Zeit immer häufiger auch wieder V.n mit alten Mensuren geM. BRÖCKER baut. Musik für Violine. Die Entwicklung einer spezifischen Musik für V. liegt anfangs bei den ausübenden Geigern. Nach Ausbildung der V. in ihrer endgültigen Form und als Familie Mitte des 16. Jh. wird sie vorerst als Ensembleinstrument verwendet - sowohl im Homogenklang (z. B. die 24 Violons du Roi) als auch im Spaltklang (etwa der engl. Consorts). Als Literatur dienten die Balletti, Kanzonen und Fantasien, die nur ein allgemeines Gerüst zum „Spielen auf allerhand Instrumenten" gaben. Hier wie auch bei der Mitwirkung in den groBen, gemischt besetzten Kirchenwerken ist die Ausbildung eines spezifischen Violinstils durch improvisierte Auszierung vorauszusetzen. Sicher wurden die größeren dynamischen Schattierungsmöglichkeiten gegenüber anderen Instrumentenfamilien, der große Tonumfang, die rasche Beweglichkeit wie auch die Ausdrucksfähigkeit gehaltener Töne in Imitation der Vox humana ausgenützt. Anregungen zur Diminutionstechnik gibt G. Bassano 1585 in der Fantasia per cantar e sonar con ogni sorte d'istrumenti; R. Rognoni erwähnt in seinen Passaggi per potersi esercitare nel diminuire (1592) ausdrücklich auch die Armviole. Sicher wurden ähnlich der Gamben- und Lira da braccio-Technik Doppelgriffe und einfachste Akkorde improvisiert. Schon bei L. Zacconi wird 1592 auf den Lagenwechsel hingewiesen. Ausdrücklich die V. fordern erstmals L. Marenzio in einem 5st. Satz und G. Gabrieli in der Sonate „con tre Violini", in der die V. c3 als höchsten Ton erreicht. Mit Cl. Monteverdi beginnt die lange Reihe von Musikern des 17.-19. Jh., die Berufsgeiger und hervorragende Komponisten waren; je nach ihrer Begabung trat die eine oder andere Komponente stärker hervor. Bei Monteverdi wird die V. u. a. im Orfeo und in der Marienvesper bis zum P hinaufgeführt, und in II combattimento di Tancredi et Clorinda verlangt er Tremolo, Pizzicato, forte, piano und morendo. Durch ihn wird die Violinfamilie zum eigentlichen Grundstock des Orchesters. Als erste Solostücke sind die Sonate per istrumenti von A. und G. P. Cima (1610) anzusehen. B. Marini verwendet in seinem op. 8 häufig Doppelgriffe und die Scordatura. Bei ihm tritt erstmals das Problem der Darstellung von Polyphonie auf: die Notation diente dem Auge. Er nützt bereits den ganzen Umfang der V. nach unten aus. G. B. Buonamente ist formgeschichtlich durch den Aufbau verschiedener Tanzsätze zur Suite in seinen op. 4 und 5 interessant. C. Farina verlangt be283
Violine reits Portamento und Glissando. Das Capriccio stravagante aus op. 2 versucht humoristische Nachahmung anderer Instrumente, aber auch von Tierlauten. In Deutschland entwickelt sich ein eigener Stil. Violintabulaturen wie jene von 1613 im Germanischen Museum Nürnberg bringen die Tänze und Liedsätze mit variierter Wiederholung. Die dt. Sololiteratur des 17. Jh. ist im Doppelgriffspiel und der Verwendung hoher Lagen virtuoser als die italienische. D. Cramer bietet in seinen Allerhand musikalischen Stücken (1631) Affektstudien: „Melancholia", „Patientia" usw. Einen Sextentriller - die komplizierte rasche Bewegung des ersten Fingers zwischen 2 Saiten - fordert 1646 J. Schop. J. Rosenmüller ist für die formale Entwicklung der Triosonate in Deutschland wichtig. Mehrstimmige Sonaten mit konzertierender V. schrieb J. K. Kerll ; J. H. Schmelzer stellt der V. große technische Aufgaben in seinen Sonatae unarum l dium (1664); in seinen 4-5st. Sonaten ist die V. konzertant den anderen Instrumenten gegenübergestellt. Der interessanteste Geiger-Komponist dieser Zeit ist H. I. Fr. Biber mit den Mysterien-Sonaten (um 1674), von denen jede programmatischen Inhalt hat und eine andere Scordatur erfordert, mit den 8 großen Violinsonaten von 1681 und den 3st. Suiten Harmonia artif ciosaariosa. Seine Passacaglia für V. allein ist das bedeutendste Werk dieser Art vor J. S. Bach. Der Hortulus chelicus (1688) von J. J. Walther zeigt eine Fülle neuer technischer Einfälle : Serenata a un coro di violini, organo tremolante, chitarrino, piva, due trombe e timpani, lira tedesca ed arpa smorzata per un violino solo. J. P. von Westhoff läßt in seinen Suites pour le violon sans basse (1683) Bachs Werk vorausahnen. In Frankreich blieb der Violinstil lange Zeit technisch recht bescheiden. Seit 1626 spielten die 24 Violons du Roi als 5st. Streichorchester. 1646 kam J.-B. Lully nach Paris und wurde Hauptrepräsentant des frz. Violinstils. Die ersten namhaften engl. GeigerKomponisten waren D. Mell und Th. Baltzar. N. Matteis wurde Wegbereiter des it. Violinstils in England. Von ihm und seinem Sohn N. Matteis sind Soli senza basso gedruckt. H. Purcell schrieb Triosonaten im it. Stil, aber die Fantasien können ebensogut der Violinliteratur wie der für Gambe zugezählt werden. Die Entwicklung führt in Italien zu einer formalen und technischen Abrundung des Violinstils (G. B. Vitali, G. Legrenzi, C. A. Lonati u. a.). Hauptmeister ist A. Corelli. Sein Werk, das größten Einfluß auf die Musik für V. des 18. Jh. hatte, teilt sich in 24 Sonate da chiesa a tre (op. 1 u. 3), 24 Sonate da camera (op. 2 u. 4), 12 Sonate a Violino e Violone o Cimbalo (op. 5) und 12 Con284
certi grossi (op. 6). Corelli gab den kompositorischen Bestrebungen seiner Zeit klassische Formung. Der Sonatenzyklus und die Concerto grosso-Form in Gegenüberstellung von Solo-Trio und Tutti sind wohl seine persönlichste Leistung. Sein Werk fand unzählige Nachahmer. In den Concerti con un violino, che concerta solo op. 8 von G. Torelli löst sich die erste Solo-V. aus dem Concertino heraus, womit sie zum Vorbild für alle späteren Solokonzerte wurden. Ein umfangreiches Opus an Konzerten, Trio- und Solosonaten hinterließen T. Albinoni, G. Valentini und A. Scarlatti. In Oberitalien war A. Vivaldi die überragende Persönlichkeit. Seine Kompositionen sind technisch interessant und oft zugleich höchst poetisch. Der klare Wechsel von Solo und Tutti-Abschnitten wurde als Vivaldische Konzertform viel kopiert. Unter seinen Konzerten sind Le quattro stagioni, La tempesta di mare, La caccia (alle aus op. 8, 1725) besonders berühmt, ebenso die Konzerte des op. 9 (La cetra, 1728); unter den vielen Sonaten die Sonaten in A- und D-Dur. Weitere bedeutende Komponisten sind : A. Marcello (Concerti grossi und Solosonaten), C. Tessarini (Konzerte, Trio- u. Solosonaten; die Violinschule Gramatica di musica), Fr. A. Bonporti (Inventioni da camera op. 10, 1712 ; Concertini e serenate per violino e basso, op. 12). P. A. Locatelli streut in sein op. 3; L'arte del violino (1733), das 12 Konzerte enthält, 24 thematisch dazugehörige Capricen ein, die zum Schwersten zählen, was vor N. Paganini geschrieben worden ist. Einer der glanzvollsten Geiger, Fr. M. Veracini, veröffentlichte Sonaten op. 1 und 2 in einem eigenwilligen Stil. Das Violinkonzert von 1717 gehört zu den größten jener Zeit. Wichtige Beiträge zur Violinmusik stammen von N. Porpora (Fugen in Doppel- und Tripelgriffen), G. B. Pergolesi, N. Jommelli, G. B. Somis und G. Pugnani. Das Werk G. Tartinis umfaßt etwa 135 Konzerte, 40 Triosonaten, 135 Sonaten mit B. c. und 30 ad lib. senza basso. Viele seiner Kompositionen tragen poetische Überschriften. Die „Teufelstrillersonate", die Didone abbandonata (op. 1/10) und L'arte del arco werden noch immer viel gespielt. P. Nardini, sein größter Schüler, vollzieht den Übergang zur Klassik. Seine frühen Konzerte und Sonaten von 1760 (darunter die berühmte in D-Dur) haben reichverzierte langsame Sätze und sind technisch sehr schwierig. Die späteren Konzerte (op. 1) und Sonaten (op. 2) sind bereits klassisch abgeklärt, seine Quartette herausragende Beispiele dieser Gattung. In Deutschland setzt im 18. Jh. J. A. Birckenstock mit 12 Sonate a violino solo (op. 1, 1722) die große Tradition des 17. Jh. fort. J. G. Pisendel, Schüler
Violine Torellis und Vivaldis, verlangt in seiner Solosonate a-moll größte Extensionen der linken Hand. Unter seinen Konzerten ist jenes in D-Dur formal besonders interessant. Daß J. S. Bach „bis in sein Alter die V. klar und durchdringend spielte", bestätigt sein Sohn Carl Philipp Emanuel. Neben den Violinkonzerten in E-Dur, a-moll und dem Doppelkonzert in d-moll verwenden auch die Brandenburgischen Konzerte Nr. 1-5 die V. solistisch. Weitere Konzerte mögen in den Cembalokonzerten umgearbeitet erhalten sein: das d-moll-Konzert (BWV 1052; es muß als Violinkonzert auch technisch zum Bedeutendsten der Zeit gezählt haben), das fmoll-Konzert (BWV 1056), das Doppelkonzert cmoll (ursprünglich wohl für V. u. Ob.) und das Tripelkonzert D-Dur. Die Sei soli a violino solo senza basso, um 1720 in Köthen entstanden, übertreffen an technischer Schwierigkeit alles, was davor komponiert wurde. Einer 4sätzigen Sonate mit Fuge im Stil der Corellischen Kirchensonaten folgt jeweils eine Partia mit einer Reihe von Tanzsätzen, darunter die große Ciaconna. Richtungweisend sind Bachs 6 Sonate a cembalo concertato e violino solo, die eine ideale Gleichwertigkeit zwischen beiden Instrumenten herstellen. Auch die vielen Violinsoli in den Vokalkompositionen (Kantaten, Passionen) sind musikalisch und technisch anregend. 3 große Sonaten mit B. c. und 2 Triosonaten mit Flöte (darunter die berühmte aus dem Musicalischen Opfer) runden das Violinwerk J. S. Bachs ab. G. Ph. Telemann hat 12 Fantasie per il violino senza basso geschaffen. Die ersten 6 der Sonate metodiche, op. 13 (1732), sind für V. und B. c.; sie stellen mit den Auszierungen der langsamen Einleitungssätze ein wichtiges didaktisches Werk dar. Die Sonaten in Kanonform, die Konzerte für 4 V. (senza basso) und das große Concerto F-Dur im „polnischen Stil" mit seiner durchbrochenen Instrumentation sind wichtige Beiträge zur Literatur. Von G. Fr. Händel stammen Sonaten, Triosonaten und Concerti grossi im it. Stil. Den bekannten 6 Sonaten in op. 1 sind mindestens noch 2 weitere in d- und g-moll zuzurechnen, als Flöten- bzw. Oboensonaten gedruckt, aber ursprünglich für die V. gedacht. Fr. Geminiani gab seine 12 Sonaten von 1716 in London 1739 nochmals in ausgezierter Fassung heraus. Interessant sind seine Bearbeitungen von Corellis Solo- und Triosonaten zu Concerti grossi, vor allem aber seine Violinschule. Der persönliche Stil C. Ph. E. Bachs gibt seinen Sonaten für V. und obligates Cembalo in c- und h-moll besonderes Gewicht. Auch seine Triosonaten und Streichersymphonien verdienen Beachtung. J. Stamitz schrieb Konzerte und Sonaten voll technischer Schwierigkeiten.
Frankreich bewahrte Anfang des 18. Jh. seine eigene Tradition. L. Francoeur verlangt in seinen Werken den Daumenaufsatz auf der Geige. Als Komponist ist sein Bruder Fr. Francoeur bedeutender. Fr. Couperin setzte sich in den Apothéoses de Corelli und de Lully mit dem Stilunterschied zwischen frz. und it. Geigern auseinander und strebte eine Synthese beider an. Gleiches verfolgte J.Ph. Rameau in seinem Opern- und Kammermusikschaffen. M. Corrette beschreibt die Stilunterschiede in seinen beiden Violinschulen L'École d'Orphée (1738) und L'art de se perfectionner (1740). J.-M. Leclair gelang es, in seinen zahlreichen Sonaten und Konzerten die beiden Stile glücklich zu verbinden. Sein berühmtestes Werk ist die Sonate Le tombeau. J.-J. Mondonville veröffentlichte als op. 4 Les sons harmoniques Sonaten mit Anwendung des natürlichen Flageoletts. Die Pieces de clavecin en sonates, avec accompagnement de violon op. 3 (1734) führen zur klassischen Violinsonate hin. P. Gaviniès komponierte die 24 matinées pour le violon. Mit seinen 6 Konzerten op. 4 ist er der Begründer des „Concerto héroïque". L. Mozart ist sowohl als Violinkomponist wie auch als Pädagoge zu nennen, dessen Versuch einer gründlichen Violinschule (1756) alles technische Wissen seiner Zeit in ein didaktisches System ordnet. W. A. Mozart erhielt 1762 seine erste V. und wurde schon 1769 2. Konzertmeister in Salzburg. Seine Violinkonzerte und Soli schrieb er in erster Linie für sich selbst: 1766 das Concertone für 2 V. (KV 166), 1775 die 5 Konzerte in B-Dur, D-Dur, G-Dur, D-Dur und A-Dur (KV 207, 211, 216, 218 und 219), 1776 die „Haffner"-Serenade (KV 248 b = 250) mit Solo-V. in 3 Sätzen, 1777 ein weiteres Konzert in D-Dur (KV 271 a = 271 i) sowie 1779 die reife Symphonie concertante Es-Dur für V. und Va. (KV 364), in der der Violapart in D-Dur notiert ist und das Instrument einen Halbton höher gestimmt wird (wie es Paganini bei der V. wiederholt hat). Virtuos sind auch die Divertimenti für Streicher und 2 Hörner F-Dur, B-Dur und D-Dur (KV 247, 287 und 334). Dazu kommen die zahlreichen Streicherkammermusikwerke vom Quintett bis zum Duo, die Klavierkammermusikwerke vom Quintett bis zur Sonate „mit Begleitung einer Violine". In allen seinen reifen Kammermusikwerken erreicht Mozart aber die schönste Gleichwertigkeit der Instrumente. J. Haydn hat in seinen vielen Quartetten, Klavier- und Streichtrios, Kassationen, Konzerten und Symphonien der Violintechnik in immer neuen Figuren neue Anregungen gegeben, vor allem aber den klassischen Quartettstil entwikkelt. Erhalten sind 3 Konzerte in C-Dur, G-Dur und A-Dur und das Konzert für V. und Klv. F-Dur. Ein 285
Violine reifes Meisterwerk der Spätzeit ist die Sinfonia concertante in B-Dur mit den Violinrezitativen des Finales. Als klassischer Geiger dominierte G. B. Viotti. Er ist nicht eigentlich Neuerer, sondern verbindet die Errungenschaften seiner Zeit zu einem geschlossenen Stil. Sein a-moll-Konzert Nr. 22 ist auch heute noch bekannt. Viottis Vorbild folgte R. Kreutzer; seine Études ou Caprices sind jedem Geiger ein Begriff, von seinen Konzerten ist am ehesten Nr. 19 (d-moll) bekannt. P. Rode war Schüler Viottis; seine Konzerte sind schön, Nr. 4 in A- und Nr. 6 in B-Dur werden noch im Studium gespielt, vor allem aber seine 24 Capricen durch alle Tonarten. Rodes und Kreutzers Stil beeinflußten selbst L. van Beethoven. Beethovens Konzert op. 61 verbindet als große Neuerung das Solokonzert mit dem symphonischen Stil. Weitere Solowerke sind die Romanzen G-Dur op. 40 und FDur op. 50 sowie das Tripelkonzert op. 56. Von den 10 Sonaten für V. sind die „Kreutzer"-Sonate op. 47 und die „Frühlings"-Sonate op. 24 am bekanntesten, wie bei den Klaviertrios das „GeisterTrio" op. 70/1 und das „Erzherzog Rudolph"Trio op. 97. Die Streichquartette öffnen in Aussage und Stil der Musik neue Wege. Neben den frühen Streichtrios darf das Septett op. 20 nicht vergessen werden, das ein kleines Konzert für V. darstellt. Die Inkarnation des Virtuosen stellt N. Paganini dar: er verkörpert noch den Geiger-Komponisten, der fast ausschließlich eigene Werke vorträgt, was im 19. Jh. allmählich als Einseitigkeit empfunden wird, während es im 17./18. Jh. selbstverständlich war. Mit dem Spiel auf einer Saite (Mosè-Variationen), Doppelflageoletts, Pizzicati der linken Hand in schnellsten Passagen, rapiden Doppelgriffläufen und weiten Streckgriffen sowie vollendeter Bogentechnik führt Paganini die Geigentechnik zur Vollendung. Seinen Einfallsreichtum beweisen die 24 Capricci per violino solo, op. 1, die Sonaten op. 2 u. 3 für V. und Gitarre (deren berühmteste Nr. 12, e-moll, ist), die Variationen Le streghe, I palpiti, das Moto perpetuo und die Violinkonzerte. Paganinis Einfluß auf seine Zeitgenossen war überaus groß - er zeigt sich auch bei großen Komponisten wie Fr. Schubert, R. Schumann und Fr. Liszt. In Deutschland und England gewann auch L. Spohr als Geiger und Komponist große Bedeutung. Von seinen Kompositionen für V. blieben das Konzert Nr. 8 In modo di scena cantante, op. 47 (1816), das Nonett und die Doppelquartette lebendig. Er verfaßte eine wichtige Violinschule (1832). Spohrs Schüler Ferdinand David griff in der Hohen Schule des Violinspiels auf barocke Kompositionen zurück, wenn auch in 286
einer der Romantik angepaßten Bearbeitung. Er wurde damit zum ersten Wiederbeleber älterer Musik unter den Geigern. Schubert schrieb 2 Konzertstücke für V. in D-Dur und A-Dur. Seine Kammermusik mit Streichern stellt einen Schwerpunkt in seinem Schaffen dar: das Streichquintett C-Dur, das Klavierquintett A-Dur („Forellenquintett"), die Streichquartette (insbesondere a-moll, d-moll, G-Dur, Quartettsatz c-moll) und seine beiden Klaviertrios B- und Es-Dur. Unter den Werken für V. und Klv. ragen die Fantasie C-Dur, die A-Dur-Sonate und das Rondo brillant h-moll durch virtuose Geigenbehandlung hervor; volkstümlich sind vor allem die 3 kleinen Sonaten op. 137. Im Oktett schuf er ein wichtiges Gegenstück zu Beethovens Septett. Das 19. Jh. zeitigt die Zweiteilung von Komponisten und Interpreten der Violine. Die Mehrzahl großer Komponisten des 17./18. Jh. war geigerisch ausgebildet. Schon bei Beethoven und Schubert zeigt sich der Trend zum Tasteninstrument, während z. B. Bach oder Mozart noch gleicherweise auf beiden Instrumenten spielten. Neben den großen Geniewerken des 19. Jh. bleiben die Werke der Geiger-Komponisten zurück. Dazu gehören Ch. A. de Bériot - durch seine Konzerte und die Scène de ballet den Geigern noch bekannt - und H. Vieuxtemps, sein bedeutender Schüler (Vieuxtemps' Ballade et polonaise wird gleichwohl noch immer gerne gespielt). Auch die Kompositionen von H. Wieniawski, J. Joachim und vieler anderer teilen dieses Schicksal, sie mögen geigerisch noch so brillant und kompositorisch gediegen gearbeitet sein. Vielleicht werden die Six sonates pour violon seul, op. 27 (1924) von E. Ysaye überdauern. Eine Ausnahmestellung nimmt P. Sarasates Schaffen ein, das in seinen Spanischen Tänzen und den Zigeunerweisen op. 20 (1878) die Faszinationskraft dieses größten Virtuosen nach Paganini widerspiegelt. Zeitweilig großen Erfolg hatten die Kompositionen Fr. Kreislers, sein Caprice viennois, Liebesfreud, Liebesleid und seine genialen Fälschungen wie Präludium und Allegro von Pugnani. Die großen Impulse für die Musik für V. kamen aber aus einer ganz anderen Richtung: Seit Paganini und unter dem Eindruck, daß auf der V. alles möglich sei, schrieben Komponisten, die selbst nicht Geiger waren, ungewohnte, oft schwer ausführbare Passagen und gaben so neue Anregungen. Dies gilt für die Orchesterliteratur - etwa C. M. von Webers, R. Wagners, R. Strauss', I. Strawinskys - wie für die Kammermusik und die Konzertliteratur. Die großen Konzerte sind nun Symphonien mit obligater V. und entstehen auf
Violine Anregung und in Zusammenarbeit mit einem Geiger, aber keines mehr von einem Geiger selbst. Diese Entwicklung, die mit dem Violinkonzert Beethovens einsetzt, führt über F. Mendelssohn Bartholdy (1845), Schumann (Fantasie op. 131 und Konzert d-moll, 1853), M. Bruch (1866), P. Tschaikowsky (1878), A. Dvořák (1883), J. Brahms (1887, Doppelkonzert 1888) bis in das 20. Jh. zu J. Sibelius (1905), M. Reger (1908), A. Berg (1935), B. Bartók (1938) und E. Wellesz (1962). Nur in P. Hindemith findet sich wieder ein komponierender Geiger, und in der jüngeren Generation gibt es so manchen, der sich seine Kompositionen auf den Leib schreibt, wie Fr. Cerha. Neben den großen Standardwerken ist noch eine Reihe fast ebenso bedeutender Konzerte und Konzertstücke anzuführen: E. Lalo (Symphonie espagnole, op. 21, 1873), R. Strauss (op. 8, 1882), E. Chausson (Poème, op. 25, 1896), C. Saint-Saëns (Konzert h-moll), A. Glasunow (op. 82a, 1882), E. Elgar (1910), C. Nielsen (op. 35, 1911), K. Szymanowski (1917, 1933), O. Respighi (1921), H. Pfitzner (1923), M. Ravel (Tzigane, 1924), 5. Prokofjew (1923 u. 1935), E. Krenek (1924), D. Milhaud (1927, 1934, 1946), Bartók (Rhapsodien, 1928), Strawinsky (1931), A. Schönberg (1935), B. Britten (1939), Walton (1939), A. Chatschaturjan (1940), B. Martinů (1943), Fr. Martin (1951) und Hindemith (1925 u. 1939). Fast jeder bedeutende Komponist hat somit die V. mit Solowerken bedacht. Die Kammermusik mit V. bildet bei den Romantikern einen bedeutenden Teil ihres Schaffens: Bei Mendelssohn sind es 2 Sonaten, Klaviertrios, Quartette u. das Doppelquartett op. 20, bei Schumann die 3 schwierigen Sonaten (die 3. mit 2 Sätzen der FAE-Sonate), 3 Streichquartette, 3 Klaviertrios, das Klavierquartett und -quintett; Brahms widmet der V. 3 Sonaten, 3 Klaviertrios, 3 Klv.-Quartette, 1 Klv.-Quintett, 3 Streichquartette, je 2 Quintette und Sextette. Ein weiterer Hauptmeister der Kammermusik mit V. im 19. Jh. ist Dvořák. Seine beiden Sonaten (davon bes. beliebt die Sonatine G-Dur, op. 100), die Klavierkammermusik vom Trio bis zum Quintett, seine Streichquartette und -quintette sind ein wesentlicher Bestandteil der Kammermusikliteratur. Nur noch 3 Meister sind im 20. Jh. mit einem ähnlich reichen Opus nachgefolgt: M. Reger (9 Violinsonaten, 25 Solosonaten, darunter die romantischen op. 91, die je einem bestimmten Geiger seiner Zeit gewidmet sind, Streichtrios und -quartette, Klavierkammermusik, darunter das reife Klv.Quartett op. 135), Hindemith (4 Sonaten, 2 Solosonaten, Streichtrios und -quartette) und Bartók (2 Sonaten, 2 Rhapsodien, die Folge der Streichquar-
tette und die Solosonate von 1944, die Duos, die Contrasts). Eine Sonderstellung nehmen die Streichquartette Schönbergs ein, dessen Fantasie op. 49 auch die Literatur für V. und Klv. bereichert. Aber viele neuere Komponisten haben die Kammermusik mit V. nur um einzelne Werke bereichert: z. B. Strauss (Violinsonate op. 18), Bruckner (Streichquartett u. -quintett), G. Verdi (Streichquartett), C. Franck (u. a. die berühmte Violinsonate A-Dur, 1886). Von anderen Komponisten ist nur wenig im Repertoire erhalten geblieben, so einzelne Werke von G. Fauré (Sonate A-Dur, 1876), E. Griegs Violinsonaten, Tschaikowskys Klaviertrio und Streichquartette, B. Smetanas Violinstücke „Aus der Heimat" und Streichquartett „Aus meinem Leben", C. Nielsens Violinsonate, Cl. Debussys Sonate (1916) und Streichquartett, Ravels Sonate, Duo für V. und Vc., Streichquartett und Klaviertrio, Pfitzners Violinsonate e-moll und das Streichquartett cis-moll. Im allgemeinen sind es nur noch einzelne qualitätvolle Werke, die geschaffen werden, während es früher ganze Werkreihen waren: A. Bergs Streichquartett, A. Weberns Vier Stücke, von A. Wellesz eine Solosonate und die Miniaturen für V. und Klv. Ebenso wird auch in der lebenden Komponistengeneration noch Bedeutendes für die V. als Soloinstrument und in der Kammermusik geschaffen, so daß auch durch die neuesten Musikrichtungen der Violinstil und die -musik frische Impulse empfangen haben, wobei auch die Verbindung zur Elektronik beachtenswert ist. Während das 19. Jh. nationale Geigerschulen zeitigte, hat die Emigration zahlreicher großer Künstler und Pädagogen in unserer Zeit zu einem international ziemlich einheitlichen Stil geführt. So führt die frz. Schule eines Baillot über Galamian zu P. Zukerman und I. Perlman, eines Marsick über Flesch zu M. Rostal, R. Odnoposoff, H. Szerynk, G. Neveu, N. Brainin, über J. Thibaud zu Z. Francescatti, über G. Enesco zu Y. Menuhin und Chr. Ferras. Die belgische Schule führt über Ysaye zu A. Grumiaux und I. Stern, die Wiener Schule über Hellmesberger zu Kreisler und W. Schneiderhan, über Jakob Grün zu W. Boskowsky und F. Samohyl. Der Schule Joachims entstammen J. Szigeti, A. Busch, G. Kulenkampff, A. Gertler, S. Végh u. v. a. Die russische Schule eines A. Auer fand in J. Heifetz, M. Elman, N. Milstein ihre Fortsetzung, die tschechische eines O. Sevčík in G. Kremer und Josef Suk (* 1929). Die V., seit ihrem Auftreten eng der Tanzmusik verbunden, hat auch im volkstümlichen Bereich vielfältige Anwendung gefunden. Neben den al287
Violine penländischen Ländlern und Walzern seien hier nur der eigenständige Violinstil der Zigeuner und die norwegische, schottische und amerik. Volksmusik erwähnt. Vieles davon wurde in der Tanzund Unterhaltungsmusik des 19. und 20. Jh. aufgegriffen und führte u. a. auch zu einem speziellen E. MELKUS Jazz-Stil für die Violine. Lit.: Bau u. Spieltechnik: W. J. VON WASIELEWSKI, Die V. u. ihre Meister (L 1869, "1927); L A. VIDAL, Les instruments à archet, 3 Bde. (P 1876-79, Nachdr. Lo 1961); DERS., La lutherie et les luthiers (P 1889); L GRILLET, Les ancêtres du violon et du violoncelle, les luthiers et les fabricants d'archets, 2 Bde. (P 1901); W. L VON LiJTGENDORFF, Die Geigen- u. Lautenmacher vom MA bis z. Gegenwart (F 1904, "1922), Nachdr., 2 Bde. (Tutzing 1968); P. STOEVING, The Story of the Violin (Lo 1904); A. FUCHS, Taxe der Streich-Instrumente (L 1907, F'1955); A. LEFORT— M. PINCHERLE, Le violon, in: LAVIGNAC Techn. Ill; M. PINCHERLE, Feuillets d'hist. du violon (P 1927, 21935); E. BORREL, La technique du violon en France, in: Le monde musical 38 (1927); P. STOEVING, The Violin. Its Famous Makers and Players (Boston 1928); E. BORREL, La technique du violon en Italie, in: Le Monde Musical 40 (1929); O. HAUBENSACK, Ursprung u. Gesch. der Geige (Marburg 1930); G. R. HAYES, Musical Instruments and Their Music 1500-1750, II :The Viols and Other Bowed Instruments (0 1930); O. MöcKEL, Die Kunst des Geigenbauers (B 1930, H '1977); E. BORREL, Notes sur la technique du violon, in: Le monde musical 43 (1932); R. VANNES, Dictionnaire universel des luthiers I (Bru 1932, 2 1951), Il (mit Ergänzungen u. Korrekturen) (Bru 1959); F. FARGA, Geigen u. Geiger (Z 1940, 6 1965); F. CABos, Le violon et la lutherie (P 1948); D. D. BoyDEN, The Violin and Its Technique in the 18* Century, in: MQ 36 (1950); A. ROUSSEL, Nouveau traité de lutherie (P 1956,'1966); W. HENLEY, Universal Dictionary of Violin and Bow Makers, 5 Bde. (Brighton 1959-60); D. D. BOYDEN, The Hist. of Violin Playing from Its Origin to 1761 (Lo 1965); E. LEIPP, Le violon (P 1965); F. WINCKEL — W. SENN — E. WINTERNITZ, V., in: MGG XIII; F. NEUMANN, Violin Left Hand Technique (Urbana/Ill. 1969); F. FRIEBE, Zur Frage der Entstehung des Wortes „violon", in: Mf 24 (1971); S. M. NELSON, The Violin and Viola (Lo 1972); E. MELKUS, Die V. (Be 1973, '1979); P. PETERLONGO, Strumenti ad arco — Les instruments à archet (Mi — Fi 1973) (it./frz.); B. GEISER, Stud. z. Frühgesch. der V. (Be — St 1974) (— Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 25); J. WECHSBERG, Zauber der Geige (F 1974); R. STOWELL, The Development of Violin Technique from L'Abbé le Fils to Paganini (1978) (— Diss. Univ. of Cambridge); Alte Meistergeigen. Beschreibungen u. Expertisen, 8 Bde. (F 1978ff.); L CREMER, Physik der Geige (St 1981); Y. MENUHIN — W. PRIMROSE, V. u. Viola (F 1982) ( — Y. Menuhins Musikführer o. Nr.). — Musik für Violine: A. K. TOTTMANN, Führer durch den V.-Unterricht (L 1874), 4. Aufl. als: Führer durch die V.-Lit., bearb. v. W. Altmann (L 1935); G. HART, The Violin and Its Music (Lo 1881); R. HOFMANN, Führer durch die V.-Lit. (L 1904); A. SCHERING, Gesch. des Instrumentalkonzerts (L 1904, Nachdr. Hil — Wie 1972); B. STUDENY, Behr. z Gesch. der V.sonate im 18. Jh. (Mn 1911); M. GRUENBERG, Führer durch die Lit. der Streichinstr. (L 1913); L DE LA LAURENCIE, L'école française de violon de Lully à Viotti, 3 Bde. (P 1922-24, Nachdr. G 1971); A. MOSER, Gesch. des V.spiels (B 1923); A. POUGIN, Le violon, les violonistes et la musique de violon du 16' au 18' siècle (P 1924); A. BONAVENTURA, Storia del violino, dei violinisti e della musica per violino (Mi 1925); E. VON REUTER, Führer durch die Solo-V.musik (B o.J. [1926]); E. H. MEYER, Die mehrst. Spielmusik des 17. Jh. in Nord- u. Mitteleuropa (Kas 1934); F. GÖTHEL, Zur Praxis des älteren V.spiels, in: FS A. Schering (B 1937); E. REESER, De klaviersonate met vioolbegeleiding in het Parijsche muziekleven ten
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VIOLINO PICCOLO (it., = kleine Violine), Bz. für eine Diskantvioline, deren Korpus kleiner und deren Stimmung höher war als die der r Violine. Der V. hatte im 17./18. Jh. gewöhnlich eine um eine Quarte (so die Klein Discant Geige bei M. Praetorius, Syntagma musicum II, 1619) oder um eine Terz (J. S. Bach, 1. Brandenburgisches Konzert) höhere Stimmung als die Violine und wurde daher auch Quart- bzw. Terzgeige genannt. Das Instrument wurde schon um 1750 nicht mehr gebraucht (L. Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule, 1756). Als V. bezeichnete man auch die in Violinform gebaute Pochette. Lit.: A. MOSER, Der V., in: ZfMw I (1918/19); D. D. BOYDEN, Monteverdi's „violini piccoli alla francese" u. „viole da brazzo". Mus. 6 (1958-63).
in: Ann.
VIOLON. - 1) Frz. Bz. für die r Violine. - 2) Im 18. Jh. auch dt. Bz. für Kontrabaß (von r Violone).
- 3) Im Harmonium eine sanft streichende Stimme zu 16', die oft mit Saxophon verbunden wird. - 4) Im Orgelbau bezeichnet V. oder Violonbaß eine offene, eng mensurierte Labialstimme im Pedal zu 16' und 8', auch zu 32'. VIOLONCELLO (it., Diminutiv von r Violone; dt. u. engl. Kurzform: Cello; frz.: violoncelle; span.: violoncelo). - 1) Bz. für das Tenor-Baß-Instrument der r Viola da braccio-Familie (r Violine). Der Name V. läßt sich erst in der 2. Hälfte des 17. Jh. nachweisen, das Instrument selbst entstand jedoch bereits um die Mitte des 16.Jahrhunderts. Bis ins 18. Jh. war die Benennung von Instrumenten dieser Stimmlage ebenso uneinheitlich wie ihre Größe (Korpuslängen zwischen 73 bis 80 cm), die Anzahl ihrer Saiten (3-5, manchmal auch 6) und deren Stimmung. So forderte noch J. S. Bach in der 6. Solosuite für V. ein 5saitiges Instrument. Mit den seit etwa 1710 von A. Stradivari
Violoncello gebauten Instrumenten erhielt das V. seine bis heute gültigen Maße (Korpuslänge 75-76 cm, Zargenhöhe 11,5 cm), nach denen im 18. Jh. dann zahlreiche ältere Violoncelli und Gamben umgebaut wurden. Nach 1750 wurde das V., den wachsenden klanglichen Anforderungen entsprechend, noch einmal verändert. Hals und Griffbrett wurden verlängert, der bisher gerade Hals nach rückwärts geneigt, und der Steg wurde erhöht und stärker gewölbt. Die heute gebräuchliche Quintstimmung C G d a läßt sich schon seit dem 16. Jh. nachweisen. Der moderne Tonumfang umfaßt etwas mehr als 4 Oktaven. Das V. kann wegen seiner Größe nur aufrecht gespielt werden. Wie bei der Viola da gamba wurde der Bogen zuerst mit Untergriff geführt, bald jedoch wie bei der Violine mit Obergriff (frz. Spielweise). Wie die Haltung des Bogens, so änderte sich auch die Haltung des Instruments. Zuerst stützte der Spieler das V. im Sitzen auf den Boden, im Stehen auf einen Hocker, oder er hängte es sich mit einem Gurt um. Dabei mußte er dem Instrument mit der linken Hand immer einen zusätzlichen Halt geben, so daß die Beweglichkeit und Reichweite der Finger auf dem Griffbrett sehr eingeschränkt war. Noch vor 1700 änderte sich die Haltung: Das V. wurde gegen den Körper gelehnt und auf die Waden des sitzenden Spielers gestützt, der seine Füße zusammenstellte oder leicht kreuzte. Dadurch konnten die Finger der linken Hand jetzt ungehindert die Saiten abgreifen. Seit etwa 1720, erstmals beschrieben von M. Corrette (Méthode théorique et pratique de violoncelle, 1741), wird auch der linke Daumen zum Aufsetzen auf die Saiten benutzt. Der Stachel zum Aufstützen des Instruments auf dem Boden wurde erst um 1860 allgemein gebräuchlich. Das V. war zuerst ausschließlich ein Baßinstrument mit geringem Tonumfang. Mit dem Aufkommen von Monodie und Generalbaß wurde eine größere Beweglichkeit gefordert, und schon in der 2. Hälfte des 17. Jh. erschienen die ersten Solisten, wie P. Franceschini, G. Jacchini und D. Gabrielli, der mit seinen Ricercari per v. solo (um 1680) auch die erste Sololiteratur für das Instrument schrieb. In Frankreich und in England blieb das V. bis ins 18. Jh. das Baßinstrument der Violinen, und die Viola da gamba wurde als Soloinstrument vorgezogen. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des V.-Spiels waren L. Boccherini (in Paris wirkend) und L. Duport (in Berlin), der als erster auch ein systematisch angelegtes Lehrwerk über den Fingersatz schrieb (Essai sur le doigté du violoncelle, 1806 u. ö.). In dieser und in der von B. Romberg verfaßten Schule (Méthode de violoncelle, 1840) sind die Grundlagen der heuti-
gen V.-Technik niedergelegt. Im 19. Jh. entstand außer in Paris (J. H. Levasseur, Ch. N. Baudiot, L. P. M. Norblin, A. J. Franchömme) und Brüssel (A. F. Servais, J. de Swert) vor allem in Dresden mit Friedrich Dotzauer (1783-1860) eine V.Schule, die u. a. durch K. Drechsler, C. Schuberth, Fr. A. Kummer und später durch J. Goltermann, Fr. Grützmacher, K. Davidov, D. Popper, W. Fitzenhagen, J. Klengel, H. Becker, P. Grümmer, E. Feuermann, Gr. Piatigorsky, E. Mainardi und L. Hoelscher bis in die Gegenwart wirkt. Zu den berühmten Virtuosen des 20. Jh. gehören vor allem P. Casals, G. Cassadó, P. Fournier, André Navarra, P. Tortelier, L. Rose, A. Janigro, M. Gendron, J. Starker und Mst. Rostropowitsch. Eine besondere Stellung nimmt S. Palm ein, der die Spielmöglichkeiten des V.s in der Neuen Musik erheblich erweiterte und auch als unspielbar geltende Werke aufführte. - 2) In der Orgel Bz. für ein streichendes Labialregister (OE Streicherchor), das als 8' oder 16' meist im Pedal gebaut wird. M. BROCKER Musik für Violoncello. Nicht nur wurde ein großer Teil der Musik für V. von Cellisten 'komponiert, sondern es gehört gerade zu den Besonderheiten des großen Repertoires für V., daß es fast durchgängig in enger Nähe zu Virtuosen entstand, für die es komponiert wurde. - In der Frühzeit der Musik für V. standen Stücke meist it. Cellisten für den eigenen Gebrauch; z. B. - neben den bereits genannten - von G. B. Bononcini, G. Cervetto, S. Lanzetti, A. Caporale oder J. M. Dall'Abaco. A. Kraft, der als 1. Cellist in der Esterházyschen Kapelle unter J. Haydn spielte, komponierte ebenso wie die Brüder Duport, J.-B. Bréval und Joseph Merk. Einen Sonderfall von Doppelbegabung stellte B. Romberg dar, der nur mit eigenen Werken öffentlich auftrat und weltberühmt wurde. Möglicherweise war seine ablehnende Haltung gegenüber Beethovens Musik (er war Beethoven aus dessen Bonner Jahren bekannt) mit Anlaß, daß dieser kein V.-Konzert geschrieben hat. Neben Dutzenden kleinerer Werke für V. und Orchester schrieb Romberg mindestens 10 Konzerte, Duport 6, Bréval 7, P. Ritter 10, Baudiot 2, N. Kraft 3 und Dotzauer 6. Dotzauer gehört zu den Komponisten, deren Schul- und Etüdenwerke noch heute benutzt und gespielt werden ; dasselbe gilt für die Etüden und Capricen von Duport, Kummer, S. Lee (1805-85), Servais, Franchomme, Popper und Grützmacher. - Eine sehr große Zahl von Bearbeitungen älterer und zeitgenössischer Musik bereichert das typische V.-Repertoire des 19. Jh.; allein von Grützmacher sind neben seinen Kompositionen (op. 1-72) Hunderte von Transkriptionen und Bearbeitungen bekannt, u. a. das Konzert B-Dur 289
Violoncello von L. Boccherini, dessen Originalfassung erst
neuerdings wieder mehr gespielt wird. - Für das 20. Jh. sind an komponierenden Cellisten zu nennen: J. Stutschewsky, Cassadó, Mainardi, Piatigorsky und Tortelier. Die kontinuierliche Erweiterung und Verfeinerung der spieltechnischen Möglichkeiten des V.s - vom einfachen Doppelgriff- und Arpeggiospiel bis hin zum Spiel in der Diskantlage, zu Daumenaufsatz, Oktavpassagen und künstlichem Flageolett, zu Stricharten wie Spiccato, Sautillé und Ricochet -, wie sie diese umfangreiche Virtuosenliteratur aufweist und entwickelt, blieb nicht ohne Wirkung auf die Komponisten. Daher tritt das V. im Bereich der Kammermusik seit A. Vivaldi (z. B. 6 Sonaten, P 1740) neben Violine und Flöte in den Vordergrund. In Italien schreiben u. a. T. Albinoni, B. Marcello, Fr. Geminiani Sonaten, Suiten und Variationswerke für V. und B. c., während in Frankreich, Deutschland, England und in den Niederlanden bis in die 2. Hälfte des 18. Jh. hinein die Literatur für r Viola da gamba überwiegt. Allerdings weisen Kompositionen von J. S. Bach (Suiten für V. solo, BWV 1007-1012; obligate V.Partien auch in zahlreichen Kantaten), W. de Fesch, J. E. Galliard und G. Ph. Telemann das V. bereits als anspruchsvolles Soloinstrument aus, während die V.-Werke von J. Bodin de Boismortier (1726) und M. Corrette (1740) die Verwendung des V. in Frankreich belegen. Die hohe Wertschätzung des V.s durch den preußischen Prinzen und späteren König Friedrich Wilhelm II. wirkte sich auch auf das Interesse der Komponisten besonders in Deutschland und Österreich positiv aus. Nachdem der Monarch Boccherini den mit einer Rente verbundenen Titel eines Hofkomponisten verliehen hatte, widmeten ihm J. Haydn 1787 (6 „Preußische" Streichquartette op. 50), W. A. Mozart 1790 (3 Streichquartette KV 575, 589 u. 590) sowie L. van Beethoven 1796 (2 Sonaten op. 5) wichtige Werke, in denen auf dem V.-Part besonderes Gewicht liegt. Seit Beethovens 5 V.-Sonaten und seinen 3 Variationswerken für V. und Klavier gehören größere Kammermusikwerke für diese Besetzung zum Normalrepertoire im (Euvre eines Komponisten. Zu nennen sind hier namentlich : F. Mendelssohn Bartholdy (2 Sonaten, Variation concertantes u. a.), Fr. Chopin (Sonate g-moll, op. 65; Introduction et Polonaise brillante C-Dur; Grand Duo E-Dur, op. 33 über Themen aus G. Meyerbeers Oper Robert le diable), J. Brahms, E. Grieg (Sonate a-moll, op. 36), G. Fauré (Sonaten op. 109 u. 117; Élégie op. 24; Sérénade, op. 98), Cl. Debussy, R. Strauss (Sonate op. 6), J. Sibelius (Fantasia; Malinconia, 290
op. 20; 4 Stücke op. 78), M. Reger, Z. Kodály, B. Martinů, S. Prokofjew, P. Hindemith, Dm. Schostakowitsch, B. Britten, H. W. Henze und B. A. Zimmermann. Auch für das Repertoire für V. und Orchester gilt der enge Zusammenhang zwischen Interpret und Komponist, wie er seit den Konzerten C. Ph. E. Bachs und J. Haydns bis hin zu denen von W. Lutoslawski und Zimmermann bestanden hat. Am Beispiel der intensiven Zusammenarbeit von Chopin und Franchomme, Schumann und Bockmühl, Prokofjew und Rostropowitsch oder Zimmermann und Palm wird deutlich, daß der nachweisbare Einfluß des Ausführenden nicht selten über bloß technische Fragen des V.-Parts hinausging. Jedenfalls ist das Beispiel der Adaptionswünsche des Cellisten und Widmungsträgers H. Wihan an den Komponisten A. Dvořák, auf die dieser mit Umbesetzung der UA seines V.-Konzertes statt mit Änderungen reagierte, für das V.-Konzert-Repertoire sicher nicht typisch, und die Personalunion von Cellist und Komponist, wie sie im Fall Boccherinis dessen 20 Sonaten und den 10 Konzerten ebenso zugute kam wie die virtuose Kenntnis des Instruments dem Komponisten H. Chemin-Petit,
ist eben höchst selten. Zum Konzertrepertoire nach Vivaldi und Boccherini gehören die Konzerte von G. M. Monn (1740), C. Ph. E. Bach (Wotquenne [WQJ 170-172, 1750-53), Haydn (C-Dur u. D-Dur, um 1780; D-Dur, 1783), R. Schumann (1850), B. Molique (1853), C. Saint-Saëns (op. 33, 1873 ; op. 119, 1902), É. Lalo (1877), P. Tschaikowsky (Variationen über ein Rokokothema, 1876), Dvořák (1895), R. Strauss (Don Quixote, 1897), E. d'Albert (op. 26, 1900), E. Elgar (op. 85, 1919), Hindemith (1915 u. 1940), H. Pfitzner (1935 u. 1946), A. Chatschaturjan (1946), Prokofjew (op. 125 u. 132, 1952), Zimmermann (1953 u. 1966), A. Jolivet (1962 u. 1966), Britten (Cello Symphony, 1963), Krz. Penderecki (1964 u. 1972), B. Blacher (1964), H. Dutilleux (Tout un monde lontain, 1974), Lutoslawski (1970) und I. Yun (1976). Die Geschichte des Repertoires für V. solo verläuft nicht so geradlinig. Noch Schumann und Grützmacher versahen die Exempla classica dieser Gattung, die 6 Solosuiten von J. S. Bach, „für den
Concertgebrauch" mit einer Klavierbegleitung: das 18. und 19. Jh. hatte - mit Ausnahme eines Solos von C. Ph. E. Bach, WQ 138 - an Sololiteratur ausschließlich Virtuosenstücke und Etüdenwerke produziert (s. o.). Erst nachdem Casals damit begonnen hatte, Bachs Suiten in der Originalgestalt öffentlich aufzuführen, folgten ihm sehr schnell andere Cellisten darin, und mit Regers 3 Suiten für V. allein op. 131 c, die erklärtermaßen an die Bach-
Viotti schen Vorbilder anknüpfen, setzt sich diese Gattung wieder durch. Es folgen Kompositionen von Hindemith, Kodály, J. Ibert, W. Fortner, L. Dallapiccola, Henze, Penderecki, I. Xenakis und T. Medek. Die 1976 von Rostropowitsch zum 70. Geburtstag angeregte Sammlung 12 Hommages á Paul Sacher pour violoncelle enthält Stücke von C. Beck, L. Berio, P. Boulez, Britten, Dutilleux, Fortner, A. Ginastera, Cr. Halffter, Henze, H. Holliger, Kl. Huber und Lutoslawski für V. solo. Traditionellerweise gehören Bearbeitungen zum Repertoire der Musik für V., wie z. B. die Concerti all'inglese Vivaldis für V., J. S. Bachs Kompositionen für V. piccolo und r Viola pomposa, Haydns zahlreiche Baryton-Kompositionen, Fr. Schuberts Sonate für Arpeggione und Klavier und viele Werke der Gambenliteratur (z. B. Bachs SoloSonaten). - Neuerdings sorgen die V.-Ensembles der Berliner Philharmoniker sowie die Philharmonischen Cellisten aus Köln (jeweils mit bis zu 12 Spielern) durch ihre Einspielungen und Auftritte für ein rasches Anwachsen der Literatur für V.-Ensembles und -orchester; für derartige Besetzungen komponierten z. B. Corrette, Klengel, Tschaikowsky, J. de Swert, H. Villa-Lobos, Fr. Metzler, R. CADENBACH Fortner u. a. Lit.: Das Instrument und sein Spiel: W. J. VON WASIELEWSKI, Das V. u. seine Gesch. (L 1889,'1925, Nachdr. Walluf 1968); E. VAN DER STRAETEN, History of the V., the Viola da Gamba. Their Precursors and Collated Instruments (Lo 1915, Nachdr. 1971); F. VATIELLI, I primordi dell'arte del v. (Bol 19i 8); M. EISENBERG, Cello Playing of Today (Lo 1957); W. PAPE, Die Entwicklung des Violoncellspiels im 19. Jh. (Diss. Saarbrücken 1962); K. MARX, Die Entwicklung des V. u. seiner Spieltechnik bis J. Duport (1520-1820) (Rb 1963, '1975) (— Forsch.-Beitr. z Musikwiss. 13); L. A. POTTER, The Art of Cello Playing (Evanston/ III. 1964); J. ECKHARDT, Die Violoncelloschulen von J. J. F. Dotzauer, F. A. Kummer u. B. Romberg (Rb 1968) (— Kölner Beirr. z. Musikforsch. 57); G. MANTEL, Cellotechnik. t3ewegungsprinzipien u. Bewegungsformen (Kö 1972); E. COWLING, The Cello (NY 1975). — Musik für Violoncello: PH. ROTH, Führer durch die V.-Lit. (L 1888, '1898); B. WEIGL, Hdb. der V.-Lit. (W 1911,'1929); M. MERSEBURGER, Das V. U. seine Lit. (L 1920); W. ALTMANN, Zur Verbreitung von Bachs Sonaten u. Suiten für Violine bzw. Violoncell allein, in: Mk 15 (1922); E. NoGUÉ, La littérature du violoncell (P 1925); J. BÄCHI, Von Boccherini his Casals (Z 1961), 2. Aufl. als: Berühmte Cellisten (Z — Fr 1973); E. COWLING, The Italian Sonata-Literature for the V. in the Baroque Era (1963) (— Diss. Northwestern Univ., Evanston/I11.); G. J. KINNEY, The Musical Literature for Unaccompanied V., 3 Bde. (1962) (— Diss. Florida State Univ., Tallahassee); G. J. SHAW, The V. Sonata Literature in France During the 18" Century (1963) (— Diss. Cath. Univ. of America, Washington/D. C.); G. BLEES, Das Cello-Konzert um 1800. Eine Unters. der CelloKonzerte zw. Haydns op. 101 u. Schumanns op. 129 (Rb 1973) ( — Kölner Beitr. z. Musikforsch. 78); L. Lt'rzEN, Die V.-Transkriptionen F. Grützmachers (Rb 1974) ( — ebd. 79). M. BRÖCKER — R. CADENBACH
VIOLONCELLO PICCOLO r Viola pomposa.
VIOLONE (it., Augmentativ von Viola), seit 1520 bekannte Bz. für Streichinstrumente der Baßlage. Der Name V. wurde sehr unterschiedlich verwendet, er bezeichnete entweder Baßinstrumente der r Viola da braccio-Familie oder solche der "Viola da gamba-Familie. In einigen Quellen scheint V. auch für das Violoncello benutzt worden zu sein. Entsprechend der unterschiedlichen Bedeutung des Namens sind auch Anzahl und Stimmung der Saiten sehr verschieden angegeben. Bei M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) ist der V. eine Groß Viol de Gamba (oder Contrabasso da gamba), die größer und tiefer gestimmt ist als die Baßviola. Auch im 18. Jh. wurden noch unterschiedliche Instrumente als V. bezeichnet; so in Italien häufig das Violoncello, in Deutschland und in anderen Ländern dagegen allgemein die Instrumente, deren Stimmung unter jener der normalen Baßinstrumente lag. Zur selben Zeit wurden oft auch V. und Kontrabaß gleichgesetzt und als Großbaßgeige bezeichnet. Lit.: H. BURNETT, The Various Meanings of the Term „V.", in: Journal of the Viola da Gamba Society of America 8 (1971); F. BAINES, What Exactly Is a V.?, in: Early Music 5 (1977); A. PLANYAVSKY, V. u. Violoncello im 17. Jh., in: Musica Austriaca 3 M. BRÓCKER (1980).
VIOTTI, Giovanni Battista, * 12.5. 1755 Fontanetto da Po (Prov. Vercelli), t 3.3. 1824 London; it. Violinist und Komponist. 1775 trat er in die Hofkapelle in Turin ein, die G. G. Pugnani leitete, der sein Lehrer wurde. 1780 unternahm er mit ihm Konzertreisen durch Deutschland, Polen und Rußland sowie nach London und Paris. Die groBen Erfolge, besonders im Concert spirituel 1782/83, veranlaßten ihn, in Paris zu bleiben. Zunächst war er Akkompagnist der Königin MarieAntoinette, dann Kapellmeister des Herzogs von Soubise. In dieser Zeit trat er immer seltener auf und widmete sich dem Unterrichten und Komponieren. 1788 wurde er zusammen mit dem Friseur L. Autié Leiter des Théâtre de Monsieur in Versailles; 1791 eröffnete er mit Feydeau de Brou ein eigenes Theater in Paris, floh jedoch vor den Revolutionswirren 1792 nach London, wo er erfolgreich konzertierte, u. a. 1795 mit J. Haydn. 1797 wurde V. Konzertmeister und Leiter des Orchesters der italienischen Oper am King's Theatre. Unter dem Verdacht, Agent der Revolution zu sein, floh er 1798 nach Schönfeld bei Hamburg. 1801 kehrte er nach London zurück, hielt sich aber vom Musikleben fern und wurde Teilhaber einer Weinhandlung; seine Werke ließ er in Paris verlegen. Nach Wiedereinführung der Monarchie in Frankreich ging er 1819 wieder nach Paris und wurde Direktor der Opéra und des Théâtre Italien, konnte aber 291
Virdung den Niedergang beider Bühnen nicht aufhalten. Anfang 1823 zog er sich nach London zurück. WW: V.-Stücke; 9 Klv.-Sonaten; V.-Duette, op. 1-7, op. 13 u. 18-21; 36 Streichtrios; 21 Streichquartette. — 29 V.-Konzerte, darunter Nr. 22 a-moll (L Cherubini gewidmet); 10 Klv.-Konzerte (sämtlich Bearb. v. V.-Konzerten); 2 Symphonies concertantes für 2 V. u. Orch. — V.s Autobiographie Précis de ma vie ist hsl. erhalten.
Obgleich V. nur wenige Jahre öffentlich spielte, errang er ein ungewöhnlich hohes Ansehen. In London galt er als „wahrscheinlich jetzt der größte Violinist in Europa. Ein starker, voller Ton, unbeschreibliche Fertigkeit, Reinigkeit, Präcision, Schatten und Licht mit der reizendsten Einfachheit verbunden, machen die Charakteristik seiner Spielart aus" (Berliner Musik-Zeitung, 1793, Bericht aus London). P. Rode, P. Baillot und R. Kreutzer waren seine Schüler. V.s Stil leitet sich von verschiedenen italienischen Traditionen seit G. Tartini her und begründete die französische Violinschule, deren Spielweise L. van Beethoven stark beeinflußte. In seinen Kompositionen konnte er durch Erfahrungen der Praxis und durch Vorbilder mangelnde Ausbildung ausgleichen ; die Rhythmik der frz. Revolutionslieder wurde stilbildend. Seine Kammermusik ist wertvolles Studienmaterial ; von seinen 29 Violinkonzerten steht besonders Nr. 22 seit seiner Entstehung hoch in der Gunst der Solisten und des Publikums. Ausg.: Prima sinfonia concertante für 2 V., 2 Ob., 2 Hörner u. Streichorch., hrsg. v. F. QUARANTA (Mi 1960); V.-Konzert Nr. 22 a-moll, hrsg. v. P. MUNTEANU (Bukarest 1966); Fl.-Quartett BDur op. 22 Nr. 1, hrsg. v. D. LAsoclu (Lo 1968); V.-Konzert Nr. 2 E-Dur, hrsg. v. W. LEBERMANN (Mz 1968) (= Concertino 158); V.-Konzert Nr. 19 g-moll, hrsg. v. R. GIAzo'rro (Mi 1969). Lit.: R. GL zarro, G. B. V. (Mi 1956); E. CH. WHITE, G. B. V. and His V. Concertos, 2 Bde. (1957) (— Diss. Princetcn Univ.); B. SCHWARZ, Beethoven and the French V. School, in: MQ 44 (1958); M. RINALDI, Missione stor. di G. B. V., in: Musicisti piemontesi e liguri, hrsg. v. A. Damerini — G. Roncaglia (Siena 1959); M. F. BOYCE, The French School of V. Playing in the Sphere of V. (1973) (— Diss. Univ. of North Carolina); R. GIAzoTro, Toward a More Accurate Chronology of V.'s Violin ConG. SCHUHMACHER certos, in: FAM 20 (1973).
VIRDUNG, Sebastian (Sebastian Grop, Wentzel Groppen son), * 19. oder 20. 1. 1465 (?) wahrsch. Amberg (Oberpfalz); dt. Komponist und Musiktheoretiker. V. wurde 1483 an der Universität Heidelberg immatrikuliert und war bis 1505 oder 1506 Sänger der kurpfälzischen Hofkantorei, wo er Unterricht von Johannes von Soest erhielt. Durch die Gunst des Kurfürsten erhielt er 1489 die Pfarrei in Lengenfeld (Oberpfalz) und 1500 die St. Peter-Altarspfründe auf Burg Stahleck. 1507-08 war er Succentor am Münster in Konstanz. In Basel veröffentlichte er 1511 die Musica getutscht (= „gedeutscht"), die erste gedruckte deutschsprachige 292
Abhandlung über Musikinstrumente. Sie enthält auch eine Lehre des Intavolierens (für Clavichord, Laute und Blockflöte). 4 Lieder von V. hat P. Schöffer veröffentlicht (RISM 15132). Ausg.: Musica getutscht, Faks.-Ausg., hrsg. v. R. EITNER (1882) (— PGfM 11); dass., hrsg. v. L SCHRADE (Kas 1931). Lit.: F. KRAVIwuRsr, Bemerkungen z. S. V.s „Musica getutscht", in: FS B. Stäblein (Kas 1967); E. M. RIPIN, A Reevaluation of Virdung's „Musica getutscht", in: JAMS 29 (1976); C. MEYER, S. V. „Musica getutscht". Les instruments et la pratique musicale en Allemagne au début du XVI' siècle (P 1980); M. STAEHELIN, Bemerkungen z. geistigen Umkreis u. z. den Quellen des S. V., in: Ars musica, musica scientia. FS H. Hüschen (Kö 1980).
VIRELAI (frz.; von virer = sich drehen u. r Lai), Bz. für eine literarisch-musikalische Gattung des 13.-15. Jh. in Frankreich, die gleichzeitig mit r Ballade (1) und r Rondeau (1) ihre Blütezeit hatte und wie diese eine Refrainform ist. Das V. findet sich bereits bei Adam de la Halle, dann bei Eustache Deschamps und vor allem - für 1-3 St. - bei G. de Machaut (hier unter der Bz. Chanson balladée). Der textliche Aufbau in seinem eigentümlichen Wechsel zweier Reime (a, b; Großbuchstaben für den Refrain) und die musikalische Form (bestehend aus 3 verschiedenen Abschnitten: a, ß, y) mit der Wiederholung des Refrains am Schluß lassen sich an der nachstehenden 1. Strophe eines V.s von Machaut erkennen (Refrain kursiv). De tout sui si confortee que jamais n fiert hostelee tristesse n'esmay en mon cuer, aincois aray lie et jolie pensee, tant com je vivray. I. a Bien faire et avoir cuer gay, c'est tout; plus n'emporteray, quant seray finee; I. b dont lie et loyaulz seray et le contraire feray de ma destinee. I. c car lasse desconfortee, triste, dolente, esplouree esté lonc temps ay. Mais je me conforteray et celui qui tant m'agree sur tous ameray. De tout sui si confortee usw.
A A
j a
B B
A ß A b b
y
a b b
y
a a a
a
b b
a
ß
b
A usw.
Die mehrstimmigen V.s Machauts sind satztechnisch dem r Kantilenensatz verpflichtet. Die charakteristische einrahmende Stellung des Refrains hat das V. mit anderen Liedformen der Zeit gemeinsam (Cantiga, Carol, Rodellus, Villancico);
Virtuose eine weitgehende Entsprechung weist vor allem der Aufbau der it. r Ballata auf. Das V. wurde bis in die 1. Hälfte des 15. Jh. gepflegt und fand seinen Nachfolger in der r Bergerette. Die wichtigsten Quellen, die V.s enthalten, sind Chantilly, Musée Condé, Ms. 564; Modena, Bibl. Estense, ms. a M. 5, 24; Oxford, Bodleian Library, Ms. Can. Misc. 213 ; Paris, Bibl. Nat., ms. it. 568 ; Paris, Bibl. Nat., der sog. Codex Reina, und Turin, Bibl. Nazionale, J. II. 9. Ausg.: r Machaut. — F. GENNRICH, Rondeaux, Virelais u. Balladen, III: Das altfrz. Rondeau u. V. (Langen 1963). — Für die Hss. Chantilly u. Modena: FArs subtilior; für Oxford: Early 15'5-Century Music 2, hrsg. v. G. REANEY (1959) (a CMM 11/1); für Turin: The Cypriot-French Repertory ... 4, hrsg. v. R. H. HoPPIN (1963) (— CMM 21/4). Lit.: F. GENNRICH — G. REANEY, V., in: MGG XIII. — r Ballade (1), r Rondeau (1), r Machaut.
VIRGA (lat., = Stab, Rute), urspr. eine einfache, graphisch nicht weiter zerlegbare Neume (V. recta: ein leicht geneigter oder senkrechter Strich ; V. jacens:ein liegender Strich, = Tractulus). - r Notenschrift.
wegt. V.e dieser Konstruktion sind von Martin van der Biest und der in Antwerpen wirkenden Familie Ruckers überliefert; aus dieser Werkstatt sind außerdem zahlreiche V.e normaler Bauart erhalten. Für das V. sind in seiner Blütezeit zahlreiche Kompositionen entstanden, insbesondere in England. Th. Mulliner begründet mit seinem V.-Buch (Mulliner Book, zw. 1545 und 1570) die Reihe der in England üblichen hsl. Sammlungen von Musik für Tasteninstrumente. Läßt diese Sig. noch die Zuordnung der Stücke für V. oder Orgel offen, so handelt es sich bei der größten Sammlung engl. V.-Musik, dem t Fitzwilliam Virginal Book, um eindeutig für das V. geschriebene Kompositionen. Darüber hinaus verdient das 1591 entstandene und zwischen 1598 und 1600 der Königin Elisabeth I. dedizierte My Ladye Nevells Booke besondere Erwähnung, es enthält Werke von W. Byrd. Von den zahlr. anderen Sammlungen dieser Zeit erschienen nur Parthenia (um 1613, mit Werken von J. Bull, Byrd und O. Gibbons) und Parthenia inviolata (um 1614) im Druck. In der Regierungszeit König Karls II., nach 1658, verlor das V. an Bedeutung. Ausg.: /Fitzwilliam Virginal Book; Parthenia: řGibbons 3).
VIRGINAL (engl.; von lat. virga = Stöckchen, Docke; die Ableitung von lat. virgo = Jungfrau ist nicht haltbar), Bz. für ein rechteckiges, auf einem Gestell liegendes Instrument engl. oder it. Ursprungs (ungesichert), dessen quer zur Klaviatur angeordneter Saitenbezug wie beim Cembalo angerissen wird. Bei V.en it. Provenienz ist die Klaviatur vorspringend, also außerhalb der Umrisse des Rechtecks angeordnet, bei ndl. V.en befindet sich die Klaviatur innerhalb der Rechteckform. Das V. ist in England bereits im 14. Jh. nachweisbar. In Italien entwickelt sich zu Beginn des 16. Jh. aus dem V. das Polygonalspinett, das für den it. Instrumentenbau bestimmend bleibt. In den Niederlanden und in England erlebt das V. zwischen 1550 u. 1 650 seine Blütezeit. Hier handelt es sich um relativ große Instrumente, deren nicht vorspringende Klaviatur zur Erzielung unterschiedlicher Klangfarben durch Verlagerung des Anrißpunktes der Kiele entweder in der rechten oder linken Hälfte der Langseite des Korpus angeordnet war. Beim V. befinden sich beide Stege auf dem Resonanzboden, was dem Instrument besondere klangliche Eigenschaften verleiht. Seit etwa 1580 ist das Doppel-V. nachweisbar: Ein rechts oder links neben der Klaviatur in einem Fach unter dem Resonanzboden untergebrachtes Oktav-V. konnte nach Abnahme der Dockenleiste des Hauptinstrumentes auf diesem plaziert werden. Durch eine Aussparung im Boden des Oktav-V.s wurden dessen Docken durch die des Hauptinstrumentes mitbe-
VIRTUOSE (engl., it. u. span.: virtuoso; frz.: virtuose), Bz. für einen ausübenden Musiker, der sich
durch besondere technische Kunstfertigkeit auszeichnet. Wie das Adjektiv virtuos noch heute gebraucht wird, so wurden im 16./17. Jh. in Italien allgemein Personen, die sich durch Wissen, Fertigkeiten oder Lebensführung hervortaten, „virtuoso" genannt. Mit der it. Musik und Künstlern wie etwa dem Ehepaar Hasse kam der Terminus V. nach Deutschland und bezeichnete im 18. Jh. zunächst Musiker von außerordentlichen theoretischen, kompositorischen oder praktischen Fähigkeiten, ja eine umfassende Ausbildung gehörte unbedingt zu einem „wahren V.n" (J. Kuhnau). Schon ab etwa 1740 verengte sich der Begriff auf den ausübenden Musiker, auf den Concertisten, seit dem Ende des 18. Jh. traten auch negative Bedeutungen hinzu. Eine Zeit, die das Poetische, Geistige der Musik hervorhob, sah in ihrem „mechanischen" Teil (J. H. G. Heusinger) nur das Handwerkliche, das nicht Selbstzweck werden dürfe. „Virtuosengeklimper" (R. Schumann) wurde verachtet, aber andererseits unterstrichen, echte Virtuosität sei „nicht ein Auswuchs, sondern ein nothwendiges Element der Musik" (Fr. Liszt). V.n waren nicht nur berufene Mittler der Musik, sie eröffneten durch die Erweiterung der Instrumentaltechnik auch neue kompositorische Ausdrucksmöglichkeiten. In diesem Sinne wirkten etwa berühmte it. Geiger des 18. Jh. wie G. Tartini und P. A. Locatelli. Einen 293
Visconti glänzenden Höhepunkt erreichte das Virtuosentum dann in N. Paganini und Liszt, der noch einmal das Ideal des ausübenden und schöpferischen Künstlers verkörperte. Die V.n der folgenden Zeit wurden immer mehr zu Spezialisten ihres Instruments, und je bestimmter Interpreten ihre Kunst in den Dienst am Kunstwerk stellten, desto eher mieden sie die Bezeichnung.
WW: Livre de guitare (P 1682); Livre de pieces pour la guittarre (P 1686); Pieces de théorbe et de luth (in Partitur) (P 1716).
Lit.: 1. AMSTER, Das Virtuosenkonzert in der 1. Hälfte des I9. ih. (Diss. B 1931); M. PINCHERLE, Le monde des virtuoses (P 1961); R. WANGERMÉE, Tradition et innovation dans la virtuosité romantique, in: AMI 42 (1970); DERS., Les techniques.de la virtuosité pianistique selon Fétis. in: RBMie 26/27 (1972/73); E. REIMER, Die Polemik gegen das Virtuosenkonzert im 18. Jh., in: AfMw 30 (1973); DERS., V., in: HMT; F. KRUMMACHER, Virtuosität u. Komposition im Violinkonzert, in: NZfM 135 (1974); M. STEGEMANN, Tugend u. Tadel. Gedanken z. Phänomen der H. LOOS instr. Virtuosität, in: ebd. 143 (1982).
VITALI, Filippo, * um 1590 Florenz, t 1653 ebd. (?); it. Sänger und Komponist. Er lebte bis 1631 hauptsächlich in Florenz und führte 1620 in Rom seine Aretusa auf, die dem Stil J. Peris und G. Caccinis verpflichtet ist und mit der die römische Operngeschichte beginnt. 1633 wurde er Sänger der päpstlichen Kapelle in Rom und stand 1637-42 als Kammervirtuose im Dienst des Kardinals Antonio Barberini. 1642 übernahm er als Nachfolger M. da Gaglianos die Leitung der herzoglichen Kapelle von S. Lorenzo in Florenz. 1648-49 war er Kapellmeister an S. Maria Maggiore in Bergamo. V.s kirchenmusikalische Werke sind hauptsächlich im Stile antico geschrieben, während seine weltlichen den Übergang vom A cappella-Madrigal zur 1-3st. Kantate zeigen. Seine Concerti von 1629 stehen im Titel und in Einzelheiten der musikal. Gestaltung in der Nähe von Cl. Monteverdis 7. Madrigalbuch (1619).
VISCONTI, Luchino, Conte di Modrone, * 2. 11. 1906 Mailand, t 17.3. 1976 Rom; it. Regisseur, Bühnenbildner, Kostümbildner und Choreograph.
V. wurde 1935 Assistent des frz. Regisseurs Jean Renoir und machte sich mit gesellschaftskritischen Filmen im neo-realistischen Stil international bekannt. Nach dem Krieg schloß er sich 1946 der von ihm später geleiteten Schauspiel-Compagnie Morelli-Stoppa an. Vor allem durch seine Verehrung für Maria Callas, die auch in seiner ersten Inszenierung, La vestale (G. Spontini), an der Mailänder Scala mitwirkte, kam er 1954 auch zur Oper. Weiter inszenierte er an der Mailänder Scala La Sonnambula (V. Bellini), Anna Bo/ena (G. Donizetti) und Iphigénie en Tauride (Chr. W. Gluck), an der Covent Garden Opera in London Don Carlos, Il Trovatore, La Traviata (alle G. Verdi) und Der Rosenkavalier (R. Strauss), beim Festival von Spoleto Macbeth (Verdi) und Salome (R. Strauss) und an der Wiener Staatsoper Falstaff (Verdi). Lit.: Venti spettacoli di L. V. con R. Morelli (Bol 1958); V. L'histoire et l'esthétique, hrsg. v. M. ESTÈVE (P 1963); Y. GUILLAUME, L. V. (ebd. 1966); G. N. SMITH, L. V. (Lo 1967); P. BALDELLI, L. V. (Mi 1973) (mit Bibliographie).
VISÉE, Robert de, * 2. Hälfte 17. Jh., t Anfang 18. Jh. Paris; frz. Gitarrist, Violist und Theorbist. Er war Schüler von Fr. Corbetta, zu dessen Ehren er ein Tombeau schrieb, und ist seit 1680 in Paris bezeugt. 1682 wurde er Gitarrenlehrer des Dauphin, 1708 Chantre ordinaire de la musique du roi, 1716 Ordinaire de la musique und 1719 Maître du guitare du roi. V.s Gitarrenbücher, in denen er häufig anstelle der Tabulatur die gewöhnliche Notation verwendet, enthalten 12 Suiten, meist mit der Satzfolge Prélude, Allemande, Sarabande, Courante, Gigue, und schließen mit einer Gavotte, Bourrée, Passacaille oder mit einem Menuett.
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Ausg.: CEuvres complètes pour guitare, hrsg. v. R. STRIZICH (P 1971). Lit.: O. CHILESOTTI, Notes sur le guitariste R. de V., in: SIMG 9 (1907/08) (mit 12 Stücken); M. ROLLIN, Les tombeaux de R. de V., in: Bull. de la Soc. d'études du XVIII' siècle (P 1957) Nr. 34; F. LESURE, V., in: MGG XIII.
WW: Sacrae cantiones für 6 St. u. B.c. (V 1625); Sacrae modulationes für 2-5 St. u. B.c. (R 1631); Hymnen für 4 St. (R 1636); Vesperpsalmen für S St. u. B.c. (R 1641); Messen u. a. für 4 St. u. B.c. (Florenz 1646). - 3 Bücher Madrigale für 5 St. (V 1616-26, z.T. unvollständig erhalten); Concerto ... madrigali et altri generi di canti für l-6 St. u. B.c. (V 1629); 6 Bücher Musiche für 2-6 St. u. B.c. (Fi u. andernorts 1617-1647); 3 Slgen. Arie für 1-3 St. u. B.c. (Orvieto bzw. R 1632-39). Ausg.: 3 Gesänge aus den Musiche, in: K. JEPPESEN, La Flora 2 u. 3 (Kop 1949); die Hymnen bei J. W. PRUETT (s. u. Lit.). Lit.: J. W. PRUE'ET, The Works of F. V. (1962) (- Diss. Univ. of North Carolina) (mit Ausg. der Hymnen); DERS., V., in: MGG XIII; D. S. BUTCHART, The Madrigal in Florenz, 1560-1630 (Diss. 0 1979); J. W. PRUErr, V., in: Grove' XX.
VITALI. — 1) Giovanni Battista, * 18.2. 1632 Bologna, t 12. 10. 1692 Modena; it. Komponist. V. war Schüler von M. Cazzati in Bologna, wo er seit 1658 als Musico di violone da brazzo an S. Petronio wirkte. 1673 wurde er Kapellmeister an SS. Rosario und ging 1674 als Vizekapellmeister an den Hof von Francesco II. d'Este in Modena, wo er 1684 zum Kapellmeister avancierte. WW: 1) Instr.-WW: Correnti e balletti da camera für 2 V. u. B.c., op. I (Bol 1666); Sonaten für 2 V. u. B. c. für Org., op. 2 (Bol 1667); Balletti, correnti ... e sinfonie da camera, für 4 Instr., op. 3 (Bol 1667); Balletti. correnti, gighe, allemande e sarabande für V., Violone oder Spinett u. 2. V. ad libitum, op. 4 (Bol 1668); Sonaten für 2-5 Instr. mit B. c.. op. 5 (Bol 1669); Varie partite..., op. 7. u. Balletti, correnti e capricci per camera für 2 V. u. Violone, op. 8 (Mo-
Vitry dena 1683); Sonate da chiesa, op. 9, für 2 V. u. B.c., 2 Bde. (A 1634); Varie sonate alla francese & all'italiana für 6 Instr., op. 11 (Modena 1684); Balli in stile francese für 5 Instr., op. 12 (ebd. 1685); Artifici musicali (Kanons u. a.), op. 13 (ebd. 1689); Sonate da camera a 3 für 2 V. u. Violone, op. 14 (ebd. 1692). — 2) VokalWW: Salmi concertati für 2-5 St., Str. u. B.c. (Bol 1677); Hinni sacri für Solo-St., Str. u. B.c. (Modena 1684); ferner sind 2 Oratorien u. 10 it. Solokantaten mit Instr. hsl. erhalten.
V.s Instrumentalmusik bildet ein Bindeglied zwischen den Werken der in Bologna und Modena wirkenden Komponisten G. M. Cazzati, M. Uccellini, M. Bononcini und G. Colombi und den Kompositionen A. Corellis. Gegenüber seinen Vorgängern erscheint die Themenbildung bei V. fließender und lyrischer; der Wechsel von schnellen und langsamen Sätzen in den Sonaten ist stärker ausdrucksmäßig begründet, als daß sie stilistischen Konventionen folgt. V. pflegt gleichermaßen die kontrapunktische Schreibweise der Sonata da chiesa wie den homophonen Stil der Sonata da camera. Ab op. 6 ist deutlich der Einfluß der französischen Sonate erkennbar. 2) Tommaso Antonio, auch Vitalini genannt, Sohn von 1), * 7.3. 1663 Bologna, t 9.5. 1745 Modena; it. Violinist und Komponist. V. erhielt vermutlich ersten Violinunterricht von seinem Vater; in der Komposition war er Schüler von A. M. Pacchioni. 1675 wurde er Violinist der Hofkapelle der Este in Modena, wo er bis 1742 (seit 1707 als „Capo del concerto") nachweisbar ist. L. Predieri, J.-B. Senallié und E. F. Dall'Abaco gehörten zu seinen Schülern. V. schrieb Instrumentalmusik im Stil seines Vaters und A. Corellis. WW: 3 Slgen. Triosonaten (Modena 1693-95); Concerto di sonate für V., Vc. u. Cemb. (ebd. 1701); Chaconne g-moll für V. u. B.c. (hsl., Autorschaft fraglich). Ausg.: Zu 1): Kompositionen aus op. 2 u. op. 5, hrsg. v. J. W. WASIELEWSKI, in: Instrumental-Sätze vom Ende des 16. bis Ende des 17. Jh. (B 1874, 21905); Artifici musicali, hrsg. v. L ROOD — G. P. SMrrH (Northampton/Mass. 1959); Sonaten, op. 2/3 u. 6, hrsg. v. E. SCHENK (W 1948). — Zu 2): Concerto di sonate, hrsg. v. L RooD — G. P. SMITH — D. SILBERT (Northampton/Mass. 1954), Nr. 11 daraus, hrsg. v. J. PH. HINNENTHAL (Kas 1959) ( Hortus Mus. 38); die Chaconne, hrsg. v. D. HELLMANN (Kas 1966) (— ebd. 100). Lit.: J. G. SUESS, V., in: MGG XIII; DERS., V., in: Grove. XX. — Zu i): DERS., G. B. V. and The „Sonata da chiesa" (1963) ( — Diss. Yale Univ.). — Zu 2): M. RINALDI, Sull'autenticità della ciaccona di T. A. V., in: Rass. Mus. 24 (1954); W. REICH, Die Chaconne gmoll von V.?, in: BzMw 7 (1965).
VITÁSEK (Wittaschek, Wittasek u. ä.), Jan Matyáš (Johann Matthias) Nepomuk August, * 23. 3. 1770 Hořín bei Melnik, t 7. 12. 1839 Prag; böhmischer Pianist und Komponist. V. war in Prag Schüler von Fr. X. Duschek und vielleicht auch von J. A. Koželuch, dem er 1814 als Kapellmeister an der St. Veitskirche nachfolgte. 1830-39 leitete er außerdem die Orgelschule des von ihm 1826 mitge-
gründeten Vereins der Kunstfreunde für Kirchenmusik in Böhmen. V.s geistliche Werke und Klaviertänze waren zu seiner Zeit sehr verbreitet, doch zeigt er in seinem Liedschaffen (tschechische Texte) die größere Originalität. VITO, Gioconda de, De Vito. VITRY, Philippe de (Philippus de Vitriaco), * 31. 10. 1291 Paris, t 5.6. 1361 ebd.; frz. Musiktheoretiker und Komponist. V. stammte vermutlich aus Vitry in der Champagne, um 1320 ist er als Clerc notaire König Karls IV. (des Schönen) nachweisbar; dieses Amt bekleidete er auch unter Philipp VI. Er besaß zahlreiche Präbenden, hielt sich jedoch vorwiegend am Pariser Hof auf. Zwischen 1328 und 1329 trat er in das Parlament ein und ist 1340 und 1342 als einer der Maîtres clercs des requêtes du Palais nachweisbar. Spätestens 1346 wurde er Maître des requêtes à l'Hôtel du Roi und Maître des requêtes à l'Hôtel de l'héritier du trône. 1350 wurde er zu Papst Clemens VI. nach Avignon entsandt. 1351 wurde er Bischof von Meaux. Während der politischen Wirren zu Beginn der Regierung König Karls V. scheint V. für die Interessen der Bürger gekämpft zu haben, denn er gehört 1357 zu den 9 von den Generalständen gewählten Généraux réformateurs. Tiefe Freundschaft verband V. mit dem Dichter Fr. Petrarca, mit dem er das Interesse an humanistischen Studien und die Liebe zum Landleben teilte. Petrarcas Briefe aus den Jahren 1349 und 1351 bezeugen V.s literarische und philosophische Fähigkeiten und seine Reiselust. In enger Beziehung stand er auch zu dem Musiktheoretiker Johannes de Muris, der entscheidend zu seinem Nachruhm beitrug. - V. hat in mehrfacher Hinsicht Geschichte gemacht: zum einen mit seinem Traktat Ars nova (um 1320), der die Gleichwertigkeit der drei- und zweiteiligen Brevis in der Mensuralnotation lehrt (, Notenschrift, .. Prolatio) und einer eigenen musikgeschichtlichen Epoche den Namen gegeben hat (OE Ars nova);' zum anderen durch séine Motetten, die eine wichtige Stufe in der Entwicklung der . Isorhythmie darstellen und (nach H. Besseler) zum ersten Mal in der Geschichte der Gattung als autonome Kunstwerke zu gelten haben. WW u. Ausg.: Ars nova, hrsg. v. G. REANEY — A. GILLES — J. MAILLARD (R 1964) (= CSM 8), vgl. dazu: A. GILLES—G. REANEY, in: MD 12 (1958). — 15 Motetten (5 davon im 'Roman de Fauvel, eine nur als Text erhalten), GA, hrsg. v. L. SCHRADE (Monaco 1956) (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 1); die Zuschreibung der Motetten ist problematisch u. umstritten, da sie in den musikal. Quellen keine Autorangabe tragen, sondern nur durch andere zeitgenössische Zeugnisse als Werke V.s erschlossen werden können (vgl. dazu besonders H. BESSELEK, in: MGG XIII). — Ferner einige frz. u. lat. Dichtungen.
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Vittori Lit.: H. BESSELER, Stud. z Musik des MA, in: AfMw 7-8 (1925-26) (mit Ausg. v. 12 Motetten); A. GILLES, Contribution à un inventaire analytique des manuscrits intéressants l'Ars nova de Ph. de V., in: RBMie 10 (1956); L SCHRADE, Ph. de V. Some New Discoveries, in: MQ 42 (1956); E. WERNER, The Mathematical Foundation of Ph. de V.'s „Ars Nova", in: JAMS 9 (1956); H. BESSELER, V., in: MGG XIII; H. BLACHLY, The Motets of Ph. de V. (1971) (— Diss. Columbia Univ.); L PlusoR, Einzelanalysen früher Ars-nova-Motetten ... an den Ph. de V. zugeschriebenen Motetten (Diss. Fr 1971); S. THIELE, Zeitstrukturen in den Motetten des Ph. de V. u. ihre Bedeutung für zeitgen. Komponieren, in: NZfM 135 (1974); K. VON FISCHER, Ph. de V. in Italy. An Homage of F. Landini to Philippe, in: L'ars nova italiana del trecento III (Certaldo 1975); E. H. SANDERS, The Early Motets of Ph. de V., in: JAMS 28 (1975); DERS., V., in: Grove. XX.
VI TTORI, Loreto (Lauretus Victorius), getauft 5.9. 1600 Spoleto, t 23.4. 1670 Rom; it. Sänger (Kastrat) und Komponist. Vermutlich 1612-14 Sänger am Santuario della S. Casa in Loreto und 1614-17 am Dom in Spoleto, trat er dann in Rom in den Dienst des Kardinals Maffeo Barberini, des späteren Papstes Urban VIII. 1622-47 war er Mitglied der päpstlichen Kapelle und wurde 1643 zum Priester geweiht. Aus seinen letzten Lebensjahrzehnten ist kaum etwas bekannt. V. war einer der ersten in der großen Zahl von bedeutenden Kastratensängern des 17. Jh. und genoß bei seinen Zeitgenossen ein geradezu legendäres Ansehen. Von seinen Kompositionen haben sich lediglich eine Sammlung Arie für Solostimme und B. c. (V 1649) und 2 geistliche Sologesänge (in RISM 16402) erhalten. Lit.: B. M. ANTOLINI, La carriera di cantante e compositore L V., in: Studi musicali 7 (1978);J. WHENHAM, V., in: Grove• XX.
VITTORIA, Ludovico da, "Victoria, Tomás Luis de. VIVACE (it., = lebhaft), seit der 2. Hälfte des
17. Jh. gebräuchliche Tempo-Vortrags-Bz. (u. a. erstmals 1657 in den Concerti ecclesiastici von C. Grossi). Sie findet sich entweder allein oder - so etwa bei W. A. Mozart und L. van Beethoven ähnlich wie ' Presto adjektivisch in näher charakterisierendem Sinn als Allegro vivace, Allegretto vivace und Andante vivace. Bei Beethoven gibt es auch die Superlativformen Vivace assai und Vivacissimamente (Finale der Klaviersonate Les adieux). VIVA LA MAMMA (Le convenienze ed inconvenienze teatrali), Farsa in 2 Akten von G. Donizetti, Text vom Komponisten nach 2 Komödien von Antonio Sografi. UA: 21. 11. 1827 Neapel (Teatro Nuovo); dt. EA (in dt. Sprache): 18.2. 1969 München (Cuvilliéstheater). Donizetti, durch den schier unmenschlichen Ver296
trag mit dem Theaterunternehmer D. Barbaja gezwungen, in 3 Jahren 12 Opern zu schreiben, veröffentlichte dieses Werk als vierte seiner Neuerscheinungen des Jahres 1827. Das Thema ist so alt wie die Gattung selbst: die Eitelkeiten und Eifersüchteleien der Sanger, die Halbherzigkeiten und Bosheiten der Impresari und die Tücken der Einstudierung und Organisation eines Bühnenwerkes - kurz: ein freches Sittengemälde des zeitgenössischen Theaterlebens. Die vom Ruin bedrohte Operntruppe kann sich nur dank der Freigebigkeit von Mamma Agata über Wasser halten; diese darf sich dafür den Traum ihres Lebens erfüllen: einmal eine Alt-Rolle auf der Bühne zu verkörpern. Donizettis Farce, mit einer spritzigen, unterhaltsamen Musik komponiert, hatte großen Erfolg. Horst Goerges und Karlheinz Gutheim schufen unter dem Titel Viva la mamma eine dt. Fassung mit optimistischem Schluß. Die Rolle der Mamma Agata wird hierin von einem Mann gespielt. J. SCHLÄDER
VIVALDI, Antonio Lucio, * 4.3. 1678 Venedig, t 28.7. 1741 Wien; it. Violinist und Komponist. V. wurde vermutlich von seinem Vater Giovanni Battista V., Violinist an S. Marco, und möglicherweise auch von G. Legrenzi ausgebildet. 1703 wurde er zum Priester geweiht (daher und weil er rothaarig war, sein Beiname „il prete rosso", „der rote Priester"). Wegen eines Asthmaleidens mußte er jedoch auf das Messelesen verzichten. Auf Vorschlag Fr. Gasparinis wurde er Violinlehrer am Ospedale della Pietà in Venedig, wo er Gasparini auch als Dirigent und Hauskomponist vertrat und nach dessen Ausscheiden 1713 seine Funktionen übernahm. Nach 2 in Venedig erschienenen Sonatendrucken wurde V. durch seine 12 Konzerte Estro armonico (1711) eine europäische Berühmtheit, die zahlreiche Komponisten, J. S. Bach vor allem, tiefgehend beeinflußte. Um diese Zeit erfolgte seine Wendung zur Oper; sein Erstling Ottone in villa wurde 1713 in Vicenza aufgeführt. In der Folge übernahm V. als Impresario das venezianische Theater S. Angelo und schrieb über 50 weitere Opern. V.s außerordentliche pädagogische Begabung zeigt sich im Aufstieg des Pietà-Orchesters zu einem der ersten Ensembles seiner Zeit, dessen Spielkultur mit der Pariser Opéra verglichen wurde. Auch als Violinlehrer wurde er geschätzt. Keiner der Venedigreisenden aus dem Norden unterließ es, sich von ihm beraten zu lassen, so Daniel Gottlieb Treu (Fedele) und vor allem J. G. Pisendel, auf den die reichen Dresdener V.-Bestände zurückgehen. Andere Violinisten wie G. Benda und J.-P. Guignon sind an seinen Wer-
Vivaldi ken technisch gewachsen. Hinsichtlich seiner zahlreichen Beziehungen zu hohen Gönnern sind zu erwähnen sein persönlicher Kontakt mit Kaiser Karl VI., der ihn reich beschenkt hat, und mit König Friedrich IV. von Dänemark und Norwegen, ferner sein Spiel vor dem Papst (1724) und ein 3jähriger Aufenthalt in Mantua im Dienste des Markgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt (1718 bis 1720). 1737 brach über V. eine Katastrophe herein, die ihn am Lebensnerv traf: Kardinal Ruffo, der Erzbischof von Ferrara, verbot eine Opernaufführung in dem zum Kirchenstaat gehörigen Gebiet, zu der V. das gesamte Personal mit 6000 Zechinen unter Kontrakt genommen hatte. Der Grund dafür nach V.s eigenen Worten : „weil ich Priester bin ohne Messe zu lesen und weil ich eine ,amicizia` mit der Sängerin Girò habe". Von diesem Schlag hat er sich nicht mehr erholt. Im Ospedale war man wegen seiner vielen Abwesenheiten unzufrieden und seines sich nur wenig wandelnden Stiles überdrüssig geworden. 1740 verkaufte er „una molta portione di concerti" an die Anstalt und reiste, vielleicht über Graz, nach Wien, wo aber eben sein alter Gönner Karl VI. gestorben war und der Ausbruch des Österreichischen Erbfolgekriegs jede einträgliche Tätigkeit unmöglich machte. Er starb in Wien in ärmlichen Verhältnissen; sein Grab auf dem Bürgerspitals- oder Armensündergottesacker existiert nicht mehr. WW: 1) lnstr: WW: 344 Solokonzerte; 81 Konzerte mit 2 oder mehreren Soloinstr.; 61 Sinfonien u. Ripienokonzerte; 23 Kammerkonzerte (ohne Ripieno): 93 Solo- u. Triosonaten. - Im Druck erschienen (wenn nichts anderes angegeben, in Amsterdam): 12 Triosonaten, op. 1 (V 1705); 12 V.-Sonaten, op. 2 (V 1709); 12 Konzerte L'estro armonico, op. 3 (1711); 12 V.-Konzerte La stravaganza, op. 4 (um 1714); 4 V.- u. 2 Triosonaten, op. 5 (1716); 6 V.-Konzerte, op. 6 (1716-21); 10 V.- u. 2 Oh.-Konzerte, op. 7 (1716-21); 12 V.-Konzerte Il cimento dell'armonia e dell in ventione, op. 8 (1725); 12 V.-Konzerte La cetra, op. 9 (1727); 6 Fl.Konzerte, op. 10 (um 1728); 5 V.-Konzerte sowie ein Ob.-Konzert, op. 11 (1729); 5 V.-Konzerte u. ein Ripienokonzert, op. 12 (1729); 6 Sonaten 1/ pastor fido für Musette, Vielle, Fl., Ob. (V.) u. B.c., op. 13 (1737). - 2) Vokal-WW: je I Kyrie u. Credo, 2 Gloria; ca. 25 Psalmen, Hymnen u. Sequenzen; ca. 20 Motetten. - Oratorium Juditha triumphans, VA: Venedig 1716. - 39 Solokantaten, davon 9 mit Instr.; 3 Serenate. -3) Bühnen-WW: Von den etwa 50 nachweislich aufgeführten Opern sind vollständig erhalten (ohne die Pasticci): Ottone in villa, VA: Vicenza 1713; Orlando finto pazzo, VA: Venedig 1714; L'incoronazione di Dario u. Arsilda regina di Ponto, VA: ebd. 1716; 1/ teuzzone (Libr.: A. Zeno), VA: Mantua 1719; La veritä in cimento, VA: Venedig 1720; Ercole sul Termodonte, UA: Rom 1723; Giustino, VA: ebd. 1724; Dorilla in Tempe, VA: Venedig 1726; Farnace, VA: ebd. 1727; Orlando, VA: ebd. 1727; L'Atenaide (Libr.: A. Zeno), VA: Florenz 1729; La fida ninfa, VA: Verona 1732; L'Olimpiade(Libr.: P. Metastasio), VA: Venedig 1734; Griselda (Libr.: Zeno u. C. Goldoni), VA: ebd. 1735.
V. wurde mehr als 20 Jahre nach G. Torelli und A. Corelli und 7 Jahre vor Bach geboren. Damit ist
seine Stellung in der Musikgeschichte umrissen. Er hat in seinen Sonate da camera und Violinsonaten eine genaue Kenntnis des Corellischen Schaffens bewiesen und vielleicht auch Anregungen Torellis aufgenommen. Die sogenannte V.sche Konzertform stammt zwar nicht von ihm, aber der Ausdruck ist zutreffend, wenn man darunter die typische Ausprägung, die virtuose Gestik und die zahlenmäßig überquellende Produktion versteht, mit der er seine Vorgänger weit übertraf. Sein Estro armonico hat von Amsterdam aus einen Siegeszug durch die damalige Kulturwelt angetreten, die in der Wirkung auf Bach ihren sinnfälligen Ausdruck fand. Berichten zufolge wirkte V. auf seine Zeitgenossen vor allem durch sein Violinspiel; die bis in die höchsten Lagen funktionierende Grifftechnik, aber auch die Bogentechnik riefen Staunen und Verwunderung hervor und regten ihn selbst zu Klangbildern an, die bereits in Paganini-Nähe führten. V. hat Konzerte für fast alle Instrumente geschrieben und damit den Interpreten eine reichere Auswahl angeboten als seine Zeitgenossen. Den Konzerten ebenbürtig ist das kirchenmusikalische Schaffen : das „Sacrum Militare Oratorium" Juditha triumphans devicta Holofernis barbarie fällt durch die reiche Instrumentation auf; unter den Messensätzen und Psalmen ragt das als 12teilige Kantate angelegte Gloria hervor, das heute zum festen Bestand der konzertanten Kirchenmusik gehört. Sehr zwiespältig wurde in seiner Zeit das Opernschaffen beurteilt. Er selbst schrieb von 94 „von mir komponierten" Opern, hat damit aber sicherlich Neueinrichtungen und Umbearbeitungen wie Adaptierungen fremder Werke mit einbegriffen. Trotz aller gelegentlichen Kritik hat er den Standard der damaligen Opernproduktion gehalten und ist ein gesuchter, weil gewandt und schnell schreibender Meister gewesen. Seit V. um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit dem Werk Bachs wiederentdeckt wurde, ist sein Ansehen in ständigem Wachsen begriffen; Rundfunk, Schallplatte und das Repertoire der vielen Kammerorchester sind heute ohne ihn undenkbar. Ausg.: GA der Instr.-Werke, hrsg. v. G. F. MALIPIERO, fortgesetzt von A. Fanna, 16 Serien (Mi 1947-72). - La musica sacra di A. V., hrsg. v. R. FASANO (Mi 1969) (Ausw. v. geistl. Werken). Dramma per musica La fida ninfa, hrsg. v. R. MoNTERosso (Cremona 1964); Aurilda e Alcondo, hrsg. v. L. BETTARINI (Mi 1976). - Zahlr. weitere Einzelausgaben. Lit.: 1) Werk-Vera', Dokumente, Kataloge u. Briefwechsel: A. A. LUCIANI U. a., A. V., Note e documenti (Siena 1939); O. RUDGE, Lettere e dediche di A. V. (Siena 1942); M. PINCHERLE, A. V. et la musique instrumentale, II: Inventaire thématique (P 1948, Nachdr. NY 1968); L. CORAL, A Concordance of the Thematic Indexes to the Instr. Works of A. V. (Ann Arbor 1965, 21972); A. V., Cat. numerico-tematico delle opere strumentali, hrsg. v. A. FANNA (Mi 1968); A. S. MARTIN, CASELLA - V. MORTAR! -S.
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Vives V. Violin Concertos. A Handbook (Metuchen/N.J. 1972); A. V. Cat. delle opere, hrsg.,v. A. GIRARD (Tn 1973) (mit Diskographie); P. RYOM, A. V., Table de concordances des oeuvres (Kop 1973), dt. Übers.: Verz. der Werke A. V.s (= RV) (L 1974). - 2) Biographien u. umfassende Darstellungen: A. GENTILI, V., in: RMI 24 (1917); M. PINCHERLE, A. V. et la musique instrumentale, 2 Bde. (P 1948, Nachdr. NY 1968) (s.o.); G. GUERRINI, V. (Fi 1951); M. PINCHERLE, V. (P 1955); G. F. MALIPIERO, A. V. (Mi 1958); R. GIAzoTro, V. (Mi 1965); W. KOLNEDER, A. V. (Wie 1965); M. MARNAT, A. V. (P 1965); M. MEUNIER-THOURET, V. (P 1972); R. GIAzoTro - G. RosTIROLLA, A. V. (Tn 1973) (mit Werk-Verz. u. Diskographie); W. KOLNEDER, A. V., Dokumente seines Lebens u. Schaffens (Wilhelmshaven 1979)..3) Stud. zu einzelnen Werken u. Werkgruppen: W. KOLNEDER, A. V., Neue Stud. z Biogr. u. Stilistik seiner Werke (Habil.-Schrift Saarbrücken 1956), Teildrucke als: Aufführungspraxis bei V. (L 1955, Nachdr. Adliswil 1973) sowie als: Die Solokonzertform bei V. (Str 1961) (= Slg. musikwiss. Abh.en 42); R. ELLER, Die Entstehung der Themenzweiheit in der Frühgesch. des Instrumentalkonzerts, in: FS H. Besseler (L 1961); DERS., V., Dresden, Bach, in: BzMw 3 (1961), wiederabgedruckt, in: J. S. Bach, hrsg. v. W. Blankenburg (Da 1970) (= Wege der Forsch. 170); O. RUDGE, II „Choris" della ,Juditha triumphans" di A. V., in: Musiche it. rare e vive ..., hrsg. v. A. Damerini - G. Roncaglia (Siena 1962); W. KOLNEDER, V.s Aria-Concerto, in: DJbMw 9 (1964); DERS., Die V.-Forsch. Gesch., Probleme, Aufgaben, in: Forsch. u. Fortschritt 40 (1966); dass., in: ÖMZ 22 (1967); H. CH. WOLFF, V. u. der Stil der it. Oper, in: AMI 40 (1968); H.-G. KLEIN, Der Einfluß der Vivaldischen Konzertform im Instrumentalwerk J. S. Bachs (Str 1970) (- Sig. musikwiss. Abh.en 54); K. HELLER, Die dt. Überlieferung der Instrumentalwerke V.s (L 1971); R. RÜEGGE, Die Kirchenmusik v. A. V., in: SMZ 111 (1971); W. KOLNEDER, Melodietypen bei V. (Z 1973); W. BRAUN, A. V., Concerti grossi, op. 8, Nr. 1-4 „Die Jahreszeiten" (Mn 1975) ( _ Meisterwerke der Musik 9); V. veneziano europeo, hrsg. v. F. DEGRADA (Fi 1980); E CROSS, The Late Operas of A. V. 1727-1738, 2 Bde. (Ann Arbor/Mich. 1981). W KOLNEDER
VIVES, Amadeo Roig, * 18. 11. 1871 Collbató bei Barcelona, t 1. 12. 1932 Madrid; span. Komponist. Er studierte bei F. Pedrell in Barcelona und leitete dann eine Musikkapelle in Málaga. Nach Barcelona zurückgekehrt, war er dort zunächst Organist und Kapellmeister des Nonnenklosters Loreto und gründete 1891 mit LI. Millet den Orfeó Català, der sich bald als führender katalanischer Chor etablierte und für den V. Kompositionen und
Arrangements schrieb. Nach dem Erfolg seiner ersten Oper Artus (1895) ließ er sich als Bühnenkomponist in Madrid nieder, wo er auch eine Zeitlang am Konservatorium lehrte. V. hat maßgeblich zu einem neuen Aufschwung der span. Musik um die Jahrhundertwende beigetragen. WW: Zarzuelas: Don Lucas del Cigarral, UA: Madrid 1899; La balade de la luz UA: ebd. 1900; Doloretes, UA: ebd. 1901; Bohemios UA: ebd. 1903; Doňa Francisquita, UA: ebd. 1923. - Canciones epigramáticas (1915-16) für Gesang u. Klv.; Chorwerke, u. a. L'émigrant (1890). Lit.: A. CARRIÓN, A. V. (Ba 1932); J. SUBIRÁ, Ideario estético y ético de A. V. (Ba 1933); D. P. THOMPSON, Doňa Francisquita, a „Zarzuela" by A. V., Translation, Adaption, Musical Direction, and Production, 3 Bde. (= Diss. Univ. of Iowa 1970); T. BORRAS, A. V. (1871-1971) (Ma 1972).
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VIVIANI, Giovanni Bonaventura, * 15.7. 1638 Florenz, t 1692 oder später Pistoia(?); it. Komponist. Er war zwischen 1656 und 1660 Violinist und 1672-76 Direktor der Hofmusik in Innsbruck. 1677 brachte er in Venedig und 1679 in Neapel seine Oper Astiage zur Aufführung. In Neapel leitete er 1678-79 und 1681-82 eine Operntruppe. 1686 war er Kapellmeister des Fürsten Bisignano und 1687-92 an der Kathedrale in Pistoia. Bemerkenswert ist eine Sinfonia cantabile in V.s Capricci, die nach Art einer Solokantate geschrieben ist und auch Instrumentalrezitative enthält. WW : Suonate für 2 V., Va. u. B.c. (V 1673); Capricci armonici da chiesa e da camera für V. mit einer Trp.-Sonate (V 1678); weitere Sonaten hsl. - Salmi, motetti e litanie u. Veglie armoniche für 1-3 St., V. u. B.c. (Bol 1688, Fi 1690); Solfeggiamenti für 2 St. (Fi 1693). - Oratorien: La strage degli innocenti; L'Esequie del Redentore; L'Abramo in Egitto; Faraone.- Opern: Astiage, UA: Venedig 1677; Mitilene, UA: Neapel 1681/82; La vaghezza del fato; ferner einige Kantaten. Lit.: H. SEIFERT, G. B. V. Leben, Instrumental- u. vokale Kammermusikwerke (Diss. W 1970).
VLAD, Roman, * 29. 12. 1919 Czernowitz (Bukowina); it. Komponist rumänischer Herkunft. Er studierte Klavier am Konservatorium in Czernowitz, kam 1938 nach Rom und nahm an den Kursen von A. Casella an der Accademia di S. Cecilia teil. 1942 wurde er für seine Sinfonietta mit dem Enescu-Preis ausgezeichnet und ist seither als Komponist, Pianist und Musikkritiker tätig. 1954 und 1955 lehrte er bei den Sommerkursen in Dartington und wurde 1968 Professor für Komposition am Konservatorium in Perugia. 1955-58 und 1966-69 war er künstlerischer Leiter der Accademia Filarmonica Romana, 1964 des Maggio Musicale Fiorentino und seit 1968 des Teatro Comunale in Florenz, außerdem 1960-63 Präsident der italienischen Sektion der IGNM. In seinen Kompositionen verwendet V. undogmatisch neue Verfahren von der seriellen Technik bis zur elektronischen Musik und Aleatorik. WW: 1) Instr: u. Vokal-WW: Klv.-Kompositionen, u. a. Studi dodecafonici (1943, rev. 1957) u. Variazioni concertanti su una serie di 12 note dal „Don Giovanni" di Mozart (1955); Musica concertata (1958) für Harfe; Ode super „Chrysea Phorminx"(1964) für Gitarre; Sonatina für Fl. u. Klv. (1945); Divertimento für 11 Instr. (1948); Serenade für 12 lnstr. (1959). - Sinfonia all'antica (1947-48); Meloritmi (1955-57) für Streichorch. - 3 Invocazioni (1948-49) für hohe St. u. Orch. (oder Klv.); 5 Elegien (über biblische Texte) (1954-52) für St. u. Streichorch.; Kantaten De profundis (1942-46) u. Le ciel est vide (nach G. de Nerval, 1952-53) für Sopran, Chor u. Orch. - 2) Bühnen-WW: Opern: Storia di una mamma (G. da Venezia nach Andersen), UA: Venedig 1951; Funkoper Il dottore di vetro (M. L. Spaziani nach Ph. Quinault), UA: RAI 1960, Bühnenfassung: UA: Berlin 1961. - Ballette: La strada sul caffé(1942-43); La dama delle camelie, UA: Rom 1945 (2. Version UA: ebd. 1956); Masques ostendais, UA: Spoleto 1959; Die Wiederkehr, UA: Köln 1962. - Ferner Bühnenmusik. - 3) Elektronische Musik: Ricercare elettronico (1961). - 4) Schrif-
Vogel ten: Dallapiccola(M i 1957); Storia della dodecafonia (ebd. 1958); Strawinsky (Tn 1958, 2 1973, engl. Lo 1960, poln. Krakau 1974); A. Schönberg schreibt an G. F. Malipiero, in: Melos 38 (1971); Gli ultimi anni di Strawinsky, in: NRMI 6 (1972); Alcune osservazioni sulla struttura delle opere di Verdi, in: Atti del III. Congresso int. di studi verdiani Mailand 1972 (Parma 1974).
VLADIGEROV, Pančo, r Wladigerow, Pantscho.
VLIJMEN, Jan van, * 11. 10. 1935 Rotterdam; ndl. Komponist. Er war Kompositionsschüler von C. van Baaren am Konservatorium in Utrecht, leitete 1961-65 die Musikschule in Amersfoort, war 1965-67 Lehrer für Theorie am Utrechter Konservatorium und wurde 1967 2. Direktor am Konservatorium in Den Haag, das er seit 1971 leitet. In seinen Kompositionen verwendet V. serielle Techniken. WW: Costruzione (1960) für 2 Klv.; Streichquartett (1955); Bläserquintett (1958); Serie per 6 strumenti (1960) für KIv., FL, Ob., Klar., Fag. u. Trp.; Serenata /(1964) für 12 Instr. u. Schlagzeug u. Serenata 11 (1964) für Fl. u. 4 Instr.-Gruppen (1966); Gruppi (1962) für 20 Instr. u. Schlagzeug; Sonate für KIv. u. 3 Instr.Gruppen (1966); Dialogue (1966) für KIv. u. Klar.; Per diciasette (1968) für 17 Bläser; Omaggio a Gesualdo (1971) für V. u. 6 Instr.-Gruppen. - 3 Lieder nach Gedichten v. Ch. Morgenstern (1958).
VOCES AEQUALES, ad voces aequales (lat., = zu gleichen Stimmen), auch it. Voci pari (= gleiche Stimmen) und Voci mutate (wörtlich • = veränderte Stimmen), in der Vokalmusik des 16. Jh. Besetzungs-Bz. für Kompositionen mit Knaben- und Männerstimmen ohne Discantus und mit reduziertem Stimmumfang. - r Aequal, gleiche Stimmen. VOGEL (Vogl), Cajetan (Caetano, Kajetan), * um 1750 Konjedy bei Leitmeritz (heute Litoměřice), t 27.8. 1794 Prag; böhmischer Komponist und Chordirigent. Er studierte in Prag Theologie, trat 1769 dem Servitenorden bei und war von 1774 bis zur Auflösung des Klosters 1786 Chordirektor der Ordenskirche St. Michael. Anschließend wirkte er an der Dreifaltigkeitskirche in Prag-Neustadt. V. gilt als Repräsentant sakraler Musik des böhmischen Spätbarock. WW: Vesperpsalmen u. Magnificat (Mn 1819); hsl. sind erhalten 20 Messen; 7 Requiem; einige Offertorien u. Motetten; weitere Psalmen u.a. kirchenmusikal. Werke; ferner ein Quintett für V., Klar., Fag., Horn u. Kb. sowie je ein Konzert für Cemb. u. für Horn. Lit.: R. Quottcn, V., in: MGG XIII; F. WEISS, C. V.... sowie Thematisches Verz. der Werke des böhmischen Komponisten C.V., in: KmJb 60 (1976) u. 61/62 (1977/78).
VOGEL, Martin, * 23. 3. 1923 Frankfurt/Oder; dt. Musikforscher. Er studierte seit 1949 an der Universität Bonn, wo er 1954 promovierte und sich 1959 habilitierte. 1968 wurde er Wissenschaftlicher
Rat und Professor. V. beschäftigt sich besonders mit Problemen der musikalischen Stimmung und konstruierte u. a. enharmonisch umstimmbare Trompeten, Tuben und Waldhörner, ein enharmonisch umstimmbares 2manualiges Cembalo (Ausführung Merzdorf), eine 48tönige Pfeifenorgel (Ausführung St. Schumacher), ein 171 töniges elek(Ausführung Tasteninstrument tronisches H. Scheid) sowie enharmonische Gitarren (Ausführung Höfner). Schriften: Die Zahl Sieben in der spekulativen Musiktheorie (Diss. Bonn 1954); Apollinisch u. Dionysisch. Gesch. einsgenialen Irrtums (Rb 1966) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 4); Funktionszeichen auf akustischer Grundlage, in: ZfMth 1 (1970); Was hatte die „Liebesgeige" mit der Liebe zu tun . in: Musicae Scientiae Collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973). - V. begründete u. gibt heraus die Orpheus Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik (Düsseldorf 1961 ff., seit 1973 Bonn-Bad Godesberg), darin von ihm selbst: 1: Die Intonation der Blechbläser(1961); 2: Der Tristan-Akkord u. die Krise der modernen Harmonielehre (1962); 3-4: Die Enharmonik der Griechen (1963); 8: Die Zukunft der Musik (1968); 13-14: Onos Lyras. Der Esel mit der Leier(1973); 16: Die Lehre v. den Tonbeziehungen (1973); 25-26: Chiron, der Kentaur mit der Kithara ( 1978); 30-31: Musiktheater (1980-81); 34: Schönberg u. die Folgen (1983).
VOGEL, Wladimir Rudolfowitsch, * 29.2. 1896 Moskau, t 19.6. 1984 Zürich; Schweizer Komponist dt.-russ. Abstammung. Durch seine Bekanntschaft mit A. Skrjabin wandte er sich der Komposition zu. 1914-18 in Birsk (Ural) interniert, lernte er russische Vokalmusik kennen, die entscheidende Anregung für seine spätere Sprechchorkompositionen gab. Seit 1918 studierte er in Berlin bei H. Tiessen und F. Busoni Komposition und wurde 1925 Kompositionslehrer am KlindworthScharwenka-Konservatorium. 1933 emigrierte er nach Ascona und erhielt 1954 die Schweizer Staatsbürgerschaft; seit 1964 lebte er in Zürich. J. Wildberger, R. Liebermann und E. Rautavaara waren seine Schüler. WW: Für Klv.: Etude Toxata (1926); Variétude (1932); Epitaffio per A. Berg (1936); Dai tempi piu rimoti (1922-41, revidiert 1968); 4 Versionen einer Zwölftonfolge (1973); Komposition (1923) für 2 Klv. (auch für ein Klv.). - La ticinella (1941) für Fl., Ob., Saxophon, Klar. u. Fag.; 12 Variétudes (1942) für V., Fl., Klar., Vc.; Arie für Vc. u. Klv.; Inspirée par J. Arp (1965) für Fl., Klar., V., Vc.; Turmmusik /-IV(1958-59) für 4 Hörner, 3 Trp. u. 2 Pos.; Ritmica ostinata (1932) für 3 Trp., 3 Pos. u. Tuba; Devise (1934) für 2 Trp., 3 Pos. u. Tuba; Streichquartett (1974). - Für Orch.: Sinfonia fugata in memoriam F. Busoni (1924); 4 Etuden (1930-32); Tripartita (1934); Passacaglia (1946); Sept aspects d'une série de douze sons (1950); Spiegelungen (1952); Interludio lirico (1954) ; Preludio, Interludio lirico, Postludio(1954); Hörformen I-VI (1967); Konzerte für V. sowie für Vc. (1937, 1954); Hörformen (1973) für Klv. u. Streichorch.; Abschied u. Meloformen für Streichorch. - Lieder u. Gesänge für SingSt u. Klv. sowie SingSt u. Instr.; Werke für Chor a cap. u. Sprechchor a cap.; Kantaten u. Oratorien, darunter: Thyl Claes (daraus versch. Einzelstücke u. Suiten), 1. Teil (1938-42), 2. Teil (1943-45); An die Jugend der Welt (1954); Jona ging doch nach Ninive (1958); Meditazione sulla maschera di A. Modigliani (1960); Worte
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Vögel (1962); Flucht (1963-64); Wagadus Untergang durch die Eitelkeit (1930, Neufassung 1955). — V. schrieb: Der moderne Sprechchor, in: NZfM 121 (1960); Zur Idee des Prometheus von Skrjabin, in: SMZ 112 (1972); Grundsätzliches zum Dramma-Oratorio, in: Musica 20 (1966).
V.s Entwicklung von Skrjabin über Busonis Idee einer neuen Klassizität führte zur Anwendung der Zwölftontechnik und zur schöpferischen Bewältigung immer neuer Aufgaben (Ostinato-Kompositionen, Hörformen). In seinen vielfältigen Kompositionen für Sprechchor und Solosprechstimmen, zu denen er eine Notation entwickelte, thematisiert V. allgemeinmenschliche Probleme oft in der Künstleridee (Thyl Claes, Wagadu, Worte). Lit.: G. SCHUHMACHER, Gesungenes u. gesprochenes Wort in Werken W. V.s, in: AfMw 24 (1967), Neudr. in: Zur musikal. Analyse, hrsg. v. dems. (Da 1974); H. OESCH, W. V. Sein Weg zu einer neuen musikal. Wirklichkeit (Be — Mn 1967) (mit WerkVerz.); G. WERKER, De componist W. V., in: Mens en melodie 23 (1968); G. SCHUHMACHER, Die musikal. Verwendung des Sprechchors im 20. Jh., in: Sprechen u. Sprache, hrsg. v. H. Geissner u.a. (Wuppertal 1969). G. SCHUHMACHER
VÖGEL, DIE, ein lyrisch-phantastisches Spiel in 2 Aufzügen nach Aristophanes, Dichtung u. Musik von W. Braunfels, op. 30. UA: 30. 11. 1920 München (Nationaltheater). In seiner Textfassung hebt Braunfels - wie der Untertitel ausweist - das Lyrische in der Komödie des Aristophanes gegenüber dem satirischen Element hervor. Somit schafft er im Libretto die Voraussetzung dafür, bei der Darstellung der drei Bereiche (Menschheit, Phantasiewelt des Vogelstaates und Gottheit) die Musik in seinem Sinne an die Handlung zu binden. Die lautmalerische, eindrucksvoll Vogelstimmen imitierende Tonsprache läßt die Sehnsucht der Menschen nachempfinden, in dem „süßtönenden Reiche, wo nur Gefühltes Leben heißt, los uns lösen von der Last der Erde". Auch die vergeblichen Warnungen des Prometheus an die Vögel, sich nicht vermessen gegen die Götter zu erheben, sowie die Bestrafung der Vögel durch Zeus werden ausdrucksstark mit musikalischen Mitteln dargestellt. Die Verbindung von lyrischen Kantilenen und funktional erweiterter Harmonik ohne Sentimentalitäten und expressionistische Härten begründete den großen Erfolg dieser Oper, die in den zehn Jahren nach der UA häufiger als die Bühnenwerke etwa von R. Strauss zur Aufführung gelangte. K. LANGROCK VOGELGESANG. Aus dem zoologischen Terminus für Singvögel (lat. oscines, was mit lat. omen canere = Anzeichen singen zusammenhängt) wird nicht nur die enge Verbindung zwischen V. und Musik ersichtlich, sondern auch der kultische Ursprung der - bei allen Naturvölkern noch immer 300
beobachtbaren - Nachahmung von Vogelrufen in musikalischem Kontext. So ist es nicht verwunderlich, daß in der europäischen Musikgeschichte der V. stets zu den beliebtesten außermusikalischen Themen und Anspielungen darstellender Musik gehört hat. Die reiche Tradition der Adaption von Vogelrufen in der Musik durchzieht dabei die Gattungen - vom Volkslied (Kuckuck, Kuckuck, ruft's aus dem Wald) bis zur Symphonie (L. van Beethoven, Pastorale) -, die Jahrhunderte - vom Sommerkanon des Mönchs von Reading (Sumer is icumen in, 13. Jh.) und dem Mailied Oswalds von Wolkenstein (Der mai mit lieber zal, Anfang 15. Jh.) bis zu O. Messiaens La fauvette des jardins (1972) - sowie die mit der Tradition jeweils verbundenen kompositorischen Grundhaltungen von der parodistischen Absicht bei C. Saint-Saëns („Grande fantaisie zoologique” Le carnaval des animaux) bis zur musikalischen Abbildung des Naturlauts aus pantheistischer Weltsicht heraus (z. B. bei G. Mahler oder Messiaen). Dementsprechend häufig treten, wiederum in den verschiedensten musikalischen Zusammenhängen, Kompositionen auf, in denen es zu regelrechten VogelstimmenAufzählungen kommt: so z. B. bei Cl. Janequin (Le chant des oyseaux, 1537), H. I. Fr. Biber (Repraesentatio aviorum für V. u. B. c., um 1680), A. Vivaldi (La primavera und L'estate aus op. 8), L. Boccherini (das Streichquartett L'uccelliera op. 11/6, 1771), O. Respighi (Suite Gli uccelli, 1927, nach älteren Vorbildern für VogelstimmenKompositionen) oder Messiaen (Oiseaux exotiques für großes Orch., 1956). Gerade die religiös motivierte Arbeit Messiaens, wie sie noch unmißverständlicher in seinem 1956-58 verfaßten Catalogue d'oiseaux hervortritt, hat die Auffassung der musikalischen Relevanz des V.es vor anderen Naturlauten bis zu einem Punkt bestärkt, an dem sogar eine musikwiss. Vogelkunde gefordert wurde. Neben der Tatsache, daß man sich dabei auf A. Kirchers Musurgia universalis (1650) berufen konnte, in der bereits einige Vogelrufe in musikalischer Notation festgehalten sind, wurde eine solche Entwicklung gewiß auch aus der Struktur des Vogelruf-Materials selbst begünstigt, dessen artspezifische Stereotypisierung der rhythmisch-melodischen Beschaffenheit nach weitgehend mit Termini der Musikwissenschaft beschrieben werden kann. So wurden, besonders in den USA, sogar neue Methoden der wissenschaftlichen Dokumentation und Analyse auch des sog. Gezwitschers entwickelt (u. a. von P. Szöke, W. H. Gum, J. Fasset), dessen Mikrostrukturen sich nach Bandaufnahme durch Zeitdehnungs- und Transpositionsverfahren „der menschlichen Musik er-
Vogler staunlich weit annähern ließen". Die Ergebnisse einer derartigen „Ornithomusikoiogie" allerdings, soweit sie gar die Einteilung des gesamten Vogelrufmaterials in einen musikalischen und einen nichtmusikalischen Bereich betreffen, stehen ebenso wie Spezialuntersuchungen zu den musikalischen „Leistungen" einzelner Arten (Amsel, Nachtigall) im Widerspruch zur musikalischen Praxis: denn einerseits bezogen Biber (s. o.) oder Telemann (Suite F-Dur für 4 Hörner, 2 Ob., Str. u. B. c.) auch „concertierende Frösche und Krähen" in ihre Kompositionen mit ein, und andererseits räumen auch die Komponisten der Musique concrète bis hin zu J. Cage den Vogelrufen keinen prinzipiellen Vorrang im Reich des Akustischen ein. Lit.: A. CHAPUts, Les automates figures artificielles d'hommes et d'animaux (Neuchâtel 1950); W. H. THORPE, Bird-Song. The Biology of Vocal Communication and Expression in Birds (C 1961); E. A. ARMSTRONG, A Study of Bird Song (Lo 1963); P. SZÖKE — W. W. H. GUNN — M. FILIP, The Musical Microcosm of the Hermit Trush, in: Studia musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 11 (1969); G. THIELCKE, Vogelstimmen (B 1970); T. HOLD, Messiaens Birds, in: ML 52 (1971); C. HARTSHORNE, Born to sing. An Interpretation and World Survey of R. CADENBACH Bird Song(Bloomington/ Ind. 1973).
VOGELHÄNDLER, DER, Operette in 3 Akten von C. Zeller, Text von Moritz Nitzelberger-West u. Ludwig Held nach einer Idee von Biéville. Ort u. Zeit der Handlung: in der Rheinpfalz, zu Beginn des 18. Jh.; UA: 10. 1. 1891 in Wien (Theater an der Wien). Verfilmt: 1935, 1940 u. 1953. Die Idee zum Vogelhändler kam C. Zeller während eines Ferienaufenthaltes in Tirol. Die Verwechslungskomödie, in der der falsche Graf Stanislaus der Briefträgerin Christi den Hof macht, während deren Bräutigam, der Vogelhändler Adam, darüber erbost, mit der als Bauernmädchen verkleideten Kurfürstin Marie flirtet, wird mit dem glücklichen Zusammenfinden von Christi und Adam beschlossen. Der volkstümliche Charakter der Handlung findet seinen Niederschlag auch in der musikalischen Gestaltung. Melodien wie Graf3 euch Gott, alle miteinander, Ich bin die Christi von der Pos4 F1ix, Flux, Flax, Florian, Schenkt man sich Rosen in Tirol und Wie mein Ahn'i zwanzig Jahr sind alle im Volksliedstil geschrieben und, losgelöst aus dem Werkrahmen, Evergreens geworden. Der große Erfolg des Vogelhändler - im Theater an der Wien 184 Aufführungen en suite ist dem Werk bis heute wegen seines volkstümlichen Charakters (im Sinne C. Millöckers als „echte Volksoperette" zu bezeichnen) erhalten geblieben. B. DELCKER VOGGENREITER VERLAG. Er wurde 1919 in Regensburg als Der WeiBe Ritter Verlag von Lud-
wig Voggenreiter gegründet, siedelte 1922 nach Berlin und 1924 nach Potsdam über, wo er unter dem Namen Verlag Ludwig Voggenreiter bis 1948/49 seinen Sitz hatte. Nach Voggenreiters Tod 1948 führte Heinrich Voggenreiter die Firma in Bad Godesberg weiter; sie ist seit 1972 im Besitz von Ernst Voggenreiter. Die Verlagsgründung erfolgte in Zusammenhang mit der Deutschen Jugendbewegung. Aus Voiksliedsammlungen entwickelte sich der eigenständige Zweig des Musikverlags, der auch Werke zeitgenössischer Komponisten (C. Bresgen, Fr. Jöde u. a.) herausbrachte und auf dem Gebiet der Schulmusik aktiv war. In den 60er Jahren nahm er sich der neuen Bewegung der Folksänger und Liedermacher an. Durch den verlagseigenen Label „Xenophon" kamen die ersten Aufnahmen u. a. von Reinhard Mey, Schobert & Black, Hannes Wader, Christop Stählin, Walter Hedemann und Ray Austin auf den Markt. Später wurden u. a. die Formationen Eddi & Finbar Furey, Earforce und The String Band in das Programm aufgenommen. VOGL, Johann Michael, * 10.8. 1768 Ennsdorf bei Steyr, t 20. 11. 1840 Wien; östr. Sänger (Bariton). V. kam 1785 mit Fr. X. Süßmayr nach Wien, absolvierte dort ein Jurastudium, ging aber 1794 als Sänger an die Hofoper, der er bis 1821 angehörte. Er sang dort über 130 Rollen, u. a. die des Pizarro bei der Uraufführung der 3. Fassung von L. van Beethovens Fidelio (1814) und die Haupt(Doppel-)Rolle in Fr. Schuberts Oper Zwillingsbruder, zu deren Entstehung er maßgeblich beigetragen hatte. V., seit 1817 mit Schubert befreundet, hat groBe Verdienste vor allem um Interpretation und Verbreitung von dessen Liedern erworben. Lit.: A. LIESS, J. M. V. (Gr — Kö 1954).
VOGLER, Georg Joseph (Abbé V.), * 15.6. 1749 Würzburg, t 6.5. 1814 Darmstadt; dt. Komponist, Musiktheoretiker und Organist. V. studierte seit 1763 in der Humanistenklasse der Universität Würzburg, dann Jura und Theologie an der Universität Bamberg. 1771 holte ihn der Kurfürst Karl Theodor als Almosenier und Kaplan an seinen Hof nach Mannheim (OE Mannheimer Schule). 1773 ging V. zum musikalischen Studium nach Italien und war in Bologna Schüler von Padre Martini, in Padua von Fr. A. Vallotti; Papst Pius VI. ernannte ihn zum Apostolischen Protonotar. 1775 nach Mannheim zurückgekehrt, wurde er dort Geistlicher Ras und 2. Kapellmeister und gründete 1776 eine musikalische Ausbildungsstätte, die „Mannheimer Tonschule", deren Unterrichtssystem er in mehreren Schriften exponierte. Nach 301
Vogler der Verlegung des kurfürstlichen Hofes nach München 1778 blieb V. zunächst in Mannheim und hielt sich 1780-83 in Paris auf, trat als Cemba-
list im Concert spirituel auf und brachte mehrere Opern ohne sonderlichen Erfolg zur Aufführung. In dieser Zeit legte er auch sein musiktheoretisches System der Académie des Sciences in Paris und der Royal Society in London zur Prüfung vor. 1783 wurde er in München Hofkapellmeister und ging 1786 ,in gleicher Funktion an den schwedischen Königshof nach Stockholm, wo er wiederum eine Musikschule gründete. Von Stockholm aus führten Konzertreisen als Organist V. in viele europäische Länder. 1792-93 unternahm er eine Studienreise nach Portugal, Nordafrika und Griechenland, um die dortige Musik kennenzulernen. 1799 kehrte er endgültig nach Deutschland zurück und beschäftigte sich nun hauptsächlich mit dem Bau und der Erneuerung von Orgeln nach einem eigenen „Simplifikationssystem", bei dem die tiefsten Töne akustisch als Differenztöne und nicht durch eigene große Pfeifen erzeugt werden und bei dem nur wenige charakteristische Register verwendet werden. Das System stieß jedoch auf den Widerstand der meisten Orgelbauer. Ein unruhiges Wanderleben führte V. u. a. nach Kopenhagen, Berlin, Prag und Wien, wo er J. Haydn und L. van Beethoven kennenlernte, und 1805 nach München. 1807 ernannte ihn Großherzog Ludwig I. von HessenDarmstadt zum Hofkapellmeister. In Darmstadt eröffnete er wieder eine Musikschule und betrieb von hier aus weitere Orgelum- und -neubauten. WW: 1) Instr.-WW: Im Druck erschienen: Sonaten, Variationen u. a. Stücke für Cemb. oder Klv., für Klv. oder Org., für Klv. u. V.; Klv.Trios; Klv.-Quartette, darunter Der eheliche Zwist (L 1796) u. Polymelos ou Caractères de musique des différentes nations (Speyer 1806). - Für Orch.: 3 Symphonien; 2 Ouvertüren; 9 Konzerte u. mehrere Variationen für Klv. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Über 100 kirchenmusikal Werke, darunter 11 Messen bzw. Requiems; Klv.-Lieder; Kantaten mit Klv. oder Orch.; Chorwerke mit u. ohne Instr.-Begleitung. - 3) Bühnen-WW: 11 Opern, Singspiele u. Operetten (nach di, frz., it. u. schwed. Libretti) (hsl. oder als Klv.-A. erhalten), darunter: Der Kaufmann von Smyrna, UA: Mannheim 1771; La kermesse, UA: Paris 1783; Gustave Adolph och Ebba Brahe, UA: Stockholm 1788; Santori, UA: Wien 1804; 3 Ballette; Melodram Lampedo; ferner Schauspielmusiken, darunter zu Hermann v. Unna (L um 1800). - 4) Schriften: Tonwissenschaft u. Tonsezkunst (Mannheim 1776, Nachdr. Hil 1970); Churpfälzische Tonschule (ebd. 1778 mit separaten Beispielen); Betrachtungen der Mannheimer Tonschule, 3 Jahrgänge (ebd. 1778-81, Nachdr. Hil 1971); Choral-System (Kop 1800); Hdb. der Harmonielehre u. für den Generalbass (Pr 1802); System für den Fugenbau (Offenbach 1811); weitere Schriften u. a. z. musikal. Akustik u. z. Fragen des Orgelbaus; Musikartikel z. Deutschen Enzyklopädie, A-K, 23 Bde. (F 1778-1804); ferner Analysen (Zergliederungen)von eigenen Werken u. von Werken anderer Komponisten.
V. erlangte zeitgenössischen Ruhm vor allem durch seine Bemühungen auf dem Gebiet des Or-
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gelbaus, die sich aber nicht entscheidend durchsetzen konnten, und durch seine Konzerte als Improvisator auf einer eigens für ihn konstruierten tragbaren Orgel („Orchestrion” genannt). Sie besaß 4 Manuale, aber nur 14 Register mit 900 durchschlagenden Zungenpfeifen, die V.s Vorstellung von orgelmäßiger Expressivität und Kantabilität entsprachen. Auf diesem Instrument bot er geradezu spektakuläre Programme dar unter Einbeziehung von Schlachtengemälden und Gewittergeräuschen. Als Musiktheoretiker unter dem Einfluß Vallottis stehend, war die Harmonielehre sein Hauptanliegen; er entwickelte hier ein eigenes kompliziertes System der Wertung und Deutung der Akkorde. Das brachte ihn auch dazu, Werke anderer Komponisten, darunter Choräle J. S. Bachs, zu „zergliedern" und sie nach seiner Vorstellung zu „verbessern" und trug ihm heftige Kritik ein. V.s eigene Kompositionen haben ihn kaum überlebt und sind auch noch nicht eingehend untersucht worden. Bedeutend war V. schließlich als Lehrer. Aus der großen Zahl seiner Schüler seien hier nur P. von Winter, J. M. Kraus, Fr. Danzi, C. M. von Weber und G. Meyerbeer genannt. Mit seinem gesamten Wirken ist V. eine der vielseitigsten, originellsten und anregendsten Persönlichkeiten in der Musikgeschichte zwischen der ausgehenden Mannheimer Vorklassik und der beginnenden Romantik. Ausg.: El.-Quartett, in: Mannheimer Kammermusik des 18. Jh. 1, hrsg. v. H. RIEMANN (1914) (- DTB 15); dass., hrsg. v. K. ZÖLLNER (H 1958); Cemb.-Konzert C-Dur, hrsg. v. G. LENZEWSKI (B o.J.); Variationen für Klv. u..Orch., hrsg. v. F. SCHROEDER (Mz 1951); Gustave Adolph, hrsg. v. M. TEGEN (Sto 1973) (- Monumenta musicae Svecicae 7). Lit: K. E. VON SCHAFHÄUTE, Abt G. J. V. (Au 1888, Nachdr. Hil 1979); H. SCHWEIGER, Abbé V.'s Orgellehre (W 1938) (mit Schriften-Verz.); H. KREITZ, Abbé G. J. V. als Musiktheoretiker (Diss. masch. Saarbrücken 1957); W. RECKZIEGEL, V., in: MGG XIII; D. J. BRITTON, Abbé G. J. V. His Life and his Theories an Organ Design (1973) (- Diss. Univ. of Rochester); W. LEBERMANN, Zur Authentizität v. G. J. Voglers Geburtsort, in: Mf 34 (1981).
VOGT, Hans, * 14.5. 1911 Danzig; dt. Komponist. Er studierte 1929-34 an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin, seit 1930 auch an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik, war 1934-44 als Kapellmeister und Opernchef in Bielefeld und Detmold und (seit 1938) als Städtischer Musikdirektor in Stralsund tätig. 1951 wurde er Kompositionslehrer (1971 Professor) an der Musikhochschule in Mannheim. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, u.a.: Dialoge (1961) für Klv.Trio; Streichquartette (1960, 1975); Streichquintett (1967). - Für Orch.: Sinfonie in C (1940); Klv.-Konzert (1952); Monologe (1964); Vc.-Konzert (1968); Azioni sinfoniche (1971). - Lieder mit Klv. u. Orch. ; Kammeroratorium Historie der Verkündigung (1954) für 3 Solost., Chor u. 13 Instr. ; Requiem (1970) für Sopran,
Volkmann BaB, Chor, 2 Trp. u. Schlagzeug; Strophen (1975) für Bar. u. Orch. - Opern: Die Stadt hinter dem Strom, UA: NWDR 1953, szenisch Wiesbaden 1954; Athenerkomödie, UA: Mannheim 1964. - V. schrieb Neue Musik seit 1945 (St 1972, '1975). Lit.: W. STEGER, Vom Eigenwert der Musik, H. V., in: Musica 25 (1971).
VOIGTLÄNDER, Gabriel, * um 1596 Reideburg bei Halle, t 22. oder 23. 1. 1643 Nykobing bei Kopenhagen; dt. Instrumentalist. V. ist 1626 als Stadttrompeter in Lübeck nachweisbar und war 1633-36 Hoftrompeter Herzog Friedrichs III. von Schleswig-Holstein in Gottorf. Anschließend wurde er Hofmusiker König Christians V. von Dänemark in Nykobing und Kopenhagen. V. veröffentlichte Ersther Theil Allerhand Oden und Lieder, welche auf allerley als Italianische, Frantzösische, Englische und anderer Teutschen guten Componisten Melodien und Arien gerichtet ..., der 93 Sololieder mit Generalbaßbegleitung zu eigenen Texten enthält. Die Melodien sind Vokalund Instrumentalwerken (ohne Angabe der Quellen und bislang meist nicht identifiziert) entnommen. Mit 4 Neuauflagen (1647-64) hatte das Werk einen ähnlich nachhaltigen Erfolg wie 100 Jahre später Sperontes' nach demselben Prinzip zusammengestellte Singende Muse an der Pleisse und beeinflußte die Entwicklung des dt. Liedes. Lit.: K. FISCHER, G. V. (Diss. B 1910); DERS., G. V., in: SIMG 12 (1910/11); J. HENNINGS, Neues über G. V., in: Mf 2 (1949); G. MÜLLER, Gesch. des dt. Liedes vom Barock bis zur Gegenwart (Bad Homburg 1959).
VOKALISE, Vocalise, Bz. für ein Sologesangstück mit und ohne Begleitung, dessen Vokalpart nur auf einem oder mehreren Vokalen gesungen wird. Zu unterscheiden ist zum einen die V. als reines Übungsstück, das in der Gesangsausbildung einem ähnlichen Zweck dient wie das r Solfeggio. Solche V.n mit Klavierbegleitung gibt es seit dem frühen 19. Jh. in großer Zahl, teils als Bearbeitung von älteren Werken bekannter Komponisten, teils als Neuschöpfung, teils im Rahmen von Gesangschulen, teils separat. Das kompositorische Niveau ist entweder nur auf den Übungszweck abgestimmt oder zeigt eigenes Profil (z. B. in dem Répertoire moderne de vocalises-études, hrsg. v. A. L. Heftich, 6 Bde., P 1907 ff.; darin auch eine V. von G. Fauré und die Vocalise-étude en forme de Habanera von M. Ravel). Zum anderen entsteht im 19. Jh. auch die V. als vokales Konzertstück ohne unmittelbare Bindung an die Gesangsausbildung. Bereits 1848 schrieb L. Spohr eine Sonatine für Singstimme und Klavier. Aber erst nach 1900 wird diese Gattung beliebter; dies bezeugen Werke u. a. von I. Strawin-
sky (Pastorale, 1908), S. Rachmaninow und R. Vaughan Williams. Vereinzelt gibt es in unserem Jh. auch eigens so bezeichnete V.n für mehrere Stimmen oder für Chor, so von G. Migot (Suite pour piano principal et choeurs en vocalises, 1949) und A. Schnittke (V. für 10 Frauenstimmen u. Vibraphon, 1973). Eine wichtige Rolle kommt den V.n in M. Kagels Staatstheater zu. Lit.: O. JANDER, V., in: Grove' XX.
VÖLKER, Franz, * 31.3. 1899 Neu-Isenburg bei Frankfurt am Main, t 4. 12. 1965 Darmstadt; dt. Sänger (Tenor). V. war zunächst Bankbeamter, siegte 1925 bei einem Gesangwettbewerb des Frankfurter Rundfunks, nahm dann eineinhalb Jahre Gesangunterricht, wurde 1926 von Cl. Krauss an die Frankfurter Oper engagiert und debütierte als Florestan in L. van Beethovens Fidelio. 1931-35 war er Mitglied der Wiener Staatsoper, 1931-39 sang er bei den Salzburger und 1933-42 bei den Bayreuther Festspielen, wo er vor allem als Lohengrin bewundert und weltweit bekannt wurde. 1935-45 gehörte er der Berliner Staatsoper und dann bis zum Ende seiner Laufbahn 1952 der Münchener Staatsoper an. 1958 erhielt er eine Professur an der Stuttgarter Musikhochschule. V. war auch im Konzertsaal und auf dem Gebiet der Unterhaltungsmusik sehr populär. Er vereinigte die Merkmale eines dramatischen Heldentenors mit einer klangschönen lyrischen Stimme. VOLKMANN, Friedrich Robert, * 6.4. 1815 Lommatzsch bei Meißen, t 29. 10. 1883 Budapest; dt. Komponist. Er studierte 1836-39 in Leipzig bei C. F. Becker, ging dann als Gesanglehrer nach Prag und war 1840-41 Musikmeister des Grafen Wilczek in Szemeréd. Anschließend lebte er mit Ausnahme eines Wien-Aufenthaltes (1845-58) bis zu seinem Tod in Budapest, wo er 1875-83 als Professor für Komposition an der neugegründeten Musikakademie wirkte, dei en Präsident Fr. Liszt war. V.s Werke stehen stilistisch zwischen R. Schumann und J. Brahms und weisen häufig Anklänge an die ung. Volksmusik auf. V.s Violoncellokonzert war lange Zeit ein beliebtes Repertoirestück. WW: Für Klv.: Phantasiebilder(1837); Souvenir de Marot (1851); Nocturne (1852); Sonate (1840-53); Buch der Lieder (1854-56); Visegrád, 12 musikal. Dichtungen (1855); 4 Märsche (1855); Variationen über ein Thema v. Händel (1856); Improvisationen (1858); Ballade u. Scherzetto (1860-66); Kompositionen für Klv. zu 4 Händen u. für 2 Klv.; 2 Sonaten u. 2 Sonatinen (1868) für V. u. Klv.; Romanze für Vc. u. Klv. (1852); 2 Klv.-Trios (1842-43, 1850); 6 Streichquartette (1846-61). - Für Orch.: 3 Serenaden für Streichorch. (1869-70); 2 Symphonien (1862-65); V.-Konzert (1855). - Ferner 11 Slgen. Klv.-Lieder; Orchestergesänge; Chorwerke. Lit.: H. VOLKMANN, R. V. (L 1915,'1922); DERS., Thematisches
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Volkonsky Verz. der Werke v. R. V. (Dresden 1937); TH. M. BRAWLEY, The Instrumental Music of R. V. (1975) (= Diss. Northwestern Univ., Evanston/Ill.).
VOLKONSKY, André (Andrei Michailowitsch Wolkonski), * 14.2. 1933 Genf; russ. Komponist, Cembalist und Dirigent. Er studierte 1944-47 Klavier bei D. Lipatti in Genf und Komposition bei N. Boulanger in Paris sowie anschließend bis 1954 am Moskauer Konservatorium. 1964 gründete er dort das (Vokal-)Ensemble „Madrigal" zur Aufführung von Renaissance- und Barockmusik, mit dem er auch außerhalb der UdSSR gastierte. 1973 übersiedelte V. nach Frankreich. Er gilt als führender Komponist der sowjetischen Avantgarde. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, darunter: ein Klv.-Quintett Concerto itinérant (1967) für 3 Solisten u. 26 Instr.; Les mailles du temps (1969) für 13 Instr. — Für Orch.: Serenade (1953); Capriccio (1954); Konzert (1954); Kanuten Rus' (Rußland) (nach N. Gogols Die toten Seelen) (1952); Obraz mira(Das Bild der Welt) (1953) f. Mezzosopran, Chor, Org. u. Orch.
(1955); ferner
VOLKSLIED. Der entscheidende Anstoß zur Erforschung des V.s ging von J. G. Herder aus. Den von Michel de Montaigne in seinen Essais (1580) geprägten Begriff „poésie populaire" führte er als „Volkspoesie" in die dt. Sprache ein. Auch der Begriff V. ist eine Prägung Herders. Er gebrauchte ihn zum ersten Mal 1773 in seinem Aufsatz Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker. V.er waren für Herder jene Lieder, die die Natur eines Volkes, seine Denkart und die nationale Eigenart und damit zugleich das alle verbindende Natürlich-Menschliche überhaupt in historisch-konkreter Gestalt charakteristisch zum Ausdruck bringen: „lebendige Stimme der Völker, ja der Menschheit selbst". Seine eigene Slg. veröffentlichte Herder 1778-79 unter dem Titel Stimmen der Völker in Liedern. Auf Herders Anregung sammelte Goethe 1771 ein Dutzend dt. V.er aus mündlicher Überlieferung im Elsaß und steht damit am Beginn authentischer V.-Aufzeichnungen. Die wichtigste V.-Sig. der dt. Romantik ist Achim von Arnims und Clemens Brentanos 3bändige Sig. Des Knaben Wunderhorn (1805-08). Nur z. T. handelte es sich hierbei um historische und authentische Volkslieder. Ausgelöst durch die Anregungen Herders und der Romantik brachte das 19. und 20. Jh. eine Fülle von landschaftlichen und nationalen V.-Slgen. hervor. Die erste historisch-philologische Ausgabe bot L. Uhland mit seiner Sig. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder (1844-45). Der erfolgreichste Sammler des 19. Jh. war L. Erk, von dem 20000 Aufzeichnungen erhalten sind. Aufgrund seiner Sammlungen gab dann Fr. M. Böhme den Deutschen Liederhort(1893-94) heraus, der noch immer als umfassendste Kompi304
lation dt. V.er gilt. 1914 gründete J. Meier das Dt. Volksliedarchiv (DVA) in Freiburg i. Br., in dem bis heute über 300000 Liedaufzeichnungen zusammengetragen worden sind. Seitdem ist es das Zentralinstitut für die Sammlung und Erforschung des deutschsprachigen V.es und seiner fremdsprachlichen Parallelen. Neben die Veröffentlichung von gedruckten V.-Slgen. ist in den letzten Jahrzehnten die Tondokumentation authentisch aufgezeichneter Lieder auf Schallplatten getreten. Hier sind insbesondere die Veröffentlichungen des Instituts für Ostdeutsche Volkskunde in Freiburg i. Br. hervorzuheben. Neuere Forscher haben den Begriff V. in Frage gestellt und verwenden dafür Ausdrücke wie „das populare Lied"(Popularlied),,,Gruppenlied". Der Begriff V. erweist sich bei näherer Betrachtung als Oberbegriff für ein Bündel recht unterschiedlicher Gruppen und Untergruppen von Liedern mit jeweils eigenen Begriffsprägungen. Vorzugsweise geht die textologische Begriffsbildung von Stoffen und Inhalten aus (weltliches, geistliches Lied, Liebes-, Heimat-, erzählendes Lied, historisches Ereignislied). Aussagen über Strophenbau, Aufbau und Form von Liedern machen Begriffe wie Einstropher, Zeilenlied, Zwei-, Vier-, Achtzeiler, Gerüststrophen- und Kettenlied. Differenzierungen nach sozialen Gruppen bieten Begriffe wie Seemanns-, Landsknechts-, Auswanderer-, Soldaten-, Studenten-, Bergmanns-, Arbeiterlied. Zu dieser Gruppe der berufsständischen Lieder gehören insbesondere die Gruppe der Zunft- und Handwerkerlieder (Weber-, Schneider-, Müllerlied usw.) und die Lieder der wandernden Handwerksgesellen. Träger und Sänger des V.s können Gruppen (Gemeinschaften, Kollektive) der verschiedensten Art sein: soziale und berufliche, familiäre, politische, vereinsmäßige Gruppen, siedlungs- oder sprachbedingte Gemeinschaften. Die Ausübung des Singens, d. h. die Realisierung und Reproduktion eines V.s, ist nicht an eine Gruppe gebunden. Der Gesang kann von einem einzelnen oder von einer Gruppe (Gemeinschaft, Kollektiv) ausgeübt werden. Doch es gibt auch das individuelle Vor-sich-hin-Singen. Eine weitere Gruppe von Begriffen nennt Anlässe des Singens. Häufig ist eine Gruppierung der Lieder nach Singgelegenheiten und Daten im Jahresoder Tagesablauf (Morgen-, Abend-, Spinnstubenlied). Brauchtums- oder Brauchlieder bilden den umfangreichsten Bestand (wie z. B. Dreikönigs-, Advents-, Fronleichnams-, Neujahrs-, Oster-, Passions-, Weihnachtslied). Daneben stehen die Brauchanlässe des Lebenslaufes (z. B. Geburtstags-, Hochzeitslied, das Singen bei Totenfeiern und Totenwachen : Totenlied und Totenklage).
Volksmusik Eng verbunden mit dem Anlaß ist die Funktion von Liedern, die zur Bildung einer speziellen V.Terminologie geführt hat. Nach Funktion und Verwendungszweck der Lieder lassen sich z. B. Wandér-, Marsch-, Tanz-, Schunkel-, Trink- und Schlaflieder ausgliedern. Im Grunde hat jedes V. eine Funktion - sei es eine unterhaltende, eine rügende, eine didaktisch-moralisierende, eine zum Kampf animierende, aggressive, eine entspannende, einschläfernd-besänftigende (Wiegenlied), eine den Arbeitsprozeß rhythmisierende, eine erheiternde, zum Lachen bringende, eine erotisierende, eine Funktion der Selbstdarstellung usw. Ganz offensichtlich gibt es nicht nur die Funktion eines Liedes oder einer Liedgruppe, sondern viele Arten oder ein System von Funktionen: psychomentale, emotionale, didaktische, soziale, brauchtümliche und materielle usw. Diese Funktionen sind eng an den Akt der Darbietung oder des Singens gebunden. Zum V. gehört die mündliche Tradition, die durch das Erscheinen eines Liedes in einer Hs. oder im Druck nicht unterbrochen zu sein braucht. Ein V. wird gesungen. Es existiert nicht nur als bloßer Text - wie ein Gedicht -, sondern als Gesang. Es kann auch Melodien ohne Text geben (z. B. Jodelgesang). Sogar an der bloßen rhythmischen Struktur läßt sich noch ein Lied erkennen. Die musikalische Seite ist dabei in der Regel dominierend; ihr hat sich oft genug der Text anzupassen. Selbst abgeschmackte, sentimentale, d. h. geistesgeschichtlich überständige Texte werden akzeptiert, wenn die dazugehörige Melodie noch immer zündet und gefällt. Um Verfasserschaft, Herkunft oder um Gründe der Rezeption von Liedern kümmert sich die mündliche Überlieferung nicht. Dennoch kennt man eine stattliche Reihe von Verfassern, die volksläufige Lieder geschaffen haben. Die Absetzung vom individuellen Kunstlied ist nicht unproblematisch. Meiers zum Terminus technicus gewordener Buchtitel Kunstlieder im Volksmunde deutet den Vorgang der Folklorisierung an. Soweit heute noch in der Schule und in weiteren Kreisen ältere V.er gesungen werden, sind diese Erscheinungen des Singens fast immer Auswirkungen von künstlicher V.-Pflege. Es gibt dabei Umgestaltungen der verschiedensten Art. Diese Prozesse lassen sich charakterisieren durch die Termini Wiederbelebung, Bearbeitung, Weiterentwicklung, Umfunktionierung und Folklorismus. Man hat in diesem Sinne von einem zweiten oder dritten Dasein des V.s gesprochen. Zum V. gehört eine gewisse Wandlungsfähigkeit. Fast jeder Sänger verändert ein Lied (Varianten).
Erst das Weitersingen macht ein Lied zum Volkslied. Merkmal eines V.s ist schließlich seine Popularität wenigstens für eine Reihe von Jahren oder Jahrzehnten. Die Neigung zur Kontinuitätsbildung ist von Lied zu Lied, von Liedgattung zu Liedgattung sehr verschieden. Sogar Schlager können Kontinuitäten bilden; sie werden dann zum Evergreen ; und nicht erst heute sind Hits und Top-Hits auf Jahre und Jahrzehnte hinaus zu populären Liedern geworden. Lit.: 1) Sammlungen: Stimmen der Völker in Liedern, hrsg. v. J. G. HERDER, 2 Teile (L 1778-79), abgedruckt in: Sämtliche WW, hrsg. v. B. Suphan, 25 (B 1885, Nachdr. Hil 1968, '1982), neu hrsg. v. H. Rölleke (St 1975) (s Reclam Universalbibl. 1371); Des Knaben Wunderhorn. Alte dt. Lieder, gesammelt u. hrsg. v. L A. VON ARNIM - C. BRENTANO, 3 Teile (Hei 1806-08), neu hrsg. v. H. Rölleke, in: C. Brentano, Sämtliche Werke u. Briefe. Hist.-krit. Ausg. 6-9 (St 1975-78); Die dt. V.er mit ihren Singweisen, gesammelt u. hrsg. v. L ERK - W. IRMER, 3 Bde. (Krefeld 1838-45); L ERK, Dt. Liederhort (B 1853-55), neu bearb. u. fortgesetzt v. F. M. BÖHME, 3 Bde. (L 1893-94, Nachdr. Hil 1963, '1972); Dt. V.er mit ihren Melodien (B 1935 ff.), bisher 6 Bde.; L RÖHRICH - R. W. BREDNICH, Dt. V.er, I: Erzählende Lieder (Düsseldorf 1965), II: Lieder aus dem Volksleben. Brauch u. Arbeit, Liebe, Geselligkeit (ebd. 1967); Hdb. des V.es, hrsg. v. R. W. BREDNICH - L RÖHRICH - W. SUPPAN, I: Die Gattungen des V.es (Mn 1973), II: Historisches u. Systematisches, Interethnische Beziehungen, Musikethnologie (Mn 1975); Melodietypen des dt. Volksgesanges, hrsg. v. H. BRAUN - W. SUPPAN - W. STIEF, 3 Bde. (Tutzing 1976-80). - 2) Zeitschriften: Das dt. V., hrsg. v. Dt. Volksgesang-Verein Wien (W 1899-1949); Jb. für V.forschung, hrsg. v. Dt. V.archiv (B 1928 ff.); Jb. des östr. V.werkes, hrsg. v. L SCHMIDT - L NowAK - K. M. KLIER (W 1952ff.); Journal of the International Folk Music Council (C 1949ff.); Jb. für musikal. Volks- u. Völkerkunde (B 1963 ff.). - 3) Einzelstudien: J. MEIER, Kunstlieder im Volksmunde. Materialien u. Unters. (HI 1906, Nachdr. Hil 1976); P. LEvv, Gesch. des Begriffes V. (B 1911); J. VON PULIKOWSKI, Gesch. des Begriffes V. im musikal. Schrifttum. Ein Stück dt. Geistesgesch. (Hei 1933); W. STEINITz, Dt. V.er demokratischen Charakters aus sechs Jhh., 2 Bde. (B 1954-62), gekürzte Ausg., hrsg. v. H. Strobach (B 1978); W. WIORA, Der Untergang des V.es u. sein zweites Dasein, in: Das V. heute (Kas 1959) (- Musikal. Zeitfragen 7); W. SUPPAN, V. (St 1966, 21978) (- Sig. Metzler 52); E. KLUSEN, V. Fund u. Erfindung (Kö 1969); H. STROBACH, Dt. V. in Gesch. u. Gegenwart (B 1980); D.-R. MOSER, Verkündigung durch Volksgesang. Stud. z Liedpropaganda u. -katechese der Gegenreformation (B 1981). L RÖHRICH
VOLKSMUSIK. In Anlehnung an den Begriff Volkslied geprägt und während des 20. Jh. erst allgemein in Gebrauch gekommen, bezeichnet V. im engeren Sinne die dem Volkslied entsprechende Instrumentalmusik, Volkstanz und brauchtümliche Umgangsmusik. Im weiteren Sinne werden als V. häufig vokale und instrumentale Formen bezeichnet, die, aus älterer Zeit anonym und schriftlos überliefert, bei einfachen Strukturen in ungekünstelter Schönheit sich darstellen. Diese von J. G. Herder ausgehende Wesensbestimmung erwies sich bei fortschreitender V.-Forschung schon im Laufe des 19. Jh. als un305
Volksmusik haltbar. Von immer mehr anonym umlaufenden Stücken wurden Verfasser ermittelt, und die romantische Produktionstheorie der Entstehung einer solchen Musik im Volke als einer kreativen Gemeinschaft mußte aufgegeben werden. Um den Begriff der „echten" V. zu retten, löste man das Problem verbal, indem man die Produkte bekannter Verfasser als „volkstümliche Musik" bezeichnete - zuerst A. H. Hoffmann von Fallersleben in seiner Slg. Volkstümliche Lieder (1857). Doch wurde die Scheidung zwischen V. und volkstümlicher Musik nie eingehalten. Einerseits zeigte sich, daB die volkstümliche Musik genauso in der Bevölkerung umlief wie die V., andererseits wollte man auf das Gütezeichen V. auch bei neueren Schöpfungen aus ideologischen und kommerziellen Gründen nicht verzichten. Die patriotischen und moralischen Lieder des 19. Jh. wurden ebenso als V. bezeichnet wie bis heute jene Instrumentalstücke des Unterhaltungsgenres, die sich als Stilkopie von V. darbieten. Auch ein weiteres Wesensmerkmal von V., die mündliche Tradition, erwies sich nicht als wesentlich. Sehr viele umlaufende Lieder stehen in Liederbüchern und werden von professionellen Liedvermittlern (Lehrern, Kantoren, Medien) direkt oder indirekt verbreitet. Wollte man nur noch solche Musik als V. gelten lassen, die im Volke anonym und mündlich tradiert von alters her lebt und sich bei aller Einfachheit der Mittel durch besondere ästhetische Qualität auszeichnet, müßte geschlossen werden, daß „eigentliche", „echte" V. in ihrer ursprünglichen Existenz (dem „ersten Dasein") untergegangen wäre und nur noch gedruckt, absichtsvoll vermittelt, gepflegt in hochstilisierter Form ein „zweites Dasein" führt. Seit Beginn des 20. Jh. hat die V.-Forschung Ansätze zu einer Definition von V. gefunden, die der unübersehbaren Tatsache Rechnung trägt, daB Menschen nach wie vor in spontaner, unprofessioneller Weise Musik zum konstitutiven Bestandteil ihres individuellen und sozialen Lebens machen. Für J. Meier waren weniger die Strukturen der Lieder, sondern der Umgang mit ihnen als Definitionselement wichtig: breite Rezeption („Volkläufigkeit”) und verändernde Eingriffe („Herrenrecht”) durch die Menschen. Die SchwieteringSchule wandte ihre Aufmerksamkeit sozialen Vorgängen zu, indem sie den „Lebenszusammenhang" von V. und „Gemeinschaft" als wesentliches Kriterium für V. herausstellte. E. Klusen wies auf die Funktion des Liedes als „dienender Gegenstand" in der Gruppe und auf die Formen der Interaktion hin: die Gruppe stellt die benötigte Musik selbst her (Immanenz und immanente Stellvertretung), oder die musikbedürftige Gruppe bedient 306
sich anderer Gruppen, deren Tätigkeit durch die Initiativgruppe festgelegt wird (emanente Stellvertretung). Auf diese Weise unter dem Aspekt des „sozialen Handelns" (M. Weber) definiert, ist es für V. unwesentlich, ob sie anonym überliefert und mündlich tradiert wird. Der Gegensatz von V. und volkstümlicher Musik in der hergebrachten Form wird gegenstandslos. Jedoch ist V. sowohl von Kunst- wie von Unterhaltungsmusik zu scheiden. Kunstmusik, als Musik professioneller Musiker, wendet sich mit ihrem elaborierten Stil an ein hörerfahrenes, aufgeschlossenes Publikum als eine Musik, die um ihrer selbst willen entgegengenommen, als „opus perfectum et absolutum" (Listenius, 1533) aufgefaßt, „per artem" und nicht „per usum" dargestellt, als „Werk" und nicht als „Werkzeug" betrachtet wird. r Unterhaltungsmusik, gleichfalls von professionellen Musikern ausgeführt, ist als Genre anspruchsloser Musik zu definieren, die keinen Bedarf musikbedürftiger Gruppen deckt, sondern ihn aus kommerziellen Gründen bei einem anonymen, passiven Publikum erst weckt. Austausch zwischen diesen Gattungen findet in allen Richtungen statt. Das Eindringen der Terzenkonsonanz in die frühe Mehrstimmigkeit (r Gymel), ebenso die Entwicklung fester Taktmetren mit paartaktiger Periodik (beim lTanz) und die Entfaltung des Dur-Moll-Systems sind ohne die Einwirkung volkläufiger Praktiken kaum denkbar. Immer nutzten die Komponisten der Kunstmusik Materialien der V.: Meßkompositionen über volkläufige Lieder als C.f. sind während des ganzen MA anzutreffen; volkläufige Tanzmusik beeinflußt die Instrumentalmusik der Barockzeit; Einflüsse des „Volkstons" finden sich bei J. Haydn, W. A. Mozart und Fr. Schubert; Volkslieder oder Volkstänze als thematisches Material werden von J. H. Schein, J. S. Bach über W. A. Mozart und L. van Beethoven bis zu J. Brahms, A. Bruckner, G. Mahler, im 20. Jh. von M. de Falla, M. Ravel, A. Berg und L. Nono genutzt. Die Verwendung von Materialien der V. ist verschiedenartig. In der einfachsten Form „bearbeitet" der Komponist die von ihm nicht veränderte, einstimmige Volksmelodie, indem er sie harmonisiert und instrumentiert (z. B. Haydns und Beethovens Bearbeitungen irischer, schottischer und engl. Volkslieder). Darüber hinaus ergibt sich als 2. Möglichkeit die „Verarbeitung" volkläufigen Materials, das dann als Thema einer selbständigen Komposition (häufig Variationenform) dient (Mozarts Klaviervariationen über Ah, vous dirai-je, Maman, Beethovens Rasumowski-Quartette, op. 59, 1 und 2). Eine 3., sublimere Form der Verwendung von V. hat statt, wenn nicht
Volkstanz konkret Melodien, sondern elementare Eigentümlichkeiten der Melodiebildung (Perihilese), der Rhythmik (volkläufige Tanzrhythmen, wie bei Polka und Mazurka, oder Taktwechsel beim Zwiefachen) verwendet werden. Dazu gehört auch die Nachahmung von Volksinstrumenten (Umstimmen der Solovioline um einen Ganzton in Mahlers 4. Symphonie, um den scharfen Klang der böhmischen Fiedel zu erzeugen). Solche Einflüsse sind vor allem auch im Werk I. Strawinskys und B. Bartóks nachweisbar. Die 4., sehr abstrakte und konkret kaum noch nachzuweisende Verwendung von V. ist gegeben, wenn Komponisten, durchaus mit den Mitteln ihres persönlichen, elaborierten Stils, die Stimmung oder die Atmosphäre von V. herstellen (E. Grieg, J. Sibelius, Mahler). Bartók kann als der Komponist gelten, der alle Möglichkeiten der Nutzung von V. in seinem Werk realisierte. Aber auch die Kunstmusik befruchtete ständig die Volksmusik. Dies ist nicht nur daran zu erkennen, daß V. die stilistische Entwicklung der Kunstmusik durch die Epochen der Musikgeschichte wenn auch angepaßt an ihre eigenen, beschränkten Möglichkeiten - mitvollzieht. Auch in vielen Einzelfällen findet sich in der V. „gesunkenes Kulturgut". Manche volkmäßig umlaufende Melodie war ursprünglich Kunstmusik (z. B. Innsbruck ich muli dich lassen; Mein Gmüt ist mir verwirret; Am Brunnen vor dem Tore). Zwischen Unterhaltungsmusik und V. sind die Grenzen gleichfalls offen. Die kommerzielle Unterhaltungsmusik nutzt stilistische Eigentümlichkeiten von V. zu Kopien bei eigenen Produktionen, die dann als volkstümliche Musik oder V. verkauft werden. Von diesen Stilkopien lebt eine ganze Industrie. Umgekehrt geschieht es auch, daß Stücke der musikalischen Unterhaltungsindustrie - etwa Schlager - „dienende Gegenstände" immanenter oder stellvertretend emanenter Gruppenaktionen werden, wenn die musikbedürftige Gruppe sie zur Bewältigung akuter Gruppensituationen selbst ausführt. Denn nicht das musikalische Objekt, sondern seine soziale Handhabung entscheidet über den Charakter von V.; insofern ist der Schlager nicht das Volkslied unserer Tage, sondern aus Schlaffern können unter gewissen sozialen Voraussetzungen Volkslieder werden und umgekehrt. Das bisher Dargestellte betrifft die europäische V.; bei der Betrachtung außereuropäischer V. kommen andere Gesichtspunkte ins Spiel. Mit der Entdeckung außereuropäischer Länder wurde auch deren Musik seit dem 17. Jh. Gegenstand der Forschung. M. Mersenne und A. Kircher machten zuerst auf diese Musik aufmerksam. J.-J. Rousseau veröffentlichte im Anhang seines Dictionnaire
(1768) Musikbeispiele aus China, Persien und Kanada. Die zuerst noch sehr unvollständige Kenntnis außereuropäischer Musik und ihre Beurteilung nach europäischen Maßstäben führte zunächst durchwegs zu einer Interpretation als „Musik der Wilden", Musik in ihrem Urzustand, Musik der „Naturvölker". Und man war bis weit ins 19. Jh. hinein geneigt, jegliche außereuropäische Musik als V. anzusehen. Erst gegen Ende des 19. Jh. bahnte sich mit der Etablierung der Vergleichenden Musikwissenschaft, die auch als Musikalische Völkerkunde bezeichnet wurde, in der Berliner Schule (C. Stumpf, E. von Hornbostel und C. Sachs) eine differenzierte Betrachtung an (OE Musikethnologie). Man unterschied zwischen Natur- und Kulturvölkern und entdeckte auch in der auBereuropäischen Musik die Kunstmusik mit hochentwickelten Tonsystemen, reichen Formen und differenzierter Instrumentationstechnik. Neuere Entwicklungen der Wissenschaft, die sich nach der Mitte des 20. Jh. vorzugsweise Ethnomusikologie nennt, führten dazu, in allen musikalischen Kulturen Abstufungen verschieden stark elaborierter, an soziale Schichten gebundener Musikstile aufzudecken. Wichtige Anregungen gehen dabei von den Ländern der Dritten Welt aus. Dort wächst eine neue Generation selbstbewußter Musikforscher in staatlich unterhaltenen Forschungsinstituten heran, die ihr eigenes Erkenntnisinteresse mit eigenen Forschungskonzeptionen und -methoden artikulieren. Der europäische Musikethnologe wird dies akzeptieren und sich künftig eher als Mitarbeiter denn als allein Maßgebender auf diesem Gebiet der V.-Forschung betrachten. Lit.: R. LACHMANN, Die Musik der auBereuropäischen Natur- u. Kulturvölker (Pd 1929); J. SCHWIETERING, Das Volkslied als Gemeinschaftslied, in: Euphorion 30 (St 1929); C. SACHS, The Wellsprings of Music. An Introduction to Ethnomusicology, hrsg. v. J. Kunst (Lei — Den Haag 1962, Nachdr. 1977); E. KLUSEN, Das Gruppenlied als Gegenstand, in: Jb. für Volksliedforschung 12 (1967); M. WEBER, Soziologische Grundbegriffe, in: Gesammelte Aufsätze z. Wissenschaftslehre (Tü 1973); E. KLUSEN, Zwischen Symphonie u. Hit: Folklore?, in: Musikpädagogik heute, hrsg. v. H. Antholz — W. Gundlach (Düsseldorf 1975); W. WIORA, Ergebnisse u. Aufgaben vergleichender Musikforsch. (Da 1975) (= Erträge der Forschung. Wiss. Buchgemeinschaft 44); E. KLUSEN, Funktionen, Strukturen u. Traditionen der Popularmusik: „Der Schneewalzer", in: FS E. Valentin (Rb 1976); M. TIBBE — M. BONSON, Folk — Folklore — Volkslied. Zur Situation in- u. ausländischer V. in der Bundesrepublik Deutschland (St 1981); W. HEIMANN, Musikal. Interaktion. Grundzüge einer analytischen Theorie des elementar-rationalen Handelns, dargestellt am Beispiel Lied u. Singen (Kö 1982) (— Musikal. Volkskunde. Materialien u. Analysen 9). —.Volkslied. E. KLUSEN
VOLKSTANZ, im Gegensatz zu Kunsttanz (r Ballett) und r Gesellschaftstanz Bz. für „in der anonymen Grundschicht des Volkes durch direkte Tradition ... in funktionaler Verbindung mit dem tradi307
Volkstanz tionellen Leben des Volkes gewachsenen" Tanz (F. Hoerburger). Der politisch-sozialgeschichtliche Hintergrund, der mit dieser Bz. verbunden ist, entspricht der Nationalbewegung des 18. und 19. Jh., in der nicht nur Hymnen, sondern auch Nationaltänze zum Selbstverständnis gehörten (Polonaise, Mazurka = Polen; Polka = Tschechoslowakei; Csárdás = Ungarn; Bolero, Habanera, Tango = Spanien u. ä.). Außerhalb ihrer funktionalen Eingebundenheit wurden sie in sentimentalem Eingedenken der eigenen Herkunft gepflegt oder als Teil von Balletten auf der Bühne vorgeführt. Seit 1702, beginnend mit Samuel Rudolph Behr (Anleitung zu einer wohlgegründeten Tanzkunst), gehen diese Tänze modifiziert auch in Tanzsachbücher und Lehrwerke ein, die in kurzen Abständen zahlreich erschienen. Dort werden sie synonym mit V. reflektiert und finden auch in Kunstmagazinen als „Ausdruck des Charakters eines Volkes" ihren Ort (J. Fr. Reichardt, Musikalisches Kunstmagazin, 1782-91). Bäuerliche Prototypen unterdes sind schon früher, namentlich am frz. Hofe, aufgegriffen und buchstäblich hoffähig gemacht worden und stilisiert in die r Branle, l Bourrée, das r Menuett, die / Gavotte oder r Sarabande eingegangen. Die Sache V. ist mithin weitaus älter und gehört im MA zum Gebaren der „Dörperlichen" (Dórpertantz bei Neidhardt von Reuenthal), im 15./16. Jh. zumeist diskriminierend zum ungeschlachten, heidnischen Tun der unteren Schichten, die sich von der Stadtbevölkerung und vom Hofe unterschieden zu bewegen hatten. Die somit von der herrschenden Ideologie untrennbare Sach-Bz. ist nur mit Vorbehalt auf Klassifizierungen außerhalb Europas übertragbar, da sich Tanz nicht notwendig im Spannungsfeld sozialer Zugehörigkeit und schichtenspezifischen Reflektierens bewegen muß. Derzeit fehlt eine umfassende Begriffsbestimmung, wie sie für das r Volkslied längst vorliegt. Zur ältesten Form des V.es gehören die r Reigen- und ř Rundtänze neben all jenen, die in der Klassifikation von C. Sachs (O Tanz, Systematik) als brauch- und jahreszeitgebunden (bildhafte und bildlose Tänze) beschrieben werden. Freilich ist die Anzahl der Typen seither dank umfassenderen Aufzeichnungen durch C. J. Sharp, R. Wolfram, K. Horak, R. Zoder oder H. von der Au differenzierter zu betrachten, so daß die Zuordnung zu einer der gültigen 4 Gruppen nicht immer eindeutig ist: 1. Brauchtanzen (z. B. Bandeltanz um den Maibaum, Tänze der Fastnacht), 2. Geschicklichkeitstänze (z. B. Eiertanz, Schwerttänze), 3. Werbetänze (z. B. Ländler, Schuhplattler), 4. Geselligkeitstänze. Für die historische V.-Forschung gilt, wie für die Tanzforschung im allgemeinen, die 308
ikonographisch auszuwertende bildliche Quelle als unverzichtbarer Bestandteil, auch wenn diese Sphäre erst im Verlaufe des 15. Jh. auf Monatsbildern, Abbildungen mit christlicher Thematik (Hirtentanz) oder in Illustrationen zu chronikartigen Werken zur Darstellung gelangte. Um die Wende zum 16. Jh. wird Bauern- und Landleben vollends in das künstlerische Schaffen einbezogen, so daß erst um diese Zeit jahreszeitliches Brauchtum, Geschicklichkeits-, Werbe-, Männer-, Frauen- und Kindertänze bildlich belegbar sind. Einer der ersten, die - nach dem gänzlichen Verfall im Verlaufe des 19. Jh. - den V. organisiert zu betreiben begannen, war Arthur Hazelius. 1893 rief er die Folk Dance Society in Stockholm ins Leben (Svenska Folkdansens Vänner), deren Tanzrepertoire aus den Archivbeständen des Nordiska Museet stammte. Diesem Vorbild folgten Sharp 1911 in England und Anna Helms-Blasche 1925 in Deutschland, um nur einige Ansätze herauszugreifen, die die museale V.-Bewegung einleiteten, die sich heute in Trachtenvereinen oder staatlichen V.-Ensembles als folkloristische Vorführkunst fortsetzt. In den Ostblockstaaten gehören diese Ensembles zum festen Bestandteil des Kulturprogrammes, mit dem auf höchstem technischem Niveau Austauch betrieben wird. Lediglich in europäischen Randgebieten hat sich V. vereinzelt als unverzichtbarer Teil der eigenen Identität gehalten, die in allen V.-Vereinen verlorengegangen ist. Hier wachsen Tänze bisweilen seit frühester Kindheit mit und werden stumm oder unter gesungenen Balladenlangzeilen, Tanzliedern oder auswendig vorgetragener genuin erhaltener Tanzmusik in kleinen Gruppen dem Anlaß gemäß getanzt (z. B. in Jugoslawien der / Kolo, in Griechenland der Syrtos oder Sustra, in Katalonien die r Sardana sowie in einigen Teilen der Alpenländer das Brauchtanzen vornehmlich zur Fastnacht). Die Geschichtlichkeit des V.es ist derzeit schwer untersuchbar, jedoch leben als altmodisch verdrängte Gesellschaftstänze vielfach abgesunken in der V.-(Jberlieferung noch lange Zeit nach, so z. B. r Morris dance, r Mazur, r Polka, r Rheinländer oder r Schottisch, die bis heute Grundbestand von V.Gruppen sind. Lit.: L. u. D. JANKOVI, Narodne igre, 7 Bde. (Belgrad 1934— 52); V. ALFORD - R. GALLOP, The Traditional Dance (Lo 1935); E. VAN DER VEN-TEN BENSEL - J. VAN DER VEN, De volksdans in Nederland (Naarden 1942); Hdb. of European National Dances, hrsg. v. V. ALFORD (Lo 1948ff.); D. KENNEDY, Englands Dances (Lo 1949); R. WOLFRAM, Die Volkstänze in Österreich u. verwandte Tänze in Europa (Salzburg 1951); R. KACAROVA-KuKUDOVA, Dances of Bulgaria (Lo 1951); J. LAWSON, European Folk Dance (Lo 1953, Nachdr. 1959); J. KOVALčÍKOVA - F. POLOCZEK, Slovenské I udové tance (Preßburg 1955); F. HoERBURGER, Die Zwiefachen (B 1956); M. MOURGUES, La danse
vom Blatt provençale (Cannes 1956); J. BURDET, La danse populaire dans le pays de Vaud (Bas 1958); H. DIECKELMANN, Kleines V.lexikon (H 1958); L. LEKIS, Folk Dances of Latin America (NY 1958); F. HOERBURGER, Volkstanzkunde, 2 Bde. (Kas 1961-64); DERS., Beobachtungen z. V. in Nordgriechenland, in: Zschr. für Volkskunde 62 (1966); H. GÜNTHER, Grundphänomene u. Grundbegriffe des afrikan. u. afro-amerik. Tanzes (Gr 1969); G. MARTIN, Les danses populaires hongroises (Budapest 1974); K. HoRAK, Systematik des dt. V.es, in: östr. Zschr. für Volkskunde (1975); R. LANGE, The Nature of Dance. An Anthropological Perspective (Lo 1975) (mit umfangreicher Bibliogr.). — Weitere Lit. bei vielen Länderartikeln. —.'Tanz. G. BUSCH-SALMEN
VOLPE, Giovanni Battista, genannt Rovettino, r Rovetta, Giovanni. VOLTA (it.). - 1) In der r Ballata Bz. für den abschließenden Teil der Stanza, der musikalisch der Ripresa, also dem Refrain, entspricht. - 2) Bz. für
einen höfischen Tanz (frz.: volte) provenzalischen Ursprungs im Dreiertakt, der zwischen 1550 und 1650 in ganz Europa beliebt war. Charakteristikum dieses schnellen Paartanzes sind Sprünge und Drehungen. Überliefert ist er in Tanzbüchern des 16. Jh. (z. B. bei J. d'Estrées), in Lautentabulaturen u. a. von G. C. Barbetta, G. A. Terzi, R. Ballard und in Suiten des beginnenden 17. Jh. (Th. Simpson, Opusculum neuwer Pavanen, 1610; M. Praetorius, Terpsichore, 1612). - 3) r Prima volta. VOLTAIRE (anagrammatisch aus [François Marie] Arouet l[e] J[euneD, * 21. 11. 1694 Paris, t 30.5. 1778 ebd.; frz. Dichter und Philosoph der Aufklärung. Er interessierte sich auf musikalischem Gebiet vor allem für die Oper. In der Hoffnung, an die Zusammenarbeit anzuknüpfen, wie sie zwischen J.-B. Lully und Ph. Quinault bestanden hatte, schrieb V. einige Libretti für J.-Ph. Rameau, woraus aber keine dauernde Zusammenarbeit erwuchs. Auch eine Mitarbeit mit anderen Komponisten, so mit P. Royer, J. B. de Laborde, Fr.-A. Philidor und A.-E.-M. Grétry schlug fehl. Von Bedeutung wurde dagegen V.s dichterisches Schaffen als Grundlage für zahlreiche Kompositionen. WW: Libretti für 1.-Ph. Rameau: Samson (Musik verloren) u. Pandore (1740); La princesse de Navarre (1745); Le temple de la gloire (1745). — WW nach V. (wenn nichts anderes angegeben, Opern; ohne Angabe des Librettisten und des Grades der Anlehnung; in chronologischer Reihenfolge der Dramen V.s; nach dem Komponisten Jahr der UA): Zaire (1732): Bellini (1829); Adélaide Du Guesclin (1734): S. Mayr (1794); Alzire (1736): G. Verdi (1845); Mérope (1743): C. H. Graun (1756); Sémiramis (1748): Ch. S. Catel (1802) u. Rossini (1823); Candide (1756): M. Castelnuovo-Tedesco (Klv.-Werk, 1944) u. L Bernstein (Musical, 1956); Tancrède (1760): Rossini (1813); Ce qui plait aux dames (1764): E. R. Duni (La fee Urgéle, 1765) u. 1. Pleyel (Die Fee Urgèle, 1776); Olympie (1764): G. Spontini (1819); Charlot (1767): J. Stuntz (Heinrich 1V. zu Givry, 1820); L'ingénu (1767): A.-E.M. Grétry (Le huron. 1768); La princesse de Babylon (1768):
A. Salieri (1788); La Bégueule (1722): P.-A. Monsigny (La belle Arséne, 1773). Lit.: E. VAN DER STRAETEN, V. musicien (P 1878, Nachdr. NY 1978); E. HIRSCHBERG, Die Encyclopädisten u. die frz. Oper im 18. Jh. (L 1903); R. NAVES, Le goat de V. (P 1938); F. GARRECHT, V. u. die Musik, in: Musica 10 (1956); H. G. FARMER, V. as Music Critic, in: MR 21 (1960); H. CH. WOLFF, V. u. die Oper, in: Mf 31(1978). D. THOMA
VOLTI SUBITO (it., = schnell umblättern! ; Abk.: v. s.), Anweisung, die sich in älteren Notendrucken und Hss. am Schluß einer Seite findet, als Signal dafür, daB das betreffende Stück unmittelbar auf der Rückseite fortgesetzt wird. VOLUNTARY (engl., = freiwillig), Bz. für eine Orgelkomposition oder -improvisation, die in England ad libitum beim Gottesdienst gespielt werden kann. Wie der Name andeutet, ist das V. nicht an die liturgische Handlung gebunden, sondern bildet eine „freiwillige" musikalische Umrahmung vor oder nach dem Gottesdienst, ehemals auch vor der Predigt. Schon frühe Belege aus dem Mulliner Book (16. Jh.) - ein 4stimmiger kontrapunktischer Satz von Richard Alwood und ein äußerst knappes, aus verzierten Klauseln bestehendes Stück von R. Farrant - lassen die breite Bedeutung des Begriffs erkennen. Im 17. Jh. werden die Bz.en V. und Fantasia synonym gebraucht (O. Gibbons). Das spätere V. assimiliert Züge anderer instrumentaler Formen: Intrada, Praeludium und Fuge, Hymnenvariation, Sonate und Suite.
VOMÁČKA, Boleslav, * 28.6. 1887 Jungbunzlau (Böhmen; heute Mladá Boleslav), t 1.3. 1965 Prag; tschechischer Komponist. Er studierte Orgel und Komposition (V. Novák) am Konservatorium und Jura an der Universität in Prag, war 1919-50 im Arbeits- und Kulturministerium tätig und schrieb Musikkritiken u. a. für die Zeitschrift Listy hudební matice (1922-35). V. gehörte zu den einfluBreichsten Persönlichkeiten des tschechischen Musiklebens und war Mitglied vieler Musikvereinigungen. Als Komponist pflegte er einen national orientierten Stil und wurde 1955 als „Verdienter Künstler" geehrt. WW :1) Instr.-WW: Kompositionen für Klv., u. a. 2 Sonaten, op. 7 u. op. 40; Kammermusik; Symphonie, op. 47. — 2) Vokal-WW: Lieder u. Chöre; symphonische Dichtung Mládí (Die Jugend), op. 20 für gem. Chor u. Orch. (1932); Kantate Strážce majáku (Der Leuchtturmwächter), op. 24 für Soli, gem. Chor u. Orch. (1934); Živí mrtvým (Die Lebendigen an die Toten), op. 16 für gem. Chor u. Orch. (1935); Kantate für Solo-Sopran, gem. Chor u. Kinderchor (1944); Cesta z bojište(Rückkehr vom Schlachtfeld) für Gesang u. Orch. (1957). — Opern Vodník (Der Wassermann), UA: Prag 1937, u. Boleslav I, UA: ebd. 1957. Lit.: H. DOLEŽIL, B. V. (Pr 1941) (tschech.).
VOM BLATT, im dt. Sprachgebrauch Bz. für das
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Voormolen erstmalige (r Prima vista-)Singen oder Spielen eines Parts.
(A. Schönberg) im 20. Jh. löste den Zwang zu ihrer V. auf.
VOORMOLEN, Alexander Nicolaas, * 3.3. 1895 Rotterdam, t 12. 11. 1980 Den Haag; ndl. Komponist. Er studierte bei J. Wagenaar in Utrecht und bei A. Roussel in Paris, wirkte bis 1940 als Musikkritiker und 1938-45 als Bibliothekar des Konservatoriums in Den Haag. Seine Kompositionen vor allem der Anfangszeit sind deutlich vom französischen Impressionismus beeinflußt.
VORDERSATZ r Periode, r Satz.
WW: Für Klv.: Tableaux des Pays-Bas 1 (1919-20), 2 (1924); Livre des enfants 1 (1924) u. 2 (1925); Sonate (1944); Nocturne Eline (1951); 2 Sonaten für V. u. Klv., 1 (1917) u. 2 (1934); Kompositionen für Vc. u. Klv. - Für Orch.: De drie ruitertjes (1927), Variationen über ein niederländisches Chanson; Baron Hop Suites 1 (1923-24) u. 2 (1931); Arethuza (1947); Chaconne et Fugue (1958). - Konzerte für 2 Ob. (1933), für Ob. (1938), für Vc. (1941), für 2 Cemb. (oder 2 Klv.) u. Streichorch. (1950); Sinfonia concertante (1951) für Klar., Horn u. Streichorch. - Ferner La sirène (1949) für Sopran u. Orch.; zahlr. Lieder.
VORHALT, Bz. für jene dissonante Nebennote, die - in der Regel stufenweise abwärts - in den ei-
gentlich erwarteten Melodie- oder Akkordton aufgelöst wird. In der Harmonielehre zählt der V. zu den r harmoniefremden Tönen ; unter ihnen ist seine ausdrucksstarke Wirkung aber dadurch ausgezeichnet, daß er auf betonterer Zeit als sein Auflösungston und gleichzeitig mit dem Klang eintritt. V.e nicht nur in einer, sondern in zwei oder mehr Stimmen können die harmonische Spannung intensivieren; zumal in der Klassik finden sich dafür zahlreiche Beispiele: (3)
I
Lit.: E. REESER, A. V., in: Sonorum Speculum 8 (1965).
VOPELIUS, Gottfried, * 28. 1. 1645 Herwigsdorf bei Zittau, t 3.2. 1715 Leipzig; dt. Komponist. Er studierte an der Universität Leipzig und wurde dort 1671 Lehrer an der Nikolaischule und 1677 Nikolaikantor. Sein Gesangbuch ist eine wichtige Quelle für den evangelischen Gemeindegesang in Leipzig im 17. Jh.; es enthält auch eigene Melodien, von denen J. S. Bach eine - zu Also hat Gott die Welt geliebt - in seiner gleichnamigen Kantate 68 verarbeitet hat.
L. van Beethoven, Klaviersonate op. 2,1
Durch doppelten V. der Sexte und Quarte ergibt sich im Rahmen der Kadenz der kadenzierende r Quartsextakkord. Historisch am ältesten ist der Quart-V. (1), dem im folgenden Bsp. ein Nonen-V. (2) vorangeht; beide V.e lösen sich in die Terz bzw. Oktave des Bezugstons auf: (2)
WW: Neu Leipziger Gesangbuch für l-6 St. (L 1682), teilweise entnommen aus dem Cantional v. J. H. Schein, u. a. mit einer Passion nach J. Walther u. der Auferstehungshistorie nach A. ScanAusg.: 17 Lieder (14 mit zweifelhafter Zuschreibung), in: J. Die Melodien der dt. ev. Kirchenlieder, 6 Bde. (Gütersloh 1889-93, Nachdr. Hil 1963). Lit.: J. GRIMM, Das Neu Leipziger Gesangbuch des G. V. (B 1969) (- Berliner Stud. z. Musikwiss. 14).
VORAUSNAHME Antizipation. VORBEREITUNG, Bz. für die - im Kontrapunkt des 15. und 16. Jh. verbindliche - Praxis, eine Dissonanz auf schwerer Zählzeit nicht frei eintreten zu lassen. Durch Überbindung eingeführt, mußte der dissonierende Ton auf der vorhergehenden leichten Zählzeit in derselben Stimme eine Konsonanz bilden:
i~1 A~~ ~rrr r ~ Die freiere Dissonanzbehandlung seit dem 17. Jh. bis hin zur „Emanzipation der Dissonanz" 310
(1)
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G. P. da Palestrina, Missa Papae Marce//i
Der kontrapunktischen Regel der alten r Syncopatio folgend, sind beide V.e in diesem Bsp. vorbereitet: der V.s-Ton wird aus dem vorhergehenden Akkord in derselben Stimme übernommen; bei einem freien V., der im freien Satz seit dem 17. Jh. möglich wird, tritt der V.s-Ton vorher nicht auf; erscheint er vorher, jedoch in einer anderen Stimme, wird er als halbfreier V. bezeichnet. Unter den V.en ist allein der Sext-V. vor der Quinte konsonant; er kann aber je nach Zusammenhang als Auffassungs-Dissonanz verstanden werden. Ungewöhnlich ist die berühmte Wendung im Thema des 1. Satzes von W. A. Mozarts „Jupiter"Symphonie KV 551 (Takt 4), in dem die (konsonante) Oktave durch „Auflösung" in die (dissonante) Septime wie ein V. behandelt wird :
Vorklassik v ...-----
Daß unter dem Auflösungston des V.s eine andere Harmonie erscheint, ist ebenso möglich wie die ersatzweise Auflösung des V.s in einer anderen Stimme. Verzögerte Auflösung eines V.s durch Einschub eines oder mehrerer Töne begegnet häufig im Kontrapunkt J. S. Bachs, v
i J. S. Bach,ln vention D-Dur
während vor allem die Spätromantik auch unaufgelöste V.e als Klangreiz einsetzt. VOŘÍŠEK (Woržischek), Jan Václav (Hugo), * 11.5. 1791 Wamberg (Böhmen; heute Vamberk), t 19. 11. 1825 Wien; böhmischer Organist und Komponist. Er studierte 1811-13 an der Prager Universität und erhielt seit 1812 Musikunterricht von V. J. Tomášek. 1813 ging er nach Wien, wo er ein Jurastudium absolvierte, 1822 in den Staatsdienst trat, noch im selben Jahr 2. und 1823 1. Hoforganist wurde. V.s Werke bekunden die außerordentliche Begabung, die wegen seines frühen Todes jedoch nicht voll zur Entfaltung kam. Am bedeutendsten sind die Klavierwerke mit ihrer schon ausgeprägt romantischen Tonsprache, die vor allem in der Harmonik auf Fr. Chopin und Fr. Schubert hinweisen. Bei V. begegnet zum ersten Mal das t Impromptu als Charakterstück für Klavier. Seine heute oft gespielte Symphonie zeigt deutlich Einflüsse L. van Beethovens. WW (mit Opuszahlen: in Wien gedruckt): Für Klv.: Rhapsodien, op. 1; Sonaten, op. 5 u. 20; Impromptus, op. 7; Rondos, op. 6, 17, 22; Rondos für V. u. Klv., op. 2 u. 8; Sonate für V. u. Klv., op. 5; Variationen für Vc. u. Klv., op. 9; Rondo für Streichquartett, op. 11. — Für Orch.: Symphonie, op. 24; Variationen, op. 6 u. 14; Rondos, op. 17 u. 22 mit Klv.; Grand rondeau concertant, op. 25 mit Klv., V. u. Vc. — Einige kirchenmusikal. Werke sind hsl. erhalten; Klv.-Lieder, op. 10, 15 u. 21; Duett, op. 26; Gott im Frühling für 4 St., op. 13. Ausg.: Zahlr. Klavierwerke in: MAB ( (1934, 2 1956), 4 (1949), 17 (1954), 20 (1954) u. 52 (1961) ; V.-Sonate i n : MAB 30 (1956) ; Symphonie in: MAB 34 (1956); ein Impromptu in: K. STEPHENSON, Romantik in der Tonkunst (Kö 1961) (— Das Musikwerk 21). — Lieder, hrsg. v. M. POŠTOLKA (Pr 1961). Lit.: W. KAHL, Das lyrische Klavierstück Schuberts u. seiner Vorgánger, in: AfMw 33 (1921); B. ŠTÉDROŇ, V., in: MGG XIV; Z. PILKOVÁ, Charakteristische Züge im Klavierschaffen der tschech. Komponisten an der Wende des 18. zum 19. Jh., in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973).
VORKLASSIK, Bz. für die Epoche zwischen r Barock und t Wiener Klassik. Für gewöhnlich wird J. S. Bachs Todesjahr 1750 als Ende des Barock, das Erscheinungsjahr von J. Haydns Streichquartetten op. 33, 1781, als Beginn der Wiener Klassik angesehen. Der Zeitraum 1750-81 ist jedoch für die vielfältigen Strömungen der V. zu eng bemessen. Einerseits sind vorklassische Tendenzen schon vor 1750 feststellbar (G. Ph. Telemann, W. Fr. Bach, selbst bei J. S. Bach), andererseits reichen Werke und Wirken von typischen Vertretern der V. über 1781 hinaus (so z. B. J. Chr. Fr. Bach). Es empfiehlt sich daher, der V. rund 50 Jahre, etwa die Zeit zwischen 1735 und 1785 zuzubilligen. „Vor"-Klassik suggeriert die Vorstellung von Übergangszeit. Das ist nur z. T. richtig; dann nämlich, wenn man die V. von der späteren Wiener Klassik aus rückblickend betrachtet. Andererseits will nicht einleuchten, warum einer Musikergeneration, deren Zeitgenossen Voltaire, J.-J. Rousseau, I. Kant, Johann Joachim Winckelmann, G. E. Lessing u. a. eine überragende Epoche der Geistesgeschichte geformt haben, nicht auch die Würde einer musikgeschichtlich selbständigen Epoche zugesprochen werden soll. - Gesellschaftlich gesehen, ist die V. jedoch in der Tat eine Übergangsepoche, nämlich die zwischen feudalem Absolutismus und Bürgertum. Zwar waren auch die Musiker im feudal-absolutistischen Barock in der Mehrzahl Bürger, jedoch nicht Kulturträger der Epoche. In der V. bahnt sich hier der Umschwung zur kulturellen Machtergreifung des Bürgertums an. Dies geschieht in mehreren Stufen, für die die Schlagworte Rokoko, Rationalismus/Irrationalismus, r Empfindsamkeit und Sturm und Drang einstehen mögen. - Mit dem musikalischen Rokoko verbindet sich das Begriffspaar gelehrt/galant. Unter gelehrt verstand man im 18. Jh. eine streng gearbeitete, vorwiegend kontrapunktische Musik, meist für die Kirche, unter galant dagegen eine gefällig höfische, homophone, wie sie vor allem im Menuett, überhaupt in tanzartiger Musik (Suite) und deren ein wenig stereotyp manierierten Wendungen zum Ausdruck kam. Diesem t galanten Stil haben fast alle Komponisten im 2. Drittel des 18. Jh., von J. S. Bach und seinen Söhnen über Telemann und Haydn bis zum jungen W. A. Mozart, ihren Tribut gezollt. Dabei ist Rokoko nicht nur höfisch. Vielmehr reicht es in die bürgerliche Hausmusik wie in die geistliche Musik (z. B. Bachs Schemelli-Gesangbuch) hinein. - Ist die gelehrte wie die galante Musik dem Rationalismus, d. h. der Vernunft, der Aufklärung, verpflichtet, so sind die spezifisch bürgerlichen Strömungen Empfindsamkeit und Sturm und Drang von irrationaler Ten311
Vorklassik denz: nicht der Verstand, sondern das Gefühl, das Gemüt sind angesprochen (C. Ph. E. Bach: „Aus der Seele muß man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel"). Die Musik soll zu Natürlichkeit und Einfachheit zurückkehren. Das Volkslied, „am Klavier zu singen" (J. Fr. Reichardt; C. Fr. Zelter; J. A. P. Schulz, Der Mond ist aufgegangen), die intime Zwiesprache mit dem Klavier (D. Schubart), Einfachheit und Natürlichkeit der Melodie (Rousseau) sind in der Musik das, was in der Literatur Empfindsamkeit heißt (C. Ph. E. Bach: „Indem ein Musikus nicht anders rühren kann, er sei denn selbst gerührt, so muß er notwendig sich selbst in alle Affekten setzen können, welche er bei seinen Zuhörern erregen will ; er gibt ihnen seine Empfindungen zu verstehen und bewegt sie solchergestalt am besten zur Mit-Empfindung"). - Sturm und Drang, ein aus der Literaturgeschichte entlehnter Begriff (Titel eines Schauspiels von M. Klinger), ist der Aufstand der „Original-Genies" gegen die erstarrten Formen der rationalistischen Aufklärung (Fr. von Schillers Räuber und J. W. von Goethes Götz von Berlichingen). In der Musik ist damit vergleichbar: die neue Orchestersprache der r Mannheimer Schule oder der frei schweifende Phantasiestil in den Klavierwerken J. Schoberts oder C. Ph. E. Bachs. Sturm und Drang ist zugleich diejenige Strömung der V., die gleichsam unter der Klassik hindurch Verbindung zur Romantik hat, ihre Gefühlsbetonung und ihren „Weltschmerz" (Jean Paul, Lord Byron) teilt. V. wird daher auch Vor-Romantik genannt. Die an der V. beteiligten Komponisten, Theoretiker, Schulen und Orte sind: die Bach-Söhne Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel (einflußreiche Klavierschule), Johann Christian (mit C. Fr. Abel Konzertunternehmer in London, größter Einfluß auf Mozart) und Johann Christoph Friedrich (Zusammenarbeit mit J. G. Herder); die Mannheimer Schule und G. J. Vogler; die r Wiener Schule (1), die r Berliner Schule, in Paris Schober, J. G. Eckard und Fr. Beck; in Italien G. B. Sammartini, L. Boccherini und als Theoretiker G. B. Martini; in Stuttgart Schubart und N. Jommelli; die Verfasser von Instrumentalschulen L. Mozart, J. J. Quantz, G. Türk und J. G. Sulzer; schließlich auch die Berichterstatter Ch. Burney, Reichardt und Fr. M. von Grimm; als typische Instrumente der V. gelten Clavichord, Hammerflügel, Glasharmonika und Baryton. Lit.: H. RIEMANN, Hdb. der Musikgesch. 11/3 (L 1913, Nachdr. NY 1972); H. A. KORFF, Geist der Goethezeit, I :Sturm u. Drang (L 1923, '1957); E. BÜCKEN, Der galante Stil, in: ZfMw 6 (1923/24); DERS., Musik des Rokoko u. der Klassik (Pd 1927) ( Hdb. der Musikwiss., hrsg. v. deins.); E. REBLING, Die soziolog. Grundlagen der Stilwandlung der Musik in Deutschland um die
312
Mitte des 18. Jh. (Diss. B 1935); L. BALET - E. GERHARD, Die Verbürgerlichung der dt. Kunst, Lit. u. Musik im 18. Jh. (Str 1936), Nachdr.. hrsg. v. G. Mattenklott (B 1973); H. H. EGGEBRECHT, Das Ausdrucksprinzip im musikal. Sturm u. Drang, in: DVfLG 29 (1955); B. SZABOLCSI, Aufstieg der klass. Musik v. Vivaldi bis Mozart (Wie 1970); R. KRÜGER, Das Zeitalter der Empfindsamkeit. Kunst u. Kultur des späten 18. Jh. in Deutschland (W - Mn 1972); P. RUMMENHÖLLER, Die musikal. Vorklassik P. RUMMENHÖLLER (Kas 1983).
VORSCHLAG (frz.: appogiature; it. und engl.: appoggiatura; span.: apoyatura), Bz. für eine Gruppe von r Verzierungen, bei welchen dem auszuschmückenden Ton eine einzelne Ziernote - in der Regel die obere oder untere diatonische Nebennote - vorausgeht. Man unterscheidet lange (Bsp. 1-4) und kurze Vorschläge. Letztere gliedern sich nach ihrer metrischen Qualität in vor oder auf dem Taktschlag ausgeführte, „antizipierende" oder „anschlagende" Vorschlagsnoten (Bsp. 5 bzw. 6). Bsp. 1-6
Notierung (antizipierend) (anschlagend)
Ausführung
-~~ a=š==ša_J'š;-
-
Die Dauer des V.s richtet sich nach dem Wert der zu verzierenden „Hauptnote". Sie macht bei 2zeitigen Notenwerten die Hälfte (Bsp. 1), bei 3zeitigen 2 Drittel aus (Bsp. 2) und kann unter Umständen sogar den gesamten Wert der Hauptnote einnehmen und diese auf eine nachfolgende Pause verdrängen (Bsp. 4). Doch ist die Ausführungsweise nicht streng festgelegt, sondern abhängig vom Zeit-, Gattungs- und Personalstil der Musik und richtet sich innerhalb dieser Grenzen wiederum nach dem Affekt und dem musikalischen Kontext des jeweiligen Musikstückes sowie nicht zuletzt nach dem „Geschmack" bzw. dem Stilgefühl des Interpreten (Bsp. 7 zeigt verschiedene gleichberechtigte Ausführungsmöglichkeiten). Bsp. 7 Notierung Ausführung a
ar>~a~st~iE_a~~_s~s~~a ~-~—=--_ Aus der Notierungsform sind Dauer und Betonungsqualität des V.s nicht abzuleiten. Im 17./18. Jh. kennt man verschiedene andersartige Bezeichnungen für diese Art der Verzierung, in Deutschland: Accent (nicht zu verwechseln mit dem r Accent des frz. Vokalstils), in Frankreich : r Chute (in späterer Zeit auch t Port de voix), in England: Forefall bzw. Backfall, und verwendet dafür bestimmte Zeichen.
Vorspiel Bsp. 8
~ Vorschläge aufsteigend
L
fallend
Daneben findet sich aber auch schon die später allgemein übliche Bezeichnungsweise in Form von kleinen, stets nach oben gestielten Ziernoten () : J), die als Tondauerwert unbestimmt bleiben und bei der Taktzählung nicht berücksichtigt werden. War schon im 18. Jh. der lange Vorschlag gelegentlich genau ausgeschrieben (Bsp. 9), so verschwindet er im 19. Jh. als Verzierungsnote gänzlich und wird von den Komponisten vollständig in den geschriebenen Notentext integriert. (Eine Ausnahme bildet die Vokalmusik, vor allem das Liedschaffen Fr. Schuberts.) Der kurze antizipierende V. bleibt in der Schreibweise I' jedoch erhalten und ist damit eindeutig definiert. Als eine der wichtigsten „wesentlichen Manieren" wird der V. in unterschiedlicher Funktion im Satzgefüge verwendet: 1. melodisch als überbrückender Füllton bei Terzintervallen oder als abfedernder Puffer bei großen Sprüngen ; 2. rhythmisch als Mittel, die fließende Bewegung einer Phrase aufrechtzuerhalten, einen gleichförmigen Ablauf durch Impulse zu beleben oder einen abrupten Abschluß durch eine sog. „weibliche Endung" zu mildern (ein rein rhythmischer V. ist gelegentlich als Bewegungsantrieb in Schlagzeugpartien anzutreffen : J oder 19 J ); 3. harmonisch als (Vorhalts-) Dissonanz, wodurch der V. eine Akzentuierung hervorruft, die oft noch durch verstärkte Tongebung unterstrichen wird. Bsp. 9
J. S. Bach, Matthëuspassion, Schlußchor
Bsp. 10
Ge - duld,
Ge - duld,
Ge - duld
J. S. Bach, Matthëuspassion, Aria Nr. 8
Neben seiner Bedeutung für die kompositorische Struktur hatte der V. schon frühzeitig in der Musik einen bestimmten Ausdruckswert. Insbesondere diente der lange V. als musikalisches Zeichen für Trauer und Schmerz (Bsp. 9), ein Sinnbild, das sich in anderem Kontext, vor allem im „empfindsamen" Stil, zum Seufzer-Motiv (Bsp. 10) abschwächte. Der anschlagende kurze V. (r Lombardischer Rhythmus) gibt der Musik einen keck-
fröhlichen Charakter, während der antizipierende, kurze V. in der illustrativen Musik des 19. Jh. als Mittel der Karikatur (Beckmesser, Mime, Falstaff), in extremer Form auch zur Darstellung des „Infernalischen" (H. Berlioz, Songe d'une nuit de Sabbat; Fr. Liszt, Faust-Symphonie, Mephisto) eingesetzt wird. Aufgrund einer aufführungspraktischen Konvention werden im Rezitativ des 18. Jh. bei bestimmten Schlußformeln der Singstimme Vorschläge (Appoggiaturen) eingefügt, als Terzausfüllung oder als fallende Quarte (r Rezitativ, Bsp.) : Bsp. 11 a)
4
b)
-r O hol-derTag er-wünschte Zeit,
weg Trau-rig - keit!
J. S. Bach, Rezitativ aus Kantate BW 210
Wendungen dieser Art sind auch ohne Hinweis im Notentext entsprechend auszuführen. - Zur Gruppe der Vorschläge im weiteren Sinne zählen auch der Doppelvorschlag (Anschlag) und der r Schleifer sowie spezielle Verzierungsformen wie
r Cercar della nota und ř Port de voix. Lit.: K. WICHMANN, Der Ziergesang u. die Ausführung der Appoggiatura (L 1966); F. NEUMANN, Couperin and the Downbeat Doctrine for Appoggiaturas, in: AMI 41 (1969); DERS., The Appoggiatura in Mozart's Recitative, in :JAMS 35 (1982). — /Verzierungen. E. PLATEN
VORSPIEL, Bz. für das Verfahren, einem Musikstück eine vorbereitende Einleitung voranzustellen. So ist seit dem MA bezeugt, daß es üblich war, einem instrumental begleiteten Vokalstück (z. B. einer Chanson) ein V. vorausgehen zu lassen. Dieses im Regelfall improvisierte V. hatte im Gegensatz zur nachfolgenden Komposition anfangs noch keine festumrissene formale Anlage. Es diente vielmehr dazu, die Tonart zu festigen und die Melodie des nachfolgenden Stücks vorzubereiten und wurde oft mit dem Vorgang des Saitenstimmens verbunden. Aus diesem Verfahren gingen später die vorbereitenden Spielstücke Praeludium, Praeambulum, ř Toccata, Intonatio u. a. hervor. - Als Gattungs-Bz. erscheint V. bei R. Wagner seit dem Lohengrin (1850) anstelle der bewußt vermiedenen Bz. Ouvertüre. Gegenüber der mit dem „Makel" der Unverbindlichkeit und der Austauschbarkeit behafteten Ouvertüre (vor allem der der it. Oper) will Wagner entsprechend seinem neuen Verständnis von der Funktion des Orchesters im musikalischen Drama das V. als einen unablösbaren Bestandteil des Dramas verstanden wissen - vergleichbar etwa der Klaviereinleitung eines Schumannschen Liedes. 313
Vortrag VORTRAG, die Realisierung, r Interpretation eines musikalischen Kunstwerkes. Es gibt hierzu seit dem 17. Jh. spezielle Vortragsbezeichnungen: Worte und Zeichen, die einen Notentext näher bestimmen. Sie können auf den Affekt- und Stimmungsgehalt hinweisen, sie bestimmen vor allem aber r Tempo und r Agogik, r Lautstärke (' Dynamik), r Phrasierung, Artikulation und Spieltechnik (OE Anschlag, . Bogenführung u. a.).
stimme verwendet und oft mit einem eigenen r Tremulanten versehen. In dt. Orgeln steht sie häufig im Brustwerk, in frz. Orgeln in der Regel im Hauptwerk.
VORZEICHEN ř Akzidentien, ř Vorzeichnung.
VRONSKY, Vitya, t Babin, Victor.
VORZEICHNUNG (engl.: key armature; frz.: armature; it.: armatura; span.: armadura), Bz. für das Gesamt der in der gebräuchlichen Notenschrift am Anfang des Liniensystems stehenden Zeichen für die Festlegung der Tonhöhe (r Notenschlüssel), der ř Tonart und der 7 Mensur bzw. Taktart. VOX (lat., = Stimme). - 1) r Sonus. - 2) In der ma. Musiktheorie Bz. für den Einzelton einer Tonfolge. - 3) In der Terminologie der frühen Mehrstimmigkeit Bz. für eine Stimme des musikalischen Satzes, z. B. als V. principalis und V. organalis beim frühen r Organum. - 4) Im Orgelbau Bz. für bestimmte Register (OE Vox angelica, / Vox coelestis u. a.).
VOX ANGELICA (lat., = Engelsstimme), bei der Orgel Bz. für ein Zungenregister, das insbesondere von der Orgelbauerfamilie Stumm als 2'-Register gebaut wurde. VOX COELESTIS (lat., = himmlische Stimme), Geigenschwebung, bei der Orgel Bz. für ein dem Streicherchor angehörendes Register. Es besteht in der Regel aus 2 Pfeifenreihen, die geringfügig derart gegeneinander verstimmt sind, daß sich eine akustische / Schwebung ergibt. Die V. ist charakteristisch für den Orgelbau des 19. Jh. und wurde im Umkreis der Orgelbewegung unseres Jh. als sentimental gelegentlich scharf abgelehnt. VOX HUMANA (lat., = menschliche Stimme). 1) Im it. Orgelbau Bz. für ein Register (it. auch piffaro), das aus 2 in r Schwebung gestimmten Prinzipalen besteht und in erster Linie als Solostimme eingesetzt wird. Ebenfalls als V. bezeichnet wird ein Flötenregister mit doppelten, leicht gegeneinander verstimmten Pfeifen. - 2) Im frz. und dt. Orgelbau Bz. für eine kurzbecherige Zungenstimme in überwiegend 8'-Lage, oft auch halbgedackt. In der „klassischen" frz. Orgel ist die V. einziger Vertreter der r Regale. Die V. wird meist als Solo314
VOX PRINCIPALIS - VOX ORGANALIS (lat.), in der frühen Mehrstimmigkeit Bz. für die beiden Stimmen eines r Organum. VRANICKÝ, Anton und Paul, r Wranitzky.
v. s., Abk. für r volti subito.
VUATAZ, Roger, * 4. 1. 1898 Genf; Schweizer Komponist. Er war Schüler von O. Barblan u. lernte mehrere Instrumente, Dirigieren und Komposition. 1917-76 wirkte er in Genf als Chorleiter, Organist an der Église Nationale Protestante, Kritiker, Musiklehrer und Dirigent. 1942-65 leitete er die Musikabteilung von Radio Genf. 1962-69 war er Präsident des Concours international d'exécution musicale in Genf. Von den rund 500 Werken V.' sind viele Ausdruck eines tiefen calvinistischen Glaubens; bei ihnen ist sowohl der Einfluß der Psalmvertonungen der Reformationszeit wie der von J. S. Bach spürbar. WW: 1) Instr.-WW: KIv.-Werke, u.a. 36 Etüden (1932); Suite d'aprés Rembrandt (1958) für Cemb.; l8 Pieees cultuelles (193 1. 1941-43) für Org. -Sonate für Vc. u. Klv. (1928);Sonatine für V. u. Klv. (1934). -Fü r Orch.: Petit concert( 1932); Poeme méditerranéen (1950); Ricercar für 24 Blasinstr., Klv. u. Schlaginstr. (1959); V.-Konzert (1948); Klv.-Konzert (1964); Fantaisies 1-111(1973) für Harfe u. Orch. - 2) Vokal-WW: Chöre; Psalm 33 (1936) für 1 st. Chor, 2 Trp. u. Org. (1960); 8 Poèmes d'Orient (1925) für Sopran u. Orch. ; Oratorien: Abraham (1936); Moïse u. Jésus(1949); Hymne à la paix (1951) für Chor u. Orch. - 3) Bühnen-AM: Oper Monsieur Jabot, LA: Genf 1958; Ballett Solitude(1962). - Instrumentation v. 1. S. Bachs Musicalisches Opfer(1936) u. Die Kunst der Fuge (1936-37). - V. schrieb Calvin face á la musique de son temps (Diss. G 1968). Lit.: H. GAGNEBIN,
V.,
in: 40 Comp. suisses; DMS (mit Werk-
Verz.).
VUILLAUME, Jean-Baptiste, * 7. 10. 1798 Mirecourt, t 19. 3. 1875 Paris; frz. Geigenbauer. Er entstammte einer lothringischen Geigenbauerfamilie und war seit 1818 in Paris ansässig, wo er zunächst bei Fr. Chanot, dann bei Joseph-Dominque Lété lernte und 1825 dessen Sozius wurde. 1828 machte er sich in Paris selbständig und wurde einer der bedeutendsten Geigenbauer und der größte Geigenhändler seiner Zeit. Er spezialisierte sich auf Kopien it. Instrumente, besonders von Stradivari-Geigen, und besaß ein überragendes Wissen auf diesem Gebiet. Aus seiner Werkstatt kamen etwa 3000 Instrumente. V. konstruierte auch eine spezielle Viola, die er Contr'alto nannte, und einen überdimensionalen Kontrabaß (r Octobasse), ferner
Vuota einen Bogen mit einer Metallstange. Er stand in Verbindung mit dem Akustiker F. Savart, dem er für seine Versuche Instrumente zur Verfügung stellte. - V.s Bruder Nicolas-François (1802-76) und sein Neffe Sébastien (1835-75) wurden ebenfalls als Geigen- und Bogenmacher berühmt.
ter ist der Sonnen Schein; Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all (mit dem Text Zieh an die Machi du Arm des Herrn); Gelobt sei Gott im höchsten Thron. Das zuletzt genannte Lied ist zugleich ein Beispiel für eine Melodik, bei der sich V. an der it. Kanzonette des frühen 17. Jh. orientiert hat.
Lit.: W. SENN, V., in: MGG XIV; R. MILLANT, J.-B. V. Sa vie et son oeuvre (Lo 1972).
WW (teilweise mit mehreren Aufl.): Cantiones sacrae für 6-8 u. mehr St., 2 Teile (Jena 1602, Erfurt 1603); Kirchen Geseng u. Geistliche Lieder für 4-5 St. (L 1604), NA als Ein schön Geistlich Gesangbuch (Jena 1609) (mit 31 eigenen Melodien); Canticum Beatissimae Virginis für 4-6 u. mehr St. (ebd. 1605); Deutsche Sonntägliche Evangelische Sprüche für 4 St., 2 Teile (ebd. 1612, 1614), 3. Teil als Fest- und Aposteltägige Evangelische Sprüche für 4-8 St. (Erfurt 1621); Matthäuspassion (ebd. 1613); ferner einige Gelegenheitsgesänge. — V. gab heraus eine erweiterte lat.-dl Ausg. des Compendiolum musicae v. H. Faber (Jena 1610).
VULPIUS (eig. Fuchs), Melchior, * um 1570 Wasungen bei Meiningen, begraben 7.8. 1615 Weimar; dt. Komponist. Er war 1589-96 Schullehrer und seit 1591 auch Kantor in Schleusingen (Thüringen), 1596-1615 Stadtkantor in Weimar. V., der sein gesamtes Schaffen dem ev. Gottesdienst widmete, ist ein Meister der dt. Evangelienmotette, der responsorialen r Passion (aus ihr übernahm 1667 Chr. Flor die einstimmigen Partien) und des homophonen Choralsatzes (r Kantionalsatz). Er steht fest in der kirchenmusikalischen Tradition des 16. Jh. und macht von den neuen Stilmitteln des Generalbasses und der Monodie keinen Gebrauch. In den Chorälen verwendet er auch eigene Melodien, von denen 7 noch heute im evangelischen, 5 seit geraumer Zeit auch im katholischen Kirchengesang gebräuchlich sind: Christus, der ist mein Leben (mit dem Text Beim letzten Abendmahle); Die helle Sonn leucht'jetzt herf`úr; Hinun-
Ausg.: Cantionessacrae(1602), hrsg. v. M. EHRHORN (Kas 1968); Evangeliensprüche (1612), hrsg. v. H. H. EGGEBRECHT (Kas 1950); dass. (1612, 1614), hrsg. v. H. NrrscHE — H. STERN (St 1960); 2 Motetten, hrsg. v. H. H. EGGEBRECHT (St. Louis/Mo. 1953); Matthäuspassion, hrsg. v. K. ZIEBLER (Kas 1934); ferner praktische Einzelausg. Lit.: H. H. EGGEBRECHT, M. V. (Diss. masch. Jena 1949), Auszüge daraus: Die Matthäus-Passion v. M. V. (1613), in: Mf 3 (1950), Die Kirchenweisen v. M. V., in: MuK 23 (1953), Das Leben des M. V., in: FS M. Schneider (L 1955); W. BLANKENBURG, V., in: Grove• XX.
VUOTA (it.; von corda vuota = leere Saite), bei Streichinstrumenten Spielanweisung für die Verwendung der s leeren Saite.
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W WAECHTER, Eberhard, * 9.7. 1929 Wien; östr. Sänger (Bariton). Er studierte Klavier und Musiktheorie an der Wiener Musikhochschule sowie privat Gesang und debütierte 1953 an der Wiener Volksoper als Silvio in Pagliacci von R Leoncavallo; seit 1955 ist er Mitglied der Wiener Staatsoper. Gastspiele führten ihn u. a. an die Mailänder Scala, die Covent Garden Opera in London sowie nach München, Stuttgart, Berlin, Rom und New York; regelmäßig trat er auch bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen auf. Internationales Ansehen genießt W. bes. als Mozart-Interpret und Sänger des deutschsprachigen Repertoires. WACKENRODER, Wilhelm Heinrich, * 13.7. 1773 Berlin, t 13.2. 1798 ebd.; dt. Schriftsteller. Anfangs Schüler von Chr. Fr. C. Fasch, später auch von Fr. Zelter, studierte er zusammen mit L. Tieck Jura in Erlangen und wurde 1794 Kammergerichtsreferendar in Berlin. Ein Nervenleiden führte zu Depressionen und damit zum frühen Tod. Zutiefst davon überzeugt, daß „die himmlischen Dinge zu begreifen" nur durch „die wunderbaren Sprachen der Natur und der Kunst" möglich sei, erlebte W. das Überirdisch-Heilige in der Musik. Seine Schriften wurden entscheidend für die Entstehung und Prägung der dt. literarischen r Romantik. Schriften: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders: hrsg. v. L. Tieck (B 1797); Phantasien über die Kunst für die Freunde der Kunst, hrsg. v. dems. (B 1799). Lit.: G. LOHMANN, W., in: MGG XIV; E. HERTRICH,J. Berglinger. Eine Studie zu W.s Musiker-Dichtung (B 1969); J. KIELHOLZ, W. H. W., Schriften über die Musik (Be 1972); K. SCHLAGER, Der Fall Berglinger. Stufen einer romantischen Biographie am Beispiel W., in: AfMw 29 (1972).
WACKERNAGEL, Karl Eduard Philipp, * 28.6. 1800 Berlin, t 20.6. 1877 Dresden; dt. Hymnologe. Er studierte Germanistik und Mineralogie in Berlin, Breslau, Halle/Saale, promovierte 1829 in Erlangen als Mineraloge und war Lehrer in Nürnberg (seit 1824, neben Karl von Raumer und Leo316
pold Ranke), Berlin (seit 1829), Stetten (1839-43), Wiesbaden (1845-49) und Elberfeld (1849-61). Während des Ruhestands in Dresden widmete er sich seinen begonnenen Forschungen. Angeregt durch die literarische Romantik (Achim von Arnim) und die Restaurationsbestrebungen der ev. Kirche, erforschte W. das vorreformatorische und reformatorische Kirchenlied, aus dessen Wiederbelebung er die Erneuerung christlicher Lebensformen erwartete. Während seine Vorstellungen von einer Erneuerung des Kirchengesangs damals allgemein nicht zu verwirklichen waren (ein privat ediertes Gesangbuch erschien Stuttgart 1860), gehören seine Bibliographien mit genauer Beschreibung heute z. T. verschollener Quellen sowie seine Textausgaben zu den Standardwerken der Hymnologie und Literaturwissenschaft. Schriften: M Luthers geistliche Lieder mit den zu seinen Lebzeiten gebräuchlichen Singweisen (St 1848, Nachdr. Hil 1970); Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes im 16.1h. (F 1854-55, Nachdr. Hil 1961); J. Heermanns Geistliche Lieder (St 1856); Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zum Anfang des 17. Jh., 5 Bde. (L 1864-77, Nachdr. Hil 1964) (darin 6783 Liedtexte). Lit.: L. SCHULZE, Ph. W. nach seinem Leben u. Wirken (L 1879). G. SCHUHMACHER
WAFFENSCHMIED, DER, Komische Oper in 3 Akten von A. Lortzing, Text vom Komponisten nach Friedrich Wilhelm Zieglers Lustspiel Liebhaber und Nebenbuhler in einer Person (1790). Ort u. Zeit der Handlung: Worms, im 16. Jh.; UA: 30.5. 1846 Wien (Theater an der Wien); dt. EA: 29. 11. 1846 Dresden. Der Rückgriff auf „verschollenes Mittelgut" der Sprechbühnendramatik als Vorlage für eine Opernkomposition (wie zuvor schon bei Zar und Zimmermann, Wildschütz u. a.) erwies sich erneut als erfolgreiches künstlerisches Konzept. Lortzing ließ die Handlung der literarischen Vorlage weitgehend unangetastet, zeichnete aber die Charakterbilder der einzelnen Figuren mit größerer Schärfe. Die Anlage der Partitur unterscheidet sich nicht von früheren Werken ; die kompositorischen
Wagner Mittel, die den Spieloperntypus prägen, finden sich auch in dieser Oper, doch tragen zahlreiche musikalische Nummern Einlagencharakter, so daß das Werk Züge des Singspiels aufweist. Ausgebaute Finali (deren erstes entgegen der Tradition mit einem Soloauftritt Maries schließt) stehen neben typischen Opernliedern. Unter ihnen wurde Stadingers Auch ich war ein Jüngling (3. Akt) am bekanntesten. - Lortzing wurde nach der erfolgreichen Aufführung des Waffenschmied als Kapellmeister ans Theater an der Wien engagiert. J. SCHLÄDER
WAGENAAR, Johan, * 1. 11. 1862 Utrecht, t 17.6. 1941 Den Haag; ndl. Komponist. Er war Schüler von Richard Hol in Utrecht, Samuel de Lange in Den Haag (Orgel) und H. von Herzogenberg in Berlin, war seit 1888 als Domorganist in Utrecht tätig und leitete dort seit 1904 die Musikschule sowie in Den Haag 1919-37 das Königliche Konservatorium. W. war ein vorzüglicher Pädagoge, ein bedeutender Bach-Interpret und ein bemerkenswerter Improvisator an der Domorgel in Utrecht. Sein von H. Berlioz und R. Strauss beeinflußtes Werk zeichnet sich durch eine brillante Instrumentation aus. WW: Ouvertüren Cyrano de Bergerac, op. 23 (1905) u. De getemde feekx op. 25 (1909); symphonische Dichtung Saul en David op. 24 (1906); Sinfonietta, op. 23 (1917). — Kantaten De schipbreuk, op. 8a (1889), Ode aan de vriendschap (1897) u. Jupiter amans(1925). — Opern: De doge van Venetic, op. 20, UA: Utrecht 1904; De Cid, op. 27, UA: ebd. 1916. Lit.: De muziek, Sonder-H. (1932); E. REESER, Een eeuw Nederlandse muziek (A 1950); DERS., Anth. of Music from the Netherlands I (A 1963).
WAGENSEIL, Georg Christoph, * 29. 1. 1715 Wien, t 1.3. 1777 ebd. ; östr. Komponist. Er wurde als Schüler und auf Empfehlung von J. J. Fux 1739 Hofkomponist und war 1741-50 Organist an der Kapelle der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine. Als bedeutendster Wiener Komponist der r Vorklassik der galant-empfindsamen Epoche zugehörig, wurde W. der erste Vollender der Symphonie im unmittelbaren Vorfeld J. Haydns; gleichzeitig bereitete er den Weg für Chr. W. Glucks Opernreform. Zu seinen Schülern zählte Fr. X. Duschek. WW: 1) Instr.-WW: Im Druck erschienen: Parthien u. Divertimenti für Cemb.; Sonaten für V. u. Cemb. u. Triosonaten; Quartetti concertanti mit Cemb.; für Orch.: Symphonien, Konzerte für Cemb.; hsl. erhalten sind weitere Kammermusik- u. OrchesterWerke, darunter zahlr. Solokonzerte, u.a. für Pos. — 2) Vokal- u. Bühnen-WW (hsl.): Zahlr. Messen u.a. kirchenmusikal. Werke; weltliche Kanuten u. Arien; 3 Oratorien; 13 Opern. Ausg.: 2 Symphonien, in: Wiener Instrumentalmusik vor u. um 1700, hrsg. v. K. HoRwrrz — K. RIEDEL (W 1908) (.— DTÜ 31); Pos.-Konzert Es-Dur, hrsg. v. K. JANETZKY (Hei 1963); Vc.-Kon-
zert C-Dur, hrsg. v. F. RACEK (W 1963) (= Diletto mus. 121); Triosonate op. 1/3, hrsg. v. E. SCHENK (W 1969) (— ebd. 443); Sinfonie D-Dur für Streichorch., hrsg. v. G. KEHR (Mz 1969) ( — Concertino 167); F1.-Sonate D-Dur, hrsg. v. R. SCHOLZ (W 1972) (— Diletto mus. 536); 2 Konzerte für Cemb. u. Streichorch., hrsg. v. G. M. SCHMEISER (Gr 1975) (— Musik Alter Meister 42). Lit.: Thematische Kataloge: H. SCHOLZ-MICHELITSCH, Das Klavierwerk bzw. das Orch.- u. Kammermusikwerk v. G. Ch. W. (W 1966-1972) (— Tabulae Musicae Austriacae 3 bzw. 6). — G. HAUSSWALD, Der Divertimento-Begriff bei G. Ch. W., in: AfMw 9 (1952); W. VETTER, It. Opernkomponisten um G. Ch. W. Ein stilkundlicher Versuch, in: FS F. Blume (Kas 1963); J. KUCA.BA jr., The Symphonies of G. Ch. W., 2 Bde. (1967) ( — Diss. Boston Univ.); H. SCHOLZ-MICHELTTSCH, G. Ch. W. als Klavierkomponist. Eine Stud. zu seinen zyklischen Soloklavierwerken (Diss. W 1967).
WAGENSEIL, Johann Christoph, * 26. 11. 1633 Nürnberg, t 9. 10. 1705 Altdorf bei Nürnberg; dt. Gelehrter. Er immatrikulierte sich 1649 an der Nürnbergisch reichsstädtischen Universität in Altdorf und war 1654-67 Hofmeister österreichischer Adliger; so bereiste er seit 1661 als Begleiter des Grafen Ferdinand Ernst von Thun Süd- und Westeuropa. 1665 promovierte er in Orléans zum Dr. jur., 1667 wurde er an der Universität Altdorf Professor für öffentliches Recht und Geschichte, 1674 für orientalische Sprachen und 1697 für kanonisches Recht. Aus W.s Buch über die Meistersinger mit dem Abdruck von Melodien im „langen Thon" von Heinrich von Mügeln, Heinrich von Meißen, dem Marner und Barthel Regenbogen bezog R. Wagner entscheidende Kenntnisse über den Meistersang und verwertete sie in seinen Meistersingern von Nürnberg. Den „langen Thon" von Heinrich von Mügeln verwendete er für die Meistersingerfanfare. WW: Buch von Der Meister-Singer Holdseligen Kunst. Anfang/ Fortübung/Nutzbarkeiten/und Lehr-Sätzen, in: De Sacri Rom. Imperii libera civitate Noribergensi commentatio (Altdorf 1697), Nachdr., hrsg. v. H. Brunner (Göppingen (1975). Lit.: H. THOMPSON, Wagner and W. (Lo 1927); H. ZOHN — M. C. DAVIS, J. Ch. W., Polymath, in: Monatshefte für dt. Unterricht 46 (Madison/Wis. 1954). D. THOMA
WAGNER, Peter Joseph, * 19.8. 1865 Kürenz bei Trier, t 17. 10. 1931 Freiburg/Schweiz; dt. Musikforscher. Er erhielt seine musikalische Ausbildung an der Dommusikschule in Trier und studierte Musikwissenschaft in Straßburg (G. Jacobsthal), wo er 1890 promovierte. Nach neuerlichen Studien in Berlin (H. Bellermann, Ph. Spitta) habilitierte er sich 1893 an der neugegründeten Universität Freiburg/Schweiz. Hier wirkte er zeitlebens (seit 1897 als Extraordinarius, seit 1902 als Ordinarius, 1920/21 auch als Rektor), und hier eröffnete er auch die päpstlich approbierte „Gregorianische Akademie", die die Aufgabe hatte, die Reform des 317
Wagner Gregorianischen Gesangs zu fördern. 1904 wurde W. Mitglied der internationalen Kommission zur Herausgabe der Editio Vaticana. Er verstand sich darin als Vertreter der „lebendigen Tradition" des Chorals und befand sich damit im Widerstreit zu Dom A. Mocquereau, der sich für die Rückkehr zur „ursprünglichen Reinheit" einsetzte. W.s Schriften haben fast ausschließlich den Gregorianischen Gesang in seinen Formen und seiner Überlieferung sowie die ältere Kirchenmusik zum Gegenstand und sind bis heute auf diesen Gebieten weithin grundlegend. Zu seinem 60. Geburtstag erschien eine Festschrift, hrsg. von A. Weinmann (L 1926, Nachdr. Farnborough 1969). Schriften: Palestrina als weltlicher Komponist (Diss. Str. 1890); Das Madrigal u. Palestrina, in: VfMw 8 (1892); Einführung in die gregor. Melodien, I: Ursprung u. Entwicklung der liturg. Gesangsformen bis z. Ausgang des MA (Freiburg/Schweiz 1895, L 2 1901, '1911), I I : Neumenkunde. Paléographie des liturg. Gesanges(L 1905, 2 1912, ' 1921), III: Gregor. Formenlehre. Eine choralische Stilkunde (L 1921), Nachdr. aller Bde. (Hil — Wie 1962); Gesch. der Messe, 1. Teil: Bis 1600 (L 1913, Nachdr. Hil — Wie 1963, '1972); Germanisches u. Romanisches im frühmittelalterlichen Kirchengesang in: Kgr.-Ber. Leipzig 1925 (L 1926); Der mozarabische Kirchengesang u. seine Urlieferung in: Gesammelte Aufs. z. Kulturgeschichte Spaniens, hrsg. v. H. Finke (Mr 1928) (— Span. Forschungen der Görres-Gesellschaft I/1). — Editionen: Das Graduale der St. Thomaskirche zu Leipzig (14. Jh.) als Zeuge dt. Choralüberlieferung 2 Bde. (L 1930, 1932, Nachdr. Hil — Wie 1967) (= PäM 5 u. 7); Die Gesänge der Jakobusliturgie zu Santiago de Compostela aus dem sog. Codex Calixtinus (Freiburg/Schweiz 1931). Lit.: J. HANDSCHIN, P. W. u. die Choralwissenschaft, in: SMZ 71 (1931), wiederabgedruckt in: Gedenkschrift J. Handschin (Be 1957); K. G. FELLERER, P. W. z. Gedächtnis des 50. Todestages, in: MS 101 (1981).
WAGNER, Wilhelm Richard, * 22.5. 1813 Leipzig, t 13.2. 1883 Venedig (begraben 18.2. 1883 im Garten der Villa Wahnfried in Bayreuth). W.s Jugend wurde wesentlich bestimmt durch den frühen Tod des Vaters, des Polizeiaktuars Carl Friedrich Wilhelm Wagner (1770-1813), und den 8 Jahre späteren Tod des Stiefvaters, des Porträtmalers, Schauspielers und Dichters Ludwig Geyer (1779-1821), den die Mutter, Johanna Rosina, geborene Pätz (1774-1848), 1814 in Dresden geheiratet hatte. Unter 7 überlebenden Geschwistern war W., sieht man von seiner Halbschwester Caecilie Geyer ab, das jüngste Kind. War der Vater ein Liebhaber des Theaters, so verkörperte Geyer Theaterwelt durch Bildung und tätige Begabung. Der für W.s Jugend charakteristische häufige Ortswechsel (Dresden 1814-20; Possendorf 1820-21; Eisleben 1821-22 ; Dresden 1822-27 ; Leipzig 1827-33) sollte zu einem die spätere Lebensform bestimmenden Moment werden. - In der Jugend hatte die Fluktuation der Lebenssphären ihre Entsprechung in turbulenter Selbstfindung. Schul318
wechsel (Kreuzschule Dresden: Begeisterung für die Antike; Nikolaus-Gymnasium, Thomasschule und Universität Leipzig), Phasen der Unlust, der Abschweifung und des abirrenden Interesses komplizierten den Weg. W.s musikalische Studien begannen autodidaktisch mit J. B. Logiers System der Musikwissenschaft, ehe sie durch Th. Weinligs Kontrapunktunterweisung Richtung und Fundament erhielten. Daneben prägten ihn Kompositionen C. M. von Webers und L. van Beethovens, schulten Partiturabschriften Beethovenscher, aber auch Haydnscher Werke. - Überwogen bei W.s ersten kompositorischen Ansätzen Instrumentalformen, so gewannen nach der unvollendeten Oper Die Hochzeit bald Bühnenkompositionen das Übergewicht (Feen, Liebesverbot Rienzi), verbunden mit dem Weg des Kapellmeisters (Chordirektor in Würzburg, 1833/34; Lauchstädt, Rudolstadt, Magdeburg, 1834-36; Königsberg, 1837; Riga, 1837-39). In diese Zeit fällt auch die Heirat mit Minna Planer (24. 11. 1836), eine von Divergenzen der Lebensperspektive und von Existenzkrisen gezeichnete Verbindung. Einen entscheidenden Einschnitt brachte W.s erster Parisaufenthalt (Sept. 1839 - April 1842); die Reiseroute (Riga - Pillau - London - Boulognesur-Mer) schloß eine abenteuerliche Seefahrt (Fliegender Holländer!) und in Boulogne einen Besuch bei G. Meyerbeer ein. Trotz dessen Fürsprache wurde Paris ein Ort der Mißerfolge (Scheitern der Aufführungszusage für Das Liebesverbot Durchfall der Columbus-Ouvertüre); W. mußte Minna und sich mit musikalischen Lohnarbeiten mühsam durchbringen. Aktivposten der Zukunft aber waren die Pariser Prosaschriften (kritische Feuilletons wie Der Virtuos und der Künstler, bekennende Künstlernovellen wie Eine Pilgerfahrt zu Beethoven), die Faust-Ouvertüre, Rienzi und der Fliegende Holländer. - Diese entbehrungsvollen Pariser Jahre haben W. im Zwiespalt an die frz. Metropole gebunden (1849 und 1850 nach der Flucht aus Dresden; 1853 im Beisein Fr. Liszts; 1858 während der Arbeit am Tristan und sich abzeichnender Spannungen in den Beziehungen zu Mathilde Wesendonk; 1859-62 mit Blick auf die Aufführung von Tannhäuser, Lohengrin und/oder Tristan; 1867 nach Beendigung der Meistersinger, vor Schluß der Weltausstellung; einen peinlichen, späten Akzent setzte W. schließlich mit der niederträchtigen Posse Die Kapitulation, 1870). Paris als Domizil der Wanderschaft stehen Orte längerer Wirksamkeit gegenüber, an erster Stelle Dresden (1842-49), wohin W. von Paris aus übersiedelte. Auslösend war die auf Empfehlung Meyerbeers erfolgte Annahme des Rienzi (UA 1842). Nach der
Wagner UA des Fliegenden Holländer (1843) wurde W. zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister ernannt. Seine vergeblichen Anstrengungen, „eine echte künstlerische Reorganisation des hiesigen Musikwesens" zu erreichen, führten zum Konflikt, zur Teilnahme an den revolutionären Umtrieben von 1848, am Aufstand von 1849. W. flieht aus Dresden, mit Hilfe Liszts gelangt er über Weimar, Jena, Lindau und Rorschach nach Zürich. Bis zur Amnestierung (1862) blieb W. als steckbrieflich Gesuchtem Deutschland bzw. Sachsen verschlossen. Trotz des Scheiterns verdankte W. dem Dasein als Hofkapellmeister viel. Neben Tannhäuser und Lohengrin, dem Dramenentwurf Friedrich I., dem Aufsatz Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage legte Dresden den Grund zu allen späteren Werken : erste Prosaaufzeichnung zum Ring des Nibelungen, Prosaentwurf zu Siegfrieds Tod, Prosaskizze der Meistersinger, Tristan- und Parzival-Stoff, Vertiefung des Verhältnisses zu L. van Beethoven, das W.s Vorstellung einer musikalisch-dramatischen Bühnenkunst durch die Verbindung von Text und Musik bestimmte. Diese Vorstellungen gewannen zu Beginn des Zürcher Exils (1849-58) in den großen Kunstschriften Gestalt (Die Kunst und die Revolution, 1849; Das Kunstwerk der Zukunft 1849; Oper und Drama, 1851). Die Schriften begleitete ein intensiver Briefwechsel mit Theodor Uhlig, aber auch mit Liszt, der finanziell und künstlerisch half (UA des Lohengrin in Weimar). Außerdem wirkte W. als Dirigent (Beethoven-Symphonien), 1855 dirigierte er in London auf Einladung 8 Konzerte. Das kompositorische Vakuum (1848-53) war mit dem Beginn der Rheingold-Vertonung (1853) beendet. Doch gelangte die Komposition des Ring über die Walküre (1854-56) hinaus nur bis zum Ende des 2. Siegfried-Aktes (1857). 1857-59 entwirft und komponiert W., in Verbindung mit Schopenhauer- und Calderón-Studien, Tristan und Isolde, ein Schlüsselwerk des Zukünftigen, von weitreichender Komplizierung der Lebenskonstellation begleitet (Intensivierung und Krise der Freundschaft zu Mathilde Wesendonk, Trennung von Minna, Auflösung des 1857 bezogenen „Asyls" im Gartenhaus der Wesendonks, damit Aufhebung Zürichs als „Wohnsitz" und Fluktuation der Refugien : Venedig, 1857-59; Luzern, 1859, schließlich Paris). Paris steigerte den Erfahrungszwiespalt. 3 Konzerte mit eigenen Werken (1860) fanden ein starkes Echo (Ch. Baudelaire u. a.), endeten aber im Defizit. Die von Napoleon III. befohlene Einstudierung des überarbeiteten Tannhäuser ging nach 164 Proben und 3 Aufführungen (1861) in Intrige und Skandal unter (Jockey-Club, der das Ballett im
2. Akt vermißte). Doch erwiesen sich die Pariser Ereignisse als negatives Moment mit positiver „Fernwirkung" (frz. Literatur, „Wagnérisme"). Von Paris aus verzweigten sich W.s Wege erneut. Einer Konzertreise nach Brüssel und einer Deutschlandreise folgten u. a. mehrere Besuche in Karlsruhe und Wien (1861), ein Abstecher nach Triest und Venedig (1861) initiierte die Meistersinger-Komposition, und in Biebrich bei Wiesbaden, dem neuen Domizil auf Zeit (1862-63), wo dieses Werk fortschritt, studierte W. mit dem Ehepaar Schnorr von Carolsfeld die Titelpartien von Tristan und Isolde (1862). - Hatte W. bereits in Riga (1838-39), Dresden, Zürich, London und Brüssel (1860) als Konzertdirigent fungiert, so folgte 1862-63 eine Serie von Konzertfahrten (Wien, Budapest, Prag, Karlsruhe, Löwenberg, Breslau, St. Petersburg, Moskau); doch nur Rußland (1863) brachte einen Gewinn (4000 Taler). Er verleitete Wagner zur luxuriös-ruinösen Ausstattung einer Wohnung in Penzing. Die Folge war eine neue Kettenreaktion geplatzter Wechsel und erneute Flucht (1864). Am 5. Mai 1864 widerfährt ihm das ersehnte „hilfreiche Wunder": Kabinettssekretär Hofrat von Pfistermeister überbringt in Stuttgart die Botschaft König t Ludwigs II., er wolle W. künftig die weitere Entfaltung seiner Kunst sicherstellen. - Die Befreiung von den „niederen Sorgen des Alltagslebens" bedeutete jedoch nicht die Eliminierung aller Konflikte; sehr bald schon zeigten sich im Verhältnis König - Komponist die ersten Risse, breiteten sich Neid, wechselseitige Intrige und selbstverschuldete Mißhelligkeiten aus. Nur knapp 14 Monate bewohnte W. das ihm vom König überschriebene Haus in München. 1865 mußte er München verlassen, ein neuer Asylwechsel war die Folge: Ober Bern, Lyon, Marseille (Nachricht vom Tode Minnas) und Genf ergab sich schließlich Tribschen bei Luzern als neues Domizil auf Zeit (1866-72), anfangs in noch schwankender, dann sich festigender Gemeinschaft mit Cosima von Bülow (25. B. 1870 Trauung in Luzern). Das Werk gewann neue Impulse. 1864 nahm Wagner Siegfried wieder auf (bis zur Partiturerstschrift des 2. Aktes, 2. 12. 1865). Danach bewirkten die Meistersinger nochmals Aufschub. Bereits zwischen München und Tribschen wiederaufgenommen (1866), wurden sie 1867 beendet. Die Arbeit an Siegfried, 1869 wiederaufgegriffen, gedieh im selben Jahr bis zur Partiturniederschrift (3. Akt; beendet 1871); im Oktober begann W. noch mit der Götterdämmerung, die nach 5 Jahren abgeschlossen wurde. - Viele Schriften dieser Zeit (Ober Staat und Religion, 1864; Bericht ... über 319
Wagner eine in München zu errichtende deutsche Musikschule, 1865; Erinnerungen an L. Schnorr von Carolsfeld, 1868) spiegeln die veränderte Konstellation wider. Jetzt ging es um Stilbildung und Traditionssicherung, um künstlerische und kunstpolitische Konsolidierung. Der Stilbildung sollten „Musteraufführungen" dienen, die - gefördert vom König - W.s Werke gerade im Falle von Uraufführungen (Tristan, 1865; Meistersinger, 1868) traditionsverpflichtend darboten. Als Ludwig II. Rheingoldund Walküregegen W.s Willen in München uraufführen ließ, verkehrte sich diese Intention freilich ins Gegenteil. Hier lag einer der entscheidenden Anstöße, an einen eigenen Festspielort zu denken, wo Planung, Vorbereitung und Durchführung ganz in der Hand des Komponisten lagen. - Tribschen brachte trotz aller Probleme eine Zentrierung des Lebens. Mit den zu Billows Töchtern Blandine und Daniela hinzukommenden Kindern W.s (Isolde, Eva, Siegfried) wurde es ein Leben in der Familie. Der Konsolidierung im Privaten entsprach eine zunehmende Wendung nach innen, wie sie sich seit W.s Schopenhauer-Kenntnis immer deutlicher - und namentlich in seiner Beethoven-Schrift (1870) ausgeprägt, aufs Philosophisch-Ästhetische angewandt - findet. Einen besonderen Akzent erhielt diese Tendenz seit 1869 durch den Umgang mit Fr. Nietzsche. Wohl beim Diktat der Autobiographie (1865-80) tauchte Bayreuth als möglicher Festspielort auf; der Entschluß zum Bau des Festspielhauses fiel nach Prüfung des Markgräflichen Opernhauses, die Grundsteinlegung erfolgte am 22.5. 1872, symbolisch überhöht durch die Aufführung der 9. Symphonie Beethovens. Biographisch deutend der Name des mit königlicher Hilfe erbauten, 1874 bezogenen Bayreuther Heimes : „Wahnfried". Trotz einer von Ludwig II. zugeschossenen Summe von 100000 Talern mußte W. Konzertreisen zur Sicherstellung des Festspielhausbaues unternehmen. Die Proben zum Ring des Nibelungen setzten 1874 (Sanger) ein, sie wurden 1875 mit Sängern und Orchester weitergeführt, 1876 mit 3 Gesamtproben beendet. Die am 13.8. beginnenden und bis zum 30.8. 1876 dauernden Festspiele brachten 3 Aufführungen des gesamten Ring-Zyklus (Dirigent: H. Richter). Das Echo reichte weit, aber es war gespalten. Gravierend war das Defizit von 147 851 Mark, das eine Wiederholung im nächsten Jahr blockierte. Nach einer Italienreise (1876) dirigierte W. 1877, assistiert von Richter, in London 8 Konzerte; doch erst ein neues Darlehen Ludwigs II., gebunden an einen Tantiemenvertrag, tilgte das Defizit (1878 ) . Im Schatten der den ersten Festspielen folgenden 320
Probleme ging auch der Plan einer „Hochschule für dramatisch-musikalische Darstellung" unter, wie die Probleme und Defekte der ersten Festspiele wohl zudem eine gewisse Darbietungsallergie - erkennbar in der Schrift Publikum und Popularität (1878) - und den Ausspruch vom „unsichtbaren Theater" zeitigten. - Zuvor schon hatte W. dem Tief indes den Antrieb zum Parsifal abgewonnen (2. Prosaentwurf 1877; Vollendung 1882). In den Jahren des Parsifal entstehen auch späte Schriften wie Über das Dichten und Komponieren (1879) und Ober das Operndichten und Komponieren im Besonderen (1879), in sie fallen 2 weitere Italienreisen (1880, 1882), in ihnen entwickelt sich W.s Herzkrankheit bedrohlich. Nach der UA des Parsifal, für die, wie auch für die folgenden 15 Vorstellungen, Ludwig II. Chor und Orchester der Münchener Hofbühne zur Verfügung gestellt hatte, reist die Familie noch einmal nach Venedig, bezieht den Palazzo Vendramin. W. beendet den Aufsatz Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth, führt seine Jugendsymphonie in C-Dur auf und beginnt Ober das Weibliche im Menschlichen; am 13.2. 1883 erliegt er einem Herzanfall. WW: 1) Instr.-WW: a) Für Klv.: Sonate B-Dur, op. 1 (1831); Polonaise, D-Dur (1831-32); Polonaise D-Dur, op. 2 (1832'?) für Klv. zu 4 Händen; Fantasie fis-moll, op. 3 (1831); Sonate A-Dur, op. 4 (1832); Albumblatt (Lied ohne Worte) E-Dur (1840); Polka GDur (1853); Eine Sonate für das Album von Frau Mathilde) W(esendonk) As-Dur (1853); Züricher Vielliebchen: Walzer, Polka oder sonst was Es-Dur (1854); Albumblatt (In das Album der Fürstin M[etternich]) C-Dur (1861); Ankunft bei den schwarzen Schwänen, Albumblatt (1861); Albumblatt für Frau Betty Schott Es-Dur (1875). - Übertragungen: L. van Beethoven, 9. Symphonie (1830); H. Herz, Grande fantaisie, op. 11 I für Klv. 4händig (1840). - b) Für Orch.: Orchesterwerk e-moll (1830?); Szene (1830?) (nach Goethes Laune der Verliebten); Ouvertüre d-moll (1831) (2 Versionen); Ouvertüre zu Raupachs König Enzio e-moll (1831); Entreacte tragique Nr. I D-Dur (1832) u. Nr. 2 cmoll (1832); Ouvertüre C-Dur (1832); Symphonie C-Dur (1832); Columbus-Ouvertüre Es-Dur (1835); Polonia-Ouvertüre C-Dur (1836); Ouvertüre Rule Britannia D-Dur (1837); Musik zu Die letzte Heldenverschwörung in Preußen (1837) ; Ouvertüre zu Faust (1840), neu instrumentiert (1843-44), revidiert als: Eine Faust-Ouvertüre (1855); Trauermusik (1844) (nach Motiven v. Webers Euryanthe); Träume (1857) (Arrangement des Wesendonk-Liedes für kleines Orch.); Huldigungsmarsch (1864) für Militärkapelle, Fassung für großes Orch. v. J. Raff (1871); Siegfried Idyll (1870); Kaisermarsch (1871); Grober Festmarsch (1876) (z. Jahrhundertfeier der amerik. Unabhängigkeit). - 2) Vokal-WW: a) Lieder: Sieben Kompositionen zu Goethes Faust, op. 5 (1831, revidiert 1832); Karnevalslied (1835-36) (aus Das Liebesverbot): Der Tannenbaum (1838); Tout n'est qu'images fugitives (1839); Trois melodies (1839); Adieux de Marie Stuart (1840); Les deux grenadiers (1840); Extase (1839) (Fragment); La tombe dit á la rose (1839) (Fragment); Fünf Gedichte für eine Frauenstimme (- Wesendonk-Lieder) (1857-58); Scherzlied für Louis Kraft (1871). - b) Chorwerke: Neujahrs-Kantate (1834); Nicolai, Volkshymne (1837); Descendons, descendons (1840); WeihegruL; zur feierlichen Enthüllung des Denkmals Königs Friedrich August I („des Gerechten") von Sachsen (1843); Das Liebesmahl der Apostel (1843); GruIl seiner Treuen an Friedrich August den Ge-
Wagner liebten (1844); Hebt an den Sang (An Webers Grabe) (1844); Wahlspruch für die deutsche Feuerwchr(1869): Kinderkatechismus zu Koseis Geburtstag (1873). - c) Arien: Doch jetzt wohin ich blicke (1833) (für H. A. Marschners Der Vampyr); Sanfte Wehmut will sich regen (1837) (für K. Blums Marie, Max und Michel); Norma il prédesse (1839) (für V. Bellinis Oper Norma). - 3) Bühnen-WW: a) Opern und Musikdramen (alle Libretti v. R. W.): Fragment Die Hochzeit, Introduktion, Chor, Septett, UA: Würzburg 1833; Die Feen (nach C. Gozzi, La donna serpente), UA: München 1888; Das Liebesverbot, oder Die Novize von Palermo(nach W. Shakespeare, Measure for Measure), UA: Magdeburg 1836; Rienzi, der letzte der Tribunen (nach E. Bulwer Lytton u. M. R. Mitford), UA: Dresden 1842; Der fliegende Holländer (nach H. Heine, Aus den Memoiren des Herrn Schnabelewopska), UA: Dresden 1843, neu orchestriert (1846), revidiert (1852, 1860); Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg (modifizierende Verbindung der Sagenstoffe Tannhäuser, 16. ih., u. Sängerkrieg/Wartburgkrieg, 13. Jh.), UA: Dresden 1845, revidiert (1845-46, 1847), Pariser Fassung (1860-61), weitere Revisionen (1865, 1875), UA der Pariser Fassung: Paris 1861; Lohengrin (nach dem Lohengrin-Epos, 13.1h.), UA: Weimar 1850; Der Ring des Nibelungen (Verschmelzung mehrerer nordischer Sagenkreise, u.a. Edda- u. Völsunga-Saga, aber auch Nibelungenlied. Ausgangspunkt: Der Nibelungen-Mythus), erste Dichtung: Siegfrieds Tod (Erstentwurf der Götterdämmerung), als Tetralogie ausgearb. (1851/52): Das Rheingold, UA: München 1869; Die Walküre, UA: ebd. 1870; Siegfried, UA: Bayreuth 1876; Götterdämmerung, UA: ebd. 1876; Tristan und Isolde (nach Gottfried von Straßburg), UA: München 1865; Die Meistersinger von Nürnberg (nach J. Ch. Wagenseil, Buch von der Meistersinger Holdseligen Kunst u. a. Quellen), UA: ebd. 1868; Parsifal (nach Wolfram von Eschenbach), UA: Bayreuth 1882. - Ferner Bearbeitungen u. a. von Opern v. Ch. W. Gluck, G. Donizetti u. a. sowie Klv.-Auszüge. - 4) literarische WW: a) Etwa 130 kleinere u. größere Schriften, Aufsätze, Berichte, Rezensionen u. a., von denen die wichtigsten (mit Entstehungszeit) im Haupttext genannt sind. Zu erwähnen sind hier eigens die sog. Pariser Novellen (1840-41) Eine Pilgerfahrt zu Beethoven, Ein Ende in Paris u. Ein glücklicher Abend. W. selbst veröffentlichte die meisten Schriften usw. unter Einbeziehung der Texte seiner Opern u. der genannten Entwürfe zum Ring (s. o.) in chronologischer Anordnung als Gesammelte Schriften u. Dichtungen, 9 Bde. (L 1871-83), 10. Bd. postum (L 1883); die ganze Reihe erschien in zahlr. Aufl. sowie in engl. u. frz. Übersetzung. Nicht darin enthalten ist u. a. W.s Autobiographie Mein Leben (Privatdruck 1870-81), 1. öff. Ausg., gekürzt (Mn 1911), 1. authentische Veröff., hrsg. v. M. GREGOR-DELLIN (Mn 1976). - b) Entwürfe u. Projekte zu nicht komponierten Dramen (s. auch oben), davon in den Gesammelten Schriften enthalten: Wieland der Schmied (1850); Eine Kapitulation. Lustspiel in antiker Manier (1870). Ferner zahlreiche kleinere Huldigungs- und Gelegenheitsgedichte.
Die schwierige Frage nach dem Verhältnis von Biographie und Werk ist gerade bei W. ebenso unumgänglich wie kompliziert. Sie verlangt eine Einbeziehung der Schriften, die nicht nur Kontrapunkt der Reflexion zum kompositorischen Schaffen sind, sondern auch zwischen Leben und Werk vermitteln: 1. durch Spiegelung existentieller Problematik und künstlerischer Intention (z. B.: Ein Ende in Paris, 1841; Eine Pilgerfahrt zu Beethoven, 1840); 2. durch offenen oder eher verdeckten Reflex auf aktuelle Konstellationen und/oder grundsätzliche Fragen des Werkes und seiner Wirkung (Zukunftsmusik, 1860; Publikum und Popu-
larität); 3. als Darstellung der eigenen Entwicklung (Eine Mitteilung an meine Freunde, 1851; Mein Leben, 1865-80); 4. wegen „motivischer" Verflechtung mit Biographie und Werk (Die Kunst und die Revolution; Oper und Drama); 5. mit der diffamierenden Umsetzung persönlicher Frustration (Paris - Meyerbeer) in ein negatives Gegenbild (Das Judentum in der Musik 1850). Der in den Schriften auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Kontext zutage tretende biographische Aspekt wird jedoch in den Werken selbst ins Künstlerisch-Allgemeine transformiert. Dafür steht der Begriff des „Reinmenschlichen" ein, in dem das Persönliche als ins Essentielle der menschlichen Natur und ihrer existentiellen Problematik überhöht erscheint. W. hat diesen Begriff namentlich in Oper und Drama entwickelt, auf Oper und Drama hat er sich später unter verschiedenem Blickwinkel mehrfach bezogen, wie in Zukunftsmusik, Beethoven, Ober die Bestimmung der Oper (1871) und Ober die Anwendung der Musik auf das Drama (1879). - Eine Einteilung des kompositorischen Schaffens nach Perioden ist insofern nicht unproblematisch, als damit nur zu leicht verdeckt wird, daß die dramatischen Kompositionen als Werke sui generis sich einer Klassifizierung entziehen (W. lehnte die Bezeichnung „Musikdrama" ab). Das kündigt sich schon mit dem Fliegenden Holländer an, der sich - wie Tannhäuser und zumal Lohengrin - von den Jugendopern W.s einschließlich Rienzi als Werk neuer Qualität abhebt. Die instrumentalen Kompositionen als früheste Phase von den Bühnenkompositionen zu sondern, scheidet aus, weil W. schon sehr bald auch Opern komponierte. Vorbild für W.s B-Dur-Sonate waren W. A. Mozart und I. Pleyel, Beethoven beeinflußte nicht nur die A-Dur-Sonate und fis-moll-Fantasie für Klv., sondern auch Ouvertüren und die C-Dur-Symphonie. Weber und H. Marschner gewannen für die Feen, V. Bellini, G. Donizetti und D. Fr. E. Auber für das Liebesverbot, Meyerbeer und namentlich G. Spontini für Rienzi Bedeutung. W. hat seine ersten Bühnenkompositionen später sehr distanziert gesehen. Doch werden hinter der Anhäufung verschiedener Stilelemente im Liebesverbot (Melodik nach Bellini und Auber, thematische Arbeit deutscher Symphonietradition) bereits bestimmte Aspekte späterer Synthese sichtbar: Bellinis Melodik, die W. - bei allen Vorbehalten - bis ins Alter beeindruckt hat, wurde offenbar das Stimulans eines Gegenentwurfes, einer Melodik neuer, episch-symphonischer Qualität, die wesentlich Beethovens strukturelle Verdichtung in Symphonie und Streichquartett zum Vorbild nahm - natiir321
Wagner lích in einer dem Drama angemessenen Form. -
Diese melodische Integration war freilich nur Bauelement einer übergreifenden Synthese der Künste, die das antike Drama auf einer neuen historischen Stufe regenerieren sollte: als „Gesamtkunstwerk". Bei der Umsetzung dieser Idee wurde W.s besondere schöpferische Disposition, Text, Handlung und Musik aus einem komplexen Empfindungs- und Eingebungsbereich zu gewinnen, bedeutsam. Diese Konzentration nach innen schlug eine Brücke zum Mythos, d. h. zum Reinmenschlichen als Ausgangspunkt der inneren dramatischen Motive, von denen sich wiederum die zentralen musikalischen Motive herleiten. Für W. ergab sich dabei ein zwingender entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang mit Beethovens Symphonien, für die er einen dem „Reinmenschlichen" entsprechenden „dichterischen Gegenstand" annahm. - Die Bedeutung des Mythos, seine struktur- und formbildende Funktion und die von ihm ausgehende Motivverzweigung, wurde W. freilich erst während der ersten Exiljahre in der Schweiz ganz bewußt, eine Entwicklung, die sich im Verhältnis der Opern Fliegender Holländer - Tannhäuser - Lohengrin zueinander, dann aber vor allem im Unterschied dieser Werke zum Ring ausdrückt. Die „Verdichtung" der dramatischen Motive steigerte die strukturelle Funktion der „melodischen Momente" in zunehmendem Maße und schon vor der Ring-Tetralogie. Ausdruck dieser neuen Entwicklung ist einmal die Einteilung in Szenen (und nicht in Nummern) und die zentrierende Funktion der Senta-Ballade im Fliegenden Holländer, dann aber vor allem die besondere Funktion des „Frageverbot"-Motivs zu Ende des 2. Lohengrin-Aktes, das hier nicht nur „Erinnerung", sondern im Moment der handlungsbedingten Vergegenwärtigung des Erinnerten auch „Ahnung" bewirkt; das mit dem Erklingen des „Frageverbots" sich abzeichnende Frageverlangen Elsas steigert nicht nur die Spannung, sondern bedingt auch den 3. Akt. Hier liegt bereits eine Motivfunktion vor, wie sie W. in Oper und Drama den ř Leitmotiven zuschreibt. Gleichwohl sind im Unterschied zum Ring die Motive im Lohengrin noch an geschlossene Perioden gebunden, während die Leitmotivtechnik des Ring in der umfassenden Verknüpfung der Motive durch Ahnung, Vergegenwärtigung und Erinnerung selbst formtragend wird. Für die Realisierung dieser neuen Qualität des dramatisch-musikalischen Motivgewebes war zum einen der Umfang des RingStoffes maßgebend, der eine Erweiterung der ursprünglichen Einteiligkeit (Siegfrieds Tod) zum 4teiligen Zyklus und damit eine epische Verzwei322
gung, ausgehend von den zentralen musikalischen Motiven, erforderte; zum anderen hatten die Erfahrungen der Weimarer Lohengrin-UA W. von der Notwendigkeit einer möglichst umfassenden musikalisch-dramatischen Verknüpfung auf der Basis der Leitmotivstruktur überzeugt; schließlich spielte aber auch W.s Kritik an den geschlossenen Formen der Oper (Arie, Duett usw.) wie an der Reprise im Sonatensatz eine wesentliche Rolle. Die Leitmotivtechnik im Ring öffnete die Form und strukturierte sie motivisch (nicht streng architektonisch, wie A. Lorenz annahm), in der Verknüpfung von „Versmelodie", „Orchestermelodie" und szenischer Aktion („Gebärde” des Sängers). - Für Tristan und Isolde gelten, wie in jeweils anderer Weise auch für Meistersinger und Parsifal, deutliche und weitreichende Unterschiede zum Ring. Gleichwohl kann weder wegen zurückgenommener Motivzahl und -dichte in Verbindung mit weitgespannten chromatischen Entwicklungszügen (Tristan) noch wegen der Wiedereinführung von Chor- bzw. Ensembleszenen (Meistersinger, Parsifal), von Liedern und Tänzen (Meistersinger), aber auch nicht aufgrund einer Reduktion oder Auflösung des Stabreims von einer Aufhebung der Leitmotivtechnik in den Werken nach dem Ring gesprochen werden. Tatsächlich bleibt in allen diesen Werken die Leitmotivstruktur weiterhin konstitutiv - allerdings in jeweils stoffbedingter Modifikation und in einer Konzentration auf zentrale Handlungsmotive. Im Tristan entfaltet sie sich gemäß der die Handlung bewegenden Liebesverewigung durch Liebestod - an einem Leitmotivkomplex (Leidens- + Sehnsuchtsmotiv [ = r Tristan-Akkord], Verhängnis-, Blickmotiv). Seine modifizierte Wiederkehr, verbunden mit den anderen Gefühls- und Handlungsebenen im Sinne der unendlichen Melodie und durch die „Kunst des Überganges", repräsentiert den Kern der „Handlung". Auch in den Meistersingern findet sich verbunden mit Motivverknüpfung und motivischer Arbeit - die Zeitstruktur der Leitmotivtechnik, die - ausgehend von der zentralen Verbindung von Triumph der Liebe und neu-meisterlicher Kunst - allein an der subtilen Veränderung des „lyrischen Motivs" und seiner schließlichen Einbindung ins Preislied erkennbar wird. Im Parsifal, dem „Bühnenweihfestspiel", verdeutlicht wiederum allein die fortschreitende Komplettierung des „Torenspruchs" den Verheißung und Rückblick, Ahnung und Erinnerung einschließenden Weg des Protagonisten. Gemessen an seinen Bühnenwerken ist W.s rein instrumentales Schaffen marginal. Nicht nur trotz der frühen C-Dur-Symphonie, sondern auch ange-
Wagner
sichts der Faust-Ouvertüre und des Siegfried Idylls sowie der späteren Absicht, einsätzige, die Melodie „ausspinnende" Symphonien zu komponieren, erscheint ein nicht dramatisch gebundener, im Gesamtoeuvre eigenständiger instrumental-symphonischer Bereich kaum in Umrissen. Ohnehin war W. die symphonische Instrumentalmusik nach Beethoven - abgesehen von Liszt und trotz A. Bruckner - dort Verirrung, wo sie historisch als Hauptrichtung der Entwicklung verstanden wurde. Von hier aus erklärt sich seine Ablehnung von J. Brahms, H. Berlioz und R. Schumann, sein zwiespältiges Verhältnis zu F. Mendelssohn Bartholdy. Den wahren Fortschritt repräsentierte für ihn das musikalische Drama, das die „Erlösung der Musik" durch Beethovens 9. Symphonie erst historisch umsetzte. Es ist W.s Erlösungsbegriff, durch den er ins Zwielicht gerät. „Erlösung" war für ihn eine über das Werk hinausreichende conditio sine qua non, eng verbunden mit einem Mangel an Kompromiübereitschaft. Hier überschneiden sich Licht und Schatten einer überdimensionierten Erscheinung. Die Doppelwertigkeit des Erlösungsgedankens tritt auf bestürzende Weise zutage, wo dieser sich - wie in W.s Einstellung zum „Judentum" - mit der Vorstellung existentieller Annullierung verbindet. Offenbar war es W.s verabsolutierter Erlösungsbegriff, der späterer idzologischer Annexion des Werkes Vorschub leistete. Ausg.: 1) Musikal. WW: R. W.s musikal. Werke, hrsg. v. M. BALLING, 10 Bde. (unvollständig) (L 1912-29), Nachdr. in 7 Bden. (NY 1971); R. W. Sämtliche Werke, hrsg. v. C. DAHLHAUS, 2 Reihen (Noten-Bde. u. Dokumenten-Bde.) (Mz 1970ff.), bisher 22 Bde. - 2) Literarische WW: Die Gesammelten Schriften (s. o.) erschienen erweitert als Sämtliche Schriften u. Dichtungen, hrsg. v. H. VON WOLZOGEN - R. STERNFELD, 12 bzw. 14 Bde. (L '1911 bzw. L 6 1914). - 3) Briefe, Tagebücher u. L: R. W.s Briefe in Originalausg., 2 Folgen (L 1912-14); zahlr. weitere ältere Briefausg. (Nerz. u. a. in Brockhaus Riemann Musiklexikon II, Wie - Mz 1979); Sämtliche Briefe, hrsg. v. G. STROBEL - W. WOLF (L 1967ff.), bisher 2 Bde.; R. W., Das braune Buch, hrsg. v. J. BERGFELD (Z 1976); Cosima W., Die Tagebücher, hrsg. v. M. GREGOR-DELLIN - D. MACK, 2 Bde. (Mn 1976-77). Lit.: 1) Bibliographie u. Werk-Verz.: E. KASTNER, W.-Cat. Chronologisches Verz. der v. u. über R. W. erschienenen Schriften, Musikwerke ... (Offenbach 1878, Nachdr. Hilversum 1966); N. OESTERLEIN, Kat. einer R. W.-Bibl. (L 1882-95, Nachdr. Wie 1970); lnt. W.-Bibliogr. 1945-55, hrsg. v. H. BARTH (Bayreuth 1956); dass., 1956-60 (ebd. 1961); dass., 1961-66 (ebd. 1968); J. DEATHRIDGE- M. GECK- E. Voss, W. Werk-Verz. (WWV) (Mz 1986). - 2) Periodica: Bayreuther Blätter 1-61 (1878-1938); Rev. wagnérienne 1-3 (1885-1888, Nachdr. G. 1970); R. W.Jb. I (1886); R. W.-Jb., 5 Bde. (L 1906-08, 1912-13). - 3) Ikonographie: M. GECK, Die Bildnisse R. W.s (Mn 1970). - 4) Zeitgen. Stud. u. persönliche Erinnerungen: F. LISZT, Lohengrin et Tannhaeuser de R. W. (L 1851, dt. 1852); DERS., R. W.s Rheingold, in: NZfM 43 (1855); H. VON BÜLOW, Über R. W.s FaustOuvertüre (L 1860); CH. BAUDELAIRE, R. W. et Tannhaeuser à Paris (P 1861); H. VON WOLZOGEN, Erinnerungen an R. W. (W 1883, 2 1891); A. NEUMANN, Erinnerungen an R. W. (L 1907); S.
WAGNER, Erinnerungen (St 1923, 2 1935). - S) Biographien: C. F. GLASENAPP, Das Leben R. W.s, 6 Bde. (L '1923); M. KOCH, R. W., 3 Bde. (B 1907-18); E NEWMAN, The Life of R. W., 4 Bde. (NY 1933-46, NA 1970); E. BÜCKEN, R. W. (Pd 1934); M. FEHR, R. W.s Schweizer Zeit, 2 Bde. (Aarau - L 1934 u. Aarau - F 1953); O. STROBEL, Neue Wagnerforsch. (Karlsruhe 1943); H. GAL, R. W. (F 1963); H. MAYER, R. W.s geistige Entwicklung (Düsseldorf - H 1954); C. VON WESTERNHAGEN, R. W. Sein Werk, sein Wesen, seine Welt (Z 1956); M. GREGOR-DELLIN, R. W. Sein Leben, sein Werk, sein Jh. (Z 1980). -6) Umfassende Darstellungen: a) Ästhetik, Philosophie, Gesch.: F. NIETZSCHE, Der Fall W. (L 1888); H. LICHTENBERGER, R. W. Počte et penseur (P 1898, dt. Dresden - L 1899, 21904); P. Moos, R. W. als Ästhetiker. Versuch einer kritischen Darstellung (B - L 1906); A. SCHMITZ, Der Mythos der Kunst in den Schriften R. W.s, in: Behr. i christlichen Philosophie 3 (Mz 1948); L. SIEGEL, W. and the Romanticism of E. T. A. Hoffmann, in: MQ 51 (1965); K. KROPFINGER, W.s 9. Symphonie. Das ambivalente Werk, in: Report of the Eleventh Congress (- Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972), 2 Bde. (Kop 1974). - b) Allgem. Unters. u. Analysen: H. E. KREHBIEL - A. SEIDL, Wagneriana (B 1901-02); P. BEKKER, R. W. Das Leben im Werke (St 1924); A. LORENZ, Das Geheimnis der Form bei R. W., 4 Bde. (Tutzing 2 1966); TH. W. ADORNO, Versuch über W. (F 1952); J. M. STEIN, R. W. and the Synthesis of the Arts (Detroit 1960, Nachdr. 1973); C. DAHLHAUS, W.s Begriff der „dichterisch-musikal. Periode", in: Beitr. z. Gesch. der Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen (Rb 1965) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 1); E. Voss, Stud. z. Instrumentation R. W.s (Rb 1970) (= ebd. 24); C. DAHLHAUS, W.s Konzeption des musikal. Dramas (Rb 1971) (- Arbeitsgemeinschaft „100 Jahre Bayreuther Festspiele" 5); K. KROPFINGER, W. u. Beethoven (Rb 1975) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 29); P. WAPNEWSKI, Der traurige Gott. R. W. in seinen Helden (Mn 1978); D. INGENSCHAY-GOCH, R. W.s neu erfundener Mythos. Zur Rezeption und Reproduktion des germanischen Mythos in seinen Operntexten (Bonn 1981). - 7) Zu einzelnen Werken, Werkgruppen und Aspekten: a) Bis Lohengrin: W. GOLTHER, Rienzi. Ein musikal. Drama, in: Mk 1 (1901/02); H. DINGER, Zu R. W.s „Rienzi", in: R. W.-Jb. 3 (1908); E. IsTEL, R. W.s Oper „Das Liebesverbot" auf Grund der hsl. Originalpartitur dargestellt, in: Mk 8 (1908/09); DERS., W.s erste Oper „Die Hochzeit" auf Grund der autographen Partitur dargestellt, in: Mk 9 (1909/10); W. KRIENITZ, R. W.s „Feen" (Mn 1910); E. ISTEL, Autographe Regiebemerkungen W.s zum „Fliegenden Holländer", in: Mk 12 (1912/13); J. G. ROBERTSON, The Genesis of W.'s Drama „Tannhäuser", in: Modern Language Rev. 18 (1923); M. GECK, Rienzi-Philologie, in: Das Drama R. W. als musikal. Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1970) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 23); C. HoPKINSON, Tannhäuser. An Examination of 36 Ed.s (Tutting 1973); J. DEATHRIDGE, W.'s Rienzi. A Reappraisal Based on a Study of the Sketches and Drafts (0 1977). - b) Der Ring des Nibelungen: G. B. SHAW, The Perfect Wagnerite. A Commentary on the Nibelung's Ring (Lo 1898, •1923, Nachdr. NY 1972, dt. F 1973); C. DAHLHAUS, Formprinzipien in W.s „Ring des Nibelungen", in: Beitr. z. Gesch. der Oper, hrsg. v. H. Becker (Rb 1969) (- Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 15); R. BRINKMANN, „Drei Fragen stell ich mir frei". Zur Wanderer-Szene im 1. Akt v. W.s „Siegfried", in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforsch. Preußischer Kulturbesitz 1972; Dokumente L Entstehungsgesch. des Bühnenfestspiels der Ring des Nibelungen, hrsg. v. W. BREIG - H. FLADT, in: R. W. Sämtliche Werke 29/1 (Mz 1976); J. CULSHAW, Reflections on W.'s Ring (NY 1976). -c) Tristan u. Isolde: W. GOLTHER, Zur Entstehung v. R. W.s Tristan, in: Mk 5 (1905/06); E. KURTH, Romantische Harmonik u. ihre Krise in W.s „Tristan" (B 1920, Nachdr. Hil 1975); S. ANHEISSER, Das Vorspiel zu „Tristan u. Isolde" u. seine Motivik, in: ZfMw 3 (1920/21); K. KROPFINGER, W.s Tristan u. Beethovens Streichquartett op. 130. Funktion u. Strukturen des Prinzips der Einlei-
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Wagner tungswiederholung, in: Das Drama R. W.s als musikal. Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1970) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 23); H. Poos, Zur Tristanharmonik, in: FS E. Pepping (B 1971); E. Voss, W.s Striche im Tristan, in: NZfM 132 (1971); R. JACKSON, Leitmotive and Form in the Tristan Prelude, in: MR 36 (1975); rTristanakkord. — d) Meistersinger: W. ALTMANN, Zur Gesch. der Entstehung u. Veröff. v. R. W.s „Die Meistersinger von Nürnberg", in: R. W.-Jb. 5 (1913); K. GRUNSKY, Reim u. musikal. Form in den Meistersingern, in: ebd.; F. ZADEMACK, Die Meistersinger v. Nürnberg. R. W.s Dichtung u. ihre Quellen (B 1921); R. M. RAYNER, W. and „Die Meistersinger" (Lo 1940). — e) Parsifal: W. GOLTHER, Parsifal u. der Gral in dt. Sage des MA u. der Neuzeit (L 1911); W. ALTMANN, Zur Entstehungsgesch. des „Parsifal", in: R. W.-Jb. 4 (1912); A. HEUSS, Die Grundlagen der Parsifal-Dichtung, in: Mk 12 (1912/13); H. VON WOLZOGEN, Parsifal-Varianten. Eine Übersicht, in: R. W.-Jb. 4 (1912); TH. W. ADORNO, Zur Partitur des „Parsifal", in: Moments musicaux (F 1964); Dokumente z Entstehung u. ersten Aufführung des Bühnenweihfestspiels Parsifal, in: R. W. Sämtliche Werke 30 (Mz 1970); H.-J. BAUER, W.s Parsifal. Kriterien der Kompositionstechnik (Mn 1977). — f) Andere Werke: R. M. BREITHAUPT, R. W.s Klaviermusik, in: Mk 3 (1903/04); W. KLEEFELD, R. W. als Bearbeiter fremder Werke, in: Mk 4 (1904/05); R. STERNFELD, Die erste Fassung v. Wagners FaustOuvertüre, in: Mk 15 (1922/23); O. STROBEL, Das „Porazzi"Thema. Über eine unveröff. Melodie R. W.s u. deren seltsamen Werdegang. in :Bayreuther Festspielführer 1934; E. Voss, W.s fragmentarisches Orchesterwerk in e-moll. Die früheste der erhaltenen Kompositionen?. in Mf 23 (1970); DERS., R. W. u. die Instrumentalmusik. W.s symphon. Ehrgeiz (Wilhelmshaven 1977). — 8) Aufführungspraxis: A. HEUSS, Musik u. Szene bei W. Ein Bsp. aus „Tristan u. Isolde" u. zugleich ein kleiner Beitr. z Charakteristik G. Mahlers als Regisseur, in: Mk 12 (1912/13); A. BAHRMILDENBURG, Darstellung der Werke R. W.s aus dem Geiste der Dichtung u. Musik. Tristan u. Isolde. Vollständige Regiebearb. sämtlicher Partien mit Notenbeispielen (L 1936); K. F. RICHTER, Die Antinomien der szenischen Dramaturgie im Werk R. W.s (Diss Mn 1956); Wieland Wagner inszeniert R. W.. hrsg. v. K. H. RUPPEL (Konstanz 1960); D. STEINBECK, Inszenierungsformen des „Tannhäuser", 1845-1904. Unters. z Systematik der Opernregie (Rb 1964) (— Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 14); M. u. D. PETZET, Die R.-W.-Bühne König Ludwigs II. (Mn 1970) (— Stud. z Kunst des 19. Jh. 8); W. E. SCHÄFER, Wieland Wagner. Persönlichkeit u. Leistung (TO 1970); L. LUCAS, Die Festspiel-Idee R. W.s (Rb 1973) (— Arbeitsgemeinschaft „100 Jahre Bayreuther Festspiele" 2); D. MACK, Der Bayreuther Inszenierungsstil (Rb 1975) (— ebd. 9); Theaterarbeit an W.s Ring, hrsg. v. DEMS. (Mn 1978) (— Schriften zum Musiktheater 3); O. G. BAUER, R W. Die Bühnenwerke von der UA bis heute (B 1982). — 9) Rezeption: M. CHOP, R. W. im Spiegel der Kritik seiner Zeit, in: R. W.-Jb. 1 (1906); R. PARK, Das Bild von R. W.s Tristan u. Isolde in der dt. Lit. (Kö 1935); TH. MANN, W. u. unsere Zeit, hrsg. v. E. Mann (F 1963); H. KIRCHMEYER, Das zeitgen. Wagnerbild, 3 Bde. (Rb 1967-72); E. KOPPEN, Dekadenter Wagnerismus (B 1973) (— Komparatistische Stud. 2); Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?, hrsg. v. H.-K. METZGER — R. RIEHN (Mn 1978) (— Musikkonzepte 5). K. KROPFINGER
WAGNER, Siegfried Helferich Richard, Sohn von Richard W., * 6.6. 1869 Tribschen/Luzern, t 4.8. 1930 Bayreuth; dt. Komponist, Dirigent und Regisseur. Er studierte 1889-90 Komposition bei E. Humperdinck, dann Architektur. 1892, auf einer Orientreise, erfolgte sein Entschluß, sich der Musik zuzuwenden. 1906 übernahm er die Leitung der r Bayreuther Festspiele, deren finanzielle
Durchführung er durch Konzert- und Vortragsrei324
sen, bis nach Amerika, ermöglichte; sein besonderes Verdienst war die Wiedereröffnung der Festspiele nach 10jähriger, kriegsbedingter Unterbrechung (1924). WW: Zahlr. Orch.- u. Vokal-Werke. — Opern: Der Běrenhäuter, UA: München 1899; Herzog Wildfang UA: ebd. 1901; Der Kobold UA: Hamburg 1904; Bruder Lustig UA: ebd. 1905; Sternengebot, UA: ebd. 1908; Banadietrich, UA: Karlsruhe 1910; An allem ist Hütchen schuld, UA: Stuttgart 1917; Schwarzschwanenreich, UA: Karlsruhe 1918; Sonnenflammen, UA: Darmstadt 1918; Rainulf und Adelasia, UA des Vorspiels: Rostock 1922; Der Schmied von Marienburg UA: Rostock 1923; Die heilige Linde, UA des Vorspiels: Bayreuth 1924; Der Friedensengel, UA: Karlsruhe 1926; Der Heidenkönig UA: Köln 1933. — Unvollendete Opern: Walamund (1928); Wahnopfer(1928); Das Flüchlein, das Jeder mitbekam (1929), UA des Vorspiels: Bayreuth 1934, vollendet v. H.-P. Mohr (1982), UA der SchluBszene: Bayreuth 1980.
Als Inszenator war W. der Mitbegründer einer sorgfältig geplanten Musiktheaterregie in teilweise abstrahierten Bühnenräumen mit dramaturgischer Lichtregie, in dem Bestreben, die Werke „dem modernen Empfinden" anzupassen. Sein kompositorisches Schaffen zeichnet sich durch eine unverkennbar eigene, nachromantische Tonsprache mit zunehmend impressionistischem Einfluß aus. W. bewahrte sich Originalität, indem er bei den Vorgängern und Antipoden seines Vaters und bei der Symphonik seines Großvaters Fr. Liszt anknüpfte. A. Schönberg betonte bereits 1912, W. sei „ein tieferer und originellerer Künstler als viele, die heute sehr berühmt sind". W.s eigene Libretti folgen jener „Architektonik", die sich auch im Kompositionsstil nachweisen läßt. Die Märchenopern Der Bärenhäuter und An allem ist Hütchen schuld wurden seine populärsten Werke, wenngleich die übrigen Opern interessanter, aber schwieriger zu rezipieren sind. Im Dritten Reich aufgrund der liberalen Aussage verpönt und nach dem 2. Weltkrieg vergessen, zeichnet sich seit 1975 (Der Friedensengel in London) eine begrenzte Renaissance von W.s Opernschaffen ab. Lit.: Mitteilungsblätter der Int. S.-W.-Ges. (1972ff.). — C. F. GLASENAPP, S. W. (B 1906); DERB., S. W. u. seine Kunst (L 1911); P. PRETzscH, Die Kunst S. W.s (L 1919, Nachdr. Aachen 1980) ( — Schriftenreihe der Int. S.-W.-Ges. 2); O. DAUBE, S. W. u. sein Werk (Bayreuth 1925); DERS., S. W. u. die Märchenoper (L 1936); F. STASSEN, Erinnerungen an S. W. (Detmold 1942); L. KARPATH, S. W. als Mensch u. Künstler (L o.J.); TH. E. REIMERS, S. W. as Innovator (Lo 1972); P. P. PACHL, S. W.s musikdramatisches Schaffen (Tutzing 1979); K. SÖHNLEIN, Erinnerungen an S. W. u. Bayreuth (Bayreuth 1980) (— Schriftenreihe der Int. S.-W.-Ges. 1). P. P. PACHL
WAGNER, Wieland Adolf Gottfried, Sohn von Siegfried W., * 5. 1. 1917 Bayreuth, t 17. 10. 1966 München; dt. Regisseur und Bühnenbildner. Erstudierte 1938-43 Malerei in München (Ferdinand Staeger) und seit 1940 Musik (bei Kurt Overhoff). 1935 schuf er erste Bühnengestaltungen in Lübeck,
Wagner-Régeny Köln (Rheingold), Altenburg und 1937 seine erste Ausstattung des Parsifal sowie 1943 erste Entwürfe zu den Meistersingern in Bayreuth. Zusammen mit seinem Bruder Wolfgang (s. u.) leitete er die ř Bayreuther Festspiele seit ihrer Wiederaufnahme nach dem 2. Weltkrieg. Er setzte dabei selbst die Zeichen für eine Neuorientierung, eine „Entrümpelung" der Inszenierung und des Bühnenbildes. Auslösendes Moment war der Parsifal von 1951. Die Stilisierung des Werks brachte die riesige Bühne erst voll zur Geltung, und das versenkte Orchester ermöglichte eine Lichtregie, mit der W. neue Dimensionen des Bühnenbildes erschloß. Dieser Parsifal wurde mit kleinen Veränderungen, die den „Werkstattcharakter" von „Neubayreuth" bekundeten, jährlich bis 1966 gegeben. In gleicher Weise bezeichnend für W.s „Neubayreuth" waren seine Inszenierungen des Ring (1951-58), des Tristan (1952-53; neu 1961-62, nachgespielt 1964-66), der Meistersinger (1956-61; neu 1963-64), Lohengrin (1958-60 und 1962) und des Fliegenden Hollander (1959-61 und 1965). - W.s Regiearbeit läßt sich in eine geometrische Phase, eine Periode der Signale und eine Epoche der Symbole gliedern. Beeinflußt durch die Expressionisten der 20er Jahre - weniger durch Adolph Appia und Emil Preetorius -, zielte er stets auf eine szenische Gestaltung, in der das Bühnenbild Sinnbild, nicht mögliche Wirklichkeit war. Er wählte „eine mit modernen choreographischen Mitteln und Erkenntnissen arbeitende, den Sänger schauspielerischen Gesetzen unterwerfende Wagner-Regie, die die Möglichkeit der Beleuchtung als dramaturgisches Hilfsmittel einsetzt und die Stilelemente der zeitgenössischen Kunst - visionäre ,Zeichen`, geometrische Abstraktion, Symbolfarben und -formen - zur Raumgestaltung benützt" (Wieland Wagner). Außer in Bayreuth inszenierte W. vor allem an der Stuttgarter Staatsoper, und zwar neben den genannten Werken R. Wagners Rienzi, L. van Beethovens Fidelio (1954), C. Orffs Antigonae (1956) und Comoedia de Christi Resurrectione (1957), R. Strauss' Salome (1962) und Elektra (1962) sowie A. Bergs Lulu, meist mit der Sopranistin Anja Silja in einer der Hauptrollen. Wichtige Impulse gaben auch seine Arbeiten in München, Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main und Köln. Lit.: I. MILLER, W. W.s Tannhäuser-Inszenierung in Bayreuth 1954, in: Bühnentechnische Rundschau 44 (1954); K. H. RUpPEL, W. W. inszeniert R. Wagner (Konstanz 1960); W. PANOFSICY, W. W. (Bremen 1964); A. GoLÉA, Entretiens avec W. W. (P 1967, dt. Salzburg 1968); W. E. SCHÄFER, W. W. (TO 1970); G. SKELTON, The Positive Sceptic (NY — Lo 1971). H.-J. BAUER
WAGNER, Wolfgang Manfred Martin, Sohn von Siegfried W., * 30.8. 1919 Bayreuth ; dt. Regisseur
und Bühnenbildner. Er begann seine Theaterarbeit 1940 an der Berliner Staatsoper unter H. Tietjen und übernahm 1951 mit seinem Bruder Wieland die Leitung der Bayreuther Festspiele, bei denen er 1953 Lohengrin, 1955 den Fliegenden Hollander, 1957 Tristan und Isolde und 1960 den Ring des Nibelungen inszenierte. Nach dem Tod seines Bruders übernahm er 1966 allein die Festspielleitung. 1967 inszenierte er Lohengrin neu, 1968 und 1981 die Meistersinger, 1970 den Ring und 1975 Parsifàl. Außerdem trat W. als Gastregisseur in Braunschweig (Don Giovanni, 1955), Rom (Meistersinger, 1956), Venedig (Ring, 1957), Bologna (Siegfried, 1957), Palermo (Die Walküre, 1962) und an der Mailänder Scala (Tristan, 1978) auf. In Abkehr von der musealen Heroendarstellung der Vorkriegszeit hatte W. 1955 im Hollander die nihilistischen Vorstellungen des ruhelosen Seefahrers mit dem Atombombenkomplex unserer Zeit in Beziehung gesetzt. Die Zusammenarbeit mit seinem Bruder und die gemeinsamen Arbeitsbedingungen in Bayreuth ergaben auch für W. ähnliche Inszenierungskonzeptionen. W. versucht jedoch, symbolische Vieldeutigkeiten mehr in die Nähe menschlicher Wirklichkeit zu rücken und nützt neuartige Lichtquellen. Seit dem Tod seines Bruders gibt er auch auswärtigen Regisseuren vermehrt Gelegenheit, mit anderen stilistischen Mitteln in Bayreuth zu arbeiten. Lit.: W. W. zum 50. Geburtstag, hrsg. v. H. BARTH (Bayreuth 1965); O. G. BAUER, W. W. Arbeitsprinzipien eines Regisseurs H.J. BAUER (Mn 1979).
WAGNER-RÉGENY, Rudolf, * 28.8. 1903 Sächsisch-Regen (Siebenbürgen; heute Reghin), t 18.9. 1969 (Ost-)Berlin ; dt. Komponist. Nach kurzem Klavierstudium in Leipzig wechselte W. 1920 an die Musikhochschule Berlin und legte 1923 das Kapellmeisterexamen ab. Nach einer Anstellung an der Volksoper Berlin war er als Kapellmeister und Komponist für die Tanzgruppe R. von Labans tätig. Seit 1930 freischaffender Künstler, fand er allgemeine Anerkennung nach der Uraufführung seiner Oper Der Günstling (1935 in Dresden unter K. Böhm). 1947 übernahm W. die Leitung der Musikhochschule Rostock, war 1950-68 Professor für Komposition an der Deutschen Hochschule für Musik (Ost-)Berlin und führte darüber hinaus bis zu seinem Tod die Meisterklasse, aus der u. a. T. Medek und S. Matthus hervorgingen. WW: 1) Instr.- u. Vokal-WW: Klv.-Musik; Kammermusik; Orchesterwerke ; mehrere Kantaten, u. a. An die Sonne (1968) (Text: I. Bachmann) für Alt u. Orch.; 10 Lieder auf Texte von B. Brecht (1946); Hermann-Hesse-Lieder (1968) für Bar. u. Klv.; Gesänge des Abschieds (H. Hesse) (1968) für Bar. u. KIv. (1969 mit Orch.Begleitung). — 2) Bühnen-WW: Opern: Sganarelle oder Der
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Walcha Schein trügt (Libr. nach J.-B. Molière), UA: Essen 1929; Moschopulos (Libr. nach F. Pocci), UA: Gera 1928; Der nackte König (Libr.: V. Braun nach H. Ch. Andersen), UA: ebd. 1928; Der Günstling (Libr.: C. Neher nach V. Hugo), UA: Dresden 1935; Die Bürger von Calais (Libr.: ders. nach J. Froissart), UA: Berlin 1939; Johanna Balk (Libr.: ders. nach einer transsylvan. Chronik), UA: Wien 1941; Persische Episode (Libr.: ders. mit B. Brecht nach Märchen aus 1001 Nacht), UA: Rostock 1963; Das Bergwerk zu Falun (Libr.: H. v. Hofmannsthal), UA: Salzburg 1961; Biblische Szene Esau und Jakob, UA: Gera 1930; Musikal. Szene La sainte courtisane (Libr. nach O. Wilde), UA: Dessau 1930; Die Fabel vom seligen Schlächtermeister (Libr.: H. v. Savigny), UA: Dresden 1964. - Ballette: Moritat, UA: Essen 1929; Der zerbrochene Krug (L. Maudrik nach Kleist), UA: Berlin 1937; Ballet blanc - Mythologische Figurinen, UA: ebd. 1952.
W. integrierte in seine einfache, klare Tonsprache
seit etwa 1948 die Technik der Dodekaphonie und die der variablen Metren. In den Opern strebte er die Einheit von Wort, Musik und Szene an und propagierte die Kongruenz von Stimmgattung und Charakter der Rollen. Durch Verzicht auf „typische" Instrumenten-Effekte lenkte W. die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf Wesentliches. Lit.: A. BURGATZ, R. W. Bildnis eines Schaffenden (B 1935); D. HÄRTWIG, R. W., Der Opernkomponist (B 1965); F. K. PRIEBERG, Musik im anderen Deutschland (Kö 1968); R. WAGNERRÉGENY, Begegnungen (autobiograph. Notizen, Briefwechsel mit C. Neher), hrsg. v. T. Müller-Medek (B 1968); E. WALLNER, Musik gewordene Meditation, in: Musica 26 (1972). K. LANGROCK
WALCHA, Helmut, * 27. 10. 1907 Leipzig; dt. Organist. Er studierte 1922-27 bei G. Ramin in Leipzig und war 1926-29 stellvertretender Thomasorganist. 1929 wurde er in Frankfurt am Main Organist der Friedenskirche, 1946 der Dreikönigskirche. Daneben wirkte er seit 1933 am Hochschen Konservatorium, 1938-72 an der Staatlichen Frankfurter Musikhochschule. 1946 gründete W. das Institut für Ev. Kirchenmusik. Mit den Frankfurter Bachstunden und den Kirchenmusiktagen bereicherte er das Musikleben dieser Stadt. W., der auch als Cembalist und Komponist hervortrat, ist einer der bedeutendsten Organisten des 20. Jahrhunderts. Mit 16 Jahren erblindet, lernte er sein Repertoire (J. S. Bach, aber auch Werke des 17. Jh. und moderne Kompositionen, u. a. von P. Hindemith und K. Hessenberg) stimmenweise auswendig, was zu einer vokal-linearen und vergeistigten Interpretation, aber auch zur Ablehnung mancher Komponisten, bes. M. Regers, führte. WW: 1) Kompositionen: Choralvorspiele für Org. (F 1945-78); Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren, Kantate für Chor, Blechbläser u. Org. (1932). - 2) Schriften: Kirchenmusik ohne Wort?, in: MuK 8 (1936); Das Gesetz der Orgel. Ihre Begrenzung in: ebd. 10 (1938); M Regers Orgelschaffen kritisch betrachtet, in: ebd. 22 (1952) (dazu W. Fortner u. a., in: ebd.); Noch ein Wort zur Aussprache, in: ebd.; Ober die Bedeutung der Konzentration für die musikal. Gestaltung dargestellt an der Passacaglia c-Moll von J. S Bach, in: 1843-1968 Hochschule für Musik
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Leipzig. FS z. Jubiläum, hrsg. v. M. Wehnert u. a. (L 1968); Die Wunder der Polyphonie, in: Musikal. Selbstporträt, hrsg. v. J. Müller-Marein - H. Reinhardt (H 1973). - 3) Editionen: G. F. Händel, Orgelkonzerte, op. 4 u. op. 7(Mz 1940, 1943); J S. Bach, Ricercare für 6 St. aus dem Musicalischen Opfer, Übertragung für Org. (F 1964) (mit ausführlicher Analyse); Die Kunst der Fuge, Übertragung für Org. (F 1967). Lit.: Bachstunden. FS H. W., zum 70. Geburtstag, hrsg. v. W. DEHNHARDT - G. RITTER (F 1978); G. SCHUHMACHER, Lobet den Herren, den mächtigen König áer Ehren. Bachs Kantate als Vorbild und Belastung, in: MuG 35 (1980). G. SCHUHMACHER
WALCKER, dt. Orgelbaufirma mit Sitz in Ludwigsburg. Sie wurde 1780 von Johann Eberhard W. (1756-1843) in Cannstatt gegründet. Von ihm stammen u. a. die Orgeln der ehemaligen Garnisonskirche in Ludwigsburg (1780/81) und der Stadtkirche zu Cannstatt (zwischen 1787 und 1794). Sein Sohn Eberhard Friedrich W. (1794-1872) verlegte das Unternehmen 1820 nach Ludwigsburg, assoziierte sich 1842 mit Heinrich Spaich und führte das Unternehmen zu internationalem Ansehen. Er baute u. a. die Paulskirchenorgel in Frankfurt am Main (1833 ; 3 Man., 74 Reg.), aufgebaut nach Abbé Voglers Simplifikationssystem, und nicht zuletzt die Orgel für die Ausstellung 1863 in Boston (4 Man., 89 Reg.), die heute noch steht und in Amerika als bedeutendste Orgel jener Zeit gilt. 1840 erfand er die Kegellade, beschäftigte sich mit der Verbesserung der Winderzeugung und Windregulierung und entwickelte die Kastenbälge und verschiedene Gebläsekonstruktionen in Verbindung mit Wasser-, Gas- und Dampfmotoren. Als erster Orgelbauer ließ er sich einen kirchenähnlichen hohen Montagesaal bauen. 1850 konstruierte er eine Zinnhobelmaschine. Er führte das Doppelpedal und die Stimmschlitze im Orgelbau ein. Mit Cavaillé-Coll, der von ihm die Erfindung der Kegellade übernahm, pflegte er einen engen Gedankenaustausch. Aus dieser deutsch-französischen Zusammenarbeit entwickelte sich später die elsässisch-neudeutsche Orgelbewegung. Nach seinem Tod 1872 übernahmen die Söhne Heinrich, Fritz, Paul und Karl W. die Firma. Sie bauten größere Orgeln, u. a. für den Dom zu Riga (1883; 4 Man., 124 Reg.) und für den Stephansdom in Wien (1886; 3 Man., 90 Reg.). Paul W. leitete seit 1906 die Firma W. r Sauer in Frankfurt an der Oder. Zu Beginn des 20. Jh. trat Oscar W. (1869-1948) in die Geschäftsleitung der Firma W. ein. Er erwarb 1916 die Firma W. Sauer, die dann von Karl Ruther geleitet wurde. 1921 baute er auf Anregung von W. Gurlitt die Praetorius-Orgel in der Universität Freiburg, die zu einem Fanal der ř Orgelbewegung der 1920er Jahre wurde; W. erhielt für sie 1921 die Würde
Walker eines Dr. phil. h. c. der Freiburger Universität. In den folgenden Jahren wurden unter seiner Leitung mehrere bedeutende Orgelwerke geschaffen: Stockholm, Stadthalle (1925; 4 Man., 115 Reg.), Gelsenkirchen, Hans-Sachs-Haus (1927; 4 Man., 92 Reg.), Barcelona, Weltausstellung (1929; 5 Man., 154 Reg.), Oslo, Domkirche (1930; 4 Man., 103 Reg.). Auch die Orgeln der Dortmunder Reinoldikirche (1909; 5 Man., 105 Reg.) und der Hamburger Michaeliskirche (1912; 5 Man., 164 Reg.) stammen aus dieser Zeit. Nach dem Tode von Oscar W. ging die Firma auf Werner W.-Mayer (* 1. 2. 1923) über (der Firmensitz wurde 1974 von Ludwigsburg nach Murrhardt verlegt; in Guntramsdorf bei Wien besteht ein selbständiger Zweigbetrieb). Unter seiner Leitung wurden bisher etwa 3200 Orgeln gebaut, u. a. Berlin, Matthäuskirche (1958), Stuttgart, Stiftskirche (1958), Bogotá, Konzertsaal (1966), Budapest, Ferenc-Liszt-Hochschule (1967; 4 Man., 86 Reg.), Wien, Konzertsaal der Gesellschaft der Musikfreunde (1968; 4 Man., 100 Reg.), Ulm, Münster (Neugestaltung 1969; 5 Man., 95 Reg.), Zagreb, Konzertsaal (1972), Murrhardt, Klosterkirche (1976), Salzburg, Mozarteum (1979; 3 Man., 41 Reg.). Besondere Beachtung finden die Freiorgel in Kufstein (1970) sowie die Orgel der Kirche St. Peter in Sinzig (1972), die mit ganz neuartigen Klangelementen ausgestattet wurde. Werner W.Mayer rief 1965 die W.-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung ins Leben ; sie publiziert die Schriftenreihe der W -Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung und die Veröffentlichungen der W-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung. 1980 wurde W.-Mayer Dr. phil. h. c. der Universität Freiburg im Breisgau. Lit.: W. GURLITT, Die Paulskirchen-Orgel in Frankfurt a. M., in: Zschr. für Instrumentenbau 60 (1940); O. WALCKER, Erinnerungen eines Orgelbauers (Kas 1948); J. FISCHER, Das Orgelbauergeschlecht Walcker. Die Menschen, die Zeiten, das Werk (Kas 1966); H. M. BALZ, Orgeln und Orgelbauer im Gebiet der ehemaligen hessischen Provinz Starkenburg (Marburg 1969); G. KLEEMANN, Die Orgelmacher und ihr Schaffen im ehemaligen Herzogtum Württemberg (St 1969); H. J. BUSCH, Zwischen Tradition und Fortschritt — zu Orgelbau, Orgelspiel und Orgelkomposition in Deutschland im 19. Jh., in: Mundus Organorum, FS W. Supper (B 1978); B. SULZMANN, Mitteilungen über das Wirken schwäbischer Orgelmacher in badischen Landen v. 16. bis 19. Jh., in: ebd.; H. G. KI.,AIS, War die Kegellade ein Irrtum?, in: ebd.; Orgelwissenschaft u. Orgelpraxis. FS zum 200jährigen Bestehen des Hauses W., hrsg. v. H. H. EGGEBRECHT (MurrhardtW. WALCKER-MAYER Hausen 1980).
WALDHORN
Horn.
WALDSTEIN, Ferdinand Ernst Joseph Gabriel, Graf von W. und Wartenberg zu Dux, * 24.3. 1762 Wien, t 29.8. 1823 ebd.; östr. Musikliebhaber. Er
war Mitglied des Deutschen Ritterordens und lebte 1787-93 am Hof seines Hochmeisters, des Kurfürsten Max Franz, in Bonn, dann in Wien. Später stand er auch als Offizier in englischen Diensten und starb in Armut. W. war einer der ersten Förderer L. van Beethovens in Bonn und in Wien. Zum Abschied von Bonn schrieb ihm W. ins Stammbuch: „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozart's Geist aus Haydens Händen." Beethoven komponierte für W. Musik zu einem Ritterballett, das 1791 in Bonn unter W.s Namen aufgeführt wurde, sowie Variationen über ein Thema von W. für Klavier zu 4 Händen (WoO 67) und widmete ihm 1805 die Klaviersonate op. 53, die „Waldstein-Sonate". Von W. selbst sind eine Symphonie und 3 Kantaten erhalten. Ausg.: Symphonie D-Dur, hrsg. v. L. SCHIEDERMAIR (Düsseldorf 1951) (— Denkmäler rheinischer Musik 1). Lit.: J. HEER, Der Graf v. W. u. sein Verhältnis z. Beethoven (L 1933) (— Veröff. des Beethovenhauses in Bonn 9); Die Stammbücher Beethovens u. der Babette Koch, Faks.-Ausg., hrsg. v. M. BRAUBACH (Bonn 1970).
WALDTEUFEL, Emil (eig. Charles Émile Lévy dit W.), * 9. 12. 1837 Straßburg, t 12.2. 1915 Paris; frz. Komponist. Er studierte bei A. Fr. Marmontel am Pariser Conservatoire. Der Erfolg von zwei im Selbstverlag veröffentlichten Walzern veranlaßte ihn, sich ganz der Unterhaltungsmusik zu widmen. 1865 wurde W. Kammerpianist der Kaiserin Eugénie und Kaiserlicher Hofballdirektor, dirigierte u. a. die großen Bälle in der Pariser Opéra und im Élysée-Palast und wurde in ganz Europa als Walzerkomponist berühmt. Zu seinen bekanntesten Walzern gehören Sirenenzauber (1878), Die Schlittschuhläufer (1882), Estudiantina (1883) und Espaňa (1886, nach A. E. Chabrier). Insgesamt schrieb er mehr als 300 Tänze. Lit.: P. HERING, E. W. (1837-1915), in: La musique en Alsace (Str 1970); A. LAMB, E. W. (1837-1915): The Parisian Waltz King (Littlehampton 1979); J. P. ZEDER, Les W. et la valse française (Str 1980).
WALKER, T-Bone (Aaron Thibeaux), * 28.5. 1910 Linden (Texas), t 16.3. 1975 Los Angeles; amerik. Jazzmusiker (Gesang, Gitarre). Schon als Jugendlicher begleitete W. Größen des Blues wie Ma Rainey und Blind Lemon Jefferson, trat dann seit 1934 selbst als Bluessänger auf und wurde 1939-40 durch die Band von Les Hite populär, mit der er den berühmten T-Bone Blues (1940) aufnahm. Zwischen 1940 und Ende der 1960er Jahre unternahm er häufig als Solist Tourneen durch die USA; 1962 trat er in der Tourneeveranstaltung „American Folk Blues Festival" auf. W. hat in hervorragender Weise den Folk-Blues mit Jazzele327
Walküre menten verbunden und auf der Gitarre die Entwicklung des virtuosen Bluesspiels gefördert. WALKÜRE, DIE, Musikdrama von R Wagner; 1. Tag der Tetralogie Der ř Ring des Nibelungen. WALLBERG, Heinz, * 16.3. 1923 Herringen (Westfalen); dt. Dirigent. Er studierte in Düsseldorf und Köln, begann zunächst als Violinist und Trompeter in Köln und Darmstadt und wirkte dann als Kapellmeister in Münster, Trier, Hagen, Augsburg, Bremen und Hamburg. 1955-61 war er GMD in Bremen, 1961-74 am Staatstheater in Wiesbaden und leitete 1964-75 das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester in Wien, wo er als ständiger Gastdirigent auch an der Staatsoper verpflichtet war. Seit 1975 ist W. GMD in Essen und Chef des Rundfunkorchesters des BR. WALLER, Fats (Thomas Wright), * 21.5. 1904 New York, t 15. 12. 1943 Kansas City (Kansas); amerik. Jazzmusiker (Klavier, Orgel), Bandleader und Komponist. W. betrat 1922 die Ja7jszene, spielte in verschiedenen Bands und seit 1930 mit eigenen Gruppen und als Solist. Er setzte zunächst die Tradition des Ragtime-Pianos fort, kam aber in den 30er Jahren zum Swing und wurde der bedeutendste Pianist dieses Stils. Kennzeichnend für sein Spiel ist das nur kurze Anspielen eines Themas mit sofortigem Übergang zu einer souveränen, temperamentvollen Improvisation. W., ein humorvoller Charakter, wurde vom Musikmanagement planmäßig als „Musik-Clown" aufgebaut und als Jazzsänger mit kabarettistischer Note vermarktet. Von seinen über 400 Liedern wurden vor allem Ain't Misbehavin' und Honeysuckle Rose sowie Black and Blue, Wild Cat Blues, Squeeze Me und Keeping out of Mischief populär. Lit.: C. Fox, F. W. (Lo 1960); W. KIRKEBY — D. SCHIEDT — S. TRAILL, Ain't Misbehavin'. The Story of F. W. (NY — Lo 1966, NY '1975); M. WALLER — A. CALABRESE, F. W. (NY 1977); A. POLILLO, Jazz. Gesch. u. Persönlichkeiten der afroamerik. Musik (Mn 1978).
WALLISER (Wallisser, Waliser, Walleser), Christoph Thomas, * 17.4. 1568 Straßburg, t 26.4. 1648 ebd.; elsässischer Komponist. Er unternahm 1584-98 eine Studienreise durch die Schweiz, Deutschland, Böhmen, Ungarn und Italien und war 1588 Schüler von M. Vulpius in Speyer. 1600 wurde er in Straßburg Musicus Vicarius an St. Thomas sowié Lehrer, später auch Musicus Ordinarius, am protestantischen Gymnasium, der späteren Universität, 1606 auch Kantor für die Figuralmusik am Münster. 1634 aus dem Schuldienst entlassen, starb er in großer Armut. 328
WW: Teutsche Psalmen und Geistliche Kirchengesäng für 5 St. (Nü 1602); In festum nativitatis Domini sacrae cantiones für 5 St. (Str 1613); Eť clesiodiae, Psalmen für 4-7 St., 2 Teile (Str 1614, 1625); Te Deum ... Teutsch für 5-6 St. (Str 1617); einige Motetten in Sammeldrucken 1611-21; ferner Chöre zu Schuldramen, Kanons u. a.
W. ist die bedeutendste Persönlichkeit im Musikleben Straßburgs während der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Als Lehrer reorganisierte W. den Musikunterricht nach humanistischen Zielsetzungen und leistete einen wichtigen Beitrag zur r Schuloper. In seinen Chorsätzen vermied er die antiken Versmaße zugunsten einer freieren Deklamation nach dem Vorbild des zeitgenössischen italienischen Stils. Seine geistlichen Werke verbinden den konservativen Figuralstil mit dem Kantionalsatz L. Osianders. Lit.: U. KLEIN, W., in: MGG XIV (mit Vera. älterer Ausg.); DIES., Ch. Th. W. ... Ein Beitrag zur Musikgeschichte Straßburgs (1964) (— Diss. Univ. of Texas).
WALLMANN, Margarethe (Margherita), * 22.6. 1904 Wien ; östr. Tänzerin, Tanzpädagogin, Choreographin und Opernregisseurin. An der Ballettschule der Wiener Oper ausgebildet, studierte sie seit 1920 klassischen Tanz in Berlin und Ausdruckstanz bei M. Wigman in Dresden. 1927 eröffnete sie in Berlin ein Wigman-Studio. 1932-39 übernahm sie die Choreographie bei den Salzburger Festspielen und war gleichzeitig Chefin des Balletts und der Ballettschule an der Wiener Staatsoper. In diese Jahre fallen auch ihre ersten Choreographien für Hollywoodfilme (Anna Karenina, 1935) und Ballett- und Operninszenierungen an der Mailänder Scala. Nach der Annektion Österreichs lebte sie in Buenos Aires, kehrte 1948 nach Europa zurück und wirkte, zunehmend als Opernregisseurin, erneut an der Scala und bei den Salzburger Festspielen. Für Salzburg inszenierte sie u. a. die Uraufführungen von A. Honeggers La danse des morts (1954), Fr. Poulencs Dialoge der Karmeliterinnen (1957), I. Pizzettis Assassinio nella Cattedrale (1958) und Fr. Martins Mystère de la Nativité (1960). Lit.: Festspiele in Salzburg, hrsg. v. J. KAUT (Salzburg 1965). H. LINDLAR
WAELRANT (Waelrand), Hubert (Hubertus Waelrandus), * 1516 oder 1517, t 19. 11. 1595 Antwerpen; franko-fläm. Komponist. Er war vielleicht Schüler von A. Willaert in Venedig und ist 1544 als Tenorist an Notre-Dame in Antwerpen nachweisbar. 1553-56 unterrichtete er dort in einer Musikschule und betrieb 1554-66 mit dem Drucker Jean de Laet (um 1525 - um 1567) einen Musikverlag. W.s musikalische Werke zeigen eine besonders enge Verbindung von Wort und Ton und können
Walter als für ihre Zeit ausgesprochen fortschrittlich gelten. Die von W. und Laet (hauptsächlich 1555-56) veröffentlichten 16 Werke sind in der Mehrzahl Sammeldrucke. W. soll in der r Solmisation dem Hexachord die beiden Silben si und ut hinzugefügt haben; er gilt auch (neben anderen ndl. Zeitgenossen) als Erfinder der Bocedisation. WW: Madrigali Al canzoni francezi für 5 St. (An 1558); Le canzon napolitane für 4 St. (V 1565). — Etwa 30 Motetten, 8 Marot-Psalmen, 23 Chansons, 5 Madrigale u. 18 weitere Canzoni napolitane in Sammeldrucken 1552-89 u. hsl. erhalten; ferner einige Stücke in Tabulaturen. Lit.: H. J. SLENx, The Music School of H. W., in: JAMS 21 (1968); W. PIEL, Stud. z Leben u. Schaffen H. W.s unter bes. Berücksichtigung seiner Motetten (Kas 1969) (— Marburger Beitr. z Musikforschung 3); R. L. WEAVER, The Motets of H. W. (1971) (— Diss. Univ. of Syracuse); DERS., W., in: Grove• XX.
WALSH, John, * vermutlich 1665 oder 1666, t 13. 3. 1736 London; engl. Instrumentenbauer und Musikverleger. Er ließ sich um 1690 in London nieder und wurde 1692 Königlicher Instrumentenbauer. 1695 begann er mit der Publikation von Musikwerken, blieb lange ohne Konkurrenz und wurde rasch einer der größten Musikverleger seiner Zeit. Er veröffentlichte hauptsächlich Werke englischer Komponisten sowie auch Sonaten von A. Corelli. Der Verlag wurde nach seinem Tod von seinem Sohn John (1709-66), dann von W. Randell, H. Wright und R. Birchall fortgeführt. W. war seit 1730 der Hauptverleger G. Fr. Händels, nachdem bei ihm bereits 1711 dessen Rinaldo erschienen war. Lit.: F. KIDSON, Handel's Publisher, J. W., His Successor and Contemporaries, in: MQ 6 (1920); W. C. SMITH, A Bibliogr. of the Musical Works Published by J. W. during the Years 1695-1720 (Lo 1948); dass. für die Jahre 1721-1766 (Lo 1968).
WALTER, Bruno (eig. Bruno Walter Schlesinger), * 15.9. 1876 Berlin, t 17.2. 1962 Beverly Hills (California); amerik. Dirigent dt. Herkunft. W. debütierte nach seiner Ausbildung am Sternschen Konservatorium in Berlin 1894 in Köln, wurde im selben Jahr Assistent G. Mahlers in Hamburg, war seit 1896 Opernkapellmeister in Breslau, Preßburg und Riga, 1900/01 in Berlin und danach bis 1912 1. Kapellmeister an der Wiener Hofoper unter Mahler. Dort dirigierte er die Uraufführungen von dessen Lied von der Erde (1911) und der 9. Symphonie. 1913-22 war W. GMD am Münchener Nationaltheater, wo er u. a. H. Pfitzners Palestrina 1917 zur UA brachte. 1925 wurde er GMD an der Städtischen Oper Berlin, 1929 Gewandhauskapellmeister in Leipzig und nach seiner Emigration 1936 Direktor der Wiener Staatsoper. Zwischen 1922 und 1938 trat er als Gastdirigent in ganz Europa und in den USA auf, wohin er 1939 über
Frankreich emigrierte. Nach 1945 gab er wieder vielbeachtete Konzerte in Europa. W. widmete sich vor allem der Musik von W. A. Mozart, A. Bruckner und Mahler, als dessen Erbe er sich verstand. Der Moderne stand er mit deutlicher Zurückhaltung gegenüber. Schriften: Theme and Variations (engl. Übers. NY 1946, dt. Sto 1947, F 1950 u. ö.); G. Mahler(W 1936, F— B 21957); Von der Musik und vom Musizieren (F 1957). Lit.: P. STEFAN, B. W. (W 1936); A. HOLDE, B. W. (B 1960); Briefe 1894-19962, hrsg. v. L WALTER LINDI (F 1969); Die Seele wechselt das Gewand. Briefwechsel B. W.s mit L Lehmann, hrsg. v. B. W. WESSLING (1980); R. C. MARSH, The Heritage of B. W., in: High Fidelity 14 (1964) (mit Diskographie); GroBe Deutsche B. A. KOHL Dirigenten (B 1981).
WALTER, Erich, * 30. 12. 1927 Fürth; dt. Tänzer und Choreograph. 1942-46 besonders an der Ballettschule Olympiada Alperova-Helken, Nürnberg, in klassischem Tanz ausgebildet, war er 1947-53 in Nürnberg, Göttingen und Wiesbaden engagiert. 1953-64 wirkte er als Ballettmeister an den Wuppertaler Bühnen, die er zu einem Zentrum der Ballettszene in Westdeutschland machte (41 Neueinstudierungen). Schwerpunkte seiner Choreographien lagen bei I. Strawinsky, der französischen und deutschen Moderne (Cl. Debussy, H. W. Henze), aber auch bei Cl. Monteverdi. 1964 wechselte er mit dem gesamten Ensemble an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, wo er auch ein operneigenes Corps aufbauen konnte. Zu Neuversionen der Wuppertaler Einstudierungen erschienen zunehmend auch Adaptionen konzertanter Musik aus Klassik, Romantik und Moderne. In vielerlei Strömungen des zeitgenössischen Tanztheaters ausgewiesen, hat W. besonders für expressiv-symbolhaltige und musikalisch-literarische Tendenzen Maßstäbe gesetzt. Lit.: G. BARFUSS — K. GEITEL — H. KOEGLER, Ein Ballett in Deutschland. Die dt. Oper am Rhein (Düsseldorf 1971). H. LINDLAR
WALTER (Walther; Adoptivname, eig. Blankenmöller oder Blankenmüller), Johann (Johannes, Hans), * 1496 Kahla (Thüringen), t Frühjahr 1570 Torgau/Elbe; dt. Kantor und Komponist. Nach Besuch der Lateinschulen in Torgau und Rochlitz (Sachsen) sowie der Universität Leipzig (seit 1517) trat er spätestens 1521 in Altenburg in die kursächsische Hofkapelle als Bassist ein. W. schloß sich früh der Reformation an und blieb zeitlebens ein überzeugter Anhänger M. Luthers. Bereits 1524 veröffentlichte er als erste mehrstimmige Bearbeitung lutherischer Lieder das Geystliche gesangk Buchleyn und half 1525 dem Reformator in Wittenberg bei der Fertigstellung von dessen Deudscher Messe. Im gleichen Jahr wurde die zuletzt in 329
Walter Torgau ansässige Hofkapelle durch Johann den Beständigen, den Bruder und Nachfolger von Friedrich dem Weisen, aufgelöst. W. gründete daraufhin in Torgau in Verbindung mit der Lateinschule eine stadtbürgerliche Kantorei, die erste ihrer Art. Das Repertoire ist in den sog. Torgauer W.-Hss. überliefert, die neben deutschen Liedsätzen viele lateinische Kompositionen von Meistern um Josquin des Prés enthalten. Zwischen 1530 und 1545 lag der Höhepunkt von W.s Wirken, das danach durch den für die Protestanten unglücklichen Ausgang des Schmalkaldischen Krieges (1546-47) ein Ende fand. Zwar wurde er von Moritz von Sachsen, an den die Kurwürde übergegangen war, zum Hofkapellmeister in Dresden bestellt; er kam aber bereits 1554 nach 6jähriger Tätigkeit um seine Pensionierung ein und verbrachte in Torgau seine letzten Jahre, die infolge der beginnenden innerprotestantischen konfessionellen Auseinandersetzungen von der Sorge um das geistige Erbe Luthers überschattet waren. WW: 1) Kompositionen: Geystliche gesangk Buchleyn (Wittenberg 1524, Nachdr. Worms 1525), 1. Neubearb. (wahrsch. Wittenberg 1527/28, Nachdr. Str 1534 u. 1537), 2. Neubearb. (Wittenberg 1544), 3. Neubearb. (ebd. 1550, Nachdr. 1551), seit 1534 als:
Wittembergisch deudsch Geistlich Gesangbüchlein; Cantio septem vocum (Wittenberg 1544); Ein schöner geistlicher... Berkreyen ... Herzlich tut mich erfreuen (ebd. 1552); Magnificat ocxo tonorum für 4-6 St. (Jena 1557); Ein newes Christlichs Lied (Wach auf, wach auf, du deutsches Land) (Wittenberg 1561); Das Christlich Kinderlied D. Martini Lutheri, Erhalt uns Herr ... in 6 St. gesetzt ... (ebd. 1566); 8 Magnificats (im Falsobordone-Satz),
hielt, den mehrstimmigen Priestergesang jedoch bei den Turbae durch die 4st. Kantorei ersetzte. Bereits 1524 hat W. mehrere Weisen zu Lutherliedern beigesteuert, so die zu Ach Gott vom Himmel sieh darein (heute zu Der Herr ist mein getreuer Hirt gesungen), Mit Fried und Freud ich fahr dahin und Wär Gott nicht mit uns diese Zeit. Später kamen weitere Lieder hinzu; um eine Vertonung seiner eigenen Dichtung handelt es sich bei Wach aul; wach aul; du deutsches Land. Von allgemeiner Bedeutung ist W. als Begründer einer stadtbürgerlichen Musikpflege in Verbindung mit der vornehmlich dem Gottesdienst verpflichteten Schulmusik. Schließlich hat er in den beiden Lehrgedichten Lob und Preis der löblichen bzw. himmlischen Kunst Musica die Grundgedanken der reformatorischen Musikanschauung dargelegt. Ausg.: GA, hrsg. v. O. SCHRÖDER - M. SCHNEIDER - W. BRAUN - J. STALMANN, 6 Bde. (Kas 1943-73); die Passionen auch in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik 1/3-4 (Gö 1974); Geystliche gesangk Buchleyn v. 1524, hrsg. v. O. KARE (B 1878) ( PGfM 7); dass., Faks.-Nachdr. der Ausg. v. 1525, hrsg. v. W. BLANKENBURG (Kas 1979) (beide Ausg. mit ausführlichem Vorwort); Ein newes Christlichs Lied Faks.-Ausg. (Kas 1933); Lob und Preis der löblichen Kunst Musica, Faks.-Ausg. mit Nachwort hrsg. v. W. GuRLrrr (Kas 1938); J. W., Vier geistliche Chorsätze, hrsg. v. J. STALMANN (Kas 1972).
in: G. Rhau, Vesperarum precum officia (ebd. 1540); mehrere Sätze auch in Rhaus Tricinia u. Bicinia (1542 u. 1545). - Hsl. erhalten je eine Passion nach Matthäus u. Johannes in 5 der 6 Torgauer W.-Hss. ; 26 Fugen auff die 8 Tonas a 2 u. a 3 v. (L 1542). - 2) Schriften: Lob u. Preis der löblichen Kunst Musica (Wittenberg 1538) (mit Luthers Vorrede auff alle gute Gesangbücher); Lob u. Preis der himmlischen Kunst Musica (ebd. 1564) (mit freier Übersetzung von Luthers Vorrede zu den Symphoniae iucundae von Rhau, 1538); Epitaphium auf M Luther (ebd. 1546); Ein gut New Jar zur Seligkeit (Eisleben 1568) (gesammelte Gedichte); ferner versch. Einzelblattdrucke; Verba des alten J. W, in: M. Praetorius, Syntagma musicum I (1614-15).
Lit.: W. GURLITT, J. W. u. die Musik der Reformationszeit, in: Luther-Jb. 15 (1933); O. SCHRÖDER, Zur Biographie J. W.'s, in: AfMw 5 (1940); C. GERHARDT, Die Torgauer W.-Hss. ... (Kas 1949); H. J. MOSER, Musikgesch. in 100 Lebensbildern (St 1952); W. E. BUSZIN, J. W. Composer, Pioneer ... (Valparaiso/Ind. 1954) (Church Music Series, Nr. 3); J. STALMANN, J. W.s Cantiones latinae (Diss. TO 1960); DERS., J. W.s Versuch einer Reform des gregor. Chorals, in: FS W. Gerstenberg (Wb 1964); E. BRINKEL, Zu J. W.s Stellung als Hofkapellmeister in Dresden, in: JbLH 5 (1960); E. SCHMIDT, Der Gottesdienst am kurfürstlichen Hof zu Dresden ... von J. W. bis zu H. Schütz (B - Gö 1961); E. SOMMER, J. W.s Weise z. Luthers Vom Himmel hoch ..., in: JbLH 10 (1965); M. BENDER, Allein auf Gottes Wort. J. W., Kantor der Reformation (B 1971); W. BLANKENBURG, J. W.s Chorgesangbuch v. 1524 in hymnologischer Sicht, in: JbLH 18 (1973/74); W. STEUDE - 0. LANDMANN - D. HÄRTWIG, Musikgesch. Dresdens in Umrissen (Dresden 1978). W. BLANKENBURG
W.s musikgeschichtliche Hauptbedeutung liegt in der Begründung einer eigenständigen deutschsprachigen Kirchenmusik für den lutherischen Gottesdienst. Er knüpfte an den weltlichen Tenorliedsatz seiner Zeit an, den er einerseits zum meist 4st., zur Homophonie tendierenden, andererseits zum polyphon entfalteten 5- bis 6st. Satz weiterentwikkelte. Den letzteren hat er in seinem Spätwerk von 1566 in den Bereich der Liedmotette, in der der Cantus firmus weithin nur noch als motivisches Material bei starker Textbezogenheit dient, überführt. Mit W. beginnt ferner die Geschichte der deutschen responsorialen r Passion, bei der er zwar den spätmittelalterlichen Passionston beibe-
WALTER, Rudolf, * 24. 1. 1918 Großwierau (Schlesien); dt. Organist und Musikforscher. Er studierte Kirchen- und Schulmusik und Musikwissenschaft in Breslau und Mainz (1949 Dr. phil.) und Orgel in Berlin (J. Ahrens) und Paris (M. Dupré). 1948 wurde er KM D in Bad Kissingen, 1951 in Heidelberg (Jesuitenkirche). Seit 1951 lehrte er am Hochschulinstitut in Mainz Orgel und war 1967-83 Professor und Leiter der Abteilung für Kath. Kirchenmusik an der Musikhochschule Stuttgart. Seit 1964 lehrt er auch Musiktheorie an der Universität Mainz (1971 Honorarprofessor). W. hat sich als international anerkannter Organist besonders für das Schaffen M. Regers eingesetzt,
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Walther von der Vogelweide
dem neben der Orgelkunde und der Orgel- und Kirchenmusik auch sein Interesse als Forscher gilt. Schriften: M. Regers Choralvorspiele für Orgel (biss. masch. Mz 1949); Beziehungen zwischen süddeutscher u. italienischer Orgelkunst ..., in: Acta organologica 5 (1971); J. A. Silbermanns Orgelbaugrundsätze, in : L'organo 9 (1971); M. Regcrs Beziehungen zur kath. Kirchenmusik, in: M. Reger. Ein Symposion (Wie 1974); Zu J C F Fischers geistlicher Vokalmusik, in: AfMw 32 (1975); Religiöse Orgelinschriften aus 7Jhh., in: MS 98 (1978); Schiesische Orgelkompositionen aus der 1. Hälfte des 20. !h. (Dülmen 1980); Die Breslauer Dommusik von 1805-1945 (Dülmen 1981). - W. gab ferner zahlr. Orgelwerke des 16.-18. Jh. heraus, u. a. die Reihe Süddt. Orgelmeister des Barock (Altötting 1956ff.) (bisher 14 H.e).
WALTERSHAUSEN, Herrmann Wolfgang Sartorius, Freiherr von, * 12. 10. 1882 Göttingen, t 13.8. 1954 München; dt. Musikpädagoge und Komponist. Er war Schüler von M.-J. Erb in Straßburg und setzte seine Ausbildung trotz schwerer körperlicher Behinderung (Amputation des linken Armes und Beines) 1901 bei L. Thuille (Komposition) und A. Sandberger (Musikwissenschaft) in München fort. Dort gründete er 1917 ein Praktisches Seminar für fortgeschrittene Musikstudierende. 1920-33 war er Professor an der Staatlichen Akademie der Tonkunst, die er seit 1923 leitete. 1933 gründete er ein Seminar für Privatmusiklehrer, das 1948 in das staatlich anerkannte W.-Seminar umgewandelt wurde. Als Komponist pflegte W. eine stark durch die barocke Polyphonie geprägte spätromantische und neoklassizistische Schreibweise. WW: 1) Instr.-WW: Orch.-Partita über 3 Kirchenlieder (1928); Lustspielouvertüre (1930); symphonische Dichtung Hero u. Leander (1925). - 2) Bühnen-WW: Opern (auf eigene Texte): Else Klapperzehen, UA: Dresden 1909; Oberst Chabert (nach Balzac), UA: Frankfurt 1912; Richardis, UA: Karlsruhe 1915. - 3) Schriften: Die Zauberflöte (Mn 1920); Das Siegfried-Idyll (Mn 1920); Der Freischütz (Mn 1920); Orpheus u. Euridike (Mn 1923); Musik, Dramaturgie, Erziehung (Mn 1926) (Art.-SIg.); DirigentenErziehung (L 1929); Die Kunst des Dirigieren (B 1942, 2 1954). Lit.: R. SAILER, W. u. die Oper (Diss. Kö 1957); K. R. DANLER, H. W. S. v. W. in der Musikgeschichte, in: Gedenkschrift zum 10. Todestag (Mn 1964).
WALTHER, Johann Gottfried, * 18.9. 1684 Erfurt, t 23.3. 1748 Weimar; dt. Komponist und Musiktheoretiker. Er war über seine Mutter mit J. S. Bach verwandt und erhielt ersten Klavier- und Orgelunterricht von J. B. Bach. 1702-07 wirkte er als Organist an St. Thomas in Erfurt, wo er sich bei H. Buttstett weiterbildete, und seit 1707 an St. Peter und Paul in Weimar. Kurz nach seiner Ankunft wurde er Musiklehrer des Prinzen Johann Ernst und erhielt 1721 den Titel eines Hof-Musicus. Zu J. S. Bach unterhielt er während dessen Weimarer Zeit freundschaftliche Beziehungen. Nach der bei J. Mattheson, Grundlage einer Ehrenpforte (1740), überlieferten Autobiographie schrieb W. zahlreiche Vokalwerke, doch sind fast ausschließlich Or-
gelkompositionen überliefert, die seine Anlehnung an die norddeutsche Schule und J. Pachelbel belegen. W.s Musicalisches Lexicon, angeregt durch S. de Brossards Dictionnaire de musique, ist das erste deutschsprachige und das erste biographische Musiklexikon und eine wichtige Quelle für die musikalische Terminologie und die Musiklehre der Bach-Zeit. WW: Kompositionen: Kyrie für 4 St. u. B.c.; Kanon A solis ortus Gardine für 4 St. (hsl. erhalten). - Für Tasteninstr. (überwiegend hsl.): 65 zyklische u. 51 einzelne Choralbearbeitungen; 4 Präludien mit Fugen, Toccata mit Fuge, je 1 Fuge u. Concerto; ferner 14 Übertragungen (Concerti) v. Werken anderer Komponisten. Schriften : Alte und neue musicalische Bibliothec (Weimar - Erfurt 1728) (enthält Buchstabe A des folgenden Werkes); Musicalisches Lexicon, oder Musicalische Bibliothec (L 1753); Praecepta der musicalischen Composition (1708) (hsl. erhalten). Ausg.: Gesammelte Werke für Org., hrsg. v. M. SEIFFERT (1906) (= DDT 26/27); Ausgewählte Orgelwerke, hrsg. v. H. LOHMANN, 3 Bde. (Wie 1966). - Musicalisches Lexicon, hrsg. v. R. SCHAAL (Kas 1953) (= DM1 1/3); Praecepta, hrsg. v. P. BENARY (L 1955). Lit.: O. BRODDE, J. G. W. Leben u. Werk (Kas 1937); A. SCHMITZ, Die Figurenlehre in den theoretischen Werken v. J. G. W., in: AfMw 9 (1953); H. EGGEBRECHT, W.s Musikal. Lexikon in seinen terminologischen Partien, in : AM1 29 (1957); W. BREIG, W., in: MGG XIV.
WALTHER, Johann Jakob, * um 1650 Witterda bei Erfurt, t 2. 11. 1717 Mainz; dt. Violinist und Komponist. Nach einem längeren Italienaufenthalt kehrte er Ende 1673 nach Deutschland zurück und wurde 1674 1. Kammerviolinist am kurfürstlich-sächsischen Hof in Dresden. Um 1680 ging er nach Mainz, wo er 1681 in den Dienst des Kurfürsten trat und das Amt eines „italienischen Expeditionssecretarius" versah. 1683 erhielt er ein Kanonikat bei St. Victor. W. war einer der führenden dt. Violinisten seiner Zeit. In seinen Kompositionen forderte er hohes virtuoses Können und die Beherrschung schwieriger Techniken, so durch Doppelgriffe und Arpeggien vor allem das Spiel polyphoner Stimmführung. WW: Scherzi da violino solo mit B. c. (L - F 1676); Hortulus chelicus uni violino duabuA tribus et quatuor subinde chordis simul sonantibus harmonice modulanti (Mz 1688), 2. Aufl. als: Hortulus chelicus. Das ist: Wohl: gepflantzter Violinischer Lust-Garten ... (Mz 1694). Ausg.: Scherzi, hrsg. v. G. BECKIMIANN (1941) (= EDM, RD 17). Lit.: F. GöTHEL, J. J. W., in: Das Musikleben 3 (1950); A. GorrRON, Mainzer Musikgesch. v. 1500-1800 (Mz 1959); R. ASCHMANN, Das dt. polyphone Violinspiel im 17. Jh. (Diss. Z 1962); I. SASLAV, Three Works from J. J. W.'s „Hortulus chelicus" (1969) (= Diss. Indiana Univ.).
WALTHER VON DER VOGELWEIDE, * um 1170, t um 1230 Würzburg. Seine Herkunft ist unbekannt; nach eigenem Bekunden lernte er „singen unde sagen" in Österreich. Seit etwa 1190 lebte er in Wien am Hof Herzog Leopolds V., dann Her331
Walton zog Friedrichs I. von Babenberg, der ihn sehr förderte. Bezeugt ist 1198 in Wien eine öffentliche Sängerfehde mit Reinmar dem Alten. Danach verließ W. Wien und führte ein 20jähriges Wanderleben. Er hielt sich an verschiedenen Höfen auf, u. a. bei Landgraf Hermann von Thüringen auf der Wartburg, wo er mit Wolfram von Eschenbach zusammentraf. Dieses Ereignis, der „Sängerkrieg auf der Wartburg", wurde bekannt und dichterisch (bereits im 13. Jh.) und musikalisch (R. Wagner, Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg) gestaltet. 1212-13 lebte W. in der Umgebung Kaiser Ottos IV. und nahm in seinem Sinne gegen den Papst Stellung, wandte sich aber 1214 dem späteren Kaiser Friedrich II. zu. Auf dessen Kreuzzug 1228-29 nimmt W.s Palästinalied Bezug. Begraben wurde W. in dem Kollegiatsstift Neumünster in Würzburg. WW: 86 Lieder, einige davon mit unsicherer Zuschreibung; etwa 140 Spruchdichtungen zu 22 verschiedenen Tönen. Zu folgenden Liedern sind Melodien überliefert bzw. können mit hinreichender Sicherheit erschlossen werden: Der Reichston (Ich saz uf eime steine); Der Wiener Hofton (Mit saelden müeze ich hiute uf
sten); Der erste Atzeton (Mir hat her Gerhart Atze ein pfert); Der zweite Philippston (Mir hat ein liet von Franken); Der Ottenton (Her keiser, sit ir willekomen); Der König Friedrichston (Vil wol gelobter got); Palästinalied (Nu alrest lebe ich mir werde). - Zu der überaus komplizierten Quellenlage vgl. vor allem U. Aarburg (s. u. Lit.) u. Ch. Petzsch (s. u. Ausg.).
Das Schaffen W.s bedeutet die Blüte des dt. ř Minnesangs. Ausgehend von der höfischen Lyrik Reinmars, schuf W. den Typ des sog. Mädchenliedes, das Elemente der lat. Vagantenpoesie und der romanischen Pastourelle in sich aufnahm, und - in Anlehnung an das l Sirventes - den politischen Sangspruch (OE Spruch). Ausg. (Transkription der Melodien rhythmisch unterschiedlich): Die Gedichte W.s, hrsg. v. K. LACHMANN (B 1827), NA v. H. Kuhn (B "1965) (mit Darstellung der Melodieüberlieferung v. Ch. Petzsch); Die Lieder W.s. Unter Beifügung erhaltener u. erschlossener Melodien hrsg. v. F. MAURER, 2 Bde. (Tü 1955-56, '1967-69) (= Altdt. Textbibl. 43 u. 47); H. MOSER - J. MÜLLERBLATTAU, Dt. Lieder des MA v. W. bis zum Lochamer Liederbuch (St 1968). Lit.: M. G. SCHOLZ, Bibliogr. zu W. (B 1969) (= Bibliogr. z. dt. Lit. des MA 4). - F. GENNRICH, Zur Liedkunst W.s, in: Zschr. für dt. Altertum u. dt. Lit. 85 (1954/55); J. A. HUISMAN, Neue Wege zur dichterischen u. musikal. Technik W.s (Utrecht 1950); U. AARBURG, Melodien zum frühen dt. Minnesang, in: Der dt. Minnesang, hrsg. v. H. Fromm (Da 1963); W.-H. BRUNNER, W.s Palästinalied als Kontrafaktur, in: Zschr. für dt. Altertum u. dt. Lit. 92 (1963); F. MAURER, Ton u. Lied bei W., in: Dichtung u. Sprache des MA (Be 1963, 2 1971); U. AARBURG, in: MGG XIV; B. A. KOHL B. KIPPENBERG, W., in: Grove• XX.
WALTON, Sir William, * 29.3. 1902 Oldham, t 8.3. 1983 Forio d'Ischia; engl. Komponist. Er sang als Knabe im Chor der Kathedrale von Oxford und erhielt dort am Christ Church College 1920 den Grad eines Bachelor of Music. Eine öf332
fentliche Stellung als Musiker bekleidete er nicht; auch schloß er sich nicht der national-englischen Richtung von R. Vaughan Williams an. Seit dem 1. Musikfest der IGNM in Salzburg 1923, auf dem ein Streichquartett von ihm aufgeführt wurde (das er später vernichtete), wurde er international bekannt; dies auch deswegen, weil er anders als die meisten anderen englischen Komponisten sich eher zur Instrumentalmusik als zur Vokalmusik hingezogen fühlte. W.s früheste Werke entstanden im Zusammenhang mit den sprachlich-rhythmischen Experimenten der Dichterin Edith Sitwell und ihrer Brüder. Aufsehen erregte 1923 Façade, eine vergnügliche Komposition für ein instrumentales Kammerensemble über Verse von E. Sitwell, die durch ein Sprachrohr deklamiert wurden. In W.s folgendem Werk, der Symphonie concertante mit Klavier (1927) bekundet sich dagegen eine Hinwendung zur Romantik, die ihren vollen Ausdruck in dem Viola-Konzert findet; den Solopart bei der UA 1929 spielte P. Hindemith. Der Erfolg dieses Werkes brachte W. den Auftrag, für J. Heifetz ein Violinkonzert und für Gr. Piatigorsky ein Violoncellokonzert zu schreiben. Das bedeutendste Vokalwerk W.s ist Belshazzar's Feast (1931) über einen Text von Osbert Sitwell ; der darin verwendete Orchesterapparat erinnert eher an H. Berlioz als an die englische Oratorientradition. Von ähnlich großer Bedeutung ist W.s wirkungsvolle, von romantischem Geist erfüllte Oper Troilus and Cressida. W. schrieb nur wenige Lieder. Erst im Alter von fast 60 Jahren komponierte er zwei Liederzyklen. Von seriellen Techniken hat er in gemäßigter Weise nur in drei späten Werken Gebrauch gemacht. Insgesamt ist W. ein eher skrupulöser als weitschweifiger Komponist, der es verstanden hat, die Palette seiner musikalischen Ausdrucksmittel stets zu erweitern und zu bereichern. WW: 1) Instr.-WW: Sonate (1949) für V. u. Klv.; Klv.-Quartett (1918-19); Streichquartett a-moll (1945-47). - Für Orch.: Siesta (1926) für kleines Orch. ; 2 Symphonien (1932-35 u. 1960); Music for Children (1940); Partita (1957); Variations on a Theme by Hindemith (1962-63). - Ouvertüren: Portsmouth Point (1925); Scapino (1940); Johannesburg Festival Overture (1956); 2 Krönungsmärsche: Crown Imperial (1937); Orb and Sceptre (1953); Konzerte für V. (1938-39); Va. (1928-29, revidiert 1961); Vc. (1956). - 2) Geistliche Vokal-WW: A Litany (nach Texten v. Ph. Fletcher) (1916); Oratorium Belshazzar's Feast (1931); Set me as a sea! upon thine heart (1938); Coronation Te Dcum (1953) für Chor u. Orch.; Gloria (1961). - 3) Weltliche Vokal-WW: Façade (nach Texten von E. Sitwell) (1921) für Sprecher u. Kammerorch. ; Make we joy in this fest (1931) für Chor; Three Songs (nach Texten von Sitwell) (1932) für Solo-St. u. Klv. ; Under the Greenword Tree (aus dem Film As you like it nach W. Shakespeare) (1936) für Solo-St. u. KIv.; In Honour of the City of London (1937) für Chor u. Orch.; Where does the uttered music go? (nach Texten von J. Masefield) (1946) für Chor; Anon. in Love (1959), 6 Lieder für Tenor, Gitarre u. Orch. (anon. Texte des 16. u. 17. ih., zusammengestellt von Ch. Hassall); A Song for the Lord
Walzer Mayor's Table (1962), 6 Lieder für Sopran u. KIv.; What cheer? (1961) für Chor. — 4) Bühnen-WW: Oper Troilus and Cressida (Libr. nach Texten von Hassall), UA: London 1954. — Ballette The Wise Virgins (Bearbeitung von 6 Kompositionen Bachs) (1940); The Quest (1943). — S) Filmmusik: The First of the Few (1942); Heinrich V. (1943-44); Hamlet (1947); Richard III. (1955). Lit.: F. HOWES, The Music of W. W., 2 Bde. (Lo 1965, 2 1974); H. HOLLANDER, Sir W. W. siebzigjährig, in: NZfM 133 (1972); H. OTTAWAY, W.s First Symphony. The Composition of the Finale, in: MT 113 (1972); C. PALMER, W.s Film Music, in: MT 113 (1972); S. R. CRAGGS, W. W. A Thematic Catalogue of his Musical Works (Lo — NY 1977); H. OTrAWAY, W., in: Grove. XX. F. HOWES
WALZE. - 1) Bei der Orgel Bz. für eine über dem Pedal liegende und mit dem Fuß zu bedienende Spielhilfe (r Crescendowalze). - 2) Bestandteil verschiedener r mechanischer Musikwerke. - 3) Bz. für das für die Werke der r Mannheimer Schule typische Crescendo. WALZER (von walzen = [sich] drehen, rollen, schleifen; engl.: waltz; frz.: valse; it.: valzer; span.: vals), Bz. für einen Volks- und Gesellschaftstanz im %-Takt. Der Begriff weist auf die Unabhängigkeit von der r Volta und auf die Herkunft aus dem östr.-bajuwarischen Raum ebenso, wie er die tanzerische Grundhaltung (enger Drehtanz) treffend beschreibt. Drehtänze sind beim Volke seit dem 14. Jh. literarisch immer wieder (meist durch Verbote) bezeugt (z. B. unter den Namen „Dreher" oder „Weller"). „Walzen" oder „walzerisch tanzen" ist dagegen erst seit etwa 1750 belegt (Kurz Bernadon, Bernadon auf der Felseninsel, um 1750, und Der aufs neue begeisterte und belebte Bernadon, 1754; Ph. Hafner, Scherz und Ernst in Liedern, 1763/64; J. M. Chavanne, Principes du menuet 1767; J. W. von Goethe, Hochzeitslied, 1772; J. Chr. Adelung, Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, 1786), und zwar im Zusammenhang mit den Deutschen Tänzen und vor allem als die abschließende Figur des Ländlers : die Einzelpaare umtanzen in enger Umfassung mit einer Sechsschrittdrehung um die eigene Achse nach rechts oder links (mit Betonung der Schritte 1 und 4) den Tanzplatz. Diese für die bürgerliche und noch mehr für die höhere Gesellschaft neue, interessante Figur (Paartanz, enge Haltung) wurde in Wien im Zuge der allgemeinen, seit der Mitte des 18. Jh. zu beobachtenden Durchdringung des Geistes- und Gesellschaftslebens mit volkstümlichen Elementen in Verbindung mit ländlerisch-menuettartigen Melodien von diesen Schichten aufgenommen, verselbständigt und zur spezifischen Form des Wiener W.s (1811 ist dies in Campes Wörterbuch der dt. Sprache bereits ein Begriff) ausgestaltet. Er wird dabei der Ländlerfigur gegenüber etwas beschleunigt und melodisch gerundet,
behält jedoch den charakteristischen sog. Gitarrebaß bei, wobei durch leichte Vorwegnahme und Dehnung des 2. Taktteils die bekannte wiegende Bewegung und der drängende Schwung entsteht; gleichzeitig werden die weiten Bewegungen gemildert und die Schritte nun (in Zusammenhang mit dem glatten Parkett des Tanzsaales, gegenüber dem natürlichen Boden oder den rohen Brettern beim Volkstanz) vollends geschliffen (statt getreten). Die Ablösung des Menuetts durch den W. spiegelt aber nicht nur diejenige der Noblesse durch die Bourgeoisie wider, sondern läßt geradezu von einem demokratisierenden, alle Schichten vereinenden Zug sprechen. Nicht nur die Haupt- und Residenzstadt Wien, sondern in Anlehnung daran auch zahlreiche weitere Höfe und Städte wurden in der unmittelbaren Vorrevolutionszeit beinahe von einem Tanzfieber erfaßt, das neben dem Deutschen, Ländler und Langaus in zunehmendem MaBe vom W. getragen wurde. Dies schlägt sich natürlich in den Kunstgattungen (z. B. das bekannte 2. Walzerfinale in V. Martin y Solers Oper Una cosa rara, 1786, oder das sogar noch frühere Air pour valser in A.-E.-M. Grétrys Ballett Colinette à la cour, 1784) ebenso nieder wie in der meist rasch folgenden volksläufigen Umformung aktueller Opernmelodien (z. B. W. A. Mozarts) in diesem Sinne sowie in der überaus reichen Originalproduktion. Die zweite große Verbreitungswelle des W.s über ganz Europa, in deren Verlauf er auch allmählich endgültig gesellschaftsfähig wurde, ging vom Wiener Kongreß (1814-15) aus. Dabei entstanden auch gewisse lokale Sonderformen : Bereits 1816 unterscheidet Th. Wilson (Description of the Correct Method of Waltzing) 2 Arten, eine französische und eine deutsche, die sich besonders durch die Vorwärtsschritte unterschieden; heute heben sich der sog. „Pariser" und .,Wiener W." vor allem aber auch durch einen sentimentaleren Grundton des ersteren und durch das sich steigernde bzw. gleichbleibende Tempo der einzelnen (3 bzw. 5) Teile voneinander ab. Im übrigen ist aber speziell der Wiener W. wohl der verbreitetste und nach der dritten großen Verbreitungswelle im Vormärz fast in der ganzen Welt einer der beliebtesten Gesellschaftstänze geworden und geblieben. Darüber hinaus hat der W. seit dem späten 18. Jh. mehrfache Stilisierungen bis hin zu vom Tanzgebrauch völlig unabhängigen Formen erfahren, die aber ihrerseits dann wieder auf diesen zurückwirkten. Vom Gebrauchstanz her kommt die Periodisierung in zweimal 8taktige Reprisen (die zweite meist entweder in dominantischem oder Variationsverhältnis zur ersten stehend; später wurden 333
Walzer sie auf 16 und mehr Takte erweitert) und auch die Zusammenstellung mehrerer Stücke (bis zu 12 oder mehr) gleicher oder verwandter Tonart zu Tanzketten. Diesem Typus haben gelegentlich sogar die Wiener Klassiker gehuldigt; unter den Zeitgenossen deckten aber vor allem A. E. Förster, A. Eberl, Fr. X. Duschek, N. von Kruft, K. Ditters von Dittersdorf, I. Moscheles, A. Diabelli und J. Eybler den großen Bedarf der Zeit. Die frühesten Drucke stammen von D. Steibelt (1800), J. Bach (1803), J. Hörmann (1803), K. Kreith (1804), M. Clementi (1804), Ph. Eder (1805), Fr. Tandler (1806), A. Gyrowetz (1807), M. Graf Dietrichstein (1807) und M. Giuliani (1809/10). Um diese Zeit setzte bereits die erste entscheidende Stilisierungswelle ein, in deren Zuge der Tanz allgemein veredelt, die Form in mehreren Schritten erweitert, dafür aber die Anzahl der Nummern verringert wurde: J. N. Hummel fügte seiner 1808 für die Wiener Apollosäle geschriebenen W.-Serie mit Trios erstmals eine abschließende Coda an. In den 1810 erschienenen 6 großen Walzern für Liebhabervon Fr. H. Himmel ist die später von J. Lanner und Johann Strauß endgültig fixierte Fünfteiligkeit sowie die Da capo-Form weitgehend vorweggenommen. Die Einleitungstakte wurden 1819 durch C. M. von Webers Aufforderung zum Tanz zur großen, quasi symphonischen Einleitung ausgebaut, ebenso wegweisend wurde die den Anfang wiederaufgreifende, formabrundende Coda und die planvolle Melodie-, Tempo- und Tonartenabfolge. Mit diesem entscheidenden Werk und der allgemeinen Qualitätssteigerung durch Fr. Schubert liegt also seit 1820 jener zwischen Tanz- und Konzert-W. stehende Typus vor, der durch die Großmeister des W.s im Vormärz: Lanner, Johann Strauß (Vater), dessen Söhne Johann (Sohn, genannt der „Walzerkönig"), Joseph und Eduard Strauß, zur höchsten Vollendung gebracht und nochmals in alle Welt getragen wurde. Seither hat der W. kaum mehr entscheidende formale, sondern nur mehr gewisse stilistische (Bereicherung der Harmonik und chromatisierte Melodik, Tempo rubato, Synkopierungen und Gegenrhythmen; programmatische Ausnutzung der beiden Teile usw.) und technische Veränderungen (besonders die schrittweise Angleichung an den üblichen symphonischen Orchesterstil und -apparat der Zeit bis zum vorimpressionistischen bei Fr. Lehár) erfahren: Introduktion - 5 Walzer in tonaler Beziehung zueinander, Reihen-, Lied- oder Rondoform - Finale/Ccda: Aufzugssuiten in einem neuen Geist. Diese Form ist daher nur mehr in ihren Mitteltei!en für die Tanzpraxis geeignet. Gänzlich von dieser weg führten die Hochstilisie334
rung zum Kunstwalzer durch Fr. Chopin, Fr. Liszt, R. Schumann, J. Brahms und G. Fauré, der symphonische Walzer von H. Berlioz über A. E. Chabrier, C. Saint-Saëns und G. Fauré zu Fl. Schmitt und M. Ravel, von Anton Rubinstein bis P. Tschaikowsky, von Liszt bis R. Strauss usw., ebenso der W. als Mittel allgemeiner Milieuschilderung in Oper und Ballett (z. B. Ch. Gounod, R. Wagner, R. Strauss, G. Puccini, A. Berg, I. Strawinsky u. a.). Genuine Bedeutung kommt dem Wiener W. auch in der Entwicklung der Wiener r Operette nach 1860 zu, für deren Erfolg nicht zuletzt der W. verantwortlich ist, wie umgekehrt durch die Operette der W. weithin verbreitet wurde. Der W. hat hier seine entscheidende Stellung bis ins 20. Jh. behalten; von hier sind aber auch immer wieder Stücke in den Tanzgebrauch zurückgeflossen. Der Wiener W. gehört auch zu den Standardtänzen im Turniertanz (mit dem Tempo M. M. J = 180). Aus den USA (Boston, daher auch „Boston valse") kam schließlich seit den frühen 1920er Jahren der (zweifellos auf frühe Absenker des Wiener W.s zurückgehende) „English Waltz" oder „Langsame Walzer" nach Europa zurück, der zwar trotz der etwas abweichenden Begleitung den Grundschritt des Wiener W.s beibehält, aber durch eine HochTief-Bewegung des Fußes (Ferse-Spitze) und vor allem wiederum durch zahlreiche kunstvolle Figuren erweitert wurde; dieser ist inzwischen ebenfalls zu einem der Standardtänze des modernen Gesellschaftstanzes aufgerückt. Für den Turniertanz gilt dabei das Tempo M. M. J = 90. Lit.: B. WEIGL, Die Gesch. des W.s (Langensalza 1910); F. LANGE, Der Wiener W. (W 1917); H. WEISSE, Der instr. Kunstwalzer (Diss. W 1919); P. NETTL, Zur Vorgesch. der süd-dt. Tänze, in: Bull. de la Soc. „Union Musicologique' 3 (1923); I. MENDELSOHN, Zur Entwicklung des W.s, in: StMw 13 (W 1926); W. HERRMANN, Der W. (B 1931) (= Musikal. Formen in hist. Reihen 8); F. KLINGENBECK, Unsterblicher W. (W 1943); G. ANDREJKA, Die Vorläufer des W.s (W 1944); M. CARNER, The History of the Waltz (Lo 1948); F. KLINGENBECK, Das Walzerbuch (W 1952); E. NICK, Vom Wiener W. z. Wiener Operette (H 1954); M. SCHÖNHERR — K. REINÖHL, J. Strauß Vater. Ein Werkverz. (W 1954) ( = Das Jh. des W.s 1); L. NowAK, Ländler, W. u. Wiener Lieder im Klavierbuche einer preußischen Prinzessin, in: Jb. des Östr. Volksliedwerkes 6 (1957); A. KOSZEWSKI, Das Walzerelement im Schaffen Chopins, in: DJbMw 5 (1961); H. WEIGEL, Das kleine Walzerbuch (Sálzburg 1965); F. EIBNER, Die Kulmination der Form im Wiener W., in: ÖMZ 23 (1968); R. FLOTZINGER, Und walzen umatum ... Zur Genealogie des Wiener W.s, in: ÖMZ 30 (1975); M. SCHÖNHERR, Modelle der Walzerkomposition. Grundlagen z. einer Theorie des W.s, in: ebd.; DERS., Ästhetik des W.s, in: ÖMZ 31 (1976); M. CARNER, W., in: R. FLOTZINGER Grove' XX. — r Gesellschaftstanz, /Tanz.
WALZERTRAUM, EIN, Operette in 3 Akten von O. Straus, Text von Felix Dörmann u. Leopold Jacobson nach einer Novelle aus Hans Müllers Buch der Abenteuer; Neubearbeitung des Textes von
Wasielewski Armin L. Robinson u. Eduard Rogati. Ort u. Zeit der Handlung: Fürstentum Flausenthurn, um 1905. UA: 2.3. 1907 Wien (Carltheater); EA der Neufassung: 1951 München. Verfilmt 1927 u. 1931 unter dem Titel Der lächelnde Leutnant. Leutnant Niki wird durch Walzerklänge einer Wiener Damenkapelle, in deren Dirigentin Franzi er sich verliebt, von seiner ihm soeben angetrauten Erbprinzessin weggelockt. Als das Inkognito gelüftet wird, zieht Franzi weiter; Niki kehrt zu seiner Frau zurück, und der Walzertraum ist zu Ende. Die wohl populärste Operette von Straus war nach Ansicht der Kritiker „eine Apotheose des Wienertums". Noch einmal erstrahlt die Welt der PraterSeligkeit, eine fröhliche Fassade, hinter der sich der Verfall mühsam verbirgt. Die Weise Leise, ganz leise durchzieht wie eine Leitmelodie die Komposition. Neben den alles bestimmenden lyrischen Walzermelodien finden sich scherzhafte, beinahe parodistische und auch dramatische Musiknummern. Der Operette war ein triumphaler Erfolg beschieden ; mit 1000 Aufführungen in Wien wurde der Rekord des künstlerischen Vorbildes (Die lustige Witwe) weit übertroffen. Heute gehört Ein Walzertraum auch in der textlichen Neufassung zum Standardrepertoire der Operettenbühnen. B. DELCKER WAND, Günter, * 7. 1. 1912 Elberfeld; dt. Dirigent. Er studierte in Köln an der Universität und an der Musikhochschule sowie in München an der Akademie für Tonkunst und wurde 1939 Kapellmeister an der Kölner Oper, 1944 Opernchef in Salzburg und Leiter des Mozarteum-Orchesters. Nach dem 2. Weltkrieg ging er nach Köln zurück, wo er bis 1973 als Gürzenich-Kapellmeister und GMD den Wiederaufbau des städtischen Musiklebens entscheidend prägte. Seine Programme waren außergewöhnlich klug disponiert, und seine Arbeit als Orchestererzieher war vorbildlich. 1946-53 leitete W. auch die Kapellmeisterklasse der Kölner Musikhochschule (1948 Professor) und erhielt dort 1963-65 erneut einen Lehrauftrag..Seit 1973 lebt W. in der Schweiz und wirkt vielerorts als Gastdirigent von großem internationalem Ansehen. WANDELKONZERT, Bz. für eine Form der musikalischen Darbietung, wie sie im 18.-19. Jh. vornehmlich auf Kurpromenaden stattfand. Neuerdings hat in einem anderen Sinn das W. in der Bedeutung einer alternativen Musikdarbietung das Interesse zeitgenössischer Komponisten wie L. f Kupkovič, J. A. Riedl oder W. Haupt gefunden. WANGERMÉE, Robert, * 21.9. 1920 Lodelinsart
(Hennegau); belgischer Musikforscher. Er studierte an der Universität Brüssel, an der er 1946 promovierte und 1948 Dozent, 1962 außerordentlicher sowie 1965 ordentlicher Professor wurde. Seit 1946 ist er Mitarbeiter der Radiodiffusion-Télévision Belge, wo er seit 1953 die Musikabteilung leitet und seit 1960 Generaldirektor für die Sendungen in frz. Sprache ist. 1965 gründete er an der Univ. Brüssel ein Centre de Sociologie de la Musique. Schriften: J. S. Bach. Esquisse historique (Bru 1944); Legoůt musical depuis le XIX` siècle (Diss. Bru 1946); La musique flamande dans la société des XII' et XVI' siècles (Bru 1965, dt. ebd. 1965, engl. NY 1968); Tradition et innovation dans la virtuosité romantique, in: AMI 42 (1970); Le ballet de cour, in: Gattungen der Musik ..., Gedenkschrift L. Schrade I (Be 1973); Rundfunkmusikgegen die Kulturmoralisten verteidigt (Karlsruhe 1975).
WANHAL, Johann Baptist, ? Vanhal. WARD, John, getauft 8.9. 1571 Canterbury, t vor dem 31.8. 1638; engl. Komponist. Er war vermutlich Küster an der Canterbury Cathedral und kam dann nach London, wo er im Hause von Sir Henry Fanshawe (1569-1616) lebte und beim Finanzgericht beschäftigt war. Später ist er noch in Ilford Magna (Essex) nachweisbar. WW: Madrigale für 3-6 St. (Lo 1613). — Fantasien für Violen, Stücke für Virginal, Services u. Anthems in Sammeldrucken der Zeit sowie hsl. erhalten. Ausg.: Die Madrigale, hrsg. v. E. H. FELLOWES (1922), revidiert u. hrsg. v. Th. Dart (Lo 1968) (— The Engl. Madrigalists 19). Lit.: M. W. FOSTER, The Sacred Music of J. W. (1971) (= Diss. Univ. of Durham); G. J. DODD, Thematic Index of Music for Viols I (Lo 1980).
WARLOCK, Peter, " Heseltine, Philip Arnold.
WASCHBRETT (engl.: washboard), Bz. für ein dem gleichnamigen Gebrauchsgegenstand nachgebildetes Perkussionsinstrument, das neben anderen Gegenständen des täglichen Gebrauchs, z. B. Kämmen oder Krügen, in einfachen Formen afroamerikanischer Volksmusik Eingang gefunden hat. Der Spieler verwendet Fingerhüte aus Metall oder Stäbe, reibt über die Rillen oder schlägt darauf. Bisweilen werden am W. noch zusätzliche Klangerzeuger, z. B. kleine Becken, befestigt. Darüber hinaus gehört das W. zum typischen Instrumentarium der Skiffle-Musik (skiffleboard) sowie seit den 1920er Jahren zum Schlagwerk jener Dixieland- und Revival-Jazzbands, die auf der Bühne zu exzentrischen Mitteln greifen. WASIELEWSKI, Wilhelm Joseph von, * 17.6. 1822 Großleesen bei Danzig, t 13. 12. 1896 Sondershausen; dt. Violinist, Dirigent und Musikforscher. Er war Schüler von F. Mendelssohn Bartholdy, M. Hauptmann und Ferdinand David am 335
Wassenaer Leipziger Konservatorium und wurde 1846 Violinist beim Gewandhausorchester. 1850 rief ihn R. Schumann als Konzertmeister nach Düsseldorf, wo er sich rasch als Violinist, Lehrer und Musikkritiker einen Namen machte. 1852-55 war er Chordirigent in Bonn und kam 1855 nach Dresden, wo er sich vor allem musikhistorischen Forschungen widmete. 1869 kehrte er nach Bonn zurück. Er wurde Städtischer Musikdirektor und bekleidete dieses Amt bis 1884. Danach siedelte er nach Sondershausen über und unterrichtete am dortigen Konservatorium. Schriften: R. Schumann (Dresden 1858, L 41906); Die Violine u. ihre Meister (L 1869, 21927, Nachdr. Wie 1968); Die Violine im 17. !h. u. die Anfänge der Instrumentalkomposition (Bonn 1874, Nachdr. Bol 1969) (— Bibl. musica Bononiensis III/21); Gesch. der Instrumentalmusik im XVI !h. (B 1878, Nachdr. Niederwalluf 1972); Das Violoncell u. seine Gesch. (L 1889,'1925, Nachdr. Wie 1968). Lit.: R. FEOERHOFER-KÖNIGS, J. W. von W. (1822-1896) im Spiegel seiner Korrespondenz (Tutzing 1975) (— Mainzer Stud. z. Musikwiss. 7).
WASSENAER, Unico Wilhelm, Graf van, * 2. 11. 1692 Schloß Twickel zu Delden (Prov. Overijssel), t 9. 11. 1766 Den Haag; ndl. Komponist. Er hatte in der Republik der Vereinigten Niederlande zahlreiche hohe Ämter inne. Seine politische und diplomatische Karriere dürfte sowohl seiner kompositorischen Produktivität Schranken gesetzt als ihn auch auf Grund der niederländischen Standesgesinnung der damaligen Zeit veranlaßt haben, seine musikalische Tätigkeit der Öffentlichkeit gegenüber zu verhüllen. Die heutzutage beliebten, ehemals zu Unrecht G. B. Pergolesi und C. Ricciotti zugeschriebenen Concerti armonici konnten 1980 auf Grund eines sich im Schloß Twickel befindlichen Manuskripts als Werke W.s gesichert werden, die stilistisch einer spätbarocken Tradition angehören. Das frühere Rätselraten nach ihrem Autor, das Namen grundverschiedener Richtungen (Pergolesi, G. Fr. Händel, W. de Fesch, A. Vivaldi, F. Chelleri, J. A. Birkenstock) zutage förderte, wurde wesentlich dadurch erschwert, daß W. in seinem kompositorischen Denken diverse Stilelemente zu einer höchstpersönlichen Musiksprache verschmelzen ließ. Ausg. (unter den Namen Pergolesi/Ricciotti): Sei Concertini per strumenti ad arco, hrsg. v. F. CAFFARELLI (R 1940); Concertino Nr. 4 f-moll, hrsg. v. S. FRANKO (NY o.J.); Concertino Nr. 3 ADur, hrsg. v. E. ANSERMET (G 1944); Concertini l-6, hrsg. v. J. PH. HINNENTHAL (Kas 1951-58) (— Hortus Mus. 150, 82, 159, 144, 154, 155). Lit.: A. DUNNING, Count U. W. van W. (1692-1766). A Master Unmasked. or The Pergolesi-Ricciotti Puzzle Solved (Buren 1980). A. DUNNING
WASSERORGEL ' Hydraulis. 336
WASSERTRÄGER, DER (Les deux journées), Opéra lyrique in 3 Akten von L. Cherubini, Text von J. N. Bouilly. Ort u. Zeit der Handlung: Paris u. Umgebung, 1647. UA: 16. 1. 1800 Paris (Théâtre Feydeau); dt. EA (in dt. Sprache): 5.6. 1801 Frankfurt am Main. Dieses Werk gilt als Hauptbeispiel für die frz. Rettungsoper. Goethe nannte das auf Tatsachen beruhende Textbuch von der Rettung des verfolgten Grafen durch den Wasserträger Micheli ein „wahres Muster des Stils der komischen (des glücklichen Ausgangs wegen) Oper" ; Beethoven war wie viele bedeutende zeitgenössische Komponisten (C. M. von Weber, L. Spohr, A.-E.-M. Grétry) - voller Hochachtung für die musikalische Arbeit. Als wegweisend in der Operngeschichte gelten in diesem Werk die deutliche Steigerung des Anteils von Chor- und Ensembleszenen sowie die Stimmungsmalerei durch Mittel der Instrumentation. Den triumphalen Erfolg dieser Oper, der schon mit der UA begann und in 200 Vorstellungen in Folge in Paris bestätigt wurde, bewirkten ferner die - gelegentlich mit Kritik bedachten - rührend-naiven Melodien; die wirkungsvolle Ouvertüre ist noch heute beliebtes Repertoirestück. K. LANGROCK
WASSILENKO, Sergei Nikiforowitsch, * 18. (30.) 3. 1872 Moskau, t 11.3. 1956 ebd.; sowjetrussischer Komponist und Dirigent. Nach einer Juraausbildung an der Moskauer Universität (1895) studierte er bis 1901 Musik bei S. Tanejew, M. Ippolitow-Iwanow und W. Safonow am Moskauer Konservatorium, an dem er dann 1907-50 als Professor für Instrumentation und Komposition lehrte. W. war der Organisator und Dirigent der 1907-17 veranstalteten historischen Konzerte, für die er selbst ältere Musik bearbeitete. 1938-43 lebte er in Taschkent. WW :1) Instr.-WW: 2 Streichquartette (1899, 1927); Quartett über turkmenische Volkslieder für Holzblässer u. kleine Trommel (1930); Klv.-Trio (1932), — Für Orch.: 5 Symphonien (1906-54); 7 Suiten (1928-46); symphonische Dichtung Sad smerti (Der Garten des Todes) (1908) (nach O. Wilde); Konzerte für: V. (1913, 1952); Balalaika (1931); Vc. (1944); Trp. (1945); Klv. (1949); Harfe (1949); Klar. (1953); Horn (1953). — 2) Vokal-WW: Über 200 Romanzen für Gesang u. Klv.; zahlr. Volksliedbearb. — 3) Bühnen-WW: Opern: Skasanie o grade welikom Kitesche i tichom osere Swetojare (Die Sage von der großen Stadt Kitesch u. dem stillen See Swetojar), UA: Moskau 1903; Syn solnza (Der Sohn der Sonne), UA: ebd. 1929; Christofor Kolumb (1933); Baran (Der Schneesturm) (zus. mit M. Aschrafi), UA: Taschkent 1939; Ulug kanal (Der große Kanal) (zus. mit dems.), UA: ebd. 1941; Suworow, UA: Moskau 1942. — Ballette: Noja (1923); Josif Prekrasny (Der schöne Josef), UA: Moskau 1925; W solnetschnych lutschach (In den Strahlen der Sonne), UA: Odessa 1926; Karussel, UA: Moskau 1933; Zygany(Die Zigeuner) (nach A. Puschkin), UA: ebd. 1937; Lola, UA: ebd. 1943; Akbiljak, UA: Taschkent 1943.
Weber Eine äußerst vielseitige Musikerpersönlichkeit, hat sich W. als Komponist, Dirigent und Lehrer in gleicher Weise verdient gemacht. In seinen Werken knüpfte er an die russ. Musik, insbesondere P. Tschaikowsky, und an den frz. Impressionismus an. Sein Studium des altruss. Neumengesangs fand seinen Niederschlag in der 1. Symphonie, sein frühes Interesse für die orientalische Musik äußerte sich in exotischer Stilisierung (Exotische Suite), ästhetisierende und symbolistische Tendenzen treten u. a. in der symphonischen Dichtung Der Garten des Todes zutage. Die unmittelbare Bekanntschaft mit der Musik mittelasiatischer Völker wirkte sich äußerst fruchtbar auf sein Werk aus (Turkmenische Bilder, Der sowjetische Orient, Usbekische Suite, Akbiljak). In Zusammenarbeit mit dem Usbeken M. Aschrafi schuf er die ersten nationalen usbekischen Opern Der Schneesturm und Der große Kanal. Lit.: G. A. POLJANOWSKI, S. N. W. (Mos — Leningrad 1947); G. K. IWANow, S. N. W. Notografitscheski sprawotschnik (Mos 1973); D. GojowY, Neue sowjetische Musik der 20er Jahre (Laaber 1980). E. STÖCKL
WATERS, Ethel, * 31. 10. 1900 Chester (Pennsylvania), t 1.9. 1977 Los Angeles ; amerik. Jazz- und Popsängerin. Sie trat viel in Revuetheatern und Nachtclubs auf, wurde anfänglich oft vom Orchester Fletcher Henderson begleitet und machte während ihrer Laufbahn Songs wie Dinah, Memories of you und Stormy Weather bekannt.
u. a. an der Metropolitan Opera in New York und an der Covent Garden Opera in London. Ihr Repertoire umfaßt über 70 Rollen in 5 Sprachen. Auch als Liedsängerin hat sie sich einen internationalen Namen gemacht. WEBB, Chick (eig. William), * 10. 2. 1902 Baltimore, t 16.6. 1939 ebd.; amerik. Jazzmusiker (Schlagzeuger, Bandleader). W., der mißgestaltet zur Welt kam, spielte zuerst auf Ausflugsdampfern und in verschiedenen Bands, kam 1924 nach New York und leitete eigene Bands. 1934 entdeckte er Ella Fitzgerald, die sein Star wurde. W. gehört zu den vitalsten und wichtigsten Schlagzeugern der Swing-Ara. Die Vitalität von W. hat sich auf seine Bands übertragen, weshalb diese bei musikalischen Wettbewerben in Harlem, den sog. „Battles", gefürchtet waren. WEBBE. - 1) Samuel (I), * 1740 London (?), t 25. 5. 1816 ebd. ; engl. Organist und Komponist. Er war zunächst Kopist im Verlagshaus Welcker, wurde 1776 Organist an der Kapelle der port., 1793 der sardischen und 1798 der span. Gesandtschaft. 1787 wurde er Bibliothekar des neugegründeten Catch Club, bei dem er 1794-1812 als Sekretär tätig war. WW: 9 Bücher Catches, Canons and Glees (Lo 1764-96) (darin auch Stücke von Samuel II W.); The Ladies Catchbook (Lo 1778); A Selection of Glees (Lo 1812). — Ferner Lieder, Motetten, Messen, Klv.-Stücke, weitere Glees u. Catches sowie Kanons in Sammeldrucken der Zeit.
2) Samuel (II), Sohn von 1), * 1770 London, WATSON, Claire, * 3.2. 1928 New York, t 16.7. 1986 Utting (Ammersee); amerik. Sängerin (Sopran). Sie studierte bei Elisabeth Schumann in New York sowie am Konservatorium in Amsterdam und debütierte 1951 in Graz als Desdemona in G. Verdis Otello. Nach 2 Spielzeiten (1956-58) in Frankfurt am Main wurde sie 1958 Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München und gastierte von dort aus in allen großen Opernhäusern Europas sowie an der Metropolitan Opera in New York. Als ausgezeichnete Mozart-Interpretin trat sie auch bei den Salzburger Festspielen auf. Lit.: G. ROTHON, C. W., in: Opera 21 (1970).
WEATHERS, Felicia, * 13.8. 1937 St. Louis; amerik. Sängerin (Sopran). Sie studierte seit 1957 an der Indiana University in Bloomington, promovierte 1961 mit einer Dissertation über Vocal Reactions in Comparison to Electronic Simulation und hatte im selben Jahr als Königin der Nacht in W. A. Mozarts Zauberflöte ihr Europadebüt in Zürich. Über Kiel (1962/63) kam sie 1963 an die Hamburgische Staatsoper (bis 1970). Sie gastierte
t 25. 11. 1843 ebd.; engl. Pianist, Organist und •
Komponist. Er wurde um 1798 Organist an der Unitarian Chapel in Liverpool, 1817 an der Kapelle der span. Gesandtschaft in London sowie später an der St. Nicholas Church in Liverpool und an St. Patrick's Roman Catholic Chapel im Toxteth Park. WW: A Book of Glees (Liverpool 1807); Convito armonico(Glasgow o.J.). Ausg.: Zu 1) u. 2): Ein Glee für 3 St. u. ein Catch für 5 St., in: DAVISON-APEL Anth. Lit.: J. M. KNAPP, S. W. and the Glee, in: ML 33 (1952).
WEBER, Bernhard Anselm, * 18.4. 1764 Mannheim, t 23.3. 1821 Berlin; dt. Komponist. Er studierte an der Universität Heidelberg Theologie, Philosophie und Jura und widmete sich dann als Schüler von G. J. Vogler und I. Holzbauer der Musik. 1787 wurde er Musikdirektor der Großmannschen Theatertruppe in Hannover, wo er außer Opern und Singspielen auch geistliche Konzerte und Oratorien leitete. 1790-92 begleitete er Vogler bei einer Skandinavienreise. Nach seiner Rückkehr wurde er am Nationaltheater Berlin 1792 zum 337
Weber 2. und 1796 zum 1. Musikdirektor ernannt. Diesen Posten bekleidete er bis zu seinem Tod. 1795 dirigierte er in Berlin mit Iphigénie en Tauride die erste Aufführung einer Oper von Chr. W. Gluck. 1818 trat er in den Ruhestand. Sein Schaffen, das vor allem der Bühne gewidmet war, lehnt sich dem Gluckschen Stil an, geriet aber bald in Vergessenheit. Allein das Lied Mit dem Pfeil, dem Bogen aus Fr. von Schillers Wilhelm Tell hält die Erinnerung an ihn wach. WW: Zahlr. KIv.Stücl.e; Orch.-Werke; Lieder; Kantaten. Opern u. Singspiele, u5a.: Mudarra, UA: Berlin 1800; Die Wette, UA: ebd. 1805; ferner Musik zu etwa 40 Bühnenstücken, u.a. F. von Schillers Die Jungfrau von Orleans, Wallenstein u. Wil-
helm Tell. Lit.: H. FISCHER, B. A. W. (Diss. B 1923); G. MEYERBEER, Briefwechsel u. Tagebücher I, hrsg. v. H. Becker (B 1959).
WEBER, Carl Maria Friedrich Ernst von, * 18. oder 19. 11. 1786 (getauft 20. 11.) Eutin (Holstein), t 5.6. 1826 London; dt. Komponist. Als ältestes Kind des späteren Wanderbühnendirektors Franz Anton von W. (1734-1812) aus dessen 2. Ehe mit Genovefa Brenner (1764-1798) erhielt er den ersten Musikunterricht bei seinem Stiefbruder Fridolin von W. (1761-1833); später wurden Johann Peter Heuschkel in Hildburghausen (1796/97), M. Haydn in Salzburg (1797-98 und 1801-02) sowie Johann Nepomuk Kalcher und Johann Evangelist Valesi in München (1798-1800) seine Lehrer. 1803-04 setzte W. seine Studien bei G. J. Vogler in Wien fort. Sein erstes Engagement führte ihn 1804-06 als Theaterkapellmeister nach Breslau. Anschließend ging er als „Musikintendant" Herzog Eugens von Württemberg nach Carlsruhe (Oberschlesien) und 1807 als „Sekretär", dann als Musiklehrer zu Herzog Ludwig von Württemberg nach Stuttgart; durch seinen Vater schuldlos in einen Korruptionsskandal verwickelt, mußte er 1810 das Land verlassen. Über Mannheim, wo er G. Webers kurzlebigem progressiven Harmonischen Verein beitrat, wandte er sich nach Darmstadt, um erneut bei Vogler zu studieren. Von hier aus lernte er in Frankfurt am Main die Sängerin Caroline Brandt (1794-1852) kennen, die er 1817 in Dresden heiratete. 1811 begann W. als konzertierender Künstler zu reisen (Gießen, Aschaffenburg, Nürnberg, Bamberg, München, Schweiz, Prag, Dresden, Leipzig, Gotha, Weimar, Frankfurt, Berlin, Leipzig, Dresden). 1813-16 wirkte er als Operndirektor am deutschen Ständetheater in Prag. 1816 wurde er zum Musikdirektor der neueingerichteten dt. Oper in Dresden bestellt, 1817 zum Königlichen Kapellmeister ernannt und noch im selben Jahr auf Lebenszeit angestellt. Seine eigenen Opern erlebten ihre UA jedoch nicht hier, 338
sondern in Berlin (Der Freischütz; 1821) bzw. Wien (Euryanthe, 1823). W.s letzte Oper entstand als Auftragswerk der Covent Garden Opera in London (Oberon, 1826). Seit Jahren bereits an Schwindsucht leidend, reiste W. noch 1826 schwerkrank über Paris nach London zur Premiere. 1844 veranlaßte R. Wagner die Überführung seiner sterblichen Hülle nach Deutschland und ihre feierliche Beisetzung in Dresden (15. 12.). WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Variationen: op. 2 (1800); op. 5 (1804); op. 7 (1807); op. 9 (1808); op. 28 (1812); op. 40 (1815); op. 55 (1817); Momento capriccioso, op. 12 (1808); Grande polonaise Es-Dur, op. 21 (1808); Sonaten: C-Dur, op. 24 (1812); AsDur, op. 39 (1816); d-moll, op. 49 (1816); e-moll, op. 70 (1822); Rondeau brillant Fs-Dur, op. 62 (1819); Aufforderung zum Tanz, op. 65 (1819); Polac a brillante E-Dur, op. 72 (1819). - Für KIv. zu 4 Händen: 6 kleine leichte Stücke, op. 3 (1801); 6 Stücke, op. 10 (1809); 8 Stücke, op. 60 (1818/19). - 9 Variationen für V. u. Klv., op. 22 (1808); Divertimento für Gitarre u. Klv., op. 38 (1816); Grand duo concertant, op. 48 (1816) für Klar. u. Klv.; Trio für Fl., Vc. u. Klv., op. 63 (1819); Klv.-Quartett (1809); Klar.-Quintett, op. 34 (1815). - Für Orch.: 2 Symphonien (1807); Ouvertüre zu Turandot (1809); Juhel-Ouvertüre(1818). - Konzerte für: Fl., Romanza siciliana g-moll (1805); Horn e-moll, op. 45 (1806, revidiert 1815); Vc., Grand pot pourri D-Dur, op. 20 (1808); Va., Andante e Rondo ungarese c-moll (1809), bearb. für Fag., op. 35 (1813); Fag. F-Dur, op. 75 (1811, revidiert 1822); Harmonichord oder Harmonium F-Dur (1811); Klar. Es-Dur, op. 26 (1811), f-moll, op. 73 (1811), Es-Dur, op. 74 (1811); KIv. C-Dur, op. 11 (1810) u. Es-Dur, op. 32 (1812), Konzertstück, op. 79 (1821). - 2) Vokal-WW: Zahlr. Klv.-Lieder; Lieder mit Gitarre-Begleitung; Kanons. - Für SingSt u. Klv.: Gesänge aus Th. Körners Leyer und Schwerdt, op. 41 u. 43, dass. für 4st. Männerchor, op. 42 (1814-16); it. Arien mit Orch. - 3 Messen: Groiie Jugendmesse Es-Dur (1799) u. 2 Missae sanctae Es-Dur (1818) u. G-Dur, op. 76 (1819); 2 Offertorien; Kantaten: Der erste Ton, op. 14 (1808) für Deklamation, Chor u. Orch. ; In seiner Ordnung schafft der Herr, op. 36 (1812) für 4 Solost., gem. Chor u. Orch.; Kampf und Sieg op. 44 (1815): JubelKantate, op. 58 (1818) für Sopran, Alt, Tenor, Bali, gem. Chor u. Orch.; Natur und Liebe, op. 61 (1818). - 3) Bühnen-WW: Opern . Das stumme Waldmädchen, UA: Freiberg 1800; Peter Schmoll und seine Nachbarn, UA: Augsburg 1803; Rübezahl (1804/05) (Fragment); Silvana. UA: Frankfurt 1810; Abu Hassan, UA: München 181i ; Der Freischütz(Libr.: F. Kind), UA: Berlin 1821; Die drei Pintas(1820), vollendet v. G. Mahler, UA: Leipzig 1888; Preziosa. UA: Berlin 1821; Euryanthe, UA: Wien 1823; Oberon, UA: London 1826; zahlr. Bühnenmusik. Ferner mehrere Schriften, Autobiographie, Rezensionen u. a.
W.s bis 1820 in seiner Vielseitigkeit durchaus stetiges Schaffen umgreift nahezu alle zeitüblichen Möglichkeiten des Komponierens. Gleichwohl beruht seine musikhistorische Bedeutung primär auf seinem Opernschaffen und mehr oder weniger ausschließlich auf seiner von den Zeitgenossen spontan umjubelten Oper Der Freischütz, mit der er (nach E. Th. A. Hoffmanns Undine und L. Spohrs Faust) der romantischen dt. Oper schlagartig zum Durchbruch verhalf. Während seine frühen Bühnenwerke noch ganz dem konventionellen Mischstil aus Singspiel und Opéracomique huldigen, tritt in Silvana und mehr noch in Abu Hassan erstmals ein persönlicher Stil ans
Weber Licht. Auf dem Singspiel fußend, stieß W. mit dem Freischütz; der nicht als das Werk eines Opernkomponisten in herkömmlichem Sinne, sondern vielmehr als der große Wurf des Musikdramatikers W. genommen sein will, in einen neuen Stilbereich vor. Mit den Mitteln eigenwertiger Klangfarbigkeit und romantisch-koloristischer Instrumentationskunst erhob er die Musik zu einer Symbolsprache und überhöhte das vordergründig bloßer Schauerromantik verhaftete Sujet ins Allgemeingültig-Volkstümliche. Mit der durchkomponierten großen Oper Euryanthe scheiterte W. an der Diskrepanz zwischen Wollen und Vermögen; gleichwohl führt von diesem Werk aus ein direkter Weg zu den Frühwerken R. Wagners. Ebensowenig hat sich W.s Oberon auf den Bühnen halten können. Sein Leben lang hat W., überwiegend für den eigenen Gebrauch, für das Klavier komponiert. Seine Variationsreihen gipfeln in den virtuosen MéhulVariationen op. 28 und im Air russe op. 40 („Schöne Minka"). Brillanz und Virtuosität tragen die Grande polonaise op. 21, das Rondeau brillant op. 62, die Aufforderung zum Tanz op. 65 und die Polacca brillante op. 72, wogegen die 4 Sonaten von W.s Auseinandersetzung mit der Polarität von traditioneller klassischer Form und romantischvirtuosem Bewegungselan zeugen. W.s Lieder und Chöre sind überwiegend Gelegenheitswerke ohne sonderlich individuelles Gepräge und, sofern durchkomponiert, etwa mit Liedern Fr. Schuberts nicht vergleichbar. Eine Ausnahme bilden die unmittelbar patriotischer Begeisterung entsprungenen Körner-Lieder op. 41-42. Innerhalb der gleichfalls für bestimmte Gelegenheiten entstandenen Kirchenmusik und der weltlichen Kantaten nimmt Kampf und Sieg op. 44 eine ähnliche Sonderstellung ein. W.s Solokonzerte sind ausschließlich für Instrumentalvirtuosen geschrieben, die Klarinettenwerke für H. J. Bärmann; bedeutsam ist das mit der traditionellen Konzertform brechende Konzertstuck für Klv. op. 79. Seine Kammermusik setzt mit klavierorientierten Werken ein und endet mit dem in Freischütz-Nähe stehenden, um instrumentale Gleichberechtigung bemühten Trio op. 63. - Sowohl musikalisch als auch literarisch begabt, steht W. gemeinsam mit Hoffmann am Anfang einer spezifisch „romantischen" Musikschriftstellerei, die einerseits in dichterische Bereiche vorstößt (Tonkünstlers Leben) und andererseits von hoher Verantwortung gegenüber der Kunst, dem Künstler und dem Publikum getragen ist. Als Organisator (Prag, Dresden) wurde W. ein unmittelbarer Vorgänger seines Nachfolgers R. Wagner. Ausg.: Musikal. Werke. Erste kritische GA, hrsg. v. H. J. MOSER
(Au - Brau 1926-39), nur 3 Bde. erschienen: Reihe II/1: Das stumme Waldmädchen u. P. Schmoll und seine Nachbarn, hrsg. v. A. Lorenz (1926); 1I/2: Rübezahl u. Silvana, hrsg. v. W. Kaehler (1933); 1I/3: Preziosa, hrsg. v. L. K. Mayer (1939). - 1) lnstr. WW: Klv.-WW, hrsg. v. L. KÖHLER - A. RUTHARD, 3 Bde. (L 1954-58); Adagio u. Rondo für 2 Klar., 2 Hörner u. 2 Fag., hrsg. v. W. SANDNER (MZ 1973); Symphonie Nr. 2 C-Dur, hrsg. v. H.-H. SCHÖNZELLER (Lo 1970). - Konzerte für: Klar. Es-Dur, op. 26, hrsg. v. G. HAUSSWALD (L 1953, NA 1973, Wie 1964); Klar. Nr. 1 f-moll, op. 73 sowie Nr. 2 Es-Dur, op. 74, hrsg. v. DEMS. (L 1954, Wie 1966); Vc., op. 20, hrsg. v. F. BEYER (Lo 1969). - 2) Bühnen-WW: Der Freischütz, Faks: Ausg. der Partitur, hrsg. v. G. SCHÜNEMANN (B 1942); Der Freischütz, Nachdr. der Ausg. v. 1848 (Farnborough 1969); Euryanthe, Nachdr. der Ausg. v. 1866 (ebd. 1969); Oberon, Nachdr. der Ausg. 1872 (ebd. 1969); Abu Hassan, hrsg. v. W. W. GÖTTiG (Offenbach 1925, Nachdr. Farnborough 1968) (mit einem Vorwort v. J. Kapp). Lit.: 1) Werk-Ven. u. Bibliographie: F. W. JÄHNS, C. M. von W. in seinen Werken. Chronologisch-thematisches Verz. (B 1871, NA B 1967); H. DÜNNEBEIL, Schrifttum über C. M. von W. (B 1947,'1957). - 2) Schriften u. Briefe: C. M. von W., Sämtliche Schriften, hrsg. v. G. KAISER (B 1908); C. M. von W. in seinen Schriften u. in zeitgen. Dokumenten, hrsg. v. M. HÜRLIMANN (Z 1973); Kunstansichten. Ausgew. Schriften (Wilhelmshaven 1978) (- Taschenbücher z. Musikwiss. 23). - E. RUDORFF, Briefe v. W. an Lichtenstein (Brau 1900); C. M. von W., Briefe an den Grafen von Brühl, hrsg. v. G. KAISER (L 1911); C. M. von W.s Briefe an Gottfried Weber, hrsg. v. W. BOLLERT - A. LEMKE, in: Jb. des Staatlichen Inst. für Musikforsch. (1972); H. JOHN, C. M. von W. Unveröff. Briefe, in: BzMw 20 (1978). -3) Biographien u. umfassende Darstellungen: M. M. VON WEBER, C. M. von W., 3 Bde. (L 1864-66, engl. Lo 1865, Nachdr. NY 1968, Westport/Conn. 1970); E. KROLL, C. M. von W. (Pd 1934); H. J. MOSER, C. M. V. W. (L 1940, 2 1955); H. SCHNOOR, W. auf dem Welttheater (Dresden 1942, H 2 1963); DERS., W. (ebd. 1953); H. DÜNNEBEIL, W.s Leben u. Wirken in chronologischen Tafeln (B 1953); K.-H. KÖHLER, C. M. von W.s Beziehungen zu Berlin. Stud. am Berliner W.-Nachlaß, in: FS H. Besseler (L 1961); K. LAUX, C. M. von W. (L 1966); J. WARRACK, C. M. von W. (NY - Lo 1968, dt. H 1972). - 4) Zu einzelnen Werken und Werkgruppen: W. GEORGII, K. M. von W. als Klavierkomponist. (L 1914); H. PFITZNER, Was ist uns W.? (Mn 1926); P. R. KIRKY, W.'s Operas in London 1824-26, in: MQ 32 (1946); H. BECKER, Meyerbeers Ergänzungsarbeit an W.s nachgelassener Oper „Die drei Pintos", in: Mf 7 (1954); G. MAYERHOFER, „Abermals vom Freischützen". Der Münchener „Freischütz” v. 1812 (Rb 1959) (- Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 7); W. BECKER, Die dt. Oper in Dresden unter der Leitung v. C. M. von W. 1817-26 (B 1962) (= Theater u. Drama 22); H. WIRTH, Natur u. Märchen in W.s „Oberon" ..., in: FS F. Blume (Kas 1963); TH. W. ADORNO, Bilderwelt des Freischütz, in: Moments musicaux (F 1964); K. LAUX, C. M. von W.s Münchner Beitr. z dt. Oper, in: FS H. Engel (Kas 1964); A. A. ABERT, W.s „Euryanthe" u. Spohrs „Jessonda" als große Opern, in: FS W. Wiora (ebd. 1967); H. HEUER, Unters. z. Struktur, Tonart u. zum Begleitpart der Sololieder C. M. von W.s (Diss. Gr 1967); W. SANDNER, Die Klar. bei C. M. von W. (Wie 1971) (- Neue musikgesch. Forsch. 7); H. KÜHN, Von dt Nationaloper. W.s Freischütz u. der Fall Woyzeck, in: NZfM 133 (1972); G. G. JONES, W.'s „Secondary Worlds", in: IRASM 7 (1976). W. PFANNKUCH
WEBER, Jacob Gottfried, * 1.3. 1779 Freinsheim (Pfalz), t 21.9. 1839 Bad Kreuznach; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Im Hauptberuf Jurist, lebte W. 1802-14 als Anwalt in Mannheim, anschließend als Richter 1814-18 in Mainz und 1819-39 in Darmstadt. In Mannheim leitete er 339
Weber
1804-14 die „Liebhaberconcerte" und gründete 1806 die musikalische Vereinigung „Conservatorium" sowie 1810 den kurzlebigen „Harmonischen Verein", dem u. a. J. B. Gänsbacher, G. Meyerbeer und C. M. von Weber als Mitglieder angehörten. Von Darmstadt aus gründete W. 1824 die von ihm herausgegebene Zschr. Caecilia, in der er in der Folgezeit viele Rezensionen sowie musikwissenschaftliche und musiktheoretische Artikel veröffentlichte. Großes Echo hatte sein Streit mit dem Abbé Stadler um die Echtheit des Requiem von W. A. Mozart, bei dem er sich auch die hämische Verachtung von L. van Beethoven zuzog. WW: 1) Kompositionen: Klaviersonate; Kammermusik; Triumphmarsch für voile Feldmusik.—Zahlr. Liederslgen. u. Chorwerke, darunter Requiem für Männerst. u. 3 Messen mit Soli u. Orch. — 2) Schriften: Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst, 3 Bde. (Mz 1817-21); dass., 4 Bde. (Mz' 1830-32); Über chronometrische Tempobezeichnung (Mz 1817); Allgemeine Musiklehre zum Selbst-Unterricht für Lehrer und Lernende (Da 1822, Mz' 1831); Ergebnisse der bisherigen Forschungen über die Echtheit des Mozartschen Requiems (Mz 1826); Weitere Ergebnisse der weiteren Forschungen ... (Mz 1827); Der Streit zwischen der alten und der neuen Musik (Breslau 1826); Die GeneralbaL3lehre zum Selbstunterricht (Mz 1833). Lit.: A. FLEURY, Die Musikzschr. „Caecilia" (1824-48) (Diss. F 1953); A. LEMKE, J. G. W. Leben u. Werk (Mz 1968) (= Beitr. z. mittelrheinischen Musikgesch. 9); L. U. ABRAHAM, Die Allgemeine Musiklehre v. G. W. im Lichte heutiger Musikdidaktik, in: W. PFANNKUCH FS A. Volk (Kö 1974).
WEBER, Ludwig, * 29.7. 1899 Wien, t 9. 12. 1974 ebd.; östr. Sänger (Baß). Er studierte bei Alfred
Boruttau in Wien und debütierte 1920 an der Wiener Volksoper. Ober Wuppertal (1925-27), Düsseldorf (1927-30) und Köln (1930-33) kam er 1933 an die Bayerische Staatsoper in München und nach 1945 an die Wiener Staatsoper. Er trat an den groBen Opernhäusern sowie über viele Jahre regelmäBig bei den Bayreuther Festspielen auf, u. a. 1951-56 als Gurnemanz, und erlangte als Interpret des deutschsprachigen Repertoires, besonders W. A. Mozarts und R. Wagners, internationales Ansehen. Eine seiner Glanzpartien war der Baron Ochs im Rosenkavalier von R. Strauss. Seit 1961 lehrte W. als Professor am Salzburger Mozarteum. WEBERN, Anton Friedrich Wilhelm (von), * 3. 12. 1883 Wien, t 15.9. 1945 Mittersill (Pinzgau); östr. Komponist. Sohn eines Beamten, besuchte er in Wien, Graz und Klagenfurt die Schule und schrieb sich im Herbst 1902 an der Universität Wien für das Studium der Musikwissenschaft ein. Seit 1904 nahm er Kompositionsunterricht bei A. Schönberg, dessen Schüler er bis 1908 blieb. 1906 promovierte er bei G. Adler mit der Edition von H. Isaacs Choralis Constantinus (W 1909, = DTÖ 32). 1908 eröffnete sich ihm die Laufbahn eines Theaterka340
pellmeisters, die ihn nach Bad Ischl, Wien, Teplitz, Danzig, Stettin und Prag führte. 1915-17 leistete er seinen Militärdienst beim östr. Heer ab. 1920 ließ er sich in Wien nieder, siedelte jedoch bald nach Mödling bei Wien über und entfaltete eine rege Tätigkeit als Lehrer, Dirigent und Mitwirkender in dem von Schönberg gegründeten Verein für musikalische Privataufführungen. W. gab die ihm innerlich fremd gebliebene Arbeit am Theater auf und betätigte sich als Chorleiter. 1922-34 dirigierte er in Wien im Rahmen der „Arbeiter-SymphonieKonzerte". Sein Leben spielte sich im engen Kreis der Familie und der Gruppe um Schönberg ab. 1920 erwarb die Universal Edition in Wien die Rechte an seinen ersten Werken, von denen die Orchesterstücke op. 6 bei ihrer UA einen heftigen Skandal hervorgerufen hatten. Seinen ersten groBen Erfolg erlebte W., als er 1921 auf dem Düsseldorfer Tonkünstlerfest seine Passacaglia op. 1 dirigierte. 1924 wurden seine Bagatellen op. 9 für Streichquartett in das Programm der Donaueschinger Musiktage aufgenommen; seit 1926 wurden seine Werke regelmäßig auf den Musikfesten der IGNM aufgeführt. 1924 verlieh ihm die Stadt Wien den Großen Musikpreis. 1926 wurde W. Ehrenmitglied der Composer's Guild in New York. Radio Österreich ernannte ihn 1927 zum ständigen Dirigenten. Zu dieser Tätigkeit trat 1930 noch die eines Lektors für Neue Musik bei Radio Wien. Die wachsende Politisierung des Musiklebens setzte seinem Wirken jedoch immer engere Grenzen. Seit 1935 lebte er zurückgezogen als privater Musiklehrer in seiner Mödlinger Wohnung und wurde nur gelegentlich noch zu Gastkonzerten als Dirigent nach Großbritannien und in die Schweiz eingeladen. 1941 schlug er aus weltanschaulichen und künstlerischen Gründen das Angebot aus, an der Wiener Musikakademie zu lehren. Bei der Universal Edition betätigte er sich nur noch selten als Lektor und Korrektor. Aufführungen seiner Musik fanden zu dieser Zeit nur im Ausland oder in privatem Kreis statt. Ostern 1945 verließ W. das bei Luftangriffen zerstörte Wien und zog sich nach Mittersill, einem Dorf im Land Salzburg, zurück. Hier wurde er von einem amerikanischen Besatzungssoldaten erschossen, als er trotz der abendlichen Ausgangssperre eine Zigarette vor seinem Haus rauchte. WW: 1) Instr.-WW: Variationen für KIv., op. 2 (1938); 4 Stücke für V. u. Klv., op. 7 (1910); 3 kleine Stücke für Vc. u. Klv., op. 11 (1914); Streichtrio, op. 20 (1927); 5 Sätze für Streichquartett, op. 5 (1909) (auch für Streichorch.); Quartett für V., Klar., Tenorsaxophon u. KIv., op. 22 (1930); Streichquartett, op. 28 (1938); Quinteu für Str. u. Klv. (1906); Symphonie für Klar., BaBklar., 2 Hörner, Harfe, 2 V., Va. u. Vc., op. 21 (1928); Konzert für Fl., Ob., Klar., Horn, Trp., Pos., V., Va. u. KIv., op. 24 (1934— Für Orch.:
Webster Passacaglia, op. 1 (1908); 6 Stücke, op. 6 (1910); S Stücke, op. 10 (1911-13); Variationen, op. 30 (1940). - 2) Vokal-WW: Für SingSt u. Klv.: 5 Lieder, op. 3 (1907) (Text: S. George); 5 Lieder, op. 4 (1908-09) (Text: ders.); 4 Lieder, op. 12 (1915-17); 3 Lieder, op. 23 (1934) (Text: H. Jone); 3 Lieder, op. 25 (1935) (Text: ders.); 2 Lieder, op. 8 (1911-12) (Text: R. M. Rilke) für SingSt u. 8 lnstr.; 4 Lieder für SingSt u. 13 Instr., op. 13 (1914-18); 6 Lieder für SingSt, Klar., Ballklar., V. u. Vc., op. 14 (1917-21); 5 geistl. Lieder für Sopran, Fl., Klar., Trp., Harfe u. V. (oder Va.), op. 15 (1917-22); 5 lat. Kanons für Sopran, Klar: u. Balklar., op. 16 (1924); 3 Volkstexte für SingSt, V. (oder Va.), Klar. u. Ballklar., op. 17 (1924); 3 Lieder für SingSt, Klar. u. Gitarre, op. 18 (1925); Entflieht auf leichten Kähnen, op. 2 (1908) (Text: S. George) für Chor a cap.; 2 Goethe-Lieder für Chor, Klar., Bauklar., Celesta, Gitarre u. V., op. 19 (1926); Das Augenlicht, op. 26 (1935) (Text: H. Jone) für Sopran, Chor u. Orch.; 1. Kantate für Sopran, Chor u. Orch., op. 29 (1939) (Text: ders.); 2. Kantate für Sopran, BaB, Chor u. Orch., op. 31 (1941-43). - 3) Verschiedenes: a) Instrumentationen : J. S. Bach, Ricercar für 6 St. aus dem Musicalischen Opfer (1934-35); F. Schubert, 6 Deutsche Tänze. - b) Arrangements: A. Schönberg, Kammersymphonie, op. 9, bearb. für Fl., Klar., V., Vc. u. Klv.
W. ist neben A. Berg der bedeutendste Vertreter der 2. Wiener Schule. Während die frühesten erhaltenen Werke, z. B. die Ballade Jung-Siegfried, noch den starken Einfluß einer Reise nach Bayreuth (1902) erkennen lassen, tritt W.s unabhängige Persönlichkeit in dem von J: Brahms beeinflußten Klavierquintett (1906), besonders aber in der Passacaglia zutage. Gleichzeitig mit seinem Lehrer Schönberg überschritt W. um 1908 in seinen Liedern op. 3 und 4 die Grenzen der Tonalität; 1924 übernahm er in seinen 3 Volkstexten op. 17 die Zwölftontechnik. Seine Neigung zu verhaltener lyrischer Expressivität und seine Introvertiertheit führten ihn zu den komprimierten Formen, die für sein Werk bis zum Streichtrio op. 20 (1927) charakteristisch sind. In seinen Bagatellen, den 4 Stücken für V. und Klv. und in den 3 kleinen Stücken für Vc. und Klv. erweist sich W. als Meister knappster Formen, gleichzeitig als begabt mit äußerster Sensibilität für melodische Linien und für Klänge und Klangfarben. Mehr als die Hälfte seines Gesamtwerks gehört dem Gebiet der Vokalmusik an. Ihren Ausgangspunkt bildete die Auseinandersetzung mit der esoterischen Lyrik St. Georges; später gewannen R. M. Rilke, Georg Trakl und Karl Kraus mit ihrer vergeistigten Dichtung an Bedeutung, die sie bis etwa 1924 behalten sollten. Für W.s Kompositionen während aller Schaffensperioden bestimmend sind knappe, oft nur 3 oder 4 Töne umfassende melodische Motive; die Vertikale wird durch Imitation und Kanon in ihrem Verlauf geprägt. Durch die Übernahme der Zwölftontechnik komplizierte sich zwar der Kom-
positionsprozeß, das Resultat jedoch vereinfachte sich. In W.s letzten Werken gewann das in der Musik neuartige „räumliche" Prinzip an Bedeutung. Auf die Komponistengeneration nach 1945 übte
besonders die Integration von Melodik, Rhythmik, Klangfarbe, Harmonik und Dynamik in reihenähnliche Strukturen einen tiefgreifenden Einfluß aus. Zu Unrecht hat man einen Gegensatz zwischen dem Werk Schönbergs und dem W.s konstruieren wollen und letzteren zu einem bloßen Epigonen, der den von seinem von ihm vergötterten Meister vorgezeichneten Weg konsequent beschritten habe, abgestempelt. In Wahrheit führte seine eigene künstlerische Entwicklung zu einer überragenden Klarheit und Einfachheit der Musik, die besonders in Frankreich, Deutschland und den USA schulbildend wirken sollte. In Seattle (Wash.) wurde eine Internationale Webern-Geselschaft gegründet. Ausg.: Wege zur neuen Musik, hrsg. v. W. REICH (W 1960, NA 1963) (mit den Briefen an H. Jone u. J. Humplik); Sketches (1926-45), Faks. mit Kommenar v. E. KRENEK - H. MOLDENHAUER (NY 1968). Lit.: R. LEIBowITz, Schoenberg et son école (P 1937); A. W. Dokumente, Bekenntnisse, Erkenntnisse, Analysen, hrsg. v. H. EtMERT - K. STOCKHAUSEN (W 1955) (- die Reihe 2); H. MOLDENHAUER, The Death of A. W. (NY 1961); A. W., Weg u. Gestalt, hrsg. v. W. REICH (Z 1961); F. WILDGANS, A. W. (Lo 1966, dt. 1967); H. MOLDENHAUER -' D. IRVINE, A. W. Perspectives (Seattle/Wash. - Lo 1966); C. ROSTAND, A. W. (P 1969); W. KOLNEDER, A. W. (W 1974); H. KRELLMANN, A. W. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1975); E. M. MURRAY, New Approaches to the Analysis of W. (1979) (- Diss. Yale Univ.); H. u. R. MOLDENHAUER, A. W. Chronik seines Lebens und Werkes (Z - Fr 1980); R. SCHULZ, Über das Verhältnis von Konstruktion u. Ausdruck in den Kompositionen A. W.s (Mn 1981) (- Stud. z. Musik 1). H. H. STUCKENSCHMIDT
WEBERSINKE, Amadeus, * 1. 11. 1920 Braunau (Broumov, ČSR); dt. Pianist und Organist. Er studierte 1938-40 bei K. Straube (Orgel), J. N. David (Theorie), O. Weinreich und C. Martienssen (Klavier) am Kirchenmusikalischen Institut des Leipziger Konservatoriums, an dem er 1946 Dozent, 1953 Professor für Klavier wurde. 1966 ging er als Professor und Leiter der Klavierabteilung an die Musikhochschule in Dresden. Bis 1953 konzertierte W. ausschließlich als Organist, seither tritt er im In- und Ausland auch als Pianist und Clavichordspieler hervor. W. ist regelmäßig Juror internationaler Wettbewerbe und Dozent bei den Sommerkursen in Weimar. WEBSTER, Ben (Benjamin) Francis, * 27.2. 1909 Kansas City, t 20.9. 1973 Kopenhagen; amerik. Jazzmusiker (Tenorsaxophon). W. spielte in den 20er Jahren in verschiedenen Bands, u. a. auch als Pianist, und kam in den 30er Jahren zu Bennie Moten, Fletcher Henderson und Benny Carter. 1938-43 spielte er in der Band von Duke Ellington, wo er sich als Solist profilierte und wesentlich zum großen Format des Ensembles in dieser Zeit bei341
Wechseldominante trug. Danach wechselte W. wieder häufiger die Bands, bildete auch eigene Ensembles, spielte u. a. in der Tourneereihe „Jazz at the Philharmonic" und seit 1963 fast ständig in Europa, wo er sich 1964 niederließ. W. gehört in die von Coleman Hawkins angeführte Reihe der großen Tenorsaxophonisten mit voluminösem Ton. Schnelle, swingend-jumpende Titel spielte er wie Hawkins sehr rauh, entfaltete aber in Balladen eine sehr eigene Spielweise, die durch weichen Atem und zarten Hauch charakterisiert ist. WECHSELDOMINANTE r Dominante. WECHSELGESANG r responsorialer Gesang. WECHSELKLANG, Bz. von H. Erpf für die Beziehung „zwischen gleichnamigem Dur- und Molldreiklang" : z. B. ist c e g W. zu c es g und umgekehrt. Neben Parallelklängen (aus c e g wird c e und r Leittonwechselklang (aus c e g wird h_ e g) bildet der W. die dritte Möglichkeit, einem-Dreiklang durch Ersatz eines Tones das gegenteilige Tongeschlecht zu geben. Von H. Riemann wurde der W. zunächst, in Konsequenz des " Dualismus, als Quintwechsel, später als Variante bezeichnet. Lit.: H. ERPF, Stud. z Harmonie- u. Klangtechnik der neueren Musik (L 1927, Nachdr. Wie 1969).
WECHSELNOTE, Bz. für einen harmoniefremden Ton einer oder mehrerer Stimmen, der als obere oder untere Nebennote wieder zum Ausgangston zurückkehrt (*): Andante grazioso
W. A. Mozart, Klaviersonate A- Dur, KV 331
Die W. steht - wie r Durchgang und r Antizipation, anders aber als der r Vorhalt - auf unbetonter Zählzeit. Sie dient der figurativen Belebung einer Melodie oder Harmonie; der wieder erreichte Ausgangston kann aber auch einer neuen Harmonie zugehören. Wechselharmonien, so am Anfang des Sanctus aus J. S. Bachs h-moll-Messe, sind durch W.n entstehende Klänge; zu ihnen zählt der Wechselquartsextakkord, bei dem Quarte und Sexte eines liegenden Baßtones als W.n eintreten. WECKER, Georg Caspar, getauft 2.4. 1632 Nürnberg, t 20.4. 1695 ebd.; dt. Organist. W. war Schü342
1er von J. E. Kindermann und wirkte seit 1651 als Organist an verschiedenen Nürnberger Kirchen, 1658-86 an der St. Ägidienkirche und von 1686 bis zu seinem Tod an St. Sebald. Er war der Lehrer von J. Pachelbel und J. Krieger und einer der führenden Nürnberger Komponisten seiner Zeit. WW: Geistliche Concerten für 2-4 St., Instr. u. B.c. und Geistliche Arien für SingSt u. B.c. (NO 1695). Ausg.: 3 Geistliche Konzerte, in: Nürnberger Meister ..., hrsg. v. M. SEIFFERT (1905) (- DTB 6/1). Lit.: H. E. SAMUEL, The Cantata in Nuremberg during the Seventeenth Century (1963) ( - Diss. Cornell Univ., Ithaca/N. Y.).
WECKMANN, Matthias, * 1621 Niederdorla bei Mühlhausen (Thüringen), t 24.2. 1674 Hamburg; dt. Komponist. Er wurde 1630 Chorknabe der Dresdener Hofkapelle unter H. Schütz und setzte seine Ausbildung 1637-39 bei J. Praetorius (II) und H. Scheidemann in Hamburg fort. 1641-42 war er Hoforganist der kurprinzlichen Kapelle in Dresden, anschließend bis 1647 auf Schloß Nykeping bei Kopenhagen und seit 1655 an St. Jacobi in Hamburg, wo er 1660 das Collegium musicum •gründete. WW (hsl. erhalten): 8 Choralvariationen u. einige weitere Stücke für Tasteninstr. ; 11 Sonate a 3 bzw. a 4 für Cornettino u. a. Instr. 12 geistliche Konzerte für 1-5 St. mit Instr. u. B.c.; ferner 9 Lieder mit B.c. in Sammeldrucken.
W. hat anders als der gleich bedeutende Chr. Bernhard weniger die it. als die dt. Elemente im Schaffen des gemeinsamen Lehrers Schütz übernommen. In seinen Vokalwerken zeigt sich dies in einer „sprachlich-gestischen Dichte und einer von spontanen geistigen Impulsen gesteuerten Sensibilität in der Gestaltung des musikalischen Verlaufs" (M. Geck). Ausg.: Solokantaten u. Chorwerke, hrsg. v. M. SEIFFERT (1901) (- DDT 6); Gesammelte Werke, hrsg. v. G. ILGNER (1942) ( EDM, LD Schleswig-Holstein u. Hansestädte 4); 2 einzelne geistliche Konzerte u. 14 Praeludien, Fugen u. Toccaten, hrsg. v. M. SEIFFERT (L 1924-29) (- Organum I/1, 1/17 u. IV/3); Dialog von Tobia und Raguez als Werk v. J. Rosenmüller hrsg. v. DEMS. (1930) (- Organum I/21). Lit.: M. SEIFFERT, M. W. u. das Collegium Musicum in Hamburg, in: SIMG 2 (1900/01); F. DIETRICH, Gesch. des dt. Orgelchorals im 17. Jh. (Kas 1932); G. ILGNER, M. W. Sein Leben u. seine Werke (Wb - B 1939); F. KRUMMACHER, Zur Quellenlage v. M. W.s geistlichen Vokalwerken, in: FS F.-W. Krummacher (B 1961); B. Rolm, Zur Echtheitsfrage der M. W. zugeschriebenen Klavierwerke ohne C.f., in: AMI 36 (1964); M. GECK, W., in: MGG XIV; G. B. SHARP, M. W., in: MT 115 (1979).
WEELKES, Thomas, getauft 25. 10. 1576, t 30. 11. 1623 London; engl. Organist und Komponist. Er war 1598 bis 1601 oder 1602 Organist am Winchester College und erhielt in Oxford den Grad eines Bachelor of Music. Seit 1602 war er Organist und Informator choristarum an der Kathedrale in Chi-
Weigl chester, bis er 1617 wegen Trunksucht entlassen wurde. W.' Bedeutung in der englischen Musikgeschichte gründet sich gleichermaßen auf r Madrigale (vgl. den Abschnitt über das außerit. Madrigal) wie auf die Kirchenmusik. Mit Th. Morley, auf dessen Tod er die Elegie Death hatte desprived me of my dearest friend (1608) komponierte, war er auch der Hauptvertreter des englisch adaptierten r Balletto. WW: Madrigale für 3-6 St. (Lo 1597); Balletts and Madrigals für 5-6 St. (Lo 1598); Madrigale für 5-6 St. apt for the viols and voices(Lo 1600); Ayeres or Phantasticke spirites für 3 St. (Lo 1608). Hsl. erhalten : 9 Services für 4-7 St. u. Org. ; zahlr. Anthems. - Ferner einige Stücke für Tasteninstr. u. für Violen. Ausg.: Die genannten Drucke, hrsg. v. E. H. FELLOWES (Lo 1916), revidiert v. TH. DART (1956) ( - The English Madrigalists 9-13); Pieces for Keyed Instruments, hrsg. v. M. H. GLYN (Lo 1924); 2 Sitze in: Jacobean Consort Music, hrsg. v. TH. DART W. COATES (Lo 1955) (- Mus. Brit. 9); Collected Anthems, hrsg. v. D. BROWN - W. COLLINS - P. LE HDRAY (1966) (- ebd. 23). Lit.: D. BROWN, Th. W. A Biographical and Critical Study (Lo 1969, NY 2 1979); P. BRETT, The Two Musical Personalities of Th. W., in: ML 53 (1972); T. J. MACCANN, The Death of Th. W.
in 1623, in: ML 55 (1974); G. A. PHILIPPS, Patronage in the Career of T. W., in: MQ 62 (1976).
WEERBEKE r Gaspar van Weerbeke. WEGELER, Franz Gerhard, * 22.8. 1765 Bonn, t 7.5. 1848 Koblenz; dt. Arzt. Er war seit 1789 Professor für Gerichtsmedizin und Geburtshilfe an der Universität Bonn und 1793 deren Rektor. 1794 floh er der politischen Unruhen wegen nach Wien, kehrte aber 1796 zurück und ließ sich 1807 als praktischer Arzt in Koblenz nieder. W. und seine Frau Eleonore von r Breuning waren seit der Bonner Zeit eng und dauerhaft mit L. van Beethoven befreundet. Dessen Briefe an W. sind sehr persönliche Zeugnisse seines Lebens und Wirkens ; sie enthalten auch die erste Kunde von der beginnenden Taubheit (1800). Die Biographischen Notizen Ober L. van Beethoven von W. und F. Ries zählen zu den frühesten und wichtigsten Quellen der Beethovenforschung (bibliographische Details siehe im Lit.-Verz. r Breuning). Lit.: J. SCHMIDT-GdRG, W., in: MGG XIV; W., in: Landeskundliche Vierteljahresblätter 12 (1972) Sonder-H. (- Kurzbiographien v. Mittelrhein u. Moselland); E. TRIER, Der BeethovenSchrein in der Julius-Wegeler-Familienstiftung, in: Divertimento für H. J. Abs (Bonn 1981). H. SCHMIDT
WEIBLICHE ENDUNG, Bz. für eine melodische Phrase, die nicht auf dem Taktschwerpunkt, der ersten Zählzeit im Takt, endet, z. B. J I J J statt J I J (männlicher Schluß). In der Wiener Klassik wird sie in der Regel durch einen ř Vorhalt gebildet :
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W. A. Mozart, Menuett, KV 2 Lit.: H. RIEMANN, GroBe Kompositionslehre I (B - St 1902).
WEIGL. - 1) Joseph Franz, * 19.5. 1740 Bayern, t 25. 1. 1820 Wien; östr. Violoncellist. Er spielte seit 1761 in der Kapelle des Fürsten Esterházy in Eisenstadt unter J. Haydn, seit 1769 in Wien an der italienischen Oper und seit 1792 in der Hofkapelle. Seine Frau, Josephe Anna Maria, geborene Scheffstoss, sang am Burgtheater in Wien, wo sie vor allem in Opern Chr. W. Glucks auftrat. - 2) Joseph, Sohn von 1), * 28.3. 1766 Eisenstadt, t 3.2. 1846 Wien; östr. Komponist. Er war Schüler von J. G. Albrechtsberger und A. Salieri, durch den er auch in das Hoftheater eingeführt wurde. Er wirkte dort bei der Einstudierung von W. A. Mozarts Figaro (1786) und Don Giovanni (Wiener Premiere 1788) mit. 1792 wurde W. am Hoftheater als Komponist und Kapellmeister angestellt. Seine Opern und Singspiele machten ihn zunehmend in ganz Europa bekannt. 1807 hielt er sich in Italien auf und führte an der Mailänder Scala 2 Opern auf. Nach mehr als 30jähriger erfolgreicher Tätigkeit zog sich W. 1823 vom Hoftheater zurück. 1827-39 war er Vizehofkapellmeister der Wiener Hofburgkapelle und widmete sich nun nur noch der Kirchenmusik. WW: 1) Instr.-WW: Kammermusik mit Blisern; Cemb: Konzerte; einige Stücke für Harmoniemusik. - 2) Vokal-WW: 11 Messen; Gradualien u. Offertorien; 2 Oratorien. - Etwa 20 dt. u. it. Festkantaten; Landwehrlieder (Text: H. von Collin) für Chor u. Orch. (W 1809). - 3) Bühnen-WW: 12 it. Opern, darunter La Principessa d'Amalfi, UA: Wien 1794; L'amor marinaro ossia I! corsaro (dt. als: Der Korsar aus Liebe), UA: ebd. 1797; L'uniforme, UA: Schönbrunn 1800; Il rivale di se stesso, UA: Mailand 1808; 20 dt. Opern u. Singspiele, darunter Vestas Feuer (Libr.: E. Schikaneder), UA: Wien 1805; Das Waisenhaus (Libr.: G. F. Treitschke) u. Die Schweizerfamilie (Libr.: I. F. Castelli), UA: ebd. 1808; Der Bergsturz(Libr.: A. F. Reil); Die Jugend Peters des GroBen (Libr.: Treitschke nach J. N. Bouilly), UA: ebd. 1814 (anIiBlich des Wiener Kongresses). - Ferner 18 Ballette sowie Bühnenmusik.
W. war einer der letzten Meister des Wiener Singspiels am Vorabend der Romantik. Sein bekanntestes Werk dieser Gattung, Die Schweizerfamilie, entsprach in besonderer Weise dem Gefallen des Publikums an der musikalischen Darstellung des Idyllischen. Weithin populär waren auch manche Melodien aus W.s it. Opern, so namentlich Pria ch'io l'impegno aus L'amor marinaro. L. van Beethoven schrieb darüber Variationen als Finale seines Klaviertrios B-Dur, op. 11 (das daher auch als „Gassenhauer"-Trio bezeichnet wird). 3) Thaddäus, Bruder von 2), * 8.4. 1776 Wien,
343
Weigle t 10.2. 1844 ebd. Auch er machte sich zunächst als
Kapellmeister und Komponist von Opern und Balletten in Wien einen Namen, widmete sich seit 1803 aber vor allem einem eigenen Musikverlag, der bis 1832 bestand. Er veröffentlichte Werke zeitgenössischer Wiener Komponisten, darunter auch einige Lieder von Fr. Schubert. Lit.: Zu 2): H. H. HAUSNER, J. W., Daten aus seinem Leben u. Schaffen, in: Mitt. der Int. Stiftung Mozarteum 14 (1966); F. GRASBERGER, W., in: MGG XIV; R. ANGERMÜLLER, Zwei Selbstbiographien v. J. W. (1766-1846), in: DJbMw 16 (1971); DERS., W., in: Grove. XX.
WEIGLE, dt. Orgelbaufirma. Sie wurde 1845 in Stuttgart von Carl Gottlieb Weigle (1810-82) gegründet. Sein Sohn Friedrich (1850-1906) verlegte das Unternehmen nach Echterdingen bei Stuttgart. Nach ihm übernahmen die Enkel des Gründers, Friedrich (1882-1958) und Karl (1884-1937), die Leitung der Firma, die 1952 an den Urenkel Fritz (* 1925) überging. Um 1890 trat die Firma mit neuartigen Pfeifen- und Ladenkonstruktionen hervor (Hochdruckregister, Taschenladen). Die Firma baute insgesamt etwa 1500 Orgeln, darunter: Stuttgart, Liederhalle (1895; 3 Man., 56 Reg., zerstört, Neubau 1956; 3 Man., 67 Reg.); Rundfunkorgeln in Frankfurt am Main (1928), München (1929) u. Berlin (1931); Mannheim, Konkordienkirche (1952-59; 4 Man., 51 Reg.); Geislingen-Altenstadt (1962-63; 3 Man., 42 Reg.); Berlin-Steglitz, Markuskirche (1963 ; 3 Man., 41 Reg.); Badenweiler, Stadtkirche (1963 ; 3 Man., 38 Reg.); Schwabach, Stadtkirche (1964; 3 Man., 51 Reg.); Tübingen, Stiftskirche (1965; 3 Man., 58 Reg.); Heidelberg, Universität (1966; 4 Man., 54 Reg.); Stuttgart, Musikhochschule (1972; 3 Man., 38 Reg.); Metzingen, Ev. Kirche (1979; 3 Man., 42 Reg.). WEIHNACHTSMUSIK. Das Weihnachtsfest ist bereits im MA vielfältig von Musik umgeben. In der Liturgie der röm.-kath. Kirche ist das Weihnachtsgeschehen in besonderer Weise dadurch präsent, daß mit dem Engellob nach Luk. 2 das l Gloria der Messe beginnt und die Menschwerdung Christi im r Credo seinen Platz hat (Et incarnatus est) und im Laufe der Messengeschichte oft musikalisch eigens hervorgehoben wird. Liturgisch ist das Weihnachtsfest auch insofern reich bedacht, als es als einziges Hochfest über eine Folge von drei Messen verfügt. Im späten MA entsteht dazu eine große Zahl von Tropen und Sequenzen und - unter dem Vorbild der Osterspiele eine Reihe von ř liturgischen Dramen und Mysterienspielen (7 Mystère). Speziell aus dem weihnachtlichen Brauchtum wachsen dann im 14./ 15. Jh. besonders in Deutschland geistliche Lieder 344
in der Volkssprache heraus (teilweise auch gemischtsprachig lat.-dt.), die zu einer wichtigen Vorstufe des katholischen und evangelischen r chenlieds werden. Zu nennen sind aus dieser frühen Zeit vor allem Dies est laetitiae (mit den dt. Strophen Der Tag der ist so freudenreich und Ein Kindelein so löbelich) und Wiegenlieder wie Quern pastores laudavere - Den die Hirten lobeten sehne, In dulci jubilo - Nun singet und seid froh und Resonet in laudibus - Joseph, lieber Joseph mein. M. Luther selbst hat mit Vom Himmel hoch eines der bekanntesten Weihnachtslieder geschaffen, und aus dem Umkreis der Katholischen Reform des 17. Jh. stammt Zu Bethlehem geboren von Fr. Spee. Seitdem ist eine Fülle von Liedern entstanden, die vielfältig das Verständnis des Weihnachtsgeschehens in den verschiedenen Epochen widerspiegelt. In vielen europäischen Ländern gibt es eigene volkstümliche Formen und Traditionen, so in Frankreich das . Noël, in England das r Carol, in Rumänien die r Colinda, in den slawischen Ländern die r Kolgda u. a. m. In Deutschland nimmt im 16.-17. Jh. das Weihnachtslied an der Blüte der vokalen und instrumentalen r Choralbearbeitung teil (exemplarisch dafür ist das Schaffen von L. Schröter, M. Vulpius und M. Praetorius), die mannigfach in unserem Jahrhundert wiederbelebt wurde (so etwa bei E. Pepping, H. Distler, H. Schroeder). Einen neuen Schritt in der Geschichte der W. bedeutet es, wenn im 17.-18. Jh. das Weihnachtsgeschehen nach dem Vorbild der r Passion (aber viel seltener) als r Historia und r Oratorium vertont wird. Aber nur wenige Werke haben sich einen überzeitlichen Rang bewahrt: aus der frühen Zeit die Weihnachtshistorie von H. Schütz, der weihnachtliche Teil des Messiah von G. Fr. Händel und das Weihnachts-Oratorium von J. S. Bach; aus dem 19. Jh. kommen in Betracht L'Enfance du Christ von H. Berlioz (1858), Oratorio de Noel (mit lat. Text) von C. Saint-Sačns (1858), Der Stern von Bethlehem von J. Rheinberger (1891); aus dem 20. Jh. Christnacht von J. Haas (1932), Lauda per la Natività del Signore von O. Respighi (1939), Cantate de Noel von A. Honegger (1953), Mystére de la Nativité von Fr. Martin (1959; auch szenisch aufzuführen), Ludus de nato infante mirificus von C. Orff (1960). Seit dem 19. Jh. findet Weihnachten auch im Klavierlied seinen Niederschlag. Neben dem bekanntesten Werk aus diesem Bereich, den Weihnachtsliedern von P. Cornelius (1856), sind hier vor allem Lieder von W. Kienzl, R. Trunk, W. Courvoisier, K. Hessenberg und H. Schroeder zu nennen. Eine eigene Bewandtnis hat es schließlich mit der
Weinberger instrumentalen Weihnachtsmusik, soweit es sich nicht um Choralbearbeitungen oder um die spezifische Gattung des Noel für Orgel handelt. Charakteristisch ist seit dem 17. Jh., daß hier häufig satztechnische Mittel der r Pastorale, vor allem der Siciliano-Rhythmus, erscheinen. Solche W. findet sich in verschiedenen, auch heute viel gespielten Concerti grossi von J. Chr. Pez (um 1700), G. Torelli (op. 8, Nr. 6), A. Corelli (op. 6, Nr. 8) und Fr. Manfredini (op. 3, Nr. 10) sowie als Einzelsätze in J. S. Bachs Weihnachts-Oratorium und in Händels Messiah, dort mit der auf eine eigene Tradition hinweisenden Bezeichnung Pifa (r Piva). W. für Klavier schrieben im 18. Jh. V. Rathgeber (Pastorellen für die Weihnachtszeit, 1750), im 19./ 20. Jh. Fr. Liszt ( Weihnachtsbaum, 1874-76), B. Bartók (Rumänische Weihnachtslieder, 1915), F. Busoni (Sonatina in diem Nativitatis Christi, 1917), W. Burkhard ( Weihnachtssonatine, 1940). Einzig in ihrer Art sind die Weihnachtsmusik von A. Schönberg für 2 V., Vc., Harmonium und Klv. (1921) und La Nativité du Seigneur für Orgel von O. Messiaen (1935). lit.: F. MARKMILLER, Der Tag der ist so freudenreich. Advent u. Weihnachten (Rb 1981) (— Bairische Volksfrömmigkeit Brauch G. HARTMANN u. Musik 1).
WEIKERT, Ralf, * 10. 11. 1940 St. Florian bei Linz; östr. Dirigent. Er studierte am Konservatorium in Linz Klavier, Musiktheorie und Dirigieren und seit 1960 an der Wiener Musikakademie Tonsatz (H. Jelinek) und Werkanalyse (H. Swarowsky). 1965 erhielt er den 1. Preis beim Internationalen N. Malko-Wettbewerb in Kopenhagen. 1966 wurde er 1. Kapellmeister und 1968 Chefdirigent am Stadttheater Bonn. 1972 verpflichtete ihn die Königliche Oper in Kopenhagen als Gastdirigent. Seit 1981 ist er Opernchef am Landestheater in Salzburg. Er dirigiert auch u. a. in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, Venedig und München. Ab Spielzeit 1984/85 ist er zum musikal. Oberleiter des Zürcher Opernhauses berufen.
einigen Jahren zu den herausragenden Künstlern der Bayreuther Festspiele (u. a. neuerdings auch als Hans Sachs). WEILL, Kurt, * 2.3. 1900 Dessau, t 3.4. 1950 New York; amerik. Komponist dt. Herkunft. Er studierte bei E. Humperdinck an der Berliner Musikhochschule und setzte seine Ausbildung 1921-24 noch bei F. Busuni fort. Nach mehreren Vokal- und Instrumentalwerken wandte er sich 1925 der Oper zu, wobei er vor allem mit dem Dramatiker Georg Kaiser zusammenarbeitete. Ausschlaggebend für W.s weitere Entwicklung wurden seine Zusammenarbeit mit B. Brecht und das gemeinsame Konzept eines epischen Theaters. Die Dreigroschenoper (darin: Und der Haifisch, der hat Zähne; Kanonensong; Seeräuberjenny) und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny wurden Welterfolge (r Lehrstück). W. schuf in diesen Opern den Typ eines neuen sozialkritisch-sentimentalen ř Songs, der Merkmale der Ballade, der Moritat und des Kabarettchansons vereint und Elemente des Jazz und moderner Tanzmusik verarbeitet. 1933 verließ W. Deutschland und kam über Paris 1935 nach New York, wo er zahlreiche Stücke für das Broadway-Theater schrieb; 1943 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. W. war mit der Schauspielerin Lotte Lenya verheiratet, die in seinen Stücken oft als Hauptdarstellerin auftrat. WW: Opern: Der Protagonist (Libr.: G. Kaiser), UA: Dresden 1926; Na und?(Libr.: E. Joachimson), UA: Berlin 1926; Der Zar läLt sich photographieren (Libr.: Kaiser), UA: Leipzig 1928; Die Dreigroschenoper(nach The Beggar's Opera v. J. Gay in der Bearbeitung v. B. Brecht), UA: Berlin 1928. — Weitere Bühnenwerke: Songspiel Mahagonny (Text: Brecht), UA: Baden-Baden 1927, umgearbeitet als Aufstieg u. Fall der Stadt Mahagonny, UA: Leipzig 1930; Lehrstück DerJa-Sager(Text: Brecht), UA: Berlin 1930; Die Bürgschaft (nach C. Neher), UA: ebd. 1932: Der Silbersee (nach Kaiser), UA: ebd. 1933; Marie galante, UA: Paris 1933; A Kingdom fora Cow, UA: London 1935; Knickerbocker Holiday, UA: Hartford/Conn. 1938; The Lady in the Dark, UA: New York 1942. — Ballett Die sieben Todsünden (nach Brecht), UA: Paris 1933.— Radiolehrstück Der Flug Lindbcrghs(nach Brecht) (1929) für Tenor, Bar., Baß, gem. Chor u. Orch. Ausg.: Ausgew. Schriften, hrsg. v. D. DREW (F 1975).
WEIKL, Bernd, * 29.7. 1942 Wien ; östr. Sänger (Bariton). Er studierte am Konservatorium in Mainz und an der Musikhochschule in Hannover, wo er 1968 debütierte. Von dort ging er 1970 an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg und wurde 1973 Mitglied der Hamburgischen Staatsoper. Daneben gastierte W. an den bedeutenden Opernbühnen Europas, u. a. auch bei den Salzburger Festspielen, und machte sich besonders als Interpret des deutschsprachigen Repertoires (R. Wagner, A. Lortzing, C. M. von Weber, O. Nicolai) im Ausland einen Namen und gehört seit
Lit.: P. BEKKER, Briefe an zeitgenössische Musiker (B 1932); B. BRECHT, Schriften z. Theater, hrsg. v. S. Unseld (B — F 1957, frz. P 1963); H. HARTUNG, Zur epischen Oper Brechts u. W.s, in: Wiss. Zschr. der Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg (1959); H. U. ENGELMANN, K. W. — heute, in: Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 3 (1960); H. CURJEL, Erinnerungen um K. W., in: Melos 37 (1970); A. L. RINGER, W., Schönberg u. die „Zeitoper", in: M; 33 (1980); R. SANDERS, The Days Grow Short. The Life and Music of K. W. (NY 1980), dt. Übers.: K. W. (Mn 1980); C. PICCARDI, „Happy End". Al crocevia di due itinerari, in: SMZ 121 (1981). — B. r Brecht.
WEINBERGER, Jaromír, * 8. 1. 1896 Prag, t 8.8. 1967 St. Petersburg (Florida); tschechischer Kom345
Weiner ponist. Er studierte am Prager Konservatorium Komposition und Klavier und 1916 kurze Zeit auch bei M. Reger in Leipzig. 1922-23 lehrte er Komposition am College of Ithaca in den USA und wurde dann Dramaturg am Nationaltheater in Preßburg. Seine Oper Švanda machte ihn 1927 international bekannt. Seit 1932 lebte er als freischaffender Komponist abwechselnd in Prag und in Baden bei Wien. 1939 emigrierte er in die USA, wo besonders sein Orchesterstück mit Klavier Under the Spreading Chestnut Tree (1939) eine starke Resonanz fand. Er lebte zuletzt in St. Petersburg (Florida). Insgesamt sind seine Instrumental- und Vokalwerke vielfältig von der slawischen, österreichischen und amerikanischen Volksmusik inspiriert. WW: Einige Klv: u. Orgelwerke; Kammermusik mit Klv.; zahlr. Stücke für Orch., darunter Czech Rhapsody (1941); The Lincoln Symphony (1941); Aus Tirol (1959); A Waltz Overture (1961). Geistliche u. weltliche Sololieder mit Org. u. mit Klv. -- 5 Opern, darunter Švanda dudák, UA: Prag 1927, dt. als Schwand,. der Dudelsackpfeifer, UA: Breslau 1928; ferner die Operette Frühlingsstürme, UA: Berlin 1933. - Aufsätze Was mir bliebu. Neubeginn in Amerika, in: Musik der Zeit 8, hrsg. v. H. Lindlar (1954) (dort auch Werk-Verz.). Lit.: B.
ŠTĚDROŇ, W.,
in: MGG XIV.
WEINER, Leó, * 16.4. 1885 Budapest, t 13.9. 1960 ebd.; ung. Komponist. Er studierte 1901-06 an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest, wo er 1908 Theorielehrer, 1912 Professor für Komposition und 1920 Professor für Kammermusik wurde. W. setzte seine einflußreiche Lehrtätigkeit auch nach seiner Emeritierung (1949) bis zu seinem Tod fort. W.s Schaffen ist in der dt. Romantik verwurzelt und zeigt kaum Berührung mit modernen Tendenzen. Nur selten verwendet er melodische Elemente aus der ungarischen Volksmusik. WW: Für Klv.: 3 Kompositionen (1910); Miniaturbilder(1917); 5 Reihen ungarische Bauernlieder (1932-50); Lakodalmas (Hochzeitstanz), op. 21 (1936) für V. u. Klv.; Streichtrio (1908); 3 Streichquartette (1906, 1921, 1938). - Für Orch.: Serenade (1906); Farsang(Karneval) (1907); Csongor es Tünde (1913); Concertino (1923) für Klv.; Soldatenspiel (1924); Suite (1931); Pastorale, Fantaisie et Fugue (1934) für Streichórch. ; 5 Divertimenti (1934-51) für Streichorch.; Ballade (1949) für Klar. - W. schrieb auch mehrere musiktheoretische Werke.
WEINGARTNER, Felix Paul von, Edler von Münzberg, * 2.6. 1863 Zara (Dalmatien), t 7.2. 1942 Winterthur; östr. Dirigent und Komponist. Nach Klavier- und Kompositionsstudien in Leipzig wurde er schnell bekannt, nicht zuletzt dank der Förderung durch Fr. Liszt (1884 UA der Erstlingsoper Sakuntala in Weimar). Noch größeres Ansehen genoß W. als Dirigent, dessen klare, sparsame Zeichengebung man hochschätzte. Nach verschiedenen Engagements, u. a. in Königsberg und Mannheim, wurde er 1891 Hofkapellmeister in 346
Berlin, leitete 1908-11 (Nachfolger G. Mahlers) die Wiener Hofoper und dirigierte bis 1927 die Wiener Philharmoniker, dann die Konzerte der Allgemeinen Musikgesellschaft in Basel, wo er bis 1933 auch Direktor des Konservatoriums war. 1935 kehrte er kurzfristig an die Wiener Staatsoper zurück. Der Weltruhm der Wiener Philharmoniker ist nicht zuletzt W.s Verdienst. - Als Komponist von Liszt und R. Wagner beeinflußt, erarbeitete er sich eine spätromantisch-eklektizistische Schreibweise. Seine besondere Neigung galt der Komischen Oper und dem Lied. WW: 1) Kompositionen: 5 Streichquartette; ein Streichquintett. 7 Symphonien (1899-1937); symphonische Dichtungen: König Lear (1897); Frühling (1930). - Zahlr. Klv.- u. Orch.-Lieder. Opern: Sakuntala, UA: Weimar 1884; Malawika, UA: München 1886; Genesius, UA: Berlin 1892; Trilogie Orestes (nach Aischylos), UA: Leipzig 1902; Dame Kobold, UA: ebd. 1916; Die Dorfschule, UA: Wien 1920; Meister Andrea, UA: Wien 1920. - 2) Schriften: Die Lehre von der Wiedergeburt und das musikalische Drama (Kiel - L 1895); Über das Dirigieren (B 1896, L '1920); Die Symphonie nach Beethoven (B 1897, L' 1926); Ratschläge für die Aufführung klassischer Symphonien, 3 Bde. (L 1906-23); Die Stellung der grofien Leonoren-Ouvertüre im Fidelio, in: AMZ 63 (1936). - W. war ferner Hrsg. der Berlioz-GA, 20 Bde. (L 1900-07) (zus. mit Ch. Malherbe). Lit.: C. WEINGARTNER-STUDER, G. Mahler u. F. von W., in: ÖMZ 15 (1960); H. C. SCHONBERG, The Great Conductors (NY 1967); C. DYMENT, F. von W. Recollections and Recordings W. A. MAKUS (Rickmansworth 1976).
WEINLIG. - 1) Christian Ehregott, * 30.9. 1743 Dresden, t 14.3. 1813 ebd. ; dt. Organist und Komponist. Er war in Dresden Schüler von G. A. Homilius, dann Organist in Leipzig (reformierte Kirche), Thorn und Dresden (Frauenkirche), wo er auch als Akkompagnist an der it. Oper wirkte. 1785 wurde er Kreuzkantor. Bekannt wurde er hauptsächlich durch zahlreiche Oratorien. - 2) Christian Theodor, Neffe von 1), * 25.7. 1780 Dresden, t 7.3. 1842 Leipzig. Er war 1800-03 Advokat in Dresden, studierte dann Musik bei seinem Onkel und (1806) bei Stanislao Mattei in Bologna. 1814-17 war er ebenfalls Kreuzkantor, seit 1823 Thomaskantor in Leipzig. R. Wagner studierte 1831/32 bei ihm Kontrapunkt, wurde sich aber unter seinem Einfluß vor allem seiner „Neigung zum Sangbaren" bewußt (Mein Leben). Zu W.s Schülern gehörte auch Cl. Schumann. WW: Oratorium Die Feier der Erlösung(1814-16); 2 dt. Magnificat; Psalmen; Motetten; zahlr. Kirchenkantaten. - W. schrieb
Theoretisch praktische Anleitung z. Fuge(Dresden 1845, 2 1852). Lit.: D.
HÄRTwiG, W.,
in: MGG XIV.
WEISMANN, Julius, * 26. 12. 1879 Freiburg i. Br., t 22. 12. 1950 Singen am Hohentwiel ; dt. Komponist. Er studierte Komposition bei J. Rheinberger und L. Thuille in München. Seit 1906 lebte er als
Weiße freischaffender Komponist in Freiburg im Breisgau, wo er auch als Pianist und Klavierbegleiter auftrat. 1930 gründete er u. a. mit E. Doflein das Musikseminar der Stadt Freiburg, an dem er bis 1939 als Lehrer für Tonsatz und Leiter einer Klavier-Meisterklasse unterrichtete. W. hat ein überaus reiches Schaffen hinterlassen, das nahezu alle Gattungen mit Ausnahme der Kirchenmusik umfaßt und das hauptsächlich in den 20er bis 40er Jahren viel aufgeführt wurde. Sein größtes Interesse galt der Oper; das Hauptwerk auf diesem Gebiet ist Leonce und Lena. Während in den frühen Kompositionen der phantasievolle Einfall dominiert, strebte W. im letzten Lebensjahrzehnt nach höchster formaler Konzentration, wie vor allem der Klavierzyklus Fugenbaum bekundet. Seit 1954 existiert ein J. W.-Archiv in Duisburg, das von Wieland Wagner initiiert wurde. WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Klv.-Kompositionen, u.a. Fugenbaum, 24 Präludien u. Fugen (1947); zahlr. Kammermusikwerke, u.a Sonate für Solo-V. (1909-10); Duos für 2 V. (1930); 4 Sonaten für V. u. Klv. (1909-21); Sonate für Fl. u. Klv. (1941); Sonate (1918) u. Sonatina concertante (1941) für Vc. u. Klv. (oder Orch.); 3 Klv.-Trios (1908-21); 11 Streichquartette, darunter Fantastischer Reigen (1913). - Für Orch.: Sinfonietta giocosa (1932); Sinfonietta severa (1932); Serenade (1933); Sinfonia brevis (1934); 2 Symphonien (1940); 3 Klv.-Konzerte; 4 V.-Konzerte. - 2) VokalWW: Zahlr. Lieder; Chorwerke mit u. ohne Begleitung, einige mit Orch. - 3) Bühnen-WW: 6 Opern; darunter Schwanenweib, UA: Duisburg 1923; Leonce u. Lena, UA: Mannheim 1925; Regina del Lago, UA: Karlsruhe 1928; Die Gespenstersonate, UA: München 1930; Die pfiffige Magd, UA: Leipzig 1939. - 3 Ballette: Tanzphantasie (1910); Die Landsknechte (1936); Sinfonisches Spiel (1937). Lit.: E. DOFLEIN, J. W. Gesammelte Beitr. über Persönlichkeit u. Werk (Fr 1925); J. MÜLLER-BLATTAU, Leben u. Werk, in: J. W.
z. 60. Geburtstag (Fr 1939); Verz. sämtlicher Werke v. J. W., hrsg. v. W. FALCKE (Duisburg 1955) (mit Bibliogr.); J. W. Mensch u. Werk, hrsg. v. J.-W.-Archiv (ebd. 1960); F. GOEBELS, Das Klv.Werk v. J. W. in neuer Sicht (Düsseldorf 1968); W. FALCKE, Bewahren u. Bewegen. 25 Jahre J.-W.-Archiv, in: Duisburger Forsch. 27 (1979); F. HIRTI.ER, J. W. Zum 100. Geburtstag des dt. Komponisten, in: ebd.
WEISMANN, Wilhelm, * 20.9. 1900 Alfdorf (Württemberg), t 14.5. 1980 Leipzig; dt. Komponist und Musikschriftsteller. W. studierte 1919-21 am Stuttgarter Konservatorium und 1921-23 Komposition (S. Karg-Elert) und Musikwissenschaft (A. Schering, H. Abert) an der Universität in Leipzig. Dort war er 1924-28 Schriftleiter der Zeitschrift für Musik und 1929-65 Lektor, später Cheflektor im Musikverlag Peters. Als Kompositionslehrer wirkte er 1946-55 (1948 Professor) und 1961-76 an der Musikhochschule. W.s Kompositionen sind ein wichtiger Beitrag zum Vokalschaffen in der DDR. Ihre Wurzeln liegen im deutschen Volkslied. WW: 1) Chorwerke: 8 Weihnachtslieder(1932); 30 geistliche Lie-
der ... a cap. (1950) (auch mit Org.); Der 23. Psalm (1954); Kantate Du bist als Stern uns aufgegangen (J. Klepper) (1951) für Chor, Solo-V. u. Org. ; Die Auferstehung Christi (1960) mit Org. 2) Weltliche Vokal-WW: 4 it. Madrigale (1925); Deutscher Minnesang 10 Lieder u. Madrigale (1928); 2 Motetten: Prooemion (J. W. von Goethe) für 4 St. u. Bestimmung (R. Billinger) (1949) für 5-6 St.; Tagelied des W. v. Eschenbach (1936) für Soli, Chor u. Orch. ; Mein schwäbisches Liederbuch (1943) für Soli u. Chor; Stufen (H. Hesse) (1959); 4 Liebeslieder nach Dichtungen des 12 Jh. (1960); 3 Hölderlin-Madrigale (1964); Madrigalzyklus Jahreszeiten (1970); Ode an das Leben (nach P. Neruda) (1968) für Bar. u. Orch. - Ferner Solo-Gesänge mit Klv. oder Orch. - 3) Schriften: Die Madrigale des C. Gesualdo, in: DJbMw 5 (1960); Der Deus ex machina in Glucks Iphigenie in Aulis, in: ebd. 7 (1962); Ist komponieren lehrbar?, in: ebd. 10 (1965); Tradition u. Fortschritt, in: FS Hochschule für Musik Leipzig 1843-1968 (L 1968). Lit.: H. WEGENER, A. Knab u. W. W. in ihrem Briefwechsel, in: Musa - Mens - Musici. Gedenkschrift W. Vetter (L 1969); S. KÖHLER, Klarheit u. Ausdrucksreichtum. Betrachtungen z. W. W.s Vokalmusik, in: MuGes 6 (1956); L STOLZENBACH, in: ebd. 30 (1980). B. A. KOHL
WEISS (eig. Weiß), Silvius Leopold, * 12. 10. 1686 Breslau, t 16. 10. 1750 Dresden; dt. Lautenspieler und Komponist. Er war vermutlich Schüler seines Vaters, des Düsseldorfer Hoflautenisten Johann Jakob W. (1662-1754), wurde 1706 Musiker des Pfalzgrafen Carl Philipp in Breslau und stand 1708-14 im Dienst des polnischen Prinzen Alexander Sobieski in Italien. Nach Deutschland zurück-. gekehrt, wurde er 1715 Kammermusiker am Hof von Hessen-Kassel und 1718 Mitglied der Dresdner Hofkapelle, der er bis zu seinem Tod angehörte. Daneben unternahm er noch Konzertreisen, u. a. nach Wien und Berlin. W. ist einer der letzten großen Lautenisten des Barock. Seine Werke, ausschließlich für und mit Laute und in zahlreichen Hss. überliefert, umfassen vor allem Partiten. Ihr Stil zeichnet sich durch harmonischen Reichtum und eine kantable, gelegentlich galante Melodik aus. Ausg.: 6 Stücke, in: Lautenmusik des 17.-18. Jh., hrsg. v. H. NEEMANN (1939) (- EDM 12); 28 Suiten, hrsg. v. R. CHIERA, 2 Bde. (Mi 1967-68); 34 Suiten, Faks.-Ausg. (L 1977) (mit quellenkundlichen Beiträgen ... v. W. Reich). Lit.: J. KLIMA - H. RADKE, W., in: MGG XIV; J. KLIMA, S. L. W. Kompositionen für Laute. Quellen u. Themenverz. (Maria Enzersdorf 1975); D. A. SMITH, The Late Sonatas of S. L W. (1977) (- Diss. Stanford Univ.) (mit themat. Vera. sämtlicher Werke für Laute solo); DERS., S. L W. Master Lutenist of German Baroque, in: Early Music 8 (1980); L HOFFMANN-ERBRECHT, Der Lautenist S. L W. u. J. S. Bach, in: Ars musica, musica scientia. FS H. Häschen (Kö 1980).
WEISSE (eig. Weiße), Christian Felix, * 28. 1. 1726 Annaberg (Erzgebirge), t 16. 12. 1804 Leipzig; dt. Dichter und Schriftsteller. Er studierte 1745-48 an der Universität Leipzig und wurde, angeregt auch durch eine Studienreise nach Paris, bald als Verfasser von Singspiel- (bzw. „Operet347
Weiße Dame ten"-)Texten für die Leipziger Schauspiel-Gesellschaft H. G. Kochs bekannt. Mit J. A. Hiller, der seit 1767 alle seine Texte vertonte, begründete W. die deutsche Singspielepoche und hat so wesentliche Impulse zu einer neugestalteten dt. Oper gegeben. W. schrieb auch zahlreiche Kinderlieder. WW: Šingspie;texte (UA in Klammern): Der Teufel ist los (nach The Devil to pay v. Ch. Coffey) (; 752); Lottchen am Hofe (1767); Die Liebe auf dem Lande (1768); Die Jagd (1770); Der Aerndtekranz (1772); Die Jubelhochzeit (1773). — Lieder: Kleine Lieder für Kinder... (Flensburg 1766); Lieder für Kinder. Mit neuen Melodien v. J. A. Hiller (L 1769, 2 1772). — Ferner die JugendZschr. Kinderfreund, 24 Bde. (L 1775-82), Nachdr. v. Bd. 1 (Reutlingen 1966). — Selbstbiographie, hrsg. v. C. E. Weisse — S. G. Frisch (L 1806). Lit.: H. KRETZSCHMAR, Gesch. des neuen dt. Liedes I (L 1911, Nachdr. 1970). — J. A. r Hiller.
WEISSE DAME, DIE (La dame blanche), Opéra-comique in 3 Akten von Fr. A. Boieldieu, Text von E. Scribe nach W. Scotts Romanen Guy Mannering und The Monastery. Ort und Zeit der Handlung: Schloß Avenel in Schottland, 1759. UA: 10. 12. 1825 Paris (Opéra-Comique); EA in dt. Sprache: 6.7. 1826 Wien ; dt. EA: 1.8. 1826 Berlin (Königliches Opernhaus). Boieldieus bekannteste Oper ist einer der größten Opéra-comique-Erfolge aller Zeiten. Bereits 1862 fand in Paris die 1000. Aufführung des Werkes statt. Zahlreiche Parodien belegen den hohen Bekanntheitsgrad der Oper. - Die Handlung ist reich an Topoi des typischen engl. Romans gegen Ende des 18. Jh.; historisches Milieu und Obersinnliches (als ein Element des Schauerromans) werden miteinander verknüpft, wenn der verschollene Erbe von Schloß Avenel, der Offizier George Brown, rechtzeitig heimkehrt, um seinen Besitz mit Hilfe einer geheimnisvollen „weißen Dame" zu ersteigern. Schließlich erkennt er auch in der Helferin die langgesuchte Geliebte wieder: eine Krankenschwester, die ihn im Lazarett gesundgepflegt hat. - Boieldieu verwendet in seiner Musik Elemente der schottischen Folklore und verbindet sie mit den Ausdrucksmitteln der musikalischen Romantik. Dramatische Ensemblesätze und ansprichsvolle Solopartien trugen zum Erfolg des Werkes schon in der Uraufführung bei. Bekannt sind insbesondere die Ouvertüre, die Tenor-Kavatine Komm, o holde Dame, das Trinklied Mit Lust füll ich den Becher dann und die mit geheimnisvollem Flüstern angereicherte Ballade der weißen Dame. Die Ouvertüre wurde von A. Adam nach R. QUANDT Skizzen seines Lehrers ausgeführt. WEISSENBERG, Alexis, * 26.7. 1929 Sofia; frz. Pianist bulgarischer Herkunft. W. studierte am Konservatorium in Sofia bei P. Wladigerow und 348
seit 1946 bei Olga Samaroff an der Juilliard School in New York, außerdem bei Wanda Landowska und A. Schnabel. Mit einer Serie erfolgreicher Konzerte Ende der 40er Jahre begann er seine Karriere und genießt seither als Interpret klassischer und romantischer Klaviermusik international höchstes Ansehen. WEISSENBORN, Günther Albert Friedrich, * 2.6. 1911 Coburg; dt. Pianist und Dirigent. Er studierte an der Musikhochschule und an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin, wo er 1934-37 als Organist und Chorleiter tätig war. 1937-42 wirkte er als Kapellmeister am Stadttheater Halle, 1944 in Hannover und 1945-47 als Dirigent des Symphonieorchesters in Göttingen. W. machte sich einen bedeutenden Namen als Liedbegleiter und unterrichtet seit 1960 Liedgestaltung und Kammermusik an der Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold. Er war außerdem 1960-80 künstlerischer Leiter der Göttinger Händel-Gesellschaft und seit 1972 auch der Sommerlichen Musiktage Hitzacker. WEISSES RAUSCHEN, Bz. für ein Geräusch, bei dem alle im höheren Bereich liegenden Frequenzen mehr oder weniger gleich häufig auftreten. Der Begriff W. ist in Analogie zum weißen Licht gebildet, in dem alle Farben des sichtbaren Spektrums vorhanden sind. Beispiele für W. sind Meeresrauschen, Zischlaute der Sprache oder Beifallsklatschen bei einem Konzert. WETTCHOR, Bz. für die Gruppe der Orgelregister mit weiter Mensur. Charakteristisch ist für ihn die geringe Obertonbildung, aber auch eine hohe Verschmelzungsfähigkeit mit anderen Stimmen. Zum W. gehören u. a. Flöten und Aliquoten. WEIT IST DER WEG (Lost in the Stars), Musical Tragedy von K. Weill, Text von Maxwell Anderson nach Alan Patons Roman Cry, the Beloved Country (dt.: Denn sie sollen getröstet werden). Ort u. Zeit der Handlung: Johannesburg, zur Zeit der UA. UA: 30. 10. 1949 New York (Music Box); dt. EA (in dt. Sprache): 7.5. 1961 Nürnberg (als: Der weite Weg). Apartheidsproblematik und Kriminalität unter Arbeitern sind, entsprechend der literarischen Vorlage, im Libretto zu einer ergreifenden Anklage gegen die gesellschaftlichen Zustände in Südafrika gestaltet. Mit genau kalkulierten Effekten wird die Handlung anschaulich und theaterwirksam dargeboten. Weill fand in seinem letzten Bühnenwerk von vielen als das reifste seiner amerik. Zeit apo-
Weller strophiert - zu einer volkstümlichen Musik im besten Sinne des Wortes, der es auch, dem Stoff angemessen, nicht an pathetischen Zügen mangelt. Spiritual-, Song- und Volksliedelemente sind zur stilistischen Synthese verschmolzen; gleichwohl nahmen einige Kritiker Anstoß an schlagei haftpopulären Musiknummern, etwa auch am Titelsong Lost in the Stars. Der Orchesterklang (im Original werden nur 17 Musiker gefordert) erhält sein charakteristisches Kolorit durch den Einsatz der Saxophone anstelle von Violinen. J. SCHLÄDER WELITSCH (eig. Veličkova), Ljuba, * 10.7. 1913 Borissowo (Bezirk Plewen); östr. Sängerin (Sopran) bulgarischer Herkunft. Sie studierte am Konservatorium in Sofia und an der Wiener Musikakademie und debütierte 1936 in Graz. 1940-43 sang sie an der Hamburgischen Staatsoper, 1943-46 an der Bayerischen Staatsoper in München und 1946-62 an der Wiener Staatsoper. Lj. W. begann nach dem Krieg einen geradezu kometenhaften Aufstieg, trat aber nach 1955 nur noch selten auf. Die Salome in R Strauss' gleichnamiger Oper galt als ihre überragende Rolle; weitere Glanzpartien waren Donna Anna (Don Giovanni, W. A. Mozart), Aida (G. Verdi), Desdemona (Otello, Verdi) und Tosca (G. Puccini). Sie wirkt bis heute als Charakterdarstellerin in Filmen mit. WELLE, in der Physik Bz. für die Ausbreitung von r Schwingungen in Raum und Zeit. Anschaulichstes Beispiel sind W.n, die durch einen in ruhiges Wasser geworfenen Stein hervorgerufen werden. Charakteristische Größen sind die Abstände zwischen W.n-Bergen (W.n-Länge), ihre Höhe (Amplitude), die Häufigkeit, mit der sie an einem bestimmten Punkt eintreffen (Frequenz), und die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Auch kompliziertere Begriffe der W.n-Lehre, wie ' Interferenz und Beugung, lassen sich in diesem Beispiel darstellen: man lege den W.n ein Hindernis in den Weg und beobachte, wie sich die W.n dahinter verhalten. Beugung z. B. läßt sich deutlich machen, wenn das Hindernis einen Spalt besitzt. Es zeigt sich, daß jeder Punkt der auf den Spalt treffenden W.n Ausgang einer neuen, kreisförmigen W. ist, wie aus dem Muster der W.n hinter dem Spalt abgelesen werden kann. - Schall-W.n, der Untersuchungsgegenstand der Akustik, gehorchen denselben Gesetzmäßigkeiten. Anstelle von W.n-Bergen auf einer Wasseroberfläche breiten sich beim r Schall Druckunterschiede in Luft oder einem anderen Material räumlich aus. Ohne den Effekt der Beugung wäre es nicht möglich, Schall wahrzuneh-
men, wenn sich zwischen Schallquelle und Hörer ein Hindernis befindet. - Ein anderes Beispiel sind elektromagnetische W.n, aus denen nicht nur das sichtbare Licht, sondern u. a. auch Radio-(Funk)W.n bestehen. Im Unterschied zu den bisher genannten W.n findet man hier kein schwingungsfähiges Medium, in dem sich die W.n ausbreitenkönnen. Der Begriff W. ist von zentraler Bedeutung in der Physik. Darüber hinaus ist er eines der gar nicht so seltenen Beispiele dafür, daß von der Akustik und direkt oder indirekt von der Musik Denkanstöße an die Physik ausgegangen sind. WELLEK, Albert Josef Oskar, * 16. 10. 1904 Wien, t 27.8. 1972 Mainz; dt. Psychologe und Musikforscher östr. Herkunft. Er studierte Musikwissenschaft in Prag und Wien bei G. Adler, R. Lach, R. von Ficker und E. Wellesz, gleichzeitig Komposition und Dirigieren. 1928 promovierte er mit der Dissertation Doppelempfinden und &ogrammusik und wurde 1933 Assistent F. Kruegers am Psychologischen Institut der Universität Leip-' zig, wo er sich 1938 habilitierte. 1943-45 war er Professor für Psychologie und Pädagogik in Breslau, danach in Mainz Ordinarius für Philosophie, Psychologie und Pädagogik sowie Direktor des Psychologischen Instituts der Universität, zusätzlich mit einem Lehrauftrag für Systematische Musikwissenschaft. Als Vertreter der Ganzheitspsychologie der Leipziger Schule Kruegers hat W. deren Ansätze in die Musikpsychologie und Musikästhetik übertragen. Schriften: Das Absolute Gehör u. seine Typen (L 1938, F 21963); Typologie der Musikbegabung im dt. Volke (M 1939, 21970); Musikpsychologie u. Musikästhetik. Grundriö einer Systematischen Musikwiss. (F 1963, Bonn 21975 [erweitert»; Tonale u. dodeka-
phonische Musik im experimentellen Vergleich (zus. mit H. Federhofer), in: Mf 26 (1971). Lit.: W. WIORA, A. W.s Grundriß der Systematischen Musikwiss. u. die Verbindung v. systemat. mit hist. Denken, in: Mf 19 (1966); O. EWERT, A. W., in: Arch. für Psychologie 74 (1972); G. ALBERSHEIM, A. W., in: Mf 26 (1973).
WELLER, Walter, * 30. 11. 1939 Wien; östr. Dirigent und Violinist. Er studierte an der Wiener Musikakademie Violine und Dirigieren (K. Böhm), wurde 1956 Tuttigeiger und 1962 Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und war auch Mitglied des Staatsopernorchesters. Mit dem 1958 von ihm gegründeten W.-Quartett unternahm er bis Ende der 60er Jahre Konzertreisen durch Europa, Amerika und Asien. Seit 1969 ist W. ausschließlich als Dirigent tätig, begann an der Staatsoper und Volksoper in Wien, war 1971-72 GMD in Duisburg und übernahm 1975 die Leitung des Nieder349
Wellesz österreichischen Tonkünstlerorchesters in Wien. 1977 wurde er Chefdirigent des Royal Philharmonic Orchestra Liverpool und 1980 (für 3 Jahre) Chefdirigent des Royal Philharmonic Orchestra London.
WELLESZ, Egon Joseph, * 21. 10. 1885 Wien, t 9. 11. 1974 Oxford ; östr. Musikforscher und Komponist. Er studierte bei G. Adler (Musikwissenschaft) und A. Schönberg (Musiktheorie) in Wien, promovierte dort 1908, habilitierte sich 1913 und war 1929-38 Professor an der Wiener Universität. Die 1915 begonnene Erforschung der Musik des christlichen Orients führte zur Entzifferung der mittelbyzantinischen Neumen. Mit anderen Gelehrten gründete W. 1931 die Monumenta Musicae B};zantinae (MMB). 1938 emigrierte er nach England, wurde Fellow des Lincoln Department Oxford und des Music Department der Universität Oxford und war dort 1945-56 Reader für byzantinische Musik. Zu seinem 80. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift (hrsg. v. J. A. Westrup, Lo 1966) geehrt. Autobiographisches erschien posthum unter dem Titel E. W., Leben und Werk (hrsg. v. F. Endler, W 1981). WW: 1) Instr.-WW: Klv.- u. Orgelmusik. - Kammermusik: Streichtrio, op. 86; 9 Streichquartette (1911-66); Klar.-Quintett, op. 81; Oktett, op. 67. - Für Orch.: 9 Symphonien (1945-71); Prosperas Beschwörungen, op. 53 (1936); Klv.-Konzert (1931); V.Konzert (1961). - 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder mit Klv. u. mit anderen Instr.; 4 Messen; Sonette der Elisabeth Barrett-Browning (nach R M. Rilke) für Sopran u. Streichquartett (1934); Geistl. Chorwerke; zahlr. Orch.-Gesänge; Kanuten, u. a. Mitte des Lebens(1931-32). -3) Bühnen-WW: Opern: Die Prinzessin Girnara (Libr.: J. Wassermann), UA: Hannover 1921; A/kestis (Libr.: H. v. Hofmannsthal, nach Euripides), UA: Mannheim 1924; Kultisches Drama Die Opferung des Gefangenen (Libr.: E. Stucken), UA: Köln 1926; Singspiel Scherz, List und Rache(Libr.: J. W. von Goethe), UA: Stuttgart 1928; Die Bakchantinnen (Libr.: W., nach Euripides), UA: Wien 1931; Incvgnita (Libr.: E. Mackenzie, nach W. Congreve), UA: Oxford 1951. - Ballette: Das Wunder der Diana (nach B. Balász), UA: Mannheim 1924; Persisches Ballett (nach E. Tels), UA: Donaueschingen 1924; Achilles auf Sykras (nach Hofmannsthal), UA: Stuttgart 1927; Die Nächtlichen (nach M. Terpis), UA: Berlin 1924. - 4) Schriften: Arbeiten über den /Byzantinischen Gesang. - Die Opern u. Oratorien in Wien von 1660-1708, in: StMw 6 (1919); A. Schönberg (W 1921, Nachdr. Hil 1982); Der Beginn des musikal. Barock u. der Anfänge der Oper in Wien (W 1922); Die neue Instrumentation, 2 Bde. (B 1928-29); Eastern Elements in Western Chant (Boston 1947); Essay an Opera (Lo 1950); Early Christian Music, Music in the Eastern Churches, in: New Oxford History of Music II (Lo 1954); J. J. Fux (Lo 1965). - W. gab heraus Studies in Eastern Chant, 2 Bde. (1966-71) (zus. mit M. Velimiroviá).
Als Komponist dem weiteren Umkreis der Wiener Schule zugehörig, war W. auch von Cl. Debussy und I. Strawinsky beeinflußt, suchte aber eigene Wege. Neben tonsprachlich schlichten entstanden auch sehr anspruchsvolle Werke (Kammermusik). Zunächst als Bühnenkomponist erfolgreich, er350
reichte sein Schaffen in Gesängen und Kantaten sowie in den Orchesterstücken Prosperos Beschwörungen, op. 53 (1936) einen Höhepunkt. 1943 begann (mit op. 60) eine neue Periode, in der Symphonie und Streichquartett dominieren (Hauptwerke : 5. Symphonie, op. 75 ; Violinkonzert, op. 84). Seine wohl erstaunlichsten Arbeiten, die stets 3sätzigen späten Symphonien (seit der 6.), sind dem späten G. Mahler verpflichtet, verzichten auf einen Sonatensatz und legen das größte Gewicht auf das stets langsame Finale. Lit.: R SCHOLLUM, E. W. (W 1964); Ergänzungen (über neuere Werke), in: ÜMZ 10 (1965), 23 (1968), 27 (1972); D. SYMONS, E. W. and Early Twentieth Century Tonality, in: Studies in Music 6 (Perth/Austral. 1972); E. W., hrsg. v. O. KOLLERITSCH (Gr R STEPHAN W, in Vorb.) (- Stud. z. Werteforschung).
WELT AUF DEM MONDE, DIE (Il mondo della luna), Dramma giocoso in 3 Akten von J. Haydn, Text von einem unbekannten Bearbeiter nach C. Goldoni. Ort und Zeit der Handlung: Venedig, um 1750. UA: 3.8. 1777 Esterháza; dt. EA (in dt. Sprache) : 20.3. 1932 Schwerin (in einer textlichen und musikalischen Einrichtung von W. M. Treichlinger und M. Lothar). Der gutgläubige Buonafede, Vater zweier begehrenswerter Töchter, ist Anhänger der Astronomie. Dies nutzen die ihm unerwünschten Liebhaber der Mädchen, um ihm eine Reise auf den Mond vorzugaukeln, wo er seine Töchter deren verkleideten Verehrern zuspricht. Nach Aufdecken der Täuschung macht Buonafede gute Miene zum bösen Spiel; alle gemeinsam singen eine Hymne auf den Mond. Die Harmlosigkeit des Textes führte zu zahlreichen Umarbeitungen, in welchen insbesondere der Ausklang dramatischer gestaltet wurde: der betrogene Vater gibt den Verbindungen seinen Segen erst unter der Drohung, andernfalls dem Gespött der Öffentlichkeit preisgegeben zu werden. Von Haydns Musik sind vor allem die tonmalerischen Partien (schimmerndes Mondlicht, Einzug des Mondkaisers) hervorzuheben. In Deutschland wurde das Werk in der Bearbeitung von 1932 beliebt. K. LANGROCK WELTE, Michael, * 28. 9. 1807 Vöhrenbach (Schwarzwald), t 17. 1. 1880 Freiburg i. Br.; dt. Spieluhrenmacher. Er gründete 1832 in Vöhrenbach eine Musikwerkfabrik und entwickelte 1845 das bis ins 20. Jh. weitverbreitete, von G. N. Mälzel konstruierte Orchestrion entscheidend weiter. Das Orchestrion besitzt eine mechanisch- bzw. elektrisch-automatische Vorrichtung, mit der Metallzungen und Pfeifen mittels einer gelochten Papierrolle oder einer Stiftwalze zum Klingen gebracht werden. Die 1872 nach Freiburg verlegte
Werbemusik Firma Weite & Söhne baute 1904 das „Welte-Mignon-Reproduktions-Piano" und 1913 auch die „Weite-Philharmonie-Orgel". Einige dieser Instrumente sind erhalten. W.-Rollen wurden in den ersten Jahrzehnten von berühmten Komponisten und Interpreten bespielt (u. a. von E. Grieg, F. Busoni, Cl. Debussy und M. Reger). Ihre Wiedergabe auf den entsprechenden Instrumenten und ihre neuerliche Aufnahme auf heute übliche Tonträger erlauben originelle Rückschlüsse auf aufführungsund spieltechnische Einzelheiten. Die Firma W. erlosch 1954. WENDLING. - 1) Johann Baptist, * 17.6. 1723 Rappoltsweier (Elsaß), t 27. 11. 1797 München; dt. Flötist. Er spielte 1747 in der Hofkapelle in Zweibrücken und war seit etwa 1752 Mitglied des Mannheimer Orchesters (r Mannheimer Schule) und dort einer der herausragenden Virtuosen. W. A. Mozart, der ihn sehr schätzte, verkehrte während seines Mannheimer Aufenthalts 1777-78 in seinem Haus und konzertierte 1778 mit ihm in Paris. Nach der Übersiedelung des kurfürstlichen Hofs blieb W. weiterhin in Mannheim. Er veröffentlichte zahlreiche Duette, Trios und Quartette für und mit Flöte und mehrere Flötenkonzerte. - 2) Dorothea, geborene Spurni, Frau von 1), * 21.3. 1736 Stuttgart, t 20.8. 1811 München; dt. Sängerin (Sopran). Sie wirkte seit 1752 am Mannheimer Hoftheater und galt dort seit 1760 als Primadonna. Mozart schrieb für sie 1778 die Konzertarie Basta, vincesti - Ah non lasciarmi (KV 486a = 295a); bei der UA des Idomeneo 1781 in München sang sie die Ilia. Seit 1790 war sie als Gesanglehrerin tätig. - 3) Elisabeth Augusta (II), Tochter von 1) und 2), * 4. 10. 1752 Mannheim, t 18.2. 1794 München; sie war gleichfalls als Sopranistin am Mannheimer Hoftheater tätig und wurde von ihren Zeitgenossen (u. a. von Chr. M. Wieland) auch wegen ihrer Schönheit verehrt. Mozart schrieb für sie die Anetten Oiseaux, si tous les ans (KV 284d = 307) und Dans un bois solitaire (KV 295b = 308). - Weitere Familienmitglieder waren ebenfalls hauptsächlich in Mannheim tätig: Franz-Anton, Bruder von 1) (1729-86) als Violinist; seine Frau Elisabeth Augusta (I), geborene Sarselli (1746-86) als Sängerin (Sopran), auch sie wirkte (als Elettra) bei der UA von Mozarts Idomeneo mit; Johann Karl (1750-1834), Neffe von 1), als Violinist und Dirigent. Ausg.: Zu 1): F1.-Quartett, op. IO Nr. 6, in: Mannheimer Kammermusik des 18. Jh. I, hrsg. v. H. RIEMANN (1914) DTB 15). Lit.: R. MÜNSTER, W., in: MGG XIV; R. WüRzz, W., in: Grove' XX. — r Mannheimer Schule, W. A. r Mozart (Biographien).
WENZINGER, August, * 14. 11. 1905 Basel;
Schweizer Violoncellist und Gambist. Er studierte am Basler Konservatorium und an der Musikhochschule Köln und war 1929-34 1. Solo-Violoncellist im Städtischen Orchester Bremen. Mit der 1933 von ihm mitgegründeten Schola Cantorum Basiliensis, an der er 1968 ein Gambentrio bildete, bereiste er das In- und Ausland und leitete 1936-43 mit G. Scheck den Kammermusikkreis Scheck-Wenzinger. 1938-70 war er Solo-Violoncellist im Orchester der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel und Lehrer am Konservatorium und leitete 1954-58 die Cappella Coloniensis des WDR Köln. 1958-66 wirkte er als Dirigent barokker Opern bei den Sommerspielen in Herrenhausen (Niedersachsen). 1968 wurde er Leiter des Barock Performance Institute am Oberlin-College in Ohio und unterrichtete 1976-82 als Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien. Schriften: Gambenübung, 2 Bde. (Kas 1935-38); Gambenfibel (Kw 1943) (zus. mit M. Major); Der Ausdruck in der Barockmusik u. seine Interpretation, in: Alte Musik in unserer Zeit (Ka 1968) ( = Musikal. Zeitfragenl3). — Editionen: J. S. Bach, 6Suiten für Solo-Vc. (Kas 1950); J Haydn, Concerto D, Nr. 1 für Vc. u. Streichorch. (Mn — Bas 1950); C. Monteverdi, Orfeo (Kas — Bas 1955); J. Ch. F Bach, Sonate A für Vc. u. B.c. (ebd. 1961).
WERBA, Erik, * 23.5. 1918 Baden bei Wien; östr. Pianist und Musikschriftsteller. W. studierte Klavier und Komposition (J. Marx) an der Musikakademie und Musikwissenschaft (E. Schenk) an der Universität in Wien, wo er 1940 promovierte. 1949 wurde er an der Musikakademie Lehrer für die Fächer Lied und Oratorium (1965 Professor) und war 1964-71 Gastprofessor an der Grazer Musikakademie. W. ist ein international angesehener Liedbegleiter und leitet Kurse für Liedgesang. Er redigierte die Österreichische Musikzeitschriftund Die Musikerziehung. Als Komponist ist er mit Liederzyklen, Kammer- und Orchestermusik sowie Werken für Bühne und Film hervorgetreten. Schriften: J. Marx (W 1964) (= Östr. Komponisten des 20. Jh. 1); H. Wolf oder Der zornige Romantiker (W 1971) (als Taschenbuch W 1978); E. Marckhl (W 1972) (= Östr. Komponisten des 20. Jh. 20). — Ferner zahlr. Aufsätze.
WERBEMUSIK. Werbung in Form von „Spots" begegnet überwiegend im Hörfunk, Fernsehen und Kinofilm, weniger auf Schallplatten. Der Funktion von Musik wird dabei in mehrfacher Hinsicht große Bedeutung zugesprochen. Sie soll: einzelne Spots gegeneinander abheben; für passende, d. h. dem gezeigten Ort angemessene Hintergrundausstattung sorgen; signalartig Aufmerksamkeit erwecken; die Einprägsamkeit des Markennamens besser garantieren, wenn der Name rhythmisiert gesprochen auftaucht; die durch Wie351
Werbemusik derholung gestützte Gedächtniswirkung steigern („Viele, viele bunte Smarties"); dem Artikel eine Art Aura, ein Image mitgeben (exklusive Sektmarke in Verbindung mit „exklusiver" symphonisch-romantischer Musik); aus früher Kindheit bekannte, vage Erinnerungsmuster reaktivieren ; auch dem banalen Artikel (z. B. Körperseife) einen Schein von Bedeutung verleihen; dem potentiellen Käufer mit Musik, die ihm angenehm ist, Sympathie für diesen und keinen anderen Artikel einreden; mittels gezielter musikalischer Stilistik eine Art grober Zielgruppenbestimmung leisten. Schließlich hat sie noch die allgemeine Funktion, den überwiegend statisch vorgestellten Gegenständen einen Schein von Dynamik zu verleihen. Doch das nicht nur allein : der Bedeutungsgehalt von rezeptionsgeschichtlich ausgebildeten musikalischen Vokabeln und Signets (OETonsignet) geht als Informations-„Aufrundung” in den sprachlich oder visuell vorgestellten Werbeinhalt mit ein: Waschmittelwerbung verzichtet, unter dem Druck von Konkurrenz, nie auf die pompöse Sieger-Attitüde, welche sich durch Marschmusik vermittelt. Und selbst dort, wo Kennmelodien verwendet werden, wird oft ein verdeckter Informationsgehalt mitgeliefert, z. B. in „Odol gibt sympathischen Atem", wo die Marseillaise fast wörtlich zitiert ist. Kennmelodien, soweit sie sich mit kindbezogenen Artikeln verbinden, verwenden häufig pentatonisches Material, um kindertümelnd zu wirken. Ähnlich eine versteckte Spekulation in der „Camel"-Werbung: die gepfiffene Melodie ist eine exakte Umkehrung des Hauptthemas aus Peter und der Wolf von S. Prokofjew :
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nicht der „Camel"-Mann geht meilenweit, sondern ein erwachsener Peter. Empirisch ist bislang nicht geklärt, ob der musikalische Zusatz in Werbespots die Kaufbereitschaft erhöht. Soweit Ergebnisse vorliegen, melden sie Zweifel an, ob sich der Markenname mit Hilfe der Musik besser und längerfristig einprägt. Indessen scheint es auf eine Steigerung der Merkleistung weniger anzukommen als auf eine diffuse, sozusagen „klimatische Erwärmung” während der Werbespot-Wahrnehmung, die sich später, im Augenblick der Kaufentscheidung, mittels Erinnerung wieder einstellt. Oberdies ist die Wirkung von Musik wahrscheinlich sehr abhängig von der Prädisposition des Zuschauers bzw. Käufers: hat dieser eine bereits gefestigte Vorstellung von diesem oder jenem Artikel und ist er obendrein fähig, den manipulativen Vorgang zu durchschauen (d. h. als musikalischer Ken352
ner), dann dürfte die psychologische Wirkung von Musik vermutlich sehr gering sein. Die Umkehrung freilich ist ebenso wahrscheinlich: die suggestive Wirkung von Musik dürfte bei Entscheidungsunsicherheiten und bei musikalisch Naiven gegeben sein ; auf punktuelle musikalische Reize trainiert, ist ihnen eine musikalische Botschaft von wenigen Sekunden ein verläßlicher Hinweis. Insofern mutet es befremdlich an, daß in der Musikerziehung der letzten 10 Jahre diese Art von Funktionsmusik zum bevorzugten Inhalt avancierte. Dem pädagogischen Ziel einer Unanfälligkeit gegen musikalische Manipulation wäre wohl mit musikalischer Urteilsfähigkeit näher zu kommen als mit der Kenntnis von Reizen, welche diese Urteilsfähigkeit zu unterlaufen trachten. Lit.: H. DE LA MUITE-HABER, Musikpsychologie (Kö 1972); DIES., Angewandte Musikpsychologie (F 1981) (- Funkkolleg
Musik 2); S. HELMS, Musik in der Werbung (Wic 1981). H.-CH. SCHMIDT
WERCKMEISTFR, Andreas, * 30. 11. 1645 Beneckenstein (Harz), t 26. 10. 1706 Halberstadt; dt. Organist, Komponist und Musiktheoretiker. 1658-60 von seinem Onkel Johann Christian W. in Bennungen und 1662-64 von seinem Onkel Victor W. in Quedlinburg ausgebildet, war er seit 1664 Organist in Hasselfelde, seit 1674 Organist und Stadtschreiber in Elbingerode und wirkte 1675-95 als Organist an der Hof- und Stiftskirche St. Servatius und 1677-95 auch an St. Wiperti in Quedlinburg. 1696 wurde er an die Orgel von St. Martin in Halberstadt berufen. W. genoß einen guten Ruf als Orgelsachverständiger und wurde kurz vor seinem Tode zurr Inspektor aller Orgeln im Fürstentum Halberstadt bestellt. Er besaß den schriftlichen Nachlaß von M. Praetorius. WW: Musicalische Privatlust für V. u. B.c. (Quedlinburg 1686); einige Kompositionen für Org. (hsl.). -Schriften: Orgel-Probe (F - L 16811; Musicalische Temperatur (F - L 1686-87); Musicae mathematicae Hodegus curiosus oder richtiger musicalischer Weg-Weiser (F - L 1687); Der Edlen Music-Kunst Würde, Gebrauch u. Mil3brauch (F - L 1691); Hypomnemata Musica ((Nedlinburg 1697); Die nothwendigsten Anmerckungen u. Regeln, wie der Bassus continuus ... könne tractiret werden (Ascherslehen 1698, erweitert 2 17 í 5); Erweiterte u. verbesserte Orgel-Probe ( F L 1698); Cribrum musicum oder musicalisches Sieb (Quedlinburg - L 1700); Organum Gruningense redivivum (Quedlinburg - Aschersleben 1705, Nachdr. Mz 1932); Harmonologia musica (F - L 1702); Musicalische Paradoxal-Discourse (Quedlinburg 1707).
Als Komponist weniger bedeutend, wurde W. durch seine musiktheoretischen Schriften berühmt, die eine wertvolle Quelle nicht nur für die Kenntnis des älteren Orgelbaus (etwa über die 1596 gebaute Orgel des Schlosses in Gröningen), sondern auch für die Musiktheorie und Musikpraxis im späten 17. und frühen 18. Jh. in Deutsch-
Werk land sind. In seiner Schrift Musicalische Temperatur gibt W. mehrere Lösungsvorschläge zum Problem der Temperatur und beschreibt in Hypomne-
mata Musica erstmals eine gleichschwebend temperierte Stimmung. J. S. Bach hat W.s Arbeiten vielleicht durch seinen Vetter J. G. Walther kennengelernt, der 1704 in Halberstadt W.s Schüler war. Ausg.: Hypomnemata Musica, Erweiterte u. verbesserte OrgelProbe, Cribrum musicum ..., Harmonologia musica u. Musicalische Paradoxal-Discourse, Faks.-Ausg. (Hil — NY 1970); Erweiterte u. verbesserte Orgel-Probe hrsg. v. D.-R. MOSER (Kas 1970) (— DM1 1/30); Musicae mathematicae Hodegus curiasus ..., Faks.-Ausg. (Hil — NY 1972). Lit.: W. DUPoNT, Gesch. der musikal. Temperatur (Nördlingen 1935); W. SERAUKY, A. W. als Musiktheoretiker, in: FS M. Schneider (Hl 1935); H. PFROGNER, Der Clavis in A. W.s „Nothwendigsten Anmerckungen u. Regeln ...", in: Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (Kas 1954); R. DAMMANN, Zur Musiklehre des A. W., in: AfMw 11 (1954); H. KELLETAT, Zur Tonordnung (Wohltemperierung) im Werke J. S. Bachs, in: Annales Univ. Saraviensis 9/1 (1960); G. J. BUELOW, W., in: Grove. XX.
WERFEL, Franz, * 10.9. 1890 Prag, t 26.8. 1945 Beverly Hills (California); östr. Dichter. Er studierte in Prag und lebte seit 1917 als freier Schriftsteller vorwiegend in Wien. Dort lernte er Alma Mahler-Gropius, Witwe G. Mahlers und Frau des Architekten Walter Gropius, kennen, die er 1929 heiratete. 1938 emigrierte er nach Frankreich, dann über Spanien und Portugal 1940 in die USA. Er war Mitgründer des literar. Expressionismus, wandte sich später aber stärker dem Realismus zu. W.s eher emotionaler Zugang zur Musik wandelte sich zu einem kritisch-sachkundigen Verständnis durch seine Beschäftigung mit den Opern G. Verdis. Sein „Roman der Oper" Verdi (B 1924 u. ö.), die Nachdichtungen mehrerer Libretti von VerdiOpern sowie einige Abhandlungen haben entscheidend zur Verdi-Rezeption in Deutschland und Österreich beigetragen. W. besorgte auch eine Ausgabe von Briefen Verdis (übersetzt von Paul Stefan, W 1926). WW: Kompositionen auf Texte W.s: C. Orff, Des Turmes Auferstehung(1920) für Solo, Chor u. Orch. u. die Kantaten Veni Creator, Der gute Mensch u. Fremde sind wir(1921); E. Krenek, Oper Die Zwingburg (1924); D. Milhaud, Oper Maximilien (nach Juarez u. Maximilian) (1930); K. Weill, Musik zum Drama Der Weg der Verheil3ung (The Eternal Road) (1937); H. W. Henze, Arie Der Vorwurf (1948); G. Klebe, Oper Jakobowsky und der Oberst (1965). Ausg.: Gesammelte Werke, hrsg. v. A. D. KLARMANN (B — Sto 1948 ff., F 1950-59); Zwischen Oben u. Unten, ... aus dem Nachhrsg,. v. DEMS. (Mn 1976) (Prosa, Tagebücher, Aphorismen, Lit.-Nachträge). Lit.: A. D. KLARMANN, Musikalität bei W. (1931) (— Diss. Univ. of Philadelphia); J. MITrENzwEI, W.s Bedürfnis nach einer musikal. „unio mystica", in: Das Musikal. in der Lit. (H 1962); W. MÜLLER-BLATTAU, F. W. u. die Musik, in: FS E. Valentin (Rb B. A. KOHL 1976).
WERK. Die umgangssprachliche Bestimmung, ein Musikwerk sei ein von einem oder mehreren Komponisten geschaffenes, schriftlich vorliegendes, einmaliges und in sich geschlossenes musikalisches Gebilde von einem gewissen Umfang und Wert, birgt an allen Stellen Probleme, die unter den verschiedensten Gesichtspunkten hervortreten. Ein juristisch tragfähiger W.-Begriff unterstreicht den Aspekt der Autorschaft des Urhebers und bildet somit z. B. einen Gegensatz zum Begriff der O Bearbeitung; ein philologischer Werkbegriff (O Edition) subsumiert wertfrei auch Fragmente u. verworfene Produktionen eines Autors; unter musikhistorischem Aspekt läßt sich werkhafte Musik von improvisierter (nach dem Prinzip der schriftlichen Fixierung) ebenso klar unterscheiden wie von Volksmusik (nach dem Prinzip individueller Autorschaft). Die um 1950, angeregt auch durch Th. W. Adorno, einsetzende Diskussion des W.-Begriffs in der Musik (bes. innerhalb der Musikästhetik u. der systematischen Musikwiss.; vgl. Lit.-Verz.) entzündete sich zunächst an dem Problem, daß kein Musikwerk schon - wie z. B. ein W. der Bildenden Künste - als sinnlich erfahrbares Endprodukt vorliegt, sondern stets nur als Anweisung zur Realisierung an einen Ausführenden. Erst im Zusammenwirken aller Instanzen entfaltet es sich zu der vom Autor vorgesehenen Realität. Nach dem Verhältnis zwischen Autor, schriftlicher Fixierung und Realisation lassen sich unter systematischem Aspekt zumindest drei W.-Typen unterscheiden: das „imperative" W., dessen Fixierung (z. B. eine konventionelle Partitur) Vorschriften zur Realisierung enthält, sowie - als sich um dieses gruppierende Extremfälle - das „offene" W., das dem Interpreten die Aufgabe der „Komposition" anhand vorgegebener Materialien weitgehend überträgt, und das „synthetische" W., dessen z. B. auf Klangmontage beruhendes Endprodukt einen im eigentlichen Sinn musizierenden Ausführenden ausschließt. - Opus, 2' Res facta. Lit.: TH. W. ADORNO, Philos. der neuen Musik (TO 1949); DERS., Über den Fetischcharakter in der Musik u. die Regression des Hörens, in: Dissonanzen (Gö 1956); R. INGARDEN, Unters. z Ontologie der Kunst. Musikwerk, Bild, Architektur, Film (TO 1962); W. BENJAMIN, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (F 1963); TH. W. ADORNO, Musikal. Warenanalysen, in: Quasi una fantasia (F 1963); K. BLAUKOPF, Werktreue u. Bearbeitung (Karlsruhe 1968); A. FEIL, Musikmachen u. Musikwerk, in: Mf 21 (1968); Z. LISSA, Über das Wesen des Musikwerkes, in: ebd., Wiederabdruck in: Neue Aufsätze z. Musikästhetik (Wilhelmshaven 1975) (— Taschenbücher z Musikwiss. 38); C. DAHLHAUS, Plädoyer für eine romantische Kategorie. Der Begriff des Kunstwerks in der neuesten Musik, in: NZfM 130 (1969); DERS., Über den Zerfall des musikal. Werkbegriffs, in: Beiträge 1970/71 (Kas 1971); U. DIBELIUS, Das verfemte Opus. Zur Problematik des Werkbegriffs in der Kunst der
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Werner Gegenwart, in: Musica 26 (1972); H. H. EGGEBRECHT, Opusmusik, in: SMZ 115 (1975), Wiederabdruck in: Musikal. Denken (Wilhelmshaven 1977) (- Taschenbücher z Musikwiss. 46); DERS., Musikal. W. u. ästhetischer Wert, in: ebd.; R. CADENBACH, Das musikal. Kunstwerk (Rb 1978) (- Perspektiven z. Musikpädagogik u. Musikwiss. 5); S. NACHTSHEIM, Die musikal. Reproduktion (Bonn 1981) (- Aachener Abh.en z Philos. 1); Systematische Musikwiss., hrsg. v. C. DAHLHAUS - H. DE LA MOTTE-HABER (Wie 1982) (- Neues Hdb. der Musikwiss. 10). R. CADENBACH
WERNER, Gregor Joseph, getauft 29. 1. 1693 Ybbs an der Donau (Niederösterreich), t 3.3. 1766 Eisenstadt; östr. Komponist. Er wirkte seit 1728 als Kapellmeister des Fürsten Esterházy in Eisenstadt. Seit 1761 wurde er durch J. Haydn als Vizekapellmeister unterstützt, hatte aber von dem „Gsanglmacher", wie er ihn nannte, keine hohe Meinung. Haydn seinerseits veröffentlichte noch 1804 eine Sammlung von Präludien und Fugen aus Oratorien seines einstigen Vorgesetzten. WW: Symphoniae sex senaeque sonatae, Kirchensinfonien u. Kammersonaten für 2 V. u. B.c. (Au 1735); ... Musicalischer Instrumental-Calender, Parthien-weiss für 2 V. u. B.c., in die zwölft Jahr-Monat eingetheilet und ... mit Bizzarien und seltzamen Erfindungen herausgegeben (Au 1748); Zwey ... lustige musicalische Tafel-Stücke, I: Der Wiennerische Tändlermarckt, II: Die Bauren-Richters-Wahl für 4-5 St., 2 V. u. B.c. (Au o.J), das 1. Stück separat (W 1779). - HsL erhalten: weitere Triosonaten; Pastorellen für Org. u. Str. u.a. Instr.; Org.-Konzerte. Ferner zahlr. Messen u.a. kirchenmusikal. Werke, darunter 75 Marianische Antiphonen; Pastorellen für 4 St., Instr. u. B.c. - 20 dt. Oratorien für Eisenstadt.
W.s Werke zeigen außergewöhnliche satztechnische und formale Vielfalt: strenge Kontrapunktik in den A cappella-Messen, neapolitanischer Mischstil in den Kantaten-Messen und Oratorien, programm-musikalische Buntheit in den Suiten des Instrumental-Calenders, volkstümliche Elemente in den weihnachtlichen vokalen und instrumentalen Pastorellen. Ausg.: Instr.-WW: Kleine Hirtenmusik u. 2 Pastorellen für Org. u. Str., hrsg. v. E. F. SCHMID (Kas 1934-39); Musicalischer Instrumental-Calender, hrsg. v. F. STEIN (1956) (- EDM 31); 6 Präludien u. Fugen für Streichquartett oder -orch. nach der Erstausg v. Haydn, hrsg. v. E. F. SCHMID (Au 1957); dass., hrsg. v. W. HöKKER (Wilhelmshaven 1963); Symphonia da chiesa für Str. u. B. c., hrsg. v. I. SULYOK (Budapest 1969); Concerto per la camera a 4, hrsg. v. R. MODER (H - Lo 1971). - Pastorella de Nativitate Domini sowie Puer natus u. In dulci jubilo für Chor, Instr. u. B.c., hrsg. v. E F. SCHMID (Kas o.J.); Der Wiennerische Tändlmarckt, hrsg. v. R. MODER (W 1961) (- Diletto musicale 81); Te Deum u. Requiem für Soli, Chor u. Orch., hrsg. v. 1. SULYOK (W 1968 u. 1969). Lit.: H. DOPF, Die Messenkompositionen G. J. W.s (Diss. masch. I 1956); CH. J. WARNÉR, A Study of Selected Works of G. J. W. (1965) (- Diss. Catholic Univ. of America); H. UNVERRICHT, W., in: MGG XIV; DERS., W., in: Grove" XX.
WERSTOW§KI, Alexei Nikolajewitsch, * 18.2. (1.3.) 1799 auf dem väterlichen Gut Seliwjorstowo
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(Gouvernement Tambow), t 5. (17.) 11. 1862 Moskau; russ. Komponist. W. studierte 1816-17 Ingenieurwissenschaften in St. Petersburg und nahm gleichzeitig Unterricht in Klavier (D. Steibelt, J. Field), Gesang und Komposition. Er befreundete sich mit vielen Schriftstellern, u. a. mit A. Puschkin, übersetzte französische Theaterlibretti, wirkte in Liebhaberaufführungen mit und schrieb Musik zu Schauspielen. Ersten kompositorischen Erfolg hatte er bereits 1819 mit dem Vaudeville Babuschkiny popugai (Großmutters Papageien). 1823-25 arbeitete er in der Kanzlei des Moskauer Gouverneurs D. W. Golizyn, wurde 1825 Musikinspektor der Moskauer Kaiserlichen Theater, 1830 Repertoire-Inspektor und leitete 1848-60 das Moskauer Theaterbüro. 1833 absolvierte er als Externer die Moskauer Universität. W. war der bedeutendste Vertreter der russischen Oper vor M. Glinka. Obwohl fast gleichaltrig, blieb er musikgeschichtlich zeitlebens nur dessen Vorläufer. Gleichwohl genossen seine Werke, vor allem die Oper Askolds Grab, außerordentliche Popularität. Sie beruhte vorwiegend darauf, daß W. Elemente des bäuerlichen und städtischen Liedes und Tanzes sowie der Romanze und des Zigeunerlieds zu einer volkstümlichen Musiksprache mit einfacher Faktur und meist akkordischer Begleitung verschmolz. Zahlreiche Lieder aus seinen Opern und Couplets wurden in das städtische Liedgut übernommen. W.s Verdienst ist ferner, neben A. Aljabjew und F. Scholtz das aus Paris übernommene Vaudeville (in Rußland auch „operawodewil") gepflegt, weiterentwickelt und dem russischen Geschmack angepaßt zu haben. WW: Etwa 800 Lieder u. Romanzen; Messe; 3 geistl. Konzerte; Kanuten u. Chöre. - Opern: Pan Twardowsk4 UA: Moskau 1828; Wadim, UA: ebd. 1832; Askoldowa mogila (Askolds Grab), UA: ebd. 1835; Taska po rodine (Heimweh), UA: ebd. 1839; Son na jawu ili Tschurowa dolina (Im Wachen geträumt oder Das Tschur-Tal), UA: ebd. 1844; Gromoboi (Das Gewitter), UA: ebd. 1857. - Musik zu 32 Vaudevilles, z.T. in Zusammenarbeit mit anderen Komp.en (A. Aljabjew, F. Scholtz u. Mich. Wielgorski). Lit.: B. W. DoBRocHOTow, A. N. W. (Mos - Leningrad 1949); A. GOSENPUD, Russki operny teatr XIX weka (1836-56) (Leningrad 1969); A. W. WOINOWA, Vorwort u. Kommentar zu: A. N. W., Romansy, pesni i kuplety is musyki k wodewiljam i pjeE. STÖCKL sam (Mos 1971).
WERT (Vuert, Werth), Giaches de (Jaches de), * 1535 Antwerpen oder Weert bei Antwerpen, t 6.5. 1596 Mantua; flämischer Komponist. Er war Chorknabe am Hofe der Maria di Cardona, Marchesa della Padula, in Avellino bei Neapel. Um 1550 ging er möglicherweise für einige Zeit nach Ferrara und ist 1558 als Kapellmeister des Herzogs Alfonso Gonzaga in Novellara bei Modena nachgewiesen. 1561 wurde er Mitglied der
Wesley Hofkapelle in Parma unter C. de Rore und 1563 Kapellmeister des Herzogs Gonsalvo Fernández de Cordua, des Statthalters von Mailand. Seit 1565 wirkte er in Mantua als Kapellmeister der herzoglichen Kapelle S. Barbara und als Komponist und Kapellmeister des Herzogs Guglielmo Gonzaga. Vielen Anfeindungen ausgesetzt und durch seine Frau, die sich mit einem seiner Gegner eingelassen hatte, in einen Skandal verwickelt, blieb ihm gleichwohl die Gunst des Herzogs erhalten, der ihm 1580 das Bürgerrecht von Mantua verlieh. WW (teilweise mit zahlr. Aufl.): 11 Bücher Madrigale für 5 St. (V 1558-95), ein weiteres Buch senza nome (V 1604); Madrigale für 4 St. (V 1561), für 6 St. (V 1567); Canzonette villanelle für 5 St. (1589). — 2 Bücher Motetten für 5 St. (V 1566, 1581); Modulationes für 6 St. (V 1581); diese 3 Slgen. in 1 Bd. (NO 1583); Nova metamorfosi, Motetten für 5 St. u. B. c. (Mi 1600). Zahlr. weitere Motetten, 8 Messen, Magnificats u. I Markus-Passion (Turbasätze) für 2-5 Si hsl.; weltliche u. geistliche Werke auch in Sammeldrucken des 16. u. frühen 17. Jh. — Instrumentale Fantasias hsl. erhalten.
W. ist der letzte der im 16. Jh. in Italien wirkenden großen niederländischen Komponisten. Sein Rang gründet insbesondere auf den zahlreichen Madrigalen. In der Tradition C. de Rores stehend, ist ihr Stil ungewöhnlich ausdrucksstark, hat entscheidend vor allem auf die jüngeren Zeitgenossen am Hof zu Mantua eingewirkt, so auch auf Cl. Monteverdi, und ließ W. im 17. Jh. als einen Meister der r Seconda pratica erscheinen. Ausg.: GA, hrsg. v. C. MACCLINTOCK — M. BERNSTEIN (1961 ff.) (— CMM 24), bisher 1-10,12: die 11 Bücher 5st. Madrigale, 14: Canzonette, 15: 4st. Madrigale (1561), 11 u. 13: 5st. Motetten (1566 u. 1581), 17: Messen, Magnificats u. Passion. Lit.: A.-M. BAUTIER-REGNIER, J. de W., in: RBMie 4 (1950); M. BERNSTEIN, The Sacred Vocal Music of G. de W. (1964) (= Diss. Univ. of North Carolina); C. MACCLINTocK, G. de W. ... Life and Works (R 1966) (— MSD 17); M. BERNSTEIN, The Hymns of G. de W., in: Gedenkschrift G. Haydon (Chapel Hill 1969); A. NEWCOMB, Form and Fantasy in W.'s Instrumental Polyphony, in: Studi musicali 7 (1978); C. MACCLINTOCK —1. FENLON, W., in: Grove° XX.
WERTHER, Drame lyrique in 4 Akten von J. Massenet, Text von E. Blau, P. Milliet und G. Hartmann nach J. W. von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers. Ort und Zeit der Handlung: Wetzlar, in den 80er Jahren des 18. Jh.; UA (in dt. Sprache): 16. 1. 1892 Wien (Hofoper), dt. EA: 13. 11. 1892 Weimar, EA der frz. Originalfassung : 16. 1. 1893 Paris (Opéra-Comique). Massenets zweifellos beste Oper stand nicht von Beginn an unter einem guten Stern. Die für 1887 vorgesehene UA an der Pariser Opéra-Comique fiel aus, weil das Theater abbrannte, und so begann die Aufführungsgeschichte erst 1892 mit der UA in dt. Sprache. Der wachsende Erfolg spiegelt sich in den beachtlichen Aufführungszahlen ; al-
lein zwischen den beiden Weltkriegen stand das Werk 55mal pro Jahr auf dem Programm der Opéra-Comique. - Goethes Roman erfuhr gravierende Änderungen durch die Librettisten, denen an bühnenwirksamen Effekten gelegen war: Die Zeitverhältnisse „stimmen" nicht mehr, die Schlußszene (Werther erlangt noch einmal das Bewußtsein und singt mit Lotte das SchluBduett, bevor er in ihren Armen stirbt) wird von vielen Kritikern (darunter auch Cl. Debussy) wegen ihrer „Unglaubwürdigkeit" getadelt, und schließlich erfährt der Charakter Alberts in vergröbernder Schwarz-Weiß-Zeichnung eine Wendung zum Negativen (Albert überläßt Werther die Pistolen, obwohl er die Selbstmordabsicht erkennt). Beeindruckend ist Massenets musikalische „Farbgebung" in den einzelnen Szenen, die - jede mit einem Titel versehen - zu einer überzeugenden Folge von Stimmungsbildern gereiht werden. Richtungweisend in bezug auf spätere Ausprägungen des Monodrams ist das rein symphonische Bild La nuit de Noë1 (4. Akt, 1. Tableau): Charlotte eilt, von Angst um Werther getrieben, durch die weihnachtlich-winterlichen Straßen Wetzlars. R. QUANDT
WESLEY. - 1) Charles, * 11. 12. 1757 Bristol, Ť 23. 5. 1834 London ; engl. Organist und Komponist. Er war der Sohn des Methodisten-Predigers Charles W. und der Neffe des Gründers der Methodisten, John W. (1703-91), dessen Ansichten über die Kraft der Musik im Dienste der Evangelisation von großer Reichweite waren. W. zeigte früh eine außerordentliche musikalische Begabung, doch konnte diese nicht recht zur Entfaltung kommen, weil sein Vater aus religiöser Überzeugung seine Söhne an einer Karriere am Hof hinderte. So konnte W. nur unbedeutende Stellungen als Organist an verschiedenen Kirchen ausüben. Von ihm erschienen u. a. Orgelkonzerte und Streichquartette im Druck. - 2) Samuel, Bruder von 1), * 24.2. 1766 Bristol, t 11. 10. 1837 London; engl. Organist und Komponist. Auch er erregte bereits als Kind musikalisches Aufsehen als eine Art engl. Mozart und komponierte mit 8 Jahren ein Oratorium Ruth (hsl. erhalten). Mit seinem Bruder zusammen veranstaltete er zwischen 1778 und 1785 Subskriptionskonzerte im väterlichen Haus, unternahm Konzertreisen durch England und wurde einer der bedeutendsten Organisten seiner Zeit. Entscheidend war er nach der Jahrhundertwende an der Entstehung der engl. Bachpflege beteiligt. Als Komponist war W. vielseitig und in seiner Gesamtpersönlichkeit eine romantische Erscheinung. Bemerkenswert ist die große Zahl sei355
Wessely ner lateinischen Kirchenmusik, meist Werke in einem höchst differenzierten und harmonisch aparten A cappella-Stil und damit ein origineller Beitrag zur kirchenmusikalischen Restauration des frühen 19. Jahrhunderts. WW: 1) Instr.-WW: Sonaten, Rondos u. a. Stücke für Cemb. oder Klv.; Voluntaries, Fugen u.a. für Org.; Streichquartette u. Kammermusik mit Klv.; für Orch.: 4 Symphonien, 5 Ouvertüren, Konzerte für V., für Klv. u. für Org. - 2) Vokal-WW: 5 Messen u. etwa 50 kirchenmusikal. Werke mit lat. Text; zahlr. Services, Anthems u. Kirchenlieder. - Lieder für l-4 St. u. B.c. oder Klv. ; weltliche A cappella-Werke. - Er gab heraus: J. S. Bach, A New and Corrected Edition of the Preludes and Fugues (- Wohltemperiertes Clavier) (Lo 1810-13) (zus. mit K. F. Horn).
3) Samuel Sebastian, Sohn von 2), * 14. 8. 1810 London, t 19.4. 1876 Gloucester; engl. Organist und Komponist. Er wirkte seit 1826 als Organist an verschiedenen Kirchen, wurde 1839 Bachelor und Doctor of Music in Oxford, 1850 Lehrer für Orgel an der Royal Academy of Music in London und war seit 1865 Organist an der Kathedrale in Gloucester. W. ist der wichtigste Vertreter der Cathedral Music zwischen H. Purcell und H. Stanford. WW: Einige Klv.-, Org.- u. Orch.-Werke. - Zahlr. Services u. Anthems. - Klv.-Lieder, Glees, Partsongs u. a. weltliche Chorwerke. - Mehrere Slgen. von Kirchenliedern, darunter A Selection of Psalms and Hymns (Lo 1864); ferner die Schrift A Few Words on Cathedral Music (Lo 1849). Ausg.: The Wesleys, hrsg. v. G. PHILIPS - P. F. WILLIAMS (Lo um 1960 u. um 1961) (Org.-Musik). - Zu 2): Symphonie in DDur, hrsg. v. R. PLATT (Lo 1976); Ave maris stella, lirsg. v. J. MARSH (Lo 1977). Lit.: G. W. SPINK, S. S. W. Biogr. Sketch, in: MQ 78 (1937); E. RoUTLEY, The Musical Wesley's (Lo 1968); H. AMBROSE, The Anglican Anthems and Roman Catholic Motets of S. W., 2 Bde. (1968-69) (- Diss. Univ. Boston); A. W. SCALES, Selected Unpublished Anthems of C. W. jr. (1969) (- Diss. Univ. of South California); B. MATrHEws, C. W. on Organs, in: MT 112 (1971); J. T. LIGHTwoon, S. W., Musician, the Story of his Life (NY 1972); J. SCHWARZ, S. and S. S. W., The English „Doppelmeister", in: MQ 59 (1973); W. SHAW, The Achievement of S. S. W., in: MT 117. (1976); P. CHAPPELL, Dr. S. S. W. (Great Wakering 1977); N. TEMPERLEY, W., in: Grove. XX
WESSELY, Othmar, * 31. 10. 1922 Linz; östr. Musikforscher. Er studierte am Bruckner-Konservatorium in Linz, an der Musikakademie Wien und an der Wiener Universität (E. Schenk), wo er 1947 mit der Dissertation A. Bruckner in Linz promovierte und sich 1958 habilitierte. 1963-71 war er Professor und Direktor des Instituts für Musikwissenschaft in Graz. 1971 wurde er Ordinarius an der Universität Wien und 1974 Präsident der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich. W. ist mit der Musikforscherin Helene W., geborene Kropik, verheiratet (* 29.7. 1924 Wien). Schriften: Musik in Oberöstr. (Linz 1951); J. J. Fux u. J Mattheson (Gr 1966); J J. Fux u. A. Vallotti (Gr 1967); Zur ars inve-
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niendi im Zeitalter des Barock, in: Orbis musicae 1 (Tel Aviv 1971-72); Musik (Da 1973); Über den Hoquetus in der Musik zu Madrigalen des Trecento, in: De ratione in musica. FS Erich Schenk (Kas 1975). - Er gab heraus: Erginzungen, Berichtigungen u. Nachträge zu E L Gerbers Tonkünstler-Lexika (Gr 1969); Bruckner-Studien (W 1975) (darin v. ihm selbst Bruckners Mendelssohn-Kenntnis). - Editionen: In der Fux-GA die Bde. 1/2, IV/2, V/2, VI/ 1 u. VII/ 1 (1964-76); Frühmeister des Stile nuovo in Čfstr. (1973) (- DTÓ 125).
WEST, Lucretia, * 13. 11. 1922 Virginia (Minnesota); amerik. Sängerin (Alt). Sie studierte an der Howard University in Washington und bei Mae Browner in New York, außerdem in Paris und Wien. 1952 wurde sie an die City Center Opera in New York engagiert, profilierte sich dann aber als Lied- und Oratoriensängerin. Vor allem mit Liedern J. Brahms', G. Mahlers und M. Regers gastierte sie in den 50er und 60er Jahren in den Musikmetropolen der Welt. WEST COAST JAZZ, Sammel-Bz. für die verschiedenen Idiome des Jazz, die in den 50er Jahren an der Westküste der USA entstanden sind. Repräsentanten des W. sind überwiegend Euroamerikaner mit einer akademischen Musikausbildung. Im Gegensatz zum East Coast Jazz oder Hardbop bezeichnet der Terminus W. keinen einheitlichen Stil, denn er schließt heterogene Tendenzen ein, denen lediglich der Verzicht auf die Emphase des Blues sowie die Orientierung an einem europäischen, geglätteten Klangideal gemeinsam ist. Eine Gruppe von Musikern, zu der Chet Baker und Gerry Mulligan zählen, setzt die Combo-Tradition des Swing fort (Mainstream Jazz) und berücksichtigt auch die harmonischen Neuerungen des Bebop, Modern Jazz und des Cool Jazz. Andere, z. B. der Pianist Dave Brubeck sowie die Arrangeure Ralph Burns und Pete Rugolo, experimentieren mit Formen und Techniken europäischer Kunstmusik des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Als bedeutendste Big Band des W. gilt das Orchester Stan Kenton, dessen Manier auch Progressive Jazz genannt wurde. Lit.: C. G. HERZOG ZU MECKLENBURG, Stilformen des modernen Jazz. Vom Swing z. Free Jazz (Baden-Baden 1979) (- Slg. musikwiss. Abh.cn 63); U. KURTH, Als der Jazz „cool" wurde, in: Musik 50er Jahre, hrsg. v. H. W. Heister - D. Stern (B 1980).
WESTERGAARD, Peter Talbot, * 28. 5. 1931 Champaign (Illinois); amerik. Komponist und Musiktheoretiker. Er studierte 1949-53 Komposition bei W. Piston an der Harvard University in Cambridge (Mass.), 1953-54 bei D. Milhaud in Paris, 1954 -56 bei R. Sessions an der Princeton University (N. J.) und 1956-58 bei W. Fortner in Detmold und Freiburg im Breisgau. Danach lehrte er
West Side Story bis 1966 an der Columbia University in New York, 1967-68 am Amherst College und seit 1968 an der Princeton University. WW: 1) Kompositionen: Quarteu (1960) für Klv., Vibraphon, V. u. Vc.; Moto perpetuo (1976) für Fl., Ob., Klar., Trp. u. Horn; Variationen für 6 Instr. (1963); Symphonic Movement (1954) u. Five Movements (1958) für (kleines) Orch. - Kantaten: The Plot Against the Giant (1956) (Text: W. Stevens) für Frauenchor, Klar., Vc. u. Harfe; A Refusal to Mourn the Death ... (1958) (Text: D. Thomas) für BaB u. 10 Instr.; Leda and the Swan (1961) (Text: W. B. Yeats) für Mezzosopran, Klar., Vibraphon u. Marimba. - Opern: Charivari UA: Cambridge 1953; Mister and Mistress Discobbolas, UA: New York 1966; The Tempest (1974). - 2) Schriften: Some Problems in Rhythmic Theory and Analysis in: Perspectives of New Music 1 (1962/63); Toward a Twelve-Tone Polyphony, in: ebd. 4 (1965/66); On the Problems of„Reconstruction from a Sketch": Webern's „Kunfttag 3" and „Leise Düfte", in: ebd. 11 (1972/73); An Introduction to Tonal Theory(NY 1974). W. ist Mit-Hrsg. v. Perspectives of New Music
WESTERN MUSIC, Country music, Country & Western music, Bz. für eine in den 20er und 30er Jahren in den USA entstandene Art der Unterhaltungsmusik. Die W. knüpft an die Folklore der weißen Südstaaten-Siedler an. Diese wiederum besitzt britische Wurzeln, hat aber im Laufe ihrer eigenen Entwicklung afro-, franko- und hispanoamerik. Elemente assimiliert (r Hillbilly music). Ihre wichtigsten Instrumente sind Geige, Gitarre und Five-String-Banjo. Ihr Gesangsstil leitet sich von der religiösen Praxis des „shape-note-singing" her. - Mit zunehmender Industrialisierung veränderte die Volksmusik ihren Charakter. Sie wurde zur Ware. Die Musiker professionalisierten sich und bezogen die gerade herrschenden Moden ein, in den 30er Jahren etwa den Swing, später den Rockabilly, Rock and Roll und die Rock music. Deren Combo-Besetzungen prägen bis heute den Sound der W., wobei Elektrogitarre und die Steelguitar hervortreten. Auch die Liedertexte haben längst Abschied vom ländlichen Alltag genommen. Die Protagonisten der W., z. B. Johnny Cash und Gene Autrey, wählen überwiegend Themen, die eine vorindustrielle, heile Welt verklären. Ihre Helden sind u. a. Cowboys, intakte Familien, enttäuschte Liebende. Medien der W. sind WildwestFilme (daher der Name), Radiostationen, Schallplatten und selbstverständlich auch das Fernsehen. Ihr geographisches und kommerzielles Zentrum liegt in Nashville. In den USA gilt sie als bevorzugte Musik der konservativen sog. schweigenden Mehrheit. Daneben hat sich eine Tendenz über die Zeiten gerettet, die den rebellischen Charakter der Ursprünge bewahrt. Ihre bedeutenden Vertreter, z. B. Pete Seeger und Woodie Guthrie, haben vor allem die Protestsong-Bewegung der 60er und 70er Jahre maßgeblich beeinflußt, etwa Sänger wie Bob Dylan und Joan Baez.
Lit.: B. C. MALONE, Country Music, USA. A Fifty-Year History (Austin/Tex. 1968); G. LONDON - I. STAMBLER, Encyclopedia of Folk, Country and Western Music (NY 1969); S. D. PRICE, Take me Home. The Rise of Country and Western Music (NY 1974); K. KUHNKE - M. MILLER - P. SCHULZE, Gesch. der Pop-Musik I (NA Lilienthal - Bremen 1976). U. KURTH
WESTRUP, Sir Jack Allan, * 26.7. 1904 London, t 21.4. 1975 Headley (Hampshire); engl. Musikforscher. Er studierte am Dulwich College und am Balliol College in Oxford. 1933-45 gab er den Monthly Musical Record heraus und war 1934-39 Musikkritiker des Daily Telegraph. 1944-46 war er Lehrer für Musikgeschichte an der Universität Birmingham und 1947-71 Professor of Music an der Universität Oxford, die ihm 1946 die Ehrendoktorwürde verliehen hatte. W. wurde durch die Gedenkschrift Essays on Opera and English Music (hrsg. v. Fr. W. Sternfeld u. a., 0 1975, mit Bibliogr.) geehrt. W. hat auf vielen Gebieten, zumal im Bereich der Erforschung der Oper und der englischen Musik, grundlegende Arbeiten veröffentlicht. Schriften: Purcell (Lo 1937 u.ö., revidierte NA 1975); Haendel (Lo 1938); Liszt (Lo 1939); Sharps and Flats (Gesammelte Schriften) (Lo 1940, Freeport/N.Y. 1970); British Music(NY - Lo 1943, '1949); An Introduction to Musical History (Lo 1955); Bach Adaptations, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 11 (1969); Schubert Chamber Music (Lo 1969); The Paradox of Eighteenth-Century Music in: Gedenkschrift G. Haydon (Chapell Hill 1969); Musical Interpretation (Lo 1971); An Introduction to Musical Hist. (Lo 21973); Parodies and Parameters in: Proc. R. Mus. Assoc. 100 (1973/74). Lit.: P. DENNISON, W., in: Grove" XX.
WEST SIDE STORY, amerik. Musical von L. Bernstein. Buch von Arthur Laurents; Songtexte von Stephen Sondheim. Ort und Zeit der Handlung: New York, in den 50er Jahren. UA: 26.9. 1957 New York (Winter Garden Theater; 734 Vorstellungen); Idee, Regie und Choreographie: Jerome Robbins. EA in dt. Sprache: 25.2. 1968 in Wien (Volksoper). Verfilmt 1961. Angelehnt an W. Shakespeares Romeo und Julia, werden hier die Capulets und Montagues zu verfeindeten Halbstarken-Banden, den einheiinischen Jets und den eingewanderten puertoricanischen Sharks. Der New Yorker Tony liebt Maria, die Schwester des Anführers der Sharks, und versucht Frieden zwischen den Halbstarken zu stiften. Er wird bei einer Messerstecherei getötet. Mit seiner Mischung von lyrischen Liebesszenen, Kritik an der modernen Großstadtgesellschaft, mitreißenden Ballettnummern und anspruchsvoller Musik, wurde die W. zum bis dahin kühnsten Werk des amerik. Musiktheaters. Zu Evergreens wurden: Tonight, Maria, America, I Feel Pretty, Somewhere. R WALLRAF 357
Weyrauch WEYRAUCH, Johannes, * 20. 2. 1897 Leipzig, t 1.5. 1977 ebd.; dt. Komponist und Kirchenmusiker. Er studierte 1919-22 Komposition am Leipziger Konservatorium (S. Karg-Elert) und Musikwissenschaft (H. Abert, H. Riemann, A. Schering) an der Universität. 1924-36 wirkte er in Leipzig als Musiklehrer und Chorleiter, studierte dann noch Orgel bei Fr. Högner am Konservatorium und war bis 1961 Kantor und Organist an verschiedenen Leipziger Kirchen. 1946-67 lehrte er Theorie und Tonsatz an der Musikhochschule (1953 Professor, 1962 Emeritus mit Lehrauftrag). WW: 1) Instr.-WW: Für Org.: Praeludium, Aria e Fuga (1935); 7 Partiten auf das Kirchenjahr (1938); Missa per organum (1952); Sonate (1954); Sonate in Ffür Klv. (1959); Partita über „All mein' Gedanken"(1949) für V. u. Klv.; Eine kleine Spielmusik (1972) für Fl., V., Va. u. Vc.; Sonatina (1966) für Streichorch.; Doppelkonzert (1964) für Fl., Ob. u. Streichorch. — 2) Vokal-WW: Zahlr. Liederzyklen mit Klv.; Vier Evangelienmotetten (1950-64) für Chor a cap. bzw. mit 2 Einzelst. u. Org.; Johannespassion (1958) für 3st. Chor u. Org. (Str. ad lib.); Kantate vom Reich Gottes (1969) für 4-5st. Chor., Org. u. Str.; Kantate von der Liebe (1971); Spruchgesang(1972) für 3st. Chor u. Org. — W. schrieb Zusprüche (L 1977). Lit.: W. ORF, J. W. Biogr. u. Unters. über die Einflüsse traditioneller u. zeitgen. Musik auf seinen Personalstil (Diss. L 1969) (mit Werk-Verz.); DERS., J. W. zum 75. Geburtstag, in: MuK 42 (1972).
WEYSE, Christoph Ernst Friedrich, * 5.3. 1774 Altona, t B. 10. 1842 Kopenhagen; dänischer Komponist. Er war seit 1789 Schüler von J. A. P. Schulz in Kopenhagen, wurde 1792 Hilfsorganist und 1794 1. Organist an der Reformierten Kirche und versah von 1805 bis zu seinem Tod das Organistenamt an der Domkirche. 1817 wurde er Titularprofessor an der Universität, die ihm 1842 die Ehrendoktorwürde verlieh, und 1819 Hofkomponist. WW: 1)Instr: WW: Klv.-Stücke, u.a. Etüden u. Allegri di bravura (B 1796 u. Z 1804); Präludien u. Fugen für Org. — 7 Symphonien (1795-99). — 2) Vokal-WW: Miserere (1818) u. Te Deum (1826) für Chor u. Orch.; Choral-melodier til den evangelisk-christelige psalmebog (Kop 1839); geistl. u. weltl. Kantaten; Chöre; Klavierlieder, u.a. 8 Morgensange (Kop 1837), 7 Aftensange (Kop 1838); postum erschien die umfangreiche Sig. Romancer og Sange (Kop 1852-60). — 3) Bühnen-WW: Singspiele Sovedrikken (Schlaftrunk), UA: Kopenhagen 1809; Faruk, UA: ebd. 1812; Ludlams kule, UA: ebd. 1816. — Bühnenmusik.
W. war in seiner Zeit als Kirchenkomponist und Organist die beherrschende Persönlichkeit des dänischen Musiklebens und international namentlich durch seine Klavierwerke bekannt. Sein eigentlicher Nachruhm beruht in Dänemark indessen bis heute auf dem Singspiel Sovedrikken mit seiner reizvollen Verbindung von dänischem Naturgefühl und Elementen der italienischen und französischen Oper des späten 18. Jh., auf den Kirchen- und Universitätskantaten sowie ganz besonders auf den überaus populären 3st. Liedern (dar358
unter der Weihnachtsgesang Julen har bragt velsignet Bud) und auf den Klavierliedern und -romanzen. Mit der volksnahen Melodik seiner Lieder steht W. in der unmittelbaren Tradition von Schulz und hat damit seinerseits die Entwicklung der Vokalmusik seiner Wahlheimat maßgeblich bestimmt. Lit.: Kompositionen v. C. E. F. W., Thematisch-bibliogr. Kat., hrsg. v. D. FOG (Kop 1979). — J. P. LARSEN, W.s Sange (Kop 1952); G. COCKSHOTT, Some Songs of Ch. E. F. W., in: MT 91 (1950); N. M. JENSEN, Den danske romance 1800-50 og dens mus. forudsaetninger (Kop 1964) (mit dt. Zusammenfassung); J. P. LARSEN, W., in: Grove. XX.
WHITE (Whyte), Robert, * um 1535, begraben 11. 11. 1574 London; engl. Komponist. Er wurde 1560 Bachelor of Music der Universität Cambridge, wirkte als Chormeister 1562d6 an der Kathedrale in Ely, seit 1566 vermutlich in Chester und seit 1570 an der Westminster Abbey. W.s Instrumentalfantasien gehören zu den frühesten Beispielen dieser Gattung in England. Von seinen geistlichen Werken verdienen die Lamentationen und das Miserere mei Deus (51. Psalm) wegen ihrer expressiven Textausdeutung besondere Erwähnung. WW (hsl. erhalten): 6 In Nomine u.a. Stücke für Violenconsort; 2 Sätze für Tasteninstr. — 20 lat. u. einige engl. kirchenmusikal. Werke. Ausg.: Vokalmusik, hrsg. v. P. C. BUCK u.a. (Lo 1926, Nachdr. NY 1963) (— Tudor Church Music 5); The Instrumental Music, hrsg. v. I. SPECTOR (Madison/Wis. 1972) (= RRMRen 12). Lit.: I. SPECTOR, The Music of R. W., in: The Consort 23 (1966); F. HUDSON, R. W. and his Contemporaries. Early Elizabethan Music and Drama, in: FS E. H. Meyer (L 1973); D. MATEER, A Comparative Study and Critical Transcription of the Latin Sacred Music of R. W. (1976) (— Diss. Queen's Univ., Belfast).
WHITEMAN, Paul, * 28.3. 1890 Denver (Colorado), t 29. 12. 1967 Doylestown (Pennsylvania); amerik. Bandleader. W. gründete 1919 seine erste Band und unternahm vor allem in den 20er und 30er Jahren mit einem großen Ensemble zahlreiche Tourneen durch die USA. Bei seinem ersten und gleichzeitig bedeutendsten Konzert 1924 brachte er G. Gershwins Rhapsody in Blue zur Uraufführung. Für sein aufwendig besetztes Orchester engagierte er immer wieder namhafte Jazzmusiker, u.a. Bix Beiderbecke; der Sänger Bing Crosby begann hier seine Laufbahn. Während der 30er Jahre verlegte sich W. zunehmend auf Unterhaltungsmusik. 1940 wurde er musikalischer Leiter der Rundfunkstation ABC in New York. Der von ihm entwickelte sogenannte „symphonische Jazz" verbindet Elemente des Jazz und der amerikanischen Populärmusik mit abendländischer Kunstmusik und blieb stets umstritten. Seinen Ehrenna-
Widmann men „King of Jazz" hat W. stets strikt abgelehnt, zumal er seine Musik nicht so sehr als Jazz, sondern allgemein als „amerikanische Musik" verstand. Lit.: T. PALMER, All you need is love. Vom Blues z. Swing, von Afrika z. Broadway, vom Jazz z. Soul u. Rock 'n' Roll (dt. Mn — Z 1977).
WICH, Günther, * 23. 5. 1928 Bamberg; dt. Dirigent. Er studierte an der Musikhochschule in Freiburg i. Br. und begann seine Laufbahn 1952 zunächst als Volontär, dann als 1. Kapellmeister an den dortigen Städtischen Bühnen. 1959 wurde er musikalischer Oberleiter am Opernhaus in Graz, 1961 GMD in Hannover und war 1965-82 GMD der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg. 1969-73 (1970 Professor) leitete er eine Dirigentenklasse an der Folkwang-Hochschule in Essen und wurde 1982 Professor an der Musikhochschule in Würzburg, wo er auch das dortige Hochschulorchester leitet. Als Gastdirigent trat er im Inund Ausland auf. WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG, DER, Komische Oper in 4 Akten von H. Goetz, Text von Joseph Victor Widmann und dem Komponisten nach W. Shakespeares gleichnamiger Komödie (The Taming of the Shrew). Ort und Zeit der Handlung: Padua und Verona, im frühen MA. UA: 11. 10. 1874 Mannheim. Katharina, weibliche Hauptfigur der Oper, ist übellaunig und herrisch; erst als ihr Gatte Petruccio keine Scheu vor ihr zeigt und sie in humorvollerzieherischer Übertreibung unter ihren eigenen Charakterschwächen leiden läßt, wird sie „geheilt". Die innere Wandlung der Katharina wird von Goetz - in Einklang mit Shakespeares Stück nicht in der Art eines feinnetzigen Psychogramms, sondern eher drastisch-bildhaft durch Reihung theatralisch effektvoller und spannungsgeladener Situationen dargestellt. Obwohl das Werk weitgehend durchkomponiert ist, bleibt dabei eine klare Szenen- und Nummernfolge erkennbar. Die musikalische Sprache wird nicht zu einer zusätzlichen Ebene ästhetischer Sinngebung; vielmehr erscheint sie größtenteils auf die einfachen Funktionen der Stimmungsmalerei und des unmittelbaren Affektausdrucks beschränkt: So ist auch die satztechnisch sehr geschickte Verwebung der melodisch selbständigen Oberstimme des Orchesterparts mit den Vokalstimmen in der Regel absolutmusikalischer Zusatz ohne Semantisierung, wird jedoch in Höhepunktsphasen zu einem virtuos beherrschten kompositorischen Mittel der Steigerung. W. A. MAKUS
WIDHALM, Leopold, * wahrsch. 2. 10. 1722 Horn (Niederösterreich), t 11.6. 1776 Nürnberg. Er ist neben M. Alban, M. Klotz und J. Stainer - dessen Instrumente seine Vorbilder waren - der bedeutendste dt. Geigenbauer seiner Zeit. Die genaue Eingrenzung der von ihm gebauten Instrumente ist schwierig, da mit seinem Namen signierte Firmenzeichen von seinen Söhnen noch lange nach seinem Tod verwendet wurden. - W.s Söhne Martin Leopold (1747-1806) und Gallus Ignaz (1752-1822) führten die Werkstatt fort. Ein weiterer Sohn, Veit Anton (* 16. 1. 1756 Nürnberg, t wahrscheinlich 1801 Stadtamhof bei Regensburg), war ebenfalls Geigenbauer, wurde von seinem Vater ausgebildet und arbeitete seit etwa 1774 bei Joseph Buchstetter in Stadtamhof, wo er später eine eigene Werkstatt gründete. Auch er zählte in seiner Zeit zu den besten Vertretern seines Metiers; seine Vorbilder waren Stainer und Stradivari. Sein Sohn Johann Martin Leopold (1799 - nach 1825) wurde 1822 sein Nachfolger. Lit.: W. L. VON LÜTGENDORFF, Die Geigen- u. Lautenmacher v. MA bis zur Gegenwart (F 1904, '61922), Nachdr., 2 Bde. (Tutzing 1968); R. VANNES, Dictionnaire universel des luthiers, 2 Bde. (P 1932, Bru 2 1951); F. HAMMA, Meisterwerke dt. Geigenbaukunst (St 1948, 2 1961).
WIDMANN, Erasmus, getauft 15.9. 1572 Schwäbisch-Hall, t 31. 10. 1634 Rothenburg ob der Tauber; dt. Komponist. Er studierte seit 1589 an der Universität Tübingen und ist als Organist 1595 in Eisenerz (Steiermark) und 1596-98 in Graz nachweisbar. 1599 wurde er Kantor in Schwäbisch-Hall und 1602 Präzeptor und Organist am Hof in Weikersheim, wo er 1607 zum Kapellmeister avancierte. 1613 ging er als Präzeptor und Kantor nach Rothenburg und versah seit 1614 das Organistenamt an der St. Jakobskirche. 1627 bezeichnete er sich als „Poeta laureatus caesareus". W. ist einer der letzten Meister des chorischen Gesellschaftslieds in Deutschland. In dieser Gattting und in seinen geistlichen Werken pflegt er den traditionellen A cappella-Stil und verzichtet auf den Generalbaß. Seine Instrumentalkanzonen gehören zu den ersten ihrer Art. WW (gedruckt in Nürnberg): Geistliche Psalmen und Lieder für 4 St. (1604); Neue Geistliche Teutsche und Lateinische Moteten für 3-8 St. (1619): Piorum suspiria, Motetten für 3-4 St. (1629). — 5 Slgen. Neue teutsche Gesänglein mit unterschiedlichen Titeln für 4-5 St. auch auff allerley Musiralischen Instrumenten zu gebrauchen (1606, 1611, 1613, 1618, 1623); einige Gelegenheitsgesánge. — Gantz Neue Cantzon, Intraden, Balletten und Courranten für 4-5 Instr. (1618). — Lehrwerk: Musica praecepta latino-germanica (1615). Ausg.: Ausgew. Werke, hrsg. v. G. REICHERT (1959) (a EDM, Sonderreihe 3); zahlr. praktische Einzelausg. Lit.: W. VETTER, Das frühdt. Lied, 2 Bde. (Mr 1928); G. REI-
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Widor CHEST, E. W. (St 1951) (mit einigen Kompositionen u. WerkVerz.); D. HÄRTWic, W. in: MGG XIV.
WIDOR, Charles-Marie-Jean-Albert, * 24.2. 1845 Lyon, t 12.3. 1937 Paris; frz. Komponist und Organist. Er war Schüler von Fr.-J. Fétis und J. N. Lemmens in Brüssel und 1869-1933 Organist an St-Sulpice in Paris und mehr als 6 Jahrzehnte eine überragende Persönlichkeit im frz. Musikleben. Am Conservatoire lehrte W. als Nachfolger von C. Franck 1890-96 Orgel, als Nachfolger von Th. Dubois 1896-1904 Kontrapunkt und Fuge und seit 1905 Komposition. 1910 wurde er Mitglied der Académie des Beaux-Arts in Brüssel und 1914 deren Sekretär. Zu W.s Schülern gehören Ch. Tournemire, L. Vierne, A. Schweitzer (den W. zu seiner Bach-Monographie anregte) und M. Dupré, sein Nachfolger an St-Sulpice und künstlerischer Erbe. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Sonaten; Fantaisie italienne Le corricolo(1877); Valses; Conte d'automne(1904). - Für Org.: 8 Sonaten; Suite latine, op. 86 (1927); 3 Nouvelles pièces (1934); 8 Symphonien (1876-80) sowie Symphonie gothique (1895) u. Symphonie romane(1900). - Für Kammermusik: Sérénade für Fl., V., Vc. u. Harmonium, op. 10; Streichquartett (1891); 2 Quintette. - Für Orch.: 4 Symphonien, u. a. Sinfonia sacra mit Org., op. 81 (1908) u. Symphonie antique mit Org. u. Chor (1911); symphonische Dichtung La nuit de Walpurgis (1887?) mit Chor, op. 60; Ouvertune espagnole (1898); Fantaisie mit Klv., op. 62 (1889); Choral et Variation mit Harfe u. Vc. (1900); Konzerte für: Klv., op. 39 u. 77 (1876, 1906) u. Vc., op. 41(1882). - 2) Vokal-WW: Über 40 Lieder; Messe für Doppelchor u. 2 Org., op. 36; Psalm 112; Chant seculaire für Soli, Chor u. Orch., op. 49. - 3) Buhnen-WW: Drames lyriques Maitre Ambro$ UA: Paris 1886, Les pécheurs de SaintJean, UA: ebd. 1905 u. Nerto, UA: ebd. 1924. - Ballett La korrigane, UA: ebd. 1880; Ballett-Pantomime Jeanne d'Arc UA: ebd. 1890. - Bühnenmusik: Conte d'avril (nach W. Shakespeare), UA: Paris 1885; Les Jacobites, UA: ebd. 1885. - 4) Schriften: La technique de l'orchestre moderne (P 1904, 21906), dt Übers. v. H. Riemann (L 1905, engl. Lo 1906 u. 1946); Initiation musicale (P 1923); L'orgue moderne. La décadence dans la facture contemporaine (P 1928). - W. gab heraus: J. S. Bach, Complete Organ Works, 5 Bde. (v. insgesamt 8) (NY 1912-14) (zus. mit A. Schweitzer).
Welt, berühmt ist als Einzelstück besonders die Toccata aus der Symphonie Nr. 5. Lit: 1. PHILIPP, Ch.-M. W., in: MQ 30 (1944); J. HANDSCHIN, Ch.-M. W., in: Gedenkschrift J. Handschin (Be-St 1957); E. MARHEFKA, W.s Orgelkompositionen, in: MuK 29 (1959); H. ALBRECHT, C. Franck, Ch.-M. W. u. A. Guilmant als Orgellehrer. Aus den Erinnerungen ihres Schülers L. Vierne, in: MuG 29 (1975); F. RAUGEL, W., in: Grove° XX. -/Orgel (Musik für OrR. BERNARD gel).
WIECHOWICZ, Stanislaw, * 27. 11. 1893 Kroczyce bei Kielce, t 12.5. 1963 Krakau ; poln. Organist, Dirigent und Komponist. Er studierte am Krakauer Konservatorium, am Dalcroze-Institut in Dresden, am Konservatorium in St. Petersburg und an der Schola Cantorum in Paris. 1921 wurde er Lehrer für Theorie, 1930 Lehrer für Komposition in Posen und 1945 Professor für Komposition an der Musikhochschule in Krakau. Gleichzeitig war er als Musikkritiker tätig. Seine Werke sind von der polnischen Folklore geprägt. WW: 1) Instr.-WW: Für Orch.: Symphonische Dichtung Babic lato (Altweibersommer) (1922); symphonisches Scherzo Chmiel (Der Hopfen) (1926); Koncert staromiejski (Altstšdtisches Konzert) (1948-49). - 2) Vokal-WW: Zahlr. Kantaten, u. a. Pastoralki (Weihnachtskantate) (1929) für Solo-St., Chor u. Schlagzeug; Mruczkowe bajki (Katermärchen) (1930) für Chor a capp.; Kantata romantyczna für Sopran, Chor u. Orch. (1930); Kantata tniwna (Erntekantate) (1948) für Chor a capp.; Kantata Mickiewic zowska (1950) für Chor u. Orch.; List do Marc Chagalla (Brief an Marc Chagall) (1961) für 2 Solo-St., Chor u. Orch. - 3) Geistliche WW: Über 100 Chöre a capp. oder mit Begleitung sowie für kirchlichen Gebrauch umgearbeitete Volkslieder. - Schrift Podstawowe uwagi dia dyrygentów chórowych (Grundsätzliche Bemerkungen für Chordirigenten) (Krakau 1951). Lit: Z. LISSA - J. CHOMINSKI, Zagadnienie folkloru w twórczoici wspólczesnych kompozytorów polskich (Das Problem der Folklore im Schaffen zeitgenössischer polnischer Komponisten), in: Muzyka (1951) Nr. 5-6; J. PROSNAK, S. W., Leben u. Chorwerk, in: Žycie Spiewacze (1954) Nr. 10; T. KACZYIJSKI, „List do Marc Chagalla" Stanislawa Wiechowicza, in: Ruch muzyczny 5 (1961); S. KISIELEWSKI, S. W. 1893-1963, in: ebd. 7 (1963).
W. steht als Organist in einer besonderen Weise in
der Tradition J. S. Bachs. Sein Lehrer Lemmens war Schüler von A. Fr. Hesse, der seinerseits bei J. N. Forkel, dem hervorragenden Kenner der Musik Bachs, studiert hatte. Recht eigentlich ist er aber der Repräsentant der symphonischen Orgel und der Schöpfer der Orgelsymphonie. Seine Schreibweise tendiert zu Virtuosität und dekorativer Gestaltung, wie sie in bestimmten Werken Francks erscheint. Ein Meister koloristischer Mittel, hat bei W. die Gegenüberstellung von Klangfeldern eine elementare Bedeutung, so in dem Wechsel von strengstem Legato und vehementestem Staccato. Generell erweist sich die Orgel für W. mehr als ein Konzertinstrument, als daß sie der Liturgie dient. Seine Werke gehören zum festen Bestand der konzertanten Orgelmusik in aller 360
WIECK, Johann Gottlob Friedrich, * 18.8. 1785 Pretzsch bei Wittenberg, t 6. 10. 1873 Loschwitz bei Dresden; dt. Musikpädagoge. Er studierte bis 1807 Theologie an der Universität Wittenberg und war 9 Jahre Hauslehrer in mehreren Adelsfamilien. In der Musik vorwiegend Autodidakt, gründete er um 1817 in Leipzig eine Pianofortefabrik und eine Musikalienleihanstalt, die jedoch nur kurze Zeit bestanden. 1840 ging er nach Dresden, studierte dort Gesangspädagogik bei Johann Aloys Miksch und war dann mit großem Erfolg als Klavierlehrer tätig, wobei er nach einer am System von J. B. Logier orientierten Methode unterrichtete. W.s Ansehen wuchs besonders durch seine Töchter Clara, die spätere Frau seines Schülers R. Schumann (r Schumann, Clara), und Marie
Wiederholung (1832--1916), eine bekannte Konzertpianistin
und
Musikpädagogin. Ein weiterer bedeutender Schüler war H. von Bülow. Schrift: KJv. u. Gesang (L 1833, '1878); Musikal. Bauernsprüche aus dem Tagebuch eines alten Musikmachers, hrsg. V. MARIE WIECK (Dresden 1871, 2 1876). Lit.: V. Joss, Der Musikpädagoge F. W. u. seine Familie (L 1902); M. WIECK, Aus dem Kreise W.-Schumann (Dresden 1912,
2 1914); K. WALCH-SCHUMANN, F. W. Briefe aus den Jahren 1830-1838 (Kö 1968); F. GOEBELS, W., in: MGG XIV.
WIEDERHOLUNG, Bz. für das wichtigste Prinzip der musikalischen Rhythmus-, Prozeß- und Formbildung. Poesie und Literatur wiederholen grundsätzlich nichts. Allenfalls die Gattungen der Lyrik, die der Musik nahestehen, wie das Lied, kennen Refrains. Anders die Musik: hier beherrscht die W. alle Epochen und Stile, Folklore und Kunstmusik, auch wenn sie nicht überall in gleicher Weise manifest wird. In Kunstproduktionen des 16. und 20. Jh. ist das im allgemeinen weniger sinnfällig als in solchen des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Arten der W. sind so mannigfaltig, daß es schwerfällt, sie zu systematisieren. Unterscheiden kann man erstens W.en, die einen bereits erklungenen Abschnitt Ton für Ton wiederholen, von auskomponierten, die das Vorbild mehr oder weniger abwandeln und variieren. Mechanische W.en werden meist nicht eigens ausgeschrieben, sondern durch W.s-Zeichen (OE Abbreviaturen) oder wörtliche Anweisungen (da capo) angezeigt. Unterscheiden kann man zweitens verschiedene Formen der W.: Die einfachste ergibt sich aus der Fortsetzung eines Modells (a a' a2 ...); diese Form realisieren meist Variationszyklen (sie wiederholen im 17. und 18. Jh. ein harmonisches Modell, oft auch den Baß). Etwas komplizierter ist die Form, die Haydns Klaviervariationen f-moll verwirklichen; hier wechseln 2 gegensätzliche Modelle miteinander ab (a b a' b' a2 b2 ...). Eine andere Variante der einfachen Form ist die Verdoppelung verschiedener, aufeinander folgender Einheiten (aa bb cc ...), eine Form, die etwa die Sequenz kennzeichnet und infolgedessen auch manche Motette, so etwa Josquin des Prés' Vertonung der Sequenz Veni, sancte Spiritus. Eine geschlossene Form ergibt sich, wenn ein erster Abschnitt nach einem zweiten, davon verschiedenen wiederkehrt (a b a). Dieses Schema realisieren viele Kompositionen und Kompositionstypen. Josquin schon gebraucht es in der Chanson Tenez moy, die barocke Arie hat es zur Grundlage (r Da capo-Arie), das Menuett und das Scherzo ebenfalls. Sogar die Sonatensatzform kann als eine hochorganisierte Variante dieses Schemas angesehen werden. Die Erweiterung dieser Form läßt rondoartige Abläufe
entstehen (a b a c a ...). Ihr klarster Ausdruck ist das Rondo der klassischen Instrumentalmusik (OE Rondeau 2). Sie wird jedoch auch in anderen, lockerer gefaßten Gebilden verwendet. J.-B. Lully etwa neigt dazu, lange Reden dadurch musikalisch zu konzentrieren, daß er darin eine oder mehrere Zeilen öfters wiederholt. Zu den aufgezählten W.sModellen kommen viele andere, so die komplizierten Schemata des ma. Liedes, deren einfachstes und bekanntestes die Barform aab ist. Unterscheiden kann man drittens die gänzliche von der teilweisen W.: Gänzliche W.en, mechanische und auskomponierte, findet man dort, wo der ganze Satz mit all seinen wesentlichen Komponenten wiederholt wird. Hier entstehen sinnfällige Symmetrien. Von teilweisen W.en kann man sprechen, wenn nur Satzteile repetiert werden, einzelne Stimmen wie der Tenor in Meßzyklen des 15. Jh., ein rhythmisches Modell wie in isorhythmischen Motetten oder ein Materialfeld wie in Zwölftonkompositionen. Unterscheiden kann man W.en viertens im Blick auf die Dimensionen, die sie erfassen : sie reichen von der elementaren Sinneinheit bis zu riesigen Komplexen. Die kunsthafte W. elementarer Einheiten (auch im Austausch zwischen Stimmen) ist schon in der Notre-Dame-Polyphonie üblich. Man findet sie in der Ornamentation der franko-flämischen Schule und im Barock im Zusammenhang mit den musikalisch-rhetorischen 7 Figuren. Einer eigenartigen Kunst der Motiv-W. und -verschränkung verdanken viele Themen der klassischen und romantischen Musik ihren Rhythmus und organischen Charakter. Weitere eigentümliche Beispiele für das Verfahren der Motiv-W. sind die Figurationstechnik der Instrumentalmusik, so wie sie sich etwa in Fr. Chopins Etüden darstellt, oder R. Wagners Leitmotivik. Zeilen- und Satz-W.en dienen der Bekräftigung wichtiger formaler Positionen, des Anfangs und des Schlusses; in Vokalmusik werden dadurch wichtige Aussagen auch im Innern eines Werkes hervorgehoben. Aus der W. größerer und großer Satzkomplexe ergeben sich die musikalischen Formen im engeren Sinne. Dabei gilt: je höher eine Form stilisiert und organisiert ist, um so höher ist der Grad, in dem W.en auskomponiert werden; es sei denn, es handle sich um große Satzteile, wie die Exposition einer Sonatensatzform, die unverändert wiederholt wird. Endlich und fünftens kann man die W.en im Blick auf die Techniken unterscheiden, denen sie ihr Dasein verdanken. Die Kanon-, die Imitations-, die Fugentechnik, die Technik der motivischen Fortspinnung, der thematischen Arbeit, der entwikkelnden Variation, die Zwölftontechnik und die se361
Wiegenlied nelle Kompositionsweise zeitigen jeweils eigene
W.s-Arten. Lit.: F. L. BÜHRLEN, Ober W.en in der Musik, in: AmZ 46 (1823); R. LACH, Das Konstruktionsprinzip der W. in Musik, Sprache u. Lit. (W 1925) (— Sitzungsber.e der Akad. der Wiss. in Wien 201/2); C. A. HARRIS, The Element of Repetition in Nature and the Arts, in: MQ 17 (1931); G. MASSENKEIL, Die Wiederholungsfiguren in den Oratorien G. Carissimis, in: AfMw 13 (1956); W. HEss, Die Teilwiederholung in der klass. Sinfonie u. Kammermusik, in: Mf 16 (1963); N. TEMPERLEY, Tempo and Repeats in the Early Nineteenth Century, in: ML47 (1966). W. SEIDEL
WIEGENLIED, Bz. für eine einfache, durch die Verwendung eines wiegenden 3/4- oder %Rhythmus als Schlummerlied charakterisierte Volks- bzw. volkstümliche Liedgattung. Als populärstes Lied dieser Art gilt J. Brahms' Guten Abend, gut Nacht (op. 49, Nr. 4); auch Kompositionen wie das weltbekannte Weihnachtslied Stille Nacht heilige Nacht sind dieser Gattung zuzuzählen. Besondere Bedeutung kommt dem W. durch die Übernahme in die Instrumentalmusik zu. In diesem Zusammenhang wurde es vor allem als ř Berceuse von vielen Komponisten vertont. WIELAND, Christoph Martin, * 5.9. 1733 Oberholzheim bei Biberach an der Riß, t 20. 1. 1813 Weimar; dt. Schriftsteller. W., aus dem schwäbischen Pietismus hervorgegangen, ist der wohl bedeutendste deutsche Rokoko-Dichter. Nach Universitätsstudien in Erfurt (Philosophie) und Tübingen (Jurisprudenz) wurde er 1760 Senator in Biberach, 1769 Professor für Philosophie in Erfurt und 1772 Prinzenerzieher in Weimar. 1775 als Hofrat pensioniert, widmete er sich ganz seiner literarischen Tätigkeit, die auch das Singspiel in der Leipziger Tradition Chr. F. Weißes und J. A. Hillers einschloß. Seine Sammlung Dschinnistan oder Auserlesene Feen- und Geistermährchen (1786 bis 1789) wirkte auf das Wiener Volkstheater und beeinflußte auch den Text von W. A. Mozarts Zauberflöte. Nach Texten von W. komponierten A. Schweitzer Alceste (UA Weimar 1773), Fr. X. Süßmayr Idris und Zenide (UA Wien 1795) und C. M. von Weber Oberon (UA London 1826); Gedichte wurden u. a. von C. Ph. E. Bach, J. H. Knecht und J. Fr. Reichardt vertont. 1773-1810 gab W. die erste bedeutende deutsche literarische Zeitschrift, Der teutsche Merkur (seit 1790 Der neue teutsche Merkur), heraus. Ausg.: Werke, 5 Bde., hrsg. V. F. MARTINI — H. W. SEIFFERT (Mn 1964-68). Lit.: E. VALENTIN, „... er kennt mich aber noch nicht so". Mozart-Spuren bei W., in: Acta Mozartiana 8 (1961); C. SOMMER, Ch. M. W. (St 1971) (= Sig. Metzler 95); H.-A. KOCH, Das dt. Singspiel (1974) (— ebd. 133).
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WIENER, Otto, * 13.2. 1913 Wien; östr. Sänger (Baß-Bariton). Er studierte in Wien und debütierte 1939 als Konzertsänger. Seine Bühnenlaufbahn begann er 1953 mit einem Engagement am Opernhaus in Graz. 1956-59 war er Mitglied der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, seit 1957 der Wiener Staatsoper (1964 Österreichischer Kammersänger) und 1960-70 auch der Bayerischen Staatsoper (1962 Bayerischer Kammersänger). W. gastierte an den Musikzentren Europas, sang in den 50er Jahren regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen, u. a. als Hans Sachs, und trat 1963 erstmals an der Metropolitan Opera in New York auf. Er ist international vor allem als Wagner-Sänger bekannt. WIENER KLASSIK, seit dem Ende des 19. Jh. Bz. für die Musik der „Wiener Klassiker" J. Haydn, W. A. Mozart und L. van Beethoven, die als Epochen- und Stil-Bz. in Analogie zur „Weimarer Klassik" J. W. von Goethes und Fr. von Schillers und in Abhebung von r Vorklassik und r Romantik gebraucht wird. - t Klassik. WIENER SÄNGERKNABEN, östr. Knabenchor. Chorknaben in Wien werden 1498 in einer Urkunde Kaiser Maximilians I. als Teil der Wiener Hofmusikkapelle erwähnt. Zu ihren Aufgaben gehörte die feierliche Gestaltung des Hochamts in der Hofburg, später auch die Mitwirkung bei Opernaufführungen. Nach dem Ende der Donaumonarchie 1918 wurde der Chor aufgelöst, aber 1924 als Institut der W. als private Einrichtung von Joseph Schnitt, dem Rektor der Hofburgkapelle, erneut ins Leben gerufen. Das von Schnitt bis zu seinem Tod 1955 geleitete Institut wurde von Walter Tautschnig (* 14. 1. 1917) weitergeführt. Als künstlerischer Leiter wirkte zunächst (1939-45 und 1956-66) F. Grossmann, dann H. Gillesberger. Seit 1948 im Augartenpalais (nicht mehr in der Hofburg) untergebracht, unterhalten die W. eine Volksschule (mit Öffentlichkeitsrecht) und eine (private) Mittelschule mit Internat. Die Finanzierung wird durch Konzerte und Tourneeverträge gesichert. Schon seit 1924 unternehmen die W. regelmäßig Auslandsreisen und wirken außerdem bei Opernaufführungen in der Wiener Staatsoper mit. Seit den 50er Jahren werden vier Chöre von jeweils 24 bis 28 Sängerknaben unterhalten, von denen zwei ständig auf Reisen sind. Die musikalische Arbeit liegt in den Händen von vier Kapellmeistern. - Die Geschichte der W. zeigt Berührungspunkte mit vielen berühmten Musikern. So wurde beispielsweise W. A. Mozart durch die Darbietungen in der Hofburgkapelle zu seinen Messen ange-
Wiener Schule
regt. Fr. Schubert, F. Mottl, Cl. Krauss u. a. gehörten zu den W., aus denen sich auch die Choralschola der Hofmusikkapelle rekrutiert. Das Repertoire der W. umfaßt Werke des 16.-20. Jh. Lit: F. J. GROBAUER, Die Nachtigallen aus der Wiener Burgkapelle. Chronik der k.u.k. Hofsängerknaben (Horn/N.Ö. 1954); B. A. KOHL F. ENDLER, Die W. (Salzburg 1974).
WIENER SCHULE. - 1) Als erste W. Bz. für einen Teil der r Vorklassik. Der Begriff ist oft dem Mißverständnis ausgesetzt, einerseits mit der r Wiener Klassik, andererseits mit der zweiten W. eines A. Schönberg und seiner Schüler verwechselt zu werden. Seit G. Adlers und H. Riemanns polemisch geführter Auseinandersetzung darüber, welche musikgeschichtliche Strömung des 18. Jh. die Musik der r Klassik vorbereitet habe, versteht man unter W. eine Gruppe von Musikern, die in Wien unter den Habsburgern Karl VI. und seiner Tochter Maria Theresia gewirkt haben : J. J. Fux, A. Caldara, Fr. Conti, G. Muffat, G. Chr. Wagenseil, G. Reutter d. J., Fl. GaBmann, M. G. Monn, J. Starzer, Fr. Tuma, Fr. Aspelmayr, L. Hoffmann u. a. Ob es nun diese waren, die die Wiener Klassik vorbereiteten, wie Adler meinte, oder die r Mannheimer Schule, wie es Riemann vertrat, der die Werke dieser Komponisten neu entdeckt und herausgegeben hatte, kann eindeutig nicht entschieden werden. Der Ausdruck W. taucht bereits beim Zeitgenossen D. Schubart auf, der ihr im Gegensatz zur r Berliner Schule „Gründlichkeit ohne Pedanterey, Anmuth im Ganzen, noch mehr in einzelnen Theilen, immer lachendes Colorit, großes Verständnis der blasenden Instrumente, vielleicht etwas zu viel komisches Salz" bescheinigte. Während die ältere Generation der W. (Fux, Caldara, Conti) die Tradition des r Palestrinastils, der Kantate und der Neapolitanischen Oper pflegte, bereitete die jüngere vor allem die klassische r Sonatensatzform bzw. die der Symphonie vor, die sie aus der Opernsinfonia, der Sonata da chiesa (Caldara) und der Suite entwikkelte. Dabei bildete sich im Sonatensatz sowohl ein 2. (kantables) Thema wie auch der Formteil r Durchführung mit ansatzweise motivisch-thematischer Arbeit heraus (Monn, Wagenseil). Auch die Viersätzigkeit des späteren klassischen Zyklus ist durch die Einfügung des Menuetts (Monn, 1740) bereits vorbereitet. Die Vorliebe der W. für die symmetrisch 8taktige Periode und liedhaft volkstümliche Melodik insgesamt und Wagenseils Faible für das Klavierkonzert haben einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die Wiener Klassiker J. Haydn und W. A. Mozart ausgeübt. P.
RUMMEM-IÖLLER
2) Die zweite W. entstand, als Schönberg seine ersten Schüler, darunter A. Webern, annahm, also 1904. Schönberg selbst war zwar Autodidakt, hatte aber doch von A. von Zemlinsky, der noch mit J. Brahms bekannt war und diesem in seiner In-
strumentalmusik folgte, freie Unterweisung erhalten. Brahms' Erbe und das damals die Jugend Faszinierende von R. Wagner sollten auf höherer Ebene verschmolzen werden. Erstrebt wurde dabei höchste Ausdruckskraft mit Dichte der Beziehung aller Einzelheiten zueinander. Der bloß gefällige Wohlklang wurde der „Wahrheit" und Konzentration des Ausdrucks geopfert. An die Stelle der Konvention trat deren Negierung („Kritik"), das, was bislang als natürliche Grundlage der Tonkunst galt, die harmonische Tonalität, wurde von Schönberg (in der Harmonielehre, 1911) als bloßes Kunstmittel betrachtet, auf dessen Anwendung gegebenenfalls verzichtet werden kann. 1906 steigerte sich in Schönbergs Kammersymphonie op. 9 die Polyphonie aufs außerste, 1908 löste sich Schönberg von der Tonalität und von der bis dahin, trotz aller Erweiterungen, verbindlichen Tonsatzstruktur. 1909 wurde die Atonalität erreicht, das was gelegentlich Musikstil der Freiheit genannt wurde und dessen Grundlagen die Emanzipation der Dissonanz, d. h. die Aufhebung des Gegensatzes von Konsonanz und Dissonanz (die Freiheit vom Terzenaufbau der Harmonie), und die musikalische Prosa ist (Schönberg: 3 Klavierstücke, op. 11, 5 Orchesterstücke, op. 16, Monodram Erwartung, op. 17 [alle 1909]; Webern: 5 Stücke für Streichquartett, op. 5, 6 Orchesterstücke, op. 6; Berg: Streichquartett, op. 3). Die Abwendung von der musikalischen Konvention ließ die Werke zu aufs äußerste verdichteten Miniaturen schrumpfen (Schönberg: 6 kleine Klavierstücke, op. 19 [1911]; Webern : Bagatellen für Streichquartett, op. 9, 3 kleine Stücke für Vc. und Klv., op. 11), die bisweilen an der Grenze zum Verstummen standen. Um überhaupt wieder komponieren zu können, wurde versucht, ältere Satzcharaktere als musikalischen „Außenhalt" zu erneuern - so Schönberg, wenn auch in ironischer Distanz, in Pierrot lunaire op. 21 (1912) - und innere Konstruktionen zu realisieren, in denen bestimmte Tonkonstellationen als für ein ganzes Werk verbindlich erklärt wurden, seien dies nur „Motive” oder „Rhythmen" (beides besonders deutlich in Bergs Oper Wozzeck). Alle diese Versuche führten zu Schönbergs Methode der „Komposition mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen", die es erlaubt, eine konsequente r Zwölftonmusik zu komponieren. Die erste Zwölftonkomposition Schönbergs war das Präludium (1921) der Suite für Klv. op. 25, 363
Wiener Schule das erste große Zwölftonwerk war das Quintett für Blasinstrumente, op. 26 (1923/24), ihre klassische Ausprägung erhielt sie im 4. Streichquartett op. 37 (1936). In allen diesen Werken finden sich an der Tradition orientierte Satzcharaktere und -architekturen bei gänzlich neuer Tonhöhenorganisation, einer Organisation, die grundsätzlich keinen Gegensatz von Konsonanz und Dissonanz mehr kennt. Schönbergs ehemalige Schüler, die längst seine Freunde geworden waren, übernahmen ebenso diese Methode, die sie freilich modifizierten und in jeweils verschiedener Richtung entwikkelten, ohne jedoch den Anspruch auf Neuheit, Originalität und Expressivität aufzugeben. - Als „Schule" trat die Komponistengruppe vor allem zur Zeit der Existenz des Vereins für musikalische Privataufführungen in Wien (1919-22) in Erscheinung, in dessen (der Öffentlichkeit unzugänglichen) Veranstaltungen auch eine neue Art der Interpretation erstrebt wurde: mehrmalige Vorführung der Werke nach ausreichender Probenzahl in größtmöglicher Vollendung der Darstellung des musikalischen Inhalts. Hervorragende Musiker, wie der Geiger R. Kolisch und der Pianist E. Steuermann, standen als Interpreten zur Verfügung. Das Ideal dieser Interpretationsart haben dann später insbesondere Webern als Dirigent und Kolisch als Primarius seines Quartetts (Neues Wiener Streichquartett, später: Kolisch-Quartett, in den USA Pro Arte Quartet) realisiert. - Nach dem 1. Weltkrieg vergrößerte sich die Schule. Schönberg unterrichtete erneut in Mödling (bei Wien), dann in Berlin - u. a. H. Eisler, W. Zillig, N. Skalkottas -, aber auch Berg und Webern hatten Schüler, die alle im selben Geist unterwiesen wurden (Webern: L. Spinner, L. Zenk; Berg: Th. W. Adorno, H. E. Apostel). Fand sich die W., durch ihr unbedingtes Festhalten am (höchstmöglichen) Kunstanspruch, in den 20er Jahren in Opposition zum herrschenden Betrieb (der Tagesbedürfnisse zu befriedigen trachtete), so löste sie sich seit den 30er Jahren mehr und mehr auf. Schönbergs Emigration (1933), Bergs Tod (1935), Weberns Vereinsamung und Tod (1945) bezeichnen die Stationen. Schönberg, der an seiner Aufgabe nie irre wurde, konnte gerade noch den Anfang der Zeit erleben, die das Werk der W. in seiner großen Bedeutung nicht nur für die Entwicklung der Kunst, sondern für diese selbst erkennen sollte. - Weberns Werk stimulierte die Entwicklung der seriellen Musik, Bergs Opern leben auf der Bühne, seine Konzerte im Konzertsaal, Schönbergs Universalität wird als die des letzten großen Meisters der Tonkunst gewürdigt. Eisler schließlich gilt den Freunden politisch engagierter Musik als Vorbild. Und selbst 364
Zemlinskys Werke, die grundsätzlich der Tonalität verpflichtet sind, finden heute breite AnerkenR. STEPHAN nung. Lit: Zu 1): D. SCHUBART, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (W 1806); G. ADLER, Einleitung, in: Wiener Instrumentalmusik vor u. um 1750 (1908) ( — DTÓ 15); H. RIEMANN, Hdb. der Musikgesch. I1/3 (L 1913); W. FISCHER, Zur Entwicklungsgesch. des Wiener klass. Stils, in: StMw 3 (1915); R. SONDHEIMER, Die formale Entwicklung der vorklass. Sinfonie, in: AfMw 1 (1922); W. FISCHER, Instrumentalmusik von 1750 bis 1828, in: Hdb. der Musikgesch., hrsg. v. G. Adler (F 1924); G. ADLER, Musik in Östr., in: StMw 16 (1929); W. H. REESE, Grundsätze u. Entwicklung der Instrumentation in der vorklass. u. klass. Sinfonie (B 1940); E. APFEL, Zur Vor- u. Frühgesch. der Symphonie (Baden-Baden 1972); R. FLOTLINGER — G. GRUBER, Musikgesch. östr.s II (Gr — W 1979); P. RUMMENHÖLLER, Die musikal. Vorklassik (Kas 1983). — Zu 2): R. LEIBowITZ, Schoenberg et son école (P 1947), engl. Übers.: Schoenberg and His School (NY 1949, 2 1975); L. ROGNONI, Espressionismo e dodecafonia (Tn 1954), 2., erweiterte Aufl.: La scuola musicale di Vienna (Tn 2 1966); E. WELLESZ, A. Schönberg u. die Anfänge der W., in: ÖMZ 15 (1960); Die W. u. ihre Bedeutung für die Musikentwicklung im 20. Jh., in: ÖMZ 16 (1961) Sonderheft; R. SCHOLLUM, Die W., Entwicklung u. Ergebnis (W 1969); Schönberg — Webern — Berg. Bilder — Partituren — Dokumente (W 1969) (— Museum des 20. Jh., Kat. 36); Die Streichquartette der W. Eine Dokumentation, hrsg. v. U. voN RAUCHHAUPT (Mn — H o.J. [1971]).
WIENIAWSKI. - 1) Henryk (Henri), * 10.7. 1835 Lublin, t 19. (31.) 3. 1880 Moskau; poln. Violinist. Er studierte seit 1843 bei J.-L. Massart am Pariser Conservatoire, debütierte 1848 in St. Petersburg, bildete sich 1849-50 noch in Harmonielehre weiter und ging dann mit seinem Bruder Joseph auf Konzertreisen. 1859 wurde er Kammersolist des Zaren und lehrte 1862-67 am Konservatorium in St. Petersburg. Eine Konzertreise, teilweise mit Anton Rubinstein, führte ihn 1872-74 durch die USA. 1874-77 vertrat er H. Vieuxtemps am Conservatoire in Brüssel. W. gilt als einer der bedeutendsten Violinvirtuosen seiner Zeit. Seine Bogentechnik mit dem frei geführten Oberarm wurde wesentlicher Bestandteil des modernen Geigenspiels. Seine Kompositionen sind durch Virtuosität und slawische Elemente gekennzeichnet. - In Posen findet jetzt alle*5 Jahre ein W.-Wettbewerb für Violine statt. WW: Études-Caprices für 2V ., op. 18 (1863). — Für V. u. Klv. oder Orch.: Polonaise, op. 4 (1853); Scherzo-Tarantelle, op. 16 (1856); Légende, op. 17 (1860); 2 Mazurkas, op. 19 (1870); Fantaisie brillante über Themen aus Ch. Gounods Faust, op. 20 (1868); Polonaise brillante, op. 21 (1870); 2 Konzerte fis-moll, op. 14 (1853), u. d-moll, op. 22 (1862). — Ferner Écvle moderne (Etüden), op. 10 (1854).
2) Józef (Joseph), Bruder von 1), * 23.5. 1837 Lublin, t 11.11. 1912 Brüssel; poln. Pianist und Komponist. Er studierte 1847-50 am Pariser Conservatoire und 1855-56 bei Fr. Liszt in Weimar. Später lehrte er kurze Zeit am Konservatorium in Moskau, leitete dort eine eigene Musikschule, war
Wildberger 1875-76 Direktor der Warschauer Musikgesellschaft und wirkte dann am Brüsseler Conservatoire. Seine Kompositionen, vor allem für und mit Klavier, sind stark von Fr. Chopin beeinflul3t. - 3) Adam Tadeusz, Neffe von 2), * 27. 11. 1879 Warschau, t 21.4. 1950 Bydgoszcz; poln. Komponist. Nach Studien in Berlin und Paris wirkte er in Warschau seit 1923 als Musikkritiker und Leiter einer Klavierklasse der Hochschule Fr. Chopin, deren Direktor er 1928 wurde. 1928 wurde er auch Direktor der Warschauer Musikgesellschaft und 1932 Präsident des poln. Komponistenverbandes. Ausg.: Zu 1): H. W., (Euvres, hrsg. v. 1. DUBISKA — E. UMIIVSKA
ihrer Arbeit war die Befreiung vom Regelzwang des akademischen Tanzes hin zum Ausdrucks-
tanz (German Dance, Modern Dance). Dieser wurde häufig ohne Musik, nur zu Schlagzeugrhythmen oder auch so getanzt, daß die rhythmischen Abläufe sich allein aus den Bewegungsabläufen des Tanzenden ergaben. Berühmte Choreographien von M. W. waren: Ekstatische Tänze (Dresden 1919), Totenklage (Olympiade Berlin 1936), Carmina Burana (C. Orff, Leipzig 1943) und Le Sacre du Printemps (I. Strawinsky, Berlin 1957). M. W. schrieb Deutsche Tanzkunst (Dresden 1935) und Die Sprache des Tanzes (St
(Krakau 1962 ff.).
1963).
Lit.: B. SCHWARZ, W., in: Grove• XX. — Zu 1): J. REISS, H. W. (War 1931, NA Krakau 1963, 2 1970); W. DULpBA, H. W. Kronika iycia (ebd. 1967, 2 1974) (mit Werk-Verz. u. Diskographie); E. GRABOWSKI, The International H. W. Competitions (Posen 1971). — Zu 2): H. HARLEY, Z korespondencij J. Wienawskiego, in: Muzyka 8 (1963). G. SCHUHMACHER
Lit.: H. ZIVIER, M. W., Harmonie u. Ekstase (B 1956); H. KOEGLER, M. W., in: Musica 27 (1973). H. LINDLAR
WIESENTHAL, Grete, * 9. 12. 1885 Wien, t 22.6. 1970 ebd.; östr. Tänzerin und Choreographin. Sie wurde an der Ballettschule der Wiener Hofoper ausgebildet und 15jährig in das Ballettcorps der Oper aufgenommen. Frühzeitig trat sie mit ihren Schwestern Elsa W. und Bertha W. in Walzer-Arrangements auf, dann solistisch mit großem Erfolg in Strauß-Walzern und in Liszt-Rhapsodien. M. Reinhardt und H. von Hofmannsthal setzten sie als Choreographin und Tänzerin volkstümlicher Figuren ein (Der Bürger als Edelmann). 1930-59 war sie als choreographische Mitarbeiterin bei den Salzburger Festspielen tätig (Hofmannsthal, Jedermann). Die natürliche Gelöstheit ihres tänzerischen Schwungs, ursprünglich als ein Element des Wiener Jugendstils empfunden, wurde als Schwungtechnik in die Ausbildung der Wiener Ballettschule eingeführt. Lit.: R HUBER-WIESENTHAL, Die Schwestern W. (W 1934).
WIGMAN, Mary (eig. Marie Wiegmann), * 13. 11. 1886 Hannover, t 19.9. 1973 Berlin; dt. Tänzerin, Tanzpädagogin und Choreographin. In Genf von É. Jaques-Dalcroze ausgebildet, war sie während des 1. Weltkriegs Assistentin bei R. von Laban in Zürich. 1920 gründete sie in Dresden eine eigene Schule für Ausdruckstanz (r Ballett), aus der u. a. Yvonne Georgi, Gret Palucca, Margarethe Wallmann und H. Kreutzberg hervorgingen. Auf Solound Gruppentourneen bereiste sie Europa, seit 1930 auch die USA. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde ihre Schule geschlossen und sie an die Musikhochschule Leipzig verwiesen; nach dem 2. Weltkrieg baute sie ihre Schule zunächst in Leipzig, seit 1949 in West-Berlin wieder auf. Ziel
WILBYE, John, getauft 7. 3. 1574 Diss (Norfolk), t zwischen September und November 1638 Colchester (Essex); engl. Komponist. W. war seit 1598 Musiker im Hause des Grafen Thomas Kytson und seiner Familie auf Schloß Hengrave Hall (Suffolk). Er ist einer der herausragenden Madrigalisten seiner Zeit in England. Seine Werke stehen in Satztechnik und Wortausdruck dem Stil Th. Morleys und dem engl. adaptierten it. Kanzonettenstil nahe. Als besonders charakteristisch für W.s Schaffen kann das Madrigal Sweet hony sucking bees aus der 2. Sammlung von 1609 gelten. WW: 2 Bücher Madrigale für 3-6 St. (Lo 1598, 1609). — 2 Anthems in dem Sammeldruck v. W. r Leighton (— RISM 1614'); weitere einzelne geistliche Gesänge sowie einige Fantasien für Consort hsl. erhalten. Ausg.: Die beiden Drucke, hrsg. v. E. H. FELLOWES (Lo 1913), revidiert v. TH. DART (1966) (— The English Madrigalists 6-7); die beiden Anthems in der Ausg. v. RISM 1614' (1970) (— Early English Church Music 11). Lit.: H. HEURICH, J. W. in seinen Madrigalen (Au 1931) (— Veröff. des musikwiss. Inst. der Dt. Univ. in Prag 2); D. BROWN, J. W. (Lo 1974); G. A. PHILIPPS, J. W.'s Other Patrons. The Cavendishes and Their Place in English Musical Life During the Renaissance, in: MR 38 (1977); D. BROWN, W., in: Grove. XX.
WILDBERGER, Jacques, * 3. 1. 1922 Basel; Schweizer Komponist und Musiktheoretiker. W. studierte 1940-44 Klavier an der Basler Musikakademie, 1948-52 privat Komposition bei WI. Vogel in Ascona und war bis 1955 Korrepetitor am Basler Stadttheater. Nach Jahren freischaffender Tätigkeit wurde er 1959 Lehrer für Komposition, Instrumentation und Analyse an der Musikhochschule in Karlsruhe und 1966 an der Musikakademie in Basel. Sein von großer Klangphantasie und Konsequenz gekennzeichnetes kompositorisches Schaffen versucht auf unorthodoxe Weise zwischen subjektivem Ausdruck (A. Schönberg, A. von Webern) und strenger Konstruktion 365
Wilderer (B. Blacher, P. Boulez) zu vermitteln. Besondere Bedeutung kommt seinen von Wl. Vogel beeinflußten und philosophisch-sozialkritisch angelegten Vokalwerken zu. WW: 1) Instr.-WW: Diario(1975) für Klar.; Schattenwerk(1976) für Org.; Kammermusik, u.a. 2 Quartette für Klar., Fl., V. u. Vc. (1952) bzw. für Fl., Ob., Harfe u. Klv. (1967); Tre mutazioni (1953) für Kammerorch.; Musik (1960) für 22 Solo-Str.; Movements (1964) für Orch.; Contratempi (1969-70) für Solofl. u. 4 Orch.-Gruppen. — 2) Volal-WW : Nur solange Dasein ist (1956) (Text: M. Heidegger u. T. S. Eliot) für Sopran u. 4 Instr.; In My End is My Beginning (1964) (Text: Eliot) für Sopran, Tenor u. Kammerorch.; La notte (1967) (Text: Michelangelo u. H. M. Enzensberger) für Mezzosopran, 5 lnstr. u.Tonband; ... Die Stimme, die alte, schwächer werdende Stimme ... (1973-74) (Text: F. Hölderlin, P. Celan, A. Camus, M. Heidegger, S. Beckett u. nach der Bibel) für Sopran u. Vc.-Solo sowie Orch. u. Tonband; An die Hoffnung(1979) (Text: Hölderlin, E. Fried, J. Becker) für Sopran, Sprecher u. Orch. — Action documentée Épitaphe pour E Galois für Sopran- u. Bar.-Solo, Sprecher, Sprechchor, Tonband u. Orch., UA: Basel 1964. Lit.: R. SUTER, Vom Avantgardisten zum Musiker, in: SMZ 108 (1968); H. PAULI, Für wen komponieren Sie eigentlich (F 1971). B. A. KOHL
WILDERER, Johann Hugo von, * 1670 oder 1671 in Bayern, beerdigt 7.6. 1724 Mannheim ; dt. Komponist. Er war Schüler G. Legrenzis in Venedig, wurde 1687 Hoforganist, 1696 Vizekapellmeister und Kammerrat und 1703 Kapellmeister des Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg in Düsseldorf, wo zur gleichen Zeit A. Steffani leitende Stellungen innehatte. In Düsseldorf wurden auch die erhaltenen Opern W.s aufgeführt. 1720 ging er als Hofkapellmeister nach Mannheim. W.s Opern sind stilistisch vor allem der venezianischen Schule, die Modulationi mit ihren nichtliturgischen, mystisch gefärbten lat. Texten der römischen Motettentradition (G. Carissimi und B. Graziani) verpflichtet. Bemerkenswert ist, daß J. S. Bach 2 Messensätze W.s (Kyrie - Gloria) kopierte, die in manchen Einzelheiten auf das Kyrie seiner h-moll-Messe vorausweisen. WW: Modulationi sacre für 2-4 St., Str. u. B.c. (A um 1700); 2 Messesätze (s. o.); 2 lat. Gesänge; 1 Oratorium; 3 it. Solokantaten mit B.c. bzw. mit Instr. (sämtlich hsl.). — Von 11 nachweislich aufgeführten Opern sind hsl. erhalten: Giocasta, UA: 1696; Il giorno di salute, UA: 1697; La monarchia risoluta, UA: 1697 (?); L'Armeno, UA: 1698 (?); La monarchia stabilita, UA: 1703. Ausg.: Modulationi sacre, hrsg. v. J. NEYSES (Düsseldorf 1973) (— Denkmäler rheinischer Musik 15). Lit.: G. CROLL, Musikgeschichtliches aus Rapparinis JohannWilhelm-Ms. (1709), in: Mf 11 (1958); G. STEFFEN, J. H. v. W. (Kö 1960) (= Beitr. zur rheinischen Musikgesch. 40); DERS., J. H. von W., in: Rheinischer Musiker 2 (Kö 1962) (— ebd. 53); CH. WOLFF, Zur musikal. Vorgeschichte des Kyrie aus J. S. Bachs Messe in h-moll, in: FS B. Stäblein (Kas 1967).
WILDSCHÜTZ, DER, oder Die Stimme der Natur, Komische Oper in 3 Akten von A. Lortzing, Text vom Komponisten nach A. von Kotzebues 366
Lustspiel Der Rehbock. Ort u. Zeit der Handlung: Dorf in der Nähe des Schlosses und Schloß, zu Beginn des 19. Jh.; UA: 31. 12. 1842 Leipzig. Lortzing nahm gegenüber der literarischen Vorlage in der Intrige eine Akzentverschiebung vor, indem er zur Auflösung des Scheinkonflikts um den vermeintlichen Jagdfrevel 2 gleichberechtigte Handiungsstränge um den Dorfschulmeister Baculus einerseits und die beiden adeligen Paare anderseits entwarf. Mit der Rolle des Baculus gelang Lortzing eine ausgefeilte Charakterstudie, die in der berühmten Arie Fünftausend Taler (am Ende des 2. Aktes anstelle des traditionellen Finales) besonders scharfe Kontur gewinnt. Das Libretto ist auf wirkungssichere musikalische Szenen hin entworfen, so daß neben einzelnen, der Charakterisierung dienenden Solonummern vor allem in den Ensembles der Effekt der musikdramatischen Anlage liegt; den Höhepunkt bildet die Billard-Szene (Quintett) im 2. Akt. - Die Konzeption des Werkes beruht auf den signifikanten Elementen der dt. Spieloper: in geschlossenen Nummern wie in szenisch-durchkomponierten Passagen leicht faßliche, auf strophische oder refrainartige Gliederung abgestellte Formen; unkomplizierte Melodiebildung und Harmonik; Sprechdialoge und stilistische Angleichung dialogischer Abschnitte innerhalb geschlossener Nummern an deren Satzstruktur dank der konsequent beibehaltenen Periodik. Die Schlichtheit der Melodiebildung, Klarheit der musikalischen Disposition und Durchsichtigkeit der Orchestrierung führten dazu, daß man Lortzings beste Oper häufig im Rang mit W. A. Mozarts Kompositionen verglich. J. SCHLÄDER WILHELM TELL (Guillaume Tell), Drame lyrique in 3 Akten von A.-E.-M. Grétry, Text von J. M. Sedaine. Ort und Zeit der Handlung: am Vierwaldstätter See, 1291. UA: 9.4. 1791 Paris (Comédie-Italienne). Obwohl diese Oper als eine der bedeutendsten Revolutionsopern (im Umfeld der Französischen Revolution entstandene musikdramatische Manifestationen der Freiheitsideale; r Revolutionsmusik) gelten muß, läßt sich bis heute keine dt. Aufführung nachweisen. Geradezu programmatisch bemühte sich Grétry darum, die revolutionäre Idee, die der Tell-Stoff in sich birgt, mit musikalischen Mitteln spürbar werden zu lassen. Der Freiheitskampf der Schweizer, den Grétry analog zum Geschehen in der noch keine 2 Jahre zurückliegenden Französischen Revolution sieht, bot die Möglichkeit, eigene Erfahrung geschichtlicher Ereignisse und eigene idealistische Vorstellungen in die Oper einzubringen. Grétry legte in seinen Essays dar,
Willan daß er bei der Komposition danach strebte, „das Kolorit, d. h. die harmonische Arbeit und die Orchestrierung, zu vertiefen", um die Lauterkeit und Ehrbarkeit der Aufständischen kontrastiv zu vereinen mit ihrer Revolution. „Es ist, als wollten sie sagen: ,Wir müssen uns erheben, um unsere Tugend zu bewahren.` " Besonders sinnfällig wird dieser Kontrast, wenn Tell den berühmten Ranz des vaches(Kuhreigen) auf seiner Cornemuse spielt. R QUANDT
WILHELM TELL (Guillaume Tell), Oper in 4 Akten von G. Rossini, Text von V. J. Étienne de Jouy, H. Bis und A. Marrast nach dem gleichnamigen Drama Fr. von Schillers. Ort und Zeit der Handlung: am Vierwaldstätter See, 1291. UA: 3.8. 1829 Paris (Opéra), dt. EA (in dt. Sprache) : 24.3. 1830 Frankfurt am Main. Fast 40 Jahre nach A.-E.-M. Grétrys musikdramatischer Version des Tell-Stoffes setzte sich Rossini in seiner letzten Oper mit der gleichen revolutionären Materie auseinander. Das Werk wurde neben dem Barbier Rossinis größter Erfolg und verdrängte die ältere Revolutionsoper aus den Spielplänen. Bereits 1834 fand an der Opéra die 100. Aufführung statt. Weil der Stoff für die politische Situation in Europa nach wie vor voller Brisanz war, mußten bei Aufführungen im Ausland immer wieder der Titel des Werkes und die Namen der handelnden Personen geändert werden: In Berlin und London lief die Oper unter dem Titel Andreas Hofer, in Mailand als Guglielmo Vallace, in Rom als Rodolfo di Sterlinga, in St. Petersburg, Riga und Warschau als Karl der Kühne (Karl Smily, Carlo il Temerario); östr. Aufführungen wurden von Metternich untersagt. - Mit sicherem Gespür für die Wirksamkeit musikalischer Tableaux schuf Rossini eine Folge von Situationsbildern, die in sich sich steigernd angelegt sind und deren dramaturgische Konfiguration jeweils die verschiedenen Handlungsstränge und Konflikte zu nahezu autonomen dramatischen Einheiten zusammenfaßt. Die äußerliche Brillanz, oft ein Charakteristikum von Rossinis Musik, tritt hier häufig zurück zugunsten eines intensiveren musikalischdramatischen Ausdrucks. Beispielhaft ist der Aufbau des Rütlischwur-Bildes, in dem kontinuierlich ein Spannungsbogen entsteht, bis endlich - aktionsfrei, rein musikalisch - der Kulminationspunkt erreicht ist, an dem die revolutionäre Gewalt der Situation frei wird und sich dem Publikum mitteilt. R QUANDT WILHELM VON HIRSAU (Wilhelmus Hirsaugiensis), OSB, * in Bayern, t 4.6. 1091 Hirsau
(Schwarzwald); dt. Musiktheoretiker. Er war Mönch des Klosters St. Emmeram in Regensburg und wurde 1071 Abt des Klosters St. Aurelius in Hirsau, das unter seiner Leitung zum Mittelpunkt der cluniazensischen Reform in Deutschland wurde. W. schrieb außer einer Satzung für sein Kloster und einer astronomischen Abhandlung den Traktat Musica (vor 1069). Er behandelt hier, nach eigenem Bekunden christlich-antike und zeitgenössische Auffassungen verbindend, die Tonskala, die Tetrachorde, die Konsonanzen, die Modi und die Teilung des Morrochords. Von W. stammen vermutlich auch 2 kurze Abhandlungen über die Mensur von Orgelpfeifen. Ausg.: Musica, in: GERBERT Scr. II; dass., in: MIGNE PL 150; dass. bei Müller (s. u. Lit.). Lit.: H. MÜLLER, Die Musik W.s v. H.... (F 1883) (mit „Musica" lat. u. dt.); H. WISCHEN, W., in: MGG XIV; K. G. FELLERER, Unters. z. „Musica" des W., in: Miscelánea ... FS. H. Anglès I (Ba 1958).
WILHEM (eig. Bocquillon), Guillaume Louis, * 18. 12. 1781 Paris, t 26.4. 1842 ebd. ; frz. Musikpädagoge. Er war als Musiklehrer in Paris tätig und gründete 1819 den Männerchor „Orphéon", der der frz. Männerchorbewegung seinen Namen gab (OE Orphéon). Unter dem gleichen Titel gab er 1837-40 in Paris eine Sammlung von A cappellaGesängen heraus. Außerdem komponierte er zahlreiche Lieder und veröffentlichte musikpädagogische Schriften Lit.: B. RAINBow, The Land without Music (Lo 1967).
WILLAN, James Healey, * 12. 10. 1880 Balham bei London, t 16. 2. 1968 Toronto; engl. Organist, Chordirigent und Komponist. Er war zunächst Organist an verschiedenen Londoner Kirchen, wurde 1913 Leiter der Abteilung für Musiktheorie am Konservatorium in Toronto, dessen Vizedirektor er 1920-36 war. 1914-50 (1936 Professor) lehrte er an der dortigen Universität ûnd war 1932-64 Universitätsorganist. Seit 1921 wirkte er auch als Organist und MD an der Kirche St. Mary Magdalena. W. gründete die Gregorian Association of Toronto, war Präsident des Royal Canadian College of Organists und leitete die von ihm 1936 gegründeten Tudor Singers zur Pflege älterer englischer Musik bis zu deren Auflösung 1939. Als Kirchenkomponist und Musikpädagoge gehörte er zu den wichtigsten Musikerpersönlichkeiten im englischsprachigen Teil Kanadas. Seine Werke gründen in der Vokalpolyphonie des 16. Jh. und der Musik des späten 19. Jahrhunderts. WW: 1) Instr.-WW: Für Org.: Introduction, Passacaglia and Fugue (1919) ; Passacaglia and Fugue No. 2 e (1959) ; 36 Short Preluden and Postludes an Wel!Known Hymn Tuns, 3 Bde. (1960); 2 Symphonien; Klv.-Konzert. — 2) Vokal-WW: 14 Missae breves,
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Willaert 18 Magnificat u. Nunc dimittis; zahlr. Motetten, Anthems u. Carols für Chor a cap.; Te Deum für Doppelchor u. Orch. (1937); Coronation Suite für Chor u. Orch. (1953); etwa 40 weltliche Chorwerke für gem. Chor a cap.; Bearbeitungen v. Volksliedern. —3) Buhnen-WW: Rundfunkopern Transit through Fire, UA:Toronto 1942; Deirdre, UA: ebd. 1946. — Ferner zahlr. Ballad Operas u. Bühnenmusiken. Lit.: G. BRYANT, H. W. Catalogue (Ottawa 1972) (mit Bibliogr.).
WILLAERT, Adrian, * um 1490 Brügge (?), t 17. 12. 1562 Venedig; franko-flämischer Komponist. Die wenigen Nachrichten, die über seine Frühzeit vorliegen, stammen von G. Zarlino, seinem späteren Schüler; danach soll W. sein Jurastudium in Paris abgebrochen haben, um bei J. Mouton Musik zu studieren. Auch belegen zahlreiche Chansons zu französischen Texten und besonders einige stilistische Charakteristika seiner Werke den großen Einfluß der französischen Musik. Nach dem Studium soll sich W. für kurze Zeit in seiner flämischen Heimat aufgehalten und sich dann nach Italien gewandt haben. Seit 1515 werden seine Beziehungen zu den Este in Ferrara, die für ihr Mäzenatentum bekannt waren, für W.s zukünftiges Leben bedeutungsvoll. W. trat in den Dienst des Kardinals Ippolito I. d'Este, Erzbischof von Mailand und Esztergom (Ungarn), mit dem er 1517 für einige Zeit nach Ungarn reiste. Gegen 1520 kehrte er nach Italien zurück, stand nach dem Tod Ippolitos I. zeitweise im Dienste Herzog Alfonsos und war 1525-27 Sänger an der Kapelle des Erzbischofs Ippolito II. d'Este in Mailand. Danach folgten die entscheidenden Jahre und Jahrzehnte in Venedig, wo W. von 1527 bis zu seinem Tode als Kapellmeister an San Marco tätig gewesen ist. Durch die Vielseitigkeit seiner Begabung als Komponist und durch die Kraft seiner Persönlichkeit verlieh er diesem Amt Glanz und Würde. Die großen Verleger und Drucker seiner Zeit - in Venedig, Rom, Antwerpen, Lüttich, Paris, Lyon, Nürnberg und Augsburg - haben an der Veröffentlichung seiner geistlichen und weltlichen Musik starkes Interesse genommen. In einem großen Kreis von Schülern und Anhängern haben sich W.s Werke weithin verbreitet. Die damit begründete r Venezianische Schule umfaßt eine Reihe bedeutender Musiker, u. a. A. Gabrieli, Cl. Merulo, C. de Rore, N. Vicentino, G. Zarlino (besonders als Theoretiker) und später vor allem C. Monteverdi. WW (teilweise mit mehreren Aufl. u. Nachdr.): Messen für 5 St. (V 1536); 2 Bücher Motetten für 4 St. (V 1539), je 1 Buch für 5 St. (V 1539) u. für 6 St. (V 1542); Musica nova für 4-7 St. (V 1559) (enthält Motetten u. Madrigale); Hymnen für 4 St. (V 1542); 1 salmi ... parte a versi, e parte spezzati ... für 1 u. 2 Chöre (V 1550) (— RISM 15501 ); Psalmen für 3-4 St. (V 1542). — Madrigale für 4 St. (V 1563), für 5 St. (V 1642); Canzoni villanesche für 4 St. (V
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1545): Chansons für 3 St. (P 1560); ... Canzon francesefür 3 St. (V 1562). — Fantasie. recercari, contrapunti für 3 St. (V 1551). — Geistliche u. weltliche Werke sind ferner in überaus zahlr. Sammeldrucken — auch in Lauten- u. Org.-Tabulaturen 1519-1600 — u. hsl. erhalten.
W.s musikalisches Schaffen umfaßt nahezu alle Gattungen, die während der Renaissance gepflegt worden sind. Im Mittelpunkt steht dabei die 4-Ist. Motette. Es lassen sich zwei gegensätzliche stilistische Strömungen unterscheiden : einerseits Motetten über einen Cantus firmus, häufig in Zusammenhang mit altertümlich kanonischer Satzanlage, andererseits Motetten, in denen W. auf französiche Satztechniken zurückgreift und damit zu einer präzisen Textdeklamation, ohne Melismen und Imitationen, gelangt. Mehr und mehr wird die musikalische Erfindung abhängig von der Klangkraft und der Bedeutung der Worte. Ein besonderer Platz kommt den doppelchörigen, 8st. Salmi spezzati (1550) zu, mit denen W. zwar nicht die venezianische Praxis der Doppelchörigkeit begründet, aber alte Chorpraktiken Oberitaliens neu belebt hat, die auf der antiphonischen Lesung der Psalmen beruhen. Seine 9 Messen sind mit Ausnahme der Missa sine nomine Parodie-Messen, mehrfach auf Motetten seines Lehrers Mouton. In der weltlichen Musik zeigt sich die Vielseitigkeit W.s in besonderem Maße. Seine Chanson bevorzugt ältere polyphone Satztechniken (etwa den Kanon), gelangt später jedoch zu einem moderneren Stil. Die Canzone villanesche alla Napolitana folgen einer ähnlichen Entwicklungslinie und nähern sich einer von der Tanzmusik geprägten Homophonie an. Mit C. Festa, Ph. Verdelot und J. Arcadelt zählt W. zu den Schöpfern des Madrigals im 16. Jahrhundert. Hier vollendet sich die Verschmelzung seiner eigenen Stilmittel mit den klanglichen und expressiven Subtilitäten italienischer Chromatik. Seine kunstvoll gearbeiteten Madrigale sind für eine aristokratische Gesellschaft bestimmt, die für derartige Feinheiten des Wortes und der Musik empfänglich war. Es ist bezeichnend, daß die Madrigale W.s, die unter dem Titel Musica nova (1559) zusammen mit einer Reihe von Motetten veröffentlicht worden sind, mit einer Ausnahme nur auf Texte Petrarcas geschrieben wurden. Eine Reihe instrumentaler Ricercari rundet das Bild dieses Musikers ab. Ihm ist es gelungen, auf künstlerisch hoher Ebene Überliefertes und Neues zu verschmelzen. Die drei damals führenden Musikstile, der niederländische, der französische und der italienische, sind in W.s Musik zu einer Synthese von großer historischer Tragweite gelangt. Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. H. ZENCK — W. GERSTENBERG (1950ff.) (— CMM 3), 1-2:4st. Motetten, 3:5st. Motetten, 4:
Wilson 6st. Motetten, 5 u. 8.: Musica nova, 7: Hymnen, 13: 4st. Madrigale; zahlr. weitere Ausg. in Sammelwerken und einzeln.
rangements. Von ihren größeren Kompositionen, u. a. The Zodiac Suite, St. Martin de Porres und die
Lit.: H. ZENCK ., Stud. zu A. W. (L 1929), Teildruck in: ZfMw 12 (1929/30); DERS., in: Numerus u. Affectus, hrsg. v. W. Gerstenberg (Kas 1959); E. HERTZMANN, A. W. in der weltlichen Vokalmusik seiner Zeit (L 1931, Nachdr. Niederwalluf 1973) (= Slg. musikwiss. EinzeldarsteUungen 15); R. B. LENAERTS, Voor de biogr. van A. W., in: FS Ch. van den Borren (An 1945); A. CARAPETYAN, The „Musics Nova" of A. W., in: MD 1 (1948); H. ZENCK, A. W.s ,Salmi spezzati", in: Mf 2 (1949); E. E. LoWINSKv, W.'s Chromatic Duo, in: TVer 18 (1956); H. BEcK, A. W.s Messen, in: AfMw 17 (1960); DERS., Grundlagen des venezianischen Stils bei A. W. u. C. de Rore, in: Renaissance-muziek. 1400-1600. FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); W. GERSTENBERG, Um den Begriff einer Venezianischen Schule, in: ebd.; DERS., W., in: MGG XIV; B. MEIER, Zur Chronologie der „Musica nova" A. W.s, in: Anal. Mus. 12 (1973); A. NEWCOMB, Edition of W.'s „Musica Nova". New Evidence, New Speculations, in: JAMS 26 (1973); A. F. CARVER, The Psalms of W. and His North It. Contemporaries, in: AM1 47 (1975); L. LOCKWOOD, W., in: Grove' XX W. GERSTENBERG
Kantate Black Christ of the Andes, ist letztgenanntes Werk eine geglückte Verbindung von Jazz mit Elementen des Spirituals sowie populärer und kirchlicher Musik Südamerikas.
WILLIAMS, Cootie (Charles Melvin), * 24.7. 1908 Mobile (Alabama), t 15.9. 1985 Long Island ; amerik. Jazzmusiker (Trompete). Er spielte bei Chick Webb und Fletcher Henderson und 1929-40 in der Band von Duke Ellington, wo er Growl im Stil von Trixy Sam Nanton einsetzte und in den 30er
Jahren einer der führenden Solisten war. Danach schloß er sich für kurze Zeit Benny Goodman an, gründete 1941 eine Big Band, bevorzugte aber später Combos. 1962-66 spielte er erneut bei Ellington. Berühmt wurden W" Einspielungen mit Ellington, vor allem von dessen Concerto for Cootie. WILLIAMS, Joe (Joseph Goreed), * 12. 12. 1918 Cordele (Georgia); amerik. Jazzmusiker (Gesang). W. sang in den 40er Jahren u. a. in den Bands von Coleman Hawkins, Lionel Hampton und Count Basie, in dessen Ensemble er seit 1955 endgültig die Stelle von Jimmy Rushing einnahm. Bis heute tritt er immer wieder mit Mitgliedern oder der gesamten Basie-Band auf. Er gehört zu den großen
Vertretern des Jazz-Blues, hat ein stark ausgeprägtes Timing und singt mit einem jazzspezifischen Rubato. WILLIAMS, Mary Lou (eig. Mary Elfrieda Winn, geborene Burley), * 8.5. 1910 Pittsburgh, t 30.5. 1981 Durham (North Carolina); amerik. Jazzmusikerin (Klavier) und Komponistin. Sie begann 1925 in der Band ihres späteren Mannes John Williams, spielte 1929-42 bei Andy Kirk, leitete dann eigene Bands und trat 1968 mit Sonny Rollins und 1978 mit Benny Goodman auf. Sie war eine bedeutende
Swingpianistin, gehörte nach dem Krieg zu den wichtigsten Exponenten des modernen Jazz und gelangte im Laufe der Jahre zu einem zeitlosen Mainstreamstil. Bedeutung hatten auch ihre Ar-
WILLSON, Meredith (eig. Robert Meredith Reiniger), * 18.5. 1902 Mason City (Iowa), t 15.6. 1984 Santa Monica (Calif.); amerik. Komponist, Librettist und Songtexter. W. studierte am Damrosch Institute of Musical Art in New York, spielte Flöte und Piccolo in der John Philip Sousa Concert Band (1921-23) und im New York Philharmonic Orchestra (1924-29). 1929 wurde er Musikdirektor einer Radiostation in San Francisco und dann bei der National Broadcasting Company. Sein erstes Musical, The Music Man (1957, auf eigenen Text), wurde ein großer Broadway-Erfolg, an den er 1960 mit The Unsinkable Molly Brown und 1963 mit Here's Love anknüpfte. Schlager wurden Seventy-Six Trombones und Trouble. Autobiographisches erschien unter den Titeln And There I Stood with My Piccolo (NY 1948), Eggs I Have Laid (NY 1952) und But He Doesn't Know the Territory (NY 1959). WILSON, John, * 5.4. 1595 Faversham (Kent), t 22.2. 1674 London; engl. Lautenist, Violist, Sänger und Komponist. Er war 1635-41 Musiker am
Hof König Karls I., dem er während des Bürgerkriegs 1642 nach Oxford folgte. 1644 promovierte er an der dortigen Universität zum Doctor of Music. Während des Interregnums (1646-56) stand er im Dienst von Sir William Walter in Sarsden, war 1656-61 Professor für Musik an der Universität Oxford und wurde nach der Wiedereinsetzung der Monarchie 1662 Gentleman der Chapel Royal. W. komponierte hauptsächlich Lautenlieder. Seine Lauten-Fantasien gehören zu den frühesten Instrumentalstücken, die nach den 24 Dur- und Molltonarten geordnet sind. WW: Psalterium Carolinum, geistliche Gesänge für 3 St. u. B. c. (Lo 1657); Cheerful ayres or ballads für 3 St. (Lo 1660); weitere Songs u. zahlr. Lautenlieder hsl. u. in Sammeldrucken der Zeit. — 30 Fantasien für Laute sind hsl. erhalten. Lit.: V. H. DUCKLES, The „Curious" Art of J. W., in: JAMS 7 (1954) (mit einem Air u. einer Fantasie); H. P. HENDERSON, The Vocal Music of J. W. (1962) (= Diss. Univ. of North Carolina); P. WALLS, New Light on Songs by William Lawes and J. L., in: ML (1976).
WILSON, Sandy (Alexander) Galbraith, * 19.5. 1924 Sale ; engl. Komponist, Librettist und Songtexter. W. studierte Literaturgeschichte am OrielCollege in Oxford, lernte Klavier und schrieb 1953 369
Wilson das Musical Salad Days, eine Parodie auf die musikalischen Komödien der 20er Jahre, die seit ihrer Premiere 1954 am Londoner Wyndham Theater dort über 2000 Vorstellungen erlebte. Auch am Broadway (Ambassador Theater) fand das Stück 1970 begeisterte Aufnahme. W. schrieb ferner The Bucaneer (1955), Valmouth (1958), Divorce me, Darling! (1964), As Dorothy Parker Once Said (1969) und His Monkey Wife (1971). WILSON, Teddy, * 24. 11. 1912 Austin (Texas), t Juli 1986 New Britain (Connecticut); amerik. Jazzmusiker (Klavier). Er spielte seit 1929 in namhaften Bands, u. a. in der von Louis Armstrong, war 1936-39 Mitglied des Benny Goodman-Trio (später Quartett), leitete 1939-40 eine Big Band und trat dann meist mit eigenen kleineren Ensembles oder als Solist auf. In den 50erJahren spielte er erneut mit Goodman, mit dem er 1962 eine Tournee durch die UdSSR unternahm, unterrichtete an der Juilliard School of Music in New York und war als Moderator im Rundfunk zu hören. Auf- und absteigende Dezimen und chromatische Wechselakkorde, verbunden mit prägnanter Melodik, kennzeichnen W.s trotz merklicher Einflüsse von Earl Hines und Art Tatum eigenständig entwickelten Stil. Lit.: R. WANG, Jazz circa 1945. A Confluence of Styles, in: MQ 59 (1973).
WIMBERGER, Gerhard, * 30.8. 1923 Wien; östr. Komponist und Dirigent. Er studierte Komposition (J. N. David) und Dirigieren (Cl. Krauss) am Salzburger Mozarteum, wurde 1947 Korrepetitor an der Volksoper in Wien, 1948 Kapellmeister am Landestheater in Salzburg und 1951 Mitarbeiter der Festspiele, deren Direktorium er heute angehört. 1953 übernahm er die Leitung der Dirigenten-Klasse am Mozarteum, 1957 auch des Akademieorchesters und -chors, und lehrte dort seit 1968 Komposition (1969 Professor). W. ist als Komponist keiner Schule verpflichtet; in seinen Werken verwendet er in oft humorvoll-parodistischem Ton auch Elemente des Jazz sowie neoklassizistische oder serielle Stilmerkmale und Techniken. WW: 1) Instr.-WW: Für Orch.: Figuren und Phantasien (1957); Risonanze(1966) für 3 Orch.-Gruppen; Chronique(1969); Multiplay(1973) für 23 Spieler; Motus (1976); Plays (1976) für 12 Vc., Bläser u. Schlagzeug; Concertino(1981). - Elektronische Kompositionen, u. a. Klänge u. Natur-Musik (1975). - 2) Vokal-WW: Kantate Ars amatoria (1967) für Sopran, Bar., Chor u. Kammerorch.; Mein Leben mein Tod (1977) für Bar., Instr. u. Tonband. 3) Bühnen-WW: Heitere Oper Schaubudengeschichte, UA: Mannheim 1954; Opernkomödie La Battaglia oder Der rote Federbusch (Libr.: E. Spiess), UA:Schwetzingen 1960; musikal. Komödie Dame Kobold, UA: Frankfurt 1964; Kammermusical Das Opfer Helena (Libr.: W. Hildesheimer), UA: ebd. 1968; ferner
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Bühnenmusik. - 4) Schriften: Mozart und wir, in: Mitteilungen B. A. KOHL der Int. Stiftung Mozarteum 19 (1971).
WINCHESTER-TROPAR, Bz. für eine Hs. aus der Kathedrale von Winchester. Das W. (heute Cambridge, Corpus Christi College, Ms. 473) gilt als früheste erhaltene Quelle mehrstimmiger Musik. Die Niederschrift erfolgte wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 11. Jh., die Notation in engl. adiastematischen Neumen ist bis heute unübertragbar geblieben. Die späteren Faszikel der Hs. enthalten eine Sammlung 2stimmiger Organa: Kyrie mit und ohne Tropen, Gloria, Tractus, Sequelae und Alleluia sowie auch Offiziumsteile. Nur die Vox organalis (OE Organum) erscheint an dieser Stelle notiert. Die dazugehörigen Choralmelodien einiger Organa finden sich in einem tropierten Graduale aus Winchester, jetzt in Oxford (Bodleian Library, Ms. Bodley 775). Lit.: W. H. FRERE, The Winchester Troper (Lo 1894) ( - Publications of the H. Bradshaw Soc. 7); A. MACHABEY, Remarques sur le Winchester Troper, in: FS H. Besseler (L 1961); J. HANDSCHIN, The Two Winchester Tropers, in: The Journal of Theological Studies 37 (1963); A. HOLSCHNEIDER, Die Organa von Winchester (Hil 1968); A. PLANCHART, The Repertory of Tropes at Winchester (Princeton/N. J. 1977).
WINDGASSEN, Wolfgang Fritz Hermann, * 26.6. 1914 Annemasse (Haute-Savoie), t 8.9. 1974 Stuttgart; dt. Sänger (Heldentenor). Er erhielt seine Ausbildung bei seinem Vater, dem Tenor Fritz W. (1883-1963), und an der Musikhochschule in Stuttgart. 1939 trat er sein erstes Engagement in Pforzheim an. 1945 wurde er Mitglied der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart, der er bis zu seinem Tode angehörte; er inszenierte dort seit 1970 auch Opern und wurde 1972 Operndirektor. W. zählte zu den bedeutendsten Wagner-Tenören der Nachkriegszeit und sang 1951-70 regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen, aber auch an anderen großen europäischen und amerikanischen Opernhäusern. Lit.: A. NATAN, W. W., in: Primo uomo (Bas - St 1963) (mit Diskographie); B. W. WESSI.ING, W. W. (Bremen 1967).
WINDKAPSEL (engl.: wind-cap; frz.: bocal, capsule; it.: capsula, custodia, copriancia; span.: tudel, bocal, canón), Bz. für eine Kapsel, die bei Holzblasinstrumenten, insbesondere bei solchen mit Doppelrohrblättern, so aufgesetzt wird, daß der Spieler durch eine Öffnung in der Kapsel bläst, ohne die Rohrblätter mit den Lippen zu berühren. Als W. kann auch die Mundhöhle dienen, wenn der Spieler die Lippen unterhalb der Rohrblätter aufsetzt, so daß diese frei im Mund schwingen können. Als Lippenstütze wird dazu oft eine Pi-
Winter rouette angebracht. Dieser sog. W.-Ansatz hat wie die W. selbst zur Folge, daß das Instrument nicht überbläst und daß der Spieler weder den einzelnen Ton noch die Lautstärke beeinflussen kann. WINDKAPSELINSTRUMENTE, Bz. für Holzblasinstrumente mit einer r Windkapsel. Seit dem MA bekannt, wurden sie vom 15. Jh. an häufiger verwendet und erreichten ihre Blütezeit im 16. und frühen 17. Jh. in der Ensemblemusik der Renaissance. Während des 17. Jh. verschwanden sie jedoch aus der Kunstmusik wegen ihres stets gleich lauten Klanges ohne dynamische Abstufungen und wegen des begrenzten Tonumfangs von meistens einer None (r Cornamusa, r Kortholt, r Krummhorn). Noch heute sind jedoch vor allem Instrumente, die mit Windkapselansatz geblasen werden, in der Volksmusik vieler Länder anzutreffen (r Schalmei, r Zurná). Im weiteren Sinne gehört zu den W.n auch die r Sackpfeife. Lit.: G. KINSKY, Doppelrohrblattinstrumente mit Windkapsel, in: AfMw 7 (1925/26).
WINDLADE, Bz. für den Teil der r Orgel, auf dem die Pfeifen stehen und in dem sich die Vorrichtungen zur Verteilung des Windes auf die einzelnen Register und Pfeifen befinden. - Eine mit einem Wasserbehälter verbundene W. besaß auch die antike Hydraulis. WINDMASCHINE, ein für Bühneneffekte verwendetes Geräuschinstrument. Die W. besteht aus einem mit einer Handkurbel versehenen, drehbaren Holzgerüst, das gegen einen darüber gespannten Stoff bzws eine dicke Saite streicht. Der langsamen bzw. schnellen Drehung der W. entsprechend entsteht ein Rauschen bzw. Pfeifen oder Heulen, das zur Nachahmung von Wind und Sturm dient. Eigens vorgeschrieben wird die W. u. a. bei R Strauss (Eine Alpensinfonie, Don Quixote) und M. Ravel (Daphnis et Chloé). WINDSPERGER, Lothar, * 22. 10. 1885 Ampfing (Oberbayern), t 30. 5. 1935 Frankfurt a. M.; dt. Komponist. Er studierte seit 1900 bei J. Rheinberger und R Louis (Komposition) an der Münchner Akademie der Tonkunst, wurde 1913 Lektor im Musikverlag B. Schott's Söhne in Mainz und unterrichtete daneben in Wiesbaden Klavier und Musiktheorie. 1933 übernahm er die Leitung der Städtischen Musikschule in Mainz. Seine Kompositionen zeichnen sich durch aparte Klanglichkeit und lyrische Expressivität aus und wurden seinerzeit als eigenständiger Beitrag zur Neuen Musik beachtet.
WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke u. Kammermusik, u.a. Klv.-Trio, op. 18; Streichquartett, op. 21 (1920). — Für Orch.: Konzert-Ouvertüre, op. 17; Symphonie a-moll (1920); Lützow-Ouvertüre (1933); Klv.-Konzert f-moll (1925) u. V.-Konzert (1928). — 2) Vokal-WW: Etwa 50 Klv.-Lieder; Missa symphonira (1926) u. Requiem, op. 47 (1930) für Soli, Chor, Org. u. Orch.
WINKLER, Gerhard, * 12.9. 1906 Berlin, t 25.9. 1977 Kempten ; dt. Komponist. Er erhielt seine Ausbildung in Berlin, trat zunächst als Ensemblepianist auf und erzielte 1936 seine ersten Erfolge mit O mia bella Napoli und Neapolitanisches Ständchen, an die er später mit Caprifischer und Chianti-Lied anknüpfte. Bekannt wurden u. a. auch Glaube mir (Answer me), Schützenliesel, Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein. W. schrieb ferner die Operetten Herzkönig (1946), Premiere in Mailand (1950), Die ideale Geliebte (1957) und Der Fürst von Monterosso (1960). W. ist bis heute der populärste dt. Schlagerkomponist. WINSCHERMANN, Helmut, * 22.3. 1920 Mülheim (Ruhr); dt. Oboist. Er studierte in Essen und Paris, wurde 1939 Oboist im Städtischen Orchester Oberhausen und war 1945-51 Solooboist im Symphonieorchester des Hessischen Rundfunks. 1948 wurde er Lehrer an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold und übernahm 1951 dort eine Meisterklasse für Oboe und Kammermusik (1956 Professor). Mit K. Redel und der Cembalistin Irmgard Lechner gründete er das „Collegium Pro Arte", das er seit 1954 unter der neuen Bezeichnung „Collegium Instrumentale Detmold" auch leitete. 1960 rief W. das weltweit bekannt gewordene Kammerorchester „Deutsche Bachsolisten" ins Leben. WINTER, Peter von, getauft 28.8. 1754 Mannheim, t 17. 10. 1825 München; dt. Komponist. Er spielte schon mit 10 Jahren im Mannheimer Hoforchester, dem er seit 1776 als Violinist angehörte, und war kurze Zeit Kompositionsschüler von Abbé Vogler. 1778 siedelte er mit dem Kurfürstlichen Hof nach München über und wurde 1787 Vizekapellmeister und 1798 Hofkapellmeister. Reisen führten ihn u. a. zwischen 1791 und 1794 nach Neapel und Venedig und zwischen 1795 und 1798 nach Prag und Wien, wo er sich noch bei A. Salieri weiterbildete und 1796 mit dem Unterbrochenen Opferfest den entscheidenden Durchbruch als Opernkomponist erzielte. 1802 reiste er nach London und dann nach Paris. 1811 gründete er in München die Musikalische Akademie und lernte C. M. von Weber kennen. Weit über München hinaus bekannt geworden, zeichnen sich seine Werke durch einen am italienischen Belcanto geschulten 371
Winterfeld Gesangsstil und eindrucksvolle Chöre nach dem Vorbild Chr. W. Glucks aus ; die Oper Colmai, sein bedeutendstes Werk, gehört zu den frühesten romantischen Opern. W. komponierte einen 2. Teil der Zauberflöte (Das Labyrinth, Text: E. Schikaneder). L. van Beethoven schrieb 1799 über das Quartett Kind, willst du ruhig schlafen aus dem Opferfest Klaviervariationen (WoO 75). WW: Kammermusik; Symphonien; zahlr. Messen; weltliche Kanuten. - Von den etwa 40 nachweislich aufgeführten Opern, Singspielen u. Operetten sind hsl. oder als Klv:A. erhalten: Helena u. Paris UA: München 1782; Bellerophon u. Der Bettelstudent, UA: ebd. 1785; I fratelli rivali, UA: Venedig 1793; Belisa, UA: ebd. 1794; Ogus, UA: Prag 1795; Das unterbrochene Opferfest u. I due vedovi, UA: Wien 1796; Babylon Pyramiden (1. Akt v. J. Mederitsch) u. Das Labyrinth, UA: ebd. 1797; Der Sturm, UA: ebd. 1798; Maria von Montalban, UA: München 1800; Tamerlan, UA: Paris 1802; Le grotta di Calipso, UA: London 1803; Il trionfo dell'amor fraterno, UA: ebd. 1804, Wiederaufnahme als Castor et Pollux, UA: Paris 1806; 11 ratio di Proserpina, UA: ebd. 1804; Zaira, UA: ebd. 1805; Colmal, UA: München 1809; Maometto II, UA: Mailand 1817. - Ferner 2 Melodramen u. 3 Ballette. - Lehrschrift Vollständige Singschule, 4 Teile (Mz 1825, L 2 1874). Ausg.: 10 Divertimenti, hrsg. v. R. MONSTER (Z 1965); Klar.Quartett Es-Dur, hrsg. v. D. KLöCKER (Lo 1969). Lit.: Thematisches Verz. der Kammermusik, in: Mannheimer Kammermusik des 18. Jh. II, hrsg. v. H. RIEMANN (1915) ( DTB 16); A. Wiiaz, W., in: MGG XIV.
WINTERFELD, Carl Georg August Vivigens von, * 28. 1. 1784 Berlin, t 19.2. 1852 ebd.; dt. Musikforscher. Nach seinem Jurastudium in Halle wurde er 1811 Kammergerichtsassessor in Berlin. 1816 kam er als Oberlandesgerichtsrat nach Breslau und arbeitete daneben als Kustos in der Musikabteilung der Universitätsbibliothek. 1832-47 lebte er als Geheimer Tribunalrat wieder in Berlin. W. war 1809-16 Mitglied der Berliner Singakademie. Auf einer Italienreise 1812 fertigte er Abschriften von zahlreichen it. Werken des 16.18. Jh. (heute in Berlin, Dt. Staatsbibl.). Seine Schrift J. Gabrieli ... und sein Zeitalter gehört zu den Standardwerken der frühen deutschen Musikforschung. Schriften: J. Gabrieli ... u. sein Zeitalter, 3 Bde. (B 1834); Dr. M. Luthers dt. geistliche Lieder (L 1840); Der ev. Kirchengesang u. sein Verhältnis z. Kunst des Tonsatzes, 3 Bde. (L 1843-47); Zur Gesch. heiliger Tonkunst 2 Bde. (L 1850). - Faks.-Ausg.en sämtlicher Schriften (Hil 1965-66). Lit.: B. STOCKMANN, C. von W. (Diss. Kiel 1958); DERS., Bach 'im Urteil C. von W.s, in: Mf 13 (1960); B. MEIER, C. von W. u. die Tonarten des 16. Jh., in: KmJb 50 (1966); K. G. FELLERER, Zum Gabrieli-Bild C. von W.s, in: FS L. Brandt (Kö - Opladen 1968).
WINTERFELD, Max, r Gilbert, Jean. WINTERNITZ, Emanuel, * 4.8. 1898 Wien, t 22.8. 1983 New York; amerik. Musikforscher östr. Herkunft. Nach Jura-Studium (Promotion 1922) und Anwaltstätigkeit in Wien emigrierte W. 372
in die USA, war 1938-41 Lektor am Fogg Museum der Harvard University, 1941-49 Kustos der Instrumenten-Sammlung des Metropolitan Museum of Art in New York und 1949-73 Leiter aller Musiksammlungen dieses Museums. 1947-60 lehrte er als Visiting Professor u. a. an der Yale University und an der City University New York. Schriften: Musical Autographs from Monteverdi to Hindemith (Princeton 1955, Nachdr. 1965); Keyboard Instruments in the Metropolitan Museum of Art (NY 1961); Die schönsten Musikinstrumente des Abendlandes (Mn 1966), engl. Übers.: Musical Instruments of the Western World (Lo - NY 1967); G. Ferrari, his School and the Early History of the Violin (Mi 1967); Gesam-
melte Aufsätze Musical Instruments and their Symbolism in Western Art (NY - Lo 1967); Ober Musikinstrumentensammlungen des Frühbarock (Nü 1970); The Iconology of Music. Potentials and Pitfalls, in: Perspectives in Musicology (NY 1972).
WINTERS (eig. Whisonant), Lawrence, * 15. 11. 1915 Kings Creek (South Carolina), t 24.9. 1965 Hamburg; amerik. Sänger (Bariton). Er studierte bei Robert Todd Dunkan, begann seine Laufbahn zunächst als Konzertsänger und debütierte 1948 an der City Center Opera in New York. Anfang der 50er Jahre kam er nach Europa und war 1952 bis zu seinem Tod Mitglied der Hamburgischen Staatsoper. Zu W.' erfolgreichsten Rollen gehörten die Partien des Tonio (Der Bajazzo, R. Leoncavallo), des Escamillo (Carmen, G. Bizet) und des Amonasro (Aida, G. Verdi). Auch als Liedsänger fand er große Resonanz. WIORA, Walter, * 30. 12. 1906 Kattowitz; dt. Musikforscher. Er studierte 1925-27 an der Berliner Musikhochschule und 1926-36 an den Universitäten Berlin und Freiburg i. Br. (Promotion 1937), wo er 1936-41 am Deutschen Volksliedarchiv tätig war. Nach seiner Habilitation 1941 lehrte er seit 1942 an der Universität Posen und war 1946-52 erneut Mitarbeiter am Deutschen Volksliedarchiv. 1958 wurde er Ordinarius an der Universität Kiel und 1964 in Saarbrücken (1972 Emeritierung). Daneben leitete er 1956-62 das Herder-Institut für Musikgeschichte, war 1961-64 Mitglied der Deutschen Kommission der UNESCO und 1955-80 Vorstandsmitglied des International Folk Music Council. Zu seinem 60. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift geehrt (hrsg. v. L. Finscher Chr.-H. Mahling, Kas 1967, mit vollständiger Bibliogr.). Schwerpunkte seiner Forschungen bilden Volkslied und Volksmusik, Musikästhetik und die Entwicklung der Musik bzw. des Musikbegriffs, wobei historische und systematische Aspekte der Musik verbunden werden. WW: 1) Schriften: Die Variantenbildung im Volkslied (Diss.), Teildruck in:Jb. für Volksliedforsch. 7 (1940); Zur Frühgesch. der Musik in den Alpenländern (Bas 1949); Die Herkunft der Melo-
Wir erreichen den FluB dien in Kretschmers und Zuaalmaglios Sig., erweitert gedr. als: Die rheinisch-bergischen Melodien bei Zuccalmaglio u. Brahms (Bad Godesberg 1953); Das echte Volkslied (Hei 1950, 21962); Zur Grundlegung der allg. Musikgesch., in: DJbMw 1 (1956); Europäische Volksmusik u abendländische Tonkunst (Kas 1957); Die vier Weltalter der Musik (St 1961, frz. P 1963, engl. NY 1965 u. Lo 1966); Komponist u. Mitwelt (Kas 1964); Grenzen u. Stadien des Historismus in der Musik, in: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik (Rb 1969) (- Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 14); Das dc. Lied. Zur Gosch. u. Ästhetik einer musikal. Gattung(Wb - Z 1971); Hist. u. systematische Musikwiss. (Ausgew. Aufsätze) in: Das Triviale (Tutzing 1972); Der Trend z. Trivialen im 19. in Lit., Musik u. bildender Kunst (F 1972); Ergebnisse u. Aufgaben vergleichender Musikforschung (Da 1975); Restauration u. Historismus in: Gesch. der kath. Kirchenmusik Il (Kas 1976); Ideen z. Gesch. der Musik (Da 1980). - 2) Editionen: It. Madrigale v. A. Willaert u.a. (1930, 2 1953) (- Chw 5); Dt. Volkslieder mit ihren Melodien, Bde. 2-4 (B - L 1939-59). J. DORFMÜLLER
WIR BAUEN EINE STADT, Spiel für Kinder von P. Hindemith, Text von Robert Seitz. Ort und Zeit der Handlung: realer Spielraum und fiktive Spielwelt von Kindern in der Gegenwart. UA: 21.6. 1930 Berlin. Die Phantasiestadt, die in diesem Singspiel von Kindern errichtet wird, ist einerseits getreues Abbild der realen Kinderwelt mit ihren Sorgen und Nöten - wie etwa der Abhängigkeit von autoritären Erwachsenen -, trägt jedoch andererseits auch Züge eines Schlaraffenlandes : so soll es in der Stadt keine Schule geben. - Die Darstellung geschieht abwechselnd auf unterschiedlichen Handlungsebenen : einer ersten, nur partiell fiktiven, auf der Erwachsene, gleichsam Zuschauer des Spiels, die Kinder nach Eigenschaften ihrer Stadt fragen, und einer zweiten, auf der die Kinder ihre Antworten singen und dabei - nun gänzlich innerhalb der fiktiven Welt - szenisch illustrieren. Die musikalische Struktur des Werkes wurde bewußt so schlicht gehalten, daß auch kleinere Kinder an der Aufführung beteiligt werden können; die thematische Gestaltung bleibt durchweg an einfachen Marsch- und Liedmodellen orientiert; etwas schwierigere Singstimmeneinsätze werden geschickt im variabel zu besetzenden Instrumentalpart vorbereitet. - Neben dem Plóner Musiktag (1932) ist W. eines der beliebtesten pädagogischen Werke Hindemiths und hat seinen festen Platz in W. A. MAKUS der schulmusikalischen Praxis. WIRBEL. - 1) Bei Saiteninstrumenten Bz. für einen drehbaren Stift (engl.: peg; frz.: cheville; it.: bischero; span.: clavija) aus Holz (Palisander, Ebenholz) oder Metall (mit und ohne Griffknopf), der in einen r Wirbelkasten oder in eine Wirbelplatte eingelassen und mit dessen Hilfe die am Saitenhalter - bei Verwendung von Stahlsaiten an dem dort angebrachten Feinstimmer, einem mit
Schraubgewinde versehenen Hebelmechanismus befestigte Saite aufgewickelt und somit gespannt und gestimmt wird. Instrumente der / Viola da braccio- und / Viola da gamba-Familie sowie Lauten sind mit seitenständigen, r Gitarre und r Fiedel mit hinterständigen, r Lira mit vorderständigen W.n ausgestattet. Die konischen W. der meisten Saiteninstrumente sind bei der Gitarre, Mandoline und beim Kontrabaß durch Metall-W. ersetzt, die über einen Zahnradmechanismus mit Stellschraube betätigt werden. Im Unterschied zu diesen Instrumenten sind bei besaiteten Klavierinstrumenten, Hackbrett, Harfe, Psalterium und Zither zylindrische Stimmnägel in den Stimmstock (bzw. Hals) eingelassen, die die Funktion der W. übernehmen und mit einem Stimmschlüssel gedreht werden. - 2) Bz. für eine Spielart bei Schlaginstrumenten (Pauke, Trommel, Große Trommel), die durch eine Folge sehr schneller, gleichmäßig wechselnder Schläge der beiden Schlegel erzielt wird. Notiert wird der W. als Tremolo oder als Triller: rr
~
oder
Diese Notierung wird auch für Becken und Triangel angegeben, jedoch ohne bestimmte Tonhöhenangabe. WIRBELKASTEN (engl.: peg box; frz.: chevillier; it.: cavigliere; span.: clavijero), Bz. für das äußerste, in die / Schnecke auslaufende Ende des Halses bei Saiteninstrumenten. In den W. sind beidseitig konische Öffnungen gebohrt, durch die die / Wirbel gesteckt werden. Beim Kontrabaß ist häufig an dieser Stelle ein Zahnradmechanismus angebracht, durch den das Spannen der Saiten erleichtert wird. Besonders charakteristisch ist der W. der Laute, der zum Hals fast einen 90° -Winkel bildet. Einige Instrumente mit Resonanzsaiten (Erzlaute, Theorbe) haben 2 Wirbelkästen. WIRBELPLATTE, Wirbelhalter, Bz. für das auslaufende Halsende bei zahlreichen Saiteninstrumenten (r Rebec, r Fiedel, ř Gitarre), in dem hinterständig (gelegentlich auch vorderständig, / Lira) Wirbel eingelassen sind. WIR ERREICHEN DEN FLUSS (We Come to the River), „Actions für Musik" in 2 Teilen von H. W. Henze, Libretto: Edward Bond. Ort und Zeit der Handlung: ein imaginäres Imperium, zu jeder beliebigen Zeit. UA: 12.7. 1976 London (Covent Garden Theatre); dt. EA (in dt. Sprache): 18.9. 1976 Berlin (Deutsche Oper). 373
Wissmer Ein General, dem zunächst Gehorsam und Treue über alles gehen, zeigt plötzlich Mitgefühl für seine bestraften Untergebenen. Sein Staat erklärt ihn daraufhin für verrückt und isoliert ihn in einer Irrenanstalt, deren Insassen den Geblendeten für einen Spion halten und ihn unter ihren Tüchern ersticken. - Henze nutzt die Musik als erweiternde darstellerische Dimension; von 3 auf je einer Bühne sichtbar postierten Orchestern werden unterschiedliche Handlungsstränge, oft simultan, begleitet. Dabei verlangt der Komponist aus Gründen der Textverständlichkeit häufig Sprechgesang; trotz deutlicher Anleihen bei Kompositionen von J. S. Bach und anderen Komponisten läßt sich die musikalische Sprache als Summe von Henzes Schaffen aus der zurückliegenden Dekade deuten, erweitert um zarte, elegische Klänge. Er selbst nennt die Tonsprache „eine an den drei großen Realisten der Musik - Monteverdi, Mozart und Mahler - geschulte realistische Musik unserer Zeit". Die Betroffenheit des Publikums über das erschütternde, mit 113 Rollen groß besetzte Werk wird durch den hoffnungsvollen Schlußgesang der Irrenhäusler (Unser Schritt ist so sicher jetzt; wir können nicht mehr untergehn) kaum gemindert.
Swing und des Mainstream Jazz zu hören. W. gehört zu den führenden Vertretern der Richtung, die Blues und Jazz verbinden; besonders überzeugend verwendet er die Riffs des Blues und des Jump als Steigerungseffekte. WITT, Franz Xaver, * 9. 2. 1834 Walderbach (Oberpfalz), t 2. 12. 1888 Landshut; dt. Kirchenmusiker. Er war Schüler von C. Proske und Joseph Schrems. 1856 zum Priester geweiht, wirkte er 1859-67 als Chorallehrer am Regensburger Priesterseminar, war 1870-71 Domkapellmeister in Eichstätt und 1873-75 Seelsorger in Schatzhofen bei Landshut. W. gründete 1868 den „Allgemeinen Deutschen Cäcilienverein" und wurde damit und mit seinem weiteren Wirken der Initiator des r Cäcilianismus in der katholischen Kirchenmusik. Schriften: Der Zustand der kath. Kirchenmusik zunächst in Altbayern (Rb 1865); Über das Dirigieren kath. Kirchenmusik (Rb 1870); Gestatten die liturg. Gesetze, beim Hochamt dt. zu singen? (Rb 1873, 2 1886). Ausg.: Ausgew. Aufsätze, hrsg. v. K. G. FELLERER (Kö 1934). Lit.: A. WALTER, Dr. F. W. ... (Rb 1889, 2 1906); K. G. FELLERER, Grundlagen u. Anfänge der kirchenmusikal. Organisation F. X. W.s, in: KmJb 55 (1971); C. LICKLEDER, F. X. W. (2 Aufsätze), in: MS 100 (1980).
K. LANGROCK
WISSMER, Pierre, * 30. 10. 1915 Genf; frz. Komponist schweizerischer Herkunft. W. studierte am Conservatoire in Genf und 1935-39 am Conservatoire (Roger-Ducasse) und an der Schola Cantorum (Daniel-Lesur, Ch. Munch) in Paris. Nach Genf zurückgekehrt, wurde er Kompositionslehrer am Conservatoire und Leiter der Abteilung Kammermusik bei Radio Genf. 1949 ließ er sich in Paris nieder, wurde Lehrer für Komposition und Orchestrierung sowie Leiter der Schola Cantorum (1963 Directeur honoraire) und 1969 Direktor der kole Nationale de Musique in Le Mans. WW: 2 Streichquartette (1937-49); Saxophon-Quartett (1956); Quadrige (1961) für Fl., V., Vc., Klv.; Bläserquintett (1964). — Für Orch.: 4 Symphonien (1938-62); Divertimento (1953); Konzerte u. konzertante Werke für Klar., Trp., Gitarre, Klv., V. — Lieder, u. a. La balle au bond (1950), 5 Chansons mit Klv.; Naiades(1941) für Soli, Chor u. Orch. — Opern: Marion (1945), UA: Paris 1951; Capitaine Bruno (1952), UA: Bordeaux 1955; Léonidas (1958), UA: Mailand 1960; Ballette, u. a. Le beau dimanche (1939). — Ferner Film- u. Radiomusik. Lit.: W. TAPPOLET, W. P., in: MGG XIV; C. CHAMFRAY, in: Le courrier musical de France (1969), Nr. 27 (mit Werk-Verz.).
WTTHERSPOON, Jimmy (James), * 8. 8. 1923 Gurdon (Arkansas); amerik. Jazzsänger. Er sang in den 40er Jahren u. a. in der Band von Jay McShann, trat dann bald als Solist hervor, wandte sich in den 50er Jahren auch dem Rhythm & Blues zu und ist bis heute mit bedeutenden Bands des 374
WITT, Friedrich, * 6. 11. 1770 Niederstetten (Württemberg), t 3. 1. 1836 Würzburg; dt. Komponist. W. war 1789 bis etwa 1796 Cammermusicus in der Kapelle des Fürsten von Oettingen-Wallerstein. Der Erfolg seines für Würzburg geschriebenen Oratoriums Der leidende Heiland brachte ihm 1802 die Stelle des Kapellmeisters am dortigen Fürstbischöflichen Hof ein. Von 1814 bis zu seinem Tod wirkte W. in Würzburg als Theaterkapellmeister. Eine Symphonie von ihm wurde von Fr. Stein 1911 als „Jenaer Symphonie" L. van Beethoven zugeschrieben. W. komponierte ferner einige Opern und Oratorien sowie 9 weitere Symphonien u. a. Orchester- und Kammermusikwerke. Ausg.: Symphonie C-Dur (Jenaer Symphonie), hrsg. v. F. STEIN, Klv.-A. (2händig) v. C. SINGER, 4händig v. M. REGER (L 1911); Symphonie in a, hrsg. v. G. STARR (L 1963). Lit.: F. STEIN, Zum Problem der ,.lenaer Symphonie", in: Kgr.Ber. Köln 1958 (Kas 1959); H. C. R. LANDON, The Jena Symphony, in: MR 18 (1957), wiederabgedruckt in: Essays on the Viennese Classical Style (Lo 1970); R. LEAVIs, Die „Beethovenianismen" der Jenaer Symphonie, in: Mf 23 (1970).
WITTGENSTEIN, Paul, * 5. 11. 1887 Wien, t 3.3. 1961 Manhasset (New York); amerik. Pianist östr. Herkunft. Er war Schüler von Th. Leschetizky und begann 1913 seine Laufbahn als Konzertpianist. Zu Beginn des 1. Weltkriegs verlor er den rechten Arm, vervollkommnete aber die Technik seiner linken Hand und setzte seine Karriere als Pianist
Wolf fort. 1939 ging er in die USA, wo er noch bis in die
H. W. Henzes Die Bassariden in Salzburg 1966
50er Jahre auftrat. Viele Komponisten, darunter Fr. Schmidt, E. W. Korngold, R. Strauss, M. Ravel (Konzert für die linke Hand), B. Britten und S. Prokofjew (4. Klavierkonzert B-Dur), haben Konzerte, Klavierstücke und Kammermusik für ihn bzw. auf seine Anregung hin geschrieben. W. veröffentlichte eine Klavierschule School for the Left Hand (3 Bde., Lo 1957).
sang er die Rolle des Pentheus.
Lit.: E. F. FLINDELL, Dokumente aus der Sammlung P. W., in: Mf 24 (1971); DERS., P. W. (1887-1961). Patron and Pianist, in: MR 32 (1971).
WITTINGER, Robert, * 10.4. 1945 Knittelfeld (Steiermark); ung. Komponist. Er studierte seit 1963 Komposition bei Zs. Durkó in Budapest und übersiedelte 1965 in die Bundesrepublik Deutschland, wo er sich am Studio für Elektronische Musik in München weiterbildete. Bis 1968 war er jährlich Stipendiat bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und hielt sich zu weiteren Studien 1972-73 in Rom und 1974 in Florenz auf. 1970-71 leitete er die Konzertreihe „Ars nova" in Stuttgart. Heute lebt er als freischaffender Komponist in der Nähe von Stuttgart. An der Wiener Schule A. Schönbergs und an B. Bartók orientiert, zeichnen sich W.s Werke durch reizvolle Instrumentation, temperamentvolle Musikalität und originelle Titel aus. WW: Polemica(1974) für Vc. u. Klv.; Confusione (1975) für Org. u. Tonband; 3 Streichquartette (1964, 1966, 1970); Bläserquintett Tensioni (1970); Tendenze (1970) für Kammerensemble. - Für Orch.: Symphonien Nr. 1 (1963, revidiert 1976) u. Nr. 2 (1979); Ballettmusik Espressioni (1966); Dissoziazioni (1964); Concentrazioni (1966); Om (1968); Divergenti (1970); Costellazioni (1971); Sinfonia für Streichorch. (1970); Konzert für Ob., Harfe s. Streichorch. (1972); Concerto polemico(1975); Concerto lirico (1977); Sinfonia Nr. 2(1978). - Catalizzazioni(1970) für 24 Vokalisten u. 7 Instrumentalisten. B. A. KOHL
WIXELL, Ingvar, * 7.5. 1931 Lulea; schwedischer Sänger (Bariton). Er studierte in Stockholm und debütierte dort 1952 als Konzertsänger und 1955 als Opernsänger in der Rolle des Papageno in W. A. Mozarts Zauberflöte an der Königlichen Oper Stockholm, der er seither angehört. Seit den 60er Jahren gastiert er als einer der prominentesten Vertreter des it. Fachs an den bedeutenden Opernbühnen Europas und Nordamerikas. Gastverträge binden ihn an die Hamburgische Staatsoper und an die Deutsche Oper in Berlin. W.s Repertoire enthält vor allem Verdi-Rollen, darunter Posa (Don Carlos), Simon Boccanegra und Rigoletto, sowie Graf Almaviva in W. A. Mozarts Le nozze di Figaro, Eugen Onegin in der gleichnamigen Oper P. Tschaikowskys und der Mandryka in R. Strauss' Arabella. Bei der Uraufführung von
WLADIGEROW (Vladigerov), Pantscho (Pančo Charalnov), * 13.3. 1899 Zürich, t 8.9. 1978 Sofia; bulgarischer Pianist und Komponist. Er studierte seit 1912 an der Musikhochschule in Berlin und arbeitete 1921-32 als Pianist, Dirigent und Komponist unter M. Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin. Nach Bulgarien zurückgekehrt, war er 1932-72 Lehrer (1938 Professor) für Klavier und Komposition an der Musikakademie in Sofia. Anfangs durch die westliche Kunstmusik beeinflußt, übernahm W. zunehmend rhythmische, melodische und tonale Elemente der bulgarischen Folklore. WW: Für Klv.: 10 Impressionen (1920); 6 Exotische Praeludien (1924); Klassisch u. Romantisch (1931); Sonatine concertante (1934); Schumen (1934); 2 Improvisationen (1919) für V. u. Klv.; Trio für V., Vc. u. Klv. (1917). - Für Streichorch.: Improvisation u. Toccata (1942), Maiska sinfonija (Mai-Symphonie) (1949). Für großes Orch.: Bulgarische Rhapsodie Wardar(1922); Bulgarische Suite (1927); 4 symphonische rumänische Tänze (1942); Geroitschna uwertjura „9. Sept." (Heroische Ouvertüre) (1949); Ewreiska poema (Jüdisches Poem) (1951); Dramatitschna poema (Dramatisches Poem) (1956); 5 Klv.-Konzerte (1918-63); 2 V.Konzerte (1921 u. 1968). - Lieder, Chöre u. Volksliedbearbeitungen; Oper Tsar Kalojan, UA: Sofia 1936; Ballett Legenda sa eseroto (Die Legende vom See) (1946); Bühnenmusik. Lit.: E. PAWLOW, P. W. (Sofia 1961) (bulgar.).
WOLF, Bz. für die Eigenart vieler Streichinstrumente (z. T. berühmter Geigenbauer), beim Spielen bestimmter Töne schwer anzusprechen. Die Klangfarbe ist dann von allen anderen Tönen verschieden, die Lautstärke kann kaum variiert werden, und im Extremfall, besonders wenn der Bogen nicht sorgfältig angesetzt wurde, erklingt lediglich ein pfeifendes Geräusch. Die Ursache sind ungedämpfte Resonanzen, d. h., Teile des Instrumentes schwingen bei ganz bestimmten Tonhöhen fast ungehindert mit. Durch Dämpfung dieser Resonanzen, z. B. mit kleinen Gewichten an den Saiten zwischen Steg und Saitenhalter, kann der W. (freilich mit unterschiedlichem Erfolg) abgeschwächt werden. WOLF, Hugo Philipp Jakob, * 13.3. 1860 Windischgraz (Steiermark; heute Slovenj Gradec, Jugoslawien), t 22.2. 1903 Wien; östr. Komponist. Er entstammte einer deutschsprachigen Familie mit teilweise slowenischen, vielleicht auch it. Vorfahren. Der Vater, Philipp W., betrieb ein Ledergeschäft. Er war hochmusikalisch und ließ den Sohn früh Klavier und Violine lernen und am häuslichen Musizieren teilnehmen. Nach 4 Jahren erfolglosen Besuchs verschiedener Gymnasien er375
Wolf
hielt W. 1875 die Erlaubnis, ins Wiener Konservatorium einzutreten, das er jedoch schon 1877 wieder verließ. Vom Kompositionsunterricht bei Franz Krenn fühlte er sich nicht angesprochen und betrieb seine weitere Ausbildung als Komponist autodidaktisch. W. blieb in Wien und versuchte, vom Unterrichten zu leben, blieb aber abhängig von einem stetig wachsenden Freundeskreis, der ihn - ungeachtet seines schwierigen Charakters - sein Leben lang unterstützte und förderte. Neben dem Komponisten Adalbert von Goldschmidt und dem Arzt Josef Breuer ist hier der große Kreis der Wiener und süddeutschen Wagnerianer zu nennen, zu dem W. durch seine früh erwachte Begeisterung für R. Wagner Kontakt bekam. Durch das Ehepaar Köchert - Melanie Köchert geborene Lang war der Mensch, von dem sich W. am besten verstanden fühlte - erhielt W. den Auftrag, Musikkritiken für das Wiener Salonblatt zu schreiben. 1884-87 schrieb W. insgesamt 112 Kritiken, in denen er kämpferisch für Wagner, Fr. Liszt und A. Bruckner eintrat. Scharfe Angriffe richtete der „wilde Wolf" gegen J. Brahms und E. Hanslick, was der Verbreitung seiner eigenen Werke sehr geschadet hat. In den ersten Wiener Jahren waren neben zahlreichen Liedern auf Texte von Nikolaus Lenau, H. Heine u. a. das Streichquartett d-moll und die symphonische Dichtung Penthesilea entstanden. 1888 erschienen die ersten Liederhefte im Druck. Im selben Jahr komponierte W. die 53 Mörike-Lieder, in denen er sich schon als ganz eigenständiger Lyriker vorstellte. Die folgenden 10 Jahre sind gekennzeichnet durch den Wechsel von hochproduktiven Phasen mit langen, quälenden Zeiten der künstlerischen Unfruchtbarkeit. 1888 entstanden die Eichendorff-Lieder, es folgten bis 1891 die Goethe-Lieder, das Spanische Liederbuch und der 1. Teil des Italienischen Liederbuchs. Eine Schaffenspause von über 3 Jahren nutzte W. zu Reisen. Der Druck seiner Lieder hatte seinen Ruhm in ganz Deutschland begründet, in zunehmendem Maße wurden W.-Liederabende veranstaltet. Seit Jahren auf der Suche nach einem Opernstoff, entschied sich W. 1895 zur Komposition eines Librettos von Rosa Mayreder (Der Corregidor). Unterstützt durch eine Subvention des Barons von Lipperheide konnte er das Werk noch im selben Jahr abschließen. Die UA 1896 in Mannheim war erfolgreich, aber das nicht bühnenwirksame Werk konnte keinen Platz im Repertoire erringen. 1896 komponierte W. den 2. Teil des Italienischen Liederbuchs. Es zeigten sich die ersten Anzeichen von progressiver Paralyse, Folge einer luetischen Infektion, die W. sich wahrscheinlich schon im 376
18. Lebensjahr zugezogen hatte. 1897 entstanden noch die Michelangelo-Gesänge und Teile einer weiteren Oper, Manuel Venegas. Im September mußte W. in eine Wiener Nervenheilanstalt eingewiesen werden, die er im Januar 1898 für 10 Monate verlassen konnte. Im Oktober 1898 kam er in die niederösterreichische Landesirrenanstalt in Wien und blieb dort bis zu seinem Tode. Seinen Unterhalt bestritt u. a. der 1897 gegründete H. W.Verein, dem auch das Verlagsrecht für die nachgelassenen Werke zugesprochen wurde. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Musik; Kammermusik, u.a.: Streichquartett d-moll Entbehren sollst du, sollst entbehren (1879-84); Intermezzo Es-Dur für Streichquartett (1882-86); Serenade GDur für Streichquartett (1887). - Für Orch.: Symphonische Dichtung Penthesilea (1883-85) (nach H. von Kleist); Italienische Serenade (1892) (nach der Serenade für Streichquartett). - 2) Vokal-WW: a) Lieder für SingSt mit Klv.-Begleitung; von W. selbst veröffentlicht, einige davon auch mit Orch.: 6 Lieder für eine Frauenst. (W 1888) (Text: R. Reinick u.a.); 6 Gedichte von Scheffel, Mörike, Goethe u. Kerner(W 1888); (53) Gedichte v. E. Morike (W 1889); (20) Gedichte von J. von Eichendorff (W 1889); (51) Gedichte v. Goethe (W 1890); Spanisches Liederbuch nach Heyse u. Geibel (Mz 1891); Alte Weisen: 6 Gedichte v. G. Keller (Mz 1891); Italienisches Liederbuch nach P. Heyse, 2 Teile (Mz 1892, Mannheim 1896); 3 Gedichte v. R. Reinick (Mannheim 1897); 3 Gesänge aus Ibsens Das Fest auf Solhaug (1891-96) u. 4 Gedichte nach Heine, Shakespeare u. Lord Byron (Mannheim 1897); 3 Gedichte v. Michelangelo (ebd. 1898). - Weitere Klv.Lieder postum gedruckt oder hsl. erhalten. - b) Chorwerke: 6 geistl. Lieder (1881) (Text: J. von Eichendorff) für gem. Chor a cap.; Christnacht (1886-89) (Text: A. von Platen) für Soli, gem. Chor u. Orch.; Elfenlied (1889-91) (Text: Shakespeare u. A. W. von Schlegel) für Sopransolo, Frauenchor u. Orch.; Dem Vaterland (1890/91) (Text: Reinick) für Männerchor u. Orch.; Morgenhymnus (1897) (Text: ders.) für gem. Chor u. Orch.; Frühlingschor aus Manuel Venegas(1897/98) für gem. Chor u. Orch. 3) Bühnen-WW: Oper Der Corregidor (Libr.: R. Mayreder-Obermayer nach P. de Alarcón), UA: Mannheim 1896; Oper Manuel Venegas (1897) (unvollendet). - Ferner Bühnenmusik zu Ibsens Das Fest auf Solhaug (1890/91).
In einem Gedicht An Hugo Wolf hat Detlev von Liliencron die Wirkung der Mörike-Lieder auf W.s Freunde beschrieben : „Wie war das neu! Zum Erstarren neu !" Tatsächlich hat W. schon durch die Wahl seiner Texte dem Klavierlied ganz neue Bereiche erschlossen, u. a. auch den der Ironie und des Humors. In der Zeichnung der Situation durch die Klavierbegleitung knüpft W. an R. Schumann an. Schumanns Einfluß ist auch in den Vor- und Nachspielen spürbar. W. hat jedoch die Ausdrucksmöglichkeiten der Klavierbegleitung beträchtlich erweitert durch Anlehnung an die Harmonik R. Wagners. Der in sich geschlossenen, oft wie ein eigenes Klavierstück wirkenden Begleitung tritt in großer Selbständigkeit die Singstimme gegenüber. In der Singstimme vermeidet W. eine periodische Gliederung und erweckt dadurch den Eindruck des Unmittelbaren, Improvisierten. Die Wagnersche Deklamation hat er weiterentwickelt
Wolff zu einem Instrument, das die feinsten Nuancen des Textes akzentuieren kann. In der Ehrfurcht vor dem Text steht W. unter den Liederkomponisten einzig da. Unbestritten ist sein Rang als wichtigster dt. Lyriker nach Fr. Schubert. Ausg.: Nachgelassene Werke, hrsg. v. R. HAAS - H. SCHULTZ (L 1936-40) (unvollständig); Sämtliche Werke, Kritische GA, hrsg. v. H. JANCIK, bisher 14 Bde. (W 1960ff.). - H. W.s musikal. Kritiken, hrsg. v. R. BATKA - H. WERNER (L 1911). Lit.: 1) Werk-Verz., Bibliographie u. Dokumente: F. WALKER, H. A Biography (Lo 1951, dt. Gr - W - Kö 1953), 3. erweiterte Aufl. (NY 1968, 1974) (grundlegend; mit Werk-Verz. u. Bibliographie). - A. VON EHRMANN, H. W. Sein Leben in Bildern (L 1937). - F. GRASBERGER, H. W. Persönlichkeit u. Werk. Kat. der Ausstellung zum 100. Geburtstag (W 1960). - H. JANCIK, Die H.-W.-Autographen in der Musikslg. der Ostr. Nationalbibl., in: Beitr. z. Musikdokumentation (Tutzing 1975). - 2) Briefwechsel: H. W.s Briefe an E. Kauffmann, hrsg. v. E. HELLMER (B 1903); H. W.s Briefe an H. Faißt, hrsg. v. M. HABERL NDT (St 1904); H. W., Briefe an P. Müller, in: Jb. Peters (1904); H. W.s Briefe an O. Grohe, hrsg. v. H. WERNER (B 1905); H. W. Familienbriefe, hrsg. v. E. HELLMER (L 1912); H. W., Briefe an R. Mayreder, hrsg. v. H. WERNER (W 1921); H. W., Briefe an H. Lang, hrsg. v. DEMS. (Rb 1923); H. W., Briefe an H. Potpeschnigg, hrsg. v. H. NONVEILLER (St 1923); H. W., Briefe an M. Köchers, hrsg. v. F. GRASBFRGER (Tutzing 1964); Ungedruckte Briefe an H. W., hrsg. v. R. SCHAAL, in: DJbMw 13 (1968); H. W., Briefe an F. Zerny, hrsg. v. E. HILMAR - W. OBERMAIER (W 1978). - 3) Biographien und Stud. zum Werk: E. DESCEY, H. W., 4 Bde. (L 1903-06), 2. Aufl. als: Das Leben u. das Lied (L 1919); K. HEKKEL, H. W. in seinem Verhältnis zu R. Wagner (Mn - L 1905); E. SCHMITZ, H. W. (L 1906); E. NEWMAN, H. W. (Lo 1908, Nachdr. 1966, dt. L 1910); A. ABER, H. W.'s Posthumous Works, in: MR 2 (1941); H.-W.-H.e der OMZ: 8 (1953), 15 (1960), 28 (1973); R. STEPHAN, W. H., in: Die großen Deutschen 4 (B 1958); W. BOLLERT, H. W.s „Corregidor", in: Musica 14 (1960); E. SAMS, The Songs of H. W. (Lo 1961, 2 1981); R. EGGER, Die Reklamationsrhythmik H. W.s in hist. Sicht (Tutzing 1963); J. M. STEIN, Poem and Music in H. W.'s Mörike Songs, in: MQ 53 (1967); B. R. KINSEY, Mörike Poems set by Brahms, Schumann and W., in: MR 29 (1968); H. THÜRMER, Die Melodik in den Liedern v. H. W. (Giebing 1970) (- Schriften z. Musik 2); E. WERBA, H. W. oder der zornige Romantiker (W - Mn 1971); 1. FELLINGER, Die Oper im kompositorischen Schaffen v. H. W., in: Jb. des Staatlichen Inst. für Musikforsch. 1971 (1972); E. BUSSE, Die Eichendorff-Rezeption im Kunstlied. Vers. einer Typologie anhand v. Kompositionen Schumanns, W.s u. Pfitzners (Diss. Marburg 1973); H. J. IRMEN, H. W. u. seine rheinischen Freunde E. Humperdinck, H. Wette u. A. Mendelssohn, in: Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 105 (Kö 1974); P. COOK, H. W.'s Corregidor, A Study of the Opera and Its Origins (Lo 1976); W. WERBA, H. W.s Liedschaffen aus der Sicht von heute, in: OMZ 33(1978). M. MARX-WEBER W.
WOLF, Johannes, * 17.4. 1869 Berlin, t 25.5. 1947 München; dt. Musikforscher. Er studierte an der Universität Berlin (Ph. Spitta und H. Bellermann) und besuchte gleichzeitig die Musikhochschule. 1893 promovierte er bei H. Riemann in Leipzig, unternahm dann Quellenstudien an it. und fn. Bibliotheken und habilitierte sich 1902 in Berlin. 1899-1903 war er Sekretär der von ihm mitgegründeten Internationalen Musikgesellschaft (Veröff. der ersten 4 Bde. der SIMG). 1907 wurde er zum
Professor an der Universität Berlin ernannt und lehrte 1908-27 auch an der Akademie für Kirchenund Schulmusik. Seit 1915 leitete er an der Preußischen Staatsbibliothek die alte Musiksammlung und 1927-34 die gesamte Musikabteilung. W. war einer der bedeutendsten Musikforscher seiner Generation. Er erschloß und edierte wesentliche Quellen der Musik und Musiktheorie des 11.16. Jh. und stellte zum ersten Mal die ältere Notenschrift umfassend dar. Seine Veröffentlichungen auf diesem Gebiet sind bis heute Standardwerke. Zu seinem 60. Geburtstag wurde W. durch eine Festschrift geehrt (B 1929, mit Bibliographie). Schriften: Ein anonymer Musiktraktat des 11. bis 12.1h., in: VfMw 9 (1893); Die Musiklehre des Johannes de Grocheo, in: SIMG 1 (1899/ 1 900); Florenz in der Musikgesch. des 14.1h., in: ebd. 3 (1901/02); Gesch. der Mensuralnotation von 1250 bis 1460, 3 Bde. (L 1904), Nachdr. 1. Bd. (Hil - Wie 1965); Hdb. der Notationskunde, 2 Bde. (L 1913, 1919, Nachdr. Hil - Wie 1963); Die Tänze des Mittelalters; in: AfMw 1 (1918/19); Die Tonschriften (Breslau 1924); Gesch. der Musik in allgemeinverständlicher Form, 3 Bde. (L 1925-29); Die Rassi-Hs. 215 der Vaticana u. das Trecento-Madrigal, in: Jb. Peters 45 (1938). - Editionen: B. Ramos de Pareia, Musica practica (L 1901) (= BIMG 1/2); J. R. Ahles ausgew. Gesangswerke (L 1901) (- DDT 5); H Isaac, Weltliche Werke, 2 Teile (1907-09) (= DTO 28 u. 32); G. Rhau, Newe deudsche geistliche Gesenge (1908) (- DDT 34); J. Obrecht, Werken, 30 Lieferungen (A - L 1908-21); Musikal. Schrifttafeln, 10 Hefte (1922-23, 2 1927); Der Squarcialupicodex, hrsg. v. H. Albrecht (Lippstadt 1955). Lit.: O. KINDELDEY, J. W., in: JAMS 1 (1948); H. OSTHOFF, J. W. z Gedächtnis, in: Mf 1 (1948); O. GoMBosl, J. W., in: MQ 34 (1948).
WOLFF, Albert Louis, * 19. 1. 1884 Paris, t 20.2. 1970 ebd.; frz. Dirigent und Komponist. Er studierte am Pariser Conservatoire, wurde 1911 Dirigent an der Pariser Opéra-Comique und war 1922-23 deren Direktor. 1928 übernahm er als Nachfolger von P. Paray die Leitung der Concerts Lamoureux, 1934 die der Concerts Pasdeloup. W. unternahm zahlreiche Tourneen durch Europa und die USA; 1938-46 dirigierte er häufig am Teatro Colón in Buenos Aires. 1945 wurde er zum Directeur général der Opéra-Comique in Paris ernannt. WW: Kammermusik; Symphonie a-moll (1951); Fl.-Konzert; Lieder; Requiem; Opern (nach Maeterlinck): L'oiseau bleu, UA: New York 1920, Saur Béatrice, UA: Nizza 1948.
WOLFF, Auguste, ř Pleyel & Co. WOLFF, Christoph Johannes, * 24.5. 1940 Solingen ; dt. Musikforscher. Er studierte Kirchenmusik und Musikwissenschaft 1960-63 in Berlin sowie 1963-65 in Freiburg und Erlangen, wo er 1966 promovierte und dann bis 1968 Lektor war. 1968 wurde er Visiting Assistant Professor (1969 Associate Professor) an der Universität Toronto, 1970 377
Wolff Professor an der Columbia University in New York und 1976 an der Harvard University in Cambridge/Mass. (1980 Chairman). Seit 1967 ist W., heute einer der führenden Bachforscher, freier Mitarbeiter des J.-S.-Bach-Instituts Göttingen, seit 1979 auch Mitglied des Dozentenkollegiums der Sommerakademie „J. S. Bach" Stuttgart. Schriften: Zur musikal. Vorgeschichte des Kyrie aus J. S. Bachs Messe in h-moll, in: FS B. Stäblein (Kas 1967); Der stile antico in der Musik J S. Bachs. Studien zu Bachs Spätwerk (Wie 1968) ( Beih.e zum AfMw 6); C Paumanns Fundamentum organisandi u. seine versch. Fassungen, in: AfMw 25 (1968); Ordnungsprinzipien in den Originaldrucken Bachscher Werke, in: Bach-Interpretationen. FS W. Blankenburg (Gö 1969); New Research on Bach's Musical Offering, in: MQ 57 (1971); Überlegungen zum „Thema Regium", in: Bach-Jb. 59 (1973); Bach's Handexemplar of the Goldberg Variations: A New Source, in: JAMS 29 (1976) ; Schubert' „Der Tod und das Mädchen", in: Schubert Studies (C 1982) (engl.); Probleme u. Neuansätze der Bach-Biographik, in: Ber. über das Marburger Bach-Symposium 1978 (Kas 1981). - W. ist seit 1974 Mithrsg. des Bach-Jb. - Editionen: J. S. Bach, Kanons; Musikalisches Opfer u. Goldberg-Variationen (Kas 1974 u. 1976) (- Neue Bach-Ausg. VIII/ 1 u. V/2); W. A. Mozart, Klavierkonzerte... (Kas 1976) (- Neue Mozart-Ausg. V/15/2-3).
WOLFF, Hellmuth Christian, * 23.5. 1906 Zürich; dt. Musikforscher und Komponist. Er studierte an der Universität Berlin (H. Abert, C. Sachs, E. M. von Hornbostel, A. Schering), promovierte dort 1932 und habilitierte sich 1942 in Kiel. 1947-71 lehrte er an der Universität Leipzig (1954 Professor). W.s musikologisches Hauptinteresse gilt der Oper des 17.-19. Jh., ihrer Aufführungspraxis und dem Bühnenbild. Als Komponist trat W. u. a. mit Kammermusik, Orchesterwerken (Inferno 1944, Sinfonia da missa), Liedern, dem szenischen Oratorium Esthersowie Opern und Singspielen hervor. Als Maler war er mit Einzelausstellungen u. a. in Leipzig und Düsseldorf vertreten. Schriften: Die venezianische Oper in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (B 1937); Die Barockoper in Hamburg (1678-1738), 2 Bde. (Wb 1957); Bach und die Musik der Gegenwart (L 1951); Die Musik der alten Niederländer (L 1956); Die HändelOper auf der modernen Bühne (L 1957); Oper (1587-1900) (L 1968, 21979) (- Musikgesch. in Bildern IV/1); Die Oper, 3 Bde. (Kö 1971 ff.) (- Das Musikwerk 38-40); Ordnung und Gestalt. Die Musik von 1900 bis 1950 (Bonn 1978); Die Geschichte der komischen Oper von den Anfängen bis zur Gegenwart (Wilhelmshaven 1981); Die erste italienische Oper in Berlin. C H. Graun, in: BzMw 23 (1981).
WOLF-FERRARI, Ermanno, * 12. 1. 1876 Venedig, t 21. 1. 1948 Venedig; dt.-it. Komponist. Als Musiker wie als Maler gleichermaßen frühbegabt, besuchte er 1891 die Accademia di Belle Arti in Rom sowie 1902 die Malschule Holosy in München und studierte dort 1892-95 an der Akademie der Tonkunst Komposition bei J. Rheinberger. 1896-1900 lebte er in Italien, dann bis 1903 wieder in München. 1903-09 war er Direktor des Liceo 378
Musicale B. Marcello in Venedig. Anschließend ließ er sich 1909 als freischaffender Komponist in München nieder. 1939 wurde W. als Professor für Komposition an das Mozarteum Salzburg berufen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges kehrte er über Zürich 1947 nach Venedig zurück. WW: 1) Instr.-WW: Einige Klv.-Werke; 2 V.-Sonaten (1895, 1901); 2 Klv.-Trios (1900-01); Streichquartett u. -quintett (1940, 1942); Kammersymphonie für Bläser u. Str. (1903). - Für Orch.: Venezianische Suite u. Triptychon (1936); Divertimento (1937); Symphonia brevis(1947); V.-Konzert (194.4); Vc.-Konzert Invocazione (1947); Idillio-Concerto für Ob. u. Kammerorch., SuiteConcertino für Fag. u. Kammerorch. (1933); Piccolo concerto für Engl. Horn u. Kammerorch. (1953). - 2) Vokal-WW: Für SingSt u. Klv.: Rispetti (1903); Canzoniere italiano, 44 Rispetti u. a. über toskanische Texte (1936); La Passione (1937) u. a. Werke für Chor a tapp. - Oratorien: La Sulamite (1898) u. Talitha kumi (1900); Kantate La vita nuova (nach Dante) (1901). 3) Bühnen-WW: La Cenerentola, UA: Venedig 1900; Le donne curiose (nach C. Goldoni), dt. UA als: Die neugierigen Frauen, München 1903; I quattro rusteghi, dt. UA als: Die vier Grobiane, ebd. 1906; I/ segreto di Susanna. dt. UA als: Susannens Geheimnil ebd. 1909; 1 giojelli della madonna, dt_ UA als: Der Schmuck der Madonna, Berlin 1911; L'amore medica, dt. UA als: Der Liebhaber als Arzt, Dresden 1913; La vedova scaltra (nach C. Goldoni), UA: Rom 1931. dt. EA als: Die schalkhafte Witwe, Berlin 1931; I1 Campiello (nach dems.), UA: Mailand 1936; La dama boba, UA: ebd. 1939, dt. EA als: Das dumme Mädchen, Berlin 1939. - 4) Schrift: Considerazioni attuali sulla musica (Siena 1943).
Seinen zeitgenössischen Ruhm verdankte W. den in einer oratorienfeindlichen Zeit entstandenen, von nach-Verdischer Vokalität ebenso wie von J. S. Bach nachempfundener polyphoner Dichte geprägten frühen Chorwerken Talitha kumi (1900) und La vita nuova (1903) sowie ganz entscheidend den Bühnenwerken, auf denen seine musik- und speziell opernhistorische Bedeutung beruht. Das buffoneske Intermezzo Susannens Geheimnis (1909) und die spätveristische Oper (r Verismo) Der Schmuck der Madonna (1911) wurden Welterfolge. W.s 5 großbesetzte „ernste" Opern gipfeln in mosaikhafter Integration des szenisch-musikalisch-komischen Elements (Sly, 1927), die 8 kammermusikalisch gewirkten ,,heiteren" Opern in einem der Singstimme stets absoluten Vorrang einräumenden aphoristischen Klangbild (Campiello, 1936; La dama boba, 1939). Lit.: L. HÜBSCH-PFLEGER, Unveröff. Briefe W.-F.s, in: ZfM 112 (1951); W. PFANNKUCH, Das Opernschaffen E. W.-F.s (Diss. Kiel 1953); P. HAMANN, Die frühe Kammermusik W.-F.s (Diss. Erl 1975); E. W.-F. Kat. der Ausstellung zum 100. Geburtstag, W. PFANNKUCH Bayerische Staatsbibl. (Mn 1976).
WÜLFL (Wölf11), Joseph, * 24. 12. 1773 Salzburg, t 21.5. 1812 London; östr. Pianist und Komponist. Als Chorknabe am Salzburger Dom (1783-86) war er Schüler von L. Mozart und M. Haydn. 1790 ging er nach Wien, lernte dort W. A. Mozart kennen und wurde nach dessen Tod und noch durch
Wollick dessen Vermittlung 1792 Kapellmeister des Grafen Ogiňsky in Warschau. Wegen politischer Wirren kehrte er 1795 nach Wien zurück, wo er sich als Pianist einen Namen machte, nicht zuletzt durch die Rivalität zu L. van Beethoven. 1799-1801 unternahm W. eine Konzertreise nach Brünn, Prag, Dresden, Leipzig, Berlin und Hamburg. 1801-05 lebte er in Paris, seit 1805 in London, wo er mit großem Erfolg bis zu seinem Tode wirkte. W. zählt zu den führenden komponierenden Pianisten seiner Zeit. Mit seinen Klavierwerken wußte er den Geschmack des breiten Publikums gut zu treffen, so daß sie bis in die 1840er Jahre in ganz Europa gespielt wurden. Den Opern blieb dagegen der Erfolg versagt. WW: Klv.-Werke, u.a. zahlr. Sonaten; 3 Klv.-Sonaten, op. 55 (1798) (Beethoven gewidmet); zahlr. Klv.-Sonaten haben V.-, Fl.oder Vc.-Begleitung; Grand duo (vor 1805) für Vc. u. Klv.; zahlr. Trios mit Klv.; 15 Streichquartette; Sonaten für 2 Ob., 2 Hörner u. 2 Fag.; 2 Symphonien; Ouvertüre; 7 Klv.-Konzerte; Concerto da camera für KIv., Fl. u. Str.; Lieder. — Ferner 7 Opern, u.a. L'amour romanesque, UA: Paris 1804; Fernando ou les Maures (1805); 2 Ballette. Ausg.: Grand duo, op. 31, für Vc. u. KIv., hrsg. v. F. L ÄNGIN (Kas 1953) (— Hortus Mus. l 11). Lit.: R. BAUM, J. W. (1773-1812). Leben, Klavierwerke, Klavierkammermusik u. Klavierkonzerte (Kas 1928); H. W. HAMANN, in: MGG XIV; DERS., W., in: Grove6 XX.
W.,
WOLFRUM, Philipp, * 17. 12. 1854 Schwarzenbach am Wald, t 8.5. 1919 Samaden (Graubünden); dt. Musikforscher, Dirigent und Komponist. Er wurde nach Studien bei J. Rheinberger, Fr. Wüllner und K. Bärmann in München (1876-78) Seminarmusiklehrer in Bamberg, 1884 Gesanglehrer am Theologischen Institut der Universität Heidelberg, wo er 1885 den Bach-Verein gründete. 1891 promovierte er in Leipzig und wurde 1894 Universitätsmusikdirektor, 1898 Professor für Musikwissenschaft und 1907 GMD in Heidelberg. Mit dem Bach-Verein und dem ebenfalls von ihm gegründeten Akademischen Gesangverein führte er bis 1919 zahlreiche weithin beachtete Konzerte durch, u. a. die Musikfeste 1909, 1911 und 1913. W., der mit M. Reger befreundet war, hat die Bach-Renaissance und -Rezeption seiner Zeit mitgeprägt und sich ebenso für zeitgenössische Musik eingesetzt. Zu seinen Schülern zählten H. Erpf, K. Hasse und Fr. Stein. Einige seiner Kompositionen fanden vorübergehend größere Verbreitung. WW: 1) Kompositionen: Orgelwerke; Kammermusik. — Für Chor: Das Weihnachtsmysterium, op. 31 (1899); DasgroLe Hallelujah, op. 22 (nach F. G. Klopstock). — 2) Schriften: Die Entstehung und erste Entwicklung des Evangelischen Kirchenliedes in musikalischer Beziehung (L 1890, Nachdr. Walluf 1972); J. S. Bach, 2 Bde. (L 1910); Die Evangelische Kirchenmusik (Bremen 1914) (— Kirchenmusikal. Arch. 22).
Lit.: K. HASSE, Ph. W., in: ZfMw 2 (1919/20); H.-J. NIEDEN, Bach-Rezeption um die Jahrhundertwende, Ph. W. (Mn — Salzburg 1976) (= Beitr. z. Musikforsch. 1). G. SCHUHMACHER
WOLFSQUINTE r Stimmung. WOLKENSTEIN, Oswald von, r Oswald von Wolkenstein. WOLL, Erna, * 23.3. 1917 St. Ingbert/Saar; dt. Komponistin. Sie studierte 1936-38 Orgel und bei W. Fortner Komposition am Ev. Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg, dann Kirchen- und Schulmusik an den Musikhochschulen in München und Köln. Seit 1962 lehrt sie als Dozentin für Musikerziehung (Honorarprofessor) an der Universität in Augsburg (früher Musikpädagogisches Seminar der Universität München). Das überwiegend vokale Schaffen von E. W. trägt als „Wortverkündigung" bekenntnishaften Charakter und spiegelt stilistisch die Auseinandersetzung mit der Vokalmusik J. N. Davids, H. Distlers, P. Hindemiths u. a. Es zeichnet sich in freier Tonalität und Rhythmik durch eine an der Gregorianik geschulte, modal-diatonische Melodik aus. WW: Gott, wir freuen uns(1979), mit Kindern singen u. musizieren im Alltag u. beim Fest. — Für Chor a cap.: Zyklus Tröstet die Finsternis (1972) für 4st. gem. Chor; Motette Eine Grenze haben sie gezogen (1974) für 4st. gem. Chor. — Für Chor u. Instr.: Kantate zur Heiligen Nacht (1963); Requiem für Lebende (1977) für gem. Chor, Ob., Piccolofl. u. Kb., Schlagzeug ad lib.; Psalmvertonungen; Licht und Liebe (1982) für Chor, Fl., Ob., Sprecher u. Schlagzeug. — E. W. schrieb: Komponieren für Frauenchor, in: Lied u. Chor (1975). Lit.: H. J. RÜBBEN, in: Lied u. Chor (1968); E EMMERICH, in: B. A. KOHL
ebd. (1978).
WOLLICK (Bolicius, Vollicius, Wolquier), Nicolaus, * um 1480 Sérouville (Meurthe-et-Moselle), t nach dem 23.5. 1541 Nancy; lothringischer Musiktheoretiker. Er studierte 1498-1501 an der Universität Köln (1507 Dr. theol.), wo Melchior Schanppecher aus Worms sein Musiklehrer war. Anschließend wurde er Rektor der Kathedralschule in Metz. 1508 lehrte er an der Pariser Universität, bevor er endgültig nach Lothringen zurückkehrte. 1513 wurde er Sekretär und Historiograph bei Herzog Anton von Lothringen, der ihn 1520 in den Adelsstand erhob. Er veröffentlichte ein Opus aureum musicae(Kö 1501 u. ö., erweitert als Enchiridion musices, P 1509 u.ö.; 3. und 4. Teil stammen von Schanppecher). Das Werk zielt nicht mehr wie die ma. Musiktheorie auf die Musica speculativa, sondern auf die Musica practica, die Komposition und Ausübung von Musik. Ausg. u. Lit.: Die Musica gregoriana des N. W. bzw. Die Musica figurativa des M. Schanppecher, hrsg. v. K. W. NIEMÖLLER (Kö
379
Wolpe 1955 u. 1961) (— Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 11 u. 50); DERS., N. W. u. sein Musiktraktat (Kö 1956) (— ebd. 13).
nerungen an R. Wagner (L 1888); Wagneriana (L 1888); GroBmeister dt. Musik (Hannover 1897); Aus R. Wagners Geisteswelt (B — L 1908); Wagner u. seine Werke (Rb 1924).
WOLPE, Stefan, * 25.8. 1902 Berlin, t 4.4. 1972 New York; amerik. Komponist dt. Herkunft. Er studierte in Berlin (Fr. Schreker, P. Juon, F. Busoni) und Wien (A. Webern), war seit 1934 Kompositionslehrer am Konservatorium in Jerusalem und ließ sich 1938 in den USA nieder. Zu seinen Schülern zählen D. Tudor und M. Feldman. Sein dem musikalischen Expressionismus zuzurechnendes Schaffen, das seit.1933 auch Vertonungen politisch ausgerichteter Texte einbezieht, reicht von Atonalität über Elemente der Jazz- und Gebrauchsmusik der 1920er Jahre bis zu einer individuellen Zwölftontechnik, die W. mit seinen „organischen Modi" erweitert hat.
2) Ernst Ludwig, Freiherr von, Halbbruder von 1), * 23.4. 1855 Breslau, t 30.7. 1934 München; dt. Schriftsteller. Er gründete 1901 zusammen mit Otto Julius Bierbaum und Frank Wedekind in Berlin das satirische Kabarett „Überbrettl", für das O. Straus und A. Schönberg komponierten. W. verfaßte das Libretto Feuersnot (1901) für R. Strauss. Seine Frau, Elsa Laura von W., * 5.8. 1876 Dresden, t 25.4. 1945 Admont (Steiermark), erlangte als Sängerin zur Laute Berühmtheit.
WW: Concerto für Kb., Klar. u. Klv. (1969); Piece in Two Parts (1962) für 6 Spieler; Stück für Trp. u. 7 Instr. (1969); Chamber Piece Nr. 1 (1964) u. Nr. 2 (1966) für 14 lnstr.; Stücke für Klv. u. 16 Instr. (1960); Symphonie (1956, revidiert 1964). — Lieder; Kantaten; Chöre. — Kammeropern: Zeus und Elida (1928); Schöne Geschichten (1929); Anna Blume (1929); Ballett The Man from Midian (1942); ferner Bühnenmusik. Lit.: M. BRODY, Sensibility Defined. Set Projection in S. W.'s „Form for piano", in: Perspectives of New Music 15 (1976/77).
WOLTZ, Johann, * um die Mitte des 16. Jh.,
t 10.9. 1618 Heilbronn; dt. Organist. Er wirkte wahrscheinlich seit 1572 als Organist in Heilbronn, wo er 1598 Pfarrverweser wurde. Von W. stammt eine Orgeltabulatur mit 215 Werken (zum Teil Intavolierungen von lat. und dt. geistlichen Gesängen, zum Teil originale Instrumentalsätze). W. verzichtet darin fast völlig auf die ältere Praxis der Kolorierung. Als Komponisten sind am stärksten vertreten H. L. Haßler, G. Gabrieli, Cl. Merulo, M. Franck, C. Antegnati und A. Banchieri. WW: Nova musices organicae tabulatura. Das ist: ein newe art teutscher Tabulatur (Bas 1617), Faks.-Ausg. (Bol 1970) (— Bibl. musica Bononiensis IV/53). Lit.: M. HUG, J. W. u. seine Orgeltabulatur (Diss. Tü 1960).
WOLZOGEN. - 1) Hans Paul, Freiherr von W. und Neuhaus, * 13. 11. 1848 Potsdam, t 2.6. 1938 Bayreuth; dt. Schriftsteller. Er studierte in Berlin Philologie und Philosophie. Außerordentlich stark beeindruckt durch Aufführungen von R. Wagners Tannhäuser und Meistersinger ging er seit 1872 mehrmals nach Bayreuth, wo ihm 1877 Wagner die Redaktion der Bayreuther Blätter, des Sprachrohrs für seine künstlerischen Anschauungen, übertrug. Als enger Vertrauter Wagners widmete er sich ganz der Verbreitung von Wagners Werken und Ideen. Schriften: Die Sprache in R. Wagners Dichtungen (L 1878); Erin-
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Lit.: Zu 1): O. DAUBE, H. v. W., in: MGG XIV.
WOOD, Sir Henry Joseph, * 3.3. 1869 London, t 19.8. 1944 Hitchin (Hertshire); engl. Dirigent. Er studierte an der Royal Academy of Music in London und wurde 1895 von dem Impresario Robert Newman zum Leiter der Promenade Concerts in Queen's Hall ernannt, deren Programme aus Quadrillen, Potpourris u. A. bestanden hatten. W. brach rundlich mit dieser Tradition. Als Freund von . Colonne und Ch. Lamoureux führte er neben den bedeutenden Werken des klassischen Repertoires zum ersten Mal in Großbritannien auch zeitgenössische Musik - Cl. Debussy, M. Reger, A. Schönberg, R. Strauss, A. Skrjabin - auf. Ein halbes Jahrhundert hindurch dirigierte er 2 Monate der Saison 6 Tage pro Woche Konzerte, die eine Einführung in Musik jeder Art bedeuteten und es unter heutiger Ägide der BBC geblieben sind. W. starb während der 50-Jahr-Feier der Promenade Concerts, die trotz der dt. Bombardements auf London fortgesetzt worden waren.
E
WORCESTER-FRAGMENTE, Bz. für Reste eines Repertoires von mehr als 100 mehrstimmigen engl. Gesängen, die vom Anfang des 13. Jh. bis gegen Mitte des 14. Jh. zu datieren sind. Von den bisher entdeckten 59 Blättern befinden sich 40 in der Chapter Library der Kathedrale von Worcester (Ms. Add. 68), weitere dazugehörige Blätter in Oxford, Bodleian Library (Ms. Lat. liturg. d 20), und London, Brit. Mus. (Ms. Add. 25031). Die ursprüngliche Provenienz der Blätter ist noch nicht endgültig geklärt, doch weist vieles auf Worcester als ein wichtiges Zentrum der Mehrstimmigkeit hin. Im 13. Jh. erlebte die benediktinische Klosterkathedrale eine Blütezeit infolge der Wallfahrt zu den Schreinen der heiligen Wulfstan und Oswald. Das Repertoire beinhaltet neben einstimmigen Stücken 2-4st. Sequenzen, Rondelli, Conductus, Messätze und Motetten mit C. f. und mit Pes. Die
Wüß typisch engl. Klanglichkeit zeigt sich im häufigen Gebrauch von Ostinato- und Stimmaustauschtechniken, in der Vorliebe für die durähnliche Melodik der F-Tonart und in den vollen Dreiklängen und Terzsextakkorden.
lung (Kas — Eisenach 1958); DERS., Jazz — die magische Musik (Bremen 1961); H. COURLANDER, Negro Folk Music. USA (NY — Lo 1963); B. JACKSON, Wake Up Dead Man. Afro-American W.s from Texas Prisons (C/M 1972); J. HUNKEMÖLLER, Zur Gattungsfrage im Jazz, in: AfMw 31 (1979). J. HUNKEMÖLLER
Lit.: A. HUGHES, Worcester Medieval Harmony (Burnham 1928); L. A. DITTMER, An English Discantuum Volumen, in: MD 8 (1954); DERS., The Dating and the Notation of the Worcester Fragments, in: MD 11 (1957); DERS., The Worcester Fragments. A Catalogue Raisonné and Transcriptions (R 1957) (— MSD 2); DERS., Worcester Add. 68, Westminster Abbey 33327 ... (Brooklyn/N.Y. 1959) (— Publications of Medieval Musical Manuscripts 5); E. APFEL, Stud. z. Satztechnik der ma. engl. Musik (Hei 1959); E. H. SANDERS, Duple Rhythm and Alternative Third Mode in 136 Century Polyphony, in: JAMS 15 (1962); D. STEVENS, The Worcester Fragments, in: MT 116(1975). G. NITZ
WÖRNER, Karl Heinrich, * 6. 1. 1910 Walldorf bei Heidelberg, t 11.8. 1969 Heiligenkirchen bei Detmold; dt. Musikforscher. Er studierte seit 1928 in Berlin an der Musikhochschule und Musikwissenschaft an der Universität (1931 Dr. phil.), war dann als Kritiker und Theaterkapellmeister tätig und wurde 1946 Dozent an der Musikhochschule Heidelberg. 1954 wechselte er zur Zeitschriftenabteilung des Verlags B. Schott's Söhne in Mainz über (1956 Leiter) und wurde 1958 Dozent an der Folkwangschule in Essen, 1961 an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold (1966 Professor). International bekannt wurde W. durch seine Arbeiten zur zeitgen. Musik. Weit verbreitet als Studienhelfer ist W.s Geschichte der Musik.
WORKSONG (engl., = Arbeitslied), Bz. für die älteste Gattung der afroamerikanischen Musik in den USA, die nach Funktion und sprachlichen wie musikalischen Eigentümlichkeiten afrikanischen Ursprungs ist und ihre originären Elemente außergewöhnlich gut bewahrt hat. Als von den Arbeitenden selbst gesungenes Arbeitslied ist der afroamerikanische W. Teil eines global verbreiteten Phänomens ; er begleitet Arbeitsvorgänge und strukturiert dadurch die arbeitsspezifischen Bewegungsabläufe, was in der Regel rein chorisch oder im Wechsel von Vorsänger und Gruppe geschieht. (Solistische Versionen können als quantitativ unerheblich vernachlässigt werden.) - Die Aufgaben des W. sind vielschichtig: Er soll Arbeitsabläufe ordnen, Kooperation ermöglichen, stimulieren, produktionsfördernd wirken und unterhalten, also Arbeit (wie Holzfällen, Korndreschen, Wegebau, Verlegen von Eisenbahnschienen, Hafenarbeit u. a.) erleichtern und zugleich ihren Ertrag steigern. Seine sprachlich-musikalischen Ausprägungen spiegeln konsequent die Funktion der Gattung, weil jeder einzelne W. in seinen Eigenarten vom Bezug zur konkreten Arbeitssituation einer konkreten Gruppe lebt: thematisch, in Tempo und Rhythmus; architektonisch einfach und improvisatorisch-offen, einstimmig (zuweilen auch in rudimentärer Mehrstimmigkeit); auf der Grundlage einer durch Blue notes gekennzeichneten Tonalität, dem Call-and-Response-Pattern unterworfen, melodisch vom Sprechduktus geprägt, mit Shoutähnlichem Stimmeinsatz, in Off-beat-Rhythmisierung (Beat-Markierungen vielfach durch Werkzeuge und „Körperinstrumente"). - Zum W. im uneigentlichen Sinn zählen Cry, Call, Whoop und Holler, d. h. kurze halbmusikalische Artikulationen mit Signalfunktion, die an einzelne (etwa Straßenverkäufer, Flußlotsen, Hirten oder Arbeiter in der Landwirtschaft) gebunden sind. Lit.: A. M. DAUER, Der Jazz. Seine Ursprünge u. seine Entwick-
Schriften: Beiträge zur Geschichte des Leitmotivs in der Oper (Diss. B 1931, Auszüge in: ZfMw 14 1931/32); R. Schumann (Z 1949); Musik der Gegenwart (Mz 1949), erweitert als: Neue Musik in der Entscheidung (Mz 1954, 2 1956); Geschichte der Musik (Gö 1954, '1980, erweitert v. E. Kreft); Gottes Wort und Magie. Die Oper Moses und Aron von A. Schönberg (Hei 1959); K. Stockhausen. Werk u. Wollen (Rodenkirchen 1963, erweitert engl. 1963); Das Zeitalter der thematischen Prozesse in der Geschichte der Musik(Rb 1969) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 18); Die Musik in der Geistesgeschichte. Studien zur Situation um 1910 (Bonn 1970); Prima la serie, dopo la musica?, in: Aspekte der Neuen Musik. FS H. H. Stuckenschmidt (Kas 1968). Lit.: W. BOLLERT, K. H. W., in: Musica 23 (1969). J. DORFMÜLLER
WORŽISCHEK, Jan Hugo, r Voříšek, Jan Václav. WÖSS (eig. Wöß), Joseph Venantius von, * 13.6. 1863 Cattaro (Dalmatien; heute Kotor), t 22. 10. 1943 Wien ; östr. Komponist. Er studierte 1880-82 bei Franz Krenn am Wiener Konservatorium und war als Musiklehrer an Schulen sowie 1922-26 als Organist und Chorleiter in Wien tätig. 1908-31 war er Musikredakteur bei der Universal Edition, 1913-34 auch Schriftleiter der Zeitschrift Musica divina. 1925 wurde er wirkendes Mitglied der Kommission zur Herausgabe der DTÖ. W.' kompositorisches Schaffen hat seine Wurzeln im A cappella-Ideal des Cäcilianismus. Besondere Verdienste erwarb er sich auch um die Förderung der neueren Kirchenmusik in Österreich. Populär im kath. Gemeindegesang wurde W.' Melodie zu dem Lied Gelobt seist du, Herr Jesu Christ (Gotteslob, Nr. 560). WW: 1) Kompositionen: Klv.- u. Orgelstücke; Kammermusik; Divertimenti; Serenaden; Symphonien. — Chorwerke; kirchenmusikal. Werke, u. a. 16 Messen. — Opern F7aviennes Abenteuer, UA: Breslau 1910; Carmilhan, op. 50. — 2) Schriften: G. Mahler,
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Wotquenne Das Lied von der Erde. Thematische Analyse (L 1912); Die Modulation (W 1921); Meine persönlichen Erinnerungen an A. Bruckner, in: Gregoriusblatt 56 (1932). Lit.: E. ROMANOVSKY, J. V. von W. als Messekomponist (Diss. W 1952) (mit Werk-Verz.); DERS., in: MS 83 (1963); J. V. von W. zum Gedenken, in: Singende Kirche 11 (1963) (mit Verz. der kirchenmusikal. Werke). B. A. KOHL
WOTQUENNE, Alfred-Camille, * 25. 1. 1867 Lobber (Hainaut), t 25.9. 1939 Antibes; bellt. Musikforscher. Er studierte bei Fr. Gevaert am Konservatorium in Brüssel, wo er 1894-1919 Bibliothekar und Studieninspektor war. 1921 wurde er Kapellmeister in Antibes. Außer seinen Veröffentlichungen erarbeitete W. einen Zettelkatalog, in dem er 18000 it. Kammerkantaten des 18. Jh. erfaßte. Schriften: Catalogue de la Bibliotheque du Conservatoire Royal de Musique de Bruxelles, 5 Bde. (Bru 1898-1924); B. Galuppi. Étude bibliographique (Bru 1902); Catalogue thématique des ceuvres de Ch. W. Gluck, mit di Übers. v. J. Liebeskind (L 1904, Nachdr. Hil — Wie 1967); Catalogue thématique des ouvres de Ch. Ph. E. Bach, frz. u. dt. (L 1905, Nachdr. Wie 1965 u. 1972); Zeno, Metastasio et Goldoni. Table alphabétique des morceaux mesurés... ceuvres dramatiques, dt. u. frz. (L 1905).
WOYTOWICZ, Stefania, * B. 10. 1925 Orynin; poln. Sängerin (Sopran). Schwester des Komponisten Boleslaw W. (1899-1980), erhielt sie ihre Ausbildung an der Musikhochschule in Krakau. Sie gewann zu Beginn der 50er Jahre Gesangswettbewerbe in Posen, Leipzig und Prag (Musikwettbewerb des Prager Frühlings) und begann 1955 mit einer Tournee durch Österreich, die UdSSR und China ihre Laufbahn. Bekannt wurde sie vor allem auch durch ihre Mitwirkung bei den Uraufführungen von Werken Krz. Pendereckis (u. a. der Lukaspassion, 1966). WOZZECK, Oper in 3 Akten von A. Berg, Text von Berg nach Georg Büchners Drama Woyzeck (1836). Ort und Zeit der Handlung: eine dt. Kleinstadt, um 1800. UA: 14. 12. 1925 Berlin (Staatsoper). Berg wurde zu seiner einzigen vollendeten Oper durch die Theateraufführung in der von K. E. Franzos 1879 veröffentlichten Szenenfolge Büchners angeregt. Seine eigene Textgestaltung stimmt allerdings weitgehend mit der 1909 von A. P. Landau vorgelegten Fassung der Fragmente überein; Bergs Szenenfolge stellt eine weitere Interpretation von Büchners Text dar. - Diese Literaturoper gilt als Höhepunkt des musikalischen Expressionismus auf der Opernbühne. Leitmotivisch eingesetzte Klangmotive werden der dramatischen Situation gemäß oft so stark modifiziert, daß sie dem Hörer verborgen bleiben; auch die absoluten musikalischen Formen, in welchen die Musik 382
streng immanenten, nicht am Text orientierten Bindungen unterworfen ist, dienen nach Bergs Vorstellung der Konzentration beim Hörer auf das Hauptanliegen des Komponisten : Darstellung der Leiden des erniedrigten Wozzeck. Innerhalb der affektgeladenen Diktion der Musik bleibt jedes Wort des Dialogs, teilweise unter Benutzung von Sprechgesang, verständlich. Das Werk wurde in einem Konzertzyklus als 3 Bruchstücke aus Wozzeck am 11.6. 1924 beim Musikfest des ADMV mit großem Erfolg vorgestellt; der szenischen UA gingen 137 Proben voraus. Innerhalb weniger Jahre wurde Wozzeck (in verschiedene Sprachen übersetzt) weltweit bekannt. K. LANGROCK WRANITZKY (Vranický). - 1) Paul (Pavel), * 30. 12. 1756 Neu-Reisch (Mähren; heute Nová Říše), t 26.9. 1808 Wien; böhmischer Violinist und Komponist. W. war Schüler von J. M. Kraus in Wien, 1780-85 Violinist und seit 1785 Musikdirektor des Grafen Johann Nepomuk Esterházy in Eisenstadt. Seit 1795 leitete er das Wiener Hofopernorchester und spielte eine hervorragende Rolle im Musikleben Wiens. Ruhm erlangte er besonders durch seine Singspiele und Ballette, darunter die erste deutsche „Geisteroper" Oberon, die auch musikalisch bereits auf die Romantik vorausweist. Der Erfolg dieses Werkes war mit ausschlaggebend für die Entstehung von E. Schikaneders Libretto zu W. A. Mozarts Zauberflöte. Ober den russ. Tanz aus dem Ballett Das Waldmädchen komponierte L. van Beethoven 1796 die Klaviervariationen WoO 71. WW: 1) Instr.-WW: 1m Druck erschienen: Sonaten für Klv.; Duos für Fl. bzw. V. u. Klav.; Streichtrios u. Trios mit Klv.; zahlr. Streichquartette; Divertissements für Klv.-Quartett; Streichquintette sowie Quintette u. Sextette mit Bläsern. — Für Orch.: 51 Symphonien, darunter La chasse (Offenbach um 1807) u. Grande sinfonie caractéristique pour la paix avec la République Françoise (Au 1797); einige konzertante Symphonien; Konzerte für V. u. für Vc. — 2) Vokal- u. Bühnen-WW: Einige geistliche u. weltliche Werke sowie zahlr. Kanons hsl. — Singspiele u. Opern (meist hsl. oder als gedruckte Klv.-A. erhalten; UA in Wien); Oberon, König der Elfen (1789); Das Fest der Lazaronen (1795); Das Maroccanische Reich (um 1795); Die gute Mutter (1795); Der Schreiner (1799); Das Mitgefühl (1804); 7 Ballette, darunter Das Waldmädchen (1796); Der Tyroler Jahrmarkt (1805) (zus. mit Th. Weigl u. M. Umlauf). Ferner Bühnenmusik.
2) Anton (Antonín), Bruder von 1), * 13.6. 1761 Neu-Reisch, t 6.8. 1820 Wien ; böhmischer Komponist. Er war in Wien Schüler u. a. von J. G. Albrechtsberger und stand seit etwa 1790 im Dienst des Fürsten Fr. J. M. Lobkowitz (seit 1797 als Kapellmeister). 1814 wurde er auch Orchesterdirektor des Theaters an der Wien. Seine Werke sind an J. Haydn und Mozart orientiert und zeigen großen melodischen Reichtum.
Wunderbare Mandarin WW: Im Druck erschienen: Deutsche Tänze u. Variationen für Klv.; Duos für u. mit Fl. u. V.; Streichquartette u. -quintette; ein V.-Konzert. — HsI. erhalten: zahlr. weitere Kammermusik- u. Orch.-Werke, darunter 15 Symphonien u. 14 V.-Konzerte. — Ferner Kirchenmusik. — W. veröffentlichte eine Bearbeitung der Schöpfung v. J. Haydn für Streichquintett (W 1800), die den Beifall des Komponisten fand. — Unterrichtswerk: Vorläufiges Violin Fondament (W 1804 u. 6.). Ausg.: Zu I): Ein Klv.-Stück, in: MAB 14 (1953); Streichquartett, op. 15, Nr. 3 (Pr 1956) (= MAB 25). — Zu 2): V.-Konzert B-Dur (Pr 1954) (— MAB 16); Konzert für 2 Br., hrsg. v. P. GÜNTHER (L 1956). Lit.: M. POŠTOLKA, Thematisches Verz. der Sinfonien P. V.'s, in: Miscellanea musicologica 20 (1971); DERS., W., in: MGG XIV; DERS., W., in: Grove° XX (mit ausführl. Verz. der tschech. Lit.).
WRIGHT, Robert, * 25.9. 1914 Daytona Beach (Florida); amerik. Komponist und Songtexter. Er arbeitete ausschließlich mit dem Komponisten und Songtexter George Forrest zusammen, mit dem er sich auf die Bearbeitung „klassischer" Musik für Musical-Produktionen spezialisierte, die teilweise überaus erfolgreich wurden. Zu Evergreens wurden die Songs Baubles, Bangles and Beads und Stranger in Paradise, beide mit Melodien nach A. Borodin. WW: Musicals: Song of Norway (1944) (nach E. Grieg); Magdalena (1948) (nach H. Villa-Lobos); Kismet (1953) (nach A. Borodin); The Great Waltz (nach Joh. Strauß); Anya (1965) (nach S. Rachmaninow).
WÜHRER, Friedrich, * 29.6. 1900 Wien, t 27. 12. 1975 Mannheim; östr. Pianist. Er studierte 1915-20 an der Wiener Musikakademie, an der er 1921-32 dann selbst Klavier unterrichtete (1925 Professor). 1920-25 war er künstlerischer Leiter des Wiener Akademischen R.-Wagner-Vereins. Weitere Lehrtätigkeiten folgten in Berlin, Mannheim, Kiel und 1939-45 erneut in Wien. 1946-72 war er Dozent der Sommerakademie des Salzburger Mozarteums, 1952-58 Professor an der Musikhochschule in Mannheim, 1956-68 an der Akademie in München. W., der seit 1923 in Europa und Übersee konzertierte, pflegte besonders die Wiener Klassik, die Romantik und Spätromantik, aber auch die Neue Musik, und er gehörte zu den Mitbegründern der östr. Sektion der IGNM. Lit.: K. UMBACH, in: NZfM 118 (1957); E. WERBA, in: ÖMZ 20 (1965) u. 25 (1970).
WÜLLNER. - 1) Franz, * 28. 1. 1832 Münster (Westf.), t 7.9. 1902 Braunfels an der Lahn; dt. Dirigent und Komponist. Er studierte bei A. Schindler, dessen Nachfolger in Frankfurt am Main er 1848 wurde. 1850-54 unternahm er Konzertreisen; dabei lernte er 1853 in Hannover J. Joachim und J. Brahms kennen, mit dem er freundschaftlich verbunden blieb. 1854 wurde er Lehrer für Klavier
am Konservatorium in München, 1858 Musikdirektor in Aachen und 1864 Chordirigent der Hofkapelle in München, verbunden mit dem Auftrag, Chor- und Orchesterklassen am Konservatorium, seit 1867 Königliche Musikschule, deren Leitung er übernahm, einzurichten. 1869 wurde W. als Nachfolger von H. von Bülow Dirigent der Hofoper und der Akademiekonzerte in München. Nach den von ihm dirigierten Uraufführungen von R. Wagners Rheingold (1869) und Walküre (1870) wurde er 1870 zum 1. Hofkapellmeister ernannt. 1877 übernahm er als Nachfolger von J. Rietz die Leitung des Dresdener Konservatoriums und, zusammen mit E. von Schuch, das Amt eines Hofkapellmeisters, das er 1882 zugunsten von Schuch aufgab. 1884 trat er die Nachfolge F. Hillers als Direktor des Konservatoriums in Köln und Leiter der Gürzenichkonzerte an. Als Komponist (hauptsächlich von Vokalmusik) dem Akademismus verpflichtet, hat W. kaum nachhaltiges Echo gefunden. Viel benutzt wurde bis zur Gegenwart seine Sammlung von A cappella-Gesängen Chorübungen der Münchner Musikschule (Mn 1876 u. ö., bearb. v. E. Schwickerath, Mn 1931 u. ö.). - 2) Ludwig, Sohn von 1), * 19.8. 1858 Münster, t 19.3. 1938 Kiel; dt. Schauspieler und Sänger. Zunächst Privatdozent für Germanistik, gab er aber bald diese Laufbahn auf und war 1889-95 in Meiningen engagiert und trat dann als Liedersänger, seit 1914 vor allem als Rezitator auf. Großen Erfolg hatte er noch im hohen Alter mit M. von Schillings Melodram Das Hexenlied. Lit.: Zu l): E. WOLFF, J. Brahms im Briefwechsel mit F. W. (B 1922) (mit Werk-Verz.); D. KÄMPER, F. W. Leben, Wirken u. kompositorisches Schaffen (Kö 1963); R. Strauss u. F. W. im Briefwechsel, hrsg. v. DEMS. (Kö 1963); DERS., Über die UA v. „Rheingold" u. „Walküre", in: R. Wagner. Werk und Wirkung (Rb 1971) (— Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 26).
WUNDERBARE MANDARIN, DER (A csodálatos mandarin), Pantomime in einem Akt von B. Bartók, op. 19. Libretto: Menyhert Lengyel, nach seiner gleichnamigen Kurzgeschichte (1919). UA der 1. Fassung: 27. 11. 1926 Köln (Städtische Bühnen); Choreographie und Inszenierung: Hans Strohbach. UA der 2. Fassung: 12. 10. 1942 Mailand (Teatro alla Scala); Choreographie: Aurel M. Milloss. Dt. EA der 2. Fassung: 1960 München (Bayerische Staatsoper). Ebenso wie I. Strawinskys Sacre du printemps löste auch dieses höchst unkonventionelle, normensprengende, psychodramatische Handlungsballett eine lang andauernde Irritation der zeitgenössischen Kritiker aus; insonderheit wurde das schokkierende Libretto diskutiert: In einem ärmlichen Vorstadtzimmer wird ein Mädchen von 3 Betrü383
Wunderlich gern gezwungen, Manner auf der Straße anzulokken, die ausgeraubt werden sollen. Nach einem Greis und einem Jüngling überwältigen die Betrüger einen seltsamen Mandarin und berauben ihn. Die auf ihn ausgeübten Mordanschläge überlebt der Fremdling. Erst als das Mädchen sich von ihm umarmen laßt, kann der verwundete Mandarin sterben. - Als Symbol für die „alles überwindende Liebe" (Bartók) wird der Mandarin mittels pulsierender Rhythmen und pentatonischer Melodik musikalisch differenziert gezeichnet. Das Raffinement der Verbindung von Harmonik und Instrumentation, überdies die radikale Klangsprache wie auch die koloristischen Nuancen bestimmen das künstlerisch-musikalische Spannungsfeld. - Neben der extravaganten musikalischen Komposition verursachten auch das als verderbt apostrophierte Sujet sowie die in der Choreographie disponierte realistisch brutale Darstellung der Handlung bei der UA einen derartigen Skandal, daß weitere Aufführungen durch Konrad Adenauer, den Oberbürgermeister der Stadt Köln, verboten wurden. Erst 10 Jahre später vermochte eine neue Fassung, die Bartók und Milloss gemeinsam konzipiert hatten, zu überzeugen. G. LUDIN WUNDERLICH, Fritz, * 26.9. 1930 Kusel (Pfalz), t 17.9. 1966 Heidelberg (nach einem Unfall); dt. Sänger (lyrischer Tenor). Er studierte 1950-55 in Freiburg im Breisgau und debütierte 1955 in Stuttgart als Tamino in W. A. Mozarts Zauberflöte. 1959 errang er bei den Salzburger Festspielen internationalen Ruf in der Rolle des Henry in Die schweigsame Frau von R. Strauss. Verpflichtungen an der Münchner (1960) und der Wiener Staatsoper (1962) sowie an zahlreichen in- und ausländischen Bühnen folgten. Auch als Oratorien- und Liedsänger war er überaus erfolgreich. W. war in kurzer Zeit zum bedeutendsten dt. lyrischen Tenor gereift, was den tragisch frühen Abbruch seines Wirkens besonders schmerzlich erscheinen laßt. Er beherrschte zahlreiche Rollen von Cl. Monteverdi bis I. Strawinsky, war jedoch vor allem ein idealer Mozart-Interpret; seine (zum Glück in Schallplatteneinspielungen erhaltenen) Gestaltungen von Partien wie Belmonte, Don Ottavio, Ferrando und Tamino waren in der ausgewogenen Verbindung dramatischer und lyrischer Elemente einmalig. Von Wagner-Partien hielt er sich bewußt (noch) zurück. Ein Höhepunkt seiner Liedkunst war die Interpretation von Fr. Schuberts Zyklus Die schöne Müllerin (ebenfalls auf Platten dokumentiert). W.s klar timbrierte, leuchtkräftige, in allen Registern und Registerübergängen bes. ausgeglichene Stimme war getragen von 384
natürlicher Musikalität, hoher künstlerischer Sensibilität und wacher Selbstkritik. R. HAMMERSTEIN WUNDERLICH, Heinz, * 25.4. 1919 Leipzig; dt. Kirchenmusiker. Er studierte in Leipzig bei K. Straube (Orgel) und J. N. David (Komposition) und war 1943-58 in Halle/Saale als Kantor der Moritzkirche sowie als Lehrer für Orgel und Cembalo an der Kirchenmusikschule und Musikhochschule tätig. 1958-82 wirkte er als KMD an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg, seit 1973 zugleich als Professor für Orgel an der Musikhochschule. Er ist als Dirigent, Organist und Cembalist konzertierend tätig, komponierte Kirchen- und Orgelmusik und publizierte Aufsätze zur Interpretation der Orgelmusik M. Regers (eine Gesamteinspielung auf Schallplatten ist im Entstehen). WURLITZER INTERNATIONAL, Ltd., amerikanisches Instrumentenbau- und Vertriebsunternehmen in De Kalb (Ill.), gegr. 1856 von Rudolph Wurlitzer (1831-1914). Die Firma übernahm 1910 die Hope-Jones-Organ-Company und entwickelte in den folgenden Jahren The Mighty Wurlitzer Theatre Organ, eine Expressivorgel für Kinos und Music Halls. Charakteristisch für sie sind Register zur Nachbildung von Streich-, Blas- und Schlaginstrumenten, Tremulant und elektro-pneumatische Schwellkästen; orchesterähnliche Wirkungen von großer Klangfülle bilden das Resultat. Ein neuartiger, hufeisenförmiger Spieltisch erleichtert die komplizierte Handhabung. Von Hope-Jones übernommen wurde der Double touch (zweistufiger Tastenfall): im First touch wird die Taste nur bis zum ersten Druckpunkt, im Second touch bis zu ihrer tiefsten Position niedergedrückt. Aus dieser Theaterorgel entwickelte die Firma den Klang ihrer späteren elektronischen Orgeln. Auf den Markt kamen u. a. 1947 The Electric Organ, 1952 The Spinet Electric Organ, 1958 The Vacuum Tube Electric Organ, 1963 The Transistor Organ und 1971 The Orbit III Synthesizer. - 1960 wurde die Deutsche Wurlitzer GmbH in Hüllhorst (Westf.) gegründet, eine weitere Niederlassung entstand 1971 in Levern (Kreis Lübbecke). Lit.: J. H. FAIRFIELD, Wurlitzer World of Music (Ch 1956). S. GOSLICH
WURSTFAGOTT r Rankett. WÜSTLING, DER (The Rake's Progress), Oper in 3 Akten von I. Strawinsky, Text von W. H. Auden und Chester Kallman nach William Hogarths gleichnamiger Gemälde- bzw. Kupferstichfolge (1735). Ort und Zeit der Handlung: England, im 18. Jh.; UA: 11.9. 1951 Venedig (Teatro La Fe-
Wyzewa nice); dt. EA (in dt. Sprache) : 4. 11. 1951 Stuttgart. Ausgehend von Hogarths „Moral Pictures", entwarfen Auden und Kallman eine konzis disponierte parabolische Handlung, in der durch typische Märchenelemente oder offenkundige „Faust"-Allusionen wohlbekannte literarische Motivtraditionen heraufbeschworen werden. Diese Vorlage taugte somit in hohem Maße als Libretto für Strawinskys Bühnenkomposition, die in seiner künstlerischen Entwicklung den Kulminationspunkt der neoklassizistischen Tendenzen markiert. Die Voraussetzungen musiktheatralischer Präsentation dienten nun nicht mehr kritischer Analyse ; vielmehr sollte „die Oper" selbst zu einem neuen, gleichsam zweiten Leben erweckt werden. Daß dabei die vorgebliche Unmittelbarkeit der Ausdrucksmedien nur dank Reflexion und Distanz, durch die Wiederaufnahme konventionalisierter Formen und Stile möglich wurde, begründet den Reiz, aber auch die Fragilität dieses Werks. WYSCHNEGRADSKY, Ivan Alexandrowitsch, * 4. (16.) 5. 1893 St. Petersburg, t 29.9. 1979 Paris; frz. Komponist und Musiktheoretiker russ. Herkunft. Nach kurzem Jurastudium war W. 1911-14 Kompositionsschüler von Nikolai Sokolow am Konservatorium seiner Heimatstadt. Seinen eigenen schöpferischen Weg fand er jedoch durch die Bekanntschaft mit A. Skrjabin, dessen mystische und synästhetische Erfahrungen zur Grundlage seiner eigenen Vision eines kosmischen Bewußtseins wurden. 1918 verließ er Rußland und ließ sich im folgenden Jahr in Paris nieder, wo er seither in äußerster Zurückgezogenheit lebte und sich nur seinem Schaffen widmete. WW: Zahlr. Komp.en in Halbtonstimmung sowie in ultrachromatischer Art. - Vierteltonwerke: 24 préludes dans tous les tons de Pechelle chromatique diatonisée à 13 sons (1934, Neufassung 1958-60) für 2 Klv.; für 4 Klv.: Premier fragment symphonique (1934) (auch für Orch. 1967); Deuxième ... (1937); Troisième ... (1946); Quatrième ... (1956) ; Transparences 1 (1956) u. ... 11 (1963) für Ondes Martenot u. 2 Klv.; Streichquartette Nr. 1 u. 2 (1924, 1931). - Cinq variations sans thème et conclusion (1952) für Orch. - L'Évangile rouge (1918-20) für Baßbar. u. 2 Klv. (auch als Halbtonversion); Acte chorégraphique (1937-46) u. L'éternel étranger(1939-68) für Soli, gem. Chor, 4 Klv. u. Schlagzeug.
W. gilt neben A. Hába als der bedeutendste Schöpfer von Kompositionen in Mikrointervallen und war zugleich der entschiedenste Verfechter der Atonalität in Rußland. 1920 entwickelte er ein (von Pleyel erbautes) Vierteltonklavier mit 3 Manualen, für das er mehrere Werke komponierte. 1922-23 arbeitete er dann mit Hába u. a. zusammen, nachdem er zuvor selbständig schon mit Viertel-, Sechstel- und Zwölfteltönen komponiert hatte; 1924 entstand sein Begriff der Pansonorität (= Klangkon-
tinuum der Vierteltöne), auch Pantonalität genannt. 1936 ging W. zur Komposition für verschieden gestimmte Instrumente über, etwa für 2 Klaviere mit gegeneinander um einen Viertelton verschobener Halbton-Stimmung oder der Stimmung in Sechsteltönen für 3 Klaviere. W. arbeitete auch mit 13tönigen Skalen. Lit.: L. GAYEN, I. W. (F 1973); G. EBERLE, in: NZfM 135 (1974); S. SCHNEIDER, Mikrotöne in der Musik des 20. Jh. (Bonn 1975) (= Orpheus-Schriftenreihe 15). B. A. KOHL
WY 1TENBACH, Jürg, * 2. 12. 1935 Bern; Schweizer Komponist und Pianist. Er studierte bei K. von Fischer und S. Veress am Berner Konservatorium sowie bei Yvonne Lefébure und J. Calvet am Pariser Conservatoire ; 1958-59 besuchte W. die Klavierklasse von H. Engel an der Musikhochschule in Hannover. Dann unterrichtete er Klavier an den Konservatorien in Biel (1959-67) und Bern (1962-66). Seit 1967 ist W. Lehrer für Klavier und Interpretation Neuer Musik an der Musikakademie der Stadt Basel. Zusammen mit Ursula und H. Holliger, Eduard Brunner und A. Nicolet bildet er das Basler Ensemble für Neue Musik. W. machte sich als Interpret zeitgenössischer Klaviermusik einen weithin geachteten Namen. Sein kompositorisches Schaffen war zunächst von B. Bartók und I. Strawinsky geprägt; unter dem Einfluß von P. Boulez wandte er sich später seriellen Techniken zu. Seine neuesten Werke stehen dem „instrumentalen Theater" nahe. WW: Sonate für Ob. solo (1963); Nachspiel (1967) für 2 Klv.; Ad libitum (1969) für eine oder 2 Fl.; Exécution ajournée I (1970), Gesten für 13 Musiker; ... II (1970), Gesten für Musiker; ... III (1973) für Streichquartett; Divisions(1964) für Klv. u. 9 SoloStr.; Anrufungen und Ausbruch (1966) für Holz- u. Blechbláser; Conteste (1969) für Kammerorch. - 3 Liebeslieder (1963) (Text: E. Lasker-Schüler) für Alt, Fl. u. Klv.; 4 Kanzonen (1965) für einen Sopran u. Vc.; De metalli (1965, revidiert 1966) (Text: L. da Vinci) für Bar. u. Orch.; Paraphrase (1967) (Text: G. Grass) für einen Sprecher, einen Flötisten u. Pianisten. Lit.: J. HÄUSLER, in: SMZ 106 (1966); K. H. KELLER, J. W. (Be 1970) (- Der kleine Bund 183). B. A. KOHL
WYZEWA (eigentlich Wyzewski), Théodore de, * 12.9. 1862 Kalusik (Russisch-Polen), t 7.4. 1917 Paris; frz. Musikforscher poln. Herkunft. Er kam 1869 nach Frankreich, leitete 1884-88 mit Édouard Dujardin die von ihm gegründete Revue wagnérienne und rief 1901 mit A. Boschot und G. de Saint-Foix die Société Mozart ins Leben. W. wurde weithin bekannt durch die Mozart-Monographie, die er zus. mit G. de 7 Saint-Foix begonnen hatte und die dieser nach W.s Tod fortführte. Schriften: Beethoven et Wagner (P 1898 2 1914) (AufsatzSlg., nicht zur Beethovenrezeption Wagners); W. A. Mozart. Sa vie musicale, de l'enfance à la pleine maturité (1756-1777), 2 Bde. (P 1911, 21936).
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xY XENAKIS, Ianais, * 29. 5. 1922 Bräila (Rumänien); frz. Komponist und Architekt griech. Abstammung. Er lebte 1932-47 in Griechenland (Schulzeit; Ingenieurstudium in Athen 1940-46; Aktivitäten in Widerstandskampf und Bürgerkrieg, schwere Verwundung, zeitweise Haft), kam 1947 als politischer Flüchtling nach Paris, wo er bis 1960 als Mitarbeiter des Architekten Le Corbusier arbeitete und sich dann der Komposition zuwandte (Studium u. a. bei D. Milhaud und O. Messiaen). Seit seinem Orchesterstück Metastaseis (1954) hat X. zahlreiche neue Kompositionsmethoden nach mathematischen Prinzipien entwikkelt (u. a. Wahrscheinlichkeitsrechnung in Pithoprakta, Mengenlehre in Herma, Gruppentheorie in Nomos alpha und Nomos gamma; die Resultate der von ihm erfundenen formalisierten Kompositionsverfahren bezeichnet X. zusammenfassend als r stochastische Musik). Auf dieser Grundlage entwickelte er auch musikübergreifende Konstruktionsprinzipien : Strukturprinzipien zu Metastaseis wurden später auch architektonisch realisiert (Philips-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung, 1958). Seit 1967 entstanden mehrere Polytope als Zusammenfassung von Architektur, Lichtund Farbstrukturen sowie Musik. X. arbeitet sowohl mit vielfältigen vokalen oder instrumentalen Besetzungen als auch mit elektroakustischem Klangmaterial. Er schrieb Computerprogramme zur Berechnung musikalischer Partituren (z. B. ST 4 für Streichquartett und ST 48 für Orch., 1956-62; Analogiques A et B für Tonband und Instrumente, 1959) und arbeitete mit computererzeugtem Klangmaterial (z. B. Basisklänge für La légende d'Eer, 1977). Sein Forschungszentrum CEMAMu realisierte 1976 das Computersystem UPIC, das graphische Strukturen in Klänge umsetzt (nach einem auch für elementarpädagogische Zwecke verwendbaren System). WW: 1) Kompositionen: Metastaseis(1954) u. Pithoprakta (1956) für Orch.; Herma (1961) für Klv. ; Nomos alpha (1966) für Vc.; Nomos gamma (1968) für Orch.; Polytopes: Polytope de Montréal
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(1967), Polytope de Cluny(1972) u. Diatope(für das Centre Pompidou, mit der Tonbandmusik La légende d'Eer); ST4 für Streichquartett u. ST 48 (1956-62) für Orch.; Analogiques A et B(1959) für 9 Instr. u. Tonband; Persephassa (1969) u. Pleiades (1978) für 6 Schlagzeuger; Psappha (1975) für Schlagzeug solo; Erikthon (1974) für Klv. u. Orch.; Pour la paix (1982) für Tonband. - Hiketides (1964), Oresteia (1966) u. Medea (1967) für St. u. Orch.; Nuits für 12 Solost. (1967); Ais (1980) für Schlagzeug solo, Bar. u. Orch.; Nekuia für Chor u. Orch. - 2) Schriften: La musique stochastique, in: Rev. d'esthétique (1961), Musiques formelles Nouveaux principes formels de composition mus, in: RM 253/254 (1963), erweiterte engL Übers. (Bloomington/lnd. - Lo 1971, 2 1972), dt. Teilvorabdrucke in: Gravesaner Blätter (1955) Nr. 1, (1956) Nr. 6 (Auf der Suche nach einer stochastischen Musik), (1960/61) Nr. 18, 19/20, 21, 22 (Grundlagen einer stochast. Musik I-IV), (1966) Nr. 26 (Freie stochast. Musik durch den Elektronenrechner) u. Nr. 29 (Zu einer Philosophie der Musik); Musique Architecture (Tou 1971, 2 1976); Arts/Sciences. Alliages (P 1979).
In der Musik von X. verbinden sich mathematisch-philosophische Strukturprinzipien einerseits mit musiksprachlichen Erweiterungen (Rhythmus als modifizierte Periodizität: Persephassa, Psappha, Pleiades; verallgemeinerte Melodik aus Verzweigungsstrukturen z. B. in Erikthon), andererseits mit politischen Aussageinhalten (Nuits als Memorial für politische Gefangene; Pour la paix) oder mit literarischen bzw. metaphysischen Bedeutungszusammenhängen (Bühnenmusik zu verschiedenen antiken Tragödien ; Ais und Nekuia als Todesmusik). X. verarbeitet sowohl folkloristische Strukturelemente (z. B. Oresteia, Medea) als auch Prinzipien der vorsokratischen Philosophie im Spannungsfeld zwischen bruitistischer Expressivität u. mathematischer Experimentalkomposition. Lit.: F. ATrNEAVE, Stochastic Composition Processes, in: Journal of Aesthetics 17 (1959); M. Bots, I. X. (P 1966, dt. Bonn 1968); N. LACHARTRE, Les musiques artificielles (P 1969) Kap. 4 (I. X. et la musique stochastique); M. FLEURET, I. X. (P 1972); J. BARRAUD, Le dieu hasard ou la rencontre de deux mondes, in: Regards sur I. R. FRISIUS X. (P 1981); N. NATOSSIAN, 1. X. (P 1981).
XERXFS (Sense), Oper in 3 Akten von G. Fr. Händel ; Libretto von Niccolò Minato nach einer 1654 von Fr. Cavalli vertonten älteren Vorlage. Ort und Zeit der Handlung: Persien und Lager am
Xylophon asiatischen Ufer der Dardanellen, um 481 v. Chr. ; UA: 15.4. 1738 London; dt. EA (in dt. Sprache): 5.7. 1924 Göttingen. Händels drittletzte Oper zählt zu seinen aktionsärmsten : Der Perserkönig Xerxes verliebt sich in Romilda, die wiederum dessen Bruder Arsamenes zugetan ist. Nach allerlei Verwechslungen und dem üblichen Intrigenspiel werden die Paare einander zugeführt: Xerxes versöhnt sich mit seiner Verlobten Amastris, und Romildas Liebesheirat erhält den Segen des Königs. Die Bevorzugung des lyrischen Elements läßt Raum für Parodie und Komik; Händel überzeichnet gelegentlich im freien Spiel mit konventionellen musikalischen Floskeln die Affekte ganz bewußt, besonders in den archaisierenden Arien des Xerxes, womit durch den parodistischen Grundzug ein Schritt von der Opera seria zur Opera buffa vollzogen ist. Auch die Integration einer typischen Buffofigur, des Dieners Elviro, und typischer komischer Situationen (Verkleidung und Verwechslung) verweist auf diese Entwicklung. Daneben stehen Arien, die deutlich der Tradition verpflichtet sind; das berühmteste Beispiel steht am Beginn der Oper, die Larghetto-Arie des Xerxes Ombra mai fù - das weltbekannte „Largo", das bereits bei der UA gefallen konnte. Dennoch wurde die Oper nach nur 5 Aufführungen abgesetzt, und auch die im Mai 1738 zur Subskription angebotene Partitur erbrachte nicht den erhofften finanziellen Gewinn. TH. MENGER
XYLOPHON (von griech. xylon = Holz und phöně = Stimme ; engl., frz.: xy lophone ; it.: xilofono, silofono; span.: xilofón[o]), seit dem frühen 19. Jh. Bz. für ein Aufschlag-/ Idiophon, d. h. ein Stabspiel, das aus verschieden langen, abgestimmten Holzstäben besteht, die mit 2 löffelförmig aufgebogenen Holzklöppeln oder mit Schlegeln mit kugelförmigen Köpfen angeschlagen werden. Der Klang des X.s ist trocken-scharf und klappernd. X.e gibt es in vielen Größen und mit unterschiedlicher Anordnung der Holzstäbe. Die außereuropäischen X.e sind einreihig quer zum Spieler geordnet und entweder über einen Holztrog gelegt wie in Südostasien (r Indonesien) oder wie in Afrika und Lateinamerika mit Kalebassen als Einzelresonatoren unter jedem Holzstab versehen (OE Balafon, r Marimba). In Afrika gibt es auch sehr einfache X.e, die aus nur wenigen über die Beine des Spielers oder über eine Erdgrube gelegten Holzstäben bestehen. Die europäischen X.e hatten meist eine diatonische Anordnung in einer oder in 2 Reihen, die entweder quer vor dem Spieler oder trapezförmig mit den größten Stäben vor ihm angeordnet
waren. Die Lagerung der Klangstäbe ist unterschiedlich. Sie werden an beiden Seiten durchbohrt und an Schnüren in einem Rahmen aufgehängt oder sie liegen auf isolierenden Rollen aus Stroh, Filz oder Gummi. Im Orchester wurde zuerst ein in den Alpenländern gespieltes trapezförmiges chromatisches X. eingeführt, dessen Holzstäbe ineinander verschränkt in 4 Reihen angeordnet waren. Heute ist das Orchester-X. in der Regel 2reihig. Die Stäbe sind quer vor dem Spieler klaviaturmäßig mit den chromatischen Halbtonstäben in der 2. Reihe angeordnet. Sie werden entweder an Schnüren im Rahmen eines Kastens aufgehängt oder sind über einen wiegenförmigen Trog als Resonanzkasten gelegt. X.e mit Resonanzröhren unter den einzelnen Stäben werden als Xylorimba bezeichnet. Orchester-X.e werden in verschiedenen Größen gebaut. Die gebräuchlichsten sind das Normal-X. mit einem Tonumfang von c2-c5, das Sopran-X. (c2-g3) und das Tenor-X. (a-d3). C. Orff führte mit seinem Schulwerk das X. auch in die Schul- und Jugendmusik ein. Die Instrumente des Orff`-Schulwerks sind Sopran-X. (c2-fis3/g3), Alt-X. (c'-a2), Alt-Sopran-X. (c'-P), Tenor-Alt-X. (c'-c3) und Baß-X. (c-a'). X.e werden teils nichttransponierend, teils transponierend eine Oktave tiefer als klingend notiert. Alter und Herkunft des X.s sind nicht geklärt. In Europa ist es seit dem 15. Jh. nachweisbar. Es war bis ins 19. Jh. ausschließlich ein Volksmusikinstrument und ein Instrument von Wandermusikern. Das X. hatte viele verschiedene Namen, darunter Holzharmonika oder nach der Strohunterlage Strohfiedel, Holz- und Strohinstrument oder einfach Holz und Stroh (so auch der Titel einer Polka mit einem X.-Solo von Fr. von Suppè) oder Hölzernes Gelächter (erstmals als húltze glechter bei A. Schlick, Spiegel der Orgelmacher, 1511); diese Bezeichnung soll auf oberdeutsch „glächel" oder „klachl" = Klöppel zurückgehen (C. Sachs). Angeregt von Totentanzdarstellungen (Hans Holbein d. J.), schrieb erstmals C. Saint-Saéns zur Charakteňsierung von Knochenklappern ein diatonisches X. vor (La danse macabre, 1875, und Le carnaval des animaux. Fossiles, 1886). Im 19. Jh. wurde das X. durch reisende Virtuosen (Michail Gusikow) weiter bekannt und seit Ende des 19. Jh. auch zunehmend in der Kunstmusik verwendet, so u. a. von E. Humperdinck (Hänsel und Gretel, 1893), H. Pfitzner (Die Rose vom Liebesgarten, 1901), G. Mahler (6. Symphonie, 1904), G. Puccini (Madama Butterfly, 1904; Turandot, 1926), E. Elgar (The Wand of Youth, 1907), I. Strawinsky (L'oiseau de feu, 1909/10; Les noces, 1923), R. Strauss (Der Rosenkavalier, 1911), Cl. Debussy 387
Xylorimba (Ibéria, 1910), Fr. Delius (Eventyr, 1917), P. Hindemith (Kammermusik Nr. 1, op. 24, Nr. 1, 1924), B. Bartók (Sonate für 2 Klv. und Schlagzeug, 1937) und C. Orff (Antigone, 1949). Schwierigere Partien für X. schrieben u. a. P. Boulez (Le marteau sans maître, 1953-55), H. W. Henze (Ode an den Westwind, 1953; Klavierkonzert Nr. 2, 1967), O. Messiaen (Chronochromie, 1960) und M. Tippett (Concerto for Orchestra, 1963; 3. Symphonie, 1972). - r Schlagzeug. Lit.: P. R. KIRBY, The Musical Instruments of the Native Races of South Africa (0 — Lo 1934, Johannisburg 21953); 0. BOONE. Les x.es du Congo Belge (Tervueren 1936); H. TRACEY, Chopi Musicians. Their Music, Poetry and Instruments (Lo 1948); M. GOLDENBERG, Modern School of X.e, Marimba, Vibraphone (NY 1950); K. M. KLIER, Volkstümliche Musikinstr.e in den Alpen (Kas 1956); A. M. JONES, Africa and Indonesia. The Evidence of the X.e and Other Musical and Cultural Factors (Lei 1964); L. A. ANDERSON, The African X.e, in: African Arts 1 (1967); P. H. ROBBINS, Modern Tutor for X.e and Vibraphone M. BRÖCKER (Lo o.J.).
XYLORIMBA, Xylomarimba (von Xylophon und Marimba), Bz. für ein Orchester-r Xylophon mit 2 klaviaturmäßig angeordneten, abgestimmten Reihen von Holzstäben über zylindrischen Resonanzröhren und einem Tonumfang von 4 Oktaven (c' bis c5). Das Instrument wurde u. a. von A. Berg (3 Orchesterstücke, op. 6, 1914), I. Strawinsky (The Flood, 1962), L. Dallapiccola (Parole di San Paolo, 1964) und O. Messiaen (verschiedene Werke) vorgeschrieben. YAMAHA, Handelsname für Produkte einer japanischen Musikinstrumentenfirma, die 1887 von Torakusu Y. als Yamaha Organ Manufacturing Co., Ltd. gegründet und 1897 in Nippon Gakki Manufacturing Co., Ltd. umbenannt wurde. Die Firma baute und exportierte zunächst Orgeln, seit 1900 auch Klaviere und später noch Harmonikaund Akkordeoninstrumente. Nach dem 2. Weltkrieg konnte sie sich nicht zuletzt durch Fusionen mit anderen Unternehmungen und Programmerweiterungen einen entscheidenden Einfluß auf den Weltmarkt sichern. 1950 wurde der erste Flügel hergestellt. Seit 1959 kamen volltransistorisierte elektronische Orgeln und seit 1967 Blasinstrumente (inzwischen weitgehend maschinell gefertigt) auf den Markt. Das Unternehmen beschäftigt heute in Japan rund 26000 Mitarbeiter. ' Parallel zur weltweiten Verbreitung der Instrumente erfolgte der Aufbau eines unter der Bz. „Yamaha Methode" bekanntgewordenen Systems der Musikerziehung. Es geht davon aus, daß es keine wirklich unmusikalischen Menschen gibt. Die erste Y.-Schule wurde 1954 in Tokio eröffnet. Ihr folgten seit 1964 zahlreiche Schulen im Aus388
land. Seit 1966 ist Hamburg-Rellingen Sitz der Yamaha Europa GmbH. YCART (Icart, Hicart, Hycaert), Bernhard (Bernar), Komponist des ausgehenden 15. Jh., katalanischer oder franko-flämischer Herkunft. Er war um 1480 Sänger in der Kapelle König Ferdinands I. von Neapel, wo er J. Tinctoris und Fr. Gaffori, der ihn in seinen Schriften mehrfach erwähnt, kennenlernte. Von Y. sind 2 4st. Lektionen in dem Lamentationsdruck von P. Petrucci (RISM 1501') sowie ein Kyrie, ein Gloria, 3 Magnificat und eine Chanson hsl. erhalten. Ausg.: Die Lamentationen in: Mehrst. Lamentationen aus der ersten Hälfte des 16. Jh., hrsg. v. G. MASSENKEIL (Mz 1965) ( Musikalische Denkmäler 6).
YEPES, Narciso, * 14. 11. 1927 Lorca (Murcia); span. Gitarrist. Er studierte Klavier bei Vicente Asencio am Konservatorium in Valencia, trat als Sologitarrist erstmals 1947 in Madrid auf und konzertiert seit 1948 in Europa, Süd- und Nordamerika und in Japan. Y. ist der gefragteste Interpret klassischer Gitarrenmusik. Seit 1964 spielt er ein 10saitiges Instrument, mit dem er Originalkompositionen für Laute oder Vihuela aufführen kann. Er widmet sich bes. vergessenen Kompositionen des 17. und 18. Jh., die er teilweise für Gitarre transkribiert hat. Y. schreibt auch Filmmusik. Lit.: P. SFNSIER, N. Y. and the Ten String Guitar, in: Guitar 3 (1975).
YOSHIDA, Hidekazu, * 23.9. 1913 Tokio; japanischer Musikforscher und Musikpädagoge. Er studierte privat Musiktheorie und Romanistik an der Universität Tokio. 1948 richtete er mit H. Saitö und M. Iguchi die „Musikklassen für Kinder" ein, gründete 1953 die private Töhö-Musikschule und 1957 das Institut für Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. 1950-69 lehrte er Musikgeschichte an der Chuo-Universität Tokio (1954 Professor). Y.s umfassende Tätigkeit als Kritiker, Autor und Übersetzer (aus dem Englischen, Französischen und Deutschen) trug entscheidend zur kulturellen Verständigung zwischen Japan und der westlichen Welt bei. Schriften: Blick auf die japanische Musik der Gegenwart, in: Melos 29 (1962); Ober die Musikentwicklung Japans in den letzten 1010 Jahren, in: Aspekte der Neuen Musik. FS H. H. Stuckenschmidt (Kas 1968); Y. Z zenshu (H. Y., Gesammelte Schriften), 13 Bde. (Tokio 1975-79).
YOUMANS, Vincent Millie, * 27.9. 1898 New York, t 5.4. 1946 Denver; amerik. Komponist. Er nahm Klavierunterricht, betätigte sich im Börsengeschäft an der Wall Street und begann nach dem
Ysaye
1. Weltkrieg als „songplugger" beim Harms Musikverlag in New York. Später arbeitete er mit Victor Herbert als Korrepetitor am Broadway, trat seit 1921 als Musicalkomponist hervor und produzierte seit 1927 eigene Shows. Am erfolgreichsten waren die Musicals No, No, Nanette!(1925; darin Tea for Two und I Want To be Happy), Hit The Deck (1927) und die Filmmusik zu Flying Down to Rio (darin Hallelujah). Lit.: D. DUNN, The Making of No, No, Nanette (Secaucus/N.J. 1972).
YOUNG, La Monte, * 14. 10. 1935 Bern (Idaho); amerik. Komponist. Er studierte 1957-58 Theorie, Komposition und Musikethnologie an der University of California in Los Angeles und 1958-60 in Berkeley und 1960-61 Elektronische Musik an der New School for Social Research in New York. 1959 war er Schüler von K. Stockhausen in Darmstadt. Später (seit 1970) nahm er bei Pandit Pran Nath Unterricht im klassischen indischen Kunstgesang. Nach anfänglicher Schönberg-Nachfolge wandte er sich 1960 der sogenannten Fluxus-Bewegung (Mixed-Media) zu und betrachtet die Zeit als sein eigentliches Medium. Seit seiner Heirat (1963) mit der Malerin und Licht-Künstlerin Marian Zazeela schrieb er für sie mehrere „Sound/ Light-Environments". Seine Werke sind meist nicht schriftlich fixiert und entstehen für jede Aufführung jeweils neu als „Work in progress". Y. gilt als der Schöpfer einer hauptsächlich elektronisch erzeugten „Trance Music" für eine quasi-religiöse Versenkung. In dem 1962 von ihm gegründeten Theatre of Eternal Music kommt fast ausschließlich eigene Musik zur Aufführung. WW: 1) Kompositionen: Vision (1959) für 11 Instr.; Poem for Chaim Tables Benches, etc. (1960 ff.) (auch für andere Geräuschquellen); Arabic Numeral (Any Integer) (1960) für Gong oder Klv.; Compositions 1960, No. 1-1Su. 1961, No. 1-29;„A continuing performance Work" The Tortoise, His Dreams and Journeys (seit 1964 versch. Teilaufführungen) für eine oder mehrere St., Str. u. Brummtöne, Mikrophone, Mischgeräte, Verstärker, Lautsprecher u. Lichtprojektion; „Sound/Light Environment" Dream House für die Documenta V in Kassel 1972. — 2) Schriften: An Anthology of Chance Operations, Concept Art, Anti-Art ... (o. O. 1963, 2 1970) (zus. mit J. MacLow); Selected Writings (Mn 1969). Lit.: N. GLIGo, Ich sprach mit La M. Y. u. M. Zazeela, in: Melos 40 (1973); M. NYMAN, Experimental Music (Lo 1974). B. A. KOHL
YOUNG, Lester Willis, genannt Pres bzw. Prez, * 27.8. 1909 Woodville (Mississippi), t 15.3. 1959 New York; amerik. Jazzmusiker (Saxophon). Er trat 1934 kurze Zeit in der Band von Fletcher Henderson auf, konnte sich aber wegen seines eigenwilligen Stils dort nicht halten. 1936-40 und erneut 1943-44 spielte er bei Count Basie, mit dem er 1936 seine ersten Aufnahmen machte und sich als
einer der besten Jazzimprovisatoren neben Louis Armstrong und Charlie Parker profilierte. Später trat er in kleineren Ensembles auf. Im Gegensatz zur klangvoll timbrierten Spielweise Coleman Hawkins' nähert sich Y.s leichter, fast vibratoloser Ton schon dem Klangideal des Cool Jazz. Lit.: J. G. JEPSEri, L. Y. (Kop 1957); W. BURKHARDT — J. GERTH, L. Y. (Wetzlar 1959) (= Jazz Bücherei 2); V. FRANCHINI, L. Y. (Mi 1961); M. WILLIAMS, Count Basie and L. Y. Style beyond Swing, in: The Jazz Tradition (NY 1970); H. WOODFIN, L. Y. Analysis, in: Jazz Monthly 19 (1973).
YSAYE (Ysaye), Eugène-Auguste, * 16. 7. 1858 Lüttich, t 12.5. 1931 Brüssel; belgischer Violinist, Dirigent und Komponist. Er studierte 1865-68 und 1872-74 am Konservatorium in Lüttich, später bei H. Wieniawski in Brüssel und 1876-79 bei H. Vieuxtemps in Paris. 1879-81 war Y. Soloviolinist in der Bilseschen Kapelle in Berlin und unternahm ausgedehnte Konzertreisen, u. a. mit Anton Rubinstein und seit 1883 mit dem Pianisten R. Pugno. 1886-98 lehrte er am Konservatorium in Brüssel, 1888 gründete er ein eigenes Streichquartett (mit Mathieu Crickboom, Leo van Hout und Joseph Jacob) und leitete seit 1894 die von ihm gegründeten „Concerts E. Y.", die mit Unterbrechung (1914-18) bis 1940 weiterbestanden. 1894 trat er erstmals in den USA auf, wo er 1918-22 das Cincinnati Symphony Orchestra dirigierte. Seit 1922 lebte Y. wieder in Brüssel. Y.s Ruhm, der nach etwa 1910 allerdings rasch verblaßte, gründete sich auf einen ungewöhnlich großen und schönen geigerischen Ton, eine vor allem in intensivem Vibrato aufscheinende Empfindungsstärke und geniale nachschöpferische Fähigkeiten, denen er seine hochvirtuose Technik unterordnete. Sein Repertoire beschränkte sich lange Zeit auf französische Musik; viele zeitgenössische französische Komponisten schrieben auf seine Anregung hin, so C. Franck die Violinsonate A-Dur (1886) und Cl. Debussy das Streichquartett g-moll (1893), aber auch C. Saint-Saëns, G. Fauré, E. Chausson und V. d'Indy. Erst in späteren Jahren spielte Y. die großen Werke deutscher Komponisten, so etwa L. van Beethovens Violinkonzert erstmals mit 31 und das von J. Brahms mit 40 Jahren. Y. besaß bis 1908 eine berühmte Stradivari-Geige, danach eine Guarneri „del Gesù". Als Komponist folgte er Franck und Debussy. - Y.s Bruder Théophile (1865-1918) machte sich als Komponist (Schüler von Franck) und Pianist einen Namen. WW: 6 V.-Sonaten (Bru 1924) u. weitere Kammermusik; für V. u. Orch.: symphonische Dichtungen: Poéme élégiaque (L um 1895); Scene au rouet; Chant d'hiveru. Extase(Lo 1902); Amitié für 2 V. u. Orch.; ferner zahlr. Bearb. — Y. schrieb H. Vieuxtemps, mon maitre, hrsg. v. P. André (Bru 1968).
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Yun Lit.: E. CHRISTEN, Y. (G 1946); M. BRUNFAUT, J. Laforge. Les Y. et leur temps (Bru 1961); A. YSAYE, Historique des six sonates pour v. seul op. 27 d'E. Y. (Bru 1967) (mit Werk-Vert u. DiskograB. A. KOHL phie); DERS., E. Y. (Bru 1972).
YUN, bang, * 17.9. 1917 Tongyöng (Südkorea); dt. Komponist koreanischer Herkunft. Er studierte 1935-43 in Korea und Japan (Osaka, Tokio), lehrte 1946-52 an verschiedenen Musikschulen in Tongyöng und Pusan und 1953-56 als Dozent für Komposition an der Universität in Seoul. 1955 erhielt er den Kulturpreis dieser Stadt, der mit einem Europa-Aufenthalt verbunden war, und setzte seine Ausbildung 1956-57 am Pariser Conservatoire und 1957-59 an der Musikhochschule in Berlin (B. Blacher, R. Schwarz-Schilling) fort. 1964 ließ er sich als Stipendiat der Ford Foundation in Berlin (West) nieder. 1967 wurde er durch den südkoreanischen Geheimdienst nach Korea verschleppt und erst 1969 wieder entlassen. Nach kurzer Tätigkeit an der Musikhochschule in Hannover (1969-70) wurde Y. Dozent (1974 Professor) für Komposition an der Berliner Musikhochschule. 1971 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.
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WW : 1) Instr.-WW: 5 Klv.-Stücke (1959); Shao Yang Yin (1966) für Cemb.; Tuyaux sonores (1967) u. Fragment (1975) für Org.; Glissées(1970) für Vc.; Königliches Thema (1976) lür V. - Images (1968) für FL, Ob., V. u. Vc.; Trio für FL, Ob. u. V. (1973); Sonata (1979) für Ob., Harfe u. Va. oder Vc. - Für Orch.: Réak (1966); Konzertante Figuren (1972); Piece concertante (1976); Tänzerische Fantasie Musk (1978); Konzerte für: Vc. (1960); Fl. (1977); V. (1980); Klar. (1981); Doppelkonzert für Ob. u. Harfe (1977). 2) Vokal-WW: Memory (1974) für 3 St. u. Schlaginstr.; An der Schwelle (1975) für Bar., Frauenchor, Org. u. a. Instr. - 3) Bühnen-W: Opern: Der Traum des Liu-Tung UA: Berlin 1965; Die Witwe des Schmetterling UA: Nürnberg 1969; Geisterliebe, UA: Kiel 1971; Sim Tjong, UA: München 1972.
Y. verbindet in seinem Schaffen fernöstliche und westeuropäische (Musik-)Kultur, u. a. frei angewandte Zwölftonmusik und serielle Techniken. Als Bauprinzip seiner dialoghaft angelegten, farbenreichen und atmosphärisch dichten Kompositionen dienen sogenannte „Haupttöne" (Y.), d. h. Akkorde, Klänge und Geräusche, die mit reich ornamentierten Figurationen und Glissandi umgeben und verbunden sind. Lit.: L RINSER, Der verwundete Drache. Dialog mit 1. Y. (F 1977); K.-J. MÜLLER, Taoismus u. Atonalität. Zur Musik des Koreaners 1. Y., in: Musik u. Bildung 11 (1979); M. ZENcIe, I. Y., in: NZfM 142 (1981). B. A. KOHL
Z ZABALETA, Nicanor, * 7. 1. 1907 San Sebastián ; span. Harfenist. Er studierte am Konservatorium in Madrid und seit 1925 am Pariser Conservatoire und unternahm ausgedehnte Konzertreisen durch die ganze Welt. 1958-62 lehrte er bei den Sommerkursen der Accademia Musicale Chigiana in Siena. Z. hat wie kein anderer im 20. Jahrhundert die Harfe als Solo-Instrument herausgestellt und gilt als der derzeit bedeutendste Virtuose. Viele zeitgenössische Komponisten, darunter E. Krenek, D. Milhaud und H. Villa-Lobos, wurden durch ihn zu Kompositionen angeregt. ZACAR r Zachara. ZACCONI, Lodovico (Ludovico; eig. Giulio Cesare), * 11.6. 1555, t 23.3. 1627 Fiorenzuola di Focara bei Pesaro; it. Musiktheoretiker. Z. trat 1568 in Pesaro in den Augustinerorden ein und empfing 1575 die Priesterweihe. 1577 ging er zu literarischen Studien nach Venedig, widmete sich aber hauptsächlich der Musik, wurde Schüler von A. Gabrieli und machte sich als Sänger und Gesangspädagoge einen Namen. Seit 1583 studierte er Literatur in Pavia, bewarb sich 1584 vergeblich um eine Stelle als Sänger an San Marco in Venedig und studierte Theologie in Padua. 1585 kam er als Tenorist in die Kapelle Erzherzog Karls von Österreich in Graz und nach dessen Tod 1591 in die Kapelle Herzog Wilhelms V. von Bayern in München, wo er bis 1595 blieb. Anschließend wirkte er als Priester in verschiedenen italienischen Städten, zuletzt als Prior in Pesaro. Sein Hauptwerk, die Prattica di musica, enthält Anleitungen für den improvisierten Figuralgesang, eine Darstellung der Mensuraltheorie, eine Kontrapunktlehre und eine Klassifikation der zeitgenössischen Musikinstrumente. Die Canoni musicali sind die umfangreichste Beispielsammlung ihrer Art. WW : Theoretische WW: Prattica di musica utile et necessaria si al compositore ... si anso al cantore 1. Teil (V 1592, 21596), 2. Teil (1622). — Kompositionen (hsl. erhalten): Canoni musicali proprii
e di diversi autori (um 1621); Canoni musicali sopra Ave Maris Stella di Fr. Soriani. Ausg.: 4 Bücher Canoni musical,, hrsg. v. F. VATIELLI (Pesaro 1905); Prattica di musica, Faks.-Ausg., 2 Bde. (Bol 1967) (— Bibl. musica Bononiensis II/1-2). Lit.: H. KRETZSCHMAR, L Zs Leben auf Grund seiner Autobiographie, in: Jb. Peters 17 (1910); S. L ASTENGO, Musici Agostiniani (Fi 1929); G. SINGER, L Z.'s Treatment of the „Suitability and Classification of All Musical Instruments" in the „Prattica di musica" of 1592 (1968) (— Dias Univ. of Southern California); C. V. PALISCA, Z, in: MGG XIV; G. GRUBER, L Z als Musiktheoretiker (W 1973).
ZACH, Jan (Johann), getauft 13. 11. 1699 Čelákovice bei Brandeis (Böhmen), t 24.5. 1773 Ellwangen an der Jagst; böhmischer Komponist. Er wirkte seit 1725 als Violinist und Organist an Prager Kirchen, bewarb sich 1737 vergeblich um das Domorganistenamt und verließ Prag. 1745 zum Kapellmeister am kurfürstlichen Hof in Mainz berufen, wurde er 1756 wegen eines zunehmenden Gemütsleidens wieder entlassen und blieb weiterhin ohne längere feste Anstellung. Reisen, auf denen er auch Konzerte gab, führten ihn an verschiedene Höfe und Klöster, u. a. häufig an das Zisterzienserkloster in Stams in Tirol, für das er geistliche Werke schrieb. Anfang 1773 ist er am Hof des Grafen von Oettingen-Wallerstein nachweisbar. WW: Sonaten für Cemb. u. V. oder Fl. (P 1767). — Hsl. erhalten: einige Werke für Cemb.; Präludien u. Fugen für Org.; Triosonaten; 28 Sinfonien sowie Partiten für Str. u. B.c.; zahlr. Konzerte für Cemb. — Etwa 30 Messen u. weitere kirchenmusikal. Werke.
Z. gehört mit seinem symphonischen Schaffen, das während seiner Mainzer Zeit einsetzt, zu den an keine Schule gebundenen Vertretern der musikalischen r Vorklassik. Rhythmische und melodische Elemente der böhmischen Volksmusik verleihen manchen Werken einen spezifisch nationalen Charakter. Ausg.: Mehrere Org.-Kompositionen u. eine Sonate a tre (Pr 1953, '1973) (— MAB 12); Cemb.-Konzert c-moll, hrsg. v. A. GoTTRON (Kas 1947) (— Nagels MA 165); Cemb.-Konzert C-Dur, hrsg. v. W. HÖcxNER (L 1949); 2 Triosonaten, hrsg. v. A. Go'rrRON (Kas — Bas 1956) (— Hortus Mus. 145); 5 Quartettsymphonien (Pr 1960) (— MAB 43).
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Zachara Lit.: K. M. KOMMA, J. Z. u. die tschechischen Musiker im dt. Umbruch des 18. Jh. (Kas 1938) (mit thematischem Verz.), Ergänzungen dazu v. A. GOTTRON u. W. SENN, in: Mainzer Zschr. 1 (1955); A. GOTTRON, Mainzer Musikgesch. v. 1500-1800 (Mz 1959) (a Beitr. z. Gesch. der Stadt Mainz 18); R. MONSTER, Das Tantum ergo KV 142 - eine Bearbeitung nach J. Z.?, in: Acta Mozartiana 12 (1965); W. SENN, Z., in: MGG XIV; M. POŠTOLKA, Z., in: Grove• XX.
ZACHARA (Zacar), Name mehrerer im späten 14. und frühen 15. Jh. in Italien wirkender Komponisten. Unterscheiden lassen sich mit hinreichender Sicherheit: 1) Antonio Zachara da Teramo; von ihm sind keine biographischen Einzelheiten bekannt. Überliefert sind 4 Messensatzpaare (Gloria - Credo), 5 einzelne Messesätze (Gloria, Credo), 8 Ballate und 1 Madrigal. Die weltlichen Gesänge waren im 15. Jh. weit verbreitet, dienten als Vorlage zu Parodiemessen und wurden auch für Tasteninstrumente intavoliert. - 2) Nicola Zacharie da Rimini; er war Sänger und Geistlicher an S. Maria del Fiore in Florenz sowie 1420-24 und 1434 Sanger in der päpstlichen Kapelle. Von ihm stammen 2 Messesätze, 1 Antiphon und 2 Motetten. - Überliefert sind von einem Magister Zacharias (von dem nicht bekannt ist, ob es sich um einen der genannten Musiker oder um einen dritten Musiker handelt) 8 Ballate und 1 Caccia. Ausg.: Opera omnia (der genannten Komponisten), hrsg. v. G. REANEY als: Early 15th Century Music 5 (1977) (- CMM 11/5). Lit.: G. REANEY, Z. u. Zacharias, in: MGG XIV; K. VON FISCHER, Kontrafakturen u. Parodien it. Werke des Trecento u. frühen Quattrocento, in: Ann. Mus. 5 (1957); L'ars nova italiana del Trecento II (Certaldo 1969) (mit Beitr. v. U. Günther, M. Peri und G. Reaney); G. REANEY, Zacar, in: Grove• X.X.
ZACHARIA (Zaccaria, Zachariis), Cesare de, it. Komponist des 16. Jahrhunderts. Er ist als Kapellmeister 1590 in München, 1594 in Scheer an der Donau und 1596-97 am Hof der Hohenzollern in Hechingen nachweisbar. Er veröffentlichte 4st. it. Kanzonetten mit hinzugefügtem dt. Text (Mn 1590) und Intonationes Vespertinarum precum mit 4st. Falsibordoni (Mn 1594). Ausg.: 6 Falsibordoni u. Ingressus, hrsg. v. D. HELLMANN, in: Introiten u. Motetten z. Kirchenjahr (St 1958). Lit.: M. C. BRADSHAW, The History of the Falsobordone from its Origins to 1750 (1969) (- Diss. Univ. of Chicago).
ZACHARIAS, Christian, * 27.4. 1950 Jamshedpur (Indien); dt. Pianist. Er studierte bei Vlado Perlemutter in Paris und errang 1975 den 1. Preis beim Ravel-Wettbewerb der Union Europäischer Rundfunkanstalten in Paris. Seither konzertierte er in den wichtigsten Musikmetropolen Europas und gilt als einer der vielversprechenden Pianistenbegabungen der jüngeren Generation in Deutschland. 392
ZACHARIAS, Helmut (Pseud. Charly Thomas), * 27. 1. 1920 Berlin; dt. Violinist, Komponist und Arrangeur. Z. studierte 1936-39 an der Hochschule für Musik in Berlin und spielte bis 1941 im Berliner Kammerorchester unter H. von Benda. Nach dem 2. Weltkrieg machte er sich im Hörfunk, durch zahlreiche Schallplatten und in Fernsehshows auf dem Gebiet der Unterhaltungsmusik einen Namen, indem er einen eigenen, swingenden Jazz-Stil auf der Violine entwickelte. Aus der Fülle seiner Kompositionen seien erwähnt das Concerto für Twens, die Fantasie über drei eigene Themen, die Rhapsodie in Jazz sowie Tokyo-Melody und Mexico-Melody. Er schrieb auch ein Lehrbuch Die Jazz-Violine (Mz 1950). ZACHARIE, Nicola, r Zachara. ZACHER, Gerd, * 6.7. 1929 Meppen (Emsland); dt. Organist und Komponist. Er studierte 1949-52 an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold Orgel (M. Schneider), Komposition (G. Bialas) und Dirigieren (K. Thomas). Bei den Darmstädter Ferienkursen wurde er nachhaltig von O. Messiaen beeindruckt. 1954-57 war er Kantor und Organist der deutschen evangelischen Kirche in Santiago de Chile und 1957-70 an der Lutherkirche in Hamburg-Wellingsbüttel (1968 KM D), daneben Dozent an der Musikakademie in Lübeck. 1970 wurde er Professor für Orgel und Leiter der Ev. Kirchenmusikabteilung der Folkwanghochschule in Essen. Z. gilt als einer der prominenten deutschen Interpreten moderner Orgelmusik und Anreger neuer Spiel- und Kompositionstechniken (u. a. Einbeziehung bestimmter Anschlagsaiten, Veränderung des Winddrucks und Nutzung der Pfeifenobertöne). Führende Vertreter der Avantgarde widmeten ihm Werke. Schriften: Analyse der Orgel, in: Darmstädter Beitr. z. neuen Musik 13 (Mz 1972); Zur Orgelmusik seit 1960, in: Orgel u. Orgelmusik heute (St 1968) (- Veröff. der Walcker-Stiftung für orgelwiss. Forschung 2); Ober eine vergessene Tradition des Legataspiels, in: MuK 43 (1973); Frescobaldi und die instr. Redekunst, in: ebd. 49 (1975). Lit.: R. LÜcx, Von der Neuentdeckung der Orgel, in: ders., Werkstattgespräche mit Interpreten Neuer Musik (Kö 1971); M. HORB. A. KOHL BERG, in: Der Kirchenmusiker 30 (1979).
ZACHOW (Zachau), Friedrich Wilhelm, getauft 14. 11. 1663 Leipzig, t 7.8. 1712 Halle/Saale; dt. Organist und Komponist. Er erhielt eine Ausbildung als Stadtpfeifer (vermutlich von seinem Vater, der seit 1676 dieses Amt in Eilenburg versah) und Organist. Von 1684 bis zu seinem Tode war er dann Organist und Director musices an der Marienkirche in Halle. Als Kantatenkomponist steht
Zamfir Z. am Übergang vom geistlichen Konzert in der Schütz-Tradition zur madrigalischen Kantate der Bach-Zeit. Der Nachwelt ist er vor allem als Lehrer G. Fr. Händels bekannt, der um 1692 bei ihm Orgel- und Kompositionsunterricht erhielt. WW (hsl. erhalten): Etwa 50 Orgel-Choräle (Choralvariationen, -fugen u. -vorspiele); eine Suite u. einzelne Stücke für Tasteninstr. - 32 Kirchenkantaten für 3-6 St., Str. u. B.c.; ferner eine Missa Christ lag in Todesbanden für 4 St. u. B. c. sowie 3 lat. Gesänge. Ausg.: Gesammelte Werke (vokal u. instr.), hrsg. v. M. SEIFFERT (1905) (- DDT 21/22); Werke für Klavier, hrsg. v. G. OCHS (Hl 1950); Choralvorspiele, hrsg. v. A. ADRIo (B 1952, Da 1953); Gesammelte Werke für Tasteninstr., hrsg. v. H. LOHMANN (Wie 1966); Kantate Herr, wenn ich nur dich habe, hrsg. v. M. SEIFFERT (1926) (- Organum 1/5). Lit.: G. THOMAS, F. W. Z. (Rb 1966) (- Kölner Beitr. z Musikforschung 38); DERS., Z., in: MGG XIV; DERS., Z., in: Grove' XX.
ZAHLENSYMBOLIK. In den meisten Kulturen und Religionen wurden neben dem umgangsmäßigen Rechnen Versuche unternommen, Zahlen als Symbolträger kosmischer und menschlicher Ordnungen, von Naturgesetzen oder der Sphärenharmonie zu verwenden. Auch die Austauschbarkeit von Buchstabe und Zahl (Zahlenkabbalistik) spielt dabei eine gewisse Rolle. Die beiden wichtigsten Quellen für die abendländisch-christliche Tradition der Z. im Blick auf die Musiktheorie wie auf die klingenden Kompositionen sind die Lehre des Pythagoras (6. Jh. vor Chr.) und die Bibel. - r Symbol. ZAHN, Johannes, * 1.8. 1817 Eschenbach bei Nürnberg, t 7.2. 1895 Neuendettelsau; dt. Theologe und Hymnologe. Er studierte 1837-39 und 1840-41 in Erlangen und 1839-40 in Berlin, wo er C. von Winterfeld kennenlernte. 1841 wurde er Lehrer am Predigerseminar in München und 1847 Präfekt des Lehrerseminars in Altdorf, das er 1854-88 leitete. Von den Ideen der Romantik und der evangelischen Restauration ausgehend, bemühte sich Z. um die Wiederbelebung des reformatorischen Kirchenliedes. Aus seinen Nachforschungen für seine Choral- und Melodienbücher, für die er die Lieder aus den historischen Quellen entnahm, ist sein wissenschaftliches Hauptwerk, Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder, als Standardwerk der Hymnologie und Musikwissenschaft erwachsen. Seine umfangreiche Sammlung historischer Gesang- und Choralbücher befindet sich heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Schriften: Die Melodien der dt. ev. Kirchenlieder, aus den Quellen geschöpft 6 Bde. (Gütersloh 1889-93, Nachdr. Hil 1963). - Z. gab ferner Kirchenlieder in zahlr. Melodien- u. Chorgesangbüchern heraus, darunter Vierstimmiges Melodienbuch z Gesangbuch der ev-luth. Kirchen in Bayern (Erl 1855, .1907).
Lit.: R. FUCHS, D. J. Z., der Historiker der dt. ev. Kirchenmelodien, in: MGkK 22 (1917); K. AMELN, J. Z.s Bedeutung für die Erneuerung des ev. Kirchenliedes, in: MuK 24 (1954). G. SCHUHMACHER
ZAJC, Ivan (Giovanni von Zaytz), * 3.8. 1831 Fiume (heute Rijeka), t 16. 12. 1914 Agram (heute Zagreb); kroatischer Komponist. Er studierte 1850-56 am Mailänder Konservatorium, war dann Kapellmeister und Gesangslehrer in Fiume und ging 1862 nach Wien, wo er bald zu den bekanntesten Operettenkomponisten gehörte. 1870-89 wirkte er als Opernkapellmeister und 1870-1908 als Direktor der Musikschule in Agram. Z. war die wichtigste Musikerpersönlichkeit seiner Zeit in Kroatien. Seine Werke, darunter viele Opern und Operetten nach italienischem Vorbild, zeigen eine erstaunliche Leichtigkeit der melodischen Erfindung und eine brillante Instrumentation. WW: Kompositionen für Klv.; Kammermusik; symphonische Dichtungen; Ouvertüren; Lieder; Chöre; etwa 50 Kantaten u. Oratorien; 19 Messen; über 50 Operetten u. Opern, u. a. Nikola Šubie Zrinsjki (1876); Bühnenmusik. Lit.: H. PETTEN, Verz der Werke I. Z.' (Zagreb 1956); L. ŽUPANOVIč, Iz korespondencije Zajca, in: Muzikolški zbornik 2 (1967); H. Pe.i 1EN, I. Z. (Zagreb 1971); K. Mos, Mjesto solopjesme u. stvaralaštvu I. Zajca, in: Artes Musices 3 (1972) (mit engl. Zusammenfassung); Z BLAžEKOwIČ, I. Z im Spiegel seiner Korrespondenz, in: ebd. 10 (1979).
ZALZAL MANSUR (eig. Mansür ibn Oa'far alI?ärib), * Kufa(?), t 791(?) Bagdad(?); arabischer Lautenist und Musiktheoretiker. Zeitgenossen rühmten ihn als den größten Lautenisten aller Zeiten, daher auch sein Beiname „al-I?ärib" (der Instrumentalist). Für die arabische Musikgeschichte wichtig ist sein Beitrag zur Neuordnung des Tonsystems der Laute durch Einführung einer sogenannten „neutralen" Terz zwischen kleiner und großer Terz (22 :27, erstmals durch al-Färäbí berechnet) sowie durch die Entwicklung eines neuen Lautentyps, des 'Cd al-šabbüt, der die persische Laute ablöste. Lit.: H. HUSMANN, Grundlagen der antiken und orientalischen Musikkultur (B 1961).
ZAMBA OE Cueca. ZAMFIR, Gheorghe, * 1941 Gäe$ti bei Bukarest; rumänischer Panflötenspieler und Komponist. Er studierte an der Musikakademie und am Ciprian Porumbescu-Konservatorium in Bukarest und erhielt 1968 sein Dirigentendiplom. Schon während seiner Studentenjahre machte er sich als Panflötenspieler im In- und Ausland einen Namen. Nach seiner Ausbildung leitete er zuerst das Bukarester Folklore-Ensemble „Ciocirlia", später das 1970 393
Zampa von ihm gegründete eigene Orchester, dessen Repertoire heute über 2000 Titel (rumänische Folklore-Musik, Klassiker-Bearbeitungen und Kompositionen im Pop-sound) umfaßt. 1976 unternahm Z. seine erste Deutschland-Tournee. ZAMPA oder die Marmorbraut (Zampa ou La fiancée de marbre), Opéra-comique in 3 Akten von F. Hérold, Text von A. H. J. Mélesville. Ort und Zeit der Handlung: bei Molazza in Sizilien, im 16. Jh.; UA: 3.5. 1831 Paris (Opéra-Comique), dt. EA (in dt. Sprache): 17. 11. 1831 Mainz. Diese überaus erfolgreiche Opéra-comique wurde innerhalb von 80 Jahren allein in Paris 700mal gespielt. Mélesville machte in seinem Libretto zahlreiche Anleihen bei W. A. Mozarts Don Giovanni, die weit über eine Übernahme des Topos vom steinernen Gast hinausgehen : Die Grafentochter Camilla soll Alfonso di Monza heiraten, dieser aber wird von dem Seeräuber Zampa (Alfonsos Bruder) gefangengenommen. Um den Bräutigam zu retten, muß Camilla in eine Ehe mit Zampa einwilligen. Bei einem Gelage steckt der Korsar einer Marmorstatue (der als Heilige verehrten Bianca Manfredini) spottend einen Verlobungsring an die Hand. Als Zampa schließlich Camilla zum Altar führen will, tritt ihm die Statue entgegen und zieht ihn hinab in das Feuer, das aus der Erde emporlodert. -- Die leichte, oft auf äußere Brillanz angelegte Musik orientiert sich an den großen Vorbildern G. Rossinis und Fr. A. Boieldieus; klare Linien und melodischer Einfallsreichtum bestimmen das Werk. Neben glanzvollen Koloraturpartien für die Hauptrollen verdient die Ouvertüre, die auch als Orchesterstück sehr beliebt ist, besondere Beachtung. R. QUANDT ZAMPIERI, Giuseppe, * 25. 5. 1921 Verona, t 11. 11. 1981 Verona; it. Sänger (Tenor). Nach seiner Ausbildung in Mailand debütierte er dort 1951 am Teatro Lirico. Seither war er Mitglied der Mailänder Scala, außerdem seit 1957 ständiger Gast der Wiener Staatsoper. Er sang 1961 erstmals an der Metropolitan Opera in New York, gastierte bei den Salzburger Festspielen, beim Holland Festival und am Covent Garden in London. Z. wurde vor allem in den lyrischen und lyrisch-dramatischen Partien der italienischen Oper des 19. Jh. (G. Verdi, G. Puccini) und in der Rolle des Florestan (Fidelio, L. van Beethoven) gefeiert. ZAMPOGNA (it.; Herleitung von griech. symphÖnia), Bz. für die r Sackpfeife Unteritaliens, die sich von den anderen Sackpfeifen dadurch unterscheidet, daß sie insgesamt 4-7 Pfeifen hat, die alle in eine einzige Tülle eingesteckt sind, und daß stets 394
2 Pfeifen, und zwar die längsten, als Melodiepfeifen benutzt werden. Die Z. kann mit einfachen und/oder Doppelrohrblättern ausgestattet sein. Die Z. hat einen weichen Klang, der durch das Zusammenspiel mit einer OE Ciaramella geschärft wird. - " Piffero. Lit.: M. BRÖCKER, Die Sackpfeifen Italiens, in:The Brussels Museum of Musical Instruments. Bulletin VIII, 1/2 (Buren 1978).
ZANDONAI, Riccardo, * 30. 5. 1883 Sacco di Rovereto, t 5.6. 1944 Trebbiantico bei Pesaro; it. Komponist. Z. studierte 1898-1901 bei P. Mascagni in Pesaro und widmete sich dann entschieden der Opernkomposition. Nach dem Erfolg seiner Oper Il grillo del focolare wurde er vom Verlag Ricordi gefördert, wo er als Nachfolger G. Puccinis galt. Daneben machte er sich auch als Dirigent und Kapellmeister besonders eigener Werke einen Namen. 1940-43 leitete er das Liceo musicale in Pesaro. An P. Mascagni und Puccini anknüpfend, gehört Z. zu den letzten Vertretern des "Verismo. In seinen Werken erstrebt er eine Synthese zwischen traditionellen Formen und musikalischen Neuerungen, insbesondere dem Impressionismus. WW: I) Instr.-WW: Symphonische Dichtungen: Primavera in Val di Sole, Quadri di Segantini, Autunno tra i monti, Patria lontana, Fra gli alberghi delle Dolomiti; Concerto romantico für V. u. Orch.; Serenate medioevale für Vc. u. Orch.; Spleen u. Conceno andaluso für Vc. u. kleines Orch.; 11 flauto notturno für Fl. u. Orch. — 2) Bühnen-WW: Opern: 11 grillo del focolare, UA: Turin 1908; Concita. UA: Mailand 1911; Melenis, UA: ebd. 1912; Francesca da Rimini, UA: Turin 1914; La via della finestra, UA: Pesaro 1919; Giulietta e Romeo, UA: Rom 1922; 1 Cavalieri di Ekebù, UA: Mailand 1925; Giuliano, UA: Neapel 1928; Una partita, UA: Mailand 1933; La farsa amorosa, UA: Rom 1933. — Ferner Requiem für Chor a cap. Lit.: V. BONAJUTI TARQUINI, R. Z. nel ricordo dei suoi intimi (Mi 1951); G. CETRANGOLO, Ricordo del maestro (Neapel 1954); T. ZANDONAI TARQUINI, Da „Via del Paradiso al n. 1". Ricordi vicini e lontani (Rovereto 1955); G. BARBLAN, R. Z. e la fede nel melodramma, in: Ricordiana (1956) November-H.; B. BECHERINI, Dal teatro alla produzione sinfonica di R. Z., in: Chigiana 14 (1957); G. BASTIANELLI, R. Z., in: NRMI 6 (1972); R. MARIANI, Verismo in musica e altri studi (Fi 1976); B. CAGNOLI, R. Z. (Trient 1978).
ZANGIUS, Nikolaus, * um 1570 Waltersdorf bei Königswusterhausen, t vor 1620 Berlin; dt. Komponist und Organist. Er ist erstmals 1597 als Kapellmeister am Hofe des Fürstbischofs Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel in Iburg bei Osnabrück nachweisbar, dann 1599 als Kapellmeister der Marienkirche in Danzig. 1602-05 war er Hofdiener am kaiserlichen Hof in Prag. Nach Aufenthalten in Stettin und seit 1607 erneut in Prag wurde er 1612 Hofkapellmeister des Kurfürsten von Brandenburg in Berlin. Z. gehört zu den ersten deutschen Komponisten, die sich den italienischen Villanellenstil aneigneten.
Zapharousa WW (teilweise mit mehreren Aufl.): Schöne Neue Ausicrlesene Geistliche und Weltliche Lieder für 3 St., 3 Teile (mit unterschiedlichen Titeln) (Frankfurt/Oder 1594, W 1611, B 1617); Etliche Schöne Teutsche Geistliche unnd Weltliche Lieder für 5 St. (Kö 1597); Harmonia votiva für Christian II. von Sachsen für 6-8 St. (Bautun 1602); Kurtz weilige Neue Teutsche Weltliche Lieder für 4 St. (Kö 1603); Cantiones sacrae für 6 St. (W 1611); Lustige Neue Deutsche Weltliche Lieder und Quodlibeten für 5-6 St. (postum B 1620); ferner einige Gelegenheitsgesänge. Ausg.: Geistliche u. weltliche Gesänge, hrsg. v. H. SACHS - A. PFALZ (1951) (- DTÖ 87); die Sst. Lieder v. 1597, hrsg. v. F. BOSE (B 1960); 1 Motette aus Harmonia votiva, in: Danziger Kirchenmusik, 6rsg. v. F. KESSLER (Neuhausen - St 1973). Lit.: J. SACHS, N. Zanges weltliche Lieder (Diss. masch. W 1934); F. BOSE, Z., in: MGG XIV.
ZANOTELLI, Hans, * 23. 8. 1927 Wuppertal ; dt. Dirigent. Er studierte 1942-44 Dirigieren und Klavier an der Musikhochschule Köln, kam nach Verpflichtungen in Remscheid-Solingen, Wuppertal, Düsseldorf, Bonn und Hamburg 1957 als GMD nach Darmstadt und wirkte 1962-72 als GMD und stellvertretender Intendant in Augsburg. Seit 1971 ist er Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker (1975 städtischer GMD), Leiter des Philharmonie-Vokalensembles und ständiger Dirigent der Württembergischen Staatstheater (1977 Professor). Z., der über ein ungewöhnlich breites Repertoire in Konzert und Oper verfügt, dirigiert regelmäßig im In- und Ausland, seit 1962 als ständiger Gastdirigent an der Deutschen Oper Berlin; 1964-67 war er außerdem bei der Staatskapelle Dresden und 1968-71 an der Bayerischen Staatsoper in München verpflichtet. Er gab eine reduzierte Orchesterfassung von H. Pfitzners Palestrina (Mz 1969) heraus. ZAPATEADO (span.), Bz. für einen von Frauen
ausgeführten span. Solotanz im raschen %-Takt. Der vor allem aus der andalusischen Folkloretradition bekannte Z. wird häufig auch mit Gesang vorgetragen und von Gitarren begleitet. Ein weiteres Charakteristikum des Z. ist der synkopierte Rhythmus, der durch Händeklatschen und Schlagen auf die Schuhsohlen akzentuiert wird. In die Kunstmusik fand der Z. Eingang vor allem als Instrumentalstück für Violine und Violoncello. Auf den Z. gehen u. a. die Tänze Guaracha und . Jarabe zurück. ZAPFENSTREICH, Bz. für ein traditionelles militärisches Abendsignal. Der Z ging aus dem Brauch hervor, das Ende des geselligen Zusammenseins der Landsknechte am Abend durch ein Zeichen (Schlag auf den Zapfhahn des Bierfasses) anzuzeigen. Bereits 1726 berichtet C. Fr. von Fleming. daß „Spielleute" den „Profos" bei seinem
Gang am Abend durch das Lager begleiteten. In den Standorten der Kavallerieeinheiten war es ein
Trompetensignal (Retraite), das das Ende eines Tages bekanntgab. Zu Beginn des 19. Jh. wurden bei den Infanterietruppen festgelegte Märsche als Z.-Stücke verwendet (z. B. Altpreußischer, Sächsischer, Bayerischer, Russischer oder Tscherkessischer Z.). In Preußen kam auf Anordnung König Friedrich Wilhelms III. (Kabinettsordre von 1813) ein Gebet bzw. Abendlied hinzu. Aus den verschiedenen Z.-Gebrauchsstücken (Spielmannsmusiken, Signale, Märsche und Abendlieder) stellte W. Wieprecht den Großen Zapfenstreich zusammen. Eine um 1866 gedruckte Partitur enthält dafür folgenden Ablauf: 1. Locken zum Z; 2. Der Z. (Marsch); 3. Harmonische Retraite der Cavallerie; 4. Anschlagen der Tambours und Pfeifer zum Gebet: 5. Gebet (Choral: Ich bete an die Macht der Liebe) und Abschlagen der Tambours nach dem Gebet; 6. SchluB3. Gewehr ein! (Ruf nach dem Gebet). Dieser Aufbau ist noch im 20. Jh. weiterhin maßgeblich (seit 1922 mit der dt. Nationalhymne als Ausklang). Nach dem 2. Weltkrieg hat in Deutschland die Bundeswehr die Tradition des
Großen Z.s wieder aufleben lassen. Er kann zu bestimmten Anlässen angeordnet werden, so z. B. zur Ehrung von Staatsgästen (mit deren Nationalhymne am Ende), an Staatsfeiertagen, zur Verabschiedung von hohen Offizieren und bei feierlichen Vereidigungen. Eine dem Z. entsprechende Einrichtung ist in der britischen und in der US-Armee das Tattoo, in der frz. Armee die Retraite. Als Z.-Signal ist eine Melodie bekannt, die heute noch in manchen deutschen Kasernen zum Tagesabschluß erklingt:
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Ausg.: Großer Z., hrsg. v. F. DEISENROTH (B - Wie 1980). Lit.: L. DEGELE, Die Militärmusik (Wb 1937); G. KANDLER, Zur Gesch. der dt. Soldatenmusik, in: Die dt. Soldatenkunde, hrsg. v. B. Schwertfeger - O. E. Volkmann (L 1937); F. DEISENROTH, Dt. Militärmusik in fünf Jhh. (Wie 1961); G. KANDLER, Militärmusik, in: MGG IX. B. HÖFELE
ZAPHAROUSA (Zapharusa), Bz. für ein afrikanisches Holzidiophon, bestehend aus einem hohlen Korpus von nahezu rhombischer Form und einer Länge von etwa 28,5 cm. Charakteristisch sind 3-5 hölzerne Zungen unterschiedlicher Größe und Tonhöhe, die aus der (meist reichverzierten) Vorderseite herausragen. Auf der Rückseite sind an gekröpften Holzwirbeln 2, seltener 3 Schnarrsaiten gespannt. Die Z. ruht beim Spielen auf dem linken Arm, während die Zungen mit 3 Fingern der rechten Hand gezupft werden. Der Ton ist knarrend395
Zappa schnarrend. Das Instrument wird vor allem zu kultischen Zwecken verwendet (Initialriten u. ä.). Lit.: Y. AEGÉR, La Z. et son rôle dans la culture preconienne, in: Bull. de la Soc. africaine d'organologie 34 (1978); M. EYER, Hist. des instruments mystiques de l'Afrique centrale (P 1980).
ZAPPA, Frank (eig. Francis Vincent), * 21. 12. 1940 Baltimore (Maryland); amerik. Rockmusiker. Er gründete 1964 die Gruppe „Mothers of Invention". Ihre Musik, die Elemente des Rock 'n' Roll, Jazz, neuerer Musik (I. Strawinsky, E. Varèse, J. Cage), des Vaudeville sowie Revue-Gags und technische Effekte (Elektronik, Verzerrungen, Übersteuerungen) zu sogenannten „musikalischen Müllskulpturen" (Z.) vermischt, wendet sich mit sozialkritischen Texten und teilweise obszön-provokativen Showeinlagen gegen den sogenannten „American way of life". 1969 löste Z. die Band auf, formierte sie später aber neu, drehte mit ihr 2 Filme und unternahm zahlreiche Tourneen, u. a. auch nach Deutschland (zuletzt 1982). Von seinen Schallplatteneinspielungen sind zu nennen: Freak Out! (1966), Absolutely Free (1967), We're Only in It for the Money (1967), Cruisin' with Ruben & The Jets (1968), Burnt Weeny Sandwich (1970), Weasles Ripped My Flesh (1970), Fillmore East June 71 (1971), Just Another Band from L. A. (1972), Over Nite Sensation (1973), Apostrophe (1974) und One Size Fits All (1975). ZARB (persisch), Dombek, Dunbak, Bz. für eine im r Iran und Irak gebräuchliche, mit der r Darabukka verwandte einfellige Bechertrommel aus Holz, Ton oder Metall. Sie wird zwischen einem Arm und dem Körper gehalten und mit den Fingern beider Hände auf dem Fell, auf dem Rand und auf dem Korpus selbst angeschlagen. ZAREBSKI, Juliusz (Jules), * 28. 2. 1854 Schitomir (Ukraine), t 15.9. 1885 ebd.; poln. Pianist und Komponist. Er studierte seit 1872 Klavier und Komposition an den Konservatorien in Wien und St. Petersburg und wurde 1875 noch Schüler von Fr. Liszt in Weimar. Seit 1880 leitete er als Professor eine Meisterklasse für Klavier am Brüsseler Conservatoire. Z. konzertierte in ganz Europa, seit 1878 häufig auf dem Mangeot-Klavier mit 2 Tastaturen. Er gehört zu den originellsten Komponisten der 2. Hälfte des 19. Jh. in Polen. An Fr. Chopin und Fr. Liszt anknüpfend, verarbeitete er auch Elemente der polnischen Volksmusik. WW: Zahlr. Klv.-Kompositionen; Klv.-Trio; Klv.-Quintett gmoll, op. 34 (1885); Lieder. Lit.: T. STRUMILLO, J. Z. (Krakau 1954); M. KARCZYIÝSKA, Muzyka fortepianowa Juliusza Zarebskiego (Diss. Krakau 1962).
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ZARENBRAUT, DIE (Zarskaja newesta), Oper in 4 Akten von N. Rimski-Korsakow, Text: Lew Meis gleichnamiges Drama (1849),.modifiziert von I. Tjumenew. Ort und Zeit der Handlung: Alexander-Slobode, dorfartige Vorstadt Moskaus mit der Sommerresidenz des Zaren, 1572. UA: 22. 10. (3. 11.) 1899 Moskau (Privattheater); dt. EA (in dt. Sprache): 24.3. 1923 Berlin (Theater des Westens). Die Wahl dieses Opernsujets, dessen Vertonung zuvor bereits A. Borodin in Erwägung gezogen hatte, dokumentiert exemplarisch, daß RimskiKorsakow während einer experimentellen - zwischen Sadko und dem Märchen vom Zaren Saltan angesiedelten - Schaffensphase nochmals darum bemüht war, seine Fähigkeiten auf dem Feld des im konventionellen Sinne „dramatischen" Bühnenwerks unter Beweis zu stellen. Die literarische Vorlage, eine Gift-und-Dolch-Tragödie in historischem Gewande, bot gewiß manche Anregung, bei musikalisch-dramaturgischen Konzeptionen M. Glinkas und des frühen 19. Jh. anzuknüpfen (ohne daß dabei freilich die Leitbilder A. Dargomyschskis oder R. Wagners gänzlich verblaßten); doch trotz der spannungsvollen Handlung und trotz der Bündelung menschlicher Emotivität, von bannendem Liebesempfinden bis zu selbstzerstörerischer Eifersucht, waren es auch hier wiederum primär die lyrischen und volkstümlichen Geschehnispartien, die den Komponisten zum Entfalten seiner spezifischen gestalterischen Kräfte inspirierten. ZAREWITSCH, DER, Operette in 3 Akten von Fr. Lehár, Text von Béla Jenbach und Heinz Reichert, frei nach einer Erzählung von Gabryela Zapolska. Ort und Zeit der Handlung: St. Petersburg und Neapel, Ende des 19..1h.; UA: 21.2. 1927 Berlin (Deutsches Künstlertheater). Verfilmt 1928, 1933 und 1954. Die Operette handelt von der Liebe des russ. Thronfolgers Alexei zur Tänzerin Sonja. Es begann als Spiel und führt über verzehrende Leidenschaft hin zum tragischen Verzicht. Lehár kam das russ. Ambiente der Vorlage sehr gelegen, konnte er doch seiner slawischen Abstammung entsprechend die im Stoff angelegte Schwermut durch eine sentimentale, slawische Farbgebung auch musikalisch gestalten, z. B. in dem melancholischen Lied Allein, wieder allein - Es steht ein Soldat am Wolgastrand. Melodien wie Einer wird kommen, Warum hat jeder Frühling, ach, nur einen Mai? u. a. zählen zu den bekanntesten Weisen. R. Tauber, für dessen stimmliches Differenzierungsvermögen vor allem im Piano-Bereich die Nummer Hab nur dich allein angelegt war, sang die Titel-
Zar und Zimmermann rolle; der Erfolg war programmiert. Das lyrische Pathos der tragischen Operette rückt das Werk in die Nähe der zeitgenössischen Opernproduktion. Auch heute hat der Zarewitsch nichts von seiner Beliebtheit eingebüßt und gehört zu den meistgeB. DELCKER spielten Operetten. ZARGEN (engl.: ribs; frz.: éclisses; it.: fascie; span.: aros), Bz. für die Seitenwände der Musikinstrumente. Bei Saiteninstrumenten sind die Z. die Verbindungsstücke zwischen Decke und Boden (Gitarre, Violine u. a.), bei Trommeln sind sie das Korpus zwischen meist 2 Membranen. Keine Z. auBer der r Chitarra battente - haben Instrumente mit bauchigem Korpus (Laute, Mandoline u. a.). ZARLINO, Gioseffo (Gioseffe), OFM, * April 1517 Chioggia, t 14.2. 1590 Venedig; it. Musiktheoretiker u. Komponist. Z. erhielt seine Ausbildung bei den Franziskanern in Chioggia, in deren Orden er eintrat. 1536 ist er an der Kathedrale von Chioggia als Sanger, 1539/40 als Organist nachweisbar; 1540 empfing er die Priesterweihe. 1541 wurde er in Venedig Schüler von A. Willaert, zugleich Kaplan an S. Severo und erhielt 1565 das Amt des Kapellmeisters an S. Marco. 1583 berief ihn das Kapitel in Chioggia als Kanonikus und schlug ihn sogar zum Bischof vor (Z. wurde jedoch nicht gewählt). Als Komponist und Theoretiker gehört Z. zur Venezianischen Schule. G. Diruta, V. Galilei, G. M. Artusi und G. Croce waren seine Schüler. WW: Schriften: Le istitutioni harmoniche(V 1558,'1573); Dimostrationi harmoniche (V 1571); Sopplimenti musicali (V 1588); die 3 Schriften u. 1 Bd. nichtmusikal. Werke als De tutte l'opere del ... Z, 4 Bde. (V 1588-89). - Kompositionen: Moduli (Motetten) für 5 St. (V 1549); Modulationes für 6 St. (V 1566); weitere Motetten u. 13 Madrigale in Sammeldrucken 1549-70 erhalten.
Obwohl Z. zu seiner Zeit als Komponist hochberühmt war, ist von seinen geistlichen und weltlichen Werken (vor allem Motetten und Madrigale) nur ein Bruchteil erhalten. Nachhaltiger wirkte er als Theoretiker. In seinen Schriften zeigt er sich als typischer Gelehrter der humanistischen Renaissance: konservativ in der Berufung auf klassische Autoritäten wie Platon und Ptolemaios, renaissancehaft, indem er die Musik seiner Gegenwart, vor allem Willaerts, als Höhepunkt des historischen Fortschritts in der Musik feierte. Für die praktisch orientierte Musiktheorie sind die theoretischen Werke Z.s in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen systematisierte er die Lehre vom Kontrapunkt anhand der Satztechnik des Spätstils der franko-flämischen Schule, insonderheit Willaerts. Zum andern postulierte er, daß der Dur- und Moll-Dreiklang die Grundharmonien der moder-
nen Musik seien, was Riemann dazu bewog, in Z. den Vater der dur-moll-tonalen Harmonielehre zu sehen. Z. begründete Dur- u. Molldreiklang aus den Zahlen 1 bis 6 der Saitenteilungsverhältnisse („Senario"), und zwar das Verhältnis 1 : 1 : 1 : 1 : 1 : 1 als „divisione armonica" = Durdreiklang und das Verhältnis 1 : 2 : 3 : 4 : 5 : 6 als „divisione aritmetica” = Molldreiklang (OE Harmonische Teilung). Ausg.: Faks.-Ausg. der 3 Traktate (NY 1965-66) (- MMMLF II/ 1,2 u. 15). - Drei Motetten u. ein geistliches Madrigal, hrsg. v. R FLURY (Wb 1961) (- Chw 77). Lit.: H. RIEMANN, Gesch. der Musiktheorie (L 1898, Nachdr. Hil 1961, 2 1971); H. ZENCK, Z.s „Istitutioni harmoniche" als Quelle zur Musikanschauung der it. Renaissance, in: ZfMw 12 (1929/30); C. DAHLHAUS, War Z. Dualist?, in: Mf 10 (1957); R WIENPHAL, Z., The Senario and Tonality, in: JAMS 12 (1959); R FLURY, G. Z. als Komp. (Winterthur 1962); R. L CROCKER, Perché Z. diede una nuova numerazione ai modi?, in: RIMus 3 (1968); C. V. PALISCA, in: G. Z. The Art of Counterpoint (engl. übers. von Teil 3 der Istitutioni) (New Haven - Lo 1976); V. CoHEN, Z on Modes (1977) (- Diss. City Univ. of New York). P. RUMMENHÖLLER
ZAR UND ZIMMERMANN oder die zwei Peter, Komische Oper in 3 Akten von A. Lortzing, Text vom Komponisten nach der dt. Bearbeitung der frz. Komödie Le bourgmestre de Saardam ou Les deux Pierres von Mélesville, Merle und Boirie (1818) durch Georg Friedrich Römer (Der Bürgermeister von Saardam oder die zwei Peter). Ort u. Zeit der Handlung: Saardam (= Zaandam), 1698. UA: 22. 12. 1837 Leipzig (mit Lortzing als Peter Iwanow). Dieser wie einem runden Dutzend anderer Opern gleichen oder ähnlichen Titels liegt die historisch belegte Reise Zar Peters des Großen nach Holland (1697/98) zugrunde, wo er die Schiffsbaukunst zu erlernen gedachte. Lortzing hielt sich in den beiden ersten Akten recht streng an die literarische Vorlage, gestaltete aber den 3. Akt frei, wobei er vermutlich Anregungen aus G. Donizettis Il borgomastro di Saardam (am 2.8. 1837 in Berlin in dt. Sprache aufgeführt) bezog. In diesem Werk finden sich bereits die charakteristischen musikalischen Stilmittel der dt. Spieloper: Konversationsstil im Dialog (neben der gesprochenen Wechselrede), ausgefeilte Ensemblesätze (etwa das Sextett im 2. Akt) und eine Reihe strophisch oder mit Refrain gegliederter Liedeinlagen. Sowohl die treffende Rollencharakteristik (der Bürgermeister van Bett ist eine der brillantesten Buffopartien der damaligen Zeit; seine Auftrittsarie O sancta justitia!zählt zu den bekanntesten Nummern) als auch die Liedmelodien machten dieses Bühnenwerk volkstümlich. Chateauneufs Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen (2. Akt) und des Zaren Sonst spielt' ich mit Zepter (3. Akt) sind die beliebtesten Opernlie397
Zarzuela der; die Kantatenprobe und der Holzschuhtanz (beide 3. Akt) erlangten ähnliche Berühmtheit. J. SCHLADER
ZARZUELA (Diminutiv von span. zarza = Brombeerstrauch), Bühnengattung, bei der Gesang und gesprochener Text abwechseln; so benannt nach dem Theater des Palacio Royal de la Zarzuela in Madrid, wo die ersten Z.s aufgeführt wurden. Die Gattung geht zurück auf P. Calderón de la Barca, den Hofdichter König Philipps IV. Anfangs war die Z. für königliche Feste bestimmt und wurde mit entsprechend großem Aufwand inszeniert. Ihre Sprache war vornehm und erhaben; ihre Stoffe entlehnte sie der Mythologie, der Geschichte und der Legende. Während die span. Comedia 3 Akte umfaßte, war die Z. auf 2 (sog. „jornadas") beschränkt. Wegen ihres Bezugs auf die Welt des Phantastischen und Wunderbaren bedurfte sie einer aufwendigen Bühnenmaschinerie. Als erste Z. gilt El jardin de Falerina von Calderón (1648), von dem auch El golfo de las sirenas u. El laurel de Apolo stammen. Schon bald erfreute sich die Gattung sehr großer Beliebtheit. Von der zweiten Hälfte des 17. Jh. bis um 1750 lieferten berühmte Schriftsteller Z.-Libretti : J. B. Diamante, A. Solis, A. de Salazar y Torres, A. de Zamora u. J. de Caňizares. Ais Komponisten sind zu nennen: Juan Hidalgo (El amor hace estrellas, Libr.: J. Vélez de Guevara), José Marin, Antonio de Líteres (Celos no guardan respeto, Libr.: A. de Zamora), José San Juan, J. de Nebra, Francisco Courcelle, A. Duni, Francesco Coradini, G. B. Mele u. S. Durón (Selva encantada de amor, Veneno de amor es la envidia, Apolo y Dafne, Las nuevas armas de amor). - In einer späteren Phase befreit sich die Z. von der auf Calderón zurückgehenden Tradition und von dem italienischen Einfluß, der im 18. Jh. aufgetreten war. Sie wird volkstümlich, bezieht Anregungen aus dem Sainete u. bringt die Alltagswelt der einfachen Leute auf die Bühne. Insbesondere der Dichter R. de la Cruz und sein Komponist A. Rodriguez de Hita (Las segadoras de Vallecas, Las labradoras de Murcia) führen die Gattung zu neuer Blüte. Immer größeres Gewicht erhalten die nationalen u. folkloristischen Elemente, besonders bei P. Esteve, G. Brunetti, L. Boccherini, L. Misón, Antonio Palomino, Ventura Galván, Fabian Garcia Pacheco, L. Lidón. Im Verlauf des 18. Jh. kommt es jedoch, bedingt durch den Triumph der italienischen Oper und das Auftreten des Melodrams zu einem Verfall der Z.: schon bald ist sie so gut wie völlig vergessen, und es entstehen nur wenige unbedeutende einaktige Stücke. Mit der UA von Jugar con fuego von Fr. A. Bar398
bien (Libr.: V. de la Vega) im Jahr 1851, der ersten Z. grande in drei Akten, setzt eine Wiederbelebung der Gattung ein, deren Erfolg angehalten hat. Um die Wende vom 19. zum 20. Jh. entwickelt sich, eingeführt von F. Chueca, das 7Género chico; die berühmtesten Beispiele dieses Genres der Z. sind: El valle de Andorra und Catalina von J. Gaztambide, El dominó azul von E. Arrieta, Los diamantes de la corona u. Pan y toros von Barbieri, El salto del Pasiego u. La Marsellesa von M. Fernández Caballero und La tempestad von R. Chapí. Weitere Z.-Komponisten sind Rafael Hernando, Cristóbal Oudrid, José Inzenga, T. Bretón, Miguel Marqués, E. Movera, A. Vives, Pablo Luna, Francisco Alonso, J. M. Usandizaga, F. Moreno Torroba. Jacinto Guerrero, Pablo Sorozábal und J. Guridi. Lit.: J. SUBIRÁ, Historia de la música teatral en Espaňa (Ba 1945); M. Muňoz, Historia de la z. espaňola y del genere chico (Ma 1946); R. MINDI.IN, Die Z. (Z 1965); J. SUBIRÁ, Z., in: MGG XIV; DERS., Temas musicales madrileňos (Evocaciones históricas) (Ma 1971); R. STEVENSON, Espectáculos musicales en la Fspaňa del siglo XVII, in: Rev. Mus. Chilena 27 (1973); K. PAHLEN, Aus der Gesch. v. Spaniens Oper u. Z., in: ÜMZ 30 (1975); J. SAGE — L. SALTER, Z., in: Grove° XX. G. BOURLIGUEUX
ZAUBERFLÖTE, DIE, dt. Oper in 2 Aufzügen von W. A. Mozart, KV 620, Text von E. Schikaneder. Ort u. Zeit der Handlung: Morgenland, in sagenhafter Zeit. UA: 30.9. 1791 Wien (Theater an der Wien); dt. EA: 21. 1. 1793 Augsburg. Mozarts letztes Bühnenwerk ist seit seiner Entstehung mit der Aura des Mystischen umgeben, u. a. hervorgerufen durch kritische Anwürfe gegen das Werk und bewußt gelenkte Falschaussagen über seine Verfasser sowie dadurch provozierte zahllose apologetische Stellungnahmen. Die offensichtlichen Brüche und Widersprüche in der Handlung sind nicht allein durch die angebliche Änderung des dramatischen Konzepts im 1. Akt zu erklären, sondern weisen mit aller Deutlichkeit auf den Gattungstypus „Maschinenkomödie", auf das aufwendige Bühnenspektakel, das Schikaneder vorschwebte, und nicht auf das vielfach vermutete Ideendrama. Maschinenzauber, Ausstattungsprunk und unterhaltsames (auch stoffliches) Vielerlei sind die Ingredienzien dieser „großen Oper" (so Schikaneders Gattungsbezeichnung); in Papageno schrieb sich der Textdichter eine Rolle, die ganz in der Tradition des Wiener Kasperle steht. Humanitätsgedanken wurden dem Werk durch seine Exegeten angedichtet, freimaurerisches Gedankengut nachträglich hineingelesen. Das Textbuch ist weniger revolutionär als vielmehr antiaufklärerisch lind im besten Sinne konservativ. Mozart hat den Stilbruch zwischen Libretto und Kom-
Zbinden position offenbar intendiert, indem er mit der musikalischen Ausführung die Grenzen des Gattungstypus „Wiener Singspiel" sprengte. Verschiedenen Figuren und Personengruppen ordnete er unterschiedliche Musikstile zu: der Königin der Nacht den von gleißender Virtuosität geprägten Stil der Opera seria, dem Priester Sarastro den Sakralstil des Barock, den 3 Damen und dem Sklaven Monostatos Elemente aus der Opera buffa; für Papageno wählte er die Stilebene des dt. Singspiels und für Pamina (deren Rolle auf ein neues Sopran-Stimmfach vorausweist) die romantische dt. Oper. Mozart setzte mit den konzeptionellen Stilbrüchen innerhalb der Partitur eigene Akzente - oftmals gegen das Libretto: nämlich wider die Priesterkaste und für die Frauen und die NichtZugelassenen (wie Papageno und Monostatos). Schon im Oktober 1791 wurde die Zauberflöte in Wien über 20mal aufgeführt; noch im November des gleichen Jahres erschienen Klavierauszüge einzelner Nummern. Das Werk wurde an den verschiedensten Bühnen zahllose Male umgearbeitet; J. W. von Goethe schrieb eine dramatische Fortsetzung. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Zauberflöte die meistgespielte Oper an dt. Bühnen. J. SCHLÄDER
ZAUBERGEIGE, DIE, Spieloper in 3 Akten von W. Egk, Text unter Verwendung von Barockdichtung nach Pocci von L. Andersen (L. Strecker) und Egk. Ort der Handlung: im Märchenland. UA: 22.5. 1935 Frankfurt am Main. Der ehemalige Knecht Kaspar schenkt Cuperus, dem als Bettler verkleideten Beherrscher der Elementargeister, sein geringes Vermögen. Als Belohnung für seine Großmut erhält er eine Zaubergeige, die ihm so lange höchste Anerkennung verschafft, wie er der Liebe entsagt. Als berühmter Violinvirtuose Spagatini wird Kaspar von der reichen Ninabella zu einem Kuß verführt. Cuperus bietet ihm nach diesem Fehltritt erneut die Geige an, doch Kaspar leistet Verzicht und bekennt sich liebevoll zu seiner Gretl, die ihm durch die Jahre des Ruhms die Treue gehalten hat. Egk wollte in seinem ersten Bühnenwerk „denen, die das Einfache lieben", ein Stück schreiben, „an dem sie sich freuen sollten". Die Musik enthält volkstümliche Weisen und Volkstänze (Zwiefacher), sie ist überwiegend diatonisch gehalten und somit leicht eingängig. Schon mit der UA setzte der große Erfolg ein (mit 104 Aufführungen 1935/36 die meistgespielte Oper in Deutschland). Eine Neufassung mit Änderungen in der Instrumentation und einigen hinzukomponierten Abschnitten kam in Stuttgart am 2.5. 1954 zur Aufführung. K. LANGROCK
ZAUBERLADEN, DER (La boutique fantasque), Ballett in einem Akt von O. Respighi nach Klavierkompositionen von G. Rossini. Libretto: André Derain. UA: 5.6. 1919 London (Alhambra Theatre); Choreographie: L. Massine. Dt. EA: 1948 Berlin (Staatsoper); Choreographie: T. Gsovsky. Wiederholt mit dem Erfolgsballett Die Puppenfee (1888) verglichen, präsentiert diese verwandte Komposition, in der auch die kontrastreiche Gegenüberstellung von Menschen und vitalisierten Puppen thematisiert ist, eine nahezu identische Konzeption des Librettos. - In einer fast kongruenten choreographischen Disposition, in die allerdings auch modernisierte Tanztechniken aufgenommen wurden, suchte Massine vielfältige stilistische Elemente - sowohl komisch-parodistische als auch lyrisch-pathetische - sinnfällig miteinander zu kombinieren. Entsprechend bemühte sich auch Respighi, die Ballettmusik besonders originell zu arrangieren; einfallsreich orchestrierte er einige Klavierpiècen Rossiris aus der Sammlung Péchés de vieillesse (Alterssünden). - Schon bei der UA wurde das von den Ballets Russes des S. Diaghilew dargebotene Werk enthusiastisch gefeiert; Massine brillierte in der Rolle des Cancantänzers. G. LUDIN ZAYTZ, Giovanni von, r Zajc, Ivan. ZBINDEN, Julien François, * 11. 11. 1917 Rolle (Vaud); Schweizer Komponist. Er studierte Klavier 1934-38 am Konservatorium in Lausanne und 1940-45 bei Marie Panthès in Genf und 1942-45 Kontrapunkt bei René Gerber in Neuchâtel. 1938-47 war er als Jazzmusiker tätig, seit 1947 arbeitete er beim Rundfunk in Lausanne, zunächst als Pianist und Produzent, seit 1956 als Leiter der Musikabteilung, und wurde 1965 2. Direktor bei Radio Suisse Romande. 1973 wurde er Präsident des Schweizerischen Tonkünstlervereins. Seine rhythmisch stark vom Jazz geprägten Kompositionen sind von I. Strawinskv, A. Honegger und M. Ravel beeinflußt. WW: Klv.-Kompositionen, u. a. 4 Solitudes (1951); Variations libres über Stille Nacht, heilige Nacht (1960) für Org.; Kammermusikwerke, u. a. Sonate (1950) für V. u. Klv. — Für Orch.: 2 Symphonien, op. 18 (1953), op. 26 (1957); Jazzific 59-16 (1958) für Jazzgruppe u. Streichorch.; Concerto da camera, op. 16 (1950-51) für Klv. u. Streichorch.; V.-Konzert (1963); Passage de l'Homme, op. 24 (1956) für Chor a cap. (zus. mit C. Geoffray — K. Marx); 6 Proverbes en forme d'études (1958) für Männerchor a cap.; Espéranto (1961), Konzert für Sprech-St., Sopran, Chor u. Orch.; Oper in einem Akt Faits divers (1960). — Ferner Kompositionen für den Rundfunk. Lit.: H. JACCARD, Initiation à la musique contemporaine (Lau 1955); P. A. GAILLARD, Terra Dei, in: SMZ 107 (1967); J. F. Z. Liste des oeuvres (Z 1974).
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Zecchi ZECCHI, Carlo, * 8.7. 1903 Rom, t 31.8. 1984 Salzburg; it. Dirigent und Pianist. Er studierte in Rom, setzte seine Klavierstudien bei F. Busoni und A. Schnabel in Berlin fort und trat 1920-39, auch als Duopartner von E. Mainardi, mit großem Erfolg in Europa und in den USA auf. Nach einer Dirigierausbildung (1938-41) bei H. Münch machte er sich als Gastdirigent namhafter Orchester, bes. des Wiener Kammerorchesters weltweit einen Namen. Mehrere Jahre unterrichtete er eine Meisterklasse für Klavier an der Accademia di Santa Cecilia in Rom und bei den Sommerkursen in Salzburg. ZECHLIN, Dieter, * 30. 10. 1926 Goslar; dt. Pianist. Er studierte 1946-49 an der Musikhochschule in Weimar, wurde 1951 Dozent (1959 Professor) für Klavier an der Hochschule für Musik in Ost-Berlin, die er seit 1971 leitet, und 1972 Präsident des Musikrates der DDR. Der besonders mit zyklischen Aufführungen von Werken L. van Beethovens, Fr. Schuberts und B. Bartóks hervorgetretene Pianist unternahm als Solist und Kammermusiker Konzertreisen durch ganz Europa, Japan und Nord- und Südamerika. Außerdem widmet er sich auch zeitgenössischen Komponisten der DDR (J. Cilenšek, G. Kochan, E. H. Meyer u. a.), deren Werke er zum Teil uraufgeführt hat. Lit.: D. BRENNECKE, D. Z., in: Musiker in unserer Zeit (L 1979) (mit Bibliographie u. Diskographie). B. A. KOHL
ZECHLIN, Ruth (geb. Oschatz), * 22.6. 1926 Großhartmannsdorf (Sachsen); dt. Komponistin und Cembalistin. Sie studierte 1943-49 an der Musikhochschule in Leipzig Komposition (J. N. David), Orgel (K. Straube und G. Ramin) und Klavier und lehrt seit 1950 Tonsatz an der Hochschule für Musik in Ost-Berlin, wo sie 1969 eine Professur für Komposition übernahm. Außerdem leitet sie seit 1970 eine Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste in Ost-Berlin und ist dort gleichzeitig stellvertretender Sekretär der Sektion Musik. Seit 1962 konzertiert sie als Cembalistin. R. Z. gehört zu den in der DDR führenden Komponisten. Ihr vielseitiges und umfangreiches (Euvre spiegelt besonders die fruchtbare Auseinandersetzung mit den wichtigsten Strömungen der neueren Musik. Als stilistische Eckpfeiler sind die Polyphonie J. S. Bachs und die lyrische Farbigkeit H. W. Henzes erkennbar. Sie war mit Dieter Z. verheiratet. WW: Zahlr. Klv.- u. Org.-Stücke; Kammermusik, u. a.: 6 Streichquartette (1959, 1965, 1970, 1971, 1971, 1977); Impulse(1975) für Bläserquartett; Beschwörungen (1980) für Schlagzeug solo. - Für Orch.: 3 Symphonien (1965, 1966, 1971); Emotionen (1971); Farbspiele(1977); Vita ,Nova (1978); Situationen (1980); Metamorphosen (1982). - Konzerte für: V. (1963); 3 für Org. (1974, 1975,
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1980); Klv. (1974). - Zahlr. Lieder mit Klv. bzw. mit Instrumentalbegleitung; Lidice-Kantate (1958) für Bar., Chor u. Kammerorch.; Ode an die Luft (1972) für Mezzosopran u. Orch.; An Aphrodite(1976) für Alt, Bar., 2 Pantomimen u. 7 Musiker; Zauberlehrling (1981) (nach J. W. v. Goethe) für 4st. Knabenchor, Klv. u. Bar. solo. - Funksingspiel u. Oper Reineke Fuchs (1962/67). Lit.: E. KNEIPEL, in: Musiker unserer Zeit (L 1979) (mit Bibliogr.); U. STÜRZBECHER, Komponisten i:i der DDR (Hil 1979) (mit Werk-Verz.); G. ALTMANN, R. Z. Ein Komponistenporträt, in: Musik in der Schule 32 (1981). B. A. KOHL
ZEFFIRELLI, Franco, * 12. 2. 1923 Florenz; it. Regisseur und Bühnenbildner. Er studierte Architektur an der Universität in Florenz, arbeitete nach dem Krieg beim Rundfunk und schloß sich 1946 L. Viscontis Morelli-Stoppa-Truppe an, für die er auch Bühnenbilder entwarf. 1948 drehte er mit Visconti seinen ersten Film und inszenierte 1953 mit G. Rossinis La Cenerentola für die Mailänder Scala seine erste Oper. Besonders erfolgreich waren in der Folge Falstafl`'(G. Verdi ; Holland-Festival, 1956), Lucia di Lammermoor (G. Donizetti; Covent Garden, London, 1959), Aida (Verdi; Mailänder Scala, 1962) und Anthony and Cleopatra (S. Barber; zur Eröffnung der neuen Metropolitan Opera in New York, 1966), Orfeo (Cl. Monteverdi; Rom, 1960), Euridice (G. Peri ; Florenz, Maggio musicale, 1960) und La Bohème (G. Puccini ; Mailand 1962 und Wien 1963). ZELENKA, Jan Dismas (auch Lukas Ignatius), getauft 16. 10. 1679 Launowitz (Böhmen; heute Louňovice), t 23. 12. 1745 Dresden ; böhmischer Komponist. Er erhielt seine Ausbildung am Jesuitenkolleg Clementinum in Prag, für das er später als Chorregent 3 Kantaten und zur Königskrönung 1725 sein Melodrama de Sancto Wenceslao schrieb. 1709-10 stand er im Dienst des Grafen Hartig und wurde dann Kontrabassist im Dresdner Hoforchester. 1715 wurde er auf eine Studienreise geschickt, während der er in Wien bei J. J. Fux und in Italien bei A. Lotti Kompositionsstudien betrieb. Über Wien (1717-19) kehrte er nach Dresden zurück, wurde 1721 Vizekapellmeister der Kirchenmusik, 1733 „Compositeur", 1735 „Kirchen-Compositeur", bewarb sich aber vergeblich um das Amt des Kirchenkapellmeisters. WW (hsl. erhalten): 6 Triosonaten für 2 Ob. u. Baß. - Für Orch.: 5 Capricci für Bläser u. Str.; Sinfonia a-moll; Concerto a 8 G-Dur; 2 Ouvertüren; 6 Märsche für 4 Trp. u. Pk. - Über 20 Messen; Requiem; 28 Gradualien; Offertorien; Hymnen; Lamentationen; Responsorien, Psalmen u. Antiphonen; 9 Litaneien; 18 Motetten für Chor a cap.; Te Deum; 30 Psalmkompositionen; 3 Oratorien.
Z.s kirchenmusikalisches Werk ist bisher kaum überschaubar, während seine nicht sehr zahlreichen Instrumentalwerke in Ausgaben vorliegen.
Zelter Obgleich kein Werk zu Lebzeiten gedruckt wurde, legen überlieferte Abschriften eine gewisse Verbreitung nahe. Melodik, Rhythmik und Harmonik sind stark von der böhmischen Bläser- und Volksmusik inspiriert. In formaler Hinsicht stand Z. zunächst der italienischen Musik nahe, ging aber in seinen Capricci auch in der Führung der Instrumente ungewöhnliche Wege. Von seiner kontrapunktisch profilierten, oft aber auch flächig angelegten Kirchenmusik sind das Requiem, Magnificat, De profundis, einige Psalmen und Messen besonders zu nennen. Von Zeitgenossen wie J. S. Bach, der Werke Z.s in Abschriften besaß, G. Ph. Telemann, C. Fr. Fasch und J. A. Hiller hoch geschätzt, stand er in Dresden jedoch im Schatten J. A. Hasses und geriet nach seinem Tod in Vergessenheit. In den letzten Jahren erfährt Z. zunehmendes Interesse als einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Ausg.: Triosonaten, hrsg. v. C. SCHOENBAUM, 6 H.e (Kas 1955-65) (- Hortus Mus. 126, 188, 177, 147, 157, 132); Concerto in .sol á 8 concenanti u. Ouverture á 7 concertanti, hrsg. v. DEMS. (W 1960, 1961); Composizioni per orchestra, hrsg. v. DEMS. - J. RACEK (Pr 1963) (- MAB 66); Lamentationesleremiae Prophetae, hrsg. v. J. RACEK - V. BELSKÝ (1969) (- MAB 111/4). Psalmi et Magnificat, hrsg. v. DENS. (1971) (- MAB 11/5); 6 einzelne Psalmen u. Magnificat für Soli, Chor u. Orch., hrsg. v. TH. KOHLHASE - W. HORN - V. KALISCH (St 1980-82); Christe e/ci.son für Alt, Str. u. B.c., hrsg. v. TH. KOHLHASE (St 1981) (mit wichtiger Einführung in die Kirchenmusik Z.$). Lit.: G. HAUSSWALD, J. D. Z. als Instrumentalkomponist, in: AfMw 13 (1956); C. SCHOENBAUM, Die Kammermusikwerke J. D. Z.s, in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr - Kö 1958); DERS. U. H. UNVERRICHT, verschiedene Beiträge in: Mf 13 (1960), 15 (1962), 22-23 (1969-70); H. UNVERRICHT, Z., in: MGG XIV; C. SCHOENBAUM, Z., in: Grove° XX; J. D. Z.-Sonderh., in: SMZ 120(1980). G. SCHUHMACHER
ZELLER, Carl Johann Adam, * 19.6. 1842 St. Peter in der Au (Niederösterreich), t 17.8. 1898 Baden bei Wien; östr. Komponist. Er war Sängerknabe der Wiener Hofkapelle, studierte Jura in Wien und Graz (1869 Dr. jur.) und war seit 1873 im k.k. Unterrichtsministerium tätig, wo er bis zum Ministerialrat (als Leiter des Kunstreferats) aufstieg. Seit 1876 trat er als Bühnenkomponist hervor. Weltberühmt wurde er durch seine Operette Der Vogelhändler (Wien 1891), die durch Reichtum der melodischen Einfälle und durch kunstvoll gebaute Ensembles und Finali eine der klassischen Wiener Operetten geworden ist. WW: Komische Opern Joconde, UA: Wien 1876 u. Die Fornarina, UA: München 1878. - Operetten: Die Carbonari, UA: Wien 1880; Der Vagabund, UA: 1886; Der Vogelhändler, UA: ebd. 1891; Der Obersteiger, U A: 1894; Der Kellermeister, U A: 1901 (musikal. Einrichtung v. J. Brandl u. R. Raimann). - Liederspiel Die Thomasnacht, UA: ebd. 1868; Lieder u. Chöre. Lit.: E. NICK, Vom Wiener Walzer z. Wiener Operette (H 1954); A. WÜRZ, Z., in: MGG XIV.
ZELLER, Wolfgang, * 12. 9. 1893 Biesenrode (Harz), t 11. 1. 1967 Berlin; dt. Komponist und Di-
rigent. Nach dem Musikstudium in München und Berlin war Z. 1921-29 Musikalischer Leiter der Berliner Volksbühne, für die er über 80 Bühnenmusiken schrieb, u. a. zu den ersten Inszenierungen Erwin Piscators. Danach war er als freischaffender Komponist tätig. Bekannt wurde er durch Filmmusiken, u. a. zu: Die Geschichte des Prinzen Achmed (1926); Melodie der Welt (1928); Das Land ohne Frauen (1929); Die Herrin von Atlantis (1932); Fahrendes Volk (1938); Robert Koch (1939); Morituri (1948); Der Schatten des Herrn Monitor (1950) ; Die Lüge (1950) ; Zwei Menschen (1952); Mit 17 beginnt das Leben (1953); Die Landärztin (1958). Außerdem schrieb Z. 2 Operetten, die Oper Aus dem Leben eines Taugenichts (nach J. von Eichendorff), Ballette, Orchesterstücke, Kammermusik und Lieder. Bis zu seinem Tode gehörte er dem Vorstand des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten an. Lit.: H. A. THOMAS, Die dt. Tonfilmmusik (Gütersloh 1962) ( Neue Beitr. z. Film- u. Fernsehforsch. 3).
ZELTER, Carl Friedrich, * 11. 12. 1758 Berlin, t 15.5. 1832 ebd.; dt. Komponist und Musikpädagoge. Er erlernte den Beruf seines Vaters, eines Maurermeisters, bildete sich aber nebenbei im Violinspiel und in der Komposition so beachtlich, daß 1786 bereits die ersten Klavierstücke und Lieder bei Rellstab in Berlin erschienen und im gleichen Jahr seine Trauerkantate auf den Tod Friedrichs des Großen in der Potsdamer Garnisonkirche uraufgeführt wurde. 1791 wurde er Mitglied des „Singvereins" unter C. Fr. Fasch, den er als Hilfsdirigent oft vertrat. Nach dessen Tod (1800) übernahm Z. die Leitung dieser jetzt als l Singakademie bezeichneten Institution. 1807 rief er in Berlin eine „Ripienschule" für die Heranbildung des Orchesternachwuchses ins Leben und stiftete 1809 die der geselligen Liedpflege dienende „Liedertafel", das Vorbild aller Männergesangvereine des 19. Jahrhunderts. Zur selben Zeit wurde er Professor und Ehrenmitglied der Kgl. Akademie. 1822 gründete er das Königliche Institut für Kirchenmusik. Wenige Jahre vor seinem Tode wurde er Musikdirektor an dem von ihm geschaffenen Seminarium an der Universität Berlin und gab den Anstoß für die Gründung einer Musikabteilung an der Königlichen Bibliothek. - Z. war in zweiter Ehe mit der Sängerin Juliane Pappritz (1767-1806) verheiratet. Ihr verdankte er manche Anregungen für die Komposition neuer Lieder. WW: 2 Slgen. Variationen für Klv. (B 1786) u.a. Klv.-Werke;
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Zemlinsky Va.-Konzert (hsl.). - Klv.-Lieder: 2 Slgen. Lieder am Klavier zu singen (B - L 1796, B 1801); Sammlung kleiner Balladen und Lieder (H um 1802); Sämmtliche Lieder, Balladen und Romanzen, 4 H.e (B 1810-13); Neue Liedersammlung (Z - B 1821); Deutsche Liederfür BaB (B um 1826) u. für Alt (B um 1827); weitere Lieder einzeln oder in Sammeldrucken veröff. u. hsl. erhalten. - Geistliche u. weltliche Kantaten mit Klv. u. mit Orch., darunter Johanna Sebus(J. W. von Goethe) für 4 St. u. Klv. (L um 1810); Werke für Männerchor; kirchenmusikal. Werke. - Autobiographie (hsl.).
Z.s Bedeutung liegt mehr auf musikorganisatorischem als auf kompositorischem Gebiet. Immerhin erfreuten sich seine Lieder in Deutschland größter Beliebtheit. Einige von ihnen wurden volkstümlich, z. B. Der König von Thule und Es ist ein Schul3gefallen. Fast alle Lieder sind strophisch vertont und schließen sich im Stil der 2. Berliner Liederschule an. J. W. von Goethe schätzte Z.s einfache Gesänge, weil sie ganz in seinem Sinne den Stimmungsgehalt des Textes unterstrichen und das Eigenleben der Dichtung nicht störten. Die herzliche Freundschaft zwischen Z. und Goethe schlug sich in einem umfangreichen Briefwechsel nieder, der des Dichters Ansichten über Musik entscheidend beeinflußte. Als großer Organisator verfolgte Z. den Plan, das Musikwesen und die Musikerziehung in Staat, Kirche und Schule grundlegend zu reformieren. In 7 Denkschriften (1803-12) legte er seine Gedanken zur Neuordnung nieder, deren Keimzelle die Berliner Singakademie wurde. Viele seiner Anregungen wurden erst im Laufe des 19. Jh. verwirklicht. F. Mendelssohn Bartholdy, C. Loewe und G. Meyerbeer gehörten zu seinen Schülern. Ausg.: 15 Lieder, hrsg. v. M. BAUER (B 1924) (- Veröff. der Musikbibl. P. Hirsch 6); 50 Lieder, hrsg. v. L. LANDSHOFF (MZ 1932); Lieder, Balladen u. Romanzen in Ausw., hrsg. v. F. JÖDE (Han 1930) (= Nagels MA 60); 7 Lieder, in: Gedichte v. Goethe in Kompositionen, hrsg. v. M. FRIEDLAENDER 2 (Wr 1916). Autobiographie, hrsg. v. W. REICH (Z 1955); Briefwechsel Goethe - Z., hrsg. v. M. HECKER, 4 Bde. (L 1913-18). Lit.: G. SCHÜNEMANN, C. F. Z. Der Mensch u. sein Werk (B 1937); C. SCHRÖDER, C. F. Z. u. die Akademie, in: Monographien u. Biographien der Akad. der Schönen Künste 3 (B 1959); M. GECK, Z., in: MGG XIV (mit ausführlicher Lit.); R. A. BARR, C. F. Z. A Study of the Lied in Berlin ... (1968) ( = Diss. Univ. of L. HOFFMANN-ERBRECHT Wisconsin).
ZEMLINSKY (Zemlinszky), Alexander (von), * 14. 10. 1871 Wien, t 15.3. 1942 New York; östr. Komponist und Dirigent. Z. studierte seit 1885 am Konservatorium in Wien, wo er zu den begabtesten Schülern gehörte. Er errang rasch Erfolge eine Oper (Sarema), eine Symphonie (B-Dur) und Lieder von ihm wurden preisgekrönt. 1895 lernte er J. Brahms kennen, der erheblichen Einfluß auf sein Schaffen gewann und den ersten Verleger (N. Simrock) vermittelte (Trio op. 3, Quartett op. 4). 1896 befreundete er sich mit dem jungen 402
A. Schönberg, den er unterwies und der 1901 Z.s Schwester Mathilde heiratete. 1900 führte G. Mahler an der Wiener Hofoper mit Erfolg eine Oper von ihm auf. Im selben Jahr war er als Kapellmeister am Carltheater (einer Operettenbühne) in Wien engagiert und seit 1904 an der neugegründeten Volksoper. Mahler holte ihn 1907 an die Hofoper, doch kehrte Z. nach dessen Abgang im Dezember 1907 an die Volksoper zurück. 1911 wurde er Opernleiter des Deutschen Landestheaters in Prag und leitete dort seit 1920 auch die Deutsche Musikakademie. In seiner Prager Zeit leistete Z. Außerordentliches (1924 UA der Erwartung von Schönberg) sowohl an der Oper als auch im Konzert; in Prag entstanden auch seine Hauptwerke (2. Quartett, Florentinische Tragödie, Lyrische Symphonie). 1927 ging Z., der sich seit einem Vierteljahrhundert am Vorbild Mahlers orientiert hatte, zu O. Klemperer an die Kroll-Oper nach Berlin, wo aber seine beschwingte Interpretationskunst nicht mehr gebührend gewürdigt wurde; Zeitgeschmack und Milieu hatten sich geändert. 1930 schied er aus und wirkte als Gastdirigent an der Berliner Staatsoper Unter den Linden und lehrte an der Berliner Musikhochschule Partiturspiel und Chorleitung. 1933 kehrte er nach Wien zurück. 1938 floh er über Prag in die USA, wo er nach längerer Krankheit vereinsamt starb. WW: 1) Instr.-WW: Kompositionen für Klv. - Kammermusik: Trio d-moll, op. 3 für Klv., Klar., Vc. (1896); 4 Streichquartette ADur, op. 4 (1896), op. 15 (um 1914), op. 19 (1924), op. 25 (1936): Streichquintett d-moll (1896). - Für Orch.: Symphonie d-moll (1893), B-Dur (1899); Die Seejungfrau, Phantasie (1905); Sinfonietta, op. 23 (1935). - 2) Vokal-WW: Chorwerke, u.a. Psalmen für Chor u. Orch.; zahlr. Lieder, darunter Sechs Gesänge fürmittlere Stimme. op. 13 (nach M. Maeterlinck) mit Klv. u. Orch. (1910-12); Lyrische Symphonie in 7 Gesängen, op. 18 (nach R. Tagore) (1924). - 3) Bühnen-WW: Opern: Sarema, UA: München 1897; Es war einmal..., UA: Wien 1900; Der Traumgörge (um 1905), UA: Nürnberg 1980; Kleider machen Leute, UA: Wien 1910, Neufassung: Prag 1922; Eine florentinische Tragödie (nach O. Wilde), UA: Stuttgart 1917; Der Zwerg UA: Köln 1922; Der Kreidekreis(nach Klahund), UA: Zürich 1933. - Ballett: Das gläserne Herz (nach H. v. Hofmannsthal) (1903).
Z. war ein vielseitiger Musiker von außerordentlichen Qualitäten, dessen Meisterschaft früh allseitig anerkannt wurde. Er war auch ein erfolgreicher Lehrer, u. a. von Alma Mahler, A. Schönberg und E. W. Korngold. Als Komponist war er zunächst von J. Brahms und R. Wagner, die er bewunderte, beeinflußt; später folgte er Mahler und dem frühen Schönberg. In dieser Phase, etwa seit 1908, erreichte er seinen hohen Grad an Originalität, vor allem in den Maeterlinck-Liedern op. 13 und im 2. Quartett. Die Florentinische Tragödie, von R. Strauss' Salome inspiriert, hat in ihrer instrumentalen Differenzierung einen eigenen Ton. Die
Zeno
Lyrische Symphonie, ein Zyklus von Orchestergesängen, ist der Gipfel seines Schaffens und zugleich der Schlußpunkt einer großen Tradition. Das spätere Werk (Sinfonietta, Kreidekreis) läßt Einflüsse von K. Weill und P. Hindemith erkennen, ohne jedoch die Brahms-Tradition und Mahlen Abgründigkeit zu verleugnen. Z. war und blieb stets der neuromantischen Moderne verpflichtet. Ausg.: Briefwechsel Schönberg — Z., hrsg. v. H. WEBER (in Vorb.). Lit.: H. WEBER, Z.s Maeterlinck-Gesänge, in: AfMw 29 (1972); DERS., A. Z. Eine Studie (W 1977) (— Östr. Komp. des 20. ih. 23); A. Z., Tradition im Umkreis der Wiener Schule, hrsg. v. O. KoLLERITSCH (Gr 1976) (— Stud. z. Wertungsforschung 7); R. STEPHAN, A. Z., ein unbekannter Meister der Wiener Schule (Kiel R. STEPHAN 1978) ( — Kieler Vorträge zum Theater 4).
ZENCK, Hermann, * 19. 3. 1898 Karlsruhe, t 2. 12. 1950 Freiburg i. Br.; dt. Musikforscher. Er studierte am Konservatorium in Karlsruhe und an den Universitäten München, Heidelberg und Leipzig, wo er 1924 bei Th. Kroyer promovierte und dessen Assistent wurde. 1929 habilitierte er sich in Leipzig und lehrte seit 1932 an der Universität Göttingen (1937 Ordinarius) und seit 1942 an der Universität Freiburg i. Br. Schwerpunkte seiner Forschungen waren die Musik des 15. und 16. Jh. und die Gesch. der Musikanschauung. Schriften: S. Dietrich (L 1928) (— PäM 111/2); Zarlinos „Istitutioni harmoniche" als Quelle z. Musikanschauung der it. Renaissance, in: ZfMw 12 (1929/30); Die Musik im Zeitalter Dantec, in: Dt. Dante-Jb. 17 (N. F. 8) (1935); Grundformen dt. Musikanschauung. in: Jb. der Akad. der Wiss. Göttingen 1940/41; A. Willaerts ..Salmi spezzati`, in: Mf 2 (1949); ausgew. Aufsätze erschienen postum als Numerus u. Affectus. Stud. z. Musikgesch., hrsg. v.
Gerstenberg (Kas 1959) (mit vollständigem Schriftenverz.). — Editionen: M. Praetorius, Megalynodia Sionia (1934) (— Praetorius-GA 14); J. Schultz, Musicalischer Lüstgarte(1937) (— EDM, LD Niedersachsen 1); S. Dietrich, Ausgew. Werke I (1942) ( _ EDM 23); Willaert, Opera omnia (1950ff.) (— CMM 3), fortgesetzt v. W. Gerstenberg. W.
ZENDER, Hans, * 22. 11. 1936 Wiesbaden; dt. Dirigent, Pianist und Komponist. Er studierte Klavier (E. Picht-Axenfeld), Dirigieren und Komposition (W. Fortner) an den Musikhochschulen in Frankfurt am Main und Freiburg i. Br. und privat Chorleitung bei K. Thomas. 1959-63 war er Korrepetitor und Kapellmeister an den Städtischen Bühnen Freiburg i. Br., 1964-68 Chefdirigent des Theaters der Stadt Bonn und 1968-71 GMD der Städtischen Bühnen in Kiel. Seither ist Z. Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters in Saarbrücken. 1982 wurde er zum GMD der Staatsoper und der Philharmonischen Konzerte in Hamburg berufen. 1975 dirigierte Z. erstmals bei den Bayreuther Festspielen (Parsifal). Er widmet sich besonders zeitgenössischer Musik. Als Komponist verarbeitet er
Anregungen von B. Bartók, B. A. Zimmermann und P. Boulez. In den Vokalwerken konzentriert er sich auf ein „System von Mehrschichtigkeit" von Wort und Ton, wobei die Sprache selbst einen Parameter bildet. WW: 1) Instr.-WW: Kammermusik, darunter Stücke für Ob., Cemb., 3 Vc., Fl. u. KIv., Fl.; Quartett (1965) für Fl., Vc., Klv. u. Schlagzeug; Bläser-Quintett (1950); Lo-Shu 1(1977) für 3-9 Spieler. — Für Orch.: Schachspiel (1970); Konzerte für Saxophon (1952), für Fl. (1959), für Klv. (1956). — 2) Vokal-WW: Canto 1—V (1965-1974) für versch. Besetzungen; Kantate nach Worten von Meister Eckehart (1980); Mujy no kyo für 3 u. mehr Instr. u. Frauen- oder Männer-St. ad lib. (1975). Lit.: H. Vocr, Neue Musik seit 1945 (St 1972, 2 1975); W. KONOLD, Kristallines Gebilde im musikal. Material, in: Musica 28 (1973); P. FIEBIG, Den Romantiker neu entdecken. Gespräch mit H. Z. über ... Reger u. Pfitzner, in: NZ 143 (1982). B. A. KOHL
ZENO, Apostolo, * 11. 12. 1668 Venedig, t 11. 11. 1750 ebd.; it. Dichter und Librettist. Er gründete 1691 die Accademia degli Animosi, die sich 1698 der römischen Arcadia anschloß. Mit Gl'inganni felicitrat er 1695 erstmals als Librettist hervor und hatte 1700 mit Lucio Vero (beide von Fr. Pollarolo vertont) seinen ersten Erfolg. 1710 gehörte er zu den Gründern des Giornale dei letterati d Italia. 1718 wurde er Hofdichter in Wien. Nach Venedig zurückgekehrt (1729), schrieb er weiterhin Oratorientexte für den Wiener Hof, widmete sich aber zunehmend literarischen Studien und seiner umfangreichen Münzsammlung. Z. ist einer der bedeutenden Librettisten des frühen 18. Jh. und der unmittelbare Wegbereiter von P. Metastasio. In seinen Operntexten - er schrieb ausschließlich Drammi per musica - ist gegenüber dem 17. Jh. neu, daß die Zahl der Arien geringer und ihre Stellung in den einzelnen Szenen wohldurchdacht ist, daß auch die Zahl der Szenen reduziert ist und die komischen Elemente weitgehend eliminiert sind. In Wien bemühte sich Z. besonders um eine Neuorientierung und religiöse Vertiefung der Oratorienlibretti, indem er sich auf biblische Stoffe konzentrierte. In diesem Bereich zeigt sich auch der Einfluß der frz. Tragödie. Libretti von Z. vertonten u. a. G. B. und A. M. Bononcini, A. Caldara, L. Cherubini, J. J. Fux, Fr. Gasparini, B. Galuppi, G. Fr. Händel, J. A. Hasse, A. Lotti, J. B. Pergolesi, N. Porpora, A. Scarlatti und A. Vivaldi. Ausg.: Drammi scelti, hrsg. v. M. FEHR (Bari 1929); 4 Libretti in: Drammi per musica dal Rinuccini allo Z., 2 Bde., hrsg. v. A. DELLA CORTE (Tn 1958) (= Classici italiani 57). Lit.: W. PIE'tzscH, A. Z. in seiner Abhängigkeit von der frz. Tragödie (L 1907); M. FEHR, A. Z. u. seine Reform des Operntextes (Z 1912); R. FREEMAN, Opera without Drama, Currents of Change in Italian Opera, 1675-1725, and the Roles Played therein by Z., Caldara, and Others (1967) (— Diss. Princeton Univ.); S. KUNZE, Die Entstehung eines Buffo-Librettos. Don Quijote-Be-
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Ziani arbeitungen, in: DJbMw 12 (1967); A. A. ABERT, Z., in: MGG XIV; R. FREEMAN, A. Z.'s Reform of the Libretto, in: JAMS 21 (1968); D. J. GROUT, La „Griselda" di Z. e il libretto dell'opera di Scarlatti, in: NRMI 2 (1968); S. MARTINOTTi, Un nuovo incontro con A. Z., in: Chigiana 25 (1968); H. E. SMITHER, A Hist. of the Oratorio I (Chapel Hill 1977).
ZIANI. - 1) Pietro Andrea, * vor dem 21. 12. 1616 Venedig, t 12.2. 1684 Neapel ; it. Komponist. Er war Geistlicher und seit 1641 Organist an S. Salvatore in Venedig. Seit 1654 trat er erfolgreich als Opernkomponist hervor, war 1657-59 Kapellmeister an S. Maria Maggiore in Bergamo und 1663-65 am Hof der Kaiserinwitwe Eleonora in Wien. Über Innsbruck und Dresden kehrte er 1667 nach Venedig zurück und übernahm 1669 die Nachfolge Fr. Cavallis als 1. Organist an S. Marco. Nach Cavallis Tod (1676) bewarb er sich vergeblich auch um das Amt des Kapellmeisters und wandte sich nach Neapel, wo er bereits 1673 Opern aufgeführt hatte. 1678-80 unterrichtete er am Conservatorio di S. Onofrio und wurde 1680 Hofkapellmeister. WW: Sonaten für Str. u. B. c. (V 1678); Airs or sonatas für 2 V. u. B.c. (Lo 1703); weitere Sonaten hsl. — Motetti a voce sola mit Instr. u. B. c. (V 1640); Sacrae laudes für 5 St., 2 V. u. B.c. (V 1660); Fiori musicali, Madrigale für 2-4 St. u. B. c. (V 1640); Canzonette a voce sola mit B.c. (V 1670). — Hsl. erhalten: weitere geistliche u. weltliche Vokalwerke. — Oratorien: San Pietro piangente (1664);
L'Assalone punito (1667); II cuore umano allincanto (1681); Le stimate di San Francesco. — 17 Opern, darunter für Wien: La ricreazione burlesca (1663 oder 1668); L'invidia conculcata dalla Virtù, Merito, Valore ... di Leopoldo imperatore (1664); Cloridea u. La Circe (1665); L'Elice (1666); La Galatea (1667).
Z. gehört zu den wichtigsten Vertretern der Venezianischen Oper. Zunächst von Cl. Monteverdi und Cavalli beeinflußt, orientierte er sich später stärker an M. A. Cesti, dessen Werke er in Wien kennenlernte. Besonders stark sind in seinen Opern komische Elemente vertreten. Durch seine Tätigkeit in Neapel bereitete er auch den Boden für die Entwicklung der Neapolitanischen Oper. 2) Marc'Antonio, Neffe von 1), * um 1653 Venedig, t 22. 1. 1715 Wien; it. Komponist. Z. war seit 1686 Kapellmeister an S. Barbara in Mantua und wirkte seit 1700 als Vizekapellmeister und seit 1712 als Kapellmeister am Wiener Hof. WW (hsl. erhalten): 22 Messen (teilweise im A capp.-Stil, teilweise Kantatenmessen); 3 Requiem; etwa 100 weitere kirchenmusikal. Werke. — 9 Oratorien u. Sepolcri. — 20 (von etwa 50 nachweislich aufgeführten) Opern, darunter für Wien: Il Giordano Pio (1700); Caio Popilio (1704); L'Ercole vincitor dell'Invidia, La Flora u. Il Meleagro (1706); Il Campidoglio ricuperato u. Chilonida (1709);
Andromeda u. L'Atenaide (1714).
Wie sein Onkel ist Z. einer der führenden Komponisten der Venezianischen Oper diesseits und jenseits der Alpen. Seine Bühnenwerke sind charakterisiert durch die vielfältige Verwendung obligater 404
Instrumente in den Arien und durch eine insgesamt differenzierte Orchesterbesetzung. Ausg.: Zu 1): Eine Fuge in: Orgelmusik an europäischen Kathedralen III, hrsg. v. E. KRAUS (Rb 1963) (— Cantantibus organis 11); 3 Arien aus Candaule, in: H. CH. WOLFF, Die Oper I (Kö 1971) (— Das Musikwerk 38). — Zu 2): 5 Motetten in: Geistliche Solomotetten des 18. Jh., hrsg. v. C. SCHOENBAUM (1962) ( — DTÖ 101/102). Lit.: TH. ANTONICEK, Z., in: MGG XIV; I. BARTELS, Die Instrumentalstücke in Oper u. Oratorium der frühvenezianischen Zeit. Dargestellt an Werken v. Cavalli, Bertali, P. A. Z. u. Cesti ... (Diss. W 1970); TH. ANTONICEK, Die Damira-Opern der beiden Z., in: Anal. Mus. 14 (1975); DERS., Z., in: Grove• XX; R. CLEMENCIC, Die Wiederbelebung eines Oratoriums aus dem leopoldinischen Wien. „Assalone Punito" v. Z., in: ÖMZ 35 (1980).
ZIEGFELD FOLLIES, THE, eine Serie von opulenten amerik. Ausstattungsrevuen, die Florenz Ziegfeld (1867-1932) am Broadway produzierte. Die Idee dazu hatten Ziegfeld und seine Frau, die Tänzerin Anna Held, 1906 in Paris beim Besuch der damals populären frz. Cabaret-Revuen. Ziegfeld bestand auf einem Titel mit 13 Buchstaben, und so hießen die Revuen 1907-10 Follies of 1907, ... of 1908 usw. Später bekamen sie den Titel Ziegfeld Follies (1912-25, 1927, 1931) und wurden zu einer „nationalen Institution zur Verherrlichung des American Girl". Nach Ziegfelds Tod wurden die Namensrechte von den Shubert Brothers gekauft, die weitere 4 Folgen produzierten (1934, 1936, 1943, 1956). Bei der Filmversion mit Fred Astaire, Judy Garland u. v. a. von MGM (1946) führte Vincente Minelli Regie. Zu den berühmtesten Komponisten der Ziegfeld Follies gehören: I. Berlin, V. Herbert, R. Friml, Vernon Duke. Besonders ins Auge fielen die spektakulären szenischen Effekte, wie Treppentürme, Schlachtschiffe und Lokomotiven, die alle von Joseph Urban geschaffen wurden. Das berühmteste aller von Ziegfeld entdeckten Girls war Fanny Brice (r Funny Girl). ZIEGLER, Klaus Martin, * 23. 2. 1929 Freiburg i. Br.; dt. Chorleiter und Organist. Nach Dirigierund Kirchenmusikstudium in Karlsruhe und Heidelberg (W. Fortner) war er 1954-60 Kantor in Karlsruhe, seit 1957 auch Leiter der Abteilung für evangelische Kirchenmusik am Konservatorium. Seit 1960 wirkt er an St. Martin in Kassel (1967 KMD), wo er 1965 das Vocalensemble Kassel und die seither zweijährig stattfindenden „Wochen für geistliche Musik der Gegenwart. Neue Musik in der Kirche" ins Leben rief. Daneben war er 1968-70 künstlerischer Leiter der Kirchenmusikschule Schlächtern, 1970-81 Dozent für Chorleitung an der Kirchenmusikschule Herford und ist seit 1981 auch Dirigent des Südfunkchors Stutt-
Zigeunermusik gart. Z. brachte als Chorleiter und Organist zahlreiche Werke zur Uraufführung. Sein Wirken hat in der Verbindung von kirchenmusikalischer, pädagogischer und künstlerischer Verantwortung über Deutschland hinaus Maßstäbe gesetzt. Schriften: „Kahle Sängerin" contra „Ful3gänger der Luft", in: MuK 33 (1963); Kirchenmusik zw. Avantgarde u. Gemeinde, in: ebd. 35 (1965); Abschied von Schlüchtern - zeitgemäBe Betrachtungen z kirchenmusikal. Ausbildung. in: ebd. 40 (1970); Zur Funktion der Musik im Gottesdienst heute, in: ebd. 49 (1979). Lit.: 10 Jahre Kantorei an St. Manin - 5 Jahre Vocalensemble
Kassel (Kas 1970).
ZIEHHARMONIKA r Akkordeon. ZIEHRER, Carl Michael, * 2.5. 1843 Wien, t 14. 11. 1922 ebd.; östr. Komponist und Dirigent. Nach Klavier- und Theorieunterricht war er Pianist in einer Tanzschule und debütierte 1863 als Dirigent einer Tanzkapelle. 1870-78 leitete er mehrere Regimentskapellen, trat dann mit einer eigenen Kapelle auch im Ausland auf und wurde zum königlich-rumänischen Hofkapellmeister ernannt. 1885-93 leitete er die Kapelle des Wiener Hausregiments Hoch- und Deutschmeister Nr. 4, mit dem er der österreichischen Militärmusik zu weltweitem Ansehen verhalf. Anschließend widmete er sich zunehmend der Komposition von Märschen, Walzern und zahlreichen Operetten, von denen jedoch nur Die Landstreicher(1899) einen anhaltenden Erfolg erzielten. 1908 wurde er 4. und zugleich letzter k.k. Hofballmusikdirektor. Z. war der letzte bedeutende Vertreter der klassischen Wiener Tanzmusik und Operette. WW: Ca. 70 Märsche, u. a. Hoch und Nieder und Der Zauber der Montur; über 120 Walzer, u.a. Faschingskinder; Weana Mad Yn;
Wiener Bürger; Backfischerin; Gebirgskinder; Donausagen; Samt und Seide; Hereinspaziert; etwa 240 andere Tänze. - 24 Operetten, u.a. Ein Deutschmeister, UA: Wien 1888; Die Landstreicher, UA ebd. 1899; Die drei Wünsche, UA: 1901; Der Fremdenführer, U A : ebd. 1902; Der Schätzmeister, U A : ebd. 1904; Fesche Geister, UA: ebd. 1905; Am Lido, U A : ebd. 1907; Der Liebeswalzer, UA: ebd. 1908; Das dumme Herz, UA: ebd. 1914. Lit.: O. SCHNEIDEREIT, Operette V. Abraham bis Z (B 1966); M. SCHÖNHERR, Inventar des C.-M.-Z.-Archivs in der Musik-SIg. u. Theater-Sig. der östr. Nationalbibl. in Wien (W 1969); DERS., C. M. Z. (W 1973); DERS., C. M. Z. Sein Werk, sein Leben, seine Zeit (W 1975).
ZIELENSKI, Mikolaj, * um 1550, t um 1615; poln. Komponist. Er war von etwa 1608 bis 1615 Organist und Kapellmeister am Hofe des Erzbischofs Wojciech Baranowski in Lowicz. Z. übernahm als erster und zugleich namhaftester polnischer Komponist seiner Zeit die mehrchörige konzertierende Schreibweise. WW: Offertoria totius anni für 6-8 St., Instr. u. B.c. u. Communiones totius anni für I-6 St., Instr. u. B.c. (V 1611) (beide Slgen. enthalten auch Instr.-Sätze).
Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. W. MALINOWSKY - Z. JACHIMECKI, 2 Bde. (Krakau 1966, 1971) (= Monumenta musicae in Polonia A II/1 u. A 11/2). Lit.: W. MALINOWSKY, Polifonia M. Zieleňskiego (War 1974); M. PERZ, Z., in: Grove• XX (mit Ven. der poln. Lit.).
ZIGEUNERBARON, DER, Operette in 3 Akten
von J. Strauß (Sohn), Text von Ignaz Schnitzer nach Moritz Jokais Erzählung Sam. Ort und Zeit der Handlung: im Temeser Banat und in Wien, um 1750. UA: 24. 10. 1885 Wien (Theater an der Wien); dt. EA: 25. 12. 1885 Breslau. Die rührselige Geschichte um den jungen Ungarn Sándor Barinkay und das vorgebliche Zigeunermädchen Saffi ist auf vordergründige Weise mit dem attraktiven ungarisch-zigeunerischen Lokalkolorit ausgestattet. Eben dieses Milieu inspirierte J. Strauß zu einer seiner besten Operettenmusiken: Zimbalklänge und die Harmonienfolgen der Zeugeunertonleiter bestimmen die musikalische Sprache dieses Werkes ebenso wie der für eine Wiener Operette unvermeidliche Walzer. Mit geeigneten stilistischen Mitteln wie teilweise auskomponiertem Dialog, melodramatischen Abschnitten und durchkomponierten großen Finali nähert Strauß die Operette dem Typus der Spieloper an; sein Wunsch war es, gerade mit diesem Werk auch auf dem Gebiet der zeitgenössischen komischen Oper anerkannt zu werden. - Nach der Fledermaus ist der Zigeunerbaron die weltweit erfolgreichste Strauß-Operette. Neben dem Duett Wer uns getraut und Barinkays Entrée-Couplet Als flotter Geist (mit dem Walzer-Refrain Ja das alles auf Ehr) ist das Couplet des Schweinezüchters Zsupán Ja, das Schreiben und das Lesen die berühmteste Nummer aus diesem Werk. J. SCHLÄDER ZIGEUNERMUSIK. Die in Europa, Asien und Amerika weitverstreuten Zigeuner bilden keine homogene Gruppe. Die meisten von ihnen sprechen keine eigene Sprache mehr, sondern die ihres Gastlandes. Sie übernahmen auch dessen Musik, veränderten sie aber oft in ganz spezifischer Art, wie z. B. die in Frankreich und Deutschland lebenden Manuš, die Unterhaltungsmusik von der Polka bis zum Jazz spielen. Unter diesen entwikkelten einige Sippen (z. B. die Reinhardts) ihren eigenen Stil. Es gibt jedoch auch Gruppen, die ihre Sprache, ihre Bräuche und ihre Musiktradition beibehielten. Am bekanntesten sind die ungarischen und rumänischen Zigeuner, deren Musik jedoch weder mit der ländlichen Volksmusik dieser Länder noch mit ihrer eigenen Musik etwas zu tun hat. Sie spielen meist instrumentale Weisen unterschiedlicher Herkunft, mit jeweils lokaler Färbung und mit einem bestimmten ihnen eigenen Vor405
Zigeunermusik tragsstil. In Ungarn zeigen das besonders der Ende des 18. Jh. entstandene Verbunkos, Tänze, die von Soldatenanwerbern getanzt und von Zigeunern instrumental begleitet wurden. Hinzu kamen im 19. und 20. Jh. entstandene, von Zigeunerkapellen in Cafés vorgetragene volkstümliche Kompositionen (magyar nóta). Diese Z. beeinfluBte seit J. Haydn und W. A. Mozart die Komponisten, die „ungarische Musik" schrieben, im 19. Jh. vor allem H. Berlioz, J. Brahms und ganz besonders Fr. Liszt (r Ungaresca). Die Musik der rumänischen Zigeuner ist anders, sie geht auf türkische und auf Quellen der Balkanländer zurück. In Ungarn und in den Balkanstaaten spielen Zigeuner vor allem Violine und Hackbrett (r Cimbalom), in Rumänien auch r Panflöte, in Jugoslawien vor allem r Tamburica. Die Musik der russ. Zigeuner ist anders geartet. Hier treten sie vor allem als Sänger und Tänzer zur Begleitung von Gitarre, Akkordeon oder Balalaika auf, hauptsächlich in den berühmten Zigeunerchören, deren Repertoire vor allem aus Romanzen mit lokaler russ. Färbung, westlicher Harmonik und Zigeunergefühl im Vortrag besteht, aber auch aus Liedern in Zigeunersprache. Bei den Zigeunern Spaniens, Portugals und Südfrankreichs findet man vor allem Sanger, darunter insbesondere die südspan. Zigeuner, die bis heute als die besten Interpreten des Cante jondo (r Flamenco) gelten. Alle bis jetzt genannten Musiktraditionen sind bei Gruppen zu beobachten, die seit langer Zeit in einem Lande leben. Andere Sippen hingegen wanderten länger und behielten bis jetzt ihre Sprache, ihren Glauben und ihre Sozialstruktur bei. Ihre Sippennamen sind zugleich die Bz.en ihrer früheren Berufe wie Lovara (Pferdehändler), Kolara (Teppichhändler), Khelderaša (Kesselflikker) u. a. Für die Musik sind die Lovari und die Khelderaši am bedeutendsten, denn sie haben noch ein eigenes, in ihrer Sprache vorgetragenes Repertoire. Die rein vokale Musik der Lovari besteht aus Liedern und Tanzliedern. Eine gesungene, oft textlos Instrumente nachahmende Melodie (im Vortrag sog. Wirbeln) wird mit Händeklatschen, Fingerschnipsen und vor allem mit Stimmund Mundgeräuschen, dem sog. Mundbaß, rhythmisch begleitet. Dagegen ist die Musik der Khelderaša eine 2-3st. Vokalpolyphonie mit reich verzierter Melodik und Instrumentalbegleitung (Gitarren, Akkordeon). Trotz der Unterschiede zwischen der von Zigeunern übernommenen Musik der Gastländer und ihrer eigenen lassen sich bestimmte gemeinsame Elemente, den Stil und die Interpretation betreffend, herausfinden. Ein bestimmter Rubato-Vortrag, ein Wechsel zwischen schnellen schwungvollen Passagen und besonders 406
lang ausgehaltenen Tönen, eine bestimmte Neigung zu virtuoser Verzierung, ein meist sehr gefühlsbetonter Vortrag und selbst eine kehlig rauhe Stimme ist fast jeder musikalischen Darbietung eigen, so daß sich trotz aller Unterschiede eine verborgene, aber grundlegende Einheitlichkeit des musikalischen Ausdrucks bei den Zigeunern feststellen 1äßt. Ein neuer Raum öffnete sich der Z. durch die Verbindung mit dem Jazz (Dj. Reinhardt, Z. Reinhardt, Schnuckenack Reinhardt). Lit.: S. u. I. CZENKI, Bazsarozsa. 99 cigány népdal (Budapest 1955); A. HAJDU, Les tsiganes de Hongrie et leur musique, in: Etudes tsiganes 4 (1958); V. BOBRI, Gypsies and Gypsy Choruses in Old Russia, in: Journal of Gypsy Lore Soc. (Liverpool 1961); T. P. VUKANOVIC, Musical Culture among the Gypsies of Yougoslavia, in: ebd. (1962); A. HAJDU, La „Loki djili" des tsiganes Kalderash, in: Rev. des arts et traditions populaires 12 (P 1964); B. SÁRosI, Gypsy Musicians and Hungarian Peasant Music, in: YbIFMC 2 (1970); DERS., Cigányzene (Budapest 1971), dt. Übers.: Z. (Z — Fr 1977); DERS., Magyar parasztok és cigányzenészek, in: Magyar zene 13 (1972); G. LATERZA, La musica tzigana (R 1972); R. Víc, Gypsy Folk Songs from the B. Bartók and Z. Kodály collections, in: Studia musicologica Acad. Scientiarum Hungaricae 16 (1974); B. SÁROSI, Geige u. Zigeunermusikanten in Ungarn, in: Die Geige in der europ. Volksmusik (W 1975): DERS., Gypsy Music, in: Grove" VII.
ZIGEUNERTONLEITER, Bz. für eine mit übermäßigen Sekunden durchsetzte 7tönige Tonleiter. Zu unterscheiden ist sie entweder als sog. Zigeuner-Moll
tio •
oder als sog. Zigeuner-Dur a bï
Diese Z.n sind charakteristisch für die südslawische Volksmusik, die Zigeunermusik der Balkanländer und seit dem 18. Jh. für den davon beeinflußten r Verbunkos. Im Zusammenhang mit anderen sog. Ungarismen (r Ungaresca) sind die Z.n in der Kunstmusik vor allem von Fr. Liszt verwendet worden. ZILCHER, Karl Hermann Josef, * 18. B. 1881 Frankfurt am Main, t 1. 1. 1948 Würzburg; dt. Komponist, Pianist und Dirigent. Er studierte 1897-1901 Klavier und Komposition am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, wo er 1905-08 selbst unterrichtete. Anschließend wurde er Professor an der Akademie der Tonkunst in München und wirkte 1920-44 als Direktor und Leiter einer Meisterklasse für Komposition am Staatskonservatorium in Würzburg. Z. genoß im Musikleben Würzburgs hohes Ansehen. 1922 war er maßgeblich an der Gründung der Deutschen Mozart-Feste beteiligt. Sein traditionsgebundenes,
Zimmermann
handwerklich solides Schaffen ist durch Volkstümlichkeit und gelegentliche Hinwendung zum Expressionismus gekennzeichnet. WW: Für Orch.: 5 Symphonien, op. 1, 17, 27, 84, 112; 5 Suiten; 3 V.-Konzerte, op. 9, 11, 92; 2 Klv.-Konzerte, op. 20, 102; Akkordeon-Konzert, op. 114. - Zahlr. Klv.-Lieder; Chöre u. Oratorien. Opern: Fitzebutze, UA: Mannheim 1903; Dr. Eisenbart, UA:ebd. 1922. Lit.: H. OPPENHEIM, H. Z. (Mn 1921); R. MÜNNICH, in: AMZ 60 (1933); TH. HLOUSCHEK, H. Z. (Diss. Jena 1952) (mit WerkVerz.).
ZILLIG, Winfried Petrus Ignatius, * 1. 4. 1905 Würzburg, t 18. 12. 1963 Hamburg; dt. Komponist und Dirigent. Z. studierte am Konservatorium in Würzburg und seit 1925 bei A. Schönberg in Wien, dem er 1926 nach Berlin folgte. Im letzten Jahr seines Kompositionsstudiums (1927) wurde er Assistent von E. Kleiber an der Staatsoper; es folgten Engagements als Solorepetitor und Kapellmeister in Oldenburg (1928), Düsseldorf (1932), Essen (1937) und Posen (1940-43). In den Nachkriegsjahren wirkte Z. als 1. Kapellmeister wiederum in Düsseldorf, 1947-51 als 1. Dirigent am Hessischen Rundfunk Frankfurt am Main. 1959 wurde er Leiter der Musikabteilung beim NDR Hamburg. WW: 1) Instr.-WW: 2 Streichquartette (1927, 1944); 4 Serenaden, Nr. 1 (1928) für 8 Blechbläser, Nr. 2 (1929) für 9 Soloinstr., Nr. 3 (1931) für Klv., Nr. 4 (1952) für 15 Soloinstr.; Lustspielsuite (1935) für Bläserquintett; Tanzsymphonie(1938); Konzert für Vc. u. Blasorch. (1952); Fantasia /rica (1953) für Harfe u. Streichorch.; V.-Konzert (1955); Fantasia. Pavsacaglia u. Fuge über den Meistersingerchora/ (1963). - 2) Vokal-WW: 13 Liederzyklen, u. a. Vergessene Weisen (P. Verlaine) (1958); Lieder des Herbstes (R. M. Rilke) (1959); Chorwerke: Der Einsiedler (J. von Eichendorff) (1923-24); Chorfantasie (F. Hölderlin) (1931). 3) Bühnen-WW: Opern: Rosse (Libr.: R. Billinger), UA: Düsseldorf 1933; Das Opfer (Libr.: R. Goering), UA: Hamburg 1937; Die Windsbraut (Libr.: R. Billinger), UA: Leipzig 1941; Troilus u. Cressida (Libr.: Z., nach W. Shakespeare), UA: Düsseldorf 1951; Fernsehoper Bauernpassion (Libr.: R. Billinger), UA: BR München 1955; Funkoper Die Verlobung in St. Domingo (nach H. von Kleist), UA: NDR Hamburg 1957; Das Verlöbnis (Libr.: R. Billinger), UA: Linz 1963.
Von den doktrinären Einflüssen seines Lehrers Schönberg löste sich Z. durch Aufnahme der Dirigententätigkeit. Die hier gewonnenen Erfahrungen mit der Opernbühne flossen in sein Schaffen ein. Als einer der ersten war Z. bemüht, für die neuen Medien Rundfunk und Fernsehen spezifische Musik zu schreiben. Seine Kompositionen sind von lyrischer Grundstimmung erfüllt; ausgeprägte Rhythmik hat häufig gliedernde Funktion, die dodekaphone Reihenbildung integriert Elemente der Tonalität. Als Dirigent förderte Z. insbesondere die Werke G. Mahlers und die der Wiener Schule (u. a. richtete Z. Schönbergs Oratorium Die Jakobsleiter ein und gab den Klavierauszug zu Moses und Aron heraus). In zahlreichen Aufsätzen
und Rundfunksendungen erwies sich Z. als kundiger Deuter und Wegbereiter der Neuen Musik. Schriften: Var. über Neue Musik(Mn 1959), 3. Aufl. als: Die Neue Musik. Linien u. Porträts (1963); Schönbergs „lakobsleiter , in: ÜMZ 16 (1961); A. Schönberg, in: Stilporträts der Neuen Musik (Da - B 2 1965) (- Veröff. des Inst. für Neue Musik ... 2). Lit.: U. DIBELIUs, W. Z., in: MS 12 (1958); S. Gür-mSER, W. Z, in: NZM 122 (1961); TH. W. ADORNO, Z.s Verlaine-Lieder, in: Moments musicaux (F 1964); G. SCHUHMACHER, Fortschritt, hist. betrachtet, in: MS 26 (1972); H. FEDERHOFER, W. Z.s Einführung in die Zwölftonmusik, in: FS 10 Jahre Hochschule für Musik ... Graz (Gr- W 1973). K. LANGROCK
ZIMBAL r Cimbalom.
ZIMBELN (von griech. r Kymbala; lat.: 7 Cymbala; engl.: cymbals; frz.: cymbales; it.: cimbali; span.: címbalos), Bz. für kleine, stets paarweise gespielte r Becken ohne bestimmte Tonhöhe. Finger-Z. sind dünne Metallscheiben mit breiten, leicht gewölbten Kuppen, in deren Mitte sich Öffnungen zum Durchziehen von Schlaufen befinden. Mit diesen Halteschlaufen wird je eine der Z. an Daumen und Zeige- oder Mittelfinger befestigt. Bei Gabel-Z. sind die Z. am offenen Ende einer federnden Gabel befestigt. Finger-Z. werden heute vor allem in den islamischen Ländern und auf der Iberischen Halbinsel als Tanzinstrumente benutzt. Von Komponisten werden Z. nicht oft vorgeschrieben, seit 1839 verschiedentlich die von H. Berlioz eingeführten Cymbales antiques (OE Crotales), sehr selten auch Finger-Z. (z. B. L. Berio, Circles, 1960). ZIMBELSTERN, im Orgelbau Bz. für ein Nebenregister, dessen sichtbarer Teil am Prospekt als Stern, Sonnen- oder Flügelrad von einem Windrad angetrieben wird. In der Achse des Windrades befinden sich entweder kleine Schellen oder Metallhämmerchen, die durch die Drehung mehrere Glöckchen („Zimbeln") anschlagen. Der Z. war im Orgelbau des 17./18. Jh. sehr beliebt und wurde von den Organisten besonders an hohen Festtagen gebraucht. Das 19. Jh. verwarf ihn als „unkirchliche Spielerei". Neuerdings wird er wieder häufiger gebaut. ZIMMERMANN, Anton, * um 1741, t 16. 10. 1781 Preßburg; östr. Komponist. Z. wirkte als Kapellmeister des Kardinals Joseph Batthyány in Preßburg und als Organist an der dortigen Domkirche. Er war nach G. Benda einer der ersten Komponisten von Melodramen. WW: Zahlr. Instr.-Werke, u. a. Die Belagerung von Valenciennes für Klv. u. V.; 9 Sonaten für Cemb. u. V.; Streichquartette; zahlr. Symphonien; Konzerte; Melodram Andromeda und Perseus, UA: Wien 1781; Singspiel Narcisse et Pierre, UA: Preßburg 1772.
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Zimmermann Ausg.: Symphonie C-Dur (J. Haydn zugeschrieben), hrsg. v. A. SANDBERGER, in: Münchener Haydn-Renaissance (Mn 1934); dass., hrsg. v. Z. FEKE'rE (W - Bas 1950); Tance (6 Tänze für 2 Solo-V. u. Vc.), hrsg. v. P. PoLÁK (Preßburg 1966). Lit.: Y. LACROISE, Un mélodrame du XVIII' siècle, in: RM 5 (1924); P. PoLÁK, Beitr. z. Biogr. v. A. Z., Kapellmeister des Fürsten Joseph Batthyány, in: StMw 30 (1979).
ZIMMERMANN, Bernd (Bernhard) Alois, * 20.3. 1918 Bliesheim bei Köln, t 10.8. 1970 Königsdorf bei Köln; dt. Komponist. H. Lemacher und Ph. Jarnach waren in Köln seine Kompositionslehrer; zudem besuchte Z. 1948-50 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik die Kompositionskurse von W. Fortner und R. Leibowitz. Weit verzweigte Studien - in Germanistik, Philosophie, Psychologie und Musikwissenschaft - beschäftigten ihn 1937-1950; das Studium der Schulmusik, das er 1939 begann, konnte er wegen des Krieges erst 1947 abschließen. 1950-52 war Z. Lektor für Musiktheorie an der Kölner Universität und bis 1957 freier Mitarbeiter des WDR, hier vor allem im Bereich der Hörspielmusik, die ihm nach eigenem Bekenntnis „ungeahnte Möglichkeiten des ständigen Experimentierens" bot. Im gleichen Sinne bedeutsam waren seine Arbeiten für Film und Bühne und zahlreiche Arrangements für das Unterhaltungsorchester Hermann Hagestedt. Von 1957 bis zu seinem Tod leitete er an der Kölner Musikhochschule eine Kompositionsklasse sowie ein Seminar für Hörspiel-, Film- und Bühnenmusik. 1957 und 1963 war Z. Stipendiat der Villa Massimo in Rom, 1965 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Improvisationen über Volks- u. Kinderlieder Capriccio (1947); Fünf Stücke Extemporale (1943); Kleine Stücke Enchiridion (1952); Acht Stücke Konfigurationen (1956); Musik zu einem imaginären Ballett Perspektiven (1955) für 2 Klv.; Monologe (1964) für 2 Klv. (= Fassung der Dialoge für 2 Klv. u. Orch.). - Kammermusik: Sonaten für V. u. Klv. (1950); V. solo (1951); Va. solo (1955); Fl. solo Tempus loquendi (1963); Vc. solo (1960); Intercommunirazione per violoncello e pianoforte(1967); Ballet blanc en cinq scènes pour violon, violoncelle et piano Présence (1961); Vier kurze Studien (1970) für Vc. solo. - Für Orch.: Ballett-Suite Alagoana (Caprichios Brasileiros) (1940-43), instrumentiert (1948-50); Konzert für Streichorch. (1948); Sinfonie in einem Satz (1947/51, Neufassung 1953); Musik zu einem imaginären Ballett Kontraste (1953); Impromptu (1958); Ballet noir en sept parties et une entrée Musique pour les soupers du Roi Ubu (1966); Prélude Photoptosis (1968); Orch.Skizzen Stille und Umkehr (1970). - Konzerte für: V. u. groBes Orch. (1950); Ob. u. kleines Orch. (1952); Trp. u. Orch. Nobody knows the trouble I see (1954); Vc. u. kleines Orch. Canto di speranza (1953/57); 2 Klv. u. groBes Orch. Dialoge (1960), revidierte u. erleichterte Fassung (1965); Va. u. kleines Orch. Antiphonen (1961); Concerto pour Violoncelle et orchestre en forme de „pas de trois" (1965-66). - 2) Vokal-WW: Burleske Kantate Lob der Torheit (1948) für Koloratur-Sopran, Tenor, BaB, gem. Chor u. groBes Orch. ; Kantate Omnia tempus habent (1957) für Sopransolo u. 17 Instr.; Vokal-Sinfonie Die Soldaten (1959) für 6 Gesangs-Solisten u. Orch.; Requiem für einen jungen Dichter
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(1967-69), Lingual für Sprecher, Sopran- u. Bar.-Solo, drei Chöre, elektronische Klänge, Orch., Jazzcombo u. Org.; Ekklesiastische Aktion Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne (1970) für 2 Sprecher, BaB-Solo u. Orch. - 3) Buhnen-WW: Die Soldaten, Urfassung vernichtet (1958-60), Umarbeitung (1963-64), UA: Köln 1965. - 4) Schriften: Jenseits des Impressionismus. Von Debussy bis zur ,.Jeune France'; in: Musica 12 (1949); Material und Geist, in: Melos 1 (1951); UnzeitgemáLle Betrachtungen zur Musik der jungen Generation, in: Melos 11 (1952); Intervall und Zeit. Aufsätze und Schriften zum Werk, hrsg. v. Ch. Bitter (Mz 1974).
Grundlegende Momente für Z.s Schaffen und geistige Position, von Religiosität, humanistischem Denken und kompromißlosem künstlerischem Anspruch getragen, wurzeln in seinem Werdegang: der Einbruch des Zweiten Weltkrieges spiegelt sich in der expressionistisch-eruptiven Haltung besonders der frühen Werke; seine umfassenden Studien stützten seinen Hang zu philosophischer Reflexion und zogen ihn - wie etwa die literarische Collage in den Antiphonen zeigen kann - immer wieder zu den Nachbarkünsten hin; seine vielfältigen kompositorischen Erfahrungen schlossen auch den Umgang mit populärer Musik und dem Jazz ein. Folgerichtig war die Kategorie des „Stils" für Z. ein ästhetischer Anachronismus. Zum - philosophisch fundierten - Gegenmodell wurde ihm der „Pluralismus" : Antwort einerseits auf die Vielschichtigkeit der musikalischen Realität, Schlüsselbegriff anderereits für die zentrale Zeitphilosophie Z.s, die von der Simultaneität der verschiedenen Zeit- und Erlebnisschichten des Menschen ausgeht. Für Z. bildet u. a. das musikalische Zitat dieses erlebnishafte Zusammenfallen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ab; einzelne oder collagierte Zitate unterschiedlichster historischer und geistiger Herkunft versinnbildlichen im gegenwärtigen Erklingen die Gleichzeitigkeit, die „Kugelgestalt der Zeit" (Z.). Entsprechend ist auch z. B. der gleichzeitige Ablauf verschiedener Szenen in Die Soldaten zu deuten, jener Oper, die gemeinhin - entgegen dem Rang seiner Orchesterwerke - als Z.s Hauptwerk gilt. Ihrem immensen Aufgebot an musikalischen und theatralischen Mitteln steht bei Z., etwa in den Solosonaten, äußerste Beschränkung gegenüber. Solche Polarität - das Nebeneinander von Üppigkeit und Kargheit, von emphatischer Geste und lyrischer Verinnerlichung - ist insgesamt kennzeichnend für sein farbenreiches Werk, dessen intensive Ausdruckshaftigkeit stets rückgebunden ist an konstruktive Strenge. Lit.: Sonderh. Musik u. Bildung 10 (1978) (mit Schriftenverz., Bibliogr. u. Diskographie). - R. SCHUBERT, in :Junge Komponisten, hrsg. v. H. Eimert - K. Stockhausen (W 1958) ( = die Reihe 4); M. ROTHÄRMEI., Der pluralistische Z., in: Melos 35 (1968): U. STÜRZBECHER, in: Werkstattgespräche mit Komponisten (Kö 1971); H. J. HERBORT, B. A. Z., „Die Soldaten", in: Musik u. Bil-
Zingarelli dung 3 (1971); H. HALBREICH, Requiem for a Suicide, in: Music and Musicians 31 (1972/73), dt. Ubers. in: FS L. Strecker (Mz 1973); J. HÄUSLER, B. A. Z. u. sein Werk für die zeitgen. Musik, in: Universitas 28 (1973); M. KARBAUM, Zur Verfahrensweise im Werk B. A. Z.s, in: De ratione in musica. FS E. Schenk (Kas 1975); A. VON IMHOFF, Unters. zum Klavierwerk B. A. Zs (Rb 1976) (— Kölner Beitr. z. Musikforsch. 83); C. KOHN, Die Orchesterwerke B. A. Z.s Ein Beitr. z. Musikgesch. nach 1945 (H 1978) (— Schriftenreihe z. Musik 12); R. PETERS, B. A. Z., in: Stud. z Musikgesch. des Rheinlandes 5 (Kö 1978) (— Beitr. z rheinischen Musikgesch. 119). C. KOHN
ZIMMERMANN, Heinz Werner, * 11. B. 1930 Freiburg i. Br.; dt. Komponist. Z. studierte 1946-48 bei J. Weismann und 1950-54 bei W. Fortner. 1953 wurde er Fortners Assistent und 1954 dessen Nachfolger am kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg, 1963 Direktor und Kompositionslehrer an der Kirchenmusikschule BerlinSpandau und 1975 Professor für Komposition und Musiktheorie an der Musikhochschule Frankfurt am Main. 1967 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Wittenberg University in Springfield (Ohio). WW: 1) Kompositionen: Psalmkonzert für Bar., Chor, Trp., Vibraphon u. Schlagbaß (1958); 3 Spirituals für 6—I2st. Chor a cap. (1968); Missa profana (1973) für Soli, Chor, Jazzensemble u. Orch.; Drei Fragen (1978) (Text: G. Benn, H. M. Enzensberger, I. Bachmann) für Tenor, Chor u. Kammerorch. — 2) Schriften: Was ist neue Musik ?Zur Kritik der Kriterien, in : Gestalt und Glaube. FS O. Söhngen (B 1960); Neue Musik und neues Kirchenlid in: MuK 33 (1963); Über homogene und polystilistische Polyphonie, in: MuK 41 (1971); Neue Tonalität?, in: ebd. 46 (1976); E. Pepping und die Deutsche Evangelische Kirchenmusik des XX lh.s, in: ebd. 51 (1981).
In seinem überwiegend kirchenmusikalischen Schaffen verbindet Z. traditionelle Formen und Techniken mit Rhythmik und Melodik des Negro Spirituals und des Jazz. Der klanglich abgestuften Deklamation steht vielfach ein jazzhaftes Instrumentarium gegenüber. In Vorträgen und Aufsätzen tritt er für eine Vitalisierung der evangelischen Kirchenmusik ein. Lit.: K. M. ZIEGLER, H. W. Z. Eine Information, in: Gottesdienst u. Kirchenmusik (Mn 1964); A. DAVIDSON, I Will Sing A New Song Unto the Lord. The Works of H. W. Z. (Springfield 1969); H.-G. OERTEL, Kirchenmusik u. Jazz, in: Credo musicale. FS R. Mauersberger (Kas 1969); A. SCHÜTZ, Missa profana v. H. W. Z., in: MuK 51 (1981). G. SCHUHMACHER
ZIMMERMANN, Udo, * 6. 10. 1943 Dresden ; dt. Komponist. Er war 1954-62 Mitglied des Kreuzchores, studierte anschließend in Dresden Gesang, Dirigieren und Komposition (Johannes Paul Thilmann) und wurde 1968 Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR. 1970 kam er als Komponist und Dramaturg an die Dresdener Staatsoper, wo er 1974 das Studio „Neue Musik" begründete. 1976 erhielt er an der Musikhochschule Dresden einen Lehrauftrag, 1978 wurde er dort Professor für Komposition.
WW: 1) Instr.-WW: Dramatische Impression (1963) für Vc. u. Orch. ; Movimenti caratteristici (1965) für Solo-Vc.; Musik für Str. (1968); L'homme (nach E. Guilleric) (1970), Meditationen für Orch. (auch als Kantate für Sopran u. 13 Spieler); Sieh, meine Augen (nach E. Barlach) (1970), Reflexionen für Kammerorch.; Tänzerinnen (1973), Choreographien nach E. Degas; Sinfonia come un grande lamento(1977); Songerie(1982) für Kammerorch. — 2) Vokal-WW : Sonetti amorosi(1967) für Alt, Fl. u. Streichquart. ; Ode an das Leben (nach Texten v. P. Neruda u. L. Carus) (1974) für Alt, 3-4st. Chor u. Orch.; Psalm der Nacht (1977) für Chor, Mánnerst., Schlagwerk u. Org.; Pax questuosa (1982) für Soli, 3 gem. Ch. u. Orch. — 3) Bühnen-WW: Opern: Weibe Rose (Libr.: I. Zimmermann), UA: Dresden 1967; Die zweite Entscheidung (Libr.: ders.), UA: Magdeburg 1970; Levins Mühle (Libr.: ders., nach J. Bobrowski), UA: Dresden 1973; Der Schuhu u. die fliegende Prinzessin (Libr.: U. Z. u. E. Schmidt, nach P. Hacks), UA: ebd. 1976; Die wundersame Schustersfrau (Libr.: dies., nach F. García Lorca), UA: Schwetzingen 1982.
Z. hebt in seinen Werken die dramatische Funktion der Musik hervor; bezeichnenderweise sind die meisten seiner Instrumentalwerke von außermusikalischen Vorlagen geprägt. Z. neigt zum Konstruktivismus ; Elektronik und Aleatorik integriert er in seine Tonsprache gemäß den jeweiligen dramaturgischen Erfordernissen. Lit.: H.-G. OTro, Werkstattgespräch mit U. Z, in: Theater der Zeit 27 (B 1972); W. LANGE — E SCHMIDT, Levins Mühle, in: ebd. 28 (1973); D. GojowY, Affinität zu szenisch gebundener Musik, in: Musica 30 (1976); W. LANGE, Zum Opernschaffen U. K. LANGROCK Z.s (L 1982).
ZINGARELLI, Nicola (Niccolò) Antonio, * 4.4. 1752 Neapel, t 5.5. 1837 Torre del Greco; it. Komponist. Z. war Schüler von F. Fenaroli in Neapel, wo er auch 1768 als Opernkomponist mit dem Intermezzo giocoso I quattro pazzi debütierte. In der Folgezeit schrieb er Opern für verschiedene italienische Bühnen und erhielt auch einen Auftrag für Paris. 1793 bewarb er sich erfolgreich um die Stelle des Domkapellmeisters in Mailand, ging aber 1796 in gleicher Funktion nach Loreto und wurde 1805 Kapellmeister der Peterskirche in Rom. 1811 legte er aus Protest gegen die Eingriffe Napoleons in das liturgische Leben an San Pietro sein Amt nieder und wurde in Haft genommen. Kurz darauf erhielt er in Paris von Napoleon, dem Z.s „eiserne" Haltung imponierte, den Auftrag für eine Messe. 1813 wurde er in Neapel Direktor des Collegio di Musica und 1816 dort als Nachfolger von G. Paisiello Domkapellmeister. Nachdem er 1811 seine letzte Oper geschrieben hatte, widmete er sich bis zu seinem Tod fast ausschließlich der Kirchenmusik. In Neapel war u. a. V. Bellini sein Schüler. WW: 1) Instr.-WW: 11 Pastorale u.a. Werke für Org.; einige Kammermusik-Werke; etwa 70 Symphonien (1- oder 3sätzig) für Orch. — 2) Vokal-WW (Ven. der römischen Bestände bei Kantner, s.u. Lit.): 168 Messen u. 30 Requiem, darunter 70 (20) für Männerst. u. Org.; viele weitere Messesätze; überaus zahlr. Psalmen, Vespern, Hymnen, Magnificats, Litaneien, Sequenzen, Karwochengesänge u. etwa 250 Motetten. — Etwa 40 it. geistliche Ge-
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Zingel sänge, u. a. Kompositionen der 7 Worte Christi (Tre ore di agonia di Nostro Signore Gesù Cristo). Ferner 8 it. Oratorien, darunter Gerusalemme distrutta. - Einige Klv:Lieder; Solfeggien; 20 it. weltliche Kantaten. - 3) Buhnen-WW: Etwa 40 Opern, meist Opere serie, darunter Antigone, UA: Paris 1790; Giulietta e Romeo, UA: Mailand 1796.
Z. ist als Opernkomponist einer der letzten Vertreter der Neapolitanischen Schule. Sein enorm umfangreiches kirchenmusikalisches (Euvre steht teilweise dem neapolitanischen Stil nahe und umfaßt auch viele Gesänge im Stile antico. Es ist in der Harmonik einfach und in der Führung der Singstimmen, die auf Sinn und Affekt des Textes kaum Rücksicht nimmt, maßgeblich von der Buffamelodik bestimmt und hat deshalb bereits im 19. Jh. harte Kritik erfahren. Bemerkenswert ist Z. als Komponist volkssprachlicher Kirchenmusik. Lit.: K. G. FELLERER, Der Palestrinastil u. seine Bedeutung in der vokalen Kirchenmusik des 18. Jh. (Au 1929); R. M. LONGYEAR, The Symphonies of N. Z, in: Anal. Mus. 19 (1979); L. M. KAN'TNER, „Aurea luce". Musik an St. Peter in Rom 1790-1850 (W 1979) (— Veröff. der Kommission für Musikforsch. der Óstr. Akad. der Wiss. 18); DERS., Landessprachliche Kirchenmusik im 18. u. 19. Jh. in Italien, in: KmJb 63/64 (1979/80); M. MARX-WEBER, „Musiche per le tre ore di agonia di N. S. G. C." ..., in: Mf 33 (1980).
ZINGEL, Hans Joachim, * 21. 11. 1904 Frankfurt an der Oder, t 16. 11. 1978 Köln; dt. Harfenist und Musikforscher. Er studierte 1923-27 an der Berliner Musikhochschule (Harfe bei Max Saal), dann Musikwissenschaft (M. Schneider) an den Universitäten Berlin, Breslau und Halle, wo er 1930 promovierte. 1932 wurde er Harfenist im Städtischen Orchester Lübeck, 1934 in Halle und war 1938-69 Mitglied des Gürzenich-Orchesters in Köln, seit 1947 dort auch Dozent (1974 Professor) für Harfe an der Musikhochschule. Außerdem spielte er 1933-38 und 1951-56 im Orchester der Bayreuther Festspiele. Z. gab Harfenstücke u. a. von C. Ph. E. Bach, G. Fr. Händel, J. B. Krumpholtz, L. Spohr und G. Fr. Wagenseil heraus. Schriften: Harfe u. Harfenspiel vom Beginn des 16. bis zum zweiten Drittel des 18.1h. (Diss. Hl 1932); Zur Gesch. des Harfenkonzerts, in: ZfMw 17 (1935); Die Harfe in der Musik unserer Zeit, in: FS Max Schneider (L 1955); Neue Harfenlehre, 4 Bde. (L 1960-69); König Davids Harfe in der abendländischen Kunst (Kö 1968); Lexikon der Harfe (Laaber 1977).
ZINK (engl.: cornet; frz.: cornet à bouquin; it.: cornetto; span.: cometa). Merkmale aller Z.en-Instrumente sind die konische Bohrung des Klangkörpers, die Erzeugung des Tons durch die vibrierenden Lippen wie bei der Trompete und das Vorhandensein von Grifflöchern. Die ältesten Formen gehen zurück auf das Tierhorn (Büffel-, Widder-, Ziegenhorn). Instrumente dieser Art lassen sich im 2. Jt. v. Chr. in Ägypten, auf sassanidischen Silber410
kannen in Persien und im althebräischen Schofar nachweisen. Im MA (um 1000) treten die Grifflochhörner in Gruppen mit anderen Instrumenten auf, wie zahlreiche Miniaturen zeigen. Als Material wurde auch Elfenbein verwendet. Neben den Krummen Z.en kommen im MA auch gerade Formen in Gebrauch. Die Blütezeit der Z.en liegt im 17. Jh. (gelegentlich wird in dieser Zeit der Z. auch Lituus genannt), wo sie zu einer ganzen Familie vom Sopran- bis zum Baßinstrument ausgebaut werden. Nach M. Praetorius gibt es den Geraden Z. (cornetto diritto) mit aufgesetztem Mundstück, einer Länge von 55-59 cm und einem Tonumfang von a-a2. Mit einem in die Röhre eingedrehten Mundstück nennt er sich Stiller Z. (cornetto muto). Wegen seines sanften und lieblichen Tones ist er in der Kammermusik beliebt. Der am meisten verwendete Vertreter der Familie ist der Krumme Z. (cornetto curvo). Viele erhaltene Instrumente zeigen ihn als Instrument aus Holz oder Elfenbein in 6- oder 8kantiger Form mit aufgesetztem Mundstück. Zum Schutze gegen Stoß oder Witterungseinflüsse wurde dieser Z. mit Leder überzogen. Wie fast alle Z.en-Arten besitzt er 6 Grifflöcher vorn und auf der Rückseite ein Daumenloch. Der Tonumfang ist der gleiche wie beim Geraden Zink. Ein hoher Diskant-Z. in der Form des Krummen Z.en (cornettino curvo) steht zunächst eine Quinte, später (im 18. Jh.) eine Quarte über dem gewöhnlichen Zinken. Für die Tenorlage von d- di entstand der S-förmig gebogene Tenor-Z. (corno vel cornetto torto). Für die Erweiterung des Umfangs besitzt er noch eine Klappe für den kleinen Finger. Das Baßinstrument der Z.en-Familie ist der r Serpent. In den älteren Ensembles ist der Z. in der Kantorei- und Hofmusik und in kammermusikalischen
Zirkusprinzessin Besetzungen der verschiedensten Art vertreten. Als Soloinstrument besitzt er im 17. Jh. den Vorrang vor der Violine, so z. B. in den Sonaten von B. Marini, D. Castello, Cl. Merulo und J. Vierdanck. In der großbesetzten Chormusik von G. Gabrieli und H. Schütz gehören die Z.en mit den Posaunen zum festen Instrumentarium bei der Aufführung geistlicher Werke; noch J. S. Bach setzt in seinen Kantaten gelegentlich den Z. ein. In der frühen Oper dienen Z.en häufig zur Untermalung der Unterwelt (Cl. Monteverdi, M. A. Cesti, Fr. Cavalli und L. Rossi). In der Verbindung von 2 Z.en und 3 Posaunen werden Z.en häufig bei den Turmmusiken der Stadtpfeifer verwendet; in diesem Zusammenhang entsteht auch eine eigene Sololiteratur (J. Pezel und G. Reiche). Im Gebrauch der Stadtpfeifer hat sich der Z. bis ins 19. Jh. erhalten. Im 20. Jh. ist eine Wiederbelebung des Z.en mit Erfolg unternommen worden. In den Moeck-Werkstätten in Celle z. B. werden Z.en vom Cornettino bis zum Serpent nachgebaut, und zahlreiche Ensembles, die sich der Aufführung älterer Musik widmen, verwenden heute ein entsprechendes Instrumentarium. Für die historisch getreue Wiedergabe der Musik des Barock ist damit der Z., dessen charakteristischer, trompetenartiger Klang durch andere Instrumente schwer zu ersetzen ist, wiedergewonnen. Im Gefolge dieser Entwicklung ist Z.en-Spiel Unterrichtsfach an zahlreichen Institutionen für ältere Musik. Lit: G. KARSTÄDT, Zur Gesch. des Zen u. seiner Verwendung in der Musik des 16.-18. Jh., in: AfMf 2 (1937); J. ZIMMERMANN, Von Zen, Flöten u. Schalmeien (Düren 1967); G. KARSTÄDT, Z., in: MGG XIV; F. FARRINGTON, Dissection of a Serpent, in: GalpinJ 22 (1969); CH. F. GOUSE, The Cornett. Its Hist., Literature and Performance Practice Including a Practical Tutor for a Developing Performance Skills (1974) ( — Boston Univ., School of Fine and Applied Arts 434); H. MÖNKEMEYF.R, Spielanleitung für Zen in d' und a' (Celle 1978); R. OVERTON, Der Z. lkonograph. Stud. zu seiner Gesch., Bauweise u. Spieltechnik an Instr.en in europ. Museen (Diss. Kö 1980); DERS., Der Z. Gesch., Bauweise u. Spieltechnik eines hist. Musikinstr.s (Mz 1981). G. KARSTADT
ZINZADSE, Sulchan Fjodorowitsch, * 23.8. 1925 Gori (Georgien); sowjetgeorgischer Komponist. Er studierte bis 1942 an der Zehnjahresspezialmusikschule in Tiflis (Cello) und dann am Moskauer Konservatorium (Cello bis 1950, Komposition bis 1953). 1956 wurde er Leitungsmitglied des Georgischen Komponistenverbands und 1965 Rektor des Konservatoriums in Tiflis. Z.s Werke sind von Geist und Eigenart der georgischen Volksmusik durchdrungen, weisen aber auch über den nationalen Rahmen hinaus. Seine Instrumentalkonzerte brachten ihm breite Anerkennung und Auszeichnungen in der Sowjetunion; die Streichquartette (bes. das 5.) wurden international bekannt.
WW: 8 Streichquartette (1947-75); 3 Symphonien (1953, 1957 1970); 3 Suiten für Str. (1948, 1950, 1955); Konzerte für Klv. (1947); V. (1947); Vc. (1947). — Opern: Solotoje runo(Das goldene Vlies) (1953); Otsche/nik (Der Eremit), UA: Tiflis 1972. — Operetten: Pautina (Das Spinngewebe), UA: ebd. 1963; Pesnja w lesu (Das Lied im Walde), UA: ebd. 1968. — Ballette: Sokrowischtsche goluboi gory (Der Schatz des blauen Berges), UA: ebd. 1957; Demon, UA: ebd. 1961; Antitschnyje eskisy(Antike Skizzen) (1974); Poeme, UA: Moskau 1963. Lit.: E. MESCHISCHWILI, S. Z. (Mos 1970).
E. STÖCKL
ZIPOLI, Domenico, SJ, * 16. 10. 1688 Prato (Toscana), t 2. 1. 1726 Córdoba (Argentinien); it. Organist und Komponist. Er studierte bei G. M. Casini in Florenz, bei A. Scarlatti in Neapel und bei B. Pasquini in Rom, wo er 1715 Organist an der Jesuitenkirche I1 Gesù wurde. 1716 trat er in Sevilla dem Jesuitenorden bei, ging 1717 in die Mission nach Córdoba und wirkte als Organist und Komponist der Jesuitenkirche. Z. war der berühmteste Komponist in den gemeinwirtschaftlichen Dörfern (sog. Reduktionen) des Jesuitenstaats in Paraguay, die viel zur Pflege europäischer Musikkultur beitrugen. WW: Sonate d'intavolatura per organe e cimbalo, 2 Teile (R? 1716), Nachdr. des 1. Teils (Lo 1722), des 2. Teils (Lo 1725). Ferner einige weitere Org.- bzw. Cemb.-Stücke sowie 1 Messe u. 2 it Kantaten hal. Ausg.: Sonate d'intavolatura, hrsg. v. L F. TAGLIAVINI, 2 Bde. (Hei 1959); Ausgewählte Stücke, hrsg. v. W. FRIcKERT (Mn — L 1957) (—. Alte Musik 17). Lit: L AYESTARAN, D. Z. Vida y obra (Montevideo 1962); V. DE RUBERTIS, Dove e quando nacque e mori D. Z?, in: RMI 53 (1951); F. C. LANGE, Der Fall D. Z. Verlauf u. Stand einer Berichtigung, in: Musicae Scientiae Collectanea. FS K. G. Fellerer (Kas 1972); S. ERICKSON-BLOCH, The Keyboard Music of D. Z. (1975) (— Diss. Cornell Univ.).
ZIRKUSPRINZESSIN, DIE, Operette in 3 Akten von E. Kálman, Text von Julius Brammer und Alfred Grünwald. Ort u. Zeit der Handlung: St. Petersburg und Wien, um 1912. UA: 26.3. 1926 Wien (Theater an der Wien). Verfilmt: 1928. Dramatischer Kern dieser sich an wechselnden Schauplätzen (Zirkus, russ. Salon, Wiener Hotel) abspielenden Tragikomödie um eine scheinbar unstandesgemäüe Liebe ist die Intrige des Prinzen Sergius, die in überholten Ehrbegriffen wurzelt. Musikalisch erinnert die Zirkusprinzessin an Kálmáns gröüten Erfolg, Gräfin Mariza; auf das jeweilige Milieu der Handlung ist die Musik bestens abgestimmt. Leitmotivisch wird von der Ouvertüre an die Melodie des Mister X Zwei Märchenaugen verwendet, um die die Walzer Leise schwebt das Glück vorüber und Im Boudoir der schönsten Frau (mit dem Refrain Darling, My Darling) sowie die Lieder Mädel, gib acht und Die kleinen Mäderin im Trikot gruppiert werden. Heute ist das 411
Zitat Werk nur noch gelegentlich auf der Bühne zu seB. DELCKER hen. ZITAT. Der Terminus „musikalisches Z." ist offensichtlich erst im 20. Jh. gebräuchlich geworden; wissenschaftlich erörtert wird der Begriff seit den 60er Jahren; das Phänomen an sich ist aber sehr viel älter. Für eine, noch fehlende, präzise Begriffsdefinition wäre eine umfassende Theorie der musikalischen ř Semantik erforderlich. Als wichtiges Kriterium für das Vorhandensein eines Z.s gilt die erkennbare Absicht des Komponisten, Zeichenrelationen zu setzen. Die Forderung nach Wörtlichkeit erscheint im musikalischen Z. viel lockerer gehandhabt als im wissenschaftlichen und literarischen. Damit ist aber auch die Abgrenzung des Z.s von den vielfältigen anderen Verarbeitungstechniken erschwert. Um das Z. von jenen unter ihnen, die weiträumig angewandt werden und ebenfalls Zeichenrelationen zu setzen vermögen (wie besonders die / Parodie und die .Collage), abzusetzen, dürfte es zweckmäßig sein, vom Z. Engräumigkeit, vereinzeltes Auftreten und Auffälligkeit durch stilistischen Kontrast, also insgesamt einen hohen Grad an Pointierung, zu verlangen. Wo die Anfänge eines musikalischen Z.-Gebrauchs zu finden sind, ist eine Definitionsfrage. Dies gilt besonders für melodische - und auch semantische - Analogien und Anspielungen im Rahmen des Gregorianischen Gesangs. In Liedsätzen der Ars nova und der ndl. Vokalpolyphonie (bes. in Huldigungs- und Trauermotetten, z. B. Jachets von Mantua Dum vastos Adriae fluctus für Josquin des Prés, um 1550) wurde gelegentlich in bedeutungsstiftender Absicht musikalisch (und z. T. auch gleichzeitig literarisch) zitiert. Seit der Wiener Klassik wird das Z. zu einem gern gebrauchten, raffinierten und vielschichtigen Mittel musikalischer Aussage. Wenn W. A. Mozart im Don Giovanni zu Beginn des 2. Finales in der Tafelmusik 3 damals bekannte Opern zitiert, ergibt sich ein amüsanter Gegenwartsbezug, aber für den, der auch die dramatischen Situationen hinter den Opern-Z.en kennt, zugleich eine Andeutung des Geschicks, das Don Giovanni erwartet. Wenn R. Schumann in seiner C-Dur-Fantasie op. 17 am Schluß des 1. Satzes aus L. van Beethovens Liederkreis An die ferne Geliebte zitiert, huldigt er Beethoven und spielt zugleich auf die Ferne von seiner Braut Cl. Wieck an. Wenn R. Wagner im 3. Aufzug der Meistersinger zu den Worten des Sachs Mein Kind, von Tristan und Isolde ... aus seinem Tristan zitiert, so illustriert er einerseits den literarischen Hinweis, enthüllt aber andererseits musikalisch die verbal eher unterdrückte Liebessehnsucht 412
Sachsens. In der Musik des 20. Jh. (zuletzt bei B. A. Zimmermann, M. Kagel, K. Stockhausen u. a.) wird das Z. in einer Weise forciert verwendet, die Wege zu neuen ästhetischen Phänomenen eröffnet: durch gezielte Überinformation in Z.-Reihungen zur Collage, durch bewußte kompositorische Einschmelzung von fremden Materialien zu einer historischen Weitung der Tonsprache (G. Mahler), durch Z.-Verfremdung zu parodistischen Effekten oder zu faszinierenden Einzelfällen wie in L. Berios Sinfonia durch die Kombination von Z., Collage und alter Parodietechnik. Lit.: Z. LIssA, Ästhetische Funktionen des musikal. Zs, in: Mf 19 (1966); A. DUNNING, Josquini antiquos. Musae, memoramus, amores, in: AMI 41 (1969); H. GOLDSCHMIDT, Z oder Parodie?, in: BzMw 12 (1970); E. BUDDE, Z., Collage, Montage, in: Die Musik der 60er Jahre (Mz 1972); C. KÜHN, Das Z in der Musik der Gegenwart (H 1972); T. KNEIF, Zur Semantik des musikal. Zs, in: NZfM 134 (1973); G. GRUBER, Das musikal. Z. als hist. u. systemat. Problem, in: Musicologica Austriaca 1 (1977); E. BUDDE, Z, in: Brockhaus Riemann Musiklexikon II (Wie — Mz G. GRUBER 1979).
ZITHER (von griech. kithara; lat.: cithara). - 1) In der Systematik der Musikinstrumente (nach E. von Hornbostel und C. Sachs) Oberbegriff für alle einfachen, nicht zusammengesetzten Chordophone mit und ohne Resonanzkörper (im Gegensatz zu r Laute und r Harfe). Die wichtigsten Z.-Formen sind Stab- (r Musikbogen), Röhren- und Brett-Z., zu der die Wölbbrett-Z. (O K'in, r Koto) ebenso gehört wie die r Äolsharfe, das r Hackbrett, das r Psalterium oder die besaiteten Tasteninstrumente. Wichtigstes Merkmal aller Z.n ist das Fehlen eines Halses. - 2) Im engeren Sinne Bz. für halslose Saiteninstrumente mit flachem Resonanzkasten, über dessen Decke die Saiten gezogen sind. Je nach Typ ist unter einigen oder unter allen Saiten ein Griffbrett mit Bünden aufgeleimt, oder die Bünde sind direkt in die Decke eingelassen. Das Instrument wird beim Spielen auf die Oberschenkel oder auf einen Tisch gelegt, und die Saiten werden mit einem Plektrum, mit einem Schlagring (Daumenring) und/oder mit den Fingern angezupft. Die meisten Z.n sind unter anderen Eigennamen bekannt (z. B. r Dulcimer, ř Épinette des Vosges, l Hummel, r Scheitholz), so daß heute im allgemeinen nur das Instrument des Alpengebiets als Z. bezeichnet wird. Diese Gebirgs-Z. entwikkelte sich im 17./18. Jh. aus dem Scheitholz. Sie hatte 2-3 Melodie- und mehrere Begleitsaiten, die - in Grundton, Quinte und deren Oktaven gestimmt - als Bordunsaiten genutzt wurden. In der 2. Hälfte des 18. Jh. entstanden die sog. Salzburger Z., die an der dem Spieler und dem Griffbrett gegenüberliegenden Seite eine seitliche runde Ausbuchtung im Kasten aufweist, sowie die sog. Mit-
Zöllner tenwalder Z., deren Korpus, von der r Cister und der Gitarre beeinflußt, an beiden Seiten ausgebuchtet war. Da die Z. nur 13-17 diatonisch angeordnete Bünde hatte, konnte nur in wenigen Tonarten gespielt werden. Deshalb entstanden schon im 18. Jh. Zwillings-, seltener auch Drillingsinstrumente mit 2 bzw. 3 unterschiedlich gestimmten Saitenbezügen. In der 1. Hälfte des 19. Jh. wurden die Z. und ihre Spielweise grundlegend verändert. Aus der bis dahin mit Tremoloschlag gespielten sog. Kratz-Z. entstand eine Schlag-Z. (in der Salzburger Form) mit Begleitsaiten, die, einzeln gezupft, nicht mehr als Bordunsaiten, sondern zur Melodiebegleitung eingesetzt wurden. Diese Entwicklung wurde gefördert durch den beginnenden Alpentourismus ebenso wie durch virtuose Spieler wie Johann Petzmayer (Wien), der von Herzog Maximilian von Bayern 1838 sogar zum Kammervirtuosen ernannt wurde. Um die Z. als Konzertinstrument einzusetzen, mußte die Zahl der Saiten erhöht werden. Nikolaus Weigel (Theoretischpractische Zitherschule, Mn 1838) bezog als erster die Z. mit 5 in a' a' d' g c gestimmten Melodiesaiten (Münchner Stimmung), und C. Umlauf (Neueste vollständige theoretisch praktische Wiener Zitherschule, W 1859) benutzte ebenfalls 5, aber in a' d' g' g c gestimmte Melodiesaiten (Wiener Stimmung). Diese Stimmungen werden bis heute gebraucht, dazu hat die Konzert-Z. 35-38 Begleitsaiten, die im Quinten- oder Quartenzirkel gestimmt werden. Für das Zusammenspiel wurde die Z. zu einer ganzen Familie ausgebaut mit Prim- oder Diskant-Z., Quint-, Alt- und Baß-Z.; außerdem entstand noch während des 19. Jh. eine große Anzahl von Sonderformen (ř Streichzither). Mit der Entwicklung einer Konzert-Z. änderte sich auch das Repertoire. Bis zu dieser Zeit ein Volksmusikinstrument, wurde es jetzt zu einem Instrument der Salon- und Unterhaltungsmusik. Die Gründung von Z.-Vereinen führte seit der 2. Hälfte des 19. Jh. dazu, daß zahlreiche Neukompositionen für die Z. entstanden, aber auch dazu, daß viele Werke großer Komponisten für Z.-Ensembles transkribiert wurden. Berühmt in unserer Zeit wurde die Z. vereinzelt auch im Film, bes. durch das Harry-Lime-Thema von Anton Karas in Der dritte Mann (1950). Lit.: E. VON HORNBOSTEL — C. SACHS, Systematik der Musikinstrumente, in: Zschr. für Ethnologie 46 (1914); A. V. NIKL, Die Z. Ihre hist. Entwicklung bis zur Gegenwart (W 1927); T. Norlind, Systematik der Saiteninstrumente, I: Gesch. der Z. (Sto 1936); K. M. KLIER, Volkstüml. Musikinstrumente in den Alpen (Kas 1956); J. BRANDLMEIER, Hdb. der Z. (Mn 1963); J. H. VAN DER MEER, Z., in: MGG XIV; F. STRADNER, Eine alte Scheitholz-Z, in: ÓMZ 21 (1966); DERS., Vom Scheitholz z. Kratz-Z., M. BRČSCKER in:Jb. des östr. Volksliedwerks 18 (1969).
ZOILO, Annibale, * um 1537 Rom, t 30.6. 1592 Loreto; it. Sänger und Komponist. Er war in Rom 1558-61 Sänger in der Cappella Giulia der Peterskirche, 1561-66 Kapellmeister an San Luigi dei Francesi und 1567-70 an San Giovanni in Laterano und 1570-77 Mitglied der Cappella Sistina. Im Auftrag Papst Gregors XIII. begann er 1577 mit G. P. da Palestrina die Revision des Graduale Romanum, die jedoch nicht abgeschlossen wurde. 1581 wurde er Domkapellmeister in Todi bei Perugia und 1584 an der Santa Casa in Loreto. Von seinen Werken sind im Druck ein Buch 4st. Madrigale (R 1563) erhalten; 3 Messen und weitere kirchenmusikalische Werke sind hsl. überliefert. Sein Sohn Cesare (1584-1622) wirkte ebenfalls als Komponist und Kapellmeister in Rom und veröffentlichte ein Buch 5st. Madrigale (V 1620). Ausg.: Zu A. Z.:8 Responsorien, hrsg. v. C. PROSKE, in: Musica divina 4 (Rb 1863); 4 Madrigale für S St., in: TORCHI Arte Mus. 1 (Mi 1897). Lit.: R. CASIMIRI, Z. e la sua famiglia ..., in: Note d'Archivio 17 (1940); H. B. LINCOLN, A. Z. The Life and Works of a 16th Century Italian Composer (1951) (— Northwestern Univ., Evanston/I11. ).
ZOLLER, Attila (Cornelius), * 13.6. 1927 Visegrád ; ung. Jazzmusiker (Gitarre) und Bandleader. Z. ging 1948 nach Wien, später nach Frankfurt am Main, spielte mit Jutta Hipp und Albert Mangelsdorff und gehörte bald zu den herausragenden Musikern der deutschen Jazzszene. Bis 1959 war er Mitglied der Gruppe von Hans Koller, übersiedelte im selben Jahr nach New York, spielte in namhaften Bands, u. a. bei Stan Getz und Herbie Mann, gründete eigene Gruppen und wandte sich schrittweise der Avantgarde und dem Free Jazz zu. Z. löst sich immer wieder von der amerikanischen Szene und tritt regelmäßig in Deutschland auf. Albert Mangelsdorff ist sein bevorzugter Partner. Als Meister des lyrisch ausgesparten Spiels entfaltet er sich besonders in kleiner Besetzung. Er schrieb und spielte die Musik zu den Filmen Katz und Maus und Das Brot der frühen Jahre. ZÖLLNER. - 1) Carl Friedrich, * 17.5. 1800 Mittelhausen (Thüringen), t 25.9. 1860 Leipzig; dt. Chorleiter und Komponist. Er besuchte seit 1814 die Thomasschule in Leipzig, studierte Theologie und wurde 1820 Gesangslehrer. 1822 gründete er eine private Gesangsschule und 1833 den Z.-Verein, dem zahlreiche weitere, nach seinem Tod bis 1945 zum „Z.-Bund" zusammengeschlossene Vereinigungen folgten. Z. schrieb zahlreiche Lieder (Das Wandern ist des Müllers Lust) und Quartette für Männerchor, ferner Klavierlieder und gemischte Chöre. - 2) Heinrich, Sohn von 1), * 4.7. 413
1854 Leipzig, t 4.5. 1941 Freiburg im Breisgau; dt. Komponist und Dirigent. Er studierte 1875-77 bei C. Reinecke und S. Jadassohn am Leipziger Konservatorium, wurde 1878 Universitätsmusikdirektor in Dorpat, 1885 Dirigent des Männergesangvereins und Lehrer am Konservatorium in Köln und 1890 Leiter des „Deutschen Liederkranzes" in New York. Seit 1898 wieder in Leipzig, war er dort Universitätsmusikdirektor, 1902-06 Lehrer (1905 Professor) am Konservatorium und seit 1903 auch Musikredakteur am Leipziger Tagblatt. 1907-12 wirkte er als 1. Kapellmeister an der flämischen Oper in Antwerpen. WW: 5 Streichquartette; Orch.-Werke, u.a. 5 Symphonien, darunter Nr. 3 d-moll, op. 130, Nr. 4 e-moll (1917), Nr. 5 d-moll (1928); Lieder mit Klv. - Männerchöre, auch mit Orch., u. a. Columbus, op. 30 (1886), Helden-Requiem, op. 62 (1895), Babylon, op. 145. 10 Opern, u.a. Faust, op. 40 (nach J. W. von Goethe), UA: München 1887; Die versunkene Glocke, op. 80 (nach G. Hauptmann), UA: Berlin 1899. Lit.: Zu 1): R. HÄNSCH, Der Liedermeister C. F. Z. (Dresden 1927). - Zu 2): TH. KROYER, Die circumpolare Oper, in: Jb. Peters 26 (1919); G. V. GRAEVENITZ, Musik in Freiburg (Fr 1938).
ZORAS, Leonidas, * 23.2. 1906 Sparta; griech. Komponist und Dirigent. Er studierte 1919-24 am Odeon in Athen und 1926-38 bei M. Kalomiris am Nationalen Odeon, außerdem Dirigieren bei D. Mitropoulos und Komposition bei D. Lavrangas. 1938-40 setzte er seine Ausbildung an der Musikhochschule Berlin (H. Grabner, B. Blacher) fort. 1940-58 war er Dirigent an der neugegründeten Athener Oper und 1958-68 an der Deutschen Oper und am Rundfunk in Berlin (RIAS und SFB). 1968 wurde er Direktor des Odeons in Athen. Zunächst deutlich durch die griechische Folklore beeinflußt, entwickelte Z. später eine weniger nationalgebundene, harmonisch bis zur Atonalität gehende Musiksprache. WW: Kompositionen für Klv., Kammermusik; Orch.-Werke, u.a. Symphonie (1947, revidiert 1950); Concertino für V. u. Blasinstr. (1950); Lieder; Chöre; Oper Elektra (nach Sophokles) (1968-69). Lit: J. G. PAPA OANNOU, Z, in: MGG XIV.
ZORTZIKO (span.), Bz. für ein baskisches Tanzlied im schnellen %-Takt (gegliedert in % und %) und mit häufiger Betonung des 2. und 4. Achtels (J 7 f.~ ). Der Z., der heute Bestandteil des Aurresku ist, wird meist auf dem r Txistu und dem Tamboril begleitet. ZUCCALMAGLIO, Anton Wilhelm Florentin von, * 12.4. 1803 Waldbröl, t 22. (23. ?) 3. 1869 Nachrodt bei Altena/Westf.; dt. Volksliedsammler. Z. studierte seit 1826 Jura und Staatswissenschaften in Heidelberg und kam dort in Berührung mit der 414
Heidelberger Romantik. 1833-40 war er in Rußland als fürstlicher Hauslehrer, Publizist, Textautor und Sammler slawischen Liedgutes tätig. Anschließend wirkte er u. a. als Hauslehrer in Berlin, Frankfurt, Freiburg i. Br., Elberfeld, Grevenbroich und Nachrodt. Editionen: Bardale. Slg. auserlesener Volkslieder der versch. Völker der Erde alter u. neuer Zeit, hrsg. v. E. BAUMSTARK - W. VON WALDBRÜHL, I (Brau 1829) Heft l-6; Auserlesene, ächte Volksgesänge der verschiedensten Völker... (zus. mit A. W. v. Z.), hrsg. v. E. BAUMSTARK, 1/1-3 (Da 1835-36); Dt. Volkslieder mit ihren Originalweisen (zus. mit A. Kretzschmer), 2 Bde. (B 1838-40, Nachdr. Hil 1969); Dt. Liederhalle, Sig. der ausgezeichnetsten Volkslieder, 6 Hefte (Elberfeld - L 1846); Das Maifest. Ein altdt. Volksfest mit Sprüchen u. Liederweisen (zus. mit Vincenz v. Z.) (Krefeld 1876).
Z. war ein popularwissenschaftlich vielseitig aktiver Autor (unter verschiedenen Pseudonymen Mitarbeiter von R. Schumanns Neuer Zeitschrift für Musik), Librettist, Lieddichter und Mitherausgeber mehrerer Volksliedsammlungen. Diese waren wegen ihrer fallweisen Eingriffe in die Originalvorlagen sowie der Einbeziehung neueren Popularliedgutes und sekundärer Quellen zwar von teilweise umstrittener Authentizität, gewannen aber dauerhaften Einfluß auf das deutsche Volksliedrepertoire und Kunstliedschaffen. Lit: W. WIORA, Die rheinisch-bergischen Melodien bei Z. u. Brahms (Bad Godesberg 1953); E. KLUSEN, Vorwort u. Anmerkungen z. den Liedern, in: A. W. F. von Z, - W. von Waldbrühl (Düsseldorf 1962); J. KOEPP, Z. u. das bergische Volkslied, in: ebd.; R. GÜNTHER, A. W. F. von Z., in: Rheinische Musiker 5 (Kö 1967) (= Beitr. z. Rhein. Musikgesch. 69). W. SCHEPPING
ZUGPOSAUNE r Posaune. ZUGTROMPETE t Trompete. ZUKERMAN, Pinchas, * 16.7. 1948 Tel Aviv; israelischer Violinist poln. Abstammung. Er war bereits mit 6 Jahren Schüler von Ilona Feher am Israel Conservatory in New York, studierte mit Unterstützung I. Sterns und P. Casals 1962-67 bei Ivan Galamian an der Juilliard School of Music in New York und erhielt 1967 den Leventritt-Preis. Seither konzertiert er als einer der bedeutendsten Violinisten der jüngeren Generation in den Musikzentren der ganzen Welt. 1980 übernahm er die Leitung des St. Paul Chamber Orchestra in St. Paul (Minn.). Z., dessen Spiel vor allem durch reiche, kantable Tongebung, expressive Phrasierung und brillante Technik besticht, ist häufig auch als Ensemblespieler, u. a. mit D. Barenboim und Jacqueline du Pré, hervorgetreten. Er spielt eine Guarneri „del Gesù". ZUKUNFTSMUSIK, in Anspielung auf R. Wag-
Zumsteeg ners Schrift Das Kunstwerk der Zukunft (L 1850) gebildeter polemischer Begriff, mit dem im engeren Sinne die Musik Wagners und seine Idee des musikalischen Dramas gemeint waren, im weiteren Sinne aber auch von Anfang an die Werke von H. Berlioz, Fr. Liszt und seinen Schülern bzw. ganz allgemein die mit Tendenzen der r Neudeutschen Schule identifizierte neue Musik nach 1850. - Die Verwirklichung der Idee des Fortschritts in der Kunst und die Musik der Zukunft waren seit 1830, von ganz unterschiedlichen Geistesströmungen der Zeit beeinflußt (u. a. romantische Zukunftssehnsucht; Saint-Simonismus), mehrfach Gegenstand kunsttheoretischer Betrachtung gewesen (u. a. Liszt, De la situation des artistes, 1835). Schon 1847 spöttelte Karl Gaillard über den „musikalischen Hokuspokus" von Berlioz, genannt „die neue Musik" oder „die Musik der Zukunft" (Berliner musikalische Zeitung, 1847, Nr. 24). Zu Schlüsselbegriffen wurden „Fortschritt" und „Zukunft" in der Kontroverse zwischen Anhängern und Gegnern der musikalischen „Fortschrittspartei" um Wagner und Liszt nach Erscheinen von Wagners Schrift Das Kunstwerk der Zukunft; die wesentlich angeregt war durch die Philosophie Ludwig Feuerbachs (Das Wesen des Christentums, 1841; Grundsätze der Philosophie der Zukunft, 1843). Während Wagners Gegner dessen Ideal eines Kunstwerks der Zukunft, in dem Dichtung, Musik und Tanz gleichberechtigt zusammenwirken sollten, mit der Bz. Z. teils auf weltanschaulich-politische, teils auf kompositionstechnische Aspekte reduzierten, versuchten die Theoretiker der Neudeutschen Schule (u. a. Franz Brendel), die Konzeption zu modifizieren und im Hinblick auf andere Gattungen neben dem musikalischen Drama zu erweitern. - Das Wort Z. wurde wahrscheinlich nicht, wie Wagner später geäußert hat, von Ludwig Bischoff geprägt, sondern bereits 1852 in einem Bericht von August Ferdinand Riccius in der von Bischoff herausgegebenen Rheinischen Musik-Zeitung (Nr. 23) verwendet. Spätestens seit 1855 übernahmen auf Anregung von Liszt die Vertreter der „Fortschrittspartei" den Begriff Z. bzw. Zukunftsmusiker selbst im positiven Sinne eines Bekenntnisses zur neuen Musik der Zeit. In der polemischen Bedeutung hat das Wort Z. Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden (sprichwörtliche Redensart „das ist noch Zukunftsmusik" = das liegt noch in weiter Ferne, ist noch völlig ungewiß). Lit.: F. BRENDEL, Die Musik der Gegenwart u. die Gesammtkunst der Zukunft (L 1854); DERS., F. Liszt's neueste Werke u. die gegenwärtige Parteistellung, in: NZfM 47 (1857); R. WAGNER, „Zukunftsmusik". An einen frz. Freund (F. Villot) als Vor-
wort zu einer Prosa-Übersetzung meiner Operndichtungen (L 1861), wieder abgedruckt in: Gesammelte Schriften u. Dichtungen VII (L '1898); W. TAPPERT, Ein Wagner-Lexicon (L 1877), 2. Aufl. als: R. Wagner im Spiegel der zeitgen. Kritik (L 1906), NA als: Wörterbuch der Unhöflichkeit (Mn 1967); O. LADENDORF, Historisches Schlagwörterbuch (Str - B 1906); Trübners dt. Wörterbuch, hrsg. v. W. MITLKA, VIII (B 1957). D. ALTENBURG
ZULUETA, Jorge Nicolas, * 9. 1. 1934 Buenos Aires; argentinischer Pianist. Er studierte bei A. Ginastera in Buenos Aires, trat 1952 erstmals öffentlich auf und setzte seine Ausbildung 1954-56 bei Marguerite Long, J. Février und R Leibowitz in Paris und bei H. Roloff in Berlin fort. 1957 spielte er bei der Erstaufführung von A. Schönbergs Klavierkonzert op. 42 in Buenos Aires den Solopart. 1958-62 lebte Z. in Berlin; 1963 wurde er Professor an der Universität in Tucumán, 1967 an der Universität in Santa Fé und gründete 1970 den „Grupo de Acción Instrumental de Buenos Aires", mit dem er in wechselnden instrumentalen und vokalen Besetzungen Formen des „instrumentalen Theaters", verknüpft mit Elementen von Fluxus und Happening, weiterzuentwickeln versuchte. Neben der Arbeit mit dieser international erfolgreichen Musikergruppe ist Z. weiterhin als Pianist und Interpret speziell der Neuen Musik tätig. Er gab heraus A. Schönberg, La obra completa para piano (Ma 1965) und Cl. Debussy, La obra completa para piano (Buenos Aires 1965). ZUMSTEEG (eig. Zum Steeg), Johann Rudolf, * 10. 1. 1760 Sachsenflur bei Mergentheim, t 27. 1. 1802 Stuttgart; dt. Komponist. Er war Schüler der Karlsschule, wo er sich mit Fr. Schiller befreundete (Lieder aus den Räubern, 1782), und erhielt eine Ausbildung in Cellospiel und Komposition. 1781 wurde er Cellist in der Hofkapelle Stuttgart, war daneben 1785-94 Musiklehrer an der Karlsakademie, wurde 1791 Direktor der deutschen Hofmusik und 1793 Konzertmeister. In dieser Eigenschaft brach er mit der starren Stuttgarter italienischen Tradition und brachte W. A. Mozarts Opern auf die Hofbühne. WW: 1) Instr.-WW: Einige Kammermusik- u. Orch.-Werke gedruckt u. hsl., darunter 10 Vc.-Konzerte. - 2) Vokal-WW: 2 Messen;17 geistliche Kantaten für 4 Si u. Orch. (L 1803-05); 16 Gelegenheitskantaten (1782-1801); Ode Die Frühlingsfeier (Klopstock) für Sprecher u. Orch. (L 1804). - Klv:Lieder u. -Balladen als Slgen.: Die Gesinge aus dem Schauspiel Die Räuber (F. Schil-
ler) (Mannheim 1782); Gesänge der Wehmut u. 12 Lieder (L 1797); 7 H.e Kleine Balladen und Lieder (L 1800-05 u. ö.); zahlr. Einzeldrucke, u. a. die Balladen Colma (J. W. von Goethe nach Ossian) (L 1793); Die Entführung (G. A. Bürger) (L 1794); Hagars Klage in der Wüste Bersaba (Schücking) (L 1797); Lenore (Bürger) (L 1798). - 3) Buhnen-WW: 12 Opern u. Singspiele; Bühnenmusik, u. a. zu W. Shakespeare, Hamlet u. Macbeth.
Z.s Instrumentalkompositionen (darunter 10 Vio415
Zunft loncellokonzerte, 2 Flötenkonzerte) gehören überwiegend seiner frühen Zeit an. In der dramatischen Musik bewegte er sich zunächst ganz im Banne der „offiziellen" Stuttgarter Jommelli-Tradition, experimentierte jedoch auch mit neuen Formen (Fr. G. Klopstocks Frühlingsfeier für Rezitation mit Orchester, 1770, und Monodram Tamira, 1788). Der Thronwechsel begünstigte dann seinen Übergang zur modernen Musikdramatik im Sinne Mozarts (Die Geisterinsel, 1798; Das Pfauenfest 1801; Elbondocani, 1803) unter Anlehnung an die literarische Romantik. Die eigentliche musikhistorische Bedeutung Z.s liegt jedoch mit rund 300 Stücken auf dem Gebiet des Liedes und der Ballade, wo er die Mittelstellung zwischen der Berliner Liederschule und Fr. Schubert einnimmt. Das gilt insbesondere für seine groBen Balladen (u. a. Lenore und Hagars Klage), in denen er Traditionen der Solokantate mit ihrem Wechsel von Rezitativ, Arioso und Arie mit seinen musikdramatischen Erfahrungen verband. Die Vielfalt dieser Elemente brachte jedoch gelegentlich die formale Einheit der Ballade in Gefahr, die er durch Substanzgemeinschaft der stilistisch auseinanderstrebenden Teile (Lenore) zu bannen suchte. Bis in Einzelheiten von Tonart, Rhythmik u. a. Elemente hinein hat er damit auf die Balladenkomposition des jungen Schubert gewirkt. Z.s Sohn Gustav Adolf, * 22. 11. 1794 Stuttgart, t 24. 12. 1859 ebd., war Musikverleger in Stuttgart und gab vor allem Chormusik heraus. Er gründete auch den Stuttgarter Männergesangverein „Liederkranz". Ausg.: Ausgew. Lieder, hrsg. v. L. LANDSHOFF (B 1902); Kleine Balladen u. Lieder, in Ausw. hrsg. v. F. JÖDE (Hannover 1932) ( Nagels MA 82); Kleine Balladen u. Lieder, 7 H.e in 1 Bd., Faks.Ausg. (Farnborough 1969); 3 Balladen, in: Balladen v. G. A. Bürger ..., hrsg. v. D. MANICKE, 2 Bde. (1970) (= EDM 45-46). Lit.: Z-Nekrolog, in: F. VON SCHLICHTEGROLL, Nekrologe der Deutschen für das 19. Jh. I (Gotha 1802), Nachdr. in: R. SCHAAL, Schlichtegroll, Musiker-Nekrologe (Kas 1954); A. SANDBERGER, J. R. Z. u. F. Schubert, in: Ausgew. Aufsätze z. Musikgesch. I (Mn 1921); F. SZYMICHOWSKI, J. R. Z. als Komponist v. Balladen u. Monodien (Diss. F 1932); J. VÖLCKERS, J. R. Z. als Opernkomponist (Mn 1944); E. G. PORTER, Z's Songs, in: Monthly Musical Record 88 (1958); J. KINDERMANN, Z., in: MGG XIV; G. MAIER, Die Lieder J. R. Z.s u. ihr Verhältnis zu Schubert (Diss. TO 1970); DERS., Z., in: Grove• XX. S. KROSS
ZUNFT (von ahd. zumpft = geziemend), Bz. für den Zusammenschluß einer zunächst handwerklichen Berufsgruppe mit Ausbildungsvorschriften, Tätigkeitsmerkmalen und Lebenskonventionen. Solche Vereinigungen sind für die Musik schon aus der Antike bekannt. Im europäischen MA konnten sich die rechtlosen Spielleute (r Spielmann) seit dem 12. Jh. einem regionalen Pfeiferkö416
nig oder Spielgrafen unterstellen (z. B. dem Grafen von Rappoltstein; in diesem Zusammenhang wird heute noch in Ribeauvillé der sog. Pfeifertag ge-
feiert) und dadurch gewisse Rechte erwerben. Vielfach schlossen sich auch Spielleute in Bruderschaften zusammen, wurden seßhaft und waren dadurch gegen Diskriminierungen geschützt. Eine besonders privilegierte Z. bildeten in Deutschland vom 17. bis ins frühe 19. Jh. die an Höfen, im Militärwesen und in Reichsstädten wirkenden Trompeter und Pauker; ihre Tätigkeit galt als Symbol der Macht ihres Dienstherrn. Die in den Städten entstehender Stadtpfeifer-Z. hatte als Gegenleistung für Schutz und Unterkunft innerhalb der Gemeinwesen bestimmte Aufgaben, wie z. B. die Mitwirkung in der Kirchenmusik (Hamburg, Leipzig, Lübeck), zu erfüllen. Die Satzung einer Z. wurde vom jeweiligen Landesherrn bzw. der Stadt mit Gesetzeskraft erlassen ; darin waren Ausbildungsregeln nach Handwerksart, berufliche Entfaltung und Abgrenzung gegen andere Zünfte enthalten. Die Regelungen der Arbeitsmöglichkeiten führten oft zu Streitigkeiten der Zünfte untereinander und mit den nicht organisierten Bierfiedlern. Seit dem 18. Jh. wurden zunehmend Virtuosen und Kunstgeiger die Konkurrenten der Stadtpfeifer. So wurden für die Gewandhauskonzerte in Leipzig (ab 1781) ursprünglich nur Streicher angestellt, die Bläser stellte die Ratsmusik. 1833 wurde dort erstmals eine freiwerdende Stelle der Ratsmusik nicht wieder besetzt, sondern dem r Gewandhausorchester zugeordnet. Auch in anderen Städten ist die Auflösung der Zünfte in dem Maße zu beobachten, wie die Instrumentalvereinigungen zu kommunalen Einrichtungen und die Ausbildungen durch Fachinstitute übernommen wurden. Lit.: E. PREUSSNER, Die bürgert. Musikkultur (H 1935, Kas
2 1950); G. FLEISCHHAUER, Die Musikergenossenschaften im hellenist.-röm. Altertum (Diss. H1 1959); H. ENGEL, Musik u. Ges. (B — Wunsiedel 1960) (— Stimmen des 20. Jh. 3); W. SALMEN, Der fahrende Musiker im europ. MA (Kas 1960) (— Die Musik im alten u. neuen Europa 4); G. FLEISCHHAUER — H. W. SCHWAB, Zunftwesen, in: MGG XIV (mit ausführlichem Lit.Verz.); Der Sozialstatus des Berufsmusikers vom 17. bis 19. Jh. Gesammelte Beitr., hrsg. v. W. SALMEN (Kas 1971) (— Musikwiss. Arbeiten 24). G. SCHUHMACHER
ZUNGE (engl.: reed; frz.: anche, languette; it.: ancia; span.: lengüeta), in der Instrumentenkunde Bz. für einen dünnen elastischen Körper (Blatt, Plättchen), der, auf einem Blasinstrument befestigt, beim Anblasen in Schwingung versetzt wird und den Luftstrom periodisch unterbricht. Die Frequenz der so entstehenden Schwingung ist abhängig von der Größe, der Masse und der Elastizität der Z. sowie von der Eigenfrequenz des Resonators. Drei verschiedene Arten von Z.n sind zu
Zurná unterscheiden. Die Aufschlag-Z. ist eine einfache Z. (einfaches Rohrblatt), die, an einem Ende befestigt, auf die Kanten einer entsprechend großen Öffnung aufschlägt. Bei Volksmusikinstrumenten manchmal direkt in einen Instrumentenkörper aus Rohr oder in einen gesondert eingesetzten Rohrteil geschnitten, wird sie z. B. bei der Klarinette oder beim Saxophon auf dem unteren Ende eines schnabelförmigen Mundstücks mit einer Schnur oder Schraube befestigt. Aufschlag-Z.n haben aúch die meisten Z.n-Pfeifen der Orgel (OE Lingualpfeifen). Die Gegenschlag-Z. besteht aus zwei einzelnen Blättern (Doppelrohrblatt), die, oft an einem Röhrchen, so zusammengebunden werden, daß zwischen ihnen eine elliptische, sich periodisch beim Blasen schließende Öffnung entsteht (Oboe, Fagott u. a.). Zu den Gegenschlag-Z.n werden auch die sog. Polster-Z.n gezählt, das sind die Stimmlippen des Kehlkopfes (r Stimme) und die in einem Kessel- oder Trichtermundstück schwingenden Lippen des Bläsers von Blechblasinstrumenten (Horn, Trompete u. a.). Durchschlagende oder freie Z.n sind, an einem Ende befestigt, in eine Öffnung so eingepaßt, daß sie elastisch nach beiden Seiten hin durchschwingen können (r HarmonikaInstrumente, r Mundorgel, t Shö, r Äoline). Viele Z.n werden aus dem Holz verschiedener Rohrarten angefertigt, darunter bevorzugt aus dem eines in Südfrankreich wachsenden Rohres (Arundo donax). Die Aufschlag-Z.n einiger Instrumente (Orgel, Regal) sowie gewöhnlich die Durchschlag-Z.n sind aus Metall, während Gegenschlag-Z.n heute gelegentlich aus Kunststoff angefertigt werden. r Rohrblattinstrumente. M. BRÖCKER ZUNGENCHOR, Bz. für die Gruppe der Orgelregister mit t Lingualpfeifen. Unterschieden wird nach der musikalischen Funktion zwischen Plenumzungen (Trompeten, Posaunen) und Solozungen, nach der Mensur der Aufsätze zwischen vollbecherigen (z. B. Dulzian) und kurzbecherigen Zungen (Regal, Geigendregal). Die chorische Verwendung von Zungenregistern ist besonders im frz. Orgelbau ausgeprägt. Als Batterie d'anches treten Trompeten 8' und 4' im Hauptwerk und Rückpositiv der klassischen Orgel auf; die frz. Orgel des 19. Jh. kennt Trompetenbatterien zu 16', 8' und 4' in Hauptwerk, Positiv, Schwellwerk und im sog. Bombardenwerk (r Bombarde 2). ZUNGENPFEIFEN r Lingualpfeifen. ZUNGENSTOSS, Bz. für die verschiedenen Arten der Zungenbewegung beim Blasinstrumenten-
spiel. Die Bz. Z. wird von alters her gebraucht, ist jedoch irreführend. Der Tonbeginn wird nämlich nicht durch den Z. bewirkt, sondern vielmehr durch ein Zurückziehen der Zungenspitze. Die Zunge wirkt also wie ein Ventil: abwechselnd verschließt sie den Weg für die Atemluft und gibt ihn wieder frei. Ansatzstellen der Zungenspitze sind je nach Instrument und Spieltechnik der Gaumen, die Zähne, die Lippen oder das Mundstück bzw. das Rohrblatt des Instrumentes. Die durch Zungenbewegung entstehenden Artikulationssilben können verschiedene Anfangs- und Schlußkonsonanten aufweisen (d oder t verschiedener Abstufungen; t Flatterzunge). Unterschiedliche Vokalvorstellungen (wie u in du oder a in ta) bewirken weitere Artikulationsnuancen. Die Artikulationssilben variieren je nach Instrument und Stil (z. B. di, du, da, to, ta, ti); durch den Wechsel verschiedener Artikulationssilben (z. B. te-ke, di-ke, tu-rú, túru) entstehen weitere wichtige Unterschiede. Als ideal gilt ein Z., bei dem die Zungenmuskulatur möglichst wenig belastet wird. ZUPFGEIGE, umgangssprachliche süddt. Bz. für Harfe (= große Z.) und Gitarre (= kleine Z.). Im gesamten deutschsprachigen Raum verbreitete sich die Bz. Z. für die Gitarre durch eine Slg. von Volksliedern mit Gitarrenbegleitung, die Hans Breuer erstmals 1909 mit dem Titel Der Zupfgeigenhansl herausgab und die weit über 100 Auflagen erlebte. - Irrtümlicherweise wird in der Literatur zur Wandervogel- und t Jugendbewegung die Z. mit der Laute gleichgesetzt. Dieses Mißverständnis rührt aus der Tatsache, daß damals in diesem Umkreis Gitarren mit einem robusten, leicht gebauchten Korpus, sog. Lautengitarren oder Gitarrenlauten, verwendet. wurden. ZUPFINSTRUMENTE (engl.: plucked Instruments; frz.: instruments à cordes pincées; it.: strumenti a pizzico; span.: instrumentos punteados), Bz. für r Chordophone und t Idiophone, deren Klangerzeugung durch Anreißen einer Saite oder eines anderen schwingenden Materials (Zunge der Maultrommel) mit den Fingern oder mit einem Plektrum (z. B. auch mit dem Kiel beim Cembalo) erfolgt. Dazu gehören u. a. Gitarre, Harfe, Laute, Mandoline und Zither, aber auch Instrumente mit Kielmechanik wie Cembalo, Claviziterium, Spinett und Virginal. ZURNÄ (arabisch; von persisch surnay; türkisch: zurna; in Jugoslawien: surla, zurla; chinesisch: so-na), Bz. für ein Doppelrohrblattinstrument mit je nach Herkunftsgebiet zylindrischer oder koni417
zusammengesetzter Takt scher Röhre und mit konischem, weit ausladendem Schallstück. Das Instrument hat 6-8 vorderständige Grifflöcher, 1 Daumenloch und mehrere Schallöcher im unteren Teil der Röhre. Eine Pirouette als Lippenstütze erleichtert das Anblasen (r Windkapsel-Ansatz). Der Klang des Instruments ist scharf und durchdringend. Der Z. ist im gesamten islamischen Einflußbereich (in Nordafrika, im Vorderen Orient, in den Balkanstaaten und bis nach Indien und Indonesien) und in China verbreitet. In den meisten Ländern gehört das bereits von al-Färäbi (10. Jh.) beschriebene Instrument heute zur Volksmusik und wird als Freiluftinstrument allein oder in Paaren zusammen mit einer Trommel (r Davul, lTupan) gespielt. M. BRÖCKER
ZUSAMMENGESETZTER TAKT " Takt, r Taktarten. ZWEIFUSS, Tonhöhen-Bz. bei Orgelregistern, die sich auf die theoretische Länge der tiefsten Pfeife bezieht, nämlich 2 Fuß (2' = etwa 0,65 m). Alle Register, die beim Anschlagen der Taste C das 2 Oktaven höhere c' erklingen lassen, heißen 2'-Register. Ferner spricht man von der 2'-Lage, wenn ein Instrument 2 Oktaven höher klingt als notiert. ZWEIG, Stefan, * 28. 11. 1881 Wien, t 22.2. 1942 Petrópolis (Brasilien); östr. Schriftsteller. Nach dem Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik promovierte er 1904 in Wien (mit einer Arbeit über Hippolyte Taine), war dann als freier Schriftsteller tätig und unternahm weite Reisen. Seit 1919 lebte er meist in Salzburg; 1938 emigrierte er nach England, 1940 in die USA, 1941 nach Brasilien. - Z.s musikgeschichtliche Bedeutung liegt in erster Linie in seiner Zusammenarbeit mit R. Strauss, für den er das Libretto zu der Oper Die schweigsame Frau (1935) schrieb. Infolge dieser Zusammenarbeit mit einem jüdischen Schriftsteller mußte Strauss die Präsidentschaft der Reichsmusikkammer niederlegen. Von Z. stammen auch der Entwurf zu Strauss' Friedenstag und die Anregung zu Capriccio. Aufschlußreich für Z.s musikalische Ansichten sind seine Beiträge über verschiedene Komponisten und Dirigenten. Gedichte von ihm vertonten u. a. M. Reger, J. Marx und M. Seiber. Schriften (speziell über Musiker, mit NA): G. Mahlers Wiederkehr (1915), in: Europäisches Erbe, hrsg. v. R. Friedenthal (F 1960); R. Strauss u. Wien (1924), in: R. Strauss. Dokumente seines Lebens u. Schaffens, hrsg. v. F. Trenner (Mn 1954); A. Toscanini. Ein Bildnis (1935) u. Busoni, in: S. Z., Begegnungen mit Menschen, Büchern, Städten (W 1937); B. Walter. Kunst der Hingabe (W — L — Z 1936), auch in: ebd.; G. F. Hándels Auferstehung. Eine historische Miniatur, in: Kaleidoskop (W — L — Z 1936).
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Lit.: Briefwechsel R. Strauss — S. Z., hrsg. v. W. SCHUH (F 1957); L. TAUDING, S. Z. U. die Musik (unveröff. Briefe), in: NZfM 119 (1959); A. A. ABERT, S. Zs Bedeutung für das Alterswerk v. R. Strauss, in: FS F. Blume (Kas 1963); W. PFANNKUCH, Z., in: MGG XIV; K. W. BIIIUN, Strauss, Z., and Gregor. Unpublished Letters, in: ML 56 (1975). B. A. KOHL
ZWEI HERZEN IM DREIVIERTELTAKT, Operette in 3 Akten von R. Stolz, Text von Paul Knepler und J. M. Welleminsky nach dem gleichnamigen Tonfilm von Walter Reisch und Franz Schulz. Ort und Zeit der Handlung: Wien, um 1930. UA: 30.9. 1933 Zürich. In dieser Komödie, auch unter dem Titel Der verlorene Walzerbekannt, wird die Welt des Theaters geschildert. Der Wiener Walzer, der dem Werk den Titel gab, war schon aus dem 2 Jahre zuvor
entstandenen Tonfilm bekannt. Außer ihm findet sich eine Fülle weiterer Tanzmelodien in diesem Werk. Stolz verstand es, mit seinem Melodienzauber das Heitere neben dem Sentimentalen hörbar zu machen. Die bekanntesten Melodien dieser besonders in der Filmfassung zu Weltruhm gelangten Operette (allein in New York 14 Monate ohne Unterbrechung auf der Leinwand) sind Heut besuch ich mein Gli ck(Eng,lish Waltz), Meine kleine Schwester heißt Hedi (Foxtrott), Du bist meine schönste Träumerei(Blues) und der in Variationen das gesamte Werk durchziehende Slowfox Das ist der Schmerz beim ersten Kuß. Von der Zensur betroffen, wurde diese Stolz-Operette in Deutschland nicht sehr populär; sie ist auch heute nur selten in den Spielplänen zu finden. B. DELCKER ZWEIKAMPF, DER (Le Pré-aux-Clercs), Opéracomique in 3 Akten von F. Hérold, Text von F. A. E. de Planard. Ort und Zeit der Handlung: Paris, Ende des 16. Jh.; UA: 15. 12. 1832 Paris (Opéra-Comique); dt. EA (in dt. Sprache): 26. 9. 1833 Berlin. Der Zweikampf gilt in Frankreich als Hérolds beste Oper und als einer der größten Erfolge auf dem Gebiet der Opéra-comique überhaupt. Am 10. 10. 1871 fand in Paris die 1000. Aufführung statt, bis zum Ende des 19. Jh. war die Zahl bereits auf fast 1600 angestiegen. Die Handlung ist Prosper Mérimées Chronique du règne de Charles IX entnommen und schildert, wie Marguerite von Valois die Ehe Isabelles von Béarn mit dem jungen Baron von Mergy ermöglicht; die Trauung des Paars findet heimlich in der Chapelle du Pré-aux-Clercs statt. Comminge, ein für Isabelle vorgesehener Bräutigam, fällt schließlich im Zweikampf mit Mergy. - Großer Beliebtheit auch als Konzertstück erfreute sich vom ersten Tage an die Ouvertüre, die für die damalige Zeit als originell galt. Als beson-
Zwingli
ders wirkungsvoll empfand das Publikum den Schluß der Oper: Die Leiche des Rivalen wird feierlich auf einem Schiff fortgeführt - das Schiff auf der Bühne ist eigentlich ein echter Grand Opéra-Effekt. Trotz nur mittelmäßiger Besetzung in der UA konnte sich das von beeindruckendem Melodienreichtum geprägte Werk sofort durchsetzen, ein Erfolg, den der Komponist - er starb einen Monat nach der UA - nicht mehr erleben konnte. R QUANDT
ZWEIUNDDREISSIGFUSS, Tonhöhen-Bz. bei Orgelregistern, die sich auf die theoretische Länge der tiefsten Pfeife bezieht, nämlich 32 Fuß (32' _ etwa 10 m). Alle Register, die beim Anschlagen der Taste C das 2 Oktaven tiefere C2 erklingen lassen, heißen 32'-Register. Ferner spricht man von der 32'-Lage, wenn ein Instrument 2 Oktaven tiefer klingt als notiert. ZWEIUNDDREISSIGSTELNOTE (amerik.: thirty-second note; engl.: demisemiquaver; frz.: triple croche; it.: biscroma; span.: fusa), Bz. für eine Note, deren Wert '/32 einer ganzen Note ausmacht. Das Notenzeichen für die alleinstehende Z. ist'; für Z.n mit Balken gilt Entsprechendes wie für Sechzehntelnoten (r Noten). Die der Z. entsprechende Pause ist die Zweiunddreißigstelpause. ZWEIUNDDREISSIGSTELPAUSE (amerik.: thirty-second-note rest; engl.: demisemiquaver rest; frz.: huitième de soupir; it.: pausa di biscroma; span.: silencio de fusa), Bz. für eine Pause (i), die der Dauer einer Zweiunddreißigstelnote entspricht. ZWIEBELFLÖTE r Mirliton. ZWIEFACHER, Bz. für einen heute noch im Alpenländischen verbreiteten, gelegentlich auch „Mischlich" oder „Doppelbayrischer" genannten Tanz, dessen Ablauf durch Takt- und gleichzeitigen Schrittartenwechsel gekennzeichnet ist. 1827 erstmals von J. A. Schmeller als „nach dem bekannten Volksliede der Nagelschmied" ausgeführter Volkstanz definiert (Bayerisches Wörterbuch), gilt diese Weise nach wie vor als älteste Quelle. Die geschichtliche Herkunft jedoch ist ungeklärt, wiewohl Wechselrhythmen innerhalb einer Melodiezeile etwa im altdt. Lied des 15. Jh., dessen tänzerische Realisation unbekannt ist, als Frühform diskutiert werden. In seiner auf Sammelergebnissen beruhenden Arbeit über den Z. weist F. Hoerburger 4 harmonische Grundgerüste nach: 1.: T D DT,2.:TTDD,3.:TTDT,4.: DTDT. Diese
werden in einem Wechsel von r Walzer-, Ländler- und r Dreher-Figuren getanzt. - Der Z. fand auch Eingang in die Kunstmusik, so bei C. Orff (Carmina Burana). Lit.: V. JUNK, Die taktwechselnden Volkstänze (L 1938); F. HOERBURGER, Die Zwiefachen. Gestaltung u. Umgestaltung (B 1956); R. ZODER, Zur Entstehung der taktwechselnden Volkstänze, in: Volksmusik in Bayern (Mn 1978).
ZWINGLI, Huldrych (Ulrich), * 1. 1. 1484 Wildhaus (Toggenburg), t 11. 10. 1531 in der Schlacht bei Kappel am Albis; Schweizer Reformator. Er besuchte die Lateinschulen in Basel und Bern, studierte 1498-1502 in Wien, wo er K. Celtis kennenlernte, seit 1502 in Basel und erhielt dort 1506 den Magistertitel. 1506-16 war er Pfarrer in Glarus und nahm als Prediger an mehreren Feldzügen in die Lombardei teil. 1516-18 wirkte er als Leutpriester an der Wallfahrtskirche Maria Einsiedeln. Unter dem Einfluß des Erasmus von Rotterdam bemühte sich Z. um eine theologische Neuorientierung und wurde auch mit den Lehren M. Luthers vertraut. 1519 erhielt er einen Ruf an das Zürcher Großmünster und schloß sich im nächsten Jahr der Reformation an. Die von ihm geforderte Neugestaltung des Gottesdienstes beinhaltet eine kategorische Ablehnung aller Formen der traditionellen liturgischen Musik (1525 Beseitigung der Chorgesangbücher und Verbot des Orgelspiels, 1528 Abriß der Orgeln). Den Gemeindegesang lehnte er zwar nicht prinzipiell ab, setzte sich jedoch auch nicht für seine Beibehaltung ein. Dagegen musizierte Z. häufig im privaten Kreis und schrieb selbst auch Kirchenliedmelodien. Er übernimmt hier zum Teil den Stil der Hofweisen. Als Gründe für Z.s radikale Ablehnung liturgischer Musik gelten neben seiner spiritualistischen Konzeption des Gottesdienstes, die ihn auch dem Kirchenschmuck der bildenden Künste ablehnend gegenüberstehen ließ, u. a. auch politische Rücksichtnahmen (z. B. auf die Täufer). WW: Erhalten sind die Tenorweisen zu den Liedern (Texte alle von Z.): Hilff, Herr Gott, hilft in diser Not (Pestlied, um 1520), Hilf!, Gott, das Wasser gat mir biss an d 5eel (um 1525, nach dem 69. Psalm; v. einer 4st. Fassung sind Alt- und Tenorst. erhalten) u. Herr, nun heb den Wagen selb (Kappelerlied, 1529, nicht mit Sicherheit von Z.; zu diesem Lied ist auch eine 2. Tenorweise überliefert). Ausg.: GA, hrsg. v. M. JENNY (B 1905 ff) (a Corpus Reformatorum 88-100). — Satzfragment, hrsg. v. DEMS., in: Z.s mehrst. Kompositionen (s. Lit.). — Liedtexte, in: PH. WACKERNAGEL, Das dt. Kirchenlied v. der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jh. III (L 1870, Nachdr. Hil 1964). Lit.: O. FARNER, H. Z., 4 Bde. (Z 1943-60); M. JENNY, Zs mehrst. Kompositionen, in: Zwingliana 11 (1960); DERS., Z.s Stellung z Musik im Gottesdienst (Z 1966); J. V. POLLET, H. Z. et la Réforme en Suisse d'aprés les recherches récentes (P 1963); O. SÖHNGEN, Z.s Stellung z Musik im Gottesdienst, in: Theolo-
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Zwischenaktmusik gie in Gesch. u. Kunst (Witten 1968); M. JENNY, Die Lieder Zs, in: JbLH 14 (1969); DERS., Gesch. u. Verbreitung der Lieder Z.s, in: FS Ch. Mahrenholz (Kas 1970); H. W. PIPKIN, A Z Bibliography (Pittburgh 1972).
teste Keim zur Weitung und schließlichen Auflösung der Dur-Moll-Tonalität sehen. Lit.: E. KURTH, Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners „Tristan" (Be — L 1920, '1923, Nachdr. Hil 1968) C. KÜHN
ZWISCHENAKTMUSIK, Entr'acte, Bz. für ein in der Oper oder einem anderen Bühnenwerk zwischen zwei Akte, Szenen oder Bilder eingeschobenes, in der Regel instrumentales Zwischenspiel,
ZWISCHENSPIEL, r Divertimento 2), r Interludium, r Intermedium, / Intermezzo, / Zwischenaktmusik.
das auch eigens für eine bestimmte Inszenierung geschrieben sein kann. Die Z. steht somit in Zusammenhang mit den Intermedien (f Intermedium) des 16. Jh. und der Musik zu Comédie-ballets. Eine klare terminologische Abgrenzung gegenüber Interludium und r Intermezzo (1) ist nicht möglich. Bekannte Z.en sind z. B. die L. van Beethovens zu J. W. von Goethes Egmont oder die G. Bizets zu seiner Carmen bzw. A. Thomas' zu Mignon. Fr. Schuberts Z. für Helmina von Chezys Rosamunde ist schon lange nicht mehr im Zusammenhang mit dem betreffenden Theaterstück zu hören, sondern ist ein eigenständiges Werk geworden.
ZWÖLFTONKLANG, Bz. für einen Akkord, in dem alle 12 Töne der temperierten chromatischen Skala gleichzeitig erklingen. Der Z., in Werken seit Beginn des 20. Jh. öfter zu finden, ist als äußerste Konsequenz der fortschreitenden Chromatisierung, der Emanzipation der Dissonanz und der Bildung von Mehrtonklängen zu verstehen; während ein Zwölftonfeld alle 12 chromatischen Töne in beliebiger horizontaler Anordnung aufweist, wird im Z. das chromatische Total in der Vertikale zusammengedrängt. In der r Zwölftonmusik ist ein Z. prinzipiell jeder Zwölftonreihe zugehörig, da die Oktavlage der Reihentöne variabel ist.
ZWISCHENDOMINANTEN, Bz. der Harmonielehre für eingeschobene Dominanten, die zu jeder Funktion einer Tonart auftreten können. Z. beziehen sich entweder nur auf den nachfolgenden Akkord, der vorübergehend - ohne die tonale Herrschaft der Ausgangs-/ Tonika anzutasten - wie eine Tonika bekräftigt wird, (Allegro maestoso)
W. A. Mozart, Klavierkonzert C-Dur, KV 467, 1. Satz
oder sie leiten eine r Ausweichung ein. In der Funktionsbezeichnung werden Z. durch runde Klammern - (D) - kenntlich gemacht. Die Dominante der Dominante (in C-Dur: D-Dur) heißt Wechsel- oder Doppeldominante und wird als lib notiert; im klassischen Sonatensatz ist sie ein bevorzugtes Mittel, zum dominantischen Seitenthema hinzuführen. Z., grundlegend schon für die Harmonik J. S. Bachs, führen zu einer Intensivierung der harmonischen Spannung und Farbe sowie zu bedeutsamer Erweiterung des tonalen Raumes; denn innerhalb einer Tonart bilden sie mit ihrem neuen r Leitton leiterfremde, zielstrebige Klänge, die auch zu entfernten Tonarten eine Brücke schlagen können. In den Z. läßt sich daher der historisch äl420
ZWÖLFTONMUSIK, Bz. für eine Musik, die nach der von A. Schönberg entwickelten Methode der „Komposition mit zwölf nur auf einander bezogenen Tönen" (Dodekaphonie) oder nach einem ähnlichen Verfahren (etwa von J. M. Hauer) geschaffen wurde. Z. setzt 12stufige Temperatur, also die chromatische Skala (nicht als Notbehelf für die musikalische Praxis, sondern als Tonsystem), voraus. „Nur auf einander bezogen" sind die Töne der Z., indem sie jede (übergeordnete) Beziehung auf einen Grundton (eine Tonika) als grundsätzlich unerheblich vermeiden. Schönbergs (und seiner Schüler) Z. hat außer der vollständigen Chromatik zur Voraussetzung: 1. die Emanzipation der Dissonanz (die Dissonanz ist nicht mehr auflösungsbedürftig und überwiegt bedeutungsmäßig die Konsonanz), 2. Atonalität (d. h. Verzicht auf die Kunstmittel der Tonalität), 3. Empfindlichkeit gegenüber Wiederholungen (sei es von einzelnen Tönen [bevor die anderen zu Geltung gebracht worden sind], sei es von unvéränderten Themen, Phrasen, Perioden usw.), 4. Panthematik (d. h. eine Kompositionsweise, die jedes musikalische Detail, auch das unscheinbarste, aus dem thematischen Material ableiten möchte). Grundlage eines jeden Werkes der Z. ist eine (unveränderliche) Reihe, die sämtliche Töne der chromatischen Skala umfaßt, ohne daß sich einer wiederholt, eine sog. Zwölftonreihe. Die Reihe selbst ist weder bereits eine „Komposition" - sie ist deren Voraussetzung oder Grundlage -, noch ist sie ein „Thema", sie ist vielmehr ein abstraktes Ge-
Zwölftonmusik bilde, aus dem Themen abgeleitet werden können oder das selbst aus einem Thema (einem Einfall) gewonnen wurde. Die Reihe reguliert (in gewisser Weise) die Beziehungen zwischen den Tonqualitäten, nicht unmittelbar die der Tonhöhen. (Die Wahl der Tonhöhen, d. h. der Oktavlagen, ist melodisch, nicht systemlich bestimmt.) Da die Reihe Beziehungen zwischen den Tönen (Tonqualitäten) regelt, ist es gleichgültig, ob sie normal oder gegenläufig, d. h. gespiegelt (umgekehrt, krebsgängig, umgekehrt krebsgängig), verwendet wird; und auf welcher Tonstufe sie beginnt. Die Reihe existiert also in 4 Gestalten oder Modi : 1. Originalgestalt Schönberg sagt: „Themaform" - (T), 2. Krebs (K), 3. Umkehrung (U), 4. Krebs der Umkehrung (KU). 1—►
Ganztöne
4--4— 2.
3~
•-4. ---~. ~
rMoll
Moll
4 .•*Bsp. 1:
die Verschiedenartigkeit der Reihen (und der Besetzungen) ermöglichte charakteristisch verschiedene Werke, auch der Reichtum an Satzarten: Die jeweilige Reihengestalt bestimmt die Melodie oder die Harmonie; die Reihe erscheint allein oder mit anderen Reihengestalten kombiniert. Ihre klassische Ausprägung fand die Z. in Schönbergs 4. Streichquartett op. 37 und dem Violinkonzert op. 36. Schönbergs ehemalige Schüler A. Webern und A. Berg schrieben seit der Mitte der 20er Jahre ebenfalls Zwölftonmusik. Berg wich Anklängen an die Tonalität nicht aus, suchte sie vielmehr; Webern radikalisierte das Verfahren insofern, als er Binnenbeziehungen zwischen Reihenabschnitten herstellte.
—
--
Alle Gestalten können auf jeder der 12 Tonstufen beginnen, so daß sich insgesamt 48 Reihengestalten ergeben. Jeweils 4 Reihengestalten bilden (bei Schönberg) einen musikalischen Raum. Um diesen einheitlich durchzuorganisieren, bezieht Schönberg (seit etwa 1930) die Gestalten so aufeinander, daß sich nicht nur die beiden Hälften (Sechstongruppen, Hexachorde) einer Reihenform zur Zwölftönigkeit ergänzen, sondern auch die jeweils ersten (und entsprechend jeweils zweiten) von T und U (bzw. K und KU). Dazu benötigt er eine transponierte Gestalt von U (bzw. KU); meist nimmt er die Transposition um eine Quint abwärts (wie z. B. im Klavierstück op. 33a):
Bsp. 2:
Zweck dieser Vorformung des musikalischen Materials ist die Ermöglichung großer musikalischer Formen in Analogie zu traditionellen Verfahrensweisen. Die neuen Methoden der Komposition sollen die Kunstmittel der Tonalität ersetzen und Faßlichkeit ermöglichen, das in der Phase der sog. freien Atonalität verlorene Formvermögen wiedergewinnen, um der Musik den allgemeinverbindlichen Kunstcharakter zu erhalten oder zurückzugewinnen. Das Verfahren bietet also, trotz der Mannigfaltigkeit seiner Anwendungsmöglichkeiten und verschiedenartigen Ausformungen, gewisse (freilich notwendige) Entlastungen. - Nicht nur
..Oo Ur*
Bsp. 3a: Dur
Our
Reihe von A. Berg, Violinkoniert (Dur-und Molldreiklänge, Ganztonfolge)
Bsp. 3b:
4
KU1. ~~
~~ j
K
_~^ ~•
ho
U
~~
Reihe von A. Webern, Konzert für 9 Instrumente, op. 24 (Binnenbeziehung der Dreitongruppen)
Hatte bereits Schönberg, der die Methode in erstaunlich vielfältiger Weise zur Entwicklung seiner außerordentlichen musikalischen Gedanken nutzte, gelegentlich zusätzliche Reihenformen gebildet (in Gestalt eines 2. Nachsatzes, in dem die Töne des 2. Hexachords in andrer als normaler, etwa in einer skalenmäßigen Folge erscheinen), so hat Berg für seine Oper Lulu aus der Hauptreihe charakteristische Nebenreihen abgeleitet. E. Krenek, der die Methode um 1932 erstmalig anwandte, hat Reihenabschnitte (etwa Hexachorde) durch Rotationsverfahren verändert und so eine Art neuer Modalität begründet (vgl. sein Chorwerk Lamentatio Jeremiae Prophetae). Krenek hat auch als erster eine praktische Anleitung im Zwölftonsatz veröffentlicht (Studies in Counterpoint NY 1940, dt. Zwölfton-Kontrapunkt-Studien, Mz 1952). In Weberns Orchestervariationen op. 30 findet sich die Andeutung einer reihenmäßigen Ordnung von Tondauern. Die Z. von J. M. Hauer basiert nicht auf Reihen, sondern auf Tonkonstellationen (sog. „Tropen"), die sich dauernd verändern, deren Veränderung und Anordnung die Grundlage der Komposition ist. Die Z. Hauers will nicht subjektiv-expressiv sein (wie die Schönbergs), sondern objektiv, ein Abbild des Kosmos, ewigen, unveränderlichen 421
Zwyssig Gesetzen folgend. Sie klingt vergleichsweise harmonisch (konsonant). Eine spätere Weiterentwicklung der Z. bildet die ' serielle Musik. Lit.: R. LEIBowrrz, Introduction à la musique de douze sons (P 1949); J. RUFER, Die Komposition mit zwölf Tönen (B 1952); H. JELINEK, Anleitung z. Zwölftonkomposition, 2 Bde. (W 1952-58, 2 1967); L. SPINNER, A Short Introduction of Twelve-Tone Composition (Lo 1960); G. PERLE, Serial Composition and Atonality. An Introduction to the Music of Schoenberg, Berg and Webern (Berkeley/Calif. — Los Angeles 1962,'1977); J. MAEGAARD, Stud. z. Entwicklung des dodekaphonen Satzes bei A. Schönberg (Kop 1972); R. BRINKMANN, Zur Entstehung der Zwölftontechnik, in: Kgr:Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); R. STEPHAN, Zur Entstehung der Z., in: Musik u. Zahl, hrsg. v. G. Schnitzler (Bonn 1976) ( _ R. STEPHAN Orpheus-Schriftenreihe 17).
ZWYSSIG, Alberik Johann Josef Maria, SOCist, * 17. 11. 1808 Bauen (Uri), t 19. 11. 1854 Kloster Mehrerau bei Bregenz; Schweizer Komponist und Musikpädagoge. Er trat 1820 in die Klosterschule der Zisterzienser in Wettingen (Aargau) ein, in der die musikalische Erziehung eine bedeutende Rolle spielte. 1827 legte er dort die Ordensgelübde ab. Nach der Aufhebung des Klosters (1841) suchte er mit seinem Abt Zuflucht in verschiedenen Klöstern. Z. schrieb vor allem liturgische Gebrauchsmusik. Er wurde bekannt durch den „Schweizerpsalm" Trittst im Morgenrot daher (1841; Text: Leonhard Widmer), der 1961 zur , Nationalhymne der Schweiz erklärt wurde. Lit.: I. KAMMERER, Der Schweizerpsalm (Z 1942); J. HELBLING, P. A. Z. (Bauen 1956).
ZYKLISCHE FORM, Bz. für die Ordnung, die zwischen den Teilen einer mehrsätzigen Komposition und im besonderen zwischen den Sätzen der t Sonate herrscht. Die klassische Sonatenform unterscheidet sich von älteren zyklischen Formen durch ein größeres Format und einen höheren Grad der Organisation. Sie besteht im wesentlichen aus 3 Teilen: aus einem 1. Satz ernsten Charakters, der die Sonatensatzform, die höchstorganisierte Form, realisiert. Er ist schnell, aber gemessen. Ihm folgt ein langsamer Satz, der in Sonaten in Dur meist auf der Subdominante, in Sonaten in Moll meist auf der Tonikaparallele steht. Der Zyklus wird durch einen weiteren schnellen Satz auf der Tonika beschlossen; im Gegensatz zum 1. Satz ist er heiter. Oft hat er die Form eines Rondos. Zu den Kernsätzen kommt vielfach ein Menuett oder ein Scherzo. Es hat den Charakter eines Intermezzos, heißt gelegentlich auch so (J. Brahms, Klavierquartett g-moll, op. 25). Weitere Zusätze lockern die Z.; sie sind hauptsächlich für Divertimenti kennzeichnend. Das Schwergewicht des klassischen Zyklus liegt „naturgemäß" auf dem 1. Satz. J. Haydn und W. A. Mozart vergrößern bisweilen durch den Einsatz außerordentlicher Komposi422
tionsmittel, vor allem des Kontrapunkts, das Gewicht des letzten Satzes und stellen zwischen dem 1. und letzten Satz ein Gleichgewicht her. L. van Beethoven legt manche Zyklen dynamisch an und läßt so das Finale zu ihrem Ziel und Höhepunkt werden (3., 5. und 9. Symphonie). Grundsätzlich gibt es zwischen den Teilen eines klassischen Instrumentalzyklus keine thematischen Gemeinsamkeiten (allenfalls verborgene Substanzgemeinschaften). - Im 19. Jh. wird diese Z. modifiziert. Die Bewegungscharaktere der Sätze werden einander dadurch angenähert, daß man die Seitensätze schneller Sonatensätze lyrisch und die Mittelteile langsamer Sätze stürmisch anlegt. Man läßt Themen von einem Satz in den anderen wandern und legt endlich die Grenzen zwischen den Sätzen gänzlich nieder, so daß alle Teile in einem großen Ereigniszusammenhang vereint werden (Fr. Liszt, Klaviersonate h-moll ; A. Schönberg, 1. Streichquartett). Lit.: r Zyklus.
W. SEIDEL
ZYKLUS (von griech. kyklos = Kreis), Bz. für die Form mehrteiliger Kompositionen. Die Mittel der musikalischen Z.-Bildung sind mannigfaltig. In Vokalmusik, zumal in ihren Großformen, trägt die Poesie, ihr gedanklicher oder narrativer Zusammenhang und ihre Form, viel zur Einheit und Gliederung des Gesamtwerks bei. Nur im Verein mit Sprache vermag Musik Werke zu verwirklichen, deren Wiedergabe Stunden dauert. Dabei kann die Musik die formale Disposition der poetischen Vorlage verdeutlichen und festigen, beispielsweise indem sie große Ereigniseinheiten wie die Akte einer Oper tonal ordnet und eint. Ältere vokale Zyklen wie die Meßkompositionen des 15.-16. Jh. wurden vielfach dadurch musikalisch vereinheitlicht, daß alle Teile auf ein und dieselbe Vorlage bezogen wurden (r Chanson- und f Parodie-Messe). In Liederzyklen des 19.-20. Jh. spielt die Einheit oder der Wandel der Stimmung eine wichtige Rolle. L. van Beethoven eint seinen Liederkreis An die ferne Geliebte dadurch, daß er im letzten Lied die Melodie des ersten wieder aufgreift. - In instrumentalen Zyklen werden meist mehrere Kunstmittel miteinander verbunden. Einheitsstiftend ist die Gleichheit oder Verwandtschaft der Tonart; grundsätzlich werden außer der Tonika nur naheliegende Tonarten verwendet. Zyklen, die entferntere Tonartenverhältnisse nützen, wie J. S. Bachs Wohltemperiertes Clavier oder Beethovens Klaviervariationen F-Dur, op. 34, sind selten. Den Zusammenhang zwischen den Teilen eines Z. fördert ferner die Einheit der Besetzung und des stilistischen Niveaus, mitunter auch eine besondere
Zylis-Gara kompositorische Konzeption. Eine solche kann beispielsweise in der steten Zunahme der satztechnischen Kunsthaftigkeiten oder der virtuosen Partien bestehen. Verhältnismäßig selten werden alle Teile eines Z. an die gleiche Melodie gebunden; J. H. Schein tut dies in seinen Orchestersuiten. Kontrast- und einheitsstiftend ist der Wechsel der Bewegungen und Bewegungscharaktere, der sowohl die Suite als auch die Sonate und das Konzert kennzeichnet. Damit verbindet sich hier, gelegentlich auch in Variationswerken (so in Bachs Goldberg-Variationen), der Wechsel der Satzcharaktere. Auf dem Wechsel des Satzcharakters beruht auch die Folge von Praeludium und Fuge, die viele Werke von Bach bestimmt. Sind die älteren Zyklen vielmals locker gefügte Reihungen, die, wie die frz. r Suite zeigt, ins Unabsehbare gehen können, so ist die Sonatenform, die in der 2. Hälfte des 18. Jh. ausgebildet wird, ein hochorganisierter Z., gebildet im Kern aus 3 verschiedenen Satzcharakteren: der schnellen Sonatensatzform, einem langsamen Satz und einem geschwinden Finale: dazu kommt oft an 3. Stelle ein Menuett oder ein Scherzo. Noch im 19. und 20. Jh. wird diese ,zyklische Form realisiert. Oft wird sie allerdings modifiziert: Die deutlichen Grenzen zwischen den Sätzen, die die Klassik gezogen hat, werden Überspielt; man läßt Themen über die einzelnen Sätze hinauswirken, mindert die Bewegungskontraste zwischen den Sätzen und legt bisweilen sogar die Satzbegrenzungen nieder. Vollends eint die symphonische Dichtung die Bestandteile des instrumentalen Zyklus zu einem einzigen Ereigniszusammenhang. Andere Zyklen des 19. Jh. sind entweder locker gefügte, suitenartige Satzfolgen, deren Teile meist in einem durch den Werktitel angedeuteten poetischen Vorstellungsraum behei-
matet sind (R. Schumann, Papillons und Faschingsschwank), oder es sind Werke, die wohl nach dem Formmodell des Wohltemperierten Claviers von Bach angelegt sind und meist das virtuose Klavierspiel und seine ästhetischen Qualitäten systematisieren (Fr. Chopin, Etüden). Eine neue Version dieser Idee bietet P. Hindemiths Ludus tonalis, ein Manifest des „Neuen Kontrapunkts". In seinem Zyklus für einen Schlagzeuger unternahm K. Stockhausen 1959 den Versuch, einen Prozeß in Gang zu setzen, der offene Dynamik fühlbar macht und zugleich eine kreisförmige, geschlossene Form herstellt. Lit.: H. MERSMANN, Angewandte Musikästhetik (B 1926); H. J. MOSER, Das dt. Lied seit Mozart (B — Z 1937); L. MIscH, Die Faktoren der Einheit in der Mehrsätzigkeit der Werke Beethoyens (Bonn — Mn 1958); R. RETI, The Thematic Process in Music (Lo 1961); G. VON NoÉ, Der Strukturwandel der zyklischen Sonatenform, in: NZfM 125 (1964); Bach-Interpretationen, hrsg. v. M. GECK (Gö 1969) (darin Beitr. über Prinzipien zyklischer Gestaltung v. W. Gerstenberg, R. Eller u. Ch. Wolf); W. BREIG, Bachs Goldberg-Variationen als zyklisches Werk, in: AfMw 32 (1975); Ch.-H. MAHLING, Zur Frage der „Einheit" der Symphonie, in: Über Symphonien. Beitr. zu einer musikal. Gattung. FS W. Wiora (Tutzing 1979). W. SEIDEL
ZYLIS-GARA, Teresa, * 23. 1. 1936 Wilna; poln. Sängerin (Sopran). Sie studierte an der Musikakademie in Lódž und debütierte 1957 in Krakau als Halka in S. Moniuszkos gleichnamiger Oper. 1966-70 sang sie an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf-Duisburg und wurde 1972 Mitglied der Wiener Staatsoper; ein Gastvertrag bindet sie außerdem an die Deutsche Oper in Berlin. T. Z. gastierte an allen großen Bühnen Europas und Amerikas und trat bei den Salzburger Festspielen auf. Sie gilt als eine der gefragtesten Vertreterinnen ihres Fachs. Auch als Konzertsängerin ist sie hervorgetreten.
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