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German Pages [453] Year 1987
HONEGGER / ~tiaSSENKF,IL
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LEXIKON DER MUSIK
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DAS GROSSE LEXIKON DER
MUSIK in acht Bänden herausgegeben von Marc Honegger und Günther Massenkeil Fünfter Band Köth — Mystischer Akkord
Herder Freiburg Basel Wien
DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK herausgegeben von Günther Massenkeil, Bonn auf der Grundlage des DICTIONNAIRE DE LA MUSIQUE herausgegeben von Marc Honegger, Straßburg, Verlag Bordas, Paris Redaktionelle Bearbeitung der deutschen Ausgabe: Karin Andrae, Hamburg; Christian Berger, Kiel; Charles Biegala, Baden-Baden; Marianne Bröcker, Bonn; Marie-Agnes Dittrich, Hamburg; Ursula Eckart-Bäcker, Aachen; Ingela Flotzinger, Graz; Maria Franke, Au bei Freiburg i. Br.; Maximilian Herbstmeier, München; Thomas B. H. Knospe, Kiel; Dieter Kroll, Oststeinbek bei Hamburg; Ulrich Kurth, Kiel; Dieter Möller, Hamburg; Ulrike Patow, Hamburg; Friedemann Pods, Kiel; Barbara Progscha-Weiner, Hamburg; Gertrud Rinderle, Kirchzarten; Peter Ruschenburg, Hamburg; Roswitha Schlager, Erlangen; Angelus Seipt, Köln; Jerg Trescher, Freiburg i. Br.; Petra Weber-Bockholdt, München; Elisabeth Winkler, Graz; Wolfgang Winkler, Graz sowie die Lexikonredaktion des Verlages Herder
Aktualisierte Sonderausgabe
O der französischen Ausgabe: Bordas 1976 Alle Rechte vorbehalten — Printed in Germany © der deutschen Ausgabe: Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1978 und 1987 Herstellung: Freiburger Graphische Betriebe 1992 ISBN 3-451-20948-9
Allgemeine Abkürzungen
Abb. Abh. Abk. Abt. Acad., Accad. a cap., a capp. ad lib. AG.
and. Akad. amerik. anglik. Anh. Anm.
Anon. anon. Ant., Anth. Arch. Art.
Assoc., assoc.
AT Auff. Aufl. Ausg. ausgew. Ausw. Bar. B.c.
Bd., Bde. bearb., Bearb. Beitr. Ber.
bes. Bibl. Bibliogr., bibliogr. Bol., Boll.
Br. Bsp.
Bull. Bz. bzw.
Abbildung Abhandlung Abkürzung Abteilung
Academia, Académie, Accademia a cappella ad libitum Aktien-Gesellschaft althochdeutsch Akademie amerikanisch anglikanisch Anhang Anmerkung Anonymus anonym
C.
Cantus
ca. Cat.
Catalog
Cemb. C.f.
Ch. Cie.
Association, associé, associated Altes Testament Aufführung Auflage Ausgabe ausgewählt Auswahl
Cantus firmus Chor
Co.
Compagnie Compagnie
Cod.
Codex
dB d. h. d. i.
Dezibel derselbe, dieselbe, dasselbe das heißt das ist
Diss. Diss. masch.
Dissertation Dissertation maschinen-
Doz. dt.
geschrieben Dozent deutsch
ders., dies., dass.
Antologia, Anthologie Archiv Artikel
circa Cembalo
EA ebd.
ed., Ed. eig. engl.
Enz. etc. ev.
Erstaufführung ebenda edidit, Edition eigentlich englisch Enzyklopädie et cetera (= und so weiter) evangelisch
Bariton
Basso continuo Band, Bände bearbeitet, Bearbeitung Beitrag, Beiträge Bericht besonders Bibliothek
Bibliographie, bibliographisch Boletin, Bolletino Bratsche Beispiel Bulletin Bezeichnung beziehungsweise
f. f., ff. f., fol.
Fag. Faks.
Fl. folkl. Forsch. frz. FS
GA Gb. gegr.
gem.
für folgend, folgende Folio Fagott Faksimile Flöte folkloristisch Forschungen französisch Festschrift Gesamtausgabe GeneralbaB gegründet gemischt
V
Ges. Gesch. Ggs. GmbH. GMD gregor. griech. H.
H Hist., hist. hl. Hrsg., hrsg.
Gesellschaft Geschichte Gegensatz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Generalmusikdirektor gregorianisch griechisch
ndl. N.F. nhd. Nr(n). N.S. NT
niederländisch Neue Folge neuhochdeutsch Nummer(n) Neue Serie Neues Testament
Ob. OFM
Heft Handbuch Historia, historisch heilig Herausgeber, herausgegeben
OHG o. J. o. Nr. o. O. o Orch. Org. OSB Ostr., östr.
Oboe Ordo Fratrum Minorum (Franziskaner) Offene Handelsgesellschaft ohne Jahr ohne Nummer ohne Ort opus Orch ester Orgel Ordo Sancti Benedicti (Benediktiner) Osterreich, österreichisch
Philos., philos. Pk. Plur. poln. port. Pos. Präs. Prof. prot. Prov. Ps(s). pseud.
Philosophie, P philosophisch Pauke Plural polnisch portugiesisch Posaune Präsident Professor protestantisch Provinz Psalm(en) pseudonym
Reg. rel.
Register religiös Revue, Revista Rivista russisch
Hs(s)., hsl.
Handschrift(en), handschriftlich
Hz
Hertz
Inc. Inst. Instr., instr. int. it.
Incorporated Institut Instrument, instrumental international, internazionale italienisch
Jb., Jbb. Jg. Jh(h). Jt.
Jahrbuch, Jahrbücher Jahrgang Jahrhundert(e) Jahrtausend
Kap. Kat. kath. Kb. KG. Kgr.-Ber. Klar.
Kapitel Katalog katholisch Kontrabaß Kommandit-Gesellschaft Kongreß-Bericht Klarinette
klass. Klv.
klassisch Klavier
Klv.-A. KMD Kod. Komp. Kons. Kpm.
Klavier-Auszug Kirchenmusikdirektor Kodex Komponist, Komposition Konservatorium Kapellmeister
lat.
Ltd. lyr.
lateinisch Libretto Literatur liturgisch g Longplay, Long Player, Langspielplatte Limited lyrisch
MA, ma. Man. MD MH mhd. Mitt. Ms(s). musikal. Musikwiss., musikwiss.
Mittelalter, mittelalterlich Manuale Musikdirektor Musikhochschule mittelhochdeutsch Mitteilung(en) Manuskript(e) musikalisch Musikwissenschaft, musikwissenschaftlich
Suppl. Syn., syn.
Seite(n) Socié t é Anonyme y Sitzungsbericht(e) Singular Singstimme Societas Jesu (Jesuiten) Sammlung(en) siehe oben Societá, Société Sacer Ordo Cisterciensis (Zisterzienser) sogenannt spanisch Stimme(en), stimmig staatlich städtisch Streicher Studien siehe unten Supplement Synonym, synonym
Trp. TU
Trompete Technische Universität
NA Nachdr. nat.
Neuausgabe Nachdruck national
u. UA u. a.
und Uraufführung und andere, unter anderem
lat. Lib Lit. liturg LP
VI
Rev. Riv. russ.
S. SA Sb. Sing. SingSt SJ SIg(en). S. O.
Soc. SOCist sog. span. St., st. staatl. städt. Str. Stud. S. U.
u. ä. Übers. ung. Univ. Unters. unveröf. f. u.ö. urspr. usf., usw. u.v.a.
und ähnliches Übersetzung ungarisch Universität Untersuchung(en) unveröffentlicht und öfter ursprünglich und so fort, und so weiter und viele andere, unter vielen anderen
veröff. versch. Ven. vgl. Vorb. Vorw.
veröffentlicht verschiedene Verzeichnis vergleiche Vorbereitung Vorwort
wahrsch. Wiss., wiss. WW
wahrscheinlich Wissenschaft, wissenschaftlich Werke (meist Auswahl)
V. v. v.
Violine
z. zahlr. z. B. zeitgen. Zschr. z. T. zus. zw. z. Z.
zu, zum, zur zahlreich(e) zum Beispiel zeitgenössisch Zeitschrift zum Teil zusammen zwischen zur Zeit
von voce, voice, voix (Sing. u. Plur.)
Va. Var. Vc. Ver. Veröff.
Viola
Variation Violoncello Verein Veröffentlichung(en)
Abkürzungen oft verwendeter Verlagsorte
A An
Au B Ba Bas Be Bol Brau Bru C C/M Ch
Amsterdam
H
Hamburg
NY
New York
Anvers (Antwerpen)
He
Helsinki
O
Oxford
Augsburg
Hei Hil Hl I Kas Kö Kop L Lau
Heidelberg Hildesheim Halle/Saale
P Pa
Paris Palermo
Berlin Barcelona Basel Bern Bologna Braunschweig Bruxelles (Brüssel)
Cambridge
Lei
Leiden
Lis
Lisboa (Lissabon) London Lyon Madrid Milano (Mailand) München Moskau Münster Mainz Nürnberg
E Erl
Erlangen
Ma
F
Frankfurt am Main Firenze (Florenz) Freiburg im Breisgau Genf Göttingen
Mi Mn Mos
Fi Fr G Gö Gr
Graz
Köln Kopenhagen
Leipzig Lausanne
Lo
Cambridge/Mass. Chicago Darmstadt Edinburgh
Da
Innsbruck Kassel
Ly
Mr Mz Nü
Pd
Potsdam
Pr
Prag Roma (Rom) Regensburg Stuttgart Stockholm Strasbourg (Straßburg)
R Rb St Sto Str Tn Tou Tü V
W War Wb Wie Wr Wü Z
Torino (Turin) Tournai Tübingen Venezia (Venedig) Wien Warschau Wolfenbüttel
Wiesbaden Weimar Würzburg Zürich
VII
K KOTH, Erika, * 15.9. 1927 Darmstadt; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte an der Musikhochschule in Darmstadt, gewann 1947 einen Gesangswettbewerb des Hessischen Rundfunks und debütierte 1948 am Pfalztheater Kaiserslautern als Philine in Mignon von A. Thomas. Nach einem Engagement 1950-53 am Badischen Staatstheater in Karlsruhe wurde sie 1953 Mitglied der Staatsopern in München und Wien, denen sie bis zum Ende ihrer Laufbahn verbunden blieb. 1961 wurde sie außerdem an die Städtische Oper in Berlin verpflichtet. K. gastierte häufig bei den Salzburger Festspielen, an der Mailänder Scala, am Londoner Covent Garden, in Rom sowie in den USA und in der UdSSR. 1956 wurde sie Bayerische Kammersängerin, 1970 auch Berliner Kammersängerin. E. K. zählt zu den bedeutendsten Sopranistinnen des Koloraturfachs der Nachkriegszeit, was auch zahlreiche Schallplattenaufnahmen bezeugen. Besonderen Erfolg hatte sie in Mozart- und Strauss-Partien sowie als Rosina in G. Rossinis Il barbiere di Siviglia. Lit.: K. ADAM, Herzlichst! E. K. (Da 1969).
KOTO (japanisch), Bz. für verschiedene Zupfinstrumente, speziell für die lange japanische Wölbbrettzither mit 13 Saiten (eig. genauer Zokusó genannt). Der Resonanzkörper ist aus Kiriholz (Paulownia oder Kaiserbaum) gefertigt. Jede der 13 Saiten läuft über einen eigenen verschiebbaren Steg in Form eines A. Mit Hilfe dieser Stege lassen sich auch die verschiedenen Stimmungen des Instruments erreichen. Das K. wird mit Fingerplektren auf Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand gezupft. Mit den Fingern der linken Hand drückt der Spieler hinter den Stegen auf die angerissenen Saiten, um die Tonhöhe zu beeinflussen. Die Wölbbrettzithern wurden aus /China eingeführt (/K'in, japanisch: Kin-no-koto) und sind seit dem 5. Jh. belegt. In /Japan entwickelten sich verschiedene Typen des K., deren ältester und wichtigster das Yamatogoto oder Wagon war. Bis auf die Länge des Instruments, die zwischen 127 cm und
195 cm schwankt, ist das Yamatogoto seit dem B. Jh. in seiner Gestalt unverändert geblieben und hat seitdem 6 (früher auch 7 oder 8) Saiten. In der höfischen Musik (/Gagaku) werden 3 verschiedene Typen des K. (genannt S5-no-koto) verwendet, in der „Linksmusik" vor allem das Gakusó, das seit dem 9. Jh. 13 Saiten hat und in verschiedenen Stimmungen gespielt wird, das Tsukushi-só (ebenfalls mit 13 Saiten), aus dem das Zokusó hervorging, das heute allgemein als K. bezeichnet wird. Außer den 13 klassischen Stimmungen für dieses K. gibt es Spezialstimmungen für bestimmte Kompositionen und heute auch Stimmungen in europäischen Tonarten. Lit.: S. IzAwA, Collection of Japanese K. Music, 2 Bde. (Tokio 1888, 1914); E.T. PIGGOTT, Principal Tunings of the Modern Japanese K. (Lo 1892); H. ECKARDT, K., in: MGG VII; W.P. MALM, Japanese Music and Musical Instruments (Tokio 1959, Rutland/Vt. '1970); E. HARICH-SCHNEIDER, A History of Japanese Music (Lo 1973). M. BRÚCKER
KOTOIVSKI, Wfodzimierz, * 23. B. 1925 Warschau; poln. Komponist. Nach dem 1951 abgeschlossenen Studium an der Warschauer Musikhochschule wandte er sich zunächst der Erforschung und Sammlung beskidischer Volksmusik zu, wovon neben der Studie Góralki i zbójnicki (Gora lische Tänze und Räubertänze, Krakau 1956) auch die Taríce góralskie (Goralische Tänze, 1950) zeugen. 1959 wurde er Mitarbeiter des experimentellen Studios beim Polnischen Rundfunk. Seit 1967 leitet er das Studio für Elektronische Musik an der Musikhochschule Warschau. 1975 wurde er in den Vorstand der IGNM gewählt. Nach folkloristisch bzw. neoklassizistisch geprägten Anfängen gewann K. besonders durch seine Teilnahme an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 1957-60 Anschluß an zeitgenössische musikalische Strömungen und profilierte sich besonders auf dem Gebiet der punktuellen und elektronischen Musik und der Aleatorik als einer der engagiertesten Vertreter der polnischen Avantgarde. WW: Szkice baletowe (1951); Preludium i Passacaglii (1953);
1
Kotter V.-Konzert (1955); Muzyka kameralna na 21 instrumentów i perkusje (1958) für 21 Instr. u. Schlagzeug; Musique en relief (1959) für Orch. in 6 Gruppen; Concerto per quattro (1960) für Harfe, Cemb., Gitarre, Klv. u. Kammerorch.; Canto per complesso da camera (1961); Pezzo (1961) für Fl. u. Klv.; Mikrostruktury (1963); Jeux sonores (1967) für Tonband; Pour quatre (1968) für Klar., Pos., Vc. u. Klv.; Musique pour seize cymbals et cordes (1969); Aela (1970); Euridice (1970); Multiplay (1972) für 6 Blechbläser; Ob.-Konzert (1972); Musical Games (1974) für 5 Spieler (Fl., Klar., Ob., Horn, Fag.). - Ferner die Schrift Instrumenty perkusyjne w wsólczesnej orklestrze (Krakau 1963), dt. Übers.: Die Schlaginstr. im modernen Orch. (Mz 1967).
KOTTER, Hans (Johannes), * um 1480 Straßburg, t 1541 Bern; elsässischer Organist. Er war 1498 bis um 1500 Schüler von P. Hofhaimer in Torgau, wo er bis 1508 im Dienst des sächsischen Kurfürsten stand. Um 1513 hielt er sich vermutlich in Basel auf. 1514 wurde er Organist in Freiburg in der Schweiz, konvertierte 1520 zum Protestantismus und mußte 1530 die Stadt deshalb wieder verlassen. 1534 erhielt er eine Lehrerstelle in Bern, wo er bis zu seinem Tode lebte. K. ist bekannt durch drei Tabulaturen des mit ihm befreundeten Basler Rechtsgelehrten Bonifacius Amerbach (Basel, Universitätsbibl., Sign. F. IX.22, 56 u. 58). Diese, 1513 bis etwa 1520/21 teilweise von K. geschrieben, sind mit den Tabulaturen L. Klebers die wichtigsten Quellen für die Klavier- und Orgelmusik des frühen 16. Jh. im süddeutschen Raum. Sie enthalten Übertragungen lateinischer, französischer und deutscher Gesänge sowie Tänze und freie Sätze. Die Komponisten sind u. a. H. Isaac, P. Hofhaimer, Josquin des Prés und K. selbst (mit insgesamt etwa 20 Stücken, darunter Praeludien, Praeambula und den beiden einzigen deutschen Choralbearbeitungen Aus tiefer Not und O Herre Gott, begnade mich nach Straßburger Melodien). Ausg.: Sämtliche Stücke K.s in: Tabulaturen des XVI. Jh., Teil 1; Die Tabulaturen aus dem Besitz des ... B. Amerbach, hrsg. v. H. J. MARX (Bas 1967) (= SMD 6). Lit.: W. MERIAN, Die Tabulaturen des Organisten H. K. (Diss. Bas 1916); H. J. MARX, Der Tabulatur-Cod. des Basler Humanisten B. Amerbach, in: Musik u. Gesch. FS L. Schrade (Kö 1963); M. SCHULER, Ein Beitr. z. Biogr. H. K.s, in: Mf 22 (1969).
KOTZEBUE, August Friedrich von, * 3.5.1761 Weimar, t 23.3.1819 Mannheim; dt. Dichter, neben Iffland einer der erfolgreichsten Schauspieldichter seiner Zeit. Er genoß in der Fachwelt gleichermaßen hohe Anerkennung (u. a. von J. W. v. Goethe) wie scharfe oder satirische Ablehnung (u. a. von den deutschen Romantikern und von Fr. Nietzsche). In K.s Dramen ist die Musik stets von großer Bedeutung. L. v. Beethoven schrieb zu den beiden Festspielen König Stephan und Die Ruinen von Athen, die (als Vor- und Nachspiel) zur Einweihung des Theaters in Pest 1812 aufgeführt wurden, die Bühnenmusik (op. 117 und op. 113). 2
Sie enthält jeweils eine Ouvertüre und Märsche, Chöre, Sologesangstücke und Melodramen. K. war auch als Musikkritiker und als Opernlibrettist tätig. Nach einem Schauspiel von K. (Der Rehbock) entstand das Libretto zu A. Lortzings Der Wildschütz. WW (nur die Libretti): Das Dorf im Gebirge, vertont v. J. Weigl, UA: Wien 1798; Das Zauberschlo8, vertont v. J. F. Reichardt, UA: Berlin 1802; v. F. Schubert als: Des Teufels LustschloB (1813-14), UA: ebd. 1978; Der Spiegelritter, vertont v. F. Schubert (um 1812), UA: Weilheim 1978; Die Alpenhütte, vertont v. C. Kreutzer, UA: Wien 1815. Lit.: D. W. MACARDLE, Beethoven, Matthisson, K. and Gaveaux, in: MR 22 (1961).
KOUNADIS, Arghyris, * 14.2.1924 auf Keffalinia; griech. Komponist. K. studierte in Athen Jura sowie Klavier und Komposition bei J. Papaioannou. 1958-61 war er Kompositionsschüler von W. Fortner in Freiburg im Breisgau. Seither ist er an der Musikhochschule Freiburg als Leiter eines Ensembles für Neue Musik und seit 1963 als Dozent (1972 Professor) für Theorie, Tonsatz und Komposition tätig. Seine von vokal-instrumentaler Prägnanz gekennzeichneten Kompositionen beruhen auf einer individuellen Modifikation von Zwölftonstrukturen, weisen aber auch Elemente der griechischen Musiktradition auf. WW: 1) Irtr.-WW: Bläserquintett Wer Ohren hat, der höre (1970); Epitymbion in memoriam Ch. Ives (1965) für 6 Schlagzeuge u. 13 Fl.n; für Orch.: Chorikon I u. II (1958, 1960) sowie Heterophonika Idiomela (1967). - 2) Vokal-WW: Nocturnes (1960) (nach Sappho) für Sopran u. Kammerorch.; Rhapsodie für Frauenst. u. Orch. (1967); Quattro pezzi per trio et soprano (1968) (Text: H. M. Enzensberger); 9 Gedichte des Miltos Sochtouris für Chor, Baß u. Instr.-Ensemble, UA: Athen 1980. 3) Börsen-WW: Opernsketch Der Gummisarg, UA: Bonn 1968; Musikal. Theater Die verhexten Notenständer (nach K. Valentin), UA: Freiburg 1971; Operngroteske Der Ausbruch (nach W. Jens), UA: Bayreuth 1975; Opera semiseria Die BaBgeige (nach A. Tschechow) für St.n, Chor, Ballett u. Statisterie, Kammerorch. u. Tonband, UA: Freiburg 1979.
KOUSSEVTTZKY, Serge, OEKussewitzky, Sergei. KOX, Hans, * 19. 5.1930 Arnheim; ndl. Komponist. K. studierte 1945-51 Klavier bei J. Spaandermann und 1951-55 Komposition bei H. Badings. 1957-70 leitete er die Musikschule in Doetinchem und war 1970-74 Berater des Nordholländischen Philharmonischen Orchesters von Haarlem. K. schrieb einige seiner Werke im 31-Ton-System von A. D. Fokker. WW: Klv.- u. Orgelmusik; Streichquartett (1955); Streichquintett (1957); Klv.-Quartett (1959); 4 Sextette für Bläser u. Klv. (1957-61); Cyclophonien (8 Stücke in versch. Besetzung, 1965-71); Sinfonia concertante für Va. u. Cello, UA: Utrecht 1978; Suite Dorian Gray für Kammerorch., UA: Koblenz 1979. Für Orch.: 2 Symphonien (1959, 1970); Konzert (1959); Ballade (1960); Paraklesis (1964); Phobos (1971); Sechs Einakter für 29 Musiker (1971); Konzerte für: Fl. (1952), Klv. (1962), V. (1963). - In Those'Days (1970) für 3 Instr. u. 2 Singgruppen;
Kraft Requiem for Europe (1971) für 4 Chöre u. Orch.; Ballett Spleen (1960). Lit.: W. PAAP, De componist H. K., in: Mens en melodie 24 (1969); G. WERKER, „In Those Days." A Musical Memory of the Battle of Arnhem, in: Sonorum Speculum (1970) Nr. 43; R. STARREVELD, H. K. „Cyclophonies", in: ebd. (1973) Nr. 52; W. F. BON, H. K. Opera „Dorian Gray", in: ebd. (1973) Nr. 54.
KOŽELUCH (Koželuh, Kotzeluch). — 1) Johann Evangelista Anton Thomas, getauft 14.12.1738 Welwarn (Böhmen), t 3. 2.1814 Prag; böhmischer Komponist. Er war Schüler von J. Seger in Prag sowie seit 1769 von F. L. GaBmann, J. A. Hasse und möglicherweise auch von Chr. W. Gluck in Wien. Von 1784 bis zu seinem Tod war er Kapellmeister an St. Veit in Prag. WW (hsl. erhalten): 4 Symphonien; je 1 Ob.- u. Fag. -Konzert; zahlr. kirchenmusikal. Werke, darunter 16 Messen u. 1 Requiem für 4-5 St., Orch. u. Org. - Oratorium Gioas, re di Giuda (1777); Opern Alessandro nelle Indie (1769) u. Demofoonte (1772).
2) Leopold Anton, Vetter von 1), * 26. 6. 1747 Welwarn, t 7.5.1818 Wien; böhmischer Komponist. Er studierte Jura in Prag, wandte sich dann der Musik zu und lebte seit 1778 als Hofmusiklehrer in Wien. Seit 1792 versah er die Aufgaben eines Hofund Kammerkomponisten am Wiener Hof. WW: 1) barer.-WW (gedruckt meist in Wien, teilweise mit vielen Nachdrucken): Zahlt. Sonaten, Caprices u. a. Stücke für Klv. zu 2 Händen (darunter besonders berühmt La chasse, op. 5) u. zu 4 Händen; Sonaten für Klv. u. V. (z. T. ad lib.); mehr als 60 Trios für Klv., V. bzw. Fl. u. Vc.; 6 Streichquartette; 8 Symphonien; 2 Serenaden; 9 Klv.-Konzerte; Harmonie für Bläser; ferner zahlr. Bearbeitungen eigener Werke für andere kammermusikal. oder orchestrale Besetzungen. - 2) Vokal- a. Biihnea-WW: Gedruckt wurden mehrere Slgen. Lieder u. Anetten sowie Einzelgesänge für SingSt u. Klv.; schottische u. walisische Volkslieder für SingSt, V. u. Klv. bzw. Harfe, auch mit Vc. (Lo 1798 u. 8.); Sei notturni für 4 St. u. Klv. (W o. J.); einzelne Kantaten u. Arien mit Klv. bzw. mit anderen Instr. - Mehrere Opern (nicht erhalten?); Ballette (hsl. erhalten): Die wiedergefundene Tochter Ottos II. (1782); La tempestà di Telemacco (1798); Die Maskerade oder Harlekins verschmitzte Streiche (1799); La morte di Ottone 11 imperatore; Ballo zur Krönung Leopolds II. 1791; Oratorien: Moise in Egitto (1789) u. La Giuditta (beide hsl. erhalten).
K. erfuhr zu seinen Lebzeiten außergewöhnlichen Ruhm vor allem als Komponist von Kammermusikwerken mit Klavier und von Orchestermusik, aber auch scharfe künstlerische und persönliche Ablehnung (u. a. durch W. A. Mozart und L. van Beethoven). Einige seiner Werke wurden lange Beethoven zugeschrieben (Klv.-Trio D-Dur, Kinsky-Halm Anh. 3, und 3 Stücke für Klv. zu 4 Händen, Anh. 8). Ausg.: Z. 2): 6 Lieder, in: Das Wiener Lied v. 1778 bis Mozarts Tod, hrsg. v. M. ANSION-I. SCHLAFFENBERG (W 1920) (_ DTO 54); 3 Sonaten für Klv., V. u. Vc., op. 12 Nr. 1-3, hrsg. v. H. ALBRECHT (Lippstadt 1950-56) (= Organum II1/54, 59 u. 41); Streichquarj€tt B-Dur, op. 32 Nr. 1, hrsg. v. J. MICKA J. RACEK - A. NÉMEC (Pr 1954) (= MAB 15); Klv.-Konzert D-Dur, hrsg. v. R. MEYLAN (Wie 1964); 3 Symphonien, hrsg. v. J. RACEK - M. POŠTOLKA (Pr 1969) (= MAB 72).
Lit.: Z. 2): G. LOBL, Die Klv.-Sonate bei L. K. (Diss. W 1937); M. POŠTOLKA, L. K. Život a dílo (Pr 1964) (mit thematischem Kat. sowie dt. u. engl. Zusammenfassung); CH. FLAMM, L. K. Biogr. u. stilkritische Unters. der Sonaten für Klv., V. u. Vc. nebst einem Beitr. zur Entwicklungsgesch. des Klv.-Trios (Diss. W 1968).
KOZUB, Ernst, * 1925 Duisburg, t 27. 12.1971 Bad Soden (Taunus); dt. Sänger (Tenor). Nach dem Studium an der Musikhochschule in Weimar debütierte er 1950 an der Komischen Oper in Berlin, wo er bis 1954 verpflichtet war. 1954-62 sang er an der Frankfurter Oper und 1962 bis zum Ende seiner Laufbahn an der Hamburgischen Staatsoper. 1969 wurde er zum Kammersänger ernannt. Gastverträge banden K. außerdem an die Städtische Oper in Berlin und an die Wiener Staatsoper. K. gastierte mit großem Erfolg u. a. am Covent Garden in London, in Rom und wiederholt auch an der Mailänder Scala. Sein Repertoire umfaßte vor allem WagnerRollen (Siegmund, Siegfried) und das Helden-Fach in italienischen Opern. KRAFT. — 1) Anton, * 30.12.1749 Rokitzan bei Pilsen, t 28.8.1820 Wien; böhmischer Cellist. K. studierte zunächst Philosophie an der Universität Prag und wandte sich dann der Musik zu. 1778-90 war er 1. Cellist in der Kapelle des Fürsten Esterházy in Wien, spielte seit 1790 in der Kapelle des Fürsten Grassalkowitsch und seit 1796 in der des Fürsten Lobkowitz. Um 1780 war er auch Kompositionsschüler von J. Haydn. WW: 6 Vc.-Sonaten; 3 Duos für 2 Vc.; 3 Duos für V. u. Vc.; Divertissements für Vc. u. Kb.; Trios für 2 Barytons u. Vc.; Vc.Konzert.
2) Nikolaus, Sohn von 1), * 14.12. 1778 Esterház, t 18. 5.1853 Eger; böhmischer Cellist. Er war Schüler seines Vaters. 1796 trat er in die Kapelle des Fürsten Lobkowitz ein und wurde etwa zur selben Zeit Mitglied des Schuppanzigh-Quartetts. Seit 1809 war er Solocellist am Kärntnerthor-Theater in Wien und 1814-34 Kammermusiker am Stuttgarter Hof. Er gehörte zu den bedeutendsten Cellisten zu Anfang des 19. Jahrhunderts. WW: Fantasie für Vc.; Streichquartett; 5 Vc.-Konzerte. Ausg.: Za 1): Sonate D-Dur für Vc. u. Klv. oder 2 Vc., op. 2 Nr. 2, hrsg. v. C. ADAM (NY 1948); Vc.-Konzert C-Dur, hrsg. v. M. SOLO - J. CHUCHRO (Pr 1961). Lit.: K. JERING, A. K., Cellist und Komponist, in: Sudetenland 6 (1964).
KRAFT, Walter Wilhelm Johann, * 9.6.1905 Köln, t 9.5.1977 Antwerpen; dt. Organist, Komponist und Dirigent. K. studierte Klavier und Orgel am Vogt'schen Konservatorium in Hamburg und war in Berlin Kompositionsschüler von P. Hindemith. Seit 1924 wirkte er als Organist in Hamburg und Altona und seit 1929 an St. Marien in Lübeck, wo 3
Krakowiak er bis zu seinem Tode auch als Dirigent und Cembalist tätig war. Außerdem leitete er seit 1947 eine Meisterklasse an der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau und war 1950-55 Direktor der Schleswig-Holsteinischen Musikakademie in Lübeck. K., der zu den bedeutendsten Vertretern seines Faches gehörte, unternahm zahlreiche Konzertreisen, bes. nach Skandinavien. Er spielte das Gesamtwerk D. Buxtehudes und J. S. Bachs auf Schallplatte ein. WW: Fantasie Dies irae (1965) für Org. — Oratorium Christus für 3 Chöre a cap.; Lübecker Totentanz (1954) für Soli, Chöre, 16 Soloinstr., Org. u. Tänzer; Messe (1966) für Chor u. obligate Org.; Laudatio 71 (1971) für gem. Chor, 5 Bläsergruppen, einen Sprecher, Glocken, Schlagzeug u. Org.
durch das Ballett Gitana von A. Thomas berühmt, das 1826 Fanny Elsner im polnischen Nationalkostüm tanzte. In Rußland findet sich ein K. erstmals im 2. Akt von M. Glinkas Oper Ein Leben für den Zaren. Besonders bekannt wurden von Fr. Chopin der Krakowiak, Grand Rondo de concert, op. 14, und der K. im Finale des Klavierkonzerts e-moll.
KRAMÁŘ, František, řKrommer, Franz.
(1944)
KRAKOWIAK (poln.), polnischer Tanz aus der Gegend von Kraków (Krakau), im raschen 2/ 4Takt, mit charakteristischen Synkopen und symmetrischem Aufbau, der aus einem kurzen 4taktigen Anfangsrefrain, einem weiteren 4taktigen Abschnitt und einer Reprise besteht. Die Typisierung des K. richtet sich danach, ob die Synkopen auf die geraden, ungeraden oder beide Taktzeiten fallen: 108)
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G1;;r i;r ~ . :_ ~~~— . ,~ ---Der K. wird paarweise getanzt, wobei alle Paare die hüpfend und aufstampfend ausgeführten Tanzschritte der Vortänzer nachahmen. Bei Hochzeitsfesten steht der K. neben anderen polnischen Volkstänzen wie Chodzony (7Polonaise), /Mazur, Kujawiak, Oberek. — In seiner charakteristischen Rhythmisierung erscheint der K. bereits in den Lautentabulaturen des 16. und 17. Jh. unter der Bezeichnung Chorea Polonica oder Polnisch Dantz (u. a. bei Johannes von Lublin, E. N. Ammerbach, A. Nörmiger und G. L. Fuhrmann). Im 18. Jh. wurde dafür die Bezeichnung K. üblich. Der K. erfreute sich seit der Aufführung der Oper Krakowiacy i górale (1794) von J. Stefani auch in adligen und bürgerlichen Salons großer Popularität. In stilisierter Form und mit einem dreiteiligen Aufbau mit langsamem Mittelsatz fand er rasche Verbreitung in Opern, Balletten, Symphonien und sogar in der Kirchenmusik. Auch Sammlungen für Klavier wurden im 19. Jh. gedruckt. In Paris wurde der K. 4
KRANNHALS, Alexander, * 16.2.1908 Frankfurt a. M., t 15.3.1961 Karlsruhe; Schweizer Dirigent. Er studierte Klavier und Komposition an der Musikakademie in Zürich und Dirigieren (F. Weingartner) am Basler Konservatorium. Seit 1929 war er Kapellmeister am Theater in Luzern, 1934-53 Musikalischer Oberleiter am Stadttheater in Basel und Lehrer am dortigen Konservatorium. 1949-53 leitete er den Konzertverein in St. Gallen und ging anschließend als Chefdirigent an die Niederländische Oper in Amsterdam. 1953 wurde er GMD am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, wo er außerdem die Dirigentenklasse und die Opernabteilung an der Musikhochschule leitete. KRAUS, Else C., * 14.9. 1899 Darmstadt, t 2.8. 1979 Ascona; ndl. Pianistin dt. Herkunft. K. studierte in Darmstadt, Lausanne und seit 1918 bei A. Schnabel an der Musikhochschule in Berlin. Seit 1924 trat sie öffentlich auf und machte sich besonders als Interpretin moderner Klaviermusik einen Namen. 1926 studierte sie in Zusammenarbeit mit A. Schönberg dessen Klavierwerke ein. 1928-34 lehrte sie an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin und wurde dann wegen ihres Eintretens für die moderne Musik entlassen. Seitdem lebte sie auf Wylerberg bei Nimwegen. 1949 war sie in Wuppertal bei der deutschen Erstaufführung von Schönbergs Klavierkonzert die Solistin. 1951 und 1961 spielte sie das gesamte Klavierwerk Schönbergs auf Schallplatte ein und gehörte zuletzt auch der Jury des Internationalen A. SchönbergWettbewerbs in Rotterdam an. Schriften: Das Klavierwerk v. A. Schönberg, in: Jb. der Akad. für Kirchen- und Schulmusik Berlin 4 (Kas 1932); Schönbergs Klavierwerk steht lebendig vor mir, in: Melos 41 (1974). Lit.: K. H. WORNER, E. C. K., in: Musica 8 (1954).
KRAUS, H. J. Detlef, * 30.11. 1919 Hamburg; dt. Pianist. Er studierte an der Musikhochschule in Hamburg Klavier (F. Gebhardt) und Violine (W. Hanke) sowie in Berlin Klavier bei W. Kempff. 1936 debütierte er in Hamburg mit Bachs Wohltemperiertem Clavier. Seit 1957 ist er Professor an der Folkwang-Hochschule in Essen.
Krauss KRAUS, Joseph Martin, * 20.6.1756 Miltenberg am Main, t 15. 12.1792 Stockholm; dt. Komponist. Er besuchte die Lateinschule in Buchen (Odenwald) und das Jesuitengymnasium in Mannheim. Seine wichtigsten Lehrer waren der Sprachforscher und Dichter Anton Klein und der Komponist G. J. Vogler. 1773-78 studierte er Philosophie und Jura an den Universitäten Mainz, Erfurt und Göttingen und war Mitglied des „Hainbundes". 1778 übersiedelte er nach Stockholm, wo er 1781 Hofkapellmeister König Gustavs III. wurde. In dessen Begleitung unternahm er 1782-86 eine Kunstreise durch Deutschland, Italien, Frankreich und England, auf der er mit bedeutenden Komponisten wie J. Fr. Reichardt, J. G. Naumann, W. Gluck, J. Haydn, J. G. Albrechtsberger, A. Sahen und Padre Martini zusammentraf. WW (meist hsl. erhalten): 1)1nstr.-WW: Kammermusik, darunter 2 Klv.-Sonaten (1785, nach 1787); 4 V.-Sonaten; Klv.-Trio DDur (nach 1787); 9 Streichquartette; Quintett für Fl. u. 4 Str. DDur (1783). —11 Symphonien, u. a.: C-Dur (1781), c-moll (1783), D-Dur (1789) u. Symphonie funebre (1792); V.-Konzert CDur. — 2) Vokal-WW: Klv.-Lieder, Duette, Chöre u. zahlr. Kantaten; Requiem d-moll (1776); Oratorium Der Tod Jesu (1776); Trauerkantate (1792). — 3) Bihnen-WW: Opern: Proserpina, UA: Ulriksdal 1781; Soliman den andre (Soliman II.), UA: Stockholm 1789; Aeneas i Carthago (Aeneas in Carthago), UA: ebd. 1799; Quatre intermèdes et divertissement zu Molières Amphitryon, UA: Drottningholm 1787; Ballett Fiskarena (Die Fischerin), UA: Stockholm 1788. — Ferner die Abh. Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777 (F 1778).
Vielseitig begabt und gebildet, nahm K. als Schriftsteller eine wichtige Stellung in den musikästhetischen Auseinandersetzungen in der Zeit der Empfindsamkeit und des Sturm und Drangs ein. Innerhalb seines nahezu alle musikalischen Gattungen umfassenden (Euvres ragen neben den Klavierliedern, Kammermusikwerken und der Oper Aeneas vor allem die späten Symphonien und die Trauerkompositionen für Gustav III. hervor. In ihrem klassizistisch-heroischen Stil stellen sie gleichsam das Bindeglied zwischen Gluck und Beethoven dar. Ausg.: 4 Symphonien, 3 Ouvertüren, V.-Konzert C-Dur (2. Fassung), Fl.-Quintett D-Dur u. Klv.-Trio D-Dur, hrsg. v. W. LEBERMANN (Wie 1956-59); Symphonie c-moll 1783, hrsg. v. R. ENGLÄNDER (Sto 1960, Nachdr. 1970); 7 Streichquartette u. Fl.-Quintett D-Dur, hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1960-61); Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777, Faks.-Ausg. hrsg. v. F. W. RIEDEL (Mn—Salzburg 1977); Trauersymphonie und Trauerkantate, hrsg. v. J. O. RUDEN (Sto 1979). Lit.: K. MEYER, Ein Musiker des Göttinger Hainbundes, J. M. K., in: ZfMw 8 (1926/27); K. F. SCHREIBER, Verz. der musikal. Werke v. J. M. K., in: AfMw 7 (1925); DERS., Biogr. über den Odenwälder Komponisten J. M. K. (Buchen 1925); R. ENGLANDER, J. M. K. und die gustavianische Oper (Uppsala —L 1943); W. PFANNKUCH, Sonatenform u. Sonatenzyklus in den Streichquartetten von J. M. K., in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); R. ENGLÄNDER, J. M. K. u. der schwedische Dichterkreis, in: FS E.H. Meyer (L 1973); V. BUNGARDT, J. M. K. 1756-1792. Ein Meister des klass. Klavierliedes (Rb 1973);
DERS., J. M. K., ein „Outsider" der Musikgesch.?, in: Musica 31 (1977); I. LEUX-HENSCHEN, J.M. K. in seinen Briefen (Sto 1978); F. W. RIEDEL, J.M. K., ein Klassiker der Tonkunst, in: 700 Jahre Stadt Buchen (Buchen 1980). F. W. RIEDEL
KRAUSE, Christian Gottfried, getauft 17.4. 1719 Winzig (Schlesien), t 4.5. 1770 Berlin; dt. Musikschriftsteller und Komponist. K. wurde durch seinen Vater, den Stadtmusikus Christian K., in Violine, Cembalo und Pauke unterrichtet. Seit 1741 studierte er Jura in Frankfurt an der Oder. 1746 kam er als juristischer Sekretär nach Berlin und legte 1749 seine juristischen Examina ab. 1753 wurde er Advokat beim Magistrat und beim französischen Gericht in Berlin, später (wohl 1762) Justizrat. Bereits 1749 hatte er zusammen mit den befreundeten Dichtern W. L. Gleim, E. von Kleist, K. W. Ramler und dem Ästhetiker J. G. Sulzer einen „Konversations-Zirkel" gegründet, dem er seit 1764 als „Subsenior" vorstand und dem er entscheidende Anregungen für seine Ästhetik verdankte. Bei Hauskonzerten wirkte häufig auch J. J. Quantz mit. Nach Fr. Nicolai galt sein von Rode ausgemalter Musiksalon als eine Sehenswürdigkeit Potsdams. WW: 1) Kospositionen: Preußische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 u. 1757 (B o. J., 21786); weitere Lieder u. Oden mit Klv. in den von ihm hrsg. Slgen. Oden mit Melodien, 2 Bde. (B 1753 u. 1755), Oden mit Melodien (B 1761), Lieder der Deutschen, 4 Bde. (B 1767-68) sowie in anderen Slgen. der Zeit (u. a. in F. W. Marpurg, Berlinische Oden u. Lieder, 1756-63); hsl. erhalten: Oratorium Der Tod Jesu (nach Ramler, mit Rezitativen von G. Ph. Telemann). — 2) Schriften: Lettre à M. le Marquis de B. sur la différence entre la musique italienne et françoise (B 1748); Von der musikal. Poesie (B 1752, Nachdr. L 1973); Vermischte Gedanken ... , in: F. W. Marpurg, Hist.-kritische Beyträge II u. III (B 1756-57, Nachdr. Hil 1970).
K. gilt als die eigentliche zentrale Persönlichkeit der „Berliner Liederschule", die dem deutschen Liedschaffen seiner Zeit wesentliche Impulse gab. Seine von Ramler und den Ideen Spinozas, Dubos' und Scheibes beeinflußte ästhetische Grundhaltung bleibt im wesentlichen dem Denken seiner Zeit verhaftet; neue und originelle Gedanken finden sich lediglich in seinen Überlegungen zu einer Opernreform. Lit.: A. SCHERING, Ch. G. K., in: Zschr. für Aesthetik 2 (1907); J. BEAUJEAN, Ch. G. K. (Diss. Bonn 1930); H. BECKER, K., in: MGG VII; J. R. EDWARDS, Ch. G. K. Mentor of the First Berlin Song School (1973) (= Diss. Univ. of Iowa). F. BRUSNIAK
KRAUSS, Clemens, * 31. 3.1893 Wien, t 16.5. 1954 Mexico City; östr. Dirigent. K. wurde 1902 Sängerknabe der Hofburgkapelle in Wien und studierte später bis 1912 am Konservatorium Klavier, Komposition (H. Grädener) und Chorleitung. Anschließend war er nacheinander Chordirektor am Stadttheater in Brünn, Kapellmeister am Deutschen Theater Riga und in Nürnberg und Opernlei5
Krebs ter in Stettin sowie in Graz. Seit 1922 dirigierte er an der Wiener Staatsoper, deren Direktor er 1929 wurde, und leitete eine Kapellmeisterklasse an der Musikakademie. 1923 erhielt er den Professorentitel und wurde als Nachfolger W. Furtwänglers auch Dirigent der Tonkünstler- Konzerte. Seit 1924 war er in Frankfurt a. M. Opern -Intendant und Leiter der Museumskonzerte. 1934-36 dirigierte er als Nachfolger Furtwänglers an der Deutschen Staatsoper in Berlin, anschließend bis 1944 an der Bayerischen Staatsoper in München, wo er 1938 Intendant und 1943 Generalintendant wurde. Seit 1939 war er auch Direktor des Mozarteums und der Festspiele in Salzburg. Nach einem Verbot öffentlichen Auftretens in den Jahren 1945-47 war er anschließend erneut an der Staatsoper und bei den Philharmonikern in Wien tätig, seit 1950 bei den Bamberger Symphonikern, mit denen er auch in Mittel- und Südamerika konzertierte, sowie seit 1953 bei den Bayreuther Festspielen. K. gilt als einer der faszinierendsten Operndirigenten dieses Jahrhunderts. Er war mit R. Strauss eng befreundet, von dem er Arabella, Friedenstag, Capriccio (Textbuch von K.) und Die Liebe der Danae uraufführte.
Daneben nahm er sich auch anderer zeitgenössischer Opern, u. a. von A. Honegger, C. Orff und B. Britten, an und dirigierte 1930 die Wiener Erstaufführung von A. Bergs Wozzek. K. war verheiratet mit der Sängerin Viorica Ursuleac. Lit.: R. Strauss, C. K. Briefwechsel, hrsg. v. G. K. KENDE — W. SCHUH (Mn 1963, revidiert 1964). — A. BERGER, C. K. (Gr 1924, 3 1929); J. GREGOR, C. K. (W 1953); O. VON PANDER, C. K. in München (Mn 1955); G. K. KENDE, R. Strauss. u. C. K. (Mn 1960, 1964) (= Drucke z. Münchner Musikgesch. 1); DERS., Höchste Leistung aus begeistertem Herzen. C. K. als Direktor der Wiener Staatsoper (Salzburg 1971).
KREBS, Helmut, *8. 10. 1913 Dortmund; dt. Sänger (Tenor). K. studierte Musikwissenschaft sowie Gesang an der Musikhochschule in Berlin. Er begann zunächst als Konzert- und Oratoriensänger und debütierte als Opernsänger 1938 an der Städtischen Oper Berlin. 1945-47 war er am Opernhaus in Düsseldorf engagiert, dann wieder an der Städtischen Oper Berlin, der er bis zum Ende seiner Laufbahn angehörte. K. gastierte auch bei den Festspielen in Salzburg, Glyndebourne und Edinburgh sowie an den meisten großen Opernhäusern Europas. K.' eigentliche Domäne waren jedoch das Lied und das Oratorium. Vor allem in Werken von J.S. Bach war er überaus erfolgreich. Seit 1961 lehrt K. an der Frankfurter Musikhochschule (1963 Professor).
KREBS. —1) Johann Tobias, *7. 7. 1690 Heichelheim bei Weimar, t 11.2. 1762 Buttstädt; dt. Organist. Er war seit 1710 Kantor in Buttelstedt und 6
gleichzeitig Cembalo- und Kompositionsschüler von J. G. Walther und J. S. Bach. 1721 wurde er Organist an der Michaelskirche in Buttstädt. Von seinen Werken sind ein Präludium mit Fuge in C-Dur, ein Trio in c-moll sowie 5 Orgelchoräle erhalten. — 2) Johann Ludwig, Sohn von 1), * 10.10. 1713 Buttelstedt bei Weimar, t 1. 1. 1780 Altenburg; Organist. Er besuchte 1726-35 die Leipziger Thomasschule und war daneben Privatschüler Bachs, der ihm ein hervorragendes Zeugnis ausstellte. 1735-37 studierte er an der Universität, war 1737-43 Organist an der Marienkirche in Zwickau, 1744-56 Schloßorganist in Zeitz und anschließend Hoforganist in Altenburg. Nach dem Tode Bachs hatte er sich vergeblich um dessen Nachfolge im Leipziger Thomaskantorat bemüht. Das Schaffen von K. steht in der unmittelbaren Tradition J. S. Bachs, was sich besonders in den großen freien und in den choralgebundenen Orgelwerken zeigt. K. spielt auch in der Überlieferung der Bachschen Werke eine bedeutende Rolle. WW: 1) lustr.-WW: Für Org. (ausschließlich hsl. erh.): Präludien u. Fugen; Toccaten u. Fugen; Phantasien u. Fugen sowie einzelne Phantasien; Triosätze; zahlr. Choralbearbeitungen, auch für Ob. bzw. für Trp. u. Org.; für Klv. oder Cemb.: 4 Piecen, 1: 6 leichte .. . Praeambula (Nü 1740), 2: Leichte ... Suite u. 3: Französische Ouverture (Nü 1741), 4: It.... Concerto (Nü 1742); ClavierÜbung, 3 Teile (Choralvorspiele u. -variationen, Suite, Sonatinen) (Nü o. J.); Exercices... consistant en VI suites (Nü o. J.); weitere Werke hsl.; kammermusikal. Werke: 6 Sonate da camera für Fl. oder V. u. Cemb. (L 1760, 1762); Musicalfischer u. angenehmer Zeitvertreib (Sonaten für Cemb. u. Fl. oder V.) (Nü o. J.); 6 Trios für 2 Fl. oder Fl. u. V. mit Cemb. (Nü o. J.); hsl. erhalten: Sinfonia für 2 V., Va. u. Cemb.; 2 Konzerte für Laute u. Str.; 1 Konzert für Cemb. u. Str. — 2) Vokal-WW (hsl. erhalten): 2 Magnificat Vertonungen; einzelne Messesätze, Motetten u. Kantaten; Oratorio funebre auf den Tod der Königin Maria Josepha v. Polen (1757).
3) Johann Gottfried, Sohn von 2), getauft 29.5. 1741 Zwickau, t 5.1. 1814 Altenburg; Organist. Er wirkte seit 1758 als Organist, seit 1771 als Stadtkantor in Altenburg. Von ihm erschienen einige Werke für Cembalo sowie Lieder mit Melodien im Druck. Hsl. sind u. a. zahlreiche Kirchenkantaten und das Oratorium Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu (nach Ramier) erhalten. Sein Bruder Ehrenfried Christian Traugott (1753-1804) und sein Sohn Ferdinand waren ebenfalls Organisten. Ausg.: Zs 2): Altere GA der Orgel-Werke, hrsg. v. C. GEISSLER (Magdeburg 1847-48); dass., hrsg. v. G. W. KÖRNER (Erfurt usw. 1848ff.) (unvollendet). — Klavierübung, hrsg. v. K. SOLDAN (L 1959); Triosonate h-moll, hrsg. v. L. HOFFMANNERBRECHT (Lippstadt 1961) (= Organum 1I1/62); Ausgew. Orgelwerke, 3 H.e, hrsg. v. K. TITTEL (Kö 1963-66) (= Die Orgel 11 / 1 8, 20 u. 21); Suiten c-moll u. h-moll, hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT (Lippstadt 1964-65) (= Organum V/32 u. 54); Triosonaten G-Dur u. h-moll, hrsg. v. H. RUF (Wilhelmshaven 1968). Lit.: H. LUFFLER, J. L. K., Mitteilungen über sein Leben und Wirken, in: Bach-Jb. 27 (1930); K. TrrrEL, Die musikal. Ver-
Krein treter der Familie K., mit besonderer Berücksichtigung der Bachschüler J. T. u. J. L. K. (Diss. Marburg 1963); DERS., Welche unter J. S. Bachs Namen geführten Orgelwerke sind J. T. bzw. J. L. K. zuzuschreiben?, in: Bach-Jb. 52 (1966); H. ZIETZ, Quellenkritische Unters. an den Bach-Hss. P 801, P 802 u. P 803 aus dem „Krebs'schen NachlaB" (H 1969) (= Hamburger Beitr. z. Musikwiss. 1).
KREBSGANG (lat.: cancricans), Krebs, Bz. für den notengetreu rückläufigen (spiegelbildlichen) Ablauf einer Stimme, eines Themas oder eines Satzgefüges, wie er als satztechnisches Verfahren u. a. in Kanon- und Fugenkompositionen angewendet wird (2'Cancricans). In der seriellen Musik des 20. Jh. erscheint der K. als eine der 4 Reihenpermutationen. Die Reihe läßt sich so bilden, daß der K.genau der Form der transponierten Grundgestalt entspricht (z. B. in A. Weberns Symphonie op. 21): Grundgestalt
Die Technik des K.s ist auch auf rhythmische Bildungen übertragen worden. Gelegentlich finden sich Folgen von Tondauern — wie etwa bei O. Messiaen —, die symmetrisch um ein Zentrum verteilt sind und deren K. daher der Grundgestalt gleich ist
(z.B.JJ17J17JJ). KREIDEKREIS, DER, Oper in 3 Akten von Alexander von Zemlinsky (1872-1942), Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Klabund (d. i. A. Henschke), das auf der Dichtung Hui-lan-ki des Li-Hsing-Tao (14. Jh.) basiert. Ort und Zeit der Handlung: China, im 11. Jh. UA: 14. 10.1933 in Zürich, dt. EA: 19.1.1934 in Stettin. In seiner sechsten Oper griff Zemlinsky mit der Erzählung von dem Teehaus-Mädchen Haitang, das Lieblingsfrau eines Mandarins und schließlich sogar Kaiserin wird, auf ein zu seiner Zeit sehr erfolgreiches Theaterstück zurück. Bei der „reichsdeutschen UA" schien der Inhalt des Werkes einem politischen Funktionär „dem sittlichen Denken des deutschen Volkes" zu widersprechen, weshalb jede Wiederholung der Oper in Stettin verboten wurde. Jedoch ließ der Reichsdramaturg schon am 23.1. 1934 die Premiere — mit geringen Kürzungen — in Berlin zu. Zemlinsky erreicht Textverständlichkeit bei seiner Vertonung in einer überzeugenden Synthese von durchkomponierten Partien, Melodram und gesprochenem Wort. In seiner Musik erzielt er mit dem Nebeneinander von Chromatik, Quartenharmonik und Pentatonik chinesisches Lokalkolorit, ohne in klangspielerische Exotismen zu verfallen. K. LANGROCK KREIN. — 1) Grigori Abramowitsch, *6. (18. ) 3.
1879 Nischni-Nowgorod, t 6. 1. 1955 Komarowo bei Leningrad; sowjetruss. Violinist und Komponist. Er studierte 1900-05 Violine am Moskauer Konservatorium in der Klasse von Johann Hřímalý und Komposition bei R. Glière sowie 1905-08 am Leipziger Konservatorium Komposition bei M. Reger. 1908-17 unterrichtete er Violine und Musiktheorie in Moskau; 1926-34 lebte er in Paris. WW: 2 Klv.-Sonaten (1906, 1924); Sonate für V. u. Klv. (1913); Streichquartett (1915); Quartett (1947) für Klar., V., Vc. u. Klv.; für Orch.: Symphonie (1946); V.-Konzert (1934); Konzertfantasie (1948).
2) Alexander Abramowitach, Bruder von 1), * B. (20.) 10. 1883 Nischni-Nowgorod, t 21.4. 1951 Staraja Russa; sowjetruss. Komponist. Er absolvierte 1908 ein Violoncello- und KompositionsstuKrebsgang
dium am Konservatorium in Moskau, wo er 1912-17 Violoncello unterrichtete. 1918-27 arbeitete er in der Musikabteilung des Volkskommissariats für das Bildungswesen und in der Musikabteilung des Staatsverlags. In seinem Werk sind Einflüsse von A. Skrjabin, E. Grieg und der französischen Impressionisten spürbar. Seine bekannteste Komposition ist das Ballett Laurencia. WW: Klv.-Stücke; zahlr. Kammermusikwerke, u.a. 2 Streichquartette (1909-10,1950-51) u. Jewrejskije eskisy (1909-10) für Klar. u. Streichquartett. - 2 Symphonien (1925, 1945); Kaddisch (1922) für Chor u. Org.; Trauerode auf Lenin (1926) für Chor u. Orch.; SSSR (1932) für Chor. - Oper Sagmuk (1930); Ballette: Laurencia (1937); Othello (1942); Tatjana (1943), 2.Fassung (1947); ferner Musik zu L. de Vegas Maestro de danzar (1945).
3) Julian Grigorjewitsch, Sohn von 1), *20. 2. (5. 3.) 1913 Moskau; sowjetruss. Pianist und Komponist. Er studierte Komposition bei seinem Vater und 1926-32 an der École Normale de Musique in Paris bei P. Dukas. 1932-34 gab er in Frankreich Klavierabende, kehrte dann nach Moskau zurück, wo er 1934-37 am Konservatorium Orchestration unterrichtete und sich seit 1937 ausschließlich seinem kompositorischen und schriftstellerischen Schaffen widmet. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke; Kammermusik, u.a. Variationen (1959) u. 3 „Miniaturen" (1961) für Streichquartett; Fl.Quartett (1943). - Für Orch.: 2 Balladen (1932, 1942); 3 symphonische Dichtungen (1953); Liritscheskaja oda (1962); symphonische Dichtung Skaska o rybake i rybke (1970) (nach A. Puschkin); 3 Klv.-Konzerte, 1:(1929), 2. Fassung (1961), 2: (1943) u. 3: (1942), 2. Fassung (1952); Wessennjaja simfonija (1935), 2. Fassung (1959) u. Fantasie (1941) für Klv. u. Orch.; Poema (1956) für V. u. Orch. sowie V.-Konzert (1959). - Wintermärchen Serebrjannoje kopytze (1959) u. Rembrandt (1962-69) für Sprecher u. Orch. - Ballett Galateja (1933). - 2) Schritten (in Moskau erschienen): M. deFalla (1961); Simfonitscheskije proiswedenija K. Debjussi u. Simfonitscheskije proiswedenija M.
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Kreisler Rawelja (1962); A. Krejn (1964) (zus. mit N. I. Rogoschina); Stil i kolorit w orkestre (1967). Lit.: Zo 1): W. SCHIRINSKIJ, in: Sowjetskaja musyka 29 (1965). — Zu 2): J. G. KREIN — N. 1. ROGOSCHINA, A. K. (1964); D. GOJowY, Moderne Musik in der Sowjetunion bis 1930 (Laaber 1979). — Zu 3): A. ALEXANDROW, J. G. K., in: Sowjetskaja musyka 27 (1963); JU. N. TJULIN, J. K. Otscherk schisni i twortschestwa (1971).
KREISLER, Fritz, * 2.2. 1875 Wien, t 29.1.1962 New York; östr. Violinist und Komponist. Er studierte Musik bei seinem Vater, bei J. Hellmesberger d. J. und A. Bruckner in Wien, dann bei L. Massart und L. Delibes in Paris. Nach einer Konzerttournee durch die USA mit dem Pianisten Moriz Rosenthal (1888) gab er für 6 Jahre das Violinspiel auf, studierte Medizin und leistete seinen Militärdienst ab. Seit 1898 konzertierte er wieder in Europa und den USA. Nach Heilung einer Kriegsverwundung (1914) nahm er seine Konzerttätigkeit bald wieder auf. 1924-32 lebte er überwiegend in Berlin, 1933-34 in Paris, dann in den USA. K. war einer der beliebtesten Violinisten seiner Zeit. Seine AltWiener Tanzweisen für Violine und Klavier (Liebesfreud, Liebesleid, Schön Rosmarin, aus den Klassischen Manuskripten) sind bis heute als Unterhaltungsmusik erfolgreich geblieben. WW: Für V. u. Klv.: Klass. Manuskripte, 18 H.e (M.1910), urspr. unter der Vorgabe veröffentlicht, es handele sich hier um Bearbeitung älterer hsl. erhaltener Werke (u.a. v. A. Pugnani), gab K. 1935 (vgl. Lochner, s. u.) die eigene Autorschaft preis; Original-Kompositionen, 13 H.e (Mz 1910), darin Caprice viennois; Transkriptionen, 28 H.e (Mz o. J.); Meisterwerke der V., 18 H.e (Mz o.J.); Volkslieder aus Ostr., 4 H.e (Mz o.J.); V.-Konzert GDur. — Operetten Apple Blossoms, UA: New York 1919, u. Sissy, UA: Wien 1932; einige Lieder. — Ferner veröff. K. Four Weeks in the Trenches. The War Story of a Violinist (Boston — NY 1915). Lit.: L. P. LOCHNER, F. K. (NY 1950, Lo 1951, dt. W 1957) (mit Werk-Verz. u. Lit.); M. PINCHERLE — R. HADERT, F. K. (F 1956) (= Die großen Interpreten o.Nr.).
KREISLER, Georg, * 18.7. 1922 Wien; östr. Musiker und Kabarettist. Er studierte am Konservatorium der Stadt Wien und an der University of South California in Los Angeles. Nach ersten Erfolgen in Hollywood als Textautor und Komponist kehrte er 1955 nach Wien zurück. Seit Beginn der 60er Jahre arbeitet er in Deutschland. Durch Tourneen (mit seiner damaligen Frau, Topsy Köppers, und Barbara Peters) und Schallplattenaufnahmen wurde er seither als Kabarettist und Interpret seiner eigenen Lieder populär. Zu seinen bekanntesten Titeln zählen Als der Zirkus in Flammen stand, Geh'n ma Tauben vergiften im Park, Zwei alte Tanten tanzen Tango, Lieder zum Fürchten, Der Musikkritiker. Ausg.: G. K., Zwei alte Tanten tanzen Tango (Mn 1964); Ich weiß nicht, was soll es bedeuten (Z 1973, NA Mn 1975).
KREJČÍ, Iša (eig. František), * 10. 7. 1904 Prag (-Vinohrady), t 6. 3. 1968 Prag; tschechischer 8
Komponist. Nach einer musikalischen Ausbildung in Prag (Musikwissenschaft an der Karlsuniversität, Komposition bei K. B. Jirák, Dirigieren bei V. Talich) betätigte er sich als Regisseur und war 1934-45 Dirigent des tschechoslowakischen Rundfunkorchesters. 1945-58 dirigierte er am Theater in Olmütz und wurde 1958 Dirigent und Dramaturg am Nationaltheater in Prag. WW: Klv.-Stücke; Klv.-Trio mit Altsolo (1965); 4Streichquartette (1928, revidiert 1935, 1953, 1960, 1966); für Orch.: Sinfonietta-Divertimento (1939); Serenade (1950); Vivat Rossini (1967) u. Concertino für Vc. u. Orch. (1940); 4Symphonien (1955, 1957, 1963, 1966); Lieder u. Chöre. — Szenische Kantate Antigona (1932) (nach Sophokles), als Oper (1959), UA: Olmütz 1965; Oper Temno (1944), unvollendet, als Fragment aufgeführt: ebd. 1955; Ballett Maly balet, UA: Bratislava 1931. Lit.: V. STEPANEK — B. KARASEK, Tschechische Musik (Pr 1964); Contemporary Czechoslovak Composers, hrsg. v. Č. GARDAVSKY (Pr 1965).
KREMER, Gidon Markowitsch, * 27. 2. 1947 Riga; sowjetruss. Violinist. Er erhielt seit 1954 Violinunterricht bei Waldemar Sturestep an der Rigaer Musikschule und war dann 1965-73 Meisterschüler D. Oistrachs am Moskauer Konservatorium. 1967-70 gewann er die Wettbewerbe in Brüssel, Genua, Montreal und den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Mit einem ungewöhnlich breiten Repertoire von J. S. Bach bis ins 20. Jh., das besonders auch Werke moderner sowjetischer Komponisten umfaßt (A. Schnittke, Edisson Denissow), ist er einer der prominenten Violinisten der Gegenwart. K. trat 1975 erstmals in der Bundesrepublik Deutschland auf und lebt seit 1980 ständig im Westen. Er spielt ein Instrument von Guadagnini. Lit.: W.-E. VON LEWINSKI, Es geht nicht nur um schöne Töne. Ein Gespräch mit... G. K., in: fono-forum 20 (1976).
KRENEK (Křenek), Ernst, * 23.8.1900 Wien; amerik. Komponist östr. Herkunft. Er studierte seit 1916 an der Wiener Musikakademie und 1920-23 an der Berliner Musikhochschule bei Fr. Schreker. Unter dem Einfluß von H. Scherchen und des Pianisten E. Erdmann löste sich K. bald von der Esoterik Schrekers, woraufhin er bei Aufführungen seines 1. Streichquartetts (Dt. Tonkünstlerfest Nürnberg 1921) und der 1. Symphonie (Donaueschingen 1922) als „zorniger junger Mann" bekannt wurde. 1923-25 hielt er sich aufgrund einer Einladung W. Reinharts in der Schweiz auf und wurde dann am Opernhaus Kassel, später in Wiesbaden Assistent von P. Bekker. Hier konnte K., der schon 3 Opern und 2 Ballette veröffentlicht hatte, praktische Erfahrungen mit der Opernbühne sammeln; es entstand die Musik zu mehreren Schauspielen, darüber hinaus erwies sich K. in Beiträgen zu Programm-
Krenek heften und in Rundfunkvorträgen als sprachgewandter, vielseitig gebildeter Essayist. Der sensationelle Erfolg seiner Oper Jonny spielt auf, in der sämtliche Möglichkeiten der Opernbühne ausgenutzt sind, gab K. finanzielle Unabhängigkeit. Er ließ sich 1928 in Wien nieder und fand dort Anschluß an A. Berg und A. Webern, deren Zwölftonmusik er noch 1926 öffentlich kritisiert hatte. Da er glaubte, in seinen eigenen Kompositionen festgefahren zu sein, betätigte er sich überwiegend auf literarischem Gebiet und schrieb für die Frankfurter Zeitung Artikel über verschiedene kulturelle Fragen, daneben Buchbesprechungen und Reiseberichte. Cl. Krauss gab ihm mit der Bitte um eine neue Oper den Anstoß, sich wieder dem Komponieren zu widmen; es entstand Karl V. (1930-33). Das Werk blieb wie alle Kompositionen K.s aus politischen Gründen nach 1933 in Deutschland und Österreich zunächst unaufgeführt. 1938 emigrierte K. in die USA, wo er am Vassar College in Poughkeepsie bei New York 1939-42 Musiktheorie unterrichtete und gleichzeitig eigene Forschungen im Bereich der mittelalterlichen Polyphonie aufnahm. 1942 wurde er zum Leiter der Musikabteilung an der Hamline Univ. in St. Paul (Minn.) ernannt und erhielt einen Lehrauftrag für Musikgeschichte und Musikwissenschaft. 1947 nahm der 1945 eingebürgerte K. seinen Wohnsitz in Kalifornien, wo er als Gastdozent an verschiedenen Universitäten lehrte. 1950 begann er mit regelmäßigen Konzert- und Vortragsreisen durch Europa; insbesondere in Deutschland und Österreich wurden ihm zahlreiche hohe Auszeichnungen verliehen. Ausdruck für die weitgehende Wertschätzung K.s sind die K.-Festivals in Raleigh/N. C. (1963), Minneapolis - St. Paul (1965 und 1975), Graz (1969), Palm Desert / Calif . (1975) und Santa Barbara/Calif. (1979). WW: 1) 1ettr.-WW: a) Für Klv.: Toccata u. Chaconne, op. 13 (1922); 6 Sonaten, op. 2 (1919), op. 59 (1928), op. 92/4 (1943), op. 114 (1948), op. 121 (1950), op. 128 (1951); 2 Suiten, op. 26 (1924); Hurrican Variation (1944), Orch.-Fassung als Tricks and Trifles (1945); George Washington Variation (1950); Twenty Miniatures (1953), daraus Six for Two, bearb. für 2 Klv. (1954); Echoes from Austria, op. 166 (1958); Sechs Vermessene, op. 168 (1958). - b) Zahlr. Kammermusikwerke, u. a.: 2 Sonaten f. V. (1924/25, 1948); Trio für V., Klar. u. Klv. (1946); 7 Streichquartette, op. 6 (1921), op. 8 (1921), op. 20 (1923), op. 24 (1923/24), op. 65 (1930), op. 78 (1936), op. 96 (1943/44); Streichtrio(1948); Parvula corona musicalis ad honorem J. S. Bach (1950) für Streichtrio; Bläserquintett (1952), Neufassung als: Pentagramm, op. 163 (1957); Marginal Sounds (Grenzklänge), op. 162 (1957) für V., Celesta, Klv. u. Schlagzeug; Hexaeder, op. 167 (1958) für Kammerensemble; Flötenstück neunphasig, op. 171 (1959) für Fl. u. Klv.; Hausmusik (1959) für versch. lnstr.-Kombinationen; Sonate für V. u. Org. (1979). - c) Für Orch.: 5 Symphonien, op. 7 (1921), op. 12 (1922), op. 16 (1922), op. 113 (1947), op. 119 (1949); 2 Concerti grossi, op. 10 (1921), op. 25 (1924); Symphonische Musik, op. 11 (1922) für 9 Soloinstr.; 4 Klavierkonzerte: op. 18 (1923), op. 81 (1937), op. 107 (1946), op. 123 (1950);
Concertino, op. 27 (1924) für Fl., V., Cemb. u. Str.-Orch.; 2 V.Konzerte, op. 29 u. 140 (1924, 1950); Kleines Konzert, op. 88 (1939/40) für Klv., Org. u. Kammer-Orch.; I Wonder as I Wander, op. 94 (1942); Doppelkonzert (1950) für V. u. Klv.; Konzert für 2 Klv. (1951); Konzert für Harfe u. Kammerorch. (1951); Sinfonietta La brasileira, op. 131 (1952); Scenes of the West, op. 134 (1952/53) für Schul-Orch.; Vc.-Konzert (1953); 11 Transparente (1954); Kette, Kreis u. Spiegel (1956/57); Quaestio temporis, op. 170 (1958/59); Horizon circled, op. 196 (1967); Perspektiven, op. 199 (1967); Fivefold Enfoldment, op. 205 (1969); Statisch u. Ekstatisch (1971/72); Auf- und Ablehnung, op. 220 (1974). d) Elektronische Musik: San Fernando Sequence, op. 185 (1963); Instant Remembered (Augenblick erinnert) (1969) für Sopr., Orch. u. Sprecher; Doppelt beflügeltes Band (Tape and Double) (1969) für 2 Klv. u. Tonband; Orga-Nastro (1971) für Org. u. Tonband. - 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder u. Liederzyklen sowie a cap.Chöre; Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen (1932) für Chor, Sopran u. Klv.; Lamentatio Jeremiae Prophetae, op. 93 (1940/41) für gem. Chor a cap.; Ich singe wieder, wenn es tagt (1956) (nach Walther von der Vogelweide) für gem. Ch. u. Str.Orch.; Missa duodecim tonorum, op. 165 (1958) für gem. Ch. u. Org.; Glauben u. Wissen, op. 192 (1966) für Ch. u. Orch.; Dt. Proprium für das Dreifaltigkeitsfest, op. 194 (1966/67) für Sopran, Ch., Gemeinde, 2 Trp., Pk. u. Org.; Dt. Messe (1967) für 4 gem. St., Klar., Trp., 2 Pos., Pk., Schlagzeug u. Org.; Messe „Gib uns den Frieden" (1970) für Soli, Ch. u. Orch.; The Dissembler, op. 229 (1978), Monolog für Bar. u. Kammerorch. - 3) Biihesnwerke: Opern (Libr. von K., wenn nicht anders angegeben): Zwingburg (Libr.: F. Werfel), UA: Berlin 1924; Sprung über den Schatten, UA: Frankfurt 1924; Orpheus u. Eurydice (Libr.: O. Kokoschka), UA: Kassel 1926; Jonny spielt auf, UA: Leipzig 1927; 3 Einakter, UA: Wiesbaden 1928: Der Diktator (1926), Das geheime Königreich (1926/27), Schwergewicht oder die Ehre der Nation (1927); Leben des Orest, UA: Leipzig 1930; Karl V., UA: Prag 1938, Neufassung Düsseldorf 1958; Cefalo e Procri (Libr.: R. Küfferle), UA: Venedig 1934; Tarquin (Libr.: E. Lavery), UA: Köln 1950; What Price Confidence? (Vertrauenssache), UA: Saarbrücken 1962; Dark Waters, UA: Los Angeles 1950; Pallas Athene weint, UA: Hamburg 1955; The Belltower (nach H. Melville), UA: Urbana 1957; Ausgerechnet u. verspielt, UA: Wien 1962; Der goldene Bock, UA: Hamburg 1964; Der Zauberspiegel, UA: München 1966; Das kommt davon, oder Wenn Sardakai auf Reisen geht, UA: Hamburg 1970. - Ballette: Mammon (1925); Der vertauschte Cupido (1925); Eight Column Lines (Schlagzeile) (1939); Jest of Cards (1957); ferner Bühnenmusik. - 4) Scbriften u. Lebrwerke: Über Neue Musik (W 1937, Nachdr. Da 1977); Music Here and Now (NY 1939,'1967); Studies in Counterpoint (ebd. 1940), dt. übers.: Zwölfton -Kontrapunkt-Studien (Mz 1952); Selbstdarstellung (Z 1948); Musik im goldenen Westen (W 1949); J. Ockeghem (NY - Lo 1953); De rebus prim factis (F 1956); Modal Counterpoint (Lo 1958, NY 1959); Tonal Counterpoint (NY 1958); Zur Sprache gebracht, hrsg. v. Fr. Saathen (Mn 1958); Gedanken unterwegs, hrsg. v. dems. (Mn 1959); Prosa, Dramen, Verse (Mn 1965); Das musikdramatische Werk, 3 Bde. (W 1974 bis 1979) (= Ostr. Dramatiker der Gegenwart). - AuBerdem war K. Hrsg. der Hamline Studies in Musicology, 2 Bde. (St. Paul/Minn. 1945-47).
K.s umfangreiches, vielseitiges Schaffen weist keine geradlinige Entwicklung auf. In seiner Selbstdarstellung (1948) nennt K. die „Idee reiner, kompromißloser Schöpfung, unabhängig von den Strömungen des Tages, ja vielfach diesen ausdrücklich entgegengesetzt", und „die Versuchung, praktische Resultate ,in dieser Welt' zu erzielen", als Triebfedern seines Schaffens. Die Frühwerke sind in der 9
Krenz Verbindung von energischer Motorik und emotionaler Intensität Ausdruck einer persönlichen Sturm-und-Drang-Epoche, die folgende Hinwendung zur „Gebrauchsmusik" — unter deutlichem Einfluß der Groupe des Six — gipfelte in derJazzoper Jonny spielt auf (1926). Neben Elementen des Jazz griff K. in steigendem Maße, um dem vermeintlichen Publikumsgeschmack zu entsprechen, auf Mittel der Musik des 19. Jh. zurück und bekannte sich mit dem Reisebuch aus den österreichischen Alpen (1929) zu Fr. Schubert. Um 1930 griff er bei dem Liederzyklus Durch die Nacht die Zwölftontechnik auf, die er nach seinem Studium der griechischen Modaltheorie, des Gregorianischen Gesangs und der frühen Choralpolyphonie zu einem Rotationsverfahren entwickelte. Im Bereich der seriellen Musik lieferte K. mit Sestina (1957) eines der radikalsten Beispiele für total prädeterminierte Musik; die Möglichkeiten elektronischer Musik nutzte er u. a. in dem Pfingstoratorium Spiritus intelligentiae, sanctus (1956). In den Werken seit dem nach eigenem Bekunden autobiographischen Liederzyklus Spätlese (1973) bestätigt sich, daß für K. die Dichtung integraler Bestandteil der Komposition ist. Er nutzt alle möglichen musikalischen Mittel, um „tönende Ordnungen zu schaffen"; sein Gesamtwerk reflektiert wie bei keinem anderen Komponisten die Breite der musikalischen Entwicklung seit 1920. Lit.: E. K., Verz. sämtlicher Werke 1918-64 (W 1964); Th. W. Adorno u. E. K., Briefwechsel, hrsg. von W. ROGGE (F 1974). — M. J. COLUCCI, A Comparative Study of Contemporary Musical Theories in Selected Writings of Piston, K., and Hindemith (1957) (= Diss. Univ. of Pennsylvania); G. HAUSSWALD, Musica sacra in Zwölftontechnik, in: MuK 28 (1958); W. ZILLIG, Variationen über neue Musik (Mn 1959); R. TIMPER, E. K. zw. Gestern u. Morgen, in: Die Wiener Schule, hrsg. v. R. Klein (W 1961); R. STOCKHAMMER, E. K.s „Reisebuch aus d. östr. Alpen", in: SMZ 102 (1962); W. SCHUH, E. K.s „Karl V." in München, in: SMZ 105 (1965); L. KNESSL, E. K. (W 1967) (= Ostr. Komp. des 20. Jh. 12); A. G. HUETTEMAN, E. K.'s Theories an the Sonata and Their Relations to His Six Piano Sonatas, 2 Bde. (1968) (= Diss. Univ. of Iowa); W. ROGGE, E. K.s Opern, Spiegel der zwanziger Jahre (Wb — Z 1970); F. WILLNAUER, Der unzeitgemäße Zeitgenosse, in: Musica 24 (1970); H. H. STUCKENSCHMIDT, Die groBen Komponisten unseres Jh. 1 (Mn 1971); J. HUGHES, E. K. Festival Concerts, in: MQ 62 (1976); TH. KOEBNER, Die Zeitoper in den zwanziger Jahren, in: Erprobungen u. Erfahrungen, hrsg. v. D. Rexroth (Mz 1978) (= Frankfurter Stud. 2); M. ZENCK, Avantgarde ohne Fortschrittsideologie, in: Musica 33 (1979); C. MAURER ZENCK, Unbewältigte Vergangenheit. K.s „Karl V." in Wien, in: Mf 32 (1979); N. TSCHULIK, Die verhinderte UA v. K.s „Karl V.", in: OMZ 34 (1979); Musica 34 (1980) H. 2 (= Sonderh. E. K.); C. MAURER ZENCK, E. K., Komponist im Exil (Kö 1980). K. LANGROCK
KRENZ, Jan, * 14. 7. 1926 Wloclawek; poln. Dirigent. Er studierte Klavier, Dirigieren und Komposition an den Musikhochschulen Warschau und 10
Lódí und leitete bereits mit 19 Jahren sein erstes Konzert. 1947-49 war er Dirigent des Philharmonischen Orchesters in Posen; 1953 wurde er als Nachfolger von G. Fitelberg zum Direktor und Chefdirigenten des Polnischen Rundfunk-Symphonieorchesters, 1968 zum GMD an das Teatr Wielki (Staatsoper) in Warschau berufen. 1979-82 war er GMD der Stadt Bonn. K. ist ständiger Gastdirigent der großen Orchester in Europa und bei den Festspielen u. a. in Edinburgh, Prag, Bergen, Montreux und Osaka; sein Repertoire umfaßt Werke von Cl. Monteverdi bis Kr. Penderecki. Er ist auch als Komponist hervorgetreten (u. a. mit 2 Symphonien, Kammermusik, Liedern, Film- und Bühnenmusik). KRETZSCHMAR, Hermann, * 19. 1. 1848 01bernhau (Erzgebirge), t 12. 5. 1924 Berlin(-Lichterfelde); dt. Musikforscher. Er besuchte die Kreuzschule in Dresden und studierte dann in Leipzig Philologie an der Universität (1871 Promotion zum Dr. phil.) und Musik am Konservatorium, wo er 1871 selbst Lehrer wurde. In der Folge entfaltete er eine reiche Dirigententätigkeit in Leipzig, Metz (1876), Rostock (seit 1877) und wieder in Leipzig (seit 1887). Dort war er Universitätsmusikdirektor und Dozent (später Professor) für Musikgeschichte und veranstaltete u. a. Konzerte mit „historischen" Programmen. 1904 folgte er einem Ruf auf das neugegründete Ordinariat für Musik an der Universität in Berlin. Hier leitete er außerdem 1909 bis 1920 als Nachfolger J. Joachims die Hochschule für Musik. — K. war neben H. Riemann der bedeutendste deutsche Musikhistoriker seiner Zeit. Zu vielen Bereichen hat er Werke geschrieben, die bis heute grundlegend und anregend sind: zur Geschichte der Gattungen, zur musikalischen Aufführungspraxis, Ästhetik und OEHermeneutik. Aber er nahm auch als erfahrener Praktiker engagiert zu aktuellen Musikalischen Zeitfragen Stellung (so der Titel einer Publikation gesammelter Aufsätze aus verschiedenen Zeitschriften, L 1903). Die größte Breitenwirkung erzielte K.s Führer durch den Konzertsaal, der in seiner Gesamtkonzeption und in den einzelnen Werkanalysen zugleich ein wichtiges Zeugnis für die Popularisierung musikwissenschaftlicher Erkenntnisse im ersten Viertel des 20. Jh. darstellt. WW: 1) Schriften: Führer durch den Konzertsaal, I: Sinfonie u. Suite (L 1887), bearb. v. F. Noack, H. Botstiber u. H. Engel (71932), II: Vokalmusik, 1: Kirchliche Werke (ebd. 1888,'1921), 2: Oratorien u. weltliche Chorwerke (ebd. 1890), bearb. v. H. Schnoor ('1939); Die Venezianische Oper u. die Werke Cavallis u. Cestis, in: VfMw 8 (1892); Monteverdis Incoronatione di Poppea, in: ebd. 10 (1894); Bemerkungen über den Vortrag alter Musik, in: Jb. Peters 7 (1900); Anregungen zur Förderung musikal. Hermeneutik, in: ebd. 9 (1902); Neue Anregungen zur Förderung
Kreutzer musikal. Hermeneutik. Satzästhetik, in: ebd. 12 (1905); Gesammelte Aufsätze über Musik u. anderes aus dem Grenzboten (L 1910); Gesammelte Aufsätze aus dem Jb. Peters (L 1911, Nachdr. 1973); Gesch. des Neuen dt. Liedes I (L 1911, Nachdr. Hil - Wie 1966); Gesch. der Oper (L 1919, Nachdr. Wie 1970); Einführung in die Musikgesch. (L 1920, Nachdr. Wie 1970); Bach-Kolleg. Vorlesung über J. S. Bach (L 1922). - 2) Editionen: J. S. Bachs Hss. in zeitlich geordneten Nachbildungen (= BachGA 44); 1. Holzbauer, Günther v. Schwarzburg (1902) (= DDT 8/9); E. Bach, Fabeln u. V. Herbing, Musikal. Versuch (1910) (= DDT 42). Lit.: A. EINSTEIN, H. K., in: ZfMw 6 (1923/24); H. ABERT, Zum Gedächtnis H. K.s, in: Jb. Peters 31 (1925); R. HEINZ, Gesch. als angewandte Ästhetik. Zum Verhältnis Musikästhetik, Musiktheorie bei F. Chrysander u. H. K., in: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik, hrsg. v. W. Wiora (Rb 1969) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 14); W. BRAUN, K.s Hermeneutik, in: Beirr. z. musikal. Hermeneutik, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1975) ( = ebd. 43).
KREUDER, Peter Paul, * 18. 8.1905 Aachen, t 28.6.1981 Salzburg; dt. Komponist. Bereits mit 10 Jahren trat er als Pianist auf. Nach Studium in Berlin, München und Hamburg und ersten Engagements als Korrepetitor und Bühnenpianist war er 1928-30 musikalischer Leiter der Reinhardtbühnen in Berlin und avancierte bald zum erfolgreichsten deutschen Schlager-, Tonfilm- und Bühnenkomponisten. 1937 wurde er Staatsmusikdirektor der Bayerischen Staatsoperette in München. Nach dem Krieg ging K. nach Südamerika, war dort musikalischer Leiter verschiedener Rundfunkstationen und wurde 1950 vom argentinischen Staatspräsidenten Juan Perón zum Prof. h.c. ernannt; 1955 kehrte er nach Europa zurück. Seit 1959 ist er östr. Staatsbürger. K. veröffentlichte Autobiographisches unter den Titeln Schön war die Zeit (Mn 1955) und Nur Puppen haben keine Tränen (Percha 1971). Zu seinen zahlreichen Evergreens gehören Ich brauche keine Millionen, Sag' beim Abschied leise „Servus", Für eine Nacht voller Seligkeit, In einer Nacht im Mai und Good Bye Johnny. WW: Sinfonie C-Dur („Die Brasilianische"); etwa 1200 Schlager. - Operetten, u. a. Balmusette (1959); Opern: Der Zerrissene, UA: Stockholm 1940, u. Der Postmeister (1966); Musicals: Madame Scandaleuse, UA: Wien 1958; Lady aus Paris, UA: ebd. 1964; Lola Montez (1973); Wedding Mary (1976); Filmmusik zu: Peter Voß, der Millionendieb; Mazurka; Allotria; Capriolen; Eine Nacht im Mai u. a.; ferner Biihnenmusik.
KREUTZBERG, Harald, * 11.12. 1902 Reichenberg (Böhmen), t 25.4.1968 Muri bei Bern; dt. Tänzer. Er wurde von Mary Wigman und R. von Laban unterrichtet. Seine Laufbahn begann am Opernhaus in Hannover, führte ihn an die Berliner Staatsoper und 1928 zu den Salzburger Festspielen. Zahlreiche Tourneen im In- und Ausland mit F. Wilkens als musikalischem Begleiter machten ihn als Solotänzer mit eigenen Tanzschöpfungen weltberühmt. Er unterrichtete an Universitäten in
Nordamerika, war eine Zeitlang Leiter der Klasse für Tänzer und Tanzstudierende am Mozarteum in Salzburg, wirkte als Gastdozent bei den Zürcher Sommerkursen sowie 1941 an der Staatlichen Akademie der Tanzkunst in Wien. Seit 1955 leitete er eine eigene Tanzschule in Bern. K. wirkte 1957 auch bei den Bayreuther Festspielen mit. 1959 zog er sich vom aktiven Tanz zurück und widmete sich bis zu seinem Tode der pädagogischen Arbeit. K., einer der bedeutendsten Vertreter des mimischen Solotanzes, übte entscheidenden Einfluß auf die Bewegung des amerikanischen Modern dance aus. Er schrieb eine Autobiographie Ober mich selbst (Detmold o. J.). Lit.: H. WILLE, H. K. (L 1930); E. PIRCHEN, H. K. Sein Leben u. seine Tänze (W '1950); DERS., Das K.-Buch (St 1956).
KREUTZER, Conradin (eig. Conrad), * 22. 11. 1780 Meßkirch (Baden), t 14.12. 1849 Riga; dt. Komponist. Er erhielt seine schulische und erste musikalische Ausbildung in einem Benediktinerkloster (Unterricht für Klarinette, Oboe, Klavier, Orgel und Violine) und begann 1799 auf Wunsch des Vaters in Freiburg im Breisgau ein Jurastudium, widmete sich aber nach dessen Tod seit März 1800 ausschließlich der Musik. Schon aus den letzten Schülerjahren und der Studentenzeit datieren erste Kompositionen und erfolgreiche Aufführungen kleiner Opern. Seit 1804 studierte er bei J. G. Albrechtsberger in Wien, begab sich 1810 auf eine Konzertreise und blieb 1812 in Stuttgart, wo seine Opern Feodora und Konradin von Schwaben erfolgreich aufgeführt wurden und König Friedrich I. ihn deshalb als Nachfolger Fr. Danzis zum Hofkapellmeister ernannte. 1816 mußte er den Dienst wieder quittieren, doch erhielt die Begegnung mit L. Uhland und dem schwäbischen romantischen Dichterkreis in dieser Zeit für ihn entscheidende Bedeutung. 1818-22 war er Kapellmeister in Donaueschingen, 1822-27, 1829-32 und 1834-40 am Kärntnerthor-Theater in Wien, dazwischen 1833-34 am Josephstädter Theater (mit der sehr erfolgreichen Uraufführung der Oper Das Nachtlager von Granada), sowie 1840-42 Städtischer Musikdirektor in Köln. In den letzten Lebensjahren begleitete er seine älteste Tochter Cäcilie, eine Sängerin, auf Konzertreisen durch Europa. WW: Instrumentalmusik, darunter 3 Klv.-Konzerte und Kammermusik. - 2 Oratorien, u. a. Moses' Sendung, UA: Stuttgart 1814; Messen, geistliche Chorwerke, Hymnen, Kantaten, Männerchöre, Lieder. - Singspiele Die lächerliche Werbung, UA: Freiburg, um 1800, u. Jery und Bätely (Text: J. W. von Goethe), UA: Wien 1810. - Opern: Konradin von Schwaben, UA: Stuttgart 1812; Feodora (nach A. von Kotzebue), UA: Stuttgart 1812: Der Taucher (nach F. von Schiller), UA: Stuttgart 1813, umgearbeitet 1823; Die Alpenhütte (nach Kotzebue), UA: Stuttgart 1815; Libussa, UA: Wien 1822; Melusine (nach F. Grillparzer),
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Kreutzer UA: Berlin 1833; Das Nachtlager von Granada, UA: Wien 1834; ferner Bühnenmusik.
K. zählt zu den fruchtbarsten Komponisten zur Zeit der deutschen Romantik, der in allen Gattungen ansprechende Kompositionen schuf. In der Wahl
seiner musikalischen Stilmittel verfuhr er durchaus eklektizistisch. Seine dramatischen Werke weisen ihn für diese Gattung als minderbegabt aus (bekannt sind heute eigentlich nur Das Nachtlager von Granada und die Bühnenmusik zu F. Raimunds Verschwender); mehr lag ihm die lyrische Ausdruckshaltung, und er darf wohl als der geistige Träger des einstimmigen Kunstlieds in Schwaben bezeichnet werden. Durch K.s Melodien wurden die Gedichte der schwäbischen Romantiker, vor allem L. Uhlands, Volksgut. Ausg.: Trio Es-Dur für Klv., Klar., Fag., hrsg. v. H. SCHULTZ (L 1956); Lieder, in: A. LANDAU, Das einstimmige Kunstlied C. K.s (L 1930); Lieder, in: Das Wiener Lied von 1792 bis 1815, hrsg. v. H. MASCHEK - H. KRAUS (W 1935) (= DTO 79); Septett Es-Dur op. 62, hrsg. v. V. RECHTENBACHER (W 1968); Klar.-Quartett Es-Dur, hrsg. v. B. PAULER (Z 1974); Duo für 2 Klar. C-Dur, hrsg. v. DEMS. (Z 1975). Lit.: R. KRAUSS, C. K. als Stuttgarter Hofkapellmeister, in: NMZ (1902); A. PRUMERS, Aus K.s Briefwechsel, in: ebd. (1912); R. ROSSMAYER, K. als dramatischer Komponist (Dias. W. 1928); A. LANDAU, Die Klaviermusik C. K.s, in: ZIMw 13 (1930/31); DIES., Das einstimmige Kunstlied C. K.s u. seine Stellung zum zeitgen. Lied in Schwaben (L 1930, Nachdr. Niederwalluf 1972); H. LEISTER, K. K.s Lieder für Männerchor (Diss. Mz 1963). J. SCHLÄDER
KREUTZER. — 1) Rodolphe, * 16. 11. 1766 Versailles, t 6. 1. 1831 Genf; frz. Violinist und Komponist. Er studierte Violine bei seinem Vater, einem Mitglied der Chapelle Royale, und Komposition bei A. Stamitz. Mit 13 Jahren spielte er ein eigenes Violinkonzert im Concert spirituel, mit 16 Jahren wurde er Nachfolger seines Vaters als Violinist der Chapelle Royale (1783-92), 1790 Soloviolinist am Théâtre-Italien, wo im selben Jahr seine erste Oper Jeanne d'Arc à Orléans aufgeführt wurde. 1801 wurde er 1. Soloviolinist, 1816 2. und 1817 1. Kapellmeister an der Opéra, 1802 Mitglied der Chapelle du Premier Consul und war 1815-27 als Kapellmeister der Chapelle Royale tätig. Außerdem war er 1795-1825 Professor für Violine am Pariser Conservatoire. Neben P. Rode und Fr. Baillot war K. einer der bedeutendsten Violinisten seiner Zeit. Seine Etüden gehören zum festen Bestand des Violinunterrichtes. Auf einer Konzertreise traf K. 1798 in Wien L. van Beethoven, der ihm die Violinsonate op. 47 (1805) widmete, die dann unter der Bezeichnung „Kreutzer-Sonate" bekannt wurde; K. hat sie jedoch wahrscheinlich nie selbst gespielt. WW: 40 Études ou Caprices pour le violon (P 1807) (mit zahlr. Aufl.); gedruckt wurden ferner Duos für 2 V., für V. u. Va., für 2 Fl.; Sonaten für V. u. BaB sowie für Klv. u. V.; 15 Trios für 2 V.
12
u. BaB, für Ob. oder Klar., Fag. u. Va., für Harfe, V. u. Horn; 15 Streichquartette; 3 Symphonies concertantes für 2 V., für Harfe u. V., für 2 Klv. u. Orch.; 19 V.-Konzerte; 1 Ob.-Konzert. - Etwa 40 Bühnenwerke, von denen mehrere auch gedruckt wurden, u. a. Jeanne d'Arc à Orléans, UA: Paris 1790; Paul et Virginie u. Lodoiska, UA: Paris 1791; Aristippe, UA: ebd. 1808; L'homme sans façon, UA: ebd. 1812. - K. veröff. auch eine Méthode de violon (P 1803, Nachdr. G 1974) (zus. mit P. Rode u. F. Baillot).
2) Jean Nicolas Auguste, Bruder von 1), * 3.9. 1778 Versailles, t 31. 8. 1832 Paris; Violinist. Er studierte bei seinem Bruder, spielte seit 1798 im Orchester der Opéra-Comique, 1802-23 an der Opéra und war 1804-30 auch Mitglied der Chapelle Impériale bzw. Royale. 1825 wurde er Nachfolger seines Bruders als Professor für Violine am Pariser Conservatoire. Er veröffentlichte verschiedene Arien, Soli und Duos für V., 3 Sonaten für V. und Baß sowie 2 Violinkonzerte. — Sein Sohn Léon Charles François (1817-68) war ebenfalls Komponist und trat auch als Musikschriftsteller
hervor. Ausg.: Za 1): V.-Konzert Nr. 19 u. Nr. 13 D-Dur, hrsg. v. W. DAVISSON (L 1953, 1959); V.-Konzert Nr. 18 e-moll u. Nr. 14 A-Dur, hrsg. v. F. HERMANN (L 1959, 1960). Lit.: Zs 1): J. HARDY, R. K., sa jeunesse il Versailles (P 1910); F. FRIEBE, R. K. als Opernkomponist, in: Chigiana 23, N.S. 3 (1966); D. THEMELIS, Étude ou Caprice. Die Entstehungsgesch. der Violinetüde (Mn 1967); M. D. WILLIAMS, The V. Concertos of R. K. (1973) (= Diss. Indiana Univ.).
KREUZ (engl.: sharp; frz.: dièse; it.: diesis; span.: sostenido), aus dem Schriftzeichen des „b durum" (OH) entstandenes Versetzungszeichen (řAkzidentien), das die Erhöhung der folgenden Note um einen Halbton anzeigt und auch als Zeichen für die große Terz in der /Generalbaß-Bezifferung gebräuchlich ist. Einzeln bzw. in Gruppen dient es zur Vorzeichnung der Tonart am Anfang der Notenlinien bei den sog. Kreuz-Tonarten (G-Dur, D-Dur usw. im Quintenzirkel aufwärts und parallele Molltonarten e-moll, h-moll usw.). — Seit dem 13. Jh. wurde das K. als Zeichen verwendet, das die Erniedrigung einer Note durch b aufhob; erst Anfang des 14. Jh. erhielt es selbst die Bedeutung eines Akzidens. In der älteren geistlichen Vokalmusik wurde das K. — gleichsam als optisches Signal — gelegentlich in Beziehung gesetzt zu entsprechenden Textworten, so möglicherweise bereits von G. de Machaut (Credo der Messe de Nostre-Dame bei dem Wort Crucifixus). Am auffälligsten geschieht dies später bei J. S. Bach (Kantate BWV 56, 1. Arie):
Ich will den
Kreuzstab
ger
- ne
In der hsl. Partitur hat Bach hier das Wort Kreuzstab, zusätzlich durch den griechischen Buchstaben
Krieger X (= Chi) symbolisierend auf Christus hinweisend, als Xstab geschrieben. Dieser auffälligen musikalischen und textlichen Schreibweise entspricht in der musikalischen Faktur der auffällige melodische Sprung b—eist, der in der Figurenlehre des 17. Jh. als Saltus duriusculus bezeichnet wird. KREUZBERGER STREICHQUARTETT, gegr. 1971 in Berlin. Es spielt in der Besetzung: Friedegund Riehm und Rainer Johannes Kimstedt, abwechselnd 1. und 2. Violine, seit 1980 anstelle von Kimstedt Winfried Rüssmann als Primarius; Hans Joachim Greiner, Viola; Barbara Brauckmann, seit 1976 Peter Gerschwitz, Violoncello. Das Quartett errang 1974 den 1. Preis beim Internationalen Musikwettbewerb in Genf und begann damit eine internationale Konzerttätigkeit. Im Mittelpunkt seines Repertoires steht das Schaffen von L. Janáček und P. Hindemith. KŘIČKA, Jaroslav, * 27.8.1882 Kelč (Mähren), t 23.1.1969 Prag; tschechischer Komponist. Er studierte an der Universität und am Konservatorium in Prag sowie in Berlin. Zunächst war er Kompositionslehrer in Jekaterinoslaw (Rußland), 1911 bis 1920 Chorleiter in Prag und wurde 1921 Professor für Komposition am Prager Konservatorium, wo er 1936-45 die Meisterklasse für Komposition leitete. Dann widmete er sich ausschließlich seinem kompositorischen Schaffen, das sowohl von der russischen Musik wie von V. Novák beeinflußt war. WW: 1) Iestr.-WW: Klv.-Stücke; V.-Sonate e-moll (1925); Sonatine für V. u. Klv. (1962); Klv.-Trio Doma (1923/24); 3 Streichquartette (1907, 1938/39, 1949); Divertimento für Bläserquintett (1950). - Für Orch.: Symphonie d-moll (1905-07), neues Finale (1942); Serenade für Str. (1940/41); Proč, jaro vïdy tak popícháš (1962); Sinfonietta semplice (1962); V.-Konzert (1944). - 2) Vokal-WW: Lieder; Chöre; Kantate Praha (1960). 3) Bkhaeo-WW: Opern: Hipolyta, UA: Prag 1917; Bfly pan, UA: Brünn 1929, als Spuk im SchloB, Breslau 1931; Král Lávra, UA: Prag 1940; Serenáda, UA: Pilsen 1950; Jáchym a Juliana, UA: Troppau 1951; ferner eine Fernsehoper, musikal. Komödien u. Operetten. Lit.: Contemporary Czechoslovak Composers, hrsg. v. Č. GARDAVSKY (Pr 1965).
KRIEGEL, Volker, * 24.12.1943 Darmstadt; dt. Jazzmusiker (Gitarrist, Bandleader und Komponist). Er gründete 1962 ein Trio und wurde 1964 beim Jazz-Amateur-Festival in Düsseldorf zum besten Solisten gewählt. K. gründete 1968 mit dem amerikanischen Vibraphonisten David Pike das „Dave Pike Set", das bis Ende 1972 erfolgreich war. Danach formierte er die Gruppe „Spectrum", dann das „Mild Maniac Orchestra", das als eine der erfolgreichsten Jazz-Rock-Bands Deutschlands angesehen wird. KRIEGER, Adam, * 7. 1. 1634 Driesen (Neu-
mark), t 30. 6. 1666 Dresden; dt. Komponist. Er war Schüler von S. Scheidt in Halle a. d. Saale und folgte J. Rosenmüller als Organist an der Nikolaikirche in Leipzig (1655-57), bewarb sich 1657 erfolglos um das Thomaskantorat und wurde 1658 zum Organisten am Dresdener Hof ernannt, wo er auch Klavierlehrer der kurfürstlichen Prinzessin war. K. war der beliebteste deutsche Liedkomponist des 17. Jahrhunderts. Seine Ariensammlungen (teilweise mit eigenen Dichtungen) enthalten hauptsächlich strophische Sololieder mit B.c., meist 2teilig und mit 5st. Ritornellen für Streicher. In der Melodik verbinden sich Einflüsse der italienischen Opernmonodie mit tanz- und volksliedmäßigen Elementen. Zahlreiche Lieder K.s wurden auch in geistlicher Parodie in den evangelischen Kirchengesang übernommen. Am bekanntesten davon wurde Nun sich der Tag geendet hat. WW: Im Druck erschienen: Arien für 1-3 St. mit 2 V. u. B.c. (L 1657) (unvollständig erhalten); Neue Arien für 1-5 St. mit 2 V., 2 Violen u. B.c. (Dresden 1667, 21676); ferner Gelegenheitskompositionen. - Eine Kantate u. weltliche Gesänge sind hsl. erhalten. Ausg.: Neue Arien u. 6 Lieder aus dem Liederbuch des Studenten Clodius, hrsg. v. A. HEUSS (1905, revidiert W -Gr 1958) (= DDT 19); Kantate An den Wassern zu Babel, hrsg. v. H. OSTHOFF (Kas 1948); 42 Lieder aus den Arien v. 1657, in: N. SCHIORRING, Det 16. og 17. ârhundredes verdslige danske visesang (Kop 1950); Siehe, eine Jungfrau ist schwanger, hrsg. v. H. KUMMERLING (Gö 1957); versch. Gesänge auch in den unten (Lit.) genannten Werken. Lit.: H. KRETZSCHMAR, Gesch. des Neuen dt. Liedes I (L 1911, Nachdr. Hil 1966); K. FISCHER, Uber eine Gelegenheitskomposition A. K.s, in: AfMw 2 (1919/20); H. OSTHOFF, A. K. (L 1929, Nachdr. Wie 1970); DERS., Neue Quellen zu A. K., in: AfMf 8 (1943); N. SCHIORRING, Wiederaufgefundene Melodien aus der verschollenen A.-K.-Arienslg. 1657, in: FS W. Wiora (Kas 1967).
KRIEGER, Familie dt. Musiker u. Komponisten. — 1) Johann Philipp, getauft 27. 2. 1649 Nürnberg, t 6.2. 1725 Weißenfels. Seit 1663 oder 1665 weilte er als Schüler J. Schröders und C. Försters des Jüngeren sowie als Organist an St. Peter in Kopenhagen, wurde um 1670 Hoforganist und nach einer Italienreise Kapellmeister in Bayreuth. Als Kammerorganist ging er 1677 an den Herzogshof in Halle a. d. Saale, wurde dort Vizekapellmeister und übersiedelte mit dem Hof, nunmehr als Kapellmeister, 1680 nach Weißenfels. WW: Musicalischer Seelen-Frieden, dt. u. lat. Psalmen u.a. für SingSt, 2 V. u. B.c. (Nü 1697); Auserlesene ... Arien aus Singspielen für 1-2 St. u. B.c. (Nü 1690); weitere Arien sowie zahlr. geistliche Konzerte, Kantaten u. Motetten hsl. - Triosonaten, op. 1 (Nü 1688); Sonaten für V. u. Va. da gamba mit B.c., op. 2 (Nü 1693); Lustige Feldmusik für 4 Blasinstr. (Nü 1704).
2) Johann, Bruder von 1), * 1. 1. 1652 Nürnberg,
t 8.7. 1735 Zittau. Er war Schüler seines Bruders, wirkte seit 1672 als Hoforganist in Bayreuth und wurde nach vorübergehender Tätigkeit als Ka13
Krieg und Frieden pellmeister in Greiz und Eisenberg 1681 Organist und Director musices in Zittau. Wie u. a. durch G. Fr. Händel und J. Mattheson bezeugt ist, genoß K. bei der folgenden Generation hohes Ansehen als Komponist von Orgel- und Cembalowerken. Diese sind bedeutsam auch für die Entwicklung der Fuge und der Suite. WW: Neue Musicalische Ergetzligkeit (geistliche u. weltliche Lieder sowie Singspielarien) für 1-4 St. u. B.c., teilweise mit Instr., 3 Teile (F — L 1684); Sechs Musicalische Partien für Cemb. oder Clavichord (Nü 1697); Anmuthige Clavier-Übung (Nü 1698); hsl. erhalten sind u. a. zahlr. Kantaten mit dt. u. lat. Text u. einzelne Messesätze (meist mit Instr.).
3) Johann Gotthilf, Sohn von 1), * 13.9.1687 Weißenfels, t nach 1743. Er war Schüler von Fr. W. Zachow in Halle und wurde 1712 Hoforganist und dann Nachfolger seines Vaters als Kapellmeister in Weißenfels bis zur Auflösung der Hofkapelle 1736. Ausg.: Zu 1): 21 ausgew. Kirchenkompositionen, hrsg. v. M. SEIFFERT (1916) (= DDT 53/54); 24 Lieder u. Arien, hrsg. v. H. J. MOSER (Hannover 1930) (= Nagels MA 174-175); Triosonate a -moll, op. 1, hrsg. v. H. OSTHOFF (ebd. 1937) (= ebd. 185); U. E. STOUT, 4 Cantatas by J. Ph. K. An Edition with Commentary an Performance Practice, 2 Bde. (1966) (= Diss. Indiana Univ.). — Zu 2): 2 Kantaten, in: Nürnberger Meister der zweiten Hälfte des 17. Jh., hrsg. v. M. SEIFFERT (L 1905) ( = DTB 6/1); J. K., F. X. A. Murschhauser u. J. Ph. K. Gesammelte Werke für Klv. u. Org., hrsg. v. DEMS. (L 1917) (= ebd. 18); Ausgew. Klv.-Werke aus Sechs Musicalische Partien 1697 u. Anmuthige Clavier-Übung 1699, hrsg. v. A. KREUTZ (Kas 1956); Präludien u. Fugen, hrsg. v. F. W. RIEDEL (Lippstadt 1957) (= Die Orgel 1I/3). Lit.: Zu 1): M. SEIFFERT, Einleitung zu DDT 53/54 (mit Verz. der kirchenmusikal. Werke); R. WAGNER, Beitr. z. Lebensgesch. J. Ph. K.s..., in: ZfMw 8 (1925/26). — Zu 2): R. EITHER, J. K., in: MfM 27 (1895); M. SEIFFERT, Einleitung zu DTB 18 (mit Ven. der kirchlichen und weltlichen Vokal-Werke), auch separat (L 1919). F.
KRUMMACHER
KRIEG UND FRIEDEN (Woina i mir), Oper in 5 Akten (13 Bildern) und einem Chor-Prolog von Sergei Prokofjew (1891-1953), op. 91, Text vom Komponisten und Mira Mendelson nach Leo Tolstois gleichnamigem Roman (1869). UA: 8.11. 1957 in Moskau (Stanislawski-Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater); dt. EA (in dt. Sprache): B. 10. 1961 in Leipzig. Unter dem Eindruck des Kriegsausbruchs 1941 faßte Prokofjew in patriotischer Absicht den Entschluß, den von Tolstoi geschilderten russischen Sieg über die Große Armee auf der Opernbühne zu präsentieren. 11 Jahre lang arbeitete der Komponist an dem Projekt. Eine erste Fassung (Klavierbzw. Konzert-Aufführung am 16.10.1944 und 7.6. 1945 in Moskau) wurde zunächst um zwei Bilder erweitert (Nr. 2: Ball-Szene; Nr. 10: Kriegsrat in Fili); sodann ließ die Selbständigkeit der ausgewählten Geschehenspartien — einerseits die um Natascha Rostowa zentrierte Handlung, die von Re14
präsentanten der Adelsgesellschaft getragen wird, anderseits der heroische Kampf unter Führung des Feldmarschalls Kutusow — eine Aufgliederung des Materials in zwei Teile angeraten erscheinen (UA des 1. Teils: 12.6. 1946 im Leningrader Kleinen Operntheater). Späterhin bemühte sich Prokofjew bei einer tiefgreifenden stilistischen Revision des Werks, dessen Einheit erneut stärker zu akzentuieren, und stellte eine Folge von 10 Bildern mit einem Epilog zusammen (UA: 31.3. 1955 wiederum im Kleinen Operntheater). Die oben genannte Moskauer UA schließlich bot die vollständige Oper — abgesehen von Kürzungen innerhalb der Segmente und mit Ausnahme des Chor-Prologs, der erst in der Inszenierung des Bolschoi-Theaters (15. 12. 1959) berücksichtigt wurde. An dieser Entstehungs- und Aufführungsgeschichte sind Dispositions- und Gestaltungsprobleme ablesbar, die der Versuch aufwarf, aus einer Romanvorlage wie Krieg und Frieden eine schlüssige musikdramatische Handlung zu gewinnen. Gerade die Vielfältigkeit der gezeigten Episoden eröffnete Prokofjew aber auch besondere Möglichkeiten, die zahlreichen Personen der Oper differenziert zu charakterisieren und — als erfahrener Komponist von Ballett- und Filmmusik — den Bildern der aristokratischen Feste wie denen der Kriegsgreuel und des Triumphs höchste Intensität zu verleihen. Zudem war er bestrebt, die divergierenden Sujetkomponenten im musikalischen Satz durch thematische Entsprechungen miteinander zu verknüpfen. E.
FISCHER
KRIPS, Josef, * 9.4.1902 Wien, t 13.10.1974 Genf; östr. Dirigent. Er studierte bei E. Mandyczewsky und F. von Weingartner an der Wiener Musikakademie und wurde 1921 Korrepetitor, Chormeister und Dirigent an der Wiener Volksoper. Nach Engagements als Opernchef in Aussig (1924-25) und 1. Kapellmeister in Dortmund (1925-26) war er 1926-33 GMD in Karlsruhe, 1933-38 ständiger Dirigent an der Wiener Staatsoper, daneben Professor für Dirigieren an der Wiener Musikakademie sowie 1938-39 Gastdirigent an der Belgrader Oper und Philharmonie. Während des NS-Regimes war K. mit Berufsverbot belegt; nach Kriegsende hatte er 1945-50 maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau des Wiener Musiklebens und leitete zahlreiche Auslandsgastspiele der Wiener Staatsoper. 1946 wirkte er bei der Wiedereröffnung der Salzburger Festspiele mit, bei denen er schon 1935 erstmals dirigiert hatte. 1950-54 war er Chefdirigent des London Symphony Orchestra, 1954-63 des Buffalo Philharmonic Orchestra sowie 1963-70 des San Francisco Orchestra. Als Gast-
Krondiamanten dirigent trat er u. a. an der Covent Garden Opera in London (seit 1963), der Metropolitan Opera in New York (seit 1967), der Deutschen Oper Berlin (1970) und der Pariser Opéra (1974) sowie ständig an der Wiener Staatsoper auf. K., dessen Repertoire von J. S. Bach bis zur Neuen Musik reichte, galt als der Schöpfer des Wiener Mozart -Stils
nach dem Kriege. KROHN, Ilmari Henrik Reinhold, * B. 11. 1867 Helsinki, t 25. 4. 1960 ebd.; finnischer Musikforscher. Er studierte Klavier, Orgel und Komposition in Helsinki, Leipzig und Weimar und war als Organist 1894-1905 an der Alexanderkirche in Tempere sowie 1911-44 an der Kallio-Kirche in Helsinki tätig. 1899 promovierte er an der Universität Helsinki, habilitierte sich dort 1900 und war 1918-35 Professor für Musikwissenschaft. Die Forschungen K.s, der auch als Komponist geistlicher Musik bekannt geworden ist, galten vor allem dem finnischen Volkslied, der liturgischen Musik, der Musik des 19. Jh. und der Musiktheorie. WW: Lieder-S1g. Suomen kausan sävelmiä, 3 Bde. (He 1893 bis 1933). - Schriften: Der Formenbau in den Symphonien von J. Sibelius (He 1942); Der Stimmungsgehalt der Symphonien von J. Sibelius, 2 Bde. (He 1945-46); Einheitliche Grundzüge der musikalischen Formgebung, in: AMI 25 (1953); A. Bruckners Symphonien, 3 Bde. (He 1955-57).
KROL, Bernhard, * 24.6. 1920 Berlin; dt. Komponist und Hornist. Er studierte Waldhorn und Komposition in Berlin und Wien und war Kompositionsschüler von J. Rufer. 1945-61 gehörte er der Staatskapelle Berlin, 1962-79 dem Südfunk-Sinfonie-Orchester Stuttgart an. Die Doppeltätigkeit als ausübender Musiker und Komponist bildete eine besondere Voraussetzung seiner langjährigen Funktion im Juryvorsitz (Horn, Orgel) des Internationalen Wettbewerbs der ARD. Sein breitgefächertes Gesamtwerk steht in der Tradition M. Regers und P. Hindemiths. Neben symphonischkonzertanten und kammermusikalischen Werken nehmen geistliche und liturgische sowie Unterrichtswerke einen bedeutsamen Platz ein. WW: Für Orgel: Missa muta (1972) für Horn u.Org.; Sinfonia sacra (1973) für Pos. u. Org.; Tuba-mirum-Fantasie (1977); Orgelbüchlein (1977). - Harfenseptett (1951); Ob.-Quartett (1952); Lassus-Variationen (1962) für Va. u. Cemb.; Divertissement classique (1975) für 13 Blechbläser; Linzer Harmoniemusik (1978) für Bläseroktett. - Für Orch.: Scarlatti-Variationen (1962) für Mandoline u. kleines Orch.; Magnificat -Variationen (1965) für Bach-Trp. u. Streichorch.; Caricettes (1971) für Ob. u. Streichorch.; Fledermaus-Variationen (1974); Serenata amorosa (1975) für Engl. Horn u. Zupforch.; Figaro-Metamorphosen (1977) für Horn u. Streichorch. - Geistliche Vokalmusik, darunter Weihnachts-, Oster- u. Pfingstkantaten sowie Motetten; Berliner Gotteslob-Messe (1980) für Gemeindegesang, Chor u. Org. oder Blechbläser. Lit.: B. K. Werk-Verz. (H 1985)
H. LINDLAR
KROMBHOLC, Jaroslav, * 30. 1. 1918 Prag,
t 16.7. 1983 ebd.; tschechischer Dirigent. Er studierte Komposition 1937-40 bei V. Novák sowie 1940-42 bei A. Hába am Prager Konservatorium und Dirigieren bei V. Talich. Seit 1940 war er als Dirigent, seit 1968 als Chefdirigent der Oper am Nationaltheater in Prag tätig. Daneben wirkte er als Gastdirigent meist tschechischer Werke häufig im Ausland. K. ist auch als Komponist von Orchester- und Kammermusikwerken sowie von Liederzyklen hervorgetreten. KROMMER (Kramář), Franz (František Vincenc), * 27.11.1759 Kamenitz (Mähren), t 8.1.1831 Wien; böhmischer Violinist und Komponist. Er war 1781-95 in verschiedenen Diensten, hauptsächlich in Ungarn. Hier wirkte er 1790-93 als Kapellmeister an der Kathedrale von Pécs. 1810 wurde er Ballettkapellmeister am Hoftheater in Wien, 1818 Kaiserlicher Kammerkomponist. WW: 1) Instr.-WW (gedruckt u. a. in Wien, Offenbach, Paris, teilweise mit zahlr. Nachdrucken): Variationen für V.; einige Stücke für Klv.; zahlr. Duos (auch Duos concertants) für 2 V.; Sonaten für V. u. Va.; Duettini für 2 Fl.; Streichtrios u. Klv.-Trios; ca. 30 Slgen. Streichquartette bzw. Quatuors concertants; einige Quartette auch mit Fl. bzw. Klar.; Streichquintette u. Quintette für Fl. bzw. Ob. u. Str.; Märsche, Partiten u. Harmonies für Bläser; Konzerte für V., für Ob., für Klar. sowie für mehrere Soloinstr. u. Orch.; mehrere Symphonien. - 2) Vokal-WW: Mehrere Messen gedruckt u. hsl. sowie kleinere kirchenmusikal. Werke hsl.
K. war zu seiner Zeit einer der erfolgreichsten Streichquartettkomponisten. Seine Werke gerieten jedoch schnell aus der Mode (mit Ausnahme der Violinduette, die noch bis zum Ende des 19. Jh. als Studienwerke beliebt waren) und finden heute wieder stärkeres Interesse. Ausg.: Streichquartett, op. 5 Nr. 1, hrsg. v. A. NEMEč (Pr 1949, Neudr. 1969) (= MAB 5); Klar.-Konzert Es-Dur, op. 36, hrsg. v. J. RACEK -J. KRATOCHVIL - L. SIMON (Pr 1953, 41966) ( = MAB 13); Ob. -Konzert, op. 52, hrsg. v. J. RACEK - F. SUCHÝ (Pr 1956, 31966) (= MAB 27); 2 Quartette für Ob., V., Va. u. Vc., hrsg. v. J. RACEK - J. POHANKA (1959) (= MAB 42); Oktette, op. 69 u. op. 79, sowie Suiten Nr. 4 op. 57 u. Nr.5 op. 67 für 2 Ob., 2 Klar., 2 Hörner u. 2 Fag., hrsg. v. R. HELLYER, 3 H.e (Lo 1970-71); Klar.-Konzert Es-Dur, op. 36, hrsg. v. M. BERLÁSZ (Budapest - Z 1975); Klv.-Trio Es-Dur, op. 32, hrsg. v. MICHAELS (H 1979) (= Ludus instrumentalis 106). Lit.: H. WALTER, F. K. Sein Leben u. Werk mit besonderer Berücksichtigung der Streichquartette (Diss. W 1932) (mit thematischem Werk-Verz.); J. M. BARBOUR, F. K. and His Writing for Brass, in: Brass Quarterly 1 (1957 / 58); O. WESSELY, K., in: MGG VII; DERS., Zur NA eines Bläsersextetts v. F. K., in: Mf 13 (1960).
KRONDIAMANTEN, DIE (Les Diamants de la Couronne), Opéra-comique in 3 Akten von Daniel François Esprit Auber (1782-1871), Text von Eugène Scribe (1791-1861) und J. H. Vernoy de Saint-Georges. Ort und Zeit der Handlung: Coimbra und Lissabon (Portugal), 1777. UA: 6.3.1841 15
Kronsteiner in Paris (Opéra-Comique), dt. EA (in dt. Sprache): 15.7. 1842 in München. In dieser unterhaltsamen Komödie stehen sich Figuren aus den extremen gesellschaftlichen Schichten einer Monarchie gegenüber; es entsteht ein Spannungsverhältnis, das der unglaubwürdigen Geschichte ihren Reiz verleiht: Die portugiesische Königin Catarina versucht auf nicht ganz lautere Art ihre Kassen zu füllen, indem sie die Krondiamanten an eine Hehler- und Falschmünzerbande verkauft. In diesem Milieu findet sie den ehrbaren Don Henrique de Sandoval, dessen Verbindung zu den Briganten keine sinnvolle Erklärung findet, und heiratet ihn schließlich. Nicht im Libretto, sondern in der Musik sind die Qualitäten dieser Oper zu finden: melodischer Einfallsreichtum, eine brillante Koloraturpartie für Catarina und mitreißende Ensemblesätze (der Chor der als Mönche verkleideten Gauner am Schluß des 1. Aktes ist nur mit den besten Passagen aus Fra Diavolo vergleichbar) trugen zum beachtlichen Erfolg der Oper bei. Zahlreiche Tanzsätze, von der Sarabande bis zu dem für die Zeit modernen Bolero, verleihen der Komödie nicht nur Lokalkolorit, sondern wurden auch außerhalb des Theaters als Tanzmusik beliebt. R. QUANDT
KRONSTEINER. — 1) Joseph, * 15.2.1910 Losenstein (Oberösterreich); östr. Kirchenmusiker. Nach seiner Priesterweihe studierte er 1934-37 am Bruckner-Konservatorium in Linz (u. a. bei R. Keldorfer), war seit 1938 an der Wiener Musikakademie (u. a. bei E. Tittel) und 1942-45 bei J. N. David und K. Straube an der Leipziger Musikhochschule. 1943-80 war K. Domkapellmeister in Linz an der Donau. Zeitweise wirkte er als Lehrer am Bruckner-Konservatorium, seit 1946 als Dozent für Choral (1961 Professor) an der PhilosophischTheologischen Lehranstalt, 1950-53 am Bischöflichen Lehrerseminar. 1953-74 war K. Landespräses für Österreich des Allgemeinen CäcilienVerbandes. 1954 wurde er Mitglied der Akademie für Kunst und Wissenschaft in Wien. WW: Kammermusik u. Orch.-Werke, u. a. Pastorales Streichtrio (1948); Symphonischer Prolog (1957); 2. Symphonie (1970); zahlr. Lieder; zahlr. geistliche Werke, darunter: Motetten für gem. Chor a cap.; 60 dt. u. 100 lat. Proprien; 30 MeBordinarien, darunter Missa Aula Dei (1949) für 5 Chöre; Pius-Messe super „Quia pius est" (1952) für 4st. Chor a cap.; Missa Filiae Sion (1954); Litanei (1955) (Text: G. von le Fort) für gem. Chor a cap.; Ecce sacerdos magnus für gem. Chor u. Orch. (1973); Missa serenissima (1974); Oratorium Maria für Soli, gem. Chor u. Orch. (1958). — Er veröffentlichte Erste Brucknermesse in Rom, in: Bruckner-Stud. FS L. Nowak (W 1964).
2) Hermann, Bruder von 1), * 25.3.1914 Losenstein; östr. Kirchenmusiker. Nach einer Tätigkeit als Seelsorger (u. a. als Domvikar in Linz) studierte 16
er 1946-49 Kirchen- und Schulmusik (u. a. bei J. Lechthaler, E. Tittel, Karl Walter, Franz Kosch) an der Musikakademie in Wien sowie 1949 an der Päpstlichen Musikakademie in Rom. 1960-79 lehrte er als Professor für Liturgik, Gregorianik und Deutschen Kirchengesang an der Wiener Musikakademie, wo er 1960-65 die Kirchenmusikabteilung, seither das neugegründete Institut für kirchenmusikalische Volksbildung an der Kirchenmusikabteilung leitete. 1968 wurde er Rektor der Hochschulkirche St. Ursula. 1974 wurde er als Nachfolger seines Bruders Landespräses des ACV für Österreich. Er veröffentlichte zahlreiche Abhandlungen über katholische Kirchenmusik. WW: 1) Weltliche WW: Klv.-Stücke; Orgelstücke; Lied vom Kinde (1958) (Text: C. von Brentano), Zyklus für Mezzosopr. u. KIv.; Märchenoper Der gestiefelte Kater (1963) (Libr.: J. Perndl nach den Gebrüdern Grimm); Schauspielmusik. — 2) Gebdiche WW: 8 lat. Messen; 4 dt. MeBordinarien; 60 ein- u. 20 mehrst. dt. Proprien; Te Deum (1946) für 4st. gem. Chor, Soli, Bläser u. Org.; Der Sonnengesang des heiligen Franziskus (1954) für gem. Chor a cap.; 16 dt. Antiphonen für 3 gleiche St. (1957); Salve regina, 3 Mariengesänge nach Eichendorff (1958) für SingSt u. Klv.; Marien-Oratorium (1954) für 2 gem. Chöre, Soli, Streichorch. u. Org.; Oratorium Hemma von Gurk für Soli, gem. Chor und Kammerorch. (1971). — 3) Schriften: Bruckners Kirchenmusik und die Liturgie, in: Bruckner-Stud. FS L. Nowak (W 1964); Das dt. Kirchenlied in der Liturgiefeier, in: Kirchenmusik und das II. Vatikanische Konzil, hrsg. v. Ph. Harnoncourt (Gr 1965); Kirchenmusik heute (Linz 1967); Vinzenz Goller (Linz 1976). B. A. KOHL
KRÖNUNG DER POPPÄA, DIE (L'Incoronazione di Poppea), Dramma in musica in einem Prolog und 3 Akten von Claudio Monteverdi (1567-1643), Text von Giovanni Francesco Busenello nach den Annalen des Tacitus (13. und 14. Buch). Ort u. Zeit der Handlung: Rom, 62 n. Chr.; UA: Herbst 1642 in Venedig (Teatro Santi Giovanni e Paolo); EA in dt. Sprache: 25.9.1937 in Wien (Volksoper), dt. EA: 1953 in Berlin (Hebbeltheater). Monteverdis letztes Bühnenwerk stellt einen Neuansatz in der Geschichte der Opernkomposition dar; der musikdramatische Stil dieses Werkes ist für eine Schule (Venezianische Schule) wie für eine ganze Epoche (Barock) richtungweisend. Die Krönung der Poppäa ist die erste Oper mit einem historischen Sujet. Monteverdi richtete aus der Libretto-Vorlage ein Musikdrama ein, das als frühestes Beispiel einer Dialogoper gilt: Er verschränkte die monologisch konzipierten Passagen und erreicht durch Wort- und Satzwiederholungen größtmögliche Steigerung des dramatischen Ausdrucks, der stets der jeweiligen Situation adäquat ist. Die musikalischen Stilmittel, deren er sich bereits in der ein Jahr zuvor entstandenen Oper Die Heimkehrdes Odysseus bediente, sind weiter diffe-
Kross renziert und werden von Monteverdi so variabel eingesetzt, daß sämtliche, durchweg negativ gezeichneten Hauptfiguren des Werkes (Nero, Poppäa, Otho, Oktavia und Seneca) treffend charakterisiert werden. Mit dieser Oper vollzieht sich die endgültige Lösung vom Stile rappresentativo des florentinischen Dramma per musica hin zum ausgewogenen Wechsel von rezitativischen und meist in strophischer Liedform gegliederten ariosen Partien der venezianischen Oper; der rein instrumentale Part und die Chorpartien sind gegenüber dem Florentiner Operntypus erheblich verringert. — Formal ist der Wechsel von Rezitativ und (durch Instrumentalřitornell eingeleiteter und somit scharf abgesetzter) Arie für die Werkstruktur bereits konstitutiv. Darüber hinaus gelingt Monteverdi die musikalisch-motivische Gliederung ganzer Szenen. Die Ensembles, vor allem Duette, sind in Kanonund Passacaglia -Form geschrieben. Im Schlußduett Nero / Poppäa (Pur ti miro), dem musikdramatischen Höhepunkt der gesamten Oper, hat Monteverdi erstmals die da capo-Form mit der charakteristischen Identität von erstem und drittem Teil und dem satztechnisch kontrastierenden Mittelteil verwirklicht. — Da in beiden vorhandenen Quellen keine Partitur im eigentlichen Sinn überliefert ist, sondern lediglich die Singstimme mit einem nur selten bezifferten BaB, stellt jede Realisierung dieser Partitur zugleich eine Interpretation und Bearbeitung des Werkes dar. Für die Rezeptionsgeschichte wurden vor allem die konzertante Aufführung am 24. 5.1905 in Paris sowie die szenischen Bearbeitungen von Hans F. Redlich (Mai 1948 in London), Raymond Leppard (Glyndebourne 1962), Erich Kraack (Wuppertal 1962) und besonders von Nikolaus Harnoncourt / Jean-Pierre Ponnelle (Zürich 1977) bedeutsam. J. SCHLÄDER KRONWERK, Kronpositiv, Bz. für ein Teilwerk der Orgel, das von allen Werken im Gehäuse und Prospekt zuoberst (gleichsam als „Krönung") angeordnet ist. KROPFL, Francisco, * 26.2.1931 Szeged (Ungarn); argentinischer Komponist. Er war Schüler von J. C. Paz und trat 1950 der „Agrupación Nueva Musica" bei, deren Leitung er 1956 übernahm. K., der seit 1954 elektronische Musik in sein Schaffen einbezogen hat, wurde 1953 mit der Einrichtung eines Studios für elektronische Musik an der Universidad de Buenos Aires betraut und 1967 zum Leiter der Abteilung für elektronische Musik am Centro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales (CLAEM) berufen. WW: Forma versus textura (1967) für 4 Jazzmusiker; Ideas asociades (1969) für Kammerensemble; 1. Kollektivkomposition für
6 Teilnehmer, 1. Fassung: für Ob., Trp., Pos., V., Kb. u. Gitarre; Piel de cada día (1959) für Sopran, Kammerensemble u. St. auf Tonband. — Elektronische Kompositionen: Musica (1962) für 3 Schlagzeuger u. elektronische Klänge; Diálogos I u. II (1965); 2. Fassung der 1. Kollektivkomposition mit Synthesizer u. live entwickelten Instrumentalpartien (1967); 2. u. 3. Kollektivkomposition für Synthesizer u. Teilnahme verschiedener Komponisten (1968); 4. Kollektivkomposition für Synthesizer (1969); Variante (1969), Bewegungskomposition für drei Stereomagnetophone. Lit.: J. ROMANO, Paz, Kagel, K., Ires revitalizadores de la música argentina contemporánea, in: Sonda (1967) Nr. 1.
KROPFREITER, Augustinus Franz, * 9.9.1936 Hargelsberg bei Enns (Oberösterreich); östr. Komponist und Organist. 1953 trat er als Chorfrater in das Augustinerchorherrenstift St. Florian (Oberösterreich) ein und war dort Theorieschüler von Johann Krichbaum. Danach studierte er am Bruckner-Konservatorium in Linz bei H. Eder Komposition sowie 1956-60 an der Kirchenmusikabteilung der Musikakademie in Wien-Klosterneuburg Komposition (E. Tittel), Orgel (Walter Pach) und Dirigieren (H. Gillesberger). Seit 1960 ist K. Stiftsorganist in St. Florian und Lehrer der Sängerknaben sowie seit 1965 auch Leiter des Stiftschores. WW: Zahlr. Orgelstücke, u. a.: Dreifaltigkeits-Triptychon (1959); 2 Sonaten (1961, 1967); Introduktion, Meditation u. Finale (1976); Passio et Resurrectio (1979); ferner Choralpartiten, darunter Nun komm, der Heiden Heiland (1976) und Jesus, meine Zuversicht (1978). — Aphorismen (1970) für Klar. u. Klv.; Trio für Fl., Ob. u. Cemb. (1977); 2 Bläserquintette (1967, 1977). — Für Orch.: Konzert für Cemb. u. Kammerorch. (1960); Concerto für Gitarre u. Str. (1962); Sinfonia für Str. (1975) u. Sinfonia concertante für Bläserquintett u. Str. (1979). — Kammeroratorium Altdorfer Passion (1965) für Alt, Bar. u. 11 Instr.; Vom Baum des Lebens (1974) (Text: H. Hesse) für Alt u. Kammerorch.; Oratorium Vita Severini (1980) für Soli, Chor, Orch. u. Org.; ferner zahlr. Chöre, u. a. Te Deum (1970) (Text: G. von le Fort), Ave Crux, spes unica, O sacrum convivium, Es spricht der Herr (alle 1978); 3 Michelangelo-Sonette (1978). B. A. KOHL
KROSS, Siegfried, * 24.8. 1930 Wuppertal-Elberfeld; dt. Musikforscher. Er studierte in Freiburg im Breisgau und Bonn, wo er 1957 mit einer Dissertation über Die Chorwerke von J. Brahms promovierte und Assistent am Beethoven-Archiv wurde. Seit 1960 war er Assistent am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Bonn, habilitierte sich dort 1966 mit einer Arbeit über Telemann und wurde 1970 zum Professor ernannt. Schwerpunkte seiner Forschungen bilden L. van Beethoven und die Musik des 19. Jahrhunderts. Schriften: Brahms u. der Kanon, in: FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1957); Zur Frage der Brahmsschen Volksliedbearb.en, in: Mt 11 (1958); Die Chorwerke v. J. Brahms (B 1958, 21963); Das Instrumentalkonzert bei G. Ph. Telemann (Tutzing 1969); Der preußische prot. Choral in der Musikgesch., in: Kirche u. Kultur im dt. Osten (Kö 1970) (= Stud. zum Deutschtum im Osten 7); Brahms. Der unromantische Romantiker, in: Brahms-Stud. 1 (1974). — Ferner gab K. heraus: Beethoven GA IV/1 (1964); M. Reger in seiner Zeit (Bonn 1973); Dokumentation zur Gesch. des dt. Liedes (Hil 1973 ff.); Beethoven. Mensch seiner Zeit (1980); Brahms. Volkslieder für Frauenstimmen (31980).
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Krotala KROTALA (griech., Plural von Krotalon; lat.: crotala), Bz. für die zumeist paarig verwendeten /Klappern der griechischen und römischen Antike. Sie bestanden in ihrer einfachsten Form aus einem Stück Rohr, das längs (senkrecht) so eingeschnitten wurde, daß die beiden Teile gegeneinander zu schlagen waren. Entwickelter waren K. aus zwei durch eine Art Scharnier verbundenen Holz-, Bronze- oder Tonplatten, deren Innenflächen der Länge nach ausgehöhlt waren. Die bereits von Homer und Sappho erwähnten K. wurden beim Tanz um das Handgelenk getragen und galten wegen ihres Geklappers als wirkungsvolles Geräusch- und Rhythmusinstrument. — Die K. sind nicht identisch mit dem seit dem 19. Jh. verwendeten Schlaginstrument /Crotales. Lit.: M. WEGNER, Das Musikleben der Griechen (B 1949).
KROYER, Theodor, * 9.9. 1873 München, t 12.1. 1945 Wiesbaden; dt. Musikforscher. Er studierte in München zunächst Theologie, dann Musikwissenschaft bei A. Sandberger an der Universität und Kontrapunkt an der Akademie der Tonkunst. Nach seiner Promotion an der Münchner Universität mit einer Dissertation über Die Anfänge der Chromatik (1897) arbeitete er bis 1910 als Musikkritiker bei der Münchner Allgemeinen Zeitung. 1902 habilitierte er sich in München mit der Arbeit L. Senfl und sein Motettenstil und wurde 1907 außerordentlicher Professor in München, 1920 ordentlicher Honorarprofessor, 1921 Ordinarius in Heidelberg, 1923 (als Nachfolger von H. Abert) in Leipzig und war 1932-38 in gleicher Stellung in Köln tätig. K., dessen Forschungen zu einem großen Teil der Vokalmusik des 16. Jh. galten, gründete 1925 die Publikationen älterer Musik (PäM). Er ist auch als Komponist von Kammermusik, Symphonien und Liedern hervorgetreten. Zu seinem 60. Geburtstag wurde er durch eine Festschrift geehrt (Rb 1933). Schriften: Die Anfänge der Chromatik im it. Madrigal des XVI. Jh. (L 1902, Nachdr. Farnborough 1968, Wie 1970) (= BIMG I/4); Dialog u. Echo in der alten Chormusik, in: Jb. Peters 26 (1909); J. Rheinberger (Rb — R 1916) (= Sig. Kirchenmusik 14/ 1 5); Die circumpolare Oper, in: Jb. Peters 36 (1919); Der vollkommene Partiturspieler (L 1930); Zur Chiavetten-Frage, in: Stud. z. Musikgesch. FS G. Adler (W — L 1930); Die barocke Anabasis, in: ZfM 100 (1933); Das a cappella-Ideal, in: AMI 6 (1934); Von der Musica riservata des 16. Jh., in: FS H. Wölfflin (Dresden 1935). Lit.: H. ZENCK, T. K., in: Mf 1 (1948).
KRUEGER, Felix, * 10.8.1874 Posen, t 25.2. 1948 Basel; dt. Psychologe. Er promovierte 1898 und war 1906-08 Professor für Psychologie in Buenos Aires, 1909 in Leipzig, seit 1910 in Halle/Saale und seit 1917 wieder in Leipzig, wo er die genetische Psychologie seines Lehrers W. Wundt zur ganzheitlichen Psychologie ausbaute. Seine Kon18
sonanztheorie hat in der Musikpsychologie heute noch Bedeutung. Schriften: Theorie der Konsonanz, in: Vierteljahresschrift für wiss. Philosophie 23 (1899); Beobachtungen an Zweiklängen, in: Philosophische Stud. 16 (1900); Zur Theorie der Combinationstöne, in: ebd. 17 (1904); Differenztöne u. Konsonanz, in: Arch. für die gesamte Psychologie 1-2 (1903/04); Die Theorie der Konsonanz, in: Psychologische Stud. 1, 2, 4, 5 (1906-10). Lit.: C. STUMPF, Beobachtungen über Kombinationstöne, in: Beitr. z. Akustik u. Musikwiss. 5 (1910); E. KURTH, Musikpsychologie (B 1930, Be 21947, Nachdr. Hil 1969); O. Buss, Die Ganzheitspsychologie F. K.s (Mn 1934); E. WELLEK, Das Problem des seelischen Seins. Die Strukturtheorie F. K.s (L 1941); DERS., Die Wiederherstellung der Seelenwissenschaft im Lebenswerk F. K.s (H 1950); H. HUSMANN, Vom Wesen der Konsonanz (Hei 1953) (= Musikal. Gegenwartsfragen3).
KRUGER, Johann, /Crüger. KRUMMACHER, Friedhelm, * 22.1.1936 Berlin; dt. Musikforscher. Er studierte in Berlin, Marburg und Uppsala und promovierte an der Freien Universität Berlin. 1965 wurde er wissenschaftlicher Assistent am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Erlangen-Nürnberg, an der er sich 1972 mit einer Arbeit über F. Mendelssohn Bartholdys Kammermusik habilitierte. 1975 wurde er als Professor an die Musikhochschule Detmold, 1976 auf den musikwissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Kiel berufen. Zu den Schwerpunkten seiner Forschungen gehören die Orgel- und Vokalmusik des 17.-19. Jh. sowie die Musik des 19. Jahrhunderts. Schriften: Die Überlieferung der Choralbearb.en in der frühen ev. Kantate (B 1965) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 10); Kantate u. Konzert im Werk J. Pachelbels, in: Mf 20 (1967); Die Tradition in Bachs vokalen Choralbearb.en, in: Bach-Interpretationen, hrsg. v. M. Geck (Gö 1969); Parodie, Umtextierung u. Bearb. in der Kirchenmusik vor Bach, in: STMf 53 (1971); Die Choralbearb. in der prot. Figuralmusik zw. Praetorius u. Bach (Kas 1978) (= Kieler Schriften z. Musikwiss. 22); Mendelssohn, der Komponist. Stud. z. Kammermusik für Str. (Mn 1978); Stylus phantasticus und phantastische Musik. Kompositorische Verfahren in Toccaten von Frescobaldi und Buxtehude, in: SchützJb. 2 (Kas 1980); Synthesis des Disparaten. Zu Beethovens späten Quartetten und ihrer romantischen Rezeption, in: AfMw 27 (1980).
KRUMMHORN (engl.: cromorne, crumhorn; frz.: cromorne, tournebout; it.: cromorno, cornomuto torto; span.: orlo, cromorno). —1) Bz. für ein Doppelrohrblattinstrument mit engem, zylindrischem, nur am Ende leicht konisch gebohrtem Rohr, dessen unteres Ende hakenförmig aufgebogen ist. Das Instrument gehört zu den Windkapsel- Instrumenten, bei denen der Spieler keinen direkten Einfluß auf das Rohrblatt hat, eine differenzierte Artikulation daher unmöglich ist. Das K. hat 7 (auch 6 oder 8) vorderständige Grifflöcher und ein hinterständiges Daumenloch sowie 1 bis 2 Stimmlöcher am unteren Ende; das unterste oder die beiden untersten
Krumpholtz Grifflöcher sind bei tiefen Instrumenten mit einer offenen Klappe ausgestattet, geschützt durch eine Messingkapsel. Da das K. nicht überblasen werden kann, umfaßt der Tonumfang nur eine None. Die Höhe der einzelnen Töne hängt ab vom Fingersatz, vom Rohrblatt (Breite, Länge und Stärke) und vor allem vom Atemdruck des Spielers, der einen Ton im Rahmen einer Quinte verändern und durch verschiedenen Atemdruck die Intonation vor allem von chromatischen Tönen korrigieren kann, da diese durch Halbdeckung der Grifflöcher oder durch /Gabelgriffe nicht sauber zu erreichen sind. Der Klang des K.s ist leise, nicht weittragend, aber gleichmäßig, in den Höhen leicht näselnd und in den Tiefen dumpf und etwas hohl.
ein gebogenes Tierhorn mit Grifflöchern, aber auch einen Satz von Krummhörnern ab. In Frankreich, wo das K. nie so beliebt war wie in Deutschland und England (als tournebout bei M. Mersenne, Harmonie universelle III, 1636; P. Trichet, Traité des instruments de musique, um 1640), war das K. noch nach 1650 in der Musique de la Grande Écurie vertreten, wurde allerdings ohne Windkapsel geblasen und verlor durch die damit erschlossenen Möglichkeiten der Artikulation sowie des Überblasens seinen charakteristischen Klang. Erhalten haben sich historische Krummhörner in Instrumentensammlungen von Berlin, Brüssel, Leipzig, Linz, München, Nürnberg, Paris, Prag und Wien. Seit 1952 werden Krummhörner zur Aufführung älterer Musik nachgebaut, wobei die Rohrblätter sowie neuerdings auch die Rohre z. T. aus Plastik gefertigt werden. M. BROCKER 2) Bz. für eine Orgelstimme des /Zungenchors, als Imitation des Holzblasinstruments gleichen Namens, mit zylindrischem Aufsatz in der 8'-Lage (selten als 16') und typisch näselndem Klang. Das französische Cromorne hat weit mensurierte Aufsätze und kräftigen, klarinettenartigen Klang. Lit.: Zu 1): S. VIRDUNG, Musica getutscht und ausgezogen (Bas 1511), Faks. hrsg. v. K. W. Niemöller (Kas 1970) (= DMI I/31); M. AGRICOLA, Musica instrumentalis deudsch (Wittenberg 1528, 31533), Faks. hrsg. v. R. Eitner (= PGfM 24) (L 1896); M. PRAETORIUS, Syntagma musicum II (Wb 1619), Faks. hrsg. v. W. Gurlitt (Kas 1958) (= DMI I/14); C. SACHS, Doppione u. Dulzaina. Zur Namensgesch. des K.s, in: SIMG 11 (1909/10); G. KINSKY, Doppelrohrblatt-Instr. mit Windkapsel, in: AfMw 7 (1925); A. BERNER, K., in: MGG VII; B. THOMAS, The Crumhorn Repertoire, in: Early Music 1 (1973); R. WEBER, Tournebout, Pifia, Bladderpipe (Platerspiel), in: GalpinJ 30 (1977); A. BAINES, Woodwind Instruments and Their History (Lo '1977); B. BOYDELL, The Crumhorn (Den Haag 1981).
Das K., ein typisches Renaissanceinstrument, wurde chorisch verwendet und daher in verschiedenen Stimmlagen gebaut. Bei S. Virdung (Musica getutscht, 1511) umfaßt ein Stimmwerk 4 verschiedene Größen, M. Agricola (Musica instrumentalis deudsch, 1529) kennt nur 3 Größen, während M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) 5 verschiedene Größen mit folgenden Stimmungen angibt: Klein-K. (Exilent) c'--d2, Diskant-K. g—a', Alt-Tenor-K. c—d 1, Baß-K. F—g und Großbaß-K. C—d bzw. A 1—d (eventuell durch Abdecken der Stimmlöcher erreicht). Anhand bildlicher Darstellungen, auf denen um 1500 Krummhörner erscheinen, ist die Entstehung des Instruments in das 15. Jh. zu datieren. Die bereits früher aufgetretene Bezeichnung „krumbes Horn" (u. a. bei Heinrich von Neustadt um 1300 und Apollonius von Tyrland) bezieht sich auf das Tierhorn und nicht auf das spätere Krummhorn. Noch S. Virdung bildet als K.
KRUMPHOLTZ. —1) Johann Baptist, * 8.5.1742 Budenice bei Zlonice (Böhmen), t 19.2. 1790 Paris; böhmischer Harfenist und Komponist. Er wuchs in Paris auf, konzertierte später in Frankfurt am Main und Wien und trat 1773 in die von J. Haydn geleitete Kapelle des Fürsten Esterházy ein, der er bis 1776 angehörte. 1777 ließ er sich in Paris nieder und debütierte 1778 beim Concert spirituel mit einem eigenen Harfenkonzert. In seinen Kompositionen bemühte sich K. um eine Erweiterung der klanglichen Möglichkeiten seines Instruments. Er beschäftigte sich auch mit technischen Verbesserungen am Bau der ?Harfe. — Seine Frau (geb. Stekler, Vorname nicht bekannt), * um 1755 Metz, t nach 1824 London, war als „Madame K." eine berühmte Harfenistin. Sie konzertierte bis 1803, vor allem in London. WW: Gedruckt wurden Sonaten, Symphonien, Charakterstücke u. a. für Harfe allein bzw. mit anderen Instr.; Duos für 2 Harfen; 6 Harfenkonzerte; ferner einige Airs für SingSt u. Instr.
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Krupa 2) Wenzel, Bruder von 1), * um 1750, t 2.5.1817 Wien; böhmischer Violonist und Mandolinenvirtuose. Er war ebenfalls Mitglied der Kapelle in Esterhaz, dann seit 1796 der Wiener Hofmusik. L. van Beethoven, mit dem er eng befreundet war und dem er auch die Bekanntschaft mit K. Czerny vermittelte, schrieb für ihn eine Sonatine und ein Adagio für Mandoline und Cembalo (WoO 43) und komponierte unter dem Eindruck seines Todes den Gesang der Mönche aus Schillers Wilhelm Tell (WoO 104). Ausg.: Zu 1): Sonate für Fl. u. Harfe, hrsg. v. H. J. ZINGEL (Hannover 1933) (= Nagels MA 98); Harfenkonzert, op. 9, hrsg. v. F. SCHROEDER (Mannheim 1970); Harfenkonzert, op. 4 Nr. 2, hrsg. v. DEMS. (Adliswil 1971); Harfensonaten, op. 13, 4 H.e, hrsg. v. A. L. ABER (Ross/Calif. 1974).
KRUPA, Gene, * 15.1.1909 Chicago, t 16. 10. 1973 Yonkers (New York); amerik. Jazzmusiker (Schlagzeug). Er spielte in verschiedenen Jazzbands und Tanzorchestern und kam 1935 zu Benny Goodman. In diesem Orchester machte er sich einen Namen als bedeutender Swingschlagzeuger, der mit seinen ausgedehnten und virtuosen Soli im Jazz richtungweisend wurde. Später gründete und leitete K. eigene Big Bands und Combos und unternahm zahlreiche Tourneen, u. a. mit Tommy Dorsey. 1954 gründete er eine Schlagzeugschule in New York. K. schrieb The Science of Drumming (NY 1946). Lit.: A. SHAW, G. K. (NY 1945); G. K. and His Orchestra 1938-51, hrsg. v. E. EDWARDS—G. HALL—B. KERST(Whittier/Calif. 1968).
KRUYF, Ton de, * 3.10.1937 Leerdam (Südholland); ndl. Komponist. Er bildete sich zunächst autodidaktisch und besuchte dann mehrmals die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik, wo er Anregungen von P. Boulez, G. Ligeti und Br. Madera erhielt. Seit 1967 nahm er Unterricht bei W. Fortner in Heidelberg. Er lebt seit dieser Zeit in Neckarsteinach bei Heidelberg. WW: Sgrafitti (1960) für Klv.; Arioso (1975) für Klv. 4händig; Monumenta in memoria di Alberto Giacometti (1966) für 2 Fl., Harfe u. Schlagzeug; Séance (1968) für 6-8 Schlagzeuger u. 2 Klv.; Mosaico (1 969) für Ob. u. Streichtrio. — Sinfonia 11 (1968); Concerto da camera (1969) für Fl., Harfe u. Kammerorch.; Continuo (1969) für Cemb., 14 Str. u. 2 Schlagzeuger; Quatre pas de deux (1972); Echoi (1973) für Ob. u. Streichorch.. — Töne aus der Ferne (1967) (nach Gedichten v. P. Klee) für Alt u. Orch.; Twee nur (1973) für Sprache u. Orch. — Ferner die Oper Spinoza, UA: Amsterdam 1971, Funkoper Quauhquauhtinchan in der vreemde, UA: Radio Hilversum 1972, u. die Ballettmusik Chronologie 11, UA: Den Haag 1968.
KUBA. Mit ihren komplexen und mitreißenden Rhythmen ist die kubanische Volksmusik in besonderem Maße charakteristisch für die Musik der Neuen Weit. Sie ist eindeutig afrikanischen Ursprungs, hat aber auch spanische Ausdrucksformen 20
aufgenommen und neue kreolische Formen, wie Bolero, Guajira und Habanera, hervorgebracht. Die Afrikaner und ihre Nachkommen spielten allerdings eine wichtige Rolle in der Entstehung der kubanischen Volksmusik. Die unter ihrem Einfluß stehenden Mischformen, besonders Conga, Rumba und Son, fanden weite Verbreitung. Rhythmische Grundlage bilden die beiden folgenden Figuren: CrCI (die ursprünglich zur Conga gehört) und r _ r f (örtlich Cinquillo genannt und aus Haiti eingeführt). Ein Volkslied, das bis heute lebendig blieb, der Son de la Ma Teodora, bewahrt die Erinnerung an die Mutter Teodora, eine Gitarristin aus Santiago de los Caballeros auf der Insel Haiti, die gegen Ende des 16. Jh. zusammen mit ihrer Schwester Micaela Ginés in Kuba zu großem Ruhm gelangte. Miguel Velásquez, dessen Vater der Familie von Diego Velásquez, dem Gouverneur der Insel, angehörte und dessen Mutter Indianerin war, gilt als der erste auf dem amerikanischen Kontinent geborene Musiker. Von seiner Ausbildung zum Organisten in Spanien her mit den Regeln des Gregorianischen Gesanges vertraut, ist er 1544 als Kanonikus an der Kathedrale von Santiago de Cuba nachweisbar. Schon 1601 bestand in Havanna unter der Leitung von Gonzalo de Silva eine von den städtischen Behörden unterhaltene Musikklasse. 1776 wurde das Teatro Principal eröffnet, in dem kleine Opern, Zarzuelas, Tonadillas, Tanzveranstaltungen und Konzerte im Wechsel mit den klassischen spanischen Komödien von P. Calderón de la Barca, F. Lope de Vega und Agustin Moreto gegeben wurden. Auf dieser Bühne spielte 1800 ein französisches Ensemble, das sich auf dem Weg nach New Orleans befand, Opern von R. Cambert, P. -A. Monsigny, A.-E. -M. Grétry, G. B. Pergolesi und G. Paisiello. Der bedeutendste kubanische Komponist des 18. Jh. war E. de Salas y Castro, der von 1764 bis zu seinem Tode (1803) Kapellmeister an der Kathedrale von Santiago de Cuba war und ein beachtliches (Euvre hinterließ. Sein Nachfolger an der Kathedrale, Pater Juan Paris (1759-1845), war ebenfalls ein guter Komponist. In Kuba, das von den Freiheitskriegen und Unabhängigkeitskämpfen der übrigen lateinamerikanischen Staaten unberührt blieb, war zu Beginn des 19. Jh. sozusagen eine Oase, in der sich die Musik frei entfalten konnte. In den Musikverlagen erschienen zahlreiche typische Lieder; Volksmusik und gehobene Musik vertrugen sich sehr gut. In den kubanischen Kontratänzen für Klavier von Manuel Saumell (1817-70) sind bereits die Rhythmen verwendet, die später den Erfolg der kubanischen Musik begründeten. Juan Federico Edelmann, der
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Kubelík Sohn des Straßburger Komponisten J. Fr. Edelmann, ließ sich 1832 in Kuba nieder und wurde dort ein angesehener Klavierlehrer, zu dessen Schülern Saumell zählte. Antonio Raffelín (1796 bis 1882), der 1836-48 in Paris lebte, schrieb in einem weitgehend von der Romantik unberührten Stil Orchesterwerke und Kammermusik. Im 19. Jh. wurden am Teatro Principal wie auch am neuen, 1838 in Havanna eröffneten Teatro Tacón mit Erfolg Opern dargeboten. Die Sociedad Filarmónica de Santa Cecilia machte Havannas Musikleben mit den überseeischen Neuigkeiten vertraut. Aus dem spanischen Sainete und der Tonadilla entwickelten sich Volkstheaterstücke, die auch typische Figuren der Insel sowie nationale Tänze und Lieder verwendeten und mit großem Erfolg im Teatro Cervantes und in der Alhambra (zwei ausschließlich von Männern besuchten Theatern) gespielt wurden. Selbst einige der bekanntesten kubanischen Komponisten jener Zeit, namentlich Laureano Fuentes Matons und Ignacio Cervantes, schrieben zu solchen Stücken die Musik. Andere Komponisten, wie Gaspar Villate, dessen Opern mit Erfolg in Paris, Den Haag und Madrid gespielt wurden, oder der Klaviervirtuose Nicolas Ruís Espadero, zeigten in ihren Werken keine engere Bindung an ihre Heimat. Als die eigentliche Entdeckung der afrokubanischen Musik gilt das Werk zweier frühverstorbener Komponisten des 20. Jh., A. Roldán und A. García Caturla. Nach ihrem Tod wandten sich infolge des Einflusses des Spaniers J. Ardévol viele junge Komponisten um 1940 von einer national bestimmten Musik ab und bildeten den Grupo Renovación Musical, der neoklassizistische Tendenzen verfolgte. Seine wichtigsten Vertreter wurden Serafín Pro, E. Martin, Virginia Fleites, Juan Antonio Cámara, H. Grammatges und J. Orbón; Gisela Hernández, Hilario Gonzáles und Argeliers León, die ihm ebenfalls angehört hatten, machen dagegen kein Hehl aus ihrer Vorliebe für die Volksmusik, die ihr Schaffen stets beeinflußt hat. Abseits steht A. de la Vega, der im Ausland studierte und dort auch lebt. Juan Blanco, ihr Zeitgenosse, steht mit seiner Musikauffassung den Komponisten der jungen Generation näher; er wurde der führende Komponist elektronischer Musik in Kuba. Von den jüngeren Komponisten sind Hector Ángulo, Carlos Fariňa, Roberto Valera, Calixto Alvarez und Leo Brouwer zu erwähnen. Die Revolution von Fidel Castro hat keinerlei Auswirkung auf diese Komponisten gezeigt, die sich weiterhin künstlerisch frei entfalten können, auch unter Einbeziehung avantgardistischer Techniken. — Seit den 50er Jahren, namentlich durch das Auftreten des kubanischen Conga-Trommlers
Chano Pozo zusammen mit der Bebop-Band von Dizzie Gillespie, wurde K. auch jazzgeschichtlich durch die Ausprägung des /Afro-Cuban Jazz bedeutsam. Lit.: 1) Bibliographie: P. HERNANDEZ BALAGUER, Cat. de
música de los archivos de la catedral de Santiago de Cuba y del Museo Bacardi (Havanna 1961). — 2) Denkmäler: E. SALAS, Cuatro villancicos, hrsg. v. P. Hernández Balaguer (Havanna 1936); E. GRENET, Música popular cubana (ebd. 1939); E. TOLÓN — J. A. GONZALEZ, Operas cubanas y sus autores (ebd. 1943); A. CARPENTIER, La música en Cuba (Mexico City 1947). — 3) Studien: F. ORTIZ, La africania de la música folklórica (Havanna 1950); DERS., Los baffles y cl teatro de los negros en el folklore de Cuba (ebd. 1951); DERS., Los instrumentos de la música afrocubana (ebd. 1952-55); A. LEÓN, El patrimonio folklórico musical cubano (ebd. 1952); DERS., El paso de elementos por nuestro folklore (ebd. 1952); O. CASTRELLOFALIDE, M. Falide, creator del danzón (ebd. 1964); J. ARDÉVOL, Introducción a Cuba. La música (ebd. 1969); E. MARTIN, Panorama histórico de la música en Cuba (ebd. 1971); A. HESSE, Das Transmissionen-Singen im kubanischen Spiritismus. Musikethnologisch-soziologische Unters. zur Transkulturations-Problematik im städtisch-halbproletarischen Kontaktbereich afroider u. europäischer Gruppenkulturen K.s, 3 Bde. (1971) (= Diss. Humboldt-Univ. Berlin). L. H. CORREA DE AZEVEDO
KUBANISCHER JAZZ /Afro-Cuban Jazz. KUBELÍK. — 1) Jan, * 5.7.1880 Michle bei Prag, t 5. 12. 1940 Prag; tschechischer Violinist. Er war
1892-98 Violinschüler von O. Ševčík am Prager Konservatorium. Anschließend übersiedelte er nach Wien, von wo aus er seine internationale Karriere als Violinvirtuose begann. K., der gelegentlich als „tschechischer Paganini" bezeichnet wurde, schrieb 6 Violinkonzerte und viele Bravourstücke für sein Instrument. Sein Landsmann Fr. Drdla widmete ihm eine Kubelík -Serenade. — 2) Jerónym Rafael, Sohn von 1), * 29.6.1914 Býchory bei Kolin; tschechischer Dirigent und Komponist. Er studierte 1928-34 Violine, Komposition und Dirigieren am Prager Konservatorium. 1.936-39 war er Dirigent und 1942-48 künstlerischer Leiter der Tschechischen Philharmonie in Prag und 1939-41 Dirigent am Nationaltheater in Brünn. 1950 ging er in die USA und leitete 1950-53 das Chicago Symphony Orchestra. 1955-58 war er musikalischer Direktor des Covent Garden in London. Seit 1961 leitete er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München, mit dem er auch Konzerttourneen, u. a. nach Japan und in die USA, unternahm, war 1973-75 musikalischer Leiter an der Metropolitan Opera in New York und dirigierte anschließend wieder das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Als sein Nachfolger ab 1982 wurde 1980 K. Kondraschin (t B. 3. 1981 Amsterdam) ernannt. K. ist vor allem als Dirigent klassischer und romantischer Werke hervor21
Kuchler getreten. Als Komponist vertritt K. eine gemäßigt moderne Schreibweise. WW: Klv.-Stücke; Streichquartette; 3 Symphonien (1933-71); V.- u. Vc.-Konzert; Requiem Pro memoria uxoris (1962) für Bar., Chor u. Orch.; Opern: Veronika, UA: Minn 1947; Cornelia Faroli, UA: Augsburg 1972. Lit.: Zu 1): J. ČELEDA, J. K. (Pr 1930); B. VOLDAN, Skladby J. Kubelíka (Pr 1933); K. HOFFMEISTER, J. K. (Pr 1941); Kuctění památky J. Kubelíka, hrsg. v. J. DOSTAL (Pr 1942). — Zu 2): M. SEE, in: NZfM 136 (1965). H. LINDLAR
KUCHLER, Ferdinand, * 14.7.1867 Gießen, t 24.10.1937 Leipzig; dt. Violinist und Bratschist. Er studierte 1883-88 am Hochschen Konservatorium in Frankfurt a. M. Violine (J. Naret-Koning, H. Heermann) und Theorie (A. Egidi, I. Knorr). Danach war er Violinlehrer am Konservatorium und Solo-Bratschist der Symphoniekonzerte in Basel.1898-1910 lehrte er am Hochschen Konservatorium, nahm dann seine Solistentätigkeit in Basel wieder auf, gründete dort 1911 eine eigene Musikschule und übernahm 1912 auch die Leitung des Basler Volkschores. 1927-36 lehrte er am Landeskonservatorium in Leipzig. K. hat maßgeblichen Anteil an der Entwicklung einer neuen Violin-Methodik, die auf den Erkenntnissen Fr. A. Steinhausens über die Physiologie der Bogenführung beruht. Schriften: Praktische Violinschule, 2 Bde. (Bas 1911, L—Z "1930), NA hrsg. v. I. Pagel, 2 Bde. (Z 1964-66); Lehrbuch der Bogenführung auf der Violine (L 1929, Neudr. 1954); Lehrbuch der Technik des linken Armes (L 1932).
KUCHTA, Gladys, *16. 6. 1923 Chicopee (Mass.); amerik. Sängerin (Sopran). An der Juilliard School in New York und am Columbia Opera Workshop ausgebildet, debütierte sie 1952 in Florenz als Donna Elvira in Mozarts Don Giovanni. Anschließend sang sie an der Oper in Genua, 1953-54 am Stadttheater in Flensburg und 1954-58 in Kassel. 1958-75 war sie Mitglied der Städtischen (später Deutschen) Oper in Berlin. Zeitweilig war sie auch an der Metropolitan Opera in New York sowie an den Staatsopern in Wien, München und Stuttgart verpflichtet. Außerdem gastierte sie u. a. in Buenos Aires, San Francisco, Paris, London, Tokio und bei den Festspielen in Bayreuth (seit 1968) und Edinburgh. Neben Wagner-Partien (Senta, Isolde, Brünhilde) zählen Strauss-Partien (Elektra, Färberin), aber auch die Leonore in Beethovens Fidesowie die Turandot in G. Puccinis gleichnamiger Oper zu ihren wichtigsten Rollen. KUCKERTZ, Josef, * 24.11.1930 Würselen; dt. Musikethnologe. K. studierte 1952-56 an der Rheinischen Musikschule Köln und 1957-62 Musikwissenschaft, Germanistik und Geschichte an der Universität Köln. Nach seiner Promotion 1962 22
wurde er dort 1963 Assistent, 1967 Dozent und 1970 Professor. Seit 1980 lehrt K., dessen Forschungen vor allem der Musik des Vorderen Orient und Indiens gelten, an der Freien Univ. Berlin. Schriften: Gestaltvariation in den v. Bartók gesammelten rumänischen Colinden (Diss. Rb 1963) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 23); Die Melodietypen der westsyrischen liturg. Gesänge, in: KmJb 53 (1969); Form u. Melodiebildung der karnatischen Musik Südindiens im Umkreis der vorderorientalischen u. der nordindischen Kunstmusik, 2 Bde. (Wie 1970) (= Schriftenreihe des Südasien-Inst. der Univ. Heidelberg); Die klass. Musik Indiens u. ihre Aufnahme in Europa im 20. Jh., in: AfMw 31 (1974); Struktur u. Aufführung ma. Gesänge aus der Perspektive vorderorientalischer Musik, in: Basler Jb. für hist. Musikpraxis (Winterthur 1978); Musik in Asien I. Indien und der Vordere Orient, in: Beih. zu Musik Aktuell, hrsg. v. H. Segler (Kas 1980).
KUCKUCKSRUF. — 1) Der Ruf des Kuckucks ist dank seiner prägnanten Gestalt (mehrmals wiederholter Terzsprung abwärts) in musikalischem Zusammenhang oft onomatopoetisch verwendet worden, erstmals in dem englischen Sommerkanon Sumer is icumen (13. Jh.) bei den Worten sing cucu. Eine berühmte Stelle aus späterer Zeit ist der Schluß des langsamen Satzes von L. v. Beethovens Sinfonia pastorale. Dort erscheint der K. (in der 1. u. 2. Klarinette) kombiniert mit anderen stilisierten Vogelrufen (Nachtigall, Wachtel); sie alle sind hier jedoch nicht nur in tonmalerischer Absicht eingesetzt, sondern auch in den motivischen Zusammenhang des ganzen Satzes integriert. — 2) Hilfsregister der Orgel des 16./18. Jh. zur Nachahmung des K.s, das aus gedackten Holzpfeifchen besteht. Ein Windrad treibt mittels Übersetzung ein größeres Rad mit Nocken an, die die Ventile der Pfeifchen öffnen bzw. schließen. KUFFERATH. — 1) Johann Herrmann, * 12.5. 1797 Mülheim an der Ruhr, t 28.7.1864 Wiesbaden; dt. Violinist. Er studierte bei L. Spohr und G. Hauptmann in Kassel. 1823 wurde er Musikdirektor in Bielefeld und 1830 in Utrecht. Er schrieb Ouvertüren, Kantaten und Motetten und veröffentlichte 1836 eine Gesanglehre für Schulen. — 2) Louis, Bruder von 1), * 10.11.1811 Mülheim, t 2.3.1882 Brüssel; Dt. Pianist. Er leitete 1836-50 die Musikschule von Leeuwarden und 1850-52 die Königliche Chorvereinigung von Gent. K. schrieb eine Messe, eine Kantate, zahlreiche Klavierstücke. Lieder, Chöre und 250 Kanons. — 3) Hubert Ferdinand, Bruder von 2), * 10.6.1818 Mülheim, t 23.6.1896 St-Josseten-Noode; dt. Komponist. Er war Schüler von F. Mendelssohn (Komposition) und F. David (Violine) in Leipzig und ließ sich 1844 als Klavier- und Kompositionslehrer in Brüssel nieder. 1872 wurde er Professor für Kontrapunkt und Fuge am Conservatoire. Er veröffentlichte neben Instrumental- und Vokalwerken auch eine École
Kühn du choral... (Bru o. J.). — 4) Maurice, Sohn von 3), * 8.1.1852 St-Josseten-Noode, t 8.12.1919 Brüssel; belgischer Musikschriftsteller. Er studierte Jura und Kunstgeschichte in Brüssel und Leipzig. Seit 1875 war er Redakteur bei L'Indépendance belge sowie Mitarbeiter von Le Guide Musical, der 1890 in sein Eigentum überging. 1901 wurde er Direktor des Théâtre de la Monnaie in Brüssel. Von seinen Veröffentlichungen ist die umfangreiche Schrift über die Opern R. Wagners nach ihrem Inhalt und ihrem literarischen Rang noch heute von Interesse. Schriften: Z. 4): Le théâtre de R. Wagner de Tannhäuser à Parsifal, 6 Bde. (P— Bru 1891-98); L'art de diriger l'orchestre (P '1909); H. Vieuxtemps, sa vie et son ceuvre (Bru 1882); Musiciens et philosophes, Tolstoi, Schopenhauer, Nietzsche, R. Wagner (P 1899). Lit.: Z. 3): K.-U. DUwELL, in: Rheinische Musiker 3, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kö 1964) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 38).
KUGELMANN. — 1) Hans, * Augsburg (?), t Juli oder August 1542 Königsberg; dt. Trompeter und Komponist. K. ist 1518 als Mitglied der Kapelle Kaiser Maximilians I. nachweisbar. 1523 stand er im Dienst der Fugger in Augsburg, war seit 1524 1. Trompeter und Hofkomponist am Hof des Markgrafen Albert von Preußen in Königsberg und seit 1534 auch Kapellmeister der Kantorei. Die von ihm herausgegebene Sammlung Concentus novi trium vocum (Au 1540), die zahlreiche deutsche und lateinische Gesänge auch von K. enthält, ist ein Dokument für die Musikpflege des frühen Protestantismus in Süddeutschland. K.s Bruder Melchior war 1540-48 Hofkomponist in Königsberg. — 2) Paul, Bruder von 1). Er war zwischen 1542 und 1557 1. Trompeter und Hofkomponist am Hof in Königsberg. Seine Etliche Teutsche Liedlein zu 3-6 St. (Königsberg 1558) sind ein später Beitrag zum Tenorlied. Ausg.: Z. 1): Concentus novi 1540, hrsg. v. H. ENGEL (Kas 1955) (= EDM Sonderreihe 2); eine Messe u. 2 Motetten, hrsg. v. F. JUDE, in: Chorbuch 5 (Wb 1931). — Zu 2): 7 teutsche Liedlein, hrsg. v. H. ENGEL (Kas — Bas 1954). Lit.: F. SPITTA, Die Liederslg. des P. K., in: FS H. Riemann (L 1909); H. ENGEL, Etliche teutsche Liedlein, geistlich u. weltlich..., in: OstpreuBische Musik (1937); S. FORNAÇON. Weniger bekannte Komponisten der ev. Kirchengesch. H. K. „Oberster Trompeter" in Königsberg, in: Der Kirchenmusiker 6 (1955).
KUHLAU, Daniel Friedrich Rudolf, * 11.9.1786 Uelzen, t 12.3.1832 Lyngbye bei Kopenhagen; dänischer Komponist dt. Herkunft. K. war Kompositionsschüler von Chr. G. Schwencke in Hamburg, wo er seit 1804 als Pianist und Komponist hervortrat. 1810 ging er nach Kopenhagen und war dort zunächst als Lehrer für Klavier, Theorie und Gesang tätig. 1818 wurde er Hofkompositeur und 1828 Professor. Von K.s Kompositionen werden einige Klavierstücke gelegentlich noch heute ge-
spielt, darunter besonders die im Anfangsunterricht gern verwendeten Sonatinen. WW: Trios für 2 Fl. u. Klv. sowie für 3 Fl. (1826); Quartett für 4 Fl. (1826); Streichquartett a-moll (1831); Klv.-Konzert C-Dur (1810). — Opern (UA in Kopenhagen): Die Räuberburg, UA: 1814; Die Zauberharfe, UA: 1817; Elisa, UA: 1820; Lidu, UA: 1824 u. Hugo u. Adelheid, UA: 1827; ferner Bühnenmusik zu: J. L. Heiberg, Elverhej (1828) u. C. J. Boyes, William Shakespeare (1826). Ausg.: Sonatinen für Klv., hrsg. v. L. KOHLER — A. RUTHARDT, 2 Bde. (L 1954), Neudr. des 1. Bd.es (F 1966); Klv.Konzert op. 7 u. Fl.-Quintett op. 51 (Kop 1958-61); 6 Sonatinen op. 44 u. 66 für Klv. zu 4 Händen, hrsg. v. A. RUTHARDT (L 1959); Quartett für 4 Fl. E-Dur, hrsg. v. F. NAGEL (F 1971); Variationen über ein schottisches Lied, op. 104 für Fl. u. Klv., hrsg. v. G. BRAUN (St 1974). Lit.: K. GRAUPNER, Das Leben u. die dramatischen Werke F. K.s (Diss. Mn 1930); K. LARSEN, D.F.R. K. Ein Werkverz. (Kop 1959); J.-L. BEIMFOHR, Das C-Dur-Klv.-Konzert op. 7 u. die Klv. Sonaten v. F. K., 2 Bde. (H 1971); A. K. FAIRBANKS, Music for Two, Three, and Four Flutes by F. K. (1975) (= Diss. Ohio State Univ.); Kompositionen v. F. K. Thematisch-bibliogr. Kat., hrsg. v. D. FOG (Kop 1977).
KUHN, Clemens, * 23.4.1945 Hamburg; dt. Musiktheoretiker. Er studierte in Hamburg Schulmusik, Germanistik sowie Musiktheorie und Komposition (bei D. de la Motte) und in Berlin Musikwissenschaft (bei C. Dahlhaus), wo er 1977 mit einer Arbeit über B. A. Zimmermann promovierte. 1978 wurde er Professor für Musiktheorie an der Hochschule der Künste Berlin. Seit 1978 ist K. Schriftleiter der Zeitschrift Musica. Schriften: Das Zitat in der Musik der Gegenwart (H 1972); Plädoyer für eine Reform der Harmonielehre, in: Musica 3 (1972) (zus. mit D. de la Motte u. R. Birnstein); Ch. Ives. Eine Bestandsaufnahme, in: Musik u. Bildung 8 (1976); Die Orchesterwerke B. A. Zimmermanns. Ein Beitr. z. Musikgesch. nach 1945 (H 1978) (= Schriftenreihe z. Musik 12); Verlust der Unmittelbarkeit? Der Interpret u. die Analyse, in: Musica 10 (1979); Allgemeine Musiklehre (Kö 1981).
KUHN, Paul, * 12.3.1928 Wiesbaden; dt. Bandleader und Komponist. Er erhielt Unterricht am Konservatorium in Wiesbaden. Nach dem 2. Weltkrieg leitete er mit Erfolg eigene Jazz-Combos und kam 1953 als Pianist und Arrangeur zum WDR. Seit Ende der 50er Jahre produziert er auch eigene Fernsehshows, u. a. Pauls Party und Hallo, Paulchen. 1968-80 war er Leiter des SFB-Tanzorchesters. Von K.s Schlagerkompositionen, die teilweise auch von ihm selbst gesungen werden, ist besonders Geben Sie dem Mann am Klavier noch ein Bier bekannt geworden. WW: Musicals: Fanny Hill, UA: Gelsenkirchen 1972; Schinderhannes (nach C. Zuckmayer), UA: Karlsruhe 1978. — Hörspielund Fernsehmusiken sowie zahlreiche Schlager.
KÜHN. —1) Rolf, * 29.9. 1929 Köln; dt. Jazzmusiker (Klarinette, Altsaxophon) und Dirigent. Er studierte in Leipzig 1938 Klavier und 1941 Klarinette 23
Kuhn und spielte seit 1952 im Rundfunkorchester von RIAS Berlin. 1956 ging er in die USA und trat dort mit namhaften Musikern der amerikanischen Jazzszene auf, u.a. 1957-58 mit der Benny-Goodman-Band, deren stellvertretende Leitung er zeitweise übernahm. 1961 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde im selben Jahr Dirigent des
Fernseh-Studio-Orchesters des NDR. Mitte der 60er Jahre gründete er mit seinem Bruder Joachim K. ein eigenes Free-Jazz-Quartett. K. gilt als der führende europäische Klarinettist, der auch in den USA starke Beachtung und Anerkennung fand. — 2) Joachim, Bruder von 1), * 15. 3. 1944 Leipzig; dt. Jazzmusiker (Klavier, Tasteninstrumente, Altsaxophon). Er spielte zunächst in der DDR mit eigenen Gruppen und ging dann in die Bundesrepublik Deutschland, wo er seit 1966 im Free-Jazz-Quartett seines Bruders Rolf Kühn mitwirkte. 1972 spielte er in Pierre Courbois' bekannter JazzRock-Gruppe „Association P. C." Seit den 70er Jahren konzertiert K. zunehmend als Solopianist der virtuos-neuromantischen Richtung mit internationalem Erfolg. KUHN, Th. Kuhn AG, Schweizer Orgelbaufirma. wurde 1864 von Johann Nepomuk K. (1827-88) und Heinrich Spaich (1844-97) in Männedorf bei Zürich gegründet. H. Spaich schied 1872 aus der Firma aus. Nachfolger von Johann Nepomuk K. wurde sein Sohn Theodor K. der 1907 die Firma Merklin in Lyon übernahm. 1925 wurde das Stammhaus in Männedorf in eine AG umgewandelt, während der Betrieb in Lyon selbständig als „Michel, Merklin & Kuhn" firmierte. Seit 1968 wird das Unternehmen von Friedrich Jakob K. (* 7. 11. 1932 Zürich) geleitet, der 1962 an der Universität Zürich mit der Dissertation Der Orgelbau im Kanton Zürich von seinen Anfängen bis zur Mitte des 19. Jh. (Be 1971) promovierte und an der Universität Zürich als Lehrbeauftragter für das Fach Musikwissenschaft tätig ist. Die Firma K., die seit 1900 als führende Schweizer Orgelbauwerkstatt gilt, baute u. a. folgende Orgeln: Bern, Münster (1930; 4 Man., 78 Reg.), Basel, Münster (1956; 4 Man., 74 Reg.), St. Gallen, Dom (1968; 4 Man., 77 Reg.), Zürich, Predigerkirche (1973; 3 Man., 45 Reg.) und New York, Lincoln Center (1975; 4 Man., 61 Reg.). Sie
KUHNAU, Johann, * 6. 4. 1660 Geising (Erzgebirge), t 5. 6. 1722 Leipzig; dt. Komponist. Er war in Dresden Alumnus der Kreuzschule und Ratsdiskantist, dann Gymnasiast in Zittau, wo er vorübergehend auch das vakante Kantorat versah. Seit 1682 studierte er Jura in Leipzig. Hier war er neben seiner Tätigkeit als Advokat seit 1684 Thomas24
organist und seit 1701 als Nachfolger J. Schelles Thomaskantor sowie Universitätsmusikdirektor. K., ein universal gebildeter Mann, verdient nicht nur als Amtsvorgänger J. S. Bachs besondere Beachtung, sondern auch als Musikschriftsteller, Klavierund Kantatenkomponist. Weiten Nachhall fanden vor allem die z. T. in mehreren Auflagen gedruckten Klavierwerke: neben Suiten (Neue Clavier Übung, I 1689, II 1692) stehen Werke wechselnder Satzfolge und Formung, die erstmals in der Geschichte der Klaviermusik die Bezeichnung „Sonate" tragen (Frische Clavier Früchte, 1696, Sonate aus dem B, im Druck 1692), schließlich die bedeutenden 6 Programmsonaten mit charakterisierender Verdichtung bestimmter Affektsituationen in vielfältiger Gestaltung (Musicalische Vorstellung einiger Biblischer Historien, 1700). K.s geistliche Vokalwerke umfassen neben z. T. lateinischen Motetten vor allem etwa 20 Kantaten (viele weitere sind verlorengegangen), die, wenngleich von unterschiedlicher Qualität, den Übergang von verschiedenen älteren Formen zum neuen Typ der Bachzeit in sehr anschaulicher Weise verfolgen lassen. WW: Neue Clavier Übung, 2 Teile (L 1689 u. 1692, mit mehreren Aufl.) (darin je 7 Suiten); Frische Clavier Früchte oderSiebenSuonaten von guter Invention u. Manier (L 1696 u. ö.); Musicalische Vorstellung Einiger Biblischer Historien, In 6 Sonaten auff dem Claviere zu spielen (L 1700, mit mehreren Aufl., Nachdr. L 1973). — Er schrieb Der musikal. Quacksalber (Dresden 1700). Ausg.: Der musikal. Quacksalber, hrsg. v. K. BENNDORF (B 1900) (= Dt. Literaturdenkmale des 18. u. 19. Jh. 83-88); J. K.s Klv.-Werke, hrsg. v. K. PÄsLER (L 1901) (= DDT 4): 4 Kantaten, in: S. Knüpfer, J. Schelle, J. K. Ausgew. Kirchenkantaten, hrsg. v. A. SCHERING (L 1918) (= DDT 58/59); Musicalische Vorstellung Einiger Biblischer Historien ..., hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT (F 1964-67); Kantate Ich hebe meine Augen auf, hrsg. v. H. KÜMMERLING (Kö 1964) (= Auslese für die Musizierpraxisder Kantorei 1); Motette Tristis est anima mea, hrsg. v. G. SCHRECK (L 1965, Neudr. 1970): dies., hrsg. v. D. HELLMANN (St 1973) (= Die Motette 27); Kantate Wie schön leuchtet der Morgenstern, hrsg. v. H. R. ROTHLISBERGER (Be 1968). Lit.: J. MARTIN, Die Kirchen-Kantaten J. K.s (Diss. B 1928): K. HAHN, J. K.s „Fundamenta compositionis", in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); W. REICH, Semantische u. formale Gestaltungsprinzipien in den „Biblischen Historien" v. J. K., in: AfMw 15 (1958); S. STOPFGESHOFF, Die Musikerromane v. W. C. Printz u. J. K. zw. Barock u. Aufklärung (Diss. Fr 1960); E. SCHENK. K. u. Fux, in: Anzeiger der philosophisch-hist. Klasse der Ústr. Akad. der Wiss. 102 (1965); F. KRUMMACHER, Die Überlieferung der Choralbearb. in der frühen ev. Kantate ... (B 1965) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 10); DERS., Die Choralbearbeitung in der prot. Figuralmusik zw. Praetorius u. Bach (Kas 1978) (= Kieler Schriften z. Musikwiss. 22); E. L. RIMBACH, The Church Cantatas of J. K., 2 Bde. (1966) (= Diss. Univ. of Rochester/N.Y.). F. KRUMMACHER
KÜHNEL, August, * 3. B. 1645 Delmenhorst, t um 1700; dt. Komponist und Viola da gamba-Spieler. Er war zwischen 1661 und 1681 Mitglied der Hofkapelle des Herzogs Moritz von
Kulenkampff Sachsen-Zeitz, unternahm aber zahlreiche Konzertreisen, u. a. 1665 nach Frankreich. Nach 1681 lebte er längere Zeit in London. 1686 wurde er Garn-bist und Direktor der Instrumental-Musik in Darmstadt, 1695 Kapellmeister in Kassel, wo 1698 seine Sonate o partite für 1-2 Violen und B.c. erschienen. K. hat Kassel wohl 1699 wieder verlassen. Ausg.: 2 Sonaten fur Viola da Gamba, hrsg. v. CH. DÖBEREINER (Mz 1928). Lit.: A. EINSTEIN, Zur dt. Lit. für Viola da Gamba im 16. u. 17. Jh. (1905) (= BIMG 11/ 1 ) (darin 3 Stücke); CH. ENGELBRECHT, Die Hofkapelle des Landgrafen Carl von HessenKassel, in: Zschr. des Vereins für hessische Gesch. u. Landeskunde 68 (1957).
KUHREIGEN (frz.: ranz des vaches), Bz. für ein in Hirtengebieten Europas beheimatetes „Eintreibelied", das offenbar aus einfacheren, gesungenen Viehlockrufen herausgewachsen ist. Die vom Wortteil „Reihen" nahegelegte Verbindung mit irgendwelchen archaischen Kuh-Tänzen bleibt, obwohl solche gelegentlich bezeugt sind, unsicher. Die Deutung im Sinne von „Lied" (wie in „Bergreihen") hat den Vorzug größerer Einfachheit. Die in der Literatur besonders des 18. Jh. häufige Behauptung, der heimatferne Schweizer werde durch das Erklingen des K.s von unbezähmbarem Heimweh befallen, führte zur Vorstellung, der K. sei ein nationales Charakeristikum der Schweiz. So wurde, nach dem ersten, offensichtlich frei „arrangierenden" Beleg von 1545 (G. Rhaw, Bicinia gallica), der K. im 18. und 19. Jh. in den Schweizer Alpen geradezu eine touristische Attraktion. Offenbar umfaßte in den damaligen schriftlichen Bezeugungen der Begriff K. mehr, als zum K. im eigentlichen Sinne gehört. So geben die frühen erhaltenen Belege und literarischen Zeugnisse schon keine entschiedene Klarheit darüber, ob der — zweifellos recht alte — K. ursprünglich ein textiertes, vokales oder ein instrumentales oder wenigstens textloses Gebilde war; wahrscheinlicher ist heute eine textierte Konzeption mit erst nachträglich eingeschobenen Liedstrophen. Ein einziger Archetyp der vielen, untereinander verschiedenen Fassungen des K.s läßt sich, trotz Gemeinsamkeiten und einzelnen greifbaren Ansatzpunkten, nicht rekonstruieren; deutlich scheint immerhin die formale Dreigliederungdes aus „rezitativisch-melodischen freien Versketten" gebauten K.s, wobei der Kernteil in der Mitte eine katalogartige Apostrophierung der KuhNamen enthält. Darin wurde schon ein Zusammenhang mit dem /Alpsegen gesehen. Die musikalische Nähe zu Alphorn-Melodik und /Jodeln ist (z. B. in der Schweiz) unverkennbar; einige K. sind durch große Virtuosität, die sie vom Sänger fordern, gekennzeichnet. Wie alle Bestandteile alter Volks-
musik ist auch der K., zumindest in der Schweiz, im Rückgang begriffen und nur selten noch zu hören. Lit.: G. TARENNE, Recherches sur les Ranz des vaches (P 1813); J. R. WYSS, Sig. v. Schweizer-Kühreihen u. Volksliedern (Be 3 1818); A. TOBLER, Kühreihen oder Kìihreigen, Jodel u. Jodellied in Appenzell (L—Z 1890); L. GAUCHAT, Étude sur le Ranz des vaches fribourgeois, in: Programm der Zürcher Kantonsschule (Z 1899); P. GEIGER, Volksliedinteresse u. Volksliedforschung in der Schweiz (Be 1912); M. F. BUKOFZER, Zur Erklärung des „Lobetanz" durch die schweizerische Volksmusik, in: Schweizerisches Arch. für Volkskunde 36 (1937/38); W. SICHARDT, Der alpenländische Jodler u. der Ursprung des Jodelns (B 1939) (= Schriften zur Volksliedkunde u. völkerkundlichen Musikwiss. [I); W. WIORA, Zur Frühgesch. der Musik in den Alpenländern (Bas 1949); C.-A. MOBERG, Kuhreihen, Lobetanz u. Galder, in: Gedenkschrift J. Handschin (Str 1962); M. P. BAUMANN, Musikfolklore u. Musikfolklorismus. Eine ethnomusikologische Unters. des Jodelns (Winterthur 1976). M. STAEHELIN
KUJAWIAK /Mazur. KUKUZEL (Kukuzeles), Joan (Johannes), * um 1280 Durazzo (Bulgarien; heute Albanien). Er lebte als angesehener Sänger am Hof von Byzanz und später als Mönch der Großen Lavra auf dem Athos und gehört zu den bedeutendsten Vertretern der spätbyzantinischen Musik. Seine Gesänge unterscheiden sich von denen anderer byzantinischer Autoren durch reichere Mélismatik, größeren Ambitus und komplexere musikalische Struktur. Zu nennen sind der Polyeleios der Bulgarin, die Anixantari, das Große Isso des papadikischen Gesanges und das Höfische Cheruvim-Lied. K. erweiterte die spätbyzantinische Neumennotation (die nach ihm auch „kukuzelische" Notation genannt wird) und vermehrte die cheironomischen Zeichen. Er gilt ferner als Verfasser eines musiktheoretischen Traktats (Ermeneia těs parallagěs tou trochou). Lit.: E. WELLESZ, A History of Byzantine Music (0 1949); R. PALIKAROVA-VERDEIL, La musique byzantine chez les Bulgares et les Russes (Kop — Boston 1953); L. STANTSCHEWA-BRASCHOWANOWA, K., in: MGG VII; DIES., Forsch. über das Leben u. die Tätigkeit J. K., in: Jb. des Inst. für Musik der Bulgarischen Akad. der Wiss. 6 (Sofia 1959); E. V. WILLIAMS, J. K.'s Reform of Byzantine Chanting for Great Vespers in the 14th Century (1968) (= Diss. Yale Univ./Conn.); S. DZUDZEV, J. K. u. die ma. bulgarische Musik, in: Musica Slavica. Beitr. z. Musikgesch. Osteuropas, hrsg. v. E. Arm (Wie 1977); L. BRASCHOWANOWA, Die ma. bulgarische Musik u. J. K. (W — Kö — Gr 1984) (— Wiener musikwiss. Beirr. 12). L. STANTSCHEWA-BRASCHOWANOWA
KULENKAMPFF, Georg, * 23. 1. 1898 Bremen, t 5. 10. 1948 Schaffhausen; dt. Violinist. K. studierte bei E. Wendel in Bremen und 1913-16 bei W. Heß in Berlin und wurde anschließend Konzertmeister im Philharmonischen Orchester der Stadt Bremen. Daneben trat er auch als Solist auf. 1919 ging er erneut nach Berlin und lehrte 1923-26 und 1931-43 als Professor an der Musikhochschule. 1943 übersiedelte er in die Schweiz und übernahm 25
Kulka nach C. Fleschs Tod dessen Meisterklasse am Konservatorium in Luzern. Zeitweise trat er auch im Duo mit W. Kempff auf sowie im Trio mit E. Fischer und E. Mainardi. Außerdem hatte er mit U. Grehling, W. Müller und A. Troester ein eigenes Streichquartett. K. galt als einer der bedeutendsten deutschen Violinisten seiner Zeit. 1937 spielte er in Berlin bei der Uraufführung von R. Schumanns nachgelassenem Violinkonzert den Solopart. Sein Repertoire umfaßte vor allem Werke von J. S. Bach,
2) Adolph, Bruder von 1), * 23.2.1823 Meseritz (Posen), t 25. 12. 1862 Berlin; dt. Musikschriftsteller. K. studierte Philosophie an der Berliner Universität und wurde von A. B. Marx musikalisch ausgebildet. Er war Lehrer an der Akademie und Mitarbeiter der Berliner Musikzeitung. Seine Ästhetik des Klavierspiels (1860 u.ö.) wurde eine der grundlegenden Schriften zur deutschen Klavierpädagogik des späten 19. und frühen 20. Jahr-
L. van Beethoven, J. Brahms, M. Reger, E. Ysaye, B. Bartók und P. Hindemith. Er schrieb Geigerische Betrachtungen (hrsg. v. G. Meyer-Sichting, Rb 1952).
Schriften: Die Kunst des Anschlags (L 1855); Das MusikalischSchöne (L 1858); Ästhetik des Klavierspiels (B 1860), spätere Aufl. hrsg. v. H. Bischoff bzw. v. W. Niemann (' "1920).
KULKA, János, * 11. 12. 1929 Budapest; dt. Dirigent ung. Herkunft. Er studierte 1944-50 an der Musikhochschule in Budapest Klavier, Dirigieren (J. Ferencsik, L. Somogyi) und Komposition (Z. Kodály, L. Weiner und J. Viski). Anschließend war er Solorepetitor und später Dirigent an der Budapester Staatsoper. 1957 ging er nach Wien, dann an die Bayerische Staatsoper nach München, wurde 1959 1. Kapellmeister an der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart und 1961 an der Hamburgischen Staatsoper. Seit 1964 ist K. GMD in Wuppertal und dirigiert als Gast im In- und Ausland.
KULLAK. —1) Theodor, * 12. 9.1818 Krotoschin (Bezirk Posen), t 1.3. 1882 Berlin; dt. Pianist und Komponist. Er spielte bereits mit 11 Jahren vor dem König in Berlin. Seit 1837 studierte er (u. a. Medizin) an der Universität Berlin, promovierte zum Dr. phil. und erwarb sich daneben eine musikalische Ausbildung (u. a. bei S. Dehn und W. Taubert), die er 1842 in Wien (bei K. Czerny, O. Nicolai und S. Sechter) fortsetzte. 1843 nach Berlin zurückgekehrt, wurde er vor allem in Hof und Adelskreisen als Klavierlehrer geschätzt und 1846 zum Hofpianisten ernannt. 1850 gründete er zusammen mit J. Stern und A. B. Marx das Berliner (später sog. Sternsche) Konservatorium und 1855 eine eigene Akademie der Tonkunst, die bis 1890 bestand und eine der angesehensten musikalischen Ausbildungsstätten in Deutschland war. Er selbst war ein Pianist und Klavierpädagoge von hohem Rang. M. Moszkowski und X. Scharwenka zählen zu seinen Schülern. Seine Kompositionen sind Salonmusik brillantester Art. K.s Sohn Franz (1844-1913) war ebenfalls Klavierpädagoge und wurde vor allem durch seine praktische Ausgabe der Klavierkonzerte von L. van Beethoven bekannt. WW: Sonaten, Etüden, Charakterstücke u. a., fast ausschließlich für Klv. (etwa 130 Opuszahlen); ferner Studienwerke, u. a. Schule des Oktavenspiels, op. 48 (B o.J., NA um 1875).
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hunderts.
Lit.: H. RIEMANN, Präludien u. Stud. III (L 1901, Nachdr. Hil 1967); W.C.M. KLOPPENBERG, De Ontwikkelingsgang van de pianomethoden (Utrecht 1951); R. SIETZ, K., in: MGG VII.
KUMMER. — 1) Gotthelf Heinrich, * 23.1.1774 Neustadt bei Dresden. t 28.1.1857 Dresden; dt. Fagottist und Komponist. K. wurde 1796 Fagottist bei den Wachgrenadieren am Dresdner Hof und 1809 Mitglied der Hofkapelle. Von ihm wurden gedruckt u. a. 6 Fagottkonzerte, Fagott-Trios und weitere Stücke für und mit Fagott. — 2) Friedrich August, Neffe von 1), * 5.8.1797 Meiningen, t 22. B. 1879 Dresden; dt. Cellist. Er war in Dresden Schüler von Justus Johann Friedrich Dotzauer. 1814 wurde er Oboist der Dresdner Hofkapelle, 1817 2. und 18521. Cellist. Außerdem lehrte er am Dresdner Konservatorium. WW (ca. 170 Opuszahlen): Vor allem Werke für u. mit Vc.: Duos für 2 Vc., Stücke für Vc. mit anderen Streichinstr. u. mit Klv., Konzerte, Fantasien u.a. mit Orch.; ferner zahlr. Studienwerke für Vc. Lit.: W. VON WASIELEWSKI, Das Violoncello u. seine Gesch. (L 3 1925, Nachdr. Wie 1968); J. ECKHARDT, Die Violoncelloschulen v. J. J. Dotzauer, F. A. K. u. B. Romberg (Rb 1968) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 51).
KUNAD, Rainer, * 24. 10. 1936 Chemnitz (heute: Karl-Marx-Stadt); dt. Komponist. Er studierte 1955-56 am Dresdner Konservatorium, dann 1956-59 Komposition (F. F. Finke, O. Gerster, P. Schenk) an der Musikhochschule in Leipzig. Nach kurzer Lehrtätigkeit (Musiktheorie, Gehörbildung) am Robert-Schumann-Konservatorium in Zwickau war K. 1960-74 Leiter der Schauspielmusik an den Staatstheatern in Dresden. Seit 1971 ist er für die Deutsche Staatsoper in Berlin(-Ost) tätig. 1974 wurde er ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Seit 1984 lebt er in der Bundesrepublik Deutschland. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Werke; Chaconne u. Doppelfuge (1958); Kammermusik, u.a. Bläserquintett (1965). — Sinfonie 1964 (1964) u. 2. Symphonie (1967); Concerto per archi (1966); Klv.-Konzert (1969); Konzert für Org., 2 Streichorch. u. Pauken (1971); Quadrophonie (1973) für 4 Streichorch., Blechbläser u. Pauken; Scène concertante (1975) für Orch. — 2) Vokal-WW: Schattenland Ströme (1966) (nach Gedichten v. J. Bobrowski), Gesänge für Tenor u. Gitarre; kleines Oratorium Die Kitschpo-
stille (1974). - 3) Biiihnen-WW: Lustspieloper Maitre Pathelin, UA: Dresden 1969; Operneinakter Bill Brook (nach W. Borchert), UA: ebd. 1965,.u. Old Fritz (nach R. Schneiders Mann aus England), UA: ebd. 1965; Opern Sabellicus, UA: Berlin 1974, u. Litauische Claviere (nach J. Bobrowski), UA: Dresden 1976.
Lit.: H. BOHM, in: MuGes 16 (1966); D. HARTWIG, Traditionslinien, in: BzMw 15 (1973); W. RÖSLER, Zur musikal. Dramaturgie der Oper „Sabellicus" v. R. K., in: Musikbühne 75, hrsg. v. H. Seeger (B 1975); U. STURZBECHER, Komponisten in der DDR (Hil 1979).
KÜNNEKE. — 1) Eduard, * 27. 1. 1885 Emmerich (Niederrhein), t 27. 10. 1953 Berlin; dt. Komponist. K. studierte 1903-05 u. a. bei M. Bruch an der Hochschule für Musik in Berlin. 1907 wurde er in Berlin Chordirektor am Neuen Operettentheater am Schiffbauerdamm, war eine Zeitlang auch Kapellmeister am Deutschen Theater unter M. Reinhardt, widmete sich dann aber vorwiegend der Komposition. Bereits 1909 brachte er sein erstes Bühnenwerk, die komische Oper Robins Ende, in Mannheim zur Aufführung, doch gelang ihm der entscheidende Durchbruch erst 1921 mit der Operette Der Vetter aus Dingsda. Einen vergleichbaren Erfolg erzielte er 1932 mit Glückliche Reise. Krankheit und Krieg behinderten seit 1941 weitgehend sein Schaffen. K. gehört zu den bedeutendsten deutschen Operettenkomponisten unseres Jh., auch wenn er selbst immer wieder zur „ernsten" Musik tendierte. Er war ein Meister der vokalen Kantilene und des subtilen Stimmungsausdrucks (etwa in Ich bin nur ein armer Wandergesell aus Der Vetter aus Dingsda) ebenso wie kontrapunktischer Satzweise und wirkungsvoller Instrumentation. Dies ist charakteristisch besonders auch für seine Tänzerische Suite, eine Art Concerto grosso für Jazzband und Orchester, aie bis heute ein Standardstück virtuoser Unterhaltungsmusik ist. WW: Zahlr. Operetten, u. a.: Wenn Liebe erwacht (1920); Der Vetter aus Dingsda (1921); Verliebte Leute (1922); Casinogirls (1923); Die hellblauen Schwestern (1925); Not so long ago (1925); Riki-Tiki (1925); Lady Hamilton (1926); Die singende Venus (1928); Der Tenor der Herzogin (1930); Glückliche Reise (1932); Lockende Flamme (1933); Die groBe Sünderin (1935); Hochzeit in Samarkand (1938); Der groBe Name (1938); Die Wunderbare (1940); Traumland (1941); Hochzeit mit Erika (1949). - Opern: Robins Ende, UA: Mannheim 1909, Cceur As, UA: Dresden 1913, Nadja, UA: Kassel 1931. - Stummfilmmusik zu: Das Weib des Pharao (1923) u. zahlr. Tonfilmmusiken. - Einzelne Chor-Werke u. Lieder mit Orch. (teilweise nur hsl. erhalten) sowie Klv.-Lieder. - Für Orch.: Mehrere Ouvertüren, Suiten, Tänze, darunter Tänzerische Suite (1929); 2 Klv.-Konzerte.
2) Evelyn (Eva-Susanne), Tochter von 1), *15. 12. 1921 Berlin; dt. Schlagersängerin. Sie hatte in den 40er Jahren großen Erfolg vor allem mit Melodien von M. Jary (u. a. mit Sing, Nachtigall, sing, aus dem Film Auf Wiedersehen, Franziska, 1941). Ihr eigentümlicher Gesangsstil wurde nach dem Krieg von vielen Schlagersängerinnen nachgeahmt. Vor
einigen Jahren gelang ihr ein Comeback als extravagante Chansonette. KUNST, Jaap (Jakob), * 12. B. 1891 Groningen, t 7. 12. 1960 Amsterdam; ndl. Musikforscher. Er studierte an der Universität in Groningen und promovierte 1917 zum Dr. jur.; 1919-34 lebte er als holländischer Regierungsbeamter in Indonesien und legte eine bedeutende Sammlung von indonesischen Musikinstrumenten und Aufnahmen indonesischer Musik an. 1936 wurde er Konservator an der anthropologischen Abteilung im Tropeninstitut in Amsterdam, 1942 Privatdozent und 1952 Lektor für Musikethnologie an der dortigen Universität. Schriften: De toonkunst van Bali, I (Weltevreden 1925), II, in: Tijdschrift van het koninklijk Bataviaasch Genootschaap 65 (1925); Hindoe-Javaansche muziekinstrumenten (Weltevreden 1927), engl. erweitert als: Hindu-Javanese Musical Instruments (Den Haag 21968); A Study an Papuan Music (ebd. 1931); De toonkunst van Java, 2 Bde. (Den Haag 1934, engl. ebd. 1949, erweitert 31973); Ein musikologischer Beweis für Kulturzusammenhänge zw. Indonesien ... u. Zentral-Afrika, in: Anthropos 31 (1936); Musicologica. A Study of the Nature of Ethno-musicology, ... (A 1950, 2 1955), als: Ethno-Musicology (Den Haag 1955, 3 1959, Suppl. 1960, Nachdr. 1970). - Ferner die Schriftenslg. Music in New-Guinea (Den Haag 1967). Lit.: F. VAN LAMSWEERDE, In memoriam J. K., in: Sonorum Speculum 6 (1961); E. REESER, In memoriam J. K., in: TVer 19 (1963).
KUNSTMUSIK wird als Gegenbegriff zur řVolksmusik vor allem in der soziologisch orientierten Literatur gebraucht und als das bewußt nach bestimmten Regeln und kritischen Maßstäben geschaffene musikalische Artefakt verstanden. Die K. ist demnach stets /Komposition, die auf variablen theoretischen Grundlagen (řHarmonielehre, OEKontrapunkt) beruht und in der Regel ein bestimmtes Instrumentarium verwendet. KUNZ, Erich, * 20. 5. 1909 Wien; östr. Sänger (Baß-Bariton). Er studierte Gesang bei Theodor Lierhammer und Hans Duhan in Wien und debütierte 1933 in Troppau als Osmin in Mozarts Die Entführung aus dem Serail. Nach Engagements in Plauen (1936/37) und Breslau (1937-41) kam er an die Wiener Staatsoper, der er bis zum Ende seiner Laufbahn angehörte. 1948 wurde er dort Kammersänger und 1970 Ehrenmitglied der Oper. Als glänzender Mozart-Interpret trat er jährlich bei den Salzburger Festspielen auf. Außerdem gastierte er bei den Festspielen in Bayreuth, Edinburgh und Glyndebourne, an der Mailänder Scala, am Covent Garden in London, in Buenos Aires und in der Spielzeit 1952/53 an der Metropolitan Opera in New York. K. war vor allem wegen seiner glänzenden Buffo-Rollen, besonders in Opern Mozarts, berühmt, daneben aber auch ein beliebter Operetten- und geschätzter Konzertsänger. 27
Kunze KUNZE, Stefan, *10. 2. 1933 Athen; dt. Musikforscher. K. studierte 1952-53 und 1956-61 Musikwissenschaft, klassische Philologie und Byzantinistik an der Universität München sowie 1953-56 an der Universität Heidelberg, außerdem Flöte, Klavier und Theorie am ehemals Trapp'schen Konservatorium in München, wo er 1955 die Konzertreifeprüfung für Querflöte ablegte. 1961 promovierte er mit einer Dissertation über die Instrumentalmusik G. Gabrielis. 1962-65 unternahm er als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft mehrere Studienreisen nach Italien. Daneben war er Mitarbeiter an der Neuen Mozart-Ausgabe (NMA). 1970 habilitierte er sich an der Universität München und folgte 1973 einem Ruf als Ordinarius an die Universität Bern. Seine Hauptarbeitsgebiete sind: Musik des 16. Jh., Oper des 18. Jh., Wiener Klassik, Oper des 19. Jh. (Wagner, Verdi). Schriften: Die Instrumentalmusik G. Gabrielis, 2 Bde. (Tutzing 1963) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 8); Die Entstehung des Concerto-Prinzips im Spätwerk G. Gabrielis, in: AfMw 21 (1964); F. Schubert, Sinfonie h -moll (Unvollendete), in: Meisterwerke der Musik, H. 1 (Mn 1965); W. A. Mozart, Sinfonie g moll KV 550; in: ebd. H. 6 (Mn 1968); Die it. Opera buffa im 18. Jh. Kompositionstechnik, System der Gattungen im Buffa theater. Zu Mozarts Theater (Habit. -Schrift 1969) (Druck in Vorbereitung); Don Giovanni vor Mozart. Die Tradition der DonGiovanni-Opern im it. Buffa -Theater des 18. Jh. (Mn 1972) (= Miinchner Univ.-Schriften. Reihe der phil. Fakultät 10); Klassikerrezeption in den Kompositionslehren des frühen 19. Jh., in: Schweizer Beitr. z. Musikwiss. (1976) (= Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Ges. 4); Musikgesch., Musiktheorie, Theorie der Musikgesch., in: Mf 30 (1977); Fragen zu Beethovens Spätwerk, in:, Beethoven-Jb. 1973/77 (Bonn 1977); Über den Kunstcharakter des Wagnerschen Musikdramas, in: R. Wagner. Von der Oper zum Musikdrama (Be - Mn 1978); Die Wiener Klassik u. ihre Epoche, in: Studi Musicali 7 (1978); Instrumentalität u. Sprachvertonung in der Musik v. H. Schütz I, in: Schütz-Jb. 1 (1979).
KUNZEN (Kuntzen). — 1) Johann Paul, * 31. B. 1696 Leisnig (Sachsen), t 20. 3. 1757 Lübeck; dt. Organist und Komponist. K. studierte 1717-18 an der Universität Leipzig und nahm Musikunterricht bei J. Kuhnau. 1718 war er Kapellmeister in Zerbst und kam 1719 nach Wittenberg, wo er eine Konzertgesellschaft gründete und leitete. Nach Konzertreisen in Deutschland wurde er 1723 für 2 Jahre Leiter der Opernmusik in Hamburg, wo er noch bis 1732 als Privatmusiklehrer blieb. 1733 wurde er als Nachfolger J. Chr. Schieferdeckers Organist und Werkmeister (d. h. leitender kirchlicher Rechnungs- und Verwaltungsbeamter) an der Marienkirche in Lübeck. Hier entfaltete er bis zu seinem Lebensende eine vielseitige musikalische Tätigkeit. 1747 wurde er in die sog. „Mizlersche Societät" aufgenommen, zu der u. a. Bach, Händel und Telemann gehörten. Als Musiklehrer wurde K. in Hamburg sehr geschätzt; als Opernkomponist weniger, 28
wie dies Telemanns abfällige Äußerungen belegen. Seine größte Bedeutung lag offenbar in der Weiterführung und -entwicklung der von Buxtehude eingeführten fünfteiligen Lübecker Abendmusiken und den Impulsen, die er dem öffentlichen Musikleben Lübecks gab. K. war auch der Bearbeiter des ersten Lübecker Choralbuches zum Gesangbuch von 1748. WW: Serenaden; Suite G-Dur; 2 Cemb.-Konzerte; eine Symphonie; zahlr. Oratorien, u. a. Der verlassene Sohn (hsl. erhalten); 2 Kantaten.
2) Adolf Carl, Sohn von 1), * 22. 9. 1720 Wittenberg, beerdigt 11.7. 1781 Lübeck; dt. Komponist. Er trat bereits mit 7 Jahren als Violinist öffentlich auf und unternahm 1728-29 mit seinem Vater eine Konzerttournee nach Holland und England, wo er Händel kennenlernte. 1749 wurde er Konzertmeister und 1752 Kapellmeister am Hof von Schwerin. 1754-57 hielt er sich in London auf und wurde dann Nachfolger seines Vaters als Organist von St. Marien in Lübeck. Von K.s Kompositionen sind lediglich die Lieder durch M. Friedländer näher bekannt geworden; sie setzen die durch Telemanns Sing-, Spiel- und GeneralbaB-Vbungen (H 1733/ 34) begonnene Tendenz zur Volkstümlichkeit und Eingängigkeit weiter fort. WW: Kammermusik, u.a. 17 Sonaten für V. u. Klv.; Serenaden; Instrumentalkonzerte; 5 Ouvertüren; 16 Symphonien; Kantaten u. Passionen (alle hsl.). - Im Druck erschienen: Lieder zum Unschuldigen Zeitvertreib, mit 2 Fortsetzungen (H 1748, Lübeck 1754, Lo 1756); 12 Sonatas for the Harpsichord (Lo o.J.).
3) Friedrich Ludwig Aemilius, Sohn von 2), * 24.9. 1761 Lübeck, t 28. 1. 1817 Kopenhagen; dt. Komponist. K. studierte seit 1781 Jura an der Universität Kiel, wo er C. F. Cramer und 1784 J.A.P. Schulz kennenlernte, auf dessen Empfehlung er als Pianist in Kopenhagen konzertierte. Seit 1785 trat er dort auch als Komponist hervor. Besonderen Erfolg hatte er 1787 mit einer Konzertaufführung von J.A.P. Schulz' Musik zu Athalie. 1789 wurde seine Oper Holger Dansk uraufgeführt, worauf jedoch nur 5 weitere Aufführungen folgten. Noch im selben Jahr zog er nach Berlin, begann dort gemeinsam mit Fr. Reichardt einen Musikalienhandel und gab 1791 das Musikalische Wochenblatt und die Musikalische Monatsschrift heraus. 1792 wurde er Kapellmeister in Frankfurt a. M., 1796 in Prag und noch im selben Jahr als Nachfolger von J. A. P. Schulz Kapellmeister in Kopenhagen. Hier führte er außer eigenen Werken als erster Opern Mozarts und 1801 auch Haydns Schöpfung auf. K. vollzog in der dritten Generation der Komponistenfamilie den Übergang vom Zeitalter der Aufklärung in das des Biedermeiers. In seinem Schaffen bilden die Bühnenmusiken ein Schwergewicht. Daneben war
Kurpiriski er beteiligt an den volkspädagogischen Bestrebungen der Berliner Liederschule. Kennzeichnend ist, daß mehrere seiner Lieder Aufnahme in das Mildheimische Liederbuch (Gotha 1799 u. 6.) fanden.
in mehreren Räumen gleichzeitig verschiedene Musikwerke für die umhergehenden Hörer dargeboten werden. Konzerte dieser Art veranstaltete er erstmals 1968 auf Schloß Smolenice.
WW: Ouvertüren; Chorwerke, u. a. Das Halleluja der Schöpfung (Z o. J.); Chöre u. Gesänge zu Klopstocks Hermann u. die Fürsten (Altona 1790); Liederslgen., darunter: Weisen und Lyrische Gesänge in Musik gesetzt u. Auswahl der vorzüglichsten altdänischen Volksmelodien; ferner Singspiele u. Bühnenmusik.
WW: Rozhovor času s hmotou (1965) für Fag. u. 3 Schlaginstr.; Ozveny (1966) für 31 Spieler, 2. Fassung (1966) für Orch.; Písmená (1967) für 4 Frauen- u. 4 Männerst.; Oktoedr (1968) für 4 Fl., 2 Ob., 2 Trp., 2 Harfen, 2 Vibraphone, 4 Schlagzeuger u. 8 V.; Ad libitum (1969); Klanginvasion (1970) (Makrokomposition für die Stadt Bonn); Missa Papae bannis Pauli Secundi (1980) für gem. Chor u. Orch. B. A. KOHL
Ausg.: Zu 2): Sinfonie in d, hrsg. v. M. SCHNEIDER (L 1954). — Zu 3): Mehrere Lieder, in: M. FRIEDLÄNGER, Das dt. Lied im 18. Jh. I u. II (St 1902, Nachdr. Hil 1962); E. WINKEL, Aeldre dansk Klaviermusik (Kop 1943); Lied Lenore, in: Balladen v. G. A. Burger, in Musik gesetzt ..., hrsg. v. D. MANICKE (Mz 1970) (= EDM 45, Abt. Oper u. Sologesang 6). Lit.: J. MATTHESON, Grundlagen einer musikal. Ehrenpforte (H 1740, Nachdr. B 1910, Faks. Kas 1969); A. SCHERING, Gesch. des Oratoriums (L 1911, Nachdr. Hil 1966); B. FRIIs, F.L.A. K. Sein Leben u. Werk 1 (Diss. B 1943); J. HENNINGS, A. K. K. u. seine Lieder, in: Mf 3 (1950); DERS., Musikgesch. Lübecks, I: Weltliche Musik (Kas 1951); W. STAHL, Musikgesch. Lübecks, II: Geistliche Musik (Kas 1952); G. Ph. Telemann, Briefwechsel, hrsg. v. H. GROSSE — R. JUNG (L 1972). W. BLANKENBURG
KUPFER, Harry, * 12. 8. 1935 Berlin; dt. Opernregisseur. Er studierte an der Theaterhochschule Leipzig und gab 1958 sein Regie-Debüt in Halle. 1962 wurde er Regisseur in Karl-Marx-Stadt, 1966 Operndirektor in Weimar, ist seit 1972 Oberspielleiter der Staatsoper und seit 1977 Professor an der Musikhochschule in Dresden. Ab 1981 wird K. außerdem das Amt des Chefregisseurs an der Komischen Oper in (Ost-)Berlin wahrnehmen. K. entwickelte einen an der Methode des Realistischen Musiktheaters orientierten, dabei stark musikbezogenen Regiestil, der für seine Inszenierungen klassischer wie zeitgenössischer Werke gleichermaßen charakteristisch ist. WW (neuere Inszenierungen): A. Schönberg, Moses und Aron, Dresden; R. Wagner, Tristan und Isolde, ebd.; R. Strauss, Frau ohne Schatten, Berlin; G. Verdi, Otello, ebd.; R. Wagner, Parsifal, ebd.: W. A. Mozart, Don Giovanni, Graz; A. Berg, Wozzeck, ebd.; G. F. Händel, Alcina, ebd. 1980; R. Wagner, Der Fliegende Holländer, Bayreuth 1978; R. Strauss, Elektra, Wiesbaden 1979; R. Wagner, Rheingold, Walküre, Siegfried u. Götterdämmerung, Wien 1978/79 u. 1979/80.
KUPKOVIČ, Ladislav, * 17. 3. 1936 PreBburg (slowakisch: Bratislava); slowakischer Komponist und Dirigent. Er studierte 1950-55 an der Musikhochschule in Bratislava, wo er 1960-62 Dirigent des Philharmonischen Orchesters war. 1963-69 leitete er das von ihm gegründete Ensemble Hudba Dneška (Musik von heute), mit dem er auch im Ausland bekannt wurde. Seither lebt K. in der Bundesrepublik Deutschland. 1973 wurde er Dozent und 1976 Professor für Komposition an der Musikhochschule in Hannover. Auf K. geht die Idee der sogenannten „Wandelkonzerte" zurück, bei denen
KUPPER, Annelles Gabriele, * 21. 7. 1906 Glatz (Schlesien); dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte Pädagogik und Musikwissenschaft und war zunächst Musiklehrerin an einer Breslauer Schule. Seit 1933 trat sie als Konzertsängerin auf und debütierte als Opernsängerin 1935 am Opernhaus in Breslau. Über Schwerin und Weimar kam sie 1940 an die Hamburgische Staatsoper und war 1946-66 Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München. K. gastierte an den großen europäischen Musikzentren und wurde in den 40er und 50er Jahren vor allem bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen gefeiert. Eine ihrer Glanzrollen war die Elsa in Wagners Lohengrin. 1952 sang sie in München die Titelpartie bei der Uraufführung der Liebe der Danaë von R. Strauss. Auf der Bühne wurde sie vor allem als Mozart- und Strauss-Interpretin geschätzt, galt daneben aber auch als hervorragende Konzertsängerin. Seit 1937 ist sie mit dem Musikkritiker und Pianisten Joachim Herrmann verheiratet. 1956 wurde sie Dozentin und 1958 Professorin für Gesangspädagogik an der Musikhochschule München. KURPINSKI, Karol Kazimierz, * 6. 3. 1785 Wloszakowice (Posen), t 18. 9. 1857 Warschau; poln. Dirigent und Komponist. K. war seit 1810 neben J. Elsner 2. Kapellmeister am Nationaltheater in Warschau und 1824-40 Direktor der Oper. Außerdem lehrte er Theorie an der Schule für Musik und Dramatische Kunst und leitete 1835-40 die von ihm gegründete Gesangschule am Großen Theater. 1820-21 war er Redakteur der ebenfalls von ihm gegründeten ersten polnischen Musikzeitschrift Tygodnik Muzyczny (Musikalisches Wochenblatt). K. schrieb etwa 20 Opern, von denen einige Ouvertüren noch lange zum Konzertrepertoire gehörten. Seine patriotischen Lieder waren zu ihrer Zeit sehr populär. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Werke, u. a. 24 Polonaisen, Mazurken, Variationen u. Fugen; Symphonien, Märsche, Polonaisen, eine Fantasie sowie ein Klar.-Konzert für Orch.; Lieder, Chöre, Kantaten u. Messen. — Opern (UA in Warschau): Szarlatan, UA: 1814; Jadwiga, UA: 1815; Zamek na Czorsztynie (Das SchloB auf Czorsztýn), UA: 1819. — 2) Schriften: Wyklad systematyczny Zasad muzyki na klavikord (War 1819); Zasady harmonii ton*
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Karrende (War 1821); Reiseerinnerungen u. Reisetagebuch als: Wspomnienia z podróiy bzw. Dziennik podróiy, hrsg. v. Z. Jachimecki (Lemberg 1911, Krakau 2 1954, 1957). Lit.: T. STRutitrrr, Uwertury K.iego (Krakau 1954); J. PRosNAK, Twórczose fortepianowa K. K.ego, in: Muzyka 4 (1959); T. PRZYBYLSKI, Fragmenty „Dziennika prywatneap" K. K., in: ebd. 20 (1975).
KURRENDE (wahrscheinlich von mittellat. corradere = zusammenscharren, betteln; später mit dem lat. currere = umherlaufen in Verbindung gebracht), bereits in vorreformatorischer Zeit Bz. für zumeist einstimmig singende Chöre bedürftiger Knaben, die durch Mitwirkung bei Hochzeiten und Beerdigungen, aber auch durch „Umsingen" auf der Straße sich Sachleistungen und Geld verdienten. Wohl vor allem durch eine entsprechende Äußerung in M. Luthers Ein predig .../ das man kinder zur . Schulen halten solle (1530) gewannen die mit eigener Tracht versehenen K.n in altprotestantischer Zeit insbesondere in Mitteldeutschland große Bedeutung, wodurch manchen Knaben der Besuch einer Lateinschule ermöglicht wurde. Die Dienstregelung war örtlich verschieden, besonders auch das Verhältnis zum Chorus symphoniacus (vgl. z. B. die Consuetudo currendae der Leipziger Thomaskantorei von 1683). Mit dem allgemeinen Niedergang der Kirchenmusik seit dem späteren 18. Jh. verschwanden weithin auch die K.n; jedoch blieben gewisse Gepflogenheiten mancherorts bis ins 20. Jh. erhalten (z. B. das Silvestersingen der Schulkinder auf den Straßen). Um 1850 bemühte sich der Berliner Schulrektor J. Fr. Marquardt um eine Erneuerung des K.-Wesens, und 1917 gab das Reformationsgedenkjahr dazu neue Anstöße. Vor allem aber führte nach 1920 die Singbewegung zur Gründung von K.n vornehmlich in Studentenkreisen. Zu einer allgemeinen kirchlichen Einrichtung kam es naturgemäß jedoch nicht wieder. Lit.: CH. G. STEMLER, Abhandlung ... von der Currende u. den Currendanern (L 1765); G. SCHUNEMANN, Gesch. der dt. Schulmusik, 2 Teile (L 1928-32), I (21931), Nachdr. beider Teile (Kö 1968); P. EPSTEIN, Der Schulchor v. 16. Jh. bis z. Gegenwart (L 1929).
W. BLANKENBURG
KURTAG, György, * 19. 2. 1926 Lugos (Rumänien); ung. Komponist. Er studierte zunächst in Temesvár und seit 1945 in Budapest Klavier (P. Kadosa), Komposition (S. Véress und F. Farkas) und Kammermusik (L. Weiner). 1957-58 arbeitete er noch bei D. Milhaud und O. Messiaen in Paris. Seit 1958 lebt er wieder in Budapest, war dort bis 1963 Lehrer an der Bartók-Musikfachschule, wurde 1960 Korrepetitor an der Philharmonie und 1967 Professor für Klavier und Kammermusik an der Musikhochschule. 1971 hielt er sich als Stipendiat des DAAD in Berlin auf und erhielt im selben Jahr 30
den Kossuth-Preis für Komposition. K. ist der bekannteste ungarische Komponist nach Bartók. In seinem Werk vereinen sich impressionistische Klangfarben und strukturelle Elemente Webern zu einem national geprägten Personalstil. WW: 1) Inatr.-WW: 8 Klv.-Stücke (1960); lelek (1962) für V.; 5 Stücke für Gitarre (1962); 8 Duos für V. u. Cymbal (1961); Streichquartett (1959); Bläserquintett (1959). - 2) Vokal-WW: Bornemisza Péter mondásai (1968) für Sopran u. Klv.; Lieder für SingSt, Cymbal u. V. (1969); 4 Capriccios für Sopran, Streichquartett, Bläserquintett, Cymbal u. Harfe (1971); 4 Lieder nach J. Pilinszky für SingSt u. Kammerensemble (1974); 7 Lieder nach D. Tandori für Sopran u. V. (1975).
KURTH, Ernst, * 1.6.1886 Wien, t 2.8.1946 Bern; Schweizer Musikforscher. K. studierte Musikwissenschaft bei G. Adler sowie Musiktheorie und Klavier bei R. Gund in Wien und promovierte dort 1908. Nach einer Tätigkeit als Nachfolger und im Sinne von A. Halm an der Freien Schulgemeinde Wickersdorf habilitierte er sich an der Universität Bern, wo er bis zum Ende seines Lebens lehrte (seit 1920 als Professor, seit 1927 als Ordinarius). K., der mit der Schrift Grundlagen des linearen Kontrapunks (1917) seinen internationalen Ruf begründete, setzte sich besonders mit Problemen der Harmonik und der musikalischen Form auseinander. Seinen Arbeiten liegt wesentlich eine psychologisch begründete Betrachtungsweise zugrunde, die dem modernen musikwissenschaftlichen Denken wichtige Anregungen gab. Schriften: Der Stil der Opera seria v. Ch. W. Gluck bis zum Orfeo (Diss. W 1908), gedruckt als: Die Jugendopern Glucks bis Orfeo, in: StMw 1 (1913); Die Voraussetzungen der theoretischen Harmonik u. der tonalen Darstellungssysteme (Be 1913, Nachdr. Mn 1973) (= Schriften z. Musik 14); Grundlagen des linearen Kontrapunkts, Einführung in Stil u. Technik v. Bach's melodischer Polyphonie (Be 1917), seit der 2. Aufl. als: Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Bachs melodische Polyphonie (51956, Nachdr. Hil 1977); Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners „Tristan" (Be - L 1920, B 21923, Nachdr. Hil 1968); A. Bruckner, 2 Bde. (B 1925, Nachdr. Hil 1971); Musikpsychologie (B 1930, Be 21947, Nachdr. Hil 1969). Lit.: K. VON FISCHER, In memoriam E. K., in: Der Musik Almanach, hrsg. v. V. Schwarz (Mn 1948); W. KREIDLER, E. K., in: Mf 2 (1949); K. VON FISCHER, K., in: MGG VII; D. MENSTELL, E. K. and His Concept of Music as Motion, in: JMTh 10 (1966).
KURTZ, Eugène, * 27.12.1923 Atlanta (Georgia); amerik. Komponist. K. studierte 1941-47 an der Universität und an der Eastman School of Music in Rochester, 1948 bei D. Milhaud in den Sommerkursen in Tanglewood, seit 1949 in Paris bei A. Honegger und O. Messiaen sowie 1953-57 noch bei dem Schönberg-Schüler M. Deutsch. Neben seriellen Techniken wurde für K. die Musik von Ch. Ives wegweisend, die ihm Möglichkeiten einer Synthese heterogenen musikalischen Materials erschloß. WW: Klv.-Stücke, darunter 2 Bücher Motivations (1963, 1965);
Kusche Kammermusik; Symphonie für Str. (1956); Kammersymphonie (1958-59); Suite parisienne (1960) für Kammerorch.; Le marcheur solitaire (1964) für Orch.; Vokalwerke; Film-, Rundfunk- u. Bühnenmusik, u.a. zu: J. -P. Sartre, Les faux nez (1953); W. Borchert, DrauBen vor der Tür (1951) u. C. Confortès, Le gisant (1960).
KURZ, Schna, * 15. 11. 1874 Biala (Galizien), t 10. 5. 1933 Wien; östr. Sängerin (Sopran). Sie wurde in Wien bei J. Ress und in Paris bei Mathilde Marchesi ausgebildet. 1895 debütierte sie an der Hamburgischen Staatsoper als Mignon in der gleichnamigen Oper von A. Thomas und sang 1896-99 an der Frankfurter Oper. 1899 holte sie G. Mahler an die Wiener Hofoper, deren Mitglied sie bis zum Ende ihrer glanzvollen Karriere 1929 blieb. Triumphale Erfolge feierte sie 1904-07 bei ihren alljährlichen Gastspielen an der Covent Garden Opera in London. Außerdem gastierte sie an allen großen europäischen Opernhäusern sowie bei den Salzburger Festspielen, trat dagegen in den USA nur einmal 1921 in New York auf. Ihre technisch wie stilistisch gleichermaßen vollkommene Beherrschung auch schwieriger Passagen wies S. K. als eine der bedeutendsten Koloratursängerinnen unseres Jahrhunderts aus. Lit.: H. GOLDMANN, S. K. (Bielitz 1933).
KURZ, Siegfried, * 18. 7. 1930 Dresden; dt. Dirigent und Komponist. Er studierte 1945-50 Dirigieren, Trompete und Komposition (F. F. Finke) an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Dresden. 1949-60 war er Leiter der Schauspielmusik am dortigen Staatstheater und dirigiert seither an der Staatsoper, deren GMD er 1971 wurde. Er schrieb Orchesterwerke, Solokonzerte, Kammer- und Filmmusik. KURZE LEBEN, DAS (La Vida breve), Lyrisches Drama in 2 Akten (4 Bildern) von Manuel de Falla (1876-1946), Text von Carlos Fernandez Shaw. Ort und Zeit der Handlung: Granada zu Beginn des 20. Jh. UA: 1. 4. 1913 in Nizza (in frz. Sprache); EA der Originalfassung in span. Sprache: 14.11. 1914 in Madrid (Teatro de la Zarzuela); dt. EA (in dt. Sprache): August 1936 in Berlin (Musikhoch-
schule). Die sozialkritisch orientierte Erzählung von dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Mädchen Salud, das von ihrem Verlobten Paco wegen einer reichen Schönheit verlassen wird und vor Kummer stirbt, bot de Falla Gelegenheit, einzelne Stationen des Handlungsstrangs in veristischer Tradition zu extensiven atmosphärischen Schilderungen andalusischer Mentalität und Lebensart zu gestalten. Die wechselseitige Infiltration von situationsbezogenem Dialog und lyrischer Kontemplation ermög-
lichte eine musikalische Synthese dramatisch-steigernder und liedhaft-verweilender Kompositionsanlage, wobei das folkloristische Lokalkolorit — eine facettenreiche Mischung andalusischer und orientalischer Elemente — nicht als bloß äußerlich farbliche Bereicherung, sondern neben traditionell spätromantischen und impressionistischen Kompositionsmitteln als gleichwertige, omnipräsente Determinante des thematischen Materials und dessen rhythmisch-harmonischer Verarbeitung fungiert. Bereits acht Jahre vor der UA war dem Werk der 1. Preis in einem Opernwettbewerb zuerkannt worden, den die Spanische Akademie der Schönen Künste zur Brechung der italienischen Vorherrschaft auf den einheimischen Bühnen ausgeschrieben hatte. W. A. MAKUS KURZE OKTAVE, Bz. für eine verkürzte Tastaturanordnung für die tiefste (= große) Oktave im Manual und Pedal bei Tasteninstrumenten (Cembalo, Orgel) des 16.-18. Jh., bei der die (in dieser Zeit als Baßtöne nicht häufig verwendeten) Töne Cis, Dis, Fis und Gis entfielen. Die Anordnung umfaßte zunächst die Töne F, G, A, und H (bzw. B als chromatischen Ton), die später um die Töne C, D und E erweitert wurde. Die Töne C, F, G, A, H wurden auf den Unter-, die Töne D, E, B auf den Obertasten gespielt (im französischen Orgelbau blieb F bis ins 18. Jh. der tiefste Ton). Aber auch andere Aufteilungen waren möglich, die z.T. die Töne Fis und Gis als Obertasten einbezogen. Häufig wurden diese Töne in geteilten Obertasten mit den Tönen D und E kombiniert (daher auch die Bz. gebrochene Oktave für diese Disposition). Eine klare terminologische Trennung zwischen gebrochener und kurzer Oktave ist indes nicht möglich, denn die Beschreibungen des 17. und 18. Jh. bezeichnen z. T. die gebrochene Oktave als k. O., z. T. aber auch umgekehrt. Lit.: A. WERCKMEISTER, Erweiterte u. verbesserte OrgelProbe (Quedlinburg 1698, Nachdr. Kas 1927); A.G. RITTER, Zur Geschichte des Orgelspiels ..., 2 Bde. (L 1884, Nachdr. Hil 1969); G. KINSKY, K. O. auf besaiteten Tasteninstrumenten, in: ZfMw 2 (1919/20).
KUSCHE, Benno, * 30. 1. 1916 Freiburg i. Br.; dt. Sänger (Baß-Bariton). Nach seiner Gesangausbildung an der Akademie des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe debütierte er 1938 bei den Heidelberger Opernfestspielen. 1938/39 sang er in Koblenz und 1939-42 in Augsburg. Nach dem Krieg wurde er 1946 an die Bayerische Staatsoper in München verpflichtet und 1958 an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf -Duisburg. Als Gast sang er u. a. am Covent Garden in London, an der Mailänder Scala, in Wien, Berlin und in Stuttgart. 31
Kusche K. gilt auch darstellerisch als exzellenter BuffoSänger, dessen Repertoire neben Mozart- und Wagner-Partien auch Operettenrollen umfaßt.
KUSCHE, Ludwig Walter Helmuth, * 31.3.1901 Mainz; dt. Musikschriftsteller, Komponist und Pianist. K. studierte 1918-23 an der Akademie der Tonkunst in München und trat seit 1921 als Pianist sowie als Lied- und Tanzbegleiter auf. 1924-26 war er Kapellmeister und Klaviersolist an der Münchner Kammeroper, 1927-77 ständiger Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks bzw. des Fernsehens, außerdem 1947-49 Kapellmeister der Städtischen Bühnen in München. K. komponierte zahlreiche Hörspiel-, Schauspiel- und Filmmusiken und gestaltete als Autor, Sprecher, Komponist und Pianist zahlreiche eigene Sendungen bei Rundfunk und Fernsehen (u. a. die Sendereihe Musikaleum). Er war auch als Verfasser mehrerer populär geschriebener Musikbücher erfolgreich. WW: 1) Kompositionen: Kammermusik für Blechbläser; Stücke für 2 KIv.; Lieder nach Gedichten v. J. Ringelnatz; ferner Buhnen-, Hörspiel- u. Filmmusik — 2) Schriften: Der nachdenkliche Musikant (Mn 1958); Musik als Vergnügen u. Unbehagen (Mn 1960); Richard Strauss — Kulturkarussell (Mn 1964); Auf musikal. Schleichwegen (Mn 1968); Stimm: das denn auch? (Mn 1966); Ich hab's erlebt! (Mn 1970); Mütter machen Musikgeschichte (Mn 1972); Frau Musica, die unverstandene Frau (Mn 1974).
KUSS, DER (Hubička), Volksoper in 2 Akten von Friedrich Smetana (1824-84), Text von Eliška
Krásnohorská nach der gleichnamigen Novelle (1871) von Karolina Světlá. Ort u. Zeit der Handlung: ein Dorf in Nordböhmen nahe der Grenze, 19. Jahrhundert. UA: 7.11. 1876 in Prag; dt. EA (in dt. Sprache): 6.10. 1893 in Leipzig. Das Werk war als komische Oper geplant, doch korrigierte die Librettistin sehr bald die Gattungsbezeichnung in „Volksoper", wobei das tschechische Wort prostanárodní zugleich die Bedeutung des Einfachen, Schlichten hat. Die melodisch-thematische Erfindung dieser Dialogoper ist vornehmlich an slawischer Folklore orientiert, weshalb man vermuten darf, daß Smetana das Volkhafte in der sehr sparsamen Fabel vom verweigerten und endlich doch gewährten Kuß als das tragende Element erkannte. Der erinnerungsmotivisch strukturierte Orchesterpart ist Träger der musikdramatischen Handlung, wenn auch immer wieder vor allem solistische Nummern eingeschoben sind, in denen die Sänger parallel zur Orchesterthematik Volksliedmelodien intonieren. Im 2. Akt setzen sich die traditionell absolut-musikalisch konzipierten Formen durch. Der dramatische Konflikt wird in einer großangelegten, mehrteiligen Duett-Szene der beiden Hauptpersonen aufgebaut und anschließend 32
im musikalischen Kontrast von schlichtem lyrischem Wiegenlied (Wendulka) und rüpelhafter Trinklied -Polka (Lukas) bekräftigt. — Dieses Werk ist Smetanas größter Erfolg zu Lebzeiten; er vollendete die Partitur in völliger Taubheit. J. SCHLÄDER
KUSS DER FEE, DER (Le Baiser de la Fée), Ballett in 4 Bildern von Igor Strawinsky (1882 bis 1971) nach Motiven aus Hans Christian Andersens Märchen Die Eisjungfrau. UA: 27.11.1928 in Paris (Opéra). Choreographie: Bronislawa Nischinska (1890-1960). Dt. EA: 1932 in Magdeburg. Für Ida Rubinstein und ihre Compagnie komponierte I. Strawinsky dieses Auftragswerk, das er anläßlich des 35. Todesjahres von P. I. Tschaikowsky dem von ihm verehrten Komponisten widmete. Auch die musikalische Gestaltung dieses Märchenballetts weist Tschaikowsky als Widmungsträger aus: die aus seinen Kompositionen zitierten Themen bestimmen das melodische Material des Werks, dessen Einheitlichkeit durch die Technik der motivischen Verflechtung und Kombination gewährleistet wird. In vier Bildern (Wiegenlied im Sturm, Kirchweihfest, Bei der Mühle, Die Gefilde der Seligen) wird die Geschichte des jungen Mannes nachgezeichnet, der durch einen Kuß schon als Kind der Macht der Fee verfällt. Unmittelbar vor seiner Hochzeit wird er von der als Braut verkleideten Fee getäuscht und in die Sphäre der Unsterblichen entführt. — Neben der choreographischen Konzeption trug auch die künstlerisch-szenische Präsentation der Darsteller (Ida Rubinstein, Ludmilla Scholler, Anatole Vilzak u. a.) zum triumphalen Erfolg der UA bei. Spätere, vielbeachtete Versionen boten F. Ashton (Sadler's Wells Ballet, 1935) und G. Balanchine (American Ballet, 1937). G. LUDIN
KUSSER (Cousser), Johann Sigismund, * 13. 2. 1660 Preßburg, t Ende November 1727 Dublin; dt. Komponist ung. Herkunft. K. lebte 1674-82 in Paris, wo er Freund und Schüler J.-B. Lullys war. 1683 ist er am Hof von Ansbach nachweisbar, 1690-93 als Oberkapellmeister der neugegründeten Oper in Braunschweig-Wolfenbüttel. 1694-95 war er Direktor und Kapellmeister der Hamburger Oper und 1698-1704 Kapellmeister der Stuttgarter Oper. Um 1705 ging er nach London und 1710 nach Dublin, wo er zunächst Composer of the State Music, einige Jahre später Kapellmeister des Vizekönigs von Irland und 1716 Chief-Composer und MusicMaster in Dublin Castle wurde. K., in seiner Zeit als Kapellmeister berühmter als durch seine Werke, spielte gleichwohl als Komponist eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Orchester-Suite,
Kyriale indem er als einer der ersten die französische Ouvertüre nach der Art J.-B. Lullys in Deutschland einführte. WW: 1) lustr.-WW: 4 Slgen. mit jeweils 6 Ouvertures de théâtre für Str. mit 2 Ob. u. Fag.: Compositions de musique (St 1682); Apollon enjoué, La cicala della cetra u. Festin des muses (St 1700). - 2) Biihueo-WW: Von der Musik zu K.s Opern, Serenaden u.ä. sind nur erhalten Arien aus der Oper Erindo (H 1695) u. Heliconische Musen-Lust... Arien aus... Ariadne (St 1700). Ausg.: Ouvertüre IV aus Composition de musique 1682, hrsg. v. H. OSTHOFF (Hannover 1933) (= Nagels MA 100); Arien, Duette u. Chöre aus Erindo, hrsg. v. DEMS. (Brau 1938) (= EDM, LD Schleswig-Holstein u. Hansestädte 3); 1. Suite aus Festin des muses 1700, hrsg. v. H. MONKEMEYER (Mz 1958). Lit.: H. SCHOLZ, J. S. K. (Cousser) (L 1911); W. SCHULZE, Die Quellen der Hamburger Oper (H 1938) (= Mitt. aus der Bibl. der Hansestadt Hamburg 4); H. CH. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg 1678-1738, 2 Bde. (Wb 1957); H. BECKER, K., in: MGG VII.
KUSSEWITZKY (Koussevitzky), Sergei Alexandrowitsch, * 14. (26.) 7.1874 Wischni-Wolotschok (GouvernementTwer), t 4.6.1951 Boston (Mass.); russ. Dirigent. K. studierte seit 1888 Kontrabaß an der Musikalisch-Dramatischen Schule der Philharmonischen Gesellschaft in Moskau und trat 1894 in das Orchester des Bolschoi-Theaters ein. 1901 wurde er Kontrabaß-Lehrer am Philharmonischen Institut. Einige Jahre später ging er nach Berlin und debütierte 1908 als Dirigent mit den Berliner Philharmonikern. Nach Moskau zurückgekehrt, gründete er dort ein eigenes Orchester und einen Musikverlag. 1917-20 leitete er das Staatsorchester in Petrograd, übersiedelte dann nach Paris und gründete 1921 die Concerts Symphoniques Koussevitzky, die er bis 1928 dirigierte. 1924-49 war er als Nachfolger von P. Monteux Leiter des Boston Symphony Orchestra. 1942 gründete er die Koussevitzky Foundation zur Vergabe von Kompositionsaufträgen an Komponisten aller Nationalitäten. Besonders setzte er sich für Werke zeitgenössischer russischer, französischer und amerikanischer Komponisten ein und dirigierte zahlreiche Uraufführungen. Lit.: A. LOuRIÉ, S. K. (NY 1931, Nachdr. NY 1971); H. LEICHTENTRITT, S. K. (C/M 1946); M. SMITH, K. (NY 1947).
KYBERNETIK (von griech. kybernetes = Steuer-
mann, Lenker, Leiter), übergreifende Bz. für Forschungen über Steuerungs- und Regelungsvorgänge nicht nur im Bereich der Technik, sondern auch der Biologie, Soziologie oder Wirtschaftswissenschaft. Als wichtigste Zweige der K. gelten die System-, Regelungs-, Spiel-, Algorithmen- und vor allem die >'Informationstheorie, mit der — als Lehre vom Entstehen, Aufbewahren, Übertragen und Erkennen von Signalen (die sich z. B. als musikalische Ereignisse darstellen können) — ein deutlicher Be-
zug zur Musik hergestellt ist. Als bekanntester Begründer der K. gilt Norbert Wiener, der mit seinem fundierenden Werk Cybernetics auch den Begriff prägte. Charakteristisch ist die enge Verbindung mit außerordentlich schwierigen mathematischen Problemen (etwa Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung, mathematische Statistik, Topologie, Vektor- und Matrizenrechnung). Ein Hauptanwendungsgebiet der K. ist die Automatisierungstechnik, vor allem die maschinelle Rechenautomatik. Hier liegt neben den theoretischen Erkenntnissen über Kommunikationssysteme und Informationsverarbeitung der vielleicht wichtigste Einfluß der K. auf die neuere Musik, in der — seit Mitte der 50er Jahre — Computer sowohl für das Erstellen von Kompositionsplänen als auch zur Realisierung von Klangmaterial und schließlich zur Erforschung von Kompositionsprozessen eingesetzt werden (/Computermusik). Lit.: N. WIENER, Cybernetics (NY 1948, dt. Düsseldorf - W 2 1963); W. R. ASHBY, An Introduction to Cybernetics (1956); H. FRANK, K. u. Philosophie (B 1966); F. WINCKEL, Kybernetische Prozesse der Musikerzeugung, in: MGG XVI; P. VOGEL, Musik u. K. (Kas 1978). H. U. HUMPERT
KYMBALA (griech., Sing.: Kymbalon; lat.: Cymbala), Bz. für antike Becken asiatischen Ursprungs, die besonders in der kultischen Musikpraxis der Griechen und Römer Verwendung fanden. Zahlreiche erhaltene Darstellungen belegen die Existenz zweier verschiedener Formen der K., die entweder flach und tellerartig oder glockenähnlich sein konnten. Die K. wurden gegeneinandergeschlagen, also stets paarweise benutzt. — řCymbala. KYRIALE, Bz. für das Buch mit den gregorianischen Melodien zum ?Ordinarium Missae, Anhang zum Graduale Romanum. In mittelalterlichen Handschriften wurden die Kompositionen als Einzelstücke, zuerst die Kyrie-, dann die Gloria-Melodien usw., oder in Gruppen (z. B. Kyrie - Gloria) notiert. Die Zusammenfassung zum Ordinarium geht mit der Entwicklung zur zyklischen Ordinarienkomposition in der mehrstimmigen Musik einher. Doch wurde in der einstimmigen Überlieferung das Credo nicht in den Messezyklus einbezogen. Das K. der Editio Vaticana (1905) wurde von J. Pothier redigiert. Er traf eine Auswahl aus der sehr umfangreichen Überlieferung, ordnete die Gesänge in 18 Ordinarien, die er z. T. im Anschluß an ältere Überlieferung bestimmten Festzeiten und Festrängen zuschrieb, und fügte 4 Credomelodien sowie eine Reihe von Einzelstücken zum Gebrauch ad libitum hinzu. Lit.: M. SIGL, Zur Gesch. des Ordinarium Missee in der dt. Choral-Überlieferung (Rb 1911); P. WAGNER, Gesch. der Messe (L
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Kyrie eleison 1913, Nachdr. Hil—Wie 1963); D. JOHNER, Erklärung des K. (Rb 1933); F. HABERL, Das K. Romanum (Rb 1975). H. HUCKE
KYRIE ELEISON (griech., = Herr, erbarme dich), 1) ein Bittruf, der in frühchristliche Zeit verweist. Erstmals um 400 für Jerusalem als Bestandteil litaneiartiger Bitten genannt, ist der Ruf K. e. etwas später in dem lateinischen Bittgebet des Papstes Gelasius (Deprecatio Gelasii, Ende 5. Jh., Text bei J. A. Jungmann, s. u. Lit.) jeweils am Ende der einzelnen Bitten bezeugt. Gebete dieser Art (>'Litanei) gab es zu dieser Zeit, in Verbindung mit Prozessionen, bei verschiedenen liturgischen Handlungen, so auch zu Beginn der Messe. Die Worte Kyrie eleison — Christe eleison — Kyrie eleison leiten die noch heute gebräuchlichen Litaneien ein. Der Ruf Kyrie eleison erscheint im späten Mittelalter auch am Ende zahlreicher lateinischer und volkssprachlicher Lieder, wörtlich oder in Formen wie Kyrieleis, Kyrioleis oder ähnlich und führte zur Bz. solcher Lieder als >'Leisen. —2) In der römisch-katholischen Liturgie der 1. Teil des Ordinarium missae. Etwa seit dem 6. Jh. lösten sich die K.-e.-Rufe mehr und mehr aus dem Verband litaneiartiger Gesänge und wurden auch zu einem eigenen selbständigen Teil der Messe, den man allgemein als Kyrie bezeichnet. In den römischen Ordines des 7./8. Jh. ist dann, unter Hinzunahme des Rufes Christe eleison, eine bestimmte Ordnung des Kyrie vollzogen, die bis heute in der lateinischen Messe üblich ist: je 3mal Kyrie eleison — Christe eleison — Kyrie eleison. Diese Ordnung, in der das alte akklamatorische Prinzip der Wiederholung in charakteristischer Weise verwirklicht ist, wird seit Amalar (9. Jh.) auch trinitarisch gedeutet (Gott Vater — Sohn — Heiliger Geist), was jedoch nicht zwingend ist, da das Kyrie als Ganzes seinem Wesen und seiner liturgischen Stellung nach als Hymne an Christus den Herrn zu verstehen ist. Während zur Zeit Papst Gregors I. die Kyrie-Rufe von den Klerikern gesungen und vom Volk beantwortet wurden, war der Gesang des Kyrie seit dem 7./8. Jh. ausschließlich Sache der Schola. Das prägt sich auch in der Struktur der überlieferten choralen Kyrie-Melodien aus. Die insgesamt über 220 bekannten Melodien (Überblick bei M. Melnicki, s. u. Lit.) sind meist syllabisch, und sie sind teilweise in tropierter Form erhalten, d. h. mit einem den Kyrie -Ruf paraphrasierenden lateinischen Text (OETropus). Aus den 26 am meisten verbreiteten Melodien dieses Repertoires sind 18 in die Choralmessen der Editio Vaticana übernommen worden (dazu 11 ad libitum sowie das Kyrie der Totenmesse). Nur wenige davon sind so einfach gehalten, 34
daß man an einen ursprünglichen Gesang durch das Volk denken könnte. In der Editio Vaticana erscheint der Textanfang des am häufigsten in den Quellen belegten Kyrie-Tropus als Untertitel der betreffenden Choralmesse, z. B. Cunctipotens GenitorDeus bei der Missa IV. Dieses Kyrie gehört zu den beliebtesten Choralgesängen des Mittelalters. Ein anderer Kyrie-Tropus, Kyrie fons bonitatis (Missa II), gelangte in deutscher Nachdichtung in den evangelischen Kirchengesang (Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit). Zahlreich sind in neuerer Zeit die Neukompositionen von Kyrie-Melodien mit deutschem Text, von denen einige (u. a. von H. Rohr und E. Quack) auch in das katholische Gebetund Gesangbuch Gotteslob aufgenommen wurden. Der Gesang des choralen Kyrie erfolgt seit langem alternierend zwischen Schola und Chor bzw. zwischen Schola und Gemeinde. Kyrie-Tropen bilden auch den Anfang der mehrstimmigen Kyrie-Vertonung. Die frühesten Beispiele finden sich unter den 2st. Organa des Winchester-Tropars (um 1050) und im sog. Mailänder Organum-Traktat (um 1100). Überhaupt waren Kyrie und Gloria die ersten Teile des Ordinarium missae, die mehrstimmig vertont wurden, oft auch als Satzpaar. In G. de Machauts Messe de Nostre Dame ist das Kyrie erstmals in eine musikalisch-gesamthafte Gestaltung aller Ordinariumsteile einbezogen, wie sie seit G. Dufay das Wesen der 7Messe als einer musikalischen Gattung ausmacht. Das Kyrie nimmt seitdem an der reichen Entwicklung der Messe teil, auch an der Entwicklung besonderer Messetypen wie der italienischen Kurzmesse des 17.-19. Jh. oder der protestantischen Missa des 16.-18. Jh. (vgl. etwa J. S. Bachs Messen BWV 233-236). Zu allen Zeiten bis heute sind die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten der KyrieVertonung überaus vielfältig. Beispielhaft können hierfür die beiden Messen L. van Beethovens genannt werden: Dem inständigen, geradezu hymnischen Rufen, solistisch und chorisch, im Kyrie der Missa solemnis steht die ganz andersartige Gestaltung des Kyrie in der C-Dur-Messe gegenüber, die Beethoven selbst mit den Worten „innige Ergebung, wahre Innigkeit religiöser Gefühle ... Sanftheit ..." kennzeichnet (Brief vom 16.1. 1811 an Breitkopf & Härtel). Lit.: J. A. JUNGMANN, Missarum sollemnia, 2 Bde. (W—Fr — Bas 1948, •1962); M. MELNICKI, Das einst. Kyrie des lat. MA (Rb 1954) (= Forschungsbeitr. z. Musikw. 1); B. STABLEIN, Kyrie, in: MGG VII; M. HUGLo, Origine et diffusion des Kyrie, in: Revue Grégorienne 37 (1958); M. LUTOLF, Die mehrst. Ordinarium Missae-Sätze vom ausgehenden 11. bis zur Wende des 13. zum 14. Jh. (Be 1970); D. A. BJORK, Early Repertories of the K. e., in: KmJb 63/64 (1979/80); DERS., The Kyrie Trope, in: JAMS 33 (1980). G. MASSENKEIL
L LA, die sechste ."Solmisations-Silbe, die im mittelalterlichen 7Hexachord-System je nach Transposition die Töne a, d oder e bezeichnete. Im Französischen, Italienischen und Spanischen Bz. für den Ton /A.
LAAFF, Ernst, *4. 11. 1903 Wiesbaden; dt. Musikforscher und Musikpädagoge. Er studierte Musikwissenschaft in München, Berlin und Frankfurt am Main, wo er 1931 mit einer Arbeit über Fr. Schuberts Sinfonien promovierte. Nach Tätigkeiten als Musiklehrer, -kritiker und -redakteur war er 1938-56 Leiter der Zeitschriftenabteilung im Verlag B. Schott's Söhne in Mainz. Schon früh auch als Leiter von Sing- und Spielkreisen (mit historischen Instrumenten) hervorgetreten, gründete er 1946 (und leitete bis 1969) an der neu eröffneten Universität Mainz ein Collegium musicum, dessen Konzert- und Rundfunkaufführungen alter und neuer Musik viel beachtet wurden. 1948-72 war L. Direktor des Staatlichen Hochschulinstituts für Musik in Mainz (heute Fachbereich der Universität) und hat als einer der maßgebenden Musikpädagogen der beiden ersten Nachkriegsdezennien zu gelten. Die Universität Mainz ernannte ihn 1949 zum Honorarprofessor. Schriften: Schuberts h-moll-Symphonie, in: Gedenkschrift H. Abert (HI 1928); Grenzen der Perfektion, in: Melos 21 (1954); W. Gieseking zum Gedächtnis (Wie 1956); Aus der Musiktradition des Rheingaus (Bonn 1956); Der musikalische Humor in Beethovens achter Symphonie, in: AfMw 19/20 (1962/63); Schuberts große C-Dur-Symphonie, in: FS F. Blume (Kas 1963); Prozeß um Mozarts „Entführung", in: Symbolae historiae musicae. FS H. Federhofer (Mz 1971). — L. gründete u. redigierte 1948-55 die Zschr. Das Musikleben u. war Schriftleiter auch von Musik im Unterricht (in beiden Zschr. zahlreiche Art. v. L.).
beitete er in Zürich und war 1919-25 u. a. Ballettdirektor und Leiter eines Kammertanztheaters in Hamburg. Weitere Stationen seines Wirkens waren Bayreuth (Festspiele 1930-31) und Berlin, wo er 1930-34 Ballettdirektor der Staatsoper war und 1936 Bewegungschöre der Olympischen Spiele leitete. 1938 emigrierte er nach England. 1942 gründete er in Manchester ein „Art of Movement Studio" und 1953 in London einen „R. von L. Trust". L. gehörte zu den Begründern eines musikalischen Ausdruckstanzes, der weitgehend rhythmisch orientiert war. Grundlegend waren seine Arbeiten an einer Tanzschrift, die er selbst Kinetographie nannte und die auch unter de Bezeichnung „Labanotation" bekannt wurde (/Choreographie). Von L. gingen auch starke Impulse zur Ausbildung einer Bewegungstherapie aus. M. Wigman und K. Jooss gehörten zu seinen bedeutendsten Schülern. Schriften: Choreographic (Jena 1926); Schrifttanz, 2 Bde. (W 1928); Ein Lehn für den Tanz (Dresden 1935); Modern Educational Dance (Lo 1948); Principles of Dance and Movement Notation (Lo 1956, Nachdr. Brooklyn/N. Y. 1970); Choreutics (Lo 1966). Lit.: A. KNUST, Abriß der Kinetographie L.s (Mn 1942, NA H 1956); G. BALANCHINE, Ballettschrift, in: Ballett-H. (Bonn 1952) (= Musik der Zeit 2); K. JOOss, Tanz in der Mitte des Jh., in: ebd.; A. HUTCHINSON—S.J. COHEN, Labanotation (NY 1954, revidiert 1970); V. M. PRESTON -DUNLOP, Readers in Kinetography L., Series A, 3 Bde. (Lo 1966); DIES., Practical Kinetography L. (Lo — NY 1969); S. THORNTON, A Movement Perspective of R. von L. (Lo 1971). H. LINDLAR
t 1.7. 1958 Weybridge bei London; dt. Tanzpäd-
LA BARRE, Michel de, * um 1675 Paris, t Ende 1743 ebd.; frz. Flötist und Komponist. Er wurde um 1695 Flötist der königlichen Kammer und Mitglied des Orchesters der Académie Royale de Musique. Er war einer der bedeutendsten Flötisten seiner Zeit. Seine Flötenwerke wie auch das Ballett Le triomphe des arts und überaus zahlreiche Airs sérieux und Airs à boire waren weit verbreitet.
agoge und Choreograph ung. Herkunft. L. studierte 1900-07 in Paris Tanz, Schauspiel und Bühnenmalerei. 1910 gründete er in München eine Schule für modernen Tanz. Während des 1. Weltkrieges ar-
WW (teilw. mit mehreren Aufl.): 3 Bücher Pièces en trio für V., Fl. u. Ob. (P 1694-1707); Pièces pour la flate traversière mit B.c. (P 1702), 2 weitere Bücher mit gleichem Titel (P 1710); 12 Bücher (bzw. Suites) für 2 Fl. ohne Baß (P 1709-25). — Ballette: Le triomphe des arts (Libr.: Houdar de la Motte), UA und
Lit.: Musik im Unterricht 59 (1968) H. 11 (= FS E. L.).
LABAN, Rudolf von, * 15. 12. 1879 Preßburg,
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La Barre Druck: Paris 1700; La Vénitienne (Libr.: ders.), UA u. Druck: Paris 1705. - Airs à boire für 2 St. (P 1724); zahlr. Airs u. Chansonettes auch in vielen Sammeldrucken 1694-1730. Ausg.: Sonate dite l'inconnue für FL u. Cemb., hrsg. v. R. VIOLLIER (G1952); Suite e-moll, hrsg. v. K. ZÖLLNER (H 1962) ( Fl.-Duette alter Meister 2); Sonate für 2 Fl., 2 Ob. oder 2 V., hrsg. v. R. VIOLLIER (Wilhelmshaven 1964); Suite für Fl. u. B.c., in: H. BECK, Die Suite (Kö 1964) (= Das Musikwerk 26). Lit.: A. CURTISS, Musique classique française à Berkeley. Pièces inédites de L. Couperin, Lebègue, La B. etc., in: RMie 56 (1970); J. M. HUSKINSON, „Les Ordinaires de la musique du Roi", M. de la B., M. Marais et les Hotteterres, d'après un tableau du début du XVIII' siècle, in: Rech. Mus. 17 (1977).
LA BARRE (eig. Chabanceau, genannt La Barre, später Chabanceau de La Barre), frz. Musikerfamilie. — Von besonderer Bedeutung waren: 1) Pierre (III), * 27.1. 1592 Paris, beerdigt 31.3. 1656 ebd. Er war seit etwa 1630 Kapell- und Kammerorganist König Ludwigs XIII. und bis 1642 auch Cembalist der Königin. Er wurde von M. Mersenne geschätzt und stand in Briefwechsel mit C. Huygens. In seinem Hause veranstaltete er zusammen mit seinen Kindern Concerts spirituels. WW: Courante für Laute, in: J.-B. Bésard, Novus partus (Au 1617); Tu crois, ö beau soleil für Cemb. oder Org., in: M. Mersenne, Harmonie universelle. Traité des instruments (P 1636), Faks.-Ausg. 3 Bde. (P 1963); dass., in: A. Kircher, Musurgia universalis 1 (R 1650, Faks.-Ausg. Hil 1970).
2) Anne, Tochter von 1), getauft 3.7.1628 Paris, t nach 1688 ebd. Sie wurde als Sängerin in den von ihrem Vater veranstalteten Konzerten bekannt. Seit 1652 lebte sie in Den Haag, 1653-54 in Schweden, anschließend in Dänemark und Kassel. Nach Frankreich zurückgekehrt, wurde sie 1661 Sängerin der Kammer. — 3) Joseph, genannt le Cadet, Sohn von 1), getauft 21.5. 1633 Paris, t 1678 ebd. Er begleitete seine Schwester Anne auf ihren Reisen ins Ausland. 1656 wurde er in Paris als Nachfolger seines Vaters Organist der Königlichen Kapelle und erhielt vom König als Pfründe die Abtei St-Hilaire bei Narbonne. WW: Airs à deux parties, avec les seconds couplets en diminution (P 1669); weitere Airs in: R1SM 1665' u. 1695'.
4) Pierre (V), Sohn von 1), getauft 18.10.1634 Paris, t Ende November 1710 ebd. Er war seit 1655 Lauten- und Theorbenspieler der königlichen Kammer und wurde später Basse de viole der Kapelle Königin Maria -Theresias. 1697 wurde er geadelt, doch hatte sich auch schon Pierre III. „Chabanceau de L." genannt. Einige Werke von L. sind hsl. erhalten (u. a. in London, British Museum). Ausg.: Zu 1): Courante für Laute, in: J. TIERSOT, Une famille de musiciens français au XVII` siècle, in: RMie 11 (1927); 2 Couranten u. eine Sarabande für Org., hrsg. v. J. BONFILS, in: L'organiste liturgique (P 1958) Nr. 18. - Zo 4): 2 Allemanden, hrsg. v. F. RAUGEL, in: Les Maîtres français de l'orgue II (P 1939); QEuvres de Vaumeslin ... L., hrsg. v. A. SOURIS -M. ROLLIN J. M. VACCARO (P 1974).
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Lit.: Y. DE BROSSARD, Musicien de Paris 1535-1792 (P 1965); M. LE MOEL, Les Chabanceau de L. (Dias. Paris, École de Chartes [o. J.D.
LABARRE (eig. Berry), Théodore François Joseph, * 24.3.1805 Paris, t 9.3.1870 ebd.; frz. Harfenist und Komponist. L. war in Paris Schüler u. a. von J. G. Cousineau, R. N. Ch. Bochsa und Fr. A. Boieldieu. Nach seiner Tätigkeit als Kapellmeister 1847-49 an der Opéra-Comique wurde er 1851 Inspecteur accompagnateur der Chapelle Impériale und 1867 Harfenlehrer am Conservatoire. Außer Stücken für Harfe komponierte er zahlreiche Romanzen sowie 5 Opern und 5 Ballette. Das für Maria Taglioni geschriebene Ballett La Révolte des femmes (1831) regte H. Berlioz zu seiner ersten Musikkritik an (1833). LA BASSÉE /Adam de la Bassée. L'ABBÉ (eig. Saint-Sevin), Joseph Barnabé, genannt L'Abbé le Fils, * 11.6.1727 Agen, t 25.7. 1803 Paris; frz. Violinist. Er war Schüler seines Vaters, des Violoncellisten Pierre Philippe L. (t 1768), und von J.-M. Leclair. 1739 wurde er Violinist an der Opéra-Comique, spielte 1742-62 an der Opéra in Paris und 1741-53 im Concert spirituel. L.s hochentwickelte Violintechnik, die ihn als einen der bedeutendsten Vorläufer N. Paganinis auszeichnet, wird vor allem durch die 6 Violinsonaten (um 1764) belegt. Seine Principes du violon (P 1761) gehören neben den Werken von Fr. Geminiani und L. Mozart zu den wichtigsten Violinschulen ihrer Zeit. L.s Onkel Pierre (t 1777) war wie sein Vater Violoncellist (an der Pariser Opéra und an der Ste-Chapelle). WW: Sonaten u. Airs variés für V. (P 1748 u. um 1763); Sonaten für V. u. BaB (P o. J.); 3 Slgen. Airs françois et italiens avec des variations für 2 V. oder andere Insu. (P 1754-60); Simphonies für 3 V. u. BaB (P um 1754); Minuets de ... Exaudet et Granier für Orch. (Lo 1764). - Lehrwerke: Principes du violon pour apprendre le doigté... et les différends agréments (P 1761,'1772); Très facile méthode ... Sehr leichte Art, auf der Violin aus allen Tönen des Flautino zu spielen (W o. J.). Ausg. Principes du violon 1761, Faks.-Ausg., hrsg. v. A. WIRSTA (P 1961, Nachdr. G 1976). Lit.: L. DE LA LAURENCIE, L'école française de violon 2 (P 1923, Nachdr. G 1971); B. S. BROOK, La symphonie française (P 1962); D. D. BOYDEN, The History of Violin Playing from its Origins to 1761 (Lo 1965, dt. Mz 1973).
LABIALPFEIFEN, Lippenpfeifen (von lat. labium = Lippe), Bz. für die wichtigste und anteilsmäßig größte Gruppe von Pfeifen der Orgel aus Metall oder Holz, bei denen der Ton durch wirbelartige Brechung des Spielwinds an der Kante des Oberlabiums und longitudinale Schwingungen der Luftsäule im Pfeifenkörper erzeugt wird (ähnlich wie bei der Blockflöte und im Unterschied zu den /Lin-
Laborde gualpfeifen). Ihre wichtigsten Teile sind: der trichterförmige Fuß mit der Fußöffnung (Windrohr bei Holzpfeifen), das Labium (Unter- und Oberlabium) mit dem dazwischenliegenden Aufschnitt und Kern (abgeschrägte Metallplatte im Pfeifeninnern bzw. keilförmiges Holzstück bei Holzpfeifen; der aus der Kernspalte zwischen Kern und Unterlabium austretende Orgelwind bricht sich an der Kante des Oberlabiums) und der eigentliche Pfeifenkörper. Das obere Ende des Pfeifenkörpers kann mit einem „Hut" (bei Metallpfeifen) oder einem Spund (bei Holzpfeifen) verschlossen (řgedackt) bzw. der Hut mit einem offenen Röhrchen versehen sein (řhalbgedackt). Zusätzlich werden oft zu beiden Seiten des Aufschnitts kleine Metallplättchen (Bärte) angebracht, um eine bessere An-
Stimmlappen
LABIALPFEIFE Pfeifenkörper
Oberlabium Labiumbreite Aufschnitt Kem Kernspalte Unterlabium Pfeifenfug
Fultöffnung
sprache der Pfeifen zu ermöglichen. Das Einstimmen der Pfeifen erfolgte bis zum 18. Jh. durch möglichst präzises Zuschneiden der Pfeifenlänge auf die gewünschte Tonhöhe; kleinere Korrekturen waren durch Ein- oder Ausreiben der Pfeifenmündung möglich. Als sich im 19. Jh. vermehrt die Notwendigkeit ergab, vorhandenes Pfeifenwerk auf eine veränderte Stimmtonhöhe umzustellen, kamen bei den offenen Pfeifen Stimmschlitze, d. h. Einschnitte am oberen Pfeifenrand, in Gebrauch; die dadurch entstehende Metallzunge kann ein- oder ausgerollt werden. Daneben werden auch verschiebbare Stimmringe verwendet. Offene Holzpfeifen werden durch verstellbare Deckel gestimmt, halb- und vollgedackte Pfeifen (Holz und Metall) durch Verschieben des Hutes oder Spundes. — Die L. unterteilen sich in offene, gedackte und halbgedackte Pfeifen. Sowohl bei den offenen als auch bei den gedackten haben sich verschiedenste Formen
entwickelt: zylindrische, konische, trichterförmige, zylindrisch-konische. Falls die zur Verfügung stehende Höhe nicht ausreicht, können die Pfeifen gekröpft (abgewinkelt) werden. — Außer ihrer Form sind die L. nach Funktion und Klangfarbe in 3 Gruppen unterteilt: Zum >'Engchor zählen Stimmen von geringer Verschmelzungsfähigkeit (größtenteils offene zylindrische Metallpfeifen oder offene Holzpfeifen, z. B. Prinzipale mit ihren Oktaven und Klangkronen), zum Weitchor (2'Flötenchor) stark verschmelzungsfähige Stimmen mit großer Fülle und Tragfähigkeit (z. B. Flöten und 2'Aliquotstimmen), zum Solochor obertonreiche Stimmen enger Mensur (z. B. streichende Stimmen). LABLACHE, Luigi, *6. 12. 1794 Neapel, t 23.1. 1858 ebd.; it. Sänger (Bariton) frz. Abstammung. Er debütierte 1812 als Baßbuffo am Teatro San Carlino in Neapel. Nach weiteren Gesangsstudien kam er 1813 nach Messina, später nach Palermo und sang 1817 an der Mailänder Scala, wo er 1821 als Dandini in Cenerentola (Aschenbrödel) von G. Rossini gefeiert wurde. 1824-27 sang er in Wien, anschließend wieder am Teatro San Carlino und wurde 1830 nach London verpflichtet. Noch im selben Jahr trat er im Théâtre-Italien in Paris auf, an das er 1834 fest engagiert wurde. Daneben sang er, als Sänger und Darsteller mit sensationellem Erfolg, ständig in London und in der englischen Provinz und 1852 auch in St. Petersburg. 1843 kreierte er die Titelrolle von G. Donizettis Don Pasquale. Zu seinen wichtigsten Rollen gehörte auch der Don Geronimo in Il matrimonio segreto von D. Limarosa. Fr. Schubert schrieb für ihn 1827 die 3 italienischen Gesänge nach P. Metastasio (D 902). Lit.: A. SOUBiĚs, Le Théâtre-Italien (P 1913); H. WEIN(Lo 1966).
STOCK, L. L., in: Opera 17
LABORDE (La Borde), Jean Benjamin de, *5. 9. 1734 Paris, t 22.7. 1794 ebd. (guillotiniert); frz. Komponist und Musikschriftsteller. L. war als Komponist Schüler von J.-Ph. Rameau. 1762 wurde er Kammerherr Ludwigs XV., 1773 Gouverneur des Louvre und 1774 bis zum Tod des Königs Generalpächter. Bedeutender als seine Kompositionen sind die Schriften. L.s enzyklopädisch angelegter Essai sur la musique ancienne nimmt einen wichtigen Platz in der im Geist der Aufklärung stehenden frühen französischen Musikgeschichtsschreibung ein. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Bühnen-Werke (Tragédies lyriques, Comédies, Opéras bouffons, Pastorales, ein Ballett), sämtlich in Paris aufgeführt. Ferner mehrere Slgen. mit Chansons für SingSt mit versch. Instr. sowie Trios für 2 V. u. BaB (P 1765). — 2) Schriften: Essai sur la musique ancienne et moderne, 4 Bde. (P 1780); Mémoires sur les proportions musicales, le genre enharmonique des Grecs et celui des modernes (P 1781); Mémoires histori-
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Labroca ques sur R. de Coucy (P 1781); Autobiographie sous forme de Lettre de L. B. à Champein, de sa prison (1793). Lit.: E. HARAszTI, J. B. de L. et la musique hongroise, in: RMie 19 (1935); J. WARMOES, L'exemplaire de l'„Essai sur la musique ancienne et moderne” de J.-B. de L. annoté par Grétry (à la Bibl. Royale de Bruxelles) (Löwen 1956).
LABROCA, Mario, *22. 11. 1896 Rom, t 1.7. 1973 ebd.; it. Komponist. L. studierte bei O. Respighi und G. Fr. Malipiero und wirkte 1922-36 als Musikkritiker. 1936-44 war er Intendant des Maggio Musicale Fiorentino, 1946-47 künstlerischer Leiter des Teatro La Fenice in Venedig und 1947-49 der Mailänder Scala sowie 1949-58 Programmdirektor für Musik beim italienischen Rundfunk. 1959 übernahm er erneut die künstlerische Leitung des Teatro La Fenice. Außerdem war er 1959 und 1962 Präsident des International Music Council. L., der als Komponist einer gemäßigten Moderne zuzurechnen ist, setzte sich in den letzten Lebensjahren besonders auch für eine breitgefächerte Musikpflege in Italien ein. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke u. Kammermusik; Sinfonia für Kammerorch. (1925); Lieder; 3 Passionskantaten nach Johannes (1950) für Bar., Chor u. Orch.; 8 Madrigali di Tomaso Campanella (1958) für Bar. u. Orch. — Opern: La principessa di Perepepè, UA: Rom 1927; Le tre figliuole di Pinco Pallino, UA: ebd. 1928; ferner Bühnenmusik. — 2) Schriften: Parole sulla musica (Mi 1954); Malipiero, musicista veneziano (V 1957); Arte di Toscanini (Tn 1966).
LA BRUCHOLLERIE, Monique Adrienne Marie Yver de,* 20.4.1915 Paris, t 15. 12. 1972 ebd.; frz. Pianistin. Sie studierte bei E. von Sauer in Wien und A. Cortot in Paris und errang nach ihrem Debüt 1933 mehrere Preise internationaler Wettbewerbe (1937 Warschau, 1938 Brüssel). Ein schwerer Autounfall 1966 in Rumänien setzte ihrer großen Kar-
riere ein Ende. LACÉPÈDE (La Cépède), Bernard Germain Étienne de la Ville-sur-illion, Comte de, * 20.12. 1756 Agen, t 6.10.1825 Épinay; frz. Naturforscher und Komponist. Er erhielt seine erste musikalische Ausbildung in Agen und ging dann nach Paris, wo er sich auf Anraten Chr. W. Glucks bei Fr. J. Gossec weiterbildete. Seine Kompositionen, darunter mehrere Opern, hatten jedoch wenig Erfolg. Bedeutender waren seine Schriften zur Musik. Mit J. le Rond d'Alembert korrespondierte er über Probleme der • Harmonielehre. Die Musik ist für ihn eine deskriptive Kunst: sie soll die Natur nachahmen und Echo der menschlichen Leiden und Freuden sein. WW: 1) Kompositionen: Opern: Armide, UA: Paris 1775; Omphale, UA: ebd. 1776; Télémaque, UA: ebd. 1785; Scanderberg, UA: ebd. 1785; Alcine; Cyrus. — 2) Schriften: La poétique de la musique (P 1785, 31797); Réflexions sur les progrès que la musique a encore à faire (hsl. Arch. du Lot-et-Garonne).
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Ausg.: La poétique de la musique 1785, Faks.-Ausg. (G 1970). Lit.: O. F. SALOMAN, Aspects of „Gluckian" Operatic Thought and Practice in France. The Musico-Dramatic Vision of Le Sueur and L. 1785-1809 in Relation to Aesthetic and Critical Tradition (1970) (= Diss. Columbia Univ. New York); DERS., L.'s La poétique de la musique and Le Sueur, in: AMI 47 (1975).
LACERDA, Francisco de, * 11.5.1869 Ribeira Seca (Azoren), t 18.7.1934 Lissabon; port. Dirigent und Komponist. L. studierte zunächst am Conservatório Nacional in Lissabon, seit 1895 in Paris am Conservatoire und seit 1897 u. a. bei V. d'Indy an der Schola Cantorum, wo er später Klassen für Vokal- und Instrumentalensemble leitete. Außerdem nahm er an Dirigierkursen von A. Nikisch und H. Richter teil und wirkte zeitweilig als Assistent bei den Bayreuther Festspielen mit. 1923 gründete er das Philharmonische Orchester Lissabon. Als Dirigent wurde er vor allem in Frankreich bekannt. Zu seinen Schülern gehörte E. Ansermet. L. sammelte auf den Azoren etwa 500 Volkslieder, die unter dem Titel Le Cancioneiro musical portugués teilweise veröffentlicht wurden. WW: Klv.-Stücke Epitáfios u. Anteriana; Org.-Werke; symphonische Dichtungen Almourolu. Alcácer; Ballette u. Bühnenmusik. Lit.: F. DE SOUSA, Exposiçáo comemorativa do primeiro centenário do nascimento F. de L. (Lis 1969).
LACH, Robert, *29. 1. 1874 Wien, t 11.9. 1958 Salzburg; östr. Musikforscher. Er erhielt seine musikalische Ausbildung 1893-99 bei R. Fuchs in Wien, studierte daneben Philosophie und Musikwissenschaft an der Universität Wien und promovierte 1902 an der Universität Prag. Anschließend lebte er bis 1909 in Istrien, Dalmatien und Italien. 1911 wurde er Volontär der Wiener Hofbibliothek, deren Musiksammlung er 1912-20 leitete, habilitierte sich 1915 an der Universität, war dort seit 1920 außerordentlicher Professor für Vergleichende Musikwissenschaft, Psychologie und Ästhetik der Tonkunst und lehrte seit 1924 auch an der Musikakademie. 1927-39 war er als Nachfolger G. Adlers Ordinarius und Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität und hatte noch bis 1945 einen Lehrauftrag. Seit 1918 war er korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien, seit 1925 der Deutschen Akademie in München. L. trat auch mit zahlreichen Kompositionen nachromantischer Stilrichtung hervor. Zu seinem 80. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift geehrt. Schriften: Stud. zur Entwicklungsgesch. der ornamentalen Melopöie (L1913); W.A. Mozart als Theoretiker (W 1918) (= Wiener Akad. der Wiss., philos.-hist. Klasse 61); Das Inhaltsproblem in der Musikästhetik, in: FS H. Kretzschmar (L 1918); Die vergleichende Musikwiss., ihre Methoden u. Probleme (W 1924); Vergleichende Kunst- u. Musikwiss. (W 1925); Das Konstruktionsprinzip der Wiederholung in Musik, Sprache u. Lit. (W 1925);
Lachner Gregor. Choral u. vergleichende Musikwiss., in: FS P. Wagner (L 1926); Das Ethos in der Musik Schuberts (W 1928); Tempelgesänge, in: FS J. Wolf (B 1929); Das Ethos in der Musik v. J. Brahms, in: Neues Simrock-Jb. 3 (1930-34); Mozart und die Gegenwart, in: Ber. über die musikwiss. Tagung der lnt. Stiftung Mozarteum in Salzburg 1931 (L 1932).
LÄCHELN AM FUSSE DER LEITER, DAS (Sorriso ai piedi d'una scala), Oper in 2 Akten und 5 Bildern von Antonio Bibalo (5 1922); Text vom Komponisten nach der gleichnamigen Novelle von Henry Miller. Ort und Zeit der Handlung: ein Wanderzirkus in der Gegenwart. UA: 6.4.1965 als Auftragswerk für die Hamburgische Staatsoper. Bibalo bezeichnet sein erstes Bühnenwerk als „das einfache Drama des Mitleids und gleichzeitig ein Drama von Selbstidentifikation". Im Zentrum steht das Psychogramm eines Außenseiters, des Clowns Augusto, der an der selbstgestellten Aufgabe, den Menschen das Lächeln zu schenken, scheitern muß, weil er nicht zu sich selbst findet. Die Schwierigkeit, die Vorlage in ein wirkungsvolles Libretto umzugestalten, vor der Henry Miller kapitulierte, führte zu einigen Schwächen in der Darstellung der psychischen Disposition des Protagonisten. Es überwiegen jedoch bühnenwirksame und stimmungsvolle Passagen wie die ausgedehnte Zirkusszene mit zahlreichen Balletteinlagen und Augustos Traumvision, in denen sich das Einfühlungsvermögen und Bühnentalent des Komponisten offenbaren. Die in frei gestalteter Zwölftontechnik komponierte Musik wird meist zur sparsamen Ausdeutung des Textes eingesetzt, woran sich Bibalos Schulung am Werk A. Bergs zeigt. Nach der außergewöhnlich guten Aufnahme (34 Vorhänge) durch das Hamburger Premierenpublikum konnte sich das Werk in kürzester Zeit auch über Deutschland hinaus durchsetzen. TH. MENGER LACHENMANN, Helmut Friedrich, * 27.11. 1935 Stuttgart; dt. Komponist und Pianist. Er studierte 1955-58 an der Musikhochschule Stuttgart Klavier und bei J. N. David Theorie und Kontrapunkt, war 1958-60 einziger Kompositionsschüler L. Nonos in Venedig und lebte 1961-66 als freischaffender Komponist und Pianist in München. 1965 arbeitete er im Elektronischen Studio der Universität Gent. 1966-70 war er Theorielehrer an der Musikhochschule Stuttgart, wurde 1970 Dozent (1972 Professor) an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg und lehrte seit 1976 als Professor für Komposition an der Musikhochschule Hannover. AuBerdem leitete er 1972-73 eine Meisterklasse für Komposition an der Universität Basel. 1981 wurde er Professor für Komposition und Theorie an der Musikhochschule Stuttgart.
WW: 1) Ihr.-WW: Rondo für 2 Klv. (1957); Echo Andante (1961), Wiegenmusik (1963) u. Guero (1970) für Klv.; Interiew I (1966) für einen Schlagzeuger; Streichtrio (1965); Trio fluido (1966) für Klar. solo, Va. u. Schlagzeug; Gran Torso (1972), Musik für Streichquartett; Introversion 1(1963) für 6 Instr. u. 11(1964); 5 Strophen (1961) für 9 Instr. — Elektronische Musik Szenario (1965). — Souvenir (1959) für 41 Instr.; Notturno (1968) für kleines Orch. u. Vc. solo; Air (1969) für Schlagzeug u. großes Orch.; Kontrakadenz (1971) für groBes Orch.; Klangschatten — „mein Saitenspiel' (1972) für 48 Str. u. 3 Konzertflügel; Fassade (1973) für groBes Orch.; Schwankungen am Rand (1975) für 4 Trp., 4 Pos., 2 Klv., 2 elektrische Gitarren, 4 Donnerbleche, 24 V., 10 Va. u. 6 Regler; Accanto (1976) für Klar. solo u. Orch.; Tanzsuite mit Deutschlandlied (1980) für Orch. mit Streichquartett. — 2) Vokal-WW: Consolation 1(1967) (Text: E. Toller) für 12 St. u. 4 Schlagzeuger; Consolation II (1968) (Wessobrunner Gebet) für 16 St.; temA (1968) für St., Fl. u. Vc.; Les Consolations III u. ... IV (1968 u.1978) für 16 St. u. Orch. — 3) Schriften: Klangtypen der neuen Musik, in: ZfMth 1 (1970); Luigi Nono oder Rückblick auf die serielle Musik, in: Melos 38 (1971); Zum Verhältnis Kompositionstechnik — gesellschaftlicher Standort, in: Kgr.-Ber. Stuttgart 1971 (St 1972); Bedingungen des Materials — Stichworte zur Praxis der Theoriebildung (Mz 1978) (= Darmstädter Beitrag zur Neuen Musik 17); Vier Grundbestimmungen des Musikhörens, in: Neuland 1 (1980).
L. versteht seine Musik einerseits als „Resultat material-immanenter Auseinandersetzung" in der Dialektik von Form und Klang, andererseits immer auch als „Niederschlag von mechanischen Handlungen und Vorgängen". Stilistisch zieht er vor allem serielle Verfahren heran, jedoch ohne sich ihnen sklavisch zu unterwerfen. Musikalische Struktur, verstanden als „Polyphonie von Anordnungen", ist für L. nur insofern sinnvoll, als sie auf „Wirklichkeiten und Möglichkeiten um uns und in uns selbst" hinweist und als Modell für die Freiheit des Menschen dienen kann. Lit.: U. STURZBECHER, H. L., in: Werkstattgespräche mit Komponisten (Kö 1971); R. OEHLSCHLÄGEL, Z.B. H. L. Der Versuch eine neue ästhetische Quelle zu formulieren, in: Musica 26 (1972). B.A. KOHL
LACHNER. —1) Franz, * 2.4. 1803 Rain am Lech (Oberbayern), t 20.1. 1890 München; dt. Komponist und Dirigent. Nach erstem Musikunterricht bei seinem Vater, der Stadtorganist in Rain war, kam er 1822 nach München, wo er als Organist, Musiklehrer und Orchestermitglied des Isarthortheaters tätig war. Daneben nahm er Kompositionsunterricht bei J. K. Ett. 1823 beteiligte er sich erfolgreich bei einem Wettbewerb um die vakante Organistenstelle an der evangelischen Kirche in Wien. S. Sechter, der zur Prüfungskommission gehörte, wurde sein Lehrer. 1826 erhielt L. die Stelle des Vizekapellmeisters, 1828 die des 1. Kapellmeisters am Kärntnerthor-Theater. Er trat in freundschaftliche Beziehungen zu bedeutenden Persönlichkeiten Wiens, darunter besonders zu Fr. Schubert und Moritz von Schwind. 1834 wurde er Hofkapellmeister in Mannheim, folgte jedoch schon 1836 39
Lachher einem Ruf an das Hoftheater nach München. Hier entfaltete er in rund drei Jahrzehnten eine bemerkenswerte Aktivität als Operndirigent, Leiter der Musikalischen Akademien im Odeon sowie der Kirchenmusik in der Allerheiligenhofkapelle. 1852 wurde er in München GMD, 1863 Dr. phil. h. c. und 1883 Ehrenbürger der Stadt. Als entschiedener Gegner der Neudeutschen Schule suchte L. nach der Berufung R. Wagners und H. von Billows an die Münchner Oper um seine Pensionierung nach, die ihm 1868 gewährt wurde. WW: 1) Instr.-WW: Orgelstücke; Trios; Suite für V. u. Klv.; 7 Streichquartette (1843-76); 2 Klv.-Quintette (1868, 1869); Septett (1824); Bläseroktett (1850); Nonett (1875). - 8 Symphonien (1828-50); 8 Orch.-Suiten (1861-81). - 2) Vokal-WW: Lieder; Messen u. Motetten; Oratorien Die vier Menschenalter (1829) u. Moses (1833); Requiem (1856); 2 Stabat mater (1856, 1874). - 3) Söhnen-WW: Opern: Die Bürgschaft, UA: Budapest 1828; Alidia, UA: München 1839; Catharina Cornaro, UA: ebd. 1841; Benvenuto Cellini, UA: ebd. 1849.
L., ein Dirigent und Orchestererzieher von außergewöhnlichem Rang, war besonders wegen seiner Beethoven-Aufführungen berühmt. Als Komponist wurde L., der neben seinen Vorbildern L. van Beethoven und Fr. Schubert auch Einflüsse von L. Spohr, F. Mendelssohn Bartholdy und G. Meyerbeer aufnahm, besonders durch seine 8 Orchestersuiten von Bedeutung, die wesentlich zur Wiederbelebung dieser Gattung beitrugen. Hinter diesen stehen seine 8 Symphonien an Bedeutung weit zurück. Von seinen 4 Opern fand Catarina Cornaro, eine Große Oper im Stil Meyerbeers, größere Resonanz. Auch seine Kirchenmusik (besonders das Requiem) sowie sein Liedschaffen verdienen Beachtung. 2) Ignaz, Bruder von 1), * 11.9.1807 Rain am Lech, t 24.2.1895 Hannover; dt. Komponist und Dirigent. Er wurde in Augsburg und München ausgebildet und folgte seinem Bruder 1824 nach Wien, wo er Nachfolger in dessen Organistenstelle und Kapellmeister am Kärntnerthor-Theater wurde. 1831 wurde er Hofmusikdirektor in Stuttgart, 1842 2. Kapellmeister an der Münchner Hofoper, 1853 1. Kapellmeister am Theater in Hamburg und 1858 Hofkapellmeister in Stockholm. 1861-75 wirkte er als Dirigent in Frankfurt am Main. WW: Kammermusik, darunter 6 Trios für Klv., V. u. Va.; Kirchenmusik und Orch.-Werke. - 5 Singspiele Alpenszenen (um 1850); Opern, u. a.: Der Geisterturm, UA: Stuttgart 1837; Die Regenbrüder, UA: ebd. 1839; Loreley, UA: München 1846.
Als Dirigent bei weitem nicht so bekannt wie seine Brüder, errang L. als Komponist mit den ländlichen Singspielen Alpenszenen, die in ihrer schlichten Melodik sich dem bayerisch-alpenländischen Volkslied anpassen, einen gewissen Erfolg. Am bemerkenswertesten sind seine 6 Trios für Klavier, 40
Violine und Viola, die auch innerhalb der Gattung einen beachtlichen Rang einnehmen. 3) Vinzenz, Bruder von 2), * 19.7. 1811 Rain am Lech, t 22.1.1893 Karlsruhe; dt. Dirigent und Komponist. Er kam 1830 als Musiklehrer des Grafen Mycielski nach Posen. 1834 folgte er seinem Bruder Franz als Kapellmeister am KärntnerthorTheater in Wien nach und übernahm auch 1836 dessen Dirigentenstelle in Mannheim, die er mit kurzen Unterbrechungen bis zu seiner Pensionierung (1873) innehatte. Wie sein Bruder Franz war auch er ein vorzüglicher Orchestererzieher und Dirigent klassischer Werke, während ihm der Zugang zum Schaffen der Neudeutschen Schule verschlossen blieb. Von seinen Vokal- und Instrumentalkompositionen sind besonders die Chöre sowie die Brahms gewidmeten 12 Ländler für Klavier hervorzuheben. Lit.: A. WURz, L., in: MGG VIII. - Za 1): F. STETTER, Werkverz., in: M. Chop, Zeitgenössische Tondichter II (L 1890). L. K. MAYER, F. L. als Instrumentalkomponist (Diss. Mn 1922); A. WURz, F. L. als dramatischer Komponist (Diss. Mn 1927); G. WAGNER, F. L. als Liederkomponist (Giebing 1970) (= Schriften z. Musik 3); H. FEDERHOFER, Briefe von F. u. V. L. an F. u. Betty Schott, in: FS L. Strecker (Mz 1973). - Za 2): C. KREBS, in: Allgemeine Dt. Biogr. 51 (1906); H. MÜLLER, I. L. (Celle 1974) (mit Werk-Verz.). - Zu 3): F. WALTER, Briefe V. L.s an H. Levi (Mannheim 1931). G. WAGNER
LACHNITH, Ludwig Wenzel, * 7.7.1746 Prag, t 3.10.1820 Paris; böhmischer Hornist und Komponist. L. war zunächst Hofmusiker des Herzogs von Zweibrücken. 1773 trat er im Concert spirituel in Paris auf und wurde Kompositionsschüler von Fr.-A. D. Philidor. 1781 ließ er sich endgültig in Paris nieder. L. wurde außer durch seine Instrumentalwerke vor allem durch Opern-Pasticci bekannt, von denen Les mystères d'Isis (1801, mit Musik aus mehreren Werken W. A. Mozarts) zu einer Zeit große Erfolge hatten, in der die Opern Mozarts in ihrer Originalgestalt noch wenig bekannt waren. WW: Außer weiteren Pasticci (u. a. nach Werken v. A. Salieri) Instr.-Werke (in Paris gedruckt): Sonaten für Cemb. oder Klv. u. V. sowie für Harfe u. V.; Trios für 2 V. u. BaB; Quatuors concertants; Konzerte für Cemb. oder Klv. u. Orch.; zahlr. Symphonien.
LACOMBE (eig. Trouillon-Lacombe), Louis, * 26.11.1818 Bourges, t 30.9.1884 St-Vaast-laHougue; frz. Pianist und Komponist. Er war seit 1829 Klavierschüler von P. J. G. Zimmermann am Pariser Conservatoire und erhielt dort 1831 den 1. Klavierpreis. 1832 unternahm er eine Konzertreise durch Europa und hielt sich 1834 in Wien auf, wo er sich bei K. Czerny weiterbildete. 1839 kehrte er nach Paris zurück und widmete sich der Komposition gefälliger und effektvoller Stücke. Seine Frau Claudine (* 17.1.1831, t 18.9.1902), eine unter dem Namen Andrée Favel bekannte Sängerin und
Lady be Good
Pädagogin, schrieb eine Gesanglehre: La science du mécanisme vocal et l'art du chant (P 1876). WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Klv.-Trios d-moll u. a -moll; Klv.-Quintett, op. 26 (P o. J.); dramatische Symphonien Manfred (1847) u. Arva (1850), jeweils mit Soli u. Chören; Melodram Sapho (1878), Preiskantate der Pariser Weltausstellung. — Opern: La madone, UA: Paris 1861; Winkelried, UA: Genf 1892; Le tonnelier de Nuremberg, UA: Koblenz 1897; Korrigane, UA: Sondershausen 1901. — Ferner die Schrift Philosophie et musique (P 1896). Lit.: H. BOYER, L. L. et son oeuvre (P 1888); E. JONGLEUX, Un grand musicien méconnu, L. L. (Bourges 1935).
LADEGAST, Friedrich, * 30.8. 1818 Hochhermsdorf (Sachsen), t 30.6. 1905 Weißenfels; dt. Orgelbauer. Er lernte zunächst bei seinem Bruder Christlieb L. und arbeitete dann in den Werkstätten Kreutzbach in Borna, Mende in Leipzig und Zuberbier in Dessau und wurde mit den sächsischen Barockorgeln, vor allem G. Silbermanns, vertraut. Den elsässisch-französischen Orgelbau des 18. und frühen 19. Jh. lernte er durch die Werkstätten des Silbermann-Nachfolgers Wetzel in Straßburg und von A. Cavaillé-Colt in Paris kennen. 1846 ließ sich L. in WeiBenfels nieder. 1855 baute er im Merseburger Dom die seinerzeit größte Orgel Deutschlands (4 Man., 81 Reg., verändert erhalten), die Fr. Liszt zu seinen großen Orgelwerken inspirierte und von den Zeitgenossen als der Beginn des deutschen hochromantischen Orgelbaus angesehen wurde. Bis 1898, als die Werkstatt von seinem Sohn Oskar L. übernommen wurde, entstanden über 200 Orgeln, u. a.: Leipzig, Nikolaikirche (1862; 4 Man., 85 Reg., teilweise erhalten); Schwerin, Dom (1871; 4 Man., 84 Reg., fast unverändert erhalten); Wien, Konzertsaal der Gesellschaft der Musikfreunde (1872; 3 Man., 55 Reg.,Prospekterhalten); Reval, Dom (1878; 3 Man., 54 Reg.). L. ging vom barocken Orgelbau aus und hat technische und musikalische Neuerungen nur zurückhaltend einbezogen. Die wenigen erhaltenen Werke weisen ihn als einen der bedeutendsten Orgelbauer überhaupt aus. Oskar L. führte die Werkstatt bis nach dem 1. Weltkrieg weiter. Ut.: W. HAACKE, 100 Jahre L. -Orgel im Dom zu Schwerin, in: MuK 41 (1971); H. J. BUSCH, Zw. Tradition u. Fortschritt. Zu Orgelbau, Orgelspiel u. Orgelkomposition in Deutschland im 19. Jh., in: Mundus organorum. FS W. Supper (B 1978) H. J. BUSCH
LÄDIQI, Muhammad al-, ibn `Abdalhamid, * Ladikije (Syrien). Er lebte im 15. Jh. und ist der letzte bedeutende Gelehrte der mittelalterlichen arabischen Welt. Sein dem Sultan Bajazet II. (1481 bis 1512) gewidmeter Traktat Risäla al-Fathija (Abhandlung über den Sieg) behandelt arabische Tonskalen, Rhythmen, Instrumente und die arithmetischen und geometrischen Grundlagen der Musik. Ein weiterer Musiktraktat (1483 vollendet) hat den
Titel Zain al-alhán fi`ilm at-ta'lif wa-l-auzän (Melodienzier zur Kenntnis von Komposition und Metren). Ausg.: Französische Übersetzung der Abh. Risála al-Fathija, in: R. D'ERLANGER, La musique arabe 4 (P 1939). Lit.: H. G. FARMER, The Sources of Arabian Music (Bearsden 1940, revidiert Leiden 1965); C. BROCKELMANN, Gesch. der arabischen Lit. II (Leiden 2 1949), Suppl. II (1938), III (1942); H. G. FARMER, Turkish Instruments of Music in the 15th Century, in: Journal of the Royal Asiatic Soc. (1940), Abdruck in: Oriental Studies, Mainly Music (Lo 1953) (zu den Instr. aus der „Fathija").
LADURNER. — 1) Ignaz Anton, * 1.8.1766 Aldein bei Bozen, t 4.3.1839 Villein bei Massy (Essonne); östr. Pianist, Organist und Komponist. Er war 1776-82 Schüler seines Onkels Innozenz L. (1745-1807) im Kloster Benediktbeuern und 1782 bis 1784 als Nachfolger seines Vaters Franz Xaver L. (1735-82) Organist in Algund. Anschließend besuchte er bis 1785 das Lyceum Gregorianum in München. Dort lernte er die Gräfin Heimhausen, eine talentierte Pianistin, kennen, wurde von ihr als Partner engagiert und ging mit ihr 1786 nach Longeville bei Bar-le-Duc. 1788 ließ er sich in Paris nieder und wurde als Pianist, Klavierlehrer und Komponist rasch bekannt. D. Fr. E. Auber und A. P. Fr. Boëly waren seine Schüler. Von L. sind die Klavier-Werke wegen ihrer für ihre Zeit erstaunlichen rhythmischen und harmonischen Kühnheiten beachtenswert. WW (gedruckt in Paris): Sonaten für Klv. zu 2 u. zu 4 Händen; Sonaten u. Mélanges harmoniques für Klv. u. V. — Oper Wenzel, UA: Paris 1793 (einzelnes daraus gedruckt P 1795 u. 1800); Opéra-comique Les vieux fous, UA: Paris 1796 (hsl. erhalten).
2) Josef Alois, Bruder von 2), *7. 3. 1769 Algund, t 20.2. 1851 Brixen; östr. Organist und Pianist. Er war ebenfalls Schüler in Benediktbeuern und in München. 1799 empfing er die Priesterweihe und wurde 1802 Hofkaplan in Brixen. Werke von L. (Klaviermusik) sind in österreichischen Bibliothe-
ken zahlreich vertreten. Lit.: G. DE SAINT-FOIX, Les premiers pianistes parisiens, J. A. L., in: RM (1926); M. BRIQUET, L., in: MGG VIII.
LADY BE GOOD!, amerik. Musical in 2 Akten von George Gershwin (1898-1937), Buch von Guy Bolton und Fred Thompson, Song-Texte von Ira Gershwin. Ort und Zeit der Handlung: eine amerik. Großstadt in den zwanziger Jahren. UA: 1.12. 1924 in New York (Liberty Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 19.9.1976 in Dortmund (Städt. Bühnen); verfilmt 1941. Lady be Good!, im gleichen Jahr wie die Rhapsody
in Blue entstanden, war Gershwins erstes erfolgreiches Musical und markiert zugleich den Beginn der Zusammenarbeit mit seinem Bruder Ira, der von 41
Lady in the Dark
nun an zu sämtlichen Bühnenwerken und Filmschlagern die Texte schrieb. Die turbulente Handlung um ein armes Geschwisterpaar gab dem — echten — Geschwisterpaar Fred und Adele Astaire, die die Hauptrollen der Erstproduktion spielten, Gelegenheit, die tänzerischen Elemente des Werkes in den Vordergrund zu stellen, unterstützt von. einer Reihe Gershwin-Evergreens wie das programmatische Fascinating Rhythm oder der Titel-Song O, Lady be Good!. Ein weiterer Gershwin -Weltschlager, The Man I love, wurde während der ,tryouts` aus der Produktion genommen. Mit 330 Aufführungen en suite am Broadway war Lady be Good! eines der erfolgreichsten Musicals der zwanziger Jahre, auch in London (326 Vorstellungen, EA: 14.4. 1926, Empire Theatre), wo ebenfalls Fred und Adele Astaire die Hauptrollen spielten. Der in die Filmfassung eingebaute Song The Last Time I saw Paris von Jerome Kern wurde 1941 mit dem Oscar für den besten Filmschlager ausgezeichnet. R.-M. SIMON — S. SIMON
LADY IN THE DARK, Musical play in 2 Akten von Kurt Weill (1900-50), Buch von Moss Hart, Gesangstexte von Ira Gershwin. Ort und Zeit der Handlung: Amerika, um 1940. UA: 23. 1. 1941 in New York (Alvin Theatre), dt. EA (in dt. Sprache): 24.5.1951 in Kassel unter dem Titel Das verlorene Lied; verfilmt 1943 mit Ginger Rogers in der Hauptrolle. Die erfolgreiche Moderedakteurin Norma Elliott gerät in eine schwere seelische Krise und wird von einem Psychoanalytiker geheilt. Das Stück zeichnet den Prozeß der Bewußtseinsaufhellung der Patientin nach; ihre Erinnerungen und bizarren Träume werden bis zu jenem Punkt rekonstruiert, an dem das Kindheitstrauma, die Ursache ihrer Krankheit, entdeckt wird. Weill fand in der Traumthematik zahlreiche Möglichkeiten angelegt, vielfältige musikalische Stile und Formen einzusetzen. Konzertante Abschnitte wechseln mit Songs; Jazzelemente geben vielen Nummern eine spezifisch amerikanische Prägung. Eindrucksvoll gelingt es Weill, das heterogene Material zu einer musikalischen Einheit zu verbinden, indem er die Suche nach dem Ansatzpunkt für eine Heilung symbolisch als Suche nach einem vergessenen Lied (My Ship) nachvollzieht. Bruchstücke der schlichten Melodie durchziehen das gesamte Werk, bis sich die Heldin im Augenblick ihrer Heilung an das vollständige Lied erinnert. R. QUANDT LADY MACBETH VON MZENSK (Ledi Makbet Mzenskogo ujesda), Oper in 4 Akten (9 Bildern) von Dmitri Schostakowitsch (1906-75), 42
op. 29, Text von Alexander Preis und dem Komp. nach der 1865 erschienenen gleichnamigen Erzählung („Skizze") Nikolai Leskows. Ort und Zeit der Handlung: Landkreis Mzensk, um die Mitte des 19. Jahrhunderts. UA: 22.1.1934 in Leningrad (Kleines Staatl. Operntheater); EA in dt. Sprache: 29. 1. 1936 in Prag; dt. EA: 14. 11. 1959 in Düsseldorf. Katerina Ismailowa, die Hauptfigur der Oper, begeht — obwohl sie doch eigentlich nach Zuneigung und Menschlichkeit strebt — in einer von Brutalität, Skrupellosigkeit und Zynismus beherrschten Welt eine Reihe entsetzlicher Verbrechen. Ebenso grotesk wie dieses Schicksal wirken die vielfältigen unaufgelösten Spannungen, die sich in Schostakowitschs Musik aus der „Montage" zum Klischee abgesunkener Ausdrucksmittel ergeben: Der Komponist nutzt hier extensiv die Möglichkeit, unterschiedliche Szenentypen sowie heterogene Stilund Formmodelle der traditionellen Oper ironisch gebrochen aufzunehmen und zu verfremden, so daß auf diese Weise die ethisch-moralische Indifferenz der dargestellten Wirklichkeit mit besonderer Schärfe verdeutlicht wird. — Zwei Jahre nach der UA erschien in der Prawda eine vernichtende parteioffiziöse Kritik an diesem Werk; daraufhin von den Spielplänen abgesetzt, wurde es erst 1963 rehabilitiert, nachdem Schostakowitsch eine in sprachlichen und musikalischen Details „gemilderte” Fassung — unter dem Titel Katerina Ismailowa (op. 29/114); UA: B. 1. in Moskau — vorgelegt hatte. Im Westen aber wird neuerdings offensichtlich wieder die ursprüngliche Version bevorzugt. Dies zeigt neben der Londoner Gesamteinspielung unter M. Rostropowitsch (1978) auch die Wuppertaler Inszenierung der Lady Macbeth (1979). E. FISCHER
LA FAGE (Lafage), Juste Adrien Lenoir de, * 28. 3.1801 Paris, t 8. 3.1862 Charenton (Val-deMarne); frz. Musikforscher und Komponist. Er war Schüler von Fr. L. Perne und A.-É. Choron. 1828
reiste er als Stipendiat nach Rom, wo er als Schüler G. Bainis besonders die Vokalpolyphonie des
16. Jh. kennenlernte. Nach Paris zurückgekehrt, wurde er Kapellmeister an St-Étienne -du-Mont. Dort führte er als Neuerung Orgelbegleitung zum Gregorianischen Gesang ein. 1833-36 und 1845-51 hielt er sich erneut in Italien auf. Von L.s Lehrwerken und Schriften waren die Histoire de la musique und die Essais de diphthérographie (mit Veröffentlichung mittelalterlicher Musiktraktate) über seine Zeit hinaus grundlegend. Als Komponist schrieb er vorwiegend geistliche Musik. Schriften (alle in Paris erschienen): Manuel complet de musique vocale et instrumentale, 6 Bde. (1836-38), Kompositionslehre, v.
La Hèle A.-E. Choron unvollständig hinterlassen; dass. neu bearb. als: Nouveau manuel..., 17 Bde. (P o. J.); Histoire générale de la musique et de la danse, 2 Bde. (1844, Nachdr. Bol 1970) (= Bibl. musica Bononiensis 3/84); Miscellanées musicales (1844, Nachdr. Bol 1969) (= ebd. 3/29); Cours complet de plain-chant, 2 Bde. (1856); L'unité tonique et la fixation d'un diapason universel (1859); Essais de diphthérographie musicale (1864, Nachdr. A 1964).
L'AFFILARD, Michel, frz. Sänger, um 1700. L. war 1679 Altist der Ste-Chapelle in Paris und 1696 bis 1708 als Nachfolger von Cl. Legros an der
Chapelle Royale. Er wurde sehr bekannt als Gesanglehrer und als Verfasser einer erfolgreichen Gesanglehre. WW: Zahlr. Airs sérieux und Airs à boire in den Sammeldrucken der Zeit (seit 1695) u. hsl. - Lehrwerk: Principes très faciles pour bien apprendre la musique qui ont du naturel pour le chant jusqu 'au point de chanter toutes sortes d'airs proprement et à livre ouvert (P 1694 mit zahlreichen Aufl. bis 1744).
Ausg.: Principes très faciles, Faks. der Ausg. 1705 (G 1971). Lit.: W. MELLERS, F. Couperin and the French Classical Tradition (Lo 1949); E. SCHWANDZ, L. on the French Court Dances, in: MQ 40 (1974).
LAFONT, Charles Philippe, * 1.12.1781 Paris, t 14.8.(10.1.?)1839 beiTarbes (auf einer Reise); frz. Violinist. L. war zunächst Schüler seines Onkels, des Violinisten J. Bertheaume, später von R. Kreutzer und P. Rode. Außerdem studierte er Komposition bei H. M. Berton. Nach erfolgreichen Konzerttourneen in Europa und Rußland war er 1808-14 als Nachfolger Rodes Kammervirtuose in Petersburg und seit 1815 Soloviolinist am Hof Ludwigs XVIII. in Paris. 1816 unternahm er eine Italienreise, während der er mit N. Paganini ein Konzert in der Mailänder Scala gab. L. gehörte zu den bedeutendsten frz. Violinisten seiner Zeit. WW: Duos concertants für V. u. Klv.; 7 V. -Konzerte; Airs variés für V. mit Orch.-Begleitung, Streichquartett, Klv. u. Harfe; etwa 200 Lieder u. Romanzen; Oper La rivalité villageoise, UA: Paris 1799. Lit.: A. MosER, Gesch. des Violinspiels (B 1923), 2 Bde. (2 1966-67).
LAGE. — 1) Bei Streich- und Zupfinstrumenten (mit Griffbrett) Bz. für die Stellung der Finger der linken Hand auf dem Griffbrett (engl. u. frz.: Position; it.: posizione). In der 1. L. wird mit dem 1. Finger (7Fingersatz) eine Sekunde über der leeren Saite gegriffen, in der 2. L. eine Terz usw. In der halben L. rückt die linke Hand weiter zum /Sattel als in der 1. Lage. Bedingt durch Unterschiede in der Mensur, und damit im Fingersatz, ist bei verschiedenen Streichinstrumenten die L.n-Zählung modifiziert: beim Kontrabaß wird sie halbtonweise durchgeführt, bzw. es werden Ganz- und Zwischen-L.n unterschieden. Für das Violoncello ist neben der Normal-L. (enge L.) die weite L. bekannt, in der zwischen 1. und 2. Finger ein Ganzton
gegriffen wird; durch den Gebrauch des Daumens als Stütz- und Spielfinger in den oberen (Daumen-) L.n von Violoncello und Kontrabaß sind auch hohe L.n den unteren entsprechend nutzbar. — Die Verwendung der L.n dient nicht nur zur Erweiterung des Tonumfangs der Instrumente, sondern ist auch spieltechnisch bedingt (Vermeidung von Saitenwechseln, Spielen von Doppelgriffen). Bis zum Ende des 18. Jh. brauchte in den meisten Orchesterkompositionen die 5. Lage auf der Violine selten überschritten zu werden, bei L. van Beethoven wurde das Spiel bis zur 9. L. erforderlich, bei R. Wagner (Tannhäuser-Vorspiel) bis zur 11. Lage. Bei der Viola sind 7 L.n, beim Violoncello 8-9 L.n gebräuchlich. Den Übergang von einer L. zur anderen nennt man L.n-Wechsel. Die musikalisch sinnvolle Verwendung der einzelnen L.n, auch zur Differenzierung der Klangfarbe, und ein unhörbarer L.n-Wechsel sind Grundvoraussetzungen des künstlerischen Streichinstrumentenspiels. — 2) In der Harmonielehre Bz. für die Schichtung eines /Akkords. — 3) In der Praxis des ?Gesangs unterscheidet man die verschiedenen /Stimmlagen. Auch werden bestimmte Teilbereiche einer Singstimme oder eines Instruments als L. bezeichnet (z. B. hohe L., Mittel-L.). LA GROTTE (La Crotte), Nicolas de, * um 1530, t um 1600; frz. Komponist. Er war seit spätestens 1557 Spinettspieler und Organist von Antoine de Bourbon, dem König von Navarra. Nach dessen Tod (1562) trat er in den Dienst des Herzogs von Anjou, des nachmaligen Königs Heinrich III. von Frankreich, der ihn während seiner Regierung zum „Valet de chambre et organiste ordinaire" ernannte. 1589 wurde er pensioniert. L. stand vermutlich mit der Académie de Poésie et de Musique A. de Bads in Verbindung und war mit Cl. Le Jeune befreundet. Neben Chansons, die zur /Musique mesurée à l'antique gehören, veröffentlichte er als einer der ersten Chansons „en forme d'airs", die die Entwicklung des /Air de cour beeinflußten. WW: Chansons de P. de Ronsard, Ph. Desportes, et autres für 4 St. (P 1569 u. ö.); Premier livre d'airs et de chansons für 3-6 St. (P 1583); weitere Stücke in Sammeldrucken 1559-91; ferner eine Fantasie für Org. (hsl.). Ausg.: 6 Chansons, hrsg. v. H. EXPERT, in: La fleur des musiciens de P. de Ronsard (P 1923); eine Chanson, in: C. le Jeune, Airs 1608 II, hrsg. v. D. P. WALKER (R 1951) (= Publications of the American Inst. of Music, Miscellanea 1); Chanson Nicolas, in: F. LESURE, Anthologie de la chanson parisienne au XVII. siècle (Monaco 1952). Lit.: E. DRoz, Les chansons de N. de la G., in RMie 8 (1927); L. DE LA LAURENCIE, N. de la G., in: Rass. Mus. 5 (1932); R. LEBÉGUE, Ronsard corrigé par un de ses musiciens, in: RMie 39 (1957).
LA HÈLE (Helle), Georges de, * 1547 Antwerpen, 43
Lai
t 19.2.1587 Madrid; franko-flämischer Komponist. L. war 1560-70 Sänger der Hofkapelle König Philipps II. in Madrid, studierte anschließend Theologie an der Universität Löwen und empfing 1571 die Priesterweihe. 1572 wurde er Kapellmeister in Mecheln, 1574 Chordirigent in Tournai und 1578 dort Kanonikus der Kathedrale. 1576 erhielt er beim Puys d'Evreux Preise für die Motette Nonne Deo und die Chanson Mais voyez. Von Philipp II. 1580 zum Hofkapellmeister in Madrid ernannt, trat er die Stelle jedoch erst 1582 an. WW: Im Druck erschienen: Octo Missae für 5-7 St. (An 1578); Nonne Deo, in: F. Sales, Sacrarum cantionum ... liber primus (Pr 1593); eine Chanson Mais voyez, in: RISM 1597 10. Ausg.: Messen Gustate et videte, In convertendo Dominus, hrsg. v. F. HABERL (Düsseldorf 1950). Lit.: M. ANTONOWYTSCH, Die Motette „Benedicta es" v. J. des Préz u. die Messen super „Benedicta es" v. Willaert, Palestrina, De la H. u. De Monte (Dias. Utrecht 1951); L.J. WAGNER. The „Octo Missee" of G. de la H., 2 Bde. (1957) (= Diss. Univ. of Wisconsin).
LAI (frz., von gälisch laid = Lied; dt.: Leich, zu gotisch laiks = Tanz, Spiel; für beide Formen [Lai, Leich] sind Einflüsse von mittellat. laicus = weltlich nicht auszuschließen), formal wesentlich von der /Sequenz beeinfluBte, zum Teil 7Descort und ?Estampie nahestehende Gattung volkssprachlicher Literaturen des europäischen Mittelalters, deren Ursprünge auf einreimige, in der Regel 4zeilige, sangbare Strophen mit oder ohne Refrain aus dem Bereich der Volksliedtradition zurückgehen. Aus diesem Grund ergeben sich die unterschiedlichen Formen der schriftlich überlieferten L.s, die inhaltlich in 2 Gruppen zu teilen sind: 1. der historische oder erzählende L., in dem vom 12. Jh. an religiöse, politische oder mythisch-fiktionale Themen behandelt werden (z. B. Hugo de Lincolnia; Mès de Warenne ly bon quens; die L.s der Marie de France, darunter der GeiBblattlai [Chèvrefeuille] aus der Tristansage). In ihm ist einerseits die volksliedhafte Strophenform erhalten; seine „kurzen rhythmischen Zeilen mit unmittelbar gebundenen Reimen in singbaren Strophen" boten sich zur instrumentalen, bereits von Venantius Fortunatus angedeuteten Begleitung durch Harfe, Rotta und Fiedel an. Die in dieser Art von bretonischen Spielleuten verbreiteten gesagten und gesungenen Dichtungen werden andererseits wohl um die Mitte des 12. Jh. durch die Umformung in strophenlose L.s zu nur noch gelesenen und gesagten Texten (L. du Cor; L.s der Marie de France). Die so entstehenden kleineren Erzählungen konnten zu umfangreichen Abenteuerromanen verbunden werden (Tristanstoff). 2. Der lyrische L., der die alten Liedformen besonders seit dem 13. Jh. nachahmend fortsetzt und in der höfischen Literatur des französischen 14. und 44
15. Jh. seinen auch poetologisch durch Eustache Deschamps und die Arts de seconde rhétorique anerkannten Platz behauptet. Autoren wie Thibaut de Champagne, Ernoul de Gastinois Gautier de Coinci und G. de Machaut belegen die Lebendigkeit der Gattung ebenso wie der Roman de Fauvel. Die lyrischen L.s, die zumeist von /Jongleurs gesungen wurden, konnten instrumental beliebig begleitet werden. Beide Gruppen der L.s setzen sich in der mittelhochdeutschen Form der Leiche fort, deren Erwähnung bei Gottfried von Straßburg und deren Pflege durch Walther von der Vogelweide, Reinmar von Zweter, Tannhäuser, Ulrich von Lichtenstein, Konrad von Würzburg und Heinrich von Meißen die Bedeutung des Genres als Marien-, Minne- und Tanzleich bis zum Niedergang der höfischen Lebensform belegen. Die künstliche Wiederbelebung der Gattung durch die Meistersinger ist folgenlos geblieben. Die in der Forschung immer wieder kontrovers diskutierte mittelalterliche Dichtungsform erweist sich somit als faszinierendes Beispiel und Demonstrationsobjekt der Zusammenhänge zwischen gelehrter und volkstümlicher Literatur, ihrer Entstehung sowie ihrer geistigen, sozialen und historischen Entwicklungs- und Verfallsbedingungen. Lit.: F. WOLF, Ober die L.s, Sequenzen u. Leiche (Hei 1841, Nachdr. Osnabrück 1965); F. GENNRICH, GrundriB einer Formenlehre des ma. Liedes (H1 1932, Nachdr. Tü 1970); DERS., Der musikal. NachlaB der Troubadours, 3 Bde. (Da 1958-65); U. AARBURG, L., Leich, in: MGG VIII; B. STABLEIN, Die Schwanenklage. Zum Problem L, Planctus, Sequenz, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); E. JAMMERS, Ausgewählte Melodien des Minnesangs. Einführung, Erläuterungen u. Obertragung (Tü 1963); K. H. BERTAU, Sangverslyrik. Ober Gestalt u. Geschichtlichkeit mittelhochdeutscher Lyrik am Beispiel des Leichs (Gö 1964); H. BAADER, Die L.s. Zur Gesch. einer Gattung der altfrz. Kurzerzählungen (F 1966); J. MAILLARD, L., Leich (Be—Mn 1973) (= Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen 1); H. SPANKE, Stud. zu Sequenz, L. u. Leich, hrsg. v. U. Aarburg (Da 1977); R. BAUM, Eine neue Etymologie v. frz. „lai" u. apr. „lais", in: Beitr. zum Romanischen MA, hrsg. v. K. Baldinger (Tü 1977) (= Zschr. für romanische Philologie, Sonderbd.). W. -D. LANGE
LAI, Francis, * 23. 4.1932 Nizza; frz. Komponist.
Nach erstem Privatunterricht im Akkordeonspiel kam er als Jazzmusiker nach Marseille und von dort als Begleiter von Claude Goaty nach Paris. Dort entdeckte ihn 1960 Edith Piaf, als deren Begleiter er populär wurde. L. schrieb mehr als 400 Chansons, u. a. für Edith Piaf (Emporte-moi, Ce sale petit brouillard, Le bruit d'aimer), Juliette Gréco, Yves Montand (La bicyclette), Ella Fitzgerald, Mireille Mathieu und Nana Mouskouri. Von seinen mehr als 30 Filmmusiken brachte ihm die Musik zu Arthur Hillers Film Love Story (1970) den größten Erfolg und 1972 den Oscar.
Lakmé WW: Chansons; Filmmusiken, u. a. zu Un homme et une femme u. The Bobo (1966); Vivre pour vivre (1967); 13 jours en France, Hannibal Brooks, The Games, Mayerling u. La leçon particulière (1968); L'aventure, c'est l'aventure, Smic Smac Smoc, Les petroleuses (1971); Le petit poucet (1972); La bonne année (1973); Le chat et la souris u. Emmanuelle (1975); Le corps de mon ennemi (1976); Widows Nest (1977); Robert et Robert, Les Ringards u. Oliver's Story (1978).
LAISSE (frz.), eine auf dem Strukturprinzip der Assonanz aufbauende Strophenform in Heldenepen und hagiographischen Texten des romanischen Mittelalters von unterschiedlicher Zeilenzahl (z. B. Chanson de Roland in Zehnsilbern, altfranzösisch, um 1100; Chanson de Sainte Foy in Achtsilbern, altprovenzalisch, um 1060; Cantar de mio Cid in Alexandrinern, altspanisch, um 1140; Ritmo laurenziano in Achtsilbern, altitalienisch, Ende des 12. Jh). Die L. tritt überlieferungsgeschichtlich erst nach Formen mit festen Strophenschemata auf und ist von daher wohl wesentlich als innerromanische Weiterentwicklung der ursprünglichen Strophe anzusehen, zumal auch Belege aus dem Bereich der mittellateinischen Literatur (Hugo Primas, Archipoeta) erst nach den romanischen Textzeugnissen beizubringen sind. Die Musik der L. ist uns nur durch Vergleiche zugänglich und auf der Basis später Dokumente wie der Chanson d'Audigier, die Adam de la Halle in seinem Jeu de Robin et Marion parodierte. Es ist sicher, daß sich manche Tonfolgen der L. in den Chansons der Trouvères wiederfinden, z. B. unter den Rotrouenges oder den Chansons de toile. Andere Indizien ermöglichen die Vorstellung von der modulierenden Vortragsweise der archaischen L.: einige Melodien von Tropen (wie das Tu autem) oder von Lais, die beiden Abschnitte des Tournoiement des Dames von Huon d'Oisy oder die mit einer Klausel verzierten Abschnitte der Chantefable Aucassin et Nicolette. Man kann daraus schließen, daß die L. über ein oder zwei einfache melodische Fragmente mit Intonationsformel, eigentlicher Deklamation und Klausel gesungen wurde, wahrscheinlich mit der Begleitung eines Streichinstruments wie der Fiedel. Es handelt sich also um den einfachsten Typ einer Litanei-Form, wie dies etwa Johannes de Grocheo (Ende des 13. Jh.) bestätigt. — Analog erhalten große Tiraden einiger Stücke aus dem überlieferten internationalen volkstümlichen Repertoire den Namen Laisse. Das Alter einiger von ihnen ist bezeugt und veranlaßte die Gelehrten, in ihnen eine Nachahmung der melodischen Gestalt der Chansons de geste zu vermuten. Dasselbe gilt für einige spanische oder portugiesische Romances, jugoslawische Pjesmes oder auch für die byzantinischen Tragoudia. Auch romantische Balladen, deren mündliche Überlieferung noch lebendig ist, die begleitenden Gesang-
stücke zu einigen Marionettentheatern (Lütticher Theater, Sizilianisches Theater) und die einigen Volkserzählern eigenen Kantillationen sind mit der L.-Form identisch. Lit.: F. GENNRICH, Grundriß einer Formenlehre des ma. Liedes (HI 1932, Nachdr. Tü 1970); J. CHAILLEY, Études musicales sur la chanson de geste, in: AMI 27 (1955); F. GENNRICH, Der musikal. NachlaB der Troubadours III (Da 1958); U. AARBURG, Die Laissenmelodie zu „Aucassin et Nicolette", in: Mf 11(1958); A. RONCAGLIA, L'Alexandre d'Albéric et la séparation entre chanson de geste et roman, in: Chanson de geste u. höfischer Roman (Hei 1963); PH. A. BECKER, Die Anfänge der romanischen Verskunst, in: Zur romanischen Literaturgesch. (Mn 1967); I. SICILIANO, Les chansons de geste et l'épopée (Tn 1968); U. MOLK, Vers latin et vers roman, in: Grundriß der romanischen Literaturen des MA, I: Généralités (Hei 1972); W. HIRDT, It. Bänkelsang (F 1979). W.-D. LANGE
LAJTHA, Líszló, * 30. 6.1892 Budapest, t 16.2. 1963 ebd.; ung. Komponist und Volksmusikforscher. Er studierte Klavier und Komposition an der Musikakademie und Musikwissenschaft an der Universität in Budapest. 1913-50 arbeitete er in der Ethnographischen Abteilung des Nationalmuseums in Budapest. 1952 übernahm er eine Professur für Komposition und Kammermusik an der Budapester Musikhochschule. L. vertrat Ungarn mehrmals in den Musikkommissionen des Völkerbunds und bei der UNESCO. Er veröffentlichte 4 Bände Volksmusikmonographien (Budapest 1954-56). Seine überwiegend kammermusikalischen Werke zeigen Einflüsse ungarisch-transsylvanischer Folklore und französisch-impressionistischer Musik (Cl. Debussy, M. Ravel, P. Dukas). WW: 1) llastr.-WW: Klv.-Musik; Duosonaten; Streichtrios; 10 Streichquartette (1923-30); 5 Bläserquintette; V.-Konzert, op. 15 (1931); 9 Symphonien (1936-61), darunter Le printemps, L'automne; Symphonie für Str. Les soli. — 2) Vokal-WW: Phrygische Messe für gem. Chor u. Orch. (1950); Missa für gem. Chor u. Org. (1952); Magnificat für Frauenchor u. Org. (1954); 3 Hymnes pour la Sainte Vierge (1958). — 3) Biihaeo-WW: Opérabouffe Chapeau bleu (nach S. de Madariaga), UA: Paris 1952; Ballette: Lysistrata (1933), Le bosquet des quatre dieux (1943) u. Capriccio (1944). Lit.: E. LEDUC, L. L., in: Ung. Komponisten (Bonn 1954) ( = Musik der Zeit 9) (mit Werk-Verz.); J.S. WEISMANN, L. L. The Symphonies, in: MR 36 (1975).
LAKMÉ, Oper in 3 Akten von Léo Delibes (1836 bis 1891), Text von Edmond Gondinet und Philippe Gille. Ort und Zeit der Handlung: Indien, im 19. Jahrhundert. UA: 14.4.1883 in Paris (OpéraComique), dt. EA (in dt. Sprache): 3.12. 1883 in Frankfurt am Main. Die Unvereinbarkeit des fernöstlichen mit dem europäischen Kulturkreis, dargestellt an der verhängnisvollen Liebe der indischen Brahmanentochter Lakmé zu dem englischen Kolonialoffizier Gérald, ist Thema dieser Oper. In einer Zeit des erwachenden Interesses an exotischen Sujets und fremdlän45
La Laurencie
Moore. Ort und Zeit der Handlung: Kaschmir und Samarkand, in märchenhafter Zeit. UA: 12.5. 1862 in Paris (Opéra-Comique), dt. EA (in dt. Sprache) : 25. 12. 1862 in Coburg. Mit Thomas Moores Epos griff David einen Stoff auf, der zahlreiche Komponisten, darunter G. Spontini, A. Rubinstein und R. Schumann, zu inspirieren vermochte. David versuchte (mit großem Erfolg bei mehr als 100 Aufführungen schon im ersten Jahr nach der UA), seine auf zahlreichen Reisen gesammelten musikalischen Eindrücke in ein Bühnenwerk einzubringen; aus diesem Bestreben resultierte schließlich eine musikalische Komödie, die mit einiger Berechtigung als Urtypus der exotischen Oper bezeichnet werden darf. Das fernöstliche Kolorit, das der Komponist insbesondere in der Melodieführung und, durch geschickte Instrumentation, in der Klangfarbe zu erzielen bestrebt ist, wird eingebunden in eine konventionell gebaute Nummernoper, in der letztlich doch die abendlänR. QUANDT dische Musik, ihre Harmonien und ihre formalen Schemata, dominieren. Im Handlungsablauf gleicht LA LAURENCIE, Marie Bertrand Lionel Jules das Werk auffallend Boieldieus Johann von Paris: Comte de, * 24.7.1861 Nantes, t 21.11.1933 Paris; Auch hier findet eine Prinzessin, Lalla-Rookh ( = frz. Musikforscher. L. besuchte die École Natio- Tulpenwange), auf der Reise zu ihrem noch unbenale des Eaux et Forêts, trat in den Staatsdienst, kannten Bräutigam einen Mann, in den sie sich verwidmete sich aber seit 1898 ganz der Musik, stu- liebt und der sich als der verkleidete Kronprinz und dierte am Pariser Conservatoire Harmonielehre vorab bestimmte Gemahl zu erkennen gibt. und Musikgeschichte und war Schüler u. a. von L.R. QUANDT A. Bourgault-Doucoudray. 1906-33 hielt er vor allem an der École des Hautes Études Vorlesungen LALLOUETTE, Jean François de, * 1651 Paris, und Vorträge. Er gehörte zu den Gründern der Sot 31.8. 1728 ebd.; frz. Violinist und Komponist. Er ciété française de Musicologie und war einer der erhielt seine erste musikalische Ausbildung an der angesehensten französischen Musikhistoriker die- Maîtrise von St -Eustache und war später Komposises Jahrhunderts. Zu seinem 70. Geburtstag wurde tionsschüler von J.-B. Lully, der ihn als Privatseer durch eine Festschrift geehrt (Mélanges de musi- kretär und 1672 als Violinist für das Orchester der cologie, P 1933 = Publications de la Soc. Fr. de Mie Opéra engagierte. 1677 wurde er von Lully wieder II/3-4). entlassen, da er sich als Komponist der besten Arien von Lullys Oper Isis gerühmt hatte. 1689 unterSchriften: Le goůt musical en France (P 1905, Nachdr. G 1970); L'académie de musique et le concert de Names à l'Hôtel de la nahm er eine Italienreise. Nach Frankreich zurückBourse 1727-6) (P 1906, Nachdr. G. 1972); Rameau (P 1908); gekehrt, wurde er 1693 Kapellmeister an der KaLully(P 1911, 21919) (= Les maîtres de la musique 16); Les créathedrale von Rouen, 1695 an Notre-Dame de teurs de l'opéra française (P 1920, 21930) (= ebd. 24); L'école française de violon de Lully à Viotti, 3 Bde. (P 1922-24, Nachdr. Versailles und übernahm 1697 die Maîtrise von G 1971); Un musicien dramatique de XVII' siècle français, St-Germain-l'Auxerrois. 1700 trat er die Nachfolge P. Guédron, in: RMI 29 (P 1922); Les luthistes (P 1928); Orphée A. Campras an Notre-Dame in Paris an. L. steht stide Gluck (P 1934). - Ferner zahlr. Art., in: Mercure Mus., Revue listisch M. R. Delalande nahe. Seine Motets à grand musicale de la Société Internationale de Musique, RM, RMI, RMie. - Er war auch Mitarbeiter an der großangelegten Encyclopédie de chmur fanden im Concert spirituel großen Beifall.
dischen Klängen schuf Delibes ein Werk, das stofflich zwischen dem märchenartigen Prototyp der exotischen Oper, z. B. Lalla Rookh, und veristischen Musikdramen wie Madame Butterfly angesiedelt ist. In dramatischem Aufbau und musikalischem Stil stellt L. eine (durchaus gelungene) Mischform dar: traditionelle Klänge wechseln, dramatisch begründet, mit scheinbarem indischem Lokalkolorit, welches besonders durch eine aus dem strengen Dur-Moll-System ausbrechende Melodik und differenzierte Rhythmik gekennzeichnet ist. Traditionelle Bravour-Koloraturen stehen neben längeren Abschnitten, in denen die klangfarbliche Wirkung des Orchesterparts von entscheidender Bedeutung ist. Die berühmteste Nummer, Lakmés „Glöckchen-Arie" Où va la jeune Hindoue (Seht Ihr des Paria Tochter), ein seltenes Beispiel für eine dramatisch notwendige, gänzlich ins Geschehen eingebundene Arie, besitzt in ihrer szenischen Ausweitung Vorbilder im Arientypus der Grand opéra.
la musique v. A. Lavignac, die er nach dessen Tod redigierte. Lit.: Bibliogr. des rouvres de L. de La L., in: RMie 18 (1934); B. S. (1969/70).
WW: 2 Bücher Motetten (P 1726, 1730); Messe Veritas fur 4 St. (P 21744); weitere Messen u. Motetten hsl. (Paris, Bibl. Nat.). Ferner die Schrift Histoire et ahrégé des ouvrages latins, italiens et françois pour et contre la comédie et l'opéra (P 1697).
LALLA ROOKH (Lalla Roukh), Opéra-comique in 2 Akten von Félicien David (1810-76), Text von Hippolyte Lucas und Michel Carré nach dem gleichnamigen Versepos (1817) von Thomas
LALO, Édouard Victor Antoine, * 27. 1. 1823 Lille, t 22.4.1892 Paris; frz. Komponist. L. besuchte zunächst das Konservatorium in Lille und seit 1839 das Pariser Conservatoire, wo er Violin-
BROOK, L. de La L.'s „L'école française de violon", in: Notes 26
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Lambert schüler von Fr. A. Habeneck und Kompositionsschüler von Julius Schulhoff war. Seine ersten, um 1850 entstandenen Kompositionen, darunter 2 Klaviertrios, belegen zwar seine Begabung, fanden beim Publikum aber nur wenig Resonanz. Von dem Mißerfolg entmutigt, bestritt L. seinen Lebensunterhalt zunächst als Instrumentalist. Er wirkte u. a. als Bratschist und später als Violinist in dem berühmten, 1855 von ihm selbst gegründeten Armingaud-Quartett mit. Erst nach seiner Heirat mit der Altistin Bernier de Maligny (1865), der er später die meisten seiner Lieder widmete, wandte er sich wieder der Komposition zu. 1867 legte er die Oper Fiesque bei einem Wettbewerb des Théâtre-Lyrique vor, doch wurde das Werk nicht aufgeführt. Mehr Erfolg hatte er 1872 mit einem Divertissement für Orchester, dessen Andantino unter dem Titel Aubade sehr bekannt geworden ist. Im Auftrag von P. de Sarasate schrieb er ein Violinkonzert (1872) und sein berühmtestes Werk, die Symphonie espagnole (1873), an deren Uraufführungen Sarasate mitwirkte. Sein 1882 an der Opéra aufgeführtes Ballett Namouna, für das sich Cl. Debussy begeisterte, wurde als Orchestersuite beliebt. 1888 brachte L. an der Opéra-Comique sein bedeutendstes Werk, die auf einer bretonischen Sage beruhende Oper Le roi d'Ys, zur Aufführung. L.s Sohn Pierre (1866-1943) war ein angesehener Musikkritiker. Er veröffentlichte u. a. R. Wagner ou le Nibelung (P 1933), De Rameau à Ravel. Portraits et Souvenirs (P 1947).
Lit.: O.SÉRÉ, Musiciens français d'aujourd'hui (P 1921) (mit Werk-Verz. und Bibliographie); G. SERVICRES, L. (P 1925); P. LANDORMY, La musique française de Franck à Debussy (P 1943, "1948); F. NosKE. La mélodie française de Berlioz à Duparc (P 1954, engl. NY 1970). J. HARDING
WW: 3 Klv.-Trios c-moll, h -moll u. a-moll; eine V.-Sonate; Streichquartett Es-Dur; Auhade-Allegretto (1872) für 10 Str. oder Kammerorch. - Für Orch.: 4 V.-Konzerte, 1 (1872), 2: Symphonie espagnole (1873), 3: Fantaisie norvégienne (1880), 4: Concerto russe (1883); Vc.-Konzert (1876); Romance-Sérénade (1878) fur V. u. Orch.; Rhapsodie norvégienne (1881); Klv.-Konzert (1888); Symphonie g-moll (1889). - Opern: Fiesque (1866); Le roi d'Ys, VA: Paris 1888; La Jacquerie (vollendet v. A. Coquard), VA: Monte Carlo 1895; Ballett Namouna, VA: Paris 1882, auch als Orch.-Suite.
WW: 2 Bücher Villanellen (mit Arie u. Dialoghi) für 3-4 St. (Neapel 1607; 1614, 2 1618); Canzonette für 3-5 St. con alcune arie per cantar solo (ebd. 1616).
L. war als Komponist seiner Zeit voraus. Seine Werke wurden in Deutschland früher anerkannt als in Frankreich. Seine Musik wurzelt in einer gründlichen Kenntnis der großen deutschen Meister, durch die er sich eine solide handwerkliche Grundlage erwarb. Darüber hinaus geben sein ausgesprochener Sinn für nuancenreiche, farbige Harmonik und differenzierte Rhythmik dem Werk einen eigenständigen, individuellen Charakter. Wertvolle Impulse gab er besonders der in Frankreich erst an den Anfängen stehenden Gattung der Kammermusik. Viele Urteile belegen die Wertschätzung, die L.s Werken im 20. Jh. zuteil wurde: „Ohne Namouna würde es keine Espaňa geben" (E. Chabrier, in: P. Lalo, De Rameau à Ravel, P 1947). — „Eine
reiche, farbige und durchsichtige Sprache, eine ebenso bestimmte wie biegsame Syntax, erlesene, klare Harmonik und der köstliche Farbenreichtum in der Instrumentation sind grundlegend für den musikalischen Stil von L., und der Rhythmus ist König: Er dient gleichermaßen als Grundlage und Ornament" (G. Carraud, in: Musica, April 1908). — „Nichts fehlt: weder Glanz noch Schwung, noch Heiterkeit, und dennoch ist der künstlerische Gestus vollkommen" (G. Fauré, in: Opinions musicales, P 1930). — „Jedes Werk von L. bleibt ein unvergleichliches Vorbild [der Instrumentation]" (P. Dukas, in: Les Ecrits, P 1848).
LA MARA, Pseudonym von Marie /Lipsius. LAMBARDI. — 1) Camillo, * um 1560 Neapel, t 1634 ebd.; it. Sänger und Komponist. L. war als Tenorist der Kirche S. Casa dell'Annunziata Schüler von G. D. Del Giovane (genannt „da Nola") und trat 1592 als Kapellmeister dessen Nachfolge an. WW: Responsorien für die Karwoche für 2 Chöre (Neapel 1592); Motetten da ... concerto für 3 St. u. B.c. (ebd. 1628); 2 Bücher Madrigale bzw. Madrigali ariosi für 4 St. (ebd. 1600 u. 1609).
2) Francesco, Sohn von 1), * 1587 Neapel, t 25.7. 1642 ebd.; it. Sänger, Organist und Komponist. Er war zunächst Tenorist an der Kirche S. Casa dell'Annunziata, dann Tenorist und Organist der königlichen Kapelle (1615-36 1. Organist). 1626 bis 1630 versah er auch das Amt des Kapellmeisters am Conservatorio della Pietà dei Turchini.
LAMBERT, Michel, * 1610 Champigny-surVende bei Chinon (Indre-et-Loire), t 29.6.1696 Paris; frz. Lauten- und Theorbenspieler, Komponist und Sänger. Er war zunächst Chorknabe im Poitou, später Musikpage in der Chapelle de Monsieur in Paris und erhielt Unterricht von P. de Nyert, der ihn in die italienische Gesangskunst einführte. 1661 wurde er als Nachfolger J. de Cambeforts Maître de musique de la Chambre du roi, 1670 auch Maître de musique de la Chapelle du roi. L. war ein angesehener Virtuose und Gesanglehrer. Als Tänzer und Komponist wirkte er an zahlreichen Ballets de cour mit. Als Gesanglehrer oblag ihm die Ausbildung neuer Sänger und die Einstudierung von Rollen. In dieser Funktion unterstützte er J.-B. Lully bei der Gründung der französischen Oper. WW: Im Druck erschienen: Les airs de M. L. (P 1660 u. öfter);
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Lamentation Nouveau livre d'airs (P 1661) (Zuschreibung zweifelhaft); Airs für 1-4 St. u. B.c. (P 1689); Pièces en trio für V., Fl. oder Ob. (A o. J.).
L. ist einer der wichtigsten Komponisten von /Airs im 17. Jh. in Frankreich. Er pflegte besonders die Gattungen des Air sérieux und des Air en rondeau, die sich bei ihm durch einen einfachen und natürlichen Stil, genaue Deklamation und äußerste Geschmeidigkeit in den Verzierungen und Doubles auszeichnen. Seine Récits und Dialogues haben geradezu dramatischen Charakter; die Dialogues sind schon richtige kleine Opernszenen. Diese Formen bezeugen zugleich den großen Anteil, den L. an der Entwicklung des französischen Rezitativs hatte, und zwar nicht nur als Komponist, sondern auch als Sänger, dessen Gesangmethode zu seiner Zeit hochgeschätzt wurde (vgl. B. de Bacilly, Remarques curieuses sur l'art de bien chanter, 1668). Ausg.: Ein Air, hrsg. v. F. NOSKE, in: Das auüerdt. Sololied (Kö 1958) (= Das Musikwerk 16). Lit.: H. PRUNIĚRES, Les maîtres du chant 1 (P 1925) (darin 3 Airs); N. BRIDGMAN, M. L., le maitre de chant, in: Les cahiers de l'Ouest 7 (1955); L. MAURICE-AMOUR, Benserade, M. L. et Lully, in: Les divertissements de cour au XVII• siècle (1957) ( = Cahiers de l'Association internationale des études françaises 9). A. VERCHALY
LAMENTATION (von lat. lamentatio = Wehklagen). Teile der L.en (Threni), die dem Propheten Jeremia zugeschrieben werden, bildeten in der römischen Liturgie den Text der drei ersten (von insgesamt neun) Lektionen in den 1. Matutinen (Tenebrae, frz.: ténèbres) des Gründonnerstags, Karfreitags und Karsamstags. In der Bibel bestehen die L.en aus 5 Kapiteln zu je 22 Versen, von denen die ersten vier Kapitel im hebräischen Text alphabe-
worden. Das 5. Kapitel der L.en trägt den Titel Oratio Jeremiae und besitzt keine Akrosticha. Während im Mittelalter die Anzahl und die Auswahl der auf die neun Tenebrae-Lektionen entfallenen Threni-Verse nicht einheitlich festgelegt waren, gilt seit dem Trienter Konzil folgende Ordnung:
(II)
Beth.
III 1, 10-14 3, 1-9 5, 1-11
Lamentatio Jeremiae prophetae bzw. De Lamentatione Jeremiae ... , die Lectio III am Karsamstag mit Incipit Oratio .... Jede Lektion schließt refrainartig mit dem Vers Jerusalem, Jerusalem, conveitere ad Dominum Deum tuum (nicht Jeremia, sondern frei nach Hosea 14, 2). Nach jeder Lektion steht ein Responsorium, das im Text Bezug nimmt auf die Leidensgeschichte Jesu. Der chorale Vortrag der Lamentationen geschah schon im Mittelalter mit Hilfe von Melodien, die sich mehr oder weniger stark von den übrigen Lektionsformeln unterschieden. Aus dem reichen Schatz dieser Melodien hat sich nach dem Trienter Konzil (zum ersten Mal gedruckt in: G. D. Guidetti, Directorium chori, 1582) eine alte römische Formel als Tonus lamentationum behauptet, die auch in die Editio Vaticana aufgenommen wurde. Er klingt an den 6. Psalmton an und lautet folgendermaßen (Beginn und Ende der Lectio I am Gründonnerstag):
La-men - ta - ti - o
(la) Quo- mo- do sedel sola civitas ple -na po - pu - lo: (lb) fac - ta est quasi vidua Do- mi - na Gen -ti - urn : e - jus: (IIa) Plo - runs ploravit in notte, et lacrimae ejus in ma- xil - lis (IIc) om - nes amici ejus spre ve - tunt e - am,
(Schlußvers a)
Je - ru - salem,
Je
alb) non est qui consoletur earn ex omnibus
Jeremi (Einleitungšvers b) (lc) prin -cepsprovinciarum facta est (IId) et fa - ctisuntei (Schlulivers b) con-ver-ten ad Dominum
tische Akrosticha sind. Die hebräischen Buchstaben Aleph, Beth, Gimel usw., die dort zugleich der Numerierung dienen, sind unverändert auch in die lateinische Übersetzung der Threni übernommen 48
II 1, 6-9 2, 12-15 4, 1-6
Abweichend von dem biblischen Text beginnt die Lectio I jeweils mit den einleitenden Worten Incipit
(Einleitungsvers a) In - ci - pit (I)A - leph.
Lectio I 1, 1-5 2, 8-11 3, 22-30
Gründonnerstag Karfreitag Karsamstag
- ru - sa - lem,
ça -ris
e
• -
• 1
- jus:
ae Pro - phe - tae. sub tri - bu - to. in - i - mi - U. De - um tu
um.
Die Geschichte der L. als einer Gattung der mehrstimmigen Vokalmusik beginnt im 15. Jahrhundert. Hierbei ist zu unterscheiden einerseits das große Repertoire von solchen Werken, die ihrem Text ge-
Lamentation
mäß als liturgische Lektion für die Karliturgie bestimmt sind, und andererseits eine kleine Gruppe von Werken, denen lediglich einige Verse aus den Threni zugrunde liegen. Eines der berühmtesten Beispiele für die letztere Gruppe ist die 3st. Motette G. Dufays über den Fall Konstantinopels (1453) Lamentatio sanctae matris ecclesiae Constantinopolitanae (mit dem französischen Text O très piteulx... in der Oberstimme und dem römischen Tonus lamentationum zu dem L.s-Text Omnes amici ejusspreverunteam als Tenor). Auch ein Werk wie die Motette O vos omnes von L. Compère ist keine L. im eigentlichen (liturgischen) Sinne. Die Blütezeit der mehrstimmigen L. reicht vom Ende des 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. An ihrer Pflege waren in erster Linie französische, niederländische, italienische und spanische Komponisten beteiligt. Deutsche und Engländer traten weniger in Erscheinung. Die Fülle der erhaltenen Quellen läßt sich wohl nicht nur mit dem Blick auf die liturgische Verwendung erklären, die ja eng begrenzt war. Sicher war auch der teilweise sehr expressive Text von starker Anziehungskraft für die Komponisten dieser und einer späteren Zeit. Repräsentativ für die L.s-Komposition des frühen 16. Jh. sind die von O. Petrucci 1506 (RISM 1506') veröffentlichten Werke von A. Agricola, Gaspar van Weerbeke, E. Lapicida, J. Tinctoris, B. Tromboncino u. a. Eine zweite Entwicklungsstufe stellen die L.en von Carpentras (1532) sowie diejenigen von J. Arcadelt, Th. Créquillon, C. Festa, A. Févin, J. Gardano, H. Isaac, P. de la Rue, St. Mahu u. a. dar, die in den Sammeldrucken von P. Attaingnant (RISM 1535 2), G. Rhau (RISM 15381), Montanus & Neuber (RISM 1549') und Le Roy & Ballard (RISM 1557v) enthalten sind. Eine dritte Stufe wird dann in der 2. Hälfte des 16. Jh. gebildet von den L.en von Cr. Morales (1564), T. L. da Victoria (1581), O. di Lasso (1585), G. M. Asola (1585), J. Gallus (1587) und G. P. da Palestrina (5 Bücher seit 1564, davon nur das erste 1588 gedruckt). In diese Gruppe gehören noch zahlreiche weitere, nur hsl. überlieferte L.en, auch aus England (z. B. von W. Byrd, T. Tallis und R. White). Zwischen den Werken der einzelnen Gruppen und innerhalb der Gruppen gibt es Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedenster Art. So divergiert etwa die Anzahl der jeweils komponierten Threni-Verse und ihre Gruppierung zu Lektionen in den früheren L.en mehr als in den späteren. Insgesamt nimmt die L. im 16. Jh. an der gleichzeitigen Entwicklung der /Motette teil, und zwar in satztechnischer Hinsicht wie auch im Bereich des Verhältnisses von Wort und Ton. Dabei sind die Komponisten von L.en nicht zuletzt wegen der starken
liturgischen Fixierung der Gattung in der Einbeziehung von Satzfreiheiten, von madrigalesken und ähnlichen Mitteln ausgesprochen zurückhaltend. Eigentümlich ist ferner für die L.en des 16. Jh. die häufige Verwendung des römischen Tonus lamentationum (vereinzelt auch anderer choraler Melodien) als Cantus firmus oder als melodische Keimzelle andersartiger kontrapunktischer Verarbeitung. Die Wandlung des musikalischen Stils und Geschmacks im 16. Jh. bezüglich der L. zeigt sich wie in einem Brennspiegel in den Aufführungsgewohnheiten der päpstlichen Kapelle zu Rom. Hier lösten 1587 die L.en G. P. da Palestrinas diejenigen von Carpentras ab, die seit etwa 1535 dort regelmäBig in der Karwoche aufgeführt worden waren. Palestrinas Werke entsprachen wohl mit ihrer durchweg homorhythmischen Satzweise, die auf eine deutliche Deklamation der Worte abzielt, wie auch durch die melodische und harmonische Gemessenheit den kirchenmusikalischen Forderungen des Trienter Konzils in idealer Weise. Während im 17. Jh. noch viele L.en im alten (a cappella-)Stil komponiert wurden (u. a. von G. Croce, Ch. Luyton, L. da Viadana und G. Allegri), gibt es nun auch Werke im monodischen Stil, vor 1650 vereinzelt (z. B. von A. Gregorio), dann in größerer Zahl (u. a. von G. Carissimi, P. Cesi, M. Cazzati, G. P. Colonna, G. Frescobaldi, A. Stradella und von J. Rosenmüller als einzigem Deutschen). Bevorzugt war Sologesang mit und ohne obligate Instrumente. Bei italienischen Komponisten — vor allem in Neapel — war die L. auch im 18. Jh. beliebt. Erhalten haben sich solche Werke von fast allen Meistern der Neapolitanischen Schule von A. Scarlatti bis zu N. Jommelli. Besondere Beachtung verdienen die formal italienisch beeinfluBten, als Solokantaten angelegten Lamentationes leremiae Prophetae (1722) von J. D. Zelenka. Herausragendes Merkmal ist ihre z. T. streng kontrapunktische Faktur und eine außergewöhnliche Instrumentation (z. B. die L. für den Karfreitag mit 2 Fl., 2 obligaten Vc., Tenor und B.c.). Eine besondere Entwicklung zeigt sich im 17. und 18. Jh. in Frankreich, wo die L. meist als Leçon de ténèbres bezeichnet wurde. Rund hundert Jahre nach dem Attaingnant-Druck von 1557 beginnt bei M. Lambert und besonders (um 1680-1704) bei M.-A. Charpentier eine neue Blüte der Gattung. Wie für die Komponisten des Seicento bietet gerade für Charpentier der stark affekthaltige Text der Threni AnlaB, seinen ganzen Reichtum an musikalischen Ausdrucksmitteln einzusetzen: Chromatik, Diminutionen, freie Dissonanzbehandlung u. a. mehr. Aber anders als bei den Italienern geht bei Charpentier der Bezug zur Liturgie nie ganz verlo49
La Menthe ren, was sich nicht zuletzt in den häufigen Anklängen an den choralen Tonus lamentationum niederschlägt. Eine spezifisch französische Erscheinung sind die — im Gefolge der Messes en plain-chant von H. Du Mont entstandenen — choralen L.en von G. G. Nivers (1689ff.). Aus dem 18. Jh. verdienen hier die L.en von Fr. Couperin (le Grand) (1714?), S. de Brossard (1721) und M. R. Delalande (1730) genannt zu werden. Ihr Einfluß ist auch außerhalb Frankreichs zu bemerken, z. B. in den L.en des in Brüssel wirkenden J. H. Fiocco. Damit geht die kontinuierliche Entwicklung der L. im wesentlichen zu Ende, bis es in unserer Zeit zu einem kurzen Wiederaufleben der Gattung kam. E. Krenek verbindet in seiner Lamentatio (1958; mit dem gesamten Text der liturgischen L.en) serielle Techniken mit kompositorischen Mitteln des späten Mittelalters. I: Strawinskys Threni (1958; mit einer Auswahl aus den liturgischen L.en) sind ein reines Zwölftonwerk ohne feste liturgische und historische Orientierung. Ein Sonderfall in der Geschichte der L. sind lst. deutsche nichtbiblische Klagegesänge mit hebräischen Buchstaben und Jerusalem -Vers aus dem Neumarkter Cantional (um 1480). Genannt werden kann in diesem Zusammenhang auch als ganz andersartiges Stück die Symphonie Nr. 26 „Lamentatione" von J. Haydn, in der der römische L.s-Ton als Cantus firmus und als Motiv verarbeitet wird. Ausg. (nur Sammelpublikationen mit mehrstimmigen L.en): G. E. WATKINS, Three Books of Polyphonic L.s of Jeremiah 1549-1564 (1953) (= Diss. Univ. of Rochester); Mehrst. L.en aus der ersten Hälfte des 16. Jh., hrsg. v. G. MASSENKEIL (Mz 1965) (= Musikalische Denkmäler 6). Lit.: P. WAGNER, Gregor. Formenlehre (L 1921, Nachdr. Hil — Wie 1962) (= Einführung in die gregor. Melodien 3); A. E. SCHRODER, Les origines de l.s polyphoniques au XVe
siècle dans les Pays-Bas, in: Kgr.-Ber. Utrecht 1952 (A 1953); B. STÄBLEIN, Lamentatio, in: MGG VIII; G. MASSENKEIL, Zur Lamentationskomposition des 15. Jh., in: AfMw 18 (1961); DERS., Eine span. Choralmelodie in mehrst. Lamentationskomposition des 16. Jh., in: ebd. 19/20 (1962/63); TH. KASER, Die Leçon de Ténèbres im 17. u. 18. Jh. (Be 1966); H. J. MARX, Monodische L.en des Seicento, in: AfMw 28 (1971). G. MASSENKEIL
LA MENTHE, Ferdinand Joseph, /Morton, Jelly Roll. LAMENTO (it., = Klage). Das Wort erscheint zum ersten Mal in musikalischem Zusammenhang vereinzelt als Titel einer instrumentalen >'Estampie des 13. Jh. (Lamento di Tristano), ohne daß hier musikalisch der Charakter einer Klage unmittelbar erkennbar ist. In der Oper des 17. und 18. Jh. ist L. dann eine Klageszene, wie sie auch im Rahmen der italienischen Kantate und des Oratoriums auftritt. Das erste Stück dieser Art ist das Lamento d'Ari50
anna für Alt und B.c. von Cl. Monteverdi (1608, gedruckt 1628; mit lateinischem geistlichem Text als Lamento della Madonna, 1641; als 5st. Madrigal, 1614). Die Klage, die in der Auffassung der Zeit einer der bedeutendsten Affekte ist, kommt hier musikalisch durch bestimmte satztechnische Mittel zum Ausdruck (freie Dissonanzbehandlung, Chromatik u. a.). In der Folge schrieben viele andere Komponisten solche Klageszenen, auch ohne sie eigens als L. zu benennen. Ihr musikalisches Kennzeichen ist oft ein ostinater chromatischer Quartgang im Baß („L. -Baß"). Ein berühmtes Beispiel dieser Art aus dem 17. Jh. ist die Klage der Dido in H. Purcells Dido and Aeneas (1691), aus dem 18. Jh., im Bereich der geistlichen Musik, der Einleitungssatz Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen aus der Kantate Nr. 12 von J. S. Bach. Im 17. und 18. Jh. gibt es auch instrumentale L. -Sätze, z. B. bei J. J. Froberger (neben ähnlichen Stücken mit den Titeln Plainte, Lamentation oder Tombeau) wie auch bei J. S. Bach (im Capriccio sopra la lontananza ...). L. heißt schließlich noch im 19. Jh. das instrumentale Vorspiel zu Les Troyens à Carthage von H. Berlioz (1863). Lit.: P. EPSTEIN, Dichtung u. Musik in Monteverdis „L. d'Arianna", in: ZfMw 10 (1927/28); J. A. WESTRUP, Monteverdi's „L. d'Arianna", in: MR 1 (1940); W. OSTHOFF, MonteverdiFunde, in: AfMw 14 (1957); M. SCHNEIDER, Klagelieder des Volkes in der Kunstmusik der it. Ars nova, in: AMI 33 (1961); N. ANFUSO — A. GIANMARIO, L. d'Arianna de C. Monteverdi. Studio e interpretazione (Fi 1969).
LA MOTTE, Antoine Houdar de, /Houdar de La Motte. LAMOUREUX, Charles, * 28.9. 1834 Bordeaux, t 21.12.1899 Paris; frz. Violinist und Dirigent. Sein Name ist in der Geschichte des französischen Musiklebens vor allem verbunden mit der Gründung der Nouveaux Concerts (1881), der sog. Concerts L., die eine der großen Pariser Konzerteinrichtungen geworden sind. L., dessen Aufführungen wegen ihrer Präzision und Sicherheit gerühmt wurden, setzte sich sowohl für die Werke des klassischen Repertoires als auch für die zeitgenössischer französischer Komponisten ein. Er war auch einer der ersten Vermittler der Musik R. Wagners in Frankreich, dessen Lohengrin er 1887 und dessen Tristan und Isolde er 1899 dirigierte. Lit.' A. JULLIEN, Ch. L., in: RMI 7 (1900), P. LALO, De Rameau à Ravel (P 1947).
LAMPADIUS, Auctor, * um 1500 Braunschweig, t 1559 Halberstadt; dt. Musiktheoretiker. Er war Schulmeister in Goslar und kam 1532 als Kantor der Johannisschule nach Luneburg, das er jedoch 1537 nach dem Tod seiner Kinder während einer
Landi Pestepidemie wieder verließ. Danach trat er in den Dienst des Grafen von Stolberg in Wernigerode und wurde 1541 Pastor von Halberstadt. Sein Traktat Compendium musices, weitgehend eigenständig konzipiert, legt für die kompositorische Unterweisung den Stil Josquins des Prés zugrunde. Das Werk ist auch eine frühe theoretische Quelle für die Verwendung der Partitur als Hilfsmittel zum Komponieren. WW: Compendium musices, 3 Teile, I: Musica plana, II: Musica figuralis, III: De compositione cantus compendium (Be 1537, '1554); 2 Bicinien wurden gedruckt in: RISM 15491.. Lit.: E. JACOBS, Zwei harzische Musiktheoretiker des 16. u. 17. Jh., in: VfMw 6 (1890); E. LOWINSKY, On the Use of Scores by 16th Century Musicians, in: JAMS 1 (1948); M. BUKOFZER, Nachwort, in: Faks.-Neudruck v. A. P. Coclico, Compendium musices (Kas 1954) (= DM1 I/9).
LAMPUGNANI, Giovanni Battista, * 1706 Mailand, t nach 1784 ebd.; it. Komponist. Er studierte in Mailand, wo er 1732 mit der Oper Candace zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat. 1743-46 leitete er als Nachfolger B. Galuppis und Vorgänger Chr. W. Glucks in London das King's Theatre am Haymarket. Nach einem Aufenthalt in Italien unternahm er weitere Reisen, 1753 nach Barcelona, 1754-55 nach London und 1758 nach Deutschland. Seit 1760 war er Maestro al cembalo am Teatro Ducale, später an der Scala in Mailand, die 1778 eingeweiht wurde. Anfangs pflegte L. die Opera seria nach dem Vorbild von J. A. Hasse, wandte sich später, stilistisch an Galuppi orientiert, der Opera buffa zu, wobei er der Orchesterbehandlung große Sorgfalt widmete. WW: 2 Fl.-Konzerte, 2 Kantaten u. a. geistliche Werke sowie einzelne Arien hal.; von etwa 30 Opern ist Didone abbandonata, UA: Padua 1739, hsl. überliefert. — Im Druck erschienen Arien aus Alessandro nell'Indie, UA: London 1741, Alceste, UA: ebd. 1744, Alfonso, UA: ebd. 1744, Tigrane, UA: Venedig 1747, u. Siroe, UA: London 1755, daraus: Favourite songs (Lo o. J.); ferner 2 Slgen. Triosonaten (Lo 1743-65 u. 6.). Lit.: G. BARBLAN — A. DELLA CORTE, Mozart in Italia (Mi 1956); K. HORTSCHANSKY, Gluck u. L. in Italien. Zum Pasticcio „Arsace", in: Anal. Mus. 3 (1966).
LAND DES LÄCHELNS, DAS, Romantische Operette in 3 Akten von Franz Lehár (1870-1948), Text von Ludwig Herter u. Fritz Löhner-Beda. Ort u. Zeit der Handlung: Wien u. Peking, 1912. UA: 10.10.1929 in Berlin (Metropol-Theater). Verfilmt 1931 und 1952. Die weltberühmt gewordene Operette stellt eine Umarbeitung der am 9.2.1923 in Wien uraufgeführten, wenig erfolgreichen Lehár-Operette Die gelbe Jacke dar. Das unglaubwürdig wirkende Happy-End wurde in der neuen Fassung durch einen Abschied der Liebenden ersetzt. Prinz Sou Chong läßt seine Ehefrau Lisa, die in Peking nicht
heimisch werden kann, wieder in ihre Heimatstadt Wien zurückkehren. Im Berliner Metropol-Theater garantierte eine Lehár-Operette mit Richard Tauber in der Hauptrolle ein ausverkauftes Haus, und so wurde dieser Sänger auch für die Rolle des Prinzen engagiert. Das „Tauber-Lied" Dein ist mein ganzes Herz wurde, wie nahezu alle anderen Musiknummern (Meine Liebe, deine Liebe; Bei einem Tee en deux; Wer hat die Liebe mir ins Herz gesenkt; Immer nur lächeln), zum Evergreen. Häufung von Quint- und Oktavreihungen, Trillern in den Holzbläsern und Heterophonien sollen die Illusion des Fernen Ostens auch musikalisch unterstützen. — Die Verfilmungen vergrößerten die Breitenwirkung dieser Operette noch und trugen dazu bei, daß das Werk bis heute in den Spielplänen deutscher Bühnen ganz vorn rangiert. B. DELCKER LANDI, Stefano, * um 1585 Rom, t 28.10. 1639 ebd.; it. Komponist. Nach Ausbildung zum Sänger und Studium der Rhetorik und Philosophie trat er in den Dienst des Kardinals Marco Cornaro, dem er nach Padua folgte. Seit 1620 erneut in Rom, wurde er 1624 Kapellmeister an der Kirche S. Maria dei Monti und war von 1629 bis zu seinem Tode Altist im Chor der Cappella Sistina. WW: 1) Geirtli ie WW: Psalmen für 4 St. u. B.c. (R 1624); Missa in benedictione nuptiarum für 6 St.; eine Messa concertata u. a. Iiturg. Werke hsl. — 2) Weltliche WW: Madrigale für S St. u. B.c. (V 1619); 6 Bücher Arie ad una voce mit B.c., davon erhalten I (V 1620), II (R 1627), V (V 1637) u. VI (V 1638). — 3) Opera: La morte d'Orfeo, UA: Rom 1619 (R 1619); n Sant'Alessio, UA: ebd. 1632 (R 1634).
Am bekanntesten wurde L. durch seine beiden Opern La morte d'Orfeo (1619) und Il Sant'Alessio (1632), die erste Oper der Geschichte mit geistlichem Sujet. Sie enthalten als erste Werke der Gattung komische Szenen und Figuren. In La morte d'Orfeo zeigen ausgedehnte, symmetrisch angelegte Chorszenen an den Aktschlüssen erstmals intermedienhafte Funktion. Il Sant'Alessio wird darüber hinaus noch durch drei Sinfonie jeweils zu Beginn eines Aktes gegliedert, was ein Novum in der Operngeschichte darstellt. Mit seinen Arie ad una voce gehört L. außerdem zu den wichtigsten Wegbereitern der italienischen /Kantate. Die stilistische Vielfalt jener Zeit des Umbruchs spiegelt sich besonders in den Vesperpsalmen (1624) und der hsl. überlieferten Messa concertata. Ausg. u. Lit.: H. GOLDSCHMIDT, Stud. z. Gesch. der it. Oper I (L 1901, Nachdr. Hil—Wie 1967) (darin Teile aus „La morte d'Orfeo" u. „Il S. Alessio"; S. A. CARFAONO, The Life and Dramatic Music of S. L., 2 Bde., I: Texte, II: Partitur, Übertragung u. Orchestrierung v. „Il S. Alessio" (Los Angeles 1960) (= Diss. Univ. of Calif.); „II S. Alessio", Faks. der Ausg. Rom 1634, hrsg. v. S. RIGHETTI (Bol 1970) (= Bibl. musica Bononiensis 4/11);
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Landino S. LEOPOLD, S. L. Beitr. z. Biographie. Unters. z. Vokalmusik,
2 Bde. (H 1976) (= Hamburger Beitr. z. Musikwiss. 17). S. LEOPOLD
LANDINO (Landini), Francesco (F. da Firenze, F. degli organi, F. Cieco, Franciscus Caecus), * um 1335 (?) Fiesole, t 2. 11. 1397 Florenz; it. Komponist. L., Sohn des Malers Jacopo L., soll bereits in seiner Kindheit infolge einer Pockenerkrankung erblindet sein. Dennoch erwarb er sich große Fertigkeiten im Gesang, auf verschiedenen Instrumenten, vor allem der Orgel, im Instrumentenbau, in der Dichtkunst und der Komposition sowie eine beachtenswerte Bildung, u. a. in Philosophie und Astrologie. 1369-96 ist er als Organist an S. Lorenzo in Florenz nachweisbar. L. wurde schon in jungen Jahren berühmt; wahrscheinlich wurde er 1361 in Venedig zum Poeta laureatus gekrönt. 1375 schrieb Coluccio Salutati, Kanzler von Florenz und engster Freund L.s, eine besondere Laudatio auf ihn. Noch zu L.s Lebzeiten, vermutlich nach 1381, verfaßte F. Villani im Liber de origine civitatis Florentiae ebenfalls eine Laudatio auf ihn als einen der berühmtesten Florentiner. Giovanni Gherardi da Prato berichtet über gelehrte und schöngeistige Diskussionen, die 1389 in A. Albertis Landhaus „Il paradiso" stattgefunden haben mit Gelehrten, Künstlern und hohen Persönlichkeiten, und nennt u. a. L. und Salutati. L. fand nicht nur als Komponist und praktischer Musiker Anerkennung, sondern auch als Musiktheoretiker, Förderer der Grammatik, Rhetorik, Dialektik sowie als Dichter der Ars poetica und der Rhythmi vulgares, d. h. von Versen in lateinischer und italienischer Sprache. Er wurde in der Kirche S. Lorenzo in Florenz beigesetzt. WW (Hauptquellen sind die großen Trecento-Hss. Florenz, Bibl. Nazionale Panc. 26, Florenz, Bibl. Laurenziana Pal. 57, der sog. Squarcialupi-Cod. sowie Paris, Bibl. Nat. fonds it. 568, sog. Ms. Pit): 9 Madrigale für 2 St. u. 2 Madrigale für 3 St.; 2 Cacce für 3 St.; 91 Ballate für 2 St. u. 49 für 3 St., davon 8 sowohl in 2- als auch in 3st. Fassung. — Zweifelhafte WW: Triplum einer Motette (Padua, Bibl. Univ. 1066); 2 anon. überlieferte Ballate (Pariser Hs. s.o.); 3 Motettenfragmente (Rom, Hs. Egidi).
L. war der bedeutendste italienische Komponist des 14. Jh., was durch die äußerst umfangreiche Überlieferung seiner Werke in zahlreichen Quellen bestätigt wird. Diese machen etwa ein Viertel des gesamten Bestandes der heute zugänglichen italienischen Werke des Trecento aus. Neben Giovanni da Cascia ist L. der einzige Komponist aus Florenz, dessen Kompositionen auch in oberitalienischen Hss. zahlreich vertreten sind — ein weiteres Zeichen für seine Berühmtheit. L. wurzelt im Kompositionsstil seiner Florentiner Vorgänger, doch verliert in seinem Gesamtwerk das Madrigal zahlenmäßig den Vorrang, den es noch bei seinen Vorgängern genossen hatte, während demgegenüber die /Bal52
lata bedeutungsmäßig in den Vordergrund rückt. Seine Madrigale sind 2teilig: Teil A besteht aus 3 Abschnitten, die 2- oder 3mal auf verschiedene Texte gesungen werden; Teil B ist ein Ritornell,
dessen Rhythmus im bewußten Kontrast zu Teil A steht. Lange Melismen zu Beginn und am Ende eines jeden Abschnitts wechseln mit rascher und stark akzentuierter syllabischer Rezitation, außerdem dringen Mehrtextigkeit und isorhythmische Struktur ein. Berühmt wurde L. hauptsächlich aufgrund seiner äußerst zahlreichen Ballatakompositionen. Wie das französische řVirelai besteht die Ballata aus 2 Teilen ohne rhythmische Kontrastierung nach dem Schema ABBAA. Die ersten mehrstimmigen Ballate lassen sich um 1360/70 nachweisen; die zweistimmigen Ballate scheinen überwiegend einer früheren Zeit anzugehören als die dreistimmigen, da sie in einem melismatischen Stil komponiert worden sind, der Ähnlichkeit mit dem Stil der ältesten Florentiner Madrigalkompositionen hat. Synkopierungen kommen häufig vor, ebenfalls die Differenzierung der Kadenzen in „verto" und „chiuso". Die Deklamation ist fast homosyllabisch. Ausgedehntere Melismen finden sich lediglich am Schluß der Ripresa und der Piedi. Offenbar nach 1368 hat L. mit der Komposition nach Texten von F. Sacchetti begonnen, doch hat er die meisten Texte seiner Kompositionen selbst gedichtet. Die Bedeutung L.s liegt vor allem darin, daß er es vermochte, die mehrstimmigen Kompositionstechniken nahtlos mit der auf Tradition beruhenden lyrischen Freiheit der einstimmigen Ballata zu verbinden. Ausg.: GA, hrsg. v. L. ELLINWOOD (C/M 1939, Nachdr. NY 1970) (= The Medieval Acad. of America. Studies and Documents 3); GA, hrsg. v. L. SCHRADE (Monaco 1958) (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 4) (dazu ein separater Kommentar). — 145 Stücke, in: Der Squarcialupi-Codex Pal 87... hrsg. v. J. WOLF (Lippstadt 1955). Lit.: J. WOLF, Florenz in der Musikgesch. des 14. Jh., in: SIMG 3 (1901/02); L. ELLINWOOD, F. L. and His Music, in: MQ 22 (1936); H. NOLTHENIUS, Renaissance in Mei. Florentijns leven rond F. L. (Utrecht 1956); N. PIRROTTA, L., in: MGG VIII; M. SCHNEIDER, Das gestalttypologische Verfahren in der Melodik des F. L., in: AMI 35 (1963); K. VON FISCHER, Ein Versuch z. Chronologie v. L.s Werken, in: MD 20 (1966); U. GÜNTHER, Die „anonymen" Kompositionen des Ms. Paris, Bibl. Nat. fonds it. 568 (Pit), in: AfMw 23 (1966); C. SCHACHTER, L.'s Treatment of Consonance and Dissonance. A Study of Fourteenth Century Counterpoint, in: The Music Forum 2 (1970); B. R. SUCHLA, Stud. z. Provenienz der Trecento-Ballata (Kas 1976) (= Göttinger musikwiss. Arbeiten 6); D. BAUMANN, Die 3st. Satztechnik bei F. L. (Baden-Baden 1978). B. R. SUCHLA
LANDINO-KLAUSEL, Landino-Sexte, Bz. für eine Schlußformel eines mehrstimmigen Satzes, die aus einer Sekundklausel im Tenor und einer charakteristischen /Klausel im Diskant besteht; diese strebt der Oktave zu, unterbricht aber den Leitton-
Landormy gang Septime—Oktave (z. B.: h—c' bzw. cis'—d'; vgl. Notenbeispiel), indem sie von der Septime über die Sexte (hier: a bzw. h) die Oktave mit einem Terzsprung erreicht. Daher wird dieser Vorgang auch als Unterterzklausel bezeichnet. Nachdem sich diese Fortschreitung im 13. Jh. als grundlegende Schlußformel des mehrstimmigen Satzes behauptet hatte, wurde sie für die Mehrstimmigkeit des 14. Jh. (Fr. Landino und seine Zeitgenossen) und des 15. Jh. (G. Dufay und Zeitgenossen) charakteristisch. Die L.-K., die zuerst von A. G. Ritter beschrieben worden ist, hat sich in der deutschen Orgelmusik noch bis ins 16. Jh. hinein erhalten.
r
bzw.
Lit.: A. G. RITTER, Zur Gesch. des Orgelspiels, vornehmlich des dt., im 14. bis zum Anfang des 18. Jh., 2 Bde. (L 1884, Nachdr. Hil 1969), neu bearb. v. G. Frotscher, als: Gesch. des Orgelspiels, 2 Bde. (B 1935-36, 31966); E. T. FERAND, Die Improvisation in der Musik (Z 1938); W. BIBER, Das Problem der Melodieformel in der einst. Musik des MA (Be 1951); B. R. SUCHLA, Stud. z. Provenienz der Trecento-Ballata (Kas 1976) (= Göttinger musikwiss. Arbeiten 6). B. R. SUCHLA
LÄNDLER, Sammelname für verschiedene Tanzformen im langsamen Dreivierteltakt, die vorwiegend in Österreich, im süddeutschen Raum und in der Schweiz verbreitet sind. Der typische L. wird meist als Figurentanz ausgeführt, bei dem eine stilisierte Liebeswerbung dargestellt wird. Zum Tanz wird häufig gesungen, in die Hände geklatscht und gestampft. Der Dreivierteltakt kann durch Verkürzung des 2. und Dehnung des 1. Taktteils der Geradtaktigkeit angenähert werden. Die Tanzweisen sind seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. auch schriftlich überliefert. Melodisch vorherrschend — besonders ausgeprägt beim „Steirischen Tanz" — sind die vom Jodeln herkommenden weiträumigen Dreiklangsbrechungen. Sie verbinden sich mit Vorhalten, Durchgangs- und Wechselnoten zu 1-, 2oder 4taktigen, formelhaft wiederholten Spielfiguren, die parallel oder symmetrisch angeordnet sein können. Die 8- oder 16taktigen L. werden zu Gruppen zusammengefaßt und mit einem Vor-, Zwischen- und Nachspiel versehen. Innerhalb eines Taktes wechselt die Harmonik in der Regel nicht und beschränkt sich auf Tonika und Dominante; die Subdominante tritt seltener auf. Die Frühgeschichte des L.s läßt sich bisher nur in Ansätzen verfolgen. Ursprünglich ein ländlicher Tanz, wurde der L. im 18. Jh. auch in bürgerlichen Kreisen beliebt. Umgekehrt wirkten sich stadtbürgerliche und höfische Gepflogenheiten auf den ländlichen Tanz aus. Frühe Musikaufzeichnungen vor 1800 ergeben ein vielfältiges Bild. Ohne Be-
zeichnung oder unter Namen wie „Tanz", „Deutscher Tanz", „Walzer", „Dreher", „Schleifer" u. a. finden sich z. T. typische L.-Formen wie auch Tänze, die eher auf eine höfische bzw. städtische Herkunft schließen lassen. In der Volkstanzforschung werden 3 Haupttypen unterschieden: Steirischer Tanz, Landler und Schuhplattler. Unter Beibehaltung seiner charakteristischen Merkmale fand der L. auch Eingang in die Kunstmusik, so bei W. A. Mozart (6 Ländlerische Tänze, KV 606), L. van Beethoven (Ländlerische Tänze, WoO 11 und 15) und vor allem Fr. Schubert (zahlreiche Werkgruppen für Klavier). Im Wiener Biedermeier schrieb J. Lanner viele L. als Gebrauchstänze, bevor sich der Walzer durchsetzte. In den Bereich der Salonmusik gehören in der späteren Zeit die L. von St. Heller, A. Jensen, J. Raff u. a. Lit.: E. HAMZA, Folkloristische Stud. aus dem niederöstr. Wechselgebiete, in: Zschr. des Dt. u. Ostr. Alpenvereins 44 (1913); R. ZODER, Die melodisch-stychische Anordnung von Ländlermelodien, in: Das dt. Volkslied 16 (1914); H. COMMENDA, Der L., in: Heimatgaue 4 (1923); V. VON GERAMB, Die Knaffl-Hs. Eine obersteirische Volkskunde aus dem Jahre 1813 (B — L 1928); M. HAAGER, Die instr. Volksmusik im Salzkammergut (Diss. W 1932, Nachdr. Gr 1979); R. WOLFRAM, Die Frühform des L.s, in: Zschr. für Volkskunde 42 (1933); E. HAMZA, Almerisch-Wallnerisch u. Landlarisch, in: Das dt. Volkslied 39 (1937); H. COMMENDA, Die Gebrauchschriften der alten Landlageiger, in: Zschr. für Volkskunde 48 (1939); R. WOLFRAM, Die Volkstanznachrichten in den Statistischen Erhebungen Erzherzog Johanns, in: Volk u. Heimat. FS V. von Geramb (Gr 1949); DERS., Die Volkstänze in östr. u. verwandte Tänze in Europa (Salzburg 1951); E. HAMZA, Der L. (W 1957); S. SCHuTTE, Der L. Unters. z. musikal. Struktur ungeradtaktiger östr. Volkstänze (Str 1970); F. HOERBURGER, Achttaktige L. aus Bayern (Rb 1976); R. PETER, Ländlermusik. Die amüsante und spannende Geschichte der Schweizer Landlermusik (Aarau — St 1978). S. SCHUTTE
LANDON, Howard Chandler Robbins, * 6.3.1926 Boston; amerik. Musikforscher. Er studierte bei K. Geiringer an der Boston University und ließ sich 1947 in Wien, 1960 in Italien nieder. L. ist besonders als Haydn-Forscher bekannt geworden; 1949 gründete er die Haydn Society. Die Boston University verlieh ihm 1969 die Ehrendoktorwürde. Schriften: The Symphonies of J. Haydn (Lo — NY 1955), dazu separates Suppl. (Lo — NY 1966); The Mozart Companion (ebd. 1956, revidierte Paperbackausg. 1965, NY 1969) (zus. mit D. Mit-
chell); The Collected Correspondance and London Notebooks of J. Haydn (Lo 1959); Collected Essays (Lo 1969); Essays on the Viennese Classical Style. Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven (Lo 1970); Beethoven. A Documentary Study (Lo — NY 1970), dt. übers.: Beethoven. Sein Leben u. seine Welt in zeitgen. Bildern u. Texten (Z 1970, NA 1974); Das kleine Verdibuch (Salzburg 1976); Haydn. Chronicle and Works, 5 Bde. (Lo — Bloomington/Ind. 1976-80). — L. war maBgeblich auch an der Herausgabe der 3. GA J. Haydns u. W. A. Mozarts beteiligt; weitere Ausg.: J. Haydn, Sämtliche Klv.-Sonaten, 2 Bde. (W 1964-66) bzw. 4 Bde. (W 1975-77); J. Haydn, Klv.-Trios, 45 H.e (W 1970-77); The Haydn-Yearbook, 10 Bde. (W 1962-78).
LANDORMY, Paul Charles René, * 3.1. 1869 53
Landowska Issy-les-Moulineaux (Seine), f 17.11.1943 Paris; frz. Musikschriftsteller. Nach einem Philosophiestudium widmete er sich seit 1892 der Musik und lieB sich 1902 in Paris nieder, wo er mit R. Rolland an der École des Hautes Études Sociales Musikgeschichtskurse durchführte und ein akustisches Laboratorium einrichtete. Daneben schrieb er Kritiken für Tageszeitungen und Zeitschriften. Schriften: Histoire de la musique (P 1910, 21943); Brahms (P 1920); Schubert (P 1928); Bizet (P 1929); A. Roussel (P 1938); Gluck (P 1941); La musique française, 3 Bde. (19434, 21948).
LANDOWSKA, Wanda Alexandra, * 5.7.1879 Warschau, t 16.8.1959 Lakeville (Connecticut); poln. Cembalistin. Sie studierte am Konservatorium in Warschau zunächst Klavier, dann Komposition bei H. Urban in Berlin. 1900-13 lehrte sie Cembalo an der Schola Cantorum in Paris, trat 1903 erstmals öffentlich in einem Cembaloabend auf und lieB sich 1912 von Pleyel das erste moderne Konzertinstrument bauen. 1913-19 war W. L. in Berlin die erste Cembalolehrerin an einer deutschen Musikhochschule. Seit 1920 lebte sie ständig in Paris und unternahm seit jener Zeit Tourneen durch alle Welt. 1925 gründete sie in Saint-Leula-Forét bei Paris eine eigene „École de Musique Ancienne". 1940 muBte sie jedoch fliehen und kam 1941 in die USA, 1947 nach Lakeville. 1954 trat sie in New York zum letzten Mal öffentlich auf, spielte aber noch kurz vor ihrem Tod Werke J. S. Bachs für die Schallplatte ein. Durch ihre Konzerttätigkeit, ihr pädagogisches Wirken wie zahlreiche Veröffentlichungen wurde W. L. bahnbrechend für die Verbreitung der Cembalomusik des 17. und 18. Jh.; die ersten zeitgenössischen Kompositionen für Cembalo von M. de Falla und Fr. Poulenc (1926 / 1927) wurden von ihr angeregt. Schriften: La musique ancienne (P 1909,'1921, engt. NY 1924); Bach und die französische Klaviermusik, in: Bach-Jb. 7 (1910); Die C-dur-Fuge des Wohltemperierten Klaviers I, in: ebd. 10 (1913); Commentaries for the Treasury of Harpsichord Music (NY 1947); Gesammelte Schriften als: L. on Music, hrsg. v. D. Restout — R. Hawkins (NY 1964, Lo 1965). Lit.: A. SCHAEFFNER, W. L. et le retour aux „Humanités" de la musique, in: RM (1927) Juni-H.; B. GAVOTY—R. HAUERT, W. L. (G 1957); P. ALDRICH, W. L.'s „Musique ancienne", in: Notes 27 (1970/71). B. A. KOHL
LANDOWSKI, Marcel François Paul, * 18.2.1915 Pont-l'Abbé (Finistère); frz. Komponist. Er erhielt Klavierunterricht bei Marguerite Long, studierte 1934-40 am Pariser Conservatoire (H. Busser, N. Gallon, Ch. Munch) und war Schüler von P. Monteux. 1960-65 war er Direktor des Konservatoriums von Boulogne-sur-Seine, 1962-65 Musikdirektor an der Comédie-Française in Paris und wurde 1964 Inspecteur général de l'Enseignement musical, 1966 Directeur de la musique beim Mini54
sterium für kulturelle Angelegenheiten, wo er seit 1970 für Musik, Oper und Ballett zuständig ist. Auf seine Initiative hin wurden das Orchestre de Paris (1967) und das Orchestre de la Région Rhône-Alpes (1968) gegründet. Sein kompositorisches Schaffen zeigt eine persönliche, schlichte Ausdrucksweise; die musikalische Erfindung führt L. häufig auf außermusikalische (poetische, gefühlsmäßige) Eindrücke zurück, schreibt aber keine literarische oder Programmusik. WW: l) Inetr.-WW: Klv.-Stücke; Étude de sonorité (1973) für V. u. Klv. — Für Orch.: 3 Symphonien, 1: Jean de la Peur (1949), 2 (1963), 3: Des espaces (1964); symphonische Dichtungen Edina (1946) u. L'orage (1960). — Konzerte: 2 für Klv. (1939, 1963); für Vc. (1944); für Ondes Martenot, Str. u. Schlagzeug (1954); für Fag. (1957), auch als Ballett, UA: Paris 1966; für Fl. u. Str. (1968). —2) Vokal-WW: Oratorium La qučte sans fin (1943-44); Chants de solitude (1960) für 4 Frauen-St. u. Orch.; Notes de nuit (1961) für Kinder-Sprech-St. u. Kammerorch., als Ballett, UA: Nancy 1970; 4 chants d'innocence (1971) für Frauenchor. — 3) Biüeee-WW: Opern: Le fou, UA: Nancy 1956; Le ventiloque, UA: Paris 1957; Les adieux, UA: ebd. 1960; L'opéra de poussière, UA: Avignon 1962; Légende lyrique et choréographique Le rire de Nils Halérius, UA: Mulhouse 1951, daraus: Ballettsuite Les jeux du monde; Ballett Die Tiefe, UA: Essen 1959; ferner Film- und Bühnenmusik. — 4) Schriften: L'orchestre (P 1951) (= Que sais-je? 495) (zus. mit L. Aubert); Honegger (P 1957) (= Solftge 7) (zus. mit M. Christenet). Lit.: C. BAIGNĚRES, M. L. (P 1958); A. GoLLA, M. L. (P 1969) (= Musiciens de tous les temps 41).
LANDRÉ, Guillaume Louis Frédéric, * 24.2.1905 Den Haag, t 6. 11. 1968 Amsterdam; ndl. Komponist. Er studierte an der Universität Utrecht Jura (Dr. jur. 1925) und war Kompositionsschüler von W. Pijper. Nach einer Tätigkeit als Lehrer für Handelsrecht und Nationalökonomie in Amsterdam (1930-47) fungierte er 1947-57 als Generalsekretär des Kunstrates und seit 1957 als Präsident der niederländischen Urheberrechtsgesellschaft BUMA, der niederländischen Sektion der IGNM und der niederländischen Tonkünstlervereinigung. L.s frühe Kompositionen sind von weitgespannter Melodik gekennzeichnet und neigen häufig einem elegischen Ausdruck zu; in seinen späteren Werken bezieht er auch die Dodekaphonie ein, ohne allerdings die Tonalität aufzugeben. WW: Trio für V., Vc. u. Klv. (1929); 4 Streichquartette (1927, 1942, 1949, 1966); 2 Bläserquintette (1930, 1960); für Orch.: 4 Symphonien (1932, 1942, 1951, 1985); Suite für Streichorch. u. Klv. (1936); Permutazioni sinfoniche (1957); Caleidoscopio (1958); Anagrammes (1960); Variazioni senza tema (1967). — Piae memorise pro Patria Mortuorum für Chor u. Orch.; Egidius (1968) für Frauenchor a cap. — Opern: De snoek, UA: Amsterdam 1938; Jean Levčque, UA: ebd. 1965; La symphonie pastorale, UA: Rouen 1968. Lit.: J. WoUrERs, G.L., in: Sonorum speculum 15 (1963); M. FLOTHUIs, G. L. Viertes Streichquartett, in: ebd. 40 (1969); W. PAAP, In memoriam G. L., in: Mens en melodie 24 (1969).
LANDSTREICHER, DIE, Operette in einem
Lang
Vorspiel u. 2 Akten von Carl Michael Ziehrer (1843-1922), Text von Leopold Krenn u. Carl Lindau. Ort u. Zeit der Handlung: eine süddeutsche Kleinstadt, um die Jahrhundertwende. UA: 26.7. 1899 in Wien (Sommertheater Venedig). Einzelne Episoden aus dem Vagabundenleben von August und Berta Fliederbusch werden ohne weitere inhaltliche Verknüpfung aneinandergereiht. Auch in der Partitur sind Stücke unterschiedlicher Prägung gemischt: typische Wiener Musik, ein spanisches Lied (A uf der Sierra), eine Polka française (In flagranti), ein marokkanischer Marsch, ein Lied im Volkston (Mein herzliaber Bua) u. a. Erfolgreichste Musiknummer ist der Walzer Sei gepriesen, du lauschige Nacht, von dem in knapp zehn Jahren etwa eine halbe Million Einzelexemplare verkauft wurden. Von den 23 Operetten Ziehrers sind Die Landstreicher das einzige Werk, das auch heute noch aufgrund der zahlreichen zündenden Marschmelodien und schwankhafter Elemente eine gewisse Popularität besitzt. B. DELCKER LANE, Burton (eig. Burton Levy), * 2.2.1912 New York; amerik. Komponist. Er schrieb bereits mit 16 Jahren Songs für eine Produktion der Greenwich Village Follies. 1933 ging er nach Hollywood, wo er Filmschlager, u. a. mit Fr. Loesser, A. J. Lerner und Ira Gershwin, komponierte. Der erste groBe Broadway-Erfolg war Finian's Rainbow (1947), an den er 1965 mit On a ClearDay You Can
See Forever anknüpfen konnte. Lit.: S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960, 3 1974).
LANFRANCO, Giovanni Maria, * Terenzio (Prov. Parma), t Ende November 1545 Parma; it. Musiktheoretiker. Er wurde 1528 Kapellmeister an der Kathedrale von Brescia, um 1534 in Verona und 1540 an der Kirche Madonna della Steccata in Parma. In seinen Scintille di musica (Brixen 1533) behandelt er in 4 Büchern die Elementarbegriffe der Musik (I), der Notation, des Rhythmus und der Zeitmaße (II), der Modi (III) sowie des Kontrapunkts und der Instrumente (IV) und gibt aufschluBreiche Hinweise zur Musikpraxis seiner Zeit. Ausg.: Scintille di musica, Faks.-Ausg. (Bol 1970) (= Bibl. musica Bononiensis II/15). Lit.: B. LEE, G. M. L.'s „Scintille di musica" and Its Relation to 16th Century Music Theory (1961) (= Diss. Cornell Univ., Ithaca / N. Y.); G. MASSERA, Musica inaspettiva e accordatura strumentale nelle „Scintille" di L. da Terenzio, in: Quadrivium 6 (1964).
LANG, Eddie (auch Blind Willie Dunn ; eig. Salvatore Massaro), * 25.10.1902 Philadelphia, t 26.3. 1933 New York; amerik. Jazzmusiker (Gitarre). Er spielte 1924 bei Red McKenzie in England und seit
1926 häufig mit dem Geiger Joe Venuti, u. a. in der Gruppe „Blue Four". 1930 wirkte er in dem Paul Whiteman-Film King of Jazz mit und begleitete anschließend 2 Jahre lang den Sänger Bing Crosby. L. gilt als der bedeutendste Jazzgitarrist seiner Zeit. LANG, István, * 1.3.1933 Budapest; ung. Komponist. L. studierte an der Budapester Musikakademie Komposition bei János Viski und Ferenc Szabó. 1966 wurde er musikalischer Leiter des Staatlichen Puppentheaters und 1973 Dozent (1979 Professor) für Kammermusik an der FranzLiszt-Hochschule in Budapest. L. ist außerdem Präsident des Ungarischen Komponistenverbandes und Leiter der ungarischen Sektion der International Society for Contemporary Music (ISCM). 1961 gewann er einen Kompositionswettbewerb der Stadt Ludwigshafen und erhielt 1968 und 1975 den Ferenc-Erkel-Preis. L. gehört zu den gemäßigt modernen, national gebundenen Komponisten seiner Generation in Ungarn. WW: Kammermusik für gem. Ensembles u. Einzelinstr., u. a. Intermezzi (1972) für Klv.; Improvisationen für Cimbalom (1973) u. für Schlagzeug (1978); Wellen II (1976) für FI., Gitarre u. Cimbalom; 2 Symphonien; Solokonzerte für Xylophon, Ob., Horn, V. - Kammerkantate Laudate hominem (1971-72) für Sprecher, Sopran u. Instrumentalquintett. - Ballett Mario und der Zauberer (1962); Oper Der Feigling (1964-68).
LANG, Paul Henry, *28. 8. 1901 Budapest; amerik. Musikforscher ung. Herkunft. Nach Kompositionsstudien bei Z. Kodály und L. Weiner studierte er an den Universitäten in Budapest, Heidelberg und Paris sowie an der Cornell University in Ithaca (N. Y.), wo er 1928 mit der Dissertation A Literary History of French Opera promovierte. AnschlieBend lehrte er an mehreren Colleges in den USA und seit 1933 an der Columbia University in New York (1943 ordentlicher Professor). 1954-64 war er Musikkritiker der New York Herald Tribune und gab 1945-73 die Zeitschrift The Musical Quarterly (MQ) heraus. 1955-58 hatte er den Vorsitz der Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft. In seinen Schriften untersuchte L. vor allem den Einfluß kultureller Phänomene auf stilistische Wandlungen in der Musik. Schriften: Music in Western Civilization (NY 1941), dt. Übers.: Musik im Abendland, 2 Bde. (Au 1947); A Pictorial History of Music (NY 1960, Lo 1964) (zus. mit O. L. Bettmann); G. F. Handel (NY 1966, Lo 1967, dt. Kas 1979); Musicology and Musical Letters, in: Musik u. Verlag F. S. K. Vötterle (Kas 1968); Critic at the Opera (NY 1971); The Experience of Opera (Lo 1973).
LANG, Walter, * 19. 8.1896 Basel, t 17. 3.1966 Baden (Aargau); Schweizer Komponist. L. war ein Schüler von É. Jaques-Dalcroze, an dessen Institut in Genf er 1915 unterrichtete. Danach setzte er seine Ausbildung in München und Zürich fort. 55
Langaus 1920-22 lehrte er Theorie an der Schule Wolff in Basel und 1922-41 Klavier am Konservatorium in Zürich. 1942 wurde er ans Rundfunkstudio Lugano des Senders Monte Ceneri berufen. 1948 kehrte er nach Zürich zurück und unterrichtete seitdem an der Musikakademie in Basel, am Konservatorium in Bern und an der Musikakademie in Zürich. WW: Zahlr. Klv.-Stücke, darunter 12 Etüden (1960) u. 10 Etüden A due voci (1963); 2 Orgelfantasien (1961); V.-, Vc.- u. Fl.-Sonaten; 6 Bagatellen für V. u. Klv. (1957); Bulgarische Volksweisen (1928) u. Sonata festiva (1936) für Kammerorch.; Divertimento für Streichorch. (1957). - Für Orch.: Symphonie (1946); Praeludium (1947); Konzertante Suite (1954) für 2 Klv. u. Streichorch.; Klv.-Konzert (1940) u. Vc.-Konzert (1952). - Ferner das Festspiel Leggende del Ticino (1944) für Chor und Orchester. Lit.: Werkverz. (Z 1956), dazu Nachtrag (1956-61). - W. BERTSCHINGER, in: SMZ 96 (1956); E. GRAF, W. L.s Unterrichtswerk bis zur oberen Mittelstufe, in: ebd. 10 (1964).
LANGAUS, eine umstrittene und oft von den Behörden — erfolglos — verbotene Tanzart, typisch für die Tanzbesessenheit in Wien im ausgehenden 18. Jh., wie sie als Reaktion gegen das getrageňe und gemessene Tanzwesen höfischen Charakters entstanden war: das Tanzpaar hatte den Saal in raschem Tempo mit großen Schritten und nur wenigen Umdrehungen auf mehrere Zweitaktgruppen zu durchmessen. Die erhaltenen musikalischen Beispiele (von Stanislaus Ossowsky) unterscheiden sich nicht vom /Deutschen Tanz und řLändler. Der L. kann daher wohl als Wegbereiter, wegen der choreographischen und formalen Verschiedenheit jedoch nicht direkt als Vorläufer des Wiener /Walzers angesehen werden. Lit.: E. SCHENK, Der L., in: Studia Musicologica 3 (Budapest 1962).
LANGE, Francisco Curt (Franz Kurt), * 12. 12. 1903 Eilenburg bei Leipzig; uruguayischer Musik-
forscher dt. Herkunft. L. studierte Architektur, Philosophie und Musikwissenschaft u. a. an der Universität Bonn. 1930 ließ er sich in Uruguay nieder, leitete dort bis 1948 das Schallplattenarchiv des von ihm mitgegründeten staatlichen Rundfunks (SODRE) und 1932-48 eine musikwissenschaftliche Abteilung am Instituto de Estudios Superiores in Montevideo, wo er 1940 das Instituto Interamericano de Musicología gründete. 1948-55 leitete er die ebenfalls von ihm gegründete musikwissenschaftliche Abteilung der Landesuniversität von Cuyo in Argentinien. Anschließend lehrte er als Gastprofessor an zahlreichen Universitäten Nordamerikas. 1961-63 war er Kulturattaché der uruguayischen Botschaft in Bonn. L. hat bedeutende Verdienste um die Erforschung der südamerikanischen Musikgeschichte. Schriften: La opera y las casas de opera en e/ Brasil colonial, in: Bol. interamericano de música (1964) Nr. 44; E. Neuparth, ein
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dt. Musiker in Brasilien, in: Staden-lb. 15 (Sbo Paulo 1967); Pesquisas esporádicas de musicología no Rio de Janeiro, in: Rev. do Inst. de estudios brasileiros 4 (1968); L. M. Gottschalk, in: Bol. interamericano de música (1970) Nr. 77; História da música nas Irmandades de Vila Rica I/1 (Belo Horizonte 1979). Er gab heraus u. a.: Rev. de Estudios Musicales, Bol. latinoamericano de música, 6 Bde. (1935-46). Lit.: F. BOSE, in: AMI 29 (1957); P. S. URTUBEY, Las obras colectivas de F. C. L. (Buenos Aires 1974).
LANGE (Langius), Gregor, * um 1540 Havelberg (Brandenburg), t vermutlich 1.5.1587 Breslau; dt. Komponist. L. studierte an der Universität Frankfurt an der Oder, wo er 1574-83 ein Kantorenamt versah. 1583 ließ er sich in Breslau nieder. L.s Arbeiten stehen in der Nachfolge O. di Lassos. Seine dt. Lieder waren bis ins 17. Jh. weit verbreitet. WW (teilweise mit mehreren Aufl.): 2 Bücher Cantiones sacrae, 1: für 5-6 St. (Frankfurt/Oder 1580), 2: für 4-10 St. (Nü 1584); 2 Bücher Neue deutsche Lieder für 3 St. (Breslau 1584, 1586), 5st. Bearb. v. Ch. Demantius, 2 Bde. (L 1614, 1615); gedruckt wurden auch mehrere Gelegenheitsgesänge. - 78 lat. u. 67 dt. Gesänge sind hsl. erhalten. Ausg.: Ausgew. Motetten für 4, 5, 6 u. 8 St., hrsg. v. R. STARKE (1901) (= PGfM 25); Neue dt. Lieder mit 3 St., hrsg. v. F. BOSE (B 1968) (= Ed. alter Musik o. Nr.). Lit.: R. STARKE, Hieronymus Gregorius Langius Havelbergensis, in: MfM 31 (1899); I. GALLWITZ, Die neuen dt. Lieder v. 1584 u. 1586 des Gregorius Langius u. deren Bearb. durch Ch. Demantius u. H. Dedekind (Diss. W 1960); R. CASPARI, Liedtradition im Stilwandel um 1600 (Mn 1971) (= Schriften zur Musik 13).
LANGE, de, ndl. Musikerfamilie. — 1) Samuel (I.), * 9.6.1811 Rotterdam, t 15.5.1884 ebd.; Organist. Er war an der Kirche St. Lorenz in Rotterdam tätig und schrieb Orgelsonaten. — 2) Samuel (H.), Sohn von 1), * 22.2.1840 Rotterdam, t 7.7.1911 Stuttgart; Organist und Komponist. Er trat früh als Orgelvirtuose und Pianist hervor, studierte später
an der Musikschule in Lemberg, wo er 1860-63 lehrte. Weitere Stationen waren Rotterdam, Basel, Köln und zuletzt Stuttgart. Dort leitete er 1900-08 das Konservatorium. Von seinen Kompositionen verdient das Oratorium Moses (Den Haag 1889) Beachtung. L. gab außerdem den Apparatus musico-organisticus von G. Muffat heraus (L 1888). — 3) Daniel, Bruder von 2), * 11.7. 1841 Rotterdam, t 31.1.1918 Point Loma (California); Komponist. Er studierte seit 1855 am Brüsseler Conservatoire und war 1860-63 Lehrer an der Musikschule in Lemberg. Später lebte er in Paris und seit 1870 in Amsterdam. 1884 gehörte er zu den Gründern des Amsterdamer Konservatoriums, das er 1895-1913 auch leitete. 1914 lieg er sich in Point Loma (Calif.) nieder. Als Dirigent mehrerer a cappella-Chöre widmete er sich besonders Kompositionen des 16. Jahrhunderts. L. hat als Lehrer und Organisator das Musikleben in den Niederlanden maßgeblich beeinflußt. Als Dirigent setzte er sich auch für die
Latimer zeitgenössische Musik ein und gehört damit zu den Begründern der neueren niederländischen Musik.
Messen, Motetten u. Kantaten für Chor a cap. oder mit Org. u. versch. Instr., sowie weltliche Werke, darunter Lieder u. Kantaten.
WW: 2 Symphonien; Ouvertüre Willem van Holland; Vc.-Konzert; Chorwerke; Messe, Requiem u. die Oper De val van Kuilenburg. - Schrieb Exposé d'une théorie de la musique (P 1908).
L. genießt als Interpret der neueren französischen Orgelmusik und als Improvisator Weltruf. Unter den französischen Orgelkomponisten des 20. Jh. nimmt er neben L. Vierne, M. Dupré und O. Messiaen eine führende Stellung ein. Seine Kompositionen zeichnen sich durch außergewöhnliche Vielfalt der Formen und Stilmittel aus. Neben liturgischen Werken, in denen er häufig frei weiterentwickelte historische Formen verwendet, schrieb er didaktische Kompositionen und großangelegte virtuose Werke konzertanten Charakters. L. verwendet Elemente der Gregorianik, des protestantischen Chorals und der Folklore; das musikalische Material umfaßt Kirchentonarten, erweiterte Tonalität und serielle Techniken.
Lit.: A. AVERKAMP, Levensbericht van D. de L. (Lei 1918); A. ANNEGARN, D. de L., in: TVer 18 (1959).
LANGE-MULLER, Peter Erasmus, * 1.12. 1850
Frederiksborg, t 26.2.1926 Kopenhagen; dänischer Komponist. L. studierte Jura, nahm daneben Musikunterricht und wurde 1871 Schüler des Kopenhagener Konservatoriums. Aus Gesundheitsgründen mußte er seine Ausbildung wenig später abbrechen, machte sich aber 1874 durch seinen ersten Liedband, Sulamith og Salomon, bekannt. 1879-83 war er 2. Dirigent der Konzertvereinigung in Kopenhagen, die er mitbegründet hatte. L. nimmt eine wichtige Stellung unter den Komponisten seiner Zeit in Dänemark ein. Viele seiner Lieder gehören heute zum dänischen Volksliedgut. WW: Fantasien für V. u. Klv.; Klv.-Trio (Kop 1898); 2 Orch.-Suiten Alhambra u. Weyerburg (1894); 2 Symphonien, 1: Eiteraar (Kop 1881), 2 (1889); zahlr. Lieder, darunter Sulamith og Salomon sowie Chöre. - Opern: Tove, UA: Kopenhagen 1787; Spanske Studenter, UA: ebd. 1883, u. Vikingeblod, UA: ebd. 1900; ferner Bühnenmusik. Lit.: J. CLAUSEN, P.E. L.-M. (Kop 1938); H. BONNEN, P. E. L.-M. (Kop 1946).
LANGLAIS, Jean, * 15.2.1907 La Fontenelle (I11e-et-Vilaine); frz. Organist und Komponist. L., mit 2 Jahren erblindet, war 1923-27 Orgelschüler von A. Marchai an der Institution Nationale des Jeunes Aveugles in Paris. 1927-30 studierte er am Pariser Conservatoire Orgel bei M. Dupré, anschließend Komposition bei P. Dukas und Improvisation bei Ch. Tournemire. 1930 wurde er Professor für Orgel an der Institution Nationale des Jeunes Aveugles und 1960 an der Schola Cantorum, außerdem 1934 Organist an St-Pierre-de Montrouge und 1945 — als dritter Nachfolger C. Francks — an Ste -Clotilde. WW (wenn nichts anderes angegeben, in Paris erschienen): 1) llastr.-WW: Für Org.: 3 Paraphrases grégoriennes (1938); 2 Symphonien (1944, 1978); 9 Pičces (1945); Suite brève (1947); Suite médiévale (1950); Suite française (1949); Incantation pour un jour saint (1954); Hommage à Frescobaldi (1954); Folkloric Suite (Ch 1954); Triptyque (Lo 1958); 3 Méditations sur la Ste-Trinité (1962); Hommage to Rameau (Ch 1965); Poem of Life, Poem of Peace, Poem of Happiness (1966/67); Sonate en trio (1968); Livre mcuménique (1968); Offrande à Marie (1972); 5 Méditations sur l'Apocalypse (1973); Suite baroque (1973); 8 Chants de Bretagne (1975); Mosaique, 3 Bde. (1977/78); 3 Konzerte (1949, 1961, 1971) für Org. u. Orch.; ferner Klv.-Stücke, Kammermusik u. Orch.-Werke. - 2) Vokal-WW: Mystčre du Vendredi Saint für Chor u. Orch. (1943); Cantate à St-Vincent für Chor u. Str. (1946); Messe solennelle für Chor u. 2 Org. (1949); Missa in simplicitate für Sopran u. Org. (1952); Passion für Soli, Chor u. Orch. (1954); Mystčre du Christ für Chor u. Orch. (1957); ferner zahlr.
Lit.: D. B. KURR, The Organ Works of J. L. (1971) (= Diss. Univ. of Washington); M. L. JACQUET, J. L., un indépendant. Essai sur son oeuvre d'orgue, in: L'orgue (1972) Sonder-Nr. 144; DIES., Die leichten Orgelwerke v. J. L., in: MS 97 (1976); DIES., Les ouvres récentes pour orgue de J. L., in: Jeunesse et orgue 35 (1978). H. J. BUSCH
LANIER (Laniere, Laneare, Lanyere), Nicholas, getauft 10.9.1588 London, t 24.2.1666 Greenwich; engl. Sänger, Komponist und Maler frz. Abstammung. Er stand zunächst im Dienst des Prinzen von Wales und wurde 1626 unter König Karl I. Master of the King's Music. Während der Revolution verlor er seine Stellung, wurde aber unter König Karl II. erneut in dieses Amt eingesetzt. Er schrieb die Musik zu mehreren Masques, darunter zu B. Jonsons Vision of Delight, das zeitgenössischen Quellen zufolge auch rezitativische Stücke enthalten haben soll. L. wurde daher die Einführung des Stile rappresentativo in England zugeschrieben. Von seinen Kompositionen sind lediglich einige Gelegenheitswerke und einzelne Lieder u. a. in Sammlungen J. Playfords erhalten. Ausg.: 2 Airs, in Songs and Dances for the Stuart Masque, hrsg. v. A. J. SABOT. (Providence/R. I. 1959); Lieder, in: Twenty Songs from Printed Sources, hrsg. v. D. GREER (Lo 1969) (= The Engl. Lute Songs I1/21); 11 Lieder, in: Engl. Songs from 1625-60, hrsg. v. I. SPINK (Lo 1971) (= Mus. Brit. 33). Lit.: C. L. DAY - E. B. MURRIE, Engl. Song-Books 1651-1702 (Lo 1940); I. SPINK, L. in Italy, in: ML 40 (1959); A.J. SABOL, A Score for „Lovers Made Men". A Masque by B. Jonson, the Music Adapted and Arranged for Dramatic Performance from Compositions by N. L, A. Ferrabosco and Their Contemporaries (Providence/R. I. 1963).
LANNER, Josef, * 12.4.1801 Wien, t 14.4.1843 Oberdöbling; östr. Komponist. L. bildete sich in Violinspiel und Komposition als Autodidakt aus. Mit 17 Jahren gründete er ein Quartett, in dem J. Strauß (Vater) die Bratsche spielte. Das Quartett wurde allmählich zu einem großen Tanzorchester 57
Lanai's erweitert, das mit großem Erfolg auch Kompositionen von L. aufführte. L., neben dem älteren Strauß der führende Tanzkomponist des Wiener Biedermeiers und einer der Klassiker des Wiener Walzers, schuf eine neue Form des Wiener Walzers mit Einleitung, mehrgliedriger Walzerfolge („Walzerkette”) und Finale (Coda). WW (208 Opuszahlen): Zahlr. Walzer, darunter: Pesther Walzer, op. 93 (W 1835); Hofballtänze, op. 161 (W 1840); Die Romantiker, op. 167 (W 1841); Die Schönbrunner, op. 200 (W 1843); ferner Galoppe, Ländler (u. a. Steyrische Tänze, op. 165, W 1841), Märsche und Potpourris. Ausg.: GA, hrsg. v. E. KREMSER, 14 Bde. (W 1888-89); Ländler und Walzer (Ausw., in Partitur), hrsg. v. A. OREL (W 1926) (= DTO 65); Ausgew. Walzer für 1C1v. (Kas 1947); Berühmte Walzer für Klv. (L 1955). Lit.: A. WEINMANN, Ven. der Werke (W 1948) (= Beitr. z. Gesch. des Mt-Wiener Musikverlages 1); F. LANGE, J. L. u. J. StrauB (W 1904, L 2 1919); PH. T. BARFORD, The Early Dances of J. L., in: MR 21 (1960).
LANTINS (Lantinis, Latinis, Lantius, Lanctius). — 1) Hugo de, aus der Diözese Lüttich stammender Komponist der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts. L. hielt sich um 1415-30 in Venedig auf, wo er anläßlich der Hochzeit von Cleofe Malatesta mit Theodoros Palaiologos, einem Sohn des Kaisers Manuel II. von Byzanz (1420) ein italienisches Lied, Tra quante regione, und zu Ehren des Dogen Francesco Foscari die Motette Christus vincit (1423) schrieb. L.' Kompositionen stehen J. Ciconia nahe, weisen ihm gegenüber aber eine stärkere Hinwendung zum imitierenden Stil, häufigere Verwendung von transponierten Modi und Musica ficta sowie gelegentlichen Wechsel der Prolatio auf. Die schlichte Melodieführung erinnert an die Frühwerke von G. Dufay. — 2) Arnold, Bruder von 1) (?), aus der Diözese Lüttich stammender Komponist der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts. Auch er lebte zeitweise in Venedig, wie eine Chanson aus dem Jahre 1428 belegt. 1431 ist er neben Dufay als Sänger der Päpstlichen Kapelle nachweisbar. L. steht — vor allem in der Verwendung komplizierter Rhythmen — noch in der Tradition des 14. Jh., doch lassen weite Melodiebögen und gelegentlicher Gebrauch der Fauxbourdontechnik auch in seinen Werken die sich im ersten Drittel des 15. Jh. anbahnende stilistische Wende erkennen. Seine Messe Verbum incarnatum gehört zu den ersten vollständigen Vertonungen des Meßzyklus. WW: Zu 1): 4 Messesätze; 5 Motetten für 4 St.; 15 frz. u. 3 it. Chansons für 3 St. — Zu 2): 9 Messesätze, davon 5 als vollständige Messe Verbum incarnatum; 3 Motetten für 2, 3 u. 4 St.; 14 Chansons für 3 St. Ausg.: GA der Chansons v. A. u. H. de L., in: Pièces polyphoniques profanes de provenance liégeoise (XV' siècle), hrsg. v. CH. VAN DEN BORREN (Bru 1950); 3 Gloria v. A. de L sowie Messe Verbum incarnatum u. 3 Motetten v. H. de L., in: Polypho-
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nia sacra, hrsg. v. DEMS. (Lo 1932, revidiert University Park/Pa. 1963) (= Penn. State Music Series o. Nr.). Lit.: W. REHM, L., in: MGG VIII; CH. VAN DEN BORREN, H. et A. de L., in: RBMie 21 (1967). S. CLERCX
LANZA, Mario (eig. Alfredo Cocozza), * 31.1. 1921 New York, t 7.10.1959 Rom; amerik. Sänger (Tenor). Er studierte bei Irene Williams, trat zunächst als Mitglied des „Belcanto-Trios" (zus. mit George London und Francis Yeend) auf, arbeitete dann in Hollywood und wurde durch die Titelrolle des Films The Great Caruso (1951) weltweit bekannt. Außer durch gelegentliche Konzerttourneen in Europa blieb L., dessen Repertoire hauptsächlich Opern und gehobene Unterhaltungsmusik umfaßte, dort vor allem durch zahlreiche Schallplattenaufnahmen populär. Lit.: H. M. HAUSNER, M. L., Tragödie einer Stimme (Mn 1962); M. BERNARD, M. L. (NY 1971).
LANZELOT, Oper in 15 Bildern von Paul Dessau (1894-1979), Text von Heiner Müller nach der Märchenkomödie Der Drache (1944) von Jewgeni Schwarz. UA: 19.12.1969 in Ost-Berlin (Staatsoper). Der Librettist betont in seiner Fassung des Märchens die Aktualität der „gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in welche der Drache als Symbol für den Faschismus und sein großer Gegenpart Lanzelot als Sinnbild für die Befreiung von jeglicher Ausbeutung stehen" (Dessau). Der Komponist setzt die Musik als Mittel der Textauslegung ein und verknüpft dabei so gegensätzliche Techniken wie Aleatorik und Kontrapunktik oder Dreiklangsharmonik und dissonante Klangballung zu einer stilistischen Einheit. Der Deutung von dialektischen Textpassagen und dramatischen Vorgängen dienen die Parodie mittels zu Formeln erstarrter Kompositionstechniken (Huldigung der Bürger als schematisch fugierter Chorsatz) wie auch das Zitieren aus eigenen Werken (Lied der Thälmannkolonne beim Kampf zwischen Lanzelot und dem Drachen). Zur Charakterisierung des Drachen erweitert Dessau den Orchesterapparat um ein Tonbandgerät, über dessen Lautsprecher schrille Chorglissandi'das Fauchen des Drachen wirkungsvoll illustrieren. K. LANGROCK LAPICIDA, Erasmus, * um 1445/50, t 19.11. 1547 Wien; dt. Komponist. L. war Geistlicher und seit 1510 Mitglied der Hofkapelle des Kurfürsten Ludwig V. von der Pfalz in Heidelberg. 1521 wurde ihm auf Veranlassung Erzherzog Ferdinands eine Pfründe am Schottenstift in Wien zugesprochen, wo er mit H. Finek bei der Gründung einer Kantorei zusammenarbeitete. 1539 nahm er an den Trauerfeierlichkeiten für Isabella von Portugal im Ste-
La Rocca
phansdom in Wien teil. 1544 wurde ihm von König Ferdinand I. eine Pension bewilligt. Zeitgenössische Quellen belegen sein hohes Alter. Sebastianus Solidus beklagt in einer lateinischen Elegie seinen Tod. Die wenn auch nur zu einem kleinen Teil erhaltenen Werke bezeugen L.s vielseitige Begabung und die stilistische Vielfalt seiner Werke. Seine deutschen Liedbearbeitungen stehen H. Isaac nahe, weisen aber durch manche Züge wie gleichzeitiges Kadenzieren aller Stimmen und belcantohafte Melodik einen durchaus persönlichen Stil auf. In der Frottola La pietà ha chiuso le porte, kombinierte L. eine gleichnamige Melodie von B. Tromboncino und die Melodie der Canzonetta Pietà, cara Signora von M. Cara mit 2 selbst komponierten Stimmen. WW (in Sammeldrucken 1504-39 u. hsl.): 7 Motetten, 1 Lamentation, 1 Frottola, 8 dt. Liedbearb. (sämtlich 4st.), eine ist. ndl. Liedbearb., diese auch in der Lautentabulatur v. H. Neusidler
LARGANDO (it., = breiter werdend), ähnlich wie /Allargando Vortragsbezeichnung für ein langsamer werdendes Tempo mit gleichzeitiger Zunahme der Lautstärke. LARGHETTO (it.; Diminutiv von Largo, = etwas breit), Bz. für ein etwas fließenderes Zeitmaß und einen weniger gewichtigen Vortrag als /Largo. L. erscheint bei G. Fr. Händel oft in Verbindung mit Sicilianorhythmus (z. B. im Messias im Duett Er weidet seine Herde), gelegentlich in der Kombination Andante larghetto. Mozart verwendet L. gern in den Opernarien mit hoheitsvollem und pathetischem Ausdruck (z. B. Bildnisarie des Tamino und Sarastro-Arie In diesen heil'gen Hallen aus der Zauberflöte). Ein bekanntes L. L. van Beethovens ist der 2. Satz des Violinkonzerts op. 61.
(1536).
LARGO (it., = breit), im 17. Jh. zunächst Hinweis
Ausg.: Lieder, in: Das dt. Gesellschaftslied in Ostr., hrsg. v. — A. KOCZIRZ (1930) (= DTO 72); 7 Lieder, in: G. FORSTER, Frische teutsche Liedlein I, hrsg. v. K. Gudewill (1940) (= EDM, RD 20); Motette Veni, electa mea, in: G. RHAU, Musikdrucke aus den Jahren 1538 bis 1545 III, hrsg. v. H. Albrecht (Kas 1959); Renaissance Lieder. Th. Stolzer, H. Finck, E. L., hrsg. v. E. GAMBLE (University Park/Pa. 1964) (= Penn. State Music Series 4); eine Lamentation, in: Mehrst. Lamentationen aus der 1. Hälfte des 16. Jh., hrsg. v. G. MASSENKEIL (Mz 1965) (= Musikal. Denkmäler 6); ein Satz, in: The Medici Cod. of 1518, hrsg. v. E. LOWINSKY, 3 Bde. (Ch 1968) (= Monuments of Renaissance Music 3-4). Lit.: H. FEDERHOFER, Biogr. Beitr. zu E. L. u. S. Mahu, in: Mf 5 (1952); 0. WESSELY, Ein unbekannter Brief v. E. L., in: Die Musikerziehung 8 (1954-55); DERS., Neues z. Lebensgesch. v. E. L., in: Anzeiger der philos.-hist. Klasse der Ostr. Akad. der Wiss. 92 (1955); DERS., Neue Beitr. z. Lebensgesch. von E. L., in: KmJb 41 (1957).
für den langsamen Vortrag eines 3/2- oder 3 /4-Takts, der ohne solche Vorschrift (als Tripla) eine schnelle Bewegung erfordert. Im 18. Jh. bezeichnet J. G. Walther (Musicalisches Lexicon, 1732) L. als eine „etwas geschwindere Bewegung" als /Adagio, jedoch ist eine klare Abgrenzung nicht möglich, auch nicht gegenüber /Larghetto. Vielmehr bezieht sich seit der 2. Hälfte des 18. Jh. L. als Satzbezeichnung auf einen gewichtigen Charakter und den dementsprechenden Vortrag des betreffenden Satzes. Charakteristische Beispiele dafür bieten etwa einige langsame Sätze L. van Beethovens, namentlich aus Werken für und mit Klavier der frühen und mittleren Schaffenszeit (u. a. aus den Konzerten op. 15 und op. 37), gelegentlich auch mit ergänzenden Zusätzen (L. con gran espressione bzw. L. e mesto in den Klaviersonaten op. 7 bzw. op. 10,2). Das durch unzählige Bearbeitungen berühmt gewordene Largo von Händel (Arie des Titelhelden aus Xerxes: Ombra mai fu) trägt im Original nicht die Bz. L., sondern Larghetto. — Die (seltene) Bz. Larghissimo (= sehr breit) weist auf einen dem Wortsinn entsprechenden Vortrag hin.
L. NOWAK
LA POUPLINIÈRE (Poupelinière, Popelinière), Alexandre Jean Joseph Le Riche de, * 26.7. 1693 Chinon (Indre-et-Loire), t 5. 12.1762 Paris; frz.
Musikliebhaber und Mäzen. L. war seit 1718 Generalpächter der Steuern und erwarb rasch ein ansehnliches Vermögen. Seit 1735 versammelte er in Paris und später in seinem Schloß in Passy einen Kreis begabter Musiker und Komponisten. Er unterhielt ein Privattheater und ein berühmt gewordenes Orchester, dessen Bläsergruppe er auf Anraten von J. Stamitz 1748 um 2 Hörner und 2 Klarinetten erweiterte. Leiter des Orchesters war zunächst J. -Ph. Rameau, der in L.s Haus lebte und ihn auch in Musik unterrichtete. L. trug durch seine Konzertveranstaltungen, in denen auch Symphonien von Fr. J. Gossec und J. Stamitz dargeboten wurden, wesentlich zur Verbreitung der vor- und frühklassischen Symphonik und Kammermusik bei. Lit.: G. CUCUEL, La P. et la musique de chambre au XVIII' siècle (P 1913, Nachdr. G — NY 1971); P.-M. MASSON, L'opéra de Rameau (P 1930, Nachdr. NY 1972).
LARIGOT, vor allem im französischen Orgelbau des 17./18. Jh. gebräuchliches Orgelregister in 1'/3'-Lage und weiter Mensur. Die Metallpfeifen sind zylindrisch offen und meist im Rückpositiv disponiert. LA ROCCA, Nick (Dominick James), * 11.4.1889 New Orleans, t 22.2.1961 ebd.; amerik. Jazzmusiker (Kornett) und Bandleader. Er gründete 1915 die Original Dixieland Jazz Band (ODJB) in Chicago, mit der 1917 die ersten Schallplattenaufnahmen der Jazzgeschichte gemacht wurden. Erfolgstitel waren vor allem Tiger Rag, At the Jazz Band 59
Laroche Ball und Ostrich Walk. 1925 wurde die Band aufgelöst. 1935-36 versuchte L. ein Comeback mit neuen Schallplattenaufnahmen, hatte jedoch keinen Erfolg. Daraufhin zog er sich zurück. In Briefen bezeichnete er sich als „Schöpfer des Jazz". Lit.: H. H. LANGE, N. La R. (Wetzlar 1960) (= Jazz-Bücherei 8); H. O. BRUNN, The Story of the ODJB (Lo 1961).
LAROCHE, Hermann Augustowitsch, * 13. (25.) 5.1845 St. Petersburg, t 5. (18.) 10.1904 ebd.; russ. Musikforscher und Musikpädagoge. L. studierte 1862-66 zusammen mit P. Tschaikowsky am Konservatorium in St. Petersburg. 1867-72 und 1883 bis 1886 lehrte er Musikgeschichte am Konservatorium in Moskau und 1872-79 sowie erneut seit 1886 am Konservatorium in St. Petersburg. L. setzte sich tatkräftig für die Förderung der Musikpflege und Musikerziehung in Rußland ein. Eine gewisse Neigung zum Formalismus, die auch in der Vorrede seiner russischen Übersetzung von E. Hanslicks Vom Musikalisch-Schönen deutlich wird, brachte ihn allerdings in Widerspruch zu zeitgenössischen Strömungen innerhalb der russischen Musik, insbesondere zu den Zielen der 2'Gruppe der Fünf. L. war der Entdecker von P. Tschaikowsky. Seine Arbeiten über M. I. Glinka sind noch heute von Bedeutung. Lit.: M. TSCHAIKOWSKY, H. A. L. (Mos 1913); M. SABININA, in: Sowjetskaja Musyka (1945) Nr. 6.
LARSEN, Jens Peter, * 14.6.1902 Kopenhagen; dänischer Musikforscher. L. studierte 1921-23 Orgel bei M. Wöldike und 1924-28 Musikwissenschaft an der Universität Kopenhagen. Anschließend war er dort Assistent, seit 1939 Dozent (1945 Professor) am Musikwissenschaftlichen Institut, das er 1949-65 leitete (1971 Emeritierung). Daneben lehrte er seit 1933 Kirchenmusik am Pastoralseminar in Kopenhagen und war 1930-45 Organist der Vangede Kirke bei Kopenhagen. L. war außerdem 1954-63 Vorsitzender der dänischen Gesellschaft für Musikforschung. 1949-51 leitete er die J.Haydn-Gesamtausgabe der Haydn Society und 1955-60 das J. Haydn-Institut in Köln. 1961 war er Gastprofessor an der University of California in Berkeley. Zu seinem 70. Geburtstag wurde ihm eine Festschrift gewidmet (hrsg. v. N. Schierring, Kop 1972). Schriften: Haydn und das kleine Quartbuch, in: AMI 7 (1935); Die Haydn-Überlieferung (Kop 1939); Zu Haydns künstlerischer Entwicklung, in: FS W. Fischer (I 1956); Handel's Messiah (Kop Lo - NY 1957); Zur Bedeutung der Mannheimer Schule, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); Probleme der chronologischen Ordnung v. Haydns Sinfonien, in: FS O. E. Deutsch (Kas 1963); Sonatenform-Probleme, in: FS F. Blume (ebd.); Zur Frage der Portraitähnlichkeit der Haydn-Bildnisse, in: Studia musicologica academiae scientiarum Hungaricae 12 (1970); Epochenstil, Generationsstil, in: Händel-Jb. 17 (1971); Traditionelle Vorurteile bei
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der Betrachtung der Wiener klass. Musik, in: FS H. Federhofer (Mz 1971); Über Echtheitsprobleme in der Musik der Klassik, in: Mf 25 (1972); „Wort -Ton"-Probleme in Händela „Messias", in: Händel-Jb. 21/22 (1975/76). Er gab heraus: Drei HaydnKataloge (Fakt.) (Kop 1941, Nachdr. NY 1979).
LARSSON, Lars Erik Vüner, * 15.5.1908 Akarp; schwedischer Komponist. Er studierte 1925-29 Komposition und Orchesterleitung am Stockholmer Konservatorium und setzte seine Ausbildung in Wien (A. Berg) und Leipzig fort. Seit 1937 war er Dirigent am schwedischen Rundfunk und 1947-60 Professor für Komposition in Stockholm sowie 1961-65 Director musices an der Universität in Uppsilla. L.s frühe Werke gehören in den Umkreis der Spätromantik. Nach einer neoklassizistischen Phase (1930-35) versuchte er in den späteren Werken eine Synthese beider Stilrichtungen. L. gehört zu den wichtigsten Komponisten seiner Generation in Schweden. WW: 3 Streichquartette, 1: Miniature (1938), 2 (1944), 3: Quartetto alla Serenata (1955); 3 Symphonien (1928, 1936, 1945); Konzerte für: Saxophon (1934), Vc. (1947), V. (1948); 12 Concertini mit Streichorch. (1953-57). - Förklädd gut (1940) für Sprecher, Sopran, Bar., Chor u. Orch.; Kantate Soluret och urnan (1965) für Bar., Chor u. Orch. - Oper Prinsessan av Cypern, UA: Stockholm 1937; Ballett Linden, UA: ebd. 1958; ferner Bühnenmusik. Lit.: R. DAVIDSSON, L.-E. L., in: Muaikrevy international (1954); B. WALLNER - H. BLOMSTEDT - F. LINDBERG, L.-E. L. och hans concertinor (Sto 1957); G. PERCY, in: Musikrevy 13 (1958); A. BRANDEL, in: ebd. 14 (1959); DERS., A Mature Generation. L., Wirén, de Frumerie, von Koch, in: Musikrevy international (1960).
LA RUE, Adrian Jan Pieters, * 31. 7. 1918 Kisaran auf Sumatra (Indonesien); amerik. Musikforscher. Er studierte 1935-42 an der Princeton University in New Jersey und promovierte 1952 an der Harvard University in Cambridge (Mass.) mit einer Arbeit über The Okinawan Classical Songs. Anschließend lehrte er 1942-43 und 1946-57 am Wellesley College (Mass.), wo er seit 1949 die Musikabteilung leitete. 1957 wurde er Professor of Music an der Graduate School of Arts and Science der New York University, deren Vorstand er seit 1970 angehört, war außerdem 1953-54 Sekretär, 1963-64 Vizepräsident und 1966-68 Präsident der American Musicological Society. Als Gastprofessor wirkte er an der University of California in Los Angeles (1947) und an der University of Michigan in Ann Arbor (1963). 1974 wurde er der erste Musicologist-in-Residence am Kennedy-Center for the Performing Arts in Washington. Schriften: The Okinawan Notation System, in: JAMS 4 (1951); Harmonic Rhythm in the Beethoven Symphonies, in: MR' 18 (1957); Major and Minor Mysteries of Identification in the 18th Century Symphony, in: JAMS 13 (1960); Watermarks and Musicology, in: AMI 33 (1961); On Style Analysis, in: JMTh 6 (1962); Ten Rediscovered Sale-Catalogues: Leuckart's Supplements...,
La Rue in: Musik u. Verlag. FS K. Vötterle (Kas 1968); Fundamental Considerations in Style Analysis, in: Notes 25 (1968/69); The Ruge-Seignelay Catalogue. An Exercise in Automated Entries, in: Elektronische Datenverarbeitung in der Musik, hrsg. v. H. Heckmann (Rb 1968) (zus. mit M. Cobin); Guidelines for Style Analysis (NY 1970); Mozart or Dittersdorf — KV 84/732, in: Mozart-Jb. 1971/72.
LA RUE, Pierre de (Pierchon, Petrus de Vico bzw. de Platea, Pieter van der Straeten), * um 1460 Tournai (?), t 20.11.1518 Courtrai; franko-flämischer Komponist. Ob er ein direkter Schüler von J. Ockeghem war, wie es in der berühmten Déploradon d 'Ockeghem (vertont von Josquin des Prés) heißt, läßt sich nicht nachweisen. In jungen Jahren (1482 und 1483-85) ist er als Tenorist am Dom zu Siena, 1490 in gleicher Eigenschaft in Bois-le-Duc in der „Illustre Confrérie de Notre-Dame" bezeugt. Seit 1492 war er Mitglied der burgundischen Kapelle des späteren Kaisers Maximilian I. Später wirkte er in den Diensten von dessen Sohn Philipp dem Schönen, seit 1496 in seiner Grande Chapelle in Lille. 1501-03 nahm er mit der Kapelle, zu der u. a. auch A. Agricola und Gaspar van Weerbeke gehörten, an der Reise Philipps nach Spanien teil. Möglicherweise traf er dabei in Blois mit Josquin zusammen. Auch bei einer zweiten Spanienreise des Hofs 1506 — Philipp war seit 1504 König von Kastilien und starb auf dieser Reise — war L. in dessen Gefolge. 1507 nach den Niederlanden zurückgekehrt, trat er in die Dienste der Regentin Margarete von Österreich, der Schwester Kaiser Maximilians, die in Mecheln residierte. L. war ihr Lieblingskomponist, wurde von ihr großzügig unterstützt und schrieb zahlreiche Gelegenheits-
kompositionen zu ihren Ehren. Mehrere reich verzierte musikalische Hss. (die Chansonniers 228 und 11239 der Bibliothèque Royale Brüssel) und kostbare Chorbücher mit liturgischen Werken L.s, die sie anfertigen ließ, zeugen von dem Mäzenat Margaretes ihm gegenüber. 1514-16 gehörte er zur persönlichen Kapelle des späteren Kaisers Karl V.; die letzten Lebensjahre verbrachte er als Kanonikus in Courtrai. WW: Im Druck erschienen Misse Petri de La Rue (V 1503) (mit 5 Messen, u. a. L'homme armé). — 31 Messen, etwa 30 Motetten, 1 Lamentation, 8 Magnificat, ca. 40 Chansons, eine flämische Chanson in zahlr. Sammeldrucken 1501-94 und hsl.; 2 Chansons auch in den Lautentabulaturen v. H. Gerle (1532) und H. Formschneider (1538).
Die weite Verbreitung seiner Werke ist ein unverkennbares Zeichen für den Ruhm, den L. in der Epoche Josquins genoß, die ja reich an herausragenden Talenten war. Unter ihnen hat er als der wichtigste Vertreter eines fundamental kontrapunktischen Stils franko-flämischer Provenienz zu gelten. Dies bezeugen vor allem die 31 Messen, die
den Mittelpunkt seines Schaffens bilden, Die Mehrzahl von ihnen ist über gregorianische Cantus firmi gebaut (z. B. die Messen Alleluia, Assumpta es
Maria, Sancta Dei Genitrix, Cum jucunditate). Anderen Werken liegen weltliche Tenores zugrunde (L'homme armé, Incessament, Tous les regretz). In der Messe De beata Virgine wird in jedem Teil ein eigener gregorianischer Cantus firmus verwendet. In allen diesen Messen ist kanonische Satzweise häufig, auch die Technik des Proportions-OEKanons, bei dem jede der kanonisch geführten Stimmen eine verschiedene Mensur aufweist. Die kompositorische Meisterschaft L.s zeigt sich ferner in der Verwendung des Ostinato, wie sie unter den niederländischen Komponisten seiner Generation auch J. Obrecht besonders schätzt. Die 4st. Messe Cum jucunditate ist ganz über ein Thema von 5 Tönen komponiert, die ständig in einer der Stimmen wiederholt werden, mit Wechsel des Hexachords und rhythmisch variiert. Eine extreme Kanontechnik findet sich in der 4st. Messe O salutaris hostia. Sie ist nur in einer einzigen Stimme notiert, aus der die 3 anderen abgeleitet werden. L. ist auch einer der ersten Komponisten von Parodiemessen (Parodie), die erst seit 1540 ihre Blütezeit erlebten. Ein wichtiges Beispiel dafür und zudem für die außerordentlich seltene Kombination mit Kanontechnik ist die Messe Ave sanctissima Maria über eine vermutlich eigene 6st. Motette. Notiert ist sie für 3 Stimmen wie die Motette; die 3 anderen Stimmen werden dazu als Kanon in der Oberquarte gebildet. Auf dem Gebiet der mehrstimmigen Chanson hat L. einige der erfolgreichsten Werke seiner Zeit geschaffen. Mehr als die Hälfte der Chansons und einige seiner bedeutenden Motetten wie Vexilla Regis — Passio Domini, Doleo super te, Considera Israel sind in den beiden Brüsseler Chansonniers enthalten. Es dominieren hier Stücke mit traurigem Inhalt und Ausdruck, entsprechend der Grundstimmung am Hof in Mecheln wegen der Unglücke, von denen Margarete von Österreich betroffen wurde (Tous les regretz, Pourquoy non, Sortez regretz). Ausg.: Missa pro defunctis u. Motette Delicta Juventutis, hrsg. v. F. BLUME (1931) (= Chw 11); 7 Messen für 5 St. aus dem Ms. 15075 Brüssel, in: Liber missarum P. de la R., hrsg. v. A. TIRABASSI (Bru 1942); Missa Avesanctissima, hrsg. v. L. FEININGER (R 1950) (= Documents polyphoniae liturgicae I B/1); 3 Messen für 4 St., in: Missee P. de la R., hrsg. v. R. B. LENAERTS — J. ROBUNS (An 1960) (MMBelg 8); 4 Motetten für 4 St., hrsg. v. N. DAVISON (Wb 1964) (= Chw 91); die Lamentation in: Mehrst. Lamentationen aus der ersten Hälfte des 16. Jh., hrsg. v. G. MASSENKEIL (Mz 1965) (= Musikal. Denkmäler 6); Missa Assumpta est Maria, hrsg. v. L. Finscher (Rb 1966) (= Musica divina 18); Messe L'homme armé, hrsg. v. N. DAVISON (1972) ( = Chw 114). Lit.: W. H. RUBSAMEN, P. de la R. als Messenkomponist (Diss.
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Laruette Mn 1937); J. ROBIJNS, P. de la R. als overgangsfiguur tussen middeleeuwen en renaissance, in: RBMie 9 (1955); M. PICKER, Three Unidentified Chansons by P. de la R., in: MQ 46 (1960); W. RUBSAMEN, L., in: MGG VIII; N. DAVISON,The Motets of P. de la R., in: MQ 48 (1962); M. ROSENBERG, Symbolic and Descriptive Text Settings in the Sacred Works of P. de la R., in: MMASt (1966); M. STAEHELIN, P. de la R. in Italien, in: AfMw 27 (1970); J. E. KREIDER, The Masses for Five and Six Voices by P. de la R., 2 Bde. (1974) (= Diss. Indiana Univ.); W. H. RUBSAMEN,Unifying Techniques in Selected Masses of Josquin and La R. A. Stylistic Comparison, in: Proceedings of the Int. Josquin Festival-Conference 1971 (Lo 1976). R. B. LENAERTS
LARUETTE, Jean-Louis, * 7.3.1731 Paris, t 10.1. 1792 ebd.; frz. Sänger und Schauspieler. L. war 1752 bis 1762 Schauspieler und Sänger am Théâtre de la Foire und 1762-79 an der Comédie-Italienne. Als Komponist hatte er maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Opéra-comique, indem er mehr und mehr die Vaudevilles durch neue Arietten und gesprochene Szenen ersetzte. WW: Opéras-comiques (die meisten auch gedruckt): Le boulevard u. Le plaisir et l'innocence, UA: Paris 1753; Le diable à quatre. UA: ebd. 1756; La fausse aventuriëre, UA: ebd. 1757; Le docteur
Sangradou. L'heureuxdéguisementsowie Le médecin de l'amour, UA: ebd. 1758; Cendrillon u. L'ivrogne corrigé, UA: ebd. 1759; Le dépit généreux, UA: ebd. 1761; Le Guy de chesne ou La fête des druides, UA: ebd. 1763. Lit.: P. LETAILLEUR, J.-L. L., in: Rech. Mus. 8 (1968) bis 10 (1970).
LASALLE QUARTET, amerik. Streichquartett. Es erhielt seinen Namen nach der LaSalle Street in New York, wo 1946 die ersten Proben stattfanden. Das Ensemble debütierte 1949 im Colorado College in Colorado Springs und war dort bis 1953 als Quartet-in-Residence beheimatet. Seither ist es in gleicher Funktion am College-Conservatory of Music der Universität Cincinnati. Die Mitglieder sind Walter Levin (W6.12.1924 Berlin), 1. Violine, Henry Meyer (* 29.6.1923 Dresden), 2. Violine, Peter Kamnitzer (* 27.11.1922 Berlin), Viola, und — seit 1975 — Lee Fiser (* 26. 4.1947 Portland / Oregon), Violoncello, als Nachfolger von Jack Kirstein (* 15.2.1921 Cleveland/Ohio). Levin, Meyer, Kamnitzer und Kirstein lehren seit 1953 bzw. 1955 als Professoren in Cincinnati. Sie spielen Instrumente von N. Amati (Violinen, 1648 bzw. 1682), J. Amati (Viola, 1619) und N. Amati (Violoncello, 1670/1684). Das Quartett genießt Weltruf besonders durch seine Aufführungen zeitgenössischer Werke. Viele moderne Komponisten, darunter H. E. Apostel, G. M. Koenig, G. Ligeti, L. Nono und H. Pousseur, widmeten ihm Kompositionen. LASERNA, Blas de, getauft 4.2.1751 Corella (Navarra), t 8.8.1816 Madrid; span. Komponist. L. war seit 1776 an den Madrider Stadttheatern de la Cruz und del Príncipe tätig, für die er etwa 500 62
Tonadillas, 80 Sainetes und die Musik zu 150 Komödien schrieb. Zu den berühmtesten Werken gehört El majo y la italiana fingida. Ausg.: Solo-Tonadilla Las murmuraciones del Prado, Klv.-A. hrsg. v. J. SUBIRA (Ma 1971). Lit.: J. SUBIRA, La tonadilla escénica, 3 Bde. (Ma 1928-30); DERS., Catalogo de la sección de música de la Bibl. municipal de Madrid I: Teatro menor, tonadillas y sainetes (Ma 1965).
LASSEN, Eduard, * 13.4.1830 Kopenhagen, t 15.1.1904 Weimar; dt. Komponist dänischer Herkunft. Er studierte seit 1842 am Brüsseler Conservatoire und errang 1851 den 1. Preis im Kompositionswettbewerb des belgischen Staates. Anschließend bereiste er Deutschland und Italien und gewann in Weimar die Freundschaft Fr. Liszts, der ihn 1858 zu seinem Nachfolger als Weimarischer Hofkapellmeister bestimmte. Dieses Amt verwaltete L. bis 1895, dirigierte u. a. Wagners Meistersinger (1869) und Tristan (1874) sowie die Uraufführung von C. Saint-Saëns' Oper Samson und Dalila (1877). WW: 227 Klv.-Lieder; Ouvertüren, u. a. Beethoven-Ouvertüre (1870); ferner Bühnenmusik zu: J. W. von Goethe, Faust 1 u. 11; F. Hebbel, Nibelungen, und Sophokles, König Odipus.
L., der seine französisch geprägte musikalische Bildung nie verleugnete, konnte mit seinen 3 eigenen Opern keine bleibenden Erfolge erringen. Erhebliche lokale Bedeutung in Weimar aber gewann seine Bühnenmusik zu beiden Teilen von Goethes Faust in der Einrichtung von Otto Devrient (1876). Große internationale Erfolge hatte L. mit seinen Klavierliedern. Aus Einflüssen der französischen Romanze und der Lieder Fr. Liszts bildete er einen durchaus persönlichen Liedstil. Die eingängige, klar gegliederte Gesangslinie und die durchsichtige Klavierbegleitung waren vor allem bei sängerischen Dilettanten außerordentlich beliebt. Lit.: M. MARX -WEBER, Die Lieder E. L.s, in: Hamburger Jb. für Musikwiss. 2 (1977). M. MARX -WEBER
LASSO, Orlando di (Orlandus Lassus, Roland de Lassus, Roland de Lattre), * um 1532 Mons (Hennegau), t 14.6. 1594 München; franko-flämischer Komponist. L. war Chorknabe an St-Nicolas in Mons. Später reiste er im Gefolge des Vizekönigs von Sizilien, Ferdinand Gonzaga, durch Frankreich und Italien. 1553-54 war er Kapellmeister an S. Giovanni di Laterano in Rom. Nach einem kurzen Aufenthalt in Antwerpen (1555-56) wurde er 1556 als Tenorist an die Kapelle Herzog Alberts V. von Bayern in München berufen, wo er von 1563 bis zu seinem Tod das Amt des Kapellmeisters innehatte. Daneben unternahm er in diplomatischer und künstlerischer Mission zahlreiche Reisen nach Italien und Frankreich. Mehrmals wurde er vom Kai-
Lasso
ser nach Wien eingeladen. Durch Vermittlung des Verlegers A. le Roy unterhielt er auch enge Beziehungen zum französischen Hof, der ihm seit 1560 eine Pension auszahlte. Eine offizielle Einladung 1573 schlug L. jedoch aus, ebenso 1580 einen Ruf an die kursächsische Hofkapelle in Dresden. Viele Dokumente und Widmungen mehrerer Motetten belegen darüber hinaus freundschaftliche Beziehungen zu den Höfen in Württemberg, Baden, Steiermark, Tirol, Schlesien und Braunschweig sowie zu fürstlichen Mäzenen in Italien. Die Verbindung zur Basilika S. Giovanni in Laterano und möglicherweise auch mit G. P. da Palestrina scheint er bis zuletzt aufrechterhalten zu haben. Zu seinen Schülern gehörten L. Lechner, J. Reiner, J. Eccard und Gr. Aichinger. Der junge G. Gabrieli stand während eines mehrmonatigen Aufenthalts in München mit L. in Verbindung, war aber nicht Mitglied der Hofkapelle. L. nahm an zahlreichen Festlichkeiten des Bayerischen Hofes teil. Anläßlich der Hochzeit des Erbprinzen, des nachmaligen Herzogs Wilhelm V., mit Renate von Lothringen (1568) schrieb er mehrere Festmotetten und Madrigale. Seit 1575 zog er sich allmählich vom öffentlichen Leben zurück und widmete sich nun vorwiegend der Komposition geistlicher Musik. In Begleitung des Herzogs nahm er aber bis in das hohe Alter an den Reichstagen teil. Den Briefen seiner Frau Regina (geborene Wäckinger) zufolge starb L. an einem Schlaganfall. Von seinen Söhnen waren Ferdinand und Rudolph ebenfalls Musiker und erhielten Stellungen am Münchener Hof. Eine seiner Töchter heiratete den Maler Hans von Aachen. Die Familie erlosch um 1750. Das Epitaph von L. wird im Bayerischen Nationalmuseum in München aufbewahrt. WW: 1) Gebdkhe WW: Etwa 700 Motetten; 70 Messen, darunter 3 Requiems; 32 lat. Hymnen; Officia ... de praecipuis festis (1574); Sacrae lectiones ex Propheta Job (1565); 2 weitere Lectiones; Lamentationen; 101 Magnificat -Sätze u. 6 Nunc dimittisVertonungen; 4 Passionen (jeweils nach einem der Evangelisten; vertont sind für die Matthäus- u. Johannes-Passion Soliloquenten u. Turbac, für die anderen beiden nur die Turbae); Responsorien; Falsibordoni; ferner geistliche Madrigale. — 2) Weltliche WW: Prophetiae Sibyllarum (postum Mn 1600); etwa 110 Madrigale (bzw. verwandte Gattungen wie Moresca, Todesca, Villanesca, Canzonetta); etwa 150 Chansons; etwa 90 dt. Lieder. — Viele Werke sind auch in Tabulaturen überliefert, anteilmäßig besonders bedeutend in den Drucken von M. Neusiedler (1566), S. Kargel (1574) u. B. Schmid (1577). Zahlr. weltliche Werke L.s erscheinen ferner als geistliche Kontrafakturen in den Slgen. mit Hugenottenmusik (vor allem bei Simon Goulard). — Die Überlieferung der Werke v. L. umfaßt für die Zeit 1555-1629 mehr als 120 versch. Individualdrucke (mit z. T. mehreren Aufl. u. Nachdrucken; Ven. in RISM A/I/5) sowie viele Sammeldrucke u. Hss.
L.s früheste Werke, im Alter von 18 Jahren komponiert, waren Villanellen (Moresken u. a.), die den Einfluß kleinerer Meister wie Baseo, G. B. Fon-
tana, G. D. Del Giovane (da Nola) erkennen lassen. Wenig später zeigen ihn die 12 Gesänge (in Hexa-
metern) der Prophetiae Sibyllarum in der Auseinandersetzung mit der Chromatik. Nachdem bereits 1552 in der Gitarrentabulatur von G. Morlaye eine Paduane. Chant d'Orlande erschienen war, beginnt 1555 die große Reihe von Veröffentlichungen mit Werken Lassos. Die erste bedeutende Sammlung ist der Primo libro de mottetti (An 1556), dem 1562 ein 2. Buch (in Nürnberg gedruckt) mit Evangelienmotetten folgt. Hier setzt L. die Textausdeutung wie auch die Ostinatotechnik fort (vgl. etwa die Sexta vox von Fremuit spiritus), die Clemens non Papa zu großer Vollendung gebracht hatte. Den mit diesen beiden Motettenbüchern begründeten Ruhm L.s als unvergleichlicher Meister der Motette bezeugten und festigten bis zum Ende seines Lebens zahlreiche weitere Drucke. L.s Motetten sind in der Regel 4-6stimmig. In den Jahren der Reife wandte er sich auch der doppelchörigen Psalmkomposition nach der Art A. Willaerts zu, im Alter auch der 2-3st. Satzweise (z. B. in den 2st. Novae ... suavissimae cantiones, Mn 1577, u. in den 3sť. Teutschen Psalmen, Mn 1588). In gleicher Meisterschaft wie geistliche Werke schrieb L. Madrigale, Chansons und deutsche Lieder und gehört damit zu den bedeutendsten Vertretern dieser Gattungen unmittelbar vor dem Aufkommen der Monodie. Hier wie in den Motetten beruht die herausragende Leistung L.s auf der Bildung von prägnanten melodischen Motiven und auf der differenzierten Ausdeutung von Sinn und Affekt des Textes. Dieser Aspekt seiner Kunst stand stets im Mittelpunkt des ihm bezeugten Interesses. Es waren denn auch seine Psalmi poenitentiales, von einem Zeitgenossen des Komponisten, Samuel Quickelberg, als 2'Musica reservata klassifiziert, die um 1830 die Wiederentdeckung des L.schen (Euvres markierten. Auf dem Gebiet der Messe hat L. nicht die Bedeutung von Palestrina, der viel strenger den der Melodik innewohnenden musikalischen Gesetzen folgt. Das gleiche gilt für die Magnificatkompositionen, in denen L. wie in den Messen oft eigene oder fremde ein- und mehrstimmige Vorlagen verarbeitet (Chansons, Madrigale, Motetten). Seit 1567, in den deutschen Liedern und in den anderen Werken, gibt L. die archaisierende Cantus firmus-Technik mehr und mehr auf. Nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen erscheint noch die strenge Behandlung eines liturgischen oder freien TenorCantus firmus (z. B. Teutsche Psalmen von 1588; Lauda Sion, in: Neue GA 1). Zahlreiche Werke der letzten Lebensjahre L.s (Hymnen u. a. liturgische Gesänge) wurden nicht mehr von ihm zum Druck gebracht. So konnte er etwa von den 4 Passionen, 63
Lasso die er komponierte, nur den Druck der MatthäusPassion selbst besorgen. Die wichtigste postume Ausgabe (mit vielen hsl. hinterlassenen Motetten) ist das von L.s Söhnen Ferdinand und Rudolph herausgegebene Magnum opus musicum (Mn 1604). Ausg.: Sämtliche Werke, hrsg. v. F. X. HABERL — A. SANDBERGER (L 1894ff.), unvollständig, 21 Bde. (lnhaltsverz. in Groves), enthält in den ungeradzahligen Bden das Magnum opus musicum, in den geradzahligen Madrigale, Chansons u. dt. Lieder. Fortsetzung als Sämtliche Werke, Neue Reihe, hrsg. v. der Académie Royale de Belgique u. der Bayerischen Akad. der Wiss. (Kas 1956ff.), bisher erschienen: 1: Motetten, Chansons und Madrigale aus wiedergefundenen Drucken 1559-88, hrsg. v. W. BOETTICHER; 2. Die vier Passionen, hrsg. v. K. VON FISCHER; 3-12: Sämtliche Messen (mit den parodierten Vorlagen), hrsg. v. S. HERMELINK; 18: Das Hymnarium aus dem Jahre 1580/81, hrsg. v. M. L. GÖLLNER. — Sacrae lectiones novem ex propheta Hiob. Die Klagen des Hiob, hrsg. v. H. J. THERSTAPPEN (L o. J.); Lagrime di S. Pietro, hrsg. v. DEMS. (Wb 1935-36) (= Chw 34, 37 u. 41); Prophetiae Sibyllarum, hrsg. v. DEMS. (Wb 1937) (= ebd. 48); O. u. R. de L., Teutsche Psalmen mit 3 St., hrsg. v. W. LIPPHARDT (Kas 1952). — Ferner zahlr. praktische Ausgaben. 1) Vera. der Werke, Drucke u.Tabulaturen: R. EITNER, Chronologisches Verz. der gedruckten Werke v. H. L. von Hassler u. O. de L., in: MfM 5 (1873) u. 6 (1874) (Beilage); E. SCHMIDT. O. di L.s Werke in den Orgeltabulaturen v. B. Schmidt dem Älteren u. E. N. Ammerbach (Diss. Gö 1924); W. BOETTICHER, Neue L.-Funde, in: Mf 8 (1955); DERS., Les oeuvres de R. de L. mises en tabulature de luth, in: Le luth et sa musique, hrsg. v. J. Jacquot (P 1958). — 2) Biographien u. Veröff. von Briefen u.a. Dokumenten: 52 Briefe bei A. SANDBERGER, Beitr. z. Gesch. der bayerischen Hofkapelle unter O. di L. 1 (L 1894) u. 3 (L 1895); E. SCHMITZ, O. di L. (L 1915, 2 1954); E. CLOSSON, R. de L. (Turnhout 1919); R. CASIMIRI, O. di L., maestro di capella al Laterano nel 1553 (R 1920); CH. VAN DEN BORREN, O. de L. (P 1920, 3 1930); A. SANDBERGER, O. di L. und die geistigen Strömungen seiner Zeit (Mn 1926); CH. VAN DEN BORREN, R. de L. (Bru 1943); F. LESURE, Les premiers rapports de R. de L. avec la France, in: RBMie 3 (1949); W. BOETTICHER, O. di L. und seine Zeit 1532-1594, I: Monographie (Kas 1958); W. BOETTICHER, Dokumente und Briefe um O. di L., in: Archivalische Stud. (Kas 1960); DERS., Aus O. di L.s Wirkungskreis. Neue archivalische Stud. z. Münchener Musikgesch. (Kas 1963); DERS., New L. Studies, in: Aspects of Medieval and Renaissance Music. FS G. Reese (NY 1966); DERS., Weitere Beitr. z. L.-Forsch., in: Renaissancemuziek 1400-1600. FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); H. LEUCHTMANN, O. di L. u. die bayerische Hofkapelle, in: Musik in Bayern 1 (Tutzing 1972); DERS., O. di L., 2 Bde., 1: Sein Leben, 2: Briefe (Wie 1976, 1977). — 3) Zu einzelnen Werken u. Werkgruppen: CH. VAN DEN BORREN, Une messe -canzonetta et un magnificat-chanson d'O. di L., in: RMI 34 (1927); L. BEHR, Die dt. Gesänge O. di L.s (Diss. Wü 1935); E. LOWINSKY, Das Antwerpener Motettenbuch O. di L.s u. seine Beziehungen zum Motettenschaffen der ndl. Zeitgenossen, in: TVer 14-15 (1937), separat (Den Haag 1937); L. BALMER, O. di L.s Motetten (Be 1938) ( = Berner Veröff. z. Musikforsch. 11); H. OSTHOFF, Die Niederländer und das dt. Lied (B 1938, Nachdr. Tutzing 1967); J. HUSCHKE, O. di L.s Messen, in: AfMf 5 (1940); E. PAUL, Das Nürnberger Motettenbuch O. di L.s v. Jahre 1562 (Diss. B 1948); R. D. WILDER, The Masses of O. di L., With Emphasis on His Parody-Technique, 2 Bde. (1952) (= Diss. Harvard Univ./Mass.); H. OSTHOFF, Vergils Aeneis in der Musik v. Josquin des Prez bis O. di L., in: AfMw 11 (1954); W. BOETTICHER, Eine Frühfassung doppelchöriger Motetten O. di L.s, in: AfMw 12 (1955); B. MEIER, Alter u. neuer Stil in lat. textierten
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Werken v. O. di L., in: AfMw 15 (1958); W. BOETTICHER, Zum Parodieproblem bei O. di L., in: Kgr.-Ber. New York 1961; B. MEIER, Wortausdeutung und Tonalität bei O. di L., in: KmJb 47 (1963); H. LEUCHTMANN, Die musikal. Wortausdeutungen in den Motetten des Magnum opus musicum v. O. di L. (Str 1959, Nachdr. Baden-Baden 1972) (= Sig. musikwiss. Abh.en 38); J. ROTH, Zum Litaneischaffen G. P. da Palestrinas u. O. di L.s, in: KmJb 44 (1960); S. HERMELINK, Die Gegenquintsprungkadenz, ein Ausdrucksmittel der Satzkunst L.s, in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); M. RUHNKE, L.s Chromatik und die Orgelstimmung, in: FS W. Boetticher (B 1974); H. KUMMERLING, Das tEuvre O. di L.s als Sammelobjekt v. Dehn u. Commer in Berlin, in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980); H. LEUCHTMANN, Dt. Lieder L.s in einer verloren geglaubten Regensburger Hs., in: Musik in Bayern 11 (1975); H. -W. GROSS, Klangliche Struktur u. Klangverhältnis in Messen u. lat. Motetten O. di L.s (Tutzing 1977) (= Frankfurter Beitr. z. Musikwiss.); P. BERGQUIST, The Poems of O. di L.'s Prophetiae Sibyllarum and Their Sources, in: JAMS 32 (1979); M. VAN DAALEN, Der Utrechter Lasso-Codex aus der Bayerischen Hofkapelle in München, in: TVer 30 (1980). W. BOETTICHER
LASSUS, Orlandus (Roland de), /Lasso. LAST, James (Hans), * 17.4.1929 Bremen; dt. Bandleader, Komponist und Arrangeur. Nach dem Besuch der Heeresmusikschule in Bückeburg spielte er 1946-56 als Kontrabassist in mehreren Tanzorchestern (Radio Bremen, Last/Becker-Ensemble, NWDR). 1956 schrieb er erste Arrangements für den Funk und für bekannte Stars, darunter Caterina Valente, Freddy Quinn und Helmut Zacharias. Seit 1969 unternimmt er mit eigenen Tanzorchestern regelmäßig Tourneen in alle Welt. Durch seinen „Happy Party Sound" und Bearbeitungen klassischer Melodien wurde L. in den 70er Jahren der in seiner Art populärste deutsche Bandleader. Seine Plattenserien A gogo und Non Stop Dancingerzielten Rekordumsätze. Bis 1981 erhielt er 150 „Goldene Schallplatten". WW: Zahlr. Songs, u. a. Fool, Games That Lovers Play, Lingering on, When The Snow Is On The Roses; Filmmusiken, u.a. Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung, Wenn siiB das Mondlicht auf den Hügeln schläft. Lit.: H. J. FEU RICH, J. L.'s Bearbeitung des 2. Satzes v. Beethovens „Pathétique' (Op. 13), in: Musik und Bildung 5 (1973).
LATEINAMERIKANISCHE TÄNZE /Turniertänze. LATIN ROCK (engl.), Bz. für die Kombination von r Rock music und lateinamerik. Rhythmen. LATTUADA, Felice, *5. 2. 1882 Caselle di Morimondo (Prov. Mailand), t 2. 11. 1962 Mailand; it. Komponist. L. war bis 1912 Schüler von V. Ferroni am Konservatorium in Mailand, wo er seit 1935 bis zu seinem Tod die Civica scuola di musica leitete. Er schrieb u. a. mehrere Opern im Stil des Verismo. Seine Autobiographie erschien unter dem Titel La Passione dominante (Bol 1951). WW: La consacrazione del Bardo (1931) u. Impressioni sinfoniche
Lauda (1954) für Orch. - Il mistero della passione di Cristo u. Canto augurale perla nazione eletta (1933) für Tenor, Chor u. Orch. Opern: La tempesta, UA: Mailand 1922; Sandha, UA: Genua 1924; Le preziose ridicole, UA: Mailand 1929; Don Giovanni, UA: Neapel 1929; La caverna di Salamanca, UA: Genua 1938; Caino, UA: Mailand 1957.
LAUBENTHAL, Horst Rüdiger (eig. Horst Neumann), * 8.3.1939 Eisfeld (Thüringen); dt. Sänger (Tenor). L. studierte 1962-65 an der Musikhochschule in München und 1959-67 privat bei Rudolf Laubenthal (1886-1971), der ihn adoptierte. 1967 debütierte er beim Mozartfest in Würzburg in der Rolle des Don Ottavio (in W. A. Mozarts Don Giovanni) und erhielt 1968 ein Engagement an der Stuttgarter Staatsoper. Seit 1970 singt er als Gast bei den Bayreuther Festspielen, seit 1972 auch bei den Salzburger Oster- und Sommerfestpielen sowie an der Wiener Staatsoper. 1973 wurde er 1. lyrischer Tenor an der Deutschen Oper Berlin. L., der auch ein gesuchter Konzertsänger ist, ist mit der Sopranistin Marga Schiml verheiratet. LAUBER, Anton Joseph, * 27. 12. 1864 Ruswil, t 28.5. 1952 Genf; Schweizer Komponist. L. war Schüler von Fr. Hegar in Zürich, von J. Rheinberger in München und von J. Massenet sowie L. Diémer in Paris. Er lebte in Neuchâtel und Zürich, kam 1901 als Kapellmeister an das Grand Théâtre in Genf und wurde 1907 Lehrer für Komposition und Instrumentation am dortigen Konservatorium. Fr. Martin war sein Schüler. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, darunter Klv.-Quartett, 2 Klv.-Quintette u. 2 Klv.-Sextette; 4 V.-Sonaten; je ein Bläserquartett u. -quintett. - Für Orch.: 6 Symphonien; 5 Orch.-Suiten; symphonische Dichtungen; Ouvertüren; 2 KIv.- u. 2 V.-Konzerte; ferner eine Festspielmusik Neuchâtel Suisse (1898). - Lieder u. Chöre; Sappho (1893) für Sopran, Frauenchor u. Orch.; Sempach (1904) für Sopran u. Orch.; die Oratorien Ad Gloriam Dei (1905) u. Le drame de Saul de Tarse (1951). - Oper Die Hexe. - Schrift Quelques considerations sur la voix chantée (Neuchâtel 1894).
LAUDA (it., = Lobgesang; Plur.: Laude), eine religiöse, nichtliturgische, literarische und musikalische Gattung volkstümlichen Charakters in italienischer oder (seltener) lateinischer Sprache des 13.-16. Jh. (mit Nachklängen vom 17. bis ins 20. Jahrhundert). Sie wurde vor allem von den Bruderschaften der Laudesi (Compagnie de' laudesi) in den Kirchen im Anschluß meist an die Non des Sonnabends, die Vesper oder die Komplet, in Versammlungen und auf der Straße einstimmig und spätestens seit dem Ende des 14. Jh. mehrstimmig gepflegt. Verbreitet war die L. vor allem in Umbrien, in der Toscana und in Norditalien. Sie geht auf den Sonnengesang (Cantico delle Creature = Laudes creaturarum = Lobgesang der Schöpfung) des hl. Franz von Assisi (um 1225) zurück und fand seit dem 12./13. Jh. vermehrte Pflege, als offenbar
zwischen der institutionalisiert-hierarchischen Kirche und der volkstümlichen Religiosität Spannungen entstanden waren und das Volk einen Ausdruck seiner Religiosität außerhalb der Kirche suchte. 1260 entstand in Perugia die Bewegung der Geißler (flagellanti; disciplinati; battuti), die in öffentlichen Prozessionen sich selbst geißelten und Laude sangen (řGeißlerlieder). Sie schlossen sich zu dauerhaften Ordensgemeinschaften zusammen und pflegten in diesen ein eigenständiges L.-Repertoire zu Ehren der Heiligen und der Mutter Gottes. Der bedeutendste Dichter dieser Frühzeit der L. ist Jacopone da Todi. In der Geschichte der L. wurden die religiösen Dichtungen oft berühmten oder bekannten Volksliedern oder Tanzmelodien unterlegt. Es finden sich aber auch Beispiele dafür, daß auf bekannte Laudenmelodien weltliche Texte gedichtet wurden. Die L. des 13. bis 14. Jh. ähnelt formal der 7Ballata des Trecento. Die Vertonung ist in der Regel einstimmig und wird in den Strophen z. T. solistisch, im Refrain meist chorisch vorgetragen und mit wenigen Ausnahmen immer der Versphrase angeglichen. Die Melodiestruktur deutet in vielen Fällen ein tonales Empfinden an, das vom Gregorianischen Gesang erheblich abweicht. Die L. des 15. und 16. Jh. ist meist 4stimmig im einfachen Satz Note gegen Note akkordisch-homophon komponiert und in ihrer Form der 7Frottola ähnlich. Die Melodie liegt fast immer in der Oberstimme. Als bedeutendster Komponist der 2. Hälfte des 16. Jh. ist vor allem G. Animuccia zu nennen, dessen Laudi im Werk G. P. da Palestrinas, vor allem aber in verschiedenen Sammlungen des Oratorienkreises um F. Neri rezipiert wurden. Neri maß dem L.-Gesang große Bedeutung bei, insbesondere der dialogischen Form, die als eine der Wurzeln des römischen Oratoriums betrachtet werden muß. — Im 16. Jh. besaß fast jede größere italienische Stadt eigene Laudesi-Bruderschaften, die die Dichtungen z. B. von Poliziano, Bembo, Martelli und Giambellari sangen. Seit 1598 förderten die Jesuiten den Gesang der L., ihre Bedeutung ging jedoch allmählich zurück. Die letzte systematisch geordnete Ausgabe einstimmiger Laude wurde 1710 durch Matteo Coferati veröffentlicht. Die L. lebt bis heute weiter, zehrt aber in überwiegendem MaBe von weltlichen Melodievorlagen für ihre geistlichen Texte. Quellen: An Laude sind nachgewiesen: 135 lst. it. in 2 Hss. des 13. u. 14. Jh., Florenz, Bibl. nazionale, Magl. II. I. 122; Cortona, Bibl. Comunale, Cod. 91; 1st. lat. in 1 Hs. des frühen 14. Jh., Turin, Bibl. nazionale, Bobbio F. I. 4.; 92 1- u. mehrst. it. u. lat. in 9 Hss. des 15. Jh., Bologna, UB, Ms. 2216; ebenda, Liceo mus. Q 15; London, BrM, Add. 29987; Rom, Vat. Urb. lat. 1419; Venedig, Marciana, Mss. Ital. CI.IX, 145; Pavia, Univ. Bibl., Aldini 361; Brescia, Privatbibl. Passi; Udine, Bibl. Comunale, Ms.
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Lauda Sion 165; Paris, Bib!. Nat. f. ital. 2104). Aus dem 16. Jh. sind zu nennen: ein Laudendruck von Petrucci (RISM 1508 3), dann — auBer den gedruckten Laude von Animuccia — eine Slg. (1- bis 4st.) von S. RAZZI (RISM 15636), eine Slg. für die römischen Oratorianer (3- bis 4st.) (RISM 1583 3 '4) sowie eine weitere Slg. von Razzi (1- bis 4st.) (RISM 1609'). Hss. mit mehrst., vorwiegend weltlichen Laude befinden sich in Florenz, Paris, Modena, Bologna, Monte Cassino, Perugia. Wichtige Hss. aus dem späten 16. Jh., entstanden zw. 1586 u. 1594, stammen von dem genannten Razzi. Die ersten 3 Bücher enthalten nur Laudendichtungen von Razzi selbst, während Buch 4 eine Auswahl von Texten der Laude in der Ausg. Florenz 1563, also keine Melodien, beinhaltet. Laude aus dem Ende des 16. Jh. überliefern ferner einige Hss. der Bibl. Vallicelliana zu Rom sowie eine Slg. des Dommuseums zu Florenz. Ausg.: K. JEPPESEN — V. BRONDAL, Die mehrst. it. Laude um 1500 (L— Kop 1935); F. LIUZZI, La 1. e i primordi della melodia italiana, 2 Bde. (R 1935); G. VARANINI, Laude ducentesche (Padua 1972). Lit.: D. ALALEONA, Le laude spirituali italiani nei secoli XVI e XVII e il loro rapporto coi canti profani, in: RMI 16 (1909); K. JEPPESEN, Die mehrst. it. Laude des 16. Jh., in: Kgr.-Ber. Lüttich 1930; F. GHISI, Strambotti e Laude nel Travestimento spirituale della Poesia Musicale del Quattrocento, in: Collectanea Historiae Musicae 1 (1953); K. JEPPESEN, L., in: MGG VIII; F. GHISI, Gli aspetti musicali della 1. fra il XIV e il XV secolo, prima metà, in: Natalicia musicologica. FS K. Jeppesen (Kop 1962); S. W. KENNY, In Praise of the L., in: Aspects of Medieval and Renaissance Music. FS G. Reese (NY 1966); F. GHISI, Di una 1. nel codice pavese Aldini, in: Essays in Musicology. FS D. Plamenac (Pittsburgh 1969); H. E. SMrrHER, Narrative and dramatic elements in the Laude Filippine, 1563-1600, in: AMI 41 (1969); A. ZIINO, Frammenti di laudi nell'Archivio di Stato di Lucca, in: Cultura Neolatina 31 (1971); DERS., Adattamenti musicali e tradizione manoscritta nel repertorio laudistico del duecento, in: FS L. Ronga (Mi 1973); B. R. SUCHLA, Stud. z. Provenienz der Trecento-Ballata (Kas 1976) (= Göttinger musikwiss. Arbeiten 6); C. TERNI, Dalla 1. al madrigale spirituale. Una precisazione, in: Studi medievali 17 (1976). B. R. SUCHLA
LAUDA SION (SALVATOREM) (lat., = Lobe, Zion, deinen Heiland), die Anfangsworte der Sequenz in der Messe von Fronleichnam (1264 als Feiertag in die römische Kirche eingeführt). Verfaßt von Thomas von Aquin um 1263 im Auftrag des Papstes Urban IV., zählt das L. S. zu den 7Sequenzen, die nach der Neuordnung der römischkatholischen Liturgie im Missale Romanuni von 1570 verblieben. Das erneuerte MeBbuch von 1970 schreibt diese nicht mehr verpflichtend vor. Nach der neuen Leseordnung soll L. S. an Fronleichnam vor dem Alleluia-Ruf gesungen werden. Metrischer Aufbau (12 in Vers- und Silbenzahl unregelmäßige Doppelstrophen vorwiegend in trochäischem VersmaB) und — den Geist der Scholastik widerspiegelnder — Gedankengang des Textes weisen auf das Vorbild der Kreuzsequenz Laudes crucis attollamus des Adam von St-Victor (12. Jh.); bei diesem ist auch die chorale Melodie des L. S. nachweisbar, die besonders für die jüngere Sequenz charakteristisch ist: große Form, 7. bzw. 8. Kirchenton als bevorzugter Tonraum, erweiterter Ambitus (Duodezime), Reihung von formelhaften Me66
lodiezeilen, stereotype Klauseln. Das Anfangsmotiv e—g—a—g—ct—h—a—g geht wohl zurück auf den 2. Alleluia -Vers der Messe vom Fest der Auffindung des Hl. Kreuzes (Dulce lignum). — Das L. S. wirkte am Ausgang des Mittelalters stark auf das volkssprachliche Kirchenlied in Deutschland ein. Neben Übersetzungen des Mönchs von Salzburg (Lob, o Sion, deinen hailer) wurden auch eucharistische Gesänge von Bedeutung, die häufig in die vom Chor gesungene lateinische Sequenz eingefügt wurden (z. B. Gott sei gelobet und gebenedeiet) und dem Volk erlaubten, in die Liturgie einzustimmen. Auch in protestantische Gesangbücher fand L. S. — z. T. mit lateinischen und deutschen Textumarbeitungen — Eingang. — In den mehrstimmigen Vertonungen des L.S. seit dem 15. Jh. spiegeln sich in Form und Ausdruck die jeweilige eucharistische Glaubens- und Frömmigkeitsgeschichte und liturgische Praxis. Häufig wird dabei die chorale Melodie verwendet. Zu den Komponisten zählen G. Dufay, G. P. da Palestrina, O. di Lasso, D. Buxtehude, J. A. Hasse, M. Haydn, F. Mendelssohn Bartholdy. In Frankreich wurden seit dem 17. Jh. gelegentlich 7Élévations-Motetten mit dem L. S.-Text geschrieben. Melodie-Zitate finden sich oft in liturgischen und außerliturgischen Orgelwerken (auch neuerer Zeit). P. Hindemith verarbeitet den Anfang des L. S. im 6. Bild der Oper Mathis der Maler bzw. im Schlußsatz der gleichnamigen Symphonie. Lit.: D. JOHNER, Zur Melodie der Fronleichnamssequenz, in: Benediktinische Monatsschrift 21 (1939); J. A. JUNGMANN, Missarum sollemnia, 2 Bde. (1948, W — Fr — Bas .1962). W. BRETSCHNEIDER
LAUDES (lat., = Lobgesänge; auch L. matutinae oder matutinales), Bz. für das Morgengebet, eine der "Horen der katholischen Kirche. Diese eröffnen heute im Anschluß an die 7Matutin den Ablauf der Horen, die aus Psalmodie, Lesung und Gebet bestehen. Sie dienten beim Anbruch der Morgenröte dem Lob Gottes als des Schöpfers des Lichts (daher auch ursprünglich laus, solemnitas oder agenda matutina genannt) und wurden bereits im frühen Christentum gepflegt (Tertullian, um 200 n. Chr.). Die L. des Säkularbreviers waren seit der Reform des Breviers durch Pius X. formal folgendermaßen aufgebaut: Auf die Einleitung folgten Pss 92, 99, 62 (bzw. 50, 117, 62) mit Antiphonen, danach das alttestamentliche ACanticum (Lobgesang der 3 Jünglinge: Dan 3, 57-58 und 56 bzw. Dan 3, 52-57) mit Antiphon sowie Ps 148 mit Antiphon. Dann fand eine kurze Lesung (Offb 7,12) statt, Capitulum genannt. Schließlich wurde der Hymnus, das liturgische Strophenlied, gesungen. Nach einem überleitenden Versikel ertönte der Höhepunkt der L., das Benedictus Dominus Deus
Launéddas Israel (Lk 1, 68-79), das Canticum Zachariae, nebst Antiphon. Mit der Kollekte, der Oration, der teilweise Preces vorausgingen, dem Grußwechsel und dem Benedicamus Domino wurden die L. beendet. Der Aufbau der L. des monastischen ?Offiziums unterschied sich von dem des säkularen vor allem dadurch, daß statt 4 in der Regel 6 oder 7 Psalmen gesungen wurden, wobei die Pss 148-150 immer eingeschlossen waren. Im Rahmen des 2. Vatikanischen Konzils wurde eine weitere Reform des römischen Breviers beschlossen (Constitutio de sacra liturgia, 1963), die eine tiefgreifende Neuordnung und Neugestaltung des Offiziums zur Folge hatte. Ihre Ergebnisse sind in der Institutio generalis de liturgia horarum (1971) und in der Liturgia horarum iuxta ritum romanum (1972) niedergelegt. Die L. des neuen Breviers beginnen mit einem Einleitungsvers und dem "Invitatoriums-Ps 94 (bzw. 95). Danach wird der Hymnus gesungen. Es folgen ein Morgenpsalm, ein alttestamentliches Canticum und ein Lobpsalm (Ps 148, 149 oder 150). Nach einer Kurzlesung folgen das Responsorium, das Benedictus Dominus und die Bitten. Die L. klingen aus mit dem Vaterunser, der Oration und dem Schlußsegen. Lit.: S. BÄUMER, Gesch. des Breviers (Fr 1895); H. LECLERCS, L., in: Dictionnaire d'Archčologie Chrétienne et de Liturgie VIII (P 1929); L. EISENHOFER, Hdb. der kath. Liturgie II (Fr 1933, 2 1942); B. STÁBLEIN, L., in: MGG VIII; P. RADO, Enchiridion Liturgicum I (R 1961). B. R. SUCHLA
LAUDES REGIAE (lat.), eine mittelalterliche Sonderform der /Akklamation, die Huldigungs(auf Christus), Bitt- (an Heilige) und Heilrufe (auf geistliche und weltliche Würdenträger) einschließt. Die L. r. sind wohl karolingischen Ursprungs, haben jedoch sicherlich ältere fränkische und christlichrömische Vorbilder. Anläßlich Bischofsweihen, Kaiser- und Papstkrönungen erklangen sie im Pontifikalamt meist nach dem Evangelium oder nach der Schlußoration (in der Papstkrönungsmesse sind sie heute noch üblich). Die Melodien der L. r. sind altgallikanischen Ursprungs und lehnen sich in der musikalischen Gestaltung und im Aufbau an die ..'Litanei an. Die im Wechselgesang (2 Chorgruppen oder Vorsänger und Schola) vorgetragenen L. r. gliedern sich auf in das einleitende Trikolon (Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat), die Invokationen (Exaudi, Christe), die Herrscher-Akklamationen und schließen mit der 3fachen Doxologie ab. — Bestrebungen des ausgehenden 19. Jh., die L. r. wieder zu beleben, führten schließlich nach 1900 zu Neubearbeitungen für den modernen kirchlichen Gebrauch. Der Eröffnungsteil einer heute in Italien und Frankreich beliebten Form wurde Pausenzeichen des Vatikansenders.
Lit.: E. H. KANTOROWICZ, L. A Study in Liturgical Acclamations and Medieval Ruler Workship (Berkeley/Calif. 1946) (mit Anhang 1: M. Bukofzer, The Music of the L.); M. PFAFF, Die L.-Akklamation des MA, in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr—Kö 1958); H. HUCKE, Eine unbekannte Melodie zu den L., in: KmJb 42 (1958); H. GOLTZEN, Acclamatio anamneso, in: JbLH 19 (1975).
LAUFENBERG (Loufenberg), Heinrich, * um 1390 wahrscheinlich Laufenburg am Oberrhein, t 31.3.1460 Straßburg; Schweizer Theologe, Dichter und Musiker. Möglicherweise war L. 1417 Student an der Universität Heidelberg, ist mit Sicherheit aber seit 1429 als Kaplan, später als Dekan in Freiburg im Breisgau, vorübergehend zugleich auch als Dekan in Zofingen (Schweiz) nachweisbar. 1445 zog er sich in das Johanniterkloster in Straßburg zurück. L. übersetzte Hymnen und Sequenzen ins Deutsche, verfaßte Gedichte mit religiöser Thematik, dichtete geistliche Liedtexte als Kontrafakturen zu Volksliedmelodien und sammelte alemannische Volkslieder mit ihren Melodien. Als Dichtermusiker erhielt er Anregungen von der Volksmusik und vom Meistersang, vermutlich auch von der frz. Musik. Fast alle Hss. wurden 1870 beim Brand der Straßburger Stadtbibliothek vernichtit. Ausg.: Das dt. Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jh. II, hrsg. v. PH. WACKERNAGEL (L 1867, Nachdr. Hil 1964) (nur Texte); 6 dt. Lieder des MA v. Walther von der Vogelweide bis z. Lochamer Liederbuch, hrsg. v. H. MOSER — J. MULLER-BLATTAU (St 1968). Lit.: L. BOLL, H. Loufenburg, ein Liederdichter des 15. Jh. (Düsseldorf 1934); W. SALMEN, L., in: MGG IX. J. HUNKEMOLLER
LAUNÉDDAS, ein heute nur in Sardinien bekanntes Blasinstrument unbekannter Herkunft (aus Spanien ist eine Darstellung aus dem 13. Jh. in den Miniaturen zu den Cantigas de Santa Maria Alfons' X. überliefert), bestehend aus unterschiedlich langen Schilfrohren mit aufschlagenden, direkt in den Mund genommenen Zungen. Das Bordunrohr (ohne Grifflöcher) und die mittlere Pfeife sind miteinander verbunden, während die eigentliche Melodiepfeife lose in den Mund genommen wird. Die beiden Grifflochpfeifen haben vier rechteckige Grifflöcher und je ein fünftes Luftloch. Musiziert wird vorwiegend in Terzen und Sexten über einem Bordunton. Die Zungen werden durch Aufdrücken von Wachsklumpen gestimmt. Das Instrument, heute noch in verschiedenen Größen und Stimmungen gefertigt, wird im sog. Windkapselansatz geblasen, und zwar bis in die Gegenwart zum Tanz und bei kirchlichen Festen und Prozessionen. Lit.: F. KARLINGER, „L.". Skizze eines Kultinstr., in: MS 78 (Kö 1958); H. OESCH, Die L., ein seltenes sardinisches Musikinstr., in: Jb. für musikal. Volks- u. Völkerkunde 4 (1968); F. W. BENTZON, The L. A Sardinian Folk Music Instr., 2 Bde. (Kop 1969) (= Acta Ethnomusicologica Danica 1).
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Laurencie LAURENCIE, Lionel de la, OELa Laurencie. LAURENTI. - 1) Bartolomeo Girolamo, * um 1644 Bologna, t 18.1.1726 ebd.; it. Komponist und Violinist. L. war Violinist an mehreren Kirchen Bolognas, u. a. an S. Lucia und S. Petronio, und bereiste als Virtuose italienische Städte. 1666 gehörte er zu den Gründern der Accademia filarmonica. Er veröffentlichte Suonate da camera a violino e violoncello (Bol 1691) und Sei concerti a 3 (Bol 1720). - 2) Girolamo Nicolò, Sohn von 1), * Bologna, t 26.12. 1751; it. Komponist und Violinist. Er wurde 1706 Nachfolger seines Vaters und 1734 Konzertmeister an S. Petronio. Im Druck erschienen 6 Concerti a 3 violini, viola, violoncello ed organo (A o. J.); hsl. sind in Venedig 25 Ricercari und eine Sonate für Violine solo erhalten. LAURENTIUS DE FLORENTIA (L. Massi, L. Masini, Lorenzo da Firenze, Ser Lorenzo), t vor 1385; it. Komponist. L. war ein Zeitgenosse der Komponisten Gherardello de Florentia und Donato de Florentia und wirkte vermutlich zwischen 1350 und 1380 in Florenz. Während die ältesten Trecento-Komponisten, Giovanni da Caccia, Piero, Vincenzo da Rimini, Johannes und Jacobus de Bononia, offenbar keine Ballate komponiert haben, von Gherardello de Florentia und L. zwar lst., indessen keine mehrstimmigen Ballate erhalten sind, Nicolaus de Perugia aber bereits 20 2st. Ballate komponiert hat, sind von Fr. Landino bereits 92 2st. und 49 3st. Ballate überliefert. Somit gehört L. der Übergangsgeneration zwischen den ältesten Trecento-Komponisten und Landino an. Seine Werke sind vorwiegend in Quellen Florentiner Provenienz überliefert. L. vertonte u. a. Texte von Giovanni Boccaccio, Niccolò Soldanieri, Franco Sacchetti und Gregorio Calonista. Auffallend ist die häufige Verwendung von Quarten-, Quinten- und Oktavparallelen in seinen mehrstimmigen Kompositionen, deren Oberstimmen durch ausgedehnte Melismatik ausgezeichnet sind. Oft finden sich Imitationen zwischen den Stimmen - vor allem im Mittelteil der Verse -, Stimmkreuzungen, schnelle Deklamation des Textes, wiederkehrende rhythmische und melodische Figuren, chromatische Wendungen und ausgeprägte Rhythmik. WW (Hauptquellen siehe Verz. bei Fr. Landino): 1 Sanctus für 2 St.; 9 Madrigale für 2 St.; 1 Madrigal für 2 u. 3 St.; 1 Caccia für 3 St.; 5 Ballate u. 1 Antefana für 1 St. Ausg.: GA, in: the Music of Fourteenth-Century Italy, hrsg. v. N. PIRROTTA (R 1962) (= CMM 8/3). Lit.: E. LIGO'I-rI-N. PIRROTTA, Il Sacchetti e la tecnica musicale del Trecento it. (Fi 1935); K. VON FISCHER, Stud. z. it. Musik des Trecento u. frühen Quattrocento (Be 1956) (= Publikationen der Schweizerischen Musikforsch. Ges. 1I/5); N. PIRROTTA, L. de F., in: MGG VIII; B. R. SUCHLA, Stud. z. 68
Provenienz der Trecento-Ballata (Kas 1976) (= Göttinger musikwiss. Arbeiten 6); D. BAUMANN, Die dreist. it. Lied-Satztechnik im Trecento (Baden-Baden 1979) (= Slg. musikwiss. Abh.en 64). B. R. SUCHLA LAURENTIUS VON SCHNUFFIS (eig. Johann Martin), * 24.8.1633 Schnüffis (Vorarlberg), t 7.1.1702 Konstanz; östr. Dichter und Komponist. Nach mehreren Wanderjahren trat er 1656 in das Innsbrucker Hoftheater ein. 1661 kehrte er in die Schweiz zurück und wurde 1665 Novize des Kapuzinerordens in Zug. 1668 wurde er nach Konstanz versetzt, wo er zahlreiche Liederbücher veröffentlichte. L. arbeitete mit Pater Romanus Vötter zusammen, von dem vermutlich auch ein Teil der Melodien stammt. 1692 wurde er von Kaiser Leopold I. zum „poeta laureatus" gekrönt. L. gehört zu den bedeutenden Meistern des geistlichen Liedes mit B. c. im 17. Jh. in Süddeutschland. WW (teilweise mit mehreren Aufl.): Philotheus oder des Miranten durch die Welt u. Hofe wunderlicher Weg (Ems 1665); Mirantisches Flötlein (Konstanz 1682); Mirantische Wald-Schallmey (ebd. 1688); Mirantische Wagen-Pfeift (Dillingen 1692); Mirantische Maul Trummel (Konstanz 1695); Futer über die Mirantische Maul-Trummel (ebd. 1698). Ausg.: 2 Lieder, hrsg. v. W. LIPPHARDT. in: Ave Maria dich lobt musica (Fr 1949); Mirantisches Flötlein, Faks. der 3. Aufl. (Da 1968) (mit einem Vorwort v. A. Daiger). Lit.: W. VETTER, Das frühdt. Lied, 2 Bde. (Mr 1928) (mit 10 Liedern); H. D. GROSS, L. von Sch. (Diss. W 1942); H. SENNINGER, Die Mayenpfeiff des L. von Sch. (Diss. W 1947); N. TSCHULIK, L. von Sch. (Diss. W 1949); H. CH. WORBS, Eine unbekannte Liederhs. aus dem Anfang des 18.1h., in: Kgr.Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); N. TSCHULIK, Der Liedersänger von Schnifis, in: ÖMZ 25 (1970); T. HOEBERS, L. von Sch. Sein Leben, seine Werke u. die Forschung, in: Montfort 23 (1971).
LAURI-VOLPI (eig. Volpi), Giacomo, * 11.12. 1892 Lanuvio bei Rom, t 17.3. 1979 Valencia; it. Sänger (Tenor). Er studierte an der Accademia Nazionale di S. Cecilia in Rom und debütierte dort 1920 am Teatro Costanzi als Des Grieux in J. Massenets Manon. 1923-34 war er Mitglied der Metropolitan Opera in New York und trat außerdem an den großen Bühnen der Welt auf. L.-V. war zu seiner Zeit einer der führenden Sänger seines Fachs, der die großen italienischen und französischen Tenorpartien von Rossini bis Puccini beherrschte. Schriften: Autobiogr. L'equivoco (Mi 1939); Voci paralkk (Mi 1955); Misteri della voce umana (Mi 1957); Incontri e scontri (R 1971); Parlando a Maria (R 1972). lit.: F. TOMASELLI,A Shower of Diamonds. G. L. V., in: Opera News (NY 1959).
LÄUTARI (rumänisch; Plur. von Ldutar), ursprünglich Bz. für Lautenspieler, später-vornehmlich im 18. und 19. Jh. - Bz. für alle Spielleute, ungeachtet der von ihnen gehandhabten Instrumente. Auch in Siebenbürgen ersetzt die Bz. L. heute immer mehr die vormals hier üblichen Namen
Laute Muzicant, Cetera§ u. a. Die L. sind überwiegend Zigeuner, die das Aufspielen (teil-)berufsmäßig betreiben. Die Ausbildung erfolgt handwerksmäßig, Notenkenntnisse sind auch heute noch selten; üblich ist die Weitergabe vom Vater auf den Sohn. Bis zur Befreiung der Zigeuner (1848) waren die L. Leibeigene der Fürsten, der Bojaren oder der Klöster. Seit Mitte des 18. Jh. organisierten sie sich in Zünften. Den L. kommt große Bedeutung in der Tradierung bestimmter volksmusikalischer Gattungen zu: der Ballade mit epischem Rezitativ und der „de dragoste" (einer řDoiná-Abart mit vorwiegend erotischen Texten), als deren Schöpfer sie angesehen werden; gewisse zeremonielle Brauchtumslieder werden nur von den L. gespielt (z. B. zur Hochzeit), desgleichen die „de ascultat" (Vortragsstück „zum Anhören"). Ihr Repertoire umfaßt auch traditionelle und neuere Tanzstücke, Doinás, Romanzen, Heiducken- und Liebeslieder. Während die L. im ciskarpatischen Rumänien nur instrumentale Musik ausführen, ist der instrumental begleitete Sologesang ein typisches Merkmal der L. im rumänischen Altreich. Der Ausführungsstil ist durch Improvisation, Rubatospiel, spezifische Ornamentik (eigentümliches Vibrato) und untemperierte Intonation gekennzeichnet. Stil- und Repertoireunterschiede bestehen zwischen ländlichen und städtischen L. und ihrer variablen Ensemblebildung (taraf), wie z. B. Violine, Cobz1 (Kurzhalslaute) oder Tambal (rumänisches Hackbrett) bzw. Violine, Nai (Panflöte) und Tambal bzw. Violine, Klarinette, Tambal (heute häufig von Gitarre ersetzt) oder Cymbal (Tambal mare) und KontrabaB. Besonders im Banat wurden der Holzsaxophontyp Torogoatä (řTárogat(i) und Blechblasinstrumente verwendet; auch das Akkordeon ist heute häufiger in Gebrauch. Die staatlichen L.-Orchester treten in großer Besetzung auf. Lit.: C. BOBULESCU, Lšutarii no;tri (Bukarest 1922); V. COSMA, Figuri de lšutari (ebd. 1960); GH. CIOBANU, Lšutarii din Clejani. Repertoriu gi stil de interpretare (ebd. 1969); T. ALEXANDRU, Muzica popularš romšneascš (ebd. 1975). G. HABENICHT
LAUTE (aus arabisch al -`úd; engl.: lute; frz. luth, it.: liuto; span.: laúd), in der Systematik der Musikinstrumente (nach von Hornbostel/Sachs) Oberbegriff für alle zusammengesetzten Chordophone, die aus einem Resonanzkörper und einem Saitenträger bestehen und deren Saiten parallel zur Decke des Resonanzkörpers verlaufen. Zu den L.n gehören Joch-L.n, die gewöhnlich als OELeiern bezeichnet werden, und Stiel-Lauten. Im Gegensatz zur Leier sind die Saiten der Stiel -L. über einen Hals gezogen und werden in der Regel durch Abgreifen mit den Fingern verkürzt. Die Stiel-L.n werden als SpieB-
L.n bezeichnet, wenn der Hals durch das Korpus geführt ist und häufig am unteren Ende als SpieB wieder austritt, als Hals-L.n, wenn der Hals angesetzt oder mit dem Korpus fest verbunden ist. Hals-L.n werden je nach Länge des Halses als Langhals-L.n oder als Kurzhals-L.n bezeichnet. Nach der Korpusform unterscheidet man bei den Stiel-L.n Kasten-L.n mit kastenförmigem oder geschweiftem Zargenkorpus, Schalen-L.n mit bauchigem oder schalenförmigem Korpus und Röhren-L.n mit kleinem röhrenförmigem Resonanzkörper. Alle L.n haben eine ebene Decke aus Holz oder gegerbter Tierhaut mit einem oder mehreren Schallöchern. Als Hals kann ein runder oder abgerundeter Stab oder ein breiteres und flacheres Holzstück verwendet werden. Die Anzahl der Saiten wechselt je nach Typ und Verbreitungsgebiet ebenso wie die Art ihrer Befestigung. Sie werden unterhalb der Decke am Korpus oder am SpieB oder an einem aufgeleimten Querriegel auf der Decke befestigt und entweder ohne Wirbelvorrichtung um den Hals gewickelt (wahrscheinlich älteste Art) oder an Wirbeln befestigt. Unterschiedlich ist auch die Ausstattung mit Bünden, die bei Kurzhals-L.n häufig bis auf die Decke reichen (řBiwa). Für die Bestimmung eines Saiteninstrumentes als L. ist die Art der Klangerzeugung nicht ausschlaggebend. Sie kann durch Anzupfen mit den Fingern oder mit einem Plektrum oder durch Anstreichen mit einem Bogen erfolgen. Die Langhals-L. läBt sich bis ins 2. Jt. v. Chr. zurückverfolgen. Darstellungen aus Mesopotamien und Kleinasien zeigen bereits verschiedene Formen und GröBen des Instrumentes. In Ägypten wurde sie vermutlich von den Hyksos eingeführt. Sie scheint dort um 1500 v. Chr. ein Instrument der Berufsmusiker gewesen zu sein sowie in kleinerer Ausführung ein Instrument der Sängerinnen und Tänzerinnen. Zu den LanghalsL.n gehören auch die später daraus entstandenen Instrumente 7Tanbúr, řDomra, /Balalaika und řColascione, aber auch řKamängě, řRabáb oder /Fiedel und deren gestrichene oder gezupfte Nachfahren (z. B. auch die Violine). Die Kurzhals-L. ist jünger und läBt sich zuerst als P'i-p'a (?Biwa) in Ostasien (China, 5. Jh. n. Chr.) und als `Ud bei den Arabern (7.-8. Jh.) belegen. Sie führten den `Ud in Europa ein (erste Darstellungen 8.-10. Al Im 13. Jh. entwickelte sich in Spanien aus dem `Ud die europäische L., deren wesentliches Merkmal der nach hinten abgeknickte Wirbelkasten ist. Diese L. im engeren Sinne hat, nachweisbar seit der Renaissance, ein gewölbtes Korpus, das aus mehreren, oft farblich abwechselnden dünnen Holzspänen zusammengeleimt ist. In der Holzdecke befindet sich ein Schalloch, das meist mit ei69
Laute
ner geschnitzten >'Rosette verziert ist. Die L. hatte zuerst 4, dann 5 und schließlich 6 Saitenchöre (mit 11 Saiten), von denen nur die oberste Saite einfach aufgezogen ist, alle anderen jedoch doppelt. Diese wurden im Einklang oder im Oktavabstand gestimmt. Im 16./17. Jh. existierten daneben auch 7bis 1 lchörige Lauten. Die Darmsaiten sind von einem Querriegel auf der Decke über das breite, mit meist 9 Bünden versehene Griffbrett zum abgeknickten Wirbelkasten mit seitenständigen Wirbeln gezogen. Die 5saitige L. war in c f a d' g' gestimmt, die 6saitige in der Regel in G c f a d' g' oder A d g h e' a'. Daneben gab es zahlreiche andere Stimmungen, ebenso wie Anweisungen zum Umstimmen einzelner Saiten (2'Scordatura). Die L.n-Form wurde nach 1600 nur noch leicht verändert, das Korpus wurde schmaler und länglicher und erhielt so eine annähernde Mandelform. Seit dem 16. Jh. wurde die L. zu einer Familie ausgebaut mit einer großen Anzahl von verschiedenen Größen. Die Hauptgrößen waren die Diskant-, Alt-, Tenor-, Baß- und Großoktavbaß-L.; Bau und Spiel der sehr großen BaB-L.n waren schwierig, so daß andere Instrumente für die Baßlage entwickelt wurden (řChitarrone, Colascione, řTheorbe). Wurde die L. mit BaBsaiten ausgestattet, so verliefen sie unverkürzt neben dem Griffbrett. Dazu setzte man meist neben dem eigentlichen Knickhals einen weiteren aufrechten Wirbelkasten, an dessen Wirbeln die langen Baßsaiten endeten. Man erhielt damit die sog. „theorbierte" L. Die L. war in Europa seit 70
dem 16. Jh. ein bevorzugtes Instrument. Das beweisen nicht nur die erhaltenen, oft äußerst kostbar ausgestatteten Instrumente, darunter solche ganz aus Elfenbein, sondern auch die große Zahl von L.n-Kompositionen, die in den nach 1500 entwikkelten eigenen Griffschriften, der L.n-řTabulatur, notiert wurden. Die Saiten der L. werden mit den Fingern der linken Hand abgegriffen und mit der rechten Hand gezupft, zunächst nur mit Daumen und Zeigefinger, später auch mit Mittel- und Ringfinger. Die Spieltechnik wurde mit wachsenden musikalischen Anforderungen immer schwieriger und daher auch in zahlreichen Lehrwerken mit genauen Regeln für den Fingersatz der linken Hand und für den Gebrauch der rechten Hand beschrieben. Während des 16. Jh. wurde der "Barré-Griff eingeführt, und bis ins 17. Jh. nahm die Anzahl schwieriger Griffe für die linke Hand zu. Im 18. Jh. wurde die L. vor allem durch das Klavier und in anderen Bereichen durch die Gitarre verdrängt. Erst im 20. Jh. kam es in Verbindung mit der Wiederbelebung älterer L.n-Musik zu einem neuen Interesse an Bau und Spieltechnik der Laute. Dies bezeugt gerade in den letzten Jahren die starke Nachfrage nach Kopien von L.n des 16./17. JahrM. BROCKER hunderts. Musik für Laute. Spezielle Musik für L. gibt es seit dem frühen 16. Jh.; sie wurde in einer eigenen Griffschrift (řTabulatur) aufgezeichnet und war auch an der enormen Verbreitung von Musik dank der Erfindung des Notendrucks beteiligt. Zahlreich sind bis ins 18. Jh. auch hsl. L.n-Tabulaturen. Das Repertoire umfaßt ähnlich wie für die /Gitarre u. ä. Zupfinstrumente und wie für die Tasteninstrumente von Anfang an freie Stücke — Praeludium, Fantasia, Toccata u. a. —, Tänze, namentlich solche, die später zur Entstehung der Suite führen, also Allemande, Pavane, Courante, Sarabande, Gigue, sowie, vor allem im 16. Jh., Übertragungen von weltlichen und geistlichen Gesängen. Bei der Übertragung (řIntavolieren, der zeitgenössische deutsche Terminus hieß Absetzen), d. h. bei der Anpassung des originalen polyphonen Satzes an die spieltechnischen Gegebenheiten der Laute, die ein Aushalten einzelner längerer Töne nicht zuließen, ergab sich eine sozusagen verstümmelte Polyphonie. Eine Sondererscheinung waren Übertragungen von vokalen C. f. -Stücken mit dem C.f. als separat notierter Vokalstimme und den übrigen Stimmen als „Begleitung", wobei die Singstimme auch im Lautensatz enthalten sein konnte. Für die freien Stücke und Tanzsätze bildete sich im 16. Jh. eine speziell lautenmäßige Satztechnik heraus, meist mit dominierender Oberstimme. Vereinzelt erscheinen auch Sätze für 2 L.n, z. B. bei M. de Barberiis (1540) und
Laute W. Wyssenbach (1551-52), sogar für 3 und 4 L.n (E. Adriaensen, 1584). Nationale Eigentümlich-
keiten nehmen schon früh in der L.n-Musik einen breiten Raum ein: einerseits dadurch, daB die charakteristischen weltlichen vokalen Gattungen der einzelnen europäischen Länder für L. übertragen wurden, d. h. die italienische Frottola, die Villanella und das Madrigal, die französische Chanson, das Air (de cour), das deutsche Tenorlied und die Arie, das englische Ayre und der Song. Andererseits sind bestimmte Tänze einzelner Länder (z. B. Polen) in den L.n-Tabulaturen nicht selten vertreten. Eine eigene Entwicklung zeigt sich in Spanien; hier war es die řVihuela, die eine ähnlich groBe Bedeutung hatte wie die L. in den anderen europäischen Ländern. Von geradezu internationalem Gepräge ist im 16. Jh. der Bestand an Übertragungen von Motetten. Aus ihm ragen zahlenmäßig heraus die Werke von O. di Lasso. Mit dem Aufkommen des Generalbasses wuchs der L. — auch in der theorbierten Form (řTheorbe) — ein neues Aufgabenfeld als improvisierendes /Fundamentinstrument mit akkordischem Spiel zu, ohne daB sie sich freilich in dieser Funktion gegen die Tasteninstrumente durchsetzen konnte. In begrenztem Umfang hielt sie sich bis weit ins 18. Jh. hinein in der Kammermusik als Solo- und Ensembleinstrument. Zu nennen sind hier vor allem die L.n-Suiten von J. S. Bach (BWV 995-998) und die obligate L.n-Partie (kombiniert mit 2 Violen d'amore) in seiner Johannes-Passion (Arioso Betrachte, meine Seel'). Im späten 18. und frühen 19. Jh. war die L. besonders auch als Begleitinstrument empfindsamen Sologesangs gebräuchlich. Dies spiegelt sich auch in einigen Liedern Fr. Schuberts wider (z. B. Pause — Meine Laute hab ich gehängt an die Wand — und Mit dem grünen Lautenbande aus Die schöne Müllerin). Für R. Wagner dient in den Meistersingern von Nürnberg die L., alte Spielweisen parodierend, als klangliches Requisit für Beckmessers unglückliches Preislied. Im Zuge der Renaissance älterer Musik — in Deutschland auch im Umkreis der Jugendbewegung — kam es im 20. Jh. in vielen europäischen Ländern zu einer Neubelebung des Lautenspiels. Verdienste auf editorischem Gebiet hatten u. a. O. Chilesotti, H. Bruger, Fr. J. Giesbert. Als bedeutende L.n-Virtuosen sind zu nennen: Walter Gerwig, Desmond Dupré, Julian Bream, Michael Schiffer. Quellen: Übersicht über die zahlr. hat. u. gedruckten L.-Tabulaturen in den Artikeln L. in MGG VIII, Riemann ML, Sachteil u. Grove; ausführliche Vers.: W. BOETTICHER, Hsl. überlieferte L.n- u. Gitarrentabulaturen des 15. bis 18. Jh. (Mn 1978) ( = RISM B VII); H. M. BROWN, Instrumental Music Printed Before 1600 (C/M 1965) (mit Inhaltsangabe der gedruckten Tabulaturen
des 16. Jh.). — Wichtige Tabulaturdrucke: Deutschland: A. Schlick, H. Judenkönig, H. Gerle, H. Newsidler, R. Wyssenbach, W. Heckel, S. Ochsenkhun, S. Karget (16. Jh.); J. D. Mylius, J. H. Kapsberger, G. L. Fuhrmann, E. Reusner der Ältere und der Jüngere (17. Jh.); A. Falkenhagen, D. Kellner (18. Jh.); S. L. WeiB (hsl.). — Italien: F. Spinaccino, F. Bossinensis, J. A. Dalza, F. da Milano, M. de Barberiis, G. P. Paladino, V. Bakfark, G. Gorzanis, V. Galilei, G. C. Barbetta, S. Verovio, O. Vecchi, G. A. Terzi, S. Molinaro (16. Jh.); C. Negri, D. M. Melli (17. Jh.). — Frankreich und Niederlande: Attaingnant, Phalère, A. de Rippe, E. Adriaensen (16. Jh.); J. van den Hove, J.-B. Bésard, R. u. P. Ballard, N. Vallet, A. Boesset, É. Moulinié, P. u. D. Gaultier, Ph. F. le Sage de Richte (17. Jh.). — England: J. u. R. Dowland, Th. Morley, A. Holborne (16./17. Jh.). Ausg.: a) Sammelausg.: Ostr. Lautenmusik im 16. Jh., hrsg. v. A. KOCZIRZ (1911) (= DTO 37); The English School of Lutenist Song Writers, hrsg. v. E. H. FELLOWES, 32 Bde. (Lo 1920ff.), revidiert v. Th. Dart, als: The English Lute-Songs (Lo 1956); Alte Lautenkunst aus drei Jhh., hrsg. v. H. BRUGER (B — L 1923); DERS., Schule des Lautenspiels (Wb 1926), Nachdr. mit Beiheften (1961); Chansons au luth et airs de cour français du XVI' siècle, hrsg. v. A. MAIRY — G. THIBAULT (P 1934, Nachdr. 1976) (= Publications de la Soc. Fr. de Mie. U3-4); Lautenmusik des 17./18. Jh., hrsg. v. H. NEEMANN (Brau 1939, F 2 1961); Airs de cour pour voix et luth, hrsg. v. A. VERCHALY (P 1961) (= Public. de la Soc. Fr. de Mie I/16); Corpus des luthistes français, hrsg. v. J. JACQUOT, bisher 18 Bde. (P 1957ff.). — b) Faks.-Ausg. einzelner gedruckter L.n-Tabulaturen u. Abh.en zu L.n-Bau u. L.n-Spiel: S. Virdung, Musica gezutscht 1511, hrsg. v. K. W. NIEMOLLER (Kas 1970) (= DMl I/31); H. Gerle, Musica teutsch 1532 (G 1971); H. Newsidler, Ein newgeordnet künstlich L.n-Buch 1536, hrsg. v. P. PÄFFGEN (NeuB 1974); G. Gorzanis, Intabolatura di liuto, Buch 4 1567, hrsg. v. B. TONAZZI (Mi 1975); S. Karget, Novae, elegantissimae .. . cantilenae 1574 (G 1980); Th. Mace, Musick's Monument 1676 (P 1958), dass. (NY 1966) (= MMMLF II/17); D. Gaultier, La rhétorique des dieux et autres pièces de luth, 2 Bde. (Faks. u. Übertragung), hrsg. v. A. TESSIER (P 1932) (= Publications de la Soc. Fr. de Mie. I/6-7); E. Reusner der Altere, Erfreuliche L.n-Lust 1647 (L 1979); E. Reusner der Jüngere, Neue L.nFrüchte 1676, hrsg. v. J. JAENECKE (L 1979); E. G. Baron, Hist.-theoretische u. practische Unters. des Instr. der L. 1727 (A 1965). — c) Ausg. v. L.n-WW einzelner Komponisten: siehe die betreffenden Ven. — d) Ausg. einzelner hsl. L.n-Tabulaturen: Codex carminum gallicorum, hrsg. v. B. HAMBRAEUS (Uppsala 1961); The Wickhambrook Lute Ms., hrsg. v. D. E. R. STEPHENS (New Haven/Conn. 1963) (= Collegium Musicum Sertes 4); Die Tabulaturen aus dem Besitz des ... B. Amerbach, hrsg. v. H.J. MARX (Bas 1967) (= SMD 6). Lit.: a) Zu Gesch., Bau u. Spielweise der Laute: E. M. VON HORNBOSTEL — C. SACHS, Systematik der Musikinstr., in: Zschr. für Ethnologie 46 (1914), engl. Übers.: Classification of Musical Instr., in: GalpinJ 14 (1961); F. BEHN, Die L. im Altertum u. frühen MA, in: ZfMw 1(1918/19); W. L. VON LOTGENDORFF, Die Geigen- u. Lautenmacher v. MA bis z. Gegenwart, 2 Bde. (F 1922, Nachdr. Tutzing 1968); J. ZUTH, Hdb. der L. und Gitarre (W 1926-28, Nachdr. Hil 1972); K. GEIRINGER, Vorgesch. u. Gesch. der europäischen L., in: ZIMw 10 (1927/28); C. SACHS, Geist u. Werden der Musikinstr. (B 1929, Nachdr. Hil 1965); F. J. GIESBERT, Schule für die Barocklaute (Mz 1940); TH. BINKLEY, Le luth et sa technique, in: Le luth et sa musique (P 1958); H. HICKMANN — W. BOETTICHER, L., in: MGG VIII; W. STAUDER, Zur Frühgesch. der L, in: FS H. Osthoff (Tutzing 1961); E. POHLMANN, L., Theorbe, Chitarrone .. . (Bremen 21972); H. TURNBULL, The Origin of the Long-Necked Lute, in: GalpinJ 25 (1972); E. L. KOTTICK, Building a 15thCentury Lute, in: ebd. 26 (1973); J. GODWIN, The Survival of the Theorbo Principle, in: Journal of the Lute Society of America 6
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Lautenbacher (1973); F. HELLWIG, Zur Terminologie der europäischen Zupfinstr. Das Vokabularium in den Quellen zum hist. Lautenbau, in: FS E. Emsheimer (Sto 1974); DERS., Lute Construction in the Renaissance and the Baroque, in: GalpinJ 27 (1974); P. PAFFGEN, L. u. Lautenspiel in der ersten Hälfte des 16. Jh. Beobachtungen zu Bauweise u. Spieltechnik (Rb 1978) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 95); G. HELLWIG, J. Tielke. Ein Hamburger L.n- u. Violenmacher der Barockzeit (F 1979) (= Das Musikinstr. 38). — b) Zur Musik für Laute (nur umfassende WW, ohne die zahlr. Schriften von O. OEChilesotti): M. BRENET, Notes sur l'histoire du luth en France, in: RMI 5-6 (1898-99, Nachdr. G 1973); O. KÖRTE, L. u. Lautenmusik bis z. Mitte des 16. Jh. (L 1901, Nachdr. Wie 1969) (= BIMG I/3); J. ZUTH, Hdb. der L. u. Gitarre (W 1926-28, Nachdr. Hil 1972); K. GEIRINGER, Vorgesch. und Gesch. der europäischen L., in: ZfMw 10 (1927/28); L. DE LA LAURENCIE, Les luthistes (P 1928); J. DIECKMANN, Die in dt. Lautentabulatur überlieferten Tänze des 16. Jh. (Kas 1931); L. SCHRADE, Das Problem der LautentabulaturUbertragung, in: ZfMw 16 (1934); H. NEEMANN, L. u. Theorbe als GeneralbaBinstr. im 17. u. 18. Jh., in: ebd.; H.P. KOSACK, Gesch. der L. u. Lautenmusik in PreuBen (Kas 1935); W. APEL, Early Spanish Music for Lute ..., in: MQ 20 (1934); O. GoMBOSI, Der Lautenist V. Bakfark (Budapest 1935, NA Kas 1967); J. BAL Y GRAY, M. de Fuenllana and the Transcription of Spanish Lute Music, in: AMI 11 (1939); A. VERCHALY, Les airs italiens mis en tablature de luth, in: RMie 32 (1953); K. LUMSDEN, The Sources of English Lute Music 1540-1620, 2 Bde. (Diss. C 1956-57); W. BOETTICHER, L., in: MGG VIII; W. S. CASEY, Printed English Lute Instruction Books 1568-1610, in: Diss. Abstracts 21 (Ann Arbor/Mich. 1960); D. STEVENS, German Lute Songs of the Early 16th Century, in: FS H. Besseler (L 1961); U. OLSHAUSEN, Das lautenbegleitete Sololied in England um 1600 (Dias. F 1963); K. DORFMÜLLER, Stud. z. Lautenmusik in der ersten Hälfte des 16. Jh. (Tutzing 1967) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 11); W. W. NEWCOMB, Stud. z. engl. Lautenpraxis im elisabethanischen Zeitalter (Kas 1968); G. WILLMIZZER, Die Volksliedbegleitung auf der Gitarre (L.) u. das Lautenlied in der Zeit der dt. Jugendbewegung 1900-1932, 2 Bde. (Diss. Hl 1970); W. BOETTICHER, Über Stand u. Aufgaben der Erforschung der Tabulaturen für Zupf- u. Streichinstr., in: Musicae Scientiae Collectaneae. FS K. G. Fellerer (Kö 1973); K. RAGOSSNIG, Hdb. der Gitarre u. L. (Kas 1978); W. BOETTICHER, Zur inhaltlichen Bestimmung des für L. intavolierten Handschriftenbestandes, in: AMI 51 (1979).
LAUTENBACHER, Susanne, * 19.4. 1932 Augsburg; dt. Violinistin. Sie studierte bei K. Freund an der Akademie der Tonkunst in München und später noch bei H. Szeryng. Seit 1960 lehrte sie an der Musikhochschule in Karlsruhe und wurde 1965 als Professorin an die Musikhochschule Stuttgart berufen. 1970 gründete sie, zusammen mit U. Koch, Viola, und Thomas Blees (seit 1976 Martin Ostertag), Violoncello, das „Streichtrio Bell'Arte". Sie genießt durch Konzertreisen und zahlreiche Schallplatteneinspielungen internationales Ansehen. Ihr vielseitiges Repertoire reicht vom Barock (Fr. X. Biber, J. S. Bach) bis zur Moderne (B. A. Zimmermann, H. W. Henze). LAUTENTABULATUR >'Tabulatur. LAUTHEIT řLautstärke. LAUTSPRECHER, Gerät zur Umwandlung von elektrischen Signalen in Schallwellen, das letzte 72
Glied in der /elektroakustischen Übertragungskette. Lautsprecher und řMikrophon sind grundsätzlich gleich aufgebaut, sie beruhen auf den gleichen, umkehrbaren physikalischen Prinzipien; deren gebräuchlichste sind: elektrostatisches Prinzip (zwischen zwei elektrisch geladenen Flächen wirkt eine mechanische Kraft), Piezoprinzip (ein Kristall ändert durch Anlegen einer elektrischen Spannung seine Dicke) und elektrodynamisches Prinzip (um eine von Strom durchflossene Spule entsteht ein Magnetfeld; bringt man sie in ein anderes, konstantes Magnetfeld, so wird die Spule durch die entstehenden magnetischen Kräfte bewegt). Der eigentlichen Schallabstrahlung dient eine an das Erregersystem angekoppelte, federnd aufgehängte Membran (beim Elektrostaten ist sie Teil des Erregersystems). Für die Schallabstrahlung aller L.-Systeme gilt: Ist die abstrahlende Fläche kleiner als 1 /3 der abgestrahlten Schallwellenlänge, so entstehen kugelförmige, ist sie gröBer, so entstehen ebene Schallwellen. (Der Übergang zwischen beiden Wellenformen ist jedoch kontinuierlich.) Da auch die Rückseite einer L.-Membran Schall abstrahlt, muß ein L. für die Wiedergabe tiefer OEFrequenzen in eine Schallwand oder ein Gehäuse eingebaut werden, andernfalls heben sich die nach vorne und hinten abgestrahlten Kugelwellen gegenseitig auf („akustischer KurzschluB"). Die Aufstellung insbesondere kleiner Boxen an einer Wand oder in einer Ecke verbessert die Tieftonwiedergabe sehr, da die das Gehäuse umschließenden Kugelwellen nach vorn reflektiert werden. Daß der L. immer noch das schwächste Glied in der elektroakustischen Übertragungskette ist, liegt vor allem an der Tatsache, daß er — wie auch jedes Musikinstrument — selbst ein schwingungsfähiges, mit Resonanzeigenschaften behaftetes Gebilde darstellt, dessen Eigenbewegungen sich nur schwer kontrollieren lassen. Deshalb muB der unserer Hörfläche entsprechende Frequenzbereich von 20-20000 Hz auf verschieden große Einzelsysteme (Tief-, Mittel-, Hochtöner) aufgeteilt werden; nur so läßt sich ein ebener ."Frequenzgang erzielen. Daneben werden die in Musik und Sprache reichlich vorhandenen /Impulse und Einschwingungsvorgänge erheblich verfälscht: Wie ein Schlag die Pauke zum Klingen bringt, so wird auch ein L. durch Impulse zu Schwingungen angeregt, die sich dem übertragenen Tonsignal überlagern — daher können L. mit gleichem Frequenzgang gänzlich verschieden klingen. Eine bedeutsame Verbesserung hierin wurde durch den Biegewellenstrahler von Manger erreicht. Dessen elektrodynamisch angetriebene, weiche, sehr leichte und resonanzfreie Kunststoffmembran folgt Impulsen ohne Eigenbewegungen
Lana und überträgt gleichzeitig den Frequenzbereich von 5-30 000 Hz. Weitere Entwicklungen bleiben abzuwarten. Lit.: G. BUCHMANN, Fortschritte in der Entwicklung v. L.n, in: Acustica 4 (1954); L.-Taschenbuch, bearb. v. H. WILLIGES (B 1962,'1965); E. JOST, Uber die Klangeigenschaften v. L.n. Eine experimental-psychologische Unters., in: Jb. des Staatlichen Inst. für Musikforsch., Preußischer Kulturbesitz (1972). U. KRAUS
LAUTSTÄRKE, Bz. für die Intensität der Hörempfindung (řGehör, Hörfläche, Schalldruck). Die als Schall wahrnehmbaren Schwankungen des Luftdrucks (/Schalldruck) erzeugen eine nicht nur von der Stärke dieser Schwankungen, sondern auch deren /Frequenz abhängige Intensität der Hörempfindung. Das Ohr empfindet also verschieden hohe Töne gleichen Schalldrucks immer auch gleich laut. Es hört tiefe und hohe Töne leiser als mittlere, wobei das Maximum der Empfindlichkeit bei 3000 Hz (/Hertz) liegt. Das Ohr ist sozusagen ein schlechtes Mikrophon mit einem sehr unebenen /Frequenzgang, der sich überdies mit dem Schalldruck verändert. Diesen Zusammenhang verdeutlichen die „Kurven gleicher Lautstärke": Schalldruck
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Lautheit (Sone) 100
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2 , 0.6 0.2 0 0.06 0.02 0.01 0
20
40
60
60
100
Lautstärke (Phon)
Zusammenhang zwischen Lautstärke (Phon) und Lautheit (Sone) Lit.: K. SCHOLL, Vom absoluten Eindruck bei Schallstärkevergleichen, in: Zschr. für Psychologie 84 (1920); H. FLETCHER — W. A. MUNSON, Loudness, Its Definition, Measurement and Calculation, in: Journal of the Acoustical Society of America 5 (1932/33); M. KWIEK, Uber L. u. Lautheit, in: Akustische Zschr. 2 (1937); H.-P. REINECKE, Uber den doppelten Sinn des Lautheitsbegriffes beim musikalischen Hören (Diss. H 1953); G. QUIETZSCH, Objektive u. subjektive Lautstärkemessungen, in: Acustica 5 (1955); E. ZWICKER, Verfahren zur Berechnung der Lautstärke, in: ebd. 10 (1960); W. REICHARDT — K. NOTBOHM — H. JURSCH, Verbesserung des Lautstärke-Berechnungsverfahrens nach Niese, in: ebd. 21 (1969). U. KRAUS
(dB)
120
00
ein Schalldruck von 105 db entspricht, also 35 db mehr als bei 1000 Hz (oder das Fünfzigfache). Eine Verdoppelung der empfundenen Lautstärke wird (oberhalb 40 Phon) erreicht bei einer Erhöhung um 10 Phon. Diesen Zusammenhang beschreibt der Begriff Lautheit, die Einheit hierfür ist das Sone, 40 Phon sind als 1 Sone definiert:
Frequenz
(Hz)
Hörschwelle und Kurven gleicher Lautstärke für Sinustöne (nach DIN 45630)
Die L. wird in Phon gemessen, wobei eine Normung dahingehend erfolgte, daB bei 1000 Hz (etwa c3) die Zahlen für Phon und Schalldruck den gleichen Wert haben. Als Ausgangspunkt (0 Phon) wurde die Hörschwelle bei 1000 Hz gewählt, d. h. jener Schalldruck, bei dem die Hörempfindung einsetzt. Dieser Wert ist sehr niedrig, er liegt bei 20 µN/m2 bzw. 2 x 10-4 µbar, d. h. einem Fünfmilliardstel des normalen Luftdrucks. Wäre das Ohr empfindlicher, würde es bereits die Wärmebewegung der Luftmoleküle (als Rauschen) hören. Die Kurven zeigen, daß einer Lautstärke von 70 Phon bei 20 Hz
LAUX, Karl, S 26.8.1896 Ludwigshafen/Rhein, t 27.6.1978 Dresden; dt. Musikschriftsteller. Nach einer Ausbildung in Violine, Klavier, Orgel und Musiktheorie studierte er seit 1919 Musikwissenschaft bei Th. Kroyer und H. J. Moser an der Universität Heidelberg, an der er 1925 mit der Dissertation Der Erziehungsgedanke bei Schleiermacher promovierte. Er war 1922-25 Musikkritiker der Neuen Pfälzischen Landeszeitung, später Musikredakteur der Neuen Badischen Landeszeitung und Lehrer für Musikgeschichte an der Musikhochschule in Mannheim. L. wirkte dann in Dresden als Musikredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten (1934-44) und (1936-42) als Lehrer an der Musikakademie. Nach Kriegsende war er Ministerialrat (für Musik und Theater) bei der Landesregierung Sachsen sowie Musikredakteur der Täglichen Rundschau in Berlin. 1949 zum Professor ernannt, erhielt er den Auftrag, die Dresdner Musikakademie in eine Musikhochschule umzuwandeln, die er bis 1963 auch selbst leitete. 73
Lavallée Schriften: Orchester- und Kammermusik, in: Das Atlantisbuch der Musik, hrsg. v. F. Hamel - M. Hürlimann (Z 1934, '1951); A. Bruckner (L 1940, L - Wie 31947); Musik und Musiker der Gegenwart, I: Deutschland (Essen 1949); J. Haas (B-Düsseldorf 1954, L 1958); Die Musik in RuBland und in der Sowjetunion (B 1958); 10 Jahre Musikleben in der DDR (L 1960); O. Gerster (L 1961) (= Reclams Universal-Bibi. 8928/29); Die Dresdner Staatskapelle (L 1964); C. M. von Weber (L 1966) (= Reclams Universal-Bibl., Biogr. u. Dokumente 252); Wesen u. Wandel des philharmonischen Gedankens, in: Musa, Mens, Musici. Gedenkschrift W. Vetter (L 1970); Autobiographie Nachklang (B 1977). Lit.: J. HAAS, in: Musica 10 (1956); S. KOHLER, in: Musik in der Schule 22 (1971); H. SCHAEFER, in: MuGes 21 (1971).
LAVALLÉE, Calixa, * 28. 12. 1842 Verchères (Quebec), t 21.1.1891 Boston; kanadischer Komponist und Pianist. Er wurde 1872 Dirigent und künstlerischer Leiter des New York Opera House, ging 1873-75 zu Studien bei Fr.-E. -J. Bazin und Adrien Louis Boieldieu (Komposition) sowie A. Fr. Marmontel (Klavier) nach Paris und war Opernchordirigent in Montreal und Quebec. Seit 1880 lebte er in den USA. L. schrieb u. a. die Operetten The Widow (UA: Boston 1882) und Tiq (UA: ebd. 1883), Salonmusik, darunter die berühmten Papillons, und die Hymne O Canada!, die 1967 zur kanadischen Nationalhymne erklärt wurde. Lit.: E. LAPIERRE, C. L. (Montreal 1936, P 3 1966).
LAVIGNAC, Alexandre Jean Albert, *21. 1. 1846 Paris, t 28.5.1916 ebd.; frz. Musikforscher. Er studierte bei A. Fr. Marmontel, Fr.-E. -J. Bazin, Fr. Benoist und A. Thomas am Pariser Conservatoire, an dem er seit 1871 Repetitor, seit 1875 Professor für Solfège und 1891-1915 Professor für Harmonielehre war. Die von ihm 1913 begonnene Encyclopédie de la musique et dictionnaire du Conservatoire gilt bis heute in Frankreich als musikgeschichtliches und musiktheoretisches Standardwerk. L.s Cours ... de dictée musicale wurde grundlegend für die Begründung des 7Musikdiktats als eines eigenen musikpädagogischen Zweiges.
Truppe am Theater in Budapest und 1816 Musikalienhändler in Debrecen. L. gilt neben J. Bihári und A. Csermák als Hauptvertreter des Verbunkos. In seinen Kompositionen (neben Verbunkos u. a. zahlreiche Polonaisen, Menuette und Kontratänze), die von der ungarischen Volksmusik beeinflußt sind, führte er die Zigeunertonleiter ein. Ausg.: Tänze, hrsg. v. B. SZABOLCSI, in: A magyar zenetórténet kézikónyve (Budapest 1947); dass., hrsg. v. E. MAJOR, in: A magyar zongoramuzsika száz éve (ebd. 1954). Lit.: S. SZILÁGYI, L.J., a Kor ís az Ember (Budapest 1930).
LAVRANGAS, Dionysios (Denis), *17. 10. 1864 Argostolion, t 18.7.1941 Razata; griech. Dirigent und Komponist. Er studierte 1882-85 am Conservatorio S. Pietro a Majella in Neapel sowie 1885-94 am Pariser Conservatoire bei L. Delibes, J. Massenet und Th. Dubois. AnschlieBend trat er in Frankreich und Italien als Dirigent, Pianist und Violoncellist auf. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland (1894) übernahm er die Leitung der Philharmonischen Gesellschaft von Athen und gründete 1898 die griechische Nationaloper. Mit seinen Kompositionen gehört L. zu den Schöpfern eines griechischen Nationalstils in der Musik. WW: Klv.- u. V.-Stücke; 2 Suiten (vor 1904, 1923), Introduzione e fuga u. Ouverture orientale für Orch.; Lieder, Chöre u. 2 Messen. - Opern: Elda di Vorn, UA: Neapel 1890; La vita è un sogno (1891), daraus der 4. Akt revidiert als: I majissa, UA: Athen 1901; Ta dio adelfia, UA: ebd. 1901; 0 litrotis, UA: ebd. 1903; Dido, UA: ebd. 1909; Aspri tricha, UA: ebd. 1915; Dipli fotia, UA: ebd. 1918; Mawri petaluda, UA: ebd. 1923.
LAVRY, Marc, * 22. 12. 1903 Riga, t 20.3. 1967 Haifa; israelischer Komponist und Dirigent. Er studierte in Riga und Leipzig, wurde 1927 Dirigent in Saarbrücken, dirigierte 1928-32 in Berlin und 1933-38 in Riga und ließ sich dann in Palästina nieder. 1948-58 leitete er die Musikabteilung des Jerusalemer Kurzwellensenders „Die Stimme Zions". Von seinem Schaffen sind vor allem die den verschiedenen Landstrichen Israels gewidmeten symphonischen Rhapsodien (besonders Emek und Hora) hervorzuheben, in denen L. israelische Volkslieder und -tänze verarbeitet hat. WW: Five Country Dances für Klv.; Three Jewish Dances für V.
Schriften: Solfèges manuscrits, 50 leçons d'harmonie (P 1877); Cours complet théoretique et pratique de dictée musicale (P -Bru 1882); École de la pédale (P 1889, Neudruck 1927); La musique et les musiciens (P 1895, Neudruck 1950, engl. NY 1903); Le voyage artistique à Bayreuth (P 1897, Neudruck 1951), engl. Übers.: The Music Dramas of R. Wagner (Lo 1898, Nachdr. NY 1968). - Er gab heraus: Encyclopédie de la musique et dictionnaire du Conservatoire (nach Ls Tod von L. de La Laurencie redigiert), 2 Teile, I: Histoire de la musique, 5 Bde. (P 1913-22), II: Technique, esthétique, pédagogie, 6 Bde. (P 1925-31).
u. Klv. - 4 Symphonien; symphonische Rhapsodien; Klv.-Konzert (1945-47); V.-Konzert; Israeli Dances (Tel Aviv o. J.). - Kantaten, Chorstücke u. ein Oratorium Shir HaShirim (1944). - Opern: Dan HaShomer (Libr.: M. Brod), UA: Tel Aviv 1945; Tamar, UA: San Francisco 1959.
LAVOTTA, János, * 5.7.1764 Pusztafödémes, t 11.8.1820 Tálya; ung. Komponist. Er studierte Musik und Jura in Nagyszombat, Poszony und Pest, wo er Kanzleibeamter wurde. Nach einer Tätigkeit als Hauslehrer bei der Familie Zichy widmete er sich seit 1792 ausschließlich der Musik und war u. a. 1792-93 musikalischer Leiter der ersten ständigen
LAWES. — 1) Henry, * 5.1.1596 Dinton (Wiltshire), t 21.10.1662 London; engl. Komponist. Er war wahrscheinlich ein Schüler von G. Coperario und wurde 1626 zum Gentleman der Chapel Royal ernannt. Als Royalist verlor er nach dem Sturz König Karls I. (1649) seine Stellung und wurde erst unter König Karl II. wieder angestellt. L. war der
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Leander bedeutendste Liedkomponist seiner Zeit. In seinen Kompositionen zeigt sich vor allem auch eine genaue Beachtung der Versprosodie. Er war auch an der Vertonung von William D 'Avenants The Siege of Rhodes beteiligt, das wegen der Verwendung des Stile recitativo für Chöre und Dialoge als erste englische Oper gilt, aber nicht erhalten ist.
berühmten Bildhauers Benvenuto Cellini, 1505-07 Chorsänger an SS. Annunziata in Florenz, das er 1518 verließ. Er ließ sich dann in Lyon nieder (wo er seit 1523 nachweisbar ist) und wurde dort Mitarbeiter des Druckers J. Moderne. — Sein Sohn Alemano L. (* um 1520 Florenz, t 1576 oder 1577 ebd.) war ebenfalls Organist.
WW: A paraphrase upon the psalms of David für SingSt (Lo 1638); Choice psalmes put into musick für 3 St. u. B.c. (Lo 1648) (darunter auch Stücke von seinem Bruder W. L.); Ayres and dialogues für 1-3 St. u. B.c., 3 Bde. (Lo 1653, 1655, 1658); Songs zu J. Milton Cornus (1634); ferner Airs, Songs und Dialogues in zahlreichen Sammeldrucken und Hss. der Zeit.
WW: Venticinque canzoni a 5 v. (Ly 1540); Cinquanta canzoni a 4 v. (Ly um 1542); ferner Messen, Motetten, Chansons u. Madrigale in den Sammeldrucken der Zeit. Ausg.: 2 Motetten u. eine Frottola, in: A. W. AMBROS, Gesch. der Musik V (Breslau 1882, 31887-1911), Nachdr. der 3. Aufl. (Hil 1968); N. BRIDGMAN, G. C. Maffei et sa lettre sur le chant, in: RMie 38 (1956) (darin L.s Madrigal Lasciaril velo); Collected Secular Works für 2-5 St., hrsg. v. F. A. D'ACCONE (1969) (= CMM 32/3-4).
2) William, Bruder von 1), getauft 1.5. 1602 Salisbury, t 1645 Chester; engl. Komponist. Er war ebenfalls Schüler von Coperario und wurde Mitglied der Kapelle König Karls I. L. fiel im Bürgerkrieg als Soldat der Royalistenarmee. Den Kern seines Schaffens bildet die Instrumentalmusik, die sich oft durch für die damalige Zeit kühne harmonische Wendungen auszeichnet. Besonders L.' Fantasien haben in ihrem geradezu expressiven Charakter in der Geschichte der Gattung einen besonderen Rang. WW (in zahlr. Sammeldrucken der Zeit u. hsl.): Instr.-WW: Fantasien, In Nomine, Tanzsätze u. a. für Tasteninstr. u. für Violen ensemble, auch mit obligatem Cemb.; Suiten-Slg. The Royal Consort. — Vokal-WW: Psalmen und Kanons; Airs und Dialogues, auch zu Bühnen-Werken; Catches. Ausg.: Zu 1): Ten Ayres, hrsg. v. TH. DART (Lo 1956); Dialogues für 2 St. u. B. c., hrsg. v. R. JESSON (University Park/Pa. 1964) (= Penn State Music Series 3); 28 Lieder, in: Engl. Songs 1625-60, hrsg. v.1. SPINK (Lo 1971) (= Mus. Brit. 33). — Za2): Select Consort Music, hrsg. v. M. LEFKOWITZ (Lo 1963) ( = Mus. Brit. 21); Dialogues für 2 St. u. B.c., hrsg. v. R. JESSON (University Park/Pa. 1964) (= Penn State Music Series 3); Trois masques it la cour de Charles I' d'Angleterre, hrsg. v. M. LEFKOwrrz (P 1970) (= Le chmur des muses 16) (Musik zu Shirleys The Triumph of Peace); Ps. 67 Have Mercy on Us Lord für Bar., Chor u. Org. u. Lamentation für Alt, BaB, Chor u. Org., hrsg. v. G. DODD (Lo 1970); 6 Songs, hrsg. v. E. H. JONES (Lo 1972). Lit.: Zu 1): Verz. der Songs bei C. L. DAY — E. B. MURRIE, Engl. Song-Books, 1651-1702 (Lo 1940); W.M. EVANS, H. L. (NY 1941, Nachdr. 1966); E. F. HART, Introduction to H. L., in: ML 32 (1951); W. MELLERS, H. L. and the Caroline Ayre, in: Harmonious Meeting (Lo 1965); J. S. APPLEGATE, The H. L.
Autograph Song Manuscript. A Critical Edition of British Museum Loan Ms. 35, 2 Bde. (1966) (= Diss. Univ. of Rochester /N.Y.); E. B. JORGENS, „Let Well Tun'd Words Amaze". Attitudes Toward Poetry in Engl. Solo Song from J. Dowland to H. L. (1975) (= Diss. City Univ. of New York). — Zs 2): R. ERLEBACH, W. L. and His String Music, in: Proc. Mus. Assoc. 59 (1932/33); M. LEFKOWITZ, W. L. (Lo 1960); J. P. Currs, W. L's Writing for the Theater and the Court, in: JAMS 16 (1963); H. POULOS, G. Coperario and W. L. (1971) (= Diss. Indiana Univ.).
LAYOLLE, François de (eig. Antonio Francesco Romolo di Agniolo di Piero Aiolle, auch Aiolla, Ajolla), *4. 3. 1492 (?) Florenz, t um 1540 Lyon; it. Organist und Komponist. Er verkehrte mit den Florentiner Künstlern und Schriftstellern seiner Zeit und war um 1505-06 auch Musiklehrer des
Lit.: D. A. SUTHERLAND, F. de L. 1492-1540. Life and Secular
Works, 2 Bde. (1968) (= Diss. Univ. of Michigan); D. CRAWFORD, Reflections an Some Masses from the Press of Moderne, in: MQ 58 (1972).
LAZZARI, Sylvio (eig. Josef Fortunat Silvester), * 30.12. 1857 Bozen, t 10.6.1944 Suresnes bei Paris; frz. Komponist östr. Herkunft. Er absolvierte 1882 ein Jurastudium in Wien, ging dann nach Paris, wo er Ch. Gounod und E. Guiraud kennenlernte, in dessen Klasse am Conservatoire er 1883/84 eintrat. Von C. Franck und E. Chausson ermutigt, schlug er die Musikerlaufbahn ein und ließ sich endgültig in Frankreich nieder. Er bekleidete verschiedene Ämter (Präsident des Pariser Wagner-Vereins, Chordirigent in Monte Carlo), bevor er sich ganz der Komposition widmete. L. war eine Musikerpersönlichkeit, die einerseits vom Erbe R. Wagners geprägt war, das er seiner frühen deutschen Erziehung und dem Unterricht bei Franck verdankte, und andererseits vom Impressionismus beeinflußt wurde, mit dem er in späteren Jahren durch französische Dichter und Musiker in Berührung kam. WW: 1) llrtr.-WW: Klv.-Stücke; V.-Sonate (P 1894); V.Romanze; Klv.-Trio (P 1889); Streichquartett (P 1911); Bläseroktett (P 1920). — Symphonie Es-Dur (P1914); Rhapsodie espagnole; symphonische Dichtungen Opbélie und Effet de nuit (P 1904); Orch.-Suite Quatre tableaux maritimes; Rhapsodie für V. u. Orch.; Konzertstück für Klv. u. Orch. — 2) Vokal-WW: Lieder; Duette u. Chöre für Frauen-St. — 3) Biide.-WW: Opern: Amor, UA: Prag 1895, dt. Fassung: Hamburg 1900; La lépreuse, UA: Paris 1913, dt. Fassung: Die Ausgestoßene, UA: Mainz 1913; Melaenis, UA: Mulhouse 1927; La tour de feu, UA: Paris 1928; Bühnenmusik zu J. W. von Goethes Faust. Lit.: P. LANDORMY, La musique française aprčs Debussy (P 1943, 1°1948).
LEANDER (eig. Hedberg), Zarah Stina *15. 3. 1907 Karlstad, t 23.6.1981 Stockholm; schwedische Schauspielerin und Sängerin. Sie debütierte 1929 bei dem Revueproduzenten Ernst Rolf und, nach Engagements an schwedischen Theatern, 1936 als Operettensängerin (Axel an der Himmels75
Lear
tür von R. Benatzky) im Theater an der Wien. Mit dem Film Premiere (1936) begann ihre Karriere als Filmschauspielerin und Schlagersängerin in Deutschland mit einer charakteristischen, geradezu baritonalen Stimme und einer unverwechselbaren Vortragsweise. 1958 feierte sie am Wiener Raimundtheater ein Comeback in P. Kreuders Musical Madame Scandaleuse. 1977 zog sie sich aus dem Showleben zurück. Sie war verheiratet mit dem Pianisten und Komponisten Arne Hülphers (t 1978) und lebte zuletzt auf ihrem Gut. Zu den bekanntesten Schlagern Z. L.s, durchweg aus ihren Tonfilmen, zählen: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n (aus Die groBe Liebe); Der Wind hat mir ein Lied erzählt (La Habanera); Kann denn Liebe Sünde sein? (Der Blaufuchs); Nur nicht aus Liebe weinen (Es war eine rauschende Ballnacht); Ich steh im Regen und Yes, Sir! (Zu neuen Ufern); Eine Frau wird erst schön durch die Liebe (aus Heimat). Lebenserinnerungen erschienen unter dem Titel Es war so wunderbar! (H 1973). Lit.: K. BRINKER, Z. L. Eine groBe Karriere (B 1937).
LEAR, Oper in 2 Teilen von Aribert Reimann (* 1936), Text von Claus H. Henneberg nach William Shakespeare. Ort und Zeit der Handlung: England, zur Zeit der Sage. UA: 9.7. 1978 in München unter Gerd Albrecht mit Dietrich FischerDieskau in der Titelrolle. Reimann vertonte das Drama von der Isolation des Menschen, der in totaler Einsamkeit der Brutalität allen Lebens ausgesetzt ist, in einer aggressiven Tonsprache, die von Clustern über mehrere Oktaven, unruhiger Gesangsmelodik mit großen Sprüngen und bruitistischer Verwendung des reichhaltigen Schlagzeugs geprägt ist. Die musikalische Charakterisierung der Personen wird parallel zum Handlungsverlauf fortwährend verändert, so daß Reimann die Formidee dieser Oper zu Recht als „Metamorphose" angibt. Eindrucksvollstes Beispiel für das Anpassen der musikalischen Struktur an den Ablauf der Handlung ist der Cluster, bei dem alle 48 Streicher des Orchesters solistisch geführt werden; in der Sturmszene erstreckt sich diese Klangfläche, tonmalerisch tremoliert, über 7 Oktaven — bei fortschreitendem Wahnsinn Lears wird der Klang zu einem Viertelton-Cluster über 4 Oktaven verdichtet. Die sich dem Hörer leicht erschließende Kongruenz von Handlung und musikalischer Dramaturgie war ausschlaggebend für den sensationellen Erfolg dieser Oper bei der UA. K. LANGROCK
LEAR, Evelyn, * 8. 1. 1928 Brooklyn (N. Y.); amerik. Sängerin (Sopran). Sie studierte an der Juilliard School of Music in New York und an der 76
Musikhochschule Berlin. 1958 gab sie ihr Deutschlanddebüt in der Rolle des Komponisten in R. Strauss' Ariadne auf Naxos an der Städtischen Oper Berlin, der sie bis 1964 angehörte. Sie trat 1962-65 bei den Salzburger Festspielen auf und gastierte an den großen Bühnen der Welt. Zu ihrem Repertoire zählen neben Rollen in zeitgenössischen Werken (Titelrolle in A. Bergs Lulu, Jeanne in W. Egks Die Verlobung in San Domingo) die großen Mozart-Partien ihres Fachs. E. L. ist auch als Konzertsängerin bekannt geworden. LEBÈGUE (Lebegue, le Bègue), Nicolas Antoine, * 1631 Laon, t 6.7. 1702 Paris; frz. Organist und Komponist. Er war wahrscheinlich Schüler von J. Champion de Chambonnières und wurde 1664 Organist an St -Merry in Paris, 1678 einer der 4 Organisten der Versailler Hofkapelle. Als Cembalokomponist steht L. in der Tradition seines Lehrers. L.s Orgelschaffen umfaßt u. a. Meß- und Magnificatversetten, Noëls (eines davon erinnert an die in f, e, d und c gestimmten Glocken von St -Merry), Offertorien (teilweise auf gregorianische Melodien) und Élévations. Seine nach dem Vorbild der Lullyschen Ouvertüre geschriebenen Symphonies für Orgel sind die ersten ihrer Art überhaupt. L. war der Lehrer von Fr. d'Agincourt und N. de Grigny. WW: 3 Bücher Pièces d'orgues (P 1676, 1678, 1685); weitere Orgelstücke hsl. erhalten; 2 Bücher Pièces de clavessin (P 1676, 1677); Motets für SingSt u. B.c. (mit instr. Ritornellen) (P 1687, 2 1708). Ausg.: 3 Livres d'orgues, in: GUILMANT-PIRRO 9 (1909); Noëls variés, in: Orgue et liturgie 16 (1952); eine Orgelmesse, in: ebd. 29 (1956); 2 Bücher Pièces de clavessin, hrsg. v. N. DuFOURCQ (Monaco 1956). Lit.: A. TESSIER, L'ceuvre de clavecin de N. L., in: RMie 4 (1923); J. E. GILLESPIE, The Music for Harpsichord of N. Le Bègue (1951) (= Diss. Univ. of Southern California); N. DuFOURCQ, N. L. (P 1954) (= La vie musicale en France sous les rois Bourbons I/1); R. A. HOUGH, The Organ Works of N. L. (1969) (= Diss. Univ. of Illinois); A. CURTIS, Musique classique française à Berkeley. Pièces inédites de L. Couperin, L., La Barre etc., in: RMie 56 (1970); F. DOUGLASS, Dom Bédos joue L., in: Couperin Colloque (P 1974).
LEBEN FUR DEN ZAREN, EIN (Schisn sa zarja), Große Oper in 4 Akten und einem Epilog von Michail Glinka (1804-57), Text von Georgi F. von Rosen. Ort u. Zeit der Handlung: Rußland, im Jahre 1613. UA: 27.11. (9. 12.) 1836 in St. Petersburg (Bolschoi-Theater); EA in dt. Sprache: 3. (15.) 3. 1873 in Reval; dt. EA: 12.12. 1878 in Hannover. Mit der Wahl Michails, des ersten Romanow, zum Herrscher aller Reußen fand die „Zeit der Wirren" 1613 ihr Ende. In den Kontext dieses historischen Vorgangs ist die Geschichte des heldenmütigen Patrioten Iwan Sussanin ve"woben: damit die Inthro-
Lecerf de la Viév>t7le
nisation Michails nicht verhindert würde, gab er sein Leben hin, indem er einen Trupp der polnischen Invasoren in gänzlich unwegsames Gebiet führte. Neben der „nationalen" Prägung des Sujets erlaubt vor allem Glinkas kompositorisches Konzept, mit der UA des Werks die eigentliche Geschichte der „russischen" Oper einsetzen zu lassen. Denn hier war es gelungen, das lange virulente Problem des nationalsprachlichen Rezitativs vorbildlich zu lösen; zugleich hatte Glinka für die musikalisch adäquate Präsentation seines Volkes — insbesondere in den Chorszenen — zukunftsweisende Modelle geschaffen. Daß charakteristische Elemente der russischen Musik in dieser Oper zum ersten Male eine konstitutive Bedeutung erlangt hatten, war bereits den unvoreingenommenen Zeitgenossen offenkundig (und spiegelte sich auch im blasiert-aristokratischen Verdikt von der „Kutschermusik" wider). — Kurz vor der Premiere erhielt die Komposition „mit allerhöchster Erlaubnis" den Titel Ein Leben für den Zaren. In der Stalinzeit verbanden sich die Bemühungen, Glinkas ursprüngliche Benennung (Iwan Sussanin) wiederherzustellen, mit einer tiefgreifenden Veränderung des Librettos durch Sergei Gorodezki: Die Handlung spielt nun im Jahre 1612, und Sussanin opfert sich für die Anführer einer Volksbewegung gegen die Polenbesatzung. Ausschließlich in dieser Fassung wird das Werk seit 1939 (UA: 2.4. im Moskauer Bolschoi-Theater) in der UdSSR aufgeführt. E. FISCHER
LEBERTOUL (le Bertoul), Franchois (François), frz. Komponist des 14./15. Jahrhunderts. Von ihm sind 5 Stücke in der Hs. Oxford, Bodleian Library, Ms. Can. Misc. 213 überliefert. Sie gehören ihrer Satztechnik nach der Zeit G. Machauts an. Ausg.: Eine Tripelballade, in: Polyphonia sacra, hrsg. v. CH. VAN DEN BORREN (Burnham - Lo 1932, revidiert University Park/Pa. 1963) (= Penn State Univ. Series o. Nr.); 5 Chansons, in: Early 15th Century Music, hrsg. v. G. REANEY (1959) (_ CMM 11).
Schriften: Recueil de divers écrits pour servir d'éclaircissement à l'histoire de France, 2 Bde. (P 1738); Dissertation sur l'histoire ecclésiastique et civile de Paris, 3 Bde. (P 1739-43); Traité historique et pratique sur le plain-chant (P 1741, Nachdr. G 1972).
LEBRUN, Ludwig August (eig. Ludwig Karl Maria), getauft 2.5. 1752 Mannheim, t 16. 12. 1790 Berlin; dt. Oboist und Komponist. Seit 1767 gehörte er dem Mannheimer Hoforchester an und wurde als Oboenvirtuose bekannt, u. a. 1779 in Paris beim Concert spirituel und 1785 in Wien. — Seine Frau Franziska Dorothea L., getauft 24.3.1756 Mannheim, t 14.5. 1791 Berlin, die Schwester von Fr. Danzi, war eine der bekanntesten Sängerinnen (Sopran) ihrer Zeit und wurde in Mannheim, München, Mailand, Wien, Neapel und London gefeiert. Sie trat auch als Komponistin von 2 Bdn. Sonaten für Cemb. oder Klv. und V. (Lo um 1780) hervor. WW: Duos für V. u. Va. (Mannheim 1784/85 u. ö.); Trios für 2 V. u. Vc. (ebd. 1774) u. für 2 V. bzw. Fl. u. V. u. BaB (1776); 6 Ob.-Konzerte (Offenbach 1804) (auch als Fl.-Konzerte gedruckt); ferner Arien und Tänze aus dem Ballett Adel de Ponthiew (Lo o. J.) und der Oper Armida (Lo 1782). Ausg.: Ob.-Konzert Nr. 4 C-Dur, hrsg. v. W. LEBERMANN (L 1964).
LE CAMUS, Sébastien, * um 1610, t 8. oder 9.3. 1677 Paris; frz. Komponist und Bratschist. Er war um 1640 Ordinaire de la musique du roi, wurde 1648 Intendant de la musique bei Gaston d'Orléans, 1660 Maître de la musique der Königin Marie-Thérèse und 1661 Officier de la musique de chambre König Ludwigs XIV. Neben M. Lambert ist er einer der fruchtbarsten Komponisten von Airs und hat besonders zur Entwicklung des Air sérieux beigetragen. Seine Airs zeigen häufig ausdrucksvolle Melodik, werden oft durch ein instrumentales Vorspiel eingeleitet und sind in der Regel zweiteilig oder haben Rondeauform. WW: Airs à 2 et 3 parties (P 1678); weitere Airs in den Sammeldrucken der Zeit sowie hsl.
Lit.: F. LESURE, Les „Airs de S. le C.", in: RBMie 8 (1954); N. DUFOURCQ, Autour de S. Le C., in: Rech. Mus. 2 (1961/62); L. BOULAY, Notes sur trois airs de S. Le C., in: ebd.
Lit.: H. BESSELER, Bourdon u. Fauxbourdon (L 1950, 2 1974) (darin das Rondeau „Au pain faitich").
LE CÈNE, Michel-Charles, řRoger, Estienne.
LEBEUF (Le Beuf), Abbé Jean, * 6.3. 1687 Auxerre, t 10.4. 1760 Paris; frz. Historiker. Er war Kanonikus und Sous-chantre an der Kathedrale von Auxerre. 1740 wurde er Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres in Paris. Seine geschichtlichen Werke enthalten aufschlußreiche Beiträge über Musik. Mit dem Kanonikus Cl. Chastelain zusammen erarbeitete L. eine (an der jüngeren Überlieferung und nicht an den mittelalterlichen Quellen orientierte) Methode der Choralnotation, die die französische Choralpraxis bis zum Ende des 19. Jh. maßgeblich beeinflußt hat.
LECERF DE LA VIÉVILLE (Le Cerf de la Viéville), Jean Laurent, Sieur de Fresneuse, * 1674 Rouen, t 9. 11. 1707 ebd.; frz. Jurist. Seit 1696 Garde des sceaux am Parlament von Rouen, war er ein großer Opernfreund und ein glühender Anwalt der französischen Musik. Seine Comparaison de la musique italienne et de la musique frangoise, eine Antwort auf die Parteinahme des Abbé Fr. Raguenet für die italienische Oper, und sein Pamphlet L'art de décrier ce qu'on n'entend point, ou le médicin musicien, eine Stellungnahme gegenüber dem Arzt Andry, der die Verteidigung von Raguenet 77
Lechner übernommen hatte, sind ein wertvolles Zeugnis für den musikalischen Geschmack in Frankreich zur Zeit der Hochblüte der Lullyschen Oper. L. befürwortet eine rationale, einfache, „natürliche" Kunst und räumt dem Wort den Vorrang gegenüber der Musik ein — Instrumentalstücke sind für ihn nur Beiwerk. Das Hauptgewicht mißt er dem handlungstragenden Rezitativ bei, in dem die Melodieführung von der Versstruktur abhängig und ausschließlich der Dichtung untergeordnet ist. Ein solches Ideal widersprach ganz den Vorstellungen, die sich L. von der italienischen Oper machte als einer Gattung, in der gegenüber einer die Sprache plastisch hervorkehrenden Vertonung kantabler Melodik, beweglicherem Rhythmus und reicherer Harmonik das Hauptaugenmerk eingeräumt wurde. In der Folgezeit hörten die Auseinandersetzungen zwischen den beiden gegensätzlichen Auffassungen vom Primat der sprachbedingten französischen und dem der musikbedingten italienischen Oper nicht auf und gipfelten im 18. Jh. im 2'Buffonistenstreit. Indem L. so prononciert auf die Bedeutung des Textes in der Oper hingewiesen hat, markieren seine Schriften nicht nur einen kritischen, sondern auch ästhetischen Standpunkt. Schriften: Comparaison de la musique italienne et de la musique françoise (Bru 1704, 21705-06), NA, erschienen auch als Bde. 2/3 u. 4 von J. Bonnet, Histoire de la musique (A 1721, 21725); L'art de décrier ce qu'on n 'entend point, ou le médecin musicien (Bru 1706). Ausg.: Comparaison de la musique italienne ..., Faks. der 2. Aufl. 1705-06, 2 Bde. (G 1972); dass., Faks. der Ausg. Amsterdam 1725, hrsg. v. O. WESSELY, 2 Bde. (Gr 1966) (= Die groBen Darstellungen der Musikgesch. in Barock u. Aufklärung 2). Lit.: D.C. VISCHER, Der musikgeschichtliche Traktat des P. Bourdelot (Be 1947); R. WANGERMEE, Le C., Bonnet-Bourdelot et l' „Essai sur le bon goust en musique" de N. Grandval, in: RBMie 5 (1951); C. GIRDLESTONE, Le C. de la V.'s „Comparaison". Its Non-Musical Interest, in: French Studies 16 (1962); M. JUST, L. de la V. Comparaison de la musique italienne et de la musique française 1704-06, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kas 1970).
LECHNER, Irmgard, *5. 7. 1907 Bonn; dt. Cembalistin. Sie studierte 1926-31 Klavier an den Musikhochschulen in Köln und Berlin (Edwin Fischer) und lebte anschließend als Pianistin und Pädagogin in München. 1938 wandte sie sich dem Cembalospiel zu und nahm Unterricht bei dem Landowska-Schüler Carl Bittner in Berlin. 1941-45 war sie Dozentin für Cembalo und alte Kammermusik am Mozarteum in Salzburg, leitete 1947-72 eine Cembaloklasse an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold (1949 Professor) und war 1948-64 daneben ständige Solistin des Stuttgarter Kammerorchesters. Seit 1959 gehört sie den Deutschen Bachsolisten, seit 1964 den Berliner Philharmonischen Solisten an. I. L. kon78
zertierte in ganz Europa sowie im Nahen Osten und pflegt die gesamte Literatur für Cembalo von den Anfängen bis ins 20. Jh. (Fr. Martin, W. Fortner, G. Petrassi, H. Distler u. a.). LECHNER, Leonhard, * um 1553 im Etschtal (Südtirol), daher der Beiname Athesinus, t 9.9. 1606 Stuttgart; östr. Komponist. Er war 1566-70 als Kapellknabe Schüler von O. di Lasso und I. de Vento in den bayrischen Hofkapellen in München und Landshut. Nach Jahren der Wanderschaft, bei der er möglicherweise auch nach Italien gekommen ist, und dem Übertritt zur lutherischen Kirche war er 1575-84 „Schulgehilfe" an der St.-LorenzSchule in Nürnberg, wo er bereits zu hohem Ansehen als Komponist gelangte. Obwohl er auch noch oberster Stadtmusiker war und zudem als Kantor besoldet wurde, bewarb er sich nach fast 10jähriger Tätigkeit in Nürnberg mit Erfolg um das Hofkapellmeisteramt am katholischen Hof des Grafen Eitel Friedrich von Hohenzollern in Hechingen; die Freiheit seiner lutherischen Konfession hatte er sich schriftlich bestätigen lassen. Er überwarf sich jedoch bald mit dem Grafen und bewarb sich — allerdings vergeblich — 1585 um das Hofkapellmeisteramt am kursächsischen Hof in Dresden. Nach dem völligen Bruch fand er am Stuttgarter Hof zunächst eine bescheidene Stellung als Tenorist, wurde 1586 Hofkomponist und 1594 nach dem Tod von B. Hoyoul, dem Nachfolger seines Schwiegervaters L. Daser, Hofkapellmeister. Während seiner Amtszeit, die bis zu seinem Tod währte, erreichte die Hofkapelle eine bedeutende künstlerische Höhe. Die letzten Lebensjahre L.s waren von Krankheit überschattet, wodurch seine Schaffenskraft aber offenbar kaum beeinträchtigt wurde; wahrscheinlich erklärt sich daraus jedoch, daß die reifen Spätwerke nicht mehr zum Druck gelangten. WW (meist in Nürnberg gedruckt und teilweise mit mehreren Aufl.): Motectae sacrae für 4-6 St. (1575); Neue teutsche Lieder für 3 St. nach Art der Welschen Villanellen, 2 Teile (1576, 1577), beide Teile zus. (1578); Neue Teutsche Lieder für 4-5 St. (1577); Sanctissimae Virginis Mariae canticum ... Magnificat für 4 St. (1578); Sacrarum cantionum liber II für 5-6 St. (1581); Neue Teutsche Lieder für 4-5 St. (1582); Liber missarum für 5-6 St. (1584); Neue lustige Teutsche Lieder für 4 St. nach Art der Welschen Canzonen (1586); Septem psalmi poenitentiales für 6 St. (1587); Neue Geistliche und Weltliche Teutsche Lieder für 4-5 St. (1589); ferner mehrere Gelegenheitsgesänge. - Hsl. erhalten sind: Johannes-Passion für 4 St. (1594); Newe Geistliche und Weltliche Gesang samt zwayen Lateinischen für 4-5 St. (1606), darin u. a. Das Hohelied Salomos u. Deutsche Sprüche von Leben und Tod für 4 St. - L. gab heraus O. di Lasso, Selectissimae cantiones, 2 Teile (Nü 1579, '1587), u. Liber missarum (Nü 1581) sowie den Sammeldruck Harmonise miscellae cantionum sacrarum ( = RISM 15832).
L. war neben J. Eccard der wichtigste Vermittler der musikalischen Errungenschaften Lassos für die
Ledair evangelische Kirchenmusik, wobei er gegenüber seinem allzeit hochverehrten Lehrmeister sogar zu künstlerischer Eigenständigkeit ' und Größe heranwuchs. Zeigt sich seine hohe Befähigung bereits in den Motectae, so sind die lateinischen Werke doch insgesamt traditionsgebundener. Der Durchbruch zu eigener künstlerischer Leistung vollzog sich bezeichnenderweise in Verbindung mit der deutschen Sprache, und zwar insonderheit mit geistlichen Texten, darin nahe verwandt mit H. Schütz. Demgegenüber stellen die italienisch beeinflußten Sätze im Villanellen- und Kanzonenstil im allgemeinen schlichtere Gesellschaftskunst dar. Die geistlichen Liedmotetten der Newen Teutschen Lieder über die z.T. für ihre Zeit einzigartigen Dichtungen P. Dulners (wie O Tod, du bist ein bitter Gallen) eröffnen jedoch eine Reihe von Werken, die bis hin zu den Deutschen Sprüchen von Leben und Tod einen überragenden Gipfel in der Geschichte der Liedmotette um 1600 darstellen. In der Anwendung der neuzeitlichen Dur-Moll-Harmonik im Dienst einer überaus erregten und persönlich durchglühten Affektsprache, in der Kontrastierung von Polyphonie und Homophonie wie auch in der Sprachbehandlung in Gestalt von chorischer Deklamation, ferner in der Anwendung von Tonsymbolik und Tonmalerei überragt L. seine Zeitgenossen an künstlerischer Kraft und Leidenschaft bei weitem. Ohne sein Werk ist eine Generation später H. Schütz, der in der Kasseler Hofkapelle mit L.s Schaffen vertraut wurde, nicht zu verstehen. Wie sehr L. in seinen Kompositionen auch Elemente des italienischen Madrigals verwenden konnte, zeigt vor allem seine Vertonung des Hohenlieds. Mit den Deutschen Sprüchen von Leben und Tod, bestehend aus 15 knappen Strophen unbekannter Herkunft „von ungewöhnlichem literarischem Wert", „hat Lechner einen Totentanz komponiert, für den es in der gesamten deutschen Musikgeschichte keine Parallele gibt" (Fr. Blume). Auch seine Johannespassion bildet nicht nur den Höhepunkt der Geschichte der Figuralpassion, sondern gehört zu den eindrucksvollsten Schöpfungen der gesamten Geschichte der Passionskomposition. Ausg.: GA, hrsg. v. K. AMELN u. a. (Kas 1956ff.), bisher erschienen 11 Bde. (mit den gedruckten Slgen. in chronologischer Reihenfolge; noch nicht erschienen Bd. 6: Sacrarum cantionum liberllu. 10: Psalmi poenitentiales); 12: Historia der Passion, 1593; 13: Neue ... Gesang. 1606. — Zahlr. weitere praktische Ausg. einzeln und in Slgen. erhalten. Lit.: M. SCHREIBER, L. L. Athesinua (Birkeneck 1932); DERS., Die Kirchenmusik des Kapellmeisters L. L. (Rb 1935); A. A. ABERT, Die stilistischen Voraussetzungen der Cantiones saaae v. H. Schütz (Wb 1935); K. AMELN, L.s Bekenntnis, in: MuK 23 (1953); U. MARTIN, Der Nürnberger P. Dulner als Dichter ... L. L.s, in: AfMw 10 (1954); K. AMELN, L. L., in: MuK 26 (1956); U. MARTIN, Hist. u. stilkritische Stud. zu L. L.s Stro-
phenliedern (Diss. Gö 1957); K. AMELN, L. L., in: MGG VIII; H. WEBER, Die Beziehungen zw. Musik und Text in den lat. Motetten L. Ls (Dias. H 1961); E. F. SCHMIDT, Musik an den schwäbischen Zollernhöfen der Renaissance (Kas 1962); F. BLUME, Gesch. der ev. Kirchenmusik (Kas .1965); W. PASS, Thematischer Kat. sämtlicher Werke J. Regnarts ca. 1540-1599 (W 1969); W. BLANKENBURG, Anmerkungen zu den Passionen von L. Daser 1578 und L. L. 1593, in: Musa, Mens, Musici. Gedenkschrift W. Vetter (L 1970); W. DUPONT, Werkausgaben Nürnberger Komponisten (Nü 1971). W. BLANKENBURG
LECHTHALER, Josef, * 13.12.1891 Rattenberg (Tirol), t 21.8.1948 Wien; östr. Komponist. Er studierte in Wien Musikwissenschaft bei G. Adler an der Universität, an der er 1919 mit einer Dissertation über Die kirchenmusikalischen Werke von Uttendal promovierte, sowie Komposition bei V. Goller und M. Springer an der Musikakademie. Dort wurde er 1924 Theorielehrer und 1932 Leiter der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik. Die Ausbildung in diesen Fachrichtungen wurde in Österreich maBgeblich durch ihn geprägt. WW: Choralfantasie, op. 31 (1954) für Org.; 2 Streichquartette; 7 Messen: op. 2 (1914), op. 5 (1920), op. 9 (1922), op. 25 (1930), op. 33 (1932), op. 37 u. 38 (1937); Stabat mater, op. 15 (1928) für Soli, Chor u. Orch.; Chöre a cap. Lit.: E. KNOFLACH, Die kirchenmusikal. Werke J. Ls (Diss. I 1962); E. TITTEL, J. L. (W 1966) (= Ostr. Komponisten des 20. Jh. 7).
LECLAIR, Jean-Marie, genannt l'Aîné, * 10.5. 1697 Lyon, t 23.10. 1764 Paris (ermordet aufgefunden); frz. Violinist, Komponist und Tänzer. Er war zunächst Violinist und Tänzer an der Oper in Lyon, dann seit 1722 Ballettmeister und 1. Tänzer in Turin, wo er als Komponist von Intermedien zu G. M. Orlandinis Oper Semiramide hervortrat. Dort wurde der Violinvirtuose G. B. Somis, ein Schüler A. Corellis, auf ihn aufmerksam und unterrichtete ihn. 1723 übersiedelte er vorübergehend nach Paris und veröffentlichte dort seine Violinsonaten op. 1. Nachdem er 1728 viermal erfolgreich im Concert spirituel aufgetreten war, ließ er sich endgültig in Paris nieder. Sein Ruf als Violinist und Komponist wuchs schnell, als seine Violin- und Flötensonaten op. 2 und Triosonaten op. 4 sowie seine Sonaten für 2 Violinen op. 3 erschienen. 1734 trat er zusammen mit J. -P. Guignon in die Königliche Kapelle ein, schied aber bereits 1736 wegen Streitigkeiten um die Konzertmeisterposition aus. Von Mäzenen unterstützt, reiste er nach Holland, traf wohl 1741 in Amsterdam mit P. Locatelli zusammen und ging dann an den Hof des Infanten Philipp. Seit 1745 wirkte er als angesehener Privatlehrer des Adels und Großbürgertums wieder in Paris. — Fünf seiner sieben Geschwister waren ebenfalls Musiker und in ihrer Zeit z. T. sehr erfolgreich. WW: (Je 12) Sonaten für V. u. B. c. op. 1 (P 1723), op. 2 (P um 1728), op. 5 (P 1734), op. 9 (P 1738); Sonaten für 2 V. ohne B.
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Lecocq op. 3 (P 1730), op. 12 (um 1747); Triosonaten für 2 V. u. B. c. op. 4 (P 1730), op.6 (P 1737), op.8 (P um 1737); (je 6) Konzerte für V. u. Str. op. 7 (P um 1737), op. 10 (um 1743/44); Oper Scylla et Glaucus, op. 11 (P 1746); Ouvertures et sonates en trio für 2 V. u. B. c. op. 13 (P 1753); Trio für 2 V. u. B. c. op. 14 (P um 1766); Sonate für V. u. B. c. (P 1767).
L. war einer der besten Violinisten seiner Zeit und Begründer der französischen Geigertradition, die über seine Schüler bis zu P. Rode, R. Kreutzer und Fr. Baillot reicht. Von den Italienern übernahm er viele Techniken und baute das akkordische Spiel aus. In seinen Kompositionen schloß er an die französische Clavecin-Musik (Fr. Couperin) an, deren Elemente er streichermäßig umsetzte und damit die französische Kammer- und Orchestermusik nachhaltig prägte. Seine Violin- und Triosonaten gehören noch immer zu den grundlegenden Werken der Violinliteratur. Ausg.: V.-Sonaten: op. 1,5; 2,2; 2,5; 5,5; 5,7, in Einzelausg. hrsg. v. H. RUF (Kas 1956-58); op. 2,3 u. 2,11, hrsg. v. DEMS. (Lörrach 1953); op. 2,8, hrsg. v. L. HOFFER-VON WINTERFELD (H o. J.); Sonaten, 3 H.e hrsg. v. F. POLNAUER (NY 1960); 4 Sonaten aus op. 9, hrsg. v. DEMS.: Nr. 3 u. 5. (Mz 1969), Nr. 2 (Lo 1970), Nr. 9 (Wilhelmshaven 1970); op. 5, hrsg. v. R. E. PRESTON, 2 Bde. (New Haven/Conn. 1968-69) (= RRMBar 4-5); Sonaten für Fl. op. 1,2; 9,2; 9,7, hrsg. v. H. RUF (Mz 1967-68) (= Il flauto traverso o.Nr.). -Sonaten für 2 V.: op. 3,2; 3,4; 3,6, hrsg. v. C. HERRMANN (NY 1958); 6 Sonaten, hrsg.v. W. ROST (Wilhelmshaven 1963); 6 Sonaten aus op. 12 für 2 Violen, hrsg. v. W. LEBERMANN, 2 H.e (Mz 1971) (= Va.-Bibi. 19-20). Triosonaten: op. 2,8, hrsg. v. H. RUF (Mz 1968) (= Antiqua o. Nr.); op. 4, 1-2, hrsg. v. A. u. H. MAJEwSKI (Wilhelmshaven 1964-65). - Konzerte: op. 7, 3 (für Fl. oder Ob.), hrsg. v. G. SCHECK - H. RUF (Lörrach 1956); dass., hrsg. v. K. REDEL (Mn 1957); op. 10,1 (für V.), hrsg. v. F. POLNAUER (Mz 1968) (Concertino o.Nr.); op. 7,4 (für V.) u. C-Dur für Fl., hrsg. v. C. CRUSSARD (Lau 1960, 1964) (= Flores Mušicae 10 u. 14); op. 7,2; op. 10,2; op. 10,6, hrsg. v. J.-F. PAILLARD (P 1962-63) (= Arch. de la musique instr. 1, 4 und 5); op. 7, 5 (für V.) hrsg. v. H. RUF (Kas 1963) (= Nagels MA 209); op. 7,1 (für V.) (F o.J.). - Suite aus Scylla et Glaucus für Streichorch., hrsg. v. L. BOULAY (Lo 1956). Lit.: N. SLONIMSKY, The Murder of L., in: A Thing or Two about Music (NY 1948); E. APPIA, Les Sonates ä Violon seul et Basse de J.-M. L. l'aîné, in: SMZ 90 (1950), auch in: DERS., De Palestrina à Bartók (P 1965); M. PINCHERLE, J.-M. L. l'aîné (P 1952); M. LEMOINE, La technique violinistique de J.-M. L., in: RM (1955) Nr. 226; W. S. NEWMAN, The Sonata in the Baroque Era (Chapel Hill 1959, revidiert NY '1972); R. E. PRESTON, The Sonatas for V. and Figured Bass by J.-M. L., 2 Bde (1959) (= Diss. Univ. of Michigan); DERS., The Treatment of Harmony in the V. Sonatas of J.-M. L., in: Rech. Mus. 3 (1963); J.-F. PAILLARD, Les concertos de J.-M. Leclair, in: Chigiana 21, N. S. 1 (1964); N. ZASLAW, Materials for the Life and Works of J.-M. L. l'aine (1970) (= Diss. Columbia Univ. New York) (mit thematischem Werkverz.); W. KOLNEDER, Das Buch der Violine (Fr-Z 1972, 2 1978); N. ZASLAW, L.s „Scylla and Glaucus", in: MT 120 (1979). G. SCHUHMACHER
LECOCQ, Alexandre Charles, * 3.6.1832 Paris, t 24.10.1918 ebd.; frz. Komponist. L. war am Pariser Conservatoire Schüler von Fr.-E.-J. Bazin (Harmonielehre), Fr. Halévy (Komposition) und Fr. Benoist (Orgel). 1857 nahm er mit der Operette 80
Le Docteur Miracle an einem von J. Offenbach ausgeschriebenen Wettbewerb teil und wurde zusammen mit G. Bizet ausgezeichnet. Nach weiteren, nur mäßig erfolgreichen Werken begründeten Fleur de thé (1868), Les cent Vierges (1872) und — sein beliebtestes Werk — La Fille de Madame Angot (1872) L.s Popularität als Operettenkomponist in Frankreich. WW: Bühnen-WW: Fleur de thé, UA: Paris 1868; Le testament de Monsieur de Crac, UA: Paris 1871; Les cent Vierges, UA: Brüssel 1872; La fille de Madame Angot, UA: ebd. 1872; Giroflé-Girofla, UA: ebd. 1874; La petite mariée, UA: Paris 1875; Le petit Duc, UA: ebd. 1878; Le jour et la nuit, UA: ebd. 1881; Le coeur et la main, UA: ebd. 1882. Lit.: Lettres inédites de L. à Saint-Saëns, hrsg. v. G. LENAS, in: RM 5 (1924) u. 6 (1925); L. SCHNEIDER, Les maîtres de l'opérette française, Hervé et Ch. L. (P 1924) (mit Werk-Verz.); DERS., Une heure de musique avec Ch. L. (P 1930); L. OSTER, Les opérettes du répertoire (P 1953).
LECOCQ, Jean (Johannes Gallus, Johannes de Ferrara, Maistre Ihan o. ä.); franko-flämischer Komponist des 16. Jahrhunderts. Er stand zwischen 1541 und 1543 im Dienst des Herzogs Ercole II. von Ferrara. L. ist vielleicht identisch mit Giovanni Nasco (t 1561 Treviso), der in Vicenza die Kapelle des Paolo Naldi, Capitano der Republik Venedig, und 1547-51 die Accademia Filarmonica in Verona
leitete. Auch er wird in seiner Zeit als Maistre Ihan bezeichnet. Von ihm stammt eines der seltenen Beispiele für eine „durchkomponierte" responsoriale lateinische /Passion, in der auch der Evangelistenbericht mehrstimmig vertont ist, der sonst bei der responsorialen Passion einstimmig -choral vorgetragen wird. Nascos Matthäus-Passion ist auch durch eine außerordentlich reiche Verwendung musikalisch-rhetorischer Figuren gekennzeichnet. WW: Von L.: Madrigale (V 1541); Symphonia für 4 St. (Motetten) (V 1543); etwa 20 Chansons in Sammeldrucken 1544-55. - Weitere geistliche u. weltliche Werke hsl. - Von G. Nasco: Lamentationen für 4 gleiche St. (V 1561); Madrigale für 4 St. (V 1554 u. 6.); 2 Bücher Madrigale für 5 St. (V 1548 u. 1557); Canzon villanesche für 4 St. (V 1558 u. ö.); Le canzon et madrřgali für 6 St. (V 1557); weitere Werke in Sammeldrucken der Zeit u. Hss., darunter eine Matthäus-Passion. Ausg.: Zu L.: Motette Lauda, Jerusalem, in: The Medici Cod. of 1518, hrsg. v. E. E. LOWINSKY (Ch -Lo 1968) (= Monuments of Renaissance Music 3-5). - Zu Nasco: Matthäus-Passion, in: Oberit. Figuralpassionen des 16. Jh., hrsg. v. A. SCHMrrz (1955) (= Musikal. Denkmäler 1); je 1 Madrigal, in: 6 it. Madrigale ... sowie in: 5 Madrigale auf Texte von F. Petrarca, hrsg. v. B. MEIER (Wb 1956 und 1961) (= Chw 58 und 88). Lit.: D. G. TURRINI, De Vlaamsche Componist Nasco te Verona, in: TVer 14 (1935); A. SCHMITZ, s. o. Ausg.; CH. VAN DEN BORREN, Jean, Maitre, in: MGG VI; DERS., L., in: MGG VIII; J. ROBIJNS, Nasco, in: MGG IX.
LECUONA, Ernesto, * 7. 8.1896 Guanabacoa (heute Havanna), t 29. 11. 1963 Santa Cruz (Teneriffa); kubanischer Komponist, Bandleader und
Leere Saite Pianist. Er studierte bis 1913 Klavier, Instrumentation und Orchesterleitung bei J. Nin y Castellanos, Antonio Saavedra und H. De Blanck am Nationalkonservatorium von Havanna. Anschließend bereiste er Nordamerika und Westeuropa als Pianist und Dirigent des von ihm gegründeten Salonorchesters „Lecuona Cuban Boys". Schon vor dem 1. Weltkrieg begann mit Malagueňa und Siboney die Kette seiner Sensationserfolge, die bis zuletzt nicht abriß (Rapsodia negra für Orchester, 1943; Concierto en rumba für Klavier und Orchester, 1963). L. entwickelte einen rhythmisch und melodisch an kreolisch-afrikanische Grundmuster angelehnten Pop-Stil. Auch mit einer Reihe von Zarzuelas hatte er seit den 20er Jahren anhaltenden Erfolg (Niňa Rita, 1927; Lola Cruz, 1935). LEDUC (Le Duc), Simon, genannt l'Aîné, * um 1745 Paris, begraben 22. 1. 1777 ebd.; frz. Violinist und Komponist. L. war Violinschüler von P. Gaviniès und wurde 1759 2. Violinist und 1763 1. Violinist des Concert spirituel. L. Mozart, der ihn während eines Aufenthaltes in Paris hörte, bewunderte sein Spiel. Trotz seiner Erfolge gab L. die Virtuosenlaufbahn auf und wandte sich der Komposition zu. Außerdem war er als Lehrer tätig und gründete 1767 den Musikverlag řLeduc & Cie. 1773 übernahm er zusammen mit Fr. J. Gossec und Gaviniès die Leitung des Concert spirituel. L. gehört zu den wichtigsten Instrumentalkomponisten seiner Zeit in Frankreich. Seine Orchesterwerke verbinden instrumentale Farbigkeit mit einer reichen kontrastierenden, häufig molltonalen und chromatisierenden Harmonik. Auch Form, Rhythmus und Dynamik belegen eine sehr persönliche Schreibweise. Die technisch brillanten, mit genauen dynamischen Spielanweisungen versehenen Violinsonaten stehen der Mannheimer Schule nahe. WW: Im Druck erschienen: 2 Bücher V. -Sonaten u. 2 Bücher Sonaten für V. ohne BaB; 12 Trios für 2 V. u. BaB; 3 V. -Konzerte; 2 konzertante Symphonien; 3 Symphonien. Ausg.: 3 kleine Sonaten für 2 V., hrsg. v. E. DOFLEIN (Mz 1941); Symphonie D-Dur, hrsg. v. F. OUBRADOUS (P 1957); 2 V.Konzerte C-Dur, hrsg. v. DEMS. (P 1958); 4 Sonaten für V. u. B.c. op. 1, Nr. 2 u. op. 4, Nr. 1/4 u. 6, hrsg. v. E. DOFLEIN, 2 H.e (Mz 1964). Lit.: L. DE LS LAURENCIE, L'école française de violon II (P 1923, Nachdr. G 1971); C. JOHANSSON, French Music Publishers' Catalogues of the Second Half of the 18th Century (Sto 1955); B. S. BROOK, La symphonie française dans la 2* moitié du XVIII• sičcle (P 1962); DERS., S. le D. l'ainé. A French Symphonist at the Time of Mozart, in: MQ 48 (1962); A. DEVRIĚS, Deux dynasties d'éditeurs et de musiciens. Les Leduc, in: RBMie 28 (1974)-30 (1976).
LEDUC & CIE, frz. Musikverlag. Er wurde von Simon Leduc 1767 in Paris gegründet und nach seinem Tod von seinem Bruder Pierre Leduc, * 1755
Paris, t nach 1823 in den Niederlanden, weitergeführt, der die Bestände von Venier (1781 oder 1782) und von La Chevardière (1785) hinzuerwarb. 1804 übernahm Pierre Auguste Leduc, vermutlich ein Sohn von Pierre Leduc, * 1779, t 25.5. 1823 Paris, die Verlagsleitung. Er verlegte vor allem Werke von J. Chr. Bach, J. Haydn, W. A. Mozart und G. B. Viotti. Nach seinem Tod leitete zunächst seine Frau und seit 1841 Alphonse (L) Leduc, * 9.3. 1804 Nantes, t 17.6. 1868 Paris, das Unternehmen, das nun als „Éditions Alphonse Leduc" firmierte. Sein Sohn Alphonse (H.) Leduc, * 29.5. 1844 Paris, t 4.6. 1892 ebd., pflegte vor allem Ausgaben musiktheoretischer und -pädagogischer Werke (Arban, Klosé, Taffanel, N. RimskiKorsakow). Nach seinem Tod übernahm seine Frau, Emma Leduc-Ravina, die Verlagsleitung, die sie 1904 ihrem Sohn, Émile Alphonse (In) Leduc, * 14.11. 1878 Paris, t 24.5. 1951 ebd., überließ. Unter seiner Leitung erschienen zahlreiche Werke zeitgenössischer Komponisten, u. a. von G. Pierné, H. Busser, J. Ibert, B. Martinů, G. Migot, L. Lajtha, H. Tomasi, H. Sauguet, E. Bozza, A. Jolivet, O. Messiaen, J. Alain, H. Dutilleux, R. GalloisMontbrun, Ch. Chaynes, P.-M. Dubois, R. Boutry, J. Charpentier und J. Guillou. 1938 traten seine Söhne Claude Alphonse Leduc, * 22.7. 1910 Lieusant (Seine-et-Marne), und Gilbert Alphonse Leduc, * 17. 10. 1911 Paris, als Teilhaber in den Verlag ein, den sie noch heute leiten. Lit.: řLeduc, Simon.
LEE, Peggy (eig. Norma Dolores Egstrom), * 26.5. 1922 Jamestown (North Dakota); amerik. Jazzsängerin. Sie sang 1941 bei Benny Goodman, widmete sich aber seit 1943 eine Zeitlang nur der Komposition. Seit den 50er Jahren war sie wieder als Sängerin u. a. bei Benny Carter und Quincy Jones erfolgreich und trat daneben in den 60er Jahren erneut als Komponistin ansprechender Songs hervor. LEERE SAITE (engl.: open string; frz.: corde à vide; it.: corda vuota; span.: cuerda al aire), bei Streich- und Zupfinstrumenten (mit Griffbrett) Bz. für die ohne Fingeraufsatz zum Erklingen gebrachte Saite (meist mit o angezeigt). War das Spielen der I.S. bis zum 19. Jh. durchaus üblich — und durch die Grifftechnik ohne Vibrato gerechtfertigt —, wird der Gebrauch der 1. S. in der modernen Spieltechnik auf Streichinstrumenten im allgemeinen vermieden. Lediglich zur Erzielung gewisser Effekte (z. B. am Beginn des Violinkonzerts von A. Berg) und bei der bis heute häufig verlangten .'Bariolage-Technik ist die 1. S. unumgänglich. — Die als řAliquotsaiten bezeichneten Resonanzsaiten u. a. von Viola d'amore und Baryton erklingen immer leer. 81
Leeuw LEEUW, Ton (Antonius) Wilhelmus Adrianus de, * 16. 11. 1926 Rotterdam; ndl. Komponist. L. studierte Komposition bei H. Badings und O. Messiaen und 1954-56 Musikethnologie bei J. Kunst. 1954 wurde er Tonmeister beim Rundfunk in Hilversum und 1959 Kompositionslehrer an den Konservatorien in Amsterdam und Utrecht sowie Dozent für zeitgenössische Musik an der Universität Amsterdam. 1971-73 war er Direktor des Amsterdamer Konservatoriums. Von P. Hindemith und B. Bartók ausgehend, wandte sich L., angeregt durch seine musikethnologischen Studien, später besonders rhythmischen Problemen zu (S Études de rythmes für Klavier, 1952). In seinen letzten Werken erprobte er serielle und postserielle Techniken. WW: 1) 1 b.-WW: 2 Streichquartette (1958, 1963); Spatial Music II (1971) für Schlagzeug u. IV (Homage to I. Stravinsky) (1968) für 12 Spieler; Musik für Org. u. 12 Spieler (1970/71); Reversed Night (1971) für Fl. — Elektronische Studie (1958); Antiphony (1960) für Bläserquintett u. 4 Klangspuren; Syntaxis I (1966). — Für Orch.: Klv.-Konzert (1948); 2 Symphonien (1950, 1951); 2 V.-Konzerte (1953, 1961); Mouvements rétrogrades (1957); Ombres (1961); Nritta (1961); Symphonies of Winds (1963); Spatial Music (1966) für 32-38 Spieler u. III (1971) für Orch. in 4 Gruppen; Syntaxis II (1966). — 2) Volal-WW: Oratorium Job (1956); Haiku I (1963) für SingSt u. Klv. u. II (1968) für Sopran u. Orch.; Lamento paris (1969) (nach E. von Rotterdam) für gem. Chor u. 16 Instr. — 3) Bähsen-WW: Oper De droom, UA: Amsterdam 1965; Fernsehopern Alceste (1963) u. litany of Our Time (1970); Ballette De bijen (1964) u. Krishna en Radha (1964). — 4) Schrates: Experimentale muziek (A 1958); Muziek van de twintigste eeuw (Utrecht 1964, 21970, engl. Middletown/Conn. 1973); Musik in Ost u. West, ein soziales Problem, in: Sonorum Speculum 44 (1970); Influences mutuelles des cultures dans le domaine de la musique (P 1973). Lit.: E. VERMEULEN, Lamento Pacis v. T. de L., in: Sonorem Speculum 39 (1969); D. MANNEKE, T. de L. Music for Strings, in: ebd. 48 (1971); J. WOUTERS, Negen portretten van Nederlandse Componisten (A 1971); D. MANNEKE, T. de L. Music for Organ and 12 Players, in: Sonorum Speculum 49 (1971/72); S. SCHNEIDER. Mikrotöne in der Musik des 20. Jh. (Bonn 1975) (= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 15).
LEFÈVRE, Jean Xavier, * 6.3.1763 Lausanne, t 9.11.1829 Paris; frz. Klarinettist und Komponist. L. war Schüler von M. Yost in Paris und trat 1778 in die Musique des Gardes Françaises ein. 1783 spielte er erstmals im Concert spirituel. 1791-1817 war er 1. Klarinettist im Orchester der Grand Opéra und 1807-29 Mitglied der kaiserlichen, später königlichen Kapelle. Bei der Gründung des Pariser Conservatoire 1795 wurde er Professor für Klarinette und behielt dieses Amt bis 1825. L. führte die 6. Klappe bei der Klarinette ein. Er schrieb zahlr. Stücke für Klarinette u. eine Klarinettenschule. WW: Sonaten für Klar. u. BaB; zahlr. Duos für 2 Klar. sowie für Klar. u. Fag.; Trios für 2 Klar. u. Fag.; Quartett für Klar., V., Va. u. BaB; 6 Klar.-Konzerte; 2 konzertante Symphonien für Klar. u. Fag. sowie eine konzertante Symphonie für Fag. mit Orch. u. Saxophon; ferner eine Méthode de clarinette (P 1802/03) (mit 12 Sonaten für Klar. u. BaB).
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Ausg.: 5. Klar.-Sonate (aus der Méthode), hrsg. v. G. MIGOT (G 1949) (= Musique française 2); 3. Klar.-Sonate, hrsg. v. DEMS. (G 1951) (= ebd. 15); 7. Klar.-Sonate, hrsg. v. F. ROBERT (P 1966). Lit.: L. V. YOUNGS, J. X. L. His Contribution to the Clarinet and Clarinet Playing (Washington/D. C. 1970) (= Diss. Catholic Univ. of America); D. R. HARMAN, Six Quartets for Clarinet, Violin, Viola and Cello by J. X. L. A Critical Score ... (Rochester /N.Y. 1974) (= Diss. Eastman School of Music); U. RAU, Die Kammermusik für Klar. u. Streichinstr. im Zeitalter der Wiener Klassik, 2 Bde. (Diss. Saarbrücken 1975).
LEFÈVRE (Lefebvre, Le Fèbre, Lefeure); frz. Orgelbauer und Organisten. Die Familie ist seit dem 16. Jh. in der Normandie nachweisbar, weitere, möglicherweise nicht mit den normannischen L. verwandte Vertreter dieses Namens waren in der Ile-de-France und im südlichen Frankreich ansässig. — 1) Léonard, * Fresnay-sur-Sarthe, t 1659 Angoulême. Er wirkte in Le Mans, Mitry-Mory und Angoulême, wo er, wie zeitweise in Bourges, auch Organist der Kathedrale war. L. vertritt den durch Zweimanualigkeit und Reichtum an Zungenstimmen charakterisierten Orgeltypus, aus dem sich die „klassische" französische Orgel entwickelte (1615 Orgel im Couvent des Cordeliers in Angoulême). — 2) Clément, * zwischen 1627 und 1630 Rouen, t 29.9.1709 ebd. Er arbeitete seit 1681 mit seinem Sohn Germain L., getauft 6.10.1656, t 1694, zusammen. Ihr gemeinsames Hauptwerk ist die 1688 vollendete Orgel von St-Denis in Rouen, die die klassische Viermanualigkeit (Grand orgue, Positif, Récit, Écho) und ein reich besetztes Pedal aufweist. — 3) Jean-Baptiste Nicolas, getauft 6.2.1706 Rouen, t 26.3.1784 ebd. Er ist der wohl bedeutendste Vertreter der Blütezeit des klassischen französischen Orgelbaus in der Normandie. Zu seinen wichtigsten Werken zählen die Orgeln von St-Étienne in Caen (1742), St-Martin in Tours (1761), St-Maclou in Rouen und Notre-Dame in le Havre (1772). Lit.: P. DE FLEURY, Dictionnaire biographique des facteurs d'orgues (P 1926); N. DUFOURCO, Esquisse d'une histoire de l'orgue en France du XIII° au XVIII° siècle (P 1935); DERS., Documents inédits relatifs à l'orgue français, 2 Bde. (P 1943-45) (= Publications de la Soc. Fr. de Mie 5-6); F. DOUGLASS, The Language of the Classical French Organ (New Haven — Lo 1969); E. KRAUS, Orgeln u. Orgelmusik (Rb 1972); S. DIEDERICH, Originale Registrieranweisungen in der frz. Orgelmusik des 17. u. 18. Jh. (Kas — Bas — Tours — Lo 1975); H. KLOTZ, Ober die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance u. des Barock (ebd. 1975). B. SYDOW-SAAK
LEFFLOTH (Löffelloth), Johann Matthäus (Matthias) der Jüngere, getauft 6.2. 1705 Nürnberg, begraben 2. 11. 1731 ebd.; dt. Komponist. L. war Schüler von W. H. Pachelbel und wirkte als Organist seit 1723 an St. Leonhard und seit 1731 an St. Bartholomäus in Nürnberg. Er war als hervorragender Orgelspieler und Clavichordvirtuose be-
Legrant kannt. Seine Werke für Cembalo lassen Einflüsse des französischen und italienischen Klavierstils erkennen. Eine Gambensonate wurde irrtümlich G. Fr. Händel zugeschrieben.
sten Tones freigegeben. Die Anweisung legatissimo oder hen legato fordert einen äußerst gebundenen Vortrag.
WW: In Nürnberg wurden gedruckt: Divertimento musicale (Partita für Cemb.) (um 1726); 6 Sonaten für V. oder FI. u. Ball (um
LEGENDE VON DER UNSICHTBAREN STADT KITESCH UND DER JUNGFRAU FEWRONIA, DIE (Skasanije o newidimom grade Kitesche i dewe Fewronii), Oper in 4 Akten (6 Bildern) von Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908), Text von Wladimir Belski nach Motiven aus der altrussischen Legendenliteratur. UA: 7. (20.) 2.1907 in St. Petersburg (Marientheater); dt. EA (in dt. Sprache): 14.5.1935 in Duisburg. Diese vorletzte Oper Rimski-Korsakows gilt zu Recht als Gipfel seines musikdramatischen Schaffens. Daß der Komponist hier die Summe seiner früheren Bestrebungen zog, zeigen neben der fein differenzierten Instrumentation vor allem die komplexe, stringent geführte Harmonik sowie die Verdichtung der rhythmischen Gestaltung. Zudem ist nun das Gewebe der Orchesterstimmen mit den frei sich darüber entfaltenden Vokallinien musikalisch zur Synthesis gebracht; und die in ausgereifter Technik verknüpften Leitmotive unď -themen korrelieren aufs engste mit dem Sinngefüge dieses - dem Medium der Kunst abgewonnenen - Mysterienspiels: Die wundersam errettete Stadt Kitesch - sie wird für die angreifenden Tataren unsichtbar erscheint als szenisch präsentiertes Sinnbild der Kirche; die Jungfrau Fewronia ihrerseits symbolisiert die Macht christlicher Demut und verzeihender, bedingungsloser Liebe. Diese musiktheatralisehe Konzeption überschreitet - trotz aller idiomatischen Eigentümlichkeiten - deutlich die engeren Grenzen der nationalrussischen Oper. E. FISCHER
1729); 2 Concerti für Cemb. u. Fl. oder V. bzw. für Cemb. u. V. (um 173() u. um 1734). Ausg.: Sonate C-Dur für Va. da Gamba u. Cemb., in: Händel-GA 48 (L 1894, Nachdr. Lo 1965); dass., hrsg. v. V. LÁNGIN (Wh 1935. Kas 2 1953); Konzert D-Dur für Cemb. u. Fl. oder V., hrsg. s. H. RUF (Kas 1955) (= Nagels MA 134). Lit.: A. EINSTEIN. Zum 48. Bande der Händel-Ausg., in: SIMG 4 (1902/03); H. ULDALL. Beirr. zur Frühgesch. des Klavierkonzerts. in: ZfMw 10 (1927/28).
LE FLEM, Paul, * 18.3. 1881 Lézardrieux, t 31.7. 1984 Tréguier; frz. Komponist. Er studierte am Pariser Conservatoire Harmonielehre (A. Lavignac) und an der Schola Cantorum Kontrapunkt (A. Roussel), Komposition und Dirigieren (V. d'Indy) und Gregorianischen Gesang (A. Gastoué). 1924-39 lehrte er Kontrapunkt an der Schola Cantorum, war daneben 1924 Chormeister an der Opéra-Comique und dirigierte 1925-39 die Chanteurs de St-Gervais. Außerdem schrieb er 1922-37 Musikkritiken für die Commoedia. Neben zeitgenössischen Strömungen (Cl. Debussy, V. d'Indy) war für L.s Schaffen das (bretonische) Volkslied und die Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jh. bedeutsam, besonders aber die Wiederentdeckung von Cl. Monteverdis Orfeo, der für ihn zeitlebens das Vorbild vollendeter lyrischer Deklamation blieb. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, u.a. V.-Sonate g-moll (1905) u. Klv.-Quintett e-moll (1908/09). — Für Orch.: 3 Symphonien (1908, 1958, 1967); symphonisches Triptychon Pour les morts (1912); Ronde des fées (1953); Konzerstück (1964). —2) Vokal-WW: La fěte du printemps (1937) für Frauenchor u. Orch.; Morvenn le gaélique, Hommage à Max Jacob (1963) für 5 SingSt, FI., Ob., Klar., Fag., Va. u. KIv.; „Gwerz" dramatique La maudite (1967, Neufassung 1971) für Soli, Chor u. Orch. (nach einer keltischen Legende). — 3) Bühnen-WW: Chantefable Aucassin et Nicolette (1908); Oper Le rossignol de Saint-Malo, UA: Paris 1942; La clairière des fées (1944); La magicienne de la mer, UA: Paris 1954; Ballett La folie de Lady Macbeth (1934); ferner Film- u. Hiirspielmusik. Lit.: P. LE FLEM. in: Le courrier musicale de France (1966) Nr. 13.
LEGATO, ligato (it., = gebunden), Vortragsanweisung für die Ausführung einer kleineren oder größeren Gruppe von Tönen, ohne diese abzusetzen. Im allgemeinen wird sie durch den L.-/Bogen angegeben. Beim Singen oder beim Spielen eines Blasinstruments wird das L. ohne Unterbrechung des Atemstroms ausgeführt, beim Streichinstrument durch Zusammenfassen der Noten auf einen Bogenstrich; beim Tasteninstrument wird die niedergedrückte Taste erst beim Anschlag des näch-
LEGGIERO (it., = leicht), Vortragsanweisung für ein leichtes Spiel, das auf dem Klavier durch perlenden Anschlag, auf Streichinstrumenten durch geworfene Stricharten wie z. B. /Spiccato erzielt wird. LEGRANT, frz. Komponisten der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts. -1) Guillaume (Guilelmus, Guilem, Guielmo, Guillermus). Er hielt sich 1417 vermutlich in Konstanz auf und ist 1419 als Mitglied der päpstlichen Kapelle nachweisbar. Um 1446 lebte er in Rouen. Von L. sind 3 Messensätze und 3 3st. Chansons sowie ein Instrumentalstück (im Buxheimer Orgelbuch und im Fundamentum von C. Paumann) erhalten. Die Messensätze sind bemerkenswert durch den ständigen Wechsel geschlossener musikalischer Abschnitte, die eigens mit der Angabe Unus bzw. Duo und Chorus versehen sind. Charakteristisch für L. ist auch die 83
Legrenzi
Verwendung von Chromatik im Sinne der Musica ficta. — 2) Johannes. Von ihm sind ebenfalls 3 Messensätze sowie 5 3st. Chansons erhalten. Die Werke unterscheiden sich von denen Guillaume L.s durch eine bewegtere Stimmführung und eine häufigere Verwendung von Imitationen. Ausg.: GA der Werke beider Komponisten, in: Early Fifteenth Century Music 2, hrsg. v. G. REANEY (1958) (= CMM 11/2); für das Instr.-Stück v. G. L. vgl. auch die Faks.-Ausg. des řBuxheimer Orgelbuchs und des ?Lochamer Liederbuchs. Lit.: G. DE VAN, A Recently Discovered Source of Early XVth Century Polyphonic Music, in: MD 2 (1948); DERS., Inventory of Ms. Bologna, Liceo Mus. Q 15 (ohm 37), in: ebd.; G. REANEY, The Ms. Oxford Bodleian Libr. Canonici Misc. 213, in: MD 9 (1955).
LEGRENZI, Giovanni, getauft 12.8.1626 Clusone bei Bergamo, t 27.5. 1690 Venedig; it. Komponist. Ersten Unterricht erhielt er vermutlich von seinem Vater Giovanni Maria, von dem er eine Sonate in sein op. 2 aufnahm. Dann studierte er wahrscheinlich bei G. B. Rovetta, dem Schüler und Nachfolger Monteverdis an San Marco in Venedig. Er wurde in Bergamo ansässig, empfing dort die Priesterweihe und wurde Organist an Santa Maria Maggiore. 1657-65 war er Kapellmeister der Accademia dello Spirito Santo in Ferrara und lebte dann in Venedig, wo seine ersten Opern aufgeführt wurden. Obgleich er eine feste Stellung suchte, lehnte er eine Berufung als Kapellmeister nach Bergamo ab. Nach erfolglosen Bemühungen um die Position eines kaiserlichen Kapellmeisters in Wien wurde er 1672 Direktor des Conservatorio dei Mendicanti in Venedig. 1681 erhielt er zusätzlich die Position des Vizekapellmeisters, 1685 die des Domkapellmeisters an San Marco, dessen Orchester er auf 34 Spieler erweiterte. Zu seinen Schülern gehören C. Pollarolo, A. Lotti, A. Caldara, M. H. Gasparini, D. Gabrielli, sein Neffe Giovanni Varischino, den er testamentarisch mit der Veröffentlichung seiner noch ungedruckten Werke beauftragte, sowie vielleicht der junge A. Vivaldi. WW (wenn nichts anderes angegeben, in Venedig gedruckt): 1) lastr.-WW: 5 Bücher Sonaten u. a. für 2, 3 u. mehr Instr. u. B.c.: 1: op. 2 (1655), 2: Sonate da chiesa, da camera, op. 4 (1656); 3: op. 8 (1663), 4: La Cetra, op. 10, 5: Balletti e correnti, op. 10 (1673). — 2) Geidkbe Vokal-WW: Concerti musicali für 4 St., Instr. u. B. c., op. 1 (1654); Harmonia d'affetti divoti für 2-4 St. u. B. c., op. 3 (1655); Sentimenti divoti für 2-3 St. u. B. c., op. 6 (1660); Psalmen für 3 St., u. 2 V. u. B. c., op. 5 (1657); Compiete u. a. für 5 St. u. B.c., op. 7 (1662); Sacri e festivi concenti (2chörige Messen u. Psalmen mit Instr. ad lib.), op. 9 (1667); Aeclamationi divoti für 1 SingSt u. B.c., op. 10 (Bol 1670); Sacri musicali concerti für 2-3 St. u. B.c., op. 15 (1689); Mottetti sacri für 1 SingSt, Instr. u. B.c., op. 17 (1692). — 3) Weldiclre Vokal-WW: 2 Bücher Cantate e canzonette bzw. canzoni für 1 SingSt u. B.c., op. 12 u. 14 (Bol 1676, 1678); Idee armoniche für 2-3 St. u. B.c., op. 13 (1678). — 4) Opero: Vollständig hsl. erhalten: Eteocle et Polinice, UA: Ferrara 1675; Germanico sul Reno, UA: ebd. 1676; Totila, UA: Venedig 1677; Il Giustino, UA: ebd. 1683. — 5) Oratorien:
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Hsl. erhalten: La vendita del cuor human, UA: Ferrara 1676; La morte del cuor penitente, UA: Wien 1705; Oratorio del
dizio. — Hsl. erhalten sind ferner zahlreiche kirchenmusikalische Werke (Psalmen, Messen, Motetten u. a.).
L. folgte in seinen Triosonaten zunächst älteren Vorbildern (M. Cazzati), unterschied aber bereits in op. 4 (1656) zwischen „Sonata da chiesa" und „da camera". Wenn auch sein Ansehen bei den Zeitgenossen als eines der geistvollsten Komponisten vornehmlich auf dem Erfolg der Opern beruhte, ist sein Einfluß auf die spätere Instrumentalmusik sehr groß. In den Sacri e festivi concenti (1667) folgt er der venezianischen Tradition in der Doppelchörigkeit, führt jedoch instrumentale Zwischenspiele als dritte Klanggruppe zur formalen Gestaltung der Texte ein. Seine Opern führen die von Cl. Monteverdi und Fr. Cavalli begonnene Linie fort und treffen den Ausdruck des Tragischen ebenso wie den des Komischen und Satirischen. In den Arien lassen sich verschiedene Formen beobachten; in den späteren Werken ist die Da capo-Arie weitgehend die Regel. Neben der Verwendung von Soloinstrumenten ist in seinen Arien erstmals in großem MaBe Gebrauch von volkstümlicher Rhythmik und Melodik gemacht (Sarabande, Gigue, Forlana, Villotta, Nio). Einzelne seiner Arien waren so bekannt, daß noch J. S. Bach und G. Fr. Händel sich darauf bezogen. Ausg.: 1) Iartr.-WW: Triosonaten: La Tomana aus op. 2, in H. RIEMANN, Musikgesch. in Beispielen (L 1912, 4 1929); La Raspona aus op. 2, hrsg. v. W. DANCKERT (Kas 1949) (= Hortus Mus. 31); La Cornara aus op. 2, hrsg. v. C. CRUSSARD (Lau 1968) (= Flores Musicae 16); Sonate da chiesa op.4, 1-6 u. op. 8, 7-10, hrsg. v. A. SEAY (P 1968) (— Le pupitre 4); Sonata a tre, hrsg. v. A. PLANYAVSKY (W 1970) (= Diletto musicale 407); La Bernarda aus op. 4, hrsg. v. E. SCHENK (W 1971) (= ebd. 446); für andere Besetzungen: La Buscha für 5 Instr. u. B. c. aus op. 8, in: DAVISON — APEL Anth. II; Sonaten für 4 V. u. B. c., op. 10, 3 u. für V. u. B. c., op. 10, 4, hrsg. v. K. G. FELLERER (Kas 1951) (= Hortus Mus. 83 u. 84); Sonata quarta für V. u. B. c. aus op. 10, in: F. GIEGLING, Die Solosonate (Kö 1959) (= Das Musikwerk 15); Ouvertüre zu I! Giustino für V., Streichorch. u. B. c., hrsg. v. A. SEAY (NY 1968). — 2) Vokal-WW: 2 Arien in: L. TORCHI, Eleganti canzoni ed arie (Mi 1893); eine Arie aus II Giustino in: A. SCHERING. Gesch. der Musik in Beispielen (L 1931, Nachdr. 1953); Abschiedsszene aus derselben Oper in: H. CH. WOLFF, Die Oper I (Kö 1971) (= Das Musikwerk 38). Lit.: H. RIEMANN, Hdb. der Musikgesch. II/1 (L 1912) (darin: 2 Sätze der Triosonate „La Savorgnana" op. 2,18 u. eine Arie aus op. 14); E. SCHMITZ, Gesch. der Kantate u. des geistlichen Konzerts (L 1914, Nachdr. Hil 1966); A. SCHLOSSBERG, Die it. Sonate für mehrere Instr. (Diss. masch. Heidelberg 1932); G. TEBALDINI, G. L., in: Musica d'oggi 19 (1939); H. CH. WOLFF, Die venezianische Oper (B 1937); P. FOGACCIA, G. L. (Bergamo 1964) (mit Briefen L.$); W. S. NEWMAN, The Sonata in the Baroque Era (Chapel Hill 1959, • 1972); J. A. MACDONALD Jr., The Sacred Vocal Music of G. L., 2 Bde. (1964) (= Diss. Univ. of Michigan); S. BONTA, The Church Sonatas of G.L. (1965) (= Diss. Harvard Univ.) (mit Werkverz.). G. SCHUHMACHER
LEHÁR, Franz, * 30. 4.1870 Komorn (Ungarn),
Lehmann t 24.10.1948 Bad Ischl; östr. Komponist. Nach seinem Musikstudium am Prager Konservatorium 1882-88 war er zunächst Orchestermusiker in Barmen-Elberfeld, später Militär-Kapellmeister in Pula, Triest, Budapest und 1899-1902 in Wien. Nach erfolglosen Anfängen als Opernkomponist konnte er sich 1902 mit den Operetten Wiener Frauen und Der Rastelbinder durchsetzen und wirkte seither als freischaffender Komponist. Weltweit bekannt wurde er durch die 1905 in Wien uraufgeführte Operette Die lustige Witwe. Große Erfolge erzielte er auch mit Paganini (1925), Der Zarewitsch (1927), Friederike (1928), Das Land des Lächelns (1929) und mit der letzten Operette Giuditta (1934), die zu den Repertoire-Stücken deutscher Bühnen gehören. Von seinen Instrumentalkompositionen wurde der Konzertwalzer Gold und Silber (1902) besonders bekannt. WW: Operetten (wenn nichts anderes angegeben, UA in Wien): Wiener Frauen, UA: 1902, revidiert als: Der Schlüssel zum Paradies, UA: Leipzig 1906; Der Rastelbinder, UA: 1902; Der Göttergatte, UA: 1904, revidiert als: Die ideale Gattin, UA: 1913, u. als: Tangokönigin, UA: 1921; Die Juxheirat, UA: 1904; Die lustige Witwe, UA: 1905; Mitislaw der Moderne, UA: 1907; Der Mann mit den drei Frauen, UA: 1908; Das Fürstenkind, UA: 1909; Der Graf von Luxemburg, UA: 1909; Zigeunerliebe, UA: 1910; Eva, UA: 1911; Endlich allein, UA: 1914; Wo die Lerche singt..., UA: Budapest 1918; Frasquita, UA: 1922; Die gelbe Jacke (1923), revidiert als: Das Land des Lächelns, UA: Berlin 1929; Paganini, UA: 1925; Der Zarewitsch, UA: Berlin 1927; Friederike, UA: ebd. 1928; Schön ist die Welt, UA: 1930; Giuditta, UA: 1934.
L. gehört zu den erfolgreichsten Operettenkomponisten des 20. Jahrhunderts. Charakteristisch für seine Musik ist eine durch volkstümliche Elemente und moderne Rhythmen belebte lyrisch-gefühlvolle Grundhaltung. Dies gilt auch für den — im Gegensatz zur populären Tanzmusik der 20er Jahre — bei L. immer noch dominierenden Walzer, bei dem die rhythmische Komponente zugunsten eingängigstimmungsvoller Melodik zurückgenommen ist. Als Inbegriff L.scher Musik gelten seit langem die Tenor-Arien und -Lieder voll schmelzender Kantabilität, die der Komponist zum Teil für Richard Tauber schrieb (u. a. Dein ist mein ganzes Herz aus Das Land des Lächelns). Lit.: ANON., Kat. der Bühnen-Werke von F. L. (W 1955); M. SCHONHERR, Bibliogr. zu Leben u. Werk (Baden 1970). E. DECSEY, F. L. (W 1924, Mn 31930); S. CZECH, F. L. (B 1940, Lindau 21948), auch als: Schön ist die Welt (B 1957); B. GRUN, Gold u. Silber. F. L. u. seine Welt (Mn 1970, engl. Lo NY 1970); M. LUBBOCK, F. L. and Opera, in: Opera 21 (1970); H.-G. OTTO - W. ROSLER, Die L-Legende, in: Theater der Zeit 25 (1970); E. BLOCH, L., Mozart, in: Zur Philos. der Musik (F 1974). R.-M. SIMON - S. SIMON
LEHEL, György, * 10.2.1926 Budapest; ung. Dirigent. Er studierte an der Musikhochschule in Budapest Dirigieren bei László Somogyi und Kompo-
sition bei P. Kadosa. Seit 1950 ist L. Dirigent und seit 1962 Chefdirigent des Symphonieorchesters des Ungarischen Rundfunks und Fernsehens. Er gastiert häufig auch in (West-)Europa und in Japan. LE HEURTEUR, Guillaume, frz. Komponist der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. L. war Maître des enfants und Kanonikus an St-Martin in Tours. Die meisten seiner Werke, die stilistisch der nordfranzösischen Schule zuzurechnen sind, erschienen zwischen 1530 und 1543 in Sammeldrucken von P. Attaingnant. Eine seiner 4 4st. Messen verwendet ein Thema der Motette Impetum inimicorum von Th. Créquillon, 2 weitere Messen basieren auf weltlichen Chansons (Fors seulement, Un jour Robin). Auf dem Gebiet der Chanson sind seine Vertonungen volkstümlicher Texte bemerkenswert. WW: Operum musicalium liber primus (P 1545); zahlr. Messen, Motetten u. Chansons in Sammeldrucken 1530-78 u. hsl. erhalten. Ausg.: 2 Chansons, in: 60 Chansons..., hrsg. v. R. EITNER (1899) (= PGfM 27); 6 Gesänge aus den Attaingnant-Motettenbüchern 3-7 u. 8 (1534-35), in den entsprechenden Bdn. von: P. Attaingnant, Treize livres de motets, hrsg. v. A. SMIJERS A. T. MERRITT (Monaco 1936-62); eine Chanson, in: Theatrical Chansons of the 15th and Early 16th Century, hrsg. v. H. M. BROWN (C/M 1963).
LEHMANN, Lilii (eig. Elisabeth Maria Kalisch, geborene Loew), * 24.11. 1848 Würzburg, t 17.5. 1929 Berlin; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte bei ihrer Mutter Marie Loew (1807-83) und debütierte 1865 am Landestheater Prag. Nach Engagements in Danzig (1868) und Leipzig (1869) wurde sie 1870 als Koloratursopran an die Berliner Hofoper verpflichtet. Bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 sang sie im Ring-Zyklus von R. Wagner die Partien der 1. Rheintochter, der Helmwige und des Waldvogels, bei den Festspielen 1896 die Brünnhilde. 1886 wurde sie an die New Yorker Metropolitan Opera engagiert. 1901 gehörte sie zu den Gründern der Salzburger Festspiele und übernahm in ihrer eigenen Don Giovanni-Inszenierung die Partie der Donna Anna. AuBerdem unterrichtete sie am Salzburger Mozarteum. L. L., die mit 61 Jahren ihre ersten Schallplattenaufnahmen machte, beherrschte ein ungewöhnlich breit gefächertes, mehr als 170 Rollen umfassendes Repertoire von Koloraturpartien bis hin zu hochdramatischen Wagnerrollen. Zu ihren Schülerinnen gehörten Geraldine Farrar und Viorica Ursuleac. Schriften: Meine Gesangskunst (B 1902, 61961, engl. NY - Lo 1902, 21924, Nachdr. 1949); Mein Weg (L 1913, 21920, engl. NY - Lo 1914). Lit.: J. H. WAGENMANN, L. L.s Geheimnis der Stimmbänder (B 1905, 31926) (= Der moderne Gesangslehrer 1); L. ANDRO, L. L. (B 1907); P. LORENZ, L. L.s Wirken für Salzburg, in: CSMZ 27 (1972).
LEHMANN, Lotte, * 27.2.1888 Perleberg (Mark 85
Lehmann
Brandenburg), t 26.8.1976 Santa Barbara (Calif.); dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte in Berlin bei Erna Thiele, Helene Jordan und Mathilde Mallinger. 1910 debütierte sie am Hamburger Stadttheater und folgte 1914 einem Ruf an die Wiener Hofoper. Dort kreierte sie in der Uraufführung der Zweitfassung der Ariadne auf Naxos (1916) von R. Strauss die Partie des Komponisten, ferner die Färberin in der Wiener Uraufführung von dessen Frau ohne Schatten (1919) sowie die Titelrolle in den Wiener Erstaufführungen der Turandot von G. Puccini (1926) und der Arabella von R. Strauss (1933). 1924 debütierte sie am Covent Garden in London unter Bruno Walter in der Rolle der Marschallin, ihrer berühmtesten Bühnenpartie, 1934 als Sieglinde (Walküre) an der New Yorker Metropolitan Opera, der sie bis zu ihrem Bühnenabschied 1945 als festes Ensemblemitglied angehörte. Bei den Salzburger Festspielen 1927-37 sang sie mit geradezu legendärem Erfolg die Titelpartie in L. van Beethovens Fidelio unter Fr. Schalk, Cl. Krauss, R. Strauss und A. Toscanini. 1951 beendete sie auch ihre Laufbahn als Konzertsängerin. Schriften: More than Singing (NY 1946); Five Operas and R. Strauss (NY 1964), auch als: Singing with R. Strauss (Lo 1964); Eighteen Song Cycles. Studies in Their Interpretation (Lo 1971, NY 1972). — Autobiographien: Anfang u. Aufstieg (W 1937), engl. Übers.: Wings of Song (Lo 1938), auch als: Midway in my Song (Indiana 1938, Nachdr. Westport/Conn. 1970); My Many Lives (NY 1948). Lit.: B. W. WESSLING, L. L., mehr als eine Sängerin (Salzburg 1969) (mit Diskographie).
LEHMANN, Ludwig Fritz (Friedrich), * 17.5 1904 Mannheim, t 30.3. 1956 München; dt. Dirigent. Er studierte 1918-21 an der Musikhochschule in Mannheim sowie an den Universitäten in Heidelberg und Göttingen, wo er 1923-27 als Theaterkapellmeister wirkte und auch die Akademische Orchestervereinigung leitete. Anschließend unterrichtete er bis 1929 in der Kapellmeisterklasse der Folkwangschule in Essen und wirkte 1929-38 als Chor- und Orchesterdirigent in Hannover, 1935 bis 1938 auch als GMD in Bad Pyrmont, dann bis 1947 in Wuppertal und 1946-50 als GMD und Intendant in Göttingen. Seit 1934 war er auBerdem musikalischer Leiter der Göttinger Händel-Festspiele und lehrte seit 1953 Orchesterleitung an der Münchner Musikhochschule. L. starb am Karfreitag 1956 während einer Aufführung von J.S. Bachs Matthäus-Passion. Lit.: W. MEYERHOFF, in: Händel-Jb. 3 (1957); M.11013SCHER, in: Rheinische Musiker 7, hrsg. v. D. Kämper (Kö 1972) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 97).
LEHN, Erwin, * 8.6. 1919 Grünstadt (Pfalz); dt. Bandleader und Komponist. 1934-37 besuchte er 86
die Städtische Musikschule in Peine. 1945 kam er nach Berlin, wurde Pianist und Arrangeur im Tanzorchester von Radio Berlin und 1947 zusammen mit Horst Kudritzki dessen Leiter. 1951 übernahm
er das Südfunk-Tanzorchester beim Süddeutschen Rundfunk, das er mit Spitzenmusikern und durch seine stark vom Jazz beeinflußten Arrangements zu einer der besten europäischen Big Bands entwickelte. Aus dem Orchester gingen zahlreiche bekannte Musiker hervor, darunter H. Jankowski. In eigenen kleinen Ensembles (Quartett, Quintett) spielt L. Vibraphon. LEHRNDORFER, Franz Xaver, * 10. 8.1928 Salzburg; dt. Organist östr. Herkunft. Er studierte 1948-52 Orgel und Katholische Kirchenmusik an der Musikhochschule München und war danach Lehrer am Gymnasium der Regensburger Domspatzen. Seit 1962 lehrt er an der Münchener Musikhochschule (1970 Professor), wo er seit 1969 die Abteilung für Katholische Kirchenmusik leitet. 1970 wurde er auch Domorganist an der Frauenkirche in München. L. erhielt bereits 1951 den 1. Preis im Fach Orgel beim Internationalen Musikwettbewerb der Rundfunkanstalten der BRD und konzertiert seither im In- und Ausland. Er genießt auch als Improvisator groBes Ansehen. LEHRSTOCK, eine literarisch-musikalisch-dramatische Gattung, die Ende der 20er Jahre mit den so bezeichneten Stücken von P. Hindemith, K. Weill, P. Dessau und H. Eisler begründet wurde, die der Brechtschen Theorie der Überwindung des „lukullischen" durch das „epische" Theater folgten. Einige wichtige L.e waren: Titel
Jahr
Text
Musik
Der Flug Lindberghs
1929
B. Brecht
K. Weill / P. Hindemith
Badener L. vom Einverständnis Der Ja -Sager
1929 1930 1930 1930 1930 1930 1930
B. Brecht B. Brecht / K. Weill B. Brecht E. Meißner A. Döblin R. Seitz A. Zeitler
K. Weill H. Eisler H. Heia E. Toch H. Reutter W. Fortner
1931 1931 1931 1931 1932 1933 1950 1951 1957
R. Seitz R. Seitz R. Seitz E. Meißner P. Dessau W. Gerhard J. R. Becher B. Brecht B. Brecht
P. Dessau P. Dessau P. Dessau H. HeiB H. Eisler E. Rabsch H. Eisler P. Dessau H. Eisler
Die MaBnahme L. vom Beruf Das Wasser Der neue Hiob Cress ertrinkt Tadel der Unzuverlässigkeit Das Eisenbahnspiel Orpheus L. von der Berechtigung Kinderkantate Die Brücke Mitte des Jahrhunderts Herrnburger Bericht Kriegsfibel
P. Hindemith
Leibowitz
Eines der ersten L.e, Weills Der Ja -Sager, dokumentiert bereits in seinem Untertitel „Eine Schuloper" die pädagogische Motivation der neuen Gattung, wie sie auch später in mehreren L.en für Kinder von P. Dessau gegeben ist (z. B. Kinderkantate, Das Eisenbahnspiel). Nach 1933 wurde mit seinen prominentesten Autoren auch das Lehrstück aus politischen Gründen geächtet und fand erst wieder nach 1945 vor allem in der DDR eine Pflegestätte. R. CADENBACH
LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm, * 1.7. 1646 Leipzig, t 14.11. 1716 Hannover; dt. Philosoph. Im Kontext der Musikästhetik ist L. vor allem durch seine Idee der „prästabilierten Harmonie" und durch seinen Musikbegriff wirksam geworden. Jene Idee bezieht sich auf das Verhältnis der individuellen Substanzen (Monaden) zueinander und zum Universum, so daB unter dem Gesichtspunkt der „Monadologie" die Traditionen der „Musica humana" und „Musica mundana" fortgeführt werden. Ist die Musik „imitation de cette harmonie universelle que Dieu a mise dans le monde", so darf sich der als „harmonikale Symbolik" bezeichnete Versuch, in verschiedenen Seinsbereichen musikalische Proportionen nachzuweisen, auch auf L. berufen (R. Haase). L.' Begriffsbestimmung der Musik als „verborgene arithmetische Tätigkeit des unbewußt zählenden Geistes" („musica est exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi") steht einerseits in pythagoreischer Tradition, antizipiert andererseits in der Betonung des unbewußt Rationalen die Baumgartensche Begründung der Ästhetik in der „sinnlichen Erkenntnis". Das Zählen geschieht hier „sensibiliter" (durch den Gehörssinn) und meint nicht die Bestimmung einer Anzahl, sondern die Akte der Perzeption als sinnliches Einbegreifen einer Vielheit in die Einheit, als sinnliche Verknüpfung. Dieses „Zählen" ermöglicht die ästhetischen Qualitäten der Proportion, Übereinstimmung, Ordnung, Harmonie. — Auf den Musikbegriff von L. beruft sich Fr. W. J. von Schelling bei seiner Darlegung der Musik als Zeitgestalt, als „Einbildung der Einheit in die Vielheit” der Tondauern und Tonhöhen; daB in beiden Dimensionen analoge zahlhafte Kategorien wirksam sind, hat M. Hauptmann dargelegt. Die Konsonanztheorie von Theodor Lipps beruht auf der Annahme mikropsychischer Rhythmen und eines inneren Zählens, das deren Proportionen erfaBt. Führt nach L. zahlenmäßige Erkenntnis zu philosophischer Erkenntnis, so hat A. Schopenhauer seine Metaphysik der Musik in eine Parodie des Satzes von L. zusammengefaßt („exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophare animi"). Das Bild von der Monade,
die „fensterlos" das Weltganze vorstellt, hat Th. W. Adorno auf das Verhältnis des autonomen Kunstwerks zur Gesellschaft bezogen. Lit.: J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); R. HAASE, L. u. die Musik. Ein Beitr. z. Gesch. der harmonikalen Symbolik (Hommerich 1963, '1965); E. SANDVOSS, G. W. L. (Gö 1976) (= Persönlichkeit und Gesch. 89/90). L. NOWAK
LEIBOWITZ, René, * 17.2.1913 Warschau, t 28.8.1972 Paris; frz. Komponist, Dirigent und Musikschriftsteller poln. Herkunft. L. kam 1926 nach Paris und erhielt seine musikalische Ausbildung 1931-32 bei A. Webern (Harmonielehre, Kontrapunkt) in Wien und seit 1934 bei M. Ravel (Instrumentation) und P. Monteux (Dirigieren) in Paris. 1937 schlug er die Dirigentenlaufbahn ein und wurde 1945 Dirigent der Radiodiffusion Française, widmete sich dann aber vorwiegend der Komposition und Lehrtätigkeit. L. hat sich als Dirigent und in seinen Schriften für die Werke A. Schönbergs und seiner Schüler eingesetzt und maßgeblich zu ihrer Rezeption in Frankreich beigetragen. In seinen eigenen Kompositionen griff er Schönbergs Idee des „seriellen Komplexes” auf und erschloB durch konsequente Weiterführung dieses Ansatzes der modernen Musik ein reiches Feld neuer Anwendungsmöglichkeiten. Zu seinen Schülern gehörten P. Boulez, H. W. Henze und S. Nigg. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; 8 Streichquartette (1940, 1950, 1952, 1958, 1963, 1965, 1966, 1968); 2 Kammersymphonien (1948, 1961); Humoreske (1957) für 7 Schlagzeuger; Sonate für FL, Va. u. Harfe (1966); Quartett für Saxophon (1969) u. Sextett für Klar. (1970). — Für Orch.: Symphonie (1941); Variationen (1945); Konzerte für: V., Klv. u. Orch. (1944); Klv. (1954); Bratsche (1954); V (1959); Pos. (1960); Vc. (1962). — 2) VokslWW: L'explication des métaphores (1947) für Sprecher, 2 Klv., Harfe u. Schlagzeug; The Grip of the Given (1950) für gem. Chor u. 6 Instr.; dramatische Symphonie Perpetuum mobile. The City (1951) für Sprecher u. Orch.; Trauersymphonie (1955) für Soli, Chor u. Orch.; Serenade für Bar. u. 8 Instr. (1955); The Renegade (1956) für Chor u. 8 Instr.; A Prayer (1965) für Alt, Männerchor u. Orch.; A Legend (1968) für Sopran, Klv. u. Orch.; Laboratoire central (1970) für Sprecher, Frauenchor u. Kammerorch. — 3) Biihaen-WW: Opern: La rumeur de l'espace (1950); Ricardo Gonfolana (1953); Labyrinth (1969); Opéra-bouffe Les espagnoles à Venise, UA: Grenoble 1970; Todos Caerán (1970-72). — 4) Schrittaa: Schoenberg et son école (P 1947, engl. NY 1949,1970); Qu'est-ce que la musique de douze sons? (Lüttich 1948); Introduction ì la musique de douze sons (P 1949); L'artiste et sa conscience (P 1950); Évolution de la musique. De Bach 8 Schoenberg (P 1951); Sibelius le plus mauvais compositeur du monde (Lüttich 1955); Histoire de l'opéra (P1957); E. L Kahn (P 1958, 1959, engl. NY 1958) (zus. mit K. Wolff); Thinking for Orchestra. Practical Exercises in Orchestration (NY 1960) (zus. mit J. Maguire); Schoenberg (P 1969) (= Solfèges 30); gesammelte Aufsätze als: Le compositeur et son double (P 1971). Lit.: W. L. OODON, Series and Structure. An Investigation into the Purpose of the Twelve Note Row in Selected Works of Schoenberg, Webern, Krenek and L. (1955) (= Diss. Indiana Univ.); J.M.MOREL, R. M., in: Esprit (1972) Dezember-H.; Hommage il R. L. 1913-1972, in: Musique de tous les temps (1973) FebruarMärz-H.
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Leich LEICH /Lai. LEICHTE MUSIK, umgangssprachliche Bz. für /Unterhaltungsmusik. LEICHTENTRITT, Hugo, * 1.1.1874 Pleschen (Posen), t 13.11.1951 Cambridge (Mass.); amerik. Musikforscher dt. Herkunft. L. war Schüler von J. K. Paine an der Harvard University (1894 Bachelor of Arts), studierte in Berlin an der Musikhochschule (1895-98) und Musikwissenschaft an der Universität, wo er 1901 mit einer Arbeit über Reinhard Keiser promovierte. Im selben Jahr wurde er Lehrer für Komposition, Musikgeschichte und Musikästhetik am Klindworth-ScharwenkaKonservatorium in Berlin. 1933 emigrierte er in die USA und wurde Professor an der Harvard University. L.s bekannteste Schrift ist die Musikalische Formenlehre, lange Zeit ein Standardwerk auf ihrem Gebiet. Schriften: R. Keiser in seinen Opern. Ein Beitr. z. Gesch. der frühen dt. Oper (B 1901); F. Chopin (B 1905, Neudruck 1913, 2 1920) (= Berühmte Musiker 16); Gesch. der Musik (B 1905, engl. NY 1938); Gesch. der Motette (L 1908, Nachdr. Hil 1967) (= Kleine Handbücher der Musikgesch. in Gattungen 2); Musikal. Formenlehre (L 1911, '1952, Wie 6 1964, 8 1971) (= Hdb. der Musiklehre 8), engl. Übers.: Musical Forms (C/M — Lo 1951, NA C/M 1956, 1961); F. Busoni (L 1916); Analyse der Chopin 'schen Klavierwerke (B 1921-22); Händel (St — B 1924); Music. History and Ideas (C/M — Lo 1938, '1946, NA C/M 1964); S. Koussevitzky, the Boston Symphony Orchestra, and the New American Music (C/M 1946); Music of the Western Nations, hrsg. v. N. Slonimsky (C/M 1956). Lit.: R. SCHAAL, Nachruf für H. L., in: Mf 5 (1952); C. E. SELBY, A Catalogue of Books and Music Acquired from the Library of Dr. H. L. by the Univ. of Utah Library (Salt Lake City 1954); N. SLONIMSKY, S. O.
LEIDER, Frida Anna, * 18.4.1888 Berlin, t 4.6. 1975 ebd.; dt. Sängerin (Sopran). Als junge Bankangestellte studierte sie in ihrer Freizeit Gesang, zuletzt bei Otto Schwarz in Berlin. 1915 debütierte sie als Venus in Wagners Tannhäuser am Stadttheater Halle und kam nach Zwischenstationen in Rostock, Königsberg und Hamburg 1923 an die Berliner Staatsoper, der sie bis 1939 als festes Ensemblemitglied angehörte. Bei den Bayreuther Festspielen 1928-38, am Covent Garden in London (1924-38), am Opernhaus in Chicago (1928-32) und an der Metropolitan Opera in New York (1932-34) wurde sie als die bedeutendste hochdramatische Wagner- und Strauss-Sängerin ihrer Zeit, aber auch als qualifizierte Interpretin des italienischen Fachs gefeiert. 1945-52 leitete sie das Gesangsstudio der Berliner Staatsoper, 1948-58 war sie Gesangsprofessorin an der Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg. Ihre Memoiren veröffentlichte sie unter dem Titel Das war mein Teil (B 1959). 88
LEIER (von griech.-lat. lyra; mhd.: lire; engl., frz.: lyre; it., span.: lira). — 1) Sammelbezeichnung für alle Saiteninstrumente, an deren Resonanzkörper sich zwei Jocharme mit einem verbindenden Querholz (Joch) befinden. Die Saiten verlaufen von einem Saitenhalter über die Decke zum Querholz und werden mit den Fingern oder mit einem Plektrum gezupft. L.n gehören zu den ältesten bekannten Zupfinstrumenten und treten in 2 verschiedenen Formen auf: als Kasten-L. mit kastenförmigem Holzkorpus und breiten Jocharmen und als Schalen-Leier. Die Kasten-L. läßt sich seit dem 3. Jt. v. Chr. nachweisen. Sie war im Vorderen Orient weit verbreitet (bei den Sumerern, Ägyptern, Juden), teils als symmetrische L. mit horizontalem Querholz und teils als asymmetrische L. mit ungleich langen Jocharmen und schräger Querstange. Wesentlich jünger ist die Schalen-L. mit halbkugeloder schalenförmigem Resonanzkörper. Die altgriechischen L.n waren Schalen- (řLyra, /Barbitos) oder Kasten-L.n (>'Kithara, /Phorminx). Die Kasten-L. ist nur bis in die Spätantike nachzuweisen, während die Schalen-L. bis heute u. a. in Ägypten, Nubien, Äthiopien, Uganda oder im Sudan gespielt wird. —2) Im europäischen Mittelalter Bz. für verschiedene Zupf- und Streichinstrumente, u. a. für die 'Lira, den /Crwth oder die /Drehleier. Lit.: H. PANUM, Harfe u. Lyra im alten Nordeuropa, in: SIMG 7 (1905/06); O. ANDERSSON, The Bowed Harp (Lo 1930); A. O. VÄISÄNEN, Die L. der obugrischen Völker, in: Eurasia septentrionalis antiqua 6 (1931); H. PANUM, Stringed Instruments of the Middle Ages (Lo 1940, Nachdr. Westport/Conn. 1970, NY 1971); O. SEEWALD, Die Lyrendarstellungen der ostalpinen Hallstattkultur, in: FS A. Orel (W— Wie 1960); W. STAUDER, Die Harfen u. L.en Vorderasiens in babylonischer u. assyrischer Zeit (F1961); E. EMSHEIMER, Die Streich-L. v. Danczk, in: STMf 43 (1961); B. AIGN, Die Gesch. der Musikinstr. des ägäischen Raumes bis um 700 vor Christus (Diss. F. 1963); F. W. GALPIN, Old English Instr. of Music (Lo— NY 4 1965); B. BAYER, The Biblical Nebel, in: Yuval. Studies of the Jewish Music Research Centre, hrsg. v. I. Adler (Jerusalem 1968); H. STEGER, Philologia Musica (Mn 1971); L. VORREITER, Altsemitische Schräglyren, in: Mf 27 (1974); G. A. PLUMLEY, El Tambur. The Sudanese Lyre or the Nubian Kissar (C 1976); G. LARSSON, Die estnisch-schwedische Streich-L., ihre Spieltechnik u. ihr Repertoire, in: Studia instrumentorum musicae popularis 6 (St 1979) (= Musikhistoriska museets skrifter 8). M. BROCKER
LEIERKASTEN /Drehorgel. LEIFS, Jón, * 1.5. 1899 Sólheimar (Island), t 30.7. 1968 Reykjavík; isländischer Komponist. L. studierte 1916-22 bei H. Scherchen, R. Teichmüller und P. Graener in Leipzig. 1923-24 war er Dirigent an der Leipziger Volksakademie und 1935-37 musikalischer Leiter des Isländischen Staatsrundfunks. 1945 gründete er den Isländischen Komponistenverband, 1948 die Isländische Gesellschaft für Autorenrechte (STEF) und war mit Ausnahme kurzer
Leinsdorf Unterbrechungen 1. Vorsitzender bzw. Präsident dieser Vereinigungen bis zu seinem Tod. Außerdem ist ihm der Beitritt Islands in die Berner Union und 1948 dessen Aufnahme in den Nordischen Komponistenrat und in die internationale Autorenrechtsunion in Buenos Aires zu verdanken. 1954 war er ferner Gründer und erster Präsident des Conseil International des Compositeurs. Neben diesen Aktivitäten hat L. auch als Komponist durch die Entwicklung eines eigenständigen Nationalstils die Musikkultur seines Landes maßgeblich beeinflußt. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke; 3 Streichquartette; Quintett für Fl., Klar., Fag., Va. und Vc. — Für Orch.: Trilogie Hljómkvida (1925); Praeludium, Passacaglia u. Finale für Org. u. Orch. (1933); Geysir u. Fine I sowie ... II; Saga-Symphonie (1950). — Requiem für gem. Chor a cap. (1947); Kantaten Dettifors, Darradarl jod u. Hafís für gem. Chor u. Orch.; 2 Edda -Oratorien. — Bühnenmusik zu J. Sigurjónsson, Loftr (1938); choreographisches Drama Baldr (1950). — 2) Schriften: Tónlistarhoettir (L 1923); Islands künstlerische Anregung (Reykjavík 1951). Lit.: P. MIES, in: Lied u. Chor 51 (1959); W. R. EMMEN RIEDEL, in: Mens en melodie 24 (1969); J. L., in: H. HELGASON, Islands lag (Reykjavík 1973).
LEIGH, Mitch (eig. Irwin Mitchnik), * 30. 1. 1928 Brooklyn (New York); amerik. Komponist. L. studierte Musik bei P. Hindemith an der Yale University in New Haven (Conn.) und begann seine Karriere als Komponist für Werbespots. Mit dem Theater kam er erstmals 1963 in Kontakt, als er eine Bühnenmusik zu G. B. Shaws Too True to Be Good schrieb. Zwei Jahre später gab er ein eindrucksvolles Broadway-Debüt mit dem auch in Europa bekannt gewordenen Man of La Mancha nach dem Don Quijote von M. de Cervantes. WW: Man of La Mancha (1965); Cry for us all (1970); Home Sweet Homer (1975); ferner Film- u. Bühnenmusik. lit.: S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960, '1974).
LEIGHTON, Kenneth, * 2. 10. 1929 Wakefield (Yorkshire); engl. Komponist. Er studierte bis 1946 an der Royal Academy of Music in London, bis 1951 am Queen's College in Oxford und 1951-52 Komposition bei G. Petrassi in Rom. 1953-56 war er als Lecturer in Music an der Universität Leeds tätig, bis 1968 an der Universität Edinburgh und bis 1970 am Worcester College in Oxford. Seither wirkt er als Professor of Music an der Universität Edinburgh. L. wurde mit zahlreichen Kompositionspreisen ausgezeichnet und erhielt Werkaufträge von Hörfunk und Fernsehen, Bühnen und Chören. In seinen überwiegend instrumentalen Werken vereinigte er neokontrapunktische (P. Hindemith), polyrhythmische (B. Bartók) und serialistische (O. Messiaen) Satztechniken zu einem stets tonal ausgerichteten Stil von ursprünglicher Erfindungskraft.
WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Musik; 2 Streichquartette (1956, 1957), Symphonien; Konzerte für: Klv. (1951); V. (1952); Va., Harfe, Pk. u. Str. (1952); Ob. u. Str. (1953); 2 Klv., Pk. u. Str. (1954); Vc. (1956). — 2) Vokal-WW: Kammer- u. Klv.-Liederzyklen; Sinfonia sacra The Light Invisible (1957/58) (auf Bibeltexte sowie Gedichte v. T. S. Eliot) für Tenor, Chor u. Orch.; The Birds Suite (1958) für Sopran, Chor, Str. u. Klv. Lit.: I. V. COCKEHOOT, The Music of K. L., in: MT 98 (1957); E. BRADBURY, The Light Invisible, in: MT 99 (1958). H. LINDLAR
LEIGHTON, Sir William, * um 1566 in Shropshire, t zwischen 1616 und 1617; engl. Dichter und Komponist. L. war Gentleman Pensioner der Royal Chapel unter Königin Elisabeth und König Jakob I. Er wurde vor allem durch seinen Sammeldruck The Teares or Lamentacions of a Sorrowfull Soule (Lo 1614 =RISM 16147) bekannt. Er enthält 54 Psalmen und geistliche Lieder, teils für Singstimme und Instrumente, teils für Singstimmen bzw. Instrumente allein. Die Kompositionen stammen von den bekanntesten englischen Komponisten seiner Zeit, darunter J. Bull, W. Byrd, J. Dowland und O. Gibbons, sowie von L. selbst (8 Stücke). Ausg.: The Tears or Lamentations of a Sorrowful Soul 1614, hrsg. v. C. HILL (Lo 1970) (= Early English Church Music 11).
LEIMER, Karl, * 22.6.1858 Biebrich bei Wiesbaden, t 19.7. 1944 Wiesbaden; dt. Pianist. Nach seiner Ausbildung am Württembergischen Konservatorium in Stuttgart wurde L. 1883 Direktor des Konservatoriums in Königsberg. 1897 gründete er in Hannover eine eigene Musikschule (das spätere Konservatorium) und wirkte als Klavierpädagoge seit 1922 auch regelmäßig in Kalifornien. Seine Unterrichtsmethode legt besonderen Wert auf die Schulung des musikalischen Gedächtnisses sowie die Ausbildung des Gehörs. Zusammen mit W. Gieseking, der ihm nach eigener Aussage seine gesamte Ausbildung verdankte, verfaßte er das Lehrbuch Modernes Klavier-Spiel (Mz 1931 u. ö., Neudruck 1965). LEINSDORF, Erich, * 4.2.1912 Wien; amerik. Dirigent östr. Herkunft. Er studierte 1931-33 an der Musikakademie in Wien und war dann bis 1937 Assistent von Br. Walter und A. Toscanini bei den Salzburger Festspielen. 1938-43 dirigierte er an der Metropolitan Opera in New York, war bis 1947 Leiter des Cleveland Orchestra und anschließend bis 1956 Musikdirektor des Philharmonic Orchestra in Rochester (N.Y.). 1955 wurde L. Direktor der City Opera, 1958 Dirigent und musikalischer Berater der Metropolitan Opera in New York und anschließend 1962 als Nachfolger von Ch. Münch Leiter des Boston Symphony Orchestra. 1969-78 wirkte L. als Gastdirigent in Europa (1972 Bayreuth), Israel und den Vereinigten Staaten. Seit 89
Leise 1978 ist er Chefdirigent beim Radio-SymphonieOrchester in Berlin. Schriften: Je tradici Nendrián? (Ist Tradition Schlendrian?), in: Hudební rozhledy 25 (1972); Recipe for Survival, in: Opera 23 (1972); Lesen Sie Musik oder „aimez-vous Beethoven"? (F — Lo—NY 1976). Lit.: I. HERMANN, Mit E. L. im Gespräch, in: Das Orchester 16 (1968).
LEISE (ahd. u. mhd.), aus dem abgekürzten Bittruf /Kyrie eleison, der bereits seit der frühchristlichen Kirche vor allem in der Form der Litanei als Bestandteil des Volksgesanges einen wichtigen Platz in der Liturgie einnahm, abgeleiteter Name für das mittelalterliche, volkstümliche >'Kirchenlied. Als in der Regel 4zeilige deutschsprachige Liedstrophe mit angehängtem Kyrieleis, die aus dem gleichen liturgischen Brauch hervorgegangen ist, erlebte die L. eine Blüte im 12. Jh. und erfreute sich noch bis zum 15. Jh. einer gewissen Beliebtheit. Gerade ihr sowohl textlicher wie musikalischer Ursprung ist mit großer Wahrscheinlichkeit als eine volkssprachige und volkstümliche Kurzform der lateinischen 7Sequenz zu verstehen, mit der sie häufig im Wechsel zwischen Chor und Volk an der betreffenden Stelle der Liturgie (besonders der Messe) gesungen wurde. Daß die L. demzufolge auch in mehrstimmige MeBkompositionen Einlaß finden konnte, zeigt eine Messe von J. Galliculus in den von G. Rhau veröffentlichten Officia Paschalia (Wittenberg 1539). Hier ist in der an das Alleluia anschließenden lateinischen Prosa de Resurrectione das deutsche Christ ist erstanden eingeflochten. Außer dieser Oster-L. zählen zu den bis heute bekanntesten L.n das weihnachtliche Gelobet seist du, Jesu Christ, das Wallfahrtslied In Gottes Namen fahren wir (beide aus der Sequenz Grates nunc omnes hervorgegangen) und die Pfingst-L. Nun bitten wir den Heiligen Geist (in Anlehnung an Veni Sancte Spiritus). Für M. Luther bot bei der Schaffung des evangelischen Kirchenlieds die volkssprachige L. eine willkommene Möglichkeit zur ebenfalls textlichen wie musikalischen Anknüpfung an die liturgische Tradition, indem er derartige Einzelstrophen zu mehrstrophigen Liedern erweiterte. Lit.: PH. WACKERNAGEL, Das dt. Kirchenlied v. der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jh. 2 (L 1867, Nachdr. Hil 1964); W. BÄUMKER, Das kath. dt. Kirchenlied ... , 4 Bde. (Fr 1862 ff., Nachdr. Hil 1962); W. LIPPHARDT, Die ma. L., in: MuA 15 (1963) u. 16 (1964); J. JANOTA, Stud. zu Funktion u. Typen des dt. geistlichen Liedes im MA (Mn 1968) (= Münchner Texte u. Unters. z. dt. Lit. des MA 23).
LEISNER, Emmi, * 8. 8.1885 Flensburg, t 12.1. 1958 ebd.; dt. Sängerin (Alt). Sie studierte bei H. Breest in Berlin und debütierte dort 1911 als Konzertsängerin. 1913-21 war sie Mitglied der 90
Berliner Hofoper und sang anschlieBend am Deutschen Opernhaus. Bei den Bayreuther Festspielen wurde sie in der Rolle der Erda (Rheingold, Siegfried) berühmt; als Konzertsängerin fand sie vor allem als Bach- und Händel-Interpretin internationale Anerkennung. LEITEREIGEN heißen die Töne, die einer bestimmten Tonleiter bzw. Grundtonart angehören. Die aus diesem Tonvorrat gebildeten und geschichteten Intervalle werden leitereigene Akkorde oder Klänge genannt. Im Unterschied dazu heißen die chromatisch veränderten bzw. alterierten Töne leiterfremd. LEITMOTIV, Bz. für eine musikalische Prägung
(melodisch, rhythmisch, harmonisch), die, mit einer bestimmten Bedeutung verbunden und im Werk geregelt wiederkehrend, dem Hörer als Wegmarke des Verständnisses dient. Dieser Allgemeinbegriff bedarf jedoch der Differenzierung. 1. Auf R. Wagner bezogen, verwandte den Ausdruck L. erstmals H. von Wolzogen in seiner Besprechung von 1877, nachdem bereits Fr. W. Jähns (1871) das „strenge Durchführen aller einzelnen Charactere" in Opern C. M. von Webers unter dem Begriff L. erfaßt hatte. Davor hatte schon Fr. Stade (1870) von „Leitthemen" gesprochen. Wagners Auffassung von der musikalisch-dramatischen Rolle seiner Motive am nächsten dürfte G. Federlein mit Analysen von Rheingold (1871) und Walküre (1872) gekommen sein. Von seinen Motivbezeichnungen ging Wolzogen aus. Federlein, dessen Analysen im Hause Wagners ein positives Echo fanden, spricht nicht von L., betont aber die spezifische dramatische Funktion der Musik, die bei Wagner „den weitausklingenden Nachhall von vorausgegangenen bedeutsamen Momenten wiedergibt oder auf wichtige neue Scenen vorbereitet". 2. An Wolzogens Betrachtungen kritisierte Wagner die Überbetonung „dramatischer Bedeutsamkeit und Wirksamkeit" zu Lasten musikalischer Aspekte. Wagner selbst spricht nicht von L., sondern von „Gefühlswegweisern" und „melodischen Momenten, in denen wir uns der Ahnung erinnern, während sie uns die Ahnung zur Erinnerung machen". Damit war der formbildende Strukturzusammenhang der L.e angesprochen: Vertikale Wechselbeziehung der dramatischen Schichten („Orchestermelodie” — „Versmelodie" — szenische Aktion) und horizontale Motivbeziehungen ergeben eine Abfolge dramatischer Konstellationen, die — von Augenblick zu Augenblick ins Vergangene und Zukünftige ausgreifend — Erinnerung und Ahnung im Gegenwärtigen neu aktualisieren. 3. Die Tatsache, daß Wagners L.e einen spezifi-
Leitmotiv
schen Strukturzusammenhang bilden, ist entscheidend als Kriterium für die Unterscheidung und die Besonderheiten eines historischen Vorfeldes. Das wiederholte Erscheinen von Motiven stempelt diese noch nicht zu L.en im Wagnerschen Sinne. Gewöhnlich spricht man von „Erinnerungsmotiven". Zu fragen wäre aber jeweils nach der Verteilung, Ausstrahlung und Funktion solcher Motive, u. a. bei A. -E. -M. Grétry (Richard Coeur-de-Lion, 1784), J.-Fr. Le Sueur (Ossian ou les Bardes, 1804), É. N. Méhul (Euphrosine, 1790; Ariodant, 1799), Ch. Catel (Sémiramis, 1802; Les Bayadères, 1810), H. Berton (Virginie ou les Décemvirs, 1823), aber auch bei L. Cherubini (Médée, 1797). Im Anschluß an Grétry war es Méhul, Catel und Berton vorbe-
halten, über bloße „Erinnerungsmotive" hinausgehend, eine Technik der die ganze Oper durchwirkenden, durchführungsartigen Entfaltung der Motive zu entwickeln. (Berton orientierte sich dabei erklärtermaßen an J. Haydns Durchführungstechnik.) Hiervon abzuheben sind L. Spohr (Faust, 1816), C. M. von Weber (Freischütz, 1821; Euryanthe, 1823), R. Marschner (Der Vampyr, 1827; Hans Heiling, 1832), bei denen die romantisch-atmosphärische Verdichtung durch wiederholte klangliche und melodische Wendungen geschieht. 4. Der entscheidende Schritt dieser Entwicklung erfolgte dann in Wagners eigenem musikdramatischem CEuvre. Erste Andeutungen liegen im Frühwerk (Die Feen, 1833; Das Liebesverbot, 1836) vor, weiterreichende Ansätze im Lohengrin (1848), wo bereits Erinnerung und Ahnung durch ein zentrales L. (Frageverbot) zu Ende des 2. Aktes hervorgerufen werden. Doch sind nicht nur im Fliegenden Holländer (1841), sondern auch im Lohengrin die Motive noch ins traditionelle Periodenschema eingerüstet. Demgegenüber bedeutete das leitmotivische Verfahren im Ring (1853-74), die „charakteristische Verbindung und Verzweigung der thematischen Motive", zwecks struktureller Integration des ganzen Dramas, einen qualitativen Sprung. Entscheidend für die Ausformung eines nicht an formale Schemata gebundenen musikalisch-dramatisch tragfähigen Motiv-Netzes war — neben der Anregung durch H. Berlioz' /Idée fixe — vor allem Beethovens thematisch-motivische Arbeit, die „Ausdehnung der Melodie durch reichste Entwicklung aller in ihr liegenden Motive zu einem großen, andauernden Musikstücke, welches nichts Anderes als eine einzige, genau zusammenhängende Melodie war". Doch war sich Wagner der Unterschiede voll bewußt. Zwar galt für „die neue Form der dramatischen Musik", daß im „Gewebe von Grundthemen" diese „ähnlich wie im Symphoniesatze, (sich) gegenüberstehen, ergänzen, neu gestalten,
trennen und verbinden"; indes blieben die „Gesetze der Scheidungen und Verbindungen" der „ausgeführten und aufgeführten dramatischen Handlung" vorbehalten. Auch in seinen Werken nach dem Ring handhabte Wagner das leitmotivische Verfahren deshalb unterschiedlich; die weit ausgreifende epische Verzweigung knapper Motive wird (schon mit Siegfried III beginnend) zurückgenommen und modifiziert. Von Wagner ausgehend, wurde das Komponieren mit L.en zum weitverbreiteten, aber unterschiedlich angewendeten Verfahren, so u. a. bei P. Cornelius, G. Fauré, E. Humperdinck, L. Janáček, Cl. Debussy, R. Strauss, H. Pfitzner, L. Blech, A. Schönberg, A. Berg. Berg hob für Wozzeck (UA: 1925) die Zusammenhang stiftende Rolle der „Erinnerungs-Motive" hervor. Schönberg spricht mit Blick auf Verklärte Nacht (1899) und Pelleas und Melisande (1903) selbst von Leitmotiv. Die 6tönige Ostinato-Zelle aus der Jakobsleiter (1917-22, UA: 1944) kann als Vorform von leitmotivischen Bildungen angesehen werden, wie sie dann im Rahmen der Zwölftontechnik in Moses und Aron (1932) auftreten. — Neben der Ausstrahlung im musikalischen Bereich gingen von Wagners L.-Technik auch wichtige Impulse für die Literatur aus. Th. Mann betonte anläßlich seiner Einführung in den Zauberberg (1939) den an Wagners „Benützung des Leitmotivs" entwickelten „musikalisch-ideellen Beziehungs-Komplex", der den Roman strukturiert. Kraß gegensätzlich zu dieser sinnvollen Anverwandlung steht die sinnfremde, veräußerlichende Handhabung von L.en in der Filmmusik. Sie wurde von Th. W. Adorno und H. Eisler zu Recht, wenn auch unter Berufung auf einen verkürzten L. -Begriff kritisiert. Lit.: F. STADE, Zur Wagner-Frage mit Bezug auf Dr. K. A. Pabst's Schrift „die Verbindung der Künste auf der dramatischen Bühne", in: Musikal. Wochenblatt 1 (1870); R. WAGNER, Oper u. Drama; DERS., Eine Mitteilung an meine Freunde; DERS., Zukunftsmusik; DERS., Ober die Anwendung der Musik auf das Drama, alle in: Gesammelte Schriften u. Dichtungen, 9 Bde. (L 1871-73 u.6.); F. W. JÄHNS, C. M. von Weber in seinen Werken (B 1871); G. FEDERLEIN, „Das Rheingold" v. R. Wagner. Versuch einer musikal. Interpretation des Vorspiels zum „Ring des Nibelungen", in: Musikal. Wochenblatt 2 (1871); DERS., „Die Walküre" v. R. Wagner, in: ebd. 3 (1872); H. VON WOLZOGEN, Thematischer Leitfaden durch die Musik zu R. Wagners Festspiel „Der Ring des Nibelungen" (L 1876); DERS., Motive in Wagners „Götterdämmerung", in: Musikal. Wochenblatt 8 (1877) u. 10 (1879); E. KURTH, Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners „Tristan" (B 1920, 2 1923, Nachdr. Hil 1968); E. HARASZTI, Le problème du L., in: RM 4 (1923); E. BÜCKEN, Der heroische Stil in der Oper (Bückeburg—L 1924); A. LORENZ, Das Geheimnis der Form bei R. Wagner, 4 Bde. (B 1924-33, Nachdr. Tutzing 1966); K. H. WORNER, Beitr. z. Gesch. des L. in der Oper (Diss. B 1931), Auszug in: ZfMw 14 (1931/32); M. LAMM, Beitr. z. Entwicklung des musikal. Motivs in den Tondramen R. Wagners (Diss. W 1932);
91
Leitner TH. W. ADORNO, Versuch über Wagner (B- F 1952, Mn -Z 2 1964); dass. (F 1971) (= Gesammelte Schriften 13); TH. MANN, Einführung in den Zauberberg. Für Studenten der Univ. Princeton, in: Der Zauberberg (F 1956); A. BERG, WozzekVortrag, in: H. F. Redlich, A. Berg. Versuch einer Würdigung (W -Z 1957); K. H. WORNER, Gotteswort und Magie. Die Oper „Moses und Aaron" v. A. Schönberg (Hei 1959); J. M. STEIN, R. Wagner and the Synthesis of the Arts (Detroit 1960, Nachdr. Westport/Conn. 1973); TH. MANN, R. Wagner und der „Ring des Nibelungen", in: Wagner und unsere Zeit (F1963); C. DAHLHAUS, Wagners Begriff der „dichterisch-musikal. Periode", in Beitr. z. Gesch. der Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen (Rb 1965) (= Stud. z. Musikgesch. im 19. Jh. 1); DERS., Zur Gesch. der Leitmotivtechnik bei Wagner, in: Das Drama R. Wagners als musikal. Kunstwerk (Rb 1970) (= ebd. 23); DERS., Wagners Konzeption des musikal. Dramas (Rb 1971) (= Arbeitsgemeinschaft 100 Jahre Bayreuther Festspiele 5); R. Wagner, Sämtliche Briefe 3, hrsg. v. G. STROBELW. WOLF (L 1975); K. KROPFINGER, Wagner und Beethoven. Unters. z. Beethoven -Rezeption R. Wagners (Rb 1975) (=Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 29); P. BOULEZ, Die neuerforschte Zeit, in: „Das Rheingold". Programmh. 1 (Bayreuth 1976); H.-J. BAUER, Wagners „Parsifal". Kriterien der Kompositionstechnik (Mn -Salzburg 1977) (= Berliner musikwiss. Arbeiten 15); K. STIRNEMANN, Zur Frage des L.s in Debussys Pelléas et Mélisande, in: Stud. z. Musik des 19. u. 20. Jh. (Be -St 1980) (= Schweizer Beitr. z. Musikwiss. 4). K. KROPFINGER
LEITNER, Ferdinand, * 4.3.1912 Berlin; dt. Dirigent. L. studierte 1926-31 Klavier (A. Schnabel) und Dirigieren (K. Muck) an der Musikhochschule in Berlin und war einige Zeit auch Schüler von P. Hindemith. Nach längerer Tätigkeit als Pianist und Liedbegleiter wurde er 1943 Kapellmeister am Nollendorfplatz-Theater, ging 1945 als 1. Kapellmeister an die Hamburgische Staatsoper und 1946 als Operndirektor an die Bayerische Staatsoper nach München. 1947-69 war er Direktor der Württembergischen Staatsoper, seit 1950 auch GMD in Stuttgart. 1947-51 leitete er auch die Ansbacher Bachwochen, 1956-66 die deutsche Spielzeit am Teatro Colón in Buenos Aires. Seit 1969 ist L. musikalischer Oberleiter am Opernhaus in Zürich und war 1976-80 außerdem Chefdirigent des Residentie Orkest Den Haag. L. wurde durch zahlreiche Gastspiele international als Interpret besonders von Werken W. A. Mozarts, R. Wagners und R. Strauss' bekannt. AuBerdem setzte er sich seit jeher für die zeitgenössische Musik ein; herausragend sind hier die Einstudierung der von I. Strawinsky selbst geleiteten UA von The Rake's Progress (Venedig 1951). Erstaufführungen von Jenufa (Janáček) und Lulu (A. Berg) in Buenos Aires sowie weitere Uraufführungen von Werken von W. Fortner, G. von Einem, W. Egk, H. Reutter, R. Kelterborn, G. Klebe, K. A. Hartmann und J. N. David. Lit.: E. SCHWARZ, Konzert in Stuttgart (Esslingen 1964). B. A. KOHL
LEITTON, im engeren Sinne die 7. Stufe jeder 92
řDur- und melodischen und harmonischen /MollSkala, die mit einem Halbtonschritt zur Auflösung in den Grundton strebt (in C-Dur: h, in a -moll: gis); entsprechend ihrer symmetrischen Anlage — dem Aufbau aus zwei gleichartigen 2' Tetrachorden — ist in einer Dur-Skala auch die 3. Stufe ; , während im reinen leittönig 1 1 Y,
1 1 l4
Moll die 6. Stufe leittönig abwärts gerichtet ist
_
4
.
Im weiteren Sinne erzeugt
chromatische Erhöhung jedes Tones einen L. mit aufwärts, chromatische Erniedrigung einen L. mit abwärts gerichteter Auflösungstendenz, z. B.
• u-a.
.
.
Da der Dreiklang der řDomi-
nante als Terz den L. enthält, folgt ihm bei regulärer Führung der Stimmen der Dreiklang der řTonika ohne Quinte (in C-Dur:
—
• );
sofern der L. in den Mittelstimmen liegt, wird er deshalb in Chorälen Bachs fast ausnahmslos irregulär weitergeführt, um einen vollständigen Tonika-Akkord zu ermöglichen („abspringender
s
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Gelegentlich in Liedern eingesetzt,
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wird der irregulär fallende L. zum besonderen Ausdrucksmittel in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts. Gleichermaßen für Konstituierung wie für Auflösung tonaler "Harmonik ist der L. von grundlegender Bedeutung. Die 4 authentischen OEKirchentöne, von denen nur das Lydische den L. kennt, ergänzte Glareanus (Dodekachordon 1547) um Ionisch und Äolisch, die der C-Dur- bzw. der reinen a-mollSkala entsprechen. Dieser Vorgang spiegelt die aufkommende Tonalität: Waren kirchentonale Melodien durch die Spannung zwischen einem mittleren Ton (Repercussa, Tenor) und dem SchluBton (Finalis) geprägt, so ist für dur-moll-tonale Melodien die — in der Skalenform des Dur angelegte — Beziehung auf einen Grundton charakteristisch. Im harmonischen Sinne ist bereits der Terz eines Durdreiklangs eine aufwärts, der Terz eines
Le Jenne
Modelldreiklangs eine abwärts zielende „latente Spannkraft" (E. Kurth) eigen: e in c—e—g drängt zum Grundton der řSubdominante, es in c—es—g zur Quinte der Dominante — die Hauptfunktionen dur-moll-tonaler Musik sind damit angezeigt; in der Verbindung dieser Funktionen (řKadenz) begründet der L. das Streben der Dominante zur Tonika. Zunehmende /Alteration von Akkorden aber, bis hin zu Klangfolgen, die nur noch durch Leittönigkeit legitimiert sind, hebt im späten 19. Jh. die funktionale Eindeutigkeit harmonischer Vorgänge auf; einen Meilenstein in dieser Entwicklung bildet die Harmonik in Wagners Tristan (1857-59), für die exemplarisch der berühmte erste Akkord einstehen kann (>'Tristan-Akkord). Übersteigerte Leittönigkeit — ebenso maßgeblich für dichtere Verknüpfung wie für Farbwirkung von Akkorden — führte zum Zerfall tonaler Harmonik. Lit.: E. KURTH, Die Voraussetzungen der theoretischen Harmonik u. der tonalen Darstellungssysteme (Be 1913, Nachdr. Mn 1973). C. KÜHN
LEITTONWECHSELKLANG nannte H. Riemann jene Akkorde, bei denen durch „Einstellung" (Riemann) des /Leittons— in Dur der 7., im reinen Moll der 6. Stufe — ein Klang gegenteiligen Tongeschlechts entsteht. In C-Dur:
.
.---
r
(= e -
(= F-Dur).
moll), in a-moll:
Der L. kann stellvertretend für eine Harmonie eintreten; bedeutsam ist dies für den řTrugschluB, bei dem der Dominante nicht die erwartete Tonika
folgt: in a-moll:
— D?
= L.
In heutiger Terminologie wird der L., in Abgren-
zung zu Parallelklängen, meist „Gegenklang" genannt. — /Funktionsbezeichnung. Lit.: H. RIEMANN, Hdb. der Harmonielehre (L '1887, 8 1920); D. DE LA MOTTE, Harmonielehre (Kas — Mn 1976, Kas' 1980) (= dtv Wiss. Reihe 4183).
LE JEUNE, Claude (Claudin), * um 1530 Valenciennes, t September 1600 Paris. Über seine Jugend und Ausbildung ist nichts bekannt. Seine ersten Werke erschienen 1552 in Löwen. Bevor er sich in Paris niederlieB, lebte er wahrscheinlich in Italien. Gefördert wurde er durch die adligen Protestanten François de La Noue und Charles de Téligny, denen er die Dix pseaumes ... en forme de motets widmete. Nachdem J.-A. de Baïf und Th. de Courville die Académie de poésie et de musique gegründet hatten, schloB sich L. diesem Kreis an
und wurde einer seiner wichtigsten Komponisten.
Vor 1582 trat er als Lautenist in den Dienst des Herzogs François d'Anjou, des Bruders von König Heinrich III., und wurde dessen Musiklehrer. Wahrscheinlich begleitete er ihn auf der Expedition nach Antwerpen, denn dort übergab er 1585 dem Verleger Plantin die erste Ausgabe seines Livre de meslanges. Nach dem Tode des Herzogs von Anjou (1584) scheint er im Dienst des Herzogs von Bouillon gestanden und adlige Hugenotten unterrichtet zu haben. Militärische Vorgänge in Paris veranlaBten ihn 1590 zu einem antikatholischen Bekenntnis, woraufhin er fliehen mußte. Sein Freund J. Mauduit rettete seine Notenmanuskripte, darunter das Dodécacorde. 1594 kehrte L. nach Paris zurück, trat dann in die Hofkapelle von König Heinrich IV. ein und wurde 1596 zum Kammerkomponisten ernannt. Später zog er sich nach La Rochelle, dem Hauptsitz der Hugenotten, zurück, wo er noch 1598 nachweisbar ist. WW (teilweise mit mehreren Nachdrucken): Dix pseaumes ... en forme de motets für 4 St. (P 1564); 2 Livres de meslanges für 4-10 St. (An 1585 u. P1612); Airs für 4-5 St. (P 1594); Dodécacorde, contenant douze pseaumes... selon les doutes modes für 2-7 St. (La Rochelle 1598); Les cent cinquante pseaumes de Davidtür für 4 St. (P 1601 u. ö.); 3 Bücher Pseaumes de David, mis en musique à 3 parties (P 1602,1608,1610); Pseaumes en vers mesurés für 2-8 St. (P 1606); Le printemps für 2-8 St. (P 1603); Octonaires de la vanité ... du monde für 3-4 St. (P 1606, 1641); Missa ad placitum für S und 6 St. (P 1607); 2 Bücher Airs ... für 3-5 St. (P 1608); Chansons u. a. weltliche Gesänge in zahlreichen Sammeldrucken 1552-1610.
L. hat in seinem Schaffen die verschiedenen vokalen Gattungen der Zeit gepflegt. Sein Stil ist der Musica reservata sowohl hinsichtlich der Harmonik wie der Sprachbezogenheit nach den Grundsätzen der Pariser Académie de poésie et de musique verpflichtet. Akzidentien sind mit besonderer Sorgfalt gesetzt, und die Verschmelzung der Kirchentöne (mit Ausnahme des phrygischen) mit Dur und Moll ist konsequent vollzogen. Seine Bearbeitung der Genfer Psalmen (1601 u.ö.) fand nach der Goudimelschen (1565 u. ö.) die weiteste Verbreitung. Ausg.: 3 Pss. aus Dodécacorde, in: EXPERT Maîtres 11 (P 1900); Le printemps, in: ebd. 12-14 (P 1900-01); 13 Chansons aus Le livre de meslanges, in: ebd. 16 (P 1903); Pseaumes en vers mesurés, in: ebd. 20-22 (1905-06); Octonaires, in: EXPERT Monuments 1 u. 8 (P 1924, 1928); 4 Chansons aus dem 2. Buch der Meslanges, in: EXPERT Florilčge 6 (1929); Airs 1608, hrsg. v. D. P. WALKER, 4 Bde. (R 1951-59); 10 Pss., in: Chorals de la réforme, hrsg. v. M. HONEGGER (P 1953), 2. Aufl. als: Pseaumes de la réforme (P 1965); 15 Pss., in: Das Psalmbuch, hrsg. v. H. HOLLIGER (Bas 1953), sowie 2 in: Chorgesänge von der Renaissance bis zur Romantik (Kas 1979). Lit.: O. DOUEN, C. Marot et le Psautier Huguenot, 2 Bde. (P 1878-79, Nachdr. A 1967); D. P. WALKER — F. LESURE, C. Le J. and „Musique mesurče", in: MD 3 (1949); P. PIDOUX, Le Psautier Huguenot du XVI• sičcle, 2 Bde. (Kas 1962); W. BLANKENBURG, Die Kirchenmusik in den reformierten Gebieten, in: Gesch. der ev. Kirchenmusik, hrsg. v. F. Blume (Kas 1965, engl. NY 1974). W. BLANKENBURG
93
Lekeu
LEKEU, Jean Joseph Nicolas Guillaume, * 20.1. 1870 Heusy bei Verviers, t 21.1.1894 Angers; belgischer Komponist. L. kam 1888 mit seiner Familie nach Paris, wo er 1889 noch Schüler von C. Franck und nach dessen Tod (1890) von V. d'Indy war. 1891 erhielt er in Brüssel für seine Kantate Andromède einen 2. Prix de Rome. In den folgenden wenigen Jahren entstand der größte und wichtigste Teil seiner Werke, darunter eine von E. Ysaye angeregte Violinsonate. WW: Klv.-Sonate (1891); 2 V.-Sonaten (1891, 1892); Klv.-Trio (1890); Streichquartett (1887); Klv.-Quartett (1893) (unvollendet); Larghetto für Vc., Streichquintett, Fag. und 2 Hörner (1892). — Für Orch.: 2 symphonische Etüden (1889, 1890); Fantaisie pour orchestre sur un cramignon liégeois (1890); Introduction et Adagio (1891) für Tuba u. Harmoniemusik; Fantaisie sur deux airs angevins (1892). — Zahlr. Vokalwerke, u. a. Trois poèmes (1894) für SingSt u. Klv.; Chant lyrique (1891) für Chor und Orchester.
L., Zeitgenosse von Cl. Debussy, A. Roussel, Fl. Schmitt, M. Ravel, suchte im Vorfeld des Impressionismus den Weg zu einer erneuerten Romantik. Er kann als der einzige Komponist aus der Schule C. Francks gelten, der sich völlig dem Wagnerschen Einfluß entzogen hatte. Charakteristisch für ihn ist vor allem eine Melodik, die oft wie schwebend, stets neu anfangend, unabgeschlossen anmutet (z. B. das Adagio der Violinsonate). Lit.: O. G. SONNECK, G. L., in: MQ 5 (1919); M. LORRAIN. G. L., sa correspondance, sa vie et son ouvre (Lüttich 1923); R. STENGEL, G. L. (Bru 1944); V. DENIS. G. L. et H. Evenepoel, in: FS Ch. Van den Borren (An 1945); P. PRIST, L'enfant de génie de la musique contemporaine, G. L. (Bru 1946); A. VAN DER LINDEN. Lettres de G. L. i O. Maus 1892-1893, in: RBMie 3 (1949); J. CHAILLEY, Un manuscrit inédit de G. L., in:
LEKTIONAR (von lat. lectionarium), liturgisches Buch, das neben Epistolar und Evangeliar (liturgische Bücher) die Lesungen für den offiziellen Gottesdienst (Messe oder Offizium) der christlichen Kirchen enthält. Mit der Zusammenfassung aller zur Meßfeier gehörenden Texte im Missale (seit dem 9./10. Jh.) wurde das lateinische L. nur in der Missa solemnis benutzt. — Neuerdings kommt dem L. (mit Perikopen und Zwischengesängen) besondere Bedeutung zu, da das neue Missale von 1970 die Lesungen nicht mehr enthält. LEKTIONSTONE, die verschiedenen melodischen Modelle für den gesungenen Vortrag der lateinischen Lektionen ('7Lesungen) in /Messe und řOffizium der römisch-katholischen Kirche. Sie umfassen hauptsächlich die Singweisen von Lesung (Epistel), /Evangelium und von speziellen Lektionsarten wie /Passion, /Lamentation, Prophetien. Allgemeines Kennzeichen der L. — sie gehören zum 7Accentus ecclesiasticus — ist der Vortrag, das „Rezitieren", des Textes auf einer festen Tonhöhe (Tenor, Tuba, Dominante, Tonus currens, Rezitationston) und die Gliederung des Vortrags durch bestimmte einfache melodische Formeln, die den Wortakzenten angepaßt sind und sozusagen als musikalische Interpunktionen dienen. Die für die einzelnen Lektionsarten unterschiedlichen Formeln sind: Metrum innerhalb einer textlichen Periode, Punctum an deren Ende, Interrogano bei einer Frage, Conclusio am Ende einer Lesung. Beispiel für den Ton der Lectioll (gemäß Graduale Romanum):
Punctum
He-brae-os. Multifariam multisque mollis... sedet ad dexteram
Lectio Epistolae ad
Metrum 1E.MINNINII
maiesta-tis in - ex - cel-sis;
tanto melior angelis ef- fec-tus quanto differentius prao illis
Punctum
nomen he-re - di - ta - tis. Cui enim dixit aliquando an - ge - lo -rum: •Filius meus es tu, Interrogatio
te-?
ego hodie ge-nu - i
Et, cum iterum introduát Primogenitum in orbem terrae, di - cit:
Conclusio ► --~
!
-•
.Et adorent e - um
omnes angeli De -
Académie royale de Belgique. Bulletin de la classe des BeauxArts 52 (1970); P.-G. LANGEVIN, G. L., le „Rimbaud" de la musique, in: RM (1979) Nrn. 324-326. A. HOÉRÉE
94
i-.
Nach dem 2. Vatikanischen Konzil führte die — im Blick auf ihre wesenhafte Bindung an die lateinische Sprache nicht unproblematische — Adaption
Le Maistre
der L. für den Vortrag der Lesungen in deutscher Sprache zur Schaffung sog. Lesetöne. Namentlich zu nennen sind hier u. a. die Episteln und Evangelien in deutscher Sprache für besondere Anlässe von H. Schroeder (3 Tle., Düsseldorf 1965), die in ihren Formeln weitgehend von gregorianischen Vorbildern unabhängig sind. Jedoch ist in der heutigen liturgischen Praxis auch in feierlichen Gottesdiensten fast ausschließlich der gesprochene Vortrag der Lesungen üblich. Ausg.: E. QUACK — F. SCHIERI, Regelbuch für die Orationsu. Lektionstöne in dt. Sprache (Fr 1969); Graduale ... de tempore et de Sanctis (Solesmes—Tours 1974). Lit.: R. MoLrroR, Die Nach-Tridentinische Choral-Reform I (L 1901, Nachdr. Hil 1967); C. CALLEWAERT, Sacris erudiri (Steenbrugge 1940); G. KUNZE, Die Lesungen, in: Gestalt u. Form des ev. Gottesdienstes, hrsg. v. K. F. Müller — W. Blankenburg (Kas 1955) (= Leiturgia 2); W. APEL, Gregorian Chant (Bloomington/Ind. 1958); F. HABERL, Die liturg. Rezitative der hl. Messe, in: MS 80 (Kö 1960); B. STABLEIN, L., in: MGG VIII. B. R. SUCHLA
LE LEU, Jean (Jennet), /Lupi, Johannes. LELEU, Jeanne, * 29.12. 1898 Saint-Mihiel; frz. Pianistin und Komponistin. Sie trat bereits 9jährig in das Pariser Conservatoire ein und war dort Schülerin von Marguerite Long, A. Chapuis, G. Caussade und Ch. -M. Widor. 1923 erhielt sie mit ihrer Kantate Béatrix einen Prix de Rome. 1947 wurde sie Professor für Prima-Vista-Spiel und 1952 für Harmonielehre am Pariser Conservatoire. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik. — Für Orch.: Esquisses italiennes (1926); Suite symphonique für Blasinstr. (1926); Deux danses (P 1927); Transparences (P 1931); Suiten Femmes (1947) u. Virevoltes (1950); Klv.-Konzert (1935). — 2 Ballette Un jour d'été, UA: Paris 1940, und Nautéos, UA: Monte Carlo 1947.
LEMACHER, Heinrich, * 26.6. 1891 Solingen, t 16.3. 1966 Köln; dt. Komponist und Musikpädagoge. L. studierte 1911-16 am Kölner Konservatorium Theorie und Klavier, gleichzeitig Musikwissenschaft bei L. Schiedermair an der Univ. Bonn, wo er 1916 zum Dr. phil. promovierte. AnschlieBend lebte er als Musikkritiker in Köln, leitete dort 1925-56 das Musiklehrerseminar an der Musikhochschule (1928 Professor) und gemeinsam mit Hermann Unger und Edmund Joseph Müller 1924-33 auch das Kölner Seminar des Reichsverbandes Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer. 1921 war er Mitbegründer der Kölner Gesellschaft für Neue Musik, die er bis 1925 leitete, und 1927 der Internationalen Gesellschaft für neue katholische Kirchenmusik. Seit 1956 gehörte er dem Vorstand des Allgemeinen Cäcilienverbandes an. L. schrieb Kirchenmusik (Proprien, Messen, Motetten) im neokontrapunktischen Stil, ferner Chorlieder, Haus- und Jugendmusik. Zum 65. Geburtstag
wurde er mit einer Festschrift geehrt (Musikalisches Brauchtum, Kö 1956). Schriften: Hdb. der Hausmusik (Rb — Gr 1948); Hdb. der kath. Kirchenmusik (Essen 1949) (zus. mit K. G. Fellerer); Lehrbuch des Kontrapunkts (Mz 1950, '1965) (zus. mit H. Schroeder); GeneralbaBübungen (Düsseldorf 1954, 2 1965) (zus. mit dems.); Harmonielehre (Kö 1958, "1974) (zus. mit dems.); Formenlehre der Musik (Kö 1962, 2 1968) (zus. mit dems.), revidiert und engl. Obers.: Musical Form (1967) (mit neuen Bsp.en). Lit.: Rheinische Musiker 1, hrsg. v. K. G. FELLERER (Kö 1960) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 43) (mit ausführlichem Werk-Verz.); P. MIES, L., in: MGG VIII; DERS., in: MS 86 (1966). H. LINDLAR
LEMAIRE (Le Maire), Jean, * um 1581 Chaumont(-en-Bassigny), t um 1650; frz. Mathematiker. Er lebte teils in Toulouse, teils in Paris und widmete sein Vermögen und seine Freizeit dem Projekt eines Kanals zwischen Atlantik und Mittelmeer. L. konstruierte auch ein neues Lauteninstrument, die Almérie (Anagramm seines Namens), bei dem der Ganzton in 4 gleiche Teile geteilt wurde. Er erfand ferner eine merkwürdige Buchstabennotation, „almérien" oder „almérique" genannt, mit deren Hilfe man ohne Kenntnis der üblichen Noten singen und komponieren lernen sollte. Lit.: A. COHEN, J. Le Maire and „La musique almérique", in: AMI 35 (1963); J. R. KNOwLSON, J. L., the Almérie, and the „musique almérique" ..., in: ebd. 40 (1968).
LEMAIRE, Louis, * 1693 (?), t um 1750 Tours; frz. Komponist. Er war Schüler von S. de Brossard an der Maîtrise der Kathedrale von Meaux, später Maître de musique in Paris. Er war seit 1712 einer der prominenten Komponisten von Airs sérieux et à boire. Werke von ihm wurden auch im Concert spirituel aufgeführt. WW: 1) Instr.-WW: Les plaisirs de la paix. Simphonies en trio für V., Fl., Ob., Fag., Va., Trp., Pauken u. B. c. (P 1749). — 2) VokalWW: Motets für 1-2 St. mit Instr., 6 Bde. (P um 1734); zahlr. Kantaten u. Cantatilles mit B. c. bzw. Instrumentalbegleitung (P 1733-50); mehrere Slgen. Airs sérieux et à boire (P 1725-50); Concert spirituel (geistliche Airs) (P 1729).
LE MAISTRE, Mattheus, * um 1505 (?) vielleicht Roclengesur-Geer (Lüttich), t 1577 Dresden; franko-flämischer Komponist. Er gehörte vermutlich zuerst der Münchener Hofkapelle an, ehe er 1554 als Nachfolger von J. Walter die Leitung der aus 40 Musikern bestehenden Kantorei in Dresden übernahm. Krankheit überschattete seine letzten Dienstjahre; 1568 trat er in den Ruhestand. Sein Nachfolger war A. Scandello. WW: 8 Magnificat (Dresden 1557); Catechesis numeris musicis inclusa für 3 St. (Nil 1559, 21563); Geistliche und Weltliche Teutsche Geseng für 4-5 St. (Wittenberg 1566); Sacrae cantiones für 5 St. (Dresden 1570); Schöne und auserlesene Deudsche und Lateinische Geistliche Gesenge (Dresden 1577); weitere Kompositionen in Sammeldrucken der Zeit und hsl. erhalten.
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Lemarque L. ist ein Komponist betont konservativer Richtung, dem die kunstvolle Behandlung des Tonmaterials nach niederländischer Tradition Hauptanliegen war. Kompositorisch fand er seine Bestätigung in der am Dresdner Hof besonders vorherrschenden protestantischen Tradition eines G. Rhau und J. Walter. Aus dieser Haltung, die sich auch in seinem Übertritt zum Protestantismus bezeugte, ist der schlichte Satz des Musikalischen Katechismus mit seinem ins Lateinische zurückübersetzten Text zu verstehen. Am bedeutendsten sind L.s deutsche geistliche und weltliche mehrstimmige Lieder, obwohl auch sie an die damals bereits veraltete Cantus firmus-Tradition der Senfl-Zeit anknüpfen und mit weiteren archaischen Stilelementen durchsetzt sind. In den geistlichen Liedern von 1577 tritt die lehrhafte, humanistisch-schulmeisterliche Tendenz in den Vordergrund. In den Liebesliedern dagegen ist der EinfluB des italienischen Madrigals spürbar. Als einziger Niederländer in Deutschland hat er auch 2 Quodlibets komponiert. Ausg.: 6 Sätze, in: Luthers Kirchenlieder in Tonsätzen seiner Zeit, hrsg. v. K. AMELN (Kas 1934); 2 Motetten, hrsg. v. H. OSTHOFF (Wb 1934) (= Chw 30); 16 Sätze, in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik, hrsg. v. K. AMELN-CH. MAHRENHOLZ W. THOMAS-C. GERHARDT (Gö 1935ff.); Missa Regnum mundi und Motette, hrsg. v. G. GRUBER (Gr 1965) (= Musik alter Meister 14); Herr Jesu Christe, Gottes Sohn, hrsg. von D. C. GRESCH (St. Louis 1973). Lit.: O. KADE, M. le M. (Mz 1862); H. OSTHOFF, Die Niederländer u. das dt. Lied (B 1938, Nachdr. Tutzing 1967); G. REESE, Music in the Renaissance (NY 1954); D. C. GRESCH, M. Le M. A Netherlander at the Dresden Court Chapel (1970) (= Diss. Univ. of Michigan); R. CASPARI, Liedtradition im Stilwandel um 1600. Das Nachleben des dt. Tenorliedes in den gedruckten Liederslgen. v. Le M. 1566 bis Schein 1626 (Mn 1971) (= Schriften z. Musik 13); D. C. GRESCH, M. le M.s Polyphonic Offices, in: MQ 60 (1974). L. HOFFMANN-ERBRECHT
LEMARQUE, Francis (eig. Nathan Korb), * 25.11. 1917 Paris; frz. Komponist und Chansonsänger. Bevor er sich 1935, zusammen mit seinem Bruder (Duo „Frères Marc"), dem Chanson zuwandte, übte er verschiedene Berufe aus. 1946 lernte er Y. Montand kennen, der ihn förderte und viele seiner Chansons interpretierte. Populär wurde L. auch durch seine eigenen Interpretationen, bei denen er sich selbst auf der Gitarre begleitete. Die Chansons von L. sind entscheidend geprägt von seiner engen Verbundenheit mit Paris, aber auch von seinem politischen Engagement und seiner antimilitaristischen Haltung. Zu den bekanntesten Titeln zählen Les routiers, Mathilda, Ä Paris, Ma douce vallée, A côté du canal, Un petit cordonnier, Mon copin d'Pékin, Dénonciation de la guerre, Quand un soldat, Cornet de frites und Marjolaine. Lit.: A. BLANC, Choix de chansons, discographie, portrait (P 1974) (= Poésie et chansons 26).
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LEMLIN (Lemblin, Lämblin, Lemlein), Lorenz, * 1495 (?) Eichstätt, t zw. 1549 und 1551 Heidelberg (?); dt. Komponist. Er studierte 1513 in Heidelberg und promovierte 1514 zum Baccalaureus. Seine Zugehörigkeit zur Heidelberger Hofkantorei als Sänger, Knabenpräzeptor und Kapellmeister unter Kurfürst Ludwig V. ist durch G. Forster (1549) bezeugt. L. gilt als Lehrer der sog. Heidelberger Liedmeister (J. vom Brandt, G. Forster, C. Othmayr, St. Zirler). WW: 14 Lieder für 4 St. u. Der Gutzgauch auf dem Zaune saB für 6 St., in: G. Forster, Ein Auszug guter alter und newer teutscher Liedlein I-III (Nü 1539, 1540, 1549); Bicinien, Tricinien u. lat. Motetten in Sammeldrucken der Zeit, hsl. u. im Musikalien-Ven. Heidelberg Cod. Pal. Germ. 318 erhalten.
In L.s eigenen Liedbearbeitungen herrschen ältere Kompositionstechniken vor (starre C.f.-Behandlung, Anfangsimitation der AuBen- und freie Führung der Mittelstimmen). Eine Ausnahme bildet das wegen seiner tonmalerischen Gestaltung bekannt gewordene Lied Der Gutzgauch auf dem Zaune saB. Moderne Züge (Annäherung an die Homophonie, kürzere Motive) sind vor allem in den Psalmvertonungen zu erkennen. Ausg.: 12 Lieder sowie Der Gutzgauch, in: G. Forster, Frische teutsche Liedlein I u. II, hrsg. v. K. GUDEwILL-W. HEISKEH. SIUTs (Wb 1942, 1969) (= EDM, RD 20 u. 60); ein Satz in: G. Forster, Frische teutsche Liedlein, hrsg. v. K. GUDEWILL (Wb 1957) (= Chw 63). Lit.: C. PH. REINHARDT, Die Heidelberger Liedmeister des 16. Jh. (Kas 1939) (= Heidelberger Stud. z. Musikwiss. 8); H. ALBRECHT, C. Othmayr (Kas 1950); G. REESE, Music in the Renaissance (Lo 1954, revidiert 1959); L. HOFFMANNERBRECHT, L., in: MGG VIII; G. PIETZSCH, Quellen u. Forsch. z. Gesch. der Musik am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg bis 1622 (Wie 1963); H. HAASE, J. vom Brandt 1517 bis 1570 (Kas 1967) (= Kieler Schriften z. Musikwiss. 13).
LEMMENS, Nicolas Jacques, *3. 1. 1823 ZoerleParwijs, t 30.1. 1881 Linterport bei Mecheln; belgischer Organist und Komponist. Er studierte bei Karl Girschner und bei Fr.-J. Fétis in Brüssel sowie seit 1846 bei A. Hesse in Breslau und erhielt 1849 den 2. Prix de Rome für Komposition. 1849-69 war er Lehrer für Orgel am Brüsseler Konservatorium. Zu seinen Schülern zählten A. Guilmant und Ch.M. Widor. Verheiratet mit der englischen Sängerin Helen Sherrington (1834-1906), lebte L. 1869-78 in London, von wo aus er zahlreiche Konzertreisen unternahm. 1878 gründete er die École Interdiocésaire de Musique Religieuse in Mecheln, eine wichtige Ausbildungsstätte für Organisten, Kirchenchorleiter und Komponisten. Nach seinem frühen Tod wurde E. Tinel sein Nachfolger. L.' École d'orgue hat heute noch pädagogische Bedeutung; seine meist auf Choralmelodien beruhenden Orgelwerke gehören noch heute zum Repertoire vieler, zumal belgischer und französischer Organisten.
Lenaerts WW: Orgelstücke; Symphonien; geistliche Vokalwerke. - École d'orgue basée sur le plain-chant (Mz 1862); Du chant grégorien, hrsg. v. J. Duclos (Gent 1886). Ausg.: Euvres inédites, 4 Bde., hrsg. v. H. LEMMENS-SHERRINGTON (L 1883-87).
Lit.: M. SCHNEIDER, Die Orgelspieltechnik des frühen 19. Jh. in Deutschland, dargestellt an den Orgelschulen der Zeit (Rb 1968).
LEMNITZ, Tiana, * 26. 10. 1897 Metz; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte an der Musikhochschule Metz und am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main und debütierte 1920 in Heilbronn. Ober Aachen (1921-28), Hannover (1928 bis 1934) und Dresden (als Gast seit 1931) kam sie an die Berliner Staatsoper, deren Ensemble sie 1934-57 angehörte. Gastspiele führten sie an die Londoner Covent Garden Opera (u. a. als Eva in R. Wagners Die Meistersinger von Nürnberg 1936 unter Sir Th. Beecham), an die Wiener Staatsoper, das Teatro Colón in Buenos Aires und zu den Salzburger Festspielen, wo sie 1939 unter H. Knappertsbusch als Agathe in C. M. v. Webers Freischütz besonders erfolgreich war. LEMOINE, Édition Henry L., frz. Musikverlag, gegr. 1772 in Paris. - 1) Antoine Marcel, * 3. 11. 1753 Paris, t 10. 4. 1816 ebd. Er war Gitarrist, schrieb Musik zu Vaudevilles und wurde der Gründer des Verlags. WW: Nouvelle méthode courte et facile pour la guitarre à l'usage des commençans (P o.J., Nachdr. G 1972) (darin J. Bailleux, Méthode de guitarre ... ).
2) Antoine Henry, Sohn von 1), * 21. 10. 1786 Paris, t 18.5. 1854 ebd. Er war Schüler des Pariser Conservatoire, wo er 1807 einen 1. Preis für Klavier erhielt, wurde Klavierpädagoge und trat 1816 die Nachfolge seines Vaters als Leiter des Verlags an. WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Traité d'harmonie pratique (P 1836); Solfège des solfèges, 10 Bde.; Tablettes du pianiste (P 1844).
3) Achille Philibert, Sohn von 2), * 15.4. 1813 Paris, t 13.8. 1895 Sèvres. Er wurde 1850 Teilhaber seines Vaters in der Leitung des Musikverlags, den er seit 1852 allein führte. Durch ihn erfuhr die Firma einen großen Aufschwung, die 1875 die Bestände von Schonenberger übernahm und 1885 eine Filiale in Brüssel errichtete. - 4) Henry Félicien, Sohn von 3), *8. 4. 1848 Paris, t 24.4. 1924 ebd. Er übernahm nach dem Tod des Vaters zusammen mit seinen Brüdern Gaston, Léon und Achille die Firma, die er 1900-20 allein mit Louis Gorant als Teilhaber führte. - 5) Henry Jean, Neffe von 4), * 10. 4.1890 Paris, t 20.11.1970 ebd.; wurde erst Teilhaber, 1924 Alleininhaber. 1946 trat André, Sohn von 4), * 5.4.1907 Paris, als Teilhaber in den Verlag ein, 1955 Max, Sohn von 5), * 27. 6.1922 Paris. Der Verlag firmierte seit seiner Fusion (1932) mit den Éditions Lucien Grus & Cie. als
Henry L. & Cie. und erhielt 1968 den heutigen Firmennamen. - Wichtige Publikationen des Verlags waren und sind u. a. die Instrumentationslehren von H. Berlioz, Fr. Gevaert und Ch.-M. Widor, Solfègeschulen und Harmonielehren sowie das ehemals Lucien Grus gehörige Orchester- und Bühnenmaterial.
LEMOYNE (Le Moyne). -1) Jean Baptiste, * 3.4. 1751 Eymet (Dordogne), t 30. 12. 1796 Paris; frz. Komponist. Er ging 1770 nach Berlin und studierte bei J. G. Graun, J. Ph. Kirnberger und J. A. P. Schulz. Nach Paris zurückgekehrt, schrieb er eine Oper Électre im Stile Chr. W. Glucks, als dessen Schüler er sich bezeichnete, was aber Gluck in Abrede stellte; daraufhin komponierte L. eine andere Oper Phèdre im Stile N. Piccinnis. Nach einer Italienreise ließ er sich 1788 in Paris nieder. WW: Etwa 16 Opern, davon im Druck erschienen: Électre, UA: Paris 1782; Phèdre, UA: Fontainebleau 1786; Nephté (nach P. Corneille) u. Les prétendus, UA: Paris 1789; Les pommiers et le moulin, UA: ebd. 1790.
2) Gabriel, Sohn von 1), * 14. 10. 1772 Berlin, t 2.7. 1815 Paris; frz. Komponist und Pianist. Er studierte Harmonielehre und Klavier bei M. Clementi und J. Fr. Edelmann und unternahm um 1800 mit dem Violinisten Ch. Ph. Lafont Konzerttourneen. L. schrieb gemeinsam mit Piccinni die Ope-
rette L'entresol. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; 2 Klv.-Konzerte (P 1813). Ferner die Operette L'entresol, UA: Paris 1802 (zus. mit N. Piccinni) sowie Romanzen. Lit.: H. GOUGELOT, La romance française, 2 Bde. (Melun 1938-43) (darin 2 Romanzen v. G. L.); J. RUSHTON, An Early Essay in „Leitmotiv". J. B. L.'s „Électre", in: ML 52 (1971).
LENAERTS, René Bernard Maria, * 26. 10. 1902 Bornem (Antwerpen); belgischer Musikforscher. Er studierte Musikwissenschaft in Löwen und Theologie in Mecheln. 1927 zum Priester geweiht, promovierte er 1929 mit der Dissertation Het Nederlands polifonies lied ... an der Katholieke Universiteit Löwen. In der Folge vervollständigte er seine Studien in Paris und München. 1944-49 war er Dozent, 1949-71 Professor für Musikwissenschaft in Löwen. 1958-71 lehrte er auch an der Rijksuniversiteit Utrecht. L. redigierte 1946-57 zusammen mit Susanne Clercx-Lejeune die Revue belge de musicologie (RBMie). 1955 wurde er Mitglied der Koninklijke Vlaamse Academie voor wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van Belgie, 1956 Titularkanonikus von St. Rumoldus in Mecheln. Zu seinem 65. Geburtstag wurde L., einer der besten Kenner der niederländischen Musik des 15.-16. Jh., durch eine Festschrift geehrt (Renaissance-muziek. 1400-1600, hrsg. v. J. Robijns, Löwen 1969, = Musicologica Lovaniensia 1). 97
Lendvai Schriften: Het Nederlands polifonies lied in de zestiende eeuw (Mecheln—A 1933); The 16th Century Parody Mass in the Netherlands, in: MQ 36 (1950); Van Monteverdi tot Bach, in: Algemene Muziekgeschiedenis, hrsg. v. A. Smijers (Utrecht 1958); Die Kunst der Niederländer (Kö 1962) (= Das Musikwerk 22); Eine spanische Palestrina-Quelle des frühen 17. Jh., in: FS K. G. Felleser (Rb 1962); Parodia, reservata-kunst en muzikaal symbolisme, in: Liber amicorum. FS Ch. van den Borren (An 1964); Erasmus en de muziek, in: Vlaams muziektijdschrift 22 (1970); Die Kirchenmusik der Niederländer, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik I, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas 1972). — L. ist ferner Generaleditor der MMBeIg. Lit.: C. W. F. HILLEN, in: Mens en melodie 26 (1971).
LENDVAI, Peter Erwin, * 4.6.1882 Budapest, t 21.3.1949 Epsom (Surrey; England); ung. Komponist. Nach Kompositionsstudien bei Hans Koessler in Budapest und G. Puccini in Mailand ließ er sich 1909 in Deutschland nieder. 1913-14 war er als Theorielehrer am Institut Jaques-Dalcroze in Hellerau tätig, 1914-20 am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin und wurde 1923 Chorleiter an der Hamburger Musikschule. Bis zu seiner Emigration nach Großbritannien (1933) leitete er verschiedene deutsche Chorvereinigungen. Auch im Exil widmete er sich vornehmlich der Chorerziehung. Er schrieb zahlreiche Chorwerke in einem nachromantisch-klassizistischen Stil, ferner Klavier- und Kammermusik sowie eine Oper Elga nach Fr. Grillparzers Kloster von Sendomir (UA: Mannheim 1916, Neufassung UA: Leipzig 1918). Lit.: H. LEICHTENTRITT, E. L. (B 1912); H. GAPPENACH, E. L., in: Der Chor 5 (1952); DERS., In memoriam E. L., in: Melos 20 (1953).
LENEPVEU, Charles Ferdinand, * 4.10.1840 Rouen, t 16.8. 1910 Paris; frz. Komponist. Er studierte gleichzeitig Jura und Musik. 1863 trat er am Pariser Conservatoire in die Kompositionsklasse von A. Thomas ein und erhielt 1865 einen 1. Grand Prix de Rome für seine Kantate Renaud dans les jardins d'Armide. 1880 wurde er Professor für Harmonielehre am Pariser Conservatoire, wo er 1894 die Kompositionsklasse übernahm. L., seit 1896 Mitglied der Académie Française, hatte vor allem als Pädagoge einen bedeutenden Ruf. WW: Opéras-comiques L'anniversaire (1876) u. Le florentin (P o. J.); Oper Velléda (nach Les martyrs v. F. R. de Chateaubriand), UA: London 1882; Drame lyrique Jeanne d'Arc (P 1886). — Ferner Cent leçons d'harmonie (P 1896-98).
LENOIR, Jean (eig. Jean Bernard Daniel Neuburger), * 26.2.1891 Paris, t 19.1.1976 ebd.; frz. Komponist. Nach dem Studium am Pariser Conservatoire war er als Orchesterleiter und Komponist tätig. Er schrieb mehr als 300 Filmmusiken und etwa 4000 Chansons. Diese, meist in den 20er Jahren entstanden, waren in ihrer Sentimentalität bewußt als Reaktion auf Einflüsse des amerikanischen Jazz konzipiert. Weltberühmt wurde das 98
Chanson Parlez-moi d'amour (1925) in der Interpretation von Lucienne Boyer (Text von J. L.; 1. Grand Prix du disque, 1943). Weitere bekannte Titel von L. sind Voulez-vous danser, grand-mère und Pars (1926), gesungen von Yvonne George. LENTEMENT (frz., = langsam), im 17.-18. Jh. gebräuchlich als Tempovorschrift für den langsamen ersten Teil der französischen Ouvertüre.
LENTO (it., = langsam), seit dem frühen 17. Jh. gelegentlich als Tempovorschrift verwendet, z. B. bei L. van Beethoven in der Bezeichnung des 3. Satzes (Lento assai e cantante tranquillo) des Streichquartetts op. 135. Häufiger ist in der französischen Musik die entsprechende Bz. lent bzw. lentement. LENYA, Lotte, * 18. 10. 1900 Wien, t 27. 11. 1981 New York; östr. Sängerin und Schauspielerin. Sie begann ihre Theaterlaufbahn als Ballettelevin in Zürich, wo sie K. Weill, ihr späterer Mann, entdeckte. Sie kreierte die weiblichen Hauptrollen in den Songspielen Mahagonny (1927), Die Dreigroschenoper (1928) und Die 7 Todsünden der Kleinbürger (1933) von Weill und B. Brecht. Der Erfolg dieser Stücke ist aufs engste mit ihrer Darstellungsund Vortragskunst verbunden. 1933 emigrierte sie mit ihrem Mann über Paris und London in die USA, wo sie auch in Stücken anderer Autoren, z. B. 1968 als Fräulein in der Harold Prince-Inszenierung des Musicals Cabaret von John Cander auftrat. Erinnerungen von ihr erschienen als That Was a Time (dt. Übers. in: B. Brechts Dreigroschenbuch, hrsg. v. S. Unseld, F 1960). LENZ, Günter, *25. 7. 1938 Frankfurt am Main; dt. Jazzmusiker (Kontrabaß; auch Bandleader). Er gehörte seit 1955 zur „Frankfurter Szene" und machte in den 60er und 70er Jahren als Mitglied der Gruppen von A. Mangelsdorff eine internationale Karriere. 1978 gründete er eine eigene Band, „Springtime", die Hard Bop, Free und New Jazz verbindet. L. bevorzugt das Expressive; seine Soli auf dem Kontrabaß sind durch stürmische Folgen von gebrochenen Akkorden gekennzeichnet. LEO, Leonardo (eig. Lionardo Oronzo Salvatore de L.), * 5.8.1694 San Vito degli Schiavi (heute San Vito dei Normanni) bei Brindisi, t 31.10.1744 Neapel; it. Komponist. Er studierte 1709-13 bei A. Basso und N. Fago am Conservatorio S. Maria della Pietà dei Turchini in Neapel und machte so große Fortschritte, daß bereits 1712 sein Oratorium L'infedeltà abbattuta in Assisi con la fuga dei Saraceni a gloria di S. Chiara sowohl an diesem Konservatorium wie auch im Palais des Vizekönigs aufgeführt wurde. 1713 wurde L. Organist der König-
Leoncavallo lichen Kapelle, nach dem Tode von A. Scarlatti
(1725) dort 1. Organist, 1730 3. Kapellmeister, 1737 Vizekapellmeister und 1744, einige Monate vor seinem Tode, Hofkapellmeister. Daneben wirkte er als Vize- sowie seit 1741 als 1. Kapellmeister am Conservatorio S. Maria della Pietà dei Turchini und seit 1739 als Nachfolger von Fr. Feo als Kapellmeister am Conservatorio Sant'Onofrio. WW (fast ausschließlich hal. erhalten): 1) lnstr.-WW: 6 Vc.-Konzerte (autograph 1737-38); ein Konzert für 4 V. u. B. c.; Ouvertüre u. Triosonate in Sammeldrucken (P um 1755, Lo um 1795); 14 Toccaten u. Aria mit Variationen für Cemb. — Ferner einige didaktische Werke (Fugen, Solfeggien u. a.). — 2) Vokal-WW: Zahlr. kirchenmusikal. Werke, darunter einzelne Messen (nur Kyrie — Gloria); Propriumskomp.en; Psalmen u. a. Offiziumsgesänge; Lamentationen; Motetten. — 2 Oratorien (Text: P. Metastasio): Sant'Ekna al Calvario, UA: Bologna 1734, u. La morte di Abel, UA: ebd. 1738. — It. Kantaten, Duette u. Arien. — 3) Biihoen-WW (nur teilweise erhalten): etwa 30 Opere serie (z. T. mit Intermezzi u. Buffoszenen); etwa 30 Commedie musicali bzw. selbständige Intermezzi sowie Serenate.
L. zählt mit Fr. Durante und L. Vinci zu den bedeutenden Vertretern der /Neapolitanischen Schule in den 1720-40er Jahren. Dies bezeugen die Opern (meist auf Libretti von P. Metastasio) ebenso wie die Oratorien und kirchenmusikalischen Werke. Charakteristisch für den letzteren Bereich ist auch der Rückgriff auf den Stile antico und seine Verbindung mit den Elementen des Stile concertato in der Tradition des 17. Jahrhunderts. Als Lehrer vermittelte er die Kunst A. Scarlattis der Generation N. Jommellis und N. Piccinnis, die beide seine unmittelbaren Schüler waren. Ausg.: 1) Instr.-WW: 3 Toccaten, in: G. TAGLIAPIETRA, Antologia di musica antica e moderna per il pianoforte 12 (Mi 1932); Sinfonien zu Emira, La morte di Abel, S. Elena u. S. Genoviefa, hrsg. v. G. A. PASTORE (Mi 1957); Sinfonien zu Le nozze di Psiche con Amore u. Olimpiade, hrsg. v. DEMS. (Padua 1960); Vc.-Konzerte: D-Dur, hrsg. v. E. CILEA (Mi 1934); A-Dur, hrsg. v. E. RAPP (Mz 1938, Neudruck 1955); D-Dur, hrsg. v. F. SCHROEDER (Lo — Z 1958); A-Dur, hrsg. v. R. FASANO (Mi 1967): f-moll, hrsg. v. A. PASTORE (Padua 1970); Konzert für 4 V., hrsg. v. W. UPMEYER (B 1952). — 2) Vokal- si. Biibsien-WW: Praebe, virgo benignas aures! für Sopran u. B. c., hrsg. v. R. EWERHART (Kö 1957) (= Cantio sacra 15); Salve Regina für Sopran, 2 V. u. B.c., hrsg. v. DEMS. (Kö 1960) (=Die Kantate 4); Tenebrae für Chor u. Org., hrsg. v. D. DARLOW (O 1964). — L'Olimpiade, hrsg. v. H.M. BROWN (NY 1978) (= It. Opera 1640-1770, 36). Lit.: G. LEO, L. L., musicista del secolo XVIII e le sue opere musicali (Neapel 1905); G. A. PASTORE, L. L. (Galatina 1957); H. HUCKE, L., in: MGG VIII; D. GREEN, Progressive and Conservative Tendencies in the Vc. Concertos of L. L., in: FS K. Geiringer (Lo 1970); H. HELL, Die neapolitanische Opernsinfonie in der ersten Hälfte des 18. Jh. (Tutzing 1971) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 19); H. CH. WOLFF, L. L.'s Oper „L'Andromaca" 1742, in: Studi musicali 1(1972); DERS., Un oratorio sconosciuto di L. L, in: RIMus 7 (1972); G. H. HARDIE, L. L. and His Comic Operas „Amor vuol sofferenza" and „Alidoro" (1973) (= Diss. Cornell Univ., Ithaca/N.Y.).
LÉONARD, Hubert, * 7.4. 1819 Bellaire bei Lüt-
tich, t 6. 5.1890 Paris; belgischer Violinist und Komponist. Er studierte 1836-39 am Pariser Conservatoire bei Fr. A. Habeneck und war in der Folge sowohl konzertierend wie auch kompositorisch tätig. 1849-67 lehrte er am Brüsseler Konservatorium Violine. 1866 lieB er sich endgültig in Paris nieder, unternahm aber weiterhin Konzertreisen. L. gehört zu den bedeutenden belgischen Violinisten des 19. Jahrhunderts. WW: Zahlr. V.-Stücke; 6 V.-Sonaten; 1 Serenade für 3 V.; Duos mit Klv.; 5 V.-Konzerte. — Lehrwerke: Méthode Léonard (24 études harmoniques); 24 études pour violon seul; La gymnastique du violoniste; La petite gymnastique du jeune violoniste.
LEONARDA, Isabella (bürgerlicher Name wahrscheinlich Leonarda Calegari), * um 1620 Novara, t nach 1700 ebd.; it. Komponistin. Sie trat 1636 in das Kloster S. Orsola in Novara ein, wurde dort 1686 Oberin und war mindestens seit 1693 Provinzialoberin. I. L. hinterließ ein umfangreiches Werk (etwa 200 bekannte Kompositionen). WW: Motetti a voce sola mit B.c., op. 6, 11, 12, 14, 15, 17 u. 20 (V 1684, Bol 1684, 1686, 1687, 1690, 1695 u. 1700); im Druck erschienen ferner weitere Slgen. Motetten für 1-4 St. u. B.c., auch mit Insu.; Messa e salmi, concertati & a capella mit Instr. ad lib. (Mi 1674); Vespro della Beata Vergine (u. Motetten) (Bol 1678); Messe concertate für 4 St. u. B.c. mit Instr. (u. Motetten) (ebd. 1696); Salmi eoncertati für 4 St. u. B.c. mit Instr. (ebd. 1698). — Sonaten für 1-4 Instr. u. B.c. (Bol 1693).
I. L., von ihren Zeitgenossen gelegentlich „La musa novarese" genannt, war die einzige namhafte Kirchenkomponistin des 17. Jahrhunderts. In ihrem Schaffen nehmen die Solomotetten einen breiten Raum ein. Sie weisen jedoch, ähnlich wie bei M. Cazzati — wie er gehört I. L. zur Bologneser Schule —, in Textgestaltung und musikalischem Ausdruck über den liturgischen Rahmen hinaus. Lit.: K. MEYER, Der chorische Gesang der Frauen mit besonderer Bezugnahme seiner Betätigung auf geistlichem Gebiet (L 1917); L. FRATI, Donne musiciste bolognesi, in: RMI 37 (1930); V. FEDELI, Le cappelle musicali di Novara (Mi 1939) (= Istituzioni e monument& dell'arte musicale Italiana 3); E. WEISSWEILER, Komponistinnen aus 500 Jahren (F 1981).
LEONCAVALLO, Ruggero (Ruggiero), * 23.4. 1857 Neapel, t 9.8.1919 Montecatini (Toskana); it. Komponist. Er studierte 1866-74 bei Lauro Rossi am Conservatorio San Pietro a Majella in Neapel und verdiente sich dann als Privatlehrer, Klavierspieler in Kaffeehäusern und reisender Künstler in Frankreich, GroBbritannien und Ägypten seinen Lebensunterhalt. Nach Italien zurückgekehrt, wo er zeit seines Lebens keine sichere Stellung bekleidete, versuchte er sich zunächst als überzeugter Anhänger R. Wagners an einer historischen Operntrilogie mit dem bezeichnenden Titel Crepusculum. Davon wurde aber nur ein 1. Teil, IMedici, fertiggestellt und erst 1893 aufgeführt. 99
Leonce und Lena Ein Jahr vorher wurde L. schlagartig bekannt durch den Bajazzo (Pagliacci) und konnte sich an Berühmtheit mit den anderen großen Vertretern des musikalischen Verismo messen. Dieser Erfolg blieb ihm auf den weiteren Stationen seines Lebens und Schaffens jedoch nicht treu. Die vom italienischen Publikum und von der Kritik zurückhaltend, vom deutschen Kaiser Wilhelm II. dagegen begeistert aufgenommenen Medici, eine Bohème, die gegen die wirkungsvollere gleichnamige Oper G. Puccinis nicht ankam, und der Mißerfolg einer den wilhelminischen Geist des Fin de siècle widerspiegelnden deutschen Oper Der Roland von Berlin entmutigten L. zunehmend. Er fühlte sich zeitweilig veranlaßt, geradezu triviale Operetten zu schreiben, und erst durch die Ereignisse des 1. Weltkriegs fand er zum „schweren" Operngenre zurück — freilich ohne jedes Echo. Als er starb, war seine künstlerische Persönlichkeit fast völlig vom Ruhm des Bajazzo überdeckt. WW: Opern: Pagliacci (Der Bajazzo), UA: Mailand 1892; 1 Medici, UA: ebd. 1893; Chatterton, UA: Rom 1896; La Bohème, UA: Venedig 1897; Zazà, UA: ebd. 1900; Der Roland von Berlin, UA: Berlin 1904; Maja, UA: Rom 1910; Zingari, UA: London 1912; Goffredo Mameli, UA: Genua 1916; zahlr. Operetten u. Ballette, ferner Romanzen u. a. Gesänge mit Klv. - Autobiogr. La réforme (Alexandria 1892).
L. war als Dichter-Musiker von ähnlichem Rang wie A. Boito. Er schrieb die Libretti zu den meisten seiner Opern selbst und hatte einen sicheren Blick für bühnenwirksame Stoffe und Texte. So etwa verdanken u. a. die Libretti von Puccinis La Bohème und Manon Lescaut L. entscheidende Anregungen. Gleichwohl erlangte er nur durch ein einziges Werk, den Bajazzo, operngeschichtliche Bedeutung. Text, Handlung und Musik erscheinen hier im großen und in vielen Einzelheiten der Melodik, Harmonik und Instrumentierung vollendet aufeinander abgestimmt, Einflüsse von seiten Wagners, G. Bizets, J. Massenets zu einer musikalischen Sprache von elementarer theatralischer Italianità verschmolzen. Symptom dafür sind nicht zuletzt die Partien des Canio (Tenor) und des Tonio (Bariton), die mit der Arie Hüll dich in Tand ... Lache, Bajazzo und mit dem Prolog Schaut her, ich bin's berühmte Paradenummern des Belcanto enthalten. Ähnlich erfolgreich wurde auch L.s Romanze Mattinata. Lit.: A. DE ANGELIS, Il capolavoro inespresso di R. L., in: RMI 30 (1923); R. DE RENSIS, U. Giordano e R. L. (Siena 1949); J. W. KLEIN, R. L., in: MGG VIII; DERS., The Other „Bohéme", in: MT 111 (1970); T. LERARIO, R. L. e il Soggetto dei „Pagliacci", in: Chigiana 6-7 (1971); F. GHISI, Un altro sconosciuto libretto d'opera da un carteggio inedito di R. L., in: Annuario mus. 26 (1971).
LEONCE UND LENA, Oper in Vorspiel und 2 Teilen von Paul Dessau (1894•-1979), Text von 100
Thomas Körner nach dem gleichnamigen Lustspiel (1836) Georg Büchners. UA: 24. 11. 1979 in OstBerlin (Staatsoper) unter Otmar Suitner. Dutch Hervorhebung der sozialkritischen Züge in Büchners melancholischem Lustspiel zeichnet der „Textorganisator" Körner die Titelhelden als durchweg negative Figuren. Dessau verzichtet in der musikalischen Gestaltung seines letzten vollendeten Werkes weitgehend auf theatralische Effekte; die transparente, häufig solistische Führung der Instrumentalstimmen ermöglicht Textverständlichkeit auch bei Gesangslinien in extremen Tonlagen. Die wenig suggestive Kraft der Musiksprache, mit welcher der Text mehr kommentiert als vertont scheint, erlaubt an einigen Stellen der Partitur den Vergleich mit Schauspielmusik; daher wurde das Werk auch als „musikalisch-szenische Paraphrase über ausgewählte Motive aus Leonce und Lena" kritisiert. Da Dessau aber mit dem rhythmisch differenzierten, wenig melodischen und kaum thematisch gebundenen Material die breite Gefühlsskala der handelnden Personen präzise illustriert, erfuhr diese Oper als „Meisterwerk des Aussparens" dennoch bei der UA begeisterte Zustimmung, die sich bei der EA in der Bundesrepublik in Freiburg i. Br. (29. 12. 1979) wiederholte. K. LANGROCK
LEONHARDT, Gustav, * 30.5. 1928 's-Graveland; ndl. Cembalist und Dirigent. Er studierte 1947-50 Cembalo und Orgel bei Eduard Müller an der Schola Cantorum Basiliensis. 1952-55 war er Professor für Cembalo an der Wiener Musikakademie und lehrt seit 1953 in gleicher Stellung am Konservatorium in Amsterdam. Als Solist wie als Leiter des von ihm gegründeten L.-Consort hat er seit 1950 zahlreiche Konzertreisen unternommen. L. genieSt besonders als Interpret Bachscher Werke internationalen Ruf. Schriften: The Art of Fugue. J. S. Bach's Last Harpsichord Work (Den Haag 1952); L. war Hrsg. v. J. P. Sweelinck, The Instrumental Works. Fasc. 1. Keyboard Works, Fantasias and Toccatas (A 1968) (= Sweelinck-GA 1). Lit.: W. PAAP, in: Mens en melodie 26 (1971).
LEONI, Leone, * um 1560 Verona, t 24.6.1627 Vicenza; it. Komponist. Unterstützt durch den Grafen Mario Bevilacqua, konnte er in Verona Musik studieren. Er ließ sich später in Vicenza nieder, wo er seit 1588 Kapellmeister an der Kathedrale war und fast 40 Jahre lang eine beachtliche Pflege der Kirchenmusik besorgte. Wesentliche Züge seiner Musik, die klangliche Farbigkeit, die häufige Verwendung von Doppelchören, die dynamischen Kontraste und die Kombination vokaler und instrumentaler Satzweise, rücken L. in die Nähe G. Gabrielis und der Venezianischen Schule.
Leonore 40/45 WW: 5 Bücher Madrigali für 5 St. (V 1588, 1591, 1595, 1598, 1602); Madrigali spirituali für 5 St. (V 1596); 4 Bücher Motetten für 1-4 St. u. B.c., 1 u. 2 (V 1606, 1612), 4 (V 1622); Sacrarum cantionum Tiber I für 8 St. (V 1608); Omnium solemnitatum Psalmodia für 2 Chöre mit B.c. (V 1613); zahlr. Gesänge in Sammeldrucken 1592-1627 u. hsl. erhalten. Ausg.: 2 Madrigale für 5 St., in: TORCHI Arte mus. I1 (1897). Lit.: G. MANTESE, Storia musicale vicentina (Vicenza 1956); H. J. WING, The Polychoral Motets of L. L., 2 Bde. (1966) (= Diss. Boston Univ.).
LEONINUS (Leonin, Leo), frz. Komponist der 2. Hälfte des 12. Jh. an der Kathedrale /NotreDame in Paris. Sein Name sowie der Name seines Nachfolgers OE Perotinus werden von dem Musiktheoretiker Anonymus IV (nach 1279) bezeugt, der L. als den besten Komponisten von Organa (optimus organista), Perotinus hingegen als den besten Komponisten von Discantuspartien (optimus discantor) bezeichnet. Der vom Anonymus IV erwähnte Magnus liber organi de gradali et antiphonario des L. ist in den Quellen Florenz, Bibl. Laur. plut. 29, 1 und Wolfenbüttel, Herzog-AugustBibliothek 628 und 1099 erhalten. Er enthält insgesamt 32 Organa „de antiphonario", d. h. über Responsorien der Matutinen, 3 weitere singuläre Organa, ferner 60 Organa „de gradali", d. h. über Graduale und Alleluja der Messe. Die Zyklen „de antiphonario" und „de gradali" sind nach dem Kirchenjahr geordnet. Die Organa „de antiphonario" dienten auch als Gesänge der Sonntagsprozession vor der Messe. Sämtliche Organa sind zweistimmig. Die Töne der Soloteile (der sog. organalen Partien) eines responsorialen Gesanges werden in der tieferen Stimme (im Tenor) rhythmisch gedehnt und bekommen dadurch den Charakter von liegenbleibenden Stütztönen. Die Oberstimme verläuft dazu melismatisch in einem schnellen belebten, offenbar freien Rhythmus. In den restlichen Teilen (den sog. Discantuspartien) werden demgegenüber die Töne des Tenors rhythmisch modal gemessen, und auch die Oberstimme scheint rhythmisch modal (offenbar im 1. 7Modus) zu verlaufen. Die L. folgende Generation hat den Magnus liber umgearbeitet. Lit.: /Notre-Dame.
B. R. SUCHLA
LEONORA ODER DIE EHELICHE LIEBE (Leonora ossia L'amore conjugale), Opera semiseria in 2 Akten von Ferdinando Paër (1771-1839). Text vermutlich von G. Cinti nach dem gleich-
namigen Libretto von Jean Nicolas Bouilly. Ort und Zeit der Handlung: ein spanisches Staatsgefängnis bei Sevilla, um 1500. UA (in ital. Sprache): 3.10. 1804 in Dresden, EA in dt. Sprache: 8.2.1809 in Wien unter dem Titel Leonore oder Spaniens Gefängnisse bei Sevilla. Paërs Leonora ist die zweite Oper, die nach dem
Buch von Bouilly entstand. Wegen ihres großen Erfolges mußte Beethovens ein Jahr später uraufgeführte Version unter dem geänderten Titel Fidelio gespielt werden. Daß das zeitgenössische Publikum Paërs Werk demjenigen Beethovens vorzog, ist verständlich: stilistisch einheitlicher und ohne schwer verständliche Brüche, bleibt diese italienische Vertonung des Stoffes eng an der im Untertitel präzisierten Thematik und verzichtet auf den groBen Befreiungsgestus. Der 2. Akt spielt ausschließlich im Kerker und hält die Spannung bis in die letzte Szene aufrecht, was bei Beethoven nicht gelingt. Marzelline, im Fidelio ohne plausible dramatische Funktion, ist hier entscheidend in den dramatischen Verlauf integriert: ihre Liebe zu dem vermeintlichen Mann Fedele wird als Beweggrund zur Rettung Leonoras (hier ebenfalls für kurze Zeit gefangengesetzt) und Florestans ausgenutzt. Zahlreiche Nummern aus dieser in Themenbildung, Instrumentierung und Ensemblestruktur meisterhaften Oper verdienen Beachtung. An erster Stelle sind die beiden großen Monologe Leonoras und Florestans (Esecrabil Pizzarro! dove vai und Ciel! Che profonda oscurità tiranna!) zu nennen; ihre formale und zum Teil auch die melodische Gestaltung haben Beethoven zweifellos als Vorbild geR. QUANDT dient. LEONORE, urspr. Titel der Oper řFidelio von L. van Beethoven. LEONORE 40/45, Opera semiseria in 2 Akten von Rolf Liebermann (* 1910), Text von Heinrich Strobel. Ort und Zeit der Handlung: Deutschland und Frankreich, 1937-47. UA: 25.3. 1952 in Basel; dt. EA: 1. 10. 1952 in Köln. Der Titel dieser Oper verweist auf Beethovens Fidelio. Ähnlich wie dort Leonore, findet hier die Französin Yvette nach langem Suchen ihren Geliebten in einem Kriegsgefangenenlager und kann ihn allen Schwierigkeiten zum Trotz heiraten. Ihr hilft dabei der Schutzengel Monsieur Emile, der auch als Conférencier des Stückes agiert; als Zeichen seiner Doppelfunktion trägt er Flügel am Frack. Aufgrund der Handlungselemente und der sprachlichen Gestaltung mit deutschen und französischen Dialogen wurde das Werk bei der UA als „Moderne Versöhnungsoper" triumphal gefeiert (44 Vorhänge), im Deutschland der Nachkriegszeit aber als „Hohes Lied der Kollaboration" (im Gegensatz zu Fidelio: „Hohes Lied der Gattentreue") kritisiert. Als Beispiel für die geistvolle Zittertechnik, die Liebermann in parodistischer Absicht nutzt, diene eine Episode aus der ersten Szene: Bei einem Konzert erklingt seine frühe Klaviersonate; entsetzt stammelt das Publikum „Dodo-kaka-pho101
Leopold I. pho-nie" (12st. Chor), doch beim Erklingen von Fr. Liszts berühmtem Liebestraum schlägt die Stimmung in Entzücken um. K. LANGROCK LEOPOLD L, * 9.6.1640 Wien, t 5. 5.1705 ebd.; seit 1658 römisch-dt. Kaiser. Unter den kunstverständigen Habsburgern des Barocks nimmt L. einen besonderen Rang ein. Er war selbst vielseitig schöpferisch tätig, seine bevorzugte Liebe galt aber der Musik, die er zeit seines Lebens selbst ausübte. Als Komponist hat er ein umfangreiches und professionellen MaBstäben entsprechendes Werk hinterlassen, das qualitativ höher einzuschätzen ist als das seines Vaters Ferdinand III. oder das seines Sohnes Joseph I. Von historischem Interesse ist vor allem seine Musik zu deutschsprachigen Oratorien und Komödien. Eine stilistische Entwicklung ist allerdings kaum feststellbar, vielmehr hielt L. am Stil der Venezianischen Schule seiner Jugend fest. Ähnlich konservativ verhielt er sich auch als großzügiger Mäzen, der den Wiener Hof zu einer zentralen Pflegestätte von Musik und Theater machte. Einen für den Barock typischen Höhepunkt des Zusammenwirkens von Kunst, Prachtliebe, politischer Repräsentation und bedeutungsvollem Anlas bildete 1667 die Aufführung von M. A. Cestis Oper Il pomo d'oro zur Hochzeit L.s mit Margaretha Theresia von Spanien. Für L.s Willen zur Kontinuität spricht auch, daß A. Draghi als Komponist, N. Minato als Dichter und Ludovico Burnacini als Bühnenarchitekt zwei Jahrzehnte lang die bestimmenden Künstler am Hofe blieben. WW: Kirchenmusikal. Werke, u. a. Messen, Litaneien, Trauerlektionen, Motetten u. Hymnen; Oratorien u. Sepolcri, darunter: D
lutto dell'universo (1668) und Sig des Leydens Christi über die Sinnligkeit (1682); Oper, Komödien u. Ballette in it., dt. u. span. Sprache, u. a.: Timone Misantropo (1696) (nur der 2. Akt erhalten); Der thoreichte Schiffer (1683); Fineza contra Fineza (vor 1705); ferner 155 Arien u. a. Einlagen in dramatische Werke seiner Hofmusiker. Ausg.: Musikal. Werke der Kaiser Ferdinand III., L. I. u. Joseph I., hrsg. v. G. ADLER (W 1892-93, Nachdr. Farnborough 1971). Lit.: H. V. F. SOMERSET, The Habsburg Emperors as Musicians, in: ML 30 (1949); O. WESSELY, Kaiser L.s I. „Vermeinte Bruder- und Schwesterliebe". Ein Beitr. z. Gesch. des Wiener Hoftheaters in Linz, in: StMw 25 (1962); H. SEIFERT, Die Festlichkeiten z. ersten Hochzeit Kaiser L.s I., in: ÖMZ 29 (1974); G. BROSCHE, Die musikal. Werke Kaiser L.s I., in: Beitr. z. Musikdokumentation. FS F. Grasberger (W 1975). G. GRUBER
LEOPOLDI, Hermann (eig. Hersch Kohn), *15. 8. 1888 Wien, t 28.6.1959 ebd.; östr. Sänger und Komponist. Nach ersten Auftritten als Pianist (1906) und Varietékapellmeister (1907) wurde er während des 1. Weltkriegs als „Wiens bester Klaviersänger" populär. Zusammen mit Betja Milskaja unternahm er zahlreiche Tourneen durch deutschsprachige Länder, nach Paris, Prag, Budapest und 102
Bukarest. 1938 wurde er in Wien verhaftet und 9 Monate lang in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald festgehalten. Nach seiner Entlassung emigrierte er in die USA und sang in New York mit großem Erfolg seine Wiener Lieder und Couplets. 1947 kehrte er nach Wien zurück. L. schrieb mehr als 350 Schlager und Couplets. Zu den bekanntesten Titeln zählen Die Überlandpartie, In einem kleinen Café in Hernals, Schön ist so ein Ringelspiel, Ich bin ein stiller Zecher, Wien, sterbende Stadt und Powidltatschkerin. LEOPOLITA (Leopolitanus, Lwowczyk), Marcin, * um 1540 Lemberg, t um 1589 ebd.; poln. Komponist. Er studierte Poetik an der Universität Krakau und wurde um 1560 „compositor cantus" am Hofe König Sigismunds II. August; 1564 kehrte er nach Lemberg zurück. Seine wenigen erhaltenen Werke zeugen von großem Talent. Sein Stil steht dem der späten Niederländischen Schule sehr nahe und weist in der Melodik auch polnische Züge auf. WW (sämtliche 5st., hal. erhalten): Missa paschalis; Missa rorate; Missa de resurrectione; Motetten: Mihi autem; Cibavit cos; Spiritus Domini u. Resurgente Christo Domino. Ausg.: Missa paschalis, hrsg. v. J. SURzYŇSKI (Posen 1889) (= Monumenta musices sacrae in Polonia 3); dass., hrsg. v. H. FEICHT - S. WIECHOWICZ (Krakau 1957) (= WDMP 35). lit.: A. CHYBIŇSKI, Uber die poln. mehrst. Musik im XVI. Jh., in: FS H. Riemann (L 1909); H. OPIESISKI, La musique Polonaise (Lau 1918, Paris 31929); M. PERZ, Motety Marcina Leopolity, in: FS H. Feicht (Krakau 1967).
LEPPARD, Raymond, * 2.8.1927 London; engl. Dirigent und Cembalist. Er erhielt seine Ausbildung am Trinity College in Cambridge, wo er 1958-68 als Lecturer in Music unterrichtete. 1956-68 war er musikalischer Berater des Royal Shakespeare Theatre in Stratford upon Avon. Seit 1963 leitet L. das English Chamber Orchestra, mit dem er außer in Europa auch in Japan und Buenos Aires gastierte. 1973 wurde er zum Principal Conductor des BBC Northern Symphony Orchestra ernannt. L. wurde besonders bekannt durch seine Wiederbelebung und Bearbeitung von Opern Cl. Monteverdis und Fr. Cavallis (Glyndebourne Festival und in London, auch als Schallplatteneinspielung). WW: 1) Sdniften: Cavalli's Operas, in: Proc. R. Mus. Assoc. 93 (1966/67); „Realizing" Monteverdi, in: Opera 12 (1971). 2) Editionen: C. Monteverdi. L'incoronazione di Poppea (Lo 1964); dera., L'Orfeo (Lo 1965); F. Cavalli, L'Ormindo (Lo 1968); ders., La Calisto (Lo 1970).
LERNER, Alan Jay, OELoewe, Frederick. LE ROUX, Gaspard, * um 1660, t 1707 Paris; frz. Cembalist und Komponist. Er wird neben Fr. Couperin u. a. 1692 in dem Livre commode des adresses de Paris unter den bedeutendsten Cembalisten der
Leschedzky Zeit aufgeführt. L. veröffentlichte einen Band Pièces de clavessin (P 1705), die, trotz unverkennbarer italienischer Einflüsse in der Melodik, einen persönlichen Stil erkennen lassen. J. S. Bach kannte seine Pièces, J. G. Walther kopierte daraus eine Suite. Erhalten sind von L. auch ein Air sérieux sowie (hsl.) 3 Motetten. Ausg.: 5 Cemb.-Stücke, hrsg. v. P. BRUNOLD (P. o. J.); Pieces for Harpsichord, hrsg. v. A. FULLER (NY 1959). Lit.: A. TESSIER, L'ceuvre de G. Le R., in: RMie 3 (1922); DERS., Un claveciniste français, G. Le R., in: RM S (1923/24) (darin Air sérieux und verschiedene Cemb.-Stücke).
LE ROUX, Maurice, * 6.2.1923 Paris; frz. Komponist und Dirigent. Er war 1944-47 Schüler von O. Messiaen in der Klasse für Harmonielehre am Pariser Conservatoire und von R. Leibowitz, der ihn in die Zwölftonmusik einführte. 1951 arbeitete er am Studio für Musique concrète bei der RTF. In seiner Tätigkeit als Dirigent seit 1948 — er dirigierte u. a. das Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire und das Orchestre National de Monte Carlo und leitete 1960-68 das Orchestre National de la RTF — setzte er sich für die zeitgenössische Musik, besonders die der Avantgarde, ein. Sein kompositorisches Schaffen, das von der Zwölftontechnik zur seriellen Musik führte, ist stilistisch von der Rhythmik A. Jolivets und O. Messiaens beeinfluBt, ferner von E. Varèse, B.Bartók und A. Webern sowie außereuropäischer Musik. Seine Musik steht Debussy nahe und könnte als serieller Impressionismus gekennzeichnet werden. WW: 1) Kompoddoaen: Zahlr. Klv.-Stücke; 2 mimes (1947) für Kammerorch.; Le cercle des métamorphoses (P 1954), Hommage à Mozart (1956) u. Un'roan (P 1973) für Orch. - Liederzyklus Au pays de la magie (1951); Psaumes a capella (1949) für Chor. Ballette Le petit Prince (1953) u. Sables (1956); ferner Film- u. Bühnenmusik. - 2) Sň 1Itea: Introduction à la musique contemporaine (P 1947); C. Monteverdi (P 1951). Lit.: C. ROSTAND, La musique française contemporaine (P 1952); A. GOLÉA, 20 ans de musique contemporaine (P 1962).
LE ROY, Adrian (Adrien), * um 1520 Montreuilsur-Mer, t 1598 Paris; frz. Musikdrucker, Lautenist und Komponist. Seit 1546 im Dienste des Vicomte von Tours, Seigneur de Semblançay, lernte er den Pariser Verleger Jean de Brouilly kennen, dessen Tochter er heiratete. 1551 gründete er gemeinsam mit seinem Vetter R. Ballard den Musikverlag „Le Roy & Ballard", der sehr erfolgreich wurde und dem er als künstlerischer Leiter vorstand. L. spielte eine führende Rolle im damaligen französischen Musikleben. Als musikalischer Berater König Karls IX. und regelmäßiger Besucher des Salons der Comtesse de Retz knüpfte er Beziehungen zu Politikern, Literaten und Dichtern an (P. de Ronsard, J. A. de Baif u. a.); mit O. di Lasso, den er während dessen Parisaufenthalts in seinem Haus aufnahm
und bei Hofe einführte, stand er in freundschaftlichen Beziehungen. Auch kompositorisch betätigte sich L., vor allem während der ersten Jahre seiner Zusammenarbeit mit Ballard. WW: 1)1etr.-WW: 5 Livres de tabulature de guiterre (mit Tanzsätzen u. Intavolierungen) (P 1551-54); Premier bzw. Tiers u. Sixiesme livre de tabulature de luth (P 1551, 1552, 1559). 2) Vokal-WW: Chansons en forme de var de ville für 4 St. (P 1573). - 3) Lerrwerke: Breve et facile instruction pour apprendre la tabulature ... sur le cistre (P 1565); eine entsprechende Instruction für die Laute ist nur in 2 versch. engl. übers. erhalten: A briefe and easye instruction ... (Lo 1568) und A briefe and plaine instruction ... (Lo 1574).
L. leistete auf allen Gebieten der Musik, auf denen er sich betätigte, Entscheidendes. Seine Lautenlehre, in der er besonders die für die französische Spieltechnik eigentümlichen Legatozeichen behandelt, blieb bis ins 17. Jh. vorbildlich. Die Intavolierungen von Chansons von J. Arcadelt und Lasso sowie die Tanzsätze zeigen einerseits L.s Fähigkeit, das vokale Original instrumental klanglich angemessen wiederzugeben, andererseits ein feines Gespür für den Rhythmus und, vor allem in den Doubles, eine phantasievolle Ausnutzung der virtuosen Möglichkeiten des Instruments. Sein Premier livre de chansons und seine Airs, die oberstimmenbetont und überwiegend homophon gesetzt sind, bezeichnen eine wichtige Etappe auf dem Wegzur Monodie. Ausg.: Livre d'airs de cour 1571, übertragen v. A. MAIRY, in Chansons au luth et airs de cour français du XVI* siede (P 1934); 1 `r livre de tabulature de luth 1551, übertragen v. A. SOURIS R. DE MORCOURT (P 1961); Fantaisies et danses 1568, übertragen v. P. JANSEN (P 1962); Psaumes (Tiers livre de tabulature de luth 1552) u. Instruction 1574, übertragen v. R. DE MORCOURT (P 1962); dass., hrsg. v. J. JACQUOT, 2 Bde. (P 1977). Lit.: F. LESURE - G. THIBAULT, Bibliogr. des éditions d'A. Le R. et R. Ballard (P 1955); Ergänzungen dazu, in: RMie 39/40 (1957); R. DE MORCOURT, A. Le R. et les psaumes pour luth, in: Ann. Mus. 3 (1955); H. SCHNEIDER, Die frz. Kompositionslehre in der ersten Hälfte des 17. Jh. (Tut ing 1972) (= Mainzer Stud. z. Musikwiss. 3). A. VERCHALY
LE SAGE DE RICHÉE, Philipp Franz, dt. Lautenvirtuose und Komponist frz. Herkunft. Nach einer Lehrzeit bei Ch. Mouton kam er gegen Ende des 17. Jh. nach Breslau, wo 1695 sein Cabinet der Lauten erschien, das 98 in 12 Suiten zusammengestellte Kompositionen im Stil der Pariser Lautenisten enthält. Lit.: H. RIEMANN, Ein wenig bekanntes Lautenwerk, in: MIM 21 (1889) (mit einer Passacaglia); T. WORTMANN, Ph. F. Le S. de R. u. sein „Cabinet der Lauten" (Diss. W 1919).
LESCHETIZKY (Leszetycki), Theodor, * 22.6. 1830 Larícut bei Lemberg, t 14.11.1915 Dresden; östr. Pianist und Pädagoge poln. Herkunft. Er erhielt seine Ausbildung seit 1840 bei K. Czerny (Klavier) und S. Sechter (Komposition) in Wien. Gefördert durch A. Rubinstein, lehrte er seit 1852 103
Lescurel als Lehrer (1862 Professor) am Konservatorium in St. Petersburg. Nach zahlreichen Konzertreisen ließ sich L. 1878 in Wien nieder und wurde zu einem der bedeutendsten und einflußreichsten Klavierpädagogen seiner Zeit. Seine sorgfältig ausgewählten Schüler unterrichtete er nach einer jeweils individuellen Methode, die er nach seiner eigenen Angabe von Czerny übernommen hat; zu seinen Schülern zählen I. Friedmann, O. Gabrilowitsch, Elly Ney, I. Paderewski, A. Schnabel sowie Annette Essipow, seine Ehefrau und langjährige Duopartnerin. L. ist auch als Komponist vorwiegend von Salonmusik, Tänzen u. a. für Klavier und der Oper Die erste Falte (UA: Prag 1867) hervorgetreten. Lit.: M. BRÉE, Die Grundlage der Methode L. (Klavierschule) (Mz 1902, '1914, NA 1924), engl. Obers.: The Groundwork of the L. Method (NY 1902, 1 1905, Nachdr. NY 1969 und St. Clair Shores/Mich. 1971); A. HULLAH, Th. L. (Lo 1906); E. NEWCOMB, L., as I Knew Him (NY-Lo 1921, Nachdr. NY 1967) (mit Einleitung v. E. Behre u. Werk-Verz.); G. WOODHOUSE, How L. Taught, in: ML 35 (1954).
LESCUREL, Jehannot de, t 1303 (?); frz. Dichter und Musiker. Er schrieb eine bedeutsame Sammlung von Chansons, von der nur ein Teil am Ende der Roman de Fauvel-Hs. (Paris, Bibl. Nat., fr. 146) überliefert ist. Es handelt sich dabei um 32 Balladen, Rondeaux und Virelais sowie um zwei Dits, die Rondeaux-Refrains unterlegt und in alphabetischer Reihenfolge bis zum Buchstaben G angeordnet sind. Mit Ausnahme eines 3st. Rondeau, A vous, douce debonnaire, im Satz Note gegen Note mit nur wenigen Kolorierungen, sind die Stücke einstimmig und erinnern an die Oberstimmen der Motetten von Petrus de Cruce. Ausg.: GA (Texte u. Musik), in: F. GENNRICH, Rondeaux, Virelais u. Balladen, 2 Bde. (Dresden 1921, Gö 1927); GA, hrsg. v. N. WILKENS (R 1966) (= CMM 30).
LESSEL, Wincenty Ferdynand, * um 1750 Eula, t 1827 Pulawy bei Warschau; poln. Komponist. Er studierte bei K. D. von Dittersdorf und J. A. Hiller in Dresden, wo er 1766-80 als Violinist der Hofkapelle angehörte. Nach seiner Rückkehr nach Polen war er 1781-1811 Kapellmeister beim Prinzen Czartoryski, unterrichtete seit 1814 Orgel an der Schule von Pulawy und ließ sich kurz vor 1825 in Warschau nieder. Er schrieb neben Instrumentalwerken im Stil der Vorklassik musikalische Bühnenwerke (zumeist verschollen) über Themen aus der Geschichte Polens. Sein Sohn Franciszek (Franz), * um 1780 Warschau, t 26.12.1838 Piotrków, war auch Komponist und studierte bei seinem Vater sowie bei J. Haydn in Wien, wo er bis 1810 lebte. Anschließend kehrte er nach Polen zurück. Er imitierte den Stil Haydns und führte in 104
seine Werke polnische Tanzrhythmen ein. Seine Lieder verweisen auf die Romantik. WW: Sonaten; Variationen; Polonaisen; Walzer; Klv.-Bearbeitungen; 11 Streichquartette; ein Klv.-Quintett; Partita für Blasinstr.; Symphonie g-moll; Ouvertüre C-Dur; Klv.-Konzert; Lieder; eine Messe; ein Requiem; Kantaten; eine Oper. - Hsl. erhalten sind Kontrapunktstudien. Lit.: H. RUDNICKA - KRUSZEWSKA, W. L. Szkic biograficzny na podstawie listów do syna (Krakau 1968) (darin Briefe W. L.s dt. u. poln.).
LESSING, Gotthold Ephraim, * 22.1. 1729 Kamenz (Sachsen), t 15.2. 1781 Braunschweig; dt. Dichter und Kritiker. Seit 1748 war er in Berlin als Journalist und Literat tätig und zählte dort J. G. Sulzer, Fr. Nicolai, K. W. Ramier, Fr. W. Marpurg, J. Fr. Agricola, J. Ph. Kirnberger, J. J. Quanti und C. Ph. E. Bach zu seinem Bekanntenkreis. Von diesen gleicherweise an Dichtung wie an Musik interessierten Männern beeinflußt, wandte er sich auch musikästhetischen Fragen zu. Was im Laokoon (1766) in einer Gesamtschau der Künste für die Musikästhetik angedeutet war, fand in der Hamburgischen Dramaturgie (1767-69) einen akzentuierten Niederschlag (besonders Stück 26-27). Manche seiner Gedichte wurden auch vertont (außer von den befreundeten Komponisten Agricola, Bach, Kirnberger, Marpurg und Quantz u. a. von J. André, L. van Beethoven, C. Fr. Fasch, H. Gal, C. H. Graun, J. Haydn, J. A. Hiller, L. Koželuch und C. Fr. Zelter), blieben aber liedgeschichtlich unbedeutend. Lit.: A. CH. KALISCHER, G. E. L. als Musikasthetiker (Dresden 1889); J.S. UPTON. L. as a Music Critic (1968) (= Diss. Univ. of Texas); M.G. FLAHERTY, L. and Opera, in: Germanic Rev. 44 (1969).
LESSON (engl., = Aufgabe, Lehrstück), im 17.-18. Jh. in England Bz. für ein Soloinstrumentalstück, das tatsächlich oder dem Anspruch nach einen didaktischen Aspekt aufweist bzw. ein bestimmtes spieltechnisches Problem exponiert, ähnlich wie später die "Etüde. Am Ende des 16. Jh. gab es auch L.s für 7Consort (z. B. von Th. Morley) und für Soloinstrumente mit Cembalobegleitung. Gelegentlich wurden auch Suitensätze als L.s bezeichnet (z. B. in M. Locke, Melothesia ... with a
choice collection of Lessons for the harpsicord and organ, 1675). Eine Neuauflage der Essercizi per gravicembalo von D. Scarlatti (Lo 1738) erschien (Lo o. J.) unter dem Titel Forty two suits of lessons for the harpsichord. L' ESTOCART, Pascal (Paschal) de, * kurz vor 1540 Noyon, t nach 1584; frz. Komponist. Er erhielt 1581 ein Privileg zur Veröffentlichung seiner Werke, das er seinen guten Beziehungen zu einem literarischen und musikalischen Kreis nach Genf
Lesungen geflüchteter Hugenotten verdankte. 1581-82 war er an der Universität Basel eingeschrieben, begab sich dann nach Nancy an den Hof Herzog Karls III. von Lothringen, der ihm als Dank für die Widmung der Quatrains de Pibrac eine Belohnung zukommen lieB. Nach seiner Rückkehr nach Basel widmete er 1583 dem zukünftigen französischen König Heinrich IV. seine 150 pseaumes de David. 1584 ist er im Puy d'Évreux, vermutlich als Mitglied der Kapelle des Abbé von Valmont, nachweisbar, wo er für seine 5st. Motette Ecce quam bonum et quam jucundum den Preis der „Silbernen Harfe" erhielt. Danach verliert sich seine Spur. L. steht mit seinen ausschlieBlich geistlichen Werken, zumal mit den Psalmvertonungen, in der musikalischen Tradition der Hugenotten (řHugenottenpsalter). WW: Sacrae cantiones für 4-7 St. (Motetten u. Chansons spirituelles), 2 Bücher Octonaires de la vanité du monde für 3-6 St. u. Quatrains du Sieur de Pibrac für 2-6 St. (Ly 1582); Cent cinquante pseaumes de David für 4-8 St. (Ly 1583 u.ö.) (mit den Texten v. C. Marot u. Th. de Bčze). Ausg.: Premier livre des octonaires (P 1929) (= EXPERT Monuments 10); 150 pseaumes de David, Faks.-Ausg. Genf 1583, hrsg. v. H. HOLLIGER - P. Pinoux (Kas 1954) (= DMI 1/7); Second livre des octonaires, hrsg. v. J. CHAILLEY - M. HONEGGER (P 1958) (= EXPERT Monuments 11). Lit.: E. DROZ, Jean de Sponde et P. de L'E., in: Bibl. d'Humanisme et Renaissance 13 (G 1951); S. FORNAÇON. L'E. u. sein Psalter, in: Mf 13 (1960); J. V. COBB, The 1583 Psalter of P. de l'E. A Critical Edition (Urbana 1966) (= Diss. Univ. of Illinois).
LE SUEUR (Lesueur), Jean-François, * 15.2. 1760 Drucat-Plessiel bei Abbeville, t 6.10. 1837 Paris; frz. Komponist. Er war Chorknabe in Abbeville und Amiens und studierte Harmonielehre bei Abbé N. Roze. Jeweils kurze Zeit war er Kantor an Kirchen in Sées, Dijon, Le Mans, Tours und an Sts-Innocents in Paris sowie 1786-87 Kapellmeister an . Notre-Dame in Paris. 1788-92 lebte er zurückgezogen bei einem Mäzen und widmete sich der Komposition. 1793 spielte das Théâtre Feydeau mit groBem Erfolg seine Opéra-comique La caverne ou le repentir, es folgten 1794 Paul et Virginie und 1796 Télémaque dans l'île de Calypso. Am neugegründeten Pariser Conservatoire wurde L. 1795 Inspecteur des études, verlor dieses Amt aber 1802 infolge von Auseinandersetzungen. Napoleon, der seine Musik sehr schätzte, machte ihn 1804 in der Nachfolge G. Paisiellos zu seinem Hofkapellmeister. Nunmehr wurden seine schon früher der Pariser Opéra eingereichten dramatischen Werke gespielt, 1804 mit groBem Erfolg Ossian ou les bardes, 1809 La mort d'Adam. 1816 wurde L. Professor für Komposition am wiedereröffneten Conservatoire. Über seine Schüler A. Thomas, H. Berlioz und Ch. Gounod reicht sein EinfluB weit ins 19. Jahrhundert.
WW: 1) Geistliche WW: Den größten Teil seiner Kirchenmusik hat L. gegen Ende seines Lebens in revidierter Fassung u. neuer Anordnung drucken lassen; insgesamt erschienen bei J. Frey in Paris 17 Bände, darin u. a. 3 Messen (mit Motetten) für Chor, Soli u. Orch., 3 Te Deum, 3 Oratorios de la passion (lat. Karwochengesänge), 3 Oratorios pour le couronnement des Princes Souverains, die lat. Oratorien Deborah, Rachel, Ruth et Noemi, Ruth et Booz, ein frz. Stabat Mater. - 2) Weltliche WW: 8 Gesänge zu Feierlichkeiten der Fn. Revolution. Opern: La caverne, UA: Paris 1793; Paul et Virginie, UA: ebd. 1794; Télémaque dans l'île de Calypso, UA: ebd. 1796; Ossian ou les bardes, UA: ebd. 1804; La mon d'Adam, UA: ebd. 1809; außerdem Opern, die nicht aufgeführt wurden. - 3) Sehriten:
Exposé d'une musique une, imitative et particulière é chacque solennité (P 1787); Lettre en réponse à Gaillard sur l'opéra La Mort d'Adam (P 1800-01); Notice sur Paesiello (P 1816).
L. konnte sich als Komponist den politischen Umwälzungen seiner Zeit nicht entziehen. 1794-1800 komponierte er zahlreiche Stücke für die Feierlichkeiten der Französischen Revolution. Zur Krönung Napoleons I. (1804) dirigierte er eine Messe und ein Te Deum von Paisiello, eine Motette des Abbé Roze sowie eine Marche triomphale und 2 Motetten eigener Komposition. Auch zur Hochzeit Napoleons (1810) und zur Krönung König Karls X. (1824) erklang Musik von Le Sueur. Wie sein Schüler Berlioz war L. ein streitbarer Geist, der Auseinandersetzungen nicht scheute und seine Auffassungen in zahlreichen Schriften verteidigte. Er hatte eine Vorliebe für groBe Chor- und Orchesterbesetzungen, auch in seiner Kirchenmusik. Sein Bemühen um antikes Kolorit in seinen Opern sowie seine kühnen, sich der Enharmonik bedienenden Modulationen nehmen Elemente der Romantik vorweg. Ausg.: Die Revolutionsgesänge, in: C. PIERRE, Musique des fetes et cérémonies de la Révolution Française (P 1899); Ein Chor aus Premier oratorio pour k couronnement, in: G. MASSENKEIL, Das Oratorium (Kö 1970) (= Das Musikwerk 37). Lit.: H. BERLIOZ, Die Musiker u. die Musik (L 1903) (= Lit. Werke 9); F. LAMY, J.-F. L. 1760-1837 (P 1912); W. BUSCHKOTTER, J.-F. L., in: SIMG 14 (1912/13); M. M. HERMAN, The Sacred Music of J.-F. L. A Musical and Biographical Source Study, 2 Bde. (1964) (= Dias. Univ. of Michigan); J. MONGRÉDIEN, La musique du sacre de Napoléon I', in: RMie 53 (1967); M. M. HERMAN, The Turbulent Career of J.-F. L. ... A Source Study of His Sacred Music and the Circumstances Surrounding its Composition, in: Rech. Mus. 9 (1969); O. F. SALOMAN, Aspects of „Gluckian" Operatic Thought and Practice in France. The Musico-Dramatic Vision of L. and La Cépčde 1785-1809 in Relation to Aesthetic and Critical Tradition (1970) (=Diss. Columbia Univ.); J. MONGRÉDIEN, J.-F. L. 1760 to 1837. A Thematic Catalogue of His Complete Works (NY 1980) (= Thematic Catalogue Sertes 7). M. MARX-WEBER
LESUNGEN (lat.: lectiones, daher dt. auch Lektionen), im allgemeinen Sinn die biblischen Texte bzw. Texte aus den Schriften der Kirchenväter, die im römisch-katholischen Gottesdienst als liturgische Verkündigung gelesen oder gesungen werden. Die L. der Messe sind die Lectio — die Lesung im engeren Sinn — und das řEvangelium; zusätzliche 105
Lesungen L. gibt es bei besonderen Anlässen (Palmenweihe, Feier der Osternacht). Das /Offizium umfaßt kürzere und längere L.: kürzere sind Lectio brevis und Capitulum, längere L. (neuerdings auch mit Texten moderner Autoren wie R. Guardini) sind konstituierend besonders für die Matutin, die dementsprechend auch „Lesehore" genannt wird. Musikgeschichtlich bedeutsame biblische Matutin-L. sind die /Lamentationen. Die L. der Messe bilden seit dem 5. Jh. den Mittelpunkt des Wortgottesdienstes. Bis zum 2. Vatikanischen Konzil gab es in der Regel nur eine Lesung (im engeren Sinn). Sie hieß Epistel —lat. Epistola = Brief —, da sie meist den Apostelbriefen entnommen war. Doch stammten nicht wenige Stücke auch. aus dem AT, der Apostelgeschichte oder der Apokalypse. Epistel und Evangelium waren bei den Texten des betreffenden Tages im Missale Romanum abgedruckt, doch gab es für die feierliche Verkündigung auch ein eigenes Lektionar. Heute stehen an Sonntagen und höheren Festen außer dem Evangelium zwei weitere L. zur Verfügung (an Wochentagen eine), von denen aber nur eine vorgetragen werden muß: die 1. Lesung aus dem AT oder der Apostelgeschichte, die 2. aus den Apostelbriefen oder der Apokalypse. Ihnen folgen jeweils Zwischengesänge. Neu geschaffen wurde (gemäß Art. 51 der Liturgiekonstitution von 1963) auch die Ordnung der Texte für die L. und Evangelien; sie umfaßt jetzt für die Sonn- und Feiertage 3 verschiedene jährliche Zyklen („Lesejahre” A, B und C), die der Reihe nach abwechseln. Die Texte sind heute nicht mehr im Meßbuch enthalten, sondern — samt den Zwischengesängen — im Lektionar (Bde. I — III: die L. für die Sonn- und Feiertage, IV: Wochenlektionar in 2 Teilen, V: Die L. für die Gedenktage der Heiligen, VI: Die L. für die Meßfeier bei besonderen Anlässen). Der Vortrag der Lesung ist nicht wie beim Evangelium allein dem Priester oder Diakon vorbehalten, sondern geschieht in der Regel durch einen Lektor. Im Gregorianischen Gesang erfolgt der Vortrag der L. mit Hilfe von ?Lektionstönen, deren Hauptmerkmale das Rezitieren auf einem Ton und die Verwendung melodischer Formeln für bestimmte Akzente und für die syntaktische Gliederung des Textes sind. Von den zahlreichen mittelalterlichen Tönen für L. und Epistel gingen 2 einfache Modelle in die Editio Vaticana ein, der Tonus Prophetiae und der Tonus Epistolae (heute Toni Lectionum I und II; vgl. Graduale Romanum, Toni communes III). Musikalisch kunstvollere Gebilde waren im Mittelalter die Epistola farcida und der Gesang der Sibylle. Die Epistola farcida ist seit dem Ende des 12. Jh. in einigen französischen Missalien für die 106
Weihnachtszeit nachweisbar. In ihr wird der vorgetragene Text kunstvoll mit den dazugehörigen Bibelauslegungen geschmückt (tropiert, farciert). Der Gesang der Sibylle wurde am Weihnachtstag in eine Textstelle des Jesaias eingefügt. Es gibt auch viele mehrstimmige Epistelvertonungen. Das früheste mittelalterliche Beispiel ist die 2st. Lectio In omnibus requiem quaesivi (Paris, Bibl. Nat., f. lat. 1139). Für den evangelischen Gottesdienst schuf M. Luther in der Deutschen Messe von 1526 neben dem Evangelien- auch einen eigenen Epistelton, der an den 8. Psalmton angelehnt ist. Jedoch setzte sich der gesungene Vortrag von Epistel und Evangelium nicht durch. Das gleiche gilt heute auch für die katholische Meßfeier. Ausg.: M. Luther, Deudsche Messe (Wittenberg 1526), Faks. hrsg. v. J. WOLF (Kas 1934) (= Veröff. der Musikbibl. P. Hirsch 11); Antiphonale sacrosanctae Romanae ecclesiae pro diurnis horis (R 1949); H. SCHROEDER, Episteln u. Evangelien in dt. Sprache für Feste und besondere Anlässe, 3 Teile (Düsseldorf 1965); Lektionar, 6 Bde. (Einsiedeln— Kö— Fr u. a. 1969-74); Graduale ... de tempore et de sanctis (Solesmes—Tours 1974). Lit.: R. MOLITOR, Die Nach-Tridentinische Choral-Reform I (L 1901); P. WAGNER, Einführung in die Gregor. Melodien III (L 1921, Hil —Wie 1970); F. GEBHARDT, Die musikal. Grundlagen zu Luthers Dt. Messe, in: Luther-Jb. 10 (1928); C. CALLEWAERT, Sacris erudiri (Steenbrugge 1940); CH. MAHRENHOLZ, Altargesang, in: MGG I; G. P. KOLLNER, Der Accentua Moguntinus (Dias. Mz 1950); B. STABLEIN — CH. MAHRENHOLZ, Epistel, in: MGG III; G. KUNZE, Die L, in: Leiturgia 2 (Kas 1955); W. APEL, Gregorian Chant (Bloomington/Ind. 1958); F. HABERL, Die liturg. Rezitative der heiligen Messe, in: MS 80 (Kö 1960); 0. BRODDE, Ev. Choralkunde, in: Leiturgia 4 (Kas 1961); L. SCHRADE, Ein neuer Fund früher Mehrstimmigkeit, in: AfMw 19 (1962) u. 20 (1963); J. A. JUNGMANN, Wortgottesdienst (Rb 1965); Die mehrst. liturg. L., 2 Bde., hrsg. v. TH. GÖLLNER (Tutzing 1969). B. R. SUCHLA
LESUR, Daniel Jean Yves, řDaniel-Lesur. LESURE, François, * 23.5.1923; frz. Musikforscher. Er studierte in Paris an der Sorbonne, an der École des Chartes, an der École Pratique des Hautes Études und am Conservatoire. Er ist Bibliothekar am Département de la Musique der Bibliothèque Nationale (seit 1970 Conservateur en chef) und leitet seit 1953 das Zentralsekretariat des Répertoire International des Sources Musicales (RISM). 1965 übernahm er einen Lehrauftrag an der Université Libre von Brüssel. Seit 1973 ist er Directeur d'études an der École Pratique des Hautes Études in Paris. L., dessen Forschungen u. a. auch Cl. Debussy gelten, ist heute führend auf dem Gebiet der europäischen Musikbibliographie. Schriften: Bibliographie des éditions d'A. le Roy et R. Ballard (P 1955) (= Publications de la Soc. Fr. de Mie II/9), dazu Suppl., in: RMie 40 (1957); Musicians and Poets of the French Renaissance (NY 1955) (= Merlin Music Books 6); Mozart en France (P 1956); Recueils imprimés XVI`—XVII• siècle (Mn 1964) (= RISM B I); Recueils imprimés XVIII' siècle (Mn 1964) (= ebd. B II), dazu Suppl., in: Notes 28 (1971/72); Musica e so-
Levidis cietà (Mi 1966), dt. Obers.: Musik u. Ges. im Bild. Zeugnisse der Malerei aus 6. Jh.en (Kas 1966); Bibliographie des éditions musicales publiées par E. Roger et M. -Ch. Le Cène Amsterdam 1696-1743 (P 1969) (= Publications de la Soc. Fr. de Mie 11/12); Écrits imprimés concernant la musique, 2 Bde. (Mn 1971) (= RISM B VI); Les débuts de la musicologie française, in: Quadrivium 12 (1971); L'opéra classique français (G 1973); C. Dehussy (G 1975). — L. edierte ferner eine GA des „ Euvre critique" v. C. Debussy (P 1971, dt. St 1974) u. ist Hrsg. v. Le pupitre (Collection de musique ancienne) (P 1967ff.) sowie der Reihe Iconographie musicale (G 1972 ff. ).
LET'S MAKE AN OPERA (Wir machen eine Oper), Unterhaltungsstück in 2 Teilen von Benjamin Britten (1913-76), op. 45, Text von Eric Crozier. Ort und Zeit der Handlung: Suffolk, 1810. UA: 14.6.1949 in Aldeburgh (Suffolk); dt. EA: 10.1.1951 in Gelsenkirchen. Nach szenisch-spielerischer Vorbereitung von Publikum und Mitwirkenden folgt im getrennt aufführbaren 2. Teil des Stückes die Oper The Little Sweep (Der kleine Schornsteinfeger). In sich geschlossene Nummern mit eingeschobenen Sprechdialogen und die bescheidene Instrumentalbesetzung — Klavier zu 4 Händen, Solostreichquartett und Schlagzeug — lassen das Werk als Spiel- und Kammeroper erscheinen. Kinder und professionelle Sänger stellen gemeinsam die Geschichte des achtjährigen Sammy dar, der als Gehilfe eines boshaften Schornsteinfegers arbeiten muß, jedoch von einer Gruppe aufgeweckter Kinder, die ihn in ihrem Schrank verbergen und in einem Koffer aus dem Hause schmuggeln, seinem schlimmen Schicksal entzogen wird. Vitale Rhythmik, unkomplizierte Gestik einfacher Melodien und dezent durch Reizdissonanzen erweiterte tonale Harmonik sind Elemente der musikalischen Sprache, die dem Werk seine charakteristische Verbindung geistreicher Kurzweil und didaktisch kluger Einfachheit geben. Besonders beliebt wurde das Nachtlied zu Beginn der dritten Szene, in dem das Publikum — hier wie in drei weiteren Liedern in den Kreis der Ausführenden einbezogen — Vogelgeräusche imitieren muß. W. A. MAKUS LEUCKART, F.E.C. L., dt. Musikverlag, gegr. 1782 in Breslau von Franz Ernst Christoph L., * 21.3. 1748 Helmstedt, t 9.2. 1817 Breslau, und nach dessen Tod weitergeführt von seiner Witwe Friederike L. (t 1825) sowie deren Kindern Karl August Ferdinand L. (t 1830) und Augusta Henriette, der Gattin von Karl August Sander (1786-1859). Deren Sohn Constantin Sander (1826-1905) verlegte das Unternehmen 1870 nach Leipzig. Gegenwärtig wird der Verlag, der sich 1948 in München niederließ, von Berta und Marco Sander geleitet. Eine der wichtigsten Publikationen des 19. Jh. war die Geschichte der Musik von
A. W. Ambros. Heute publiziert der Verlag vor allem Chormusik (Leuckart Chorblatt), katholische Kirchenmusik, Instrumentalmusik (Leukartiana) sowie Werke von R. Strauss und H. Pfitzner. Lit.: 175 Jahre Musikverlag F.E.C. L. (Mn 1957); J. LA LUE, Ten Rediscovered Sale -Catalogues. L.'s Supplements, Breslau 1787-1792, in: Musik u. Verlag. FS K. Vötterle (Kas 1968).
LEVI, Hermann, * 7.11. 1839 Gießen, t 13.5. 1900 München; dt. Dirigent. Er erhielt 1852-55 Theorieunterricht bei V. Lachner in Mannheim und studierte dann bis 1858 bei M. Hauptmann und J. Rietz am Leipziger Konservatorium. Über Paris kam er als Musikdirektor nach Saarbrücken und war 1861-64 Opernkapellmeister in Rotterdam, dann bis 1872 Hofkapellmeister in Karlsruhe. Während dieser Zeit setzte er sich für J. Brahms ein, trat aber dann um 1870 mit R. Wagner in Verbindung. 1872-96 wirkte L. als Hofkapellmeister in München (1894 GMD für Oper und Konzert). Seine glühende Verehrung für Wagner gipfelte in der Bayreuther Uraufführung des Parsifal (1882), als dessen bedeutendster Dirigent er lange Zeit angesehen wurde. Zu L.s Repertoire zählten ebenso die Symphonien A. Bruckners wie das Schaffen W. A. Mozarts. Er war maßgeblich an der MozartRenaissance seiner Zeit beteiligt, die ihm Weltruhm einbrachte. Seine Übersetzungen der Texte der italienischen Opern Mozarts waren zwar lange Zeit an deutschen Bühnen gebräuchlich, sind aus heutiger Sicht jedoch wegen substantieller Eingriffe problematisch. L. ist auch als Komponist von Liedern und Instrumentalwerken hervorgetreten. Lit.: E. POSSART, Erinnerungen an H. L. (Mn 1900); L.s Briefwechsel mit Brahms, in: Brahms, Briefwechsel 7, hrsg. v. L. SCHMIDT (B 1910, Nachdr. Tutzing 1974); F. WALTER, Briefe V. Lachners an H. L. (Mannheim 1931); R. SIETZ, Aus F. Hillers Briefwechsel 6 (Kö 1968) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 70). B. A. KOHL
LEVIDIS, Dimitri, * B. 4. 1886 Athen, t 30. 5. 1951 ebd.; griech. Komponist. Er studierte 1900 bis 1905 am Konservatorium in Athen, 1906-07 in Lausanne sowie 1907-08 bei Fr. Klose, F. Mottl und R. Strauss in München. 1910-39 lebte er in Paris, wo mehrere seiner Kompositionen uraufgeführt wurden. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland war er mehrere Jahre lang Vorsitzender des griechischen Komponistenverbands. L. war einer der ersten Komponisten, der neue Instrumente, wie die Ondes Martenot, in sein Schaffen mit einbezog. WW: Klv.-Stücke; ein Streichquartett; Chant paten für Ob. u. Str.; Divertissement für Engl. Horn u. „aeolisches Orch." (Harfen, Str., Celesta u. Schlagzeug) (1911). — Für Orch.: symphonische Dichtung Nazmi (1922); Werke für „Dixtuor aeolien d'orchestre" (1925-29); Poème (1927) für V. u. Orch.; Poème symphonique pour solo d 'ondes musicales et orchestre (1928). — Orch.-Lieder:
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Levine De profundis (1930) für 2 Ondes Martenot, Tenor und Orch.; Oratorium L'Iliade (1942/43). - Ballett Le pâtre et la nymphe, UA: Paris 1924.
LEVINE, James, * 24.6.1943 Cincinnati (Ohio); amerik. Pianist und Dirigent. Er erhielt seine Ausbildung in Klavier u. a. bei R. Serkin und seit 1961 an der Juilliard School of Music in New York (Rosina Lhevinne), in Dirigieren bei G. Szell, bei dem er 1964-70 stellvertretender Dirigent des Cleveland Orchestra war. 1965 wurde er daneben Leiter des University Circle Orchestra. In der Folgezeit trat er bei namhaften amerikanischen und europäischen Orchestern als Gastdirigent hervor und gab 1971 mit Tosca von G. Puccini sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York, an der er 1973 den eigens für ihn geschaffenen Posten des Chefdirigenten erhielt und 1976 die musikalische Leitung übernahm. L. machte sich besonders als Dirigent der Werke W. A. Mozarts (La clemenza di Tito und Die Zauberflöte bei den Salzburger Festspielen seit 1976) wie auch G. Verdis und G. Maklers einen Namen. Er tritt auch als brillanter Pianist (u. a. in Schallplatteneinspielungen mit dem Cellisten Lynn Harell) hervor. LENIN, David, * 2.7.1933 New York; amerik. Komponist und Musikforscher. Neben Klavierunterricht bei E. Steuermann in New York studierte er Theorie bei M. Babbit und Komposition bei R. Sessions an der Princeton University (N. J.). Seit 1967 lehrt er an der Universität in Stony Brook (N. Y.). L.s analytische Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit A. Schönberg und der Dodekaphonie. Seine Kompositionen beziehen serielle und elektronische Techniken und Klangbilder mit ein (Essay on a Subject of Webern; Three Spanish Songs). WW: 1) Kompositionen: Essay on a Subject of Webern (1958) für Kammerorch.; elektronische Kompositionen Studies 1 u. 2 (1961); Fantasy-Adagio (1966) für V. u. Orch.; Three Spanish Songs (1959) für Bar., Gitarre u. BaBklar. - 2) Schritten: A Theory of Segmental Association in Twelve -Tone Music, in: Perspectives of New Music 1 (1962/63); A Study of Hexachord Levels in Schoenberg's Violin Fantasy, in: ebd. 6 (1967/68); Some Applications of Communication Theory to the Study of Twelve -Tone Music, in: JMTh 12 (1968).
LEWINSKI, Wolf-Eberhard von, * 2.6. 1927 Berlin; dt. Musikschriftsteller und -kritiker. Er studierte 1944-50 in Dresden Violine, Klavier und Dirigieren (H. Abendroth, J. Keilberth) sowie Theater-, Literatur- und Kunstgeschichte. 1947-51 lebte L. als Musikkritiker in Dresden und Berlin, anschlieBend in Darmstadt. Seit 1971 ist er in Mainz als Musikschriftsteller für Fachzeitschriften, Tagespresse und Fernsehen tätig. Seit 1979 leitet er ein Seminar für Musikkritik an der Musikhochschule Rheinland, Abteilung Köln. Schriften: Musik, wieder gefragt. Gedanken u. Gespräche zum
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Musikleben von heute (H 1967); L. Hoelscher (Tutzing 1967); A. Rubinstein (B 1967) (= Rembrandt-Reihe 57); J. Keilberth (B 1968) (= ebd. 59); A. Foldes (B 1970) (= Rembrandt-Reihe 61); Elektronische Musik u. ihr Instrumentarium, in: FS für einen Verleger. L. Strecker (Mz 1973).
LEWIS, John (Aaron), * 3.5.1920 La Grange (Illinois); amerik. Jazzmusiker (Pianist, Bandleader, Komponist, Arrangeur). Er arbeitete 1945 bei Dizzy Gillespie, war 1949 als Solist und Arrangeur für Miles Davis und dessen „Capitol Orchestra" tätig, gründete 1951 das „Modern Jazz Quartet", das seit 1952 offiziell in Erscheinung trat und zu einer maßgebenden Combo des Cool Jazz wurde. Der Klang der Gruppe wurde vor allem durch das ausgesparte Spiel von L. am Klavier und durch die flüssigen Vibraphonimprovisationen von Milt Jackson bestimmt. Als Komponist hatte L. groBen Erfolg mit Django, Afternoon in Paris, Fontessa und Two Bass Hit. Daneben strebt L. Verbindungen zwischen Jazz und Konzertmusik an. lit.: J. E. BERENDT, Good Bye, Modern Jazz Quartet, in: Ein Fenster aus Jazz (F 1977).
LHÉRITIER (L'Héritier, Leretier, Liritier), Jean, * wahrscheinlich um 1480; frz. Komponist. Er war Kleriker in Thérouanne (Pas-de-Calais) und gilt als Schüler von Josquin des Prés. 1521/22 ist er als Kapellmeister an S. Luigi dei Francesi in Rom, 1540/41 als Kapellmeister des Kardinals von Clermont, François-Guillaume de Castelnau, in Avignon nachweisbar. Der 1508 in die Ste-Chapelle in Paris eingetretene und 1520-32 am Hofe Kaiser Karls V. lebende Kirchenmusiker Antoine L. ist wahrscheinlich nicht der Autor der mit „L' Héritier" gezeichneten Kompositionen. WW: Motetti de la fama für 4 St. (V 1555); eine Messe, ein Magnificat, etwa 40 Motetten und 3 Chansons in Sammeldrucken 1519-88 u. hal. (Rom, Bibi. Vallicelliana). Ausg.: Opera omnia I, hrsg. v. L. L. PERKINS (R 1969) (= CMM 48). - 11 Motetten, in: P. Attaingnant, Treize livres de motets, hrsg. v. A. SMUERS - T. MERRITT (P - Monaco 1934-63). Lit.: E. E. LowINSKY, A Newly Discovered 16th Century Motet Manuscript at the Bibl. Vallicelliana in Rome, in: JAMS 3 (1950); F. LESURE, Notes pour une biogr. de J. L., in: RMie 42 (1958); L. L. PERKINS, The Motets of J. L. Héritier, 2 Bde. (1965) (= Diss. Yale Univ. New Haven/Conn.); H. W. FREY, Die Kapellmeister an der frz. Nationalkirche S. Luigi dei Francesi in Rom im 16. Jh. I: 1514-77, in: AfMw 22 (1965).
LHOTKA. — 1) Fran, * 25.12. 1883 Mladá Vožice (Südböhmen), t 26.1. 1962 Zagreb; jugoslawischer Komponist. Er studierte 1899-1905 bei A. Dvořák am Prager Konservatorium, gehörte dann seit 1909 als Hornist der Oper in Zagreb an und war 1910-20 Lehrer an der Musikschule sowie 1920-61 an der Musikakademie, die er 1923-40 und 1948-52 auch leitete. 1912-20 dirigierte er auch den Chor „Lisinski" und 1920-40 das Orchester der Musikakademie.
Libretto WW: 1) Instr.-WW: Streichquartett g-moll (1910); Konzert für Streichquartett (1925); Suite für 4F1. (1926); Bläsertrio (1948); Pastoral u. Scherzo für 5 Bläser (1950); Elegie u. Scherzo für Streichquartett (1955). - Für Orch.: Symphonie E-Dur (1909); V. -Konzert d-moll (1914); 2 Kroatische Rhapsodien für V. u. Kammerorchester (1931); Epilog (1957); Fresken (1958). 2) Biišen-WW: Musikal. Märchen Zlatokosi kraljevič, UA: Zagreb 1909; fantastische Sage U carstvu sanja, UA: ebd. 1912; Opern Minks, UA: ebd. 1918, u. More, UA: ebd. 1920. Ballette: Davo i njegov šegrt, UA: Zagreb 1931; Djavo u selu, UA: Zürich 1935; Balada o jednoj srednjovjekronaj ljubavi, UA: ebd. 1937; Lük, UA: München 1939; Duša mora (1953); Amazonke (1954). - 3) Schriften: Dirigiranje (Zagreb 1931, 2 1968); Harmonija (ebd. 1948, '1961).
2) Ivo (L.-Kalinski), Sohn von 1), * 30.7. 1913 Zagreb; jugoslawischer Komponist. Er beendete 1939 ein Kompositions- und Gesangsstudium an der Musikakademie in Zagreb. Seit 1940 unterrichtete er in Zagreb und Split, seit 1951 als Gesangslehrer an der Musikakademie in Zagreb. L. bezieht sowohl die Dodekaphonie wie Elemente der Volksmusik seines Landes in sein Schaffen mit ein. WW: 1) lestr.-WW: Für Orch.: Symphonie Es-Dur (1937); Žalobna muzika (1962); 6 Eseja (1965). - 2) Vokal-WW: Kantate Kerempuhova pesem (1959); 4 Epitafa (1964); Medifacje XX (1965) für Bar. mit Kammerensemble. - 3) Buhnen-WW: Opern: Pomet, UA: Zagreb 1944; Matija Gubec, UA: ebd. 1948; Vlast, UA: Belgrad 1958; Funkoper Analfabeta, UA: Radio Belgrad 1954; Fernsehopern: Putovanje, UA: jugoslavisches Fernsehen Zagreb 1957; Dugme, UA: ebd. 1958; Kinderoper Velika coprarija (1952); ferner das Ballett Legenda o pjesmi, UA: Ri je ka 1966.
LIBERATI, Antimo, * 3.4.1617 Foligno (Umbrien), t 24.2.1692 Rom; it. Kirchenmusiker. Er stand zuerst im Dienste Kaiser Ferdinands III., dann Erzherzog Leopolds in Wien. Schüler von Gr. Allegri und O. Benevoli, trat er 1661 als Altist in die päpstliche Kapelle in Rom ein, bei der er bis zu seinem Tode blieb; 1674/75 war er auch deren Kapellmeister. Zugleich hatte L. Organisten- und Kapellmeisterposten an verschiedenen Kirchen Roms inne. L. ist hauptsächlich durch seine Schriften bekannt geworden. Sie enthalten interessante Angaben über zeitgenössische Musiker und ihre Kompositionen. L. verteidigt in ihnen die Römische Schule und wendet sich gegen die Seconda pratica, Cl. Monteverdi und die venezianische Oper. WW: 1) Yompositbaen: Ein Laudate Dominum, in: RISM '1683; ferner eine Messe für 16 St. u. Arien hsl. - 2) Schritten: Lettera scrita ... in riposta ad una del Signore Ovidio Persapegi (R 1685); Ragguaglio dello stato del coro de cantori nella Capella Pontificia (1663), Epitome della musica (1666) und Due lettere a G. P. Colonna ... (1685) hsl. Lit.: F. KAST, A. L., in: KmJb 43 (1959).
LIBRETTO (it., Diminutiv zu libro = Buch; frz.: livret), seit dem 18. Jh. Bz. für das kleinformatige Textbuch zu musikalisch-szenischen Werken, im übertragenen Sinn deren Text selbst; in der weite-
sten Auslegung des Begriffs auch die textliche Vorlage für Oratorien, Kantaten u. ä., ferner die Szenarien von Balletten und Pantomimen. L. bezeichnet keine Dichtung, die nach literarischen Maßstäben zu messen wäre, auch keine literarische Gattung, obwohl Librettisten sich literarischer Formen und Gattungen bedienen, mithin der Text nach literarhistorischen Kategorien klassifiziert werden kann. Die Eigenart des L.s beruht in der Vereinigung sämtlicher dramatischer Funktionen einer řOper (Musik, Sprache, szenisch-gestische Momente), die seines Textes liegt in der Bestimmung zur Komposition und nicht in seiner literarischen Eigenwertigkeit. Die Geschichte der Librettistik ist von Anbeginn von literarischen Einflüssen geprägt. Bis zum Ausgang des 18. Jh. ist die L.-Produktion nahezu ausschließlich von der je zeitgenössischen Dramenproduktion beeinflußt; mit dem italienischen und französischen L.-Typus bildeten sich zwei Grundtypen heraus, die in Aufbau und Funktion den die europäische Literatur beherrschenden romanischen Dramen-Typen glichen. Im 19. Jh. entstand mit der Hinwendung zu undramatischen, epischen Gattungen als Vorlage ein gegenüber dem gleichzeitigen Sprechdrama eigenständiger Gattungstypus. Um die Wende zum 20. Jh. trat an die Stelle der musikdramatischen Umgestaltung dramatischer und epischer Vorlagen mehr und mehr die redaktionelle Einrichtung von zur Weltliteratur zählenden Dramen für die musikalische Bühne, ein Vorgang, der als Literarisierung der Oper bezeichnet wird. Die Gegenreaktion in jüngster Gegenwart gründet in Verfahren, in denen die Zerstörung und Negierung musikalisch-kompositorischer Traditionen bewußt parallel gesetzt wird zu literarischen Tendenzen im Antitheater; durch Verknüpfung dieser Verfahrensweisen entsteht eine neue Konzeption des absurden Musiktheaters, mit der die Gattung Oper in Frage gestellt wird. Die ersten Libretti (O. Rinuccini) erschienen zugleich mit den ersten Opern. In Form und Thematik knüpfen sie an die literarische Tradition der Favola pastorale an; der glückliche Ausgang (lieto fine) ist gültiges Prinzip, Akt- und Szeneneinteilung sowie Bühnenanweisungen (Nebentext) fehlen. Unter dem Einfluß des spanischen Dramas wird in Venedig für den kommerzialisierten Opernbetrieb der Typus des Intrigendramas mit komischen Nebenepisoden entwickelt (G. Faustin); in der römischen Oper werden auch religiöse Themen (Il Sant 'Alessio, 1632) verarbeitet; zugleich legte Kardinal Rospigliosi den Grund zur komischen Oper (Chi soffre speri, 1639). G. Fr. Busenello entwarf 1642 für Cl. Monteverdi die erste Oper mit historischem Stoff 109
Libretto
(L'incoronazione di Poppea). Trotz Straffung der Handlungsführung und Schematisierung im Intrigendrama trieb die Kontrastierung ernster und heiterer Szenen gegen Endes des 17. Jh. eher einem Konglomerat aus grotesken und abenteuerlichen Szenen- und Personentypen entgegen als einem durchorganisierten Dramentypus. Erst unter dem Einfluß der klassischen französischen Tragödie erhielt das L. wieder eine strengere Form. Ph. Quinault und J.-B. Lully begründeten die Tragédie lyrique, die bis ins 18. Jh. maBgebend blieb. An dieser Form des musikalischen Dramas orientierten sich auch A. Zeno und P. Metastasio mit ihren L. -Reformen. Vor allem der metastasianische L.-Typ, das dreiteilige Intrigenstück um idealisierte antike Gestalten mit dem strengen Wechsel von Handlungsdialog (Rezitativ) und kurzen Verspartien (Arie), beherrschte die Opera seria des gesamten 18. Jahrhunderts. Metastasio führte diesen Reformtypus auch zu dichterischer Höhe; seine Opernlibretti wurden mit gleichem Erfolg auch als Sprechdramen aufgeführt. Diesem starren dramatischen Schematismus setzten Chr. W. Gluck und sein Librettist R. de' Calzabigi einen Typus des musikalischen Dramas entgegen, in dem sie der Echtheit menschlichen Gefühls und einer einfachen, psychologisch motivierten Handlung den Vorrang gaben. — Als Gegenposition zu den herrschenden ernsten Typen nahmen die komischen Dramen eine eigene Entwicklung. Im italienischen Bereich aus der Commedia dell'arte und der neapolitanischen Dialektdichtung entstanden, entwickelte sich aus der Theaterpraxis heraus und ohne literarische Ambitionen der Typus der zweiaktigen Opera buffa, die im 18. Jh. durch C. Goldoni und L. Da Ponte im Dramma giocoso auf höheres Niveau geführt wurde. In Frankreich entstand aus der Comédie mêlée d'ariettes und dem /Vaudeville im Gefolge des /Buffonistenstreits die Opéra-comique (Ch. S. Favart, M. Sedaine, J.-Fr. Marmontel), deren unschematischer Aufbau die Präsentation verschiedenster Stoffe ermöglichte und zahlreiche Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung der Gattung Oper bot. Im Schatten der beherrschenden italienischen und französischen L.-Produktion fristete die Librettistik in anderen europäischen Ländern nur ein unselbständiges Dasein. — Die Zerstörung der gesellschaftlichen Grundlagen von Tragédie lyrique und metastasianischer Oper insbesondere durch sozialgeschichtliche Veränderungen ermöglichte in der Librettistik einen breiten Neuansatz. In Frankreich schuf E. Scribe den L.-Typus der Grand opéra mit Massenszenen und einem festen Repertoire an klischeehaften Musiknummern (Trinklied, Liebesduett, Racheschwur, Gebetsszene u. a.). Eine ähn110
lich beherrschende Stellung nahm in Italien F. Romani ein; der französische und italienische romantische L. -Typus wurden bis zur typologischen Gleichartigkeit einander angenähert. Stofflichmotivisch tritt an die Stelle des ausgewogenen metastasianischen Handlungsschemas das tragisch disponierte Motiv des Mannes zwischen zwei Frauen bzw. der Frau zwischen zwei Männern, dargestellt an romantisch-literarischen oder historisch-originalen Stoffen. Dieser Typus ist weder auf logische Stringenz der Handlung und des dramatischen Dialogs noch auf eine literarisch qualifizierte sprachliche Gestaltung abgestellt, sondern auf den kontrastreichen Aufbau primär emotional geprägter Szenen, in denen die affektiven Reaktionen handelnder Figuren subtil nachgezeichnet und breit dargestellt werden. G. Verdi bezeichnete diese Konzeption als „parola scenica", als unmittelbare szenische Realisierung eines Geschehens durch Geste, Spiel, Bewegung und musikalischen Ausdruck. Dieselben Vorstellungen verband L. Véron (Direktor der Pariser Oper von 1831-35) mit seiner Forderung nach einer vom Geist des Theaters und nicht der Literatur getragenen Librettistik. Dieser künstlerischen Intention entspringt eine Typenvielfalt, die sich in den mannigfachen nationalen Stilen der Oper widerspiegelt: Eigenwertiges einer nationalen Kultur bestimmt den L. -Typus im 19. Jh. ebenso wie spezifische Stoffwahl und Originalitätsstreben. In Verfolgung der gleichen L. -Konzeption, jedoch in Verkehrung der idealisierenden Absichten entstand in Italien gegen Ende des 19. Jh. die sogenannte veristische Oper, in der stofflich-motivisch das Alltägliche, das realistische Milieu in den Vordergrund gerückt wird. — Im deutschsprachigen Raum regenerierte sich die Librettistik an den Formen des nord- und süddeutschen 7Singspiels, mit dem romantisch-wunderbare Stoffe transportiert wurden und aus dem heraus sich ein eigener Operntypus mit originärer L.-Thematik entwickelte. In Wagners Musikdramen verschmelzen diese Elemente mit einer episch angelegten Gestaltung des germanischen Mythos zu einer neuformulierten Anschauung der theatralischen Szene, die durch wechselseitige Inspiration von Wort und Musik getragen wird. Diesem Entwicklungszug steht als Nebenform die deutsche Spieloper zur Seite, für die vor allem A. Lortzing unter theatralisch-pragmatischen Gesichtspunkten seine Libretti selbst entwarf. — Die Literarisierung der Oper beginnt mit A. Dargomyschskis Vertonung von Puschkins Steinernem Gast (1872), bei der die literarische Vorlage unverändert blieb, und wurde fortgesetzt mit Cl. Debussys Pelléas et Mélisande (nach M. Maeterlinck), R. Strauss' Salome (nach O. Wilde)
Libussa und A. Bergs Wozzeck (nach G. Büchner). Die jüngsten Tendenzen des Musiktheaters lassen sich wohl am plastischsten in B. A. Zimmermanns Die Soldaten (als Literaturoper) und M. Kagels Staatstheater (als absurdes Musiktheater) exemplifizieren. - Die Geschichte der Gattungsästhetik ist seit der Mitte des 18. Jh. von einer Kontroverse geprägt, die Komponisten wie Librettisten wie Operntheoretiker irregeleitet hat: vom Streit über den Vorrang von Musik oder Sprache. Die scheinbare Kontroverse, in der das Typische der Gattung Oper am Beispiel des L.s jeweils nur unzureichend beschrieben wurde, verstellte Bühnenpraktikern wie Historikern den Blick für das Wesentliche nicht nur in den folgenden 200 Jahren, sondern brachte auch die festgefugte Gattungstradition des L.s im 17. und 18. Jh. in Verruf. Zweimal wurde der Streit gar in Opern thematisiert: in Prima la musica et poi le parole (1786) von G. B. Casti / A. Salieri und in Capriccio (1942) von C. Krauss/R. Strauss. Entschied Salieri die Kontroverse zugunsten der Musik, so formuliert R. Strauss in seinem „Konversationsstück" die Unsinnigkeit der Fragestellung: sich für einen (Librettisten oder Komponisten) zu entscheiden heißt, den Vorzügen des anderen völlig zu entraten. Die Kritik an der Gattung L. wurde getragen von Kriterien der aristotelischen Poetik; ihr liegt das Verständnis von Oper als Sprechdrama und nicht als Musikdrama zugrunde. Noch heute wird die Wirksamkeit der szenischen Anlage eines L.s häufig konterkariert durch Wert oder Unwert der sprachlichen Gestaltung. Die Wertung konzentriert sich (fälschlich) weniger auf die Eigendynamik eines Werkes und seine musikalisch-szenischen Höhepunkte als vielmehr auf den Vergleich mit der literarischen Vorlage, nach der die Oper entstanden ist. - Nur an wenigen Beispielen kooperativer Arbeit läßt sich heute die L. -Genese nachvollziehen, etwa an derjenigen zwischen Scribe und G. Meyerbeer, deren vielschichtige Arbeitsweise nur mit großem philologischem Aufwand aus Tagebuchnotizen und an den originalen Libretti zu entschlüsseln ist, oder derjenigen zwischen R. Strauss und Hugo von Hofmannsthal, deren Substanz in einem umfangreichen Briefwechsel greifbar wird. Der Versuch, auf dieser Materialbasis eine Ästhetik des L.s fernab von der Wertung sprachlich-dichterischer Formung eines Textes zu entwerfen, wäre der Kenntnis von der historischen Entwicklung der Gattung und der typologischen Bestimmung dienlicher als nahezu die gesamte Forschung, die bisher über diesen Gegenstand getrieben wurde. Lit.: E. H. DE BRICQUEVILLE, Lt livret d'opéra français de Lully à Gluck 1672-1779 (Mz 1887); F. LINDEMANN, Die Operntexte Ph. Quinaults (Dias. L 1904); M. EHRENHAUS, Die
Operndichtung der dt. Romantik (Breslau 1911) (= Breslauer Beitr. z. Literaturgesch. 29); M. FEHR, A. Zeno u. seine Reform des Operntextes (Diss. Z 1912); E. ISTEL, Das L. (B 1914, 2 1915); H. ABERT, Wort u. Ton in der Musik des 18. Jh., in: AfMw 5 (1923); dass., in: Gesammelte Schriften u. Vorträge, hrsg. v. F. Blume (H11929); R. GERBER, Der Operntypus J. A. Hasses u. seine textlichen Grundlagen (L 1925); M. KUNATH, Die Oper als literarische Form (Diss. L 1925); H. PRUNIERES, I libretti dell'opera veneziana nel secolo XVII, in: Rass. Mus. 3 (1930); M. KRAUSSOLD, Geist und Stoff der Operndichtung (L 1931); R. GUIET, L'évolution d'un genre, le livret d'opéra en France de Gluck à la Révolution 1774-1793 (1936/37) (= Smith College Studies in Modern Languages 18); E. VALENTIN, Dichtung u. Oper, in: AfMf 3 (1938); A. DELLA CORTE, La „poesia per musics" e il I. d'opera (Tn 1950); U. ROLANDI, Il 1. per musica attraverso i tempi (R 1951); A. A. ABERT, Der Geschmackswandel auf der Opernbühne, am Alkestis-Stoff dargestellt, in: Mf 6 (1953); E. DAHNK-BAROFFIO, Zu den Libretti der Händelzeit, in: FS Göttinger Händelfestspiele (Gö 1953). A. A. ABERT, C. Monteverdi und das musikal. Drama (Lippstadt 1954); A. SCHERLE, Das dt. Opernl. v. Opitz bis Hofmannsthal (Dias. Mn 1957); W. HUBER, Das Textbuch der frühdt. Oper (Diss. Mn 1957); A. DELLA CORTE, Dramma per musica dal Rinuccini allo Zeno, 2 Bde. (Tn 1958) (= I classici it. 57 / 1-2); S. KuNZE, Die Entstehung eines Buffo-L. Don-Quijote-Bearb., in: DJbMw 12 (1967); K. HORTSCHANSKY, Der Deus ex machina im Operl. der ersten Hälfte des 19. Jh., in: Beitr. z. Gesch. der Oper, hrsg. v. H. Becker (Rb 1969) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 15); F. LIPPMANN, Vincenzo Bellini u. die it. Opera seria seiner Zeit. Stud. über L., Arienformen u. Melodik (Kö 1969) (= Anal. Mus.); E. THIEL-G. ROHR, L. Ven. der bis 1800 erschienenen Textbücher (F 1970); K. LEICH, G. F. Robertis Libretti 1694-1708. Ein Beitrag insbesondere z. Gesch. des Opernl. in Venedig (Mn 1973); P. HACKS, Oper (B-Wr 1975, Düsseldorf 1976); K. G. JUST, Das dt. Opernl., in: Poetica 7 (1975); L. DALLAPICCOLA, Texte et musique dans le mélodrame 1961-1969, in: Musique en jeu 21 (1975); W. DEAN, Opera and Literary Approach, in: MT 119 (1978); C. DAHLHAUS, Zur Methode der Opernanalyse, in: Musik und Bildung 12 (1980); R. STROHM, Händels Londoner Operntexte, in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980). J. SCHLÄDER
LIBUSSA (Libuše), Festliches Singspiel in 3 Akten von Friedrich Smetana (1824-84), dt. Originaltext von Josef Wenzig, tschech. Übersetzung von Ervín Špindler. UA: 11.6. 1881 in Prag (zur Einweihung des tschech. Nationaltheaters). Der Stoff um die gerechte Herrscherin und Seherin Libussa ist dem nationalen tschechischen Mythos entnommen; er stellt eine freie Geschichtserfindung dar, mit der die Herkunft des böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden und die Gründung Prags erläutert werden sollen. Trotz der Einfügung einer Liebes- und Eifersuchtsgeschichte, die in den Sagenvorlagen nicht zu finden ist und für die Oper den (scheinbaren) Konfliktstoff liefern soll, bleibt die Anlage des Werkes undramatisch und bilderbogenhaft. - Gerade dieser Entwurf reizte Smetana, eine Festoper mit nationalem musikalischen Pathos zu schreiben. Den Hauptfiguren sind treffend charakterisierende Personalmotive zugeordnet, deren Kombinationen im Verlauf der Handlung Symbolkraft gewinnen. Bei aller Nähe 111
Licenza zum musikdramatischen Stil R. Wagners gelingt Smetana die Schöpfung eines originären und singulären Kompositionsstils, geprägt von äußerst sorgfältiger Beachtung der Sprachmelodie und einer über weite Strecken pathetischen Deklamation. Höhepunkt des Werkes ist Libussas abschlieBende Prophezeiung, die durch sechs „lebende Bilder" verdeutlicht wird: in typischen Gruppierungen werden bedeutsame Augenblicke aus der tschechischen Geschichte symbolisch dargestellt. — Der nationalistisch-repräsentative Charakter des Werkes gewann vielfache politische Bedeutung: geplant für die Prager Königskrönung des österreichischen Kaisers Franz Joseph, stellte es schon damals mit der visionär geschauten Lösung Böhmens von Österreich ein politisches Wagnis dar. Auch später (z. B. nach Hitlers Einmarsch in Böhmen und Mähren) nahmen Aufführungen dieser Oper den Charakter nationalistischer Demonstrationen an. J. SCHLÄDER
LICENZA (it.), Licentia (lat., = Erlaubnis). — 1) Unter Licentia verstand man in der Satzlehre seit dem 16. Jh. besonders im Umkreis der Lehre von den musikalisch-rhetorischen 'Figuren, das kunstvolle Abweichen vom strengen Satz (z. B. freie Dissonanzbehandlung, /Querstand). In ähnlichem Sinne erscheint die Bz. noch bei L. van Beethoven (Fuga a 3 voci, con alcune licenze im letzten Satz der Klaviersonate op. 106). — 2) Im Schauspiel und in italienischen Opern des 17./18. Jh. gelegentlich Bz. für die SchluBszene (2'Epilog), die sich direkt an das Publikum wendet und gewöhnlich eine Huldigung einer hochgestellten Persönlichkeit darstellt (z. B. an Kaiserin Elisabeth Christine in der 1723 aufgeführten Oper Costanza e fortezza von J. J. Fux). Mitunter wurde dieser Teil, der im allgemeinen ein Rezitativ und eine Arie oder einen SchluBchor enthält, für den jeweiligen Anlaß eigens hinzukomponiert. LICHNOWSKY, östr. Adelsfamilie. — 1) Karl, Fürst, * 21.6.1761 Wien, t 15.4.1814 ebd. Er war Schüler und Freund W. A. Mozarts, der ihn 1789 auf einer Reise nach Prag, Dresden und Berlin begleitete. Durch J. Haydn wurde er mit L. van Beethoven bekannt, den er eine Zeitlang bei sich aufnahm und ihm 1800 ein festes Gehalt von 600 Gulden aussetzte. Beethoven schätzte sein Urteil sehr und widmete ihm mehrere Werke (Klv.-Trios op. 1; Klv.-Sonaten op. 13 und 26; 2. Symphonie). K. v. L.s Frau Christine betreute den Komponisten mit mütterlicher Fürsorge. — 2) Moritz, Graf, Bruder von 1), * 17.10.1771 Wien, t 17.3.1837 ebd. Auch er gehörte zu den treuesten Freunden und Gönnern Beethovens, der ihm die Klaviervariatio112
nen op. 35 und die Klaviersonate op. 90 widmete und auf ihn den Scherzkanon Bester Herr Graf, Sie sind ein Schaf (WoO 183) schrieb. Er komponierte Klaviervariationen über G. Paisiellos Nel cor più non mi sento (W 1798). Lit.: TH. V. FRIMMEL, Beethoven-Hdb. 1 (L 1926, Nachdr. Hil-Wie 1968); S. LEY, Beethoven und die fürstliche Familie L., in: Aus Beethovens Erdentagen (Bonn 1948, Siegburg 1957); R. SCHAAL, L, in: MGG VIII.
LICHTTON-ORGEL, ein elektromechanisches Tasteninstrument (řElektrophone), bei dem Schwingungen durch rotierende Lochscheiben erzeugt werden, die in rhythmischer Folge von einem auf eine Fotozelle gerichteten Lichtstrahl getroffen werden. Diese tonfrequenten Spannungsschwankungen werden über Verstärker und Lautsprecher wiedergegeben. LIDHOLM, Ingvar Natanael, * 24.2.1921 Jönköping; schwedischer Komponist und Dirigent. Er studierte 1940-45 Violine und Dirigieren an der Musikhochschule Stockholm und war daneben 1942-44 Kompositionsschüler von H. Rosenberg in Stockholm und 1954 noch von M. Seiber in London. 1947-56 dirigierte er das Symphonieorchester in Örebro und leitete 1956-65 die Kammermusikabteilung am Schwedischen Rundfunk. Seither ist er Professor für Komposition an der Musikhochschule Stockholm. Als Komponist wandte sich L. nach einer neoklassizistischen Phase (Toccata e canto) einer moderneren, expressiven Schreibweise zu (Klaviersonate, 1947), in der die Zwölftontechnik eine zentrale Stellung einnimmt. WW: 1) lnstr.-WW: Toccata e canto (1944) für Kammerorch.; Solosonate für Fl. (1946); Musik für Str. (Orch. oder Quartett) (1952, revidiert 1955); Concertino für Fl., Ob., Engl. Horn u. Vc. (1954); 4 Stücke für Vc. u. Klv. (1955). - Für Orch.: Ritornell (1955); Mutanza (1959); Motus-Colores (1960); Poesis (1963). 2) Vokal-WW: Laudi (1947) für gem. Chor a cap.; Cantata (1949) für Bar. u. Orch.; 3 Lieder auf Texte v. G. Ekelöf (1954) für Sopran u. 4 Instr.; Canto LXXXI (1956) (Text: E. Pound) für gem. Chor a cap.; Kantate Skaldens natt (1958) für Sopran, Chor u. Orch.; Szene Nausikaa ensam (1963) (Text: E. Johnson) für Sopran, Chor u. Orch. - 3) Biihnen-WW: Fernsehoper Holländarn (nach A. Strindberg), UA: 1967; Ballett Riter (1959) (auch als Suite). - 4) Schriften: Three Aspects of New Music. From the Composition Seminar in Stockholm (Sto 1968, 2 1971) (zus. mit G. Ligeti und W. Lutoslawski).
Lit.: I. BENGTSSON, S.-E. Bäck u. I. L., in: Melos 23 (1956); B. WALLNER, Blomdahl, Bäck, L., in: Musikrevy 14 (1959); G. BERGENDAL, in: Musikkultur 32 (1968); B. E. BROLSMA, The Music of J. L. A Survey and Analysis (Evanston / Ill. 1979) (= Diss. Northwestern Univ.).
LIEBE DER DANAE, DIE, Heitere Mythologie in drei Akten von Richard Strauss (1864-1949), op. 83, Text von Joseph Gregor. Ort und Zeit der Handlung: das mythische Griechenland. Am 16.8.
Liebert 1944 in Salzburg Generalprobe und Uraufführung, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Wegen der Zeitereignisse wurden die Salzburger Festspiele auf höheren Befehl untersagt. Öffentliche UA:
14.8.1952 in Salzburg (Festspielhaus). H. von Hofmannsthal hatte 1920 ein Szenarium Danae an Strauss übersandt, das jedoch nach an-
fänglichem Interesse liegenblieb. Erst 1936 befaßte er sich wieder mit diesem Stoff. Joseph Gregor, der schon 1935 eigene Gedanken zum gleichen Thema entwickelt hatte, fiel die Aufgabe zu, beide Fassungen im gewünschten Sinne zu vereinen. (Der bei Hofmannsthal nur angedeutete Gott geriet Gregor zur veritablen Bühnenfigur.) Eingebettet in die vordergründige Handlung eines Pleitestaates, dessen Herrscher Pollux durch kluge Verheiratung seiner Tochter Danae die Wirtschaft seines Landes wieder flott und seinen Staat wieder kreditwürdig machen will, vollzieht sich das Mysterium von Liebe und Menschlichkeit, die Gold und Gott zu überwinden vermögen. Strauss knüpft kompositorisch am Stil der Ariadne an, gestaltet die Partie des Jupiter im feierlichen Stil des Peneios aus Daphne, wendet seine inspiratorische Kraft aber unverkennbar dem liebenden Paar Midas und Danae zu, dessen Zwiegesang im symbolhaften Unisono mündet, das Jupiter bei Danae versagt bleibt. Namentlich das Orchesternachspiel der Versöhnungsszene zwischen Jupiter und Merkur (Jupiters Verzicht) als Oberleitung zur letzten Szene mit stillem Aktschluß, die großen Solonummern und Danaes Cavatine zeigen Strauss noch einmal in der Vollkraft seiner künstlerischen Inspiration. Der große Erfolg blieb diesem Werk bisher versagt. H. BECKER
LIEBE MACHT ERFINDERISCH, Burletta per musica von J. Haydn; řUntreue lohnt nicht. LIEBERMANN, Rolf, * 14.9.1910 Zürich; Schweizer Komponist. Nach abgebrochenem Jurastudium wurde er 1937 Dirigierschüler, bald auch Privatsekretär und Assistent von H. Scherchen in Wien. Das Arbeitsverhältnis endete mit dem deutschen Einmarsch in Wien; L. kehrte in die Schweiz zurück, wo er in Ascona von WI. Vogel Kompositonsunterricht, insbesondere in Zwölftontechnik, erhielt. Die nun entstehenden Werke wurden von Scherchen so erfolgreich zur Aufführung gebracht, daß L. einen Optionsvertrag auf alle folgenden Kompositionen bekam. 1945 wurde er Tonmeister bei Radio Beromünster, leitete 1950-57 die Orchesterabteilung dieses Senders und übernahm dann die Musikabteilung des NDR Hamburg. 1959 wurde L. Leiter der Hamburgischen Staatsoper, die sich vor allem durch sein Festhalten am Prinzip des
Ensembletheaters (alle Vorstellungen einer Inszenierung in Premierenbesetzung) zu einer der führenden deutschen Opernbühnen entwickelte; durch eine Reihe von Kompositionsaufträgen förderte er das zeitgenössische Musiktheater. 1973-80 war er Generalintendant der Vereinigten Pariser Opernhäuser. Mehrere Opern brachte er auch als (Fernseh-)Filme heraus und machte sie damit einem breiteren Publikum zugänglich. Sein Buch En passant par Paris stellt einen „Rechenschaftsbericht" über diese Zeit dar. Seit 1980 widmet sich L. ganz der Komposition. Als Komponist war L. vor allem durch seine Experimentierfreudigkeit bekannt geworden (Concerto for Jazz-Band and Symphony Orchestra, 1954; eine auf Lochkarten gestanzte Sinfonie für Büromaschinen „Les Échanges" für 159 Maschinen, 1964). Seine 3 Opern auf Texte von H. Strobel waren vor allem durch ihre auf unkonventioneller Dodekaphonie beruhende ausdrucksvolle Musiksprache erfolgreich. WW: 1) betr.-WW: Polyphone Studien (1943) für Kammerorch.; Sinfonie (1949); Klv.-Sonate (1951). - Furioso (1947) für Orch.; Suite über 5 Schweizerische Volkslieder (1947) für Orch.; Concerto for Jazz-Band and Symphony Orchestra (1954); Geigy Festival Concerto (1958) für Basler Trommel u. Orch., Sinfonie für Büromaschinen Les Échanges (1964) für 159 Maschinen. 2) Vokal-WW: Kantate Une des fins du monde (1945) (Text: J. Giraudoux) für Bar. u. Orch.; Chinesische Liebeslieder (1945) für Tenor, Haffe u. Streichorch.; Musik (1949) (nach Texten v. Ch. Baudelaire u. P. Verlaine) für Orch. u. Sprecher; Kantate Streitlied zwischen Leben und Tod (1950) für Soli, Chor u. Orch.; Capriccio (1959) für Sopran, V. u. Orch. - 3) Bihnen-WW: Opern: Leonore 40/45 (Libr.: H. Strobel), UA: Basel 1952; Penelope (Libr.: ders.), UA: Salzburg 1954; Rondo buffo Die Schule der Frauen (Libr.: ders.), UA als: School for Wives, Louisville / Ky. 1955, UA der erweiterten dt. Fassung, Salzburg 1957. - 4) Schrüten: Krise der Oper, in: Melos 21 (1954); Oper in der Gegenwart, in: DMZ 15 (1960); Als Intendant sieht man alles anders, in: Melos 28 (1961); Oper in der Demokratie, in: Melos 29 (1962); Actes et Entractes (P 1976), dt. Obers.: Opernjahre (Mn 1977, NA Mn - Mz 1979); En passant par Paris: Opéras (P 1980), dt. Übers.: Und jedermann erwartet sich ein Fest: Musiktheater (B 1981). Lit.: H. H. STUCKENSCHMIDT, R. L., in: SMZ 92 (1952); J. RUFER, Die Komposition mit 12 Tönen (B 1952, Kas 21966); R. KLEIN, R. L. als dramatischer Komponist, in: Melos 21 (1954); H. STROBEL, Libretti für Rolf, in: Melos 37 (1970); R. L. zum 60. Geburtstag, hrsg. v. I. SCHARBERT-H. PARIS (H 1970); C. RIEss, R. L. Nennen Sie mich einfach Musiker (H 1977). K. LANGROCK
LIEBERT (Libert). — 1) Gautier, frz. Komponist des frühen 15. Jahrhunderts. Er ist um 1428 als Mitglied der päpstlichen Kapelle nachweisbar. Von ihm sind in der Hs. Oxford 3 3st. Rondeaux überliefert. — 2) Reginald (Reginaldus), fn. Komponist des 15. Jahrhunderts. Er wurde vermutlich als Maître de musique Nachfolger von Nicolas Grenon an der Kathedrale von Cambrai. Von ihm sind 2 3st. Rondeaux, eine 3st. Plenarmesse, bestehend 113
LiebesfuB aus 12 Ordinariums- und Propriumsgesängen, und ein 4st. Kyrie überliefert. Ausg.: Zo 1): Die Chansons, in: Early 15th Century Music 2, hrsg. v. G. REANEY (R 1959) (= CMM 11/2). — Zs 2): Die Messe, in: Trienter Codices, 4. Auswahl, hrsg. v. R. VON FICKER (1920) (= DTO 53); dies. u. die anderen WW, in: Early 15th Century Music 3, hrsg. v. G. REANEY (R 1966) (= CMM 11/3). Lit.: Z. 1): G. REESE, Music in the Renaissance (NY 1954, revidien 1959). — Zs 2): R. VON FICKER, Die Kolorierungstechnik der Trienter Messen, in: StMw 7 (1920); H. BESSELER,Bourdon u. Fauxbourdon (L 1950, 2 1974); G. REANEY, The Ms. Oxford Bodl. Libr., Can. Misc. 213, in: MD 9 (1955); DERS., L., in: MGG VIII.
LIEBESFUSS (engl.: pear-shaped bell; frz.: pavillon piriforme; it.: padiglione piriforme), Bz. für das birnenförmige, sich zu einer kleinen Öffnung verengende Schallstück einiger Rohrblattinstrumente, wie z. B. Oboe da caccia, Oboe d'amore, Heckelphon und Englisch Horn. Der L. dient als Dämpfer und verleiht diesen Instrumenten den charakteristisch weichen Klang. LIEBESTRANK, DER (L'Elisir d'amore), Opera comica in 2 Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848), Text von Felice Romani vermutlich nach Le Philtre (1831) von E. Scribe und D. F. E. Auber. Ort u. Zeit der Handlung: ein italienisches Dorf, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. UA: 12.5. 1832 in Mailand (Teatro della Canobbiana); dt. EA (in dt. Sprache): 26.6. 1834 in Berlin (Königstädtisches Theater). Die Geschichte vom armen, aufrichtigen Bauernsohn Nemorino, der seine geliebte Adina mit einem vom Quacksalber Dulcamara erstandenen „Liebestrank" (in Wahrheit purer Rotwein) gewinnen will, wie einst Tristan seine Isolde, soll Donizetti innerhalb von 14 Tagen in Musik gesetzt haben. Stoff, komödiantischer Spielwitz und musikalische Faktur sind so gut aufeinander abgestimmt, daß die Oper den Zeitgenossen als vorbildlich gestaltete Opera buffa galt. Stilistisch hat Donizetti den Gattungstypus in Richtung auf die durchkomponierte Musikkomödie verändert: Die orchesterbegleiteten Rezitative sind zumeist in die geschlossenen Formen eingebaut; klavierbegleitete Secco-Rezitative finden nur sparsame Verwendung. Solonummern in Strophen- oder Refrainform schließen mit der für Donizettis Kompositionsstil typischen Cabaletta; mehrteilige Solonummern sind durch Choreinschübe oder Ausweitung zum Ensemble als musikalische Szenen angelegt (z. B. Dulcamaras Auftritts-Cavatine). Die Fülle an eingängigen Melodien und die lyrisch-sentimentale Komponente (vor allem in der Romanze des Nemorino Una furtiva lagrima — Heimlich aus ihrem Auge, einer Glanznummer aller großen Tenöre) sicherten dem 114
Werk seit der UA eine bleibende Beliebtheit beim Opernpublikum. J. SCHLÄDER LIEBESZAUBER, DER (El amor brujo), Zigeunerszene aus Andalusien, Ballett mit Gesang in einem Akt von Manuel de Falla (1876-1946). Libretto von Gregorio Martínez Sierra (1881-1947). UA: 15.4.1915 in Madrid (Teatro Lara), Choreographie: Pastora Imperio (1894-1979); dt. EA: 1952 (Berliner Staatsoper). Die Handlung dieses wohl berühmtesten spanischen Zigeunerballetts basiert im wesentlichen auf einer alten iberischen Sage: Carmelo, ein junger Zigeuner, wirbt um die schöne, leidenschaftliche Candelas; diese allerdings wird von dem Geist ihres verstorbenen Liebhabers bedroht und vermag sich seiner eifersüchtigen Verfolgung nicht zu entziehen. Hingegen weiß die verführerische Lucia, die Freundin Candelas', das Gespenst mit weiblicher List zu betören und die Spukgestalt zu verbannen, so daß die Verliebten endlich zueinanderfinden. — Innerhalb weniger Monate schuf de Falla die gesamte Ballett-Partitur, obgleich er ursprünglich beabsichtigt hatte, nur ein Lied und einen Tanz für die gefeierte spanische Flamencotänzerin P. Imperio zu komponieren. Melodien andalusischer Zigeunermusik, orientalisch gefärbte Melismen und rhythmische Elemente des „canto jondo" prägen das Klangbild des Werkes. De Fallas sublime Instrumentationstechnik ermöglicht die Imitation von Zupf- und Schlaginstrumenten, die in der eigentlichen Orchesterbesetzung ausgespart sind. — Die musikalische Erstfassung sowie die erste choreographische Konzeption vermochten nicht zu überzeugen. Dagegen fand die Zweitfassung, die 1916 in Barcelona zum ersten Mal konzertant aufgeführt wurde, wohlwollende Beachtung. Schließlich begründete die Neuinterpretation der Tänzerin Antonia Mercé (gen. Argentina, 1890-1936) in Paris (Opéra-Comique, 1928) den internationalen Erfolg des Balletts, das 1954 in Spanien sogar verfilmt wurde. G. LUDIN LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN, DIE (Ljubow k trjom apelsinam), Oper in 4 Akten (10 Bildern) und einem Prolog von Sergei Prokofjew (1891-1953), op. 33, Text vom Komp. nach Carlo Gozzi. UA (in frz. Sprache: L'Amour des trois oranges): 30.12. 1921 in Chicago; dt. EA (in dt. Sprache): 14.3.1925 in Köln; EA in der Originalsprache: 18.2.1926 in Leningrad. Prokofjew faszinierten an Gozzis Stück die dort gebotenen Möglichkeiten, mannigfaltige Elemente des Märchenhaften, der Satire und des Phantastischen im Sinne der Commedia dell'arte wechsel-
Lied seitig zu verknüpfen und ironisch gebrochen zu präsentieren: Die wunderbaren Abenteuer der Hauptfiguren bilden eine Kette tumultuarisch sich überstürzender „Ereignisse", durch die eine „dramatische Handlung" eher persifliert denn konstituiert erscheint; darüber hinaus treten im Prolog miteinander rivalisierende Zuschauergruppen auf, die gegensätzliche Forderungen eines „Publikums" erheben und demgemäß das Geschehen der inneren Spielebene sodann beständig kommentieren und sogar beeinflussen. Diesem szenischen Konzept folgt Prokofjews Vertonung in hohem Maße: die stark vom Tänzerischen geprägte Musik hebt die mimisch-gestischen — gleichsam improvisierten — Aktionen der Figuren hervor; charakteristische Orchestermotive verdeutlichen die komisch-grotesken Situationen; und die melodische Ausgestaltung der stegreifartigen Dialoge ist in einem sehr variablen rezitativischen Stil gehalten. Die distanzierend-heitere Kritik an den Konventionen des Theaters spiegelt sich nicht zuletzt auch in jenen traditionellen Szenentypen, die (z. B. bei der Darstellung der übernatürlichen Mächte) allein parodistisch aufgenommen werden. E. FISCHER LIED (von ahd. liod; mhd. liet; auch zu lat. laus = Preislied) bedeutet allgemein zunächst vom Text her ein Strophengedicht — im engeren Sinne ist vorrangig das deutsche L. gemeint —, dessen mögliche Sangbarkeit sich aus seinen Strukturmerkmalen — geringe, in den einzelnen Strophen gleiche Verszahl, gleiches Metrum (meist Vierhebigkeit) und Endreim — ableitet. Von der Musik her stehen die Zeilenmelodien, einfache Periodenbildung, eine syllabische Vertonung, ein überschaubarer Tonumfang und die tonale Geschlossenheit im Vordergrund. Das Strophen-L. gilt als Grundmodell der Gattung. „Solange die Gliederung des Textes in Strophen und Verse mindestens durchschimmert, kann die Komposition als Lied im vollen Sinn des Wortes gelten" (W. Wiora). Eine exakte Unterscheidung und Trennung der vielfältigen Ausprägung des L.es in Volks-L., Kirchen-L., Kunst-L. oder in mehr sozialhistorisch bedingte Kategorien wie Gesellschafts-L., Gemeinschafts-L. (Nationalhymne), Marsch-L., Arbeits-L., Brauchtums-L., Tanz-L., Gassenhauer, Schlager, politisches L. u. a. ist kaum zu vollziehen und stößt vor allem bei den Begriffen Volks- und Kunst-L. auf Schwierigkeiten (Volks-L.: Überlieferung meist anonymer Texte und Melodien, mündliche Verbreitung in der Gruppe; Kunst-L.: künstlerisch anspruchsvoller Solovortrag der in Notenschrift festgehaltenen Vertonung eines lyrisch-poetischen Textes; wesentliche Unterschiede in der musikalischen Struk-
tur und im Wort-Ton-Verhältnis). Versteht man das L. nicht als „Ober- oder Allgemeinbegriff", sondern als „Inbegriff verschiedener Arten" (Wiora), so fallen auch Verselbständigungen im Literarischen (Das Hohe Lied Salomonis des AT, Fr. Schillers Lied von der Glocke) wie im Musikalischen (Liedzitate ohne Text, F. Mendelssohn Bartholdys Lieder ohne Worte) darunter. Das Lied im Mittelalter. Die mittelalterlichen Wurzeln des L.es liegen in den rhythmisch gegliederten lateinischen Strophendichtungen des kirchlichen bzw. klösterlichen Lebens: den Hymnen (Hymnus), den Tropen und Sequenzen (/Tropus, řSequenz), dem ?Planctus, /Conductus und der řCantio. Formtypische und melodische Übernahmen aus der geistlichen Einstimmigkeit finden sich im Liedgut der Troubadours, Trouvères (řChanson) und im deutschen /Minnegesang. Neue Texte zu bekannten Melodien (OEKontrafakturen), dazu auch Nachbildungen und bodenständiges Repertoire verwenden u. a. Friedrich von Hausen, Walther von der Vogelweide und Neidhardt von Reuenthal. Innerhalb der reichen mittelalterlichen L.-Formen herrschen die Barform ()Bar), das Sequenzprinzip des /Lai und der Rondeltypus, d. h. Formen mit Refrain (?Rondeau, řVirelai, /Ballade) vor. Als früheste deutsche Textsammlung lateinischer und mittelhochdeutscher L.er gelten die um 1300 aufgezeichneten řCarmina burana. Die bürgerliche Nachblüte des höfischen Minnesangs im 15./16. Jh., der ?Meistersang, ist durch festgelegte Formgesetze von Text und Weisen gekennzeichnet. Das mehrstimmige Lied des 14.-16. Jahrhunderts. Das deutsche mehrstimmige L. wird erst seit dem 14. Jh. greifbar. Die Anfänge finden sich in den 2-3st. Liedsätzen des Mönchs von Salzburg und Oswalds von Wolkenstein, des „letzten Minnesängers". Die L.-Weise liegt im Tenor, begleitet von einer instrumentalen Oberstimme. Die handschriftlichen Sammlungen des 15. Jh. verzeichnen solche mehrstimmigen Bearbeitungen von Melodien, z. B. das řLochamer (Ich fahr dahin), das Schedelsche (Nü um 1460) oder das 2'Glogauer Liederbuch (Ach Elslein). Der Charakter der L.er entspricht den ständischen Bedürfnissen. Zweck der Sammlungen ist das häusliche Musizieren. Man unterscheidet (nach H. J. Moser) zwischen einfacheren Volks- und (formal kunstvolleren) Hofweisen mit größerem melodischem Umfang. Vom ursprünglichen Solo-L. mit instrumentaler Begleitung hat sich das mehrstimmige L. im 16. Jh. zum 4st. primär vokalen Tenorlied entwickelt. Die L.-Melodie liegt als Cantus firmus im Tenor, der 115
Lied Diskant wird melodisch kunstvoll ausgestaltet. Die den Tenor umgebenden Stimmen können auch instrumental ausgeführt werden. Dazu kommen Vorund Zwischenspiele. Die Satzgliederung orientiert sich an den Liedzeilen. Zu den bedeutenden Komponisten zählen H. Isaac (z. B. Innsbruck, ich muß dich lassen; als Tenor- und Diskant-L. [homophoner Satz, Melodie in der Oberstimme]), H. Finck, P. Hofhaimer, C. Othmayr. Höhe- und Endpunkt des polyphonen Cantus firmus-L. bildet das Werk L. Senfls, der noch einmal nahezu alle Satztypen seiner Zeit aufgreift, die Volksweise in freieren Formen setzt und nur die Hoftenores noch im polyphonen, meist durchimitierten Satz, der gelegentlich auch schon madrigalähnliche Züge annimmt, bearbeitet. Gedruckte Liedersammlungen des 16. Jh. existieren von E. Üglin (1512), A. von Aich (um 1512), P. Schöffer (1513), H. Ott (1534-44), Chr. Egenolff (1535) und G. Forster (1539-56). Die Verbindung mehrerer L.-Weisen zu einem Quodlibet (bekannteste Sammlung von W. Schmeltzl, 1544) ist eine im 16. Jh. bis weit ins 18. Jh. hinein beliebte Vokalform. Das Generalball-Lied des 17.-18. Jahrhunderts. Unter dem Einfluß von 7Villanella und /Madrigal wird zu Beginn des 17. Jh. das alte Cantus firmus-L. allmählich von einem frei erfundenen Chor-L. (L.Motette) im homophonen Oberstimmensatz mit strophischer Gliederung oder madrigalartiger Durchkomposition abgelöst. Hauptvertreter dieser Übergangszeit vom Tenor- zum Generalbaß-L. sind J. Regnart, O. di Lasso und H. L. HaBler. Das deutsche L. im 17. Jh. umfaßt kunstvoll gestaltete monodische wie volkstümlich polyphone Sätze, schwankt also zwischen dem generalbaßbegleiteten Solo- und dem Chorlied. Die L.-Dichtung gewinnt für die Komposition zunehmend an Bedeutung, bildet einzelne Zentren heraus (Königsberger Kreis mit S. Dach, Hamburger Schule unter J. Rist) und unterstützt durch teils volkstümliche, teils bildungsbewußte Thematik die Pflege bürgerlichen Liedgutes. Musikalisch bereichert werden die L.er durch Hinzufügung von Streichinstrumenten, durch kleine Vor-, Nach- und Zwischenspiele (Ritornelle) und durch bewußt gestaltete Text-Musik-Bezüge (Figuren, Tonmalereien). H. Albert, A. Hammerschmidt und vor allem A. Krieger sind die Repräsentanten der L.-Komposition dieses Jahrhunderts. Eine umfangreiche Sammlung süddeutschen volkstümlichen Liedgutes veröffentlichte V. Rathgeber in seinem Augsburger Tafel-Confect. Das Sololied mit Klavier im 18.Jahrhandert. Die sich bereits um die Mitte des 17. Jh. polarisierenden Richtungen einer volkstümlichen Schlichtheit und kunstvollen Gestaltung im L. streben im 18. Jh. 116
weiter auseinander. Einfache Strophen-L.er und ausdrucksbetonte, sich an die Opernarie und ihre Formen anlehnende Gebilde bereiten das klavierbegleitete Solo-L. vor, das als Typus das gesamte 18. Jh. beherrschen wird. Für das deutsche L. bedeutsam erscheint zudem die Volksliedbewegung (J. G. Herder, J. W. von Goethe), und damit eng verbunden das Studium, die Aufnahme und Nachahmung musikalischen Volksgutes. Hatte Rathgeber mit Quodlibets, Volks-L.ern und Solokompositionen das Interesse am L. gegenüber der Oper neu entfacht, so überraschte Sperontes in seiner Sammlung Singende Muse an der PleiBe (1736-45) mit Tanzsätzen, denen Texte unterlegt wurden. Von Bedeutung für das gesellige L. sind auch G. Ph. Telemanns Sing-, Spiel- und GeneralbaBübungen (1733) und V. Görners Sammlung neuer Oden und Lieder (1742). Die 2. Hälfte des 18. Jh. wird von der L.-Komposition in Berlin und in Wien bestimmt. Der Theoretiker der „Ersten Berliner Liederschule" (/Berliner Schule), Chr. G. Krause, fordert eine schlichte Melodik und die völlige Unterordnung der Klavierbegleitung (Von der musicalischen Poesie, 1752), woran sich freilich weder C. Ph. E. Bach (Geistliche Oden und Lieder, 1758) mit seinem ariosen und deklamatorischen Gesangsstil, mit vielfältigen Formen und differenziertem Klaviersatz, noch Chr. G. Neefe (Klopstocks Oden mit Melodien, 1776), noch (der nicht zu den Berlinern zählende) Chr. W. Gluck (Klopstocks Oden und Lieder, 1786) gehalten haben. Diese Werke wurden freilich an Popularität vom deutschen Singspiel-L. (J. A. Hiller) übertroffen, dessen Wirkungen auf die Opern- und Singspielproduktion bis weit ins 19. Jh. anhalten (Mozart, Weber, Lortzing). Die „Zweite Berliner Liederschule" verbindet die ausgeprägte Volkstümlichkeit ihrer Werke mit größeren musikalisch-künstlerischen Freiheiten gegenüber der meist bedeutenden dichterischen Vorlage (Lyrik von Goethe und Schiller) und greift auch auf das alte Volks-L. zurück. Gleichsam zum Programm wird der Titel einer Sammlung von J. A. P. Schulz Lieder im Volkston (1785; Der Mond ist aufgegangen). „Im Schein des Bekannten liegt das ganze Geheimnis des Volkstons", schreibt Schulz im Vorwort. Er geht von der Lyrik des Göttinger Hainbundes aus (Hölty, Voß u. a.). J. Fr. Reichardt (etwa 700 Lieder; darunter Über allen Gipfeln, Erlkönig) und C. Fr. Zelter bevorzugen Goethe-Texte. Im Gefolge dieser Berliner Meister stehen die schwäbischen Komponisten J. R. Zumsteeg - der durch seine Balladenvertonungen auch Fr. Schubert beeinflußte - und Chr. D. F. Schubart (Musikalische Rhapsodien, 1786). Als Vertreter einer 3. Berliner
Lied Liederschule steht F. Mendelssohn Bartholdy zwar im 19. Jh., seine sehr beliebten und weit verbreiteten L.er (83 Solo-L.er, 13 Duette) bleiben jedoch stilistisch wie sozialgeschichtlich im 18. Jh.; seine Lieder ohne Worte übertragen das Strophen -L. und Bewegungsformen der Liedbegleitung als Neuheit in die romantische Klaviermusik. In Wien wird ein literarisch weniger anspruchsvoller, dem Volks-, dem Singspiel-L. und der italienischen Opernmelodik verpflichteter Typus gepflegt, aus dessen Tradition das Schubert-L. hervorgeht, aber auch die — innerhalb ihres Gesamtwerkes peripheren — Kompositionen von J. Haydn (u. a. Canzonettas and Songs) und W. A. Mozart (34 L.er; u. a. Das Veilchen [Goethe]). L. van Beethovens 79 Solo-L.er mit Klavierbegleitung, darunter Adelaide (1795), 6 Gellert-L.er (1803) und der Zyklus An die ferne Geliebte (1816) stehen dagegen wegen ihres Formenreichtums und ihrer die bisherige Entwicklung zusammenfassenden Qualitäten im Zentrum seines Schaffens. Das Kunstlied seit Schubert. Die großen L.-Komponisten des 19. Jh., allen voran Fr. Schubert, lösen das L. aus dem Bereich privaten häuslichen Musizierens, erheben es zum Konzert-L. und zugleich zu einer eigenständigen Kunstgattung — das Lied gilt als Inbegriff der Romantik — neben der Symphonie, der Oper und der Kammermusik („le lied” bzw. „the lied" wird zum frz. bzw. engl. Fachterminus für das deutsche romantische L.). Singstimme und Klavier erreichen vollkommene Gleichberechtigung in der Komposition, was sich zunächst rein äußerlich in der Notation auf 3 Systeme niederschlägt (erstmals bereits bei J. E. Bach, 1749). Ausdrucks- und Stimmungsgehalt der lyrischen Textvorlage werden mit den Mitteln der Musik in Einzelzügen wie als Gesamteindruck gedeutet. Vor-, Zwischen- oder Nachspiele des Klaviers, tonpoetische und -symbolische Verdeutlichungen und Weiterführungen im Instrumentalen erreichen bisher nicht gekannte Ausmaße. Die L.er werden „rezeptionswürdig", d. h., sie regen Komponisten zu neuen, auf sie aufbauenden Werken an (z. B. Fr. Liszts Klavierparaphrasen über Schubert-L.er, Übertragungen für Kammermusikensembles). Auch das Volks-L. erhält durch zahlreiche Bearbeitungen einen neuen Wirkungsbereich. Mit dem Erlkönig und Gretchen am Spinnrad schuf Schubert bereits mit 17 Jahren formvollendete Werke, die keine weitere Entwicklung oder Steigerung mehr zuließen. Seine übe'? 660 L.er (davon 66 Goethe-Vertonungen) basieren auf 3 Formtypen: dem einfachen Strophen-L. (Heideröslein, Das Wandern), dem durchkomponierten L. (Der Wanderer, Prometheus) und dem wegen des musika-
lisch-textlichen Stimmungswechsels bevorzugten variierten Strophen-L. (Der Lindenbaum, Die Forelle). Das als Chaconne gebaute L. Der Doppelgänger weist gleichermaßen in die Vergangenheit (barockes Formprinzip) wie ins 20. Jh. (A. Schönberg, P. Hindemith). Zwei von Schubert selbst in der textlichen Auswahl konzipierte Liederzyklen nach Gedichten von W. Müller, Die schöne Millierin und Winterreise sind erhalten, während der sog. Schwanengesang von seinen Freunden zusammengestellt wurde. Eine Reihe von „Kunstliedern" Schuberts wurde zum allgemeinen Volksgut (z. B. Der Lindenbaum). Das L.-Schaffen R. Schumanns gipfelt in den 138 Werken des von ihm selbst so benannten „Liederjahres" 1840. Die Verlagerung der Vertonungen auf Details (weniger auf das Textganze) und auf eine höchst differenzierte, vielfach sich zu einem poetischen Klavierstück verselbständigende Begleitung unterscheiden ihn von Schubert. Schumann bevorzugt romantische Lyriker, was sich gerade auch in den eigenen Zusammenstellungen von Liederkreisen zeigt: Dichterliebe (H. Heine), Myrthen (verschiedene Dichter), Liederkreis (J. von Eichendorff), Frauenliebe und -leben (A. von Chamisso) u. a. Das Strophen-L. mit weit schwingender, teils schwermütiger, teils heiterer Melodik und sich unterordnender Begleitung bevorzugt J. Brahms (Vergebliches Ständchen, Feldeinsamkeit; insgesamt über 200 L.er). Damit verknüpft er auch seine Vorliebe für das Volks-L. in zahlreichen Bearbeitungen (Deutsche Volkslieder, 1858) und stilistisch nachempfundenen Neuschöpfungen (Volkskinderlieder, 1858). In Anlehnung an symphonische Strukturen übernimmt Brahms die motivische Arbeit auch in seine L.-Kompositionen, so in den Vier ernsten Gesängen (1896). Weitere Zyklen: 15 Romanzen aus L. Tiecks Magelone (1868), Daumer-Liederkreis (1871). Individualität und Stärke der L.er H. Wolfs liegen in der kleinen, auf engstem Raum zusammengedrängten Form, in kurzen sich wiederholenden, sequenzierenden oder kontrastierenden Motiven als Ausdruck von Situations- und Stimmungscharakteristik sowie im ausgeprägten tonmalerisch-koloristisch agierenden Klaviersatz. Wolfs etwa 250 Werke, vorwiegend zwischen 1888-90 entstanden, sind zu Liederfolgen nach bestimmten Dichtern zusammengefaßt (u. a. Mörike, Eichendorff, Goethe; weiterhin Spanisches u. Italienisches Liederbuch). Wolf schreibt bewußt für ein Publikum und für konzertante Darbietung. Aufgrund solcher Aufführungspraxis und zur Erweiterung des Klangspektrums werden einige L.er nachträglich instrumentiert. Besonderen Anteil an dieser Entwicklung 117
Lied haben G. Mahler und R. Strauss. Mahler verbindet im Klavier-, wie im Orchester-L. Volkstümliches mit leichter Ironisierung, dazu mit einer klanglich raffiniert eingesetzten Orchestersprache, so in den Liedern eines fahrenden Gesellen (1884), den empfindsamen Kindertotenliedern nach Fr. Rükkert (1904), den Lern aus Des Knaben Wunderhorn (1895) und den Liedern aus letzter Zeit (1903). Die mehr kammermusikalische Orchesterbehandlung gibt Mahler im Lied von der Erde (1908) zugunsten einer groß angelegten symphonischen Formung auf, die die Grenzen der Gattung L. zu sprengen scheinen (/Orchestergesang.) In seinen Symphonien sind mehrere Orchester-L.er als eigene Sätze eingebunden. R. Strauss führt das Deklamations- (z. B. Zueignung) und das Orchester-L. zu neuer Blüte und Popularität und verdichtet gleichzeitig die symphonische Thematik ( Vier letzte Lieder, 1949). Aus dem weiteren L.-Schaffen des 19. und 20. Jh. seien noch wegen ihrer individuellen Prägung erwähnt: R. Franz (350 meist romantische Stimmungs-L.er; Rückgriff auf Melodien des 15. und 16. Jh.), R. Wagner (20 L.er, u. a. 5 Wesendonck-L.er, 1858, als Vorstudien zu Tristan und Isolde), Fr. Liszt (etwa 60 deutsche L.er), P. Cornelius (über 100 L.er und Duette, darunter Weihnachtslieder, 1856), M. Reger, H. Pfitzner, O. Schoeck (über 120 L.er). Das L.-Schaffen des 20. Jh. lebt, soweit heute überblickbar, einmal von der großen Tradition des 19. Jh., zum anderen von den Einflüssen der Neuen Wiener Schule sowie von individuellen Prägungen. A. Schönbergs erste L.er (op. 1, 2, 3) stehen noch in der Nachfolge Brahms', um allmählich eigenständiges Profil zu gewinnen (op. 6) und mit dem Zyklus von St. George-Gedichten Das Buch der hängenden Gärten (1909) musikalisches Neuland zu betreten, d. h. sich von den formalen und tonalen Bindungen der bisherigen Musik zu lösen. Nach den Orchester-L.ernop. 22 (1915) erscheinen nur noch wenige L.-Kompositionen. A. Webern vertont zunächst ebenfalls St. George (5 Lieder op. 4, 1909) und zeigt später dort seine Originalität, wo sich Expressivität, eine Art Volkston und formale Geschlossenheit vereinen (Kanons op. 16, 1924; Trakl-Vertonungen op. 14, 1917-21). Von A. Berg sind die 7 frühen L.er (1908; Orchesterfassung 1928) und die Altenberg-L.er op. 4 (1912) von Bedeutung. Eine individuelle Lösung in Richtung neuer Gesanglichkeit strebte P. Hindemith mit dem Zyklus Die junge Magd nach G. Trakl für Alt und Instrumente an. In seinem Rilke-Zyklus Das Marienleben (1923; Neufassung 1948) wird die expressive Vertonung durch traditionelle Formelemente gestützt 118
(z. B. Passacaglia). Von den L.ern E. Kreneks verdient der Schubert verpflichtete Zyklus Reisetagebuch aus den österreichischen Alpen (1929) Beachtung, aus dem Schaffen W. Fortners vor allem die Hölderlin-L.er (1933) und Shakespeare-Songs (1946). H. Reutter sucht einer romantischen Grundtendenz neues kompositorisches Profil abzugewinnen (z. B. Die Weise von Liebe und Tod nach Rilke, 1947). H. Eisler und P. Dessau vertreten das politisch engagierte L. (zumeist Texte von B. Brecht). A. Reimann, dem Schaffen von A. Webern verbunden, zielt auf eine weitere Intensivierung musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten (u. a. Fünf Gedichte von Paul Celan, 1960). Komponisten wie A. Knab, C. Bresgen, K. Marx, E. Pepping sind z. T. um die Erneuerung des Klavier-L.es bemüht, doch scheint insgesamt die Gattung Kunst-L. nach 1950 im Niedergang begriffen. Die /Ballade als spezieller literarisch-musikalischer Zweig des Solo-L.es wird bereits in der 2. Berliner Liederschule gepflegt als herkömmliches Strophen-L. (J. Fr. Reichardt) wie als zukunftsweisende durchkomponierte Form (J. André). Fr. Schubert bildet im Rahmen seines L.Schaffens eine eigene Balladen-Gattung heraus (u. a. Die Bürgschaft, Der Erlkönig). Als bekanntester Komponist im 19. Jh. gilt C. Loewe mit seinen den Erzählvorgang eindringlich illustrierenden und charakterisierenden Vertonungen (u. a. Heinrich der Vogler). Von Bedeutung sind weiterhin R. Schumann (Die beiden Grenadiere), H. Brahms (Edward) und H. Wolf. Das Chor-Lied seit dem 19. Jahrhundert. Die Wiedererweckung des Chor-L.es im 19. Jh. nach seiner Blütezeit im 15. und 16. Jh. (Gesellschafts-L.) und der anschließenden Verdrängung durch das generalbaßbegleitete Solo-L. geht ebenfalls von der Berliner Liederschule aus. J. Fr. Reichardt schreibt zunächst 1 st. Chor-L.er (Frohe Lieder für deutsche Männer). Fr. Zelter institutionalisiert den Männerchorgesang 1809 durch die Gründung der /Liedertafel. Neueren Bestrebungen, das Ende des 19. Jh. abgesunkene Niveau des Männerchorgesangs („Liedertafelei") zu heben (u. a. A. Schönberg, P. Hindemith, E. Krenek) sind bis jetzt wenig Erfolg beschieden (7Männerchor). Wesentlich anspruchsvoller, dafür zahlenmäßig geringer, ist das Schaffen für gemischten Chor a cappella oder mit Instrumentalbegleitung. Für diese Besetzung schrieben u. a. F. Mendelssohn Bartholdy (z. B. O Täler weit, o Höhen [Eichendorff]), J. Brahms (z. B. Liebesliederwalzer), M. Bruch und P. Cornelius. Der Geist der Jugendbewegung wirkt ab 1920 stark auf eine Neuorganisation der Chormusik ein und bringt zugleich eine Rückbesinnung auf die L.-Ty-
Liedermacher pen vor 1600 wie Madrigal, Tenor-L. und Kanon. Bedeutende Vertreter des Chor-L.es im 20. Jh. sind P. Hindemith, H. Distler und E. Pepping. Die überragende Stellung des deutschen KunstL.es im 19. Jh. verstellte lange Zeit den Blick auf das auBerdeutsche Solo-L., wie es teils in epigonaler Anlehnung, teils in unabhängiger, oft auch national gebundener Originalität geschaffen wurde. Dabei stehen Rußland, Frankreich, England und die skandinavischen Länder an führender Position. Als Komponisten sind zu nennen: in RuBland M. Glinka und M. Mussorgski (u. a. der Zyklus Kinderstube, 1868-72); in Frankreich Ch. Gounod, G. Fauré, Cl. Debussy (Proses lyriques, 1893), H. Duparc, M. Ravel, D. Milhaud und O. Messiaen; in England R. Vaughan Williams und vor allem B. Britten; in Skandinavien N. Gade, E. Grieg und J. Sibelius; ferner die Tschechen A. Dvořák (u. a. Zigeunermelodien, 1880) und L. Janáček (Tagebuch eines Verschollenen, 1919) und die Ungarn B. Bartók und Z. Kodály. Die Musikwissenschaft hat sich im 20. Jh. intensiv um die Veröffentlichung des L.-Schaffens vom Gesellschafts-L. des 15. Jh. bis zum Solo-L. des 19. und 20. Jh. bemüht. Von den groBen L.-Meistern liegen praktische und vielfach auch neuere wissenschaftlich-kritische Gesamtausgaben vor oder sind im Entstehen. Nicht zu übersehen ist schlieBlich auch, daB in den letzten Jahrzehnten im öffentlichen Musikleben (Konzert, Rundfunk, Schallplatte) der Liedgesang starke und neue Impulse bekommen hat. Einen entscheidenden Anteil daran hatten Sängerpersönlichkeiten wie E. Schwarzkopf, A. Rothenberger, H. Hotter, D. Fischer-Dieskau, H. Prey. Ausg. (nur Sammelausg.): Alte Meister des dt. L.es, hrsg. v. H. J. MOSER (L 1914 u. ö.); Das Wiener L. v. 1778 bis Mozarts Tod, hrsg. v. M. ANSION — I. SCHLAFFENBERG (1920) (= DTO 54); Das dt. Gesellschaftslied in Ostr. v. 1480 bis 1550, hrsg. v. L. NOWAK (1930) (= DTO 72); H. OSTHOFF, Das dt. Chorl. (Kö 1955) (= Das Musikwerk 13); H. J. MOSER, Das dt. Solol. u. die Ballade (Kö 1957) (= ebd. 17); Dokumentation z. Gesch. des dt. L.es, hrsg. v. S. KROSS (Hil 1973ff.), bisher erschienen: C. Ph. E. Bach, Gelkrts Geistliche Oden u. L.er. Lit. (nur umfassende Werke): M. FRIEDLANDER, Das dt. L. im 18. Jh., 2 Bde. u. ein Bsp.-Bd. (St — B 1902, Nachdr. Hil 1962); H. KRETZSCHMAR, Gesch. des Neuen dt. L.es I (L 1911, Nachdr. Hil 1962); I. SCHLAFFENBERG, Die Wiener Liedmusik v. 1778-1800, in: StMw 5 (1918); G. MULLER, Gesch. des dt. L.es vom Zeitalter des Barock bis z. Gegenwart (Mn 1925, Nachdr. Da 1959); W. VETTER, Das frühdt. L., 2 Bde. (Mr 1928); H. ABERT, Entstehung u. Wurzeln des begleiteten dt. Solol.es (H11929); L. NOWAK, Das dt. Gesellschaftslied in Ostr. v. 1480-1550, in: StMw 17 (1930); F. GENNRICH, GrundriB einer Formenlehre des ma. L.es (Hl 1932, Nachdr. Tü 1970); H. J. MOSER, Corydon, das ist: Gesch. des mehrst. GeneralbaBl.es, Text- u. Bsp.-Bd. (Brau 1933, Nachdr. HB 1966); P. NETTL, Das Wiener L. im Zeitalter des Barock (W — L 1934); H. J. MOSER, Das dt. L. seit Mozart, 2 Bde. (Z 1937, Nachdr.
Tutzing 1966); H. OSTHOFF, Die Niederländer u. das dt. L. 1400-1640 (B 1938, Nachdr. Tutzing 1967) (= Neue dt. Forsch. 197); A. SYDOW, Das L. Ursprung, Wesen u. Wandel (Gö 1962); H. SCHWAB, Sangbarkeit, Popularität u. Kunstlied (Rb 1965); TH. G. GEORGIADES, Schubert. Musik u. Lyrik (Gö 1967); J. MÜLLER-BLATTAU — H. MOSER, Dt. L.er des MA (St 1968); W. SEIDEL, Die L.er L. Senfls (Be — Mn 1969); W. WIORA, Das dt. L. (Wb—Z 1971); W. SUPPAN, Dt. Liedleben zw. Renaissance u. Barock. Die Schichtung des dt. Liedgutes in der zweiten Hälfte des 16. Jh. (Tutzing 1973) (= Mainzer Stud. z. Musikwiss. 6); A. FEIL, F. Schubert. Die schöne Müllerin, Winterreise (St 1975); H. DANUSER, Der Orchestergesang des Fin de siècle, in: Mf 30 (1977). H. JUNG
LIEDERKRANZ 1'Liedertafel. LIEDERMACHER, erstmals von Wolf Biermann (5 1936) Anfang der 60er Jahre verwendete Bz., die in der Folge die Bz. Chansonnier ablöste. In der Personalunion von Dichter, Komponist und instrumental begleitendem (meist Gitarre) Sänger ist der L. dem mittelalterlichen Spielmann verwandt. Er unterscheidet sich — bewuBt distanzierend untertreibend — vom romantisch-bürgerlichen Liedkomponisten, der Texte anderer Dichter mit subtilen, höchst artifiziellen Mitteln vertont und sie ausgebildeten Interpreten zur Aufführung vor einem hörerfahrenen, gebildeten Publikum überläBt. „Das Individuum ist aufgelöst in Funktion" umschrieb Karl Jaspers 1932 ein Verhältnis von Mensch und Kunst, das 1929 Erich Kästner in „Gebrauchspoeten, die unmittelbar nach den Handwerkern rangieren", erkannt hatte. Aus dieser „Neuen Sachlichkeit" kam B. Brechts „Stückeschreiber" und die von dort beeinfluBte Berufsbezeichnung „songwriter" nordamerikanischer Protestsänger (Pete Seeger, Bob Dylan und Joan Baez). „Machen" als ein eher handwerklicher Vorgang verweist auf die Anfertigung schlichter Gebrauchsgegenstände. Die „L.-Werkstatt" als Ort des Machens wurde üblich, nachdem der Kanadier Perry Friedmann den amerikanischen Ausdruck Workshop beim 1. Waldeck-Festival 1964 eingeführt hatte. Entsprechend einfach, auf aktuellen Gebrauch hin und mit sozialem Engagement geschaffen sind denn auch die Lieder. Sie artikulieren sowohl politische Agitation (F. J. Degenhardt, Drei Kugeln für Rudi Dutschke) wie private Alltagsprobleme (H. Wader, Das Lied vom kleinen Mädchen). Die Grenzen zum Agitproplied, Chanson, Schlager und Kabarettlied sind im Musikalischen wie im Literarischen flieBend. Als L. bezeichnen sich u. a. neben Wolf Biermann später R. Mey, H. D. Husch und G. Kreisler. Zu den bekannteren L.n gehören daneben Walter Mossmann und Dieter Süverkrüp. Seit 1974 gibt es auch „Kinder-L." und „Mundart-L." Zwischen 1974 und 1977 haben in 14 deutschen Städten L.-Treffen stattgefunden. Seit 1973 119
Liederspiel besteht eine „Arbeitsgemeinschaft Song" als „formloser Freundeskreis von L.n, Literaten und Mitläufern". Ihre Namenskartei umfaßte 1975 an die 500 Adressen. Lit.: R.-U. KAISER, Das Songbuch (Ahrensburg 1967); Erstes Tübinger Folk- u. L.-Festival (Tü 1975); Namen u. Adressen aus der dt. Folkszene, hrsg. v. H. u. M. MEES — W. REINHEIMER (Rüsselsheim 1979) (= Folkbuch 1); TH. ROTHSCHILD, L. 23 Porträts (F 1980). E. KLUSEN
LIEDERSPIEL, Bz. für eine von J. W. von Goethe angeregte, in der Nähe des ?Singspiels stehende Theatergattung, die neben dem gesprochenen Dialog lediglich volkstümliche Lieder enthält. Das erste Stück dieser Art war J. Fr. Reichardts Lieb und Treue (UA: 1800 in Berlin), das sich in seiner lyrischen Grundhaltung vom /'Vaudeville unterscheidet. Nachahmer fand Reichardt u. a. in den — aus der /Berliner Schule hervorgegangenen — Komponisten Fr. H. Himmel (z. B. Frohsinn und Schwärmerei, 1801) und C. Eberwein (Leonore, 1832), die der Gattung in der 1. Hälfte des 19. Jh. zu groBer Beliebtheit verhalfen. L.e schrieben u. a. auch F. Mendelssohn Bartholdy (Heimkehr aus der Fremde, 1829) und A. Lortzing (Der Pole und sein Kind, 1832). — Als L. wurde gelegentlich auch ein konzertant aufgeführter Liederzyklus für mehrere Stimmen und ohne gesprochene Dialoge bezeichnet, wie R. Schumanns Spanisches Liederspiel (1849). LIEDERTAFEL, eine auf C. Fr. Zelters 1809 gegründete Berliner L. zurückgehende Bz. für vereinsmäßig organisierte Männerchöre, die im 19. Jh. in zahlreichen deutschen Städten (u.a. 1815 in Leipzig, 1823 in Hamburg, 1839 in Dresden) entstanden und die als Pflegestätten nicht nur für Geselligkeit, sondern auch für patriotisch-freiheitliche Ideen zu verstehen sind. Dem pädagogischsozialen Ideal Pestalozzis verpflichtet war der 1810 gegründete Züricher Männergesangverein H. G. Nägelis, auf den die vielen volkstümlichen — Lieder- oder Singkranz genannten — Vereinigungen im süddeutschen Raum zurückgehen. Diese Chorgemeinschaften schlossen sich im Laufe des 19. Jh. zu řSängerbünden zusammen. Mit dieser Bewegung verbindet sich auch das Entstehen zahlreicher spezieller Kompositionen für ?Männerchor (insbesondere von Fr. Silcher). Lit.: H. DIETEL, Beitr. zur Frühgesch. des Männergesanges (B 1938); P. NITSCHE, Die L. im System der Zelterschen Gründungen, in: Stud. z. Musikgesch. Berlins im frühen 19. Jh. (Rb 1980) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 56).
LIEDFORM, Bz. für die Form des kleinen Musikstücks, vor allem des Liedes und des Tanzes. Der Terminus ist seit der 1. Hälfte des 19. Jh. in Ge120
brauch (A. B. Marx). Die Formen finden sich schon in Tänzen des 16. Jh.; man unterscheidet die zweivon der dreiteiligen L.; ihre Teile werden meist im Sinne der Schemata aa bb oder aa ba ba wiederholt. In größeren Stücken, z. B. in größeren Menuetten oder Scherzi, können mehrere liedförmig angelegte Teile zu einem größeren Ganzen verbunden werden, das selbst wieder L. hat: aba aba c d c A A B Die Liedform ist die kleine Form der neuzeitlichen Musik schlechthin. Ihr entspricht ein bestimmter musikalischer Stil. Die Bewegung liedförmig angelegter Stücke ist im allgemeinen maßvoll; ihr Ausdruck ist „natürlich", vielfach lyrisch. In Klavierstücken des 19. Jh. werden ausnahmsweise auch höchst leidenschaftliche Bewegungen in L. gefaßt. Hier bringt das Mißverhältnis von Form und Ausdruck eine ästhetische Qualität sui generis hervor. Lit.: řFormenlehre.
W. SEIDEL
LIED OHNE WORTE (frz.: romance sans paroles), Bz. für eine seit den 1830er Jahren auftretende, von Deutschland ausgehende und wahrscheinlich auf F. Mendelssohn Bartholdy zurückgehende Gattung kurzer, überwiegend dreiteiliger liedhafter Klavierstücke. Als Vorläufer können neben Klavierminiaturen von J. N. Hummel oder C. M. von Weber die kantablen Klavieretüden von L. Berger und I. Moscheles gelten, aber auch die Nocturnes von J. Field sowie das Satz- und Formbild des frühen romantischen Klavierliedes, als Nachahmungen die Salonstücke von H. Herz, Fr. Hünten, Fr. Kalkbrenner. Mendelssohn schrieb 8 Hefte mit je 6 L.ern o. W. (op. 19b, 1830; op. 30, 1833; op. 38, 1837; op. 53, 1841; op. 62, 1844 [„Frau Clara Schumann gewidmet"]; op. 67, 85 und 102, 1845). In den englischen Erstdrucken von Mendelssohns Hand auch als Romances oder Melodies for Pianoforte bezeichnet, stehen seine noch nach 1900 weitverbreiteten L.er o. W. zwischen den Salonstücken kleinerer Zeitgenossen und Nachfahren und den rhythmisch-harmonisch reicheren Genrestücken R. Schumanns und anderer Komponisten bis M. Reger (noch A. Schönberg bezeichnete 1923 den 6. Satz seiner Serenade op. 24 als L.o.W.). Ausdrücklich „für die Damen" komponiert und von klavierspielenden „höheren Töchtern” der Folgezeit bevorzugt, entsprechen Mendelssohns spieltechnisch leichte bis mittelschwere, formal klassizistische und inhaltlich heitere bis scherzandoartige L.er o. W. z. T. dem anspruchsvolleren lyrischen /Charakterstück seiner Zeit (wobei die Charakterstücke op. 7 und die Kinderstücke op. 72 als Vor- bzw. Nachformen seiner
Lifar
L.er o. W. einzuordnen sind). Ein Zug zur monothematischen Verdichtung und zu eher psychologisch oder poetisch als realistisch zu verstehenden Satzbezeichnungen (Gondel-, Frühlings-, Spinnerlied, Trauermarsch) haben eine ganze Reihe der in der Moderne weithin verpönten L.er o. W. lebendig erhalten. Lit.: W. KAHL, Zu Mendelssohns L.ern o. W., in: ZfMw 3 (1920/ 21); W. GEORGII, Klaviermusik. Gesch. der Musik für Kiv. zu 2 Händen v. den Anfängen bis z. Gegenwart (B - Z 1941, 3 1956, 4 1965); D. SIEBENKAS, Zur Vorgesch. der L.er o. W. Mendelssohns, in: Mf 15 (1962); H. EPPSTEIN, Zur Entstehungsgesch. v. Mendelssohns L. ohne W. op. 62 / 3, in: Mf 26 (1973). H. LINDLAR
LIENAU, Robert, dt. Musikverlag. Er wurde 1810 von A. M. Schlesinger in Berlin gegründet und ging 1864 in den Besitz von Emil Robert L., * 28. 12. 1838 Neustadt (Holstein), t 22.7. 1920 ebd., über. 1875 wurde das Unternehmen durch den Ankauf des Wiener Verlags C. Haslinger quondam Tobias Haslinger erweitert. Das Verlagsprogramm umfaßte Werke von C. M. von Weber, L. van Beethoven, Fr. Schubert, J. Strauß und A. Bruckner. 1898 übernahmen die Söhne Robert Heinrich L., * 27.7. 1866 Neustadt, t 8.11.1949 Berlin, und Friedrich Wilhelm L., * 6.1.1875 Berlin, t 15.11.1973 Wien, die Firmenleitung und vergrößerten das Haus durch den Ankauf weiterer Verlage (Th. Rättig, R. Krentzlin, A. Köster, O. Wernthal). Nach dem Tod von Robert Heinrich L. übernahm seine Tochter Rosemarie L. das Unternehmen. 1958 trat auch sein Sohn Robert Albrecht L. in die Geschäftsleitung ein. Der Verlag konzentriert sich heute auf praktische Ausgaben älterer Musik, zeitgenössische Instrumentalwerke, Unterhaltungsmusik und Unterrichtsmusik. Lit.: M. VON HASE, 150 Jahre Musikverlag R. L. in Berlin, in: Börsenblatt für den dt. Buchhandel 16 (1960); H.-M. PLESSKE, Bibliogr. des Schrifttums zur Gesch. dt. u. östr. Musikverlage, in: Beitr. z. Gesch. des dt. Buchwesens 3, hrsg. v. K.-H. Kalhöfer H. Rötzsch (L 1968).
LIER, Bertus van, * 10.9.1906 Utrecht, t 14.2. 1972 Roden bei Groningen; ndl. Komponist und
Dirigent. L. studierte bei W. Pijper (Komposition) und H. Scherchen (Dirigieren) und war anschließend als Musikkritiker und Dirigent in- und auslän-
discher Orchester tätig. 1947-60 war er Mitarbeiter der Tageszeitung Het parool. Außerdem lehrte er seit 1938 am Konservatorium von Utrecht, seit 1945 am Konservatorium von Amsterdam und seit 1953 am Muzieklyceum in Amsterdam. 1964 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Groningen und wurde dort 1967 Dozent für Musikwissenschaft. L. bevorzugte eine kontrapunktische Schreibweise. Sein Hauptwerk ist das Oratorium Het Hooglied.
WW: 1) Kompositionen: Sonatine für 2 Klv. (1930); Petite suite (1935) für V. u. KIv.; Streichquartett (1929). - Für Orch.: 3 Symphonien (1928, 1930, 1938); Vc.-Konzert; Fag.-Konzert (1950); Sinfonia (1954); Divertimento facile (1957); Konzertante Musik für V., Ob. u. Orch. (1959); Intrada reale e sinfonia festiva (1964); Variaties en thema (1967). - Oratorium Het Hooglied für Soli, Chor u. Orch. sowie Cantate voor kerstmis (1970). - Bühnenmusik zu Sophokles' Ajax, UA: Utrecht 1932, u. Antigone, UA: Amsterdam 1952. - 2) Schriften: AufsatzSig. Buiten de maatstrup (A 1948); Rhythme en metrum (Groningen 1967); De metrische Rhythmen van de lyriek in Sofokles' ,.Antigone" in muziekschrift (A 1968). Lit.: J. WOUTERS, in: Sonorum speculum (1968) Nr. 29; en melodie 27 (1972).
W. PAAP, in: Mens
LIESS, Andreas Karl Friedrich, * 16.6.1903 Klein-Kniegnitz (Schlesien); östr. Musikforscher. Er studierte an den Universitäten in Breslau (M. Schneider) und Wien (G. Adler, R. von Ficker), wo er 1928 promovierte. Danach lehrte er am Konservatorium der Stadt Wien Musikgeschichte, in gleicher Eigenschaft seit 1964 an der Akademie (später Hochschule) für Musik und darstellende Kunst (1972 Professor). Musikalische Grundlagenforschung und Geistesgesch. sowie hist. Musikästhetik bilden die Schwerpunkte seiner Arbeit. Schriften: Die Grundelemente der Harmonik in der Musik v. C. Debussy (Diss. W 1928); C. Debussy, 2 Bde. (Str 1936) (= Sig. musikwiss. Abh. en 19); Beethoven u. Wagner im Pariser Musikleben (H 1939), 2. Aufl. als: Deutsche und französische Musik in der Geistesgeschichte ... (W 1950); Die Triosonaten v. J. J. Fux (B 1940) (= Neue dt. Forsch. 263, Abt. Musikwiss. 9); J. Marx (Gr 1943); Wiener Barockmusik (W 1946); Die Musik im Weltbild der Gegenwart (Lindau 1949); F. Schmidt (Gr 1951); J. M. Vogl (Gr Kö 1954); C. Orff (Z 1955, erweitert 2 1977, engl. NY - Lo 1966); Fuxiana (W 1958); Aktuelle Probleme der Musikgeschichtsschreibung, in: NZfM 130 (1969); Die Musik des Abendlandes im geistigen Gefälle der Epochen (W 1970); Protuberanzen. Ausgew. Vorträge u. Abh.en I: Zur Theorie der Musikgesch. (W 1970); Zum Ursprung der Orchestra, in: Symbolae historiae musicae. FS H. Federhofer (Mz 1971); Der Weg nach Innen. Ortung ästheti-
schen Denkens heute (Z 1973). Lit.: G. BERGER, Die hist. Dimension im musikphilosophischen Denken v. A. L. u. Th. W. Adorno, in: IRASM 2 (1971).
LIFAR, Serge, * 2.4. 1905 Kiew, t 15. 12. 1986 Lausanne; frz. Tänzer u. Choreograph russ. Herkunft. Nach Studien u. a. bei Bronislawa Nischinska u. E. Cecchetti wurde L. von S. Diaghilew für die Ballets Russes in Paris engagiert. Zum Premier danseur der Compagnie avanciert, tanzte er die Hauptrollen in den von ihm selbst choreographierten Balletten sowie in den Inszenierungen von Br. Nischinska (Le train bleu, 1924). L. Massine (Le beau Danube, 1924) und G. Balanchine (Apollon Musagète, 1928). Nachdem sich die Ballets Russes 1930 aufgelöst hatten, war L. mit kurzen Unterbrechungen bis 1958 für die Pariser Opéra und für das 1942 von ihm gegründete Nouveau Ballet de Monte Carlo tätig. Später betreute er zahlreiche ausländische Compagnien, die seine er121
Ligatur folgreichsten Inszenierungen einstudierten. Wiederholt als Erneuerer des Balletts der Pariser Opéra und Gründer zweier Institute (Institut Chorégraphique, 1947; Université de la Danse, 1957) gewürdigt, wurde L., der auch durch seine Schriften zum Ballett Anerkennung fand, 1970 korrespondierendes Mitglied der Académie des Beaux-Arts. WW: 1) Choreovaphiea (in Paris aufgeführt): L. van Beethoven, Die Geschöpfe des Prometheus, UA: 1929; I. Strawinsky, Renard, UA: 1929; A. Roussel, Bacchus et Ariane, UA: 1931; D. Milhaud, Salade, UA: 1935; C. Debussy, L'apres-midi d'un faune, UA: 1935; V. Rieti, David triomphant, UA: 1936; M. Ravel, Boléro, UA: 1941; W. Egk, Joan von Zarissa, UA: 1942; M. de Falla, EI amor brujo, UA: 1943; H. Sauguet, Les mirages, UA: 1946; M. Ravel, Daphnis et Chloe, UA: 1948; S. Prokofjew, Romeo und Julia, UA: 1955; E. Satie, Parade, UA: 1965; A. Chatschaturjan, Le grand cirque, UA: 1969; J.-Ph. Rameau, J.-B. Lully, Fête chez le Roi Soleil, UA: 1969. — 2) Sehräten: Le manifeste du chorégraphe (P 1935); La danse (P 1938, NA 1965); S. Diaghilew (P 1940, engl., frz. Monaco 1954); Traité de danse académique (P 1949, revidiert 1954); Histoire du ballet russe depuis les origines jusqu'à nos jours (P 1950); Traité de chorégraphie (P 1952, '1954); Autobiographie Ma vie (P 1965, engl. Lo 1970); Histoire du ballet (P 1966). Lit.: A. LEVINSON, S. L. (P 1934, NA 1954); A. E. SCHAIKÉVITCH, S. L. et le ballet contemporain (P 1950); R. HOFMANN, S. L. et son ballet (P 1953); J. LAURENT — J. SAZONOVA, S. L. renovateur du ballet français (P 1960); H. KOEGLER, Ballett international. Versuch einer Bestandsaufnahme (B 1960); H. SCHMID-GARRE, Ballett. Vom Sonnenkönig bis Balanchine (Hannover 1966); G. LEES, S. L. u. das neoklassische Ballett (Diss. W 1969); Hommage à S. L., in: Les saisons de la danse 3 (1970) (mit Werk-Verz.); Dessins de P. Picasso. S. L. et la danse, in: RM (1971) Nr. 280/81; A. E. SCHAIKĚVITCH, S. L. et le destin du ballet de l'Opera, in: RM (1971) Nr. 278/79. G. LUDIN
LIGATUR (von lat. ligatura = Verbindung). — 1) Bz. für ein Notationszeichen der Modal- und Mensuralnotation (2'Notenschrift), das 2 oder mehr Noten graphisch zusammenfaßt und dem in der Regel nur eine einzige Textsilbe zugeordnet ist. Der Terminus L. in dieser Bedeutung ist seit dem 13. Jh. bezeugt, z. B. in der Discantus positio vulgaris. Als Synonyme des mittelalterlichen Terminus ligatura finden sich neben figura ligata und figura composita die Termini coniunctura, coniuncta, figura coniuncta, iunctura u. a. bei Anonymus IV, Lambertus, Anonymus St. Emmeram und Franco von Köln. L.en mit 2 Noten heißen dort ligaturae binariae, mit 3 Noten ligaturae ternariae usw. Neben der L. gab es als weitere Notationszeichen die Einzelnoten (figurae simplices), die OEPlica und die Coniunctura, die in der heutigen Bedeutung als Einzelnote und eine Folge von 2 und mehreren rautenförmigen Noten verstanden wird (9,. ). Die ältesten L.en sind aus den ?Neumen Pes (a), Flexa (N), Scandicus (;), Climacus (f), Torculus (a), Porrectus (4) u. a. übernommen worden. Schon in den Anfängen der Modalnotation scheint es die Regel gewesen zu sein, daB die jeweilige SchluBnote einer L. den 122
längsten rhythmischen Wert zugewiesen bekam. Eine 2tönige L. hatte demnach die rhythmische Abfolge kurz — lang, also Brevis — Longa: 2 oder
P
=
=
JJ
JJ. Der rhythmische Wert 3- und mehr
als 3töniger L.en ist in der Modalnotation mehrdeutig und daher heute oft nicht mehr exakt feststellbar. Dieses Problem der Mehrdeutigkeit wurde bereits im Mittelalter, und zwar noch im 13 Jh., erkannt und kritisiert. Die Diskussion darüber führte zu einer Reform der Notation, deren Ergebnis die Mensuralnotation ist. Ihre Erfordernisse formulierte Franco von Köln gegen 1280 in seiner berühmt gewordenen Forderung: „Figurae significare debent modos et non e converso." In der Mensuralnotation wurde nun die Aufzeichnung des modalen Rhythmus (řModus) mit Hilfe der bereits vorhandenen Notationszeichen genau reglementiert. Während in der Modalnotation die Notierung syllabischer Partien keinerlei Rhythmus andeuten konnte, da nur die L.en, nicht aber die Einzelzeichen rhythmisch hinreichend festgelegt waren, umfassen die Regeln der Mensuralnotation die rhythmische Notierung von sowohl Einzelzeichen als auch L.en.: das L.en-System rechnet seitdem mit den festen rhythmischen Werten Longa, Brevis und Semibrevis. Es bleibt in seiner Grundkonzeption bis ins 16. Jh. hinein gültig. Die Grundform aller Len war die „ligatura cum proprietate et cum perfectione". Ihre rhythmischen Werte waren in 2töniger L. Brevis — Longa, in 3töniger L. Brevis — Brevis — Longa; notiert wurde die absteigende L.: ti und ISOE, die aufsteigende L.:: und i. Der rhythmische Wert aller L.en konnte am Anfang (řProprietas) und am Ende (9'Perfectio) abgeändert werden. Diese abgeänderten Formen waren am Anfang entweder „sine proprietate" oder „cum opposita proprietate" (d. h., daB die ersten beiden Noten immer Semibrevis — Semibrevis sind) und am Ende „sine perfectione". Die Änderung der Formen geschah durch Weglassen oder Hinzufügen eines Striches (Cauda, tractus) und durch schräge (ligatura obliqua) statt rechtwinkliger (ligatura recta) Notierung. In mehrtönigen L.en erhielten alle mittleren Töne immer den Wert von Breven. Den rhythmischen Wert aller auf- und absteigenden 2- und 3tönigen L.en zeigt die Tabelle auf der gegenüberliegenden Seite (S = Semibrevis; L = Longa; B = Brevis). Eine aufgelöste L. wird in der Übertragung in die heutige Notenschrift meist durch eine eckige Klammer angezeigt: z. B. : = JJ JJ. Seit dem Ende des 15. Jh. gab es nur noch wenige Gelegenheiten, L.en zu schreiben, da die Notationszeichen 7Minima und
Ligeti cum proprietate sine cum perfectione
sine proprietate cum sine perfectione
:BL rB B; L L e ; BBL
OF
BBB
LB
r: LBL re LBB
cum opposita proprietate
VSS wOE SSL
6OE SSB BB
.LL ♦ L B
Ìbi. BBL % BBB
\ LBL % LBB
M1 B L
16
L
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IS. SSL 61
j SSB
řSemiminima die am häufigsten gebrauchten Notationssymbole waren. Einige Formen, vor allem die „ligatura cum opposita proprietate", die den Wert von 2 Semibreven anzeigt, blieben noch längere Zeit, insbesondere in kirchenmusikalischen Werken, im Gebrauch, bis sie im Lauf des 16./17. Jh. allmählich verschwanden. — 2) L. bedeutet seit dem 16. Jh. die Bindung (it.: legatura; frz.: liaison) von Einzelnoten durch einen "'Bogen, im besonderen die auf einen guten Taktteil herübergebundene Note (řSynkope). Lit.: W. NIEMANN, Ober die abweichende Bedeutung der L.en in der Mensuraltheorie der Zeit vor J. de Garlandia. Ein Beitr. z. Gesch. der altfrz. Tonschule des 12. Jh. (L 1902, Nachdr. 1970) (= BIMG I/6); J. WOLF, Gesch. der Mensuralnotation v. 1250 bis 1460 (L 1904, Nachdr. Hil-Wie 1965); DERS., Hdb. der Notationskunde (L1913, Nachdr. Hil -Wie 1963); H. RIETSCH, Ein Gedächtnisbehelf für die Ligaturenlesung, in: ZfMw 8 (1925/ 26); W. WAITE, The Rhythm of 12th Century Polyphony (New Haven 1954); C. PARRISH, The Notation of Medieval Music (NY 1957); C. DAHLHAUS, Zur Gesch. der Synkope, in: Mf 12 (1959); M. SCHULER, Punctum, suspirium u. Bindebogen, in: Mf 15 (1962); W. APEL, Die Notation der polyphonen Musik 900-1600 (L 21970); J. A. BANK, Tactus, Tempo and Notation in Mensural Music from the 13th to the 17th Century (A 1972); Franco de Colonia. Ars cantus mensurabilis, hrsg. v. G. REANEY - A. GILLES (R 1974) (= CSM 18). B. R. SUCHLA
LIGENDZA, Catarina, * 18.10.1937 Stockholm; schwedische Sängerin (Sopran). Sie studierte 1959-63 am Konservatorium in Würzburg und 1965-68 bei J. Greindl an der Musikhochschule in Saarbrücken. Nach Engagements in Wien, Braunschweig und Saarbrücken kam sie 1969 an die Deutsche Oper Berlin. Gastverträge banden sie auBerdem an die Wiener, Hamburger, Münchner und Stuttgarter Staatsoper. 1970/71 trat sie bei den Osterfestspielen in Salzburg auf, debütierte 1971 als Leonore in L. van Beethovens Fidelio an der Metropolitan Opera in New York und als Isolde in R. Wagners Tristan bei den Bayreuther Festspielen. Weitere wichtige Rollen sind die Partien der Des-
demons (G. Verdi, Othello) und Ariadne (R. Strauss, Ariadne auf Naxos). LIGETI, György, * 28.5.1923 Dicsöszentmárton (heute Tïrnáveni, Siebenbürgen); östr. Komponist ung. Herkunft. L. studierte Komposition bei S. Veress und F. Farkas an der Fr.-Liszt-Akademie in Budapest, an der er selbst 1950-56 Musiktheorie unterrichtete. 1956 verlieB er Ungarn, war bis 1959 freier Mitarbeiter am Elektronischen Studio des Westdeutschen Rundfunks in Köln, lebte danach bis 1969 vornehmlich in Wien, bis 1973 in Berlin (West) und seitdem in Hamburg, wo er als Professor für Komposition an der Musikhochschule wirkt. Als Gast lehrte er in Deutschland (Darmstädter Ferienkurse, Folkwang-Hochschule Essen), Schweden, Finnland, Spanien, in den Niederlanden und in den USA. WW: 1) Instr.-WW: Org.- u. Cemb.-Stücke; 2 Streichquartette (1954, 1968); 10 Stücke für Bläserquintett (1968); Ramifications (1969) für 12 Str. (oder Streichorch.); Kammerkonzert für 13 Instr. (1970). - Elektronische Musik, u. a. Artikulation (1958). Für Orch.: Apparition (1958/59); Atmosphères (1961); Cellokonzert (1966); Lontano (1967); Melodien (1971); Doppelkonzert für Fl. u. Ob. (1972); San Francisco Polyphony (1974); Klv.Konzert, UA: WDR 1980. - 2) Vokal- a. Bïihnen-WW: Requiem für Sopran, Mezzo-Sopran, 2 Chöre u. Orch. (1963-65) (unvollständig); Lux aeterna (1966) für Chor a cap.; Aventures (1962), Nouvelles aventures (1962-65) für Sopran, Alt, Bar. u. 7 Instr., dass. auch szenisch (1966), UA: Stuttgart 1977; Mono-Drama Rondeau, UA: ebd. 1977; Oper Le grand macabre, UA. Stockholm 1978. -3) Schriften: Wandlungen dermusikal. Form, in: Die Reihe 7 (1960); Kompositorische Tendenzen heute, in: Neue Musik (Mn 1960) H. 1; Neue Notation. Kommunikationsmittel oder Selbstzweck?, in: Notation Neuer Musik, hrsg. v. E. Thomas (Mz 1965) (= Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 9); Webern Melodik, in: Melos 33 (1966); Auswirkungen der elektronischen Musik auf mein kompositorisches Schaffen, in: Experimentelle Musik, hrsg. v. F. Winckel (B 1970) (= Schriftenreihe der Akad. der Künste 7); Texte (St 1978) (mit Werk-Verz.).
L. begann als Komponist der Bartók-Nachfolge. Seine Kompositionen seit 1957 kennen als Element nicht mehr, wie die traditionelle (bis hin zur früheren seriellen) Musik, den „Ton", sondern nur noch den „Klang", in der Regel Cluster. Inhalte der jeweiligen Komposition sind nicht die Beziehungen verschiedener Klänge zueinander, sondern Vorgänge innerhalb der sich (meist langsam) verändernden Klänge. Die Klänge selbst werden durch Ambitus, Farbe, Dichte und die Art der internen Bewegung charakterisiert. Etwa entstehende Melodien sind Konsequenzen solcher internen Vorgänge an der Oberfläche der Klänge. Dem Typus der Klangflächenkomposition (dichte Füllung der Klänge, bei kaum merklicher Veränderung), wie ihn das Orchesterstück Atmosphères (1961) rein ausprägt, steht ein anderer Typus (etwa in Aventures, 1962) zur Seite, in welchem rasche Tonfolgen in extremen Lagen, die als Melodien nicht auffaB123
Liliencron bar sind, zu einem mehr oder weniger dichten Netz verknüpft erscheinen. Die beiden Satztypen stellen Extreme dar (Ruhe - hektische Bewegung), die in größeren Werken durch vermittelnde Satztypen ergänzt werden. Im Bereich der Vokalmusik (Sprachkomposition) erscheint der Text vielfach entsemantisiert (also „unverständlich"), wenn nicht, wie in Aventures, überhaupt eine nichtsemantische Lautfolge der Komposition zugrunde liegt. Text und Musik bilden Affekte und Gesten nach. So war der Weg zum musikalischen Theater, in welchem die Gesten real versinnlicht werden können, vorgezeichnet. L.s Werke, die zu den wichtigsten unserer Zeit gehören, sind durch einen außerordentlichen Reichtum an Nuancen, durch ungewöhnliche Sensibilität ausgezeichnet. Ihre Grundstimmung ist der Décadence des Fin de siècle verwandt (und verpflichtet). Ausg.: Artikulation. Eine Hörpartitur, hrsg. v. R. WEHINGER (Mz 1970) (mit Schallplatte). Lit.: O. NORDVALL, G. L. (Mz 1971) (mit ausführlichem Werk-Verz.); E. KRAUS, Bibliogr. u. Diskographie, in: Musik u. Bildung7 (1975). —E. SALMENHAARA, Das musikal. Material u. seine Behandlung in den Werken „Apparitions", „Atmosphères" u. „Requiem" v. G. L. (He 1969) (= Acta musicologica Fennica 2); dass. (Rb 1969) (= Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 19); M. LICHTENFELD, G. L. oder Das Ende der seriellen Musik, in: Melos 39 (1972); R. STEPHAN, G. L., Konzert für Vc. u. Orch., Anm.en z. Cluster-Komposition, in: Die Musik der Sechziger Jahre, hrsg. v. R. Stephan (Mr 1972); K. KROPFINGER, L. u. die Tradition, in: Zw. Tradition u. Fortschritt, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1973); W. -A. SCHULTZ, Zwei Studien über das CelloKonzert v. L., in: ZfMth 6 (1975); O. NORDVALL, G. L. 1980, in: OMZ 35 (1980). R. STEPHAN
(B -St 1885, 21925, Nachdr. Hil 1966) und das un-
ter seinem Vorsitz edierte, äußerst breitenwirksame sog. „Kaiserliederbuch" (Volksliederbuch für Männerchor, L 1906, und für gemischten Chor, ebd. 1915, je 2 Bde.) eine Synthese von Volksliedforschung und musikalischer Praxis dar. Zu L.s 90. Geburtstag wurde eine Festschrift veröffentlicht (hrsg. v. H. Kretzschmar, L 1910). Schriften: C. E. F. Weyse und die dänische Musik seit dem vorigen Jh. (Kiel 1878); Ober den Chorgesang in der evangelischen Kirche (B 1881); Die horazischen Metren in deutschen Kompositionen des 16.1h. (L 1887); Liturgisch-musikalische Geschichte der evangelischen Gottesdienste von 1523-1700 (Schleswig 1893, Nachdr. Hil 1970); Deutsche Musikgeschichte und Musik, in: H. Paul, Grundriß der germanischen Philologie (Str 1893, '1909); Die Aufgaben des Chorgesanges im heutigen evangelischen Gottesdienst (Oppeln 1895); Chorordnung für die Sonn- und Festtage des evangelischen Kirchenjahres (Gütersloh 1900, NA Kas 1929) (mit einem Vorwort v. H. J. Moser). — Autobiopraphie Frohe Jugendtage. Lebenserinnerungen (L 1902), NA v. A. Bettelheim, in: Dt. Rundschau (1913) März—Mai-H. Lit.: J. WOLF, R. von L., in: ZIMG 12 (1911/12); A. BETTELHEIM, Leben u. Wirken des Freiherrn R. von L. (B 1917); H. J. MOSER, Das musikal. Denkmälerwesen in Deutschland (Kas 1952). W. SCHEPPING
LILJEFORS. - 1) Ruben Matthias, * 30. 9.1871 Uppsala, t 4.3. 1936 ebd.; schwedischer Komponist. Er studierte in Leipzig bei S. Jadassohn (Kontrapunkt) und M. Reger (Komposition) sowie in Dresden bei F. Draeseke (Komposition). 1902-11 war er Chordirigent in Göteborg und 1912-31 Dirigent des Landesorchesters in Gävle. WW: Sonate für V. u. Klv. (1896); Klv.-Sonate (Sto 1938). — Klv.-Konzert (1899); Symphonie (1906); 2 Ouvertüren (1908, 1920); Suite (1920); ferner Bühnenmusik.
LILIENCRON, Rochus Freiherr von, * 8.12.1820 2) Ingemar Kristian, Sohn von 1), * 13. 12. 1906 Plön (Holstein), t 5.3.1912 Koblenz; dt. Ger- Göteborg, t 14. 10. 1981 Stockholm; schwedischer manist, Volksliedforscher und Musikhistoriker. Komponist. Er erhielt seine Ausbildung (Klavier, Er studierte Theologie, Jura und german. PhiloDirigieren, Komposition und Orgel) in Stockholm logie in Berlin und Kiel, promovierte 1846 zum und München. Seit 1938 unterrichtete er an der Dr. phil. und habilitierte sich nach altnordischen Königlichen Musikschule in Stockholm (1968 ProStudien in Kopenhagen 1848 an der Universität fessor). 1947-63 war er Präsident des SchwediBonn. Später war er Professor für Germanistik in schen Komponistenverbandes. Kiel und Jena und übernahm 1855 die Intendanz WW: 1) Kompositionen: Kly.-Stücke; Kammermusik, u. a. 2 der herzoglichen Kapelle und das Bibliothekarsamt Klv.-Trios (1940, 1961), Streichquartett (1963) u. Sonatine für von Sachsen-Meiningen. Seit 1858 bearbeitete L. V. solo (1964). — Rhapsodie für Klv. u. Orch. (1936); 2 Klv.-Kondie bahnbrechende Sammlung Die historischen zerte (1940, 1949); Symphonie (1943); V.-Konzert (1957); Sin(1962); Divertimento für Streichorch. (1968). — Oper Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jh. (5 fonietta Hyrkusken (1951). — 2) Schriften: Harmonilärans grunder med Bde., L 1865-69, Nachdr. Hil 1966, 2 Bde.) und ackordanalys enligt funktionsteorien (Sto 1937); Harmonisk anaübernahm 1875 zusammen mit F. X. von Wegele lys enligt funktionsteorien (ebd. 1951); Romantisk harmonik ur das „mächtige Unternehmen" (H. Kretzschmar) pedagogisksynvinkel, in: Kungl. musikaliska akademiens ârsskrift der Allgemeinen Deutschen Biographie (56 Bde., 1967 (ebd. 1969). L 1875-1912). Seit 1900 führte er die von Ph. LIMMA 7Intervall, /Systema teleion. Spitta begonnene Edition der Denkmäler deutscher Tonkunst weiter, von der bis zu seinem Tod 42 LINCKE, Karl Emil Paul, * 7.11.1866 Berlin, Bände erschienen. Innerhalb seiner Volkslied- t 3.9.1946 Clausthal-Zellerfeld; dt. Komponist. editionen stellen die konzeptionell völlig neuartige L. erhielt seine musikalische Ausbildung seit 1880 Sammlung Deutsches Leben im Volkslied um 1530 in der Stadtmusikkapelle von Wittenberg. 1884 be124
Linda di Chamounix gann er seine Laufbahn als Berufsmusiker in Berlin, wo er zunächst mit kleinen Liedern und Couplets, später — als Kapellmeister am Apollo-Theater — mit Operetten-Einaktern, u. a. Die Spreeamazone (1896), hervortrat. 1897-99 war er an dem berühmten Varieté „Folies-Bergère" in Paris engagiert. Unmittelbar nach seiner Rückkehr schrieb er sein bekanntestes Bühnenwerk, die Operette Berliner Luft, die noch im Dezember 1899 im Apollo-Theater uraufgeführt wurde. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er mit den Revuen Donnerwetter —Tadellos (1908) und Halloh, die groBe Revue (1909). WW: Zahlr. Operetten (wenn nichts anderes angegeben, UA in Berlin), darunter: Ravachol (1893); Ein Abenteuer im Harem (1896); Venus auf Erden, UA: 1897; Eine lustige Spreewaldfahrt (1897); Im Reiche des Indra, UA: 1899; AuBer Rand und Band (1899); Frau Luna, UA: 1899; Fräulein Loreley, UA: 1900; Nakiris Hochzeit, UA: 1902; Im Riesengebirge (1902); Lysistrata, UA: 1902; Berliner Luft, UA: 1904; Bis früh um fünfe (1904); Die lustige Doppelehe (1905); Prinzeß Rosine, UA: 1905; Wenn die Bombe platzt (1906); Das blaue Bild (1906); Die verkehrte Welt (1907); Ihr Sechs-Uhr-Onkel (1906); Immer obenauf (1908); Grigri, UA: Darmstadt u. Köln 1911; Casanova, UA: Chemnitz 1913; Fräulein Kadett (1914); Der Gatte des Fräuleins (1916); Pst! Pst! (1917); Ein Liebestraum, UA: Hamburg 1940.
L. ist Begründer und wichtigster Vertreter der typischen Berliner Operette, die sich in Thematik der Sujets und in der musikalischen Grundhaltung deutlich von der eleganten Wiener Operette unterscheidet. Seine Musik zeichnet sich durch eher schlichte, einprägsame Melodien aus, die durch ihre Breitenwirkung bis heute einen überzeugenden Publikumserfolg verbuchen konnten. Große Popularität errangen vor allem die eng an das Berliner Lokalkolorit gebundenen Stücke, so der Marsch Das ist die Berliner Luft. Lit.:
P. L. Kompositions-Verz. (B 1956). - E. NICK, P. L. (H 1953); F. BORN, Berliner Luft (B 1966), W. HUSCHKE, P. L.s Vorfahren, in: Genealogie 15 (1966); O. SCHNEIDEREIT, P. L. und die Entstehung der Berliner Operette (B 1974, 3 1977). R.-M. SIMON - S. SIMON
LIND, Jenny (Johanna), * 6.10.1820 Stockholm, t 2.11.1887 Malvern Hills (Herfordshire); schwedische Sängerin (Sopran). Sie studierte Gesang in Stockholm, wo sie 1838 als Agathe in C. M. von Webers Freischütz debütierte. Nach weiterer Ausbildung in Paris bei Manuel Garcia trat sie 1844 zum ersten Mal in Berlin auf (in V. Bellinis Norma) und 1847 am Covent Garden in London (in G. Meyerbeers Robert le Diable). Dort und an anderen europäischen Bühnen feierte sie, als „schwedische Nachtigall" apostrophiert, Triumphe in den großen Belcanto-Partien. J. L.s Gesangskunst und ihre Persönlichkeit beeindruckten ihre Zeit in unvergleichlicher Weise. Sie wurde verehrt von H. Chr. Andersen, den sie dichterisch inspirierte
und der ihr u. a. in dem Märchen Der Kaiser und die Nachtigall ein literarisches Denkmal setzte. Sie war befreundet mit F. Mendelssohn Bartholdy sowie mit Robert und Clara Schumann; Fr. Grillparzer, H. Berlioz, Fr. Chopin und Fr. Liszt rühmten sie, während H. Heine ihr eher mit Ironie begegnete. Offenbar entsprach J. L.s Kunst vollendet dem romantischen Ideal eines beseelten Gesanges in Oper und Lied. Sie selbst freilich hatte, anders als die meisten Primadonnen des 19. Jh., ein distanziertes Verhältnis zur Oper und wandte sich deshalb bereits 1849 von der Bühne ab, um sich ausschließlich
dem Konzertgesang zu widmen. Spektakulär war eine Reise (1850-52) durch Amerika mit 150 Konzerten, die der Zirkusunternehmer Barnum organisierte. J. L.s Heimat war nun England, wo sie die Gunst der Queen Victoria empfing und auch wegen ihrer finanziellen Großzügigkeit und Wohltätigkeit hoch geachtet war. Ihre Grabstätte befindet sich in der Westminster Abbey, neben G. Fr. Händel. Lit.: M. PERGAMENT, J. L. (Sto 1945); K. ROOTZÉN -T. MEYER, J. L. (Sto 1945); H. KÜHNER, GroBe Sängerinnen der Klassik und Romantik (Mn 1954); J. BULMAN, J. L. (Lo 1956); A. M. DUNLOP, The Swedish Nightingale (NY 1965); The Lost Letters of J. L., hrsg. v. W. P. WARE-TH. C. LOCKARD (Lo 1966); E. P. MYERS, J. L. Songbird from Sweden (Champaign/DI. 1968); F. CAVANAH, J. L's America (Philadelphia 1969); J. M. C. GOLDSCHMIDT MAUDE, The Life of J. L. (NY 1978).
LINDA DI CHAMOUNIX, Opera semiseria in 3 Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848), Text von Gaetano Rossi. Ort u. Zeit der Handlung: Chamounix und Paris, 1760. UA: 19.5. 1842 in Wien (Kärntnerthor-Theater); EA in dt. Sprache: 10.9. 1842 in Budapest; dt. EA (in dt. Sprache): 10.12. 1842 in Hamburg. Das larmoyante Schicksal der schönen, tugendhaften Pächterstochter Linda, die in Paris wegen scheinbar verschmähter Liebe geistiger Zerrüttung anheimfällt, schließlich in ihrem Heimatdorf Chamounix aber doch ersehntes Glück findet, wird mit den typischen Handlungsklischees des bürgerlichen Rührstücks dargestellt. Ebenso konventionell wie die Handlung nimmt sich Donizettis Musik aus, die von wohlklingenden Melodien über vorhaltreiche Harmonik und Terzenschönklang bis zu schwierigsten Koloraturen in den Solonummern alles bietet, was man zum (oft kritisierten) Belcanto-Stil der italienischen Oper zählt. Gerade wegen der schlichten, auf Publikumswirksamkeit angelegten musikalischen Faktur wurde das Werk wohl ein großer Erfolg in Wien; der Zeitstil war perfekt getroffen. Der österreichische Kaiser ernannte Donizetti nach der UA spontan zum Kammerkapellmeister und Hofkompositeur — eben jene Ämter, die einst auch W. A. Mozart innehatte. J. SCHLADER 125
Lindblad
LINDBLAD, Adolf Fredrik, * 1.2.1801 Skänninge, t 23.8.1878 Löfvingsborg bei Linköping; schwedischer Komponist. L. studierte bei Johann Christian Friedrich Haeffner in Uppsala und seit 1825 bei C. Fr. Zelter in Berlin, wo er sich mit F. Mendelssohn Bartholdy befreundete. In Berlin gab er eine Sammlung schwedischer Volkslieder heraus. Während eines Aufenthalts in Paris lernte er die Klavierunterrichtsmethode von J. B. Logier kennen, die er in seiner 1827 in Stockholm gegründeten Musikschule einführte. L. ist auch bedeutend als Komponist von Liedern, die durch seine Schülerin J. Lind weltweit bekannt wurden.
größere Zahl eigener volkstümlich gewordener Choralmelodien gehört heute zum festen Bestand norwegischer Kirchenlieder. Seine umfangreiche Sammlung norwegischer Volkslieder (größtenteils in fEldre og nyere norske fjeldmelodier, 3 Bde., Oslo 1853-67, veröffentlicht) war für die meisten norwegischen Komponisten der 2. Hälfte des 19. Jh., darunter besonders für E. Grieg, eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. — 3) Trygve Henrik, Enkel von 2), * 30.11. 1896 Oslo, norwegischer Violoncellist und Musikforscher. 1930-69 war er Lehrer und Direktor des Osloer Konservatoriums; veröff. zahlr. musiktheoretische Schriften.
WW: Klv.-Stücke; 3 V.-Sonaten; 2 Streichquartette; 2 Streichquintette (Sto 1885); 2 Symphonien; 215 Lieder (Sto 1878-80); Oper Frondörerna, UA: Stockholm 1835.
Lit.: Zu 1): A. HERNES, O. A. L. (Oslo 1957). — Zu 2): 0. M. SANDVIK, L. M. L.s optegnelser i Valdres 1848 (Oslo 1941); DERS., L. M. L. og folkemelodien (ebd. 1950); 0. GAUKSTAD, L. M. L.s komposisjoner. Bibliogr., in: Norsk musikgranskning Arbok 1959-61 (ebd. 1962) u. 1962-71 (1972).
lit.: F. H. TORNBLOM, A. F. L. Som operakompositör, in: STMf 17 (1935); DERS., A. F. L. och J. Lind, in: ebd. 23 (1941); K. LINDER, Den unge A. F. L. 1801-27 (Diss. Uppsala 1973).
LINDE, Hans-Martin, * 24.5.1930 Werne (Westfalen); Schweizer Flötist und Komponist dt. Herkunft. Er studierte 1947-51 Flöte (G. Scheck), Chorleitung und Komposition (Konrad Lechner) an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg i. Br. und lehrt seit 1957 an der Musikakademie in Basel Blockflöte, Traversflöte und Ensemblespiel in der Abteilung Schola Cantorum Basiliensis, deren Vokalensemble er leitet. 1976 wurde er dort auch Leiter der Abt. Konservatorium. Konzertreisen durch Europa, Asien und die USA machten L., der auch Soloflötist der Cappella Coloniensis in Köln ist, international bekannt. WW: 1) Kompoddonen: Trio für Blockfl., Querfl. u. Cemb. (1963); Serenata a tre (1966) für Blockfl., Gitarre u. Vc.; 4 Miniaturen (1968) für mehrere Blockfl., Stabspiele u. Trommel; Consort Music (1972) für 4 Instrumentalisten. — 2) Unterrichtswerke u. Schriften: Die Kunst des Blockflötenspiels (Mz 1958, engl. NY 1967); Sopranflötenschule (Mz 1960). — Kleine Einleitung zum Verzieren alter Musik (Mz 1958); Hdb. des Blockflötenspiels (Mz 1962, NA 1972).
LINDEMAN. — 1) Ole Andreas, * 17.1.1769 Surnadal (Nordmore), t 26.2.1857 Drontheim; norwegischer Organist. Er wirkte seit 1799 als Organist in Drontheim und ist als Herausgeber des 1835 autorisierten norwegischen Choralbuches, das bis 1877 in Gebrauch war, bekannt geworden. — 2) Ludvig Mathias, Sohn von 1), * 28.11.1812 Drontheim, t 23.5.1887 Oslo; norwegischer Organist und Komponist. Er war seit 1839 Organist an der Vor Frelsers Kirke in Oslo und seit 1849 Lehrer für Kirchengesang am Theologischen Seminar. 1883 gründete er mit seinem Sohn Peter L. (1858 bis 1930) eine Organistenschule, aus der 1894 das Konservatorium hervorging. Auch er gab ein Choralbuch heraus, das 1877 dasjenige seines Vaters ablöste und bis 1926 in Gebrauch blieb. Eine 126
LINDEN, Albert Charles Gérard van der, /Vander Linden. LINDENBERG, Udo, * 17.5.1946 Gronau (Westfalen); dt. Rock-Musiker. Er studierte Musik in Münster und Duisburg und spielte danach Schlagzeug, Klavier, Gitarre und Saxophon in verschiedenen Tanzorchestern und Bands. 1973 gelang ihm in Hamburg der Durchbruch mit seinem „Panik-Orchester", auf dessen zahlreichen Tourneen er ein neues, sehr erfolgreiches Showkonzept, eine Mischung aus Rock-Musik, Hollywood-Revue, Gesellschaftskritik und Kommerz, entwickelte (u. a. Dröhnland-Symphonie, 1979, Inszenierung P. Zadek; Rock gegen Rechts, 1980). 1979 produzierte er seinen ersten Film (Panische Zeiten). Von seinen Schallplatten sind zu nennen: Ball pompös; Votan Wahnwitz; Der Detektiv — Rock Revue 2. LINDHOLM, Berit Maria, * 18.10.1934 Stockholm; schwedische Sängerin (Sopran). Sie studierte bis 1963 an der Königlich Schwedischen Opernschule in Stockholm und debütierte dort im selben Jahr als Gräfin in W. A. Mozarts Die Hochzeit des Figaro an der königlichen Oper. Erste internationale Beachtung fand sie 1965 in der Partie der Chrysothemis in R. Strauss' Elektra neben B. Nilsson in der Titelrolle. Seitdem gastiert sie vorwiegend als Wagner- und Strauss-Interpretin u. a. in Bayreuth, Wien und London. Zu ihren bevorzugten Partien gehören außerdem die Aida (G. Verdi) und Leonore (L. van Beethoven, Fidelio). LINDLAR, Heinrich, * 6.8.1912 Bergisch Gladbach; dt. Musikforscher und Musikschriftsteller. Er studierte 1932-39 Musik und Musikwissenschaft (1935 Staatsexamen, 1939 Promotion in Köln). Nach Krieg und Kriegsgefangenschaft (1940-49) wirkte er 1949-65 in Bonn und Köln als Musikkri-
Liniensystem tiker, Verlagslektor und Musikhochschuldozent. 1965 wurde er Ordinarius für Musikgeschichte an der Musikhochschule Freiburg und war 1969-76 Direktor der Rheinischen Musikschule (Konservatorium der Stadt) Köln. Seither lehrt er Neuere Musikgeschichte an der Hochschule für Musik Rheinland in Köln. WW: Scrrätec H. Pfitzners Klavierlied (Wü 1940); 1. Strawinskys sakraler Gesang (Rb 1975) (= Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 6); ausgew. Opernkritiken als: 77 Premieren (Kö 1965) (= Bd. VIII v. Kontrapunkte, s. u.); 100 Jahre Edition Peters (F 1967); 125 Jahre Rheinische Musikschule (Kö 1975); Strawinsky (Wie 1981); Strawinsky-Lexikon (Bergisch-Gladbach 1982). — Er gab heraus: Musik der Zeit, 15 H.e (Bonn 1952 bis 1960); Kontrapunkte, 8 Bde. (Rodenkirchen 1958-65); ferner die Festschriften für H. Reutter (Mz 1965) und B. Bartók (Duisburg 1981).
LINDNER, Friedrich, * um 1542 Liegnitz (Schlesien), begraben 15.9. 1597 Nürnberg; dt. Komponist. Er war zunächst Chorknabe an der Dresdner Hofkapelle, trat 1565 als Tenorist in die Hofkapelle in Ansbach ein und wurde dort 1573 Vizekapellmeister. Nach Auflösung der Kapelle erhielt er 1574 eine Kantorenstelle am Gymnasium und an St. Egidien in Nürnberg. L.s Hauptleistung sind die von ihm besorgten Sammeldrucke, die entscheidend für die Verbreitung italienischer Vokalmusik in Deutschland waren. Seine seit 1574 für St. Egidien geschriebenen Chorbücher sind wichtige Quellen für die Pflege der Werke von O. di Lasso in Süddeutschland. WW (Sammeldrucke, alle in Nürnberg erschienen): 2 Bücher
Sacrae caationes für 4-12 St (1585, 1588); 3 Bücher Gemma musicalis (Madrigale) für 4-12 St. (1588, 1589, 1590); Corollarium cantionum sacrarum für 5-12 St. (1590); Messen für 5 St. (1590); Bicinia sacra (1591); Magnificatvertonungen für 4 und 5 St. (1591). Lit.: W. BOETTICHER, O. di Lasso und seine Zeit, 2 Bde. (Kas 1958); F. KRAUTWURST, L., in: MGG VIII; DERS., Musik der 2. Hälfte des 16. u. 17. Jh., in: Nürnberg, Gesch. einer europäischen Stadt, hrsg. v. G. Pfeiffer (Mn 1971).
LINEK (Linka), Jiří Ignác, * 21.1.1725 Bakow an der Iser (Böhmen), t 30.12.1791 ebd.; böhmischer Komponist. Seit 1747 Kantor in seiner Heimatstadt, gehört L. zu den wichtigsten böhmischen Komponisten, die von der Volksmusik ihres Landes
beeinflußt wurden. Das Prager Nationalmuseum besitzt von ihm über 200 Vokal- und Instrumentalwerke (Pastorellen, Arien, Messen, Oratorien, Cembalokonzerte und Symphonien). Ausg.: Pastore& iucunda, in: Ceské vánocní pastorely / Pastorelle boemiche, hrsg. v. J. RACEK — J. BERKOVEC (Pr 1955) (_ MAB 23); Concerto F-Dur für Cemb., 2 Hörner, 2 V. u. Vc., hrsg. v. F. GOEBELS (Wilhelmshaven 1966).
LINGUALPFEIFEN, Zangenpfeifen (von lat. lingua = Zunge), Bz. für diejenigen Pfeifen der Orgel, bei denen der Ton durch die Schwingung eines
elastischen Körpers, der Zunge, erzeugt wird. Ihre wichtigsten Teile sind: der Stiefel, ein zylindrischer oder rechteckiger Körper aus Metall oder Holz, der auf der Windlade steht und in den durch eine Bohrung Wind einströmt. Im Stiefel befindet sich die Zunge, die auf einem seitlich offenen Metallröhrchen, der Kehle, aufliegt und — durch den einströmenden Wind in Bewegung versetzt — entweder auf den Rand der Kehle aufschlägt (aufschlagende L.) oder frei in deren Öffnung schwingt (durchschlagende L.). Die Zunge wird durch einen umgebogenen Draht, die Stimmkrücke, auf die Kehle gedrückt. Durch Verschieben der Stimmkrücke kann der schwingende Teil der Zunge verkürzt oder verlängert und damit die Tonhöhe verändert werden. Zunge und Kehle sitzen im Kopf, einem walzenförmigen Metallteil, der den Aufsatz (Schallbecher) trägt. Von der Länge, dem Material und der Form der Aufsätze ist im wesentlichen die Klangfarbe und Lautstärke der L. abhängig. L. mit stark verkürzten Bechern heiBen Regale und geben einen sehr obertonreichen, schnarrenden Klang. LINIENSYSTEM (engl.: staff; frz.: portée; it.: pentagramma; span.: pentagrama), die 5 im gleichen Abstand parallelen Linien (die unterste wird bei der Zählung als die 1. bezeichnet), auf denen und zwischen denen die Noten und sonstige Zeichen (Pausen, Taktstriche) stehen. Einer der Linien wird durch den Notenschlüssel eine bestimmte Tonhöhe zugewiesen. Erweitert wird das L. seit dem 16. Jh. durch sog. Hilfslinien über und unter dem L., die früher durch entsprechende Schlüsselung vermieden wurden. — Vorläufer des modernen L.s waren zunächst (10. Jh.) geritzte Linien, nach denen sich die Ordnung des Textes bzw. der dazu127
Linka
gehörigen Neumen richtete (2'Music4 enchiriadis). Spätere Quellen überliefern dann L.e, bei denen mehrere Töne zwischen 2 Linien zu stehen kommen. Erst auf Guido von Arezzo geht die Einführung eines L.s zurück, das zur genaueren Tonhöhenbestimmung jeweils nur einen Ton zwischen den Linien zuläßt. Sein L. mit Schlüsselung ist insbesondere durch die unterschiedliche Färbung bestimmter Linien gekennzeichnet: Gelb oder Grün für die C-, Rot für die F-Linie. Dieses L. setzte sich bis zum 13. Jh. fast in allen Klöstern durch (Ausnahme war St. Gallen). Neben dem für die einstimmige Choralnotation (bis heute) üblichen 4-L. hat sich in der mehrstimmigen Musik seit dem 14. Jh. das 5-L. durchgesetzt, neben dem in älterer Zeit gelegentlich Systeme von 6-8 Linien erscheinen. — /Scala decemlinealis. — Eine eigene Bedeutung hat das L. in der Lauten-2'Tabulatur. LINKA, Jiří Ignác, /Linek.
LINKE, Norbert, *5. 3. 1933 Steinau an der Oder (Schlesien); dt. Komponist, Musikpädagoge und Musikschriftsteller. Er studierte in Hamburg an der Musikhochschule Komposition (Ernst Klussmann) und Schulmusik (Fr. Jöde), an der Universität Musikwissenschaft (H. Husmann), Germanistik, Psychologie und Phonetik und promovierte 1960 zum Dr. phil. Anschließend war er bis 1972 im Schuldienst tätig, wurde 1971 Dozent an der Universität Hamburg, 1972 in Lübeck, 1975 Professor für Musikpädagogik an der Fachhochschule Darmstadt und 1976 Professor für Musikdidaktik an der Gesamthochschule Duisburg. Seit den 70er Jahren wirkt er auch als Musikkritiker. L.s Forschungen umfassen empirische Studien zur Wahrnehmungsund Urteilsfähigkeit des Musikhörers sowie zur Musiktherapie und Musikanthropologie. Als Komponist war er international erstmals 1962 in Darmstadt erfolgreich und erhielt seitdem 6 Kompositionspreise. Sein Schaffen umfaßt Instrumentalund Vokalmusik verschiedenster Besetzungen. Stilistisch ist es geprägt vom Pluralismus zwischen Tradition und Avantgarde. WW: 1) Instr.-WW: Für Org.: Rital (1969); 18 Choralversionen Organ Pops (1970/81); Choralsuite (1972); Retro (1975); Choralvariationen (1976); Sonate Fragmente (1979/81); fur Klv.: Polyrhythmika I—III (1961-68); Piccotelli (1970); Zugstücke
(1975); Konkretionen II (1963) für Streichquartett; Sonett für BaBklar. u. Klv. (1965); Bläserquintett (1967); Konkretionen IV (1967) für Blechbläsertrio; Profit tout clair (1967) für Nonett; Fresko (1970) für Harfe u. Vc.; Violencia (1971) für V.; Zeitplan (1972) für Live-Electronic-Group u. Tonband; Puzzle I (Percuzzle Puzzle) u. II (Chesage) (1973, 1975); Metamorphosen über ein tschechisches Landarbeiterlied (1975) für Klv.-Quartett; Lovika (1976) für V. u. Klv. - Für Orch.: 2 Symphonien (1960, 1964); Klv.-Konzert (1971); V.-Konzert (1973). - 2) Vokal-WW: Markuspassion (1960) für gem. Chor; Canticum I—III (1962, 1968, 128
1972); Lyrical Symphony (1968) für Orch. u. hohe St.; Steinauer Messe (1972) für gem. Chor; Diri Dana (1974) für gem. Chor, Klv. u. Orch.; Die Seligpreisungen (1979) für gem. Chor, Org. u. Blechbläser ad lib.; ferner zahlr. Lieder auf Texte v. H. Carossa, H. Heine, F. Ruckert u. G. Benn. - 3) Schritten: Musik zwischen Konsum u. Kult (Wie 1972,31976); Neue Wege in der Musik der Gegenwart (Wb 1975); Philosophie der Musikerziehung (Rb 1976); Heilung durch Musik? (Wilhelmshaven 1977); Wertproblem u. Musikerziehung (Wb 1977): R. Schumann (Wie 1978) (zus. mit G. Kneip); Einführung in die Musiksoziologie (Hagen 1979); J. Strauß Sohn (Reinbek 1981); Musik in der „Sozialen Schule" (Wilhelmshaven 1981); ferner eine Autobiogr., in: Zeitgen. schlesische Komponisten 2 (Dülmen 1980) (mit Werkverz.). Lit.: H. SIMBRIGER, Werke zeitgen. Komponisten aus den dt. Ostgebieten (Esslingen 1968 ff.); Das Komponisten-Porträt. N. L., hrsg. v. R. LOCK (Kö 1972); J. DORFMÜLLER, Avantgarde als Stilintegration. Zum Orgelschaffen N. L.s, in: MuK 47 (1977). J. DORFMÜLLER
LINLEY. — 1) Thomas (der Ältere), * 17. 1. 1733 Badminton, t 19.11. 1795 London; engl. Komponist. Er wirkte zunächst als Gesangslehrer und Musikdirektor in Bath und lieg sich 1776 in London nieder. Dort wurde er Miteigentümer und musikalischer Direktor des Drury Lane Theatre, für das er auch zahlreiche Werke schrieb. Von ihm stammt die erste Orchesterfassung der Arien aus der Beggar's Opera. Seine Töchter Elisabeth Ann, Mary und Maria waren bekannte Sängerinnen. WW: 1) Vokal-WW: Elegies für 3 St. mit Cemb.- u. Vc.-Begleitung (Lo um 1770); Twelve ballads (Lo um 1780). - 2) BöhnenWW (Opern u. Pastorale oder Pantomimen; UA in London), davon gedruckt: The royal merchant, UA. 1767; The Duenna (mit Stücken v. Th. L. dem Jüngeren), UA: 1775; Selima and Azor (mit Stücken v. A.M. Grétry), UA: 1776; The camp, UA: 1778; The gentle shepherd, UA: 1781; The carnival of Venice, UA: 1781; The triumph of mirth, UA: 1782; The Spanish rivals, UA: 1784; The strangers at home, UA: 1785; Love in the East, UA: 1788.
2) Thomas (der Jüngere), Sohn von 1), * 7.5. 1756 Bath, t 5. 8.1778 Grimsthorpe (Lincolnshire); engl. Violinist und Komponist. Er war zunächst Schüler seines Vaters, später von W. Boyce in London und P. Nardini in Italien, wo er W. A. Mozart
kennenlernte. Sein früher Tod beendete eine vielversprechende Karriere. WW (hsl. erhalten): V. -Konzerte; Anthem Let God Arise; Oratorium The Song of Moses; Bühnenmusik zu Shakespeares The Tempest; An Ode on the Witches and Fairies of Shakespeare, UA: London 1776; Oper The Cadi of Bagdad, UA: ebd. 1778.
3) William, Sohn von 1), * Febr. 1771 Bath, t 6.5. 1835 London; engl. Komponist. Hauptberuflich in der Verwaltung tätig, veröffentlichte er Songs und
Kanzonetten und gab Shakespeare's dramatic songs (Lo um 1815) heraus mit Werken u. a. von H. Purcell, W. Boyce, Th. Arne und seines Bruders. Ausg.: Zu 1) u. 2): The Duenna, hrsg. v. A. REYNOLDS (Lo 1925). - Ouvertüre zu The Duenna, hrsg. v. A. CARSE (Lo 1941); Shakespeare Ode, hrsg. v. G. BEECHEY (Lo 1970) (_ Mus. Brit. 30). Lit.: C. BLACK, The L.'s of Bath (Lo 1911, 1926, NA 1971); Ch. L. CUDWORTH, L., in: MGG VIII; G. BEECHEY, Th. L. junior (Diss. C 1965).
Lipphardt LIONCOURT, Guy de, * 1.12.1885 Caen (Calvados), t 24.12. 1961 Paris; frz. Komponist. Er studierte 1905-16 bei V. d'Indy an der Schola Cantorum. Dort war er 1914-31 Secrétaire général, wurde 1931 Kompositionslehrer als Nachfolger d' Indys und später auch Sous-directeur. 1935 gründete er mit L. de Serres die École César Franck, die er nach dessen Tod seit 1942 leitete. WW: Orgelstücke u. Kammermusik; Liederzyklen; Chöre; geistliche Vokalwerke; liturg. Dramen: Le mystère de l'Emmanuel, UA: Lüttich 1924; Le mystère de l'Alleluia; Le mystère de l'Esprit; Les dix lépreux; Märchenspiel La belle au bois dormant. — Ferner die Schrift Témoignages sur la musique et la vie au XX' siècle (P 1956).
LIPATTI, Dinu, * 19. 3.1917 Bukarest, t 2.12. 1950 Chêne -Bourg (Kanton Genf); rumänischer Pianist und Komponist. Er studierte Klavier (Florea Musisescu) und Komposition (M. Jora) am Bukarester Konservatorium, 1934-39 bei A. Cortot, P. Dukas und N. Boulanger sowie Dirigieren bei Ch. Munch an der École normale de musique in Paris. Seit 1943 lebte er in Genf, wo er 1944 eine Professur für Klavier am Konservatorium erhielt. Auf seinen Konzertreisen 1939-47 durch England und Westeuropa wurde L. besonders als Bach- und Chopin-Interpret gefeiert. WW: Für Klv.: 3 Nocturnes (1939); Phantasie (1940); Sonatine für die linke Hand allein (1941); Suite für 2 Klv. (1938); 3 Danses roumaines (1943) für 2 Klv.; Phantasie für Klv. u. Org. (1945); Sonatine für V. u. Klv. (1936) u. Phantasie für V., Klv. u. Vc. (1936); Aubade (1949) für Bläserquartett (1949); Suite Satrarii (1933) für Orch.; Concertino für Kit. u. Orch. (1937); Symphonie concertante für 2 Klv. u. Str. (1938). lit.: Hommage i D. L., hrsg. v. M. LIPATTI (G 1951); A. LIPATTI, La vie du pianiste D. L., čcrite par sa mère (P 1954); dass., als: D. L., La douleur de ma vie (G 1967); Album commčmoratif D. L. (P 1955); 1970, in memoriam D. L. (G 1970); M. MEYER, Wirklichkeit u. Legende, in: fono forum 23 (1978) (mit Diskographie). B. A. KOHL
LIPINSKI, Karol Jósef, * 30.10.1790 Radzylí bei Lublin, t 16. 12.1861 Urlow bei Zborow; poln. Violinist und Komponist. Er wurde von seinem Vater, Musiklehrer und Dirigent eines Privatorchesters, in Violine und Cello unterrichtet und bildete sich als Autodidakt weiter. 1809 wurde er Konzertmeister und war 1811-15 Kapellmeister in Lemberg. 1814-39 konzertierte er mit groBem Erfolg in Italien, Deutschland, England, Frankreich, RuBland und Polen. 1817 lernte er in Padua N. Paganini kennen und trat mit ihm gemeinsam 1818 in Piacenza auf. 1839-59 war er Konzertmeister in Dresden und zog sich dann auf sein Gut in Urlow zurück. L.s Violinspiel zeichnete sich durch vollen Ton, Kantabilität und eine hervorragende Doppelgriff- und Akkordtechnik aus. Seine Violinkompositionen sind virtuose Stücke. WW: Caprices für V.; Rondos, Polonaisen, Variationen; Phantasien; ein Streichtrio; Polonaise guerrière für Orch. ; 4 V.-Konzerte;
ferner eine Bearb. v. F. Kauers Donauweibchen als: Syrena Duiestru (1814); Lieder und Volksliedbearbeitungen. Lit.: Bibliogr. polskich czasopism muzycznych 1-4 (Krakau 1957-58) (darin Rezensionen v. L.s Konzerten); C. R. HALSKI, Paganini and L., in: ML 40 (1959); J. POWRÖZNIAK, K. L. (Krakau 1970).
LIPP, Wilma, * 26.4.1925 Wien; östr. Sängerin (Sopran). Sie studierte bei Friedel Sindel, Paola Novikova und Toti dal Monte an der Staatsakademie und am Konservatorium in Wien, wo sie 1943 als Rosina in G. Rossinis Barbier von Sevilla debütierte. 1945 erhielt sie ein festes Engagement an der Wiener Staatsoper. Ein aufsehenerregendes Rollendebüt als Königin der Nacht (W. A. Mozart, Zauberflöte) markierte den Beginn ihrer internationalen Karriere, die sie an die Opernbühnen in Salzburg, Bayreuth, London, Mailand, Paris, Brüssel und München führte. Ende der 50er Jahre wechselte sie vom Koloratursopran zum lyrischdramatischen Rollenfach (Eva in Die Meistersinger von R. Wagner; Elvira in Don Giovanni von W. A. Mozart). LIPPHARDT, Walther, * 14.10.1906 Wiescherhöfen bei Hamm (Westfalen), t 16.1.1981 Frankfurt am Main; dt. Musikforscher. Er studierte seit 1925 Musikwissenschaft an den Universitäten Heidelberg (H. J. Moser, H. Besseler) und Freiburg (W. Gurlitt) und promovierte 1931 in Heidelberg. AnschlieBend war er bis 1970 als Schulmusiker (zuletzt in Frankfurt a. M.) tätig, auBerdem seit 1946 als Dozent für Gregorianik und katholische Kirchenmusik an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main. L. trat mit zahlreichen Beiträgen besonders zur (mittelalterlichen) geistlichen Musik und zum katholischen Kirchenlied hervor. Vor allem auch seine praktischen Ausgaben und Chorliederbücher trugen seit den 20er Jahren in Deutschland viel zur Wiederbelebung der chorischen Vokalmusik des 16. Jh. bei. Schriften: Über die altdt. Marienklagen (Diss. Hei 1931); Die Weisen der lat. Osterspiele des 12. u. 13. 1h. (Kas 1948) (= Musikwiss. Arbeiten 2); Die Gesch. des mehrst. Proprium missae (Hei 1950); Unbekannte Weisen zu den Carmina Burana, in: AfMw 12 (1955); Über die Möglichkeiten einer dt. Psalmodie, in: Liturg. Jb. 13 (1963); Der karolingische Tonar v. Metz (Mr 1965) (= Liturgiewiss. Quellen u. Forsch. 43); Das Hymnar der Metzer Kathedrale um 1200, in: FS B. Stäblein (Kas 1967); Die liturg. Funktion dt. Kirchenlieder in den Klöstern niedersächsischer Zisterzienserinnen des Mittelalters, in: Zschr. für kath. Theologie 94 (1972). — Er gab heraus: Faks.-Ausg. der OEGesangbücher v. J. Leisentritt (1567), N. Beuttner (1602) u. M. Vehe (1537); einzelne Bde. der Lasso- u. der Lechner-GA; Werke v. H. Isaac, W. Byrd u. a. in Einzelausg.; ferner die Chorliederbücher: Gesellige Zeit, 2 Bde. (Kas 1933-35 u. ö.); Der Singer (Kas 1939); Ave Maria, dich lobt Musica (Fr 1949); Altenberger Liedsätze (ebd. o. J.); Marienlied (ebd. 1954). Lit.: H. HEINE, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgesch. (1971) Nr.23 (mit Bibliogr. der Arbeiten L.s nach 1959).
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Lipsius LIPSIUS, Marie (Pseudonym: La Mara), *30. 12. 1837 Leipzig, t 2.3.1927 Schmölen bei Wurzen (Sachsen); dt. Musikschriftstellerin. Sie entstammte einer bedeutenden Leipziger Gelehrtenfamilie, erhielt eine gründliche musikalische Ausbildung und widmete sich früh der Schriftstellerei. Zu vielen Musikern unterhielt sie persönliche Beziehungen. Fr. Liszt und die Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein gehörten zu ihrem Freundeskreis. Ihre fast ausschließlich der Musik gewidmeten, sachkundigen und reiches Quellenmaterial enthaltenden Schriften und Briefausgaben sind für die Forschung noch heute von Bedeutung. Schriften: Musikal. Studienköpfe (L 1868), erweitert 5 Bde. (L 1875-82); Musikal. Gedankenpolyphonie (L 1873); L. van Beethoven (L 21875); DasBühnenfestspiel in Bayreuth (L 1878); Liszt u. die Frauen (L 1911); Beethoven u. die Brunsviks (L 1920). Sie gab heraus: Briefe Liszts, 8 Bde. (L 1893-1905), engt. Obers.: Letters of F. Liszt, 2 Bde. (Lo 1894, Nachdr. NY 1968-69); Briefe hervorragender Zeitgenossen an F. Liszt, 3 Bde. (L 1895-1904); Briefwechsel zw. F. Liszt u. H. von Bülow (L 1898); Briefe v. H. Berlioz an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein (L 1903); Briefe F. Liszts an seine Mutter (L 1918).
LIRA (it., von griech. lyra), ein Streichinstrument, das im späten 15. Jh. aus der mittelalterlichen ?Fiedel hervorging. Die L. wurde in mehreren GröBen gebaut und in verschiedener Weise gestimmt. Das Korpus hatte immer Zargen, war aber in seiner äußeren Gestaltung nicht einheitlich. Es konnte sowohl die Form der mittelalterlichen Fiedel als auch die der späteren Violine haben. Als L. da braccio hatte das Instrument charakteristische Merkmale: eine herz- oder blattförmige Wirbelplatte mit vorderständigen Wirbeln, ein fast immer bundloses Griffbrett, einen flachen Steg für akkordisches Spiel und 7 Saiten, von denen 2 neben dem Griffbrett verliefen und nicht abgegriffen wurden. Lange Zeit als Bordunsaiten gedeutet, benutzte man sie vermutlich statt dessen als BaBsaiten, während 2 Saiten auf dem Griffbrett als Bordunsaiten dienten. Das scheint aus dem hervorzugehen, was 1533 G.M. Lanfranco in Scintille di Musica über Namen und Stimmung der Saiten mitteilte: d d (basso grave / basso acuto), g g 1 (bordone grave / bordone acuto), d' (tenore), a' (sottanella), e 2 (canto). Eindeutig sind hier die beiden erstgenannten Saiten neben dem Griffbrett gespannt. M. Praetorius gibt, nur für die höchste Saite abweichend, die gleiche Stimmung für die italienische L. da braccio an (d d 1, g g', d 1 , a', d2), stellt sie allerdings mit Bünden dar (Syntagma musicum II, 1619). Die L. wurde in zwei verschiedenen Typen gebaut: als L. da braccio und als L. da gamba, ein BaBinstrument, das auf den Boden gestellt oder zwischen die Knie genommen wurde. Die L. da gamba, Mitte des 16. Jh. entwickelt, wurde in Frankreich bis zur
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Mitte, in Italien bis zum Ende des 17. Jh. benutzt. Sie war der /Viola da gamba zwar ähnlich, aber gröBer als sie und hatte ein breiteres Griffbrett sowie eine Wirbelplatte mit hinterständigen Wirbeln und einen flachen Steg für mehrstimmiges Spiel. Neben den üblichen Schallöchern hatte sie oft noch ein rundes, mit einer Rosette verziertes Schalloch. Von ihren 9 bis 16 Saiten verliefen ebenfalls 2 als BaBsaiten neben dem Griffbrett. Auch dieses Instrument konnte verschiedene Stimmungen haben, wie Sc. Cerreto (Della prattica musica, 1601), Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) und M. Mersenne (Harmonie universelle IH, 1636) zeigen. Die L. da braccio wurde als Soloinstrument, als Begleitinstrument zum Gesang und in Ensembles mit anderen Instrumenten zusammen gespielt. Die L. da gamba, auch als Accordo, Arciviola da lira, Arciviolata lira, L. grande, Lirone da gamba, Lirone perfetto oder Lyra perfecta bezeichnet, spielte man als BaBinstrument in Ensembles verschiedener Zusammensetzung, oft auch anstelle eines Cembalos. Lit.: A. HAJDECIu, Die it. L. da braccio (Mostar 1892, Nachdr. A 1965); B. DISERTORI, Pratica e tecnica della 1. da braccio, in: RMI 45 (1941); E. WINTERNITZ, The L. da Braccio, in: Musical Instruments and Their Symbolism in Western Art (New Haven Lo 21979). M. BROCKER
LISINSKI, Vatroslav (eigentlich Ignaz Fuchs), * 8.7.1819 Zagreb, t 31.5. 1854 ebd.; kroatischer Komponist. Er studierte in Zagreb Jura und Philosophie und in Prag 1847-50 Komposition und Instrumentation bei Johann Friedrich Kittl. Nach Zagreb zurückgekehrt, verbrachte er die letzten Lebensjahre in großer Armut. Als Anhänger der „Illyrischen Bewegung" wurde L. Begründer einer national eigenständigen Kunstmusik in Kroatien. Er schrieb auch die erste kroatische Oper: Ljubav i zloba (Kabale und Liebe). WW: Klv.-Stücke; eine Ouvertüre für V. u. Klv.; 7 Ouvertüren und Idylle Večer (Abend) (1850) für Orch.; Lieder u. Chöre. Opern: Ljubav i zloba, UA: Zagreb 1846; Porin, UA: ebd. 1897. Ausg.: Izabrana djela, hrsg. v. L. ZUPANOVIC, 7 Bde. (Zagreb 1969).
Lit.: L. ŽUPANOVIC, V. L.,
Život,
djelo, značenije (Zagreb
1969).
LISSA, Zofia, *19. 10. 1908 Lemberg (heute Lwów), t 26.3.1980 Warschau; poln. Musikforscherin. Sie studierte in Lemberg bis 1924 Klavier und Orgel am Konservatorium, dann an der Universität Musikwissenschaft (A. Chybiríski), Philosophie und Psychologie. Nach ihrer Promotion (1930) lehrte sie bis 1941 als Professor Theorie und Musikgeschichte am Konservatorium. 1942-47 lebte sie in Moskau, habilitierte sich 1947 im Fach Musikwissenschaft an der Universität in Posen und lehrte seit 1948 an der Warschauer Universität.
Liszt 1951 wurde sie Professor, 1957 Ordinaria und Direktorin des von ihr selbst gegründeten Musikwissenschaftlichen Instituts. Außerdem wurde sie 1948 Kommissionsmitglied bei der Polnischen Akademie der Wissenschaften und 1951 dort Präsidiumsmitglied des Komitees für Theorie und Geschichte der Kunst, war 1947-54 Vizepräsidentin des Polnischen Komponistenverbandes und 1964-68 Vorsitzende der polnischen musikwissenschaftlichen
Gesellschaft. Als korrespondierendes Mitglied gehörte sie seit 1955 der Deutschen Akademie der Künste in (Ost -)Berlin an (seit 1957 auch in [West-)Berlin), ferner seit 1963 der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und seit 1972 der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Z. L., die als Nestorin der modernen polnischen Musikwissenschaft galt, war mit ihren Arbeiten maBgeblich an der Entwicklung der Methode einer marxistischen Musikwissenschaft beteiligt und förderte nachhaltig die weltweite Anerkennung polnischer Musik, insbesondere auch zeitgenössischer Komponisten (W. Lutoslawski, K. Penderecki, T. Baird und Gr. Bacewicz). Von ihr stammen außerdem wesentliche Schriften zu Musikästhetik und Filmmusik. Schriften: Zarys nauki o muzyce (Lemberg 1934, Krakau .1966); Geschichtliche Vorform der Zwölftontechnik, in: AMI 7 (1935); O istocie komizfmu muzycznego, in: Kwartalnik filozofyczny 1-2 (1938); Chopin, Materialy do uiytku swietlic (War 1949); Niektóre zagadnienia estetyki muzycznej w Swietle prac J. Stalina o marksizmie w jçzykoznawstwie (Krakau 1952), dt. Obers.: Fragen der Musikästhetik (B 1954); Podstawy estetyki muzycznej, 2 Bde. (War 1953); Probleme der Musikkultur (B 1955); Historia muzyki rosyjskiej l (Krakau 1956); Die Musikwiss. in Volkspolen, in: Mf 10 (1957); Fstetyka muzyki filmowej (Krakau 1964), dt. Übers.: Ästhetik der Filmmusik (B 1965); Szkice z estetyki muzycznej (Krakau 1965), dt. Obers.: Aufsätze zur Musikästhetik. Eine Auswahl (B 1969); Studia nad twórczosci4 F. Chopina (Krakau 1970); Neue Aufsätze z. Musikästhetik (Wilhelmshaven 1975) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 38). B. A. KOHL
LISTENIUS, Nikolaus, Magister, * Hamburg; dt. Musiktheoretiker. Er studierte 1529-31 an der Universität Wittenberg und wurde um 1535 Schulmeister in Salzwedel. Seine mit einer Fülle von musikalischen Beispielen ausgestattete und weitverbreitete Musiklehre Rudimenta Musica (Wittenberg 1533) verwendet in der erweiterten Fassung von 1537 (Musica, mit 45 Aufl. bis 1583) neben den üblichen Bezeichnungen „Musica theorica" und „Musica practica" erstmals den Begriff řMusica poetica. Ausg.: Musica, Faks.-Ausg. v. G. SCHUNEMANN nach der Auflage von 1549 (B 1927) (= Veröff. der Musikbibl. P. Hirsch 8).
L'ISTESSO TEMPO OEIstesso tempo. LIST UND LIEBE (La vera costanza), Dramma giocoso in musica von Joseph Haydn (1732-1809),
Text von Francesco Puttini in der Bearbeitung von P. Travaglia. UA: 25.4. 1779 in Esterháza; EA in dt. Sprache (übers. von F. X. Giržik als Der flatter-
hafte Liebhaber oder Der Sieg der Beständigkeit): 30.1.1786 in Preßburg. Die Überlieferung, Haydn habe dieses Werk auf Bestellung des Kaisers geschrieben, aber die für 1776 in Wien geplante Premiere sei auf Hintertreiben einer „italienischen Clique" durch eine Aufführung der gleichnamigen Oper von P. Anfossi ersetzt worden, gehört — neueren Forschungen zufolge — in den Bereich der Legende. Haydns Fassung dieser Oper um ein einfaches Mädchen, das dem Ränkespiel hochgestellter Persönlichkeiten nur der Standhaftigkeit seiner Liebe wegen zu entgehen vermag, war zu Lebzeiten des Komponisten weit verbreitet (u. a. als Laurette in frz. Sprache, EA: Paris 1791). Im 20. Jh. fand die Oper wieder verstärkt Aufnahme ins Repertoire; der heute gebräuchliche deutschsprachige Titel geht auf eine zweiaktige Bearbeitung von G. Schwalbe und W. Zimmer (EA: Schwerin 1960) zurück K. LANGROCK
LISZT, Franz (seit 1859: von), * 22.10.1811 Raiding (Burgenland; damals Ungarn, seit 1919/21 Osterreich), t 31.7.1886 Bayreuth; ung. Komponist, Dirigent und Pianist östr. Abstammung. L. war das einzige Kind des aus Edelstal gebürtigen Adam L. (1776-1827) und seiner Frau Maria Anna (1788-1866), geborene Lager, aus Krems. Der Vater, Rentmeister der Fürstlich-Esterházyschen Schäferei in Raiding, erkannte und förderte schon früh die musikalische Begabung seines Sohnes und erteilte ihm vom 6. Lebensjahr an den ersten Klavierunterricht. Nachdem ungarische Magnaten 1820 nach einem der ersten Konzerte von L. in Preßburg ein sechsjähriges Stipendium gewährt hatten, zog Adam L. 1822 mit seinem Sohn nach Wien, um ihm eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen. In Wien wurde L. Schüler von K. Czerny (Klavier) und A. Salieri (Musiktheorie). 1823 gab der Vater seine Stellung in Esterházyschen Diensten ganz auf und begab sich mit dem Sohn, der durch eine Reihe von Konzerten mittlerweile als Wunderkind bekannt geworden war, nach Paris, um ihn am Conservatoire seine Ausbildung fortsetzen zu lassen. Die Aufnahme in dieses berühmte Institut wurde L. jedoch durch dessen Direktor L. Cherubini verweigert. L. erhielt seither keinen Klavierunterricht mehr. Seine Studien in Musiktheorie setzte er privat bei F. Paër (seit 1823) und A. Reicha (seit 1826) fort. Nach Konzerten in Paris unternahm Adam L. mit dem Sohn Konzertreisen nach England (1824/25/27), durch Frankreich (1825/26) und in die Schweiz (1826/27). 131
Liszt L.s erste im Druck erschienene Komposition ist eine 1822 geschriebene Variation über einen Walzer von A. Diabelli. In den folgenden Jahren entstand eine Reihe weiterer Kompositionen, darunter die 1825 aufgeführte kleine Oper Don Sanche (einzige Oper L.$) und die 1826 gedruckte Etiidensammlung. Für sein weiteres Schaffen entscheidende Eindrücke empfing L. in den Jahren nach dem Tod seines Vaters insbesondere durch die Komponisten V. Bellini, H. Berlioz, Fr. Chopin, G. Meyerbeer, G. Rossini und Chr. Urhan, durch den Musiktheoretiker Fr.-J. Fétis, den Violinvirtuosen N. Paganini, die Dichter V. Hugo und A. de Lamartine, den Theologen und Schriftsteller F. R. de Lamennais und durch den Saint-Simonismus. 1833 lernte L. in Paris die Gräfin Marie d'Agoult (1805-76, Pseudonym als Schriftstellerin: Daniel Stern) kennen. Mit ihr zusammen lebte L. 1835-36 in Genf, wo er eine Klavierklasse am Konservatorium übernahm. Nachdem er in der Zwischenzeit öfters nach Paris zurückgekehrt war und sich in Nohant (bei George Sand) aufgehalten hatte, reiste er mit der Gräfin 1837 nach Italien. 1838 gab er in Wien eine Reihe von Wohltätigkeitskonzerten zugunsten der Opfer der Überschwemmungskatastrophe in Ungarn. Seine großen Konzertreisen, die er 1839 begann, führten ihn in den folgenden Jahren durch ganz Europa. Von Lissabon bis Petersburg, von Konstantinopel bis London wurde er als Virtuose gefeiert. Von den zahlreichen Ehrungen, die L. zuteil wurden, sind die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Königsberg (1842) und die Ernennung zum Hofkapellmeister in a. o. Diensten in Weimar (1842) zu nennen. — In den Jahren 1839-44 war L. noch wiederholt mit der Gräfin d'Agoult zusammengetroffen; 1844 erfolgte die endgültige Trennung. Aus der Verbindung waren 3 Kinder hervorgegangen: Blandine, Cosima (1837-1930, seit 1857 mit H. von Bülow verheiratet, seit 1870 mit R. Wagner) und Daniel. Auf seiner Virtuosenreise durch die Donauländer und die Ukraine begegnete L. 1847 in Kiew der kunstsinnigen Fürstin Caroline von Sayn-Wittgenstein (1819-87). Vor und nach den letzten öffentlichen Klavierkonzerten seiner Virtuosenjahre (1847) in Jelisawetgrad (heute Kirowograd) war er Gast der Fürstin auf ihrem Gut Woronince (1847). Als L. 1848 das Hofkapellmeisteramt in Weimar übernahm, folgte ihm die Fürstin mit ihrer Tochter nach. Durch die Aufführung von Werken zeitgenössischer Komponisten (u. a. H. Berlioz, Benvenuto Cellini, R. Schumann, Manfred und Genoveva sowie R. Wagner, Tannhäuser u. Lohengrin) setzte er sich planmäßig für die Musik seiner Zeit ein. Bin132
nen weniger Jahre wurde Weimar zu einem Zentrum der damaligen Avantgarde (řNeudeutsche Schule). Für den Komponisten L. bedeutete die Weimarer Schaffensphase (1848-1861) die Erfüllung von z. T. lange gehegten Plänen. In Weimar entstanden die Neufassungen der großen Klaviermusikzyklen, die Sonate h-moll, die beiden Konzerte für Klavier und Orchester, die Missa solemnis und vor allem die 12 Symphonischen Dichtungen sowie die beiden groBen Symphonien. Nach einer Intrige um die von ihm geleitete Aufführung von P. Cornelius' Barbier von Bagdad legte L. 1858 sein Kapellmeisteramt nieder. 1861 folgte L. der 1860 nach Rom gereisten Fürstin. Die geplante Trauung kam nicht zustande, und beide ließen sich, künftig getrennt lebend, in Rom nieder. 1865 empfing L. die niederen Weihen eines Klerikers. Seit 1869 verbrachte er regelmäßig einen Teil des Jahres in Weimar. Nach seiner Ernennung zum Königlich Ungarischen Hofrat (1871) lebte er abwechselnd in Rom, Weimar und Budapest. 1875 wurde er Präsident der neugegründeten Musikakademie in Budapest, die heute seinen Namen trägt. Im letzten Lebensjahrzehnt unternahm L., Einladungen zu Aufführungen seiner Werke folgend, zahlreiche Reisen. Von seiner letzten großen Reise im Frühjahr 1886, die ihn u. a. über Lüttich und Paris nach England geführt hatte, kehrte er erschöpft zurück. Krank traf er im Juli in Bayreuth ein, um auf Bitten seiner Tochter Cosima den Festspielen beizuwohnen. Dort starb er und wurde in einem kleinen Mausoleum beigesetzt. WW: 1) Instr.-WW: a) Für K1v.: Variation über einen Walzer v. Diabelli (1822); Huit variations (um 1824); Allegro di bravura (1825); Rondo di bravura (1825); Étude ... en quarante-huit exercices (1826) (nur 12 Etüden gedruckt); Harmonies poétiques et religieuses (1833); Apparitions (1834); Album d'un voyageur (1835-36); 12 Grandes études (1837); 6 Études d'exécution transcendante d'après Paganini (1838); Grand galop chromatique (1838); Heroischer Marsch im ungarischen Styl (1840); Magyar Da/lok. Ungarische National-Melodien (1840); Seconde marche hongroise (1844, endgültige Fassung 1875); Harmonies poétiques et religieuses (1845-52), darin Nr. 4: Pensée des morts (= Umarbeitung v. Harmonies 1833); Magyar Rhapsodiák. Rhapsodies hongroises (1846) (= Fortsetzung der Ung. National-Melodien 1840); Ungarische Rhapsodien (endgültige Fassung), Nr. 1-2 (1847), Nr. 3-7 (1851-53), Nr. 8-10 (1851-53), Nr. 11-15 (1851-53); Glanes de Woronince (1847-48); Trois études de concert. Caprices poétiques (1848); Années de pèlerinage, I: Suisse (1848-54) (= Umarbeitung v. Album d'un voyageur 1835-36), II: Italic (1835ff.), darunter Fantasia quasi sonata d'après une lecture du Dante, dazu Suppl. Venezia e Na poli (1840, 1859); 6 Consolations (1849); Liebesträume (s. u. Vokal-WW); 2 Balladen (um 1849/53); GroBes Konzertsolo (1849), Fassung für 2 Klv. als: Concerto pathétique (1856); Valse-impromptu (1850); 12Études d'exécution transcendante (1851) (= Umarbeitung der Grandes études 1837); 6 Grandes études de Paganini (1851) (= Umarbeitung der Études 1838); 2 Polonaises (1851); Soirée de Vienne, Valses caprices d'après Schubert (1852); Ab irato (1852); Sonate h-moll (1853); Berceuse (1854), 2. Fassung (1863);
Liszt Mephisto-Walzer (1859-60) (= Klv.-Fassung der 2. Episode aus Lenaus Faust); Variationen über das Motiv von Bach (B. c. des 1. Satzes seiner Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" u. des „Crucifixus" der h-moll Messe) (1862); 2 Konzertetüden, 1: Waldesrauschen (1862), 2: Gnomenreigen (1863); 2 Légendes, 1: St. François d'Assise. „La prédication aux oiseaux" u. 2: St. François de Paule marchant sur les flots (1863); Rhapsodie espagnole (1863); Années de pèlerinage III (1867-77), 7 Stücke, darunter Les jeux d'eaux è la Villa d'Este (1877); Impromptu (1872); 2 Élégies (1874, 1877); Weihnachtsbaum. Arbre de Noël (12 Stücke) (1874-76); Sarabande und Chaconne aus dem Singspiel „Almira" v. Händel (1879); Zweiter Mephisto-Walzer (1881) (= Klv.-Fassung nach dem Orch.-Werk); Trübe Wolken (1881); Trois Valses oubliées (1881-83); Ungarische Rhapsodie Nr. 16 (1882); Csárdás macabre (1882); Die Trauer-Gondel Nr. 1 u. 2 (1882/85); R. W. -Venezia (1883); Dritter Mephisto-Walzer (1883); Mephisto-Polka (1883); Deux Csárdás, 1: Csárdás obstinée, 2: Allegro (1884); Historische ungarische Bildnisse (1884 bis 1886); Ungarische Rhapsodie Nr. 17, 18 u. 19 (1885); Vierter Mephisto-Walzer (1885); Valse oubliée Nr. 4 (1885); Preludio funèbre (1885); Trauer-Vorspiel und Trauer-Marsch (1885); Bagatelle sans tonalité (1885); Unstern (Sinistre) (um 1885/86). b) Bearbeitungen für Klv.: Bearb. v. Instrumentalkompositionen, u. a.: H. Berlioz, Symphonie fantastique (1833); L. van Beethoven, Symphonien Nrn. 1-9 (1837-65). - Transkriptionen v. Liedern, u. a.: 14 Lieder v. L. van Beethoven, 9 v. F. Mendelssohn Bartholdy, 57 v. F. Schubert, 12 v. R. Schumann u. 20 v. L. selbst, darunter: Buch der Lieder (1840) u. Liebesträume (1850). - Ferner zahlt. Phantasien, Paraphrasen, Illustrationen u. Reminiszenzen, u. a.: Réminiscences de „Norma" (1841) (V. Bellini); Réminiscences de „Don Juan" (1841) (W. A. Mozart); Bénédiction et serment, deux motifs de „Benvenuto Cellini" (1852) (H. Berlioz); „Emani." Paraphrase de concert (1849, revidiert 1859) (G. Verdi); Valse de l'opéra „Faust" (1861) (Ch. Gounod). e) Fur Org.: Fantasie u. Fuge uber den Choral „Ad nos, ad saluta rem undam" (G. Meyerbeer) (1850); Praeludium u. Fuge über den Namen BACH (1855), 2. Fassung (1870); Évocation à la Chapelle Sixtine (1862); Missa pro organo (1879); Requiem (1883); Introitus (1884). -d) Kammermusik: Für V. u. Klv.: Duo (Sonate) (um 1831-35); Grand Duo concertant stir la romance de M. Lalont „Le Marin"(um 1835, revidiert 1849); Epithalam zu E. Reményis Vermählungsfeier (1872); Romance oubliée (1880) für V. (Va. oder Vc.) u. Klv.; La lugubre gondola (1882/83) für V. oder Vc. u. Klv. - e) Für Orch.: Symphonische Dichtungen: Ce qu'on entend sur la montagne, 3 Fassungen (1848-49, 1850, 1854-57) (nach V. Hugo); Les préludes, 2 Fassungen (1848, 1854) (nach A. de Lamartine); Héroide funèbre, 2 Fassungen (1848-50, 1854); Tasso. Lamento e trionfo, 4 Fassungen (1849-54) (nach Goethe u. Lord Byron); Prometheus, 2 Fassungen (1850, 1855); Mazeppa (1851, 1854) (nach V. Hugo); Orpheus (1853-54); Festklänge (1853); Hungaria (1854); Hunnenschlacht (1855, 1857) (nach einem Gemälde v. W. von Kaulbach); Die Ideale (1857) (nach F. Schiller); Hamlet (1858); Von der Wiege bis zum Grabe (1881-82) (nach einer Zeichnung v. M. Zichy). - FaustSymphonie in drei Charakterbildern (1854/57); Symphonie zu Dantec Divina Commedia (1855-56); Zwei Episoden aus Lenaus Faust (1860); Trois odes funèbres, 1: Les morts (1860) (nach Lamennais), 2: La notte (1864) (nach Michelangelo), 3: Le triomphe funèbre du Tasse (1866); Rákóczi-Marsch (1865) (=Orch.Fassung der Ung. Rhapsodie Nr.15). - Für Klv. u. Orch.: 2 Konzerte, 1: Es-Dur (Skizzen um 1830, 1849, 1856), 2: A-Dur (1839, 1849-61); Malédiction (Skizzen um 1830, 1840); Totentanz. Paraphrase über „Dies irae" (1849, 1853, 1859); Fantasie über ungarische Volksmelodien (1852). - 2) Vokal-WW: a) Geistliche Chorwerke: Missa quattuor vocum, 2 Fassungen (1848, 1869) für 4st. Männerchor u. Org.; Missa sokmns (1855) (zur Einweihung der Basilika in Gran); Der 13. Psalm (1855) für Tenor, Chor u. Orch.; Oratorium Die Legende von der heiligen Elisabeth
(1857-62); Der 127. Psalm (1859); Te Deum (1859); Der 23. Psalm (1859, 1862); Der 18. Psalm (1860); Cantico del sol di San Francesco d'Assisi, 2 Fassungen (1862-1881); Oratorium Christus (1862-67); Missa chorals (1865); Ungarische Krönungsmesse (1866-67); Requiem (1868); Die heilige Cäcilie. Legende (1874); Die Glocken des Straßburger Münsters (1874); Sankt Christoph. Legende (1875); Via crucis (1878-79). b) Weltliche Vokal-WW: Für Chor: Les quatre éléments (1844);
Festkantate zur Enthüllung des Beethoven -Denkmals in Bonn (1845); Ungaria-Kantate (1848); An die Künstler (1853) (Text: F. Schiller); Zur Säkularfeier Beethovens (1869-70); Gaudeamus igitur (1870). - Für Singst. u. Klv.: 64 dt. Lieder, darunter Drei Lieder (1850) (Titel der Bearb. für Klv.: Liebesträume); 11 frz., 5 it., 3 ung. u. 1 engl. Lied; ferner 6 Melodramen. - 3) Biih.enWW: Don Sanche ou Le Château d'amour (Libr.: E. G. M. ThéauIon u. Rancé), UA: Paris 1825. - 4) Schriften: De la situation des artistes, et de leur condition dans la société (1835); Lettres d'un
bachelier čs-musique (1837-41); De la Fondation-Goethe à Weimar (1851); F. Chopin (1851); R. Wagners Lohengrin und Tannhäuser (1851, 1852); R. Schumann (1855); Berlioz und seine Haroldsymphonie (1855); Des bohémiens et de kur musique en Hongrie (1859, 21881).
L. zählt zu den bedeutendsten europäischen Musikerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Gerade-
zu legendären Ruhm erwarb er sich als Pianist. Entscheidend für seine Entwicklung vom brillanten Klavierspieler zum virtuosen Pianisten war seine Begegnung mit dem Geiger N. Paganini 1831 und 1832 in Paris, die ihn zur Erarbeitung einer der Violintechnik Paganinis vergleichbaren Spieltechnik auf dem Klavier anregte. L.s Klaviersatz geht in seinen spieltechnischen Anforderungen weit über den seiner Zeitgenossen hinaus. Als Lehrer prägte L. mehrere Generationen Pianisten (A. Göllerich zählt 184 Schülerinnen und 225 Schüler auf). Als Komponist hat L. ein nach Art und Umfang bemerkenswertes Gesamtwerk hinterlassen. Einen hohen Anteil an seinem (Euvre haben die zahlreichen Bearbeitungen, darunter vor allem die Opernphantasien und -paraphrasen sowie die Schubertund Beethoventranskriptionen, die wesentlich seinen Ruhm der Virtuosenjahre (bis 1847) begründeten. Eine zentrale Bedeutung kommt im Gesamtschaffen L.s der Programmusik zu. Ausgehend von der These, Musik sei eine Sprache, war für L. das musikalische Kunstwerk als Gestaltung einer poetischen Idee „Dichtung in Tönen". Als „Dichtungen in Tönen" in diesem Sinne sind seine Klaviermusikzyklen Album d'un voyageur, Années de pèlerinage, Harmonies poétiques et religieuses, Weihnachtsbaum und Historische ungarische Bildnisse ebenso zu verstehen wie seine beiden Légendes. Zu seinen bekanntesten Klavierkompositionen zählen die Ungarischen Rhapsodien, mit denen er ein den Homerischen Epen vergleichbares ungarisches Nationalepos in Tönen schaffen wollte (bei den von ihm hier verarbeiteten Melodien handelt es sich jedoch nicht, wie L. glaubte, um ungarische Volksmusik, 133
Liszt
sondern um volkstümliche Kunstmusik, vor allem Verbunkos und Csárdás). In seinen Symphonischen Dichtungen sowie in der Faust- und in der Dante -Symphonie hat L. seine Idee der Programmmusik auf dem Gebiet der Symphonik verwirklicht. Charakteristisch für L.s Konzeption der Programmusik ist der in Abgrenzung zur Trivialmusik und zu klassizistischem Epigonentum durch die Verbindung mit Werken der Weltliteratur (Faust, Divina commedia, Harmonies poétiques et religieuses, Ce qu'on entend sur la montagne usw.), Gemälden (Die Hunnenschlacht, Sposalizio usw.) oder Skulpturen (La notte, Il pensieroso usw.) erhobene ästhetische Anspruch, literarische und bildnerische Werke gleichsam in Musik aufgehen zu lassen. Seine Programmkompositionen sind keineswegs als Illustrationen zu diesen Werken oder den als Text beigefügten Programmen, sondern als selbständige Dichtungen in Tönen über die großen Themen der Weltliteratur und der bildenden Künste aufzufassen. Die Titel, Vorworte und Zitate sollen den Hörer vorbereitend auf den Inhalt der Musik hinweisen und Fehlinterpretationen verhindern. Bei den Symphonischen Dichtungen handelt es sich um einsätzige Werke, bei denen das mehrsätzige Formschema der Symphonie bewußt modifiziert (nicht selten Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit) bzw. aufgegeben wurde. Die innere Verknüpfung der verschiedenen Teile dieser einsätzigen Kompositionen wird durch das Verfahren der „Motivtransformation" (A. Heuß) hergestellt: die entgegengesetzten und scheinbar heterogenen Themen und Motive werden aus denselben melodischen und rhythmischen Grundstrukturen abgeleitet. Einen weiteren Schwerpunkt im Schaffen L.s bilden die geistlichen Werke. Bereits in Weimar hatte er die Männerchormesse und die Missa solemnis zur Einweihung der Basilika in Gran sowie große Teile seines Oratoriums Legende von der hl. Elisabeth geschrieben. In seiner römischen Schaffensphase (1862-1869) beendete er die Arbeit an der Legende von der hl. Elisabeth und schrieb sein zweites Oratorium Christus sowie die Missa choralis, die Ungarische Krönungsmesse und das Requiem. Während die Legende von der hl. Elisabeth stilistisch die zeitliche Nähe zu den Symphonischen Dichtungen erkennen läßt, verwirklichte L. in der Missa choralis seine u. a. von den Zielsetzungen G. Spontinis, C. Proskes, J. G. Mettenleiters und J. L. d'Ortigues beeinflußten kirchenmusikalischen Reformideen und schufen in diesem Werk auf der Grundlage des Gregorianischen Gesangs eine Stilsynthese, die Elemente des strengen Palestrinastils mit den differenzierten musikalischen Ausdrucksmitteln seiner Zeit vereinigt. 134
Die Werke der letzten Schaffensphase (1869 bis 1886), besonders aber die Kompositionen von etwa 1880 bis 1886, wurden in der älteren L.-Forschung allgemein wegen der Kargheit des Stils als Indiz für die nachlassende Schaffenskraft L.s gewertet. In der neueren L. -Forschung wird demgegenüber zum einen der Zusammenhang zwischen der in der
Sujetwahl erkennbaren Einengung auf bestimmte Themenkreise (Trübe Wolken, Von der Wiege bis zum Grabe, La lugubre gondola, R. W.-Venezia, Preludio funèbre, Unstern) und der asketischen Schlichtheit des Stils betont und zum andern die im Spätwerk L.s erkennbare Vorausnahme von Tendenzen der Neuen Musik des 20. Jh. hervorgehoben. Aufgrund seines Anteils an den verschiedenen künstlerischen, politischen, philosophischen und religiösen Strömungen seiner Zeit und aufgrund seiner Stellung zwischen den Nationen kommt L. in der Musikgeschichte des 19. Jh. eine wichtige Mittlerrolle zu. Auf dem Gebiet der Programmusik wurden seine Ideen von Fr. Smetana, A. Borodin, C. Saint-Saëns, R. Strauss u. a. aufgegriffen. Seine Neuerungen in bezug auf Harmonik und Melodik, die bis zur Polytonalität und Quartenharmonik reichen, waren revolutionär und haben wesentlich die Tonsprache des 20. Jh. vorbereitet. In seinem Gesamtwerk finden sich Ideen und Techniken, die einerseits auf Cl. Debussy, anderseits aber auch auf A. Schönberg und die Wiener Schule sowie vor allem auf den István Thomán-Schüler B. Bartók hinweisen. Ausg.: 1) Kospositionen: GA der musikal. Werke, hrsg. v. der F. L.-Stiftung durch F. BUSONI — P. RAABE u.a., 34 Bde. (L 1907-36) (unvollständig), Nachdr. hrsg. v. H. SEARLE, 34 Bde. in 33 (Farnborough 1966); dazu Ergänzungen: L. Society Publications, bisher 5 Bde. erschienen (Lo 1950-68); NA Sämtlicher Werke, hrsg. v. Z. GARDONYI — I. SZELÉNYI u. a.. 10 Serien geplant (Kas—Bas—Tours—Lo—Budapest 1970ff.), bis 1981 10 Bde. erschienen; Osszes orgonamiive (Sämtliche Orgelwerke), hrsg. v. S. MARGITTAY, 4 Bde. (Budapest 1970ff.); Die Legende von der heiligen Elisabeth, hrsg. v. K. HAMBURGER — O. NAGY (ebd. 1975) (= Musicotheca class. 1). — 2) Schriften: Gesammelte Schriften v. F. L., dt. Obers. v. LA MARA (d. i. M. Lipsius) — L. RAMANN, 6 Bde. (L 1880-83, Nachdr. Hil 1978); F. Chopin, NA hrsg. v. J.-G. PROD'HOMME (P 1941), mit Vorwort v. A. Cortot u. Einleitung v. J. -G. Prod'homme (P 1957, 1959), dt. Obers. v. H. Kühner (Bas 1948); Pages romantiques, hrsg. v. J. CHANTAVOINE (P 1912). — 3) Briefwechsel: Briefwechsel zw. Wagner u. L , 3 Bde. (L 1887), vervollständigt v. E. KLoss (L 3 1910, 4 1919); F. L.s Briefe, hrsg. v. LA MARA, 8 Bde. (L 1893-1905); Briefe hervorragender Zeitgenossen an F. L., hrsg. v. DERB., 3 Bde. (L 1895-1904); Correspondance de L. et de la Comtesse d'Agoult, hrsg. v. D. OLLIVIER, 2 Bde. (1933-1934), Bd. 1 dt. (B 1933); The Letters of F. L. to Marie zu Sayn-Wittgenstein, hrsg. v. H. E. HUGO (C/M 1953); F. L. Briefe aus ung. Slgen. 1835-1886, hrsg. v. M. PRAHAcs (Budapest — Kas 1966). Lit.: 1) Werkverzeichnisse a. Dokomente: F. L., Thematisches Ven. der Werke ... (L 1855), neue vervollständigte Ausg. (L
Litanei 1877, Nachdr. Lo 1965); Werkverz. v. F. RAABE, in: P. Raabe, F. L. H (St 1931), ergänzte 2. Aufl. (Tutzing 1968); Werkverz. v. H. SEARLE, in: The Music of L. (Lo 1954, revidiert NY 2 1968); vgl. dazu: F. SCHNAPP, Verschollene Kompositionen F. L.s, in: Von dt. Tonkunst. FS P. Raabe (L 1942); B. HANSEN, Variationen u. Varianten in den musikal. Werken F. L.s (Diss. H 1959); W. JERGER, Die Hss. F. L.s aus dem NachlaB v. A. Göllerich in Linz, in: Mf 29 (1976). - 2) Bibliographien a. Sammelpublikationen: L. KOCH, L. Ferenc Bibliográfiai kisérlet (F. L. Ein bibliogr. Versuch) (Budapest 1936); CH. SUTTONI, F. L.'s Published Correspondence. An Annotated Bibliogr., in: FAM 26 (1979). Ber. über die Zweite Int. Musikwiss. Konferenz L. - Bartók Budapest 1961, hrsg. v. Z. GARDONYI - B. SZABOLCSI (Budapest 1963) (= Studia musicologica 5); F. L. The Man and His Music, hrsg. v. A. WALKER (Lo 1970, Nachdr. 1976); L.-Stud. I. Kgr.Ber. Eisenstadt 1975, hrsg. v. W. SUPPAN (Gr 1977); F. L. Beitr. v. ung. Autoren, hrsg. v. K. HAMBURGER (Budapest 1978); F. L., hrsg. v. H.-K. METZGER - R. RIEHN (Mn 1980) ( _ Musik-Konzepte 12); L.-Stud. II. Kgr.-Ber. Eisenstadt 1978, hrsg. v. S. GUT (Mn - Salzburg 1981). - 3) Biographien a. amtassende Darstellu qea: L. RAMANN, F. L. als Künstler u. Mensch, 3 Bde. (L 1880-94); A. GOLLERICH, F. L. (B 1908); J. KAPP, F. L. (B - L 1909, 2°1924); P. RAABE, F. L., 2 Bde. (St 1931, Tutzing 2 1968); E. NEWMAN, The Man L. (Lo 1934, Nachdr. 1969, 1970); S. SITWELL, F. L. (Lo 1934, 21955, dt. Z 1958); P. REHBERG, F. L. (Z 1961); K. HAMBURGER, L. Ferenc (Budapest 1966, dt: ebd. 1973); E. HARASZTI, F. L. (P 1967); E. HELM, F. L. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1972); B. W. WESSLING, F. L., ein virtuoses Leben (Mn -Z 1973); E. HELM, F. L. Ein Opfer seiner Biographen?, in: FS L. Strecker (Mz 1973); E. PERÉNYI, L. (Lo 1974); W. JERGER, F. L.s Klavierunterricht v. 1884-1886, dargestellt an den Tagebuchaufzeichnungen v. A. Göllerich (Rb 1975) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 39); E. K. HORVATH, F. L., I: Kindheit (Eisenstadt 1978). - 4) Z. einzelne. Werkens. Werkgruppen: a) Zu musikal. Werken: A. HEUSS, Erläuterungen zu L.s Symphonien u. Symphonischen Dichtungen (L 1912); P. RAABE, Die Entstehungsgesch. der ersten Orchesterwerke F. L.s (L 1916); J. HEINRICHS, Uber den Sinn der L.schen Programmusik (Kempen 1929); E. MAJOR, Die Ungarischen Rhapsodien F. L.s (Budapest 1929); J. BERGFELD, Die formale Struktur der „Symphonischen Dichtungen" F. L.s (Eisenach 1931); Z. GARDONYI, Die ung. Stileigentümlichkeiten in den musikal. Werken F. L.s (B - L 1931); R. KOKAI, F. L. in seinen frühen Klavierwerken (L 1933, Nachdr. Budapest - Kas 1968); H. SEARLE, The Music of L. (Lo 1954, revidiert NY 21966); D. PRESSER, Die Opernbearb. des 19. Jh., in: AfMw 12 (1955); C. DAHLHAUS, F. L. u. die Vorgesch. der Neuen Musik, in: NZfM 122 (1961); B. SZABOLCSI, F. L. an seinem Lebensabend (Budapest 1959); P. SCHWARZ, Stud. z. Orgelmusik F. L.s (Mn 1973) (= Berliner Musikwiss. Arbeiten 3); C. DAHLHAUS, Thesen über Programmusik, in: Beitr. z. musikal. Hermeneutik (Rb 1975) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 43); N. MILLER, Musik als Sprache. Zur Vorgesch. v. L.s Symphonischen Dichtungen, in: ebd.; S. GUT, F. L. Les 614ments du langage musical (P 1975); C. DAHLHAUS, L.s „Bergsymphonie" u. die Idee der Symphonischen Dichtung, in: Jb. des Staatlichen Inst. für Musikforsch. PreuBischer Kulturbesitz 1975 (B 1976); N. MILLER, Élévation bei V. Hugo u. F. L., in: ebd.; E. G. HEINEMANN, F. L.s Auseinandersetzung mit der geistlichen Musik (Mn - Salzburg 1978) (= Musikwiss. Schriften 12); K. W. NIEMOLLER, Zur religiösen Tonsprache im Instrumentalschaffen v. F. L., in: Religiöse Musik in nicht-liturg. Werken v. Beethoven bis Reger, hrsg. v. W. Wiora (Rb 1978) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 51); D. TORKEWITZ, Harmonisches Denken im Frühwerk F. L.s (Mn- Salzburg 1978) (= Freiburger Schriften z. Musikwiss. 10). - b) Zu Schriften: E. HARASZTI, Die Autorschaft an F. L.s literarischen Werken, in: Ung. Jb. 21 (1940); DERS., F. L. Author Despite Himself, in: MQ 33 (1947);
L. GUICHARD, L. et la littérature française, in: RMie 56 (1970); D. ALTENBURG, Vom poetisch Schönen. F. Ls Auseinandersetzung mit der Musikästhetik E. Hanslicks, in: Ars Musics. Musica Scientia. FS H. Häschen (Kö 1980). - S) Ikonographie: D. BARTHA, F. L. Sein Leben in Bildern (L 1936); H. WEILGUNY- W. HANDRICK, F. L. Biographie in Bildern (L 1961); Z. LASzLO - B. MATÉKA, F. L. Sein Leben in Bildern (Kas 1967). D. ALTENBURG
LITAIZE, Gaston Gilbert, * 11. 8.1909 Ménilsur-Belvitte (Vosges); frz. Organist und Komponist. Er trat mit 16 Jahren in die Institution Nationale des Jeunes Aveugles in Paris ein und wurde mit 18 Jahren Orgelschüler von M. Dupré am Pariser Conservatoire. 1938 erhielt er den 2. Grand Prix de Rome. Anschließend wirkte er als Organist an mehreren Kirchen und seit 1946 an St-FrançoisXavier in Paris. 1938-69 unterrichtete er an der Institution des Jeunes Aveugles zunächst Klavier, dann Harmonielehre und Musikpädagogik, schlieBlich seit 1959 Orgel, Improvisation und Komposition. 1944-75 leitete er beim französischen Rundfunk die Gottesdienstübertragungen und war für Sendungen mit Orgelmusik und geistlicher Musik verantwortlich. Zahlreiche Orgelkonzerte führten ihn durch ganz Europa, in die USA und nach Kanada; damit und durch vielbeachtete Schallplatteneinspielungen machte er sich einem breiten Publikum als hervorragender Interpret frz. Musik und der Orgelwerke J. S. Bachs bekannt. WW (wenn nichts anderes angegeben, in Paris erschienen): Für Org.: l2 Pièces, 2 Bde. (1939); Noël basque (1949); 24 Préludes liturgiques, 3 H.e (1952-54); Fugue sur „Dapaoem" (1953); Passacaille sur le nom de Victor Gonzalez (1956); Grand -Messe pour tous les temps (1957); Messe Basse pour tous les temps (1959); Messe de la Toussaint (1964); Prélude et danse fuguée (1964); Cortège für 3 Trp., 3 Pos. u. Org. (1951). -Geistliche Vokal-WW: Kantate Fra Angelico für Soli, Chor u. Orch. (1936); Kantate L'anneau du roi für 3 SingSt u. Orch. (1938); Missa solemnior für 4st. gem. Chor u. Org. (1954); Missa Virgo gloriosa für 3 gem. St. u. Org. (Toledo/Ohio 1958); Messe solennelle en français für 4 gem. St., Gemeinde u. Org. (1966); Magnificat en français für gem. St. u. Org. (1966).
L.s kompositorisches Schaffen ist der vor allem von Dupré verkörperten Tradition französischer Orgelmusik verpflichtet; farbenreiche Harmonik, Sinn für ausgeprägte Rhythmen und Verwendung gregorianischer Modi bilden die Grundlage für die Entwicklung von melodischen Elementen zu architektonisch ausgewogenen, spannungsvollen Formgebilden. Viele Organisten der Gegenwart verdanken L. als Lehrer wie auch der Ausstrahlung seines Spiels voll ausdrucksreicher Agogik wesentliche Impulse für die Entwicklung ihrer eigenen künstlerischen Persönlichkeit. H. MUSCH LITANEI (von griech. litaneia = Flehgebet; lat.: litania, letania, litaniae), ein Bittgebet in Form von
Anrufungen, das offenbar seit frühesten Zeiten 135
Líteres Carrión musikalisch vorgetragen und in der Spätantike von der Ost- in die Westkirche übernommen worden ist. Ein Vorbeter bzw. -sänger trägt mehrere Anliegen oder Anrufungen hintereinander vor, die jedesmal durch die Gemeinde mit einem gleichbleibenden Ruf, z. B. Amen, Kyrie eleison, Ora pro nobis, beantwortet werden. In der katholischen Kirche ist seit Papst Clemens VIII. (1601) die Approbation von L.en für den öffentlichen Gebrauch ausschließliches Recht des Papstes. Dieser gestattete lediglich die Allerheiligen- und die Lauretanische L., so genannt nach dem Wallfahrtsort Loreto, wo sie seit 1531 zu Ehren Marias bezeugt ist. Neue Appro-
24. 12. 1734 wurde er zusammen mit J. de Nebra mit der Reorganisation der Kapelle und der Zusammenstellung eines neuen musikalischen Repertoires beauftragt. L. gehört zu den wichtigsten Komponisten der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Spanien. Neben kirchenmusikalischen Werken schrieb er zahlreiche Zarzuelas und eine Oper, Los elementos, nach italienischem Vorbild. L.s Sohn Antonio L. y Montalvo (t 2.12.1768), mit dem er häufig verwechselt wurde, war Organist der königlichen Kapelle. Lit.: N. ÁLVAREZ SOLAR -QUINTES, A. L. C. y sus hijos, in: Anuario Mus. 5 (1950).
bationen erfolgten erst für die L. vom Namen Jesu (1886), die Herz-Jesu -L. (1899), die L. vom hl. Joseph (1909) und die L. vom Kostbaren Blut (1960). Diese L.en haben ihren liturgischen Platz in den Prozessionen an den Vortagen von Ostern und Pfingsten sowie an den 3 Bittagen. Im Gotteslob sind heute 8 L.en verzeichnet. Auch die lutherische, reformatorische und anglikanische Kirche
kennen die Litanei. Seit dem 15./16. Jh. wurde die zunächst nur einst. im Gregorianischen Gesang vorgetragene L. auch mehrst. vertont. Die traditionelle Formel des Chorals blieb in der Regel unversehrt, indem sie als Cantus firmus in den mehrst. Satz übernommen wurde. Am häufigsten wurde die Lauretanische L. vertont. G. P. da Palestrina, O. di Lasso, G. F. Anerio, G. Aichinger u. a. haben eine verschieden gegliederte, motettische L. geschaffen. Dieser Typ wurde in Sammelwerken wie dem Thesaurus Litaniarum des G. Victorinus (Mn 1596) verbreitet. Die venezianischen und neapolitanischen Komponisten des 17. und 18. Jh. haben eine vielgliedrige kantatenhafte L. geschaffen, wie sie ähnlich noch bei W. A. Mozart erscheint (KV 109, 125, 195, 243). Noch im 19. Jh. wurde die mehrst. L. von Komponisten des řCäcilianismus gepflegt. — Vereinzelt gibt es auch Instrumentalstücke mit dem Titel L. wie die Litanies op. 79 für Orgel von J. Alain. Lit.: P. WAGNER, Einführung in die Gregor. Melodien III (L 1921, Nachdr. Hil — Wie 1962); K. G. FELLERER, Mozarts L.en, in: Ber. über die musikwiss. Tagung der int. Stiftung Mozarteum in Salzburg 1931 (L 1932); J. ROTH, Die mehrstimmigen lat. Litaneikompositionen des 16. Jh. (Rb 1959) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 14); B. STÄBLEIN, L.! in: MGG VIII; H. u. R. FEDERHOFER, Eighteenth Century Iitaniae lauretanae from the Repertory of the Viennese province of the Franciscan Order, in: FS K. Geiringer (Lo 1970). B. R. SUCHLA
LITERES CARRION, Antonio, * 1675 Artá (Mallorca), t 18.1.1747 Madrid; span. Komponist. Er war seit 1688 Schüler des Sängerkollegs der königlichen Kapelle in Madrid und wurde dort 1693 als Baßgeiger eingestellt. Nach dem Brand vom 136
LITHOPHONE (von griech. lithos = Stein) sind Idiophone, deren klingendes Material aus Steinplatten besteht. Dazu zählen Geräusch- oder Rhythmusinstrumente wie Steinklappern oder Steinrasseln, aber auch melodiefähige Lithophone. Die Wahl, Größe und Bearbeitung der Steine ermöglichen die genaue Einstimmung bestimmter Tonhöhen. Die L. bestehen entweder aus einem einzelnen, als Gong benutzten Stein oder aus einer Reihe von gestimmten Steinplatten unterschiedlicher Größe, deren Anordnung je nach Herkunft verschieden ist. So dienen liegende Steinplatten in Afrika (u. a. Togo, Nigeria) als Steinspiel, das der Spieler mit kleinen Steinen in beiden Händen schlägt. Zur Verstärkung der Resonanz können die Platten über ein Loch in der Erde, auf den Oberschenkeln des Spielers oder horizontal auf ein Gestell gelegt werden. Die Steinplatten der chinesischen L. haben eine stumpfwinklige Form und werden senkrecht in einem Rahmen aufgehängt (/K'ing). Die meisten L. werden mit Klöppeln angeschlagen. Das Alter der L. läßt sich nicht bestimmen; für China liegen erste Berichte und ein gefundener Klangstein aus der Schang-Dynastie (um 1400 v. Chr.) vor. In Vietnam wurden 3 prähistorische L. gefunden, bedeutend ein 1949 entdecktes; es besteht aus 11 abgeschliffenen, 5-11 kg schweren Steinplatten. Die einzelnen Steinplatten ergeben eine pentatonische Skala mit unterschiedlich großen Intervallen. Trotz dieser wohl ältesten Funde scheinen L. in Asien mehr mit der chinesischen Musik verbunden zu sein (ŘK'ing), denn offenbar von China aus verbreiteten sie sich in Asien von Turkestan bis nach Korea, Vietnam und Japan. Andere Entwicklungen lassen sich nachweisen für Äthiopien und Schwarzafrika. Archäologische Funde beweisen, daß L. auch bei den Indianern Südamerikas (Venezuela) bekannt waren ebenso wie in Europa (auf den Inseln Chios und Sardinien). In jüngerer Zeit wurden L. erst wieder durch C. Orff einge-
Liturgie führt, der ein Lithophon von 6 liegenden Steinplatten in Antigonae und Trionfo di Afrodite einsetzte. Lit.: A. HUTH, Die Musikinstr. Ost-Turkistans bis zum 11.A. nach Christus (Diss. B1928); H. SIMBRIGER, Klangsteine, Steinspiele u. ihre Nachbildungen in Metall, in: Anthropos 32 (1937); A. SCHAEFFNER, Une importante découverte archéologique, le I. de Ndut Lieng Krak (Viětnam), in: RMie 33 (1951); P. R. KIRBY, A Communication on the „Lithotone" Discovered in Indo-China, in: South African Journal of Science 49 (1952); H. HUSMANN, Das neuentdeckte Steinzeitl., in: Mf 5 (1952); G. CONDOMINAS, Le 1. préhistorique de Ndut Lieng Krak, in: Bulletin de l'École Française d'Extrěme-Orient 45 (Hanoi 1952); F. A. KUTTNER, Nochmals die Steinzeit-L. von Annam, in: Mf 6 (1953); B. FAGG, The Discovery of Multiple Rock-Gongs in Nigeria, in: African Music 1/3 (1956); R. MAUNY, Nouvelles pierres sonores d'Afrique occidentale, in: Notes africaines 79 (1958); A. KING, A Report on the Use of Stone Clappers for the Accompaniment of Sacred Songs, in: African Music II!4 (1961); TRÁN VAN KHÉ, Viřt-Nam (Buchet—Chastel 1967) (= Les traditions musicales 3); J. BLADES, Percussion Instruments and Their History (Lo 1974). M. BROCKER
LITOLFF'S VERLAG (Henry Litolff's Verlag); dt. Musikverlag. Er ging aus dem 1828 in Braunschweig gegründeten Musikalienverlag G. M. Meyer hervor, der nach Heirat (1851) der Witwe Meyers, Julie (geb. Zimmer), mit dem französischen Pianisten und Komponisten Henry Charles Litolff (1818-91) seit 1856 als „Henry Litolff's Verlag" firmiert. Nach der Scheidung Litolffs von Julie (1860) und seiner Rückkehr nach Paris übernahm sein aus der Ehe Julies mit dem Firmengründer G. M. Meyer stammender Adoptivsohn Theodor Litolff (1839-1912) den Verlag. Th. Litolff begründete 1864 Litolff's Bibliothek dassischer Compositionen, eine notentextlich revidierte Klassikerreihe in gleichformatigen preiswerten Bänden, die weltweite Verbreitung fand (Collection Litolff). Unter Mitarbeit seines Schwagers Adolf Bente (1840-1913) wurde der Verlag um Unterrichtswerke wie die vor dem 1. Weltkrieg millionenfach verbreitete Klavierschule von Louis Köhler erweitert. 1912 übernahm Th. Litolffs Sohn Richard Litolff (1876-1937) das Haus, unter dessen Leitung sich der Verlagskatalog um Hausmusikreihen (Scholasticum), Werke zeitgenössischer Komponisten (P. Graener) und musikwissenschaftliche Publikationen (Beethoven-Jahrbücher) vermehrte. 1940, 3 Jahre nach Richard Litolffs Tod, erwarb der Musikverlag C. F. /Peters in Leipzig das Verlagshaus, dessen Geschäfts- und Fabrikräume 1944 bei Bombenangriffen zwar vernichtet, dessen Rechte jedoch mit Übersiedlung des Musikverlags C. F. Peters nach Frankfurt am Main (1950) weiterhin bei diesem liegen und dessen Katalog seither vor allem um zeitgenössische Musik (H. Genzmer, K. Höller u. a.) erweitert wurde. Lit.: T. M. BLAIR, H. Ch. L. (1968) (= Diss. Univ. of Iowa); R. HAGEMANN, H. L. (Herne 1978, 2 1981). H. LINDLAR
LITTLE JOHNNY JONES, amerik. Musical in 2 Akten von George M. Cohan (1878-1942), der Musik, Buch und Song -Texte schrieb. Ort und Zeit der Handlung: London, Southampton, ein Ozeandampfer, um die Jahrhundertwende. UA: 7. 11. 1904 in New York (Liberty Theater). Little Johnny Jones erzählt die Geschichte eines amerikanischen Jockeys, der nach England kommt und dort fälschlicherweise des Wettbetrugs verdächtigt wird. Der wirkliche Täter wird gefaßt, und dem Happy-End steht nichts mehr im Wege. Mit diesem Bühnenwerk beginnt die eigentliche Entwicklungsphase des Musicals. Cohan schrieb zwei Evergreens für seinen ersten großen Erfolg am Broadway, das Auftrittslied des Titelhelden The Yankee Doodle Boy und Give my Regards to Broadway. Außerdem initiierte er in diesem Musical, das mit 52 Aufführungen en suite nur einen mä-
ßigen Starterfolg hatte, aber mehrfach neu produziert wurde, eine für ihn typische, von naivem Chauvinismus geprägte Auftrittsszene: Er marschierte in die amerikanische Flagge gehüllt auf die Bühne. R.-M. SIMON — S. SIMON LITURGIE (von griech. léiton ergon = Werk für das Volk im profanen und religiösen Sinn). In frühchristlicher Zeit bezeichnete L. vor allem die Meßfeier. Der von den Humanisten des 16. Jh. auf alle gottesdienstlichen Feiern erweiterte Sprachgebrauch wurde im 19. Jh. kirchenamtlich übernommen. Im liturgierechtlichen Sinn werden unter L. heute in der katholischen Kirche jene Gottesdienste verstanden, die der Regelung durch den Apostolischen Stuhl unterliegen (laut Liturgiekonstitution des 2. Vatikanischen Konzils), in Unterscheidung der von den Bischöfen geregelten gottesdienstlichen Feiern der Teilkirchen und der Andachtsübungen des christlichen Volkes. In theologischer Deutung sieht das Konzil in der L. den „Vollzug des Priesteramtes Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr sowohl die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt als auch vom mystischen Leib Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen". Damit sind sowohl die wirksame soterische, dem Menschen heilschenkende wie auch die doxologische, gottverherrlichende Richtung der L., ihre Verwurzelung in Christus und dem PaschaMysterium sowie ihre ekklesiale, alle Mitglieder der Kirche angehende Dimension ausgedrückt. L. kann somit nicht mehr als bloßes Zeremonienwesen abgewertet werden, sondern ist ein kirchliches Handeln, dessen „Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht". Zu den mannigfachen „sinnenfälligen Zeichen" der L. gehören
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Liturgische Bücher auch Musik und Gesang, ohne die Verkündigung und Lobpreis um eine ganze Dimension menschlicher Ausdrucksfähigkeit verkürzt würden. Der unersetzlichen Bedeutung von Gesang und Musik des Gottesdienstes entspricht es, daß die Liturgiekonstitution in einem eigenen Abschnitt (Kap. 6) davon handelt, der in der Instruktion „Über die Musik in der Liturgie" vom 5.3. 1967 theologische Vertiefung und genauere Ausführungsbestimmungen erhielt. Lit.: L. EISENHOFER. Hdb. der kath. Liturgik, 2 Bde. (Fr 1932-33, 1 1941-42); A. ADAM — R. BERGER, Pastoralliturgisches Handlexikon (Fr 1980); E. J. LENGELING, Liturgie. Dialog zwischen Gott und Mensch (Fr 1981). H. RENNINGS
LITURGISCHE BÜCHER, Gesamtheit der für den Gebrauch in der römisch-katholischen Liturgie
LITURGISCHE MUSIK, moderne Sammel-Bz. für solche Musik (vorab für Vokalmusik), die für den Gottesdienst, die /Liturgie der christlichen Kirchen bestimmt ist. Die Bz. wird meist synonym mit Kirchenmusik verwendet. — 'Geistliche Musik, řReligiöse Musik. LITURGISCHES DRAMA (engl.: liturgical drama; frz.: drame liturgique; it.: dramma liturgico; span.: drama litúrgico), moderne Bz. für die geistlichen Spiele des Mittelalters, speziell für lateinische, durchgehend gesungene und im Rahmen von Messe und Offizium dargebotene Stücke. Diese hatten im 11.-13. Jh. ihre Blütezeit, bevor sie allmählich von volkssprachigen Stücken (/Mysterienspiele, Moralitäten) abgelöst wurden. Die liturgischen Dramen hängen nicht mit dem Theater der
bestimmten und heutzutage kirchenamtlich heraus- klassischen Antike zusammen, das völlig vergegebenen Bücher, die Texte, Noten und Rubri- schwunden war, sondern gehen anscheinend auf ken (Angaben für den Verlauf des gottesdienst- kurze dialogische Passagen in der Liturgie zurück. lichen Handelns) enthalten. Die 1. B. waren im Solche Texte finden sich bereits in den Tropen der Mittelalter Hauptquellen für die Überlieferung abendländischen Kirche des 9. Jh. — noch früher sodes Gregorianischen Gesangs. Nach dem Trienter gar im Sögitä und in den Kontakia der syrischen Konzil kam es zu einer weitgehenden Vereinheit- bzw. byzantinischen Liturgie —, aber nichts deutet lichung der 1. B., die nun allgemein verbindlichen darauf hin, daß sie für eine szenische Darbietung Charakter hatten. Bei ihrer vom 2. Vatikanum be- konzipiert waren. Aus den ersten Jahrhunderten schlossenen „baldigsten Revision" wurde auf histo- gibt es keine Erwähnung von bestimmten Rollen rische Vorbilder — die sich u. a. auch in den pder von szenischen Aktionen. Das früheste beOstkirchen erhalten haben — zurückgegriffen und kannte Beispiel echter theatralischer Darbietung ist das Prinzip des Rollenbuches wieder stärker ver- das Quem quaeritis der Ostermatutin, ein Dialog wirklicht: Die einzelnen Diensten (z. B. Priester, zwischen dem Engel und den drei Marien am Lektor, Sängergruppe) zukommenden Texte und Grabe, der in Winchester um die Mitte des 10. Jh. Gesänge sind je in einem eigenen Buch abge- — wahrscheinlich früher noch in Fleury-sur-Loire druckt. Die wichtigsten erneuerten 1. B. der latei- und in Gent — mit Handlung, Kostümen und Inszenischen Liturgie und ihre Übertragungen bzw. nierung gesungen wurde. Die Beliebtheit dieses Bearbeitungen für das deutsche Sprachgebiet durch Osterspiels zog bald weitere Spiele nach sich: Das die Bischofskonferenzen sind für die Meßfeier: Quem quaeritis in sepulcro? diente z. B. als Modell Missale Romanum (2 1975) bzw. MeBbuch (1975), für ein Weihnachtsspiel Quem quaeritis in praeLectionarium Missae (1970) bzw. Lektionar sepe? Die frühesten Stücke, mit einem einzigen (1970), Ordo Cantus Missae (1972, Verzeichnis der „Bühnenbild" und sehr einfach in Szene gesetzt, Gregorianischen Gesänge, überwiegend ohne No- ►entwickelten sich in einigen Städten zu größerer ten; private Ausgabe mit Noten unter dem Titel Länge und zu größerem Aufwand in Material und Graduale, Solesmes 1974), Graduale Simplex Darstellung. Aufgeführt wurden sie am Ende der (2 1975); für das Stundengebet: Liturgia Horarum Matutin; der Gesang des Te Deum diente zugleich (1971) bzw. Stundenbuch (1978 ff.). Vom Ponti- als Schluß des Spiels und des Gottesdienstes. Da die ficale Romanum (für Feiern, die von einem Bi- Matutin die längste und feierlichste der 7 Horen des schof zu leiten sind) und vom Rituale Romanum kanonischen Offiziums ist und wie die Lektionen (andere Sakramentenfeiern, Sakramentalien usw.) meist erläuternd auf die Ereignisse der Tagesliturerschienen bisher zahlreiche Einzelfaszikel latei- gie Bezug nimmt, bildete sie einen idealen Rahmen nisch und deutsch. Zu den 1. B. im weiteren Sinn für eine szenische Adaptation der jeweiligen Thezählt das gemeinsame Gesang- und Gebetbuch der matik. Außerhalb der Matutin wurde das 1. D. zudeutschsprachigen Bistümer Gotteslob (1975; mit weilen auch während der Messe, der Vesper und Diözesananhängen) als Rollenbuch der Gemeinde. sogar während der kleinen Horen gespielt. Im nichtkatholischen Sprachgebrauch werden die 1. Die Sujets beziehen sich meist auf die Geschehnisse des Kirchenjahres (Weihnachten, Epiphanie, H. RENNINGS B. häufig /Agenden genannt. 138
Liturgisches Drama Passion, Ostern, Himmelfahrt); sie sollten die Geschehnisse, deren man in der Tagesliturgie gedachte, anschaulich darstellen. Es gibt jedoch auch Spiele für besondere Anlässe unterschiedlichster Art; die einen behandeln populäre Heiligenviten und -legenden wie die des hl. Nikolaus oder des hl. Paulus, andere haben apokalyptischen Charakter, andere wiederum weisen humoristische Züge auf. Die Texte sind in Prosa oder in Versen. Manche Stücke zeigen eine völlige stilistische Einheit und hohe literarische Qualität, andere besitzen eine erstaunliche stilistische Vielfalt, die sich aus dem im Mittelalter sehr beliebten Brauch des "Cento, des Zusammenstückelns aus heterogenen Elementen, ergab: ein und dasselbe Spiel kann Texte aus der Bibel, aus Antiphonen und Responsorien, Tropen und Sequenzen, ja sogar Verse aus der klassischen Antike enthalten. So entstanden Stücke, die teils in Prosa, teils in Versen in unterschiedlicher metrischer Struktur, teils gereimt und teils reimlos, abgefaßt sind. Bei den liturgischen Dramen findet sich eine ähnliche stilistische Vielfalt wie in den Texten auch in den Melodien, die teils syllabisch wie die Sequenzen und Hymnen, teils melismatisch wie die Responsorien, teils im Stil der Antiphonen gehalten und ausschließlich einstimmig und in Neumen aufgezeichnet sind, die ebenso wie die liturgischen Gesänge lokale Eigenheiten aufweisen. Aus der Anfangszeit des 1. D. ist keine musikalische Quelle überliefert. Bei späteren Quellen, in denen die Tonhöhen genau fixiert sind, bleibt noch das Problem des Rhythmus. Der Gebrauch der gleichen Notation wie im liturgischen Gesang wie auch die Vielzahl von Entlehnungen aus dem Graduale und Antiphonale lassen an den metrisch nicht gebundenen Rhythmus des spätmittelalterlichen /Gregorianischen Gesangs denken. Für die Stücke mit rhythmisch akzentuierenden Versen kann jedoch ein entsprechend rhythmisierter Vortrag angenommen werden, auch wenn die Notation hierzu keine Hinweise gibt. In einem späten Spiel aus dem Ende des 14. Jh., das Mariä Opferung behandelt, ist die Verwendung von Instrumenten sicher bezeugt. Aber auch für die frühere Zeit, aus der keine solch direkten Zeugnisse existieren, dürfte die Begleitung der liturgischen Dramen durch Instrumente üblich gewesen sein. Zahlreich sind nämlich Texte, die darauf hinweisen, wie z. B. in dem im 12. Jh. in Beauvais aufgeführten Daniel -Spiel: „Simul omnes gratulemur, / Resonent et tympana, / Cythariste tangant cordas, / Musicorum organa / Resonent ad eius preconia." Wenn auch die szenischen Angaben in der Regel spärlich sind, so wird doch deutlich, daß eine realistische Darstellungsweise erwünscht war. Es wur-
den aufwendige Materialien und komplizierte Maschinen benutzt. So wurde in Moosburg bei der Darstellung der Auferstehung ein Bild Christi, umgeben von Blumen, einer Taube und einem Engel, an Seilen vom Boden emporgehoben, das dann in einer Dachöffnung entschwand. Freilich waren solch aufwendige Effekte selten. Im wesentlichen wurde die Szene mit Hilfe der Einrichtung und der räumlichen Gegebenheiten der Kirche angedeutet. So stellte der Sakramentsaltar nach patristischer Tradition zugleich die mystische Wiege und das Grab Christi dar und wurde häufig in diesem Sinne in Weihnachts- und Osterspielen benutzt. Für andere Zwecke waren Bänke, Tische, Sessel, Türen, Stufen, Krypten und Triforien in jeder größeren Kirche leicht verfügbar. Die großen Ausmaße einer Kathedrale oder Abteikirche erlaubten eine Weiträumigkeit des Spiels, die selbst in den größten heutigen Theatern unbekannt ist. Was die Kostüme angeht, so waren diese aus liturgischen Gewändern improvisiert, die auf ungewöhnliche Weise je nach Erfordernis drapiert und durch Attribute wie Kronen, Zepter, Schwerter, Hirtenstäbe usw. vervollständigt wurden. Die Rubriken geben an, daß bestimmte Mitwirkende als junge Männer, Mädchen oder Frauen zu kleiden waren. Maskenbildnerei war nicht unbekannt: Der Brauch verlangte es, daß in den Weihnachtsspielen einer der drei Könige das Gesicht schwarz färbte, und manchmal mußten Mönche und Kleriker, obwohl sie in der Regel bartlos waren, die Rolle bärtiger Personen übernehmen. Frauenrollen wurden normalerweise von Männern oder Knaben gespielt — ein Brauch, der sich bis ins 17. Jh. hielt —, jedoch war die Teilnahme von Frauen nicht vollkommen ausgeschlossen. In Barking und Troyes sind Berichte von Aufführungen erhalten, in denen bestimmte Rollen von Nonnen gespielt wurden. Lit.: E. DE COUSSEMAKER, Drames liturgiques du moyen âge (Rennes 1860, Nachdr. NY 1964); M.J. RUDWIN, A Historical and Bibliogr. Survey of the German Religious Drama (Pittsburgh 1924); K. YOUNG, The Drama of the Medieval Church, 2 Bde. (0 1933, 2 1951); W. LIPPHARDT, Stud. zu den Marienklagen. Marienklage u. germanische Totenklage, in: Beirr. z. Gesch. der dt. Sprache u. Lit. 58 (1934); E. HARTL, Das Drama des MA, 4 Bde. (L — Hl 1937-42) (= Dt. Lit., Reihe Drama des MA 1-4); M. S. DE VITO, L'origine del dramma liturgico, in: Bibl. della rassegna 21 (1938); H. OSTHOFF. Dt. Liedweisen u. Wechselgesänge im ma. Drama, in: AfMf 7 (1942); J. SMITS VAN WAESBERGHE. Muziek en drama in de Middeleeuwen (A 1943, 2 1954); W. L. SMOLDON. The Easter Sepulchre Music-Drama, in: ML 25 (1946); W. LIPPHARDT, Die Weisen der lat. Osterspiele des 12. u. 13. Jh. (Kas 1948) (= Musikwiss. Arbeiten 2); A. A. ABERT, Das Nachleben des Minnesangs im liturg. Spiel, in: Mf 1 (1948); K. DREIMUI.LER, Die Musik im geistlichen Spiel des späten dt. MA, in: KmJb 34 (1950); E.A. SCHULER, Die Musik der Osterfeiern, Osterspiele u. Passionen des MA 1 (Kas 1951); G. COHEN, Histoire de la mise en scène dans le théâtre religieux français du moyen âge (P 1952); S. CORBIN. Le Ms. 201
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Lituas d'Orléans. Drames liturgiques dits de Fleury, in: Romania 74 (1953); W. L. SMOLDON, Drama, in: Early Medieval Music up to 1300, hrsg. v. A. Hughes (Lo 1954) (= New Oxford History of Music 2); G. FRANK, The Medieval French Drama (01954); C. J. STRATMAN, Bibliogr. of Medieval Drama (Berkeley/Calif. 1954), 2 Bde. (NY 21972): K. LANGOSCH, Geistliche Spiele(Da 1957); R. B. DONOVAN, The Liturgical Drama in Medieval Spain (Toronto 1958) (= Pontifical Inst. of Mediaeval Studies. Studies and Texts 4); E. A. BOWLES. The Role of the Musical Instruments in Medieval Sacred Drama, in: MQ 45 (1959); W. LIPPHARDT, L. D., in: MGG VIII; H. CRAIG, English Religious Drama of the Middle Ages (0 1961); M. M. MCSHANE, The Music of the Medieval Liturgical Drama (1961) (= Diss. Catholic Univ. of America, Washington/D.C.); W. L. SMOLDON, The Music of the Medieval Church Drama, in: MQ 48 (1962); The Fleury Play of Herod, hrsg. v. T. BAILEY (Toronto 1965); 0.B. HARDISON JUNIOR. Christian Rite and Christian Drama in the Middle Ages (Baltimore 1969); W. ARLT, Ein Festoffizium des MA aus Beauvais ... , 2 Bde. (Kb 1970); M. PFAFF, Das geistliche Spiel des MA, in: Musik in Bayern 1 (Tutzing 1972); K. FINKEL, L. D. am Mittelrhein, in: KmJb 57 (1973); W. L. SMOLDON, The Music of the Medieval Church Drainas, 2 Bde. (Lo 1973-74); C. W. BROCKETT, Easter Monday Antiphons and the Peregrinus Play, in: KmJb 61 , 62 T. BAILEY (1977/78).
LITUUS (lat.), Bz. für ein Blasinstrument der Etrusker und Römer mit langer Röhre und aufwärts gebogenem Schallstück, vermutlich nach dem ihm äußerlich ähnlichen Krummstab der Auguren benannt, der L. hieß. Anfangs bestand der L. aus einer geraden Röhre aus Holz mit aufgesetztem Ziegenhorn am Ende, später aus Bronze. Mehrere Exemplare wurden bei Ausgrabungen gefunden (u. a. bei Mainz und Düsseldorf). Das Wort L. findet sich in nachrömischer Zeit häufig in theoretischen Werken als Name eines nicht bestimmbaren Instrumentes. Im 16. und 17. Jh. wurde mit L. gewöhnlich das 7Krummhorn, im 18. Jh. der řZink, 1706 aber auch ein Blechblasinstrument („litui vulgo Waldhörner"; Inventar des Klosters Ossegg, Böhmen) bezeichnet. Die zwei „Litui" in J. S. Bachs Kantate O Jesu Christ, mein's Lebens Licht, BWV 118, sind tiefe Trompeten in B. Lit.: C. SACHS. L. u. Karnyx, in: FS L. von Liliencron (L 1910); DERS., Die Litui in Bachs Kantate „O Jesu Christ”, in: Bach-Jb. 18 (1921); A. VOIGT, Die Signalinstr. des römischen Heeres u. der L., in: Dt. Instrumentenbau-Zeitung 34 (1932); F. BEHN. Musikleben im Altertum u. frühen MA (St 1954); G. FLEISCHHAUER, Etrurien u. Rom (L 1964) (=Musikgeschichte in Bildern II/5); G. WILLE, Musica Romana (A 1967); A. BAINES, Brass Instruments. Their History and Development (Lo -Boston 1976, 21978). M. BROCKER
LIVE ELECTRONIC (engl.), Live-Elektronik, live-elektronische Musik, Bz. für eine Entwicklung innerhalb der ?elektronischen Musik, die darauf abzielt, Interpreten in die Studio- und Tonbandmusik miteinzubeziehen und damit die kommunikative Wechselwirkung zwischen Spieler und Hörer in diesem Bereich der Musik wiederherzustellen. Die 1960er Jahre sind gekennzeichnet durch vielerlei Versuche, die Klänge von unmittelbar („live") 140
spielenden Musikern mit elektronischen Klängen (vom Tonband) zu mischen (Br. Maderna, K. Stockhausen, L. Nono u. a.) und, darüber hinaus, sie mit elektronischen Geräten zu verändern (K. Stockhausen, Gruppe „Musica eletronica viva" aus Rom u. a.). Die dazu erforderliche Technik aber erreichte erst mit der Einführung der spannungsgesteuerten /Synthesizer in der Mitte der 1960er Jahre jene notwendige Mobilität, die die Komponisten in die Lage versetzte, nicht nur Instrumente im sog. Real-Time-Verfahren klanglich umformen, sondern auch elektronische Klangfolgen „live” hervorbringen zu können (J. Fritsch, Y. Höller, H.U. Humpert, A. Lanza, T. Souster u. a.). In der bislang letzten Entwicklung werden Computer eingesetzt, um Klangtransformations-, Synchronisations- und Raumverteilungsprozesse zu steuern. Lit.: Teilton. Schriftenreihe der H. -Strobel-Stiftung des SWF, hrsg. v. O. TOMEK (Kas 1978ff.). - K. STOCKHAUSEN, Texte, hrsg. v. D. Schnebel, 3 Bde. (Kö 1963-71); W. GIESELER, Komposition im 20.1h. (Celle 1975); H. P. HALLER, L. -E. im Konzertsaal (Mz 1975) (= Darmstädter Beitr. z. Musikwiss. 14); DERS., Klangsteuerung in der L. -E. (Mz 1976) (= ebd. 16). H. U. HUMPERT
LJADOW, Anatoli Konstantinowitsch, *29.4. (11.5.) 1855 St. Petersburg, t 15. (28.) 8.1914 Polynowka bei Nowgorod; russ. Komponist, Dirigent und Pädagoge. Aus einer Musikerfamilie stammend, studierte er 1870-78 bei N. Rimski-Korsakow am Konservatorium in St. Petersburg. Seit 1878 lehrte er dort Kontrapunkt, Fuge und Komposition und unterrichtete seit 1885 in der Kapellmeisterklasse der Hofkapelle. L. gehörte dem Kreis um den Verleger M. Beljajew an. Als ein „großer Meister für kleine Dinge" (B. Assafjew) widmete er sich sowohl in seinen Klavier- wie auch seinen Orchesterstücken dem Genre der Miniatur, in dem er eine hohe Eleganz und Differenzierung der Harmonik und Stimmführung erreichte. Auch seine Bearbeitungen russischer Volkslieder zeigen diese Qualitäten. WW: Zahlr. Klv.-Stücke, u. a. 3 Balladen (1887, 1889, 1889). Fiir Orch.: Scherzo (1886); Selskaja szena (Ländliche Szene) (1887); Tondichtungen: Baba-Jaga (1904); Volschebnoje osero (Der verzauberte See) (1909); kikimora (1909) (aus der geplanten Oper Soriuschka); Is Apokalipsia (Aus der Offenbarung) (1912); Nénie (1914). - Zahlr. Vokalwerke, u. a. 3 H.e Kinderlieder (1887, 1887, 1890). Ausg.: GA der Klv.-Werke, hrsg. v. K. N. IGUMNow, 2 Bde. (Mos - Leningrad 1947). Lit.: A. K. L., Aufsätze u. Briefe (Petrograd 1916); G. ABRAHAM, Random Notes an Lyadov, in: MR 6 (1945), Wiederabdruck, in: DERS., Slavonic and Romantic Music (Lo 1968); N. SAPOROSCHEK. A. K. L. (Mos 1954); Z. LISSA, Über den Einfluß Chopins auf L., in: DJbMw 13 (1968).
LJAPUNOW, Sergei Michailowitsch, * 18. (30.) 11.1859 Jaroslawl, t 11.11. 1924 Paris; russ. Kom-
Lobkowitz ponist. Er studierte 1878-83 bei K. Klindworth und S. Tanejew am Moskauer Konservatorium und wurde 1894 Assistent von M. Balakirew in der Leitung der Hofkapelle. 1902 verließ er diese wieder, war 1908-11 Direktor der Freischule der Musik und wurde 1910 Professor für Klavier und 1917 für Komposition am Konservatorium in St. Petersburg. 1923 ließ er sich in Paris nieder. Sein Schaffen steht unter dem Einfluß von Balakirew, mit dem er in freundschaftlicher Beziehung stand. WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Orch.-Ballade (1883, revidiert 1889); 2 Klv.-Konzerte (1890, 1910); 2 Symphonien (1887, 1917); symphonische Dichtungen: Zelazowa Wola (= Geburtsort v. F. Chopin) (1910) u. Gaschisch (Haschisch) (1915); ferner Lieder u. ein Psalm für Sopran, Orgel und Harfe (1918). Lit.: Perepiska W. Stasowa i. S. Ljapunowa, in: Sowjetskaja musyka 21 (1957); R. DAVIES, S. Lyapunov, the Piano Works. A Short Appreciation, in: MR 21 (1960); M. E. SCHIFMAN, S. M. L. (Mos 1960).
LJATOSCHYNSKI (Ljatoschinski), Boris Mykolajowitsch (Boris Nikolajewitsch), * 22. 12. 1894 (3. 1. 1895) Schitomir, t 15.4. 1968 Kiew; sowjetukrainischer Komponist und Pädagoge. Er absolvierte 1919 als Schüler der Kompositionsklasse von R. Glière das Konservatorium in Kiew, an dem er seit 1920 als Lehrer und seit 1935 als Professor für Komposition und Instrumentation tätig war. 1935-38 und 1941-44 gehörte er auch dem Lehrkörper des Moskauer Konservatoriums an. Sein Schaffen steht sowohl unter dem Einfluß der russischen Musik des ausgehenden 19. Jh. wie dem des Impressionismus. WW: 1) llatr.-WW: V. -Sonate (1926); 2 Klv.-Trios (1925, 1942); 5 Streichquartette (1915, 1922, 1928, 1943, 1944). — Für Orch.: 5 Symphonien: 1 (1918), 2 (1936), 3 (1950, 2. Fassung 1955), 4 (1963), 5: Slawjanskaja (Die Slawische) (1967); symphonische Dichtungen: Liritscheskaja poema (1947); Wossoedinenije (Die Wiedervereinigung) (1949); Graschyna (1955); Na beregach Wisly (An den Ufern der Weichsel) (1958); Slawjanski konzert (1953) für Klv. u. Orch. — 2) Vokal-WW: Lieder, Chöre und Volksliedbearb.; 2 Kantaten (1939). — 3) Bibnen-WW: Opern: Soloty Obrutsch (Der goldene Ring), UA: Odessa 1930; Schtschors, UA: Kiew 1938. Lit.: N. V. SAPOROSCHEZ, B. N. L. (Mos 1960); W. J. SAMOCHWALOW, B. L. (Kiew 1972); D. GOJOWY, Neue sowjetische Musik der 20er Jahre (Laaber 1980).
LOBACZEWSKA, Stefania (geborene Gérard de Festenbourg), * 31.7. 1888 Lemberg, t 16. 1. 1963 Krakau; poln. Musikforscherin. Sie studierte bei G. Adler in Wien und bei A. Chybiliski in Lemberg, wo sie 1928 mit der Dissertation O harmonice KJ. A. Debussy'ego w pierwszym okresie twórczósci (Uber Cl. A. Debussys Harmonik in seiner ersten Schaffenszeit) promovierte, 1928-39 Musikkritikerin bei der Gazeta Lwowska war und 1931-38 Musiktheorie am Konservatorium lehrte. 1945 erhielt sie einen Lehrauftrag an der Musikhoch-
schule in Krakau (1952-54 Rektorin) und übernahm dort 1953 das Musikwissenschaftliche Institut (1954 Professor). Schriften: Tablice do historii muzyki (Tafeln z. Musikgesch.) (Krakau 1949); Problem wartošciowania i wartoíci w muzyce (Das Problem der Wertung und des Wertes in der Musik), in: Kwart. Muz. 7 (1949); L. van Beethoven (Krakau 1953, 3 1968); Wklad Chopina do romantyzmu europejskiego (Chopins Beitr. z. europäischen Romantik), in: Rocznik Chopinowski 1 (1956); Die Analyse des musikalischen Kunstwerkes als Problem der Musikwissenschaft, in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr—Kö 1958); Style muzyczne (Die Stilarten der Musik), 2 Bde. (Krakau 1960 bis 1961); La culture musicale en Pologne au début du XIX' siècle et ses relations avec la musique de Chopin, in: Kgr.-Ber. Krakau 1960; Agogika jako element stylu historycznego (Die Agogik als ein Element des hist. Stils), in: Muzyka 7 (1962). Lit.: Z. LISSA — T. KACZYŇSKI, in: Ruch muzyczny 7 (1963).
LOBE, Johann Christian, * 30.5.1797 Weimar, t 27.6. 1881 Leipzig; dt. Komponist und Musiktheoretiker. Er verdankte der Förderung durch die Prinzessin Maria Paulowna eine gediegene musika-
lische Ausbildung. 1811-42 gehörte er der Weimarer Hofkapelle als Flötist und Bratschist an und unternahm zahlreiche Konzerttourneen. Mit dem Titel eines Professors pensioniert, zog er sich 1846 nach Leipzig zurück und machte sich als Schriftsteller und Pädagoge einen Namen. 1846-48 redigierte er die Allgemeine musikalische Zeitschrift (AmZ). Er war von J. W. von Goethe und seinem Kreis sehr geschätzt und unterhielt zahlreiche Verbindungen mit den bekanntesten Musikern seiner Zeit. L., der um 1840 das Komponieren aufgab, erlangte vor allem durch seine musikalischen Lehrwerke Bedeutung. Einem klassizistischen Ideal verpflichtet, fanden sie bis weit ins 20. Jh. hinein starken Anklang. Schriften: Compositionslehre oder umfassende Lehre von der thematischen Arbeit (Wr 1844); Lehrbuch der musikalischen Composition, 4 Bde. (L 1850-67), neu bearb. v. H. Kretzschmar (L '1884-87); Katechismus der Musik(L 1851, 2'l904), neu bearbeitet v. H. Leichtentritt (L '1968); Fliegende Blätter für Musik, 3 Bde. (L 1855-57); Vereinfachte Harmonielehre (L 1861); Konsonanzen und Dissonanzen (L 1869), 3 Aufsätze daraus wiederabgedruckt, in: Gespräche mit Komponisten, hrsg. v. W. Reich (Z 1965). Lit.: B. GRIMM, Die sozial-ökonomische Lage der Weimarer Hofkapellisten in der ersten Hälfte des 19. Jh., dargestellt am Beispiel J. Ch. L.s (Diss. L 1964); R. FRISIUS, Unters. über den Akkordbegriff (Diss. Gö 1970).
LOBKOWITZ, böhmische Adelsfamilie. Viele ihrer Mitglieder im 17./18. Jh. waren auch musikalisch tätig, namentlich als Lautenisten, und sind als Gönner und Mäzenaten bekannt geworden, so Fürst Ferdinand Philipp L. (1724-1784) gegenüber Chr. W. Gluck. Am bedeutendsten in dieser Hinsicht war Fürst Franz Joseph Maximilian L., * 7.12. 1772 Wien, t 16. 12. 1816 Raudnitz (Elbe). Er spielte selbst Violine u. a. Instrumente; sein Palais in Wien war seinerzeit ein wichtiges Zentrum der 141
Lobo
Musikpflege in Österreich. Er veranstaltete Hauskonzerte und unterhielt auf seinen Landsitzen Raudnitz und Eisenberg ein eigenes Orchester mit Chor und Solisten. Eine Zeitlang leitete er die Wiener Oper. J. Haydn schrieb in seinem Auftrag die Streichquartette op. 77 („L."-Quartette). Früh setzte sich L. vor allem auch für L. van Beethoven ein. Zusammen mit dem Erzherzog Rudolph und dem Fürsten Kinsky verpflichtete er sich 1809, ihm jährlich eine beträchtliche Summe zu zahlen. Beethoven widmete ihm mehrere seiner bekanntesten Werke, u. a. die Streichquartette op. 18 und 74, die 3., 5. und 6. Symphonie (die beiden letzteren auch dem Grafen Rasumowsky gewidmet), den Liederkreis An die ferne Geliebte, äußerte sich aber gelegentlich auch unwillig über den „fürstlichen Lumpenkerl". — Im Besitz der Familie L. auf Schloß Raudnitz befand sich eine wertvolle Bibliothek (heute in Prag, Nationalmuseum und Univ.-Bibl.) mit über 5000 Musikalien, darunter zahlreiche hsl. Lauten- u. Gitarren-Tabulaturen des frühen 18.Jh. Lit.: TH. VON FRIMMEL, Beethoven-Hdb. I (L 1926, Nachdr. Hil 1968); R. MUzÍKovÁ, Složeni lobkovické kapely v r. 1811, in: Miscellanea musicologica 12 (1960); R. SCHAAL, L., in: MGG VIII; M. POSTOLKA, L., in: Grove' XI.
LOBO, Duarte (Eduardus Lupus), getauft 19.9. 1565 Alcáçovas, t 24. 9.1646 Lissabon; port. Komponist. Er studierte in Évora, wo er den Chor der Kathedrale leitete. Dann erhielt er in Lissabon den Kapellmeisterposten am Hospital Real und 1594 den an der Kathedrale, den er bis 1639 innehatte. L. ist ein hervorragender Vertreter des a capella-Stils in Portugal.
WW:
Im Druck erschienen: Opuscula Nataliciae noctis responsoria für 4-8 St. (An 1602); Cantica Beatae Mariae Virginis für 4 St. (An 1605); 2 Bücher Messen (An 1621, 1639). Ausg.: GA, hrsg. v. S. M. JOAQUIN (Lis 1945ff.).
Lit.: M. A. DE LIMA CRUZ, D. L. (Lis 1917); A.T. LuPER. Portuguese Polyphony, in: JAMS 3 (1950). '
LOBWASSER, Ambrosius, * 4.4. 1515 Schneeberg (Sachsen), t 27. 11. 1585 Königsberg (Preußen); dt. Gelehrter. Nach dem Studium der Rechte in Leipzig, Löwen, Paris und Bologna war er 1563-80 Professor an der Universität Königsberg. Musikgeschichtliche Bedeutung erlangte er durch die Übersetzung der Genfer Psalmen von Cl. Marot und Th. de Bèze: Der Psalter... Davids, in deutsche Reime ... gebracht und ... bei jedem Psalm seine zugehörigen vier Stimmen (L 1573). Da L. die originalen Strophenformen beibehielt, konnten die Genfer Weisen samt den 4st. homophonen Sätzen von Cl. Goudimel (1565) übernommen werden. Hatte der Lutheraner L. das Werk „aus Lust an der lieblichen Sprach” unternommen, so fand es doch als offizielles Gesangbuch in sämtlichen reformier142
ten deutschsprachigen Gebieten, einschließlich der Nordschweiz, in unzähligen Drucken große Verbreitung und blieb bis gegen Ende des 18. Jh. im Gebrauch. Lit.: W. BLANKENBURG, Die Kirchenmusik in den reformierten Gebieten des europäischen Kontinents, in: Gesch. der ev. Kirchenmusik, hrsg. v. F. Blume (Kas 1965, engl. NY 1974); D. GUTKNECHT, Vergleichende Betrachtung des GoudimelPsalters mit dem L.-Psalter, in: JhLH 15 (1970). W. BLANKENBURG
LOCATELLI, Pietro Antonio, * 3.9.1695 Bergamo, t 30. 3.1764 Amsterdam; it. Violinist und Komponist. Er kam sehr jung als Schüler zu A. Corelli nach Rom und unternahm anschließend ausgedehnte Konzertreisen, u. a. 1721 nach Amsterdam, wo er sein op. 1 veröffentlichte, sowie an die Höfe von Dresden, Mantua und Potsdam; 1729 ließ er sich in Amsterdam nieder. Seit 1741 betrieb er auch einen Handel mit italienischen Saiten. Wie aus seinem Briefwechsel mit Padre G. B. Martini hervorgeht, bereitete er dessen op. 2 für den Druck in Amsterdam vor; vermutlich war er auch für andere Komponisten gleicherweise tätig, da sich in seinem Nachlaß Druckbogen mit Werken von G. Tartini, A. Vivaldi, C. Tessarini, J.-M. Leclair u. a. fanden. Ungewiß ist, ob er 1738 mit Vivaldi bzw. 1746 mit Fr. Geminiani bei deren Aufenthalten in den Niederlanden zusammengetroffen ist, doch nahm Leclair bei ihm einige Unterrichtsstunden. L. war ein angesehener und gefragter Lehrer und konnte sich ein ansehnliches Vermögen erarbeiten. In seinem 1765 durch den Buchhändler Th. Crayenschrot in Amsterdam verkauften Nachlaß befanden sich mehrere wertvolle Instrumente, etwa 150 Gemälde, Kupferstiche und Radierungen sowie eine wertvolle Bibliothek von etwa 1000 Bänden. Er wurde in der englischen Kirche (Begynhof) in Amsterdam beigesetzt. WW (teilweise mit mehreren Aufl.): Sonaten für Fl. u. B.c., op. 2 (A 1732); Sonaten für V. u. B.c., op. 6 (A 1731); Sonaten für 2 V. oder 2 Fl. u. B.c., op. 5 (A 1736); Sonaten für V. u. für 2 V. u.B.c., op. 8 (A 1744); L'arte del violino für V., Streicher u.B.c., op. 2 (A 1732); Concerti grossi: op. 1: a quatro, e a cinque con 12 fughe (A 1721), op. 4 in 2 Teilen, I: Introduttioni teatrali, II: Concerti (A 1735), op.7 (Leiden 1741).
Den überwältigenden Eindruck L.s auf seine Zeitgenossen kennzeichnet eine Stelle aus D. Diderots Novelle Le neveu de Rameau, wo es in J. W. von Goethes Übersetzung heißt: „Der erste, der etwas von L. spielte, war der Apostel der neuen Musik." L.s L'arte del violino, op. 3, ein Lehrwerk in 12 exemplarischen Konzerten mit virtuosen Capricci ad libitum, erweitert die Spielmöglichkeiten beträchtlich; noch N. Paganini war davon beeinflußt. In den Concerti grossi vergrößerte L. das Concertino durch Einführung der Viola zum Quartett. In Motivik und Figuration löst er sich
Locke in op. 4, 6 und 8 vom Stil Vivaldis, und die Sonaten op. 8 nähern sich mit Ansätzen zu Durchführungsteilen dem 3teiligen Sonatensatz. Ausg.: Aus op. 1: je 1 Concerto, hrsg. v. A. EGIDI (B 1927), A. SCHERING (L o. J.) u. E. BONELLI (Padua 1948); aus op. 2: 3 Sonaten, hrsg. v. G. SCHECK — W. UPMEYER (Kas 1944, Neudr. 1965) (= Hortus musicus 35); eine Sonate, hrsg. v. A. KOWATSCHEFF (Z 1949); Nr. 3, hrsg. v. H. RUF (Mz 1967) (=II flauto traverso o. Nr.); op. 3, hrsg. v. A. NADAUD (P o. J.), neu hrsg. v. R. FRANCONI (Mi 1921); aus op. 4: Nr. 10, hrsg. v. G. BENVENUTI (Mi 1952); aus op. 5: 3 Sonaten, hrsg. v. H. ALBRECHT (Lippstadt 1951-54) (= Organum III/52, 46, 50); Nr. 1, hrsg. v. H. KÖLBEL (Wilhelmshaven 1969) (= L'arte del violino o. Nr.); Nr. 3, hrsg. v. H. RUF (Mz 1964) (= Antiqua o. Nr.); aus op. 6: Nr. 1-6, hrsg. v. G. BENVENUTI — E. POLO (Mi 1956) (= I classici mus. it. 14); Nr. 2, in: F. GIEGLING, Die Solosonate (Kö 1959) (= Das Musikwerk 15); Nr.7 (zusammen mit op. 8, Nr. 5), hrsg. v. J. RÖNTGEN — D. F. SCHEURLEER (A —L 1911); aus op. 7: Nr. 6, hrsg. v. R. GIAZOTTO (Mi 1965) (= Antica musica strumentale it. o. Nr.); ein weiteres Concerto, hrsg. v. N. JENKINS (Lo 1959); aus op. 8: s. o. bei op. 6. — Trauersinfonie g -moll, hrsg. v. A. SCHERING (L o. J.) nach einem Ms. in Paris, Bibl. Nat., jedoch mit zweifelhafter Zuschreibung an L. Lit.: C. VANBIANCHI, Un celebre violinista bergamasco precursore di N. Paganini (Bergamo 1921); A. MOSER, Gesch. des Violinspiels (B 1923), 2. Aufl. hrsg. v. H.-J. Nösselt, 2 Bde. (Tutting 1966-67); A. KOOLE, Leven en werken van P. A. L. da Bergamo (A 1949) (mit Briefen und Dokumenten); B. BECHERINI, Bibliogr. delle opere di P. A. L., in: Musicisti lombardi ed emiliani, hrsg. v. A. Damerini — G. Roncaglia (Siena 1958) (= Accad. musicale Chigiana 15); J. DE CARPENTIF_R, P. L., musicien te Amsterdam (A 1964); A. DUNNING — A. KOOLE, P. L. Nieuwe bijdragen tot de kennis van zijn leven en werken, in: TVer 20/1-2 (1964-65) (mit Werkverz.); J. H. CALMEYER, The Life, Times and Works of P.A.L. (1969) (= Diss. Univ. of North Carolina) (mit thematischem Werkverz.); A. KOOLE, P.L. (Bergamo 1970); D. D. BOYDEN, Gesch. des Violinspiels v. seinen Anfängen bis 1761 (Mz 1971, engt. Lo 1965,'1967); W. KOLNEDER, Das Buch der Violine (Fr — Z 1972, 21978). G. SCHUHMACHER
LOCHAMER LIEDERBUCH, früher meist Loch(h)eimer Liederbuch genannt (Berlin, Deutsche Staatsbibl., Ms. 40613), benannt nach seinem ersten Besitzer Wolflein von Lochamer aus Nürnberg (um 1482), ist eine zwischen 1452 und 1460 von 6 Musikkundigen angefertigte Papierhandschrift im Format 21,5 x 16 cm, die neben dem Schedelschen Liederbuch (um 1460) und dem Glogauer Liederbuch (um 1480) zu den 3 Hauptquellen der deutschen bürgerlichen Liedkunst aus der 1. Hälfte des 15. Jh. gehört. Sie enthält in andeutend oder streng mensuraler Notation 31 einstimmige, 2 zweistimmige und 6 dreistimmige Lieder, 1 ein- und dreistimmiges Lied, 2 ohne Noten sowie 3 einstimmige lateinische geistliche Kontrafakturen. Für einige dieser Liebes- und Tanzlieder wurden Oswald von Wolkenstein, der Mönch von Salzburg und G. Binchois als Autoren ermittelt. Die Auswahl des L. L.s dokumentiert, abgesehen von 3 Fronleichnamsgesängen und einem Tischsegen, das Repertoire zweier Generationen und bevorzugt be-
liebte Formen und Gehalte gediegener profaner Hausmusik der gebildeten bürgerlichen Schicht. Neben dem derb-sinnlichen Reigenlied (Ich spring an disem ringe) mit grobschlächtigen Randglossen stehen verhaltene Liebeslieder volksliedhafter Schlichtheit (All mein gedencken dy ich hab). Die mehrstimmigen Sätze über einen Liedtenor benutzen meist am Schluß der Komposition Wechselrhythmik. Während in den Dupeltaktliedern noch weitgehend das additive Strukturprinzip der mittelalterlichen Musik wirksam ist, das sich in dem Fehlen von rhythmisch-metrischen oder melischen Korrespondenzen äußert, sind in den Tripeltaktliedern Kräfte stärkerer Integration zu beobachten. Seit dem frühen 19. Jh. bearbeiteten viele Komponisten diese „Lieder der Minne" als Quelle vermeintlicher echter Volkslieder und machten sie populär. In neuerer Zeit dienten sie W. Fortner, K.Thomas u. a. als Grundlage von Chorsätzen und Instrumentalstücken. — Im Anhang enthält das L. L. C. Paumanns Fundamentum organisandi, eine pädagogisch aufgebaute Anleitung, einfache Melodien und Skalen auf der Orgel zu kolorieren. Ausg.: Das L. L. u. Fundamentum organisandi des C. Paumann, Faks. hrsg. v. K. AMELN (B 1925, Nachdr. Kas 1972) (= DMI II/3); Die mehrst. Sätze aus dem L. L., hrsg. v. DEMS. (Au 1925); Das L. L., hrsg. v. K. ESCHER — W. LoTT (L 1926); Die einst. Weisen des L. L., hrsg. v. E. ROHLOFF (Hl 1953); Das L. L., hrsg. v. W. SALMEN — CH. PETZSCH (Wie 1972) (= DTB, N.F. Sonderbd. 2). Lit.: O. URSPRUNG, Vier Stud. z. Gesch. des dt. Liedes 3, in: AfMw 5 (1923); H. ROSENBERG, Übertragungen einiger bisher nicht aufgelöster Melodienotierungen des L. L.s, in: ZfMw 14 (1931); H. BESSELER, Das L. L. aus Nürnberg, in: Mf 1 (1948); W. SALMEN, Das L. L. (L 1951) (= Slgen. musikwiss. Einzeldarstellungen 18); E. ROHLOFF, Mit ganzem Willen wünsch ich dir, in: AfMw 13 (1956); CH. PETZSCH, Weiterdichten u. Umformen. Grundsätzliches z. NA des L. L.s, in: Jb. für Volksliedforsch. 10 (1965); DERS., Zur hebräischen Widmung im L. L., in: Mf 18 (1965); DERS., Die Nürnberger Familie v. Lochaim, in: Zschr. für bayerische Landesgesch. 29 (1966); DERS., Das L. L. (Mn 1967) (= Münchener Texte u. Unters. z. dt. Lit. des MA 19); DERS., Weiteres zum L. L. u. zu den Hofweisen, in: Jb. für Volksliedforsch. 17 (1972). L. HOFFMANN-ERBRECHT
LOCKE (Lock), Matthew, * um 1630 Exeter, t August 1677 London; engl. Musiktheoretiker, Organist und Komponist. Er studierte vermutlich in Exeter bei E. Gibbons, der zu jener Zeit Master of
the Choristers an der dortigen Kathedrale war, sowie wahrscheinlich auch bei William Wake, einem Violenspieler, dem er später sein Little Consort of Three Parts widmete, und bei dem Domorganisten John Lugge. Um 1641 wurde er aus dem Domchor entlassen. In der Folgezeit diente er anscheinend in der königlichen Armee. Dabei gab er seine musikalischen Betätigungen nicht auf, wie es sein Manuskript von A Collection of Songs Made When I Was 143
Lockpfeife in the Lowe Countries (London, British Museum, Add. 31437) zeigt; dieses beweist L.s Interesse für die italienische Kirchenmusik des frühen 17. Jh., wie sie uns in den Werken von N. Sabbatini und G. Rovetta begegnet. Um 1651 scheint L. nach London zurückgekehrt zu sein und die Komposition für die Bühne begonnen zu haben. König Karl II. ernannte ihn 1661 zum Hofkomponisten, später die Königin zu ihrem Organisten. WW: Instr.-WW: Little Consort of Three Parts (Lo 1656) und einige weitere Instr.-Werke; Anthems u.a. kirchenmusikal. Werke (hsl.); Songs, Airs, Catches in zahlr. Sammeldrucken 1662-87. - Musik zu Bühnenwerken: J. Shirley, Cupid and Death (1656) (zus. mit Ch. Gibbons); W. D'Avenant, The Siege of Rhodos, 1. Akt (1656) (verschollen; zus. mit E. Coleman u. H. Lewes); ders., Macbeth (1663); Th. Shadwell, The Tempest (1667); E. Settle, The Empress of Morrocco (1670); Th. Shadwell, Psyche (1673). - Ferner der Traktat Melothesia or Certain General Rules for Playing Upon a Continued Bass (Lo 1673).
L., der originelle Beiträge zu den verschiedenen in seiner Zeit in England gepflegten musikalischen Gattungen geschaffen hat (Consort -Musik, Anthem, Song), war auf dem Gebiet der theatralischen Musik einer der Vorläufer H. Purcells. Seine Melothesia gilt als die früheste englische Generalballlehre. Ausg.: Cupid and Death, hrsg. v. E. J. DENT (Lo 1951, revidiert 2 1965) (= Mus. Brit. 2); Organ Voluntaries aus Melothesia, hrsg. v. TH. DART (Lo 1957); Keyboard Suites, hrsg. v. DEMS. (Lo 1959); 12 Duos für 2 BaBgamben, hrsg. v. N. DOLMETSCH (Kas 1960) (= Hortus Mus. 167); The Broken Consort. 6 Suiten für 3 Instr.. hrsg. v. H. MONKEMEYER, 2 H.e (Wilhelmshaven 1961) (= Consortium 3); Chamber Music, 2 Bde., hrsg. v. M.TILMouTH (Lo 1971) (= Mus. Brit. 31-32). Lit.: R. E. M. HARDING, A Thematic Cat. of the Works of M. L. (O 1971). - A. LEWIS, M. L., in: Proc. R. Mus. Assoc 74 (1947 bis 1948); E. H. MEYER, L., Blow, Purcell. Drei Vorgänger Händels auf dem Gebiet des Instrumentalschaffens, in: Händel-Jb. 9, N. F. 3 (1957); C. D. S. FIELD, M. L. and the Consort Suite, in: ML 51 (1970); M. TILMOUTI-I, Revision in the Chamber Music of M. L., in: Proc. R. Mus. Assoc. 98 (1971/72); F. ROUTH, Early English Organ Music from the Middle Ages to 1837 (Lo 1973).
LOCKPFEIFE, ein Gerät, mittels dessen Vogelfänger und Wilderer Vogelgesang nachahmen können, um Vögel anzulocken: Pfeife für Lerchen, Rebhühner, Wachteln ...; Windzunge (oft nur ein einfaches zwischen den geöffneten Lippen gehaltenes Blatt) zur Nachahmung des Schreis der von anderen Vögeln gefürchteten Eule; ein mit einem Loch versehenes gerolltes Blatt zur Nachahmung des rauschenden Flügelschlags verängstigter Vögel, die sich vor einer feindlichen Vogelart fürchten. LOCKSPEISER, Edward, * 21.5. 1905 London, t 3.2. 1973 ebd.; engl. Musikkritiker und -schriftsteller. Er studierte in Paris bei Nadia Boulanger, in Berlin bei J. Rufer sowie am Royal College of Music in London bei Charles Herbert Kitson und war seit 144
1934 Musikkritiker bei einer Reihe von Zeitschriften, u. a. Music and Letters, The Listener (1936) und The Musical Times (1938), wurde 1940 Leiter der Musikabteilung sowie musikalischer Berater bei der BBC in London. Daneben dirigierte er u. a. 1953-57 das Goldsbrough Orchestre London. 1957-66 war er Musikredakteur der Encyclopaedia Britannica. 1966-70 lehrte er als Gastdozent am King's College in London und 1971 am Collège de France in Paris. Schriften: Berlioz (Lo 1938, 31952, Nachdr. NY 1962); Bizet (Lo 1946); Mahler in France, in: The Monthly Musical Record 90 (1960); Debussy, 2 Bde. (Lo 1962-65); Debussy in Perspective, in: MT 109 (1968); The Berlioz-Strauss Treatise on Instrumentation, in: ML 50 (1969); Music and Painting. A Study in Comparative Ideas from Turner to Schoenberg (Lo 1973).
LOCKWOOD, Lewis, * 16. 12. 1930 New York; amerik. Musikforscher. Er studierte am Queens College in New York sowie bei O. Strunk und A. Mendel an der Princeton University (N. J.), wo er 1960 promovierte. Seit 1958 lehrte er an der Princeton University (1968 Professor) und folgte 1980 einem Ruf an die Harvard University in Cambridge (Mass.). L. veröffentlichte grundlegende Arbeiten über die italienische Musik des 15.-16. Jh. und über die Quellen der Werke L. van Beethovens. Schriften: V. Ruffo and Musical Reform after the Council of Trent, in: MQ 42 (1957); On „Parody" as Term and Concept in 16th-Century Music, in: Aspects of Medieval and Renaissance Music. FS G. Reese (NY 1966); The Counter-Reformation and the Sacred Music of V. Ruffo (V - W 1970) (= Studi di musica veneta 2); Problèmes de création musicale au XIX'siècle, in: AMI 4 (1970); On Beethoven's Sketches and Autographs. Some Problems of Definition and Interpretation, in: ebd.: Beethoven's Sketches for „Sehnsucht", in: Beethoven Studies (NY 1973); On "Mannerism" and "Renaissance" as Terms and Concepts in Music History, in: Studi musicali 3 (1974); Beethoven's Early Works for Violoncello and Contemporary Violoncello Technique, in: Beitr. '76-78. Beethoven-Kolloquium 1977 (Kas 1978).
LOCO (it. = [an seinem] Ort), Bz. für die Stelle, an der nach einer vorhergehenden Oktavierung (8 all'ottava) wieder in die Normallage zurückgekehrt werden soll. Bei Violinkompositionen wird damit auch nach vorhergehender Anweisung des Spiels bestimmter Saiten (z. B. sul G oder 4m° corde) und dadurch auch ungewöhnlicher Lagen die Rückkehr in die Normallage gefordert. LODOISKA, Comédie héroïque in 3 Akten von Luigi Cherubini (1760-1842), Text von Claude François Fillette-Loraux nach Les amours de Chevalier de Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvray. UA: 18.7.1791 in Paris (Théâtre Feydeau); dt. EA (in dt. Sprache): 13.5.1797 in Berlin. Mit der Vertonung dieses „Rettungsstückes" errang Cherubini in Paris die endgültige Anerkennung als Opernkomponist. Die Schwächen des Li-
Logothetis
brettos, „so kindisch und dumm wie ein schlechter Bibliotheksroman, eine polnische Rittergeschichte vom ordinärsten Schlage" (Moritz Hauptmann, 1854), überdeckte der Komponist mit konsequent durchgeführter musikalisch-dramatischer Charakterisierung der Situationen und Individualisierung der Gestalten. Bei der UA applaudierte das Publikum stehend nach jedem Abschnitt dieser Nummernoper; noch im selben Jahr folgten weitere 200 Aufführungen. Dieser große Erfolg setzte sich in Deutschland fort, wo L. bis 1850 zum Repertoire gehörte. K. LANGROCK LOEFFLER, Charles Martin, * 30. 1. 1861 Mülhausen (Elsaß), t 19.5. 1935 Medfield (Massachusetts); amerik. Violinist und Komponist frz. Herkunft. Er verbrachte seine Kindheit in Rußland, Ungarn und der Schweiz und studierte dann in Berlin bei E. Rappoldi, J. Joachim (Violine) und Fr. Kiel (Harmonielehre) sowie in Paris bei H. Léonard, J. Massart (Violine) und E. Guiraud (Komposition). 1881 übersiedelte er in die USA; 1882-1903 war er Mitglied des Boston Symphony Orchestra. 1903 zog er sich auf seinen Besitz in Medfield zurück und widmete sich dem Unterricht und der Komposition. Sein Schaffen knüpft an den französischen Impressionismus an, dessen wichtigster Vertreter in Amerika er wurde. Nach seinem Tode vermachte er seinen gesamten Nachlaß dem Pariser Conservatoire und der Académie Française. WW: A Fagan Poem (1901) für Klv. u. 12 Instr., bearb. für KIv. u. Orch. (1906); Music for Four Stringed Instruments (1923) ; symphonische Dichtungen: La mert de Tintagiles (1897) (nach M. Maeterlinck) für 2 Viole d'amore u. Orch., bearb. für eine Viola d'amore u. Orch. (1900); La vilianelle du diable (1901) (nach M. Rollinat) für Orch. u. Org.; Avant que tu ne t'en ailles (1901) (nach P. Verlaine), bearb. als La bonne chanson (1918) u. als Poem (1923); Memories of My Childhood (1925). - Ode For One Who Fell in Battle (1906) (Text: T. W. Parson) für 8st. Chor a cap., Neufassung (1911); Symphonie Hora mystica (1915) mit Männerchor; Evocation (1930) für Frauenchor u. Orchester. Lit.: C. ENGEL, Ch. M. L., in: MQ 11 (1925) u. 22 (1936); 0.H. COLVIN junior, Ch. M. L., 2 Bde. (1959) (= Diss. Univ of Rochester / N.Y. ).
LOGARITHMUS, mathematische Funktion, die erstmals 1739 von L. Euler zur Intervallberechnung in die Musiktheorie eingeführt wurde. Heute sind 3 logarithmische Systeme gebräuchlich: das System von Euler (Teilung der Oktave in 1000 Einheiten), das System von Savart (Teilung der Oktave in 301 Einheiten; /Savart) und das System von A. J. Ellis (Teilung der Oktave in 1200 Einheiten; /Cent). — Im Vergleich zur mathematischen Darstellung von Intervallen mittels ihrer Frequenzen (Zahlenverhältnisse) lassen sich bei der logarithmischen Intervallberechnung die Größenunterschiede von Intervallen leichter erkennen. So ergibt sich z. B. bei
Anwendung der Centrechnung und Frequenzberechnung für den Vergleich von pythagoreischer Terz und reiner Terz folgendes Bild: reine Terz = 5/4 = 386 Cent, pythagoreische Terz = 81/64 = 408 Cent. Dem Vorteil der einfacheren Berechnung (z. B. Quinte + Quarte = Oktave ist nach dem System von Ellis 700 Cent + 500 Cent = 1200 Cent statt 3/2 •4/3 = 12/6 = 2/1) steht der Nachteil rechnerischer Ungenauigkeit gegenüber. LOGIER, Johann Bernhard, * 9.2.1777 Kassel, 27.7.1846 Dublin; dt. Musikpädagoge und Komponist. Er studierte bei seinem Vater Klavier und Theorie und übersiedelte 1791 nach England. 1794-1807 war er Flötist einer Militärkapelle, deren Leitung er bald auch innehatte, 1809-10 Dirigent in Dublin. Dann widmete er sich dem Musikalienhandel und dem Klavierunterricht. Er führte mit der Erfindung des >'Chiroplasts eine neue Methode für den Klavierunterricht ein, die im 19. Jh. besonders in Irland, Großbritannien und den USA großen Erfolg hatte.
t
Schriften: An Explanation and Description of the Royal Patent Chiroplast (Lo 1816); Logier's Thorough-Bass (Lo 1818), dt. Obers. v. A. B. Marx (B 1819); System der Musikwissenschaft und der praktischen Komposition (B 1827). Dazu Aufgaben und Beispiele (B 1827), auch engl u. französisch. Lit.: H. BECKER, System L., in: Musica 11 (1957); G. PUG N ER, J. B. L. (Diss. L 1960).
LOGOTHETIS, Anestis, * 27.10.1921 Burgas (Bulgarien); östr. Komponist und Maler griech. Abstammung. Nach einem Ingenieurstudium in Wien, wo er seit 1942 lebt, studierte er nach dem Krieg bis 1951 Klavier u. Komposition an der Wiener Musikakademie. 1955-68 war er Mitarbeiter der Universal Edition und Edition Modern in Wien sowie der Edition Gerig in Köln. Mehrfach mit Wiener und Athener Kompositionspreisen ausgezeichnet, wirkt er seither freischaffend als Komponist und Klavierlehrer. Ausgehend von den dodekaphonisch-serialistischen Satztechniken seines Lehrers A. Uhl, entwickelte er seit den frühen 60er Jahren Formgebungen mittels einer „integrierenden" Notation von „Assoziations-Zeichen" zu improvisatorischer Ausführung von Musik in variablen Besetzungen (Zeichen als Aggregatzustand der Musik, W 1974). Seine eigenen Kompositionen erzielen hierin Klangstrukturen von zartester bis zu bruitistischer Bandbreite. WW (in integrierender Notation): 1) Far beliebige Besetzungen: Koordination (1960) für 5 Orch.-Gruppen; Katalysator (1960); Kulmination (1961); Meditation (1961); Vibration (1962); Mäandros (1963); Odyssee (1963), auch als Ballett; Diffusion (1965); Styx (1968); Zonen für Siegfried Behrend (1969); Kollisionen (1970); Styxische Flüsse (1971); Pyriflegheton-AcheronKokkytos (1971) für 3 Chöre u. Instr.; Klangraum I u. II (1972) für Orch.; Emanationen (1973) für Klar. u. Tonband. - 2) Bib-
145
Logroscino nen-WW: Ballette: Himmelsmechanik, UA (3 Bilder von 7): Wien 1962; Fünf Porträts der Liebe, 1. u. 2. Bild UA: Wien 1962, 3. u. 4. Bild: Tokyo 1965; Fantasmata u. Meditation für Tonband, UA: Wien 1969; musikal. Schauspiele: Party (1961) u. Karmadharmadrama, UA: Wien 1974; Hörspiele: Anastásis für St. u. Instr., UA: Saarländischer Rundfunk 1970, Bühnenfassung: Selb 1971; Nekrolog, UA: Wien 1974; Kerbtierparty, UA: Saarländischer Rundfunk u. NDR 1974; Menetekel, UA: Stuttgart 1975. — 3) Für Tonband: Tang aus Harfe u. Klavier (1963); Ohne Titel (1965); Sechs Synthemata (1968); Kyklópia (1969). — 4) Scbrlften: Notation mit graphischen Elementen (Salzburg 1967); Gezeichnete Klänge, in: Neues Forum (W 1969) H. 183; Kurze musikal. Spurenkunde. Eine Darstellung des Klanges, in: Wort u. Wahrheit 2 (W 1969); dass., in: Melos 37 (1970); Anestis Logothetis (W 1969, Athen 1975) (illustriertes Album); Impulse (W 1973); Zeichen als Aggregatzustand der Musik (W — Mn 1974). Lit.: E. KARKOSCHKA, Das Schriftbild der Neuen Musik (Celle 1966); K. ROSCHITz, A. L. u. die „musikal. Graphik", in: Protokolle 69 (1969).
LOGROSCINO (Lo Groscino), Nicola Bonifacio, getauft 22.10. 1698 Bitonto, t uIn 1765/67 Palermo; it. Komponist. Sohn des Domkapellmeisters von Bitonto, Pietro L., studierte er 1714-27 am Conservatorio S. Maria di Loreto in Neapel und war 1728-31 Organist im Erzbistum Conza. 1738 wurde in Rom seine Oper IJ Quinto Fabio aufgeführt. Seit 1758 war er Lehrer für Kontrapunkt am Conservatorio dei Figliuoli dispersi in Palermo. Er galt gelegentlich als „Gott der Opera buffa".Die beiden einzig erhaltenen Werke dieses Genre provozierten jedoch hinsichtlich der Originalität der Finalegestaltung eine scharfe musikwissenschaftliche Kontroverse zu Beginn des 20. Jh. zwischen H. Kretzschmar und E. J. Dent. WW: Hsl. erhalten sind: 2 Stabat mater, einige Kantaten, Arien u. Duette; ferner die Opern Il governatore, UA: Neapel 1742; Fragment der Opera buffa Leandro, UA: ebd. 1744, u. Giunio Bruto, UA: Rom 1748. Lit.: H. KRETZSCHMAR, Zwei Opern N. L.s, in: Jb. Peters 15 (1908); U. PROTA-GIURLEO, N. L., „II Dio dell'opera buffa" (Neapel 1927); M. BELLUCCI LA SALANDRA, Triade musicale bitontina. Brevi cenni biografici di B. N. L. 1698-1760.. . (Bitonto 1936).
LOHELIUS, Johann (eig. Franz Joseph ČShlschlägel), *31. 12. 1724 Losch bei Dux (Böhmen), t 22.2. 1788 Prag; böhmischer Organist und Komponist. Er war Organist an verschiedenen Klöstern, studierte später Philosophie in Prag und trat 1747 in das Prämonstratenserkloster Prag-Strahov ein, wo er nach theologischen und kompositorischen Studien 1756 Regens chori wurde. Dieses Amt behielt er bis zu seinem Tod. L. baute für sein Kloster die zu seiner Zeit bedeutendste Prager Orgel. WW: Zahlr. Messen, Oratorien u. a. kirchenmusikal. Werke sowie eine Schrift Beschreibung des in der königlichen Strahöfer StiftsKirche zu Prag neu eingerichteten u. im Jahr 1774 zu Standt gesetzten Orgelwerkes (1775) sind hsl. erhalten. Lit.: R. PERLIK, J. Lohel ČShlschlägel (Pr 1927); R. QUOIKA, Lohel 1724-88 u. der Prager Orgelbau seiner Zeit, in: Musik des Ostens 2 (Kas 1963).
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LOHENGRIN, Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner (1813-83), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: Antwerpen, in der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts. UA: 28.8.1850 in Weimar. Charakter- und situationsgebundene Emotionalität, göttliche Sendung und ethische Verhaltensnormen fixieren das Spannungsfeld der theatralischen Aktion. Neid und Machtstreben Ortruds, der erklärten Feindin, besiegeln das Schicksal des einsamen Gralsritters Lohengrin in gleichem MaBe wie Neugier und Wankelmut seiner liebenden Frau Elsa, die — von Ortrud angestachelt — das Gebot mißachtet, Lohengrin nie nach seiner geheimnisvollen überirdischen Herkunft zu fragen. Bei dramatischer Gleichrangigkeit von innerer und äußerer Handlung werden imaginativ verdichtete Historie und psychologisch interpretierter Mythos poetisch frei miteinander verbunden, wenn Wagner die Lohengrin-Sage — in Anlehnung an ein bayerisches Epos des späten 13. Jh. und an die noch ältere mittelalterliche Dichtung Der Sängerstreit auf der Wartburg — in der für die Geschichte des Deutschen Reiches bedeutsamen Zeit König Heinrichs I. (des „Voglers") spielen läßt. Zwar ist L. das letzte von Wagners Werken, das der Komponist selbst als „Oper" bezeichnete und das sowohl in der Bedeutung historischen Lokalkolorits für die Atmosphäreschilderung als auch in der Einflechtung wohlklingender belcanto-ähnlicher Melodien (als deren bekannteste der Brautchor im 3. Akt, Treulich geführt, gilt) noch der Großen Oper verpflichtet ist, aber die Dichte des Leitmotivgeflechts weist bereits auf das Musikdrama. Voll entwickelt sind dabei die für Wagners Leitmotivarbeit charakteristischen kompositorischen Techniken: Die melodische Grundgestalt eines Leitmotivs wird symbolisch einer Figur, einem Handlungsbereich oder einem Affekt zugeordnet und im Verlaufe der musikalischdramatischen Entwicklung durch rhythmische, harmonische und instrumentatorische Varianten der sich wandelnden Situation angepaßt. Konsequent einbezogen in das enge Beziehungsgeflecht zwischen Musik und Handlung wurde auch das Vorspiel, das hier die traditionelle Ouvertüre ablöst; seine Funktion wurde von primär musikalischer Einstimmung zu einer eigenständigen, die Haupthandlung nicht widerspiegelnden, sondern inhaltlich vorbereitenden programmatischen Komposition erweitert. — Die für das Jahr 1848 in Dresden geplante UA wurde abgesetzt: vom politischen Exil in der Schweiz aus, in das Wagner aufgrund seiner aktiven Beteiligung an der Revolution hatte fliehen müssen, bat der Komponist seinen Freund Fr. Liszt, sich des Werkes anzunehmen. Nach eini-
Löhner gem Zögern gab Liszt Wagners Drängen nach und führte die Oper anläßlich der Einweihung eines Herder-Denkmals an Goethes Geburtstag in Weimar auf - mit mäßigem Erfolg; die Anforderungen an Ausführende und Publikum erschienen zu hoch. Seit der Inszenierung in Wiesbaden 1853 jedoch ist ihr dauerhafte, bis heute ungebrochene Popularität beschieden. Wagner selbst hörte das Werk erst 11 Jahre nach der UA am 15.5.1861 in Wien. W. A. MAKUS
LOHET, Simon, * Mitte des 16. Jh. Lüttich, begraben 5.7. 1611 Stuttgart; belgischer Organist. 1571 trat er als Organist in die Stuttgarter Hofkapelle ein. Er unternahm mehrere Reisen in die Niederlande und nach Venedig mit dem Auftrag, von dort Musikinstrumente und Notenmaterial mitzubringen. WW: 20 Fugen, eine Kanzone, 2 Choralbearb. u. 2 dt. intavolierte Motetten, in: J. Woltz,
Nova musices organicae tabu-
latura (Bas 1617). Ausg.: J. WOLTZ, Nova musices ... (Faks.-Ausg. Bol 1970) (= Bibl. musica Bononiensis IV/53). - 3 Fugen, hrsg. v. H. A. METZGER, in: Orgelwerke alter Meister aus Süddeutschland
(Tü 1954). Lit.: G. FROTSCHER. Gesch. des Orgelspiels u. der Orgelkomposition 1 (B 1935, '1966); K.SWARYCZEWSKA, Fugi S. Loheta, in: Muzyka 2 (1957) (im Anhang Ausg. der 20 Fugen); A. REICHLING, in: MuA 1 1 (1958).
LOHLEIN, Georg Simon, getauft 16.7. 1725 Neustadt an der Heide, t 16. 12. 1781 Danzig; dt. Pianist, Violinist und Komponist. Er wurde zum Dienst in der Garde Friedrichs des Großen gezwungen, bei der er bis 1757 blieb. Danach studierte er an der Universität Jena und leitete deren Collegium musi cum. 1763 ist er in Leipzig als Violinist und Pianist beim „Großen Konzert" unter der Leitung von J. A. Hiller, später als Musikdirektor dieses Ensembles nachweisbar. Mit seinen Schülern organisierte er wöchentliche Musikabende. Anfang 1781 wurde er Kapellmeister an der Marienkirche in Danzig. L. wurde vor allem durch seine pädagogischen Werke bekannt. Von seinen Kompositionen verdient das Neujahrslied (1769) Erwähnung als früheste bekannte Vertonung eines Goethe -Gedichts. WW: Sonaten; Partiten für Cemb.; Duos für V.; Trios; StreichClavier -Schule, 2 Bde. (L- Züllichau 1765, 1781, zahlr. NA bis 1848); Anweisung zum Violinspielen (ebd. 1774, '1791). Ausg.: Klv.-Konzert F-Dur, hrsg. v. F. VON GLASENAPP (L 1954) (= Coll. Mus. 80); Sonate G-Dur (1765) für Fl. u. Cemb., hrsg. v. D. SONNTAG (Wilhelmshaven 1967); eine Fantasie in: P. SCHLEUNING, Die Fantasie I (Kö 1971); Cemb.-Konzert in: Danziger Instr.-Musik, hrsg. v. F. KESSLER (Neuhausen 1979). quartette; Konzerte. -
Lit.: F. VON GLASENAPP, G.S. L. (Hl 1937) (mit Werk- u. Lit.-Verz.); L. HOFFMANN-ERBRECHT, L., in: MGG VIII.
LOHMANN, Adolf, * 10. 1. 1907 Düsseldorf,
t 19. 10. 1983 ebd.; dt. Pädagoge und Komponist. Er studierte 1927-29 in Bonn und war dann im
Schuldienst tätig, meist in Düsseldorf, 1937-49 in Goch am Niederrhein. Seit 1926 widmete er sich der Musikarbeit in der katholischen Jugend und bemühte sich, durch Werkveranstaltungen, Singetage, Veröffentlichung von Liedsätzen, die z. T. von ihm selbst stammten, und Schallplatten wertvolles unbekanntes und neues Liedgut heimisch zu machen. Das wohl bekannteste seiner Liederbücher ist das Kirchenlied (1938), durch das auch zahlreiche evangelische Lieder Eingang in den katholischen Gottesdienst fanden und das viele eigene Lieder L.s enthält. Einige davon sind fest im Gemeindegesang verankert (Wir sind nur Gast auf Erden; Herz Jesu, Gottes Opferbrand). L. schrieb über 150 Lieder und 400 Chor- und Instrumentalsätze in der Tradition des 16./17. Jh. und oft volksliednah. W W : L. war Hrsg. der Liederbücher: Das graue Singeschiff (Düsseldorf o.J. [19341) (zus. mit J. Diewald); Kirchenlied I u. II (B Fr 1938 u.ö., Fr 1967) (zus. mit dems. u. G.Thurmair); Weihnachts-Singebuch I u. II (Fr o.J. [1941], Fr 1972) (zus. mit J. Diewald). - Ferner Kirchenliedpflege (Düsseldorf 1962) (zus. mit
J. Dunkel). Lit.: J. DIEWALD, in: Informationen. Veröffentlichungsorgan für die Mitglieder der Werkgemeinschaft Lied u. Musik (1977) Nr. 13; A. WELLER, A. L, in: Mitt. der Arbeitsgemeinschaft für rhein. Musikgesch. 52 (1977); DERS., Werkverz A. L, in: Stud. z. Musikgesch. des Rheinlandes 5 (Kö 1978).
LOHNER, Fritz, * 24.6.1883 Wildenschwert (Böhmen), t Dezember 1942 Konzentrationslager Auschwitz; östr. Librettist und Schlagertexter. Er studierte Jura an der Universität Wien und begann schon in jungen Jahren schriftstellerisch tätig zu sein. Längere Zeit arbeitete er als Theaterdramaturg und kam dann über das Kabarett zum Schlagerlied und zur Operette. Neben zahlreichen für die 20er Jahre charakteristischen Schlagertexten (unter dem Pseudonym Beda) verfaßte er, meist in Zusammenarbeit mit anderen Autoren (etwa Alfred Grünwald), die Libretti zu Werken der bekanntesten Operettenkomponisten seiner Zeit. WW: Schlagertexte, u. a. Was machst du mit dem Knie, lieber Hans u. Ausgerechnet Bananen. - Libretti zu: F. Raymond, Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren (1927); F. Lehár, Friederike (1928); ders., Das Land des Lächelns (1929); P. Abraham, Victoria und ihr Husar (1930); ders., Die Blume von Hawaii (1931); ders., Ball im Savoy (1932); F. Lehár, Giuditta (1934).
LOHNER, Johann, * getauft 21.11. 1645 Nürnberg, t 2.4. 1705 ebd. Von seinem Schwager G. C. Wecker wurde er zum Organisten ausgebildet. Nach einer Studienreise, die ihn nach Wien, Salzburg und Leipzig führte, war er vorübergehend als Hofmusiker in Bayreuth tätig. Seit 1672 hielt er sich wieder in Nürnberg auf, zunächst offenbar ohne feste Anstellung, seit 1682 als Organist an der Spitalkirche, seit 1694 als Organist an St. Lorenz. L. war vor allem als Komponist erbaulicher geistlicher 147
Leillet Lieder bekannt und beliebt. Seine Opern, von denen Aufführungen in Nürnberg und am Ansbacher Hof belegt sind, enthalten als „Arien" noch die für die frühdeutsche Oper typischen Strophenlieder. WW (alle in Nürnberg gedruckt): 1) Geistliche Vokal-WW: Geistliche Sing-Stunde oder 30 Andacht Lieder für SingSt u. Gb., z.T. mit 5 Violen (1670); Der geistlichen Erquickstunden... Poetischer Andacht-Klang in Arien gesetzet (1673); D. Johann Sauberts Verneuete Kirchenandacht ... für SingSt u. Gb. (1674); Auserlesene Kirch- u. Tafel-Music für SingSt, 2 V. u. Gb. (1682); Die alte Zions-Harpfe, nach denen 150 Psalmen in eben so vielen Liedern angestimmet (1694); Suavissimae canonum musicalium delitiae für 3-8 St. (1700); 8 Lieder in: J. Saubert, Nürnbergisches Gesang-Buch (1677); 21 Lieder, in: J. C. Arnschwanger, Heilige Psalmen und christliche Psalmen (1680); ferner 8 Drucke mit 17 Beerdigungsliedern (1670-1696). - 2) Weltliche Vokal-WW: Keusche Liebs- und Tugend-Gedancken (12 Arien) für SingSt, 2 V. u. Gb. (1680); 44 Arien aus der Opera von Theseus (1688). - 3) Bühnen-WW: Die triumphirende Treu, UA: 1679, u. Der gerechte Zaleucus, UA: 1687 (hsl.). Lit.: A. SANDBERGER, Zur Gesch. der Oper in Nürnberg, in: AfMw 1 (1918/19) (darin 12 Arien); H. SAMUEL, L., in: MGG VIII; DERS., The Cantata in Nürnberg During the 17th Century (Ithaca/N.Y. 1963) (= Diss. Cornell Univ.). M. RUHNKE
LEILLET (L' Eillet),1) Jean-Baptiste (John), getauft 18.11.1680 Gent, t 19.7.1730 London; belgischer Oboist (auch Flötist), Cembalist und Komponist. Er ist seit 1705 in London nachweisbar, wo er seit 1710 wöchentliche Hauskonzerte veranstaltete. Nach J. Hawkins sollen in diesem Rahmen A. Corellis Concerti grossi op. 6 ihre englische Erstaufführung erfahren haben. L.s Lessons für Cembalo folgen englischen Vorbildern und führen darüber hinaus die Corelli-Rezeption fort. Daß er in seinem ersten Druckwerk „Mr. Baptist Lully" genannt wird, hat Fehlzuschreibungen verursacht. WW: 18 Triosonaten, op. 1 u. 2 (Lo 1722, 1725); 6 Sonaten für Querfl. u. 6 für Blockfl. (Lo 1729); Lessons for the Harpsichord or Spinet (Lo 1709-15); 6 Suits of Lessons for the Harpsichord (Lo 1723).
2) Jacques (Jacob Jean Baptiste), Bruder von 1), getauft 7.7.1685 Gent, t 28.11.1746 ebd.; belgischer Komponist. Er ist als Oboist 1726 am Münchner und 1727 am Versailler Hof nachweisbar. Sein Bruder Jean-Baptiste berücksichtigte ihn und seine Kinder in einem 1729 aufgesetzten Testament mit einem Legat. WW: 6 Sonaten für eine Querfl. mit B.c., op. 5 (P 1728); 6 Sonaten für 2 Querfl. ohne B.c., op. 4 (P 1728); Konzert Es-Dur für Ob. u. Str. sowie Konzert D-Dur für Fl. u. Str. hsl.
3) Jean-Baptiste, Vetter von 1), * 26.7. 1688 Gent; belgischer Komponist. Seine näheren Lebensumstände liegen im Dunkeln. Von ihm ist nur bekannt, daß Angehörige des französischen Adels als Widmungsträger seiner ausnahmslos in Amsterdam publizierten Werke erscheinen. WW: 12 Sonaten für Fl. u. B.c., op. 1 (A 1705), op. 2, 3 u. 4 (A 1715); 12 Sonaten, op. 5 (6 für eine u. 6 für 2 Querfl. u. B.c.) (A 1720); 6 Sonaten aus op. 1 u. 2, bearb. für 2 Fl. (Lo 1730).
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Ausg. (wenn nichts anderes angegeben, hrsg. v. H. Ruf): Zu 1): Werker voor clavicimbal (Lessons u. Six Suits of Lessons für Cemb.), hrsg. v. J. WATELET (An 1932) (= MMBeIg 1); Triosonaten aus op. 1: Nr. 3 g -moll u. Nr. 5 c -moll (Celle 1963) (= Moecks Kammermusik 77-78); Nr. 2 G-Dur, Nr. 4 D-Dur u. Nr. 6 e -moll (Mz 1967) (= II flauto traverso o.Nr.), Nr. 2, hrsg. v. F. SCHROEDER (Wb o. Nr.); aus op. 2: Nr. 2 F-Dur, Nr. 6 C-Dur und Nr. 4 d -moll (Kas 1961-64) (= Hortus Mus. 166, 176, 181); Nr. 7 E-Dur und Nr. 1 1 D-Dur, hrsg. v. L. HOFFERVON WINTERFELD (H 1963); Nr. 12 G-Dur (Kas 1964) (= Flötenmusik o. Nr.); Nr. 11 D-Dur (Mz 1967) (= Il flauto traverso o. Nr.); Konzert D-Dur für Trp. u. Orch., hrsg. v. J. THILDE (P 1973). - Zu 2): Konzert D-Dur für FI., 2 V. u. B.c. (Kas 1959); Konzert für Ob., Streichorch. u. B. c., hrsg. v. F. SCHROEDER (Wb 1968). - Zu 3): GA der Sonaten op. 1-4, hrsg. v. W. KOLNEDER (Wilhelmshaven o.J.), bisher erschienen op. 1 (4 H.e), von op. 2-4 jeweils H. 1; Sonaten op. 1 Nr. 1, 4, 6 u. 8, op. 2 Nr. 5 u. op. 4 Nr. 6, hrsg. v. H. MöNKEMEYER (Celle o.J.) (= Moecks Kammermusik Nr. 1028-1032); Sonaten op.3 Nr. 2-6 u. 10, hrsg. v. P. F. SCHERBER - A. KUTZ (Mz 1949): Sonaten op. 1 Nr. 1-3, hrsg. v. J. F. HINNENTHAL (Kas 1952, Neudruck 1967) (= Hortus Mus. 43); Sonaten op. 3 Nr. 9 u. op. 4 Nr. 9-10, hrsg. v. DEMS. (Kas 1960) (= ebd. 162); Sonaten h moll op. 5 Nr. 2 u. g-moll op. 5 Nr. 6 für Ob. (Mz 1974). Lit.: B. PRIESTMAN, Cat. thématique des oeuvres de Jean-Baptiste, John & Jacques L., in: RBMie 6 (1952); DERS., An Introduction to the L.s (1954) (= The Consort 11); A. SKEMPTON. The Instrumental Sonatas of the L.s, in: ML 43 (1962). - Zu 1): B. PRIESTMAN, The Keyboard Works of J. L., in: MR 16 (1955). G. MORCHE
LOLLI, Antonio, * um 1730 Bergamo, t 10.8. 1802 Palermo; it. Violinist und Komponist. L. war vermutlich Schüler von Padre Martini. Auf Veranlassung N. Jommellis wurde er 1758 als Konzertmeister an die Stuttgarter Hofkapelle verpflichtet, wo er bis 1774 blieb. Anschließend war er bis 1783 Kammervirtuose der Kaiserin Katharina II. in St. Petersburg. 1794 erhielt er noch eine Anstellung als 1. Konzertmeister des Königs von Neapel in Wien. Später zog er sich nach Palermo zurück. Auf ausgedehnten Konzertreisen durch Europa wurde L. als glänzender Virtuose gefeiert. Sein Einfluß auf die Entwicklung des Violinspiels war beträchtlich. Seine Kompositionen dagegen, von Kritikern gelegentlich als „bizarr" empfunden und scharf verurteilt, fanden mit Ausnahme der Violinsonaten bei Zeitgenossen nur wenig Anklang. WW: 6 V. -Duos; 3 H.e V. -Sonaten mit B.c.; 8 V. -Konzerte ferner eine École du violon en quatuor (B-A um 1784). Lit.: G. B. RANGONI. Saggio sul gusto della musica col carattere de' tre celebre sonatori di Violino, i Signori Nardini, L. e Pugnani (Livorno 1790, Faks.-Ausg. Mi 1932); A. MOSER, A. Corelli u. A. L., in: ZfMw 3 (1920/21); N. K. NUNAMAKER, The Virtuoso Violin Concerto Before Paganini. The Concertos of L., Giornovichi and Woldemar (1968) (= Diss. Indiana Univ.); A. MELL, A. L.'s Letters to Padre Martini, in: MQ 56 (1970).
LOMBARDI ALLA PRIMA CROCIATA, I (Die Lombarden während des 1. Kreuzzuges), Oper in 4 Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901), Text von Temistocle Solera nach dem Versepos I Lombardi
London Philharmonic Orchestra (1826) von Tommaso Grossi. Orte der Handlung (die Akttitel sind in der Operngeschichte einmalig): 1. Akt: Die Rache (Mailand), 2. Akt: Der Mann in der Höhle (in und um Antiochia), 3. Akt: Die Bekehrung (Tal von Josaphat bei Jerusalem), 4. Akt: Das Heilige Grab (bei Jerusalem), Zeit: um 1095. UA: 11.2.1843 in Mailand (Scala); dt. EA: 25.8. 1845 in Berlin (Königstädtisches Theater). Die Handlung ist nicht überzeugend motiviert und verläuft wegen einiger Exkurse diffus. Die Historie bietet nur den farbigen Hintergrund (mit der Möglichkeit zu orientalischem Kolorit) für die tödliche Rivalität zweier Brüder um eine Frau. Der Unterlegene, Pagano, der irrtümlich zum Mörder seines Vaters wird, gelangt als Einsiedler in der Verbannung zur Läuterung und vermag dem Heer der Kreuzfahrer schließlich zum Sieg zu verhelfen. — Das Werk gehört zum Typus der Belcanto-Oper: inspirierte Soli mit flammenden Emotionen, plakative Kontraste, schmissige Chöre und straffe Rhythmen. Einflüsse G. Rossinis (Zitat aus Otello), V. Bellinis und G. S. R. Mercadantes sind deutlich herauszuhören, aber auch G. Meyerbeers Homorhythmik hat Spuren französischer Provenienz hinterlassen. Die Oper zählt neben Nabucco und Ernanizu Verdis frühen „politischen" Werken. Der Personalstil ist noch nicht gefestigt, aber schon deutlich entwickelt. Bei der UA erhielt die Oper stürmischen Applaus. Der Chor O Signore, dal tetto natio (4. Akt) entfachte eine bekenntnishafte politische Ovation. Das Werk wurde als erste Oper Verdis in Amerika aufgeführt (New York 1847). Die französische Fassung mit dem Titel Jérusalem weist Umarbeitungen und Hinzufügungen auf. H. BECKER LOMBARDISCHER RHYTHMUS, Lombardischer Geschmack, Bz. für die Folge einer kurzen und einer langen Note im Verhältnis 1: 3: fl. bzw. f J. oder !I. (es handelt sich also sozusagen um die Umkehrung des punktierten Rhythmus TOE usw.). Seit dem späten 16. Jh. gehört der L. R. als improvisierte Möglichkeit des Vortrags gleichrhythmisch notierter melodischer Phrasen in den Bereich der Verzierungslehre (u.a. bei T. de Sancta Maria, 1565; G. Caccini, 1602; G. Frescobaldi, 1614). In diesem Sinn wird er etwa von Fr. Couperin (Pièces de clavecin, 1713) durch Bögen und Punkte über den betreffenden Noten angezeigt. =A====o=— In der Auffassung der Zeit unterscheidet sich der L. R. von einem Vorschlag durch die stärkere Betonung der kurzen Note. Ein bekanntes Beispiel für L. R. in ausgeschriebener Form ist der letzte Satz des Concerto grosso C-Dur (zu Alexander's Feast) von G. Fr. Händel.
LONATI (Lunati), Carlo Ambrogio, * um 1645 Mailand, t 1710/15 ebd. (?); it. Violinist und Komponist. L. war 1665-67 Violinist der königlichen Kapelle in Neapel. Anschließend ging er nach Rom und wurde dort 1668 Mitglied der Congregazione di S. Cecilia. 1673-74 leitete er die Privatkapelle der Königin Christine von Schweden und war 1674 bis 1675 Violinist des Oratorio del SS. Crocifisso. Seit 1678 lebte er in Genua und später in Mailand, wo Fr. Geminiani sein Schüler wurde. L.s wichtigste Kompositionen, die 12 Sonaten für Violine und B. c., stehen stilistisch A. Corelli und der oberitalienischen Schule nahe und belegen durch häufige Verwendung von Doppelgriffen und Scordatura seine hervorragende Violintechnik. WW: 2 Orgelsonaten; 12 V.-Sonaten mit B.c. (Mi 1701); zahlr. Kantaten, Arien, Kanzonetten u. ein Oratorium; Opern, u.a.: Amor stravagante, UA: Genua 1677; Ariberto e Flavio, UA: Venedig 1684. Ausg.: Sonate V, in: F. GIEGLING, Die Solosonate (Kö 1959) (= Das Musikwerk 15).
LONDON, George (eig. George Burnstein), * 30.5. 1919 Montreal (Kanada), t 23.3. 1985 Armonk (N.Y.); kanadischer Sänger (BaBbariton). Er studierte bei R. Lert in Los Angeles und debütierte 1941 als Dr. Grenvil in G. Verdis La Traviata in Hollywood. 1947 ging er als Mitglied des „Belcanto-Trios" (gemeinsam mit Frances Yeend und Mario Lanza) auf eine zweijährige Welttournee und sang 1949 den Amonasro in einer AidaAufführung an der Wiener Staatsoper, der er bis 1956 angehörte. 1951 trat er als Amfortas in R. Wagners Parsifal erstmals bei den Bayreuther Festspielen auf, debütierte im selben Jahr als Amonasro an der Metropolitan Opera in New York und 1952 als Graf in W. A. Mozarts Hochzeit des Figaro bei den Salzburger Festspielen. Gastspiele führten ihn an das Bolschoi-Theater in Moskau, an die Mailänder Scala und das Teatro Colón in Buenos Aires. Eine Krankheit Ende der 60er Jahre setzte seiner Sängerlaufbahn ein Ende. 1968 übernahm L. die Leitung des J. F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington, 1972 wurde er Generaldirektor des Opera Theater of Southern California in Los Angeles und 1975 der Opera Society in Washington (D. C.). LONDON PHILHARMONIC ORCHESTRA, wurde 1932 von Th. Beecham gegründet und debütierte im selben Jahr in London bei den Konzerten der Royal Philharmonic Society. Später spielte es bei den Robert Mayer Concerts for Children, bei den Courtauld-Sargent Concerts, für die Sommerspielzeit der Covent Garten Opera in London und bei den Festspielen in Leeds und Norwich, die Beecham dirigierte, sowie 1936 beim Sheffield Festival, 149
London Symphony Orchestra wo H. Wood dirigierte. Unter Beechams Stabführung, der bis 1939 das Orchester leitete, entwickelte sich das L. zu einem der führenden europäischen Orchester. Nach Beechams Ausscheiden erhielt das L., das bislang eine „Association" zwischen Dirigent und Orchester gewesen war, eine autonome Organisationsform und wählt den Chefdirigenten selbst: 1943-46 A. Fistoulari, 1949-50 E. van Beinum, 1951-57 A. Bowlt, 1958-59 W. Steinberg und 1962-67 J. Pritchard. 1967 wurde B. Haitink an die Spitze des L., 1970 zugleich zum künstlerischen Direktor des Orchesters berufen. 1979 wurde G. Solti sein Nachfolger. Lit.: TH. RUSSELL, Philharmonic (Lo 1942); DERS., Philharmonic Project (Lo 1945); W. KELLAWAY, London Philharmonic (Lo 1972).
LONDON SYMPHONY ORCHESTRA ist das älteste Londoner Orchester. Es wurde gebildet von 50 Mitgliedern des Queen's Hall Orchestra, die noch 10 Musiker dazu engagierten, und debütierte 1904 in der Queen's Hall in London unter der Leitung von H. Richter, der der erste ständige Dirigent des Orchesters wurde. 1905 unternahm das L. seine erste England-, 1906 seine erste Auslandstournee (nach Paris); 1912 gab es unter der Leitung von A. Nikisch 28 Konzerte in den USA. Nikisch wurde im selben Jahr an die Spitze des Orchesters berufen. In den 20er Jahren wandte sich das L. neben seiner Konzerttätigkeit dem Film und Funk zu; 1922 spielte es unter E. Goossens zu Filmen, die in der Covent Garden Opera in London gezeigt wurden, 1924 war es das erste Orchester, dessen Spiel in der BBC übertragen wurde. 1928-32 war Th. Beecham, dann Hamilton Harty Chefdirigent des L., das sich zu einem der führenden Orchester Großbritanniens entwickelte. Während des 2. Weltkriegs spielte das Orchester für die Promenadekonzertsaisons, 1940 zum ersten Mal unter Henry Wood. 1950 übernahm J. Krips das L., 1960 P. Monteux, unter dessen Stabführung das Orchester eine Spitzenstellung unter den Orchestern der Welt erlangte. Seine Nachfolger waren I. Kertesz (1964-68) und A. Previn (1968-79); E. Jochum wurde zum Ehrendirigenten ernannt. Heute wird das L. von Cl. Abbado geleitet. Lit.: R. ELKIN, Queen's Hall, 1893-1941 (Lo 1944); H. J. FOSS — E. GOODWIN, London Symphony. Portrait of an Orchestra (Lo 1954); M. PEARTON, The LSO at 70 (Lo 1974).
LONG, Marguerite, * 13.11.1874 Nîmes, t 13.2. 1966 Paris; frz. Pianistin. Sie war Schülerin von A. Fr. Marmontel am Pariser Conservatoire, wo sie 1904-40 unterrichtete und 1920 als Nachfolgerin von A. Diémer eine Meisterklasse für Klavier übernahm. 1920 gründete sie eine eigene Musikschule, der sich 1940 J. Thibaud anschloß, und 150
schuf 1943 mit ihm zusammen den „Concours international de piano et violon M. L. — J. Thibaud". M. L. wurde vor allem als Interpretin der Klavierwerke von G. Fauré, Cl. Debussy und M. Ravel bekannt, von denen sie viele Werke uraufführte (z. B. Ravels Klavierkonzert in G, 1931). Schriften: Le piano de M. L., Méthode (P 1959); Au piano avec C. Debussy (P 1960, engl. Lo 1972); Au piano avec G. Fauré (P 1963) (zus. mit J. Weill); Au piano avec M. Ravel (P 1971) (zus. mit P. Laumonier). Lit.: J. WEILL, M. L. (P 1969).
LONGA (lat., statt Nota longa = lange Note), aus der řVirga der sog. römischen Quadratnotation (řNeumen) entstandenes Notenzeichen in der Notenschrift seit dem 13. Jh. ( ). In der Mensuralnotation dieser Zeit gilt sie — als L. perfecta — 3 Breves, wenn ihr eine weitere L. (oder L.-Pause) oder 2 oder 3 Breves folgen. Sie gilt — als L. imperfecta — 2 Breves, wenn ihr eine einzelne Brevis folgt, durch die sie „imperfiziert" wird (řImperfektion). Die entsprechenden Pausen sind ein senkrechter Strich durch drei Zwischenräume des Liniensystems,
wenn es sich um eine L. perfecta handelt
I
ein Strich durch zwei Zwischenräume, wenn es sich um eine L. imperfecta handelt
i
Mit der Einführung der sog. weißen Notation im
15. Jh. erhielt auch die L. eine „hohle" Form (9 ). In der Musik des 15.-17. Jh. sind die Schlußnoten geschlossener Abschnitte in allen Stimmen grundsätzlich als Longae notiert („Schlußlongae"), auch wenn sie in den einzelnen Stimmen von unterschiedlicher Dauer sind. — Die Duplex-L. (řMaxima) hat den Wert zweier Longae. LONGMAN & BRODERIP, engl. Musikverlag und Instrumentenfabrik. Die Firma wurde 1767 von James Longman mit mehreren Teilhabern in London als „J. Longman & Co." gegründet. 1775 trat Francis Broderip in das Unternehmen ein, das nun die Bezeichnung „Longman, Lukey & Broderip” trug. Nach Lukeys Ausscheiden wurde das Haus, das u. a. Werke J. Haydns, J. S. Bachs und J. Stamitz' verlegte, bis zu seinem Bankrott (1798) von Longman allein weitergeführt. 1798-1801 schloB sich James Longmans Nachfolger, John Longman, mit dem ehemaligen Teilhaber M. Clementi zusammen, gründete dann ein eigenes Geschäft, das 1816 von Giles Longman zusammen mit James Herron bis zur endgültigen Auflösung des Unternehmens 1822 geleitet wurde. Fr. Broderip liierte sich bis 1808 mit C. Wilkinson und firmierte mit „Broderip & Co". 1810 ging die Firma an Preston & Son über.
Lorand Lit.: C. HUMPHRIES - W. C. SMITH, Music Publishing in the British Isles (Lo 1954, 2 1970).
LOOSE, Emmy, * 22.1. 1914 Karbitz bei Aussig (Böhmen); östr. Sängerin (Sopran). Nach ihrem Gesangstudium am Prager Konservatorium debütierte sie 1940 als Blondchen in W. A. Mozarts Entführung aus dem Serail in Hannover und wurde 1942 Mitglied der Wiener Staatsoper. Gastspiele führten sie nach Südamerika, an den Covent Garden in London, die Mailänder Scala und zu den Festspielen von Aix-en-Provence, Florenz, Glyndebourne und Salzburg. Außerdem war sie bis 1970 Professor für Gesang an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien und gab seit 1967 Kurse während der Internationalen Sommerakademie der Stiftung Mozarteum in Salzburg. LOPATNIKOW, Nikolai Lwowitsch, * 16.3. 1903 Reval, t 7.10.1976 Pittsburgh; amerik. Komponist russ. Herkunft. Er war 1914-17 Schüler am Konservatorium in St. Petersburg und 1919-21 von H. Grabner in Heidelberg sowie von E. Toch und Willy Rehberg in Mannheim. Daneben studierte er bis 1928 an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Anschließend lebte er in Berlin, seit 1933 in Estland sowie seit 1937 in London und ging 1939 in die USA. Dort unterrichtete er 1945-69 Komposition und Theorie am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh. WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Kammermusik, u. a.: 3 Streichquartette (1923, 1928, 1956); Divertimento da camera (1967) für 10 Instr. - Für Orch.: 4 Symphonien (1928, 1939, 1954, 1970); 2 Klv.-Konzerte (1925,1930); V.-Konzert (1942); Orch.-Konzert (1964). - Ferner die Oper Danton (1933) (nach R. Rolland). Lit.: Werkverz., in: Composers of the Americas 12 (Washington/D.C. 1966).
LOPES GRAVA, Fernando, * 17. 12. 1906 Tomar (Santarém); port. Komponist. Er studierte 1924-31 Musik am Konservatorium von Lissabon sowie Geschichte und Philosophie an den Universitäten von Lissabon und Coimbra und vervollständigte seine musikalische Ausbildung 1937-39 bei Ch. Koechlin und P.-M. Masson in Paris. 1941-54 lehrte er an der Academia de Amadores de Música in Lissabon, leitete 1942-56 die Konzertreihe Sonata für moderne Musik und war auBerdem als Mu-
sikkritiker tätig. L., einer der führenden Repräsentanten der zeitgenössischen portugiesischen Musikkultur, setzte sich stark für die Musik A. Schönbergs, I. Strawinskys und besonders B. Bartóks ein. Als Komponist suchte er durch die Synthese folkloristischer Elemente und moderner Techniken eine eigenständige port. Kunstmusik zu entwickeln. WV,: 1) Kompositionen: 4 Klv.-Sonaten (1934, 1943, 1954, 1961); Klv.-Quintett (1939, Neufassung 1963); Streichquartett (1964); Vieira da Silva (1966) für Bläserquintett. - Für Orch.: 2
Klv.-Konzerte (1941, 1942); 5 Estelas funerárias (1948); Symphonie (1953). - Lieder, Volksliedbearbeitungen u. Chöre a cap. - 2) Schriften: Reflexóes a música (Lis 1941); Introduçáo a música modems (Lis 1942); Mtisica e músicos modernos (Porto 1943); Talia, Euterpe e Terpsicora (Coimbra 1945); B. Bartók (Lis 1953); A cançáo popular portuguesa (Lis 1953); Ein louvor de Mozart (Lis 1956); A música portuguesa e os seus problemas, 2 Bde. (Porto 1959). - Ferner war L. G. Hrsg. v.: Lieder aus Portugal (H 1961) (= Lieder der Welt 6); Antologia da música popular portuguesa, 5 Bde. (Lis 1961-70) (zus. mit M. Giacometti). Lit.: M. V. HENRIQUES, F. L. G. na música portuguesa contemporánea (Sacavém 1956).
LÓPEZ COBOS, Jesús, * 25.2.1940 Toro (Zamora); span. Dirigent. Er studierte 1959-66 Klavier und Komposition an den Konservatorien in Málaga und Madrid, 1960-65 Philosophie an den Universitäten in Granada und Madrid (Dr. phil.), anschließend 1966-69 Dirigieren bei H. Swarowsky und Reinhold Schmid an der Wiener Musikakademie und 1969-70 noch an der Juilliard School of Music in New York. Nach kurzer Tätigkeit am Teatro La Fenice in Venedig ist L. C. seit 1972 ständiger Dirigent an der Deutschen Oper in Berlin, ab 1981 deren Chefdirigent. LOQUEVILLE, Richard (Richardus) de, t 1418 Cambrai; frz. Komponist. L. stand eine Zeitlang im Dienst des Herzogs Robert de Bar, dessen Sohn er seit etwa 1410 auf der Harfe unterrichtete. 1413 bis zu seinem Lebensende war er Maître de chant an der Kathedrale von Cambrai, wo G. Dufay sein Schüler wurde. Seine weltlichen Kompositionen weisen denn auch in ihrer Melodik und in der Tonalität auf den Stil Dufays voraus. WW: 7 Messesätze für 3 u. 4 St., darunter ein tropiertes Sanctus; eine Motette; 4 Rondeaux und eine Ballade. Ausg.: Ein Messesatz, in: Polyphonia sacra, hrsg. v. CH. VAN DEN BORREN (Lo 1932, revidiert University Park/Pa. 1963) (= Penn State Univ. Sertes o. Nr.). Lit.: E. DANNEMANN, Die spätgotische Musiktradition in Frankreich u. Burgund (Str 1936) (darin eine Chanson); J. MARIX. Histoire de la musique et des musiciens de la cour de Bourgogne (Str 1939, Nachdr. G 1972); G. DE VAN, A Recently Discovered Source of Early XVth Century Music, in: MD 2 (1948); G. REESE, Music in the Renaissance (NY 1954, revidiert 1959) (darin eine Chanson); W. REHM, L., in: MGG VIII.
LORAND, Colette, * 7.1.1923 Zürich; Schweizer Sängerin (Sopran). Nach ihrem Gesangstudium an der Musikhochschule Hannover und bei Melitta Hirzel in Zürich debütierte sie 1944 als Margarethe in Ch. Gounods gleichnamiger Oper in Basel. 1952 wurde sie von G. Solti an das Frankfurter Opernhaus engagiert. In der Eröffnungsvorstellung der wiederaufgebauten Hamburgischen Staatsoper sang sie die Königin der Nacht in W. A. Mozarts Zauberflöte. Neben Gastverträgen mit Hamburg, Düsseldorf, München, Berlin und Stuttgart folgte C. L. Einladungen an den Covent Garden in Lon151
Lorca don, die Wiener Staatsoper, zu den Festspielen von Edinburgh und an die Opernhäuser von Rio de Janeiro, Lissabon, Rom, Mailand, Bologna und Nea-
pel. Anfang der 70er Jahre spezialisierte sie sich auf Opern zeitgenössischer Komponisten und kreierte die weiblichen Hauptrollen in den Uraufführungen der Opern Prometheus von C. Orff (Stuttgart 1968), Elisabeth Tudor von W. Fortner (Berlin 1972) und Lear von A. Reimann (München 1978). LORCA, Federico García, /Garcia Lorca. LORENGAR, Pilar (eig. Pilar Lorenza García), * 16. 1. 1928 Saragossa; span. Sängerin (Sopran). Sie erhielt ihre Ausbildung in Barcelona, debütierte 1949 als Mezzosopranistin und wechselte 1951 ins Sopranfach. 1951 gastierte sie in Paris und London und 1957 als Pamina in W. A. Mozarts Zauberflöte beim Glyndebourne-Festival. Seit 1958 ist sie festes Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin. Gastspiele führten sie zu den Salzburger Festspielen, an die Metropolitan Opera in New York und an die Wiener und Münchner Staatsoper. L. wurde vor allem als Mozart-Sängerin bekannt. LORENS, Karl, *7. 7. 1851 Wien, t 12. 12. 1909 ebd.; östr. Volkssänger, Komponist und Textdichter. Er war Anstreichergehilfe, trat daneben als Stegreifsänger mit eigenen Reimen und Melodien auf und wurde ein bekannter Volkssänger des sog. Wiener Brettls. Großen Anklang fanden auch seine Parodien in böhmischem und jiddischem Dialekt, die er auf Reisen durch die östlichen Provinzen Österreichs vortrug. Von ihm stammen u. a. die Lieder Allweil lustig, fesch und munter; Menschen, Menschen san mir alle; Weana Chic und Weana Schan; Denn so a Räuscherl, das is ma liaba; Mir gengan heut' nach Nu8dorf 'naus. Lit.: J. KOLLER, Das Wiener Volkssängertum in alter u. neuer Zeit (W 1931):
LORENTZ. — 1) Johan (I), * um 1580 Grimrna, beerdigt 18.6. 1650 Helsingör; dänischer Orgelbauer. Er war Schüler des Orgelbauers Nicolaus Maas in Stralsund und ließ sich 1608 in Flensburg nieder. 1616 folgte er einem Ruf von König Christian IV. nach Kopenhagen und wurde 1619 mit dem Bau der Orgel der Trefaldighets-Kirche in Kristianstad beauftragt. 1639 erhielt er das königliche Privileg für den Orgelbau in Dänemark und Norwegen. Von L.' Instrumenten, die zum Typ der frühen Barockorgel gehören, ist nur noch die Orgel von Kristianstad erhalten. — 2) Johan (II), Sohn von 1), * um 1610 Flensburg, t 19. 4.1689 Kopenhagen; Organist und Komponist. Er wurde 1629 Organist an der Vor-Frue-Kirche in Kopenhagen, wurde aber 1631 für eine weitere Ausbildung in 152
Italien beurlaubt. Nach seiner Rückkehr wurde er vornehmlich zu Hoffestlichkeiten herangezogen. Seit etwa 1634 bis zu seinem Tod war er Organist an der Nikolaikirche in Kopenhagen und genoß hohes Ansehen. Von seinen Kompositionen sind lediglich einige Tanzsätze in Tabulaturbüchern erhalten.
LORENZ, Alfred Ottokar, * 11.7.1868 Wien, t 20. 11. 1939 München; dt. Musikforscher und Dirigent. L. studierte in Berlin Musikwissenschaft (Ph. Spitta) und Dirigieren (Rudolf Radecke), war seit 1893 als Theaterkapellmeister in mehreren Städten tätig und wirkte 1898-1920 in Gotha und Coburg, wo er 1904 Hofkapellmeister und 1917 GMD wurde. 1922 promovierte er an der Universität Frankfurt am Main. 1923 ging er als Lehrer für Musikgeschichte und Musiktheorie an die Universität München (1926 Honorarprofessor). L.' Wagner-Schriften sind wichtige Beiträge zum Problem der Formbetrachtung in der Musik. Schriften: Das Geheimnis der Form bei R. Wagner, I: Der Ring des Nibelungen (B 1924), II: Tristan und Isolde (B 1926), III: Die Meistersinger (B 1930) u. IV: Parsifal (B 1933), Nachdr. der 4 Bde. (Tutzing 1966); Betrachtungen über Beethovens EroicaSkizzen, in: ZfMw 7 (1924/25); Das Finale in Mozarts Meisteroper, in: Die Musik 19 (1927); A. Scarlattis Jugendoper. Ein Beirr. z. Gesch. der it. Oper, 2 Bde. (Au 1927). - L. gab heraus: C. M. von Weber, Jugendopern (1926) (= Weber-GA i1/ 1). Lit.: C. DAHLHAUS, Formprinzipien in Wagners „Ring des Nibelungen", in: Beirr. z. Gesch. der Oper, hrsg. v. H. Becker (Rb 1969) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 15); R. STEPHAN, Gibt es ein Geheimnis der Form bei R. Wagner, in: Das Drama R. Wagners als musikal. Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1970) (= ebd. 23).
LORENZ, Max, * 17.5.1901 Düsseldorf, t 11.1. 1975 Salzburg; dt. Sänger (Tenor). Er studierte bei Ernst Grenzebach in Berlin und debütierte 1927 als Walther von der Vogelweide in R. Wagners Tannhäuser an der Dresdener Staatsoper, der er bis 1931 angehörte. Anschließend war er Mitglied der Berliner und 1941-62 der Wiener Staatsoper. Gastspiele führten ihn als einen der angesehensten deutschen Heldentenöre seiner Zeit an die bedeutendsten Opernhäuser der ganzen Welt sowie zu den Festspielen von Bayreuth, Salzburg, Zoppot und Florenz. Bei den Bayreuther Festspielen wurde L. besonders in den Rollen des Tristan und Siegfried gefeiert. In Salzburg wirkte er auch bei Uraufführungen zeitgenössischer Opern mit: Der Prozeli von G. von Einem (1953), Irische Legende von W. Egk (1955), Penelope von R. Liebermann (1954) und Das Bergwerk von Falun von R. Wagner-Régeny (1961). Lit.: W. HERRMANN. M. L. (W 1976).
LORENZANI, Paolo, * 1640 Rom, t 28. 10. 1713 ebd.; it. Komponist. Er war Schüler von O. Bene-
Lortzing voli, wurde 1672 Kapellmeister an der Kirche Il Gesu in Rom und 1675 am Dom von Messina. 1678 nahm ihn der Herzog von Vivonne, Vizekönig von Sizilien, mit nach Frankreich, wo er durch seine Motetten die Gunst König Ludwigs XIV. errang. 1679 erhielt er durch Vermittlung des Königs als Nachfolger J.-B. Boéssets die Stelle eines Surintendant de la musique de la Reine. Im selben Jahr wurde er nach Italien entsandt, um Sänger anzuwerben. 1680 kehrte er zurück und leitete die Zeremonien der Weihe J. N. Colberts zum Bischof von Rouen. 1681 brachte er seine italienische Pastorale Nicandro e Filene zur Aufführung, 1682 mit großem Erfolg eine Sérénade en form d'opéra, zu der M. R. Delalande den französischen Teil geschrieben hatte. 1683 bewarb er sich vergeblich um die Stelle eines Sous-maître der königlichen Kapelle. Als die Königin noch im selben Jahr starb, verlor er sämtliche Ämter. 1685 wurde er Kapellmeister bei den Theatinern. Anläßlich der Feierlichkeiten für den Dauphin in Chantilly schrieb L. die mit großem Beifall aufgenommene Oper Oronthée, konnte aber wegen Intrigen J.-B. Lullys nicht an diesen Erfolg anknüpfen. L. kehrte nach Italien zurück, wo er 1694 noch Kapellmeister der Cappella Giulia in Rom wurde. L. gehört zu den wichtigsten Komponisten am Hof Ludwigs XIV. vor Lully. Durch seine Werke, in denen er französischen und italienischen Geschmack zu vereinen suchte, trug er zu einer stärkeren Rezeption der italienischen Musik in Frankreich bei. WW: Motetten für 1-5 St., Instr. u. B. c. (P 1693); Airs italiens (P 1695). - Oper Oronthée (1688) (nur Teile aus dem Ballett erhalten). Lit.: H. PRUNIÉREs,P. L. à la cour de France, in: RM 2 (1922); A. TESSIER, L' Oronthée de L. et L' Orontea de Ceati, in: RM 8 (1928); W. GÜRTELSCHMIED, P. L. 1640-1713. Seine Tätigkeiten in Paris u. Rom, in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980).
LORENZO FERNÄNDEZ, Oscar, *4. 11. 1897 Rio de Janeiro, t 17.8. 1948 ebd.; brasilianischer Komponist. Er studierte am Instituto Nacional de Música in Rio de Janeiro und wurde als Komponist rasch bekannt. 1923 veranstaltete er in Rio de Janeiro ein Konzert mit eigenen Werken. Aufsehen erregte 1924 eine Orchestersuite mit betont nationalem Charakter. 1936 gründete er das Conservatório Brasileiro de Música, das er bis zu seinem Tod leitete. AuBerdem war er seit 1943 Professor für Chorgesang am Conservatório nacional de canto orfeônico. L. gehört für seine Zeit neben H. VillaLobos zu den wichtigsten Komponisten einer national ausgerichteten Musik in Brasilien. WW: Für Klv.: 2 Reihen Poemetos brasileiros (1926-28) u. Suite brasileira Nrn. 1-3 (1936-38); 2 Streichquartette (1927,1946); Bläserquintett (1926); für Orch.: Klv.-Konzert (1924); symphonische Suite über 3 brasilianische Volksthemen (1925); V.-Kon-
zert (1941); 2 Symphonien (1945,1947); Symphonische Variationen (1948). - Ferner das lyrische Drama Malazarte, UA: Rio de Janeiro 1941, und ein Ballett Amaya, UA: ebd. 1939. Lit.: E. NOGUEIRA FRANCA, L. F. compositor brasileiro (Rio de Janeiro 1950); Werkverz., in: Compositores de América 7 (Washington / D. C. 1961).
LORIOD, Yvonne, * 20.1.1924 Houilles (Seineet-Oise); frz. Pianistin. Sie studierte bei D. Milhaud und O. Messiaen am Pariser Conservatoire, wo sie 7 erste Preise errang. 1948 begann sie ihre Konzertlaufbahn, die sie durch Europa, nach Nord- und Südamerika, Japan und Nordafrika führte. Seit 1958 lehrt sie als Professorin für Klavier an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe sowie am Pariser Conservatoire; außerdem war sie Dozentin bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Y. L. gilt als eine der profiliertesten Interpretinnen der zeitgenössischen Klaviermusik. Sie ist verheiratet mit O. Messiaen, der für sie seine Klavierkompositionen schrieb. LORTZING, Gustav Albert, *23. 10. 1801 Berlin, t 21.1. 1851 ebd.; dt. Komponist. L. erhielt seinen erster. Musikunterricht bei Fr. Rungenhagen, dem späteren Leiter der Berliner Singakademie. Nach dem Bankrott des elterlichen Ledergeschäfts machte die Familie ihre bisherige Liebhaberei, das Theaterspielen, zum Beruf (1811), schloB sich einer Schauspieltruppe an und kam nach Engagements in Breslau, Coburg, Bamberg (1813) und StraBburg (1814) nach Freiburg. Dort schrieb L. im Rahmen des Gastspiels eine seiner ersten Bühnenmusiken zu A. von Kotzebues Der Schutzgeist. 1817 und 1822 folgten mehrjährige Engagements bei rheinischen Bühnenensembles, ohne daß die miserable wirtschaftliche Lage der Familie entscheidend verbessert worden wäre. L. trat im Schauspiel als jugendlicher Bonvivant, in der Oper in Tenor- bzw. Baritonrollen auf. 1826 wurde er mit seiner Frau an das Hoftheater in Detmold engagiert, 1833 an das Stadttheater in Leipzig. Die nächsten Jahre gestalteten sich sehr erfolgreich: Nach einigen SingspielArrangements schrieb L. 1835 seine erste Oper, Die beiden Schützen, wurde gerngesehenes Mitglied in der Gesellschaft „Der Tunnel über der Pleiße" und erhielt 1844 die Berufung zum Kapellmeister. 1845 fand in Magdeburg die Uraufführung der Undine statt, doch wurde er gleichzeitig in Leipzig gekündigt. Das folgende Engagement am Theater an der Wien (1846-48), zunächst durch den Uraufführungs-Erfolg des Waffenschmied begünstigt, verlief enttäuschend. Einen neuerlichen Vertrag in Leipzig (1849) nahm Lortzing nicht an, sondern verdingte sich als reisender Schauspieler an kleinen Theatern. Die Verpflichtung an das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater in Berlin (1850)
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Lortzing
bedeutete künstlerisch wie wirtschaftlich den endgültigen Abstieg. Am Morgen nach der Frankfurter Uraufführung der Opernprobe erlag L. einem Schlaganfall. WW: Opern u. Singspiele (Libretti v. A. L.): Ali Pascha von Janina oder Die Franzosen in Albanien, UA: Münster 1828; Der Pole und sein Kind oder Der Feldwebel vom IV. Regiment, UA: Osnabrück 1832; Der Weihnachtsabend, UA: Münster 1832; Szenen aus Mozarts Leben (1832) (mit Melodien aus Mozarts Werken); Andreas Hofer (1832) (nach K. L. Immermanns Trauerspiel in Tirol); Die beiden Schützen (nach J. Patrats Les méprises par ressemblance), UA: Leipzig 1837; Zar und Zimmetmann (nach Mélesvilles, Merles und Cantiran de Boiries Le Bourgmestre de Sardam ou Les deux Pierres), UA: ebd. 1837; Caramo oder Das Fischerstechen (nach E. P. Prévosts Oper Cosimo), UA: ebd. 1839; Hans Sachs (Libr. zus. mit Ph. Reger u. Ph. J. Dünnger nach J. L. Deinhardsteins gleichnamigem Schauspiel), UA: ebd. 1840; Casanova (nach Varins, Aragos u. Desverges' Casanova au Fort Saint-André), UA: ebd. 1841; Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur (nach A. F. Kotzebues Der Rehbock), UA: ebd. 1842; Undine (nach F. de la Motte Fouqué), UA: Magdeburg 1845; Der Waffenschmied (nach Zieglers Liebhaber u. Nebenbuhler in einer Person), UA: Wien 1846; Zum GroBadmiral (nach Duvals La Jeunesse de Henri V), UA: Leipzig 1847; Regina, UA: Berlin 1899, vollständig umgearbeitet v. A. L'Arronge als: Regina oder Die Marodeure; Rolands Knappen oder Das ersehnte Glück (Libr. zus. mit G. Meisinger u. C. Haffner nach Musäus' gleichnamigem Märchen), UA: Leipzig 1849; Die Opernprobe oder Die vornehmen Dilettanten (nach Poissons L'impromptu de campagne), UA: Frankfurt 1851. - Ferner Bearb.en fremder Opern, u. a. v. J. A. Hiller, Die Jagd; Bühnenmusiken u. Einlagen zu Schauspielen, Opern u. Singspielen; versch. Orch.- u. Chorwerke, Klv.-Lieder, Quodlibets u. Melodramen.
L. gilt als Meister der deutschen komischen Spieloper und Prototyp des Biedermeier-Komponisten. Mit diesen Klassifizierungen werden heute jedoch eher die ihm anhaftenden negativen Merkmale hervorgehoben, da man in L.s Kompositionsstil musikalisch-stilistische Innovationen und einen Anspruch auf ästhetische Autonomie vergeblich sucht. L.s Opernästhetik ist geprägt vom Pragmatismus des Theaterbetriebs: Er schrieb seine Libretti meist nach Komödien-Vorlagen, deren Effekt er als Schauspieler häufig schon auf der Bühne erprobt hatte. Die wirkungssichere Rolle, deren Gestaltung auch Minderbegabten gelingt, und der zündende melodische Einfall waren ihm wichtiger als Experimente im Werkstil. Als Konsequenz solcher Voraussetzungen entstand der Typus der deutschen Spieloper, in deren Rahmen L. sowohl den Konversationsstil als auch das Opernlied und das (strophisch gegliederte) Liedduett kultivierte. Die vielstimmigen Ensemblesätze (gelungenstes Beispiel ist die Billardszene aus dem Wildschütz) belegen L.s satztechnische Meisterschaft und weisen ihn gleichzeitig als großen Mozart-Verehrer aus. Die charakteristischen Gestaltungsmittel des Spieloperntypus bewähren sich auch in der romantischen Oper Undine und in der durchkomponierten Oper Regina (die vor allem von der DDR-Musik154
wissenschaft als Beleg für L.s liberale politische Gesinnung gewertet wird). Lit.: 1) Briefwechsel: A. L., Gesammelte Briefe, hrsg. v. G. R. KRUSE (Rb 1913, 2 1947); A. DESSOFF, Briefe L.s an G. Meisinger, in: Die Musik 3 (1904); E. ISTEL, L. u. das Urheberrecht. Sieben ungedruckte Briefe des Meisters an das Haus Schott, in: NMZ 25 (1904). - 2) Biographien u. umfassende Darstellungen: PH. DORINGER, A. L., sein Leben u. Wirken (L 1851); G. R. KRUSE, A. L. (B 1899); DERS., A. L. Leben u. Werk (L 1914); H. KILLER, A. L. (Pd 1938); R. PE'TZOLDT-K. LAUX, A. L. Leben eines groBen Meisters (L 1951); M. HOFFMANN, G. A. L. (L 1956); H. C. WORBS, A. L. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1980) (mit Lit.-Verz.). - 3) Stadien zum Werk: E. VON KOMORZYNSKI, L.s „Waffenschmied" u. seine Tradition, in: Euphorion 8 (1901); J. SCHWERMANN, A. L.s Bühnentexte (Diss. Mr 1914); H. LAUE, Die Operndichtung l..s (Bonn 1932); R. BUTSCHEK, Die musikal. Ausdrucksmittel des Komischen in den Opern A. L.s (Diss. W 1938); M. LOY, L.s „Hans Sachs". Ein Beitr. z. Gesch. u. zum Stil der komischen Oper im 19. Jh. (Diss. Erl 1938); J. KRUGER - RIEBOW, A. L. als politischer Freiheitssänger, in: MuGes 1 (1951); G. KRAFT, A. L.s Vermächtnis, in: ebd.; W. NEEF, L.s „Regina" neu entdeckt, in: Theater der Zeit 7 (1952); E. SANDERS, Oberon and Zar und Zimmermann, in: MQ 40 (1954); J. LODEMANN, L. u. seine Spiel-Opern. Dt. Bürgerlichkeit (Diss. Fr 1962); H. SCHIRMAG, Das erste Auftreten des Proletariats als Klasse in der dt. Opernlit. des 19. Jh. Neue Aspekte für die Gewinnung eines realistischen Lortzingbildes aus der Sicht der L.-Oper „Regina" (Diss. Pd 1967); I. KoBAN, Magnet L. Werkprobleme u. Inszenierungsversuche, in: Theater der Zeit 27 (1972); Zw. Anspruch u. Unbehagen. Eine L.-Diskussion, in: Theater der Zeit 28 (1973); R. ROSENGARD, Popularity and Art in L.'s Opera. The Effects of Social Change an a National Operatic Genre (1973) (= Diss. Columbia Univ.); K. D. GRAWE, „Der Wildschütz". Idyllik u. Realismus einer Spieloper aus dem „Vormärz", in: Jb. der Hamburgischen Staatsoper 1973/74 (1974); A. GOEBEL, Die dt. Spieloper bei L., Nicolai u. Flotow. Ein Beitr. z. Gesch. u. Ästhetik der Gattung im Zeitraum von 1835 bis 1850 (Diss. Kö 1975); J. SCHLÄDER, Undine auf dem Musiktheater. Zur Entwicklungsgesch. der dt. Spieloper (Bonn -Bad Godesberg 1979) ( = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 28). J. SCHLÄDER
LOS ANGELES, Victoria de (eig. Victoria Gomes Cima), * 1. 11.1923 Barcelona; span. Sängerin (Sopran). Sie studierte seit 1940 am Konservatorium in Barcelona, gab dort 1944 ihr Konzertdebüt und 1946 als Gräfin in W. A. Mozarts Le nozze di
Figaro ihr Bühnendebüt. Anschließend feierte sie triumphale Erfolge in Paris, am Covent Garden in London und an der Mailänder Scala und wurde 1951 an die Metropolitan Opera in New York engagiert. 1961 und 1962 trat sie bei den Bayreuther Festspielen als Elisabeth in R. Wagners Tannhäuser auf. V. de L. ist auch bekannt als Interpretin spanischer Lieder und Zarzuelas. Lit.: H. ROSENTHAL, Sopranos of Today (Lo 1956); K. V. BURIAN, V. de L. A. (Pr 1970).
LOESSER, Frank, * 29.6.1910 New York, t 26.7. 1969 ebd.; amerik. Komponist, Textdichter, Librettist und Produzent. L. begann seine Karriere als Song -Texter in Hollywood, wo er u. a. mit B. Lane, Hoagy Carmichael und Fr. Hollaender zusammen-
Lottermoser arbeitete. Seinen ersten Erfolg als Komponist und Texter errang er während des 2. Weltkriegs mit dem Schlager Praise the Lord and Pass the Ammunition (1942). Das Musical Where's Charly? brachte 1948 den Durchbruch am Broadway. Zahlreiche weitere Werke belegen seine Vielseitigkeit als Komponist, Texter und Librettist. WW: Guys and Dolls, UA: New York 1950, dt. EA als: Schwere Jungs, leichte Mädchen, Bremen 1969; The Most Happy Fella, UA: New York 1956, dt. EA als: Der glücklichste Mann der Welt, Freiburg/Breisgau 1972; How to Succeed in Business Without Really Trying, UA: New York 1961, dt. EA als: Wie man was wird im Leben, ohne sich anzustrengen, Trier 1968. - Ferner Filmmusik zu: Variety Girl (1947); Perils of Pauline (1947); Neptune's Daughter (1949). Lit.: A. LOESSER, My Brother Frank, in: Notes 11/7 (1949/50); S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960, 3 1974); S. SCHMIDT -JOGS, Das Musical (Mn 1965); D. EWEN, Great Men of American Popular Song (Englewood Cliffs/N.J. 1970); F. L. Songbook (NY 1972).
LOSSIUS (eig. Lotze), Lucas, * 18.10.1508 Vacha (Hessen), t 8.7.1582 Luneburg; dt. Kantor und Komponist. L. studierte an der Universität Leipzig. 1530 kam er nach Wittenberg, um hier Ph. Melanchthon und vermutlich auch M. Luther zu treffen. 1533 wurde er Lehrer und 1540 Konrektor am Gymnasium Johanneum in Luneburg, wo er Musik und Musiktheorie unterrichtete und die gottesdienstliche Musik in Schule und Kirche leitete. Er schrieb zahlreiche theologische Lehrbücher und die weit verbreitete Elementarlehre Erotemata musicae. Seine Psalmodia von 1562, eine Sammlung lateinischer und deutscher Gesänge, ist ein umfassender Versuch, den vorreformatorischen Choral in den lutherischen Gottesdienst einzubringen. WW: Psalmodia, hoc est Cantica sacra veteris ecclesiae (Nü 1553 u.o.) (mit einem Vorwort v. Ph. Melanchthon); Erotemata musicae practicae (Nü 1563 u.ö.). Lit.: W. MERTEN, Die Psalmodia des L. L. (Diss. Gö 1951), dass. wiederabgedruckt in: JhLH 19-21 (1975-77); F. ONKELBACH, L. L. (Rb 1960) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 17).
LO STESSO TEMPO /Istesso tempo.
LOST IN THE STARS, Musical von K. Weill; dt. Titel: /Weit ist der Weg. LOTHAR, Mark, * 23. 5. 1902 Berlin, t 6.4. 1985 München; dt. Komponist und Dirigent. Er studierte Theorie und Tonsatz (Fr. Schreker, P. Juon) sowie Dirigieren an der Musikhochschule Berlin und Komposition bei E. Wolf-Ferrari in München. 1934-44 wirkte er als musikalischer Leiter unter Gustav Grundgens am Preußischen Staatstheater in Berlin, 1945-55 in gleicher Funktion am Bayerischen Staatstheater in München, wo er seitdem als freischaffender Komponist lebte. Seine Bühnenwerke, Schauspiel-, Hörspiel- und Filmkompositionen zeichnen sich — wie auch seine Klavier- und
Liederzyklen und Kammermusiken — durch stimmungsstarke, rhythmisch fantasievolle Klangbilder gemäßigt modernen Stils aus. Zu den erfolgreichsten Schöpfungen gehören die Heitere Oper Schneider Wibbel und die Zauberoper Rappelkopf (nach F. Raimund). WW: 1) Instr.- u. Vokal-WW: Concertino für 4 Klar., Streichorch., Harfe u. Schlagzeug (1962); Concertino für 2 KIv., Streichorch. u. Schlagzeug (1972). - Der „Gesang vom Leben" Sei uns Erde, wohlgesinnt (1953) für Sopran, Bar., gem. Chor u. Orch.; musikal. Märchen Die Geschichte vom faulen Bären (1976) für Sprecher, Tuba solo u. Orch. - 2) Bühnen-WW: Opern: Tyll, UA: Weimar 1928; Lord Spleen, UA: Dresden 1930; Münchhausen, UA: ebd. 1933; Schneider Wibbel, UA: Berlin 1938; Rappelkopf, UA: München 1958; Opera piccola Der Glücksfischer, UA: Nürnberg 1962; Legende Der widerspenstige Heilige, UA: München 1968; Kinderoper Momo, UA: Coburg 1978. Lit.: M. L., hrsg. v. A. OTT (Mn 1968) (mit Werkverz.).
LOTTER, Augsburger Drucker- und Verlegerfamilie. Ihre wichtigsten Mitglieder waren Johann Jakob der Ältere (1683-1738), sein Sohn Johann Jakob der Jüngere (1726-1804) und sein Enkel Esaias Daniel (1759-1820). Um 1720 gegründet, um 1830 erloschen, nahm die Buch- und Musikdruckerei nebst Verlagshandlung der Familie L. Mitte des 18. Jh. eine vorherrschende Stellung an den Musikalienmärkten von Augsburg, München, Salzburg und Landshut ein. Druck- und Verlagswerke wie V. Rathgebers Ohren-vergnügendes und Gemüts-ergötzendes Tafel -Confect (Liedertrachten, 1733-35) und L. Mozarts Versuch einer gründlichen Violinschule (1756) erreichten hohe Auflagen und Verbreitung in ganz Europa. Lit.: A. LAYER, Die Augsburger Musikaliendrucker L., in: Gutenberg-Jb. 39 (Mz 1964); DERS., J. J. L. der Jüngere, L. Mozarts Augsburger Verleger, in: L. Mozart, hrsg. v. L. Wegele (Au 1969).
LOTTERMOSER, Werner, * 18.6. 1909 Dresden; dt. Physiker. Er studierte an der Technischen Hochschule Dresden und an den Universitäten Kiel, Tübingen und Berlin. 1934 wurde er Mitarbeiter am Akustischen Institut der Technischen Hochschule Berlin und promovierte 1935 mit einer Dissertation über Klanganalytische Untersuchungen an Zungenpfeifen zum Dr. phil. 1936-45 war er am Akustischen Labor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Berlin und dann am Physikalischen Institut der Universität Tübingen tätig. 1952 trat er in die Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig ein, deren Laboratorium für musikalische Akustik er bis 1971 leitete. Schriften: Klanganalytische Unters. an Zungenpfeifen (Diss. B 1936); Ober die Stimmung von Flügeln, in: Physikalische Zschr. 1 (1936) (zus. mit M. Grützmacher); Elektroakustische Unters. an berühmten Barockorgeln, in: Physikalische Blätter (1948); Uber die Akustik des Raumes u. der Orgel in der Frauenkirche in Dresden, in: AfMw 17 (1960); Orgelakustik in Einzeldarstellungen (F 1966) (= Das Musikinstr. 16); Plenum. Klangbilder der G. Sil-
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Lotti bermann-Orgel im Dom von Freiberg (F 1968) (= ebd.); Probleme bei der Restauration der Silbermann-Orgel in der Hofkirche zu Dresden, in: MuK 42 (1972).
LOTTI, Antonio, * Februar 1666 vermutlich Venedig, t 5.1.1740 ebd.; it. Komponist. L., ein Sohn von Matteo L., Kapellmeister am Hof in Hannover, war in Venedig Schüler von G. Legrenzi und wurde 1687 Chorsänger an S. Marco. 1692 brachte er seine erste Oper, II Trionfo dell'Innocenza, zur Aufführung, wurde im selben Jahr 2. und 1704 1. Organist an S. Marco. 1717-20 hielt er sich auf Einladung des Kurfürsten von Sachsen mit venezianischen Musikern in Dresden auf, wo er 3 neue Opern herausbrachte. Nach Venedig zurückgekehrt, wandte er sich ausschließlich der Kirchenmusik zu. L. nimmt, besonders in den Opern, eine Mittlerstellung zwischen der Venezianischen und der aufblühenden Neapolitanischen Schule ein. Seine Kirchenmusik, vorwiegend in einem in Melodik und Harmonik zeitentsprechenden a cappellaStil geschrieben, war von Bedeutung im Umkreis der Palestrina-Renaissance des frühen 19. Jahrhunderts. Zu seinen Schülern gehörten M. Gasparini, B. Galuppi, D. Alberti, B. Marcello und G. B. Pescetti. WW: Duetti, Terzetti e Madrigali (V 1705). - Hsl. sind erhalten: Sonaten für 3 St.; Arien u. Duos; etwa 50 Kantaten für eine St. mit B.c., auch mit Instr.; zahlr. Messen, Motetten, Psalmen usw.; Oratorien: Giuditta (1701); II voto crudele sowie L'umiltà coronata in Esther (1712); Il ritorno di Tobia (1723); Gionata (1728); Gioàs re di Giuda. - Opern: Irene Augusta, UA: Venedig 1713; Polidoro, UA: ebd. 1714; Joca superbo, UA: ebd. 1716; Costantino, UA: Wien 1716; Alessandro Severo, UA: Venedig 1716; Giove in Argo, UA: Dresden 1717; Ascanio, UA: ebd. 1718; Teofane, UA: Dresden 1719; Intermezzo Griletta e Serpinello. Ausg.: 8 Messen, hrsg. v. H. MÜLLER (L 1930) (= DDT 60); Missa C-Dur „Studenten-Messe", hrsg. v. A. SCHLÖGL (W 1954, Neudruck 1960) (= Meisterwerke kirchlicher Tonkunst in Costr. o. Nr.); Salve regina, hrsg. v. G. MALCOLM (Lo 1962) ( = Westminster Series 5); Crucifixus für gem. Chor, hrsg. v. G. MASON (Lo 1963); dass., hrsg. v. G. GRAULICH (St 1967) (= Die Motette 532); Missa A-Dur Missa pro defunctis, hrsg. v. H. BAUERLE (L 1965). - Alessandro Severo, hrsg. v. H. M. BROWN (NY 1977) (= Italian Opera 20). Lit.: CH. SPITZ, A. L. in seiner Bedeutung als Opernkomponist (Diss. Mn 1918); DIES., Die Opern „Ottone" v. G. F. Händel (London 1722) u. „Teofane" v. A. L. (Dresden 1719), in: FS A. Sandberger (Mn 1918); B. BECHERINI, Uno sguardo alla produzione vocale da camera di A. L., in: Musiche italiane rare e vive ..., hrsg. v. A. Damerini - G. Roncaglia (Siena 1962) ( = Accad. mus. Chigiana 19); K. J. O'DONNELL, The Secular Solo Cantatas of A. L. (1975) (= Diss. Univ. of Iowa).
LOUBÉ, Karl, * 13.7.1907 Mährisch-Kromau (heute Moravský Krumlov), t 12. 12. 1983 Wien; östr. Komponist. Stud. am Konservatorium Brünn Komposition bei L. Janáček und an der Wiener Musikakademie Klavier bei E. Sauer. Neben dem Studium spielte er in Nachtlokalen, kam hier zum erstenmal mit Unterhaltungsmusik in Berührung 156
und schrieb mit großem Erfolg Schlager und Wiener Lieder (Der Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitän; Wenn der Mensch in Stimmung ist; Ich marschier' mit mein Dullieh; Ich kann mein Schlüsselloch net finden). Nach dem Studium wurde er Kapellmeister am Wiener Stadttheater, am Wiener Bürgertheater und 1947 Direktor des Wiener Stadttheaters. Seit 1952 leitete er im Besatzungssender „Rot-Weiß-Rot" für die amerikanische Zone Wiens die Abteilung Unterhaltungsmusik. L. war zuletzt freiberuflich als Komponist tätig. WW: Lustspieloperetten, u. a.: Das Fräulein mit dem Koffer (1941); Brasilianischer Kaffee (1942); Drei blaue Augen (1942). -Operette Ohne Geld wär' ich reich (1948). - Filmmusik zu Königswalzer, Rauschgift, Der Pfarrer mit der Jazztrompete sowie Fernsehmusik, u. a. zu Wenn der Vater mit dem Sohne u. Hallo, Hotel Sacher, Portier (1973).
LOUCHEUR, Raymond, * 1. 1. 1899 Tourcoing, t 14.9. 1979 Nogent-sur-Marne; frz. Komponist. Er studierte am Pariser Conservatoire bei N. Boulanger, A. Gédalge, M. d'011one, P. Vidal und V. d'Indy. 1928 erhielt er mit der Kantate Héraklès à Delphes den Grand Prix de Rome. Als Nachfolger von Roger-Ducasse wurde er 1941 Inspecteur de l'enseignement musical von Paris und 1946 Inspecteur général de l'instruction publique. 1952-62 leitete er das Pariser Conservatoire. Seine Musik ist von großer harmonischer Farbigkeit, rhythmischer Vitalität und bisweilen dramatischer Intensität. WW: Kammermusik, darunter: Streichquartett (1932); 4 pièces en quintette (1955) für Fl., V., Va., Vc. u. Harfe; Sonatine für V. solo (1959). - Für Orch.: 2 Symphonien (1936, 1945); Rapsodie malgache (1946); V.-Konzert (1963). - Lieder u. Chöre; S poèmes de R. M. Rilke (1957) für Sopran u. Streichquartett. - Ballettpantomime Hop-Frog (nach E. A. Poe), UA: Paris 1953. Lit.: F. SCHMtTT, A propos de Hop-Frog, in: L'Opéra de Paris (1953) Nr. 7; R. BERNIER, Présentation à la classe de M. R. L., associé de l'Académie Royale, in: Académie Royale de Belgique. Bull. de la classe des Beaux-Arts 47 (1967).
LOUËL, Jean Hippoliet Oscar, * 3. 1. 1914 Ostende; belgischer Komponist, Dirigent und Pianist. Er studierte 1933-37 am Konservatorium von Gent, später in Brüssel, wo er Schüler von J. Jongen wurde und 1943 für seine Kantate La navigation d'Ulysse den belgischen Prix de Rome erhielt. Er war Leiter mehrerer Musikakademien (1945-51), bevor er 1956 Inspektor für den Musikunterricht in der flämischen Region Belgiens wurde. Seit 1955 lehrte er am Brüsseler Conservatoire und seit 1959 an der Chapelle musical Reine Élisabeth und leitete bis 1970 die Middagconcerte in Brüssel. WW (alle in Brüssel erschienen): Sonatine für KIv. (1953); Bläser trio (1951); Bläserquintett (1958); KIv.-Konzert (1949); 2 V.Konzerte (1950, 1970); Symphonie für Str. (1969). Lit.: H. HEUGHEBAERT, in: Vlaams muziektijdschrift 23 (1971) (mit Werkverz.).
Loulié LOUGHRAN, James, * 30.6. 1931 Glasgow; schottischer Dirigent. Nach privaten Musikstudien kam er als Korrepetitor an das Bonner Theater und errang 1961 den 1. Preis eines Wettbewerbs des Philharmonia Orchestra London. 1962 wurde er Assistant Conductor und 1964 Associate Conductor beim Bournemouth Symphony Orchestra, gab 1962 sein Debüt an der Sadler's Wells Opera und 1963 am Covent Garden in London. 1965-71 war L. Chefdirigent des BBC Scottish Symphony Orchestra in Glasgow, anschließend in gleicher Eigenschaft und als musikalischer Berater beim Hallé Orchestra Manchester. Seit 1979 ist er Leiter der Bamberger Symphoniker. LOUIS, Rudolf, * 30. 1. 1870 Schwetzingen, t 15.11. 1914 München; dt. Musikschriftsteller. Er studierte Philosophie und Musikwissenschaft in Genf und Wien (Dr. phil.), dann bis 1895 Komposition bei Fr. Klose in Wien sowie Dirigieren bei F. Mottl in Karlsruhe und war danach als Theaterkapellmeister in Landshut und Lübeck tätig. Seit 1897 in München ansässig, wirkte er dort seit 1900 als Musikkritiker der Münchner Neuesten Nachrichten. Während sich seine Kompositionen im Konzertleben nicht durchsetzen konnten, blieb sein Name bekannt durch die gemeinsam mit L. Thuille verfaßte Harmonielehre, die — inzwischen mehrfach bearbeitet — noch heute zu den Standardwerken ihres Gebietes gehört. Schriften: Der Widerspruch in der Musik (L 1893, Nachdr. Walluf 1972); F. Liszt (B 1900) (= Vorkämpfer des Jh. 2); H. Berlioz (L 1904); A. Bruckner (Mn 1905); Harmonielehre (St 1907, 1°1930) (zus. mit L. Thuille); Die dt. Musik der Gegenwart (Mn 1909, 31912).
LOUISE, Roman musical in 4 Akten von Gustave Charpentier (1860-1956), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: Paris, um 1900. UA: 2.2.1900 in Paris (Opéra-Comique); dt. EA (in dt. Sprache): 1.1.1902 in Elberfeld. Charpentiers erste Oper erzielte bei der UA einen Sensationserfolg und fand sogleich einen festen Platz im Repertoire der Opéra-Comique; sie wurde dort mehr als 1000mal gespielt. Operngeschichtliche Bedeutung kommt diesem Werk zu, weil es den wohl überzeugendsten französischen Beitrag zum Verismo darstellt. Die Geschichte vom bürgerlichen Mädchen, das mit einem Bohémien davonläuft, von den Eltern zurückgelockt wird und schlieBlich endgültig sein Elternhaus verläßt, ist bis ins letzte Detail glaubwürdig, erreicht aber das in der klangvollen Bezeichnung „Roman musical" implizierte literarische Niveau schwerlich. Musikalisch verdient L., dem Stil der Opern G. Puccinis und J. Massenets angeglichen, die Bezeichnung „Meisterwerk": Mit wenigen Leitmotiven (Liebe,
Freiheit, elterliche Strenge, Paris) wird die künstlerische Einheit des Werkes gesichert; treffende Charakterzeichnungen, ausdrucksstarke, fast psychogrammatische Pantomimenmusik, bis in feinste Nuancen differenzierte Instrumentation und anspruchsvolle Gesangspartien zeichnen diese Oper aus. Besondere Erwähnung verdient das instrumentale Stimmungsbild Paris s'éveille als Vorspiel zum 2. Akt. R. QUANDT LOUIS FERDINAND (eig. Friedrich Louis Christian), Prinz von Preußen, * 18. 11. 1772 Friedrichsfelde bei Berlin, gefallen 10. 10. 1806 bei Saalfeld. L. F., Neffe Friedrichs des Großen, zeigte schon früh musikalische Begabung. 1789 trat er in den Militärdienst ein und nahm 1792-94 am Feldzug gegen Frankreich teil, in dem er sich durch besondere Tapferkeit auszeichnete. In den folgenden Friedensjahren widmete er sich vornehmlich der Musik. 1796 begegnete er L. van Beethoven in Berlin und wurde einer seiner glühendsten Verehrer. Seit 1804 nahm er Kompositionsunterricht bei J. L. Dussek, den er einige Jahre vorher in Hamburg kennengelernt hatte und der später auch seine Werke herausgab. Auf einer diplomatischen Reise nach Wien (1806) kam es erneut zu einer Begegnung mit Beethoven, der ihn als Klavierspieler sehr schätzte und ihm sein 3. Klavierkonzert gewidmet hatte. L. F.s Kompositionen, ausschließlich Werke für und mit Klavier, zeigen Anlehnungen an Beethovensche Thematik und weisen in manchen Einzelzügen und im musikalischen Ausdruck auf die deutsche Romantik voraus. WW (gedruckt meist in Leipzig u. Wien): Klv.-Quintett (1803); Larghetto mit Variationen für Klv. u. Streichquartett u. Kb. (1806); 2 Klv.-Quartette (1806, 1807); Andante mit Variationen für Klv.-Quartett (1806); 4 Klv.-Trios (1806); Klv.-Fuge zu 4 St. (1807); Notturno für Klv., Fl., Streichtrio u. 2 Hörner ad lib. (1808); Rondo für Klv. u. Orch. (1808). Ausg.: Musikal. Werke, hrsg. v. H. KRETZSCHMAR (L 1910). Lit.: R. HAHN, L. F. von PreuBen als Musiker (Diss. Breslau 1935); E. POSECK, L. F., Prinz von PreuBen (B 1938. 21943); B. NADOLNY, L. F. (Düsseldorf 1967); E. KLESSMANN, L. F. von PreuBen (Mn 1972); B. H. MCMURTRY, The Music of Prince L. F. (1972) (Diss. Univ. of Illinois).
LOULIÉ, Étienne, t 1702 Paris; frz. Musiktheoretiker. Er war 1663-73 Schüler von Guéhénault und R. Ouvrard an der Ste-Chapelle in Paris, später Musiker der Herzogin von Guise. L. erfand einen „Chronomètre", mit dem — nach Art des späteren Metronoms — Geschwindigkeitsgrade festgelegt werden konnten, das sich aber wegen seiner Höhe von ca. 2 m nicht durchsetzte, und einen „Sonomètre", der das Stimmen von Tasteninstrumenten erleichterte. L.s Éléments ... de musique sind eine wichtige Quelle zur französischen Aufführungspraxis des 17. Jahrhunderts. 157
Loure Schriften: Éléments ou principes de musique, mis dans un nouvel ordre (P 1696); Abrégé des principes de musique (P 1696); Nouveau système de musique ... avec la description du Sonomètre (P 1698). Ausg.: Éléments ou principes..., Faks. der Ausg. 1696 (G 1971). Lit.: E. BORREL, Les indications métronomiques laissées par les auteurs français du XVIIIe siècle, in: RMie 12 (1928); A. COHEN, E. L. as a Music Theorist, in: JAMS 18 (1965); J. E. TURNER, Notes inégales. Treatises by Bacilly, L., and Demotz. Their Application to the „Mass for the Convents" by F. Couperin (1974) (= Diss. Univ. of Wisconsin).
LOURE (frz.). —1) Bz. für eine heute noch in der Normandie und im Poitou verbreitete /Sackpfeife. — 2) Bz. für einen volkstümlichen, ursprünglich auf der L. gespielten (und deshalb wahrschein-
lich auch so genannten) Tanz im gemäßigten 6/4-Takt. Die von der Spielweise des Instruments
abgeleitete, heute noch übliche Vortragsbezeichnung louré (frz. = geschleift) wird u. a. bereits von S. Brossard (Dictionnaire de musique, 1713) in der Weise beschrieben, daß dem ersten zweier Achtel „etwas mehr Dauer und Betonung" zukommt. In diesem Sinn ist sie auch charakteristisch für die stilisiert-höfische L. des ausgehenden 17. Jh., deren Ausführung — bei Triolennotierung auf jeder Zählzeit — J
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Komponist und Musikforscher russ. Herkunft. Als Komponist im wesentlichen Autodidakt, schloß er sich der russischen Oktoberrevolution an und war 1918-22 Leiter der Musikabteilung im Petrograder Ministerium für Volksaufklärung. 1923 emigrierte er nach Paris und übersiedelte 1941 in die USA. Frühe Experimente mit Vierteltonmusik und Einflüssen A. Skrjabins gab er nach seiner Begegnung mit I. Strawinsky wieder auf, der umgekehrt durch L.s symbolistisch-theologische Musikanschauung beeinflußt wurde (Psalmensinfonie, Messe, Biblische Kantaten). Die Spätwerke L.s sind vielfach von liturgischem Gehalt (Regina coeli; De ordinatione angelorum; Improperium für Baß, 4 V., Kb.). WW: 1) Kompositionen: Für KIv.: Ivresse (1912); Synthèses (1914); Formes en Pair (1915); Tjeni (Schatten) (1915); Upman. Smoking Sketch (1917); Der Mime (1956) für Klar. solo; für Orch.: 2 Symphonien (1931, 1941); Sonate liturgique (1928) für Klv., Chor u. Orch.; Chant funèbre sur la mort d'un poète (1929) für gem. Chor u. 12 Bläser; Concerto spirituale (1930) für Klv., gem. Doppelchor, Soli, Blechbläser u. Schlagzeug. — Oper The Moor of Peter the Great (nach A. Puschkin) (1958); Opéra-bóllet Le festin pendant la peste (nach dems.) (1933), auch als symphonische Suite mit gem. Chor u. Sopran-Solo (1948). — 2) Schriften: S. Koussewitzkij and His Epoch (NY 1931, Nachdr. NY 1971); Erinnerungen u. Aufsätze als: Profanation et sanctification du temps (P 1966). Lit.: D. GOJOWY, Neue sowjetische Musik der 20er Jahre (Laaber 1980); DERS., A. L. der Futurist, in: Hindemith-Jb. 1980 (F 1981); I. GRAHAM, A. L. Biographische Notizen, in: ebd.
J. F. Rebel, Les Éléments,1737
die „Betonung der ersten und Verkürzung der mittleren Note" (J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, 1767) vorsieht. Die L. fand insbesondere Eingang in die französische Opern- und Ballettmusik, in der sie z. T. zur Charakterisierung des Ländlichen diente (u. a. bei J.-B. Lully, Alceste, 1677). Nachweisbar ist sie auch verschiedentlich in Instrumentalkompositionen bis etwa zur Mitte des 18. Jh. (u. a. bei Fr. Couperin, Les Goûts réunis, 8. Konzert, 1724; J. S. Bach, Französische Suite Nr. 5, BWV 816), in denen zu
dem charakteristischen „Schleifen" eine reiche Ornamentik und rhythmische Differenzierung treten.
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Fr. Couperin, Les Goůts réunis, 8. Konzert, 1724 Lit.: Zia 2): D. G. TURK, Clavierschule (L— HI 1789), Faks. hrsg. v. E. R. Jacobi (1962, 21967) (= DMI I/23); C. MARCELDUBOIS, L., in: MGG VIII; A. GEOFFROY-DECHAUME, Les „Secrets" de la musique ancienne (P 1964); G. REICHERT, Der Tanz (Kö 1965) (= Das Musikwerk 27).
LOURIÉ, Arthur Vincent, * 14.5.1892 St. Petersburg, t 13.10.1966 Princeton (New Jersey); amerik. 158
LOUSSIER, Jacques, * 26. 10. 1934 Angers (Maine-et-Loire); frz. Jazzmusiker (Pianist). L. studierte bei Y. Nat am Pariser Conservatoire, spielte zunächst als Begleitmusiker in Varietés und fand dann zum Jazz. 1959 gründete er mit Christian Garros (Schlagzeug) und Pierre Michelot (Baß) das Trio „Play Bach", das Werke von J. S. Bach in einer stark rhythmisierten und nur wenig jazz-improvisatorischen Weise darbietet. LOEWE, Carl (Johann Carl Gottfried), * 30. 11. 1796 Löbejün bei Halle an der Saale, t 20.4. 1869 Kiel; dt. Komponist. Er besuchte in Halle die Schule der Franckeschen Stiftungen, erhielt dort musikalischen Unterricht von D. G. Türk, wurde auch durch J. Fr. Reichardt gefördert und bildete sich zu einem hervorragenden Tenor-Sänger aus. 1817 begann er an der Universität Halle ein Theologiestudium; daneben war er Organist an der Marienkirche. 1820 wurde er Kantor und Organist in Stettin (Jakobikirche), 1821 dort städtischer Musikdirektor und Gymnasiallehrer für Musik u. a. Fächer. In dieser Stadt wirkte er 46 Jahre und bestimmte maßgeblich das weltliche und kirchliche Musikleben. Ruhm erlangte er darüber hinaus im In- und Ausland durch den Vortrag seiner eigenen Lieder am Klavier. L. war Mitglied der Berliner
Loewe Akademie der Künste und Ehrendoktor der Universität Greifswald. Stark von patriotischen Ideen durchdrungen, war er mit seinen Werken bei den Königen von Preußen überaus beliebt und galt lange Zeit als Hohenzollernkomponist schlechthin. Mit dem Namen L. verbindet sich in erster Linie die Geltung der /Ballade als besondere Ausprägung des Sololiedes im 19. Jahrhundert. Hier steht L. sózusagen im geistigen Gefolge J. G. Herders, was sich nicht nur in der Vertonung vieler von dessen Liedern zeigt (u. a. des Edward als op. 1), sondern auch in der Substanz seiner Musik, namentlich in der Vorliebe für Kantabilität der melodischen Linien, für symmetrische Taktordnung, für eine insgesamt leichtfaBliche, natürliche, einfache Gestaltung. Dies letztere gilt auch im Verhältnis von Wort und Ton, das bei L. generell vordergründig determiniert ist: Wenn die Führung der Singstimme oder der Klavierbegleitung tonmalerisch oder durch andere Ausdrucksmittel auf den Text Bezug nimmt, tut sie das stets auf eine eindeutige und oft sogar naive Art. Darauf beruht wohl nicht zuletzt die enorme Beliebtheit und Popularität vieler L.-Balladen in Konzert und Hausmusik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Diese Gestaltungsweise markiert aber auch einen Gegenpol zu den meisten Liedern der deutschen Romantiker, insbesondere Fr. Schuberts (mit dem L. fast gleichaltrig war) und R. Schumanns. Denn in ihren Liedern beruht das typisch Romantische, der Zauber der musikalischen Poesie, gerade auf der weitgehenden Unbestimmtheit der Wort-Ton-Beziehung und auf einer Hintergründigkeit in der Gestaltung von Singstimme und Begleitung.
B. BASELT, C. L. Zur Konzeption eines zeitgen. L.-Bildes, in: MuGes 19 (1969); P. L. ALTHOUSE, C. L. His Lieder, Ballads and Their Performance (New Haven / Conn. 1971) (= Diss. Yale Univ.). G. MASSENKEIL
LOWE, Ferdinand, * 19.2.1865 Wien, t 6.1.1925 ebd.; östr. Dirigent. Er studierte bis 1879 Musiktheorie (A. Bruckner), Klavier und Komposition am Konservatorium der Gesellschaft für Musikfreunde in Wien, wo er 1884-97 als Lehrer für Klavier und 1895-97 als Lehrer für Chorgesang tätig war. 1896-98 leitete er die Wiener Singakademie, daneben seit 1897 das Kaim-Orchester in München, 1900-04 das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. 1901 gehörte er zu den Gründern des Wiener Konzertvereins und dirigierte 1908-14 das Konzertvereinorchester in München. 1918-22 war er Direktor der Wiener Musikakademie. Neben Werken zeitgenössischer Komponisten (M. Reger, G. Mahler, R. Strauss und H. Pfitzner) pflegte L. besonders die Werke Bruckners, dessen 9. Symphonie er uraufgeführt hat (Wien 11.2. 1903). In München und Wien, letztmals 1923/24, dirigierte L. mehrere Bruckner-Zyklen und veranstaltete 1905 in München das erste Brucknerfest. Seine Klavier-Bearbeitungen Brucknerscher Symphonien, teilweise zusammen mit J. Schalk, haben trotz mancher eigenwilliger Eingriffe einen verdienstvollen Anteil an der Verbreitung dieser Werke. Lit.: H. JANCIK, in: ÖMZ 20 (1965).
Ausg.: GA der Balladen, Legenden, Lieder u. Gesänge für eine SingSt, hrsg. v. M. RUNZE, 17 Bde. (L 1899-1905, Nachdr. Farnborough 1970); ferner zahlr. praktische Ausg. der Balladen.
LOEWE, Frederick, * 10.6. 1904 Berlin; amerik. Komponist und Pianist dt. Herkunft. L. studierte in Berlin bei F. Busoni, E. d'Albert und E. N. v. Rezniček und trat bereits 13jährig als Solist mit dem Berliner Philharmonischen Orchester auf. 1924 ging er in die USA, konnte dort aber nur schwer Fuß fassen. Er verdiente u. a. als Unterhaltungspianist seinen Lebensunterhalt und komponierte gelegentlich Stücke und Einlagen für die Bühne. 1942 begann er die Zusammenarbeit mit dem Textdichter und Librettisten Alan Jay Lerner (* 31. B. 1918 New York) und brachte mit ihm 1943 als erstes Musical What's Up heraus. Brigadoon erzielte 1947 den eigentlichen Durchbruch und My Fair Lady 1956 einen einmaligen Welterfolg. 1958 entstand die Filmmusik zu Gigi und 1960 das ebenfalls erfolgreiche und aufwendig inszenierte Musical Camelot. 1962 endete diese Zusammenarbeit. Lerner brachte seither mit anderen Komponisten weitere Musicals heraus.
Lit.: W. SERAUKY, Zu C. L.s Biogr.... , in: FS A. Schering (B 1937); R. SIETZ, C. L. (Kö 1948); W. VETTER, Zu C. Ls Balladenstil, in: Mythos, Melos, Musica 1 (L 1957); E. G. PORTER, The Ballads of C. L., in: MR 24 (1963); J. E. SCHLEICHER, The Ballads of C. L. (Urbana 1966) (= Diss. Univ. of Illinois);
WW (zus. mit J. Lerner): Life of Party, UA: Detroit 1942; What's Up, UA: New York 1943; The DayBefore Spring, UA: ebd. 1945; Brigadoon, UA: ebd. 1947; Paint Your Wagon, UA: ebd. 1951; My Fair Lady (nach G. B. Shaws Pygmalion), UA: ebd. 1956; Camelot (1960). — Ferner Filmmusik zu Gigi (1958).
WW (145 Opuszahlen): Einige Klv.-Werke (Sonaten, Tondichtungen u. a.). — Zahlr. Balladen u. a. Klv.-Lieder, darunter: Edward, Der Wirtin Töchterlein u. Erlkönig, op. 1 (1818) (B 1824); Das Hochzeitslied, Der Zauberlehrling u. Die wandelnde Glocke, op. 20 (B 1832); Heinrich der Vogler (Dresden 1836); Die Glocken von Speyer (ebd. 1838); Fridericus Rex (B 1838); Prinz Eugen, der edle Ritter (B 1844); Archibald Douglas (B 1858); Der Nöck (B 1860); Tom der Reimer (Brau 1867). — 5 Opern, davon aufgeführt nur Die drei Wünsche, Berlin 1832. — 17 geistliche u. weltliche Oratorien, darunter: Die Festzeiten (1825-36); Die Zerstörung Jerusalems (1829); Die eherne Schlange (1843) für Männerchor; Die Siebenschläfer (1833); Gutenberg (1837); Palestrina (1841); Johann Hus (1842); Die Auferweckung des Lazarus (1863); ferner Horaz-Oden (1836) für Männerchor u. a. Werke für Männerchor u. Orch. — Einige Unterrichtswerke, darunter Klavier- u. GeneralbaB-Schule (B 21851); Selbstbiographie, hrsg. v. C. H. Bitter (B 1870, Nachdr. Hil 1976).
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Löwe Lit.: S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960, 3 1974); S. SCHMIDT-JODS, Das Musical (Mn 1965); D. EWEN, Great Men of American Popular Song (Englewood Cliffs/N. J. 1970).
LOWE, Johann Jakob (L. von Eisenach), getauft 31.7. 1629 Wien, t Anfang September 1703 Lüneburg; dt. Komponist. L. wurde 1652 Schüler von H. Schütz und auf dessen Empfehlung 1655 Kapellmeister am Hof von Wolfenbüttel. 1663 kam er als Kapellmeister an den Hof von Zeitz, mußte die Stellung aber bereits 1665 wieder aufgeben. Nach Jahren ohne feste Anstellung ist er 1682 als Organist der Nikolaikirche in Luneburg nachweisbar. Als Komponist ist L. wegen seiner italienisch beeinflußten „Synfonien" wichtig, der ersten Beispiele eines Einleitungssatzes in der Geschichte der deutschen Suite. WW: ... Tugend- und Schertzlieder für 1-3 St., Instr. u. B.c. (Bremen 1657); Synfonien, Intraden, Gagliarden, Arien, Balletten, Couranten, Sarabanden für 3-5 Instr. u. B.c. (ebd. 1658); Neue geistliche Concerten für 1-3 St., 2 V. u. B.c. (Wb 1660); Sonaten, Canzonen u. Capriccen für 2 Instr. u. B.c. (Jena 1664); Salanische Musenlust ... dienende Lieder für 1-4 St., Instr. u. B.c. (ebd. 1665).
Ausg.: Arien mit Ritornellen aus Salanische Musenlust, hrsg. v. A. RODEMANN (1929) (= Nagels MA 32); 2 Streichersuiten, hrsg. v. DEMS. (1936, Neudruck Kas 1960) (= ebd. 67); Aria II aus Salanische Musenlust, in: H. J. MOSER, Das dt. Sololied (Kb 1957) (= Das Musikwerk 17). Lit.: H. RIEMANN, Zur Gesch. der dt. Suite, in: SIMG 6 (1904/05) (darin eine Sinfonia); A. EINSTEIN, It. Musiker am Hofe der Neuburger Wittelsbacher 1614-1716, in: ebd. 9 (1907/08) (darin ein Capriccio für 2 Trp. u. B.c.); G. F. SCHMIDT, Neue Beitr. z. Gesch. der Musik u. des Theaters am herzoglichen Hofe zu Braunschweig-Wolfenbüttel (Mn 1929).
LOEWENGUTH-QUARTETT, französ. Streichquartett. Es wurde 1929 von Alfred Loewenguth (* 11.6. 1911 Paris, * 11. 11. 1983 ebd.) gegründet und trat seit 1936 öffentlich auf. Außer A. Loewenguth, 1. Violine, gehörten dem L. an: M. Fueri, N. Gotkovsky, J.-B. Sabouret und zuletzt Philippe Langlois (* 23.4. 1951 Paris), 2. Violine, J. George, R. Roche und zuletzt Claude Dewaele (* 15.3. 1942 La Mure, Isère), Viola, und P. Basseux, zuletzt Roger Loewenguth (* 22.3. 1916 Viroflay, Seine-et-Oise), Violoncello. Das L. genoß einen außerordentlichen Ruf. A. Loewenguth, der außerdem die Orchestres d'enfants et des cadets an der Schola Cantorum in Paris gründete und leitete, schrieb Les enfants sont-ils tous musiciens? (in: M. Legaud, Aimer la musique, P 1971). LÖWENSTERN, Matthäus Appeles von (Matthaeus Leonastro de Longueville Napolitanus, eig. Matthaeus Appelt), * 20.4. 1594 Neustadt (Oberschlesien), t 11.4. 1648 Breslau; dt. Komponist. Er war 1613-25 Lehrer und Kantor in Leobschütz. Später kam er an den Hof des Fürsten Heinrich 160
Wenzel von Oels in Bernstadt, wurde Leiter der Kapelle und Inspektor der fürstlichen Schule und stieg rasch vom Rentmeister zum Sekretär und fürstlichen Rat auf. 1634 wurde er von Kaiser Ferdinand II. in den Ritterstand erhoben. Seit 1639 lebte er vornehmlich in Breslau. L.s schlichte und formvollendete geistliche Lieder, in denen er antike Versmaße und Strophenformen verwendete, fanden rasch Aufnahme in den evangelischen Gemeindegesang. Zwei seiner Lieder stehen im heutigen Evangelischen Kirchengesangbuch. WW: Fruelings-Mayen (30 geistliche Lieder) (Breslau 1644), NA v. J. D. Major (Kiel 1678) (darin eine Biogr. L.$); 11 Chöre für 3-4 St. u. B.c. zu M. Opitz' Drama Judith (Rostock 1646); ferner Motetten für 4-12 St. u. geistliche Konzerte hsl. Ausg.: Motetten u. 5 Lieder, in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik, hrsg. v. K. AMELN - CH. MAHRENHOLZ - W. THOMAS C. GERHARDT (Gö 1932ff.); 3 Sätze, hrsg. v. CH. MAHRENHOLZ, in: Generalbaß-Choräle (Kas 1938). Lit.: C. VON WINTERFELD, Der ev. Kirchengesang II (L 1845, Nachdr. Hil 1966) (darin 5 Lieder); H. STEINITZ, Ober das Leben u. die Compositionen des M. A. von L. (Breslau 1892); P. EPSTEIN, M. A. von L.s weltliche Lieder, in: ZfMw 10 (1927/28) (darin 3 Lieder); DERS., A. von L. (Breslau 1929) (mit den Chören aus „Judith").
LOWINSKY, Edward Elias, * 12. 1. 1908 Stuttgart, t 11. 10. 1985 Chicago; amerik. Musikforscher dt. Herkunft. Er studierte u. a. Klavier an der Musikhochschule Stuttgart und seit 1929 Musikwissenschaft (H. Besseler) und Philosophie an der Universität Heidelberg, wo er 1933 promovierte. 1933-39 lebte er in Holland und ließ sich anschließend in den USA nieder. Dort lehrte er 1947-52 und 1954-56 am Queen's College in New York, 1952-54 an der Princeton University (N. J.), 1956-61 an der University of California in Berkeley (als Nachfolger M. Bukofzers) und anschließend an der University of Chicago. L.s Arbeiten haben vor allem zentrale Themen der Musikgeschichte des 16. Jh. zum Gegenstand. Schriften: Das Antwerpener Motettenbuch O. di Lassos u. seine Beziehungen zum Motettenschaffen der niederländřschen Zeitgenossen (Den Haag 1937); Secret Chromatic Art in the Netherlands Motets (NY 1946, Nachdr. 1967) (= Columbia Univ. Studies in Musicology 6); On Mozart's Rhythm, in: MQ 42 (1956), Wiederabdruck in: The Creative World of Mozart, hrsg. v. P. H. Lang (NY 1963); Tonality and Atonality in 16th Century Music (Berkeley Calif. -Lo 1961, 2 1962); Musical Genius. Evolution and Origins of a Concept, in: MQ 50 (1964). - L. gab heraus: J. de Prés. Proceedings of the International Josquin Festival -Conference ... 1971 (Lo 1976), darin von ihm selbst Ascanio Sforza s Life. A Cue to Josquin's Biography... - Ferner leitete L. die Edition Monuments of Renaissance Music, davon stammen die Bde. 3-5: The Medici Codex of 1518 (Ch 1968) von ihm selbst. Lit.: L. FINSCHER. Zu den Schriften E. E. L.s, in: Mf 15 (1962).
LP, Abk. für Langspielplatte, /Schallplatte.
LUALDI, Adriano, * 22.3.1885 Larino (Campobasso), t 8.1.1971 Mailand; it. Komponist, Diri-
Luchesi gent und Musikkritiker. Er studierte bei Stanislav Falchi am Conservatorio di Musica S. Cecilia in Rom und später bis 1907 bei E. Wolf-Ferrari am Conservatorio di Musica B. Marcello in Venedig. 1908-15 war er als Opern- und Konzertdirigent tätig, gründete das Orchester „San Pietro a Majella", aus dem später das Orchester „Scarlatti" hervorging, und 1938 die Festivali Internazionali di Musica. Außerdem schrieb er 1923-27 Musikkritiken für die Tageszeitung II secolo, 1927-32 für La sera und 1936-39 für das Giornale d'Italia. 1936-44 leitete L. das Conservatorio di Musica S. Pietro a Majella in Neapel und 1947-56 das Conservatorio di Musica Cherubini in Florenz. L., ein Musiker von umfassender Bildung, vertrat eine
gemäßigte Moderne und war ein entschiedener Gegner extremer Richtungen. WW: 1) Emir.- and Vokal-WW: Kammermusik, darunter ein Streichquartett (1913); Orch.-Werke, u. a. die Symphonische Dichtung L'Albatro; zahlr. Stücke für SingSt u. Klv., u. a. La Morte di Rinaldo; ferner Sire Halewin (1929) u. La rosa di Sarom (1929) für SingSt u. Orch. - 2) Bühnen-WW: Le furie di Arlecchino, UA: Mailand 1915; Il cantico, UA: ebd. 1915; Guerrin Meschino, UA: Rom 1920; La figlia del re, UA: Turin 1922; D diavolo nel campanile, UA: Mailand 1925; La grançèola, UA: Venedig 1932; Le nozze di Haura, UA: Rom 1943; La luna dei Caraibi, UA: ebd. 1953; Il testamento di Euridice, UA: RAI 1963; Ballett Lumawig e la saetta, UA: Rom 1937, erweitert: Mailand 1956; ferner Bühnenmusik. - 3) ScMüten: II rinnovamento musicale italiano (Mi 1931); L'arte di dirigere l'orchestra (Mi 1940, .1957); La filosofia della musica di G. Mazzini (Mi 1943, R =1954); Oggi non domani (R 1947); L'arte della fuga di I. S. Bach (Triest 1955); Don Chisciotte e i basilischi (Mi 1964). lit.: A. VERETTI, A. L., in: RMI 35 (1928); G. CONFALON1ERI, L'opera di A. L. (Mi 1932); R. MARIANI, A. L. (R 1934).
LUBECK, Vincent, * vermutlich Ende September 1656 Padingbüttel bei Bremerhaven, t 9.2. 1740 Hamburg; dt. Organist und Komponist. Sein Vater, Vincent L., war Organist und vermutlich sein erster Lehrer, doch liegen über L.s Jugend- und Lehrjahre keine zuverlässigen Nachrichten vor. 1675 trat er das Amt des Organisten an der Kirche St. Cosmae et Damiani in Stade an. 1702 wurde er auf die bedeutende Organistenstelle an St. Nicolai in Hamburg berufen, die er bis zu seinem Tode innehatte. J. Mattheson nennt ihn einen „ungemeinen Organisten". Von seinen Kompositionen wurde zu seinen Lebzeiten eine Clavier Uebung gedruckt („auff Ersuchen einiger guten Freunden"), alles übrige ist nur hsl. überliefert. Seine als „Praeambulum" oder „Praeludium” betitelten Orgelwerke zeigen die Stilmerkmale der norddeutschen Schule: eine Verbindung von orgeltypischem Passagenwerk, akkordischen Partien und ausgedehnten fugierten Abschnitten (sogenannte Toccatenfuge). Unter den erhaltenen Vokalwerken zählt die schlichte Weihnachtsmusik Willkommen, süßer
Bräutigam zum Standardrepertoire evangelischer Kantoreipraxis. WW: Clavier Uebung (Praeludium, Fuge, Suite und Chaconne) (H 1728). - Ferner 7 „Praeambula", 2 Choralbearb. für Org. u. 3 Kantaten hsl. erhalten. Ausg.: GA,'hrsg. v. G. HARMS (Klecken 1921); Orgelwerke, hrsg. v. H. KELLER (L 1941, Neudr. 1954); Sämtliche Orgelwerke, hrsg. v. K. BECKMANN (Wie 1973). Lit.: P. RUBARDT, V. L., sein Leben u. seine Werke (Diss. L 1920), Teildruck in: AfMw 6 (1924); W. APEL, Gesch. der Orgel- und Klaviermusik bis 1700 (Kas 1967).
LUCCA, Francesco, * 1802 Cremona, t 20.11. 1872 Mailand; it. Musikverleger. L. war 1816-22 Lehrling im Verlag G. Ricordi in Mailand und spielte daneben als 2. Klarinettist im Orchester der Scala. Anschließend ging er zur weiteren Ausbildung nach Deutschland und gründete, nach Mailand zurückgekehrt, dort 1825 einen eigenen Musikverlag, der sich rasch zu einer Konkurrenz Ricordis entwickelte. Das Haus förderte besonders junge talentierte Bühnenkomponisten, darunter A. Ponchielli und Alfredo Catalani. Der Verlagskatalog umfaßte u. a. Werke von G. Donizetti, G. Rossini und G. Verdi. Nach L.s Tod übernahm seine Frau Giovannina (1810 oder 1814-1894) die Leitung des Hauses und setzte sich besonders für die Opern R. Wagners ein. 1888 fusionierte das Unternehmen mit dem Haus Ricordi. LUCCA, Pauline, * 25.4.1841 Wien, t 28.2. 1908 ebd.; östr. Sängerin (Sopran). Sie begann ihre Bühnenlaufbahn als Choristin der Wiener Hofoper und debütierte 1859 am Stadttheater Olmütz als Elvira in Verdis Ernani. Über Prag kam sie auf Empfehlung von G. Meyerbeer 1861 an die Berliner Hofoper. Ihren Vertrag auf Lebenszeit löste sie bereits 1872 und war 1874 bis zu ihrem Bühnenabschied 1889 Ensemblemitglied der Wiener Hofoper. Gastspiele führten sie an den Covent Garden in London (seit 1863), nach Rußland, Frankreich, Belgien, Spanien und in die USA. Sie galt als eine der führenden Bizet- und Meyerbeer-Interpretinnen ihrer Zeit. Sie war mit Kaiser Wilhelm I. und Otto von Bismarck befreundet. Lit.: A. JANSEN-MARA — D. WEISSE-ZEHRER, Die Wiener Nachtigall. Der Lebensweg der P. L. (B 1935).
LUCHESI (Lucchesi), Andrea, * 23.5. 1741 Motta di Livenza bei Treviso, t 21. 3. 1801 Bonn; it. Komponist. Er studierte bei G. Cocchi und G. Saratelli in Venedig und war zunächst als Organist tätig. Ende 1771 kam er mit einer italienischen Operntruppe in die kurkölnische Residenzstadt Bonn und erhielt dort als Nachfolger des Vaters von L. van Beethoven 1774 eine Kapellmeisterstelle, die er bis zur französischen Besetzung des Kurstaates (1794) 161
Lucia di Lammermoor innehatte. L. schrieb mehrere in Venedig und Bonn aufgeführte Opern und kleinere Bühnenwerke; wenig bekannt ist heute seine Instrumentalmusik (6 Klaviersonaten, 6 Symphonien, 1 Klavierkonzert), obwohl diese von Zeitgenossen (u. a. Leopold Mozart) geschätzt wurde. Der Schwerpunkt seines Schaffens lag in den späteren Jahren auf dem Gebiet der Kirchenmusik (zahlreiche Messen, Motetten, ein Passionsoratorium), in der er einen etwas antiquierten italienischen Stil pflegte. WW: 1) Iarfr.-WW: Sonaten für Cemb. u. V., op. 1 (Bonn 1772); 3 weitere Stücke für Cemb. bzw. Org.; 6 Symphonien u. Ballettmusik Arlequin déserteur (sämtlich hsl.). — 2) Opern: Hsl. erhalten sind Le donne sempre donne, UA: Venedig 1767; II matrimonio per astuzia, UA: ebd. 1771; L'inganno scoperto, UA: Bonn 1773; zu weiteren 5 Opern sind nur die Textbücher erhalten. — 3) Vokal-WW (hal.): 4 Messen und 1 Requiem; Te Deum; einige Motetten; Vesperpsalmen; Magnificat u. a. kirchenmusikalische Werke; Oratorium La passione di Gesù Cristo. Lit.: A. HENSELER, A. L., in: Bonner Geschichtsblätter 1 (1937); N. JERs, A. L., in: Rheinische Musiker 7, hrsg. v. D. Kämper (Kö 1972) (= Beitr. z. rheinischen Musikgosch. 97). S. BRANDENBURG
LUCIA DI LAMMERMOOR, Opera seria in 3 Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848), Text von Salvatore Cammarano nach Walter Scotts Roman The Bride of Lammermoor (1819). Ort und Zeit der Handlung: Schottland, im 16. Jahrhundert. UA: 26.9.1835 in Neapel (Teatro San Carlo); EA in dt. Sprache: 25.8.1838 in Baden bei Wien; dt. EA (in dt. Sprache): 15.10.1838 in Berlin (Königstädtisches Theater). Donizetti schrieb die Oper nach seiner „Niederlage" mit Marin Faliero gegen V. Bellinis Die Puritaner innerhalb eines halben Jahres. Das Werk gilt als der Höhepunkt in der Geschichte der italienischen romantischen Musiktragödie. Die Fülle der mit Elementen der Schauerromantik angereicherten Romanereignisse ist im Libretto auf wenige, aussagekräftige Szenen komprimiert. Der vom Komponisten planvoll entworfene und vom Interpreten expressiv zu steigernde melodische Gestus, die symphonisch-thematische Disposition ganzer Szenenkomplexe und die nahezu ständige Präsenz des thematischen Materials im Orchesterpart verbinden sich zu einer höchst eindrucksvollen Musikdramaturgie. Donizetti behielt zwar den Nummernplan der tradierten Opernform äußerlich-formal bei, weitete die Folge von Rezitativ und Arie bzw. Ensemble aber sowohl kompositorisch-formal wie in der musikalisch-emotionalen Qualität. Berühmtestes Beispiel für diese Technik ist Lucias Wahnsinnsszene im 3. Akt, in der der musikalische Freiraum für sublime psychologische Gestaltung der Titelpartie am deutlichsten wird. Aber das Werk besticht auch durch eingängige Melodien (z. B. das Schlußduett Lucia/Edgard im 1. Akt Ver162
ranno a te sull'aure — Es wird dir meine Seufzer) und wirkungssichere Ensembles (z. B. das Finalsextett im 2. Akt Chi mi frena — Wer vermag's, den Zorn zu hemmen); die Anforderungen an die technischen Fertigkeiten der Sänger sind extrem gesteigert. J. SCHLÄDER LUCIO SILLA, Opera seria in 3 Akten von Johann Christian Bach (1735-82), Text von Giovanni de Gamerra in der Bearbeitung von Mattia Verazi. Ort u. Zeit der Handlung: Rom und Umgebung, nach 85 v. Chr. UA: 4. 11. 1774 in Mannheim, EA in dt. Sprache: 22.3. 1929 in Kiel. Der Mannheimer Hofdichter M. Verazi änderte in erster Linie den 2. Akt von Gamerras Libretto, in welchem einige der zahlreichen Rezitative gestrichen wurden. Dies kam den Intentionen des Komponisten sehr entgegen, in dessen früheren Opern bereits ein Zurückdrängen der Secco-Rezitative zugunsten des Accompagnatos, verbunden mit einer Lösung vom Typus der Da capo-Arie, zu beobachten ist. Die Tendenz zur stärkeren musikalischen Durchformung größerer Komplexe zeichnet sich in den Szenen 7-8 des 1. Aktes ab, die als musikdramatisch besonders gelungen anzusehen sind. Das Zusammentreffen der vom römischen Diktator Lucio Silla umworbenen Giunia mit ihrem totgeglaubten Geliebten Cecilio bildet die Schlüsselszene der Oper; alle Ereignisse — Cecilios gescheitertes Attentat auf Silla und die nachfolgende Inhaftierung, die mit verzeihender Geste des Diktators beendet wird — nehmen hier ihren Anfang. Daß das Werk im Gegensatz zu Temistocle (UA: 5.11.1772), Bachs erster Oper für Mannheim, bei fast gleicher Besetzung nicht annähernd so erfolgreich war, gründet nicht in den psychologischen Schwächen der Textvorlage und sicher auch nicht in der wirkungsvollen musikalischen Gestaltung, sondern vielmehr im allmählichen Vordringen einer deutschen Nationaloper. TH. MENGER LUCIO SILLA, Dramma per musica in 3 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), KV 135, Text von Giovanni de Gamerra. Ort u. Zeit der Handlung: Rom, nach 85 v. Chr. UA: 26.12. 1772 in Mailand (Teatro Regio Ducale); EA in dt. Sprache: 14.12.1929 in Prag; dt. EA: 23.9.1955 in Dresden. Mozart erhielt den Auftrag zur Komposition in Salzburg vor Antritt seiner dritten Italien-Reise; sämtliche Rezitative und der Entwurf für die Ouvertüre waren bereits fertig, als der Komponist in Mailand eintraf. Hier mußte er feststellen, daB P. Metastasio das Textbuch überarbeitet hatte; in unglaublicher Hast waren zahlreiche Passagen neu
Ludwig zu komponieren. — Das Libretto konventionellen Zuschnitts ist dramatisch nicht stringent aufgebaut, läßt aber dennoch viel Raum zu wechselnder Affektdarstellung. Diesen nutzt Mozart, um innerhalb der tradierten Form der Opera seria in neapolitanischem Stil neue musikalische Ausdrucksmittel zu erproben. Auffällig sind die häufige Verwendung ausdrucksstarker Accompagnato-Rezitative und die Verfeinerung der Orchestrierung. Vor allem in den Arien der Giunia hat Mozart die starre dreiteilige Form der Solonummer zerbrochen zugunsten einer individuellen affektbestimmten Anlage. Die musikdramatisch eindrucksvollsten Passagen bilden die Gräberszenen im 1. Akt, die über Szenengrenzen hinweg als musikalische Einheit gestaltet sind. — Trotz wenig glücklicher Umstände bei der UA errang Mozart mehr als einen Achtungserfolg; dennoch blieb dies sein letzter Opernauftrag für einen italienischen Fürsten. J. SCHLÄDER LUCREZIA BORGIA, Opera seria in 3 Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848), Text von Felice
Romani nach Victor Hugos Tragödie Lucrèce Borgia (1833). Ort u. Zeit der Handlung: Venedig und Ferrara, Anfang des 16. Jahrhunderts. UA: 26. 12. 1833 in Mailand (Teatro alla Scala); dt. EA (in dt. Sprache): 14. 12. 1839 in Berlin (Königstädtisches Theater). Lucrezia Borgia wird weniger als die mit unzähligen heimtückischen Morden belastete Verbrecherin denn als Mutter dargestellt, die mit sentimentaler Liebe an ihrem Sohn Gennaro hängt. In dieser Konstellation ist die tragische Fallhöhe der Titelfigur, die unwissend ihren eigenen Sohn tötet, um so größer. Donizetti vermag die einzelnen Figuren und ihre psychischen Probleme musikalisch treffend zu charakterisieren. Die musikdramatisch effektvollste Szene, zugleich das dramaturgische Kernstück des Werkes, bildet das Terzett Lucrezia/Alfonso/Gennaro im 2. Akt, in dem die wechselnden emotionalen Äußerungen der Mutter jeweils mit den kontrastierenden thematischen Linien der beiden Männerstimmen simultan verlaufen. Die Typisierung der tradierten Opernformen erlaubt Donizetti, den musikalisch-thematischen Beziehungsreichtum über längere Abschnitte hinweg (nicht zuletzt auch durch Erinnerungsthematik) zu erhalten. Der stilbildende Einfluß gerade dieses Werkes auf Verdis Opern ist nicht zu übersehen. — Da bei der UA ein Ensemble nur durchschnittlich begabter Sänger zur Verfügung stand (einzig die Altistin Marietta Brambilla vermochte in der Hosenrolle des Orsini höchsten Ansprüchen zu genügen; für sie komponierte Donizetti den berühmten Brindisi im 3. Akt), arbeitete der Komponist das Werk für
spätere Aufführungen und bessere Sänger mehrfach um. Schon unmittelbar nach der UA wurde die Oper mehrfach mit Titel- und Stoffänderungen gegeben. Nach einem ausdrücklichen Verbot von V. Hugo durfte das Werk auch in Paris (1845) nur als La rinnegata mit erheblichen Veränderungen aufgeführt werden. J. SCHLÄDER LUDFORD, Nicholas, * um 1485, t um 1557; engl. Komponist. Er wurde 1510 Musiker der Kapelle des Kollegiums von St. Stephan in Westminster und blieb dort bis zur Auflösung der Kollegiums (1547). Von ihm sind hsl. Messen und Motetten erhalten. Ausg.: Collected Works, hrsg. v. J. BERGSAGEL (R 1963) ( = CMM 27). Lit.: H. BAILLIE, N. L., in: MQ 44 (1958); J. BERGSAGEL, An Introduction to L., in: MD 14 (1960); DERS., On The Performance of L.'s „Alternatim" Masses, in: MD 16 (1962).
LUDWIG, Christa, * 16.3. 1928 Berlin; dt. Sängerin (Mezzosopran). Sie wurde von ihrer Mutter, der Altistin Eugenie Besalla-L., und an der Frankfurter Musikhochschule ausgebildet und debütierte 1946 in Frankfurt am Main als Orlowsky in J. Strauß' Fledermaus. 1952-54 war sie Mitglied der Darmstädter Oper, wechselte anschließend an das Opernhaus in Hannover und gehört seit 1955 zum Ensemble der Wiener Staatsoper. Gastspiele führten sie zu den bedeutendsten Opernhäusern und Festspielorten in Europa und den USA. 1971 kreierte sie die Titelrolle von G. von Einems Der Besuch der alten Dame an der Wiener Staatsoper. Zu den maßstabsetzenden Partien ihres Bühnenrepertoires gehören von W. A. Mozart der Cherubino (Le nozze di Figaro) und Dorabella (Cosi fan tutte), von R. Wagner die Venus (Tannhäuser), Brangäne (Tristan und Isolde) und Kundry (Parsifal) sowie von R. Strauss die Marschallin (Der Rosenkavalier), der Komponist (Ariadne auf Naxos) und die Färberin (Frau ohne Schatten). Chr. L. gilt als eine der bedeutendsten Liedersängerinnen unserer Zeit. In erster Ehe war sie mit dem Sänger Walter Berry verheiratet. Lit.: P. LORENZ, Ch. L., W. Berry (W 1968); G. PERCY, in: Musikrevue 24 (1969); CH. OSBORNE, in: Opera 24 (1973).
LUDWIG, Franz, * 7.7.1889 Graslitz (Böhmen), t 15.6. 1955 Münster; dt. Komponist. Er studierte in Leipzig an der Universität bei H. Riemann und am Konservatorium bei M. Reger und J. Pembaur und war 1912-19 Lehrer am Konservatorium in Sondershausen. Seit 1919 lebte er als Komponist, Musikpädagoge und Musikkritiker in Münster, wo er den „Ludwigbund zur Pflege des Klavierspiels in historischer und wissenschaftlicher Umrahmung" gründete. L.s Kompositionen, in denen stets das 163
Ludwig
Vorbild seines Lehrers Reger gegenwärtig ist, sind besonders durch das böhmische Volkslied geprägt. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke u. Kammermusik; für Orch.: Klv.-Konzert (1913) u. ein Hornkonzert (1914); Lieder u. Chorwerke; Fons Carolinus (1941) für Bar. u. Orch.; szenisches Oratorium Das Lambertusspiel, UA: Bremerhaven 1934; Oper Schlag 12, UA: Münster 1928. — 2) Stiltriften: E. A. Förster, in: ZIMG 10 (1909/ 10); Musikgeschichte des Erzgebirges (Kaaden 1924); 1.O. Grimm (Bielefeld 1925); L. Wüllner (L 1931). Lit.: K. M. KOMMA, F. L., in: Stifter-Jb. 3 (Mn 1953); G. KASCHNER, F. L., in: Blickpunkte 3/2 (Mr 1975).
LUDWIG, Friedrich, * 8.5.1872 Potsdam, t 3.10. 1930 Göttingen; dt. Musikforscher. Er studierte Geschichte und Musikwissenschaft in Marburg und in Straßburg, promovierte dort 1896 als Historiker und habilitierte sich 1905 im Fach Musikwissenschaft (1910 Professor). Seit 1920 lehrte er an der Universität Göttingen. L.s Schriften gehören zu den grundlegenden Werken über die Musik des 11.-14. Jahrhunderts. Schriften: Studien über die Geschichte der mehrstimmigen Musik im Mittelalter, I: Die mehrstimmige Musik des 14.1h., in: SIMG 4 (1902/03), II: Die 50 Beispiele Coussemakers aus der Hs. v. Montpellier, in: ebd. 5 (1903/04), III: Ober die Entstehung u. die erste Entwicklung der lateinischen u. französischen Motette in musikalischer Beziehung, in: ebd. 7 (1905/06); Studien über die mehrstimmige Musik im Mittelalter, in: KmJb 19 (1905); Die mehrstimmige Musik des 11. u. 12. Jh., in: Kgr.-Ber. Wien 1909; Mehrstimmige Musik des 12. oder 13.1h. im Schlettstädter St. Fides-Codex, in: FS H. Kretzschmar (L 1918); Die Quellen der Motetten ältesten Stils, in: AfMw 5 (1923); Die geistliche nichtliturgische u. weltliche einstimmige und die mehrstimmige Musik des Mittelalters bis zum Anfang des 15.1h., in: Hdb. der Musikgesch., hrsg. v. G. Adler (F 1924, B 21930, Nachdr. Mn 1975). — L. veröff. ferner G. de Machaut, Musikalische Werke, 4 Bde.: I—III (= PäM I/1), III/ 1 u. IV/2 (L 1926-29), IV, hrsg. v. H. Besseler (L 1943), Nachdr. der 4 Bde. (L 1954). Lit.: H. BESSELER, F. L., in: ZfMw 13 (1930/31) (mit Schriftenverz.); J. M. MÜLLER-BLATTAU, Dem Andenken F. L.s (Kas 1930) (mit Schriftenverz.); J. CHAILLEY, Quel est l'auteur de la „théorie modale" dite de Beck-Aubry?, in: AfMw 10 (1953).
LUDWIG, Leopold, * 12. 1. 1908 Witkowitz (Vítkovice, heute Ostrava, CSSR), t 25.4.1979 Lüneburg; dt. Dirigent. L. studierte an der Wiener Musikakademie Klavier (E. von Pauer) und Komposition (F. Schmidt), dirigierte 1931-35 an mehreren Theatern und wurde 1936 als GMD an das Staatstheater in Oldenburg berufen. 1939-45 war er 1. Kapellmeister an der Wiener Staatsoper, 1943 bis 1945 außerdem am Städtischen Opernhaus in Berlin, dann bis 1953 dort Gastdirigent an der Staatsoper Unter den Linden. 1951-72 wirkte er als GMD an der Hamburgischen Staatsoper, der er gemeinsam mit dem Direktor R. Liebermann zu groBem internationalem Ansehen verhalf. Daneben dirigierte L. seit 1958 in Los Angeles und San Francisco, 1963-66 auch in Wien und 1970-72 an der Metropolitan Opera in New York. In Hamburg leitete er u. a. die UA von Pallas Athene weint 164
(E. Krenek, 1955), Der Prinz von Homburg (H. W. Henze, 1960) und Jacobowsky und der Oberst (G. Klebe, 1965). Lit.: B. W. WESSELING, L. L. (Bremen 1968). B. A. KOHL
LUDWIG, Walther, * 17.3.1902 Bad Oeynhausen (Westfalen), t 15.5.1981 Lahr/Schwarzwald; dt. Sänger (Tenor). Er studierte in Königsberg Medizin und Jura, daneben auch Gesang und debütierte 1928 am Stadttheater. 1929-32 sang er am Stadttheater in Schwerin und kreierte dort 1931 die Titelrolle der P. Graener-Oper Friedemann Bach. 1932-45 war er als lyrischer Tenor festes Ensemblemitglied der Städtischen Oper Berlin. 1935 gastierte er als Belmonte (Entführung aus dem Serail) und als Tamino (Zauberflöte) beim Glyndebourne-Festival. Weitere Gastspiele führten ihn an das Teatro Colón in Buenos Aires (als Stewa in L. Janáčeks Jenufa), an die Mail4nder Scala, zu den Salzburger Festspielen und an die Wiener Staatsoper, wo er als Mozart-Interpret internationales Ansehen errang. 1952-69 war L. Professor an der Hochschule für Musik in West-Berlin, setzte anschließend sein Medizinstudium fort und promovierte 1971 zum Dr. med. LUDWIG IL, König von Bayern, * 25. 8.1845 München, t 13.6.1886 (ertrunken im Starnberger See) bei Schloß Berg. L. ist musikgeschichtlich vor allem als Mäzen R. Wagners von Bedeutung geworden. Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung (1864) ließ er den bewunderten Dichter des Lohengrin auf der Flucht vor seinen Gläubigern aufspüren und zu sich einladen und unterstützte ihn finanziell aufs großzügigste. Wagner, der den königlichen Mäzen für „ganz unmusikalisch" hielt (in der Tat scheint Musik für L. vor allem Stimmungsträger gewesen zu sein), entwarf ein Programm von Werken, die er bis auf Die Sieger auch ausgeführt hat. Bei Neuinszenierungen und Uraufführungen (Tristan und Isolde, 1865; Die Meistersinger, 1868) entwickelten L. und Wagner gemeinsam Konzepte von „Mustervorstellungen", die der König nicht zu Unrecht als „unser Werk" bezeichnete, da er sein umfassendes historisches und kunsthistorisches Wissen und seine künstlerische Begabung einbrachte und sich um die Details von Bühnenbildern und Kostümen kümmerte. Die Bühnenillusion, Voraussetzung für die Identifizierung mit den Helden seiner Wunschwelt, sollte durch geschichtliche Richtigkeit abgesichert werden. Mit SchloB Neuschwanstein, als „würdiger Tempel für den göttlichen Freund" Wagner gedacht (1868), lieB L. ein Bauwerk schaffen, bei dem Theaterdekorationen zum Vorbild der realen Architektur dienten. Hier waren Schauplätze von Lohengrin, Tannhäu-
Lully ser und Parsifal vereinigt (die Venusgrotte aus Tannhäuserwurde aus technischen Erwägungen im Park von Schloß Linderhof errichtet). Der menschenscheu gewordene König, der sich — sich mehr und mehr von dem durch Wagner geformten Bild seiner Helden lösend — den mittelalterlichen Archetypen zuwandte, hatte sich eine eigene begehbare Traumwelt geschaffen. Lit.: König L. II. u. R. Wagner, Briefwechsel, hrsg. v. O. STROBEL, 5 Bde. (Karlsruhe 1936-39); K. HOMMEL, Die SeparatVorstellungen vor König L. II. (Mn 1963); D. u. M. PETZET, Die R. Wagner-Bühne L.s II. (Mn 1970) (= Stud. z. Kunst des 19. Jh. 8).
LUDWIG XIV., König von Frankreich, * 5.9.1638 St-Germain-en-Laye, t 1.9. 1715 Versailles. Mit der Gründung einer „Académie de Danse" (1661), der „Académie de Musique" (1669) sowie weiterer Akademien setzte L. die von Richelieu begonnene zentralistische Organisation der Wissenschaften und Künste fort. Seine persönliche Anteilnahme — der Überlieferung zufolge war er der erste, der ein Menuett tanzte (1653, auf Musik J.-B. Lullys) — begünstigte den Ausbau der Hofmusik, traditionell gegliedert in „Chambre" (für Tafel und Divertissements), „Écurie" (für Freiluftaufführungen und Paraden) und „Chapelle Royale" (für die tägliche Messe des Königs). Auf die Auswahl der von Ph. Quinault und J.-B. Lully vorgeschlagenen Opernsujets nahm er ebenso Einfluß wie auf die Besetzung seiner Organisten- und Kapellmeisterstellen (Wettbewerbe 1663, 1678, 1683). Repräsentative Drucke des Versailler Repertoires entstanden auf L.s Befehl. Sie hatten, seinen politischen Anstrengungen vergleichbar, der Steigerung der französischen Vormachtstellung zu dienen. LUKAČIČ, Ivan (eig. Giovanni Lucacich), OFM, * 1574 (?) Šibenik, t 20.9. 1648 Split; kroatischer Komponist. Er trat 1597 in den Franziskanerorden ein, studierte in Italien und wurde in Rom 1616 Magister der Musik. Kurz darauf erhielt er eine Kapellmeisterstelle an der Kathedrale in Split und behielt dieses Amt bis zu seinem Tod. Von ihm sind bekannt Sacrae cantiones (V 1620), eine Sammlung von 27 Motetten, teilweise im konzertierenden Stil. Ausg.: 16 Motetten aus Sacrae cantiones 1620, hrsg. v. J. ANDREIS (Zagreb 1970). Lit.: D. PLAMENAC, I. L. Motets choisis (Zagreb 1935) (mit dt. u. frz. Zusammenfassung); N. O'LOUGHLIN, A Note an L., in: MT 114 (1973).
LUKOMSKA, Halina, * 29.5.1929 Suchedniów bei Kielce; poln. Sängerin (Sopran). Sie studierte 1951-54 Gesang in Posen, dann an der Warschauer Musikakademie, 1958 an der Accademia Musicale Chigiana in Siena und 1959-60 bei Toti dal Monte in Venedig. Preisträgerin beim Internationalen
Gesangswettbewerb in 's-Hertogenbosch 1956, ist H. L., die besonders von P. Boulez gefördert wurde, seit 1960 als Konzertsängerin vor allem zeitgenössischer Werke international bekannt geworden. LULLY, Jean-Baptiste (eig. Giovanni Battista Lulli), * 28.11. 1632 Florenz, t 22.3. 1687 Paris; frz. Komponist it. Herkunft. Sein unvergleichlicher Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen gab vielfach AnlaB zu Legendenbildungen, die teilweise zeitgenössischen Ursprungs sind. Hierher gehört seine angebliche adlige Abstammung, aber auch das herabsetzende Gerücht, er habe als „Küchenjunge" begonnen. In Wirklichkeit fand er um 1645 bei der Prinzessin von Montpensier, der „Grande Demoiselle", eine Anstellung als „Garçon de chambre". Über den Grad seiner musikalischen Vorbildung zu diesem Zeitpunkt gibt es keine gesicherten Nachrichten. Die unter Kardinal Jules Mazarin geförderte Verbreitung italienischer Musik in Frankreich beeinflußte seine Entwicklung ebenso wie die Kenntnis französischer Traditionen (Air de cour, Ballet de cour). Kompositorische Fähigkeiten vermittelten ihm die Organisten Fr. Roberday und N. Gigault. In die Zeit der Fronde fallen erste Kontakte mit dem Hof. Nachdem er 1653 zusammen mit dem König im Ballet de la nuit aufgetreten war, wurde L. im selben Jahr zum Compositeur de la musique instrumentale du Roi ernannt. In dieser Stellung schuf er sich nach dem Vorbild der 24 Violons du Roi ein Ensemble von 16 Instrumentalisten. Die „petite bande" erreichte unter seiner Leitung eine bis dahin unbekannte spieltechnische Perfektion (einheitliche Bogenführung, sorgfältige Ausführung der Ornamentik). Die Geltung der französischen Instrumentalmusik, wegen ihrer choreographischen Bindung keineswegs innovatorisch angelegt, beruht seitdem entscheidend auf ihrer aufführungspraktischen Wirkung, und der frühe, bereits übernationale Ruhm L.s ist damit begründet. Die letzten großen italienischen Opernimporte, Fr. Cavallis Xerse (1660 zur Feier des Pyrenäischen Friedens) und Ercole amante (1662 zur Hochzeit des Königs), wurden mit umfangreichen Beiträgen L.s ausgestattet. Bereits 1660 war die Form der sogenannten französischen Ouverture als Typus fertig. Mit dem Beginn der persönlichen Regentschaft des Königs (1661) nahm L., nunmehr als Surintendant de la musique du Roi, die Geschicke der französischen Nationalmusik in seine Hand. Während des folgenden Jahrzehnts sammelte er in Zusammenarbeit vor allem mit J.-B. Molière weitere Bühnenerfahrung. Das Comédie-ballet berücksichtigt die ästhetische Maxime der Wahrscheinlichkeit, der „vraisemblance", und entläßt die Musik aus 165
Lully dekorativer Unverbindlichkeit in dramatisch motivierte Gleichberechtigung zum Libretto. Sorgfältig angepaßt an Prosodie und Tonfall der französischen Sprache erarbeitete L. in Anlehnung an das ältere italienische Rezitativ seinen Typus des französischen Accompagnato -Rezitativs. Wie das gleichzeitig in Italien entwickelte Secco -Rezitativ fungiert es als Handlungsträger; außerdem bietet es der musikalischen Textinterpretation die Möglichkeit reicherer Entfaltung. Damit waren alle Voraussetzungen geschaffen, der italienischen Oper mit dem französischen Konzept einer Tragédie en musique zu begegnen. Die neue Gattung erhielt ihren institutionellen Rahmen in der 1669 gegründeten Académie Royale de Musique, deren Privileg 1672 durch die Vermittlung Colberts auf L. übergegangen war. Cadmus et Hermione eröffnete 1673 die jährlich bis zu seinem Tod fortgesetzte Reihe der Bühnenwerke Lullys. Librettist war Ph. Quinault. Die enge Zusammenarbeit mit dem Komponisten ging gelegentlich bis zur Reglementierung der Wortwahl einzelner Verse, ohne den heute erneut gewürdigten literarischen Rang der Dichtung zu gefährden. Dem Vorbild der klassischen Tragödie von P. Corneille und J. Racine folgt die Wahl der Stoffe (vorwiegend antike Mythologie) und ihre Gliederung in 5 Akte, denen ein Prolog vorangestellt wird. Die Komposition steht ebenso im Dienst der poetischen Entwicklung und psychologischen Schilderung, wie umgekehrt die Dichtung die musikalischen Elemente zur Geltung bringt: Tanz, Ballett, Ensembles und Chöre, Rezitative im Wechsel mit einfachen Airs, selbständige Instrumentalsätze, dazu großzügige Ausstattung und erfinderischer Einsatz von Bühnenmaschinen sind die bereits früher erprobten Mittel, ein eigentümlich französisches „Gesamtkunstwerk" zu erstellen. In Deutschland (u. a. Braunschweig, Darmstadt, Stuttgart) fanden die Opern L.s sehr rasch Beachtung, z. T. in deutschen Übersetzungen. Breite Nachahmung erfuhren bei den deutschen „Lullisten" (u. a. S. Kusser, G. Muffat) die aus Opern ausgezogenen Orchestersuiten mit vorangestellter „Ouverture". Daß der Anspruch einer französischen Nationalmusik vornehmlich von der Tragédie en musique in der Formulierung L.s abgeleitet wurde, zeigt die um 1700 einsetzende Diskussion um den Vorrang der französischen vor der italienischen Musik, ein Streit, der den Personalstil L.s zu Recht mit dem frz. Nationalstil gleichsetzen konnte. Als 1659 im Ballet de la Raillerie die it. und frz. Musik in Person auftraten, waren die kompositorischen Mittel absichtsvoll stilisiert: L. kennt die dissonanzverschränkter FundamentTechnik schritte, ohne sie zu rezipieren. 166
Obwohl L. zu keinem Zeitpunkt eine amtliche Stellung an der königlichen Kapelle innehatte, schrieb er konzertierende Motetten, wenn bei offiziellen Anlässen die gesamte Hofmusik herangezogen werden sollte. (Während einer Aufführung seines Te Deum zur Feier der Genesung des Königs zog er sich beim Taktieren die Fußverletzung zu, an deren Folgen er starb.) L. respektierte den von P. Robert und H. Du Mont festgelegten Typus des Versailler Grand motet, großangelegte Kantaten mit Soli, Ensemble- und Chorsätzen sowie Orchesterritornellen. Allerdings verzichtet er weitgehend auf fugierte Arbeit. Funktion und die Möglichkeit aufwendiger Besetzung bestimmen den effektvollen Charakter dieser Motetten deutlicher als die Rücksicht auf spezielle Gattungstraditionen. Doch wurde eine Auswahl seiner Kirchenmusik in die Reihe repräsentativer Repertoiredrucke des Jahres 1684 aufgenommen, und Stücke wie das Miserere (1664) festigten das Ansehen L.s nicht weniger als seine Bühnenwerke. G. MORCHE WW (wenn nichts anderes angegeben, UA in Paris): 1) Ballwie (zus. mit anderen Komponisten): Le nuit (Libr.: I. Benserade), UA: 1653; Les proverbes (Libr.: ders.), UA: 1654; Les noces de Pelée et Thétis (Balletteinlagen zu C. Capriolis Oper), UA: 1654; Le temps (Libr.: Benserade), UA: 1654; Les Plaisirs (Libr.: deys.), UA: 1655; Les bienvenus (Libr.: den.), UA: Compiègne 1655; Psyché et la puissance de l'amour (Libr.: ders.), UA: 1656; La galanterie du temps, UA: 1656; L'Amour malade, UA: 1657; Les plaisirs troublés, UA: 1657; La revente des habits de ballet (Libr.: Benserade) (um 1661) (UA?); Mascarade du capitaine (1664) (UA?); Ballette (mit gelegentlichen Beitr. anderer Komponisten): Alcidiane (Libr.: Benserade), UA: 1658; La raillerie (Libr.: ders.), UA: 1659; Xerxès (Balletteinlagen zu F. Cavallis Oper), UA: 1660; Ballet de Toulouse (1660?); L'impatience (Libr.: ders.), UA: 1661; Les saisons (Libr.: ders.), UA: 1661; Hercule amoureux (Balletteinlagen zu Cavallis Oper), UA: 1663; Les arts (Libr.: Benserade), UA: 1663; Les noces de village (Libr.: ders.), UA: Vincennes 1663; Les amours déguisés (Libr.: ders. u. Périgny), UA: 1664; tEdipe (Balletteinlagen zu P. Corneilles Tragodie), UA: 1664; La naissance de Vénus (Libr.: Benserade), UA: 1665; Les gardes (1665?); Ballet de Créquy ou Le triomphe de Bacchus dans les Indes, UA: 1666; Les muses (Libr.: Benserade), UA: 1666; Le carnaval ou Mascarade de Versailles (Libr.: ders.), UA: 1668; Flore (Libr.: deys.); UA: 1669; Pasticci Ballet des ballets, UA: 1671, u. Le carnaval, UA: 1675; Le triomphe de l'amour (Libr.: Benserade u. Ph. Quinault), UA: St -Germain 1681; Le temple de la paix (Libr.: Quinault), UA: 1685. — 2) Pastoralen, Gelegenbellawerke a. Masik für Comédies-ballets: J.-B. Molière, Les fâcheux (Musik überwiegend v. Ch. -L. Beauchamps) (1661); ders., Le mariage forcé, UA: 1664; ders., Les plaisirs de l ile enchantée, UA: Versailles 1664; ders., La princesse d'Élide, UA: 1664; ders., L'amour médecin, UA: Versailles 1665; ders., La pastorale comique, UA: St -Germain 1667; ders., Le Sicilien ou L'amour peintre, UA: ebd. 1667; ders., Grand divertissement royal de Versailles bzw. George Dandin, UA: Versailles 1668; Ph. Quinault, La grotte de Versailles, UA: ebd. 1668; Molière, Monsieur de Pourceaugnac, UA: 1669; deys., Les amants magnifiques, UA: St -Germain 1670; deys., Le bourgeois gentilhomme. UA: Chambord 1670; Tragédie -ballet v. dems., P. Corneille u. Quinault, Psyché, UA: 1671; J.-B. Racine, Idylle sur la paix, UA: 1685. — 3) Opern: Pasticcio Les fetes de l'Amour et de Bacchus (Libr.: Quinault, Molière u. Benserade), UA: 1672; Cadmus et
Lumbye Hermione (Libr.: Quinault), UA: 1673; Alceste (Libr.: ders.), UA: 1674; Thésée (Libr.: ders.), UA: St -Germain 1675; Atys (Libr.: ders.), UA: ebd. 1676; Isis (Libr.: ders.), UA: ebd. 1677; Psyché (Libr.: Th. Corneille, Quinault u. B. de Fontenelle), UA: 1678; Bellérophon (Libr.: Th. Corneille u. Fontenelle), UA: 1679; Proserpine (Libr.: Quinault), UA: St -Germain 1680; Persée (Libr.: ders.), UA: 1682; Phaéton (Libr.: ders.), UA: 1683; Amadis (Libr.: ders.), UA: 1684; Roland (Libr.: ders.), UA: Versailles 1686; Armide et Renaud (Libr.: ders.), UA: 1686; Pastorale héroique Acis et Galatée (Libr.: J. G. de Campistron), UA: 1686; Achille et Polixène (Libr.: ders.), UA: 1687, Ouverture u. 1. Akt v. L., Prolog u. 2.-5. Akt v. P. Collasse. 4) Instr.-WW u. KWcbenmusik: Bransles (1664); Airs de trompettes, timbales et hautbois; Trios pour le coucher du roi; zahlr. Opernsuiten (Ouvertürensuiten). - Te Deum (1677); 10 Grands motets und 14 andere Motetten (petits motets). Ausg.: cauvres complètes, 10 Bde., hrsg. v. H. PRUNIÈRES (P 1930-39, Nachdr. NY 1966) (unvollständig); Einzelausg., in: Chefs-d'oeuvre classiques de l'opéra français, hrsg. v. J. B. WECKERLIN-TH. DE LAJARTE (P 1787ff.).
Lit.: L. et l'opéra français, in: RM 6 (Sonderh.) (1924/25) Nr. 3; Molière et L., in: XVII' siècle (Sonderh.) (1973) Nr.98/99. H. PRUNIÈRES, L. (P 1910, 2 1927); L. DE LA LAURENCIE, L. (P 1911, 2 1919); P.-M. MASSON, Lullistes et Ramistes 1733 jusqu'au 1752, in: AM 1 (1911); H. PRUNIÈRES, L'opéra it. en France avant L. (P 1913); DERS., Le ballet de cour en France avant Benserade et L. (P 1914, Nachdr. NY 1970); L. DE LA LAURENCIE, Les créateurs de l'opéra français (1920, 2 1939); H. PRUNIÈRES, L. and the Acad. de Musique et de Danse, in: MQ 11 (1925); D. J. GROUT, Seventeenth Century Parodies of French Opera, in: MQ 27 (1941); E. BORREL, J.-B. L. (P 1949); C. SARTORI, G. B. Lulli it. suo malgrado, in: Musicisti toscani, hrsg. v. A. Damerini - F. Schlitzer (Siena 1955) ( = Accad. mus. Chigiana 12); CH. L. CUDWORTH, „Baptist's Vein". French Orchestral Music and Its Influence from 1650 to 1750, in: Proc. R. Mus. Assoc. 83 (1956/57); A. M. NAGLER, L.s Opernbühne, in: Kleine Schriften der Ges. für Theatergesch. 17 (B 1960); J. EPPELSHEIM, Das Orch. in den Werken J.-B. L.s (Tutzing 1961) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 7); F. H. NEUMANN, Die Ästhetik des Rezitativs. Zur Theorie des Rezitativs im 17. u. 18. Jh. (Str 1962); N. DEMUTH, French Opera. Its Development to the Revolution (Horsham/Sussex 1963); M. F. CHRISTOUT, Le ballet de cour de Louis XIV 1643-1672 (P 1967); W. P. COLE, The Motets of J.-B. L., 2 Bde. (1967) (= Diss. Univ. of Michigan); K. COOPER - J. ZSAKO, G. Muffat's Observations on the L. Style of Performance, in: MQ 53 (1967); H. M. ELLIS, The Dances of J.-B. L. (1967) (= Diss. Stanford Univ./Calif.); DIES., The Sources of J.-B. L.'s Secular Music, in: Rech. Mus. 8 (1968); L. HIBBERD, Mme de Sévigné and the Operas of L., in: Essays in Musicology. FS W. Apel (Bloomington/Ind. 1968); H. M. ELLIS, Inventory of the Dances of J.-B. L., in: Rech. Mus. 9 (1969) (mit thematischem Kat.); A. DUCROT, Les représentations de l'Acad. Royale de Musique à Paris au temps de Louis XIV, in: ebd. 10 (1970); M. BENOIT, Versailles et les musiciens du roi, 1661-1733 (P 1971) (= La vie musicale sous les rois Bourbons 19); J. R. ANTHONY, French Baroque Music from Beaujoyeulx to Rameau (Lo 1973); R. M. ISHERWOOD, Music in the Service of the King (Ithaca/N.Y.-Lo 1973); R. H. F. SCOTT, J.-B. L. (Lo 1973); J. E. W. NEWMAN, J.-B. de L. and his Tragédies lyriques (Ann Arbor 1979); H. SCHNEIDER, Chronologisch-thematisches Ven. sämtlicher Werke von J.-B. L. (LWV) (Tutzing 1981) (- Mainzer Stud. zur Musikwiss. 14).
LULU, Oper in 3 Akten von Alban Berg (1885-1935), Text vom Komponisten nach Frank Wedekinds Tragödien Der Erdgeist (veröffentlicht
1895) und Die Büchse der Pandora (veröffentlicht 1902). Ort und Zeit der Handlung: eine deutsche Großstadt, Paris und London, um die Wende zum 20. Jahrhundert. UA: 2.6. 1937 in Zürich (Stadttheater); dt. EA: 7.3. 1953 in Essen. UA der komplettierten Fassung: 24. 2.1979 in Paris unter P. Boulez; dt. EA: 14.10.1979 in Frankfurt a. M. Berg folgte in seiner Dramatisierung der Lulu -Dramen Wedekinds deren zentraler Idee, wie sie Karl Kraus formulierte: „Alle Typen der Mannheit hat die Herrin der Liebe um sich versammelt, damit sie ihr dienen, indem sie nehmen, was sie zu spenden hat." Die Zwangsläufigkeit in Lulus Schicksal verdeutlicht Berg im Libretto durch dessen spiegelsymmetrischen Aufbau: Lulus stetiger Aufstieg, in dessen Folge sie zum Mord an ihrem reichen Gönner Dr. Schön getrieben wird, steht ihrem unabwendbaren sozialen Abstieg zur Londoner Prostituierten, die von Jack the Ripper (vom selben Sänger wie Dr. Schön dargestellt) erstochen wird, gegenüber. Die Zeit der Wende, Lulus Jahre im Gefängnis bis zu ihrer Befreiung durch die sie liebende Gräfin Geschwitz, ließ Berg als Film zur Verwandlungsmusik zwischen beiden Szenen des zweiten Aktes abspulen. Das Geflecht der Verstrikkungen, in denen sich die Personen der Handlung in ihren Beziehungen zu Lulu befinden, illustriert der Komponist durch Leitmotive von nahezu wagnerischer Prägnanz, deren zwölftöniges melodisches Material durch Permutation oder Ausfällung aus der „Lulu-Reihe" gewonnen ist. Vom 3. Akt der Oper hinterließ Berg nur ein Particell von 1326 Takten; lediglich 390 wurden fertig instrumentiert. Schönberg und Webern lehnten eine Vervollständigung für die geplante UA (Zürich 1936) ab, und die Witwe Bergs untersagte schließlich testamentarisch jegliche Einsicht in das Quellenmaterial; das Werk sollte Torso bleiben. Der Wiener Musikwissenschaftler und Komponist Fr. Cerha unternahm trotz Strafandrohung seitens der Erben die Komplettierung der Oper (vollständige Instrumentation und Nachkomposition einiger von Berg vorgesehener Takte). Der Rechtsstreit endete im Mai 1980 mit einem Vergleich: Bergs Verlag darf die Aufführungsrechte für die vollständige Fassung „nicht zu oft" pro Spielzeit (1980/81 nur dreimal) vergeben. Diese Fassung wird sich nach Meinung der Fachwelt jedoch durchsetzen, denn nur in dieser Version wird die komplexe Gesamtarchitektur des Werkes, wenn auch nicht immer auditiv nachvollziehbar, deutlich. K. LANGROCK
LUMBYE, Hans Christian, * 2.5.1810 Kopenhagen, t 20.3.1874 ebd.; dänischer Komponist. L. gründete 1840 in Kopenhagen eine Tanzkapelle, 167
Luna für die er zahlreiche Stücke im Stil von J. StrauB (Vater) schrieb und deshalb gelegentlich auch als der „nordische Strauß" bezeichnet wurde. Seine Stücke wurden durch Konzerttourneen auch im Ausland rasch populär, darunter Champagnegalopp und Dremmebilleder. Nach seinem Tod übernahmen sein Sohn Carl (1841-1910) und 1891 sein Sohn Georg (1843-1922) die Leitung der Kapelle. Lit.: G. SKJERNE, H. Ch. L. og hans samtid (Kop 1912, 21946).
LUNA, Pablo, * 21.5.1880 Alhama de Aragón (Saragossa), t 28.12. 1942 Madrid; span. Komponist und Dirigent. Er studierte an der Musikschule in Saragossa und schrieb etwa 150 Bühnenwerke, vorwiegend Operetten, Zarzuelas und Revuen. Neben A. Vives und J. Serrano zählt er zu den wichtigsten Vertretern der spanischen Zarzuela. WW: Bühnen-WW: Molinos de viento, UA: Sevilla 1910; Los cadetes de la rein, UA: Madrid 1913; E/ asombro de Damasco, UA: ebd. 1916; El niňo judío, UA: ebd. 1918; Benamor, UA: ebd. 1923; La pícara molinera, UA: ebd. 1928; El piler de la Victoria, UA: Saragossa 1944.
LUNATI, Carlo Ambrogio, 7Lonati. LUNCEFORD, Jimmie (eig. James Melvin), * 6.6.1902 Fulton (Missouri), t 13.7.1947 Seaside (Oregon); amerik. Jazzmusiker (Saxophon, Klarinette, Flöte, Posaune und Gitarre) und Bandleader. L. studierte an der Fisk University in Nashville (Tenn.) und am New Yorker City College. 1927 gründete er seine „Chickasaw Syncopators", die während der 30er Jahre in New York zu den führenden Big Bands des Swing gehörten. Ihr Swingstil zeichnete sich durch besondere Präzision und rhythmische Prägnanz („Bounce") aus. Zu ihrem Repertoire, meist Stücke im mittleren Tempo, gehörten die Erfolgstitel Baby won 't you please come home und Margy. Lit.: The J. L. Band, hrsg. v. E. EDWARDS - G. HALL - B. KORST (Whittier/Calif. 1965) (= Jazz. Discographies o. Nr.).
LUNELLI, Renato, * 14.5.1895 Trient, t 14.1. 1967 ebd.; it. Organist und Musikforscher. Er studierte Orgel am Liceo Musicale in Trient und wurde 1920 Organist an S. Maria Maggiore, deren Orgel aufgrund seiner Forschungen restauriert werden konnte (1925-30). 1953-60 leitete er die von ihm eingerichtete Musikabteilung der Stadtbibliothek in Trient. 1960 bis zu seinem Tod gab er zusammen mit Luigi Ferdinando Tagliavini die Zeitschrift L'Organo heraus. Schriften: Contributi trentini alle relazioni musicali fra l'Italia e la Germania ..., in: AMI 21(1949); Der Orgelbau in Italien in seinen Meisterwerken vom 14. Jh. bis zur Gegenwart, dt. Obers. v. C. Elis - P. Smets (Mz 1956), daraus 11 Orgelmonodien (Mz' 1956-57); L'arte organaria del Rinascimento in Roma (Fi 1958); A che punto č in Italia la storia dell'arte organaria?, in: AMI 30 (1958); Organi trentini, hrsg. v. R. Maroni (Trient 1964); Studi c
168
documenti di storia organaria veneziana (Fi 1973). - Gesammelte Aufsätze als: La musica sul Trentino dal XV al XVIII s., 2 Bde., hrsg. v. R. Maroni -C. Lunelli (Trient 1967), und Strumenti musicali nel Trentino, hrsg. v. dens. (ebd. 1968). lit.: C. LUNELLI, in: RIMus 2 (1967).
LUENING, Otto, *15. 6. 1900 Milwaukee (Wisconsin); amerik. Flötist, Dirigent und Komponist. Er studierte 1915-17 an der Akademie der Tonkunst in München, 1917-20 bei Ph. Jamach und V. Andreae am Konservatorium und 1919-20 an der Universität in Zürich. 1918 war er auBerdem Privatschüler von F. Busoni, von dem er erste Anregungen für seine in den 50er Jahren entwickelte elektronische bzw. Magnetband-Musik empfing. In die USA zurückgekehrt, gründete er dort 1920 die American Grand Opera Company in Chicago, war 1925-28 Executive Director und Dirigent der Opernabteilung der Eastman School of Music in Rochester (N.Y.) und leitete 1934-44 die Musikabteilung des Bennington College in Vermont. 1944-47 lehrte er Komposition am Barnard College und 1949-68 als Professor an der Columbia University in New York. Seit 1959 ist L. beigeordneter Direktor des Columbia-Princeton Electronic Center. WW: 3 Streichquartette, 1: mit obligater Klar. (1919), 2 u. 3 (1922, 1928); Pilgrim's Hymn (1947) u. Prelude (1947) für Kammerorch.; Kentucky Concerto (1951) u. Fantasien (1969) für Orch. - Elektronische Musik: Invention, Fantasy in Space u. Low Speed (alle 1952); Dynamophonic Suite (1958); Gargoyles (1960) für V. u. synthetische Klänge; A Day in the Country (1961) für V. u. Tonband; Study in Synthesized Sounds (1961); Synthesis (1962) für Orch. u. Tonband; In the Beginning (1971) für elektronischen Klang u. St. auf Tonband; ferner das Ballett Theater Piece No. II (1956) für Tonband, Klv., Sopran, Sprecher, Schlagzeug u. Blechbläser. - Oper Evangeline, UA: New York 1948; Ballett Of Identity (1954); Bühnenmusik zu Shakespeares King Lear, UA: New York 1956. - Ferner die Schrift Some Random Remarks about Electronic Music, in: JMTh 8 (1964), und die Autobiographie The Odyssey of an American Composer (NY 1980). Lit.: Werkverz., in: Composers of the Americas 7 (Washington/ D.C. 1961); CH. WUORINEN, Conversations with O. L, in: Perspectives of New Music 10 (1971).
LUPACCHINO (Luppachino, Luppagino) DAL VASTO, Bernardino (eig. Bernardino Carnefresca); it. Komponist des 16. Jahrhunderts. L. war Priester und wurde 1552 Kapellmeister an S. Giovanni in Laterano in Rom. Sein schlechter Lebenswandel führte schon 1555 zu seiner Entlassung. G. P. Palestrina war sein Nachfolger. WW: 2 Bücher Madrigali für 4 St. (V 1543, 1546) sowie je ein Buch für 5 St. (V 1547) u. für 2 St. (V 1559 u. a.) (zus. mit G. M. Tasso). - Bicinien und Madrigale in Sammeldrucken 1551-1609. Lit.: A. EINSTEIN, The Italian Madrigal (Princeton/NJ. 1949, Nachdr. 1970, dt. Z 1952).
LUPI (Lupus), Johannes (eig. Jean oder Jennet le Leu), * um 1506 Cambrai, t 20. 12. 1539 ebd.;
Lure franko-flämischer Komponist. L. war bis 1521 Chorknabe an der Kathedrale von Cambrai und studierte seit 1522 an der Universität Löwen. Nach Cambrai zurückgekehrt, wurde er 1526 Vikar und 1527 Kapellmeister an der Kathedrale. Beide Ämter behielt er bis zu seinem Tod. Josquin Baston, möglicherweise einer seiner Schüler, schrieb eine Trauermusik auf seinen Tod. Aus dem 16. Jh. sind 3 weitere Musiker gleichen Namens bekannt. Ein Johannes L. ist bis 1502 als Organist in Nivelles nachweisbar, ein weiterer 1548 als Capellanus der Kathedrale von Antwerpen, schließlich ein Komponist Johannes L., der eine Trauermusik auf den Tod J. Ockeghems schrieb und mit Johannes L. aus Cambrai identisch sein könnte. Ferner erscheint in den Quellen ein Komponist namens Lupus (Vorname unbekannt), der aufgrund der Quellenlage weder mit Lupus řHellinck noch mit Johannes L. identisch sein dürfte. WW: Chori Sacrae Virginis Marie Cameracensis Magistri, Musice Cantiones... (15 Motetten für 4, 5, 6 u. 8 St.) (P 1542); 20 weitere Motetten sowie 25 Chansons hsl. u. in Sammeldrucken der Zeit. — 3 Messen (Zuschreibung zweifelhaft).
Bei den L. mit Sicherheit zuschreibbaren Werken verbinden sich Elemente der niederländischen und französischen (Pariser) Musik. Dies gilt vor allem für die Chansons, meist auf sentimentale oder amouröse Texte, die stilistisch in der Nähe Cl.' non Papa stehen. In den Motetten von 1542 strebt L. im Vergleich zu N. Gombert eine deutlichere formale Gliederung in Verbindung mit einer harmonisch und melodisch verfeinerten, gelegentlich preziösen Schreibweise an. Ausg.: 10 weltliche Lieder, hrsg. v. H. ALBRECHT (Wb 1932) (= Chw 15); eine Chanson, in: Theatrical Chansons of the 15th and Early 16th Century, hrsg. v. H. M. BROWN (C/M 1963); 2 Motetten, in: P. Attaingnant, Treize livres de motets, hrsg. v. A.T. MERRrI-r (Monaco 1963). Lit.: K. HUBER, Die Doppelmeister des XVI. Jh., in: FS A. Sandberger (Mn 1918); H. ALBRECHT, Lupus Hellinck u. J. L., in: AMI 6 (1934); L. FINSCHER, L., in: MGG VIII; B. J. BLACKBURN, The Lupus Problem, 2 Bde. (1970) (= Diss. Univ. of Chicago); DERS., J. L. and Lupus Hellinck. A Double Portrait, in: MQ 59 (1973).
LUPI SECOND, Didier, t nach 1559 wahrsch. Lyon; frz. Komponist. Druckort und Widmungen seiner Werke weisen darauf hin, daß L. S. in Lyon oder im Umkreis dieser Stadt gewirkt hat. Neben einem Buch mit weltlichen Chansons veröffentlichte er 1548 21 Chansons spirituelles auf Texte von G. Guéroult, die zu den ersten bedeutenden
Beispielen dieser Gattung gehören. Stilistisch lassen sich schlichte, strophische Stücke im Satz Note gegen Note und figurierte Stücke nach Art der weltlichen Chanson unterscheiden, die später auch seinen 30 Psalmen auf Texte von Giles Daurigny zum Vorbild diente. Am berühmtesten wurde seine
Chanson spirituelle Suzanne un jour, deren Tenor für die Vertonung desselben Textes von etwa 30
Komponisten übernommen wurde. WW: Premier livre des chansons spirituelles für 4 St. (Ly 1548, P 2 1568); Tiers livre contenant trente et cinq chansons für 4 St. (Ly 1548); Psalmes trente ... traduits en vers françois par G. Deurigny (Ly 1549). Ausg.: Chansons spirituelles, hrsg. v. M. HONEGGER, 8 H.e (P 1960) (= Soli Deo gloria o. Nr.); Chansons, hrsg. v. DEMS., 6 H.e (P 1964-65) (= Chansons françaises o. Nr.). Lit.: M. HONEGGER, L. S., in: MGG VIII und Grove6 XI.
LUPOT, fn. Geigenbauer-Familie. Die bedeutendsten Mitglieder sind: 1) François (I), * 5.7. 1725 Plombières, t 1804 Paris. Er arbeitete zunächst bei seinem Vater, dem Geigenbauer François-Laurent L. (1696-1762), in Lunéville und ging nach einem kurzen Aufenthalt in Nancy 1758 nach Stuttgart, wo er bis nach 1766 im Dienst des Herzogs von Württemberg stand. Seit 1769 lebte er in Orléans und seit 1794 in Paris. — 2) Nicolas, Sohn von 1), * 4. 12. 1758 Stuttgart, t 3.8. 1824 Paris. L. ist das berühmteste Mitglied seiner Familie und erhielt den ehrenvollen Beinamen „französischer Stradivari". Er folgte seinem Vater nach Orléans und Paris und arbeitete dann bei dem Geigenbauer Fr.-L. Pique. 1798 eröffnete er eine eigene Werkstatt, wurde 1815 Geigenbauer der Chapelle Royale und 1816 Lieferant der Ecole royale de musique. Nach seinem Tod übernahm sein Schwiegersohn, Fr. Gand, die Werkstatt. — 3) François (II), Bruder von 2), * 1774 Orléans, t 4.2. 1837 Paris. L. ließ sich 1815 in Paris nieder und wurde vor allem durch seine Streichbogen bekannt. Er gilt als Erfinder des Schiebers am "Frosch. LUPU, Radu, * 30.11.1945 Galatz; rumänischer Pianist. Er studierte 1959-62 Klavier bei Florea Musisescu am Konservatorium in Bukarest und anschlieBend bis 1966 am Moskauer Konservatorium bei H. Neuhaus und dessen Sohn. L. gewann mehrere Klavierwettbewerbe: 1966 in Texas („Van Cliburn"), 1967 in Bukarest („George Enescu") und 1969 in Leeds. 1969 debütierte er in Deutschland und 1972 in New York. L., der seither in der
ganzen Welt konzertiert, charakterisiert sein Spiel als „Mischung von Intuition und Analyse" und stellt Atmosphäre über technische Perfektion. LUPUS ?Hellinck, 7Lupi. LURE (von dänisch lur). — 1) Bz. für ein nordisches Blasinstrument der jüngeren Bronzezeit, das durch zahlreiche Funde in Dänemark (1797 wurden im Moor von Brudevaelte 6 Exemplare gefunden), Schweden, Norwegen und Norddeutschland belegt ist. Die leicht konischen Instrumente bestehen aus 169
Lure
LUSCINIUS (eig. Nachtigall), Othmar (Othmarus), * um 1480 Straßburg, t 5.9.1537 Freiburg im Breisgau; dt. Musiktheoretiker und Komponist. L. studierte 1494-96 in Heidelberg und erwarb das Bakkalaureat. Später setzte er seine Studien an den Universitäten von Wien, Löwen, Paris (1511-14) und Padua (1518-19), wo er zum Dr. jur. can. promovierte, fort. Seine Organistenstelle in Straßburg, die er bereits 1515 angetreten hatte, verlor er 1520. 1523-28 war er Prediger und Kanonikus an St. Moritz in Augsburg und anschließend Prediger am Münster in Freiburg im Breisgau. Von seinen beiden Musikschriften ist die Musurgia seu Praxis musicae (Str 1536) zu erwähnen, deren 1. Teil aus einer freien lateinischen Übersetzung von S. Virdungs Musica gezutscht besteht. WW: 3 Orgelstucke im Tabulaturbuch v. L. Kleber (1524). Musicae institutiones (Str 1515); Musurgia seu Praxis musicae (Str 1536, 2 1542), dazu De concentus polyphoni ratione. Ausg.: 3 Orgelstücke, in: Frühmeister der dt. Orgelkunst, hrsg. v. H. J. MOSER (1936). Lit.: M. VOGELEIS, Quellen u. Bausteine zu einer Gesch. der Musik u. des Theaters im Elsaß (Str 1911, Nachdr. G 1976); Musiker u. Humanist, in: AfMw 15
K. W. NIEMOLLER, O. L.,
mehreren, aus Bronze gegossenen und halbkreisoder S-förmig zusammengesetzten Teilen von insgesamt etwa 1,50-2,50 m Länge. Das Schallstück trägt eine flache Scheibe, die häufig mit Sonnenornamenten geschmückt ist. Zur Erzeugung besonderer Klangeffekte besitzen die L.n kleine Bronzehämmerchen auf der Rückseite der Scheibe und Bronzestückchen in der Umgebung des kesselförmigen Mundstückes. Die häufig paarweise gefundenen, jeweils gleich groß und symmetrisch gebauten Instrumente dienten — insbesondere durch Felsbilder belegt — kultischen Zwecken. Die daraus vermutete paarweise Verwendung läßt indes keinen Schluß auf Heterophonie bzw. zwei- oder mehrstimmiges Spiel im modernen Sinne zu. Auch der auf spielbaren L.n nachgewiesene Vorrat von 12 Naturtönen und zusätzlichen 10 chromatischen Tönen unterhalb des Grundtons gibt letztlich noch keine Auskunft über die tatsächliche Musizierpraxis. Die von R. von Ficker 1929 aus tradierten archaischen Praktiken gezogenen Rückschlüsse — etwa das einen Vier- oder Fünfklang umkreisende Spiel mehrerer Hörner in der Normandie — müssen hypothetisch verstanden werden. — 2) Skandinavisches Alphorn ohne Mundstück, das aus zwei ausgehöhlten, meist rindenumwickelten Holzteilen besteht. Lit.: Za 1): R. VON FICKER, Primäre Klangformen, in: Jb. Peters 36 (1929); A. OLDENBERG, A Contribution to the History of the Scandinavian Bronze L., in: Acta Archaeologica 18 (1947); H. CH. BROHOLM - W. P. LARSEN-G. SKJERNE, The L. of the Bronze Ages (Kop 1947); H. CH. BROHOLM, Bronzelurerne i Nationalmusaeet (Kop 1959).
170
(1958).
LUSITANO, Vicente, * Olivença (?); port. Komponist und Musiktheoretiker des 16. Jahrhunderts. L. erhielt die Priesterweihe und seine musikalische Ausbildung vermutlich in der Bischofsstadt Olivença und soll später selbst in Rom, Viterbo und Padua unterrichtet haben. 1551 ist er in Zusammenhang mit dem berühmten Streitgespräch mit N. Vicentino über die 3 Tongeschlechter nachweisbar, aus dem er als Sieger hervorging. In Rom wurde auch seine Motettensammlung und die 1. Auflage der Introdutione facilissima ... gedruckt. Nach seiner Konversion zum Protestantismus und der Heirat flüchtete er aus Italien und bewarb sich vergeblich um eine Stelle in der Kapelle des Herzogs Christoph von Württemberg. Danach verliert sich jede Spur. Möglicherweise verbrachte er seine letzten Lebensjahre in Frankreich. Als Komponist wie Musiktheoretiker nimmt L. einen bedeutenden Rang innerhalb der europäischen Musikkultur um die Mitte des 16. Jh. ein. Seine theoretischen Werke mit starkem didaktischem Einschlag sind aufschlußreich für die Kenntnis der Musikpraxis und des Musikunterrichts in der Mitte des 16. Jahrhunderts. WW: 1) Kompositionen: Liber primus epigramarum que vulgo motetta dicuntur für 5, 6 u. 8 St. (R 1551); eine Motette hsl. u. ein Madrigal in RISM 1562°. - 2) St:batea: Introdutione facilissima, et novissima, di canto fermo, figurato, contraponto semplice et in concerto, con regole generali per far fughe differenti sopra il canto fermo, a 2, 3 et 4 v.... (R 1553); ein weiterer Traktat hsl. Lit.: R. STEVENSON, V. L. New Light an His Career, in: JAMS
Lustige Witwe 15 (1962); M. A. BARBOSA, V. L., ein port. Komponist und Musiktheoretiker des 16. Jh. (Lis 1977). M. A. BARBOSA
LUSSY, Mathis, * 8. 4. 1828 Stans, t 21. 1. 1910 Montreux; Schweizer Pianist und Musiktheoretiker. Er ließ sich 1847 in Paris nieder, wo er ein geschätzter Klavierlehrer war. L. ist vor allem durch seine Schriften über den musikalischen Rhythmus bekannt geworden, die von großem Einfluß auf seine Zeitgenossen waren. Schriften: Réforme dans l'enseignement du piano, 1: Exercices de piano (P 1863), NA als: Exercices de mécanisme (1878, •1909); Traité de l'expression musicale (P 1874, •1904), dt. Obers. v. F. Vogt als: Die Kunst des musikal. Vortrags (L 1885); Histoire de la notation musicale (P 1882) (zus. mit E. David); Le rythme musicale (P 1883, '1911).
Lit.: E. MONOD, M. L. u. der musikal. Rhythmus (dt. Neuenburg 1912).
LUSTIGEN MUSIKANTEN, DIE, Singspiel in 2 Akten von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776-1822), Text von Clemens Brentano. Die Handlung spielt in Famagusta, in italienisch-phantastischen Masken. UA: 6.4. 1805 in Warschau (Nationaltheater). Brentano hatte den Text als Gelegenheitsarbeit innerhalb von 4 Tagen im November 1802 in Düsseldorf für eine dortige Schauspieltruppe geschrieben (geplant war eine Aufführung am Neujahrstag 1803 mit Musik von Peter Ritter; diese Fassung wurde zuerst am 1.1. 1804 in Mannheim gegeben). - Das Libretto bietet eine typische romantische, sentimentale Wiedererkennungsgeschichte, die in eine Rahmenhandlung mit derb-satirischen Szenen (gespielt von typischen Masken der Commedia dell'arte) gestellt ist. Hoffmann, der das Werk im Dezember 1804 komponierte, teilte die Folge von 19 Auftritten in 2 Akte, um die Einheit des Ortes in jedem Akt wahren zu können. Stilistisch steht die Komposition ganz in der Tradition des Singspiels mit gesprochenem Dialog: formale Anlage der einzelnen Nummern und melodische Erfindung sind ebenso schlicht wie der zumeist homophone Satz in den Ensembles. Einzig zwei zur Szene geweitete Nummern im 2. Akt und die beiden durchkomponierten Finali weisen auf die stilistischen Elemente, derentwegen Hoffmann „von dieser Komposition (s)eine bessere Periode" datierte. Außer der Ouvertüre ging zu Lebzeiten des Komponisten das gesamte Notenmaterial verloren und wurde erst Jahrzehnte nach Hoffmanns Tod wiedergefunden. J. SCHLÄDER LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR, DIE, Komisch-Phantastische Oper in 3 Akten von Otto Nicolai (1810-49), Text nach William Shakespeares Komödie The Merry Wives of Windsor (ver-
mutlich 1597) von Hermann Salomon Mosenthal. Ort u. Zeit der Handlung: Windsor, Anfang des 17. Jahrhunderts. UA: 9.3. 1849 in Berlin (Königliches Opernhaus). Anders als in Verdis Falstaff konzentrierten Mosenthal und Nicolai (der das Szenarium entwarf) die Handlung nicht auf die tragikomische Gestalt des heruntergekommenen Junkers Sir John Falstaff, sondern übernahmen aus der literarischen Vorlage unter geschickter Reduktion von Personal und szenischem Ambiente die schelmische Rache der lustigen Weiber an Falstaff und allen eifersüchtigen Männern als Kern der Handlung. Zugleich werteten sie die bei Shakespeare untergeordnete romantische Liebeshandlung zwischen Anna und Fenton zu einem gleichberechtigten komplementären Handlungsstrang auf. Innerhalb dieses Handlungsrahmens gelang Nicolai eine Reihe treffender musikalischer Figurencharakterisierungen (z. B. Frau Ruth in Rezitativ und Arie Nun eilt herbei, Witz, heitre Laune oder Falstaff in seinem berühmten Trinklied Als Büblein klein). Das als Singspiel mit gesprochenen Dialogen angelegte Werk verbindet italienischen Belcantostil mit szenisch-kompositorischer Weitung der geschlossenen Form und dem für die deutsche Spieloper charakteristischen Konversationsstil; wirkungssicher eingesetzte karikierende musikalische Komik findet sich in dem barock-pompös instrumentierten Auftrittsgesang Falstaffs und im nichtssagend-pathetischen Rezitativ Fluth/Falstaff im 2. Akt. - Das 1845 begonnene Werk wurde für die Saison 1846 in Wien abgelehnt und konnte erst nach Nicolais Wechsel nach Berlin fertiggestellt werden. Die beliebte deutsche Repertoireoper erlebte bereits 1876 in Berlin die 100. Aufführung. J. SCHLÄDER LUSTIGE WITWE, DIE, Operette in 3 Akten von Franz Lehár (1870-1948), Text von Victor Léon u. Leo Stein nach Henri Meilhacs Lustspiel Der Gesandtschaftsattaché. Ort u. Zeit der Handlung: Paris, 1905. UA: 30.12.1905 in Wien (Theater an der Wien). Das Neuartige dieses Werkes liegt in den freimütig dargestellten erotischen Beziehungen zwischen Hanna Glawari und Graf Danilo, Valencienne und Rossillon. Die sinnliche Atmosphäre des Geschehens wird durch die Musik intensiviert (z. B. in der Kanzonette Da geh ich ins Maxim, im BallsirenenWalzer mit seinem langsamen Mittelteil Wie die Blumen im Lenz erblühen, in dem Lied Ich bin eine anständ'ge Frau oder in der letzten Kantilene Danilos Lippen schweigen, 's flüstern Geigen). Flötenstimmen, kombiniert mit Harfenglissandi, extreme Lagen der Geigen und tiefe Klarinettenregister 171
Luther werden als Klangmittel ebenso eingesetzt wie Gitarren und Tambourine. Mit Die lustige Witwe wurde Lehár weltberühmt, obwohl der mäßige Erfolg bei der UA und den durch Vergabe von Freikarten subventionierten Folgeaufführungen nicht darauf hindeutete. Erst nach 300 Aufführungen an Wiener Theatern breitete sich das „Lustige-WitweFieber" über die ganze Welt aus. Allein für das Jahr 1910 sind 18000 Aufführungen in zehn Sprachen verzeichnet. Bis heute ist diese Operette unverzichtbarer Bestandteil im Repertoire einer jeden deutschen Opernbühne. B. DELCKER LUTHER, Martin, * 10. 11. 1483 Eisleben, t 18.2. 1546 ebd.; dt. Reformator. Nach dem Schulbesuch in Mansfeld, Magdeburg und Eisenach, wobei er sich den Lebensunterhalt als Kurrendeknabe verdiente, studierte er an der Universität Erfurt, wo er 1505 die Magisterwürde erlangte. Darauf begann er mit dem Jurastudium, trat aber noch im selben Jahr überraschend in das dortige Augustinerkloster ein. Nach der Priesterweihe (1507) lehrte er an den Universitäten Wittenberg (1508) und Erfurt (1509). 1511 siedelte er ganz nach Wittenberg über, erwarb dort den Grad eines Doktors der Theologie und erhielt eine biblische Professur. Nach langen inneren Kämpfen erkannte er um 1512/13, daB die göttliche Gnade ein unverdientes Geschenk sei, das nicht durch gute Werke erworben werden könne. Diese Erfahrung überwand seine Zweifel und begründete in den Vorlesungen der folgenden Jahre seine reformatorische Theologie, brachte ihn aber gleichzeitig in Konflikt mit dem AblaBwesen und führte zur Abfassung der 95 Thesen (1517). Obwohl L. nur eine Erneuerung der Kirche anstrebte, wurde er 1520 in Acht und Bann getan. Nachdem er auf dem Reichstag zu Worms (1521) einen Widerruf verweigert und danach auf der Wartburg bei Eisenach mit der Bibelübersetzung begonnen hatte, nahm er seit 1523 eine Neuordnung der Gottesdienste, in denen die Predigt eine zentrale Stellung erhielt und die Gemeinde durch deutsche Gesänge beteiligt wurde, in Angriff. Demzufolge dichtete er 1523/24 24 seiner 37 Kirchenlieder und kümmerte sich auch um die entsprechenden Melodien. 1524 schrieb er für J. Walters Geystliche gesangk Buchleyn seine erste von 5 Vorreden. 1525 berieten Walter und C. Rupsch L. bei der musikalischen Gestaltung der Deudschen Messe, worüber Walter in einer von M. Praetorius im Syntagma musicum I (1614/15) überlieferten Niederschrift berichtet hat. Eine zweite Vorrede verfaßte L. für das sog. Klug'sche Gesangbuch (1529 u. ö.), das seine musikalischen Vorstellungen vom Gemeindelied am deutlichsten zeigt. Es folg172
ten noch die Vorreden zu Walters Lehrgedicht Lob und Preis der löblichen Kunst Musica (1538), zu den Begräbnisliedern (1542) und zum sog. Babst'schen Gesangbuch (1545). Für L.s Musikverständnis sind sodann (neben mancherlei verstreuten Äußerungen) die Psalmvorlesungen (1513-15 und 1518-21) und die Schrift Wider die himmlischen Propheten (1525) grundlegend, ferner die Skizze Peri těs musikěs (1530), die lateinische Vorrede zu G. Rhaus Symphoniae iucundae (1538; dt. Übers. von Walter, 1564; von M. Praetorius mit dem Titel Encomion musices versehen) sowie die Briefe an Georg Spalatin (um die Jahreswende 1524/25), L. Senfl vom 4. 10. 1530 und M. Weller vom 7. 10. 1534 und schließlich verschiedene Tischreden. Daß L. selbst gern gesungen hat, bezeugt Walters Bericht; auch ist ein 4st. motettischer Satz Non moriar, sed vivam von ihm überliefert. L.s Musikverständnis fußt einerseits auf dem mittelalterlichen kosmologischen Verständnis („nihil enim est sine sono", Encomion) und auf J. Tinctoris' „complexus effectuum" (um 1484), andererseits aber hat er Augustins Bezeichnung der Musik als „donum Dei” mit der Aussage, daß sie eine „nobilis, salutaris et laeta creatura" (Encomion) sei, und somit mit dem Kern seiner Theologie verbunden. Von der Schöpfung her erscheint die Musik prädestiniert als Mittel der Verkündigung („Sic praedicavit Deus evangelium etiam per musicam ...", Tischreden Nr. 1258) und zur frohen Glaubensäußerung. Wichtig war für L. daher auch die rechte Einheit von Musik und Sprache, die er vor allem gegenüber Andreas Karlstadt und Thomas Müntzer vertrat. — Als Dichter knüpfte L. mit Hymnenübertragungen, Zusatzstrophen zu Leisen und anderen mittelalterlichen Cantiones bewußt an die liturgische Überlieferung an. Neu — und wohl seine Erfindung — ist das Psalmlied. Neben metrisch festgelegten volksliedartigen Gesängen wie z. B. Nun freut euch, lieben Christen gmein verwendet L. auch die silbenzählende Reimdichtung, z. B. bei Nun komm, der Heiden Heiland. Auch bei der Melodienbeschaffung lehnte er sich womöglich an die Tradition an, wobei er ligaturreiche Weisen vereinfachte. Hingegen führte er vor allem bei den Psalmliedern die aus dem Minnesang stammende strophische Barform in den Kirchengesang ein. Mit Sicherheit erfand L. auch selbst Melodien, so die von Ach Gott vom Himmel sieh darein und Aus tiefer Not schrei ich zu dir und die im charakteristischen F-Modus stehenden Weisen von Ein feste Burg ist unser Gott und Vom Himmel hoch da komm' ich her. — Die Vorrede zu Walters Lehrgedicht Frau Musica (1538) vertonte P. Hindemith in den Sing- und Spielmusiken op. 45, I (1928).
Lutoslawski Ausg.: Kritische GA der Werke L.s (Wr 1883ff.) (dazueine separate Inhaltsübersicht Wr 1956), 4 Abt.en: 1: Werke, 58 Bde.; 2: Tischreden, 6 Bde.; 3: Die dt. Bibel, 12 Bde.; 4: Briefwechsel, 12 Bde. u. ein Register-Bd.; Bd. 35 der Werke mit den Liedern, dazu Texte, Singweisen, Notentexte u. kritische Unters., hrsg. v. O. ALBRECHT—K. DRESCHER— W. LUKKE — J. LUTHER—H. J. MOSER (Wr 1923), dazu ein Bd. mit Korrekturen u. Ergänzungen v. M. Jenny (erscheint 1983). — J. WALTER, Geystliche gesangk Buchleyn, Wittenberg 1524, hrsg. v. O. Kade (B 1878) (= PGfM 7); J. WALTER, GA 1-6, hrsg. v. O. Schröder — M. Schneider—W. Braun—J. Stalmann (Kas 1943-73); M. L.s geistliche Lieder mit den zu seinen Lebzeiten gebräuchlichen Singweisen, hrsg. v. PH. WACKERNAGEL (St 1848, Nachdr. Hil 1970); Deudsche Messe 1526, Faks. hrsg. v. J. WOLF (Kas 1934) (= Veröff. der Musikbibl. P. Hirsch 9); Geystl. Lieder (= Babst'sches Gesangbuch 1545), Faks. hrsg. v. K. AMELN (Kas 1929, 21966); Geystliche Lieder (= Klug'sches Gesangbuch 1533), Faks. hrsg. v. DEMS. (Kas 1954); Die dt. geistlichen Lieder, hrsg. v. G. HAHN (Tü 1967) (= Neudrucke dt. Lit.-Werke N. F. 20); J. WALTER, Das geistliche Gesangbüchlein 1525, Faks. hrsg. v. W. Blankenburg (Kas 1979). Lit.: A.J. RAMBACH, Über Doktor M. L.s Verdienst um den Kirchengesang (H 1813, '1817, Nachdr. Hil 1972); F. ZELLE, Die Singweisen der ältesten ev. Lieder I—III (B 1899-1910); J. WOLF, L. u. die musikal. Liturgie ..., in: SIMG 3 (1901); F. SPITTA, Stud. zu L.s Liedern (Gö 1907); H. ABERT, L. u. die Musik (Wittenberg 1924); H. PREUSS, M. L. Der Künstler (Gütersloh 1931); CH. MAHRENHOLZ, Zur musikal. Gestaltung v. L.s Gottesdienstreform, in: Musik u. Kirche 5 (1933); R. GERBER, Zu L.s Liedweisen, in: FS M. Schneider (H 1935); CH. MÜLLER, L.s Lieder. Theologische Auslegungen (Gö 1936); F. MESSERSCHMID, Das Kirchenlied L.s (Wü 1937); CH. MAHRENHOLZ, L. u. die Kirchenmusik (Kas 1937); DERS., Zur musikal. Gestaltung v. L.s dt. Litanei, in: L.-Jb. (1937); DERS., Die Psalmodie bei L., in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik I/1 (Gö 1941); CH. SCHNEIDER, L., Poète et musicien et les enchiridions de 1524 (G 1942); V. VAYTA, Die Theologie des Gottesdienstes bei L. (Gö 1952); K. BURBA, Die Christologie in L.s Liedern (Gütersloh 1956); W. BLANKENBURG, AbriB der Gesch. der Melodien, in: Hdb. z. Ev. Kirchengesangbuch II/2 (Gö 1957); DERS., L. u. die Musik, in: L., Mitt. der L.-Ges. (B 1957); CH. MAHRENHOLZ, Ausw. u. Einordnung der Katechismuslieder in den Wittenberger Gesangbüchern seit 1529, in: FS O. Söhngen (Witten 1960); O. SOHNGEN, Die Musikauffassung des jungen L., in: FS F.W. Krummacher (B 1961); E. SOMMER, Die Metrik in L.s Liedern, in: JbLH 9 (1964); R. KOHLER, Die biblischen Quellen der Lieder, in: Hdb. zum Ev. Kirchengesangbuch I/2 (Gö 1965); K. GUDEWILL, Dt. Liedtenores mit F-Dur-Melodik u. Oktavambitus, in: FS W. Wiora (Kas 1967); O. SOHNGEN, Theologie der Musik (Kas 1967); Hdb. zum Ev. Kirchengesangbuch, 111/ 1: Liederkunde Erster Teil (Go 1970); W. BLANKENBURG, Überlieferung u. Textgesch. v. M. L.s „Encomion musices", in: L.-Jb. 1972; DERS., J. Walters Chorgesangbuch v. 1524 in hymnologischer Sicht, in: JbLH 18 (1973/74); M. JENNY, Das „nachrevidierte" NT der L.-Bibel als kirchenmusikal. Problem, in: MuK 49 (1979). W. BLANKENBURG
LUTOSLAWSKI, Witold, * 25.1.1913 Warschau; poln. Komponist und Dirigent. Er erhielt schon früh Klavier- und Violinunterricht und studierte dann Klavier (J. Lefeld) und Komposition (W. Maliszewski) am Konservatorium in Warschau sowie 1929-31 auch Mathematik an der dortigen Universität. Nach ersten Erfolgen seiner frühen Kompositionen (Symphonische Variationen für Orch.) spielte L. nach seiner Flucht aus deutscher Kriegs-
gefangenschaft 1939-45 als Pianist im Konzertcafé von B. Woytowicz. Aus dieser Zeit sind nur noch die häufig gespielten Paganini-Variationen für 2 Klv. erhalten. Nach Kriegsende komponierte L. im Rahmen seiner Tätigkeit in der Musikabteilung des polnischen Rundfunks auf folkloristischem Material basierende Musik für zahlreiche Hörspiele und Filme sowie Kinderstücke und Bühnenmusik. 1949 wurde L.s 1. Symphonie mit dem Vorwurf des Formalismus von den Programmen abgesetzt; fast bis zu ihrer Wiederaufführung (1959) entstanden nur solche Werke, die auf Volksmusikmaterial beruhen, wie z. B. das Schlesische Triptychon, die Kleine Suite oder das Konzert für Orchester. Mit der Trauermusik, den 3 Postludien und den Jeux vénitiens vollzog L. eine stilistische Wende, die ihm weltweite Anerkennung verschaffte. Es folgten Einladungen zu Kompositionskursen in die USA (Tanglewood / Mass. 1962), nach Großbritannien (Dartington 1953/64) und Skandinavien (Stockholm 1965, Aarhus 1969) sowie seine Berufung in zahlreiche Akademien (Stockholm 1962; Hamburg 1966; Berlin/West 1968; Berlin/Ost 1970; München 1973) und nationale wie internationale Gesellschaften (1973 polnischer Komponistenverband und IGNM). Seit 1963 hat L. seine Werke häufig selbst einstudiert und dirigiert; er lebt in Warschau. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Sonate (1934); Variationen über ein Thema von Paganini für 2 Klv. (1941), auch für Klv. u. Orch. (1980); 2 Etüden (1941); 12 Melodie ludowe (Volksmelodien) (1945); Bukoliki (1952), auch für V. u. Vc. (1962); 3 leichte Stücke (1953). — Kammermusik: 30 kleine Stücke für Blasinstr. (1944); Trio für Ob., Klar. u. Fag. (1945); kleine Suite für Kammerensemble (1950), auch für Orch. (1951); Recitativo ed arioso (1951) für V. u. Klv.; Preludia taneczne (Tanzpräludien) (1953) für Klar. u. Klv. (auch für andere Besetzungen bearb.); 4 melodie Ilgskie (Schlesische Melodien) (1955) für 4 V. (Bearb. v. Nr. 9-12 der Melodie ludowe für Klv.); Streichquartett (1964); Sacher-Variationen (1976) für Vc. solo. — Für Orch.: Symphonische Variationen (1938); 2 Symphonien (1947, 1967); Ouvertüre für Str. (1949); Konzert für Orchester (1954); Muzyka žalobna (Trauermusik) (1958) für Streichorch.; 3 Postludien (1960); Jeux vénitiens (1961); Livre pour orchestre (1968); Vc.-Konzert (1970); Präludien u. Fuge für 13 Solostr. (1972); Mi-parti (1976); Novelette (1979); Doppelkonzert für Ob. u. Harfe (1980). — 2) Vokal-WW: Pieini dziciçce (Kinderlieder) (Krakau 1979); Lacrimosa (1937) für Sopran u. Org.; Tryptyk Slgski (Schlesisches Triptychon) (1951) für Sopran u. Orch.; 5 Lieder für Frauenst. u. 30 Soloinstr. nach Gedichten v. K. Illakowicz (1955); Trois poèmes d'Henri Michaux (1963) für gem. Chor, Bläser, 2 Klv., Harfe u. Schlagzeug; Paroles tissées (1965) für Tenor, Str., Harfe, Klv. u. Schlagzeug; Les espaces du sommeil (1978) für Bar. u. Orch. — 3) Schriften: Teoria a praktyka w pracy kompozytora (Theorie u. Praxis der Arbeit des Komponisten), in: Studia estetyczne 2 (1965); 0 II Symfonii (Uber meine 2. Symphonie), in: Ruch muzyczny 11 (1967); Sur l'orchestre d'aujourd'hui, in: ebd. 12 (1968); Ober das Element des Zufalls in der Musik, in: Melos 36 (1969); G. Bacewicz, in: La musique en Pologne 5 (1969); Gedanken über die Zukunft der Musik, in: Poln. Musik 7 (1972); O swoim koncercie wiolonczelowym (Über mein Violoncellokonzert), in: Ruch muzyczny 17 (1973).
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Lutyens Die entscheidende Einsicht, daß ein „in den dreißiger Jahren sehr ,fashionabler` Stil, welcher aus tonalen Relikten und ,falschen` Tönen bestand", eine neue Organisation des Klangmaterials nötig machte, brachte L. von seinen Vorbildern K. Szymanowski, I. Strawinsky und A. Roussel zu den Experimenten der Trauermusik und der 3 diese Phase abschließenden Postludien. 1961 veröffentlichte er die Jeux vénitiens, die auch die subjektiven Folgen des Erlebnisses westlich-avancierter Musik (wie die von J. Cage) bezeugen: Sie sind die erste polnische aleatorische Komposition. So wurde L. zum Schöpfer eines Stils, der bald als „Neue polnische Expressivität" und als Ausweg aus den Extremen streng serieller Komposition und ganz freier Aleatorik begrüßt wurde. Die für die Musik L.s nach 1960 typischen Merkmale sind ein unmittelbar sich mitteilender Ausdruck, der seiner Struktur nach um so strengeren Organisationsprinzipien unterliegt, je emotional geladener er erscheint. Zu diesen Ordnungsfaktoren gehört die Verbindung der Arbeit mit dem 12tönig chromatischen Total in „Reihen" mit einer Form des musikalischen Zufalls, die L. „begrenzte Aleatorik" genannt hat. Diese freie Form der Tonhöhenorganisation erweitert den künstlerischen Spielraum der Ausführenden, ohne die Identität der Werkform und -struktur zu gefährden. — Hatte in den 60er Jahren jedes neue Werk L.s weitere überraschende Aspekte dieser Kompositionstechnik eröffnet, so zeugen die seit dem Violoncellokonzert entstandenen Werke von Konsolidierung und Tragfähigkeit eines Stils, den L. voranzutreiben jetzt für noch nicht nötig hält. Lit.: Z. LISSA, Studium analityczne „Malej Suity" i „Tryptyku S14skiego" W. L.ego, in: Muzyka (1952) Nr. 5-6; W. BRENNECKE, Die „Trauermusik" von W.L., in: FS F. Blume (Kas 1963); O. NORDWALL, Fünf Illakowicz-Lieder von W. L., in: Melos 33 (1966); G. SANNEMULLER, Das Konzert für Orch. v. W. L., in: SMZ 107 (1967); O. NORDWALL, L. (Sto 1968); CH. M. SCHMIDT, W. L.s Streichquartett, in: Die Musik der sechziger Jahre, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1972) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 12); T. BLASZKIEWICZ, Aleatoryzm w twórczoši W. L.ego (Die Aleatorik im Schaffen W. L.$) (Gdánsk 1973) (= Prace sprecjalne 3); J. HÄUSLER, Einheit in der Mannigfaltigkeit. Skizze über L., in: NZfM 134 (1973); ST. STUCKY, The String Quartet of W. L. (1973) (= Diss. Cornell Univ./N. Y.); A. HUBER, W. L. Cellokonzert, in: Melos 40 (1973); W. ROGGE, Die „Jeux vénitiens" von W. L. im Schulfunk, in: Musik u. Bildung 5 (1973); Z. LISSA, W. L.s Konzert für Orch., in: Zur musikal. Analyse, hrsg. v. G. Schuhmacher (Da 1974) (= Wege der Forschung 257); P. PETERSEN, W. L.s Präludien u. Fuge, in: Hamburger Jb. für Musikwiss. 1 (1974); H. SCHAFER, Konsequenz u. Klarheit. Bemerkungen z. Schaffen W. L.s, in: MuGes 25 (1975); T. KACZYNSKI, Gespräche mit W. L. (dt. L 1976); H.-K. METZGER, Komponist zw. Auschwitz u. Venedig. Eine Hommage an W. L., in: NMZ (1980) Nr. 6. R. CADENBACH
LUTYENS, Agnes Elisabeth, * 9.7. 1906 London,
t 15.4. 1983 ebd. ; engl. Komponistin. Sie studierte 174
Gesang und Komposition (bei Harold Darke) am Royal College of Music in London und vervollkommnete sich am Pariser Conservatoire in der Klasse von G. Caussade. Um 1936 übernahm sie die Zwölftontechnik und verwarf dabei ihre ersten, in einem neoromantischen Stil geschriebenen Werke. 1969 wurde sie zum Commander of the British Empire (C.B.E.) ernannt. WW: 1) Instr.-WW: Plenum 1 (1973) für Klv.; Plenum IV (1975) für Org.; Kammermusik, u. a.: Streichtrio (1963); Plenum III (1974) für Streichquartett; Streichquintett (1963); Symphonies (1961) für Klv., Bläser, Harfen u. Schlagzeug; 6 Tempi for 10 Instruments (1957); Musik für doppeltes Bläserquintett (1964); The Rape of the Moon (1973) für Kammerensemble. — Für Orch.: Choral „Hommage à Stravinsky" (1956); Music for Orchestra 1 (1954), II (1962) u. III (1963); Novenaria (1967); Plenum II (1974) für Ob. u. Kammerorch.; The Winter of the World (1974) für Vc. u. Kammerensemble. — 2) Vokal-WW: Requiem for the Living (1948) u. Bienfaits de la lune (1951) für Chor; And Suddenly It's Evening (1966) für Tenor u. 11 Instr.; The Tears of Night (1971) für Countertenor, 6 Soprane u. 3 Instrumentalensembles; Dirge for the Proud World (1971) für Sopran, Countertenor, Cemb. u. Vc. — 3) Böhnen-WW: Dramatische Szene The Pit (1947) für Tenor, BaB, Frauenchor u. Orch.; Funkoper Penelope (1950); Kammeroper Infidelio (1955), UA: London 1973; Oper The Numbered (1965-67); lyrisches Drama Isis and Osiris (1970); Oper „A Charade in 4 Scenes With 3 Interruptions" Time off? Not a Ghost of a Chance für einen Schauspieler, Vokalquartett, 2 gem. Chöre u. 10 Instr., UA: London 1972; Ballett The Birthday of the Infanta, UA: ebd. 1932; Film-, Funk- u. Bühnenmusik. — Veröffentlichte die Autobiographie A Goldfish Bowl (Lo 1972). Lit.: R. HENDERSSON, in: MT 104 (1963); M. SCHAFER, in: British Composers in Interview (Lo 1963); S. BRADSHAW, The Music of E. L., in: MT 112 (1971); S. W ALSH, in: ebd. 113 (1972).
LUYTON (Luython), Karel (Charles), * um 1557/58 Antwerpen, t August 1620 Prag; ndl. Organist und Komponist. Er war 1566-71 Chorknabe unter J. Vaet, A. de Gaucquier und Ph. de Monte in der Kaiserlichen Kapelle in Wien. Auch sein weiteres Wirken stand ausschließlich im Dienste der Kaiser Maximilian II. und Rudolf II.: seit 1576 als Kammermusiker, seit 1577 auch als Mitglied der Hofkapelle und seit 1582 als Hoforganist, 1603-11 in der Nachfolge von Ph. de Monte als Hofkomponist. Sein kompositorisches Schaffen steht hinsichtlich der Kirchenmusik in der Tradition der franko-flämischen Schule. Die Madrigale partizipieren in Ausdruck und Bildhaftigkeit an den italienischen Neuerungen ihrer Zeit. WW: Madrigale für 5 St. (V 1582); Popularis anni jubilus für 6 St. (Pr 1587); Selectissimae sacrae cantiones f ür 6 St. (Pr 1603); Opus musicum in lamentationes Hieremiae prophetae für 6 St. (Pr 1604); Messen für 3-7 St. (Pr 1609, 21621); weitere Vokal- u. Instr.-Werke in Sammeldrucken der Zeit u. Hss. Ausg.: 2 Messen, Lamentationen u. weitere Werke, in: F. CoMMER, Musica sacra 17, 19, 20 u. 22 (1877-81); 3 Madrigale, in: It. Musiker u. das Kaiserhaus 1567-1625, hrsg. v. A. EINSTEIN (1934) (= DTÚ 77); 8 Orgelstücke, in: Ch. Guillet, G. (de) Macque, C. L. Werken voor Orgel ..., hrsg. v. J. WATELET (1938/1968) (= MMBelg 4); Fuga suavissima, in: Alte Musik für Tasteninstr. 1, hrsg. v. G. BGNtGK (B 1965).
Lyra Lit.: A. KOCZIRZ, Zur Gesch. des L.schen Klavizimbels, in: SIMG 9 (1908); A. SMIJERS, K. L. als Motettenkomponist (A 1923); DERS., Die Kaiserliche Hofmusikkapelle von 1543 bis 1619, in: StMw 9 (1922); C. SASS, Ch. L., ses madrigaux et ceuvres instrumentaux (Dias. Löwen 1958).
LUZZASCHI, Luzzasco, * um 1545 Ferrara, t 11.9. 1607 ebd.; it. Organist und Komponist. L., Schüler von C. de Rore, stand schon 1571 im Dienst des Herzogs von Ferrara, Alfonso d'Este. Spätestens 1576 erhielt er die Organistenstelle, die er anscheinend bis zu seinem Lebensende beibehielt. Außerdem war er Organist der Accademia della Morte, vielleicht auch Domkapellmeister in Ferrara. Zu seinen Schülern zählt G. Frescobaldi. WW: 1) Geistliche WW: Sacrae cantiones für 5 St. (V 1598); Messe für 5-6 St. (hal. Modena). — 2) Weltliebe Vokal-WW: 7 Bücher Madrigale für 5 St. (Ferrara— V 1571-1604); Madrigali per cantare et sonare a uno, e doi, e tre soprani (R 1601); Madrigale u. eine Kanzonette in Sammeldrucken 1582-1610. — 3) lnstr.WW: Toccata, Ricercar und Kanzone für Org. in: G. Diruta, Il Transilvano 1 und 2 (V 1593 u. 1609); eine Canzona für Org. in: RISM 1608 24.
L. wurde von seinen Zeitgenossen (V. Galilei, Cl. Merulo, A. Banchieri) vor allem als Organist gepriesen. Sein Rang als Komponist tritt am meisten in seinen Vokalwerken, vor allem den 5st. und den 1- bis 3st. Madrigalen hervor. In den ersteren lehnt sich L. an den Stil von C. de Rore an, dessen Expressivität und kühne Chromatik er zu übertreffen sucht. Seine späten Sammelwerke beeinflußten mit ihren klanglichen und Ausdrucks-Kontrasten die Musik C. Gesualdos beträchtlich. Die Madrigale für 1-3 Soprane, möglicherweise um 1571 für das berühmte Frauentrio des Hofes von Ferrara komponiert, kündigen mit ihrer Begleitung für Tasteninstrumente und ihrer reichen vokalen Verzierungskunst das konzertierende Madrigal an. Ausg.: 3 Org.-Stucke, in: Composizioni a più voci (Mi 1903) (= TORCHI Arte mus. 4); 3 Madrigale, in: A. EINSTEIN, The It. Madrigal 3 (Princeton / N. J. 1949, Nachdr. 1970, dt. Z 1952); Madrigali per cantare e sonare... 1601, hrsg. v. A. CAVICCHI (Brescia 1965). Lit.: O. KINKELDEY, L. L.s Solo-Madrigale mit Klavierbegleitung, in: SIMG 9 (1908); J. RACEK, Les madrigaux à voix seule de L. L., in: RM 13 (1932); A. G. SPIRO, The Five-Part Madrigals of L. L. (1961) (= Diss. Boston Univ.).
LWOW (Lvoff), Alexej Fjodorowitsch, * 25. 5. (5.6.)1798 Reval, t 16. (28.) 12. 1870 Romanowo bei Kowno; russ. Komponist und Violinist. Von seinem Vater, Fjodor Pjetrowitsch L. (1766-1836), Leiter der Hofkapelle in St. Petersburg, erhielt er eine umfassende musikalische Ausbildung. Nach Besuch einer Ingenieurschule und achtjähriger Dienstzeit bei der Armee in Nowgorod wurde er 1826 an den Hof nach St. Petersburg beordert. Erfolgreich mit einer Chor-Orchester-Bearbeitung des Stabat mater von G. B. Pergolesi, beauftragte Zar Nikolaus I. ihn 1833 mit der Komposition einer
neuen russischen Nationalhymne (anstelle der bisher gebrauchten Melodie des Heil dir im Siegerkranz). 1834 zum persönlichen Adjutanten des Zaren ernannt, wurde er 1837 Nachfolger seines Vaters als Leiter der Hofkapelle. Fortan trat L. nachhaltig für Reformen der russisch-orthodoxen Kirchenmusik ein, die er von italianisierenden Harmonisierungen befreite und teilweise auch auf die ursprünglichen freien Rhythmen zurückführte. Zudem gab er dem Konzertwesen der Residenzstadt neuen Auftrieb, gründete eine namhafte Streichquartettvereinigung (deren Proben und Erstaufführungen im Hause L. der Zar mit Familie zu besuchen pflegte) und trat auch als Dirigent für regelmäßige Orchesterkonzerte ein. Auf einer Tournee durch Deutschland hatte er 1840 in Leipzig unter F. Mendelssohn Bartholdy dessen Violinkonzert gespielt und in Bad Ems mit Fr. Liszt konzertiert. Von L.s Kompositionen blieben außer Kirchenchorsätzen insbesondere 24 Capricen für V., eine Fantasie für V. und Vc. (Le duel), mehrere Streichquartette und ein Violinkonzert von Belang. Im Gegensatz dazu verharrte L. in seinen konventionellen und wenig erfolgreichen Opern bei der zeitgenössischen italienischen Koloratur- und Nummernoper (Bianca et Gualtiero, UA: Dresden 1844; Undine, Ballettoper, 1848; Starosta Boris, 1854). 1867 zog er sich wegen Schwerhörigkeit endgültig aus dem Musikleben zurück. Lit.: L. RAABEN, Schisn sameschatelnych skripatschej (Mos 1967); 1. GARDNER, A. F. L. (Jordanville / N.Y. 1970) (russ.). H. LINDLAR
LYDISCH, in der altgriechischen Musiktheorie Bz. für die Oktavgattung mit dem Umfang c 1—c. — Im System der ?Kirchentöne Bz. für den 5. Modus, der durch die Skala f g a h c' d' e1 f' charakterisiert ist, während „hypolydisch" die Bz. für den 6. Modus bildet, dem die Skala cd e f g a he entspricht. Beispiele für lydische Melodien im Gregorianischen Gesang sind die Introitus Ecce deus adjuvat und Circumdederunt me sowie die Communio Quis dabit, für hypolydische Melodien der Introitus Omnes gentes und das Offertorium Stabit angelus. Der Mittelsatz von L. van Beethovens Streichquartett op. 135 ist als Heiliger Dankgesang ... in der lydischen Tonart betitelt. Auch A. Bruckners Motette Os justi steht in der lydischen Tonart. Lit.: R. P. WINNINGTON-INGRAM, Mode in Ancient Greek Music (C 1936, Neudr. A 1968); O. GOMBOSI, Tonarten u. Stimmungen der antiken Musik (Kop 1939, Nachdr. 1950); J. CHAILLEY, Le mythe des modes grecs, in: AMI 28 (1956); A. SCHMITZ, A. Bruckners Motette „Os justi", in: Epirrhosis. FS C. Schmitt (B 1968); J. LOHMANN, System und Tonart, in: FS J. Lohmann (St 1970); M. MARKOVITS, Das Tonsystem der abendländischen Musik im frühen MA (Be 1977).
LYRA. — 1) Bz. für eine Schalen-řLeier, neben 175
Lyra der /Kithara das wichtigste Saiteninstrument der griechischen Antike, mit einem Resonanzkörper aus einem mit Tierhaut bezogenen Schildkrötenpanzer (daher auch chelys = Schildkröte genannt). Bei späteren Instrumenten, deren Korpus und Decke aus Holz bestanden, wurde die Form des Schildkrötenpanzers nachgeahmt. Aus dem Korpus ragten 2 schmale geschwungene oder gerade, durch ein Querholz (Joch) verbundene Jocharme heraus; an diesen wurden die vom Saitenhalter über einen Steg gezogenen Saiten befestigt. Bei den frühen Instrumenten dienten wohl Lederriemen zur Befestigung und zum Stimmen der Saiten, während es später andere Möglichkeiten gab (etwa Stimmknebel und Wirbel, deren genaue Beschaffenheit jedoch nicht bekannt ist). Die L. hatte 4 bis 7, später auch mehr Saiten, die meisten Instrumente der klassischen Zeit hatten 7 Saiten. Sie wurden mit einem Plektrum, seltener auch mit den Fingern gezupft. Die Herkunft der L. ist nicht geklärt. Im sog. Apollon-Hymnos (vermutlich 7. Jh. v. Chr.) wird Apollon als L.-Spieler geschildert, in dem jüngeren Hermes-Hymnos wird dieser als Erfinder genannt. Hermes soll die L. an seinen Bruder Apollon gegeben haben, von dem sie, der Überlieferung nach, der Sänger Orpheus erhielt. Der erste historisch faßbare Spieler ist Terpandros (1. Hälfte 7. Jh. v. Chr.), der versuchte, seine 7saitige L. mit einer weiteren Saite auszustatten. Er mußte sie jedoch wieder entfernen, weil er über die Zahl 7, die heilige Zahl Apollons nicht hinausgehen durfte; noch Timotheos und Phrynis (5. Jh. v. Chr.) wurde dies verboten. In hellenistischer Zeit bekam die L. mehr Saiten, blieb jedoch das Instrument der Dichter und Sänger und wurde nicht, wie die Kithara, zu einem Instrument der Virtuosen. Sowohl die griechischen wie die römischen Autoren unterschieden nicht immer genau zwischen Kithara und Lyra. Beide Namen traten nicht nur als Synonyma auf, sondern auch einfach in der Bedeutung als Saiteninstrument. — 2) Im 12./13. Jh. Bz. für ein Streichinstrument mit halbbirnenförmigem Korpus, 2 halbrunden Schallöchern und nur einer Saite. — 3) Heute Bz. für ein griechisches Streichinstrument, mit länglichem, schmalem (L. der Pontos-Griechen) oder halbbirnenförmigem Korpus. Sie hat 3, selten 4 Saiten, wird, vertikal auf dem linken Knie aufgestützt, vor dem Körper gehalten und mit einem Bogen angestrichen. Die Finger der linken Hand greifen die Saiten von der Seite her ab. Sie wird oft durch eine in gleicher Haltung gespielte Violine ersetzt. Enge Verwandtschaft scheint mit der bulgarischen /Gädulka und anderen Streichinstrumenten des östlichen Mittelmeerraumes zu bestehen. — 4) Wegen der Ähnlichkeit mit der Form der antiken L.
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Bz. für das Gestell an der Unterseite von Klavierinstrumenten, an dem die Pedale und das Übertragungsgestänge befestigt sind. — 5) Bz. für ein tragbares /Glockenspiel der Militärkapellen. Auf einer Stützstange ist ein lyraförmiger Rahmen eingesetzt, in dem 25 Stahl- oder Aluminiumplatten chromatisch in 2 Reihen von unten nach oben angeordnet sind. Ältere Instrumente hatten nur 15 diatonische Platten in einer Reihe. Die L. hat einen Tonumfang von c3—c5. Der Spieler steckt beim Gehen die Stützstange in die Schlaufe eines Gurtes, hält die Stange mit der linken Hand fest und schlägt mit einem Messinghämmerchen in der rechten Hand die einzelnen Platten an. An die türkische Herkunft der L. erinnern noch die RoBhaarschweife an den auswärts gebogenen Enden des Rahmens. Lit.: Zu 1): L. DEUBNER, Die viersaitige Leier, in: Mitt.en des dt. Archäologischen Inst., Athenische Abt. 54 (1929); T. NORLIND, L. u. Kithara in der Antike, in: STMf 16 (1934); O. GOMBOsI, Tonarten u. Stimmungen der antiken Musik (Kop 1939); M. WEGNER, Das Musikleben der Griechen (B 1949); F. BEHN, Musikleben im Altertum u. frühen MA (St 1954); R. P. WINNINGTON-INGRAM,The PentatonicTuningof the Greek Lyre. A Theory Examined, in: Classical Quarterly 50, N.S. 6 (1956); H. HICKMANN - M. WEGNER, Leier, in: MGG VIII; M. WEGNER, Griechenland (L 1963) (= Musikgesch. in Bildern II/3); B. AIGN, Die Gesch. der Musikinstr. des ägäischen Raumes (Diss. F 1963); D. PAQUETTE, L'instr. de musique à travers la céramique de la Grèce antique (Diss. Dijon 1968); L. VORREITER, Altmakedonische Pracht- u. Riesenlyren, in: Antike Welt. Zschr. für Archäologie u. Weltgesch. 3 (1972); H. THIEMER, Der Einfluß der Phryger auf die altgriech. Musik (Bonn 1979) ( = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 29). - Za 2): C. SACHS, Hdb. der Musikinstrumentenkunde (L 21930, Nachdr. Wie 1971). - Zu 3): S. BAUD-BO Y, L'évolution parallèle de la
Lyssenko construction, de la technique et du repertoire de la 1. crétoise, in: Studia instrumentorum musicae popularis 5, hrsg. v. E. Stockmann (Sto 1977) (= Musikhistoriska museets skrifter 7); R. BRANDL, Die L. -Musik der Insel Karpathos, 2 Bde. (Laaber 1980). M. BROCKER
LYRAFLUGEL OEGiraffenklavier. LYRAGITARRE (engl.: lyre-guitar; frz.: lyreguitare), Bz. für ein in der 2. Hälfte des 18. Jh. entwickeltes Zupfinstrument mit einem der antiken 'Kithara ähnlichen Resonanzkörper, aber mit dem Griffbrett, dem 6saitigen Bezug und der Stimmung der Gitarre. Die L. war sehr unbequem zu spielen, trotzdem aber als Dameninstrument um 1800, in Berlin bis 1830, sehr beliebt, wohl hauptsächlich deswegen, weil sie, mit einem Standfuß versehen, ein schmükkendes Möbelstück für den Empire-Salon war. Lit.: D. FRYKLUND, Studier över lyragitarren, in: STMf 9 (1927); DERS., Une lyre-guitare d'Ory (Hälsingborg 1957); S. BONNER, The Classic Image. European History and Manufacture of the Lyre Guitar 850-1840 (Harlow 1972). M. BROCKER
LYRA VIOL, englischer Name der /Viola bastarda. Die Bz. läBt erkennen, daB das Instrument eine Mischform aus Elementen der Lira da gamba und der /Viola da gamba darstellt. Im wesentlichen ist das Korpus der L.V. dem der Viola da gamba sehr ähnlich, sie hat jedoch neben den C- oder F-Schalllöchern die für die Lira typische Rose unterhalb des Griffbretts und eine Schnecke statt des Zierkopfes. Für die L. V. ist eine Vielzahl von Stimmungen bekannt, die anfangs denen der Lira entsprachen (Quint-Quart-Stimmung) und erst später denen der Viola da gamba (Quart-Terz-Stimmung) angeglichen wurden. Einige dieser Stimmungen waren C F cfad',A1 eAead',A1 DAdad'oderA1 D G d g d'. Um 1600 soll Daniel Farrant die L.V. mit Aliquotsaiten ausgestattet haben, die aber bereits in der 2. Hälfte des 17. Jh. wieder aufgegeben wurden.
Die L. V. war zwischen 1600-80 in England als Soloinstrument sehr beliebt, und es entstanden zahlreiche Kompositionen für das Instrument, u. a. von A. Ferrabosco (II), J. Coperario, Farrant, W. Lawes, J. Jenkins und T. Hume. Eine wichtige zeitgenössische Sammlung ist J. Playfords Musick's Recreation: on the lyra viol (Lo 1652 u. ö.). Lit.: J. PLAYFORD, Musick's Recreation, hrsg. v. N. Dolmetsch (Lo 1965) (= Hinrichsen's Facsimile Reprints 4); C. SACHS, Die Viola bastarda, in: ZIMG 15 (1914); G. R. HAYES, The Viols and Other Bowed Instr. (NY 1969); F. TRAFICANTE, L. V. Tunings. „All Ways have been Tryed to do It", in: AMl 42 (1970); A. ERHARD, Zur L.-V.-Musik, in: Mf 27 M. BROCKER (1974).
LYSSENKO (Lissenko), Mykola Wytalijowytach (Nikolaj Witaljewitsch), * 10. (22.) 3.1842 Grinjki bei Krementschug (Ukraine), t 24.10. (6.11.) 1912 Kiew; ukrainischer Komponist. Er studierte in Charkow, Kiew sowie bei C. Reinecke (Klavier) und E. Fr. E. Richter (Theorie) am Leipziger Konservatorium; auBerdem lernte er Orchestrieren bei N. Rimski-Korsakow in St. Petersburg, wo er einen Chor gründete, der sich vor allem der ukrainischen Musik widmete. 1876 lieB sich L. in Kiew nieder und leitete dort einen anderen Chor, mit dem er durch die ganze Ukraine reiste. 1904 gründete er das Institut für Musik und dramatische Kunst in Kiew, das einen groBen Aufschwung erfuhr. L. gilt als bedeutender Erneuerer der ukrainischen Musik. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. KIv.-Stücke; ein Liederzyklus mit 83 Stücken; Volksliedbearb. - Opern: Tschernomorzy, UA: Charkow 1883; Risdwjana nitsch (Weihnacht) (nach N. Gogol), UA: Kiew 1874, revidierte Fassung, Charkow 1883; Taras Bulba, UA: Kiew 1924 (neu instrumentiert v. B. Ljatoschinsky u. L. Rewuzki). - 2) Sehritten: Narodni musitschni instrumenty na Ukrajini (Die Volksmusik in der Ukraine) (Kiew 1909, NA 1955); Pro narodnu pisnju i pro narodnist w musyzi (Uber das Volkslied u. über das Volkstümliche in der Musik), hrsg. v. M. Gordijtschuk (ebd. 1955).
Lit.: L. ARCHIMOWITSCH - M. GORDIJTSCHUK, M. W. L. (Kiew 1952, 21963); S. I. WASSILENKO, Folkloristitschna dijalnist M. W. L. (Kiew 1972).
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M M, m, Abk. in: 1) m. d. = frz. main droite oder it. mano destra = rechte Hand; m. g. = frz. main gauche und m.s. = it. mano sinistra = linke Hand. — 2) M. M. (oder MM) = "Metronom Mälzel. — 3) mf = mezzoforte (lforte), mp = mezzopiano (řpiano). — 4) m = 2'manualiter. MAAG, Peter, * 10.5.1919 St. Gallen; Schweizer Dirigent. Er studierte in Zürich Klavier und Theorie (Czeslaw Marek) sowie Dirigieren bei Franz von Hoesslin und E. Ansermet in Genf. Seit 1942 wirkte er an den Theatern in Biel und Solothurn, war 1952-54 1. Kapellmeister am Opernhaus in Düsseldorf, 1954-59 GMD in Bonn und 1964-68 Chefdirigent an der Wiener Volksoper. Seit 1972 ist er musikalischer Leiter des Teatro Regio in Parma und seit 1974 des Teatro Regio in Turin. Hauptsächlich als Mozart-Interpret bekannt geworden, gastiert M. seit 1960 an bedeutenden Opernhäusern und bei Festspielen in Europa, Amerika und Japan sowie bei berühmten Orchestern. MAAZEL, Lorin Varencove, * 6.3.1930 Neuillysur-Seine (Hauts-de-Seine); amerik. Dirigent. M. studierte Klavier, Violine und Dirigieren in Pittsburgh. Mit 8 Jahren trat er erstmals öffentlich auf, dirigierte als 11jähriger durch Vermittlung A. Toscaninis das NBC Orchestra und 1943 das Cleveland Orchestra. Nach Beendigung eines Studiums an der Universität Pittsburgh gründete er 1947 das Fine Arts String Quartet und wurde 1949 Leiter des Pittsburgh Symphony Orchestra. In den 50er Jahren studierte er in Italien ältere Musik und dirigierte erste Konzerte in Europa. 1965-71 war er Chefdirigent des Radio-Sinfonie-Orchesters Berlin und GMD der Deutschen Oper in Berlin. Außerdem dirigierte er 1960, 1968 und 1969 in Bayreuth und gastierte bei den bedeutendsten europäischen Orchestern. 1972-80 leitete er als Nachfolger G. Szells das Cleveland Orchestra und wurde dann musikalischer Leiter der Wiener Staatsoper. Lit.: I. GELENG, L. M. Monographie eines Musikers (B 1971).
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MACAL, Zdeněk, * 8.1.1936 Brünn; tschechischer Dirigent. Er studierte bis 1956 am Konservatorium und bis 1960 an der Janáček-Musikakademie in Brünn. Seit 1963 war er Dirigent der Mährischen Philharmonie in Olmütz, später Chefdirigent der Prager Symphoniker und 1970-74 Chefdirigent des Rundfunk-Symphonieorchesters des WDR in Köln. M., 1966 Preisträger beim Mitropoulos -Dirigentenwettbewerb in New York, gastiert bei bedeutenden Orchestern und Opernhäusern in Europa und den USA. MACBETH, Oper in 4 Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901), Text von Francesco Maria Piave nach William Shakespeare. Ort der Handlung: Schottland. UA: 14.3. 1847 in Florenz (Teatro alla Pergola). UA der frz. Fassung: 21.4. 1865 in Paris; EA in dt. Sprache: 11. 12. 1849 in Wien; dt. EA (in dt. Sprache) : 23. 12. 1850 in Hannover. Verdi war nicht nur an der Gestaltung des Szenariums beteiligt, sondern nahm auch entscheidenden Einfluß auf die Versifizierung. Für die französische Fassung wurden die Arie La luce langue (2. Akt) der Lady Macbeth, ein Duett am Schluß des 3. Aktes und die für Paris obligatorische Ballettmusik (zu Beginn des 3. Aktes) eingefügt. — Indem Verdi einen Opernstoff ohne Liebespaar akzeptierte, schwenkte er auf die französische Opernästhetik einer Musique caractéristique ein, verzichtete auf strahlende Arien und lyrische Stimmungen; Verdi wollte die Welt des Bösen klanglich nachgestalten. — Mit der Schlafwandelszene der Lady (Una macchia ... é qui tuttora), die nach dem Typus der klassischen Wahnsinnsarie konzipiert wurde, gelang Verdi eine erstaunliche moderne Monologszene, wobei er durch stereotype Wiederholungen eines einzigen Motivs Monotonie nicht nur in Kauf nahm, sondern bewußt erzeugte. Ober 150mal probte Verdi mit seiner Protagonistin Marianne Barbieri-Nini. „Ich möchte für die Lady eine rauhe, erstickte, hohle Stimme haben", forderte er und zwang die Sängerin, mit maskenstarrem Antlitz und
Macfarren geschlossenen Augen adie Worte zu artikulieren, möglichst ohne die Lippen zu bewegen. Verdi experimentierte mit unverbrauchten Mitteln, um die seelischen Abgründe der Lady in eine empfindungsgemäße Musik zu übertragen. Félix Clément hat diese Art der Charakteristik bei der Pariser Aufführung aus Unverstand kritisiert. Diese Neufassung blieb im Ausland zunächst ohne Resonanz. Erst die deutsche Rückübersetzung von Georg Göhler für die EA in Dresden (21.4. 1928) führte zu einem Wandel in der Rezeption zugunsten der Pariser Fassung. H. BECKER MACDERMOT, Galt, * 18.12. 1928 Montreal; amerik. Komponist. Er wurde bekannt durch sein „American tribal love rock musical" Hair (1967, überarbeitet 1968). Weitere Werke konnten an diesen Erfolg nicht anknüpfen. WW: Hair (1967, 1968); Isabel's a Jezebel (1970); Two Gentlemen of Verona (1971); Dude (1972).
MACDOWELL, Edward Alexander, * 18.12. 1861 New York, t 23.1.1908 ebd.; amerikanischer Pianist und Komponist irisch-schottischer Abstammung. M. kam 1876 als Stipendiat an das Pariser Conservatoire, wo er Kompositionsschüler von Augustin Savard und Klavierschüler von A. Fr. Marmontel war. 1879-81 vervollständigte er seine Ausbildung bei Karl Heymann und J. J. Raff am Konservatorium in Frankfurt am Main. 1881 war er vorübergehend Klavierlehrer am Konservatorium in Darmstadt. 1882 begegnete er Fr. Liszt in Weimar, dem er sein 1. Klavierkonzert vorspielte. Liszt lobte das Werk. Auf seine Empfehlung hin wurde 1882 M.s First Modern Suite for Piano in Leipzig aufgeführt. 1888 kehrte M. nach Amerika zurück und lieB sich in Boston nieder, wo er 1896-1904 als Professor an der Columbia University lehrte. Die letzten Jahre lebte er in geistiger Umnachtung. WW: Für Klv.: 4 Sonaten, 1 u. 2: Sonata tragica (1893, 1895), 3: Norse Sonata (1900) u. 4: Keltic Sonata (1901); Woodland Sketches (1896); Sea pieces (1898); Fireside Tales (1902); New England Idyls (1902). - Für Orch.: 2 Klv.-Konzerte a-moll und d-moll (1882, 1889); symphon. Dichtungen: Hamlet und Ophelia (1885); Lancelot und Elaine (1888); Lamia (1889); 2 Orch.-Suiten a-moll (1891) u. Indian Suite (1895); Lieder. Schrieb Critical and Historical Essays (Boston - NY 1912, Nachdruck NY 1969).
M. gehörte zu den bedeutendsten amerikanischen
Komponisten spätromantischer Richtung. Seine Begabung offenbart sich am deutlichsten in der tonmalerischen Umsetzung geheimnisvoller Naturstimmungen (New England Idyls, Woodland Sketches). Bevorzugtes Ausdrucksmittel isi das Klavier, dessen Klangmöglichkeiten er — wie später S. Rachmaninow — bis hin zu orchestralen Effekten ausschöpft. Harmonisch kühn und hochexpressiv, überschreiten seine Werke jedoch nicht die ästheti-
schen Kategorien seiner Zeit. Das melodische Material seiner meist kurzen, prägnanten und logisch entwickelten Themen ist häufig indianischen Weisen (Indian Suite) entlehnt, obwohl M. selbst sich nie als Vertreter einer national orientierten Musik verstanden hat. Er war auch ein großer Verehrer E. Griegs, dessen EinfluB in kleineren Formen erkennbar ist. M. widmete ihm seine Norse Sonata und die Keltic Sonata. Lit.: O.G. SONNECK, E. M., in: ZIMG 9 (1907/08); L. GILMAN, E. M. A Study (NY 1909, Nachdr. 1969); O.G. SONNECK, Cat. of First Editions of E. M. (Washington 1917, Nachdr. NY 1971); I. LOWENS, E. M.'s „Critical and Historical Essays" 1912, in: Journal of Research in Music Education 19 (1971); M. M. LOWENS, The New York Years of E. M. (1971) (= Diss. Univ. of Michigan); DIES.. M., in: Grove 6 XI.
MACE, Thomas, * um 1615 Cambridge, t 1709 (?), engl. Musiktheoretiker. Er war Chorknabe und seit 1635 Sänger am Trinity College in Cambridge. 1644-47 hielt er sich vorübergehend in York auf. In Not geraten, bot er 1690 seine Musik- und Instrumentensammlung in London zum Verkauf an. Sein Musick's monument von 1676 ist eine wichtige Quelle für die Kenntnis der englischen Musikpraxis des 17. Jh., insbesondere auch für die Musik der Anglikanischen Kirche, sowie über Bau, Stimmung und Spiel der Lauteninstrumente und der Viola. WW: Musick's monument, or a remembrance of the best practical musick, both divine and civil, that has ever been known to have been in the world, 3 Bde. (Lo 1676). Ausg.: Musick's monument, 2 Bde., I: Faks., II: Kommentar, hrsg. v. J. JACQUOT-A. SOURIS (P 1958, 1966); dass., Faks.-Ausg. (NY 1966) (= MMMLF H/17). Lit.: J. JACQUOT, Le „Musick's Monument" de T. M. et l'évolution du goilt musical en Angleterre, in: RMie 34 (1952); E. D. MACKERNESS, T. M. and the Fact of Reasonableness, in: Monthly Musical Record 85 (1955); J. JACQUOT, T. M. et la vie musicale de son temps, in: FS E. H. Meyer (L 1973).
MACFARREN. — 1) Sir George Alexander, * 2.3. 1813 London, t 31.10.1887 ebd.; engl. Komponist und Musiktheoretiker. Er war Schüler von Charles Lucas an der Royal Academy of Music in London, an der er seit 1834 lehrte. 1875 wurde er als Nachfolger von W. St. Bennett Professor an der Universität Cambridge und 1876 Direktor der Royal Academy of Music. Daneben war er als Herausgeber für die Handel Society und die Musical Antiquarian Society tätig. 1883 wurde er geadelt. M. gehörte zu den wichtigsten englischen Komponisten seiner Epoche. Seine Frau, die Sängerin Clara Natalia M., * 1828 Lübeck, t 9.4.1916 Bakewell (Derbyshire), machte sich als Übersetzerin dt. Opern und Lieder ins Englische einen Namen. WW: 1) Kompoattlioaea: Klv.-Sonaten; Kammermusik; 9 Symphonien; V.-Konzert; Ouvertüren, u. a. Chevy Chase (1836). Kantaten: The Sleeper Awakened (1851); May Day (1856); Christmas (1859); The Lady of the Lake (1877); Oratorien: St.
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Machabey John the Baptist (1873); The Resurrection (1876); Joseph (1878); King David (1883). - Opern: The Devil's Opera, UA: London 1838; An Adventure of Don Quixote, UA: ebd. 1846; King Charles II., UA: ebd. 1849; Robin Hood, UA: ebd. 1860; Jessy Lea, UA: ebd. 1863; Helvellyn, UA: ebd. 1864. - 2) Schritten: The Rudiments of Harmony (Lo 1860, '3 1886); Six Lectures on Harmony (Lo 1867, 3 1882); Counterpoint (C 1879, 2 1887).
2) Walter Cecil, Bruder von 1), * 28.8.1826 London, t 2.9.1905 ebd.; engl. Pianist und Komponist. Er war Schüler seines Bruders und von C. Potter, 1846-1903 Klavierlehrer an der Royal Academy of Music, deren Konzerte er 1873-80 dirigierte. Lit.: H. C. BANISTER, G. A. M. (Lo 1891).
MACHABEY, Armand, * 7.5.1886 Pont-deRoide (Doubs), t 31. 8.1966 Paris; frz. Musikforscher. Er studierte in Paris bei V. d'Indy und an der Sorbonne Musikwissenschaft bei A. Pirro und promovierte 1928 mit der Dissertation Essai sur l'histoire et l'évolution des formules musicales au Moyen Âge (P 1928, Neufassung als Genèse de la tonalité musicale classique, P 1955) zum Docteurès-lettres. Er publizierte zahlreiche grundlegende musikwissenschaftliche Arbeiten und war Mitherausgeber des Larousse de la musique. Schriften: Le théâtre musical en France (P 1933); M. Ravel (P 1947); Traité de la critique musicale (P 1947); La notation musicale (P 1952, 31971); G. de Machault, 2 Bde. (P 1954); Notations musicales non modales (P 1957, erweitert 31959); 1 -Ph. Rameau et le tempérament égal, in: RM (1965) Nr. 260.
MACHAUT (Machault), Guillaume de (auch Guglielmus de Mascaudio), *zwischen 1300 und 1305 in der Champagne, t April 1377 Reims; frz. Dichter und Komponist. Er war 1323-46 Sekretär des Königs von Böhmen, Johann von Luxemburg, in dessen Gefolge er quer durch Europa reiste, u. a. nach Prag, Luxemburg, Paris, Schlesien, Litauen, Thorn, Königsberg, Polen, Ungarn und Österreich. 1337 erhielt er ein Kanonikat in Reims und wurde 1340 dort seBhaft. Wichtigste Ereignisse der nun folgenden Jahre, in denen der größte Teil seines rasch bekannt werdenden Werkes entstand, waren 1348/49 der Einbruch der Pest, 1358/59 die Belagerung von Reims und 1362-65 sein Liebesverhältnis mit Péronne d'Armentière. Seine letzten Lebensjahre scheint M. damit verbracht zu haben, im Auftrag seiner Dienstherren die Niederschrift seiner Werke in prachtvolle Sammel-Hss. zu überwachen. In diesen bilden die Lais die Abteilung I, die ."Motetten die Abteilung II und die Refrainformen /Ballade, /Rondeau und /Virelai die Abteilung III. M. schuf auch ein umfangreiches, ausschließlich literarisches Werk, darunter eine Chronik, mehrere Dichtungen in Dialog- und Spruchform, unvertonte Balladen und Rondeaux, das an Bedeutung jedoch weit hinter seinem insgesamt 143 (bzw. 144) Kompositionen umfassenden (Euvre zurücksteht. 180
WW (Hauptquellen sind die Has. Paris, BN, f. fr. 1584, 22545, 22546, 9221; diese überliefern die Werke in der Notationsweise, die die frz. Ars nova kennzeichnet): 1 Messe für 4 St.; 23 Motetten für 3 u. 4 St.; 1 Doppel-Hoquetus für 3 St.; 42 Balladen für 1-4 St.; 22 Rondeaux für 2-4 St.; 33 Virelais für 1-3 St.; 19 Lais für 1-3 St.; 1 Complainte für 1 St. sowie 1 Chanson Royale für 1 St. Von diesen Werken entstammen 7 Kompositionen (2 3st. Balladen, 1 3st. Rondeau, 1 1st. Virelai, 1 lst. Lai, die Complainte und die Chanson Royale) der Dichtung Remčde de Fortune, in der M. offenbar das Bedürfnis hatte, Musterbeispiele der charakteristischen musikalischen Formen seiner Zeit zu geben. - Die Chronologie der Werke ist noch immer unsicher. Es könnten die Messe vor 1364, vielleicht schon Ende 1340, die Ist. Lais und Virelais um oder nach 1349, die Balladen zwischen 1325 und 1350 (A. Swartz), die frz. Motetten um oder nach 1356, Le Remède de Fortune vor 1357, die 3st. und 4st. Virelais und die lat. Motetten um oder nach 1365 entstanden sein.
M. gilt neben Fr. Landino als die überragende Musikerpersönlichkeit des 14. Jahrhunderts. Er vertrat einerseits die konservativ-archaisierende, noch dem 13. Jh. verpflichtete Schreibweise, war aber andererseits entscheidend an der Ausprägung eines neuen Musikstils beteiligt, der noch für das 15. Jh. verbindlich blieb. Zur konservativen Stilrichtung gehören die einstimmigen Lais und Virelais, die Messe und der Hoquetus, zur modernen die Motetten, Balladen, Rondeaux sowie die mehrstimmigen Lais und Virelais. In diesen verwendet M. die Neuerungen von ?Mensur und Rhythmus, die die Theoretiker der Ars nova, Ph. de Vitry und J. de Muris, propagiert hatten, nämlich die verschiedenen Kombinationen von zwei- und dreizeitiger Mensur in /Modus, ?Tempus und řProlatio, den Zweierneben dem herkömmlichen Dreierrhythmus, die Teilwerte /Minima und řSemiminima, die /Synkope als rhythmische Belebung einzelner Stimmen und die "Isorhythmie. M.s Bedeutung liegt vor allem darin, daß er den in Frankreich zur Zeit der Ars nova entstandenen /Kantilenensatz in den Refrainformen Ballade, Rondeau und Virelai voll ausgeprägt hat. Besonderes Interesse verdienen jene 5 3st. Kompositionen, in denen M. als 3. Stimme je ein Triplum und einen Contratenor als fakultative Alternativen komponiert hat: die 4 Balladen De petit po, de nient volente; De toutes flours; En amer a douce vie und Dame de qui toute ma joie vient und das Rondeau Se vous m 'estés. Diese sowie jene 2 Balladen, in denen M. den Stimmenverband nachträglich erweitert hat (De Fortune me doy pleindre, von 3 auf 4 St., Tres douce dame que j'aour, von 2 auf 3 St.), geben einen tiefen Einblick in die Entwicklung des Kantilenensatzes. M. hat die Ballade vor Rondeau und Virelai bevorzugt. Seine vertonten Balladen stellen die erste Blütezeit der mehrstimmigen Ballade dar und beeinflussen die Ballade des 15. Jh. in entscheidendem Maße. Für alle von M. mehrstimmig vertonten Refrainformen sind eine reich mit Melismen verzierte Oberstimme und eine
Macht des Schicksals meistens instrumental wirkende Fundamentstimme charakteristisch. In M.s Motetten sind Tempus und Prolatio, Zweier- und Dreierrhythmus geschickt miteinander kombiniert; hinzu tritt eine ausgefeilte reife Verwendung der Isorhythmie. Der Hoquetus über den Tenor David weist als ein spätes Beispiel dieser Gattung weit in das 13. Jh. zurück und stellt, kunstvoll nach Motettenart komponiert, einen verspäteten Höhepunkt dieser Gattung dar. M.s Messe de Nostre Dame ist eine der frühesten polyphonen Vertonungen des 7Ordinarium missae. Als ihr Vorbild kann die 3st. sogenannte Messe von Tournai gelten, die M. gekannt haben dürfte. Beide Messen sind formal von der Motette und dem OEConductus abhängig. Wie die Sätze Kyrie, Sanctus und Agnus der Messe von Tournai weisen die strophisch geformten (O. Gombosi) Sätze Gloria und Credo von M.s Messe den charakteristischen Note-gegen-Note-Stil des Conductus auf, während Kyrie, Sanctus, Agnus und Ite missa est vom Prinzip der Isorhythmie beherrscht werden; ferner finden sich Zweierrhythmus und Prolatio, Techniken, die in der Messe von Tournai noch nicht vorkommen. In seinen einstimmigen Kompositionen, d. h. in den meisten seiner Lais und Virelais, schöpfte M. aus dem einstimmigen Repertoire des 13. Jahrhunderts. In die Zukunft weist in diesen Gesängen, daß er mit eben diesem einstimmigen Material auch polyphon experimentiert. So weisen der Lay de la fonteinne und der Lay de confort einen 3st. Kanon im Unisonus auf, während der Lay de consolation einen perfekten 2st. Kontrapunkt Note-gegenNote (Hoppin), der Lai En demantant et lamentant einen 3st. Kontrapunkt darstellen. Zweifellos bilden die polyphonen Vertonungen des Virelai einen Versuch M.s, seine Erfahrungen mit den polyphonen Formen Rondeau und Ballade auf das Virelai zu übertragen. M. verbindet in vollendeter Weise die Klangfolge des Satzes, dessen isorhythmisches Schema und den tonalen und rhythmischen Aufbau des Tenors mit einer melodisch reichhaltigen Oberstimme, Text und Musik verknüpft er zu einer besonders engen Einheit. Er war schon zu Lebzeiten und nach seinem Tod bis weit in das 15. Jh. hinein über die Landesgrenzen hinaus berühmt. Auf Grund seines umfangreichen einstimmigen Liedrepertoires kann er als ein später Trouvère betrachtet werden. Als Komponist einer polyphonen Messe, als Meister der Motette und vor allem des Kantilenensatzes aber hat er zukunftsweisend gewirkt. Ausg.: (Euvres de G. de M., hrsg. v. E. HOEPPFNER, 3 Bde. (P 1908-21) (Textausg.); Musikal. Werke, hrsg. v. F. LUDWIG (L 1926-29) (= PäM I/1, Il/1, IV/2), dazu Bd. IV aus dem Nachlaß F. Ludwigs hrsg. v. H. BESSELER (L 1943), Nachdr. I—IV (L 1954); L. SCHRADE, The Works of G. de M., 2 Bde. (Monaco
1956-57) (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century, 2-3); Faks. der Messe, hrsg. v. F. GENNRICH, (Da 1957) (= Summa musicae medii aevi, Bd. I). Lit.: O. GOMBOSI, M.s Messe Notre-Dame, in: MQ 36 (1950); G. REANEY, A Chronology of the Ballades, Rondeaux and Virelais Set to Music by G. de M., in: MD 6 (1952); A. MACHABEY, G. de M., sa vie et son muvre musicale, 2 Bde. (P 1955); G. REICHERT, Das Verhältnis zw. musikal. u. textlicher Struktur in den Motetten M.s, in: AfMw 13 (1956); U. GUNTHER, Der musikal. Stilwandel der frz. Liedkunst in der zweiten Hälfte des 14. Jh. (Dias. H 1957), Teildruck als: Zehn datierbare Kompositionen der ars nova (H 1959) (= Schriftenreihe des Musikwiss. Inst. der Univ. Hamburg 2); A. MACHABEY, M., in: MGG VIII; G. REANEY, The Development of the Rondeau, Virelai and Ballade Forms ..., in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); U. GUNTHER, Chronologie u. Stil der Kompositionen G. de M.s, in: AMI 35 (1963); H. H. EGGEBRECHT, M.s Motette Nr. 9, in: AfMw 19/20 (1962/63) u. 25 (1968), Wiederabdrucke in: Sinn u. Gestalt (Wilhelmshaven 1979); G. REANEY, Towards a Chronology of M.'s Musical Works, in: MD 21 (1967); W. DOMLING, Zur Überlieferung der musikal. Werke G. de M.s, in: Mf 22 (1969); DERS., Die mehrst. Balladen, Rondeaux u. Virelais von G. de M. (Tutzing 1970) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 16); G. REANEY, G. de M. (Lo 1971) (= Oxford Studies of Composers 9); H. KUHN, Die Harmonik der ars nova. Zur Theorie der isorhythmischen Motette (Mn 1973) (= Berliner musikwiss. Arbeiten 5); A. SWARTZ, A New Chronology of the Ballades of M., in: AMI 46 (1974); R. A. PELINSKI, Zusammenklang u. Aufbau in den Motetten Ms, in: Mf 28 (1975); E. MULDER, Einige Bemerkungen zu M.s „Lai de l'Ymage", in: Mf 32 (1979); J. HIRSHBERG, Hexachordal and Modal Structures in M.'s Polyphonic Chansons, in: Studies in Musicology. FS O. E. Albrecht (Kas 1980). B. R. SUCHLA
MACHT DES SCHICKSALS, DIE (La forza del destino), Oper in 4 Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901), Text von Francesco Maria Piave nach dem span. Schauspiel Don Alvaro, o la fuerza del sino von Angelo Pérez di Saavedra, Herzog von Rivas. Ort u. Zeit der Handlung: Spanien u. Italien, um die Mitte des 18. Jahrhunderts. UA der Erstfassung: 10. 11.1862 in St. Petersburg (Kaiser!. Oper); UA der Zweitfassung (Text: Antonio Ghislanzoni): 20.2.1869 in Mailand (Teatro alla Scala); dt. EA (in dt. Sprache): 12.10.1878 in Berlin (Krolloper). Die tragische Liebe zwischen dem Mestizen Don Alvaro und der Spanierin Donna Leonora bildet den Mittelpunkt der Handlung. Die aufgetürmten Schauerlichkeiten, die zum Tod aller am Konflikt Beteiligten führen — Alvaro stürzt sich, Gott und der Menschheit fluchend, von einem Felsen —, riefen bei der Premiere einen zwiespältigen Eindruck hervor. Verdi ließ das Buch durch Ghislanzoni umarbeiten, der vor allem den nihilistischen Schluß auflichtete. Alvaro, durch den sinnlosen Tod der Geschwister Leonora und Carlos geläutert, fristet nun in Demut sein Leben. — Verdi schrieb für diese 2. Fassung eine neue Ouvertüre, die sich als einzige von Verdis Ouvertüren zum Konzertstück verselbständigte, nahm Umstellungen vor und fügte das SchluBterzett mit dem verklingenden SchluB hinzu. 181
Mackeben Die besten seiner musikalischen Einfälle schenkte Verdi der Partie der Leonora. Das Durchflechten der Musik mit Erinnerungsmotiven sowie die Verklammerung rezitativischer und arioser Abschnitte verdeutlichen Verdis Streben nach einer psychologisch vertieften Ausdruckssprache seiner Musik. Farbige Kontraste (Zigeuner-Milieu, Klosterszene, Soldaten-Tableau) und pittoreske Balletteinlagen knüpfen aber unverkennbar an plakative Gestaltungselemente der französischen Grand Opéra an. H. BECKER
MACKEBEN, Theo, * 5.1.1897 Stargard, Ť 10.1. 1953 Berlin; dt. Komponist. Nach seiner Ausbildung in Koblenz, Köln und Warschau war M. in Berlin als Pianist, später als Kapellmeister — zuletzt am Metropoltheater — tätig. Im Theater am Schiffbauerdamm dirigierte er 1928 die Uraufführung der Dreigroschenoper (von B. Brecht / K. Weill). Er schrieb Schauspielmusiken für Berliner Bühnen und bearbeitete K. Millöckers Operette Gräfin Dubarry, die er 1931 unter dem Titel Die Dubarrymit großem Erfolg herausbrachte. Seit den 1930er Jahren gehörte er außerdem zu den bedeutendsten Tonfilmkomponisten. Viele seiner Filmmelodien wurden Evergreens, darunter So oder so ist das Leben, Bel Ami, Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, Komm auf die Schaukel, Luise und sein wohl bekanntestes Lied Bei dir war es immer so schön. WW: Operetten: Lady Fanny (1934); Anita und der Teufel (1938); Der goldene Käfig (1943); Die Versuchung der Antonia (1950). - Zahlr. Filmmusik, u.a. zu: Der Tanz auf dem Vulkan (1938); Heimat (1938); Es war eine rauschende Ballnacht (1939); Bel ami (1939); Ohm Krüger (1941).
MACKENZIE, Sir Alexander Campbell, * 22.8. 1847 Edinburgh, t 28. 4.1935 London; schotti-
scher Komponist. Nach erstem Musikunterricht bei seinem Vater, Alexander M. (1819-57), Dirigent am Edinburgher Royal Theatre, ging er 1857 nach Deutschland, wo er in Sondershausen bis 1862 Schüler von Eduard Stein (Theorie) war. AnschlieBend studierte er Harmonielehre und Kontrapunkt bei Charles Lucas an der Royal Academy of Music in London und war seit 1865 Musiklehrer in Edinburgh. 1888-1924 war er Direktor der Royal Academy of Music und dirigierte 1892-99 die Philharmonic Society. 1908-12 war er Präsident der Internationalen Musikgesellschaft. 1895 erhob ihn Königin Victoria in den Adelsstand. Mehrere englische Universitäten verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. WW: 1) Instr.-WW: Klv.- u. V.-Stücke; Streichquartett (1875). Für Orch.: 3 schottische Rhapsodien (1880,1881,1911); La belle Dame sans merci (1883); London Day by Day (1902); Canadian Rhapsody (1905); 6 Ouvertüren; Klv.-Konzert (1897); V.-Kon-
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zert (1885); Suite Pibrock (1889) f iir V. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Kantaten: The Bride (1881); Jason (1882); The Story of Sayid (1886); A Jubilee Ode (1887); The New Covenant (1888); The Cottar's Saturday Night (1888); The Dream of Juba] (1889); Veni
Creator Spiritus (1891); The Witches' Daughter (1904); The Sun-God's Return (1910); Oratorien The Rose of Sharon (1884, revidiert 1910) u. Bethlehem (1894). - 3) Bähnea-WW: Opern: Colomba, UA: London 1883; The Troubadour, UA: ebd. 1886; His Majesty, UA: ebd. 1897; The Cricket on the Hearth, UA: ebd. 1914; The Knights of the Road, UA: ebd. 1905; The Eve of St John, UA: Liverpool 1924. Lit.: J. P. BAKER, A. M., in: MQ 13 (1927); J. SPENCER, M., in: Grove• XI.
MACMILLAN, Kenneth, * 11.12.1929 Dunfermline (Schottland); schottischer Tänzer und Choreograph. Er studierte an der Sadler's Wells School in London, war seit 1946 Mitglied des Sadler's Wells Theatre Ballet, 1952-66 Tänzer und Choreograph des Royal Ballet und 1966-69 Ballettdirektor an der Deutschen Oper in Berlin. 1963 choreographierte er zum erstenmal in Stuttgart (Las hermanas; Fr. Martin, Cembalokonzert). Seit 1970 ist er Direktor des Royal Ballet in London, arbeitet aber daneben auch für andere Ballettkompanien (American Ballet Theatre, Königlich Dänisches Ballett, Königlich Schwedisches Ballett) und für Film und Fernsehen (Turned out proud, 1955). WW (Choreographien): I. Strawinsky, Danses concertantes, UA: London 1955; F. Mompou, House of Birds, UA: ebd. 1955; F. Martin, The Burrow, UA: London 1958; M. Seiber, The Invitation, UA: ebd. 1960; I. Strawinsky, The Rite of Spring, UA: ebd. 1962; G. Mahler, Lied von der Erde, UA: Stuttgart 1965; S. Prokofjew, Romeo and Juliet, UA: London 1965; Dm. Schostakowitsch, Concerto (Klv.-Konzert op. 10), UA: Berlin 1966; I. Strawinsky, Olympiade, UA: ebd. 1968. Lit.: J. LAWSON, A History of Ballet and its Makers (Lo 1964); P. BRINSON - C. CRISP, Ballet for All (Lo 1970).
MAÇON, LE, Oper von D. F. E. Auber; dt. Titel: 7Maurer und Schlosser.
MACONCHY, Elizabeth, * 19.3.1907 Broxbourne (Hertfordshire); engl. Komponistin irischer Herkunft. Sie studierte in Dublin und 1923-29 bei R. Vaughan Williams am Royal College of Music in London. Zur weiteren Ausbildung ging sie anschließend nach Prag, wo sie 1930 ihr 1. Klavierkonzert zur Aufführung brachte, nach Wien und Paris. Zunächst von Vaughan Williams beeinflußt, entwickelte sie seit den 30er Jahren einen individuellen Stil. Charakteristisch sind die durchweg kontrapunktisch gearbeiteten Streichquartette. WW: 1) Instr.-WW: The Yaffle and Mill Race (1962) für Klv.; Sonatine (1965) u. Notebook (1966) für Cemb.; 6 Stücke für V. solo (1966); 10 Streichquartette (1932-72); Sonatine für Streichquartett (1963); Quintett für Klar. u. Str. (1963); 3 Bagatellen für Ob. u. Harfe (1972). - Für Orch.: Serenata concertante (1962) für V. u. Orch.; Variazioni concertants (1965) für Ob., Klar., Fag., Horn u. Str.; Essex Overture (1966); 3 Cloudscapes (1968). 2) Vokal-WW: The Armado (1962) für Chor u. Klv.; Samson and
Madame Pompadour the Gates (1963) für Chor u. Orch.; Kantate Christmas Morning (1963) für Sopran, Frauen- (oder Knaben-) Stimmen u. Klv. (oder kleines Blasorch.); The Starlight Night and Peace (1964) für Sopran u. Kammerorch.; Nocturnal (1965), Propheta mendax (1965) u. Maiden This Day (1966) für gem. Chor; Ariadne (1971) für Sopran u. Orch. - 3) Biihsea-WW: Opern: The Sofa, UA: London 1959; The Departure, UA: ebd. 1962; The Three Strangers, UA: Bishop's Stortford/Hertfort 1968; The Birds, UA: London 1968; The Jesse Free, UA: Dorchester 1970.
MACQUE, Jean de (Giovanni), * um 1550 Valenciennes, t September 1614 Neapel; franko-flämischer Komponist. Er war 1563 Sänger der Hofkapelle in Wien und ging dann vermutlich nach Italien, wo er nach eigener Bezeugung Schüler von Ph. de Monte war. Um 1568 ist er als Organist an S. Luigi dei Francesi in Rom nachweisbar. Eine einflußreiche Rolle spielte er dort in der von Luca Marenzio geleiteten „Virtuosa Compagnia dei Musicisti", der u. a. auch G. P. da Palestrina, G. M. Nanino, F.Soriano und F. Anerio angehörten. Um 1586 trat er in Neapel in den Dienst des Fürsten Fabrizio Gesualdo di Venosa, des Vaters des Komponisten C. Gesualdo, wurde 1590 2. Organist an SS. Annunziata, 1594 Organist und 1599 Kapellmeister der Real Cappella. Zu seinen Schülern gehörten G. M. Trabaci, A. Falconieri und L. Rossi. M. war einer der letzten bedeutenden niederländischen Komponisten, die in Italien heimisch wurden. Besonderes Interesse verdienen weniger seine zahlreichen Madrigale als seine Orgelwerke mit reicher Verwendung von Dissonanzen und Chromatik. WW: 3 Bücher Madrigale für 4 St. (V 1596, Neapel 1610); 6 Bücher Madrigale für 5 St. (V 1579, V 1587, Ferrara 1597, Neapel 1599, V 1613); 2 Bücher Madrigale für 6 St. (V 1576, 1589); 3 Bucher Madrigaletti e Napoletane (V 1581, 1582, An 1600); Madrigale ferner in zahlr. Sammeldrucken (1574-1623); Motetten für 5-8 St. (R 1596); Orgelwerke (Toccaten u. a.) hsl. Ausg.: Sämtliche Orgelstücke, in: Ch. Guillet, G. (de) M., Ch. Luyton, Werken voor Orgel ..., hrsg. v. J. WATELET (1938/68) (= MMBeIg 4) (mit Biogr. u. Werkverz.). Lit.: U. PROTA GIURLEO, Notizie sul musicista belga J. M., in: Kgr.-Ber. Lüttich 1930; A. EINSTEIN, The Italian Madrigal 2 (Princeton/N. J. 1949, Nachdr. 1970, dt. Z 1952); S. CLERCx, J. de M. et l'évolution du madrigalisme à la fin du XVI` sičcle, in: FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1957); W. R. SHINDLE, The Madrigals of G. de M., 4 Bde. (1970) (= Diss. Indiana Univ.); L. B. ANDERSEN, G. de M. de Valenciennes et l'évolution de la musique polyphonique à Naples à la fin du XVI` sičcle (Diss. Lüttich 1970); C. SARTORI, Madrigali del Passerini e ricercari di G. de M. e Gesualdo, in: FS G. M. Gatti (Bol 1973); F. LIPPMANN, G. de M. ... Nuovi documenti, in: RIMus 13 (1978).
MADAME BOVARY, Oper in einem Prolog und 2 Akten von Heinrich Sutermeister (* 1910), Text vom Komponisten frei nach Gustave Flaubert und zeitgenössischen Dokumenten. Ort und Zeit der Handlung: Rouen und Umgebung, 1847. UA: 25. 6. 1967 in Zürich (Opernhaus). Die Vorwegnahme des tragischen Ausgangs im Prolog ermöglicht eine kommentierende Darstel-
lung des Geschehens mit psychologischer Begründung: Dem Willen ihres Vaters folgend, heiratet Maria den Arzt Bovary, bei dem sie aber keinerlei Geborgenheit findet; sie flüchtet sich in Gespräche voller Todessehnsucht mit drei Traumgestalten, ihren „Schwestern im Leide". Maria, „von mehr geistiger als körperlicher Sinnlichkeit", zerbricht schließlich auf der Suche nach einem gleichgestimmten Partner am unüberwindlichen Gegensatz ihrer Traumwelt zur realen Welt. Sutermeister benutzt in dieser Oper eine effektvolle konventionelle Musiksprache mit zahlreichen Anleihen bei G. Puccini und C. Orff (dem Widmungsträger der Partitur). Besonders wirkungsvoll gelang die Musik zur 4. Szene La Fete des Comices mit dem Auftritt einer Feuerwehrkapelle. K. LANGROCK MADAME BUTTERFLY, Tragedia Giapponese (= Japanische Tragödie) in 3 Aufzügen von Giacomo Puccini (1858-1924), Text von Giuseppe Giocosa und Luigi Illica nach der gleichnamigen Tragödie (1900) von David Belasco, die ihrerseits auf einer Novelle (1898) von John Luther Long beruht. Ort und Zeit der Handlung: Nagasaki, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. UA der zweiaktigen Erstfassung: 17.2. 1904 in Mailand; UA der dreiaktigen Neufassung: 28.5.1904 in Brescia (Teatro Grande); dt. EA (in dt. Sprache): 27.9. 1907 in Berlin (Deutsche Oper). Besonders die thematische Erfindung beeinflussend, ist fernöstliches Kolorit wesentliches Indiz sensibler Einfühlung in den Lebensraum der Titelheldin, einer japanischen Geisha, die an ihrer naiv-hingebungsvollen Liebe zu einem amerikanischen Marineoffizier zerbricht. Fein nuancierte Darstellung von Gefühlsschwankungen und prägnante Schilderung von Situationsstimmungen sind wesentliche Qualitäten der musikdramatischen Gestaltung. Ohne Unterbrechung der Entwicklungskontinuität gelang der musikalische Nachvollzug des für den literarischen Realismus des Fin de siècle charakteristischen Dingkults, d. h. der emotionalen Aufladung allein durch die Ästhetisierung von Gegenständen; eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die ausführliche Beschreibung der verschiebbaren Wände eines japanischen Hauses im 2. Akt. Nach Ablehnung der Erstfassung durch das kritische Mailänder Publikum war Puccini gezwungen, sein erklärtes Lieblingswerk umzuarbeiten; die UA der Neufassung wurde dann zu einem über alle Erwartungen triumphalen Erfolg und sicherte Madame Butterfly bis heute ungebrochene PopulariW. A. MAKUS tät. MADAME POMPADOUR, Operette in 3 Akten von Leo Fall (1873-1925), Text von Rudolf Schan183
Madam macht Geschichten zer u. Ernst Welisch. Ort u. Zeit der Handlung: Paris, um die Mitte des 18. Jahrhunderts. UA: 9.9. 1922 in Berlin (Berliner Theater). Verfilmt: 1930. Das Leben am Hof in Versailles unter Ludwig XV. dient als geschichtlicher Hintergrund nur dazu, das Leben im Berlin der 1920er Jahre transparent werden zu lassen. Die Musik stützt in diesem Zeitstück in historischem Gewand lediglich die Charakterisierung des französischen Rokoko und der erotischen Atmosphäre um Madame Pompadour. In der mitreiBenden Walzermelodie Heut könnt einer sein Glück bei mir machen, in den Melodien Josef, ach Josef, Ein intimes Souper, in der Madame-Pompadour-Serenade und zahlreichen anderen Musiknummern erlebt man eine spritzig-elegante Milieuschilderung. Mit Fritzi Massary in der Titelrolle wurde das Werk zu einem triumphalen Erfolg. Auch heute noch gehört Madame Pompadour zu den meistaufgeführten Operetten in der Bundesrepublik Deutschland. B. DELCKER MADAM MACHT GESCHICHTEN (Call Me Madam), amerik. Musical in 2 Akten von Irving Berlin (* 1888), der Musik und Song-Texte schrieb, Buch Howard Lindsay und Russell Crouse. Ort und Zeit der Handlung: der europäische Phantasiestaat Lichtenburg und die USA, zur Zeit der UA. UA: 12.10. 1950 in New York (Imperial Theater). Verfilmt 1953. Die Autoren orientierten sich für die Hauptfigur dieses politisch-satirischen Musicals an der historischen Gestalt von Perle Mesta, die von einer bekannten Persönlichkeit der ,High Society' Washingtons zur Botschafterin von Liechtenstein aufsteigt. Zu den bekanntesten Musiknummern des Werkes, das in Deutschland lediglich in der Filmversion bekannt wurde, gehören The Hostess with the Mostes' on the Ball, Can you use any Money today, The Ocarina und They like Ike, das zum Wahlkampfschlager für Dwight D. Eisenhower wurde. R.-M. SIMON — S. SIMON
MÄDCHEN AUS DEM GOLDENEN WESTEN, DAS (La fanciulla del West), Oper in 3 Akten von Giacomo Puccini (1858-1924), Text von Guelfo Civinini und Carlo Zangarini nach dem Drama The Girl of the Golden West (1905) von David Belasco. Ort und Zeit der Handlung: Goldgräberlager in Kalifornien, zur Zeit des Goldfiebers 1849/50. UA: 10.12. 1910 in New York (Metropolitan Opera),
dt. EA (in dt. Sprache): 28.3. 1913 in Berlin. Die Schankwirtin Minnie verliebt sich in den Banditen Ramerrez, der unter dem falschen Namen Johnson ins Goldgräberlager kommt; zwar weist sie ihn fort, als sie seine wahre Identität erfährt, jedoch siegt letztlich ihr Gefühl über konventionelle Vor184
urteile: Zweimal rettet sie Ramerrez das Leben. Bis an die Grenze der Möglichkeiten spätromantischer Tonsprache ging Puccini bei der Vertonung des Theaterstückes: Freitonale Dissonanzharmonik und leidenschaftlich-vitale, dem bewegten Dialogverlauf angepaßte Rhythmik bestimmen das Klangbild. Personencharakteristik und situationsbedingt spontane Expressivität erhielten den Vorrang vor Lyrismus und Klangschönheit. Die Oper war gezielt auf Interessen und Vorlieben des amerikanischen Publikums zugeschnitten; die UA wurde zum größten Premierentriumph, den Puccini je erlebte; zu sensationellen Schwarzmarktpreisen handelte man die Eintrittskarten. E. Caruso in der Rolle des Ramerrez, A. Toscanini als Dirigent und die Attraktivität der Wildwestatmosphäre — eine Neuheit auf der Opernbühne — trugen wesentlich zum großen, wenngleich lokal und zeitlich begrenzten Erfolg des Werkes bei. W. A. MAKUS MADERNA, Bruno, * 21.4. 1920 Venedig, t 13. 11. 1973 Darmstadt; it. Komponist und Dirigent. M. studierte an den Konservatorien Venedig, Mailand und Rom (Komposition bei A. Bustini) und war anschließend Schüler von G. Fr. Malipiero (Komposition) und H. Scherchen (Dirigieren). Bei den Kranichsteiner Internationalen Ferienkursen für Neue Musik wirkte er 1954-67 als Dozent und als Leiter des Internationalen Kammerensembles Darmstadt. Gemeinsam mit L. Berio gründete er 1955 in Mailand das Studio di Fonologia, das erste elektronische Studio in Europa. In seiner Komposition Musica su due dimensioni I (1958) verband M. erstmals natürliche mit elektronisch erzeugten Klängen. Er trug wesentlich sowohl zur Entwicklung der seriellen Technik (Studi per il „Processo" di Kafka, 1950) als auch zu deren Überwindung (Streichquartett, 1955) bei. Der totalen Rationalisierung von Komposition als einer Art Wissenschaft vom Klang, wie sie damals Stockhausen noch vorschwebte, begegnete er mit Skepsis und hielt in der Verbindung von konstruktiver Dichte und Kantabilität am expressiven Charakter von Musik fest. Für die Nachkriegsgeneration italienischer Komponisten war M. als Vermittler der Dodekaphonie und der seriellen Technik von überragender Bedeutung. Als Gastdirigent europäischer und amerikanischer Orchester setzte sich M. besonders für die Neue Musik ein. WW: 1) Instr.-WW: Widmung (1967) u. Piece for Ivry (1971) für V.solo; Solo (1971) für einen Oboisten; Viola (1971) für Va. solo. — Musica su due dimensioni (1952) für Fl., Schlagzeug u. Tonband sowie ... 1958 [I] (1958) für Fl. u. Tonband; Streichquartett (1955); Serenata I (1954) und II (1957) für 11 Instr.; Honey rëves (1961) für El. u. Klv. ; Ob. -Konzert I (1962) mit Kammerensemble; Autodia per Lothar (1965) für Ob. d'amore u. Gitarre ad lib.; Amanda (1966) u. Music of Gaity (1970) für
Madrigal Kammerorch.; Serenata per un satellite (1969) für 7 Instr.; Juilliard Serenade (1971) für Kammerorch. u. Tonband; Giardino rel,'gioso (1972) für Kammerensemble. - Für Orch.: Stele per Diotima (1965); Quadrivium (1969); Aura (1971); Biogramma (1972). - Serenata IV (1961) für 20 Instr. u. Tonband; Musica su due dimensioni 111(1963) für Fl. u. Orch. u. IV (1965 ) (= III u. Stele per Diotima); Grande Aulodia (1970) für Fl., Ob. u. Orch.; Konzerte für: KIv. (1959); Ob. II u. III (1967, 1973); V. (1969). - Elektronische Musik: Sequenze e strutture (1954); Continuo (1957); Musica su due dimensioni II (1960); Serenata III (1961); Le rire (1962); Tempo libero I (1971) u. II (= I u. Juilliard Serenade). - 2) Vokal-WW: Tre liriche greche (1948) für Sopran, Chor u. Instr.; Studi per il „Processo" di Kafka (1950) für Sprecher, Sopran u. Orch.; Aria da „Hyperion" (1964) für Sopran, Fl. u. Orch.; Ausstrahlung (1971) für Sopran, Ob., Chor, Orch. u. Tonband; Bothwell -Journal (1972) für Tenor, Instr. u. Tonband; „invenzione radiofonica" Ages (1972) (nach Shakespeare) für St., Chor, Orch. u. Tonband. 3) Bähneo-WW: Bühnenmusik Von A bis Z, UA: Darmstadt 1970; Oper Satyricon (nach Petronius), UA: Scheveningen 1973; Funkoper Don Perlimplin (nach F. García Lorca), UA: RAI 1962; Lirica in forma di spettacolo Hyperion I (= Dimensioni III u. Aria da „Hyperion"), UA• Venedig 1964; Hörspiel Ritratto di Erasmo (1969/70) für Sprecher, Chor u. Orch. Lit.: G. MANZONI, B. M., in: Junge Komponisten (W 1958) (= die reihe 4); L. PINZAUTI, Orfeo e Hyperion, in: Rinascita 25 (1968); DERS., A colloquio con B. M., in: NRMI 6 (1972); M. MILA, M. musicista europeo (Tn 1976) (mit WWVerz.); Un inedito di B. M., hrsg. v. L. BERIO, in: ebd. 12 (1978); H. WEBER, Form u. Satztechnik in B. M.s Streichquartett, in: FS Suvini-Zerboni (Mi 1978). H. WEBER
MADETOJA, Leevi Antti, * 17.2. 1887 Oulu (Uleiborg), t 6.10.1947 Helsinki; finnischer Komponist. M. studierte am Musikinstitut in Helsinki bei Armas Järnefelt und J. Sibelius, anschließend bei V. d' Indy in Paris (1910-11), R. Fuchs in Wien (1911-12) und in Berlin. Nach Finnland zurückgekehrt, wirkte er zunächst mehrere Jahre als Dirigent, lehrte dann 1916-39 am Konservatorium in Helsinki und 1926-47 an der dortigen Universität. Außerdem war er 1917-23 Sekretär und 1933 bis 1936 Vorsitzender des von ihm mitgegründeten finnischen Tonkünstlerverbandes. M. gehört neben Sibelius zu den bedeutendsten Vertretern einer spätromantischen national-finnischen Musik. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik; 3 Symphonien (1916, 1918, 1926); Konzertouvertüre (1911); Lustspielouvertüre (1923); Fantasieouvertüre (1930) für Bläser; symphonische Dichtung Kullervo (1913). - Lieder u. Chöre mit Orch., u. a.: Sammon ryöslö (1915) u. Aslak Smaukka (1917). - Opern: Pohjalaisia, UA: Helsinki 1924; Juha, UA: ebd. 1935; ferner ein Ballett u. Bühnenmusik. Lit.: R. -E. HILLILA, The Solo Songs of T. Kuula and L. M. and Their Place in 20th Century Finnish Art Song (1964) (= Diss. Boston Univ.).
MADONIS (Madonnis), Luigi (Lodovico), * vor 1700 Venedig, t nach 1767 St. Petersburg; it. Violinist und Komponist. M. war möglicherweise Schüler von A. Vivaldi und 1725-26 als Konzertmeister Mitglied der Theatertruppe von Peruzzi in Breslau. 1729-31 hielt er sich in Paris auf, wo er mit großem
Erfolg im Concert spirituel auftrat und 1731 seine XII. Sonates à violon seul avec basse veröffent-
lichte. Seit 1733 lebte er — mit Ausnahme der Jahre 1738-40 — als Konzertmeister am russischen Hof in St. Petersburg. Seine dort veröffentlichten 12 „Sinfonien" für Violine und B.c. (1738) gehören zu den frühesten Musikdrucken in Rußland. M. ist auch der erste Komponist, der Elemente der russischen Volksmusik verwendete. Lit.: R. A. MOOSER, Annales de la musique et des musiciens en Russie au XVIIIe siècle (G 1948).
MADRIGAL, Gattung der Vokalmusik in Italien, die im 14. Jh. entstand und im 16. Jh. in anderer
Ausprägung zu neuer Blüte gelangte. Das Madrigal des 14. Jahrhunderts. Es ist die älteste musikalische Gattung der italienischen ."Ars nova und zugleich die älteste mehrstimmige Gattung mit weltlichem Text in der Volkssprache. Etymologisch scheint das Wort M. — in der Frühzeit gibt es gelegentlich auch die Bz. „marigale", „madriale", „madrialle", „mandriale" — von „cantus matricalis" (= muttersprachlicher Gesang) abgeleitet zu sein. Bereits 1313 erstmals als literarische Gattung erwähnt, als „rudium et inordinatum concinium" (Francesco da Barberino), stammen die frühesten vertonten M.e aus den 1330er Jahren (Rom, Bibl. Vat., Codex Rossi, vielleicht zwischen 1332 und 1337 entstanden). Sie haben poetische Texte rustikalen Charakters, weisen aber ein gewisses Raffinement auf. Später überwiegen ernste, amouröse, betrachtende oder heldische Inhalte. Bedeutende M. -Dichter waren Petrarca, Boccaccio, Soldanieri, Sacchetti und der Komponist Fr. Landino. Metrisch besteht das M. aus 2, 3 oder 4 11- oder 7silbigen Terzinen mit freien Reimen; gewöhnlich folgt ein Schluß-Ritornello (Refrain), das aus 2 oder 3 gereimten Versen gebildet wird. Die musikalische Form besteht aus 3 Abschnitten, die den einzelnen Versen der Terzinen entsprechen und gewöhnlich bei jeder Stanze (Strophe) wiederholt werden, und einem davon verschiedenen Abschnitt für den Refrain, der ebenfalls manchmal wiederholt wird. Es gibt auch „durchkomponierte" M.e ohne Wiederholungen von Abschnitten. Der musikalische Satz ist üblicherweise 2stimmig mit stark verzierter Oberstimme und einem (meist vokalen) Tenor, der rhythmische und tonale Stützfunktion hat. Der Vers beginnt und endet in den meisten Fällen mit einem langen Melisma, während sein Mittelteil überwiegend syllabisch deklamiert ist. Die Frage, ob diese Satzweise im Conductus, im Organum oder in der motettischen Clausula des 13. Jh. ihren Ursprung hat, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Hin185
Madrigal sichtlich der Aufführungspraxis der M.e kann man annehmen, daß Instrumente zu den Singstimmen hinzugezogen werden konnten. Zu den ersten bekannten M.-Komponisten zählen vor allem Johannes de Florentia und Jacopo da Bologna: der eine mehr linear komponierend, der andere satztechnisch differenzierter und unter Einbeziehung der Dreistimmigkeit auch kontrapunktisch reicher. Namentlich bei Magister Piero läßt sich dann die allmähliche Umformung des M. in die 2'Caccia beobachten. Die Bauweise des M., zunächst weithin unverändert, lockerte sich im Laufe des Trecento nach und nach, auch um den Ausdrucksmöglichkeiten neuer erregt-deskriptiver Texte gerecht zu werden. Gleichwohl überlebte auch das M. in seiner ursprünglichen Art und behielt seinen Charakter als feierliche Gelegenheitskomposition. Daneben wurde im Bereich der musikalischen Liebeslyrik, bei Gherardello, Lorenzo, Donato und vor allem bei Landino, das M. von der /Ballata verdrängt. Einen Sonderfall in dieser Zeit bilden einige 3st. M.e von Jacopo da Bologna und Landino, mit unterschiedlichen Texten in den einzelnen Stimmen. Das Madrigal seit 1500: 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zu Beginn des 15. Jh. existierte das Ars nova-Madrigal nicht mehr. Vielleicht wurde es wieder zu jenem „rudium et inordinatum concinium", wie es bereits Fr. da Barberino beschrieben hatte, und fand seinen Platz in der improvisatorischen und volkstümlichen Musikpraxis, während der gelehrte niederländische Einfluß in der italienischen Kunstmusik zunahm. Am Ende des 15. Jh. beginnt jedoch ein neues Kunstverständnis die weltliche Musik zu bestimmen, einerseits hinsichtlich volkstümlichen Repertoires; andererseits entstehen nun völlig neue Gattungen: die řCanti carnascialeschi, die /VilIota (die in einigen Zügen an das Trecento-M. erinnert), das /Quodlibet in seiner italienischen Ausprägung, die Oda, der /Strambotto, das /Sonett, die /Kanzone, der Capitolo, vor allem aber die řFrottola, für die die Drucke von O. Petrucci (1504-14) und einige weitere kleinere Sammlungen (1510-33) eine hohe Blüte markieren. Indessen zeigt sich bereits seit etwa 1510, unter dem unmittelbaren Einfluß des Schriftstellers Pietro Bembo (Asolani, 1505) und angeregt durch das Mäzenatentum und das Kunstverständnis der Markgräfin Isabella von Mantua, im Bereich der Frottola ein neuer literarischer Geschmack, der auf der Entdeckung und Nachahmung Petrarcas beruht. Dadurch kommt es auch zu neuen musikalischen Dimensionen. Das zunehmende Eindringen literarisch anspruchsvollerer Texte (vor allem Sonette und Kanzonenstrophen), verbunden mit einer 186
stärker ausdeutenden Musik, kündigt bereits den Übergang zu einer neuen Form an, was sich mit großer Deutlichkeit bei B. Pisano (Musica sopra le canzone di Petrarca, 1520) und in ähnlichen Kompositionen der Hs. Q. 21 des Liceo Musicale in Bologna abzeichnet. Die musikalische Satzweise dieser Stücke (über Gedichte von Petrarca, Bembo u. a.) bewahrt zwar in der Homorhythmie und in Einzelheiten der Stimmführung Elemente des Frottolenstils; sie befreit sich aber von ihm durch das Aufgeben der Strophenform und des symmetrischen Phrasenbaus zugunsten einer subtileren Verkettung der Abschnitte, eines geschmeidigeren Kontrapunkts und einer kantableren Führung aller Stimmen, die nun nicht mehr an die Vorherrschaft der Oberstimme gebunden ist. Bei alldem handelt es sich um eine Angleichung an charakteristische Elemente des franko-flämischen Motetten- und Chansonstils. Zu den Komponisten solcher Gesänge gehören außer Pisano Sebastiano Festa und Ph. Verdelot. Als literarische Form erscheint das neue M. (vgl. Bembo in den Prose della volgar lingua, 1525) als ein lyrisches Gedicht, entfernt an die Kanzonenstrophe erinnernd, aus 11- und 7silbigen Versen gebildet, die mit absoluter Freiheit gruppiert und gereimt sind. Nachdem der Terminus M. als musikalische Gattung seit 1510 in literarischen Texten bezeugt ist, erscheint er in diesem Sinne als Titel erst in dem Sammeldruck Madrigali de diversi musici, libro primo de la Serena (R 1530 = RISM 15302, unvollständig erhalten). Vertreten sind hier u. a. zwei Komponisten, die als bezeichnend für die Frühzeit des M. gelten können und die später auch durch eigene M.-Sammlungen hervorgetreten sind: Verdelot, der den älteren Frottolenstil (mit Binnenwiederholungen und häufiger Homorhythmie) mit vorausweisenden Zügen (rhythmische Differenziertheit, Tonmalerei) verbindet, und C. Festa, der in der Folgezeit reichen Gebrauch von imitatorischer Satzweise macht und in geradezu realistischer Weise bestimmte Textstellen musikalisch ausdrückt (z. B. große Notenwerte bei dem Wort „adagio", schnelle bei „in fretta"). Solche Entsprechungen wie bestimmte tonmalerische Ausdrucksmomente sind seitdem so typisch für die M.-Komposition, daß sie in der musikhistorischen Literatur auch als „Madrigalismen" bezeichnet werden. Der musikalische Satz ist im Prinzip 4st., seltener 5- bis 6st., bei Festa häufig auch 3stimmig. Einen neuen Impuls erhält das M. von dem Niederländer J. Arcadelt: einerseits durch die Annäherung an die französische Chanson (Deklamation mit Hilfe von Tonrepetitionen, Wiederholung von Abschnitten), andererseits durch die Begründung eines neuen Typus des „zyklischen" M., d. h. einer
Madrigal Folge von Gesängen, denen die verschiedenen Strophen einer Dichtung zugrunde liegen, jeweils mit unterschiedlichem melodischem Charakter und mit unterschiedlicher Stimmenkombination. Arcadelts M.e erfreuten sich bis weit ins 17. Jh. hinein größter Beliebtheit. Den von Festa eingeschlagenen Weg verfolgt Fr. Corteccia. Bei ihm werden die ausdrucksmäßigen Kontraste im Verlauf der M.e noch schärfer. Bei ihm findet sich in Madrigalen mit lebhaftem Inhalt auch eine neue Schreibweise, die sich schon in den Werken von Festa und Arcadelt ankündigt: es ist die Notierung „a note nere" (auch „Notazione cromatica" genannt) im Rahmen des Tempus imperfectum (C) und Tempus imperfectum diminutum (cr). Es werden die als „note nere" („schwarze Noten”) bezeichneten Semiminimen (1 ) nicht mehr wie in der Zeit unmittelbar vorher nur in Melismen verwendet, sondern auch zu syllabischem Textvortrag. Stücke dieser Art, die sich seit etwa 1540 beobachten lassen, erhalten somit eine schnellere Grundbewegung, während M.e mit pathetischem oder feierlichem Inhalt weiterhin die ältere Satzweise mit größeren Notenwerten-aufweisen. 2. Hälfte des 16. und das 17. Jahrhundert. Eine 2. Phase in der Entwicklung des M. beginnt mit dem Schaffen A. Willaerts, namentlich mit dessen Musica nova (1559). Er verbindet niederländische Kontrapunktik mit italienischem akkordlich-harmonischem Denken; seine musikalische Sprache wird sozusagen lockerer, indem sie die Stimmen im Verlauf eines Stückes in verschiedener Weise gruppiert und einen neuartigen „Chiaroscuro"-Effekt erzielt. Bezeichnend für Willaert ist ferner seine Vorliebe für Petrarca; Sonette von ihm bilden fast ausschließlich die textliche Grundlage der Musica nova. Willaert, der auch die leichtere Gattung der Villanella zu neuem künstlerischem Ansehen führte, war schulbildend auch in der Verwendung der /Chromatik im Madrigal. Sie zeigt sich mit expressiver Kraft namentlich bei C. de Rore (M. -Drucke 1542-66). Mit seinem Schaffen erreicht das M. die wohl bedeutendste Wende seiner Geschichte, die in einer neuen Konfiguration des Verhältnisses von Musik und Text im Sinne eines neuen Primats der „Musica" Biber die „Poesia" besteht. Zu Ende ist die Ära des M. voller „Soavità" und Reinheit, voller Wohlklang und naiver und oberflächlicher Madrigalismen; es beginnt eine neue Leidenschaftlichkeit in der Textausdeutung, eher den inneren Gehalt ausdrückend als äußerlich beschreibend. Bei Rore wird die Vierstimmigkeit von der nunmehr klassischen Fünfstimmigkeit abgelöst. Charakteristisch sind für ihn lebhafte kontrapunktische Passagen, das Dialogisieren von Stimmen und
Stimmgruppen (was schon auf den konzertierenden Stil vorausweist), das Alternieren von homorhythmisch deklamierenden und stark pathetischen Abschnitten. Vergleichbar mit Rore in der Verbindung von Gelehrsamkeit und Empfindung und in der Kraft des Ausdrucks von Affekt und Sinn des Textes ist O. di Lasso in seinem M.-Schaffen, das sich von 1555 bis fast an das Ende des 16. Jh. erstreckt. Er pflegt auch die Gattung des „Madrigale spirituale", des M. mit italienischem geistlichem Text, das als dichterischer Ausdruck innerer Schau und religiöser Meditation schon bei Petrarca und seinen Nachfolgern bezeichnende Beispiele aufweist und das nun im Umkreis der Katholischen Reform eine neue Aktualität erhält. Lassos wichtigstes Werk in diesem Bereich und zugleich sein geistliches Testament sind die Lagrime di S. Pietro, die er zwei Monate vor seinem Tod vollendete. Konservativer und weniger expressiv als Lasso ist ein anderer Niederländer, Ph. de Monte (mit mehr als 1000 M.en, auch geistlichen). Das gleiche gilt für Palestrina, in dessen Schaffen das M. freilich nur eine unwesentliche Rolle spielt. Der letzte der in Italien wirkenden niederländischen M. -Komponisten ist G. de Wert. Seine zahlreichen M.e sind von einem neuen, erregten und dramatischen Geist erfüllt. Neu bei ihm ist zudem hinsichtlich der Textauswahl die Abwendung von Petrarca, Sannazaro, Bembo, Ariost und Gesualdo und die Hinwendung zu Tasso und Guarini. Der hohe Rang A. und G. Gabrielis in der Musikgeschichte des 16. Jh. beruht zu einem nicht geringen Teil auch auf ihren M.en: beide schaffen einen prunkvollen M.-Stil durch Vergrößerung der Stimmenzahl bis auf 16, durch Aufteilung in 2 oder mehr Stimmgruppen (řCoro spezzato), durch die Einführung der neuen klanglichen Effekte des /Concerto-Prinzips. A. Gabrieli pflegt in den M.en auch die Form der /Battaglia und bildet den Typus eines leichteren, lebhafteren M. aus, das in seiner Sprache den kleineren weltlichen Gattungen der Renaissance ähnlich ist, der Villanella, Canzonetta, Mascherata, Giustiniana, Moresca, Greghesca, Todesca, dem Balletto. Das heitere Element ist freilich schon in den M.en von A. Striggio voll ausgeprägt, so in den dialogisierenden M.en 11 cicalamento delle donne al bucato und La caccia (1567) sowie in Il Gioco di primiera (1569). In die gleiche Linie gehören später auch der Dialog zwischen Pantalone und Zanni von Lasso (1588), die Mascarate piacevoli et ridicolose (1590) und die Triaca musicale (1595) von G. Croce, ferner Veglie di Siena (1604) und vor allem L'Amfiparnasso (1597) von O. Vecchi. Diese Maskenkomödie in einem Prolog und 3 Akten ist eine Kette 187
Madrigal von 5st. M.en mit dialogisierendem Text, aber ohne klangliche Individualisierung einzelner Personen. In der unmittelbaren Nachfolge Vecchis steht A. Banchieri mit seinen M.-Komödien La pazzia senile (1598), Barca di Venetia per Padova (1605) und Festino nella sera del giovedi grasso (1608). Das M. wurde in dieser Zeit jedoch auch in seiner ernsten Form weitergepflegt. Hervorzuheben ist aus der großen Zahl der Komponisten L. Marenzio (auch mit geistlichen M.en). In seinem M.-Schaffen findet sich die ganze Skala musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten in seltener Ausgeglichenheit. Anders bei C. Gesualdo; er durchbricht, vor allem in den letzten M.-Sammlungen von 1611 und 1626, die klassischen Grenzen madrigalesker Gestaltung, um durch gewagte satztechnische Neuerungen, durch Dissonanzen, überraschende Chromatik, Querstände, kühne Vorhalte und rhythmische und tonale Kontraste eine bislang unerhörte expressive Spannung zu erreichen. Mittlerweile ist das M. in dem Schaffen von Cl. Monteverdi in seine barocke Phase eingetreten. In einzigartiger Kohärenz vollzieht sich bei ihm eine tiefgreifende Entwicklung: von den 4st. M.en a cappella von 1583 (unvollständig erhalten) über das 1. M.-Buch (1587) zum 5. (1605) und 6. Buch (1614), die nun mit Generalball komponiert sind, zum 7. Buch (1619), 1- bis 6stimmig mit Instrumenten, bezeichnenderweise mit dem Titel Concerto, bis zum B. Buch der Madrigali guerrieri et amorosi (1638), die in Satz- und Ausdruckskunst einen Höhepunkt des konzertierenden Stils insgesamt darstellen. Wichtig als Komponist solchermaßen neuartiger M.e in den ersten Dezennien des 17. Jh. ist ferner S. d'India (5 Sammlungen 1609-23). Für die Ausprägung des monodischen M. — bei Monteverdi nur ein Aspekt des Madrigale concertato — ist das Schlüsselwerk G. Caccinis Le nuove Musiche (1601). Das auBeritalienische Madrigal. Das italienische M. war im 16./17. Jh. in allen europäischen Ländern verbreitet; überall erschienen Sammlungen, auch mit landessprachlichen Übersetzungen der Texte. In einigen Ländern entstand in Anlehnung an das italienische Vorbild auch eine eigenständige M.Tradition. In Deutschland komponierten u. a. L. Lechner, J. Meiland, H. Schütz, H. L. Haßler italienische M.e, die beiden letzteren sowie V. Haußmann, J. H. Schein auch deutsche M.e; Schein trat zudem mit konzertierenden M.en hervor. Ähnlich verhält es sich in den Niederlanden (italienische M.e von H. Waelrant, J. P. Sweelinck, C. Schuyt, C. Verdonck) und in Dänemark (italienische M.e von M. Borchgrevinck, Johann Grabbe, Hans Nielsen, M. Pedersen, sämtlich Schüler von G. Ga188
brieli). Auch in Spanien, wo freilich der řVillancico die weltliche Vokalmusik weithin beherrschte, lehnten sich einige Komponisten in Werken mit italienischem oder spanischem Text an den italienischen M.-Stil an (P. A. Vila, Pedro Valenzuela, J. Brudieu, P. und Fr. Guerrero, S. Raval, P. Ruimonte, M. Flecha d. J., J. Vasquez u. a.), einige verschmolzen diesen mit Elementen der nationalen Tradition (Vasquez, Guerrero, M. Flecha d. Ä.). Doch blieb außerhalb von Katalonien der Name M. unbekannt; die entsprechende Bezeichnung war „canción". Das Land, in dem sich eine eigene M.-Entwicklung am deutlichsten zeigte, ist England. Die Komponisten bevorzugten hier Stücke leichteren Genres mit lyrischer Kantabilität, einfacher diatonischer Melodik ohne exzessive und ausdrucksstarke Sprünge. Solche M.e komponierten W. Byrd, G. Farnaby, J. Benet. Sehr beliebt waren in England auch die mit dem M. verwandten Gattungen der Canzonetta und des Balletto, denen vor allem Th. Morley und Th. Weelkes gleichsam ein neues englisches Gewand schufen. Weelkes unterscheidet sich — ähnlich wie J. Wilbye — in seinem M.-Schaffen vom gängigen englischen Geschmack durch seine Vorliebe für harmonische und kontrapunktische Kühnheiten. Zumal in der Verwendung von Chromatik läßt er gelegentlich an Marenzio und Monteverdi denken. Auch in Frankreich war das italienische M. bekannt und beliebt, fand aber unter den Komponisten des Landes keine Nachahmer. Die ganz wenigen Beispiele von Cl. de Sermisy (Altro non è mio core, 1534) und Cl. Janequin (Si come chiaro sole fier, 1540) sind eher französische Chansons mit italienischem Text als eigentliche Madrigale. Und die Chansons von P. Sandrin und G. Costeley, obgleich sie einigen italienischen Einfluß zeigen, sind doch in der Syllabik und im Rhythmus typisch französisch. Die Wiederbelebung der Chormusik des 15./16. Jh. in den 1920er Jahren führte auch zu einer Rückbesinnung auf das M. dieser Zeit als auf eine Hauptform geselligen Musizierens im kleinen Kreis. Dies bezeugen nicht nur die zahlreichen praktischen Neuausgaben älterer M.e, sondern auch Neukompositionen, u. a. von P. Hindemith, E. Pepping. Charakteristisch in diesem Zusammenhang sind ferner die seit einiger Zeit gebräuchlichen Bezeichnungen „Madrigalchor", „-kreis", „-vereinigung" für kleinere Chöre von meist höherem künstlerischem Niveau. Ausg. (nur Sammelausg.): 1) Das M. des 14.J6.: Der Squarcialupi -Cod...., hrsg. v. J. WOLF (Lippstadt 1955); The Music of 14th Century Italy, hrsg. v. N. PIRROTTA, 5 Bde. (R 1954-64). 2) Das M. seit dem 16. Jh.: TORCHI Arte Mus.; E. H. FELLOWES, The English M. School, 36 Bde. (Lo 1913-24), revidien v. Th. Dart als: The English Madrigalistu (1956ff.); Nor-
Magd als Herrin dische Schuler G. Gabrielis: Neun M.e, hrsg. v. R. GERBER (Wb 1935) (= Chw 35); F. GHISI, Le feste musicali della Firenze medicea (Fi 1939, Nachdr. Bol 1969); A. EINSTEIN, The Italian M. III (Princeton/N.J. 1949, Nachdr. 1970, dt. Z 1952); Madrigalisti italiani, hrsg. v. L. VIRGILI (R 1952); R. NIELSEN, Dodici madrigali di scuola ferrarese su testi di T. Tasso (Bol 1954); A. SCHINELLI, Collana di composizioni polifoniche vocali sacre e profane ... dei secoli XV, XVI e XVII (Mi 1955 bis 1960); C. GALLICO, Un canzoniere musicale italiano de Cinquecento (Fi 1961); Vier M.e von Mantuaner Komponisten, hrsg. v. D. ARNOLD (Wb 1961) (= Chw 80); G. Nasco u. a., Fünf M. auf Texte v. F. Petrarca, hrsg. v. B. MEIER (Wb 1962) (= Chw 88); Madrigali a diversi linguaggi von L. Marenzio, O. Vecchi, J. E. u. M. Varotto, hrsg. v. W. KIRKENDALE (Wb 1974) (= Chw 125). Lit.: 1) Das M. des 14. J6.: A. VON KONIGSLOW, Die it. Madrigalisten des Trecento (Wu 1940); N. PIRROTTA, Per l'origine e la storia della „caccia" e del M. trecentesco, in: RMI 48 (1946) u. 49 (1947); W. T. MARROCCO, The 14th Century M. Its Form and Contents, in: Speculum 26 (1951); K. VON FISCHER, Stud. z. it. Musik des Trecento u. frühen Quattrocento (Be 1956); L'Ars nova (P 1959) (= Les colloques de Wégimont 2); N. PIRROTTA, Una arcaica descrizione trecentesca del m., in: FS H. Besseler (L 1961); L'Ars nova italiana del Trecento, 3 Bde. (Certaldo 1962-70). - 2) Das M. sett dem 16. Jb.: Die Anfänge der Chromatik im it. M. des 16. Jh. (L 1902, Nachdr. Wie 1968) (= BIMG I: 4); E. SCHMITZ, Zur Gesch. des it. Continuo-M. im 17. Jh., in: SIMG 11(1909/ 10); E. H. FELLOWES, The English M. Composers (Lo 1921, 21948); DERS., The English M. (Lo 1925); J. B. TREND, The Spanish M., in: Proc. Mus. Assoc. 52 (1925); E. (GERSON-)KIWI, Stud. z. Gesch. des it. Liedmadrigals im 16. Jh. (Wü 1938); H. ScHULTz, Das M. als Formideal (L 1939); W. RUBSAMEN, literary Sources of Secular Music in Italy (Berkeley/Calif. 1943); A. EINSTEIN, The Elizabethan M. and „Musica Transalpina", in: ML 25 (1944); N. BRIDGMAN, La frottola et la transition de la frottola au m., in: Musique et poésie au XVI` siècle (P 1954); J. A. WESTRUP, L'influence de la musique italienne sur le m. anglais, in: ebd.; W.J. BALLARD, The Sources, Development and Culmination of the Dramatic M. (Ann Arbor 1958); J. KERMAN, The Elisabethan M. (NY 1962); W. H. RUBSAMEN, From Frottola to M., in: Chanson and M. 1480-1530 (C/M 1964); J. HAAR, The Note Nere M., in: JAMS 18 (1965); G. ROSE, Polyphonic Italian M.s of the Seventeenth Century, in: ML 47 (1966); E. FERRARI BARASSI, Il m. spirituale nel Cinquecento e la raccolta monteverdiana del 1583, in: C. Monteverdi e il suo tempo (V - Mantua - Cremona 1968); E. J. DENT, The Sixteenth-Century M., in: The Age of Humanism 1540-1630, hrsg. v. G. Abraham (Lo 1968) (= New Oxford History of Music 3); U. SCHULZ-BUSCHHAUS, Das M. Zur Stilgesch. der it. Lyrik zw. Renaissance u. Barock (Bad Homburg 1969) (= Ars poetica 1, Stud. 7); S. SCHMALTZRIED, H. Schutz u. a. zeitgen. Musiker in der Lehre G. Gabrielis. Stud. z. ihren M.en (Neuhausen 1972) (= Tübinger Beitr. z. Musikwiss. 1); J. ROCHE, The M. (Lo 1972); J. HAAR, M.s from the Last Florentine Republic, in: FS M. P. Gilmore (Fi 1977). E. FERRARI BARASSI
MAESTOSO (it., = majestätisch), Bz., in der Regel verbunden mit einer Tempovorschrift (lento
maestoso, allegro maestoso), die auf einen dem Wortsinn entsprechenden Charakter bzw. Vortrag eines Stückes hinweist. MAESTRO (it., = Meister, Lehrer), seit dem 17. Jh. nachweisbarer, in Italien gebräuchlicher inoffizieller Titel für Komponisten und Interpreten sowie Lehrer an Konservatorien. M. al cembalo ist
im italienischen Opernorchester des 17./18. Jh. der Musiker, der am Cembalo den Basso continuo ausführt und die gesamte Aufführung koordiniert. Von seiten des Instrumentalkörpers ist ihm der Konzertmeister beigeordnet, während die Sänger und Chöre ausschließlich in seinen Aufgabenbereich fallen. In der Regel übernahm der Komponist selbst am Cembalo die ersten drei Aufführungen einer neuen Oper. Mit dem Verschwinden des Basso continuo beschränkten sich die Aufgaben des M. al cembalo auf das Begleiten der Sänger im Seccorezitativ, gelegentlich gehörte noch die Choreinstudierung zu seinen Aufgaben. Seit Beginn des 19. Jh. wurde seine Position vom Dirigenten übernommen, der in Italien bis heute als „M." angeredet wird. Lit.: A. CARSE, The Orchestra in the 18th Century (C 1950).
MAGALHAES, Filipe de, * Azeitáo, t 17. 12. 1652 Lissabon; port. Komponist. Er stand vermutlich 1590 im Dienste der Kathedrale von Évora, wo er ausgebildet wurde. Später war er Kapellmeister an Sta. Casa da Misericordia in Lissabon, seit 1623 an der königlichen Kapelle. M. wird zu einer kleinen Gruppe von Komponisten in Évora gezählt, die ihren Ruhm technischer Gediegenheit und musikalischer Ausdruckskraft verdanken. WW: Cantus ecclesiasticus (Lis 1614, 2 1642, 6 1724); Messen für 4-6 St. (Lis 1631) und Magnificatkompositionen (Lis 1636). Ausg.: 10 Trechos selectos, hrsg. v. M. SAMPAYO RIBEIRA (Lis 1961). Lit.: A. T. LUPER, Portuguese Polyphony, in: JAMS 3 (1950); S. STEVENSON, M., in: Grove. XI.
MAGALOFF, Nikita, * B. (21.) 2. 1912 St. Petersburg; Schweizer Pianist russ. Herkunft. Er studierte Klavier bei I. Philippe am Pariser Conservatoire und Komposition bei S. Prokofjew. Nachdem er zunächst als Komponist bekannt geworden war, trat er seit 1937 mit großem Erfolg in zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern als Pianist auf. 1949-60 leitete er als Nachfolger von D. Lipatti die Meisterklasse für Klavier am Genfer Konservatorium. M. machte sich vor allem als Chopin -Spieler weltweit einen Namen. MAGD ALS HERRIN, DIE (La Serva padrona), Intermezzo in 2 Teilen von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736). Text von Gennaro Antonio Federico. Ort und Zeit der Handlung: ein Zimmer im Hause Ubertos zu Beginn des 18. Jahrhunderts. UA: 28.8.1733 in Neapel (Teatro San Bartolomeo), dt. EA: 8.2.1740 in Dresden; EA in dt. Sprache: 19.3.1810 in Berlin (unter dem Titel Zofenherrschaft).
Ursprünglich als Zwischenaktmusik zu Pergolesis 3aktiger Opera seria Il prigioniero superbo komponiert, erlangte das Werk schon bei der UA eigen189
Maggini ständige Bedeutung; es mußte aufgrund des überwältigenden Erfolges an den folgenden Abenden separat wiederholt werden und wurde durch Theatertruppen rasch über ganz Europa verbreitet. Federico beschränkt die Zahl der Figuren auf den alten Hagestolz Uberto und seine ihm geistig überlegene Magd Serpina, der es durch eine List — der stumme Diener Vespone fordert in der Verkleidung des miles gloriosus als angeblicher Verlobter Serpinas eine hohe Mitgift — gelingt, Uberto ein Heiratsversprechen zu entlocken. Nicht nur die Figuren, sondern auch die Handlungselemente entstammen der Konvention der Commedia dell'arte und sind typisch für die zu jener Zeit üblichen Buffo-Einlagen in ernsten Opern. Überhöht wird das Libretto durch die pointierte musikalische Charakterzeichnung Pergolesis, der die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung durch den Gegensatz zwischen volkstümlicher (Serpina) und künstlicher (Uberto) Melodik mit zahlreichen Travestien der Ausdrucksmittel der Opera seria einfängt und sie dem Verlauf der Handlung entsprechend einander allmählich kunstvoll annähert, was in den Schlußduetten besonders deutlich wird. Die mitreißende Wirkung der Musik wird durch eine für Pergolesi typische kurzatmige Melodik und eine scheinbar ununterbrochen bewegte Begleitung durch Streicher und Continuo erzeugt. Neben diesen werkimmanenten Qualitäten, die letztlich erklären, warum sich das Werk als älteste bis heute noch regelmäßig gespielte Oper behaupten konnte, ist der operngeschichtliche Aspekt ebenso bedeutsam: Die 2. Pariser Aufführung am 2. B. 1752 löste einen Grundsatzstreit zwischen Gegnern und Anhängern der alten Tragédie lyrique aus, der als /Buffonistenstreit in die Musikgeschichte einging. Der durchschlagende Erfolg wurde noch erhöht durch die 1754 von P. Baurans erstellte französische Bearbeitung (La servante maîtresse), die lange Zeit das Original überlagerte und indirekt die Entstehung einer neuen Gattung bewirkte, der Opéra-comique. TH. MENGER MAGGINI, Giovanni Paolo, getauft 29. 11. 1579 Botticino Sera bei Brescia, t 1630 (?) Brescia; it. Geigenbauer. Er war Schüler von Gasparo da Salò (mindestens 1598-1604) und ließ sich um 1615 in Brescia nieder. M., zunächst in der Tradition seines Lehrers, nahm später mehr die Amati-Instrumente zum Vorbild. Er gilt als wichtigster Vertreter des Geigenbaus von Brescia. — Pietro Santo M. (1630 bis 1680) wird zu Unrecht als sein Sohn bezeichnet. Lit.: A. BERENZI, Di G. P. M. (Brescia 1890, Cremona 2 1907); G. P. M., in: The Strad 76 (1965/66); A. W. LIGTVOET, Viool van M. in Haags Gemeentemuseum, in: Mens en melodie 24 (1969).
190
MAGGIORE řMinore.
MAGNETBAND řTonband. MAGNI, it. Musiker- und Verlegerfamilie aus Ravenna, die in der 2. Hälfte des 16. und der 1. Hälfte des 17. Jh. tätig war. Bekannt sind die Namen der 4 Brüder Sebastiano, Giovanni Grisostomo (Organist an S. Maria in Porto in Rom), Benedetto und Bartolomeo. Der bedeutendste Musiker unter ihren war Benedetto M., Organist an der Kathedrale in Ravenna seit 1600. Der Ruhm der Familie beruht jedoch in erster Linie auf dem Musikverlag, den Bartolomeo M. von seinem Schwiegervater Angelo Gardano erbte und in dem er zunächst als Angestellter tätig war. Nach dem Tode Gardanos (1611) übernahm er die Leitung des Verlags und fügte seinen Namen dem seines Schwiegervaters hinzu: „Stampa del Gardano aere B. Magni, Stampa del Gardano appresso B. Magni"; das Firmenzeichen Löwe und Bär behielt er fast immer bei. Seine umfangreiche Produktion, die sich ausschließlich an kommerziellen Gesichtspunkten orientierte, erstreckte sich auf alle Gattungen mit Ausnahme des Theaters. 1644 war seine Tätigkeit offenbar beendet; der Verlag setzte jedoch seine Produktion bis 1685 unter der Leitung von Francesco M., vermutlich eines Sohnes des Bartolomeo, fort. WW: 3 Bucher Concerti für41-8 St. u. B.c. (V 1612-16); ein Buch Madrigale für 4-5 St. (V 1613); Messen für 8 St. u. B.c. (V 1614). Lit.: C. SARTORI, Dizionario degli editori musicali italiani (Fi 1958).
MAGNIFICAT, M. anima mea Dominum (lat., = Es erhebe meine Seele den Herrn), der Lobgesang Marias nach Lk 1,46-55, eines der 3 neutestamentlichen Cantica in der römisch-katholischen Liturgie (řCanticum). Es hat seinen Ort in der Vesper und ist gegliedert in 10 Verse, die mit der Doxologie Gloria Patri ... abgeschlossen werden. Der chorale Vortrag des M. ist der der antiphonischen Offiziumspsalmodie; neben den 8 Psalmtönen stehen dafür 8 „Toni solemnes" zur Verfügung, die diesen gegenüber in Initium und Mediatio melodisch reicher sind. Wie den Offiziumspsalmen ist auch dem M. eine (je nach Fest wechselnde) Antiphon von feierlicher melodischer Gestalt zugeordnet. Die früheste mehrstimmige M.-Vertonung, ein anonymes englisches Fragment, stammt aus dem 14. Jh.; um die Mitte des 15. Jh. beginnt dann die Blüte der Gattung. Beteiligt sind daran in erster Linie die Komponisten der franko-flämischen Schule von G. Dufay bis O. di Lasso, der mit etwa 100 M.Sätzen zahlenmäßig an der Spitze steht, ihm folgen G. P. da Palestrina und die Spanier Andrés de Torrentes, L. da Victoria und Cr. de Morales. Von deutschen M.-Komponisten sind vor allem J. Wal-
Mahillon ter und Th. Stoltzer zu nennen. Charakteristisch für die überwiegende Mehrzahl der M.-Vertonungen des 15.-16. Jh. ist zum einen die Verwendung der choralen M. -Töne als C.f. oder als Soggetto motet-
tisch-imitatorischer Satzweise (meist unter Angabe des betreffenden Tons im Titel des Werkes, z. B. M. primi toni); charakteristisch zum anderen ist die Vertonung meist nur der geradzahligen Verse, was darauf hindeutet, daß die ungeradzahligen Verse im Sinne der /Alternatim-Praxis einstimmig-choraliter vorgetragen wurden. Wenn auch die ungeradzahligen Verse mitkomponiert sind, beginnt der mehrstimmige Satz in der Regel erst nach der einstimmigen Intonation Magnificat anima mea Dominum mit dem Text Et exsultavit spiritus meus. Einige Komponisten schrieben auch M.-Zyklen über alle 8 Töne (u. a. S. Dietrich, 1535). Nach der Stilwende um 1600 entstanden sowohl weiterhin M. im Stile antico als auch solche im konzertierenden Stil, so etwa schon früh von L. Viadana
Mei-ne Seele er-hebt den Herren,
onymen M. sur les huit tons (RISM 15308) und schrieben G. Cavazzoni und A. de Cabezón ähnliche Werke. In dieser Tradition stehen im 17. Jh. u. a. M. Praetorius, S. Scheidt, H. Scheidemann. Dagegen lösen sich im 17. Jh. die M.-Versetten und -Fugen von J. Titelouze, J. K. Kerll, J. Murschhauser und J. Pachelbel weitgehend von den choralen Tönen. Wie das Schaffen von J. Walter u. a. Meister bis hin zu J. S. Bach bezeugt, war das mehrstimmige lateinische M. auch in der evangelischen Kirchenmusik heimisch. Daneben gab es auch Kompositionen mit dem deutschen (Luther-)Text Meine Seele erhebet den Herrn. Ihnen liegt in der Regel die seit der Reformation im Gemeindegesang gebräuchliche Weise zugrunde, nämlich der Tonus peregrinus (mit den in den beiden Vershälften unterschiedlichen Rezitationstönen a und g) in der Version des >'germanischen Choraldialekts (mit dem charakterist. Initium a ct anstelle a b in der römischen Fassung).
und mein Geist freuet sich Gottes mei-nes Heilandes,
im geringstimmigen, von Cl. Monteverdi (Vesper von 1610) und H. Schütz im vielstimmigen Satz mit Instrumenten. Im weiteren Verlauf des 17. Jh., in dem die Gattung rasch an Beliebtheit verliert, tendiert das M. (in ähnlicher Weise wie der Psalm) zum
Ober diese Melodie schrieb auch J. S. Bach seine Kantate Meine Seel' erhebt den Herren, BWV 10 (weitgehend mit dem deutschen M.-Text); er verwendet sie ferner u. a. als instrumentalen C.f. im Suscepit Israel seines Magnificat.
Wechsel chorischer und solistischer geschlossener Abschnitte, die meist den einzelnen Versen des M. -Textes entsprechen, so etwa bei A. Vivaldi und bei J. S. Bach, dessen M. von 1732 bis heute das bekannteste Werk seiner Art ist. Knapp in den Formen, sparsam und deutlich textausdrückend, farbig instrumentiert, wird hier der Lobgesang Marias zu einer hymnischen Akklamation. Sehr viel größer dimensioniert ist das M. von C. Ph. E. Bach (1749), ganz anders wiederum, den Salzburger kirchenmusikalischen Erfordernissen entsprechend als geschlossener Satz durchkomponiert, das M. aus den Vesperae solemnes de confessore, KV 339, von W. A. Mozart (1780). Aus der späteren Zeit gibt es nur noch vereinzelt nennenswerte M. -Kompositionen, im 19. Jh. von F. Mendelssohn Bartholdy, im 20. Jh. von Krz. Penderecki. Ein wichtiger Seitenzweig in der Entwicklung des mehrstimmigen M. sind die instrumentalen M.Versetten, die in der liturgischen Praxis des 16. bis 17. Jh. — entsprechend den vokalen M.-Sätzen, s. o. — alternierend mit den choraliter vorgetragenen Versen verwendet werden konnten. Frühe Beispiele für Orgel finden sich im 15. Jh. im ;Buxheimer Orgelbuch und bei C. Paumann; im 16. Jh. publizierte P. Attaingnant einen Zyklus von an -
Lit.: C. H. ILLING, Zur Technik der M.-Kompositionen des 16. Jh. (Wb - B 1936); J. MEINHOLZ, Unters. z. M.-Komposition des 15. Jh. (Diss. Kö 1956); G. REESE, The Polyphonic M. of the Renaissance as a Design in Tonal Centers, in: JAMS 13 (1960); W. KIRSCH, Die Verbindung von M. u. Weihnachtsliedern im 16. Jh., in: FS H. Osthoff (Tutzing 1961); G. GRUBER, Beitr. z. Gesch. u. Kompositionstechnik des Parodiemagnificat in der 2. Hälfte des 16. Jh. (Diss. Gr 1964); E. R. LERNER, The Polyphonic M. in 15th-Century Italy, in: MQ 50 (1964); W. KIRSCH, Die Quellen der mehrst. M.- u. Te Deum-Vertonungen bis z. Mitte des 16. Jh. (Tutting 1966); R. G. LUOMA, Aspects of Mode in 16th-Century M.s, in: MQ 62 (1976); R. STEINER— W. KIRSCH - R. BULLIVANT, M., in: Grove6 XI. G. MASSENKEIL
MAHAULT, Antoine (Antonio); frz. Komponist des 18. Jahrhunderts. Laut Fr.-J. Fétis lebte er um 1737 in Amsterdam und trat 1760 in ein französisches Kloster ein. M. hinterließ zahlreiche Flötenwerke und veröffentlichte Sammlungen von anderen Instrumentalstücken (Konzerte, Sinfonien) sowie von Airs und Chansons. WW: Sonaten für Fl. u. B.c. (P-A 1740), für 2 Fl. oder V. (Lo o. J.), für 2 Fl. u. Vc. (P 1755, A o. J.), für Fl., Ob. oder V. (P 1775); Sinfonie a più stromenti für V., Va., Hörner und B.c. (A 1751) und Sinfonie (P 1754). Ausg.: Sinfonia IV c-moll für 2 V., Va. und B.c., hrsg. v. W. NOSKE - H. SCHOUWMAN (A -Kas 1958).
MAHILLON, Victor-Charles, * 10. 3. 1841 Brüs191
Mahler sel, t 17.6.1924 St-Jean-Cap -Ferrat (Gironde); belgischer Akustiker und Instrumentenbauer. Er war der Sohn des Blasinstrumentenbauers Charles M., * 4. 11. 1813 Brüssel, t 4.9. 1887, dessen Teilhaber er 1865 wurde. Als Konservator am Instrumentenmuseum des Brüsseler Konservatoriums baute er jenes mit einer Sammlung von mehr als 3500 Instrumenten zu einem der bedeutendsten der Welt aus. Schriften: Éléments d'acoustique musicale et instrumentale (Bru 1874); Catalogue descriptif et analytique du Musée Instrumental du Conservatoire Royal... de Bruxelles, 5 Bde. (Gent 1880 bis 1922); Les instr. de musique au Musée du Conservatoire Royal..., 3 Bde. (Bru 1906-07).
MAHLER, Gustav, * 7. 7. 1860 Kalischt (Böhmen), t 18.5. 1911 Wien; östr. Komponist und Dirigent. M., der aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammte, besuchte das Gymnasium in Iglau und legte 1878 die Reifeprüfung ab. Seit 1875 studierte er am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Klavier bei Julius Epstein, Komposition bei Franz Krenn sowie Harmonielehre bei R. Fuchs und schloß 1878 seine musikalischen Studien mit Diplom und Auszeichnungen ab; seit 1877 hörte er auch an der Universität Wien Vorlesungen. Die Kapellmeisterlaufbahn ergriff M. aus Enttäuschung darüber, daß ihm 1880 der Beethoven-Preis für das Märchenspiel Das klagende Lied nicht zuerkannt wurde. Zunächst war er an kleineren Provinztheatern tätig (Bad Hall, Laibach, Olmütz), später wurde er an größere Theater engagiert, 1883 nach Kassel, 1885 nach Prag und 1886 nach Leipzig. 1888 wurde er Operndirektor in Budapest, 1891 verpflichtete ihn der Impresario Bernhard Pollini als Kapellmeister an das Stadttheater Hamburg. Nach Übertritt zum Katholizismus wurde er 1897 an das größte damalige Theater, die Wiener Hofoper, als Kapellmeister und später als Direktor mit einzigartigen Kompetenzen berufen. M. war zu Lebzeiten bekannter als Dirigent denn als Komponist. Sein internationaler Dirigentenruhm gründete sich auf mustergültige Aufführungen der großen Werke W. A. Mozarts, C. M. von Webers, R. Wagners und Chr. W. Glucks, auf seinen Einsatz für zeitgenössische Musik, auf den Ernst seiner künstlerischen Auffassung und auf seinen Perfektionsfanatismus. Er war kompromiBlos, verlangte von den Mitwirkenden das Äußerste, bekämpfte den Schlendrian (das von ihm geprägte Schlagwort „Tradition ist Schlamperei" ist vielfach mißverstanden worden) und trat für eine Auffassung der Oper als Gesamtkunstwerk ein, die heutige Vorstellungen vom Musiktheater in erstaunlicher Weise antizipiert. Trotz seiner Erfolge als Dirigent war M. mit seinem Beruf höchst unzufrieden. Er 192
beklagte sich oft über die Misere des Opernbetriebs, der ihm keine Zeit zum Komponieren ließ. Zeitlebens konnte er sich nur in den Sommermonaten ausschließlich der Komposition widmen. 1902 heiratete er Alma Schindler, die Tochter eines Wiener Landschaftmalers; sie schenkte ihm zwei Töchter, von denen die jüngere, Anna, als Bildhauerin lebt. Das Jahr 1907 war für M. schicksalhaft: Seine ältere Tochter starb an Diphtherie, zugleich wurde bei ihm ein Herzleiden diagnostiziert. Von diesen Ereignissen geschwächt und unter dem Druck mächtiger Intrigen, trat er von der Leitung der Wiener Hofoper zurück und ging nach New York, wo er als Gastdirigent der Metropolitan Opera und später als Leiter der neugegründeten Philharmonic Society tätig war. Hier konnte er zum ersten Mal sämtliche Symphonien A. Bruckners und einige seiner eigenen Werke aufführen. Doch war er den Aufregungen seiner amerikanischen Tätigkeit nicht gewachsen. Eine Krankheit zwang ihn, im Februar 1911 seine Konzerte in New York abzubrechen. Er kehrte nach Wien zurück, wo er kurz darauf starb. WW: 1) Symphonien: 1. Symphonie D-Dur (1884-88), UA als: „Symphonische Dichtung in zwei Teilen", Budapest 1889, als Titan (nach J. Paul), UA: Hamburg 1893 u. Weimar 1894, mit der Abt. Aus den Tagen der Jugend: 1. Satz: Frühling und kein Ende, 2. Satz: Bluminenkapitel, 3. Satz: Mit vollen Segeln, u. mit der Abt. Commedia umana, 4. Satz: Gestrandet. Ein Todtenmarsch in Callots Manier, 5. Satz: Dall'inferno al paradiso; 2. Symphonie c-moll für Sopran, Alt, gem. Chor u. Orch., 3. Satz: Bearb. v. Des Antonius von Padua Fischpredigt, 4. Satz: nach Urlicht u. 5. Satz: nach Klopstocks Aufersteh'n, ja aufersteh'n (1887-94); 3. Symphonie d-moll für Alt, Frauenchor, Knabenchor u. Orch., 4. Satz: nach Worten aus Fr. Nietzsches Also sprach Zarathustra, 5. Satz: nach Es sungen drei Engel (1895/96); 4. Symphonie G-Dur für Sopran u. Orch., 4. Satz nach Das himmlische Leben (1899-1901); 5. Symphonie cis-moll (1901/02); 6. Symphonie a-moll (1903 bis 1904); 7. Symphonie e-moll (1904/05); B. Symphonie Es-Dur für 3 Soprane, 2 Alt, Tenor, Bar., BaB. Knabenchor, 2 gem. Chöre u. Orch (1906/07); 9. Symphonie D-Dur (1908/09); 10. Symphonie Fis-Dur (1910). - 2) Lieder ■. Gesúnge: Das klagende Lied für Sopran, Alt, Tenor, gem. Chor u. Orch. (Text: G.M. nach L. Bechsteins gleichnamigem Märchen u. Gebrüder Grimm Der singende Knochen), 1. Fassung als „Märchenspiel" (1878-80) mit den Teilen: Waldmärchen, Der Spielmann, Hochzeitsstück; Teile 2 u. 3 umgearbeitet, Streichung des 1. Teils (1898); Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit: Frühlingsmorgen u. Erinnerung (nach R. Leander), Hans und Grete (nach einem Volkslied), Serenade und Phantasie (aus T. de Molinas Don Juan) (1880-83); Lieder eines fahrenden Gesellen: Wenn mein Schatz Hochzeit macht (nach Des Knaben Wunderhorn), Ging heut' morgen über's Feld, Ich hab' ein glühend Messer, Die zwei blauen Augen (Text: G. M.) (1883-85); Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit: Um schlimme Kinder artig zu machen, Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald, Aus! Aus!, Starke Einbildungskraft, Zu StraBburg auf der Schanz!, Ablösung im Sommer, Scheiden und Meiden, Nicht wiedersehen!, Selbstgefühl (1888-92); 5 Humoresken: Der Schildwache Nachtlied, Verlorne Müh', Trost im Unglück, Das himmlische Leben, Wer hat dies Liedlein erdacht (1892), u. 4 Lieder: Lied des Verfolgten im Turm, Lob des hohen Verstandes, Rheinlegendchen, Wo die schönen Trompeten blasen (1892/93), sowie: 2 Lieder: Urlicht u. Des Antonius von Padua Fischpredigt (1893/94), sämtlich zusammengetaBt als: 12 Lieder aus des
Mahler Knaben Wunderhorn, wobei Das himmlische Leben durch Es sungen drei Engel... u. Das irdische Leben ersetzt wurde (1893); 2 Lieder Revelge u. Der Tambourg'sell (1899); Kindertotenlieder (1901-04) (Text: F. Riickert): Nun will die Sonn' so hell aufgeh'n, Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen, Wenn dein Mutterlein, Oft denk' ich. sie sind nur ausgegangen, In diesem Wetter; 5 Lieder (Text: ders. ): Blicke mir nicht in die Lieder!, Ich atmet' einen linden Duft, Ich bin der Welt abhanden gekommen, Um Mitternacht, Liebst Du um Schönheit, gedruckt als: 7 Lieder aus letzter Zeit (1908) (erweitert um Revelge u. Der Tambourg'sell); Das Lied von der Erde (1907/08) für Tenor, Alt (oder Bar.) u. Orch. - 3) Bearbeitungen: C. M. von Weber. Die drei Pintos (1887); ders., Euryanthe (1903/04); ders., Oberon (um 1906); W. A. Mozart, Figaro (L 1908).
M. war zu Lebzeiten als Komponist umstritten oder verfemt. Er wurde oft zum Eklektiker oder zum Bruckner-Epigonen gestempelt. Seine immense Bedeutung für die neuere Musik wurde erst nach dem 2. Weltkrieg erkannt. Nicht zuletzt durch zahlreiche Schallplatteneinspielungen avancierte er zu einem der populärsten Komponisten. Trotzdem herrschen über das Wesen seiner Kunst viele Vorurteile. Das wohl verheerendste ist die Auffassung, daß seine Symphonik ein Musterfall absoluter Musik sei. Man kann M. kein größeres Unrecht antun, als sein Schaffen mit der Doktrin des L'art pour l'art zu verwechseln. Seine Symphonik läßt sich vielmehr als Autobiographie oder als Metaphysik in Tönen apostrophieren. M. war Gegner des Formalismus; wie Fr. Liszt und R. Strauss vertrat er die Ansicht, daß der Inhalt, und zwar der außermusikalische Inhalt, die Form bestimmt. Er war fest davon überzeugt, daß Kunst und Leben, Kunst und Natur, Kunst und Welt eng zusammengehören. Mit J. W. von Goethe hielt er Erlebnis und Lebenserfahrung für prinzipielle Voraussetzungen künstlerischen Schaffens. Er glaubte fest an den „Parallelismus zwischen Leben und Musik" und bekannte, daß er „noch nie auch nur eine Note geschrieben" habe, die „nicht absolut wahr" sei. Mehrere seiner Symphonien (die 1., die 2., die 6., die 9. und die unvollendete 10.), auch das Lied von der Erde, sind autobiographisch konzipiert. M.s Denken kreiste zeitlebens um metaphysische und eschatologische Fragen. Alle Gebiete der Metaphysik, die Ontologie, die Kosmologie, religiöse Problematik und die Existenzphilosophie faszinierten ihn. Die Frage nach dem Sinn der Existenz, die Aporie des Todes, die Fragen nach den letzten Dingen des Menschen und der Welt beschäftigten ihn in einem solchen Maße, daß es nicht übertrieben ist, von einer metaphysischen Agonie zu sprechen. M.s gesamtes symphonisches Schaffen trägt bekenntnishaften Charakter. Die zurückgezogenen Programme zu den ersten vier Symphonien und die Texte, die der B. Symphonie zugrunde liegen, lassen erkennen, daß M. die persönlichen, weltanschau-
lichen und religiösen Fragen, die ihn bewegten, zu Sujets seiner Symphonien machte. Er legte etlichen von ihnen literarisch-philosophische Programme zugrunde, die zentralen Inhalten seiner Weltanschauung Ausdruck verleihen. So ist der Glaube an die Wiederkunft philosophische Grundidee der 2. Symphonie. Der bekenntnishafte Text, den M. zu den beiden Strophen des Klopstockschen Chorals hinzudichtete, gipfelt in der Zuversicht: Sterben werd' ich, um zu leben! Ähnlich läßt sich von der 3. und der B. Symphonie sagen, daß sie aus dem Boden der Liebesphilosophie M.s erwachsen. Die hierarchisch strukturierte, kosmologische 3. Symphonie mündet in den Satz von der „ewigen Liebe", und die B. basiert auf dem Gedanken der alles umfassenden, erlösenden Liebe, die als christliche Caritas und als zeugender bildender Eros im humanistischen Sinne Goethes verstanden werden will. Der Symphonik M.s ist ein Zug zur Monumentalität und zur Universalität eigen. Die Werke weisen eine erstaunliche Vielheit an Satztypen und Ausdruckscharakteren auf, die meisten von ihnen weichen von den Normen der traditionellen Symphonie ab. Schon rein äußerlich lassen sie einen neuartigen Typus erkennen, der sich durch mehrere Charakteristika auszeichnet. Dazu gehören die wechselnde Anzahl und Anordnung der Sätze, die Gliederung in Abteilungen, die Einbeziehung von Sängern und Chören, ferner Entlehnungen aus dem Liedschaffen, die symphonische Bearbeitung von Liedkompositionen und mannigfaltige thematische Verknüpfungen zwischen einzelnen Sätzen. Vier Symphonien, die 2., die 3., die 4. und die 8., repräsentieren den Typus der Symphoniekantate, zwei, die 2. und die 8., tragen oratorienhafte Züge; letztere läßt sich als Oratorium, Musikdrama, Erlösungsmysterium und Symphonie in einem bezeichnen. M., ein Komponist von erstaunlicher Klangphantasie, ist Vollender der symphonischen Tradition des 19. Jh. und zugleich Wegbereiter der Neuen Musik. Sein Einfluß auf A. Schönberg, A. Berg, A. Webern, S. Prokofjew und Dm. Schostakowitsch war groß. Auch viele zeitgenössische Komponisten verdanken ihm viel. Ausg.: Kritische GA, bisher erschienen: 10 Symphonien u. Das klagende Lied (B -W -Lo -F 1960 ff.); 10. Symphonie, Faks.Ausg. der Skizzen, hrsg. v. A. M. MAHLER (W-B 1924) (mit Einleitung v. R. Specht); Waldmärchen aus Das klagende Lied, hrsg. v. J. DIETHER (NY 1973); Klavierquartett v. 1876, hrsg. v. P. RUZICKA (H 1973); 10. Symphonie, bearb. u. hrsg. v. D. COOKE (Lo 1976). Lit.: 1) Briete, Dokumente u. Erinnerungen: A. ROLLER, Die Bildnisse v. G.M. (W 1922); N. BAUER-LECHNER, Erinnerungen an G. M. (L 1923); G. M. Briefe 1879-1911, hrsg. v. A. M. MAHLER (B 1924, Nachdr. 1978); DIES., G. M. Erinnerungen u. Briefe (A 2 1949); J. B. FOERSTER, Der Pilger (Pr 1955);
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Mahler-Kalkstein B. WALTER, G. M. (B 21957); DERS., Thema u. Variationen (F 1960); O. KLEMPERER, Meine Erinnerungen an G. M. (Fr 1960); F. PFOHL, G. M. (H 1973); K. BLAUKOPF, M. Sein Leben, sein Werk u. seine Welt in zeitgen. Bildern u. Texten (W 1976); G.M. in Wien, hrsg. v. S. WIESMANN (St 1976); E. R. REILLY, G. M. u. G. Adler (W 1978); G.M. Dokumentation, hrsg. v. B. u. E. VONDENHOFF (utzing 1978) (= Publikationen des Inst. für östr. Musikdokumentation 4); F. WILLNAUER, G. M. u. die Wiener Oper (W 1979); E. REESER, G. M. u. Holland (W 1980); G. M., R. Strauss. Briefwechsel 1888-1911, hrsg. v. K. BLAUKOPF (Mn 1980). - 2) Biograpitiiea a. WW za einzelnen Aapektea: R. SPECHT, G. M. (B 1913); G. ADLER, G. M. (W 1916); P. BEKKER, G. M.s Sinfonien (B 1921); H. F. REDLICH, Bruckner and M. (Lo 1963); TH. W. ADORNO, M. Eine musikal. Physiognomik (F 2 1964, 31972); H.-L. DE LA GRANGE, M. (Garden City/N.Y. 1973); D. MITCHELL, G. M. The Wunderhorn Years. Chronicles and Commentaries (Lo 1975); P. ANDRASCHKE, G. M.s IX. Symphonie (Wie 1976); C. FLOROS, G. M., 2 Bde. (Wie 1977); B. SPONHEUER, Logik des Zerfalls. Unters. zum Finalproblem in den Symphonien G. M.s (Tutzing 1978); S. VILL, Vermittlungsformen verbalisierter u. musikal. Inhalte in der Musik G. M.s (ebd. 1979). C. FLOROS
MAHLER-KALKSTEIN, Menachem, '5Avidom. MARLING, Christoph-Hellmut, * 25. 5. 1932 Berlin; dt. Musikforscher. Er studierte in Trossingen, Tübingen und Saarbrücken, wo er 1962 mit Studien zur Geschichte des Opernchors (Trossingen 1962) promovierte und seit 1963, nach seiner Habilitation (1972) als Professor, lehrte. 1980 übernahm er den Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Universität Mainz. Zusammen mit L. Finscher war M. bis 1980 Schriftleiter der Zeitschrift Die Musikforschung. Schriften: Zur Soziologie des Chorwesens, in: FS J. Müller-Blattau (Kas 1966) (= Saarbrücker Stud. z. Musikwiss. 1); Mozart u. die Orchesterpraxis seiner Zeit, in: Mozart-Jb. 1967; Typus und Modell in Opern Mozarts, in: ebd. 1968/70; Orchester und Orchestermusiker in Deutschland von 1700-1850 (Habil.-Schrift Saarbrücken 1972); Die Gestalt des Osmin in Mozarts „Entführung". Vom Typus zur Individualität, in: AfMw 30 (1973). - Ferner war M. Hrsg. der FS zum 70. Geburtstag v. W. Wiora (Tutzing 1979).
MAHRENHOLZ, Christhard (Christian Reinhard), * 11. 8.1900 Adelebsen bei Göttingen, t 15.3. 1980 Hannover; dt. Theologe und Musikforscher. Er studierte 1918-23 in Leipzig und Göttingen (Fr. Spitta, H. Abert, A. Schering, Fr. Ludwig) und promovierte 1923 mit einer Arbeit über S. Scheidt. 1926 wurde er Pfarrer und 1931 Mitglied des Landeskirchenamts Hannover, seit 1967 als Geistlicher Vizepräsident. Außerdem war er seit 1934 Reichsobmann des Verbandes evangelischer .Kirchenchöre Deutschlands, seit 1946 Honorarprofessor für evangelische Kirchenmusik an der Universität Göttingen, an der er 1948 den theologischen Ehrendoktor erhielt, 1949-75 Vorsitzender der Deutschen Bach-Gesellschaft. 1960 wurde er Abt des (evangelischen) Klosters Amelungsborn. Zum 70. Geburtstag wurde ihm die Festschrift 194
Kerygma und Melos (hrsg. v. W. Blankenburg u. a. 1970) gewidmet. Auf der Basis seiner historischen Forschungen hat M. wesentliche Neuansätze der Kirchenmusik initiiert: die ."Orgelbewegung, die agendarische Neuordnung des lutherischen Gottesdienstes mit integrativen musikalischen Bestandteilen sowie das heute in Deutschland und Osterreich allgemein eingeführte Evangelische Kirchengesangbuch. Schriften: S. Scheidt (L 1924, Nachdr. Farnborough 1968); Die Orgelregister, ihre Geschichte und ihr Bau (Kas 1930, 2 1944, Nachdr. 2 1968); Die Berechnung der Orgelpfeifenmensuren .. . (Kas 1938, 2 1968); Glockenkunde (ebd. 1949); Das Evangelische Kirchengesangbuch (ebd. 1950); Musicologica et Liturgica, Gesammelte Aufsätze (ebd. 1960) (mit Bibliogr.); Kompendium der Liturgik (ebd. 1963). - Ferner war M. Mithrsg. v.: Handbuch der deutschen evangelischen Kirchenmusik (Gö 1930ff.); Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch (Gö 1954ff.); ferner von S. Scheidt, GA (H 1932); er besorgte NA von zahlr. musikalischen Werken u. Traktaten. Lit.: W. BLANKENBURG, in: MuK 50 (1980); DERS., Zum Tode v. Ch. M., in: Musica 34 (1980); J. HEINRICH, in: Ars Organi 28 (1980). J HEINRICH
MAHU, Stephan, * zwischen 1480 und 1490, t 1541 (?). Uber seine Herkunft ist nichts Näheres bekannt. 1528-41 war er Posaunist am Hofe Annas von Böhmen und Ungarn, 1529-32 unter Arnold von Bruck außerdem Vizekapellmeister Kaiser Ferdinands I. Sein einziger nachweisbarer Schüler war J. Zanger. WW: 12 Motetten, 2 Magnificat, Lamentationen, 7 dt. Choralbearb. u. 6 dt. weltliche Lieder hsl. u. in Sammeldrucken 1535-1568 erhalten. Ausg.: Die Lamentationen u. Magnificat, in: F. COMMER. Musica sacra 17 u. 18 (1876, 1877); 5 Choralbearb., in: G. RHAU, Neue dt. geistliche Gesänge 1544, hrsg. v. J. Wolf (1908) (= DDT 34); 2 dt. Lieder, in: J. OTT, Gute u. neue Liedlein UI (1875) ( = PGfM 3); 4 Lieder, in: Das dt. Gesellschaftslied in Ostr. v. 1480 bis 1550, hrsg. v. L. NOWAK (1930) (= DT0 72). Lit.: C. DREHER, Die Lamentationen des S. M., in: MfM 6 (1874); H. FEDERHOFER, Biographische Beitr. zu E. Lapicida u. S. M., in: Mf 5 (1952).
MAICHELBECK (Meichelbeck, Meichelpeck), Franz Anton, getauft 6.7. 1702 Insel Reichenau (Bodensee), t 14.6. 1750 Freiburg i. Br.; dt. Komponist und Organist. Er studierte zunächst Theologie in Freiburg und erhielt seine musikalische Ausbildung 1725-27 in Rom. Nach Freiburg zurückgekehrt, wurde er dort 1728 Präsentarius und Organist am Münster und 1730 Professor für italienische Sprache an der Universität. Seine Klavierkompositionen zeigen eine deutliche Anlehnung an den italienischen Stil von D. Scarlatti. WW: Die auf dem Clavier spielende ... Caecilia, op. l (8 Sonaten) (Au 1736); Die auf dem Clavier lehrende Caecilia, op.2 (Au 1737) (Lehrbuch mit Übungsstücken); hal. ist eine Motette erhalten. Ausg.: 2 Sonaten aus op. 1, hrsg. v. W. WECKBECKER (W 1923). lit.: C. SCHWEITZER, F. A. M., in: Freiburger Diözesan-Arch.
Maîtrise 64 (1936); E. F. SCHMID, in: Zschr. des Hist. Vereins für Schwaben 55 (1942) u. 56 (1943); C. BORROCO, Die auf dem Clavier spielende Caecilia (Dias. Fr 1958).
MAILLARD, Jean, frz. Komponist des 16. Jahrhunderts. Das einzige biographische Zeugnis ist ein Porträt auf dem Titelblatt der Motetten von 1555. M. gehört zu den bekanntesten französischen Komponisten seiner Zeit. Seine Chansons folgen dem Vorbild Cl. de Sermisys, gelegentlich auch Cl. Janequins. Seine Motette Eripe me diente G. P. da Palestrina als Vorlage für eine Messe. WW: Motetten für 4-6 St. (P 1555); Patrem für 8 St. (P 1557); Missa ad imitationem Virginia Marine für 5 St. (P 1557); Missa „M'amie un jour" für 4 St. (P 1558, '1559); 2 Bücher Moduli (Motetten) für 4-7 St. (P 1565). — Messen, mehr als 100 Motetten, ein Psalm, 3 Chansons spirituelles, über 50 Chansons in Sammeldrucken 1538-83 u. hal.; einige Motetten u. Chansons auch in Lautentabulaturen u. a. v. H. Gerle, A. de Roy u. A. de Rippe.
MAILLART, Louis, genannt Aimé, * 24.3. 1817 Montpellier, t 26.5. 1871 Moulins-sur-Allier; frz. Komponist. Er studierte seit 1833 Komposition (u. a. bei Fr. Halévy) und Violine am Pariser Conservatoire. 1841 errang er mit seiner Kantate Lionel Foscari den Prix de Rome. M. versuchte, mit patriotischen Kantaten das zeitgenössische Publikum anzusprechen, war jedoch wesentlich erfolgreicher mit seinen 6 Opéras-comiques, von denen Das Glöckchen des Eremiten auch auBerhalb Frankreichs bekannt wurde. Die Ouvertüre dazu war ein beliebtes Stück der Unterhaltungsmusik bis weit ins 20. Jh. hinein. WW: Kantaten: Lionel Foscari (1841); La voie sacrée (1855); Le quinze aoüt (1860). — Opern (UA: in Paris): Gastibelza ou le fou de Tolède, UA: 1847; Le moulin de Tilleuls, UA: 1849; La croix de Marie, UA: 1852; Les dragons de Villars (Das Glöckchen des Eremiten), UA: 1856; Les Pécheurs de Catane (Die Fischer von Catania), UA: 1860; Lara, UA: 1864.
MAINACHT, DIE (Maiskaja notsch), Oper in 3 Akten von Nikolai Rimski-Korsakow (1844 bis 1908), Text vom Komponisten nach Nikolai Gogols Novelle Die Mainacht oder Die Ertrunkene (1831). UA: 9. (21.) 1. 1880 in St. Petersburg (Marientheater); dt. EA (in dt. Sprache): 3. 5.1900 in Frankfurt am Main. Nachdem Růnski-Korsakow sich intensiv mit der Musik und dem Brauchtum des russischen Volkes beschäftigt hatte und als Mitherausgeber der Bühnenwerke M. Glinkas tiefer in deren Struktur eingedrungen war, inspirierte ihn Gogols „ukrainische" Erzählung zur Komposition dieser ersten seiner Märchenopern. Ihm bot die dort geschilderte dörfliche, heiter-turbulente Handlung vielfältige Möglichkeiten, den einzelnen Nummern der Partitur substantiell einen volkstümlich-spielerischen Charakter zu verleihen. Dieser Grundzug prägt die musikalische Ausgestaltung der burlesken, lyri-
schen und traumhaften Geschehenselemente gleichermaßen: die Aktionen des borniert-eitlen Bürgermeisters, der um die Geliebte seines Sohnes Lewko wirbt und die Hochzeit der beiden willkürlich zu vereiteln sucht, oder das frohe Treiben der singenden, tanzenden Jugend ebenso wie die Auftritte Lewkos, der stimmungsvolle Lieder zur Bandura vorträgt, und die anmutig-romantische Erscheinung der Nixenkönigin, die das Paar schlieBlich vereinigt. E. FISCHER MAINARDI, Enrico, * 19. 5. 1897 Mailand, t 10. 4. 1976 München; it. Violoncellist und Komponist. M. studierte bis 1910 Cello und bis 1920 Komposition am Mailänder Konservatorium und vervollkommnete sich später noch bei Hugo Becker in Berlin. Schon früh als Solist in Paris und London gefeiert, spielte er 1913 beim Heidelberger BachReger-Fest zusammen mit M. Reger die UA von dessen Sonate op. 116. 1929-32 war er unter E. Kleiber Mitglied des Berliner Staatsopernorchesters und wurde im Trio mit G. Kulenkampff (später W. Schneiderhan) und E. Fischer weltberühmt. 1933-68 lehrte er an der Accademia di S. Cecilia in Rom und leitete seit 1948 Meisterkurse am Salzburger Mozarteum, seit 1949 bei den Musikfestwochen in Luzern und an anderen Festspielorten. Seit 1951 trat er auch als Dirigent auf. M., der als Komponist eine archaisierende Schreibweise im Stil G. Fr. Malipieros und I. Pizzettis pflegte, setzte sich als Interpret besonders für die Werke von Cl. Debussy, M. Ravel und für die deutsche Cellomusik ein. Er gab die 6 Suiten für Violoncello solo von J. S. Bach heraus. WW: Elegische Phantasie (1969) für Vc. solo; Trio für Klar., Vc. u. KIv. (1969); Klv.-Quartett (1968); Streichquintett (1970); Konzert für Vc. u. Streichorch. (1966); Konzert für 2 Vc. u. Orch. (1969); Divertimento für Vc. u. Streichorch. (1972). Lit.: D. LINDNER, in: OMZ 12 (1957); S. PALM, in: NZUM 128 (1967); E. MAINARDI, Bekenntnisse eines Künstlers (Wie 1977) (mit WW-Verz.).
MAINSTREAM JAZZ, ein in England geprägter Begriff für den „Hauptstrom" der Jazzmusik, der eine Mittelstellung zwischen traditionellen und avantgardistischen Formen des Jazz einnimmt und insbesondere typische Merkmale des řSwing aufgreift. Unter Verzicht auf Experimente stützt sich der M. J. auf einen Nonnenkanon, für den Chorusstruktur, Swing, Tonalität und die im Jazz Standards genannten Repertoirestücke verbindlich bleiben. Zu den groBen Virtuosen, die man dem M. J. zurechnet, gehören u. a. Oscar Petersen, Joe Pass, Coleman Hawkins und Red Norvo. MAITRISE, Psallette, in Frankreich bis zur Französischen Revolution Bz. für die Gesamtheit bzw. 195
Majer
die Ausbildungsstätte (Singschule) der Chorknaben (2'Kapellknaben), die im Dienst einer größeren Kirche standen. Die M.n waren im Prinzip überall einheitlich organisiert. Die Schüler lebten in einem der Kirche gehörenden Haus und unterstanden einem eigenen Directeur. Sie erhielten musikalischen und allgemeinen Unterricht und hatten die Verpflichtung, den meist ganztägigen Chordienst zu besorgen. Wichtige M.n, aus denen viele bedeutende Komponisten hervorgegangen sind, bestanden in
Aix-en-Provence, Clermont-Ferrand, Chartres, Dijon, Langres, Paris, Rouen, Saint-Quentin, Troyes. Die M.n in der überkommenen Form und Organisation wurden zur Zeit der Revolution aufgelöst, während die entsprechenden Institutionen in anderen europäischen Ländern meist weiterbestanden. Im heutigen französischen Sprachgebrauch ist M. gleichbedeutend mit dt. OEKirchenchor. Die Bezeichnungen M. und Psallette erscheinen in Frankreich heute gelegentlich auch in Namen von Chorvereinigungen (z. B. „M. de RadioFrance", „Psallette de Lorraine"). Lit.: G. ROUSSEL, Les m.s d'enfants et les offices liturgiques, in: Atti del Congresso internazionale di Musica Sacra (R 1950); P. PIMSLEUR, The French M., in: MT 95 (1954).
MAIER (Maier, Major), Joseph Friedrich Bernhard Caspar, * 16.10.1689 Schwäbisch Hall, t 22. 5.1768 ebd.; dt. Musiktheoretiker. Er war Organist an St. Katharina und Privatmusiklehrer in Schwäbisch-Hall. Sein Hauptwerk, Museum musicum (Schwäbisch Hall 1732), eine wichtige Quelle für die instrumentale Musizierpraxis seiner Zeit, enthält auch einen lexikalischen Anhang fremdsprachiger Musikbegriffe. M. veröffentlichte außerdem Hodegus musicus (ebd. 1718). Ausg.: Museum musicum, hrsg. v. H. BECKER (Kas 1954) (= DM1 I/8).
MAJEUR, frz. Name für řDur. MAJEWSKI, Hans Martin Walter (Pseudonym Jan Troysen), * 14. 1. 1911 Schlawe (Pommern); dt. Komponist und Dirigent. Er studierte zunächst Medizin in Königsberg und 1932-35 Musik in Leipzig (u. a. bei H. Grabner und H. Abendroth). 1935 wurde er Korrepetitor und Kapellmeister am Berliner „Theater des Volkes" und komponierte erste Operetten und Filmmusiken. Nach dem Krieg ließ er sich in Hamburg nieder, schrieb Chansons für die literarischen Kabaretts „Kaleidoskop" und „Bonbonnière" (1945-47) und leitete die Sendung „Kabarett der Zeit" im NWDR. Danach war er vor allem als Komponist von Film-, Fernseh- und Bühnenmusik tätig. M. lebt heute als freischaffender Komponist in Berlin. WW: Für Orch.: Sinfonische Skizzen; Suite 52; Synopsis 74; Valse
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romantique. — Operette Insel der Träume, UA: Oldenburg 1938; Kabarettmusical Zwei Berliner in Paris, UA: Berlin 1958; Ballett Die Jagd nach dem Glück, UA: Berlin 1948; Musik zu etwa 150 Filmen, u.a. zu: Weg ohne Umkehr (1953/54); Das fliegende Klassenzimmer; Ohne dich wird es Nacht (1956/57); Nasser Asphalt (1957 /58); Menschen im Hotel; Die Brocke (1960); Schachnovelle; Der Lord von Barmbeck (1974). — Ferner Zahlreiche Fernseh-, Hörspiel- u. Bühnenmusiken.
MAJO. — 1) Giuseppe de, * 5. 12. 1697 Neapel, t 18. 11. 1771 ebd.; it. Komponist. Er war 1706-18 Schüler von N. Fago und A. Basso am Conservatorio della Pietà dei Turchini in Neapel, wurde dann Organist, Vizekapellmeister und 1744 als Nachfolger L. Leos Kapellmeister der Cappella Reale. Er schrieb vorwiegend geistliche Musik, ferner 6 Opern und ein Concerto für 2 Violinen und Violoncello (1726). — 2) Gian Francesco de (di), genannt Ciccio, Sohn von 1), * 27.3. 1732 Neapel, t 17. 11. 1770 ebd.; it. Komponist. Er war Schüler am Conservatorio di Sant'Onofrio in Neapel und von Padre Martini in Bologna und trat 1747 als Organist in die Cappella Reale in Neapel ein. Die Aufführung seiner Oper Cajo Fabrizio 1760 in Neapel begründete seinen Ruhm, der ihm auch Aufträge für Wien und Mannheim (Ifigenia in Tauride, 1764) einbrachte. M.s Opern fanden wegen ihrer kantablen Melodik und dramatischen Ausdruckskraft auch die Bewunderung W. A. Mozarts. WW: Zu 2): Messen u. a. kirchenmusikal. Werke; einige Kantaten; Oratorien: Gesù sotto il peso della croce; Esther (nur 1. Teil erhalten); La fuga in Egitto; Azione sacra Il prodigio della grazia. — Etwa 20 Opern, davon hsl. erhalten: Riccimero, UA: Parma 1758; Asterea placata, UA: Neapel 1760; L'Almeria, UA: Livorno 1761; Ipermestra, UA: Neapel 1763; Alcide negli Orti Esperidi, UA: Wien 1764; Demofoonte, UA: Rom 1764; Adriano in Siria, UA: Rom ca. 1766; Eumene, UA: Neapel 1771; einzelne Arien aus anderen Opern. Lit.: Zu 2): D. DICHIERA, The Life and Operas of G. F. De M., 2 Bde. (Los Angeles 1962) (= Diss. Univ. of California).
MAKLAKIEWICZ, Jan Adam, * 24. 11. 1899 Chojnaty bei Warschau, t 7. 2. 1954 Warschau; poln. Komponist. M. studierte 1922-25 am Konservatorium in Warschau und 1925-27 Komposition bei P. Dukas an der École Normale de Musique in Paris. Seit 1927 war er Lehrer für Theorie am Konservatorium in Lódž und seit 1929 am Konservatorium in Warschau, wo er daneben auch als Organist, Chorleiter und Musikkritiker wirkte. Nach dem Krieg war er 1945-47 Direktor der Krakauer und 1947-48 der Warschauer Philharmonie und wurde 1947 Professor für Komposition an der Musikhochschule in Warschau. Von K. Szymanowski beeinflußt, verwendete M. vor allem Elemente des späten Impressionismus und der polnischen Volksmusik. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik; Orch.-Werke, u. a.: 2 Ouvertüren (1933, 1947); 2 V. -Konzerte (1931, 1952); Vc.-Konzert (1932); Tondichtung Grunwald (1944). — Kantate Swiçty Boze
Maler (Heiliger Gott) (1927) für Bar., Chor, Orch. u. Org.; Concertino quasi una fantasia (1929) für Klv., Mezzosopran u. Orch.; 4 japanische Gesänge (1930) für SingSt u. Orch. — Ballette: Caghostro w Warszawie (Cagliostro in Warschau); Zlota Kaczka (Die goldene Ente) (1951); Taríice lowickie (Lowiczer Tänze) (1951).
MALAGUEŇA (span.), Bz. für die spezielle Ausprägung des /Fandango in der Provinz Málaga. Typisch für dieses lebhafte Tanzlied im 3 /4 -Takt ist ein Aufbau aus Couplets mit 4 8silbigen Versen und ein ostinates Harmoniegerüst. Eingang in die Kunstmusik fand die M. u. a. bei I. Albéniz (Iberia) und M. Ravel (Rapsodie espagnole).
und W. A. Mozart bewunderten ihn. K. Ditters von Dittersdorf rühmte seine Bogentechnik. Als Komponist gehört er mit seinen an J. Stamitz anknüpfenden Sinfonie a più stromenti zu den Vertretern der vorklassischen Symphonie. Als einer der ersten Komponisten verwendete er ein 2. Thema im Kopfsatz der Symphonie. WW: Quartette; Sonaten; 6 sinfonie a più stromenti (P 1761); 7 Opéras-comiques, u. a.: Les amours champétres, UA: Schönbrunn 1758; La bagarre, UA: Paris 1763. Ausg.: 2 Sonaten für V. u. Klv. (An 1947); Symphonie B-Dur op. 4, hrsg. v. A. CARSE (Lo 1958). Lit.: S. CLERCX, P. van M. (Bru 1948).
MALAWSKI, Artur, * 4. 7. 1904 Przemyšl, t 26. 12. 1957 Krakau; poln. Komponist. Er studierte Violine am Konservatorium in Krakau, wo er 1928-36 die Violin- und Musiktheorieklassen leitete. 1936-39 studierte er noch Komposition bei K. Sikorski und Dirigieren bei W. Bierdiajew am Konservatorium in Warschau und unterrichtete diese Fächer seit 1945 am Konservatorium in Krakau, 1950-54 auch am Konservatorium in Kattowitz. 1948-51 war er Vorsitzender der polnischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. Unter Einbeziehung moderner Techniken entwickelte M. einen persönlichen Stil von hochexpressiver Klanglichkeit. In einigen Werken verwendete er polnische Volksweisen. WW: Fiir Orch.: Sinfonietta (1936); Wariacje symfoniczne (1937); 2 Symphonien (1944, 1956); Ouvertüre Hungaria 1956 (1957); 6 Etiudy symfoniczne (1948) sowie Toccata u. Fuge (1949) für Klv. u. Orch. — Chorkantate Wyspa Gorgon (Die Insel der Gorgonen) (1939). — Ballett-Pantomime Wierchy (Bergeshöhen) (1944, 2. Fassung 1950) für Sopran, Bar., Tenor u. Orch. Lit.: F. K. PRIEBERG, in: NZfM 119 (1958); A. M., hrsg. v. B. SCHAFFER (Krakau 1969); T. KACZÝNSKI, in: Ruch muzyczny 15 (1971).
MALCOLM, George John, * 28. 2. 1917 London; engl. Cembalist, Pianist und Dirigent. Er studierte Klavier am Royal College of Music in London und am Balliol College in Oxford. 1947-59 wirkte er als Chorleiter an der Westminster Cathedral in London, war 1962-66 künstlerischer Leiter der London Philomusica und 1965-67 Dirigent des BBC Scottish Orchestra. M. trat als Klavierbegleiter u. a. mit dem Hornisten D. Brain auf. Als Cembalist pflegte er besonders die englischen Virginalisten und Werke des 17. Jahrhunderts. 1965 wurde er Commander of the British Empire (C. B. E.). MALDERE, Pierre van, * 16.10.1729 Brüssel, t 1.11.1768 ebd.; belgischer Violinist und Komponist. Er trat 1746 in die Brüsseler Hofkapelle ein, war 1752-53 Violinist und Kapellmeister in Dublin und wurde 1758 Virtuose Herzog Karls von Lothringen. 1763-66 leitete er die Oper in Brüssel. M. wurde von Zeitgenossen hoch geschätzt. J. Haydn
MALEC, Ivo, * 30. 3. 1925 Zagreb; kroatischer Komponist. Er studierte Komposition und Dirigieren an der Musikakademie in Zagreb und 1955-56 Komposition am Pariser Conservatoire. In Paris wurde er Mitglied der Groupe de recherche de musique concrète und 1961 Mitarbeiter der Groupe de recherches musicales der ORTF. M.s Konzeption einer antiromanti,chen Kunst kennzeichnet von Anfang an seine Kompositionen, in denen er sich radikal von der traditionellen Musik löst und einen forciert modernistischen Stil anstrebt. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Sonate (1950); Klv.-Trio (1950); Sonata brevis (1956) für Vc. u. Klv.; Dijalozi (1961) für Cemb. oder Klv.; Dahovil u. II (1962) für Tonband; Lumina (1968) für 12 Str. u. Tonband; .4rco-11 (1975) für 11 Str.; Tri stečka (3 Säulen) (1963) für 12-14 Musiker; Echos (1965) für 10 Instr. — Für Orch.: Symphonie (1951); Mouvements en couleur (1959); Sekvence (1960) für Vibraphon u. Streichorch.; Sigma (1963); Vocatif (1968), als Ballett: Aquathème, UA: Amiens 1968; Gam(m)es (1971); Tehrana (1975). — 2) Vokal-WW: Radovanove pesme (Radovan Lieder) (1952) für SingSt u. Klv., Orch.-Fassung (1957); Suite Tirena (1958) für Chor u. Kammerorch.; Dvanaest meseci (12 Monate) (1960) für Soli, Chor u. Kammerorch.; Suite Dubravka (1961) für Soli, Chor u. Orch.; Faits précipices (1964) für Sprecher u. Kammerorch.; Cantate pour elle (1966) für S3pran, Harfe u. Tonband; Dodecameron pour douze voix solistes (1970) für St. u. Klv.; Victor Hugo. Un contre tous (1971) für 2 Sprecher, gem. Chor, Tonband u. Orch. — Ferner Musique concrète, Ballett Makete (Skizzen) (1956) sowie Bühnen-, Film- u. Rundfunkmusik. — Aufsatz Musique concrète 1948-68, in: Melos 36 (1969). Lit.: F. RABE, I. M., in: Nutida Musik 7 (1963/64); U. STURZBECHER, Werkstattgespräche mit Komponisten (Kö 1971) (mit Werkverz.); E. WALTER, I. M., in: Harmonie (1974) Nr. 94.
MALER, Wilhelm, * 21.6. 1902 Heidelberg, t
29. 4. 1976 Hamburg; dt. Komponist und Musikpädagoge. Er studierte bei H. Grabner in Heidelberg, J. Haas in München und Ph. Jarnach in Berlin, wurde 1925 als Dozent für Musiktheorie an die Rheinische Musikschule in Köln berufen und lehrte seit 1931 gleichzeitig an der Universität Bonn. 1946 übernahm er die Leitung der neugegründeten Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold und hatte entscheidenden Anteil an deren Aufbau. 1959-69 war er als Nachfolger Ph. Jarnachs Direktor der Musikhochschule in Hamburg. M. war ein 197
Malibran angesehener Kompositionslehrer (zu seinen Schülern zählten u. a. H. Degen, J. Driessler, D. de la Motte und W. Steffens); sein kompositorisches Schaffen ist weniger bekannt. M.s Musik basiert auf der erweiterten Tonalität im Sinne P. Hindemiths und zeigt neben der Neigung zu Linearität und Motorik viel Sinn für subtile wie machtvolle Klangwirkungen. Als Musiktheoretiker hat M. mit seinem Beitrag zur Harmonielehre in Weiterführung von Gedanken H. Grabners die Riemannsche Funktionstheorie zu einem auf die Hörwirklichkeit bezogenen Lehr- und Analysesystem entwickelt, das weite Verbreitung fand. WW: 1) Iostr.-WW: Für Klv.: 6 Sonaten (1937-46); Suite Der Mayen (1947); Terzett für 2 V. u. Va. (1938); 2 Streichquartette (1935, 1942). - Für Orch.: Konzert für kleines Orch. mit Cemb. (1927); Concerto grosso (1928); Orchesterspiel (1930); V.-Konzert (1932); Musik für Streichorch. (1937); Flämisches Rondo (1937); Konzert für V., Vc. u. Klv. u. Orch. (1940); Serenade (1941). - 2) Vokal-WW: 4 Hölderlin-Chöre (1933); Kantate nach Texten von Stefan George (1930); Oratorium Der ewige Strom (1934). - 3) Sehruten: Beitrag zur Harmonielehre (L 1931), neu bearbeitet als: Beitrag zur durmolltonalen Harmonielehre (Mn .1950, '1967) (zus. mit G. Bialas u. J. Driessler). Lit.: K. LAUX, Musik u. Musiker der Gegenwart (Essen 1949); O. RIEMER, in: Der Kirchenmusiker 13 (1962); D. DE LA MOTTE, in: Musica 26 (1972) u. 30 (1976). E. PLATEN
MALIBRAV, Maria Fellcitá, /Garcia 3). MALIPIERO. —1) Gian Francesco, * 18.3.1882 Venedig, t 1. B. 1973 Treviso; it. Komponist. M. studierte 1898/99 am Wiener Konservatorium, dann bei M. E. Bossi in Venedig und Bologna, wo er 1904 das Diplom in Komposition erwarb_ 1908 nahm er kurze Zeit Kompositionsunterricht bei M. Bruch, zog sich jedoch vor dessen Traditionalismus bald zurück. 1913 erlebte M. die Uraufführung von I. Strawinskys Sacre du Printemps und erklärte daraufhin die meisten seiner bislang entstandenen Werke für ungültig. In diesem Jahr gewann er beim Concorso nazionale di musica in Rom mit fünf unter Pseudonymen eingereichten Werken vier der ersten Preise. 1921-24 war er Kompositionslehrer am Konservatorium in Parma und übernahm 1932 eine Meisterklasse am Liceo musicale B. Marcello in Venedig, das er 1939-53 leitete. 1926 begann M., der schon seit 1902 Werke italienischer Komponisten des 17. und 18. Jh. gesammelt hatte, mit der Herausgabe der Monteverdi-Gesamtausgabe. 1947 wurde er künstlerischer Leiter am Istituto Italiano Antonio Vivaldi und trug zu der dort veröffentlichten Gesamtausgabe dieses Komponisten weit mehr als 100 Konzerte bei. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Poemi asolani (1916); A. C. Debussy (1920); Tre preludi a una fuss (1926); Prélude à une fuge imaginaire. Hommage i Bach (1932); Bianchi e Neri (1964); 8 Streichquartette, 1: Rispetá e srrambotá (1920), 2: Stornelli e ballate (1923), 3: Cantari alla madrigalesca (1931), 4: (1934), 5: Dei
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capricci (1950), 6: L'arca di Noé (1947), 7: (1950), 8: Per Elisabetta (1964); Ricercari (1925) u. Ritrovari (1926) für 11 Instr.; Serenata (1959) u. Endecatode (1966) für 14lnstr. - Für Orch.: Impressioni dal vero, 3 Teile (1910, 1915,1922); Pause del Silenzio, 2 Teile (1919, 1926); Variazioni senza tema (1923) für Klv. u. Orch.; Sinfonia in un tempo (1950); Sinfonia dello Zodiaco (1951); Elegia-Capriccio (1953); Vivaldiana (1952); Omaggio a Belmonte (1971); Gabrieliania (1971); Sanranipolo (1971). - 11 Symphonien, 1: In quattro tempi come le quattro stagioni (1933), 2: Elegiaca (1936), 3: Delle campane (1945), 4: In memoriam (1946), 5: Concertante, in ecco (1947), 6: Degli archi (1947), 7: Delle canzoni (1948), 8: Symphonia brevis (1964), 9: Dell'ahimč (1966), 10: Atropo (1967), 11: Delle cornamuse (1969); 6 Klv.Konzerte (1934, 1937, 1948, 1950, 1958, 1964); Fl.-Konzert (1968). - 2) Vokal-WW: Für Soli, Chor u. Orch.: Mysterien San Francesco d'Assisi (1921) u. [a cena (1937); La Passione (1935); Heldensymphonie Vergilii Aeneis (1944); Missa pro mortuis (1938) für !Bar., Chor u. Orch.; Preludio e morte di Macbeth (1958) für Bar. u. Orch.; L'aredodese (1958) für Sprecher, Chor u. Orch.; Concerto di concerto ovvero dell'Uom malcontento (1960) für Bar., V. u. Orch.; Abracadabra (1962) für Bar. u. Orch. - 3) Bilhaea-WW: Opern: Trilogie L'Orfeide, UA: Düsseldorf 1925; Tre Commedie Goldoniane, UA: Darmstadt 1926; Filomela e l'infatuato, UA: Prag 1928; Trilogie Il mistero di Venezia, UA: Coburg 1932; La favola del figlio cambiato, UA: Braunschweig 1934; Giulio Cesare, UA: Genua 1936; Antonio e Cleopatra, UA: Florenz 1938; La vita è sogno, UA: Breslau 1943; I capricci di Callot (nach E. T. A. Hoffmann), UA: Rom 1942; Il figliuol prodigo, UA: Turin 1957; Donna Urraca, UA: Bergamo 1954; Venere prigioniera, UA: Florenz 1957; Don Giovanni (nach Puschkin), UA: Neapel 1963; Le metamorfosi di Bonaventura, UA: Venedig 1966; Don Tartufo Bacchettone, UA: ebd. 1970; Gli eroi di Bonaventura, UA: Mailand 1969; Uno dei dieci, UA: Siena 1971; L'Iscariota, UA: ebd. 1971. - Ballette: Panica, symphonisches Drama für eine Solotänzerin, Bar., Chor u. Orch., UA: Venedig 1932; Stradivario, UA: Lissabon 1951; El mondo nuovo, UA: Rom 1951. - 4) Scl>ratea: L'orchestra (Bol 1920); Teatre (Bol 1920, Mi 21927); I profeti di Babilonia (Mi 1924); C. Monteverdi (Mi 1930); Strawinsky (V 1945); L'armonioso labirinto (Mi 1946); A. Vivaldi (Mi 1958); Ti co mi e mi co ti (Mi 1966); Di palo in frasca (Mi 1967)
(= L'armonioso labirinto); Maschere della commedia dell'arte (Bol 1969). - Ferner edierte M. die GA v. C. Monteverdi (Asolo 1926-42, Nachdr. W 1966-68) u. war Mit-Hrsg. der GA der Instrumentalwerke A. Vivaldis (Mi 1947-72).
M. verfolgte mit seinen Kompositionen das Ziel, die italienische Musik aus den formalen und inhaltlichen Schemata des 19. Jh. zu befreien. Um 1917 löste er sich von Einflüssen des Impressionismus und gelangte nach einer kurzen expressionistischen Schaffensphase zu einer diatonischen, linear geprägten Musiksprache, die immer mehr durch Cl. Monteverdis Madrigalstil und das venezianische Konzert beeinflußt wurde. M.s Personalstil mit von der Gregorianik bestimmtem Melos, fluktuierender Rhythmik, funktionsgelöster (Quarten-)Harmonik und Bevorzugung des Spaltklangs stellt sich dar als Einheit von Tradition und Gegenwart, von Konstruktivismus und Freizügigkeit. Das Ersetzen von thematisch-funktionaler Durchführungsarbeit durch eine Folge neuer musikalischer Gedanken legitimiert M. historisch: „Die italienische Tradition ... ist ein freies Gespräch, logisch, lebendig und nur selten mit thematischen Wiederholungen."
Mallarmé 2) Riccardo, Neffe von 1), * 24. 7. 1914 Mailand; it. Komponist und Musikkritiker. Er studierte bis 1932 Klavier am Konservatorium in Mailand, anschlieBend bis 1937 Komposition am Konservatorium in Turin und besuchte die Kurse seines Onkels in Venedig. Zunächst am französischen Impressionismus orientiert, wandte M. sich der Zwölftontechnik A. Schönbergs zu und gehörte 1948 zu den Initiatoren des 1. Internationalen Kongresses für Zwölftonmusik in Mailand. 1963 hielt er einen Kompositionskurs am Centro de Altos Estudios Musicales des Instituto Torcuato di Tella in Buenos Aires ab, lehrte im Sommer 1969 an der University of Maryland und leitet seit Oktober 1969 das Konservatorium in Varese. In seiner Eigenschaft als Musikreferent, Musikkritiker und Musikschriftsteller weist M. auf die Verpflichtung hin, die Gegenwart bewußt als Fortsetzung der Tradition zu gestalten. Seine Kompositionen sind stets originelle Lösungen von Problemen, die sich aus dieser Verpflichtung ergeben. Obwohl die unbekümmerte Heiterkeit der Jugend an ihm vorübergegangen zu sein scheint, tragen einige seiner Werke humorvolle Züge, so die als Gegenstück zu J. Haydns Abschiedssymphonie konzipierte Ouverture-divertimento „del Ritorno" (1953). WW: 1) Instr.-WW: 3 Streichquartette (1941, 1954, 1960); Klv.-Quintett (1957); Nuclei (1966) für 2 Klv. u. Schlagzeug; Fantasia (1970/71) für Vc. solo; Giber folla (1973) für Klar. u. Klv.; Winterquintett (1976) für Klar. u. Str.; Musica (1979) für 4 Vc. - Für Orch.: Ouverture-divertimento „del Ritorno" (1953); Symphonie (1959); Nykteghersia (1962); Cadencias (1964); Muttermusik (1965/66); Requiem 1975 (1975); Canti (1978) für Va. u. Orch.; Rondo (1979); Konzerte für: V. (1952), Klv. (1955) u. Vc. (1957). - 2) Vokal-WW: Sinfonia cantata (1956) für Bar. u. Orch.; Cantata di natale (1959) für Sopran, Chor u. Orch.; In Time of Daffodils (1964) für Sopran, Bar. u. Instr.; Monologo (1969) für SingSt u. Str.; Kantate Go placidly... (1974/75) für Bar. u. Kammerorch.; Tre frammenti (1979) für SingSt u. Klv. 3) diikseo-WW: Minnie la candida, UA: Parma 1942; Ls donna è mobile, UA: Mailand 1957; Fernsehoper Battono alla Porta, UA: RAI 1962, szenisch Genua 1963. - 4) Sehr@tea: G. S. Bach (Brescia 1948, .1958); Debussy (ebd. 1948, 2 1959); Guida a L'Enfant et les sortilèges (Mi 1948); Guida al Pelléas et Mélisande (ebd. 1949); Guida discografica alla musica sinfonica (ebd. 1957); D libro completo dell'amatore di dischi (ebd. 1958, .1960) (zus. mit R. Allorto u. a.); Guida alla dodecafonia (ebd. 1961); Ricordo di A. Casella, in: Musicisti piemontesi e liguri, hrsg. v. A. Damerini -G. Roncaglia (Siena 1959). - Ferner war M. Hrsg. des Dizionario di centouno capolavori del melodramma (Mi 1969); Musica ieri e oggi, 6 Bde. (R 1970) (zus. mit E. Radius u. G. G. Severi). Lit.: Za 1): H. PRUNIĚREs, G. F. M., in: MQ 6 (1920); H. H. STUCKENSCHMIDT, Zu M.s Bühnenwerken, in: Melos 13 (1934); G. F. M., in: Rass. Mus. Sonder-Nr. (1942) Februar-H.; H. BONTEMPELLI, G. F.M. (Mi 1942); F. D'AMIco, G. F. M., in: Melos 17 (1950); E. HELM, G.F.M., in: ebd. 19 (1952); G. M. GATTI, G. F. M., in: ÖMZ 8 (1952); L'opera di G.F. M., hrsg. V. DEMS. (Treviso 1952); M. LABROCA, M., musicista veneziano (Bol 1957); H. LINDLAR, G. F. M., in: MS 11 (1957); E. HELM, In der Casa M., in: Melos 29 (1962); DERS., G. F. M. u. die it. Musik des 20. Jh., in: NZUM 133 (1972); L. DALLAPICCOLA, Der Geist der it. Musik. G. F. M. zum Gedenken, in: OMZ
29 (1974); M. MILA, G. F. M. e l'irrazionalismo contemporaneo, in: Atti dell'Ist. Veneto di Scienze. Lettere ed Arti 134 (V 1974); Omaggio a M., hrsg. v. M. MESSINIS (Fi 1977); J. C. G. WATERHOUSE, I lavori „distrutti" di G. F. M. Brani da un „work in progress", in: NRMI 13 (1979). - Za 2): C. SARTORI, R. M. (Mi 1957) (engl.); DERS. - P. SANTI, Due tempi di R. M. (Mi 1964). K. LANGROCK
MALLARMÉ, Stéphane, * 18.3.1842 Paris, t 9.9. 1898 Valvins (Seine-et-Marne); frz. Dichter. Die Begegnung mit Villiers de l'Isle-Adam im September 1864 inspirierte M. zu einer wachsenden Berücksichtigung der Musik im Rahmen seiner Dichtung. Anders als Ch. Baudelaire, dessen WagnerBegeisterung sich besonders an einer TannhäuserInszenierung in Paris 1861 entzündete, kannte M. das Werk des deutschen Komponisten zunächst im wesentlichen aus sekundären Hinweisen, die ihm Wagner zum Symbol einer totalen, auch antizivilisatorisch verstandenen Einswerdung von Wort und Musik werden ließen (Richard Wagner. Reverie d'un poète français, 1885; Hommage à Wagner, 1886). In seinem Bemühen um die theoretische Fundierung einer entsprechend verstandenen absoluten poetischen Praxis bezog M. die Überlegungen der deutschen Romantiker (Novalis, L. Tieck) ebenso mit ein wie die der französischen Symbolisten (Th. Banville, A. Rimbaud, P. Verlaine) und der Parnassiens. Sein berühmtes Vorwort zum Traité du verbe des Lyrikers René Ghil (1886) spricht so folgerichtig von „den Gesetzen ... die eine sprachliche Instrumentierung des Geistigen festlegen". Der immer wieder neue Versuch, die unsagbare Füllung des Wortes durch dessen Verknüpfung mit der Musik zu artikulieren, findet seinen Ausdruck in dem Vortrag La musique et les lettres (1894), in dem es heißt: „... vergessen wir die alte Unterscheidung zwischen Musik und Literatur, da sie nur die selbstgewollte, um später sich wieder zu treffen, Aufspaltung des ersteren Falles ist ..." Musik und Literatur sind für ihn daher „das wechselweise Antlitz, hier zur Dunkelheit sich weitend, aufleuchtend, da mit Gewißheit, ein und desselben Phänomens ..., ich nannte es, die Idee". Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sind seine Werke Hérodiade (Fragment, begonnen 1864), für Jean Royère „total und absolut das Gedicht der Abwesenheit", und — als Partitur von Wort, Zufall und Musikalität — Un coup de dés (1897) entstanden. Musikgeschichtlich und literaturhistorisch bedeutsam ist die Beziehung zwischen M. und Cl. Debussy, dessen Prélude für Orchester (1892) nach M.s Églogue L'après-midi d'un faune dem Dichter allerdings nur teilweise zusagte. Komponisten wie Debussy, M. Ravel, D. Milhaud und P. Boulez haben sich darüber hinaus dem Geheimnis einzelner Gedichte M.s musikalisch zu nähern versucht, 199
Malvezzi letztlich zum Scheitern verurteilt wie der symbolistische Autor selbst. Denn die Sehnsucht nach dem Absoluten, das hinter einer unerträglichen Realität und Gegenwart beständig ruht, kann in einer strukturierten Kunstform nur metaphorisch angesprochen, aber nicht gestillt werden. Die literarischen Verwandlungen, die die Gedanken M.s im 20. Jh. erfahren haben, beweisen dies zur Genüge. Kompositionen nach Texten von M.: C. Debussy, Apparition (1882-84); dem., Trois poèmes de S. M. (1913); ders., Prélude à l'après-midi d'un faune (1892-94) für Orch.; M. Ravel, Sainte u. Trois poèmes de S. M. (1913) für SingSt, Streichquartett, 2 Fl. u. 2 Klar.; P. Boulez, „Pli selon pli", Portrait de M. (1957-1962) (aus Remémoration d'amis belges). Ausg.: GA, ling. v. H. MONDOR — G. JEAN - AUBRY (P 1970) (= Bibl. de la Pléiade 65); Sämtliche Gedichte, dt. Übers. v. C. FISCHER (Hei 1957, Kö 2 1969). Lit.: E. M. LUDERS, Sechzig Jahre M. -Forsch., in: Romanistisches Jb. 8 (1957); S. BERNARD, M. et la musique (P 1959); H. R. ZELLER, M. u. das serielle Denken, in: Sprache u. Musik, hrsg. v. H. Eimert (W 1960) (= die Reihe 6); M. BUTOR, M. selon Boulez, in: Melos 28 (1961); E. LOCKSPEISER, M. and Music, in: MT 107 (1966); H. SCHMIDT-GARRE, M. u. der Wagnérisme, in: NZfM 130 (1969); P. BOULEZ, WerkstattTexte, hrsg. v. J. Häusler (B 1972); J. KRISTEVA, „Pli selon pli". Portrait de M., in: SMZ 113 (1973); R. GERLACH, P. Boulez u. S. M., in: Uber Musik u. Sprache, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1974) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 14); A. B. WENK, C. Debussy and the Poets (Berkeley — Los Angeles — Lo 1976); TH. HIRSHRUNNER, Zu Debussys u. Ravels M. -Vertonungen, in: AfMw 35 (1978); M. HARDT, S. M., in: Fez. Lit. des 19. Jh., IlI: Naturalismus u. Symbolismus, hrsg. v. W.-D. Lange (Hei 1980). W. -D. LANGE
MALVEZZI, Cristoforo (Cristofano), * 27. 7. 1547 Lucca, t 25. 12. 1597 Florenz; it. Organist und Komponist. Er wurde 1562 Kanonikus an S. Lorenzo in Florenz und nach dem Tod seines Lehrers Fr. Corteccia 1571 dort Kapellmeister. 1577 erhielt er außerdem die Stelle des großherzoglichen Kapellmeisters und 1596 des Domkapellmeisters in Florenz. M., ein Freund E. de' Cavalieris und der Lehrer von J. Peri, spielte eine hervorragende Rolle im Florentiner Musikleben. So komponierte er u. a. die (nicht erhaltenen) Intermedien zu L'Amico fido von G. de' Bardi für die Hochzeit von Cesare d'Este mit Virginia de' Medici (1585) sowie den größten Teil der Intermedien zu La Pellegrina von Girolamo Bargagli für die Hochzeit von Fernando de' Medici mit Christine von Lothringen (1589); weitere Intermedien dazu schrieben u. a. E. de' Cavalieri und L. Marenzio. WW: Recercari für 4 St. (Perugia 1577), Madrigale für 5 St. (V 1583), für 6 St. (V 1584), einige Madrigale in Sammeldrucken 1589-1604; die Intermedien von 1589, in: RISM 1591'.
M.s Madrigale mit transparenter, vorwiegend homorhythmischer Anlage zeigen das Streben nach einer natürlichen musikalischen Deklamation, wobei er einerseits an Corteccia anknüpfte, andererseits sich die neuen Prinzipien der Camerata 200
fiorentina zu eigen machte. Die Madrigale der Intermedien von 1589 sind ähnlich konzipiert, zeichnen sich darüber hinaus durch Einbeziehung zahlreicher, die Vokalstimmen verstärkender Instrumente aus. Gelegentlich werden kontrastierende Klanggruppen einander gegenübergestellt. Ausg.: Ein Orgelstück, in: I classici italiani dell'organo, hrsg. v. I. FUSER (Padua 1955); Musique des intermčdes de la Pellegrina, hrsg. v. D. P. WALKER — F. GHISI — J. JACQUOT (P 1963). Lit.: H. GOLDSCHMIDT, Stud. z. Gesch. der it. Oper im 17. Jh. 1 (L 1901, Nachdr. Hil — Wie 1967) (darin 2 Stücke); M. SCHNEIDER, Die Anfänge des B.c. (L 1918, Nachdr. Farnborough 1971) (darin 6 Madrigale u. 3 Sinfonien); H. ENGEL, L. Marenzio (Fi 1956); F. D'ACCONE, The Intavolatura di M. Alamanno Affolli, in: MD 20 (1966); F. BORROMEO, Notizie istoriche sulla vita e l'opera di C. M. (1966) (= Diss. Univ. Florenz); D. S. GUTCHART, The Madrigal in Florence, 1560-1630 (1979) (= Diss.
Univ. of Oxford).
MÄLZEL (Mälzl, Melzl), Johann Nepomuk, * 15. 8.1772 Regensburg, t 21.7.1838 auf der Überfahrt von La Guaira nach Philadelphia; österreichischer Instrumentenmacher. M. kam 1792 nach Wien und eröffnete dort eine Werkstatt für mechanische Musikwerke, die rasch bekannt wurde. 1800 baute er das „Orchestrion", einen Vorläufer seines Panharmonicons (1803), für das L. van Beethoven den 2. Teil von Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria, op. 91 (1813) schrieb. 1808 erhielt er den Titel „Hofkammermaschinist". Berühmt wurde M. durch das von ihm verbesserte und in seine endgültige Form gebrachte /Metronom. Die Schläge dieses Gerätes regten Beethoven zu einem Kanon an: Ta ta ta ... lieber Mälzel, leben sie wohl, sehr wohl, Banner der Zeit, groí3er Metronom (WoO 162); die Melodie benutzte er dann im 2. Satz der B. Symphonie. 1825 übersiedelte M. in die USA, wo er mit gleichem Erfolg wirkte. Sein Bruder Leonhardt M., * 1783 Regensburg, t 1855 Wien, baute ebenfalls mechanische Musikwerke und arbeitete möglicherweise eine Zeitlang mit ihm zusammen. 1827 erhielt er den Titel eines kaiserlichen musikalischen Hofkammermaschinisten. Lit.: R. ANGERMÜLLER, Aus der Frühgesch. des Metronoms. Die Beziehung zw. M. u. Salien , in: ÚMZ 26 (1971).
MAMANGAKIS, Nikos, * 3. 3. 1929 Rethymnon (Kreta); griech. Komponist. Er studierte 1947-53 Musik in Athen, wirkte anschließend als Musiklehrer und Kapellmeister auf Kreta und setzte 1957-61 seine Studien an der Münchner Musikhochschule bei H. Genzmer und C. Orff fort. Daneben arbeitete er am Institut für Elektronische Musik der Firma Siemens (1961-62). M. lebt heute als Komponist und Rundfunkmitarbeiter in Athen. Ähnlich wie M. Theodorakis verwendet er gelegentlich Elemente der griechischen Volksmusik, mit denen er vor allem gesellschaftliche und poli-
tische Kritik auszudrücken sucht. Durch diese Werke ist M. in Griechenland bekannt geworden. WW: 1) 1 1r.-WW: Konstruktionen (1958) für Fl. u. Schlagzeug; Monolog (1960) für Vc. solo; Antagonismoi (Wettstreite) (1964) für Vc. u. Schlagzeug; Tetraktys (Vierer) (1964) für Streichquartett; Trittys (Dreier) (1966) für Gitarre, 2 Kontrabässe u. Cimbalom; Askessis (Übung) (1970) für Vc. solo; Anarchia (1971) für groBes Orch. u. Schlagzeug; Penthima (Zur Trauer gehörig) (1971) für Gitarre oder Vc. solo; Glotymos (1973) für Tonband. - 2) Vokal-WW: Musik für 4 Protagonisten (1960) für 4 Solost., Sprecher u. kleines Orch.; Sprachsymbole (1961/62) für Sopran, BaB u. groBes Orch.; Kassandra (1963) (nach Aischylos) für Sopran u. Kammerorch.; Antinomien (1968) für Kammerorch., Chor u. Soli; Bolivar (1968), Volkskantate im Pop-art-Stil; Parastassis (Aufführung) (1970) für Frauenat., Fl.n u. Tonband; 11 Volkslieder (1972) für Soh, Chor u. Orch.; Magodia (1973-76) für Bar. u. Kammerensemble; Laiki litourgia (Volksliturgie) (1976) für Frauenat., Erzähler u. Kammerensemble. - 3) Bïba-WW: Theama-Akroama (Zu Sehendes, zu Hörendes) (1967), Happening für 8 Instr., Sopran, Schauspieler, Tänzerin u. Maler; Ballett Die Bacchanten (1969) (nach Euripides); Kykeon (Wirrwarr) (1972), szenische Psychomusik für Kammerensemble; ferner zahlreiche Bühnen- und Filmmusik.
MAMBO. —1) Afrokubanische Bz. für Polymetrie, wie sie auf Haiti auch in kultischem Gebrauch ist. — 2) Lateinamerik. Gesellschaftstanz afrokubanischer Herkunft, der in den 40er Jahren aus der Verbindung von /Danzón, /Rumba und /Swing entstand. Typisch für den M. sind schnelles Tempo und Betonungen auf der 2. und 4. Taktzeit (sog. Rumba-Swing, MM J = 164-224). Bekannt wurde u. a. Pérez Prado und sein Orchester mit den M.-Titeln Mambo Jambo und Patricia. Der M. wurde von dem aus ihm entstandenen /Cha-chacha verdrängt. Lit.: H. GUNTHER - H. SCHÄFER, Vom Schamanentanz zur Rumba (St 1959).
MAME, amerik. Musical von Jerry Herman (*1932), der die Musik und Song-Texte schrieb, Buch von Jerome Lawrence und Robert E. Lee nach ihrem Bühnenstück Auntie Mame, einer Adaption des gleichnamigen Romans von Patrick Dennis. Ort und Zeit der Handlung: New York, zwischen 1928 und 1946. UA: 24.5. 1966 in New York (Winter Garden Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 1. 10. 1970 in Nürnberg (Opernhaus). Verfilmt 1974. Mit Mame, einem Stück um eine resolute Dame, knüpfte Herman an sein Musical Hello, Dolly! an. So erwies sich auch dieses Werk als vital genug, um mit 1508 Vorstellungen en suite beim Publikum und mit dem Antoinette Perry Award bei der Kritik glänzend anzukommen. Ähnlich wie in Hello, Dolly! wurde auch in Mame der Titelsong zum Weltschlager. R.-M. SIMON - S. SIMON MANCHICOURT (Mancicourt, Manicourt), Pierre de, * um 1510 Béthune (Pas-de-Calais), t spätestens Ende Januar 1562; franko-flämischer
Komponist. Er ist 1525 als Sänger an der Kathedrale von Arras nachweisbar, wurde 1539 Praefectus, 1545 Kapellmeister und 1554 Phonascus an Notre-Dame in Tournai. 1556 lebte er als Kanonikus in Arras, war 1557-60 Domkapellmeister in Antwerpen und ging 1561 als Leiter der flämischen Kapelle König Philipps II. von Spanien nach Madrid. M. knüpfte in seinen Werken stilistisch an N. Gombert und Th. Créquillon an. WW: Je ein Buch Motetten für 4-6 St. (P 1539) u. für 5-6 St. (Löwen 1554); ein Buch Chansons für 4 St. (An 1545); Missa .. . Quo abiit (P 1556, 2 1568). Ausg.: GA, hrsg. v. J. D. WICK, bisher erschienen: Bd. 1, Motetten (1971) (= CMM 55). Lit.: J. D. WICKS, The Motets of P. de M., 2 Bde. (C/M 1959) (= Diss. Harvard Univ.); A. DUNNING, Die Staatsmotette 1480-1555 (Utrecht 1970).
MANCINELLI, Luigi, * 5. 2. 1848 Orvieto, t 21. 2. 1921 Rom; it. Dirigent und Komponist. M. studierte Violoncello in Florenz, trat dort 1863 in das Orchester des Teatro La Pergola ein, 1874 in das Orchester des Teatro Apollo in Rom, wo er im selben Jahr mit Aida von G. Verdi als Dirigent debütierte. 1881-86 wirkte er in Bologna als Direktor des Liceo musicale, Leiter des Teatro Comunale und Kapellmeister an S. Petronio. AnschlieBend ging er nach London, wo er zunächst am Drury Lane Theatre und 1888-1905 am Covent Garden dirigierte. Außerdem dirigierte er 1888-93 am Teatro Real in Madrid und 1893-1911 an der Metropolitan Opera in New York. 1906 leitete er in Buenos Aires die Eröffnungsvorstellung (Aida) des neuerbauten Teatro Colón, dem er bis 1912 angehörte. Als Komponist geriet M., der dem Verismo zuzuordnen ist, rasch in Vergessenheit. WW: Symphonische Dichtungen u. Ouvertüren für Orch.; Lieder; geistliche Werke; Oratorium Isaia (1887); Opern: bora di Provenza, UA: Bologna 1884; Eroe Leandro, UA: Turin 1896; Paolo e Francesca, UA: Bologna 1907. Lit.: G. OREFICE, L. M. (R 1921); L. SILVESTRI. L.M. (Mi 1967); V. Gut, Ricordo di L. M., in: NRMI 5 (1971); M. RINALDI, L. M., direttore d'orchestra, in: Musica e musicisti controluce (R 1972); R. MARIANI, Il gusto di L. M., in: Verismo in musica e altri studi (Fi 1976).
MANCINI, Francesco, * 16. 1. 1672 Neapel, t 22. (?) 9. 1737 ebd.; it. Komponist. M. war Schüler von Fr. Provenzale am Conservatorio di S. Maria della Pietà dei Turchini in Neapel, wo er am Teatro S. Bartolomeo seine erste Oper, Ariovisto ovvero L'amore fra l'armi, herausbrachte. 1704 wurde er 1. Organist, 1708 Vizekapellmeister und 1725 als Nachfolger D. Scarlattis 1. Kapellmeister der Hofkapelle in Neapel, 1720 auch 1. Kapellmeister am Conservatorio S. Maria di Loreto. 1710 brachte er in London Idaspe fedele zur Aufführung. Dieses Werk war nach Almahide (eines anonymen Verfas201
Mancini sers) im Januar desselben Jahres die zweite Oper in
England, die ganz in italienischer Sprache dargeboten wurde. WW: Solos (Lessons) für V. oder Fl. u. B.c. (Lo 1724). - Einige Messen u. a. kirchenmusikal. Werke (hal.); Oratorium Sant'Elia profeta (hal.); Chöre zu der Tragedia cristiana Maurizio (Neapel 1729); zahlr. Kammerkantaten hsl. - Etwa 30 Opern u. Intermezzi, davon erhalten: Gli amanti generosi, UA: Neapel 1704; Alessandro il Grande in Sidone, UA: 1706 (?); Idaspe fedele, UA (?) 1710 (Lo 1710); Trajano, Neapel 1723. Lit.: J. R. B. WRIGHT, The Secular Cantata of F. M. 1672-1736, 2 Bde. (1975) (= Diss. New York Univ.).
MANCINI, Giambattista (Giovanni Battista), * 1. 1.1714 Ascoli Piceno, t 4. 1. 1800 Wien; it. Sänger (Kastraten-Sopran) und Gesangspädagoge. In Bologna u. a. Schüler von Padre Martini und Mitglied der Accademia filarmonica, trat er zunächst als Opernsänger in Italien (Venedig) und Deutschland auf und wurde 1757 von Kaiserin Maria Theresia als Gesanglehrer der kaiserlichen Prinzessinnen nach Wien berufen. M. schrieb eine bedeutende Gesanglehre, Pensieri e riflessioni pratiche sopra il Canto Figurato (W 1774, veränderte Aufl. Mi 1777), ferner La libertà del cantare (Lucca 1752) und Lettera ... al1'Ill.mo Sig. Conte N. N. (W1796). Ausg.: Riflessioni pratiche..., Faks.-Ausg. (Bol 1970) (= Bibl. musica Bononiensis II/41). Lit.: J. GARTNER, Die Gesangsschule G. B. M.s, in: Der junge Haydn, hrsg. v. V. Schwarz (Gr 1971) (= Beitr. z. Aufführungspraxis 1).
MANCINI, Henry,* 16.4.1924 Cleveland (Ohio); amerik. Komponist. M. studierte an der Juilliard School of Music in New York, später Komposition bei M. Castelnuovo-Tedesco, E. Krenek und Albert Sendrey in Los Angeles. 1945-50 war er Pianist und Arrangeur beim Orchester Glenn Miller —Tex Beneke und arbeitete 1951-57 als Komponist für die Filmgesellschaft Universal International. Seither schrieb er zahlreiche Filmmelodien und Musik für Fernsehproduktionen. Zu seinen Erfolgstiteln gehören Mr. Lucky, I Love You and Don't You Forget It, The Shadow of Paris, Song about Love, Charade. 1961 wurde ihm für die Filmmusik zu Breakfast at Tiffany's (Frühstück bei Tiffany) der Academy Award verliehen. Lit.: D. EwEN, Great Men of American Popular Song (NY 1970).
MANCINUS (Menchinus; dt. Familienname: Menckin), Thomas, * 1550 Schwerin, t 1611 oder 1612 ebd.; dt. Komponist. M. immatrikulierte sich 1567 an der Universität Rostock, war 1572-79 Kantor in Schwerin und 1576 vorübergehend Kapellmeister am Dom von Güstrow, 1579-81 war er Tenorist der Berliner Hofkapelle, seit 1583 Kapellmeister des Bischofs von Halberstadt in Gröningen und 1587-1604 am Hof von Wolfenbüttel, wo 202
M. Praetorius sein Nachfolger wurde. Von M. sind vor allem die beiden deutschen Choralpassionen erwähnenswert (Turbasätze 4st. im Satz Note gegen Note), die zu den späten responsorialen Passionen in der Tradition J. Walters gehören. WW: Newe Lustige und Höffliche Weltliche Lieder für 4-5 St. (Helmstedt 1588); Duum vocum canticulae (ebd. 1597); Madrigalia latina et una Gagliarda für 5 St. (ebd. 1605); Cantiones sacrae für 5-8 St. (ebd. 1608); Passio Domini nostri Jesus Christi (je eine Passion nach Matthäus u. Johannes) (postum Wb 1620); gedruckt wurden ferner mehrere Gelegenheitswerke. Hsl. sind erhalten u. a. 12 Benedicamus Domino für 4 St. Ausg.: Matthäus-Passion („Celler Passion 1637"), hrsg. v. F. SCHMIDT (Kas 1949); Johannes-Passion, in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik I/3 u. 4, hrsg. v. K. AMELN - CH. MAHRENHOLZ - W. THOMAS (Gö 1935 ff.). Lit.: W. FLECHSIG, Th. M. (Wb - B 1933).
MANDOLA řMandora. MANDOLINE (engl., frz.: mandoline; it.: mandolino; span.: mandolina), lautenähnliches Zupfinstrument, das vermutlich aus zwei verschiedenen Instrumententypen entwickelt wurde und dementsprechend in zwei Hauptformen existiert. Die sog. Mailänder M. entstand im 17. Jh. in Norditalien als kleine ?Mandora und hatte ein schmaleres, halbbirnenförmiges Korpus, ein oder mehrere offene Schallöcher und 6 doppelte, später einfache, meist in g h e1 ai d2 e2 (oder g2) gestimmte Saiten, die an einem Querriegel auf der Decke und an den seitenständigen Wirbeln des geschweiften, zurückgebogenen Wirbelkastens befestigt waren. Das Instrument wurde nicht mit einem Plektrum, sondern mit den Fingern gezupft. Der zweite, früher entstandene Typ der M. wurde vermutlich zuerst in Florenz gebaut und ist heute in etwas abweichender Form als neapolitanische M. bekannt. Dieses Instrument geht nach C. Sachs auf ein südeuropäisch-arabisches Instrument zurück. Die in vielen, leicht unterschiedlichen Abarten bekannte neapolitanische M. hat als hervorstechendste Merkmale ein tiefes, bauchiges, aus 11 bis 23 schmalen Spänen zusammengesetztes Korpus mit unterhalb des Stegs abgeschrägter Decke, in die ein „Spielblatt" zum Schutz gegen Kratzer durch das Plektrum eingelassen ist, sowie ein kreisrundes oder ovales Schalloch. Die Saiten sind am unteren Ende unterhalb der Decke am Korpus befestigt. Der kurze Hals hat feste Metallbünde und endet in einem leicht abgeknickten, flachen Wirbelbrett mit hinterständigen Wirbeln. Das Stimmen der Drahtsaiten wird heute durch seitlich angebrachte Stellschrauben erleichtert. Die mit 4 Doppelsaiten in Violinstimmung ausgestattete neapolitanische M. wird mit einem Plektrum aus Schildpatt, Horn, Fischbein oder Kunststoff gespielt. Dabei werden die Saiten in schnellem Wechsel angerissen, wobei ein Effekt schneller Tonrepe-
Mandora titionen entsteht, der seit dem 19. Jh. besonders ausgenützt wird. Die der neapolitanischen M. verwandten Instrumente zeigen nur geringfügige Abweichungen (kleinere oder schlankere Resonanzkörper, unterschiedliche Besaitung). Zur Zeit ihrer Hochblüte gegen Ende des 18. Jh. begann der Ausbau der neapolitanischen M. zu einer ganzen Familie mit Piccolo-M., Sopran-M., Alt-M., dem Mandola genannten Tenorinstrument und den Baßinstrumenten Mandoloncello und Mandolone bzw. Arcimandola. Berühmte M.n-Bauer des 18. und 19. Jh. kamen aus der Familie Vinaccia (Neapel), von denen vor allem Pasquale Vinaccia hervorzuheben ist, der die M. seit 1835 mit Stahl-, statt der bis dahin üblichen Messingsaiten ausstattete. Zu nennen sind ferner P. Vimercati (Mailand, Ende 18. Jh.) und die Familie Calace (Neapel), die bis in das 20. Jh. M.n baute. Noch in der 1. Hälfte des 18. Jh. war die M. ein nur in Italien gebräuchliches Instrument; erst in der 2. Hälfte des 18. Jh. wurde sie vermutlich durch reisende Virtuosen auch in anderen europäischen Ländern bekannt. In der Kunstmusik wurde die M. vorwiegend als Serenadeninstrument in zahlreichen Opern verwendet, u. a. von G. Paisiello (B barbiere di Siviglia, 1782), W. A. Mozart (Don Giovanni, 1787), D. Fr. E. Huber (Fra Diavolo, 1830), G. Verdi (Les vépres siciliennes, 1855; Otello, 1887), H. Pfitzner (Palestrina, 1915) und M. von Schillings (Mona Lisa, 1915). J. A. Hasse und A. Vivaldi schrieben Konzerte für M., W. A. Mozart 2 Lieder mit M.n-Begleitung, J. N. Hummel ein Konzert und eine Sonate für M., L. van Beethoven 2 Sonatinen und ein Adagio für M. und Cemb. sowie ein Thema mit Variationen. Im Laufe des 19. Jh. geriet die M. fast völlig in Vergessenheit, wurde erst gegen Ende des 19. Jh. wiederentdeckt und seit dieser Zeit vor allem in Italien als Volksmusikinstrument geschätzt. Daneben bildeten sich in vielen europäischen Ländern wie auch in Amerika und Japan unzählige Vereinigungen von M.n-Spielern, die in großen Gruppen zusammenspielen. Während für eine oder 2 M.n und andere Instrumente zahlreiche Originalkompositionen überliefert sind, ist das Repertoire der M.n-Orchester überwiegend auf Bearbeitungen angewiesen. Seit dem späten 19. Jh. erscheint die M. vereinzelt auch wieder in der Kunstmusik, u. a. bei G. Mahler (7. und B. Symphonie, Das Lied von der Erde), A. Schönberg (Moses und Aaron, Serenade op. 24), I. Strawinsky (Agon), A. Webern (5 Stücke für Orch. op. 10) und H.-W. Henze (König Hirsch). Cl. Debussy schrieb ein Lied Mandoline (Text von P. Verlaine). Lit.: B. BORTOLAZZI, Anweisung, die M. selbst zu erlernen (L
1805); C. SACHS, Hdb. der Musikinstrumentenkunde (L 21930, Nachdr. Wie 1971); J. ZUTH, Die Mandolinenhss. in der Bibl. der Ges. der Musikfreunde in Wien, in: ZfMw 14 (1931/32); G. DE SAINT-FOIX, Un fonds inconnu de compositions pour m. (XVII' siècle), in: RMie 17 (1933); K. WOLKI, Gesch. der M. (B 1940, Neufassung 1974); P. J. BONE, The Guitar and M. (Lo 1954); A. BUCHNER, Beethovens Kompositionen für M., in: Beethoven-Jb. 3 (1957/58); F. JAHNEL, Die Gitarre und ihr Bau. Technologie von Gitarre, Laute, M., Sister, Tanbur und Saite (F 1963, 2 1973, engl. F 1980). M. BROCKER
MANDORA, Mandola, Mandore, seit dem 13. Jh. in Europa nachweisbare Bz. für ein lautenähnliches Zupfinstrument zunächst mit flachem, halbbirnenförmigem, in den Hals übergehenden Korpus und einem geschweiften, zurückgebogenen Wirbelkasten, später mit einer der Laute annähernd gleichen Form mit abgesetztem Hals und Rosette, jedoch ohne abgeknickten Wirbelkasten. Die M. blieb auch immer, mit Ausnahme der im 17. Jh. entwickelten Mandolenlaute (mandore luthée), kleiner als die Laute. Seit dem späten Mittelalter besaß die M. chörigen Bezug (Doppelsaiten) bei wechselnder Anzahl der Darmsaitenchöre, im allgemeinen 4 oder 5 Chöre in der Stimmung c g c1 g1 (auch f' oder e') bzw. c g c1 g' c2 oder c f c1 f' c2; erst im 17. Jh. erhöhte sich die Anzahl der Saitenchöre auf 7 oder B. Die M. wurde sowohl mit den Fingern als auch mit einem Plektrum gespielt. Vermutlich Ende des 12. Jh. war die M., aus dem Vorderen Orient oder aus dem arabischen Spanien 203
Mandyczewski kommend, in Mitteleuropa bekannt geworden und erschien in der Literatur als Mandura, Mandoire, Baudoire u. ä., als Guinterne, Gyterne u. ä. oder als Quinterne (noch 1511 bei S. Vůdung und 1528 bei M. Agricola), vermutlich auch als Guitarra morisca. Für M. Praetorius war die Quinterne ein Gitarreninstrument, die M. nannte er Pandurina, Mandürichen (Syntagma musicum II, 1619). Seit dem 18. Jh. heißt Mandola auch die Großform der řMandoline; sie ist eine Oktave tiefer gestimmt als diese. Lit.: F. W. GALPIN, Old English Instr. of Music (Lo 1910, '1965); A. KOCZIRZ, Zur Gesch. der Mandorlaute, in: Die Gitarre 2 (1920/21); K. GEHRINGER, Der Instrumentenname „Quinterne" u. die ma. Bz. der Gitarre, Mandola u. des Colascione, in: AfMw 6 (1924); J. ZUTH, Hdb. der Laute u. Gitarre (W 1926-28); F. JAHNEL, Die Gitarre u. ihr Bau (F =1973); L. WRIGHT, The Medieval Gittern and Citole. A Case of Mistaken Identity, in: GalpinJ 30 (1977). M. BROCKER
MANDYCZEWSKI, Eosebios (eig. Eusebie Mandicevschi), * 17.8. 1857 Czernowitz, t 13. 7. 1929 Wien; östr. Musikforscher. Er war Schüler von G. Nottebohm und R. Fuchs und studierte seit 1875 an der Wiener Universität (Musikwissenschaft bei E. Hanslick). 1879 lernte er J. Brahms kennen, mit dem er später freundschaftlich verbunden war. Er widmete sich seinen Aufgaben als Chor- und Orchesterdirigent, wurde 1887 Nachfolger von C. F. Pohl als Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde und lehrte seit 1896 an deren Konservatorium und seit 1897 am Wiener Konservatorium. Für seine Edition der Schubert-Gesamtausgabe verlieh ihm die Universität Wien 1898 die Ehrendoktorwürde. M. ist auch als Komponist von 12 Messen des orthodoxen Ritus hervorgetreten. WW: Schriften: Die Bibliothek Brahms , in: Musikbuch für Osterreich 1 (1904); Art. über J. Brahms, A. Bruckner, C.F. Pohl, J. StrauB, in: Allgemeine Dt. Biogr., 56 Bde. (L 1875-1912). — Ferner war M. Mit-Hrsg. v.: F. Schubert, GA, 40 Bde. (L 1884-97, Nachdr. Wie 1965); J. Haydn, GA I, 11 Bde. (L 1908 bis 1933) (unvollendet); J. Brahms, GA, 26 Bde. (L 1926-28, revidiert Wie 1965ff.). Ausg.: Opere alese (GA), hrsg. v. L. Rusu (Bukarest 1957). Lit.: M. SEYFF-KATZMAYER, Erinnerungen an E. M., in: Signale für die musikal. Welt 88 (1930); J. Brahms im Briefwechsel mit E. M., hrsg. v. K. GEIRINGER, in: ZfMw 15 (1932/ 33).
MANELLI, Carlo, 7Mannelli. MANELLI (Mannelli), Francesco, * um 1595 Tivoli bei Rom, t vor dem 27.9. 1667 Parma; it. Sänger und Komponist. Er war seit 1605 Chorknabe, 1609-24 Kapellsänger am Dom von Tivoli, ging 1624 nach Rom, wo er sich in der Komposition ausbildete, und heiratete eine Sängerin namens Maddalena. 1627-29 wirkte er als Domkapellmeister in Tivoli, kehrte dann nach Rom zurück und ging nach Venedig, wo er sich mit B. Ferrari und einer Sängertruppe zusammentat und 1637 mit seiner Oper 204
Andromeda das Teatro S. Cassiano, das erste öffentliche, gegen Eintritt zugängliche Opernhaus überhaupt, eröffnete. 1645 trat M. mit seiner Frau in den Dienst des Herzogs Ranuccio II. Farnese von Parma, der ihn zum Hofkapellmeister ernannte. Von seinen Opern hat sich nichts erhalten. WW: Vokal-WW: Ciaconne et arie, op. 3 (R 1629). Lit.: P. PETROBELLI, F. M. Documenti e osservazioni, in: Chigiana 24, N.S. 4 (1967); J. WHENHAM, M., in: Grove° XI.
MANEN, Hans van, * 11.7. 1932 Nieuwer Amstel (Nordholland); ndl. Tänzer und Choreograph. M. erhielt seine Ausbildung bei Sonia Gaskell, Françoise Adret und Nora Kiss und trat 1952 der Ballet Recital-Gruppe bei, die später in das Opernballett Amsterdam eingegliedert wurde. 1959 ging er zu Roland Petits Ballets de Paris, 1960 zum Nederlands Dans Theater in Den Haag, für das er über 35 Choreographien schuf und damit wesentlich zum Weltruhm des Ensembles beitrug. Seit 1973 ist M. Choreograph und Ballettmeister bei Het Nationale Ballet in Amsterdam; daneben choreographiert er als Gast auch an vielen anderen Bühnen des In- und Auslandes. Zahlreiche seiner mehr als 70 Choreographien, die gleichermaßen formbetont und ausdrucksstark sind und einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Balletts im 20. Jh. darstellen, sind internationale Repertoirestücke geworden. Oft auf einzelne Tänzerpersönlichkeiten abgestimmt, stehen viele seiner Werke in ihrem humanen Anspruch konträr zu den neoklassischen Choreographien G. Balanchines. M. verwendet auch Figuren des Modern dance und bezieht von der Avantgarde der bildenden Kunst und des Films Anregungen für seine Verfremdungstechniken. WW: Choreographien: L. Ponse, Feestgericht, UA: Amsterdam 1957; B. Britten, Klv.-Konzert für linke Hand, als: De maan in de trapez, UA: Utrecht 1959; I. Strawinsky, Symphony in Three Movements, UA: Den Haag 1963; W. Pijper, K. Stockhausen, P. Henry, Versch. Kompositionen, als: Point of No Return, UA: ebd. 1965; L. van Beethoven, GroBe Fuge op. 133 u. Cavatina aus dem Streichquartett B-Dur op. 130, als: GroBe Fuge, UA: Scheveningen 1971; I. Strawinsky, Concerto in D, als: Tilt, UA: Rotterdam 1971; ders., Sacre du Printemps, UA: Holland Festival 1974; dem., Ebony Concerto u. Tango, UA: Amsterdam 1976; F. Schubert, Klv.-Trio B-Dur op. 99, als: Grand Trio, UA: Wien 1978; J. S. Bach, 3 Duette aus „Klavierübung 3. Teil", u. L. Dallapiccola, 3 Episoden aus Marsia als: Klaviervariationen 1, UA: Amsterdam 1980. Lit.: H. KOEGLER, Ballett an einem Tag (Probenprotokoll), in: Ballett 1967 ( Velber 1967). B. A. KOHL
MANESSISCHE HANDSCHRIFT ?Heidelberger Liederhandschrift. MANFREDINI. —1) Francesco Maria, * um 1680 Pistoia, t 1748 ebd.; it. Violinist und Komponist. Er studierte in Bologna bei G. Torelli (Violine) und G. A. Perti (Komposition) und trat um 1700 in die
Manicke Kapelle von S. Petronio in Bologna ein. Nach kurzer Tätigkeit als 1. Violinist an der Heilig-GeistKirche von Ferrara ging er 1704 wieder nach S. Petronio in Bologna zurück. 1711 trat er in die Dienste des Bayerischen Hofs in München. Seit 1727 wirkte er in Pistoia als Domkapellmeister. M. gehört mit Fr. Sacchini und Perti zu den Bologneser Komponisten, die das Instrumentalkonzert nach dem Vorbild Torellis pflegten. WW: Concertini per camera für V. u. Vc. (oder Theorbe), op. l (Bol 1704); Sinfonie da chiesa für 2 V. u. B.c. mit Va. ad lib., op. 2 (Bol 1709); Concerti für 2 V. u. B.c. mit 2 V., Va. u. B. ad lib., op. 3 (Bol 1718), darin Nr. 12 ein Weihnachtskonzert Pastorale per il Santissimo Natale; Six Sonatas für 2 V., Vc. u. B.c. (Lo 1764); hsl. erhalten (Bologna) ein Konzert für 1 oder 2 Trp., Str. u. Org. (1711). - Von M.s Oratorien, deren Aufführungen bezeugt sind, ist nichts erhalten.
2) Vincenzo, Sohn von 1), * 22. 10. 1737 Pistoia, t 5. (16.) 8. 1799 St. Petersburg; it. Komponist und Musiktheoretiker. Er begann sein Musikstudium bei seinem Vater und setzte es bei Perti in Bologna und Gian Andrea Fioroni in Mailand fort. 1758 ging er mit seinem Bruder, dem Kastraten Giuseppe M., nach St. Petersburg und trat dort in den Dienst Kaiserin Katharinas II.; er wurde Cembalolehrer des Großfürsten Paul, des späteren Zaren Paul I. 1769 kehrte er mit seinem Bruder nach Italien zurück und ließ sich in Bologna nieder, wo er im folgenden Jahr W. A. Mozart begegnete. M. war Korrespondent des 1785-89 in Neapel erschienenen Giornale enciclopedico d'Italia. 1798 kehrte er auf Bitten Zar Pauls I. nach St. Petersburg zurück. WW: 1) 1 *r.-WW: 6 Sonaten für Cemb. (St. Petersburg 1765); A favourite concerto for the harpsichord (Lo um 1790); 6 Streichquartette (Fi o. J.). - 2) Vokal-WW: 6 Arie e un duetto dell'opera Olimpiade (Nü 1765); eine Messa funebre für 4 St. u. Instrumentalbegleitung hal. (Pistoia); ferner einzelne Arien u. Kantaten. - 3) ScMttea: Regole armoniche (V 1755, '1797); Difesa della musica moderna e dei suoi celebri esecutori (Bol 1788).
M.s Instrumentalmusik, die von J. Chr. Hiller scharf kritisiert wurde, ist ein typisches Beispiel für den galanten Stil und zeigt im Unterschied zu M.s Bühnenwerken individuelle Züge. Originell sind auch seine Regole armoniche, ein wertvolles Zeugnis für die Vokalpraxis und die Instrumentaltechnik des 18. Jahrhunderts. Ausg.: Z. 1): Sinfonia, op. 2 Nr. 10, hrsg. v. R. EHRMANN (W 1934); Sinfonia pastorale, op. 2 Nr. 12, hrsg. v. R. NIELSEN (Mi 1949); Concerto, op. 3 Nr. 9, hrsg. v. E. BONELLI (H o. J.); op. 3 Nr. 10, hrsg. v. B. PAUMOARTNER (Z 1947); op. 3 Nr.11, hrsg. v. W. UPMEYER (Hannover 1941) (= Nagels MA 153); Weihnachtskonzert, op. 3 Nr. 12, hrsg. v. F. SCHROEDER (Lo 1959); dass., hrsg. v. H. MAY(Mz 1967) (- Concertino 91); Concerto für 2 Trp. u. Streichorch., hrsg. v. A. TONI (Mi 1938). - Z. 2): Regole armoniche ..., Faks.-Ausg. (NY 1966) (= MMMLF II/10); Difesa della musica... , Faks-Ausg. (Bol 1972). Lit.: Za 2): A. MONILI, Delle regole piì: essenziali per imparare a cantare, in: RMI 18 (1911); DERS., Di un nuovo metodo per apprendere I'accompagnamento del basso, in: RMI 23 (1916).
MANGELSDORFF. — 1) Emil, * 11.4.1925 Frankfurt am Main; dt. Jazzmusiker (Altsaxophon, Klarinette, Flöte, Bandleader). Er war 1941 Mitbegründer des „Hot Club Frankfurt", kam Anfang der 50er Jahre zum Modern Jazz, spielte in verschiedenen Frankfurter Gruppen, vor allem mit seinem Bruder und Joki Freund, mit letzteren regelmäßig seit 1954 bis Ende der 50er Jahre. Seitdem tritt M., der auch zum „Jazzensemble des Hessischen Rundfunks" gehört, mit eigenen Gruppen auf; neben Modern Jazz spielt er immer wieder Swing im Stil Benny Goodmans. Hauptsächlich aber ist M. bis heute dem Idiom des Hard Bop verpflichtet. — 2) Albert, Bruder von 1), * 5. 9.1928 Frankfurt Main; dt. Jazzmusiker (Posaunist, Bandleader). Er spielte 1953 bei „Hans Kollers New Jazz Stars", hatte 1953-54 mit Dave Amram ein eigenes Ensemble und wurde bald die führende Persönlichkeit der „Frankfurter Szene", später auch des gesamten deutschen Jazz. In den 50er Jahren gründete er zusammen mit Joki Freund das „Jazzensemble des Hessischen Rundfunks", spielt seither mit eigenen Gruppen und in zahlreichen „All Star"-Formationen. Noch vor Mitte der 60er Jahre rückte M. in die Weltelite der Jazzposaunisten auf und wurde für die Mehrzahl seiner Kollegen in Europa und USA eine Schlüsselfigur. Seine Entwicklung geht von Dixieland und Mainstream über Cool Jazz, Bebop, Hard Bop zu modalem Jazz und Free Jazz. M. verfügt über eine überragende Virtuosität und hat damit Schule gemacht; charakteristisch dafür ist u. a. die Schallplatteneinspielung von Trombirds (1972). Weitere bedeutende Schallplatten sind Tension (1964), Now Jazz Ramwong (1964) und The Wide Pont (1975). Lit.: Zu 1): Jazz Podium 24 (1975). - Za 2): D. GLAWISCHNIG, Motivische Arbeit im Jazz, in: Jazzforsch. 1 (1969); W. SANDNER, Anmerkungen zur Improvisationstechnik A. M.s, in: ebd. 3/4 (1973).
MANICKE, Dietrich, * 29. 10. 1923 Wurzen (Sachsen); dt. Komponist. Er verbrachte seine Jugend in Dresden, wo er 1942-47 am Konservatorium Komposition bei F. F. Finke studierte und von R. Mauersberger gefördert wurde; 1949 erhielt er den „Carl Maria v. Weber-Preis" für Komposition. Außerdem widmete er sich dem Studium der Musikwissenschaft in Münster und Berlin, wo er 1955 bei H. H. Dräger mit der Dissertation Die Sprache als musikalischer Gestaltträger in Mozarts „Zauberflöte" promovierte. Er war in Berlin als Lehrer für Musiktheorie tätig (1950-53: Deutsche Hochschule für Musik; 1957-60: Berliner Kirchenmusikschule). 1960 wurde M. Dozent, 1967 Professor für Komposition und Musiktheorie an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold. M.s 205
Manier kompositorisches Schaffen umfaßt Orchester- und Kammermusik sowie geistliche Werke. In kontinuierlicher stilistischer Entwicklung ist er zu einer starken Erweiterung und freien Handhabung der über alles Experimentieren gestellten Tonalität gelangt und knüpft in diesem Sinne an P. Hindemith an, bezieht dabei aber auch Elemente der Zwölftontechnik variierend mit ein. Rhythmische und klangliche Vielfalt, Kontrapunktik und eine den Instrumental- und Singstimmen adäquate Schreibweise sind weitere Merkmale seiner Musik. WW: 1) llnrtr.-WW: Orgelwerke; Klv.-Senate (1961); Bläsersextett (1962); Quattro pezzi concertati (1974) für V. u. Klv. — Für Orch.: Passacaglia u. Fuge (1947); FL-Konzert (1967); Sinfonia brevis (1975). — 2) Vokal-WW: Psalm- u. Evangelienmotetten; Kleine geistliche Konzerte für Soli, Chor u. Org.; ein Magnificat (1968) für Mezzosopran u. Kammerorch. — 3) Schriften: Der polyphone Satz, 2 Bde. (Kb 1965 u. 1979). Lit.: G. HAUSSWALD, D. M., in: Der Kirchenmusiker 21 (B 1970) (mit Werk-Verz.). W. HOCHSTEIN
MANIER (von frz. manière = Art und Weise), Bz. für die Nachahmung eines Nationalstils (z. B. alla polacca, alla francese) oder Personalstils (à la manière de ...). Dabei werden charakteristische Merkmale wie harmonische Fortschreitungen, Kaderfloskeln oder Instrumentationseffekte übernommen. In der mittelalterlichen Musiktheorie wurde der Begriff „maneries" (auch „maneria") synonym für Modus („Modus vel maneries vel temporis consideratio est cognitio longitudinis et brevitatis meli sonique", Anonymus IV) gebraucht. „Maniera" bedeutete in der Poetik und Musiktheorie des 16. und frühen 17. Jh. (G. Zarlino, V. Galilei, Glareanus) sowohl die Vorschrift der Naturnachahmung wie die persönliche Gestaltungsweise eines Künstlers. Für die Komposition hieß dies die Beachtung der „natürlichen” Gesetze von Konsonanz und Dissonanz. Eine besondere Ausprägung erfuhr die Maniera in der Gesangskunst mit dem „recitar cantando", bei dem die Sprache die musikalische Vortragsweise bestimmte. So forderte G. Caccini (1601) eine „nobile maniera di cantare" für den Vortrag der Monodie. Im 18. Jh. (u. a. bei J. G. Walther, Musicalisches Lexicon, 1732) wurde M. im Sinne von /Verzierung verwendet. So kommt es nach J. Mattheson (1739) bei den „eigentlichen M.en im Singen und Spielen" im Grunde „nicht bloß auf Regeln, sondern vielmehr auf den Gebrauch, auf große Wirkung und Erfahrung" an. Fr. W. Marpurg nennt in seiner Klavierschule (1755) die notierten Figuren Setz-, die zu improvisierenden Verzierungen Spielmanieren. Lit.: L. SCHRADE, Von der „Maniera" der Komposition in der Musik des 16.Jh., in: ZfMw 16 (1934).
MANIERISMUS (von it. maniera = Art und 206
Weise), Bz. für eine Epoche der Kunst, vor allem für die italienische Kunst der Zeit zwischen Renaissance und Barock, auch für den Stil des Antiklassischen überhaupt. In die Kunstgeschichte wurde der Begriff durch Max Dvořák und Walter Friedländer eingeführt, der die Epoche des M. auf 1520-90 eingrenzte. Die führenden Meister des manieristischen Stils sind Iacopo da Pontormo, Rosso Fiorentino, Agnolo Bronzino, Parmeggianino und Domenico Beccafumi. Ernst Robert Curtius und vor allem sein Schüler Gustav René Hocke haben den Begriff verallgemeinert und bezeichnen damit alles, was der Idee des Klassischen widerspricht, das Seltsame, Abseitige, Übertriebene, Dämonische und Absurde. In der Musikgeschichtsschreibung wird der Begriff erst seit kurzem verwendet. H. Besseler hat damit die Musik nach 1530 bezeichnet. Die Frage, ob M. eine Epoche der Musikgeschichte bezeichnet, wird gegenwärtig diskutiert und kann schlüssig noch nicht beantwortet werden. Schwierig ist dabei nicht nur die Definition und Eingrenzung einer solchen Epoche selbst, sondern auch die der in der Renaissance ausgeprägten klassischen Norm, vor deren Hintergrund der Begriff M. sinnvoll angewendet werden könnte; denn würden Musikund Kunstgeschichte parallel gesetzt, so müßte die Musik der Generation von Josquin des Prés zur „Klassik`'und damit zum Zentrum der Renaissance erklärt und die der ihm folgenden Generationen der Epoche des M. zugewiesen werden. Auch G. P. da Palestrina würde so zum Manieristen, eine abwegige Vorstellung; denn Palestrina, dessen Musik für Jahrhunderte das Symbol der alten Kunst war, repräsentiert nicht eine Ausnahme der Kunst, die das 15./16. Jh. geprägt hat, sondern ihre „Norm". Sein Werk ließe sich nicht einmal unter Zwang mit dem Begriff des M. und des Manieristischen verbinden. Auch das Verhältnis Palestrinas zu seinen Vorgängern, etwa zu A. Willaert und Josquin des Prés, ist nicht das eines Manieristen zu den klassischen Vertretern der Kunst. Ist es einerseits unwahrscheinlich, daß sich der Begriff M. als Bezeichnung einer musikgeschichtlichen Epoche durchsetzen wird, so ist er andererseits zur Charakterisierung derjenigen Gattungs- und Kompositionsstile geeignet, die sich von der Norm der klassischen Vokalpolyphonie absetzen. Als manieristisch in diesem Sinne gelten das Madrigal, vor allem das späte Madrigal von L. Marenzio und C. Gesualdo wegen seiner Expressivität, seines Bewegungsreichtums und seiner Chromatik, aber auch einige geistliche Werke wie etwa die im chromatischen Genus komponierten Prophetiae Sibyllarum von O. di Lasso, Kompositionen, die mit Hilfe des
außergewöhnlichen Tongeschlechts die geheimnisvolle Sprache der antiken Wahrsagerinnen nachzuahmen versuchen. In Verbindung mit dem M. bringt man ferner Kompositionen, die sich aufgrund einer gesteigerten oder übertriebenen Kunsthaftigkeit von der jeweils geltenden Norm absetzen. Dazu zählen Kunstwerke ersten Ranges wie z. B. Josquin des Prés' Motette Stabat mater, die um eine französische Chanson heru.mkomponiert wurde, und kompositorische Kunststücke wie H. Isaacs Motette De radice Jesse aus dem Choralis Constantinus, die eine Vielzahl von Mensuren und Proportionen miteinander kombiniert. Lit.: M. DVORAK, Kunstgesch. als Geistesgesch. Stud. z. abendländischen Kunstentwicklung (Mn 1924); W. FRIEDLANDER, Die Entstehung des antiklass. Stiles in der it. Malerei um 1520, in: Repertorium für Kunstwias. 46 (1925); E. R. CURTIUS, Europäische Lit. u. lat. MA (Be 1948); G. R. HOCKE, Die Welt als Labyrinth. Manier u. Manie in europäischer Kunst (H 1957); L. SCHRADE, Von der „Maniera" der Komposition in der Musik des 16. Jh., in: ZfMw 16 (1934); H. HUCKE, Das Problem des M. in der Musik, in: Literaturwiss. Jb., N.F. 2 (1961); H. BESSELER, Das Renaissanceproblem in der Musik, in: AfMw 23 (1966); H. CH. WOLFF, Der M. in der barocken u. romantischen Oper, in: Mf 19 (1966); M. R. MANIATES, Mannerist Composition in France-Flemish Polyphony, in: MQ 52 (1966); L. BIANCONI. G. Caccini e il manierismo musicale, in: Chigiana 25 (1968); W. ELDERS, Du Symbol in der Musik von Joaquin des Prés, in: AMI 41 (1969); D. HARRAN, „Mannerism" in the Cinquecento Madrigal?, in: MQ 55 (1969); H. FEDERHOFER, Zum M.-Problem in der Musik, in: FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); Colloquium Musica Bohemica et Europaea (= Kgr.-Ber. Brünn 1970) (Brno 1972); Kgr.-Ber. der Accademia di S. Cecilia Rom 1973 (1974) (= Studi musicali 3); C. DAHLHAUS, Gesualdos manieristische Dissonanztechnik, in: FS W. Boetticher (B 1974); H. FEDERHOFER, Ist Palestrina ein Manierist?, in: ebd.; V. RAVIZZA, M., ein musikgeschichtlicher Epochenbegriff?, in: Mf 34 (1981). W. SEIDEL
MANKELL, schwedische Musikerfamilie, vielleicht ein Zweig der dt. Musikerfamilie Mangold. — 1) Carl Abraham, * 16.4.1802 Christiansfeld, t 27. 10. 1868 Stockholm; Komponist und Musikschriftsteller. Er kam 1823 nach Schweden, war zunächst Organist an der Kirche St. Klara in Stockholm und dann Gesanglehrer an verschiedenen Schulen der Stadt; 1834-41 unterrichtete er auch am königlichen Konservatorium. M. komponierte Romanzen und Klavierlieder, gab mehrere Bände mit 2- bis 4st. Liedern heraus und schrieb musikhistorische und -ästhetische Werke. — 2) Gustav Adolf, Bruder von 1), * 20.5.1812 Christiansfeld, t 23.10.1880 Stockholm; Organist und Komponist. Er lehrte seit 1853 Orgel am Konservatorium von Stockholm und schrieb überwiegend Orgelmusik. — 3) Ivar Henning, Neffe von 2), * 3. 6. 1868 Harnösand, t B. 5. 1930 Stockholm; Komponist. Er studierte 1892-95 bei Hilda Thegerström und Lennart Arvid Lundberg Klavier und widmete sich der Musikkritik sowie dem Klavierunterricht. Seine spätromantischen
Kompositionen nähern sich im Stil Cl. Debussy und A. Skrjabin. WW: 6 Klv.-Sonaten; 8 Klv.-Balladen; 3 Streichquartette (1914, 1919, 1924); je ein Klv.-Trio (1915) u. Klv.-Quintett (1915); Klv.-Konzert (1917). — Ferner Lieder u. Gesänge mit Klv.- oder Orchesterbegleitung. Lit.: J. BENGTSSON, H. M., in: STMf 23 (1941) (mit Werkverz.); M. SODERBERG, H. M., en bortglömd kompositör, in: Musikkultur 30 (1966).
MANN, Herbie (eig. Herbert Jay Solomon), * 16. 4. 1930 New York; amerik. Jazzmusiker (Flöte, Tenorsaxophon, Klarinette; Bandleader). M. gehört seit den frühen 50er Jahren zur amerikanischen Jazzszene und gründete 1959 sein Sextett „Afro Jazziacs", für das lateinamerikanische Rhythmen charakteristisch waren. Seither besetzte M. seine Gruppe immer wieder um, wobei er mehr und mehr zu einem gefälligen Populär-Jazz tendiert. Die Flöte wurde sein Hauptinstrument. MANN, Paul Thomas, * 6. 6. 1875 Lübeck, t 12. 8.1955 Zürich; dt. Schriftsteller. Geprägt durch das Spannungsfeld seiner Abstammung aus einer Lübecker Patrizierfamilie mit einer kunstsinnigen Mutter brasilianischer Herkunft einerseits und die Faszination vieler Intellektueller seiner Generation durch das Werk R. Wagners andererseits, wurde der Gegensatz von Bürger- und Künstlertum als Gegensatz von Leben und Geist zum beherrschenden Thema seines Schaffens. Insbesondere die nichtbegriffliche Musik, dem pragmatischen Rationalismus des Bürgertums ohnehin verdächtig, wird schon in dem Roman Buddenbrooks (1901), der M.s Weltgeltung begründete, zum Paradigma für Lebensuntüchtigkeit und Degeneration, die erst Voraussetzung für kulturelle Entwicklung sind. Die Verwechslung mit einem Betrüger erscheint auch dem Künstler letztlich legitim (Tonio Kröger, 1903). Im Zauberberg (1924) wird Musik zum Symbol der Todessehnsucht. — Der Künstlerbegriff M.s verschob sich in der Folgezeit von der Darstellung des lebensfernen Ästheten Spinell (Tristan, 1903) über den zwischen Disziplin und Eros hin und her gerissenen Aschenbach (Tod in Venedig, 1913), der zugleich berühmt war wegen seiner Zynismen über Kunst und Künstler, bis zu jenem Typus, der durch Magie illegitime Seelenerregung provoziert — und daran zugrunde geht (Mario und der Zauberer, 1930). 1943 konzipierte M. aufgrund von Aufzeichnungen aus dem Jahre 1901 einen Musikerroman der „Enthemmung eines Künstlertums" durch bewußt herbeigeführte „Intoxikation". Motive aus den Biographien Fr. Nietzsches, P. Tschaikowskys, H. Wolfs u. a. wurden ineinander „montiert". Unter dem Einfluß Th. W. Adornos (besonders seiner 207
Manne Philosophie der neuen Musik I) bildete M. das Sujet um zu einem „Roman der neuen Musik" mit 48 Kapiteln analog den Grundformen der Zwölftonreihe (Dr. Faustus, 1947). Der Romanheld Leverkühn (nach Nietzsche: „Lebe gefährlich!") erfindet die Zwölftontechnik (die Beschreibungen der fiktiven Kompositionen gehen weitgehend auf Adorno zurück) und „denkt die europäische Musik" in Adornos Sinn „zu Ende". A. Schönberg erzwang eine Erklärung M.s, die seine Urheberschaft an der Zwölftontechnik klarstellt und deren Ausbildung als Folge einer bewußt herbeigeführten Luesinfektion als frei erfunden ausweist. In seinem essayistischen Schrifttum hat sich M. mehrfach mit R. Wagner (Leiden und Größe R. Wagners, 1933; R. Wagner und der Ring des Nibelungen, 1937), aber auch mit H. Pfitzner u. a. Musikern auseinandergesetzt. Seine in Essays und politischen Aufsätzen vorgetragene kompromißlos liberal-weltbürgerliche Einstellung führte 1933 zur erzwungenen Emigration und Ausbürgerung. M.s ausschließlich ästhetisch-literarisches und durch A. Schopenhauer bestimmtes Verständnis der Musik veranlaßte die Anwendung musikalischer Begriffe (Leitmotivtechnik, Partitur) auch auf seine schriftstellerischen Techniken. Lit.: R. PEACOCK, Das Leitmotiv bei Th. M. (Be 1934) (= Sprache u. Dichtung4); W. ABENDROTH, Leverkühns Musikvorstellung, in: Die Zeit 4 (1949); H. ENGEL, Musik der Krise, Krise der Musik, in: NMZ (1949); K. HEIM, Th. M. u. die Musik (Diss. Fr 1952); J. MÜLLER-BLATTAU, Die Musik in Th. M.s Dr. Faustus (Saarbrücken 1953) (= Annales Universitatis Saraviensis I1/3); J. J. BUZGA, Leverkühn u. die moderne Musik, in: Melos 32 (1965); S. KROSS, Musikal. Strukturen als literarische Form, in: Colloquium amicorum. FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1967); H. GRANDI, Th. M. musiziert, in: FS W. Vetter (L 1969); U. JUNG, Die Musikphilosophie Th. M.s (Rb 1969) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 53); K. W. JONAS, Die Th. M.-Lit., I: Bibliographie der Kritik 1901-1955 (B 1972), II: dass. 1956 bis 1975 (B 1979); P. CARNEGY, Faust as Musician. A Study of Th. M.'s „Doctor Faustus" (Lo 1973); J. NORTHCOTEBADE, Die Wagner-Mythen im Frühwerk Th. M.s (Bonn 1975) (= Abh. z. Kunst-, Musik- u. Lit.-Wiss. 167). S. KROSS
MANNE, Shelly (Sheldon), * 11.6.1920 New York, t 26.9. 1984 Los Angeles; amerik. Jazz-
schlagzeuger. In den 30er Jahren zunächst in Swingbands, wechselte er in den 40er Jahren zum Modern Jazz. Seit 1946 spielte er immer wieder bei Stan Kenton und wurde in 50er Jahren der führende Schlagzeuger des kalifornischen West Coast Jazz, u. a. 1954 bei Shorty Rogers. 1956 hatte M. ein eigenes Quintett, arbeitete danach als Studiomusiker und galt seither als hervorragender Vertreter des modernen Mainstream Jazz. M. hat auch den Avantgardisten Ornette Coleman begleitet und in den 70er Jahren Jazzrock gespielt. Lit.: N. SHAPIRO — N. HENTOFF, Jazz erzählt (Mn 1962).
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MANNELLI (Manelli), Carlo (genannt Carlo del Violino, Carlino oder Carluccio di Pamfilio), * 4. 11. 1640 Rom, t 6. 1. 1697 ebd.; it. Violinist, Sänger und Komponist. Er war in Rom seit 1650 Sänger an S. Luigi dei Francesi, 1660-64 Sopranist und Violinist beim Oratorio del SS. Crocifisso an S. Marcello, wurde 1663 Violinlehrer bei der Congregazione di S. Cecilia, 1671 1. Violinist beim Oratorio del SS. Crocifisso und hatte die gleiche Stellung
an mehreren römischen Kirchen inne. Als Violinlehrer und Komponist war M. einer der Vorläufer von A. Corelli. WW: Sonate a tre, op. 2 (R 1682) u. op. 3 (R 1692); zahlr. Vokalwerke sind hsl. unter dem Namen Carlo del Violino überliefert, ohne daß man sie einem der so genannten it. Komponisten exakt zuschreiben kann (außer M. C. Caproli und C. Caesarini). Lit.: H. WESSELY-KROPIK, Beitr. z. Lebensgesch. v. C. M., in: StMw 25 (1960).
MANNELLI, Francesco, "Manelli.
MÄNNERCHOR, Bz. für die vereinsmäßig organisierten, nicht solistisch singenden Männer in einem Chor, auch ein für Männerstimmen komponiertes oder bearbeitetes Werk mit oder ohne instrumentalen Anteil. — Der M. im heutigen Sinne einer weitverbreiteten gemeinschaftlichen Musikpflege wurde im 19. Jh. gegründet, hat aber Vorläufer in solistisch oder chorisch nur für Tenor und Baß besetzten Kompositionen des 16. und 17. Jh. (ad voces aequales) und in der Oper seit dem 17. Jahrhundert. Gegen Ende des 18. Jh. entstanden Chorsätze für Freimaurer- und Studentenkreise; für gesellige Männerrunden komponierte M. Haydn Gesänge für 4 Männer-St. (1788). Die zentrale Stellung, die der M. im 19. Jh. erlangte, nahm ihren Ausgang von der in Berlin 1809 gegründeten gesellschaftlich gehobenen Zelterschen Liedertafel und den von dem Schweizer H. G. Nägeli beeinflußten süddeutschen Liederkränzen. Das erwachte vaterländische Einigungsstreben und die bürgerlich-liberale Bestrebung einer sozialen Integration der Volksschichten waren die politische Triebfeder für die in allen Gegenden Deutschlands entstehenden /Sängerbünde. 1862 wurde in Coburg der „Deutsche Sängerbund" gegründet: „Sein Bestreben geht auf die Ausbildung und Veredelung des deutschen Männergesanges. Durch die dem deutschen Liede inwohnende einigende Kraft will auch der deutsche Sängerbund in seinem Theile die nationale Zusammengehörigkeit der deutschen Stämme stärken und an der Einheit und Macht des Vaterlandes mitarbeiten" (§ 1 der Satzung). — Von Bedeutung für die Entwicklung der M.-Literatur waren die zahlreichen Werke für M. von Fr. Schubert sowie die Wiedererweckung des Volkslieds (Volkslieder für M., bearbeitet von Fr. Silcher,
Mannheimer Schule 1826ff.). Ausgehend von diesen Originalkompositionen und den Volksliedbearbeitungen entstand eine unübersehbare Fülle von Chorliteratur, u. a. von Fr. Abt, J. Brahms, P. Cornelius, A. Dvořák, Fr. Hegar (Chorballaden), C. Kreutzer, C. Loewe, A. Lortzing, H. Marschner, F. Mendelssohn Bartholdy, A. Methfessel, H. Pfitzner, R. Schumann, L. Spohr, Fr. Wüliner und C. Zöllner. Großformen für den Konzertsaal komponierten M. Bruch, A. Bruckner, E. Grieg, H. Kaun und M. Reger. Unter den vielen Sammlungen spielte das sog. Kaiserliederbuch (Volksliederbuch für Männerchor, L 1906) eine besondere Rolle. Eine Erneuerung der M.-Literatur ging Ende der 20er Jahre von der Jugendmusikbewegung aus (mit Werken von W. Rein, A. Knab, L. Weber, H. Lang, E. Lendvai) und insbesondere von der aus dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband unter Führung von C. Hannemann und W. Tebje hervorgegangenen „Lobeda"-Bewegung (LobedaSingebuch für Männerchor, 2 Bde., H — B — L 1931, 1933). 1927 war mit der Nürnberger Sängerwoche (später Deutsche Sängerbundeswoche) vom Deutschen Sängerbund ein Forum geschaffen worden, das im Gegensatz zu den vierstimmigen homophonen und teilweise harmonisch schwülstigen a cappella -Sätzen neue, vielgestaltige Satztechnik (neben homophonen auch polyphon-lineare Kompositionstechniken, Übertragung von Chorsätzen des 15.-17. Jh. für M., Einbeziehung weniger Begleitinstrumente, formale Vielfalt) vorzustellen bemüht war. Der Liedsatzstil der Nürnberger Schule prägte bis in die Gegenwart hinein die Kompositionen von Fr. Biebl, P. Cadow, R. Desch, H. Erdlen, W. Giesen, O. Gerster, H. Heinrichs, H. Herrmann, H. Kelling, W. Klefisch, A. Knab, H. Lang, E. Lendvai, K. Lissmann, H. Ophoven, W. Rein, Qu. Rische, H. Schroeder, P. Seeger, W. Sendt, B. Stürmer, B. Weber, L. Weber, E. L. Wittmer und P. Zoll. Stilmomente aus der Entwicklung der Neuen Musik, insbesondere von P. Hindemith und C. Orff, spiegeln sich wider in Kompositionen von W. Fussan, H. Genzmer, K. Hessenberg, W. Killmayer, Ph. Mohler, D. de la Motte, H. Poos und H. Sutermeister. Seit den 1960er Jahren nehmen auch Bearbeitungen ausländischer Volkslieder unter Betonung rhythmischer Modelle aus der Tanzmusik und Originalkompositionen mit Verwendung von stilistisch-technischen Mitteln der Unterhaltungsmusik zu; damit ist das durch die Dominanz der Nürnberger Schule nahezu einheitliche Stilbild in der M.-Literatur der 50er Jahre aufgelöst. Lit.: H. G. NAGELT, Gesangsbildungslehre für M. (Z 1817); O. ELBEN, Der volkstümliche dt. Männergesang (Tü 1855, Nachdr. Wie 1968); A. RUTHARDT, Wegweiser durch die Lit.
des Männergesanges (L 1892); PH. SPrrrA, Der dt. Männergesang, in: Musikgeschichtliche Aufsätze (B 1894, Nachdr. Hil 1976); E. CHALLIER, GroBer Männergesangs-Kat. (GieBen 1900), 6. Nachtrag (1912, Nachdr. NY 1975); K. FRIEDRICHS, Der dt. Männergesang in Theorie u. Praxis (L 1903); A. HEUSS, Das Volksliederbuch für M., in: ZIMG 8 (1906/07); W. FILLIES, Die Arbeitersängerbewegung. Ein Beitr. z. Klassengesch. der Arbeiterschaft (Diss. Rostock 1922); H. THIERFELDER, Vorgesch. u. Entwicklung des dt. Männergesangs (Diss. Hl 1922); R. BUCK, Wegweiser durch die M.-Lit. (Dresden 1926); R. KOTZSCHKE, Gesch. des dt. Männergesanges, hauptsächlich des Vereinswesens (ebd. 1926); Das dt. Sängerbuch, hrsg. v. F. J. EWENS (Marburg 1930); H. G. SCHMIDT, Das Männerchorlied F. Schuberts (Diss. Kö 1931); G. GÖTSCH — L. KELBETZ, M. oder singende Mannschaft. M. in der Entscheidung (H 1934); G. SCHUNEMANN, Führer durch die dt. Chorlit., I: M. (Wb 1935); J. JERNEK, Der östr. Männerchorgesang im 19. Jh. (Diss. W 1937); H. DIETEL, Beitr. z. Frühgesch. des Männergesanges (Diss. B 1938); W. JERG, Hegar, ein Meister des Männerchorliedes (Diss. Z 1946); Chorkatalog des Deutschen Sängerbundes. Männerchöre, hrsg. v. F. J. EWENS (Kö 1958); G. SCHMIDT, Der dt. Männerchorgesang im 19. Jh. Ziele, Organisation u. gesellschaftliche Auswirkung, insbesondere auf die musikal. Laienbildung (Diss. Hl 1962); H. LEISTER, C. Kreutzers Lieder für M. (Diss. Mz 1963); O. RUB, Die chorischen Organisationen (Gesangvereine) der bürgerlichen Mittel- und Unterschicht im Raum Frankfurt am Main v. 1800 bis z. Gegenwart (Diss. F 1964); O. BORST, K. Pfaff, der dt. Sängervater (Esslingen 1966); A. ECKHARDT, Das Männerchorwesen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 (Diss. Mz 1977). A. ECKHARDT
MANNHEIMER SCHULE, im weiteren Sinne Sammelbegriff für das Musikwesen der ehemaligen Kurpfalz in der 2. Hälfte des 18. Jh. unter Kurfürst Karl Theodor, der 1743-78 in Mannheim residierte, im engeren Sinne (seit H. Riemann, 1902) Bz. für die Mannheimer Musiker dieser Zeit. Zu einer älteren Generation gehören J. Stamitz als Gründer (in Mannheim seit 1742), A. Toeschi (seit 1742), Fr. X. Richter (seit 1747), I. Holzbauer (seit 1753) und A. Filz (seit 1754). Deren Schüler, besonders aber die Violinschüler von J. Stamitz, waren außergewöhnliche Virtuosen, so daß Ch. Burney 1772 schrieb: „Es sind wirklich mehr Solospieler und gute Komponisten in diesem, als vielleicht in irgend einem Orchester in Europa. Es ist eine Armee von Generälen, gleich geschickt, einen Plan zu einer Schlacht zu entwerfen, als darin zu fechten." Es handelt sich bei diesen Violinisten der 2. Generation um die Konzertmeister des Hoforchesters Chr. Cannabich, I. Fränzl, C. J. und G. B. Toeschi, dann um J. B. und W. Cramer, G. Zardt, die Brüder Eck und die Söhne von Stamitz. Fast alle ließen sich in dem Pariser Concert spirituel ihr überragendes Können bestätigen, das den Grund für die vielgerühmte Orchesterdisziplin der Mannheimer legte. Charakteristisch dafür waren die Präzision des Vortrags, die Möglichkeit kleinster dynamischer Nuancen, eine einheitliche Bogenführung. All dies beruhte wesentlich auf der gemeinsamen musikalischen und spieltechnischen Ausbildung der 209
Mannheimer Schule Streicher durch J. Stamitz und später durch Chr. Cannabich und führte zu klanglichen Effekten, wie sie bis dahin unvorstellbar waren. Chr. D. Schubart beschrieb sie so (1784): „Kein Orchester der Welt hat es je dem Mannheimer zuvorgetan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Katarakt, sein Diminuendo ein in die ferne hinplätschernder KrystallfluB, sein Piano ein Frühlingshauch." Vorher hatte auch schon W. A. Mozart die technische Brillanz und die Spieleigentümlichkeiten der Mannheimer Violinisten am Beispiel Fränzls gewürdigt (Brief vom 22. 11. 1777). Auch die Blasinstrumente waren im Mannheimer Orchester ausgezeichnet besetzt. Böhmische Hornisten (Ziwiny) fanden sich schon 1723 in Mannheim, Klarinettisten (Quallenberg, Fr. und Fr. W. Tausch) wurden erstmals 1757/59 angestellt und waren seitdem im Orchester paarweise vertreten, was W. A. Mozart als Besonderheit rühmte. Tüchtige Bläser waren ferner der Flötist J. B. Wendling, die Oboisten Friedrich Ramm und L. A. Lebrun sowie die Hornisten der Familien Dimmler u. Lang. Während die Zeitgenossen im 18. Jh. von einer einheitlichen Gruppe von Mannheimer Musikern in erster Linie im Hinblick auf die erwähnten Qualitäten eines disziplinierten und einheitlichen Orchesterspiels sprachen (so besonders auch C. Spazier, 1794), ist es das Verdienst H. Riemanns, nachdrücklich erstmals auch auf die stilistischen Gemeinsamkeiten in den Kompositionen der M. hingewiesen zu haben. Spezifische Mannheimer Merkmale, die natürlich auch in enger Wechselwirkung mit jenen spieltechnischen Gegebenheiten stehen, sind: starke Verselbständigung der Bläserstimmen im Orchestersatz bis hin zu ausgeprägt konzertanten Partien in den Symphonien (Fränzl); groBe dynamische und klangliche Kontraste auf engstem Raum; rauschende Crescendi bei gleichbleibender Harmonie unter Beteiligung aller Orchesterinstrumente; Kleingliedrigkeit in der melodischen Gestaltung; überraschende Periodik ungerader Taktzahlen; Gegensätzlichkeit zweier Sonatenthemen; Überraschungseffekte wie Akzente auf leichten Taktteilen, unvorbereitete Generalpausen und bestimmte melodische Formeln, die zum Teil drollige Bezeichnungen erhalten haben: Mannheimer „Walze", „Rakete", „Seufzer", „Vögelchen". Der gelegentlich in den Werken der M. zu beobachtende allzu häufige Gebrauch solcher musikalischer Mittel führte zu L. Mozarts Warnung seinem Sohn gegenüber vor dem „vermanirierten Mannheimer goût" (Brief vom 11. 12. 1777). Die Abkehr vom Musikideal des Barock, die sich in diesen Mitteln bezeugt, vollzog sich freilich gleichzeitig auch in Berlin und Wien, in Böhmen und Italien, allerdings 210
nirgends mit dem gleichen Effekt, mit der gleichen Vehemenz oder orchestralen Brillanz wie in Mannheim, wo eine günstige, zumal nach Paris hin offene geographische Lage und die auBergewöhnliche Unterstützung durch den Kurfürsten Karl Theodor einen fruchtbareren Boden für die Verbreitung der Werke und ihrer Eigenarten schufen. Zudem wirkten diese Kompositionen dank ihrer unbekümmerten Effekthascherei, insbesondere in der Instrumentation und der technischen Seite der Einzelstimmen, „originaler" als die der Wiener oder norddeutschen Musiker. Seit der Mitte des 18. Jh. wurden in Paris, Amsterdam und London mehr Werke aus Mannheim gedruckt als aus irgendeinem anderen Musikzentrum. Das hier erstmals angewandte periodische Editionsprinzip (man veröffentlichte etwa Symphonies périodiques) verschaffte diesen neuen Werken weiteste Verbreitung, die von Riemann mit ihrer musikgeschichtlichen Bedeutung begründet wurde, die aber umgekehrt selbst einer der Gründe für diese Bedeutung war. Die ebenfalls von Riemann für die M. in Anspruch genommene direkte Vorläuferstellung zur Wiener Klassik ist heute in ihrer AusschlieBlichkeit nicht mehr haltbar, obwohl W. A. Mozart von der Mannheimer Musikkultur und Orchestertechnik beeindruckt war und L. van Beethoven die Kompositionen der M. über das Bonner Kapellrepertoire kennenlernte und nachweislich verwertete. — Die gepriesene Orchesterkultur wurde nach der Verlegung der Hofhaltung nach München und der Vereinigung mit dem Münchener Orchester 1778 auf dieses übertragen, wo neben Chr. Cannabich eine 3. Generation der M. mit dessen Sohn, P. Winter, Fr. Danzi und F. Fränzl maBgeblich wirkte. Ausg.: Sinfonien der pfalzbayerischen Schule, 3 Bde., hrsg. v. H. RIEMANN (1902-07) (= DTB 3/1, 7/2 u. 8/2) (mit thematischem Kat. u. Vorwort); Mannheimer Kammermusik des 18. Jh., 2 Bde., hrsg. v. DEMS. (1914-15) (= DTB 15-16) (mit thematischem Kat.); Fl. -Konzerte der M., hrsg. v. W. LEBERMANN (Wie 1964) (= EDM 51).
lit.: M., Schriften, Bilddokumente, Noten, Schallplatten. Ein Führer durch die Sonderslg. der Stadtbücherei Mannheim (Mannheim 1978). — G. J. VOGLER, Churpfälzische Tonschule (Mannheim 1778); DERS., Betrachtungen der Mannheimer Tonschule I—III (ebd. 1778-87), Nachdr. 4 Bde. (Hil 1974); L. KAMIENSKI,
Mannheim u. Italien, in: SIMG 10 (1908/09); A. HEUSS, Uber die Dynamik der M. Teil 1, in: FS H. Riemann (L 1909), Teil 2, in: ZfMw 2 (1919/20); H. RIEMANN, Hdb. der Musikgesch. II/3 (L 1913); W. FISCHER, Zur Entwicklungsgesch. des Wiener klas*. Stils, in: StMw 3 (1915); F. WALDKIRCH, Die konzertanten Sinfonien der Mannheimer im 18. Jh. (Dias. Hei 1931); H. BOESE, Die Klar. als Soloinstr. in der Musik der M. (Dresden 1940); G. GROLL, Zur Vorgesch. der „Mannheimer", in: Kgr.Ber. Köln 1958 (Kas 1959); J. P. LARSEN, Zur Bedeutung der „M.", in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); R. FUHRMANN, Mannheimer Klv.-Kammermusik (Diss. Marburg 1963); P. MECHLENBURG, Die Sinfonie der M. (Diss. Mn 1963); G. MASSEN-
Mahon Lescaut KEIL, Ruhm u. Nachruhm der M., in: NZfM 127 (1966); H. R. DURRENMATT, Die Durchführung bei Stamitz 1717-57 (Be 1969); H. H. EGGEBRECHT, Mannheimer Stil, Technik u. Gehalt, in: Kgr.-Ber. Brünn 1970 (Brünn 1972); A. RIETHMULLER, Mannheimer Kompositionsstil u. zeitgen. Ästhetik, in: ebd.; R. WURTZ, Ven. u. Ikonographie der kurpfälzischen Hofmusiker zu Mannheim ... 1723-1803 (Wilhelmshaven 1975) (_ Quellenkat. z. Musikgesch. 8); C. DAHLHAUS, Quantz u. der „Vermanierierte Mannheimer goat", in: Melos/NZ 2 (1976); R. WURTZ - H. BUDIAN, Mozart u. Mannheim. eine Bibliogr., in: Das Mannheimer Mozartbuch (Wilhelmshaven 1977); J. P. NEWHILL, The Contribution of the Mannheim School to Clarinet Literature, in: MR 40 (1979); E. K. WOLF, On the Origins of the Mannheim Symphonic Style, in' Studies in Musicology. FS O. E. Albrecht (Kas 1980). R. WÜRTZ
MANN VON LA MANCHA, DER (Man of La Mancha), amerik. Musical in 2 Akten von Mitch Leigh (* 1928), Song-Texte von Joe Darion, Buch von Dale Wasserman, basierend auf seinem Fernsehspiel I, Don Quixote nach Motiven aus Leben und Werk des Miguel de Cervantes y Saavedra (1547-1616). Ort und Zeit der Handlung: Spanien, zur Zeit Cervantes'. UA: 22. 11. 1965 in New York (ANTA Washington Square Theater); EA in dt. Sprache: 4. 1. 1968 in Wien (Theater an der Wien). Verfilmt 1972. In seinem Libretto kombiniert Wasserman zwei Geschichten: die von Cervantes und seiner Einkerkerung sowie die seiner berühmtesten literarischen Gestalt, Don Quixotes, die zu einer einzigen Gestalt verschmelzen. Leigh gelang es, dazu Musik zu schreiben, die authentisch klang, ohne daB er auf originale Vorbilder zurückgriff. Der Song The Impossible Dream, der wesentlich zur Charakterisierung der Hauptperson beiträgt, wurde zum Weltschlager. Der Mann von La Mancha gehört zu den erfolgreichsten Musicals. Am Broadway lief es 2329mal en suite und erhielt sowohl den New York Drama Critics Circle Award wie den Antoinette Perry Award als bestes Musical der Saison. R.-M. SIMON - S. SIMON
MANON, Oper in 5 Akten (6 Bildern) von Jules Massenet (1842-1912), Text von Henri Meilhac und Philippe Gille nach dem Roman Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (1731) von Antoine-François Prévost d'Exiles. Ort und Zeit der Handlung: Amiens, Paris und auf der StraBe nach Le Havre, zu Beginn des 18. Jahrhunderts. UA: 19. 1. 1884 in Paris (Opéra-Comique); EA in dt. Sprache: 19. 11. 1890 in Wien (K. K. Hof-Operntheater); dt. EA: 31. 10. 1892 in Hamburg. Mit dieser Vertonung des Manon-Stoffes schuf Massenet ein Werk, das zu einer der meistgespielten französischen Opern werden sollte. Die Liebesgeschichte um die flatterhafte Manon endet — entgegen der literarischen Vorlage — nicht in den
amerikanischen Südstaaten, sondern bereits auf dem Wege zur Deportation. Die Heldin stirbt, um Verzeihung bittend, in den Armen ihres Geliebten, des Chevalier des Grieux. Massenets Musik ist lyrisch, fast sentimental, den schwärmerischen Charakteren jederzeit angemessen; viele der in Instrumentierung und Satzweise (fast ausschlieBlich homophon) besonders auf sinnlichen Klangreiz hin konzipierten Melodien werden — wenn auch nicht streng — leitmotivisch eingesetzt. So gelingt es Massenet, eine „sprechende" Musik zu entwerfen, die besonders in den melodramatischen Abschnitten als handlungstragendes Ausdrucksmedium zur Geltung kommt. GröBte musikdramatische Einheit erzielt der Komponist, indem er die Oper als durchkomponierte Großform gestaltet. Bekannt ist neben den Arien der Manon Je suis encore tout étourdie und Voyons, Manon, plus de chimères das Terzett der Grisetten Revenez, Guillot, revenez. R. QUANDT
MANON LESCAUT, Opéra-comique in 3 Akten von Daniel François Esprit Auber (1782-1871), Text von Eugène Scribe (1791-1861) nach dem Roman Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (1731) von Antoine-François Prévost d'Exiles. Ort und Zeit der Handlung: Paris und Nouvelle-Orléans (New Orleans), im 18. Jahrhundert. UA: 23. 2. 1856 in Paris (Opéra-Comique), dt. EA: nicht nachgewiesen. Dieser ersten Oper mit dem Manon-Stoff war kein dauerhafter Erfolg beschieden, obwohl ihre musikdramatische Faktur deutlich über dem Niveau der meisten Opern Aubers liegt. Bis 1882 im Spielplan der Opéra-Comique, wurde die Oper in der Publikumsgunst durch J. Massenets ungleich bekanntere Vertonung des gleichen Stoffes (1884) abgelöst. — Scribe übernahm aus der Vorlage nur die Schauplätze Paris und Nouvelle-Orléans und konzentrierte dort eine Handlung, aus der alle Episoden, die der konventionellen Auffassung von Sittlichkeit und Moral widersprachen, eliminiert sind. Es blieb Auber überlassen, den sinnlichen Reiz von Prévosts Erzählung in die Oper hinüberzuretten. So entwarf Scribe das Bild einer letztlich unauslöschbaren Liebe, während das Schwergewicht bei Prévost auf der Zeichnung eines Frauencharakters lag. Erst in Manons Sterbeszene offenbart auch die Oper das ganze Wesen dieser Frau; Auber nutzte an dieser Stelle die Chance zu einer eindrucksvollen symphonischen Charakterzeichnung. Die Musik weist bereits Stilmerkmale des Drame lyrique auf. R. QUANDT MANON LESCAUT, Lyrisches Drama in 4 Akten von Giacomo Puccini (1858-1924), Text von 211
Manowarda Marco Praga, Domenico Oliva, Luigi Illica, Giacomo Giacosa und vom Komponisten nach dem Roman Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (1731) von Abbé Antoine-François Prévost d'Exiles. Ort und Zeit der Handlung: Frankreich und Nordamerika, im 18. Jahrhundert. UA: 1.2. 1893 in Turin (Teatro Regio); dt. EA (in dt. Sprache): 7. 11. 1893 in Hamburg. Geschickt weicht Puccini der Gefahr des Plagiats von J. Massenets Manon (1884) aus, indem er bei weitgehenden Übereinstimmungen im Handlungsablauf den Charakter der Hauptfigur in stärkerem MaBe realistisch zeichnet: Die schöne Manon, ständig schwankend zwischen echtem Gefühl und oberflächlicher GenuBsucht, erscheint noch deutlicher desillusionierend dargestellt als Antiheldin, als Alltagsmensch mit Stärken und Schwächen. Musikalisch orientiert sich Puccini zwar noch eng an Vorbildern, so etwa harmonisch an der für R. Wagners Tristan und Isolde charakteristischen Chromatik; jedoch zeigt sich bereits hohe Originalität in Geschmeidigkeit und Fülle der Melodik wie auch in Sensibilität und Raffinesse der Stimmungsmalerei. Die UA des Werkes unter A. Toscaninis Leitung gilt als Puccinis endgültiger Durchbruch zur internationalen Elite der zeitgenössischen Opernwelt.
Boshaftigkeit, sondern als Verzweiflungstat eines an sich gutmütigen Menschen wird das Verbrechen dargestellt — der Täter gleichsam als Mit-Opfer charakterisiert, dessen Motive durch persönliche und soziale Ausweglosigkeit zwar nicht entschuldigt, jedoch erhellt werden. Dem gesellschaftspsychologischen Akzent des Werkes angemessen, erhalten die Geschichte des Marcel und die überpersonale Schilderung sozialen Elends gleiche Ausführlichkeit der szenischen Darstellung. Die Musik wird dabei organisch zum integrierenden Ausdrucksmedium beider Handlungsbereiche. An keiner Stelle des musikdramatischen Verlaufs wird die düstere Grundstimmung verlassen; auch dort, wo heitere Affekte die Oberfläche szenischer Aktion bestimmen, wahren einzelne Details der musikalischen Sprache die Allgegenwart des Hintergründig-Bedrohlichen. Zu größter Expressivität gesteigert findet sich diese Affektschichtung als Verbindung von Idylle und Depression im Walzer der verstimmten Drehorgel: Die musikalische Synthese von Groteske und Trivialität wird zum Symbol des Grauens. W. A. MAKUS
MANOWARDA, Josef von, * 3. 7. 1890 Krakau, t 23. 12. 1942 Berlin; östr. Sänger (Baß). Er studierte Philosophie und Gesang in Graz und debütierte 1911 am dortigen Theater. 1915-18 war er an der Wiener Volksoper, 1918-19 am Staatstheater Wiesbaden engagiert. 1919 debütierte er an der Wiener Staatsoper, der er bis zu seinem Tod als festes Ensemblemitglied angehörte. Er kreierte in der Uraufführung der Frau ohne Schatten von R. Strauss (1919) die Rolle des Geisterboten. Seit 1922 gastierte er regelmäßig bei den Salzburger, seit 1931 bei den Bayreuther Festspielen und sang seit 1935 häufig an der Berliner Staatsoper. Seine letzte Bühnenpartie war der Gurnemanz in R. Wagners Parsifal (1942). Weitere Rollen waren neben den einschlägigen großen Wagner-Partien u. a. Sarastro, Jago und Ochs von Lerchenau.
MANTOVANI, Annunzio Paolo, * 15. 11. 1905 Venedig, t 30. 3. 1980 Tunbridge Wells (Kent); engl. Orchesterleiter und Geiger it. Herkunft. Von seinem Vater (Geiger an der Mailänder Scala) erhielt er ersten Musikunterricht. Mit den Eltern kam er nach Großbritannien und gründete in London 1923 sein eigenes Unterhaltungsorchester. Er spielte zunächst in Hotels und Theatern, später auch im Rundfunk. Es folgten Gastspielreisen durch Europa und die USA, eigene Fernsehsendungen und zahlreiche Schallplatten. Berühmt wurde M. vor allem durch den weichen, unverkennbaren Sound seines Orchesters („verzauberte Geigen"), der auf speziellen Arrangements, verstärkten Streichergruppen und technischen Hilfsmitteln (etwa Hall) beruht. M. interpretierte Operetten-, Film- und Musicalmelodien, schuf aber auch Arrangements klassischer Musik. Am erfolgreichsten waren die Titel Charmaine (von Erná Rapée) und Song from „Moulin Rouge” (von G. Auric).
MANTEL, DER (Il tabarro), Oper in 1 Akt von Giacomo Puccini (1858-1924), Text von Giuseppe Adami nach der Novelle La Houppelande (1910) von Didier Gold. Ort und Zeit der Handlung: Paris, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. UA (im Rahmen von II trittico): 24.12.1918 in New York (Metropolitan Opera); EA in dt. Sprache: 20. 10. 1920 in Wien; dt. EA: 2. 2. 1921 in Hamburg. Der alternde Schleppkahnschiffer Marcel ermordet den Liebhaber seiner Frau. Nicht als Eskalation von
MANTZAROS, Nikolaos, * 13. (24.) 10. 1795 Korfu, t 18. (30.) 3. 1872 ebd.; griech. Komponist und Musikpädagoge. Nach erstem Musikunterricht in seiner Heimat studierte er seit 1824 bei N. A. Zingarelli in Neapel. Seit 1826 war er als Musiklehrer und Komponist auf Korfu tätig. M., der als Vater einer eigenen modernen Ionischen Schule gilt, verband eine enge Freundschaft zu dem griechischen Dichter Dionisios Solomos, von dem er zahlreiche Gedichte vertonte, u. a. den Imnos is tin eleftherian
W. A.
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MAKUS
Maqiltn (Hymne an die Freiheit), der seit 1864 griechische Nationalhymne ist. M. komponierte ferner 24 Ou-
vertüren, Tänze, Märsche, Klavierstücke, geistliche Musik (u. a. 3 Messen) und Lieder. MANUAL (von lat. manus = Hand), Bz. für die řKlaviatur, die bei Tasteninstrumenten mit den Händen gespielt wird, im Unterschied zum Pedal. Bei der Orgel sind seit 980 (Orgel in Winchester), beim Cembalo seit der 1. Hälfte des 16. Jh. mehrere M.e nachweisbar. Ein von Édouard Joseph Mangeot 1876 erfundenes zweimanualiges Klavier, bei dem die 2. Klaviatur eine umgekehrte Tastenordnung enthielt, konnte sich nicht durchsetzen. MANUALITER (lat., = zum /Manual gehörig; Abk.: m oder man), Anweisung in der Orgelliteratur, eine Passage oder ein Stück ausschließlich auf den Manualen (also ohne Pedal) zu spielen. MANUALKOPPEL OEKoppel. MANZONI, Alessandro, * 7. 3. 1785 Mailand, t 22.5. 1873 Mailand; it. Dichter. Er gilt als der bedeutendste Vertreter der italienischen Romantik; berühmt wurde er vor allem durch seinen historischen Roman I promessi sposi (Die Verlobten) (1825-27). M. hatte mit seinen Werken starken EinfluB auf die italienische Einigungsbewegung des Risorgimento. G. Verdi, der zu seinen Verehrern zählte, beendete unter dem Eindruck von M.s Tod sein Requiem, das am ersten Todestag M.s in Venedig unter seiner Leitung uraufgeführt wurde. Bereits wesentlich früher hatte Verdi die Ode auf den Tod Napoleons Il cinque maggio (1821) und Chöre aus M.-Tragödien vertont. Von weiteren Vertonungen von Werken M.s seien erwähnt die Opern I promessi sposi (UA Cremona 1856) und Enrico Petrella (UA Lecco 1869) von A. Ponchielli sowie Le comte de Carmagnola (UA Paris 1841) von A. Thomas. Lit.: E. FONDI, A. M., la musica e i musicisti, in: RMI 17 (1910); M. SCHERILLO, Verdi, Shakespeare, M., Spigolature nelle lettere di Verdi, in: Nuova antologia (1912) Nr. 244; L. PARIGI, A.M. e la musica, in: Il pianoforte 7 (1927); U. ROLANDI, „1 promessi sposi" posti in musica per la prima volta (Velletri 1927); M. GI-IISIO-ERBA. Com'era la musica? Rileggendo i „Promessi sposi" (R 1947); D. ROSEN, La „Messa" a Rossini e il „Requiem" per M., in: RIMus 5 (1970); G. PETROCCHI, M., Letteratura e vita (Mi 1971).
MANZONI, Giacomo, * 26. 9. 1932 Mailand; it. Komponist und Musikschriftsteller. Nach Musikstudien in Messina und Literaturstudien in Mailand promovierte er dort 1955 mit einer Dissertation über Die Rolle der Musik im Werke Th. Manns. 1958-63 war er im Musikverlag Ricordi Redaktionsmitglied der Enciclopedia della musica und
1958-66 Musikkritiker bei der Tageszeitung L'unità in Mailand. Seit 1965 wirkt er als Dozent für Tonsatz und Theorie am Conservatorio di Musica G. B. Martini in Bologna. M.s Kompositionen sind von der Neuen Wiener Schule und der Ästhetik Th. W. Adornos mitgeprägt, dessen Schriften wie auch A. Schönbergs Harmonielehre er ins Italienische übersetzte. WW: Für Kammerorch.: Fantasia, recitativo, finale (1956); Studio 2 (1963); Variabili (1973); Percorso (1976) für Fag. und Streichorch. — Elektronische Musik: Studio 3 (1964); Parole da Beckett (1971) für 3 Instrumentengruppen, Chor und Tonband. — Studio per 24 (1962); Insiemi (1967) für Orch. — Ombre (alla memoria di Che Guevara) (1968) für Orch. u. Chorklänge; 2 sonetti italiani (1961) für 48 St. — Opern La sentenza, UA: Bergamo 1960; Atomtod, UA: Mailand 1965; Per Massimiliano Robespierre, UA: Bologna 1975. — Schrieb u. a. Guida all'ascolta della musica sinfonica (Mi 1967). Lit.: A. GENTILUCCI, G. M., In: NRMI 2 (1968); C. ANNIBALDI, M., in: Grove. XI. H. LINDLAR
MAQAM (arabisch; Plur.: magámát), in der arabischen Literatur des 10. Jh. Bz. für eine Versammlung, auf der ein Erzähler ein romanartiges Werk vorträgt, in der Musiktheorie des 14. Jh. für den Ort, an dem sich ein Künstler während des Musizieren, aufhält, im heutigen Sprachgebrauch Bz. für einen Modus der arabisch-islamischen Musik. Nach arabischer Auffassung eignet jedem M. ein bestimmtes Ethos; die Realisation eines Stückes in dem betreffenden M. vermag beim Hörer entsprechende Gefühle zu wecken: So gilt beispielsweise der M. Rist als energisch und männlich, Bayšti als freundlich und weiblich, Saba als schmerzvoll. Diese Zuordnung emotionaler Gehalte läßt sich aus der unterschiedlichen Tonstruktur der Magámát erklären, insbesondere verursacht durch die unterschiedlichen Sekundschritte und aus dem besonderen Spannungsverhältnis der jeweiligen Haupttöne eines Magäm. Innerhalb einer M.-Skala kommt den einzelnen Tonstufen unterschiedliche Bedeutung zu. Der Ausgangspunkt bzw. Grundton (mabda) gilt zugleich als Bezugspunkt und Finalis (qarar). Neben diesen Endpunkten der Skala sind in der Regel mindestens zwei weitere Töne für die musikalische Darbietung von Bedeutung und erlangen als Ausgangspunkte längerer Melodiezüge oder als tonale Zentren einer wellenförmigen Melodiebewegung besonderes Gewicht. Im Laufe einer M.-Realisation — d. h. der improvisatorischen Ausdeutung eines M. auf der Grundlage festgelegter Gestaltungsprinzipien — erschlieSt der Musiker durch Fortschreiten von einem tonalen Zentrum zum nächsten nacheinander den gesamten Tonraum. Obgleich einigen Magämät die gleiche Skala mit identischer Stufenfolge zugrunde liegt, unterscheiden sie sich 213
Maqiim hinsichtlich ihrer Zentraltöne und damit, da diese ja die Melodiebildung bestimmt, auch in ihrer musikalischen Ausgestaltung. Es gilt demnach zu unterscheiden zwischen dem abstrakten Tonmaterial eines M. und der für die musikalische Strukturierung bedeutsamen Funktion einzelner Skalentöne. Die früher in Europa verbreitete Auffassung, kennzeichnend für das M.-System seien bestimmte Melodienmodelle, muß aufgrund neuerer Forschungsergebnisse modifiziert werden. Wegen der bereits erwähnten tonalen Hierarchie innerhalb der Skalen und der verbindlichen Normen in bezug auf die melodische Gestaltung ergeben sich in jeder Realisation eines bestimmten M. gewisse Übereinstimmungen in der äußeren Struktur melodischer Phrasen. Offenbar setzen jedoch die Musiker nicht eine konkrete Melodievorstellung im abendländischen Sinne in die klangliche Realität um, sondern füllen vorgegebene Strukturen individuell aus. Der M.-Realisation liegt demnach kein Modell einer musikalischen Gesamtstruktur zugrunde, sondern eine Anzahl charakteristischer Einzelelemente, deren Differenzierung ebenso wie das Zusammenfügen zu einem größeren formalen Gebilde der Intention des ausführenden Musikers überlassen bleibt. An der Kunstfertigkeit dieser Realisation, im Hinblick auf Übereinstimmungen mit den Regeln einerseits und der Ausprägung einer musikalischen Individualität andererseits, messen die Hörer die schöpferische Potenz eines Sängers oder Instrumentalisten. Die instrumentale Realisation eines M. heißt Taqsim (türkisch: taksim). Der Terminus leitet sich vom Verb „kassama" her und nimmt Bezug auf die Möglichkeit, Elemente des M. zu gliedern, aufzuteilen und zu strukturieren, wie es den allgemeinmusikalischen Normen und den Besonderheiten des betreffenden M. entspricht. Im vokalen Gegenstück des Taqsim, der Layali (wörtlich: O meine Nacht), werden die titelgebenden Worte unablässig wiederholt bzw. Vokalisen vorgetragen. Lit.: A. Z. IDELSOHN. Die M.en der arab. Musik, in: SIMG 15 (1913); R. LACHMANN, Musik des Orients (Breslau 1929); A. BERNER, Stud. z. arabischen Musik ... in Ägypten (L 1937) (= Schriftenreihe des Staatlichen Inst. für Dt. Musikforsch. 2); H. G. FARMER, The Music of Islam, in: Ancient and Oriental Music, hrsg. v. E. Wellesz (Lo 1957) (= New Oxford History of Music 1); KHATSCHI KHATSCHI, Der Dastgah (Rb 1962) ( = Kölner Beitr. z. Musikforsch. 19); G. ORANSAY, Die melodische Linie u. der Begriff Makam der traditionellen türkischen Kunstmusik v. 15. bis zum 19. Jh. (Ankara 1966) (= Ankaraner Beitr. z. Musikforschung 3, Küg-Veröff. 3 Nr. 7); H. H. TOUMA. Der M. Bayati im arabischen Taqsim (B 1968); L. MANIK, Das arabische Tonsystem im MA (Leiden 1969); H. H. TOUMA, Das M.Phänomen u. sein Gefühlsgehalt, in: Musik u. Bildung 5 (1973); J. ELSNER, Der Begriff des maqim in Ägypten in neuerer Zeit (L 1973) (= Beitr. z. musikwiss. Forschung der DDR 5); DERS., CH. AHRENS Zum Problem des M., in: AMI 47 (1975).
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MARA (geborene Schmeling), Gertrud Elisabeth, * 23. 2. 1749 Kassel, t B. (20.) 1. 1833 Reval; dt. Sängerin (Sopran). Sie lernte frühzeitig Violine und
wurde von ihrem Vater auf vielen Reisen als Wunderkind vorgestellt, so 1755 in Wien, 1759 in London. Nach ihrem letzten Auftreten als Geigerin studierte sie dort kurz Gesang bei P. D. Paradies, blieb im übrigen aber Autodidaktin. Ihre sängerische Karriere begann 1767 mit der Verpflichtung an das „Große Konzert", die späteren Gewandhauskonzerte. nach Leipzig durch J. A. Hiller. Damals wurde auch J. W. von Goethe auf sie aufmerksam, der sie hoch verehrte. 1767 wurde sie von der Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis für die Titelpartie ihrer Oper Talestri an die Dresdner Hofoper verpflichtet. Allgemein umschwärmt, sang sie 1771 in Potsdam vor König Friedrich II. und wurde an die Berliner Hofoper engagiert. Im selben Jahr heiratete sie gegen den Willen Friedrichs II. den Cellisten Johann Mara. Nach längeren Konflikten mit dem König, der die M. mit allen Mitteln in Berlin halten wollte, flohen die Eheleute 1780 von dort. Die weiteren Stationen waren nach Wien und München 1782-84 Paris, wo sie von Marie Antoinette zur „Première chanteuse de la Reine" ernannt wurde und an der Oper in eine scharfe Rivalität mit der ebenfalls berühmten Luiza Todi geriet, und seit 1785 London. Dort hatte sie triumphale Erfolge in Opern G. Fr. Händels (besonders als Cleopatra in Giulio Cesare) und in den Konzerten mit J. Haydn (1792). 1799 von M. geschieden, ließ sie sich 1802 in Moskau nieder, verlor dort aber beim Brand der Stadt 1812 ihre gesamte Habe und siedelte nach Reval über. 1819 trat sie noch einmal in London auf und blieb dort bis 1821. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie in Reval. — Die M. war die erste nichtitalienische Primadonna, die sich in ganz Europa im Opern- und Konzertgesang durchsetzen konnte. Die Zeitgenossen rühmten ihre umfangreiche, große und nuancenreiche Stimme. Lit.: G. CH. GROSHEIM, Das Leben der Kiinstlerin M. (Kas 1823, Nachdr. Kas 1972); K. RIESEMANN. Autobiographie der M., in: (Leipziger) AmZ 10 (1875); R. KAULITz-NIEDECK, Die M. (Heilbronn 1929); H. KÜHNER. GroBe Sängerinnen der Klassik u. Romantik (St 1954).
MARACAS, Rumbakugeln, ein lateinamerikanisches, paarweise verwendetes Rasselinstrument, das aus einer hohlen Kalebasse, einer Nuß oder einer Holzkugel besteht und mit Schrot, Muschelschalen, kleinen Perlen, Erbsen o. ä. gefüllt ist. Die M. sind mit einem Handgriff versehen. Sie werden abwechselnd durch Auf- und Abbewegen der Unterarme und Handgelenke oder durch Drehen zum Erklingen gebracht. Der Klang der M. ist kurz, trocken und zischend; ein dauerndes Zischen er-
Marazzoli reicht der Spieler beim Drehen des Instruments. Die M. sind indianischen Ursprungs und wurden in Lateinamerika als bevorzugtes Rhythmusinstrument in die Tanzmusik übernommen (vor allem in der /Rumba). Ober die lateinamerikanische Volksmusik gelangten die M. in den Jazz und sind heute weltweit verbreitet auch im Schlagwerk des Orchesters. Verwendet wurden sie u. a. von P. Boulez, D. Milhaud, E. Varèse, C. Chávez Ramírez, H. W. Henze (Ode an den Westwind) und W. Fortner (Bluthochzeit). M . BROCKER MARAIS, Marin, * 31.5.1656 Paris, t 15.8.1728 ebd.; frz. Gambist und Komponist. Er war Gambenschüler von Sainte-Colombe und Kompositionsschüler von J.-B. Lully. 1676 wurde er Mitglied der Chapelle Royale und 1679-1725 dort Sologambist. Außerdem gehörte er dem Orchester der Académie Royale de Musique seit der Gründung an und war 1695-1710 deren Kapellmeister. Einige seiner 19 Kinder waren ebenfalls angesehene Gambenvirtuosen. Sein Sohn Vincent übernahm M.' Amt als Gambist des Königs. WW: 5 Bücher Pièces à une et h deux violes mit B.c. (P 1686-1725); Pièces en trio für 2 Fl. u. B.c. (P 1692); La gamme et autres morceaux de symphonie pour le violon, la viole et le clavecin (darin La sonnerie de Sainte Geneviève du Mont) (P 1723). - Opern (jeweils im Jahr der UA in Paris gedruckt): Alcide (1693) (zus. mit Louis Lully); Ariane et Bacchus (1696); Alcione (1706); Sémélé (1709).
M. war wie sein Lehrer Lully ein Gegner der italienischen Musik und stand ganz auf dem Boden der französischen Tradition. Seine Opernrezitative folgěn in der genauen Beachtung von Versmaß und Zäsur wie in der Verwendung der Intervalle dem Vorbild Lullys. Die Arien sind häufig kantabler als die Lullys und sind, offenbar unter dem Einfluß der französischen Kantate, reich an Melismen und Verzierungen. Am eigenständigsten zeigt sich M. in den instrumentalbegleiteten Arien und in den Symphonies. Die Gewitterszene (Tempête) in Alcione und die Darstellung der Hölle in Sémélé sind von dramatischer Kraft. M.' Kompositionen für Viola da gamba nehmen einen bedeutenden Platz in der Geschichte der französischen Kammermusik ein. Die Harmonik ist durch expressive Chromatik, alterierte Akkorde und häufige Modulationen gekennzeichnet. Gleichzeitig werden hier zwei gegensätzliche Tendenzen in M.' Instrumentalstil deutlich: einerseits eine Neigung zum Improvisatorischen, vor allem in heiteren und elegischen Stücken, andererseits eine strenge, konstruktivistische Haltung in den Tänzen im fugierten Stil. Ausg.: Suite d-moll, Fantaisie u. Suite d-moll für Va. u. Cemb., hrsg. v. R. u. L. BOULAY (P 1951, 1955, 1961); Orch.-Suite aus Sémélé, hrsg. v. L. BOULAY (P 1955); Les folies d'Espagne für Fl., hrsg. v. H.-P. SCHMITZ (Kas 1956) (= Flötenmusik o. Nr.);
Tombeau de M. Meliton, in: E. SCHENK, Die außerit. Triosonate (Kö 1970) (= Das Musikwerk 35); Instr.-WW, hrsg. v. J. Hsu (Den Haag 1980f.), bisher 1 Bd. erschienen. Lit.: A. TESSIER, L'ouvre de M. M., in: Bull. de la Soc. Historique d'Art Française (1924) (mit Werkverz.); F. LESURE, M. M., in: RBMie 7 (1953); L. BOULAY, La musique instrumentale de M. M., in: RM (1955) Nr. 226; C. H. THOMPSON, M. M.'s „Pièces de violes", in: MQ 46 (1960); DERS., Instrumental Style in M. M.'s „Pièces de viole", in: Rech. Mus. 3 (1963); M.I.J. URQUHART, Style and Technique in the „Pièces de violes" of M. M. (Dias. Edinburgh 1970); B. MACDOWELL, M. and Forquerai (1974) (= Diss. Columbia Univ.).
MARAZZOLI, Marco, * um 1605 Parma, t 26. 1. 1662 Rom; it. Komponist. M. schlug zunächst die Klerikerlaufbahn ein und war bis 1637 Benefiziat der Kathedrale zu Parma. 1626 kam er nach Rom, wo er bis 1662 ein Benefizium an S. Maria Maggiore innehatte. Als Musiker bekleidete er ehrenvolle Stellungen: 1631-45 und erneut seit etwa 1660 war er Kammermusiker des Kardinals Antonio Barberini. Papst Urban VIII. ernannte ihn zum „bussolante" (Kammerdiener) und Papst Alexander VII. Chigi zum „cameriere". Seit 1637 war er außerdem Tenorist der päpstlichen Kapelle. 1643-45 hielt er sich am königlichen Hof in Paris auf, wo 1645 vermutlich auch seine Oper Il capriccio aufgeführt wurde. WW : It. Oratorien (hsl. erhalten): Per il giorno della resurrezione; S. Tommaso; ferner it. Oratoriendialoge; ca. 250 Solokantaten; etwa 120 Kantaten für 2-6 St. u. B.c., auch mit Instr. - Opern: La fiera di Farfa (Intermedium in Chi soffre speri), UA: Rom 1639; L'amore trionfante dello sdegno, UA: Ferrara 1941; Le preten'sioni del Tebro e del Po, UA: ebd. 1642; Il capriccio, UA: vermutlich Rom 1643; L'armi e gramori, UA: ebd. 1656; La vita human (für Christine von Schweden), UA: ebd. 1656 (R 1658). - Jl falcone (mit V. Mazzocchi), UA: Rom 1637, als Chi soffre speri 1639; Dal male il bene (zus. mit M. Abbatini), UA: ebd. 1653.
M.s Rezitativstil tendiert eindeutig zum SeccoRezitativ und ist auch in den Monologen nicht hochexpressiv. La fiera di Farfa (Bühnenbilder von Lorenzo Bernini) kann als ein Vorläufer der Opera buffa angesehen werden. In den Kantaten und Arien sind besonders schmerzliche Affekte überzeugend dargestellt. Historisch bedeutsam sind M.s Oratorien, die sich durch einen an oberitalienischen Vorbildern geschulten Chorstil mit lebhaften Kontrasten auszeichnen. Ausg.: Eine Arie, in: Alte Meister des Bel canto. It. Kammerduette, hrsg. v. L. LANDSHOFF (L 1927); ein Dialog aus Dal male il bene, in: K. G. FELLERER, Die Monodie (Kö 1968); Rezitativ u. Arie („Romanesca") aus S. Tommaso, in: G. MASSENKEIL, Das Oratorium (Kö 1970). Lit.: H. GOLDSCHMIDT, Stud. z. Gesch. der it. Oper im 17. Jh., 2 Bde. (L 1901-04, Nachdr. Hil 1967) (darin einzelne Stücke aus „La fiera di Farts" u. „Dal mal il bene” I', I=, Ia, III 10, III's); N. PELICELLI, Musicisti in Parma nel secolo XVII, in: Note d'archivio 10 (1933); P. M. CAPPONI, M. M. e l'oratorio „Cristo e i Farisei", in: Accademia Chigiana 10 (1953); S. REINER, Collaboration in „Chi soffre speri", in: MR 22 (1961); P. KAST, Unbekannte Dokumente zur Oper „Chi soffre speri" von 1637, in: FS H. Osthoff (Tutzing 1969); W. WITZEN-
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Marbeck MANN, Autographe M. M.s in der Bibl. Vaticana, in: Anal. Mus. 7 (1969) u. 9 (1970); M. GRACE, M. M. and the Development of the Latin Oratorio (Ann Arbor- Lo 1974); W. WITZENMANN, Die römische Barockoper „La vita human", in: Anal. Mus. 15 (1975); DERS., Zum Oratorienstil bei D. Mazzocchi u. M. M., in: ebd. 19 (1979). W. WITZENMANN
MARBECK (Marbecke, Marbek), John, /Merbecke. MARCABRU, provenzalischer Troubadour, dessen dichterische Aktivität sich zwischen 1130 und 1148 entfaltet. Der in seiner überlieferten Biographie gegebene Hinweis, M. sei ein Findelkind gewesen, erklärt möglicherweise die nicht dokumentierten Daten seines Lebens. M.s Lieder wenden sich in einem auch von ihm selbst als „dunkel" erkannten Stil („trobar dus”) häufig gegen die Höfischkeit („cortezia") und die sich in ihrer Folge einstellende Depravierung der Sitten. Seinem Angriff auf Eble II. von Ventadorn (Ebolus cantator, 1096 bis 1147) sowie seiner Polemik gegen den Adel liegt dabei eine geistige Konzeption der höfischen Liebe zugrunde, die entscheidend biblisch inspiriert ist. Sein berühmtes Kreuzzugslied gegen die Almoraviden Pax in nomine Domini belegt beispielhaft M.s ethisches und soziales Engagement für den Niedergang der eitlen, sichtbaren Welt und ihre Restituierung nach den Prinzipien des Glaubens. Der strenge Moralist mit der erhabenen Stilgebärde hinterließ darüber hinaus die erste provenzalische Pastourelle (L'autr'ier jost' una sebissa) und eine ebenfalls von der mündlichen Liedtradition des Volkes inspirierte Romanze (A la fontana del vergier), deren Anmut und Schlichtheit den Umfang seiner dichterischen Möglichkeiten belegen. Unter seinen etwa 50 überlieferten Texten sind auch einige mit musikalischer Notierung erhalten. Wie wesentlich gerade ihm das Zusammenspiel von Wort und Klang war, bezeugt die zweite Zeile seines erwähnten Kreuzzugliedes: Fetz Marcabrus lo vers e'1 so (M. hat das Gedicht und die Melodie verfaßt). Ausg.: J. M. DEJEANNE, Poésies complètes du troubadour M. (Toulouse 1909) (= Bibl. Méridionale I/12); F.GENNRICH, Der musikal. Nachlaß der Troubadours, 3 Bde. (Da 1958-65) ( _ Summa musicae medii aevi 3-4); DERS., Lo gai saber (Da 1959) (= Musikwiss. Studienbibl. 18/19). Lit.: K. LEWENT, Beitr. zum Verständnis der Lieder M.s, in: Zschr. für romanische Philologie 37 (1913); K. VOSSLER, Der Trobador M. u. die Anfänge des gekünstelten Stiles (Mn 1913) (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akad. der Wiss. 11); A. FRANZ, Der Troubadour M. (Marburg 1914); C. APPEL, Zu M., in: Zschr. für romanische Philologie 43 (1923); G. ERRANTE, M. e le fonti sacre dell'antica lirica romanza (Fi 1948) (= Bibl. Sansoniana Critica 12); E. KOHLER, Trobadorlyrik u. höfischer Roman (B 1962) (= Neue Beitr. z. Literaturwiss. 15); U. MOLK, Trobar dus, trobar leu. Stud. z. Dichtungstheorie der Trobadors (Mn 1968); S. M. OLsoN, M.'s Psychomachy (New Haven / Conn. 1971) (= Diss. Yale Univ.); Grundriß der
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romanischen Literaturen des MA, Il: Les genres lyriques I, Fasc. 5, hrsg. v. E. KOHLER (Hei 1979). W,-D. LANGE
MARCATO (it., = bedeutsam, nachdrücklich), Anweisung für einen dem Wortsinn entsprechenden musikalischen Vortrag; gelegentlich heißt es auch ben marcato. Eine ähnliche Bedeutung hat das Zeichen > über einzelnen Noten. MARCELLO. — 1) Alessandro, * 24.8.1669 Venedig, t 19.6.1747 Padua; it. Philosoph, Mathematiker, Maler und Dichter. Er trat auch als Komponist hervor. Sein Oboenkonzert in d -moll, das zeitweise auch A. Vivaldi zugeschrieben wurde, bearbeitete J. S. Bach als Vorlage für sein Cembalokonzert BWV 974. WW (z.T. unter dem Arcadiernamen Eterio Stinfalico erschienen): Sonaten für V. u. B.c. (Au 1708); La Cetra. Concerti für Ob. oder Fl. mit Solo-V. u. Str. (Au 1708); Ob.-Konzert d-moll in dem Sammeldruck Concerd a cinque (A um 1717); Cantate für Sopran oder Alt u. B.c. (V 1708).
2) Benedetto, Bruder von 1), * 24.7.1686 Venedig, t 25.7.1739 Brescia; it. Komponist. Er entstammt einer venezianischen Adelsfamilie und wurde durch G. Tartini (Violine), F. Gasparini und A. Lotti
(Komposition) ausgebildet. Er studierte Jura, wurde 1711 Advokat und 1716 Mitglied des Consiglio dei Quaranta. 1730 wurde er Provveditore in Pola und 1738 Camerlengo in Brescia, wo er jedoch schon im folgenden Jahr an Tuberkulose starb. Durch seine musikalischen und literarischen Schriften schon früh bekannt geworden, war er bereits 1712 Mitglied der Accademia Filarmonica in Bologna und 1718 — unter dem Pseudonym Driante Sacreo — Mitglied der Arcadia in Rom geworden. WW: 1) Lrtr.-WW: Sonaten für Fl. u. B.c., op. 2 (V1712). in anderer Anordnung u. teilweise transponiert (Lo um 1733); Sonaten für Vc. u. B.c. (Lo um 1733); Sonate a tre für 2 Vc. oder Viole da gamba u. B.c. (A o. J.); Concerti a cinque mit Solo-V. u. -Vc., op. 1 (V 1708). - 2) Vokal-WW: Estro poetico-armonico. Parafrasi sopra li ... salmi, 8 Bde. (V 1724-26, 21776), 8 Bde. in 1 Bd. (R 1739); Canzoni madrigalesche et arie per camera für 2-4 St. (Bol 1724). Hal. erhalten: Intermedium Arianna; etwa 170 Kantaten, Arien, Duette, Serenate; mehrere Messen, Lamentationen u. a. kirchenmusikal. Werke; Oratorium Giuditta. - 3) 5 ten: Rime varie (V 1717); II teatro alla moda (V um 1720 u. ö.); Lettera famigliare d'un accademico filarmonico ... (V 1705) (Echtheit unsicher). M. schrieb auch einige (hsl. erhaltene) Libretti.
Von den vielen Kompositionen des „nobile Veneto dilettante di contrappunto", wie M. sich selbst nannte, des „Musices Princeps", wie ihn sein Epitaph in Brescia bezeichnet, ist an erster Stelle der Estro poetico-armonico zu nennen, eine Sammlung von 50 Psalmvertonungen in der italienischsprachigen Fassung seines Freundes G. B. Giustiniani, die ihn in ganz Europa berühmt machte. Auf der Grundlage des Konzepts einer Erneuerung der antiken Musik, wie es die .Camerata Fiorentina vertrat und insbesondere in V. Galileis Dialogo della mu-
Märchen vom Schalksnarren sica antica et della moderna (1581) formuliert worden war, strebte M. eine poetische wie musikalische Neufassung der hebräischen Psalmen an. Er verwendete ein der Monodie entsprechendes Kompositionsverfahren mit Generalbaßbegleitung einer oder mehrerer solistischer Stimmen. Im Gegensatz zur zeitgenössischen Monodie ist der Generalbaß hier über seine eigentliche begleitende Funktion hinaus als weitgehend selbständige Stimme konzipiert, so daß sich alte und neue Techniken verbinden. Möglicherweise verwendete M. hebräische Melodien als Cantus firmi, um einen höheren Grad an Authentizität zu erreichen. Jeder Band dieses Werkes enthält im Anschluß an die Vorrede Briefe bekannter Musiker, darunter Fr. Gasparini, A. Bononcini, J. Mattheson und G. Ph. Telemann. M.s bedeutendste Schrift ist der Teatro alla moda, eine brillante Satire auf den Opernbetrieb seiner Zeit. Er enthält wertvolle Nachrichten über die Aufführungspraxis barocker Opern. Ausg.: Zu 1): Ob. -Konzert d -moll (Original der Vorlage zu BWV 974), hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1963) (= Corona 76); dass., hrsg. v. H. RUF (Mz 1963) (= Antiqua 74); Concerto G-Dur für 4 Blockfl. u. Str., hrsg. v. G. CROCI (Wilhelmshaven o. J.). - Zu 2): Instr.-WW: Sonaten, op. 2 Nr. 1-4 und 6-7. hrsg. v. J. GI.ODE (Kas 1958-63) (= Hortus mus. 142, 151-152); op. 2 Nr. 8 u. 10, hrsg. v. H. RUF (Mz 1965); Cemb.Sonaten, hrsg. v. L. SGRIZZI - L. BIANCONI (P 1971) (= Le pupitre 28); Concerti grossi, op. 1 Nr. 1, 3, 5 u. 7-8, hrsg. v. E. BONELLI (Padua 1960-66). - Vokal-WW: 6 Solokantaten, hrsg. v. G. BENVENUTO (Mi 1942) (= I classici musicali it. 2); Arianna, hrsg. v. R. NIELSEN (Bol 1956). - Schriften: Il teatro alla moda, hrsg. v. G. A. CAULA (Tn 1965). Lit.: Zu 1): A. VANDER LINDEN - B. PAUMGARTNER,Zur Frage J. S. Bach - M., in: Mf 1 1 (1958). - Zu 2): T. W IEL, B. M. (V 1894); G. TINTORI, L'Arianna di B. M. (Mi 1951); H. CH. WOLFF, Die Lukrezia-Kantaten v. B. M. u. G. F. Händel, in: Händel-Jb. 3 (1957); C. SITES, More an M.'s Satire, in: JAMS 11 (1958); C. S. FRUCHTMAN, Checklist of Vocal Chamber Works by B. M. (Detroit 1967); G. FERRONI, L'opera letteraria di B. M. e l'inedita „Fantasia ditirambica eroicomica' , in: Rassegna della letteratura it. 74 (1970); C. GALLICO, Prassi esecutiva nel „Teatro alla moda" di B. M., in: Studi musicali 1 (1972).
MARCHAL, André, * 6.2. 1894 Paris, t 1980 StJean-de-Luz; frz. Organist. Er war blind und studierte Orgel am Conservatoire Paris bei E. Gigout. 1915-45 war er Organist an St-Germain-des-Prés, 1945-63 an St-Eustache und machte sich durch Konzertreisen auch international als glänzender Virtuose bekannt. 1913-59 unterrichtete er an der Institution nationale des jeunes aveugles. Sein Orgelspiel, besonders der Werke Bachs und französischer Meister des 17. und 18. Jh., war charakterisiert durch eine farbige Registrierung und wirkte wegweisend auf zeitgenössische Organisten. Lit.: N. DUFOURCQ, A.M. et l'école d'orgue en France, in: L'organo 5 (1964-67).
MARCHAND, Louis, * 2. 2. 1669 Lyon, t 17. 2.
1732 Paris; frz. Organist und Komponist. Er wurde 1683 Organist an der Kathedrale von Nevers und 1693 an der Kathedrale von Auxerre. Wenig später kam er nach Paris, spielte dort seit spätestens 1698 die Orgel bei den Jesuiten in der Rue St-Jacques, bei den Cordeliers an St -Benoît und 1703-07 an St -Honoré. 1708-14 war er als Nachfolger G. Nivers' Organist der Chapelle Royale. Als Cembalound Orgelspieler von bedeutendem Ruf unternahm er seit 1714 Konzertreisen nach Deutschland und traf 1717 in Dresden mit J. S. Bach zusammen. Einem mit Bach angesetzten Wettspiel soll er sich durch Abreise entzogen haben. Auf der Rückreise nach Paris spielte er die soeben fertiggestellte Silbermann-Orgel des Straßburger Münsters. In Paris
erlangte er rasch wieder sein früheres Ansehen, wirkte aber nun vornehmlich als Lehrer. Sein berühmtester Schüler war L. -Cl. Daquin. Als Komponist von Orgel- und Cembalowerken entwickelte M. einen sehr persönlichen Stil mit gefälliger Melodik, unerwarteten harmonischen Wendungen und lebhaften und kapriziösen Rhythmen. WW: Pièces de clavecin, 2 Tle. (P 1702/03); Pièces choisies pour l'Orgue (P- Ly o. J.); weitere Org.- u. Cemb.-WW hsl.; 3 Cantiques spirituels, Kantate Alcione sowie frz. u. it. Airs hsl. u. in Sammeldrucken der Zeit. Ausg.: Pièces de clavecin, hrsg. v. TH. DART (Monaco 1960); GA der Orgelwerke, hrsg. v. H. BONFILS (P 1977ff.). Lit.: G. B. SHARP, L. M., a Forgotten Virtuoso, in: MT 110 (1969); J.-M. BAFFERT, La jeunesse de L. M., in: Chigiana 6/7 (1971); N. DUFOURCQ, Pour une approche biographique de L. M. 1669-1732, in: Rech. Mus. 17 (1977); E. HIGGINBOTTOM, M., in: Grove 6 XI.
MÄRCHEN VOM SCHALKSNARREN, DER SIEBEN NARREN NARRTE, DAS (Le Chout; russ. Originaltitel: Skaska pro schuta), Ballett in sechs Bildern von Serge Prokofjew (1891-1953). Choreographie: Michail Larionow. UA: 17.5.1921 in Paris (Théâtre de la Gaîté-Lyrique); dt. EA: 1927 in Köln.
Als literarische Vorlage für das Libretto der Ballettpantomime wählte Prokofjew aus A. N. Afanasjews russischer Märchensammlung (Narodnye russkie skaski, Moskau 1855-63) das groteske Märchen vom Narren, der sich erst in eine Ziege, anschließend in ein Küchenmädchen verwandelt, um in zwei weiteren Streichen sechs andere Narren zu übertölpeln. Märchenphantastik und Situationskomik regten den Komponisten zu einer originellen künstlerisch-musikalischen Gestaltung an: Die sinfonisch durchgeformte Komposition ist durch Leitthemen geprägt, die dem Narren, dem Kaufmann und dem Küchenmädchen zugeordnet sind. Bizarre melodische Wendungen (Vorschläge, Triller, ungewöhnliche Intervallsprünge) akzentuieren den illustrativen Charakter der Musik, deren 217
Märchen vom Zaren Saltan Konzeption durch eine homogene, dem Atonalen angenäherte Harmonik, elementar-tänzerische Rhythmen und volksliedhafte Themen bestimmt ist. — Als „sehnlichst erwartetes Produkt russischer Exotik" und „wahrhaftige Kaskade von Ideen, unerschöpflichen Einfällen von Farbe, Rhythmus und Melodie" (I. Nestjew) apostrophiert, wurde das Werk bei der UA sowohl vom Publikum als auch von den Kritikern enthusiastisch aufgenommen. G.
LUDIN
MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN, VON SEINEM SOHNE, DEM BERÜHMTEN UND MÄCHTIGEN HELDEN GUIDON, UND DER SCHÖNEN PRINZESSIN SCHWANHILDE, DAS (Skaska o zare Saltane, o syne ego slwa wnom i mogutschem bogatyre kn fase Gwidone Saltanowitsche i o prekrasnoi zarewne Lebedi), Oper in 4 Aufzügen und einem Vorspiel von Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908), Text von Wladimir Belski nach dem gleichnamigen Märchen Alexander Puschkins (1832). UA: 21. 10. (3. 11.) 1900 in Moskau (Privattheater); dt. EA (in dt. Sprache): 2. 3. 1928 in Aachen. Die wesensbestimmenden Merkmale eines Märchens — insbesondere die charaktermäßige „Unwahrscheinlichkeit" seiner Figuren und die Freiheiten einer Handlungsfügung, die den Regeln der Kausalität nicht unterworfen sein muß — kamen auch in diesem Werk den künstlerischen Neigungen Rimski-Korsakows entgegen: hier waren wiederum statt psychisch motivierter Prozesse und dramatischer Entwicklungen vielmehr das an den szenischen Augenblick gebundene Atmosphärische sowie die Symbole einer bilderreichen Illusionsbühne musikalisch zu verdeutlichen. Die Geschichte vom Zaren Saltan, der seine Frau und Guidon, seinen Sohn, verstößt und erst wieder zu ihnen zurückfindet, nachdem Guidon zum Herrscher über ein Zauberreich geworden ist, eröffnete dem Komponisten eine Fülle reizvoller Möglichkeiten, diese „wunderbaren", von humoristischen Elementen durchsetzten Geschehnisse in einer — vor allem von höchst nuancierten instrumentatorischen Kunstmitteln geprägten — Tonsprache sinnfällig zu präsentieren. Der illustrative Grundzug der Partitur zeigt sich nicht zuletzt in den breiten Orchesterzwischenspielen, denen Verse aus dem Puschkin-Märchen als „Programm" beigegeben sind, sowie in jenem durch mannigfache Bearbeitungen populär gewordenen Abschnitt, der den Flug der Hummel — in dieser Gestalt macht sich Guidon in das Land seines Vaters auf — darstellen soll. E. FISCHER MARCHESI. —1) Salvatore, Cavaliere de Castrone, Marchese della Rajata, * 15.1. 1822 Palermo, t 20. 218
2. 1908 Paris; it. Sänger (Bariton). Nach seinem Gesangstudium in Mailand mußte er 1848 wegen seiner Teilnahme an der Re4blution in die USA fliehen und debütierte in New York in G. Verdis Emani. Später setzte er seine Ausbildung noch bei M. García in Paris fort. Nach seiner Heirat mit der Sängerin Mathilde Graumann 1852 wirkte er mit ihr zusammen als Gesanglehrer in Wien und Paris und trat mit ihr gemeinsam in Konzerten auf. Er gab eine Gesangschule und Vokalisen heraus und übersetzte französische sowie mehrere Wagner-Opern (Fliegender Holländer, Tannhäuser, Lohengrin) ins Italienische. Als Komponist trat er finit italienischen Kanzonetten, französischen Romanzen und deutschen Liedern hervor. — 2) Mathilde, geborene Graumann, Frau von 1), * 24. 3. 1821 Frankfurt a. M., t 17. 11. 1913 London; dt. Sängerin (Sopran). Sie war seit 1843 Schülerin von O. Nicolai in Wien und 1845-49 von M. García in Paris und trat als Konzertsängerin erfolgreich in Paris, London und Deutschland auf. 1854 wurde sie zusammen mit ihrem Mann als Gesanglehrer an das Wiener Konservatorium berufen. 1861 gründete M. in Paris eine eigene Gesangschule. Nach einem kurzen Aufenthalt in Köln unterrichtete sie mit ihrem Mann erneut in Wier, (1868-78) und danach wieder in Paris. M. M. war neben P. Viardot-García eine der berühmtesten Gesanglehrerinnen des 19. Jahrhunderts. N. Melba war ihre Schülerin. 'Schriften: Gesangschule Ten Singing Lessons (NY 1910), Nachdruck als: Theoretical and Practical Vocal Method (NY 1970). — Memoiren: Erinnerungen aus meinem Leben (W 1877) u. Aus meinem Leben (W 1888).
3) Blanche, Tochter von 1) und 2), * 4.4. 1863 Paris, t 15. 12. 1940 London; it. Sängerin (Sopran). Sie ging 1896 nach London, trat auch als Opernsängerin auf, wurde aber vor allem als Konzertsängerin bekannt. Sie schrieb ein Lehrbuch, The Singer's Catechism (Lo 1932), und veröffentlichte ihre Autobiographie unter dem Titel A Singer's Pilgrimage (Lo 1923, Nachdr. 1977). Lit.: Zs 2): R. SIETz, in: Rheinische Musiker 2, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kö 1962) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 53); DERS., Ein Brief v. M. M. an F. Hiller, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgesch. 34 (1969).
MARCHETTUS DE PADUA (Marchetto da Padova), it. Musiktheoretiker des 14. Jahrhunderts. Von M. sind 3 Musikschriften überliefert. Das aus 16 kleinen Traktaten bestehende Lucidarium behandelt Definition und Einteilung der Musik, Tonarten, Konsonanzen und Dissonanzen sowie die Unterteilung des Ganztons. M.' Fünfteilung des Ganztons (gegenüber der herkömmlichen Neunteilung) wurde später von Prosdocimus de Beldemandis und Johannes Gallus (Jean Lecocq) kritisiert.
Maréchal Das Pomerium ist die früheste Quelle für die Theorie der italienischen Mensuralnotation des 14. Jh. und ihre Besonderheiten gegenüber der Ars nova Ph. de Vitrys. Die Brevis compilatio stellt eine geraffte Zusammenfassung des Pomerium dar. Schriften: Lucidarium in arte musicae plance (1317-18); Pomerium in arte musicae mensuratae (1321-26); Brevis compilatio in arte musicae mensuratae. Ausg.: Lucidarium u. Pomerium, in: GERBERT Scr. III; Brevis compilatio, in: COUSSEMAKER Scr. III; Pomerium, hrsg. v. J. VECCHI (1961) (= CSM 6). Lit.: N. PIRROTTA, M. de P.... , in: MD 9 (1955); M. L. MARTINEZ-GOLLNER, M. of P. and Chromaticism, in: L'ars nova it. del Trecento 3. Kgr.-Ber. Certaldo 1969; I. ADLER, Fragment hebraique d'un traite attribué à M. de Padoue. in: Yuval 2 (1971); F. A. GALLO, Marchetus in Padua u. die „franko-venetische" Musik des frühen Trecento, in: AfMw 31 (1974).
MARCHING BAND, Brass Band (engl.), Blechblasorchester nordamerikanischer Neger, wie es um die Mitte des 19. Jh. im Süden der USA in Anlehnung an die Militärorchester der Weißen entstand. Die M. B.s übernahmen zunächst europäisch-amerikanische Marschmusik, erweiterten jedoch bald ihr Repertoire durch Einbeziehung der verschiedensten Ausprägungen afroamerikanischer Musik und ihrer typischen Ausdrucksmittel bzw. Spielweisen (>'Blues, 7Hot-Intonation). Die M. B.s, die bei allen möglichen Anlässen auftraten, spielten insbesondere mit den daraus entwickelten /Street Bands eine wichtige Rolle in der Frühphase des Jazz, im řNew Orleans Jazz. MARCO, Tomés, * 12. 9. 1942 Madrid; span. Komponist. Er studierte Jura und Musik in Madrid, war 1962-67 Mitarbeiter von Tageszeitungen und Zeitschriften und gründete 1967 die Zeitschrift Sonda für zeitgenössische Musik. 1969 übernahm er die Leitung der Musikabteilung des Spanischen Rundfunks in Madrid. 1967 hatte er in K. Stockhausens Gemeinschaftskomposition Ensemble mitgearbeitet und das Duodram Anna Blume (für 2 Sprecher, 5 Bläser und 2 Schlagzeuger) komponiert. Auf dieser Linie liegen auch seine weiteren Werke. vorwiegend Kammermusik mit charakteristischen Schlagzeugimpulsen. WW: 1) Kompodtimen: Kammermusik; für Orch.: Los caprichos (1967); Angelus novus (1971); V.-Konzert Les mécanismes de la mémoire (1973); Escorial (1974). - Anna Blume (1967) für 2 Sprecher, Ob., Fl., Saxophon, Trp., Klar. u. 2 Schlagzeuger; Cantos del pozo artesiano (1967) für Schauspielerin, Fl., Horn, Trp., Pos., V., Vc., Kb., 2 Schlagzeuger u. BaBtuba. - 2) Scěrliftea: Música espanola de vanguardia (Ma 1970); La múísica de la Espaňa aontemporánea (Ma 1971). Lit.: G. GOMEZ AMAT, T. M. (Ma 1974); T. MARCO, in: Artistas espaňolos contemporánens 74 (Ma 1974).
MARCUSSEN & SON, dänische Orgelbaufirma. Sie wurde 1806 von Jörgen Marcussen (1781 bis 1860) in Satrup gegründet und 1830 nach Aaben-
raa (Apenrade) verlegt. 1825 trat M.s Schüler Andreas Peter Wilhad Reuter (1798-1847) in die Werkstatt ein, die nun als „Marcussen & Reuter" firmierte. Unter der Leitung von M.s Urenkel Sybrand Alexander Zachariassen (1900-1960) gewann die Firma internationalen Ruf. Seit 1960 hat sein Sohn Sybrand Jörgen Zachariassen (5 1931) die Leitung der Werkstatt inne. Zu den wichtigsten von M. erbauten Orgeln zählen: Schloßkapelle Kronborg bei Helsingor (1843: 2 Man., 20 Reg., unverändert erhalten); Göteborg, Dom (1849; 3 Man., 42 Reg.); Lund, Dom (1868; 3 Man., 61 Reg., 1934 auf 4 Man., 101 Reg. erweitert); Göteborg, Konserthus (1937; 5 Man., 100 Reg.); Soro, Klosterkirche (1942; 3 Man., 37 Reg.); Kopenhagen, Rundfunk (1946; 5 Man., 84 Reg.), Utrecht, Nikolaikerk (1956; 3 Man., 33 Reg.), Freiburg, Münster, Langschifforgel (1965; 2 Man., 21 Reg.); Linz (Österreich), Neuer Dom (1968; 4 Man., 70 Reg.); Lübeck, Dom (1970; 3 Man., 47 Reg.); Rotterdam, Laurenskerk (1973; 4 Man., 84 Reg.); Meldorf, Dom (1977; 3 Man., 42 Reg.). Restaurierungen historischer Orgeln wurden u. a. vorgenommen in Haarlem, St. Bavo (Chr. Müller, 1738), und Leufsta Bruk in Schweden (Cahman, 1728). Lit.: N. FRIIS, M. (Aabenraa 1956).
MARÉ, Rolf de, * 9. 5. 1888 Stockholm, t 28. 4. 1964 Barcelona; schwedischer Choreograph. Er gründete 1920 in Paris mit Jean Börlin die „Ballets suédois". Für diese Gruppe entwarf er die Choreographie zu folgenden Balletten: El Greco (D.-E. Inghelbrecht, 1920-23 Dirigent der Truppe, 1921), L'Homme et son désir (D. Milhaud, 1921), Les mariés de la Tour Eiffel (Gemeinschaftskomposition der Groupe des Six mit Text von Jean Cocteau, 1921), Skating Ring (Rollschuhballett, A. Honegger, 1922), La Création du Monde (D. Milhaud, 1923). Die Gruppe wurde bereits 1925 wieder aufgelöst. 1920-27 leitete M. das Théâtre Comédie et Studio des Champs-Élysées und gründete 1933 die 1950 aufgelösten Archives Internationales de la Danse, deren Bestände sich jetzt in Stockholm (Öffentliches Museum) befinden. MARÉCHAL, Maurice, * 3. 10. 1892 Dijon, t 19. 4. 1964 Paris; frz. Violoncellist. Er studierte u. a. bei Charles Lefebvre und P. Dukas am Pariser Conservatoire, wo er 1942-63 unterrichtete. Seit 1912 trat er als Solist, zeitweise auch im Trio mit A. Cortot und J. Thibaut auf. 1950 wurde M. Ritter der Ehrenlegion. M. Ravel, A. Honegger und D. Milhaud überließen ihm Uraufführungen ihrer Werke. Lit.: L. S. GINSBURG, M. Mareschal (Mos 1972).
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Marenzio MARENZIO, Luca, * 1553 oder 1554 Coccaglio bei Brescia, t 22. B. 1599 Rom; it. Komponist. Er war wahrscheinlich Chorknabe am Dom von Brescia, dessen Kapelle 1565-67 von G. Contino geleitet wurde, der vielleicht auch sein Lehrer war. Seine erste Anstellung fand M. in•Rom bei dem Kardinal Cristoforo Madruzzo (t 1578). Danach trat er in Rom in die Dienste des Kardinals Luigi d'Este (des Bruders des Herzogs von Ferrara, Alfonso d'Este), der 1586 starb. In dieser Zeit veröffentlichte er seine ersten Madrigalsammlungen; möglicherweise nahm er damals auch Kontakt mit dem Hof von Ferrara auf. Nachdem seine Bemühungen um die Kapellmeisterstelle an der herzoglichen Kapelle von Mantua erfolglos blieben, ging er 1588 an den Hof von Florenz. An den dortigen Festlichkeiten anläßlich der Hochzeit des Großherzogs Ferdinando I. dei Medici mit Christine von Lothringen (1589) war er als Komponist (2. und 3. Intermedium zu der Komödie La pellegrina von G. Bargagli) und als Sänger beteiligt. Im Herbst kehrte M. nach Rom zurück, wo er Mitglied der „Vertuosa Compagnia dei Musici" war und die Protektion des Prinzen Virginio Orsini, des Kardinals Cinzio Aldobrandini und sogar des Papstes Clemens VIII. erhielt. 1596 hielt er sich am Hof König Sigismunds von Polen in Warschau auf, 1598 ist er in Venedig, 1599 wieder in Rom bezeugt, wo er im selben Jahr starb. Sein Grab befindet sich in S. Lorenzo in Lucina. WW (mit z. T. zahlr. Neudrucken u. Aufl.): Madrigale: für 4 St. (R 1585), für 4-6 St. (V 1588); 9 Bücher für 5 St. (V 1580, 1581, 1582, 1584, 1585, 1594, 1595, 1598, 1599); 6 Bücher für 6 St. (V 1581,1584,1585,1587,1591, 1595); Madrigali spirituali für 6 St. (R 1584, erweitert Nü 1610); 5 Bücher Villanellen u. Canzonetten für 3 St. (V 1584, 1585, 1585, 1587, 1587), Ausw. daraus mit dt. Texten, hrsg. v. V. Haumann (Nü 1606); zahlr. Madrigale in etwa 100 Sammeldrucken 1577-1627, mehrere auch in gedruckten Lautentabulaturen des 16. Jh. - Motetten für 4 St. (R 1585); Sacrae cantiones für 5-7 St. u. B.c. (postum V 1616). - Die Intermedien von 1589 wurden gedruckt in RISM 1591 7.
Die zahlreichen Nachdrucke der Werke M.s bezeugen den Ruhm, den er in den verschiedenen musikalischen Kreisen in Italien und in anderen europäischen Ländern genoß, und machen den Einfluß auf die Komponisten seiner Zeit und der unmittelbaren Nachwelt verständlich. Besonders sind hier zu nennen in Italien Cl. Monteverdi, in Deutschland H. L. Haßler, H. Schütz und J. H. Schein, in England J. Wilbye, Th. Weelkes und J. Dowland (der sein direkter Schüler war). Mit C. Gesualdo und Monteverdi ist M. einer der großen Madrigalisten des späten 16. Jahrhunderts. In der Tradition C. de Rores und G. Gabrielis stehend, sind seine Madrigale durch Eleganz der Melodik, Klarheit und Ebenmaß des Rhythmus und eine lyrische Grundhaltung von großer Farbigkeit und Delicatezza ge220
kennzeichnet. M. versteht es, gelehrte Kontrapunktik mit ruhigen homorhythmisch deklamierten Abschnitten abwechseln zu lassen und berücksichtigt sorgfältig die Prosodie der Worte, vor allem in den Madrigalen, die aus der Zeit nach dem Wirken der řCamerata Fiorentina stammen. M.s besondere Aufmerksamkeit gilt dem musikalischen Ausdruck von Sinn und Affekt der Texte (von Francesco Petrarca, Iacopo Sannazaro, Torquato Tasso, Giovanni Battista Guarini), u. a. mit Hilfe von Chromatik, die freilich weniger kühn ist als bei Gesualdo. Auch in der Verwendung musikalisch-deskriptiver Mittel ist M. sparsam. M.s Villanellen zeichnen sich durch Frische, Eleganz und Unmittelbarkeit der musikalischen Sprache aus. Die beiden Intermedien von 1589 haben die Rivalität der Musen und der Pieriden sowie den Sieg Apollos über den Drachen Python zum Inhalt. Erhalten sind davon eine kurze instrumentale Sinfonia und 7 mehrstimmige vokale Sätze (über Texte von O. Rinuccini). Diese sind instrumentalbegleitet und reichen in der Besetzung von 3 Stimmen bis zu 3 Chören (davon einer mit 18 Stimmen). Sie zeigen eine homorhythmische Satzweise, die dem Text starkes deklamatorisches und dramatisches Profil verleiht. In M.s kirchenmusikalischen Werken sind gleichermaßen die römische Palestrina-Tradition wie expressive venezianische Elemente wirksam. Ausg.: Sämtliche Werke, hrsg. v. A. EINSTEIN, nur 2 Bde. erschienen (1.-6. Buch der 5st. Madrigale) (L 1929, 1931, Nachdr. Hil 1967) (= PäM 4 u. 6); Opera omnia, hrsg. v. B. MEIER R. JACKSON (1976ff.) (= CMM 72), bisher erschienen Bd. 1-4 (Sacrae cantiones u. a. Motetten sowie 1. u. 2. Buch der 6st. Madrigale); The Secular Works, hrsg. v. S. LEDBETTER - P. MYERS (NY 1977 ff.), bisher erschienen Bd. 7 u. 14; Villanellen, 1. Buch, hrsg. v. M. BARONI (Mi 1964) (= Mon. Mus. Lombarda A/2); ferner zahlr. praktische Ausg. von Madrigalen. - Musique des intermèdes de „La pellegrina", hrsg. v. D. P. WALKER u.a. (P 1963) (= Le chmur des muses o. Nr.). Lit.: F. X. HABERL, L. M., eine bio-bibliographische Skizze, in: KmJb 15 (1900); H. ENGEL, L.M. (Fi 1956); W. W. WADE, The Sacred Style of L. M. as Represented in His Four-Part Motets, 2 Bde. (Evanston 1959) (= Diss. Northwestern Univ.); D. ARNOLD, M. (Lo 1965); S. LEDBETTER, L. M. New Biographical Findings (1971) (= Diss. Univ. of New York); J. CHATER, Fonti poetichi dei madrigali di L. M., in: RIMus 13 (1978); S. LEDBETTER, M.'s Early Career, in: JAMS 32 (1979); DERS.-R. JACKSON, M., in: Grove6 XI; B. MEIER, Zum Gebrauch der Modi bei M., in: AfMw 38 (1981).
MARESCHALL (Mareschal, Marschal, Marshall), Samuel, * 22.(?) 5. 1554 Tournai, t zwischen 23.4. und 17. 12. 1640 Basel; franko-flämischer Komponist. Er ließ sich 1576 in Basel nieder, wo er 1577 Nachfolger des ersten protestantischen Münsterorganisten, Gr. Meyer, und Professor musices an der Universität wurde. Daneben versah er den Musikunterricht an den Gymnasien. Seine Psalmen Davids und Der gantz Psalter enthalten 4st. Kantio-
Mariachis nalsätze, bei denen die Melodie im Diskant liegt. In seinen hsl. Orgeltabulaturen pflegt er noch den zu seiner Zeit bereits lange veralteten Stil der sogenannten Koloristen nach Art C. Paumanns und des Buxheimer Orgelbuchs. WW: Der gantz Psalter (nach A. Lobwasser), 2. Teil: Psalmen Davids ... und geistliche Lieder von D. Martin Luther und anderen für 4 St. (Bas 1606 u. ö.); Melodiae suaves (Psalmen u. Hymnen für 4 St. sowie ein Traktat) (Bas 1622); 4 Orgeltabulaturbücher (hsl.); Traktat Porta musices (Bas 1589). Ausg.: Selected Works, hrsg. v. J.-M. BONHOTE (R 1968) (= Corpus of Early Keyboard Music 27). Lit.: W. MERLAN, Der Tanz in den dt. Tabulaturbüchern (L 1927, Nachdr Hil-Wie 1968) (darin 4 Stücke); R. KENDALL, The Life and Works of S.M. 1554-1640, in: MQ 30 (1944); A. VAN DER LINDEN, La légende d'un psautier perdu de S. M., in: Hommage â Ch. van den Borren, Mélanges (An 1945); M. JENNY, Gesch. des deutschschweizerischen ev. Gesangbuches im 16. Jh. (Bas 1962).
MARESCOTTI, André François, * 30.4. 1902 Carouge bei Genf; Schweizer Komponist. Er studierte am Genfer Konservatorium und seit 1924 in Paris bei Roger-Ducasse. 1925 wurde er in Genf Kapellmeister an Sacré-Coeur und 1940 an St-Joseph und lehrte seit 1931 Klavier und Instrumentation am Konservatorium. Zunächst weitgehend von M. Ravel, I. Strawinsky und der Groupe des Six beeinflußt, verwendete M. seit den 50er Jahren auch serielle Techniken. WW: 1) lostr.-WW: Für Orch.: Ouverture pour la comčdie de celui qui épousa une femme muette (1931); Prélude au Grand Meaulnes (1934); Aubade (1937); 1., 2. u. 3. Concert Carougeois (1942, 1959, 1966); Ouvertüre Festa (1961); Hymnus (1963); Giboulées (1949) für Fag. u. Orch.; Klv.-Konzert (1957). 2) Vokal-WW: 3 poémes ma jeurs de Saint Jean de la Croix (1954) für Sopran, Frauen- u. Kinderchor ad lib.; 3 Motetten für gem. Chor u. Org. (1967); 3 Incantations (1969) für gem. Chor u. Schlagzeug. - 3) Biihneo-WW: Ballett Les anges du Gréco, UA: Zürich 1947, daraus 2 Orch.-Suiten; Bühnenmusik zu: F. Timmermann, Où l'étoile s'arrčta (1937); R. Moran, La lampe d'argile (1947): ders., Job le vigneron (1953). - Ferner die Abh. Les instruments d'orchestre (1948-49). Lit.: A. GoLEA, A. F. M. (P 1963) (mit Werk-Verz.); DERS., in: SMZ 104 (1964); S. SCHULER, A.-F. M., in: ebd. 108 (1968); A. JACQUIER, Hommage k A.-F. M., in: ebd. 112 (1972).
MARGARETHE, Oper in 5 Akten von Charles Gounod (1818-93), Text von Jules Barbier und Michel Carré nach dem 1. Teil von J. W. von Goethes Faust. Ort und Zeit der Handlung: eine deutsche Kleinstadt, im 16. Jahrhundert. UA: 19.3. 1859 als Faust in Paris (Théâtre-Lyrique); dt. EA (in dt. Sprache): 10. 2. 1861 in Darmstadt. Gounods Faust-Vertonung, die in Deutschland meist unter dem Titel Margarethe gespielt wird, ist einer der bedeutendsten Beiträge zur Gattung der lyrischen Oper und zugleich einer der größten Erfolge in der Geschichte des Musiktheaters: In Paris fand am 31. 12. 1934 die 2000. Aufführung statt; in New York spielte man Margarethe zur Einwei-
hung des Metropolitan Opera House. — Unter den Händen des versierten Autorenteams wandelte sich Goethes Drama zu einer bühnenwirksamen Liebesgeschichte, deren psychodramatisches Zentrum Margarethes Liebe zu Faust ist; die komplexe literarische Vorlage läßt sich lediglich noch als bloßes Handlungsgerüst erkennen. Trotz anfänglich kühler Aufnahme (den Franzosen erschien das Werk „zu deutsch"; in Deutschland verurteilte man den „respektlosen" Umgang mit Goethes Meisterwerk) setzte sich Margarethe bald durch. Ursprünglich war die Oper mit gesprochenen Dialogen konzipiert, doch schon für die Straßburger Aufführung von 1860 schrieb der Komponist Rezitative nach und erfüllte somit die Voraussetzung für eine spätere Übernahme des Werkes an die Pariser Opéra (1869, mit Christine Nilsson als Margarethe). Anläßlich der englischen EA (1864) komponierte Gounod für den Bariton Sir Charles Stanley Valentins Gebet (Avant de quitter ces lieux), eine der berühmtesten Nummern der Oper. Margarethe weist verschiedene Züge der Grand-opéra auf, die sich besonders in der szenischen Ausweitung der Einzelnummern und in der Rezitativgestaltung manifestieren. Leit- und Erinnerungsmotive sowie fließende Übergänge zwischen den einzelnen Stükken bewirken eine für Nummernopern ungewöhnliche musikdramatische Stringenz. Eine Fülle eingängiger Melodien und subtile Instrumentierungskunst zeichnen zudem diese Oper aus. Beliebte Einzelnummern sind unter anderem Margarethes Lied vom König von Thule, ihre Juwelenarie sowie Mephistos Rondo vom goldenen Kalb. R. QUANDT
MARIA ANTONIA WALPURGIS, Kurfürstin von Sachsen, * 18.7. 1724 München, t 23.4. 1780 Dresden. Sie war eine Tochter des Kurfürsten von Bayern und nachmaligen Kaisers Karl VII. Ihre Musiklehrer waren in München G. Ferrandini und N. Porpora, nach ihrer Heirat (1747) mit Prinz Friedrich Christian, 1763 Kurfürst von Sachsen, N. Porpora und J. A. Hasse in Dresden, wo sie eine wichtige Rolle in der Musikpflege des Hofes spielte. M., die auch eine begabte Malerin war, gehörte der Arcadia in Rom an; sie schrieb Libretti und Musik zweier Opern, Il trionfo della fedeltà (UA Dresden 1754, gedruckt L 1756 als erster Typendruck des Verlags Breitkopf) und Talestri (UA Nymphenburg 1760, gedruckt L 1765), italienische Kantatentexte und für Hasse das Libretto zu dem Oratorium La conversione di S. Agostino. Lit.: H. DREWES, M. A. W. als Komponistin (Bonn - L 1934).
MARIACHIS (span., von frz. mariage = Hochzeit), Bz. für Instrumentalensembles der mexikani221
Marianiscbe Antiphonen schen Volksmusik, die aus mehreren Geigen, Gitarren (u. a. ein Guitarrón = BaBgitarre), häufig einer Harfe und Blasinstrumenten (Klarinetten, Trompeten) bestehen. Meist begleiten die M. einen Sänger oder übernehmen selbst die Gesangspartien. Zum charakteristischen Repertoire der M. zählen die OECorridos. — Der Ursprung der in spanischer Tradition stehenden, aber auch andere europäische Einflüsse aufweisenden M. wird im Bundesstaat Jalisco mit der Hauptstadt Guadalajara vermutet (die farbenfroh gekleideten Musikanten wurden irrtümlicherweise von den französischen Soldaten, die sich 1864-66 zur Unterstützung Kaiser Maximilians in Mexiko aufhielten, als Hochzeitskapellen bezeichnet). Typisch für sie ist auch die Tracht der in den nördlichen Regionen beheimateten Charros (berittene Viehhirten), in denen die M. heute in ganz Mexiko auftreten. MARIANISCHE ANTIPHONEN (lat.: antiphonae finales Beatae Mariae Virginis), Bz. für gregorianische Gesänge zu Ehren Mariens, mit denen das tägliche Stundengebet der katholischen Kirche beschlossen wird. Zunächst waren sie für das marianische Offizium und in gewohnter Zuordnung zu den Psalmen geschaffen, haben sich jedoch aus diesem Verbund gelöst und sind zu selbständigen Gesängen geworden (Prozessions->'Antiphon). Gefördert durch die aufblühende Marienfrömmigkeit des Hoch- und Spätmittelalters, entstanden zahlreiche psalmlose Antiphonen, deren Texte häufig auf Verse des Hohenliedes zurückgingen und zunehmend im marianischen Sinne ausgedeutet wurden. In der kirchlichen Liturgie haben sich vornehmlich 4 M. erhalten: 1. Alma Redemptoris Mater (für die Advents- und Weihnachtszeit; bis zum 1. Februar), 2. Ave Regina Coelorum (für die Zeit vom Fest Mariä Lichtme8 [2. Februar] bis zum Mittwoch der Karwoche), 3. Regina Coeli (für den Osterfestkreis) und 4. Salve Regina (für die Zeit vom Dreifaltigkeitssonntag bis zum Freitag vor dem 1. Adventssonntag). Die Zusammenstellung dieser 4 M. als AbschluBgesänge der Komplet findet sich erstmals 1249 bei den Franziskanern überliefert. 1350 übernahm Papst Clemens V. diese Ordnung für das neue Kurialbrevier. Der Brevierreform Pius' V. (1568) entsprechend sollte jede im Chor gefeierte Gebetszeit mit einem GruB an die Gottesmutter beschlossen werden. Die Ritenkongregation beschränkte 1955 die M. wieder auf die Komplet. Das neue Stundenbuch von 1971 ordnet diese Gesänge nicht mehr bestimmten Zeiten im Kirchenjahr zu, mit Ausnahme des Regina Cock, das weiterhin an den österlichen Festkreis gebunden bleibt. Neu ist auch, neben dem Ave Maria weitere approbierte M. 222
zu singen (z. B. Sub tuum praesidium). Schließt das gemeinsam gefeierte Offizium schon mit der Vesper ab, so soll ein Marianischer Gesang diese beenden. Die vorwiegend melismatischen Weisen der M., z. T. den Affektgehalt des Textes nachzeichnend, sind von früh an mit den ursprünglichen Texten verbunden gewesen. Ihre große Beliebtheit führte im Mittelalter zu Umdichtungen, Umbildungen, Ausweitungen und Vereinfachungen. Ebenso groß war ihr Einfluß auf das volkssprachliche Liedgut. 1. Text (in daktylischen Hexametern) und Melodie (im 5. Ton) des Alma Redemptoris Mater sind seit dem 12. Jh. nachweisbar (vermutlich von Hermann dem Lahmen). Ursprünglich für die Sext des Offiziums von Mariä Himmelfahrt bestimmt, wird darin die Erwählung Mariens zur Mutter des Erlösers besungen und um ihre Fürsprache gebeten. Musikalische Kennzeichen sind reiche Gliederung und weitgespannte Melodik. Im 17. Jh. entstand eine vereinfachte Fassung, die als Cantus simplex ins Antiphonale aufgenommen wurde. Als mehrstimmige Motette wurde der lateinische Text u. a. von G. Dufay, G. P. da Palestrina, Josquin des Prés, O. di Lasso, J. Ockeghem, M.-A. Charpentier und W. Fortner vertont. Im Kirchengesang fand die deutsche Umgestaltung des Regensburger Dompredigers F. Weinzierl, Erhabne Mutter unseres Herrn, weite Verbreitung. 2. Das Ave Regina Coelorum findet sich um 1100 in der Non des Festes Mariä Himmelfahrt. Der anonyme Text besteht aus 2 Strophen mit je 4 paarweise gereimten Zeilen. Er wendet sich an die Himmelskönigin und erinnert an die Aufnahme Mariens in den Himmel. Die ältere Melodiefassung (im 6. tonus transpositus) ist gekennzeichnet durch starke Vereinheitlichung der Abschnitte. Eine vereinfachte Version stammt aus dem 17. Jh. (oder später). Mehrstimmig vertont wurde diese Antiphon u. a. von C. Gesualdo, A. Willaert und M. Haydn; G. Dufay verwendete ihre Melodie als C. f. in der gleichnamigen Messe. Die textliche Übertragung in Maria, Himmelskönigin von J. Mohr (1801) wurde in viele Diözesangesangbücher aufgenommen. 3. Das Regina Cocli ist zuerst als Magnificatantiphon der Ostervesper im Antiphonar von St. Peter in Rom um 1170 (als Umbildung der alten Weihnachtsantiphon Maria virgo, semper laetare) bezeugt. Der einstrophige Text (bestehend aus 4 Kurzzeilen) bringt die Freude Marias über die Auferstehung Jesu zum Ausdruck (4 Alleluia-Rufe am Ende jeder Zeile). Seit 1742 wurde sie dem Gebet beim Angelusläuten in der Osterzeit eingefügt und auch als Rahmengesang zu Benedictus und Magnificat im Stundengebet Beatae Mariae Virginis in Sabbato während der österlichen Zeit verwendet.
Maria Stuart Bereits um die Mitte des 15. Jh. wurde die reich ausschwingende Melodie (im 6. Ton) vereinfacht. Der heute allgemein bekannte rein syllabische Tonus simplex entstand im 16. Jh.; auf ihn gehen auch die meisten deutschen Singweisen zurück (z. B. Freu dich, du Himmelskönigin). Mehrstimmige Kompositionen stammen u. a. von Josquin des Prés, G. P. da Palestrina, J. V. von WöB, Fr. Philipp und H. Schroeder. 4. Die bekannteste Antiphon, Salve Regina, ist bereits im 11. Jh. auf der Reichenau (als Benedicamus-Tropus) nachweisbar. 1135 erscheint sie als Prozessionsgesang in Cluny, als Magnificatantiphon im Codex von St. Gallen (12. Jh.) zum Fest Mariä Verkündigung. Als Verfasser des Textes (Reimprosa in 5 Sätzen mit dreifacher SchluBanrufung) wird heute Bischof Petrus von Compostela (um 952-1002) angenommen. Die melismatische Melodie (im 1. Ton) wurde vom 17. Jh. an durch eine vereinfachte Fassung von H. Du Mont (Plain-chant musical im 5. Ton) verdrängt. Die heute weithin verbreitete Version wurde durch die Schule von Solesmes „gregorianisiert" und äqualistisch umgeformt. Als AbschluBgesang der Komplet erlangte diese Antiphon unter dem Einflug der Zisterzienser und Dominikaner im Laufe des 13. Jh. einen festen Platz. In das Römische Brevier wurde sie erst im 16. Jh. aufgenommen und im Wechsel mit den übrigen M. als AbschluBgesang jeder selbständigen Hore verpflichtend vorgeschrieben. Von Bedeutung war sie auch für die marianische Volksfrömmigkeit, u. a. bei abendlichen Salve-Andachten, die sich vor allem in Deutschland und Frankreich vom 15. Jh. an ausbreiteten. Zum römisch-katholischen Kampf- und Bekennerlied wurde sie in der Reformationszeit. Zahllose Tropierungen, Paraphrasierungen, Übertragungen und freie Übersetzungen bezeugen ihre große Beliebtheit (z. B. das von J. G. Seidenbusch 1687 getextete, 1852 von G. Stein überarbeitete Gegrüßet seist du, Königin). Viele mehrstimmige Kompositionen — u. a. von J. Dunstable, J. Obrecht, M. Praetorius, A. Scarlatti, A. Vivaldi, G. Fr. Händel, G. B. Pergolesi, J. Chr. Bach, J. Haydn, Fr. Poulenc, J. Langlais — entstanden in Anlehnung an die Choralmelodie, gleichfalls Orgelwerke: aus neuerer Zeit von J. Ahrens, A. Heiner, P. Eben, B. Hummel, A. F. Kropfreiter, J. Langlais, L. De St-Martin, F. Peeters, H. Schroeder und Ch.-M. Widor. Lit.: W. BAUMKER. Das kath. dt. Kirchenlied in seinen Singweisen, 4 Bde. (Fr 1883-1901, Nachdr. Hil 1962); P. WAGNER. Einführung in die gregor. Melodien I (L 31911, Nachdr. Hil 1970), III (L 1921, Nachdr. Hil 1970); A. WEISENBACK. Ave Regina Coelorum, in: Musica Divina 16 (1928); J. MAIER, Stud. z. Gesch. der Marienantiphon Salve Regina (Rb 1939); W. APEL. Gregorian Chant (Bloomington/Ind. 1958); H. OESCH. Benno u.
Hermann von Reichenau als Musiktheoretiker (B 1961) (= Publ. der Schweizer. Musikforschenden Ges. II/9); W. Pass, Jacob Vaets u. Georg Pronners Vertonungen des „Salve Regina" in Joanellus Sammelwerk von 1568, in: De Ratione in Musica. Gedenkschrift für E. Schenk (Kas 1975). W. BRETSCHNEIDER
MARIANO, Charlie (Charles Hugo), * 12. 11. 1923 Boston (Massachusetts); amerik. Jazzmusiker (Saxophon, Flöte, Nagaswaram). Er begann mit Mainstream Jazz, kam dann in den 50er Jahren zum modernen West-Coast-Jazz, spielte u. a. bei Stan Kenton und Shelly Manne und gründete 1960 mit seiner damaligen Frau, der japanischen Pianistin Toshiko Akiyoshi ein Quartett. In den 60er Jahren hielt sich M. längere Zeit in Japan und Indien auf, erlernte das indische Blasinstrument Nagaswaram und startete 1971 eine zweite Karriere in Europa, wo er mit europäischen Gruppen zusammenspielt, u. a. mit Eberhard Webers „Colours". M. verfügt über einen hervorstechend kräftigen Ton und neigt seit den 70er Jahren zum melodisch Ausgeformten und Suggestiven. Sein Sopraninospiel löst sich vom EinfluB John Coltranes und zeigt Eigenständigkeit. MARIA STUART (Maria Stuarda), Tragedia lirica in 3 Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848), Text von Giuseppe Bardari nach Friedrich Schillers gleichnamigem Trauerspiel (1800). Ort u. Zeit der Handlung: London, 1587. UA: 30.12. 1835 in Mailand (Teatro alla Scala); dt. EA: B. 5. 1963 in Stuttgart. Das symmetrisch angelegte fünfaktige SchillerDrama wurde zu einer steigernd aufgebauten dreiaktigen Fassung gerafft; die politische Motivation der Handlung wurde in den emotionalen Bereich verschoben. Donizetti gelingt es vorbildlich, die beiden Sopranpartien musikalisch zu kontrastieren; der introvertierten Maria steht die von der Ratio geprägte Herrscherin Elisabeth gegenüber. Das konfliktreiche Dreiecksverhältnis der Frauen mit Leicester (in dessen Figur diejenigen des Mortimer und Leicester aus der Vorlage zusammenflossen) macht Donizetti in zwei Duetten musikdramatisch sinnfällig: Während das Duett Marias mit ihrem Liebhaber formal traditionell (mit abschlieBender Simultanstrophe) aufgebaut ist, bildet das Duett Elisabeths mit dem ihr abtrünnig gewordenen Geliebten eine konsequente Dialogisierung musikalischer Themen. Intensivierung des musikalischen Ausdrucks durch den Einsatz variabler Stilmittel in der Affektdarstellung kennzeichnen das hohe musikdramatische Niveau der gesamten Oper. — ÄuBere Ereignisse waren einem Aufführungserfolg häufig abträglich. Wegen eines Ohnmachtsanfalls der Königin von Neapel-Sizilien während der Ge223
Marié
neralprobe wurde die für Neapel (Teatro San Carlo) geplante UA untersagt; Pietro Salatino arbeitete das Libretto um (Aufführung als Buondelmonte am 18. 10. 1834). Die UA der Originalfassung wurde wegen stimmlicher Indisposition der Sopranistinnen ein Mißerfolg; der österreichische Zensor verbot das Werk nach 6 Vorstellungen. Der sehr erfolgreichen deutschen EA war am 8.3. 1963 eine (wegen Indisposition des Tenors) abgebrochene Aufführung voraufgegangen. J. SCHLÄDER MARIČ, Ljubica, * 5. (18.) 3. 1909 Kragujevac; serbische Komponistin. Sie studierte bei J. Slavenski in Belgrad und 1929-32 bei J. Suk am Konservatorium in Prag sowie 1936-37 bei A. Hába. Nach Belgrad zurückgekehrt, wurde sie 1945 Dozentin an der dortigen Musikakademie. Als Komponistin atonaler und athematischer, auch Vierteltöne einbeziehender Musik errang sie beim Festival der SIMC in Amsterdam 1933 einen bemerkenswerten Erfolg. WW: Klv.-Stücke; Streichquartett (1931); Bläserquintett (1932); Sonate für V. u. Klv. (1948). - Für Orch.: Passacaglia (1958); Musica octoicha Nr. 1 (1959); Vizantijski konzert (Byzantinisches Konzert) (1959) für Klv. u. Orch. - Kantate Pesme prostora (Die Lieder des Raumes) (1956) für Chor u. Orch.; Prag sna (Die Schwelle des Traumes) (1961) für Soli, Sprecher u. Instrumentalensemble. Lit.: J. MILOJKOVIC-DJURIČ, Das Byzantinische Konzert für Klv. u. Orch. v. L. M., in: Muzikološki zbornik 15 (1979).
MARIENTROMPETE, volksetymologische Bildung aus Tromba marina (řTrumscheit). MARIMBA, eine Art /Xylophon afrikanischer Herkunft (řBalafon), das durch Negersklaven auch in Mittelamerika verbreitet wurde und dort bis heute in der Volksmusik Verwendung findet. Die M. hat zwei Reihen klaviaturentsprechend angebrachter Holzstäbe mit den chromatischen Klangstäben in einer und den diatonischen in der zweiten Reihe, die mit Schlegeln angeschlagen werden. Als Resonatoren dienen gewöhnlich Kalebassen verschiedener Größe oder Röhren aus Bambus oder anderem Material, deren Länge proportional zu der der Platten bestimmt wird. Die M. fand auch Verwendung im reichen Perkussionsapparat der Neuen Musik sowie im Jazz und in modernen Tanzorchestern. — >'Marimbaphon. lit.: S.F. NADEL. M.-Musik (W 1931); F. ORTIz, La afroamericana M., in: Anales de la Società geografia e historia 27 (Guatemala 1953/54); D. VELA, La m. (Guatemala 1962).
MARIMBAPHON, Bz. für ein modernes Schlagidiophon, das die Konstruktionsmerkmale und die Klangstäbe-Anordnung der /Marimba aufweist. Diese technisch verbesserte Version mit einem fahrbaren Metallgestell umfaßt einen Tonumfang 224
von 4 Oktaven (c — c4), seltener 5 Oktaven (bis c5). Das M. ist heute mit allen dynamischen Abstufungen spielbar. Die Klangfarbe kann durch die Verwendung von verschieden weichen oder harten
Schlegeln beeinflußt werden. Der Unterschied zur außereuropäischen Marimba besteht vor allem in der Art der Resonatoren, die aus unten geschlossenen, sehr dünnwandigen, vertikal unter den einzelnen Klangstäben angebrachten Metallrohren bestehen. Sie sind durch kleine, die Rohrenden verschließende Platten stimmbar. Die Luftsäule der Resonatoren hat jeweils die gleiche Schwingung wie die Klangstäbe, deren Grundtöne sie verstärken. Gleichzeitig verhindern sie das starke Hervortreten unharmonischer Obertöne, vor allem bei den tiefen Tönen. Das M. findet Verwendung in der Unterhaltungs- und in der Kunstmusik. Ein Konzert für M. und Orchester schrieb T. Medek. M. BROCKER MARINERA, peruanischer Tanz, řCueca. MARINI, Biagio, * um 1597 Brescia, t 20. 3. (?) 1665 Venedig; it. Violinist und Komponist. Nach
Studien in seiner Heimatstadt war er vielleicht Schüler von Cl. Monteverdi in Venedig, wo er als Violinist an S. Marco tätig war und bis 1618 im Dienst der Signoria stand. 1620 kehrte er nach Brescia zurück, lebte 1621-22 in Parma und kam 1623 nach Deutschland, wo er 20 Jahre lang Kapellmeister bei Wolfgang Wilhelm, dem Pfalzgrafen von Neuburg und Herzog von Jülich und Berg, war, der ihn zum Kammerrat ernannte. 1645 kehrte er nach Italien zurück, wo er in Parma als Kapellmeister an S. Maria della Scala, 1649 in Mailand, 1652-53 in Ferrara als Kapellmeister der Cavalieri nell'Accademia della Morte, 1654 wieder in Venedig und 1655 als Domkapellmeister in Vicenza nachweisbar ist. 1656 ging er nach Venedig, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. WW: Affetti musicali (Sinfonie, Kanzonen, Sonaten u. Tanzsätze) für 1-3 Instr...., op. 1 (V 1617); Madrigali et symfonie für 1-5 St., op. 2 (V 1618); Arie, madrigali et corenti für 1-5 St., op. 3 (V 1620); Scherz e canzonette a 1 e 2v., op. 5 (Parma 1622); Le lagrime d'Erminia, in stile recitativo, op. 6 (V 1623); Concerti fur 4-6 St. u. Instr., op. 7 (V 1634); Sonate, symphonie, canzoni ..., op. 8 (V 1629); Madrigaletti für 1-4 St. u. B.c., op. 9 (V 1635); Compositioni varie per musica di camera für 2-5 St. u. B.c., teilweise mit 2 V., op. 13 (V 1641); Corona melodies für 2-6 St. mit Instr., op. 15 (An 1644) (unvollständig erhalten); Concerto terzo delle musiche da camera für 3-6 St. u. B.c. mit Instr., op. 16 (Mi 1649); Salmi... concertati für 1-3 St. u. B.c., teilweise mit V., op. 18 (V 1653); Vesperi... a 4 v., op.20 (V 1654); Lacrime di Davide sparse nel Miserere, op. 21 (1655); ... diversi ge'teri di sonate, da chiesa, e da camera, op. 22 (1655).
M.s Schaffen ist wegen seiner Verschmelzung italienischer und deutscher Einflüsse von Bedeutung. Als Violinvirtuose improvisierte er auch auf seinem Instrument und machte sich nach einem Konzert
Marmontel Notizen seines häufig auf bekannten Melodien basierenden Spiels, das er dann für eine Komposition auswertete. Dieser typisch italienische Improvisationsstil nahm auch in Deutschland entwickelte Techniken wie Doppelgriff und Scordatura auf. M. war einer der ersten, der die Violine solistisch einsetzte. Seine weltlichen und geistlichen Vokalwerke - vor allem die konzertierenden Stücke für Gesang und Instrumente - weisen ihn als einen hervorragenden Zeitgenossen Cl. Monteverdis aus. Ausg.: 2 V. -Sonaten aus op. 1 u. 8, in: A. SCHERING, Gesch. der Musik in Beispielen (L 1931, Neudruck 1954); Sonate d-moll für V., Streichball (oder Vc.) u. B.c., hrsg. v. W. DANCKERT (Kas 1955) (= Hortus Mus. 129); Scherzi e canzonette (1622), hrsg. v. V. GIBELI_I (Mi 1970) (= Antiquae musicae It. bibi., Monumenta Lombarda A4). Lit.: A. EINSTEIN, It. Musiker am Hofe der Neuburger Wittelsbacher, in: SIMG 9 (1907/08); D. J. ISELIN, B. M. Sein Leben u. seine Instrumentalwerke (Diss. Bas 1930) (darin 12 Stücke); F. FANO, B. M., violinista in Italia e all'estero, in: Chigiana 2 (1965); W. B. CLARK, The Vocal Music of B. M., 2 Bde. (New Haven/Conn. 1966) (= Diss. Yale Univ.); F. FANO, Nuovi documenti e appunti su B. M., in: FS L. Ronga (Mi - Neapel 1973); T. D. DUNN, The Sonatas of B. M. Structure and Style, in: MR 36 (1975); S. MONOSOFF, B. M., virtuoso of Brescia, in: Violinspiel u. Violinmusik in Gesch. u. Gegenwart (W 1975).
MARIOTTE, Antoine, * 22. 12. 1875 Avignon, t 22. 12. 1944 Paris; frz. Komponist. Er war 1891-97 Schüler der Marineschule, wechselte aber um 1896 zur Musik über und wurde Schüler von V. d'Indy an der Schola Cantorum in Paris. Nach einer Tätigkeit als Organist und Orchesterleiter an St-Étienne (1899-1902) übernahm er eine Klavierklasse am Konservatorium von Lyon. 1920-36 leitete er das Konservatorium von Orléans und war 1936-39 Administrateur der Opéra-Comique. Für sein Schaffen ist bemerkenswert, daß er zur selben Zeit wie R. Strauss eine Salomé auf den Text von O. Wilde schrieb. WW: Klv.-Stücke u. Lieder. - Opern: Salomé (Libr.: O. Wilde), UA: Lyon 1908; Le vieux roi, UA: ebd. 1911; Léontine sceurs, UA: Paris 1924; Gargantua, UA: ebd. 1935; Nele Dooryn, UA: ebd. 1940. Lit.: G. SAMAZEUILH, Musiciens de mon temps (P 1947); H. FÄHNRICH, Der Streit um das Autorenrecht der Vertonung v. O. Wildes „Salome", in: Mitteilungen der Int. R.-Strauss-Ges. (1969) Februar -H.
MARKEVITCH, Igor, * 14. (27.) 7. 1912 Kiew, t 7.3. 1983 Antibes; it. Dirigent und Komponist russ. Herkunft. Er studierte bei A. Cortot und seit 1926 bei N. Boulanger in Paris und wurde rasch als Dirigent zeitgenössischer Werke, vor allem I. Strawinskys, international bekannt. Seit 1944 dirigierte er beim Maggio Musicale Fiorentino, war 1952-55 beim Stockholms Filharmoniska Orkester und dann bis 1960 beim Orchestre symphonique de Montréal. 1949-56 leitete M. Dirigierkurse in Salzburg, 1957-61 das Orchestre Lamoureux Paris
und 1965-69 das Orchester des spanischen Rundfunks und Fernsehens in Madrid. Seit 1963 lehrte er am Moskauer Konservatorium Orchesterleitung. 1968-73 war er als künstlerischer Direktor Dirigent der Oper und des Symphonieorchesters in Monte Carlo; dort stand er bis 1972 auch dem Internationalen Dirigentenwettbewerb vor. Seit 1973 leitete M. Chor und Orchester der Accademia Nazionale di S. Cecilia in Rom. Als Gastdirigent wirkte er an vielen Opernhäusern der Welt. Er lebte zuletzt in St-Cézaire-sur-Siagne (Alpes-Maritimes). Als Komponist stark von Strawinsky beeinflußt, war er am erfolgreichsten mit dem Ballett L'envol d'Icare (1933, Choreographie S. Lifar) und mit dem Oratorium Paradis perdu (1935). Schriften: Introduction à la musique (Lau 1940); Made in Italy (Lo 1949); Point d'orgue (P 1959). Lit.: B. GAVOTY, I. M. (Monaco 1954); DERS. - R. HAUERT, I. M. (F 1956) (= Die großen Interpreten o. Nr.).
MARKOWSKI, Andrzej (Pseudonym Marek Andrzejewski), * 22.8. 1924 Lublin, t 30. 10. 1986 Warschau ; poln. Dirigent und Komponist. M. studierte 1939-41 Theorie und Komposition (A. Malawski) in Lublin und 1946-47 in London sowie 1947-55 Komposition (T. Szeligowski) und Dirigieren an der Musikhochschule in Warschau. Seit 1954 dirigierte er die Staatliche Schlesische Philharmonie in Kattowitz, war anschließend seit 1959 GMD der Staatlichen Philharmonie in Krakau und 1965-69 der Staatlichen Philharmonie in Breslau. Seit 1971 war er Dirigent und stellvertretender künstlerischer Leiter der Nationalphilharmonie in Warschau. M. gründete das Krakauer Kammerorchester und das Festival Wratislavia cantans und trat besonders als Dirigent zeitgenössischer polnischer Musik hervor. Gastkonzerte führten ihn auch durch Europa, in die USA und nach Australien. Er schrieb Kammermusik, Lieder und Chöre sowie zahlreiche Film- und Bühnenmusiken mit Musique concrète und elektronischer Musik. MARMONTEL. - 1) Antoine François, * 18. 7. 1816 Clermont-Ferrand, t 17. 1. 1898 Paris; frz. Pianist. Er studierte am Pariser Conservatoire Komposition bei L. Halévy und J.-Fr. Le Sueur und Klavier bei P. Zimmermann, als dessen Nachfolger er 1848-87 am Conservatoire wirkte. Als Pädagoge von hervorragendem Ruf zählte er G. Bizet, Cl. Debussy, V. d'Indy, J. Wieniawski und A. Lavignac zu seinen Schülern. WW: 1) Lehrwerke: École élémentaire de mécanisme et de style (P 1847); L'art de déchiffrer à 4 mains (P 1847); 24 études d'agilité et d'expression (P 1857); Enseignement progressif et rationnel du piano (P 1887). - 2) Schriften: L'art classique et moderne du piano (P 1876); Les pianistes célèbres (P 1878); Symphonistes et virtuoses (P 1880); Virtuoses contemporains (P 1882); Éléments
225
Marmontel d'esthétique musicale (P 1884); Histoire du piano et de ses origines... (P 1885).
2) Antonin Émile Louis Corbaz, Sohn von 1), * 24. 11. 1850 Paris, t 23.7. 1907 ebd.; er war 1878-89 2. Chorleiter an der Opéra und seit 1901 Klavierlehrer am Conservatoire in Paris und schrieb Kla-
vierstücke. MARMONTEL, Jean-François, * 11.7. 1723 Bort (Corrèze), t 31. 12. 1799 Abloville (Eure); frz. Schriftsteller und Librettist. M. war 1746 und 1747 Preisträger der Jeux Floraux de Toulouse und wurde dann von Fr. M. Voltaire nach Paris geholt. Von Madame de Pompadour protegiert, erhielt er die Stelle eines Sécretaire des Bâtiments du Roi, war 1758 Direktor des Mercure de France, seit 1763 Mitglied der Académie Française und seit 1783 als Nachfolger J. le Rond d'Alemberts deren ständiger Sekretär. Nach anfänglichem Erfolg als Tragödiendichter (Denys le Tyran, 1748; Aristomène, 1749) begann er mit der Abfassung von Opernlibretti und schrieb etwa 30 Texte, u. a. für J.-Ph. Rameau, N. A. Zingarelli, Fr.-A. Philidor, A. d'Auvergne, A.-E. -M. Grétry, L. Cherubini und insbesondere für N. Piccinni, für den er in seiner Streitschrift Essai sur les révolutions de la musique en France gegen die Gluckisten Partei ergriff. Seine ouvres complètes (P 1787, 21819-20) und fuvres posthumes (P 1820) enthalten reiches Quellenmaterial über das Musikleben seiner Zeit. WW (in Klammern UA): Für A.-E.-M. Grétry: Le Huron (1768); Lucile (1769); Silvain (1770); L'ami de la maison (1771); Zémir et Azor (1771); Céphale et Procris ou L'amour conjugal (1773).— Für N. Piccinni: Roland (1778); Atys (1780); Didon (1783); Pénélope (1785). — Für J.-Ph. Rameau: Ballett La Guirlande ou Les fleurs enchantées (1751); Acante et Céphise ou La sympathie (1751); Lisis et Délie (1753); Ballett Les Sibarites (1753). — Ferner für: F.-A. Philidor, Persée (1780); L. Cherubini, Démophoon (1788); N. Zingarelli, Antigone (1790). Ausg.: (Euvres complètes, 14 Bde. (P 1787, 2 1819-20); Mémoires, 4 Bde. (P 1804). Lit.: S. LENEL, Un homme de lettres au XVIII' siècle, M. (P 1902); E. PICK, M.s Bühnenwerke (Weida 1910); H. BAUER, J. F. M. als Literarkritiker (Dresden 1937); S. M. FINSETH, J.-F. M. as a Literary and Music Theorist and Critic (1967) (= Diss. New York Univ.); J. RUSHTON, The Theory and Practice of Piccinnisme, in: Proc. R. Mus. Assoc. 98 (1971/72); K. S. PENDLE, The Opéras-comiques of Grétry and M., in: MQ 62 (1976).
MARMORBRAUT, DIE, Oper von L. J. F. Hérold; řZampa.
MAROS. -1) Rudolf, * 19. 11. 1917 Stáchy (Böhmen), t 3.8. 1982 Budapest; ungarischer Komponist. Er studierte 1938-42 Bratsche und Komposition (Z. Kodály) in Budapest. 1942-49 war er Direktor des Konservatoriums in Pécs, dann Professor für Kammermusik, Instrumentation und Komposition an der Musikhochschule in Budapest. 226
Seine Teilnahme am Warschauer Musikherbst, an Ferienkursen in Darmstadt (bei K. Stockhausen) und Studien bei A. Hába in Prag regte ihn zu einer
unorthodoxen Einbeziehung avantgardistischer Techniken in seinen für magyarische Volksmusik offenen Kompositionsstil an (Strophen für Sopran, Harfe, Schlagzeug, 1977). - 2) Miklós, Sohn von 1), * 14. 11. 1943 Pécs; ung. Komponist. Er studierte Komposition bei R. Sugár und F. Szabó in Budapest sowie bei I. Lidholm und G. Ligeti in Stockholm, wo er seit 1967 lebt und Mitarbeiter des Studios für Elektronische Musik ist. Er schrieb vornehmlich Kammermusik, außerdem den Operneinakter Ich wünschte, ich wäre (1971). Lit.: P. VÁRNAI, M. R. (Budapest 1967); I. FÁBIÁN, R. M., in: The New Hungarian Quarterly 10 (1969).
MAROT, Clément, * 23. 11. 1496 Cahors, t Dezember 1544 Turin; frz. Dichter. M., Sohn des höfischen Dichters Jehan M., erhielt in seiner Jugend eine umfassende Ausbildung, in der er sich auch musikalische Kenntnisse aneignete. Er trat zunächst in den Dienst der Marguerite d'Alençon (um 1519) und wurde dann als Nachfolger seiner Vaters Kammerdiener von König Franz I. (1527). Infolge seiner Hinneigung zur Reformation kam er mehrfach in Haft, wurde aber dennoch durch die Gunst des Königs und dessen Schwester Hofpoet. Seit 1534 erneut verfolgt, floh er nach Italien und konnte erst Ende 1536 zurückkehren. M.s versifizierte Psalmenübertragungen, mit denen er bereits vor 1533 begonnen hatte, erregten neue Ärgernisse, da sie von den Reformierten als ihre Lieder aufgegriffen wurden. Calvins Aulcuns pseaumes et cantiques (Str 1539) enthält 13 Dichtungen von ihm, die in La forme des Prières et Chantz ecclésiastiques (G 1542) auf 30 und in einer Neuauflage von 1543 auf 49 vermehrt wurden. Sie bildeten den Grundstock des sog. Genfer Liedpsalters (auch /Hugenottenpsalter genannt), dessen Übersetzer in andere Sprachen, darunter A. Lobwasser ins Deutsche, die originalen Strophenformen beibehielten, so daß die Genfer Weisen übernommen werden konnten. M. hielt sich selbst vorübergehend in Genf auf, zog aber von dort nach Savoyen und schließlich nach Piemont, wo er überraschend starb. Neben M.s Bedeutung für das reformierte Kirchenlied ist sein Anteil an der Erneuerung des französischen Liedes allgemein wichtig, wobei er stets auch ein lebhaftes musikalisches Interesse bekundete. Er schuf etwa 40 als Chansons bezeichnete Liebesgedichte, die von ihm zur Vertonung bestimmt waren und von denen möglicherweise einige zuerst in Sammlungen von Attaingnant erschienen sind, ferner Epigramme, von denen etwa 60 im 16. Jh. ver-
Marriner tont wurden, 15 Rondeaux, 2 Balladen, 3 Sonette, 4 Elegien u. a. Marots Dichtungen zeichnen sich durch strenge Metrik und geschliffene Sprache aus und regten eine große Zahl bedeutender Komponisten zur Vertonung an, darunter (abgesehen von den Bearbeitern des Genfer Liedpsalters) Cl. de Sermisy, Cl. Janequin, Clemens non Papa, Th. Créquillon, P. de Manchicourt, D. Phinot, D. Lupi, O. di Lasso, P. Certon, P. Sandrin, J. Arcadelt, J. Maillard und G. Costeley. Ausg.: (Euvres complètes, hrsg. v. G. GUIFFREY - R. YvEPLASSIS - J. PLATTARD, 5 Bde. (P 1875-1931); Les Psaumes de C. M. Édition critique du plus ancien texte ..., hrsg. von S. J. LENSELINK (Bas 1969) (= Bd. 3 von Le Psautier Huguenot ...). Lit.: O. DOUEN, C. M. et le Psautier Huguenot, 2 Bde. (P 1878/79, Nachdr. A 1967); P. BEKKER, C. M., sein Leben und seine Dichtungen (Mn 1926); P. -A. GAILLARD, Loys Bourgeoys (Lau 1948); F. LESURE, Autour de C. M. et de ses musiciens, in: RMie 33 (1951); J. ROLLIN, Les chansons de C.M. (P 1951); C. A. MAYER, Bibliogr. des oeuvres de C. M., 2 Bde. (G 1954); V. L. SAULNIER, D. Phinot et D. Lupi, musiciens de M. et des marotiques, in: RMie 43 (1959); P. PIDOUx, Le Psautier Huguenot du XVI' siècle, 3 Bde. (Bas 1962); W. BLANKENBURG, Die Kirchenmusik in den reformierten Gebieten..., in: Gesch. der ev. Kirchenmusik, hrsg. v. F. BLUME (Kas 1965, engl. NY 1974); P. PIDOUx, L. Bourgeois' Anteil am HugenottenPsalter, in: JbLH 15 (1970). W. BLANKENBURG
MARÓTHY, György, * 1715 Debrecen, t 1744 ebd.; ungarischer Mathematiker und Theoretiker. Er studierte in Debrecen, dann ab 1731 in Basel, Zürich, Bern und Groningen und wurde 1738 Lehrer am Calvinistischen Kollegin Debrecen, wo er den Schulchor neu organisierte und die Gründung eines Collegium Musicum empfahl. 1740 veröffentlichte er den Genfer Psalter in der ungarischen Übersetzung von Albert Molnár von Szencz. Der beigefügte Anhang über das notengerechte Psalmensingen ist der erste Musiktraktat in ungarischer Sprache überhaupt. Ferner gab M. 1743 den ersten 4st. Psalter nach Texten von Cl. Goudimel in der Übersetzung von A. Molnár von Szencz mit einem Anhang über die Harmonisierung heraus. MARPURG, Friedrich Wilhelm, * 21. 11. 1718 Rittergut Seehof bei Seehausen (Mark Brandenburg), t 22. 5. 1795 Berlin; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Nach einem Universitätsstudium und ausgedehnten Reisen kam M. 1746 als Privatsekretär eines deutschen Generals nach Paris und lernte dort J.-Ph. Rameau, A. le Rond d'Alembert und Fr. M. Voltaire kennen. 1749 ließ er sich in Berlin nieder, bewarb sich 1757 vergeblich um eine Stellung bei Breitkopf in Leipzig und wurde 1763 schließlich Direktor der königlichen Lotterie in Berlin mit dem Titel eines Kriegsrats. In vielfältiger Weise nahm er am Berliner Musikleben teil. Dies bezeugen die von ihm herausgegebenen Periodika
(Critischer Musicus, Historisch-critische Beyträge, Kritische Briefe) ebenso wie seine Mitarbeit an den Sammlungen der sogenannten Ersten Berliner Liederschule. WW: 1) Schriften: Des critischen Musicus an der Spree erster Band (B 1749, Nachdr. Hil 1970); Historisch-critische Beyträge zur Aufnahme der Musik, 5 Bde. (B 1754-78, Nachdr. Hil 1970); Anleitung zum Clavierspielen, 2 Bde. (B 1755-61, Nachdr. Hil 1970); Abhandlung von der Fuge, 2 Bde. (B 1753-54, Nachdr. Hil 1970); Handbuch bey dem Generalbasse und der Composition, 3 Teile (B 1755-58, Nachdr. Hil 1971); Anfangsgründe der theoretischen Musik (L 1757); Systematische Einleitung in die Musicalische Setzkunst, nach den Lehrsätzen des Herrn Rameau (L 1757); Anleitung zur Singcomposition (B 1758); Kritische Einleitung in die Lehrsätze der alten und neuen Musik (B 1759, Nachdr. Mn 1980); Kritische Briefe über die Tonkunst, 3 Bde. (B 1760-64, Nachdr. Hil 1971); Die Kunst das Clavier zu spielen (B 1762, Nachdr. Hil 1969); Versuch über die musikalische Temperatur (Breslau 1776); Neue Methode allerley Arten von Temperaturen dem Claviere aufs bequemste mitzutheilen (B 1790, Nachdr. Hil 1970); Legende einiger Musikheiligen (Breslau 1786, Nachdr. L 1977). - 2) Kompositionen: Sonaten für Cemb. (Nü 1756); Pièces de clavecin (P o. J.); Fughe e capriccj (B 1777) für Cemb. od. Org. - 3) Editionen (enthalten auch eigene Kompositionen M.$): Raccolta delle più nuove compositioni di Clavicembalo, 2 Bde. (L 1756-57); Neue Lieder zum Singen beym Clavier (B 1756); Berlinische Oden und Lieder, 3 Bde. (L 1756-63); Geistliche, moralische u. weltliche Oden (B 1758); Geistliche Oden, in Melodien gesetzt (B 1758); Gellerts Oden und Lieder (L 1759); Clavierstücke mit einem practischen Unterricht für Anfänger und Geübte, 3 Bde. (B 1762-63).
M., einer der bedeutendsten Theoretiker des 18. Jh. und entscheidend vom Denken der Aufklärung geprägt, gehörte zu den ersten deutschen Anhängern J.-Ph. Rameaus, dessen Konzept einer klangphysiologischen Fundierung der Musik er übernahm. In ästhetischer Hinsicht ließ er sich von Ch. Batteux' Auffassung von der nachahmenden Funktion der Musik und der hierauf gründenden Forderung nach Klarheit und Verständlichkeit des musikalischen Ausdrucks leiten. In der Geschichte der Fuge ist seine Abhandlung die erste zusammenfassende Darstellung dieses Gegenstandes. M. trat auch für die Pflege der Werke J. S. Bachs ein; die 2. Auflage der Kunst der Fuge (B 1752) versah er mit einem
aufschluBreichen Vorbericht. Ausg.: 21 Choralvorspiele für Org., hrsg. v. R. M. THOMPSON (Minneapolis 1967); 8 Choralvorspiele für Org., hrsg. v. W. EMERY (Lo 1968); 5 Fugen für Org., hrsg. v. R. M. THOMPSON (Minneapolis 1969). - Für die Schriften s. o. Werke. Lit.: E. BIEDER, F. W. M.s System der Harmonie, des Kontrapunku u. der Temperatur (Diss. B 1923); J. MEKEEL, The Harmonic Theories of Kirnberger and M., in: JMTh 4 (1960); P. BENARY, Die dt. Kompositionslehre des 18. Jh. (L 1961) (= Jenaer Beitr. z. Musikforsch. 3); H. G. HOKE, M., in: MGG VIII; H. J. SERWER, F. W. M. 1718-1795. Music Critic in a Galant Age (New Haven/Conn. 1969) (= Diss. Yale Univ.); DERS., M. versus Kirnberger. Theories of Fugal Composition, in: JMTh 14 (1970).
MARRINER, Neville, * 15.4. 1924 Lincoln; engl. Violinist und Dirigent. Er studierte am Pariser 227
Marsch Conservatoire und war 1949-59 Lehrer für Violine am Royal College of Music in London. Daneben war er Violinist im Philharmonia Orchestra London, gründete 1946 das Martin-Streichquartett, 1950 das Virtuoso String Trio und 1952 das Jacobean-Ensemble (zusammen mit dem Cembalisten Th. Dart). Als Stimmführer der 2. Violinen im London Symphony Orchestra (1956-68) bildete er aus dieser Gruppe das inzwischen weltweit bekannte Kammerorchester Academy of St. Martin-in-theFields. 1969 wurde er musikalischer Leiter des Los Angeles Chamber Orchestra, 1978 Chefdirigent des Minnesota Orchestra in Minneapolis und 1981 außerdem ständiger Gastdirigent beim RadioSymphonieorchester Stuttgart. MARSCH (von altfränkisch markön = eine Fußspur hinterlassen; engl.: march; frz.: marche; it.: marcia), Bz. für ein instrumentales Musikstück in geradem 2/4-, 4/4-, 2/2- oder 6/8-Takt und mit stark betontem, zündendem Rhythmus. Die Herkunft des M. ist nicht eindeutig zu bestimmen. Vorläufer sind in den vom Aulos begleiteten Umzügen griechischer Soldaten, ferner im römischen Signalwesen sowie in der Aufzugsmusik zur Ankündigung mittelalterlicher Herrscher zu vermuten. Eine bestimmte musikalische Form wie auch instrumentale Mehrstimmigkeit erhielt der M. erstmals zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Er hatte hier die Funktion, die Landsknechte zu disziplinieren und ihre Aufmärsche eindrucksvoll zu begleiten (z. B. Marsch der Pappenheimer Reiter). Die Form dieser ersten Märsche ist 2teilig. Jeder Teil enthält 8-12 Takte. Als instrumentale Besetzung nennt H. Fr. von Fleming Schalmeien (2 Diskantinstrumente, 1 Alt- sowie 1 BaBinstrument [Dulzian]).
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W. Byrd, The Earle of Oxfords Marche
aus Fitzwi/liem Virginal Book
J.-B. Lully wird die Aufnahme des M. in die Oper (hier als Ballett-M. auch in ungerader Taktart) zugeschrieben. Damit erlebte der M. am Hofe Ludwigs XIV. eine Blütezeit. Durch A. Philidor ließ der König erstmals Märsche und Signale sammeln. Eine besondere Beliebtheit hatte der M. auch am preußischen Hof. Unter König Friedrich II. wurden Märsche häufig auch bei musikalischen Darbietungen gespielt; der König komponierte sogar selbst Märsche (1741 M. Es-Dur und Mollwitzer-Marsch). 228
Ludwig IX., Landgraf von Hessen-Darmstadt (1719-90), soll sehr viele Märsche komponiert und eine M.-Sammlung angelegt haben, die alle bis dahin bekannten Märsche enthielt. Mit der fortschreitenden allgemeinen Beliebtheit während des 18. Jh. verlor der M. seine bis dahin alleinige Funktion als disziplinierendes Musikstück. Mit einer neuen Ausdrucksart, die unterhaltend, lieblich, dennoch aber frisch und aufmunternd wirkte, wandte sich der M. an höfische Zuhörerkreise. In der 2. Hälfte des 18. Jh. erhielt der M. nach dem Vorbild des /Menuetts ein Trio, das tonal, melodisch und dynamisch einen Kontrast zum vorangehenden Hauptteil bildete. In dieser Zeit drangen auch charakteristische Elemente des M. in die Instrumentalmusik ein; im Umkreis der Wiener Klassik sind speziell Kopfsätze von Symphonien und Konzerten mit marschmäßigen Themen nicht selten, auch ohne die eigene Bezeichnung alla marcia. In der Oper des 18. Jh. entwickelte sich neben dem herkömmlichen Typus ein M. feierlichen Charakters, der sog. Priester-M. (Chr. W. Gluck, Alceste; W. A. Mozart, Zauberflöte u. a.). Damit verband sich erstmals auch ein neues (langsameres) M.-Tempo, das dem Gang der Priester in liturgischen Gewändern angemessen war. Langsames Tempo, dazu meist die Verwendung von Molltonarten, ist charakteristisch auch für den /Trauermarsch. Von den Märschen zu vielfältigen auBermilitärischen Gelegenheiten wurden besonders einige Hochzeitsmärsche berühmt, namentlich aus F. Mendelssohn Bartholdys Musik zum Sommernachtstraum und aus R. Wagners Lohengrin (Brautchor Treulich geführt). Als eigenen Typus gibt es ferner seit dem 19. Jh. den primär für Aufführungen im Konzertsaal oder bei Freiluftkonzerten bestimmten Marsch. Bezeichnende Werke stammen von R. Wagner (Huldigungsmarsch, GroBer Festmarsch). In dieser Tradition stehen auch die Märsche für groBes Orchester bzw. die Konzertmärsche für Blasorchester im 20. Jh. (z. B. R. Strauss, 2 Märsche op. 57; E. Elgar, Pomp and Circumstance; A. Honegger, Marche des Ambassadeurs; E. Krenek, 3 Märsche op. 44). Eine eigene Bedeutung im 19. Jh. hat der M. auch in der Klaviermusik, wie die Märsche (besonders für Klavier zu 4 Händen) von L. van Beethoven und Fr. Schubert bezeugen. Die Aufwertung des Soldatenberufes im 19. Jh. durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht brachte auch dem M. neuen Auftrieb. Die Entstehung der gedruckten preußischen Armeemarschsammlung auf Befehl König Friedrich Wilhelms III. (Kabinettsordre von 1817) ist dafür sichtbarer Ausdruck. In dieser Sammlung wurden zunächst
Marschner der langsame M. (mit dem ursprünglichen M.Tempo, sog. Präsentier-M.) von dem GeschwindM. (mit wesentlich schnellerem Tempo, sog. Parade-M.) und dem M. für berittene Truppen unterschieden, dann aber auch der typische Militär-M. von dem nur der Unterhaltung dienenden M.
getrennt. Aufgenommen wurden vorwiegend solche Kompositionen, die sich als Begleitmusik zum Marschieren gut eigneten, so z. B. auch der Radetzky-M. von J. Strauß (Vater). Gleichzeitig erhielt die instrumentale Besetzung der Militärkapellen durch die Einführung der Janitschareninstrumente Große Trommel, Becken und Triangel eine deutliche Akzentuierung des rhythmischen Elements. Im 20. Jh. hat der Militär-M. allenthalben nicht zuletzt durch die zunehmende Technisierung an praktischer Bedeutung verloren; Soldaten marschieren heute nur noch selten in geschlossener Formation und mit „klingendem Spiel". Ausg. u. Lit. (besonders zum Militär-M.): A. KALKBRENNER, Die Königlich-Preußischen Armeemärsche (L 1896); TH. GRAWERT, Ven. der Königlich Preußischen Armee-Märsche (B 1914); K. STROM, Beitr. z. Entwicklungsgesch. des M.es in der Kunstmusik bis Beethoven (Diss. Mn 1926); P. PANOFF, Militärmusik in Gesch. u. Gegenwart (B 1938); E. NICK, M., in: MGG VIII; R. BELING, Der M. bei Beethoven (Dias. Bonn 1960); F. DEISENROTH, Dt. Militärmusik in fünf Jhh.n (Wie 1961); Hist. Blätter. Slg. hist. Feld- u. Armeemusik, hrsg. v. DEMS., H.e 1-12 (Bonn - Wie 1961-67); G. KANDLER, Dt. Armee-Märsche (Bad Godesberg 1962); H. SCHWENK, Marschmusik (Mn 1965); Dt. Armeemärsche (Particells), 2 Bde., hrsg. v. F. DEISENROTH (B 1976, 1970); J. TOECHE-MITTLER, Armeemärsche I-III (Neckargemünd 1971-75). B. HOFELE
MARSCHNER, Heinrich August, ' 16. B. 1795 Zittau, t 14.12.1861 Hannover; dt. Komponist. M. war 1811-13 Kompositionsschüler von Carl Gottlieb Hering und studierte anschließend in Leipzig Jura und Musiktheorie bei J. G. Schicht. Nachdem er sich für den Musikerberuf entschieden hatte, unternahm er 1815 kleinere Konzertreisen. 1816 traf er in Wien mit L. van Beethoven zusammen. Im selben Jahr übersiedelte er nach Preßburg, wurde Musiklehrer beim Grafen Zichy und anschließend Kapellmeister des Fürsten Anton Grassalkowich. Während dieser Zeit entstanden M.s erste Bühnenwerke. Zur UA seiner Oper Heinrich IV. und D'Aubigné unter C. M. von Weber reiste er 1820 nach Dresden, wo er 1821 seinen Wohnsitz nahm und zu dem Dichterkreis um L. Tieck und Fr. Kind in Verbindung trat. Nach Aufträgen für Schauspielmusiken wurde er 1824 gegen Webers Willen Musikdirektor an der Oper; hier brachte er 1825 in Zusammenhang mit seinem Aufruf zur Schaffung einer deutschen Nationaloper seinen komischen Einakter Der Holzdieb heraus. Nach Webers Tod unternahm er 1826 Konzertreisen nach Berlin, Breslau, Danzig, Königsberg, Magdeburg, Aachen
und Düsseldorf; im selben Jahr heiratete er in dritter Ehe die Sängerin Marianne Wohlbrück (t 1854). 1827 wurde er Kapellmeister am Stadttheater in Leipzig. Seine romantischen Opern auf Texte seines Schwagers W. A. Wohlbrück Der Vampyr (1828) und Der Templer und die Jüdin (1829) machten ihn schlagartig berühmt und eroberten rasch die größeren deutschen Bühnen. 1831 ging M. als Hofkapellmeister nach Hannover, wo er 28 Jahre lang erfolgreich im Dienste einer bewußten Pflege der deutschen Oper, wie sie dem italienisch orientierten Geschmack des Hannoveraner Hofes keineswegs entsprach, wirkte. Nach der UA seiner Oper Hans Heiling in Berlin (1833) wurde er 1834 von der Universität Leipzig zum Dr. h.c. promoviert. Angebote aus Kopenhagen, wo er 1836 erfolgreich gastierte, lehnte M. dreimal ab. 1843 und 1847 wurde er als Dirigent-auf Musikfesten in Lüneburg bzw. Lübeck gefeiert. 1855 schloß er mit der Sängerin Therese Janda (auch Jander, t 1884) seine vierte Ehe. 1859 wurde er pensioniert. WW: 1) Mstr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Kammermusik, darunter 7 Klv.-Trios u. 3 Scherzi für Klv.-Trio; 2 Klv.-Quartette. - Für Orch.: Ouvertüre über ung. Nationalweisen (1818); Grande ouverture solennelle; 2 Symphonie-Fragmente u. ein Fragment eines Klv.-Konzerts. - 2) Vokal-WW: Etwa 400 Klv.-Lieder; 10 Klv.-Duette; eine Messe für gem. Chor (um 1821); über 100 Männerchöre. - 3) Biihaen-WW: Opern: Titus (1816) (Libr.: P. Metastasio); Der Kyffhäuserberg (Libr.: A. von Kotzebue), UA: Zittau 1822; Heinrich IV. u. D'Aubigné, UA: Dresden 1820; Saidor und Zulima, UA: Preßburg 1818; Lukretia, UA: Dresden 1827; Der Holzdieb, UA: ebd. 1825, Neufassung als: Geborgt (1853); Der Vampyr, UA: Leipzig 1828; Der Templer und die Jüdin, UA: Leipzig 1829; Des Falkners Braut, UA: ebd. 1832; Hans Heiling (nach E. Devrient), UA: Berlin 1833; Das SchloB am Atna, UA: Leipzig 1836; DerBäbu, UA: Hannover 1838; Kaiser Adolph von Nassau, UA: Dresden 1845; Austin, UA: Hannover 1852; Sängerkönig Hjarne, UA: Frankfurt 1863. - Ferner zahlr. Bühnenmusik, u. a. zu H. von Kleists Friedrich von Homburg, UA: Dresden 1821, sowie Ballette und Festspiele.
Während im Schaffen M.s Orchesterwerke kaum vertreten sind, nehmen kleinbesetzte Instrumentalmusik und verschiedene Vokalgattungen einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Seine dem Zeitstil folgenden Klavierlieder, Balladen und Männerchöre waren ebenso wie die Klavier- und Kammermusik zu seiner Zeit, z. T. auch noch bis an die Wende zum 20. Jh., weit verbreitet; gleichwohl sind sie von unterschiedlicher Qualität und, mit Ausnahme einiger Kammermusikwerke, von geringer Bedeutung. M.s musikhistorischer Rang gründet auf seinen Bühnenwerken, aus denen Der Vampyr, Der Templer und die Jüdin und Hans Heiling als zentrale Werke herausragen. Mit ihnen erweist sich M. als ein Vermittler zwischen C. M. von Weber und R. Wagner. Die bis Weber allgemein übliche Kontrasthandlung ersetzte er nach dem Vorbild des romantischen Charakterdramas durch die Darstel229
Marschner
lung einer psychisch zwiespältigen Zentralgestalt und ist insoweit als ein unmittelbarer Vorgänger Wagners (Fliegender Holländer, Lohengrin) zu sehen. Wenngleich M. stilistisch, auch in seinen seit 1827 durchkomponierten Opern, oft weitgehend im Bereich der „Kapellmeister-Oper" des Biedermeier verharrte, gelangen ihm im einzelnen durch Psychologisierung musikalischer Formen in Verbindung mit expressiver Harmonik und chromatisiertem Melos sowie durch Psychologisierung des Orchesters bedeutsame Neuerungen, mit denen er in neue Bereiche des Musiktheaters vorstieß. Sein Hans Heiling steht am Ende der im eigentlichen Sinne „romantischen" Oper. Lit.: G. FISCHER, M. -Erinnerungen (Hannover 1918); H. PFITZNER, M.s Vampyr, in: NMZ 45 (1924); H. BICKEL, H. M. in seinen Opern (Diss. Erl 1929); H. VOLKMANN, H. M., in: Sächsische Lebensbilder 2 (L 1938); G. HAUSSWALD, H. M. (Dresden 1938); V. KOHLER, H. M.s Bühnenwerke (Diss. Gö 1953); DERS., H. M., in: MGG VIII; K. GONZEL, H. M., in: Sächsische Heimatblätter 8 (1962); R. SEEBOHM, „Fahr hin der Erde Lust und Leid". Eine Parallele zw. M. u. Pfitzner, in: Mitteilungen der H. Pfitzner-Ges. (1967) Nr. 18; V. KOHLER, Rezitativ, Scene und Melodram in H. M.s Opern, in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); S. GOSLICH, Die dt. romantische Oper (Tutzing 1975). W.
PFANNKUCH
MARSCHNER, Wolfgang,* 23.5. 1926 Dresden; dt. Violinist. Er studierte an der Akademie für Musik und Theater in Dresden und am Salzburger Mozarteum und tritt seit 1946 als Solist, u. a. auch in den USA, auf. 1956-57 leitete er eine Meisterklasse für Violine an der Folkwang-Hochschule in Essen, war 1958-63 Professor an der Musikhochschule in Köln und wirkt seitdem in gleicher Stellung an der Musikhochschule Freiburg. M. gründete ein eigenes Kammerorchester und ist auch als Komponist hervorgetreten. WW: Für Orch.: Paganini-Variationen für V. u. Orch. (oder KIv.) (1955); Klar.-Konzert (1957); V.-Konzert (1963, Neufassung 1967); Liguria-Fantasia (1968); 3 préludes (1969) und Sonata da Requiem (1970) für V. solo. — Ferner Moderne Studien für Violine (Kö 1970).
MARSEILLAISE řNationalhymne.
MARSH, John, * 1752 Dorking, t 1828 Chichester; engl. Komponist und Musiktheoretiker. In der Musik Autodidakt, war M. in Salisbury Organist der Stadtkirche und seit 1780 Dirigent der städtischen Konzerte. 1787 ließ er sich in Chichester (Sussex) nieder, wo er als Leiter der von ihm wieder ins Leben gerufenen Subskriptionskonzerte eine wichtige Rolle im Musikleben der Stadt spielte. M. schrieb zahlreiche Orchesterwerke und Instrumentalkompositionen, ferner mehrere theoretische Schriften von historischem Wert, darunter ein Lehrbuch der Orchestrierung. Seine mehrbändi-
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gen, Manuskript gebliebenen Erinnerungen enthalten interessante Nachrichten über das englische Musikleben seiner Zeit. Ausg.: A Comparison Between the Ancient and Modern Style of Music, hrsg. v. CH. L. CUDWORTH, in: ML 36 (1955). Lit.: CH. L. CUDWORTH, An Essay by J. M., in: ML 36 (1955).
MARSICK. — 1) Martin-Pierre-Joseph, * 9.3. 1848 Jupille bei Lüttich, t 21. 10. 1924 Paris; belgischer Violinist. Er war zunächst Schüler seines Vaters und studierte dann Klavier, Orgel und Violine an den Konservatorien in Lüttich, Brüssel (1865-67 bei Hubert Léonard) und Paris (1868-69 bei J. Massart). 1870-71 vervollkommnete er sich noch bei J. Joachim in Berlin. 1877 gründete er in Paris (mit Rémy, van Waefelghem und Delsart) das schnell berühmt gewordene Marsick-Quartett. 1892-1900 leitete er eine Violinklasse am Pariser Conservatoire. C. Flesch, A. Rebner, G. Enesco und J. Thibaut gehörten zu seinen Schülern. Er schrieb Werke für und mit Violine und Studienwerke. — 2) Armand -Louis-Joseph, Neffe von 1), * 20.9.1877 Lüttich, t 30.4.1959 Haine SaintPaul (Hennegau); belgischer Komponist und Violinist. Nach seinen Studien am Konservatorium in Lüttich wurde er 1898 in Nancy 1. Violinist am Theater und im Orchester des Conservatoire. Daneben nahm er Kompositionsunterricht bei G. Ropartz. Später wurde er in Paris 1. Violinist der Concerts Colonne und Kompositionsschüler von V. d' Indy. 1908-21 wirkte er als Kompositionslehrer am Odeon in Athen, 1910-13 in Rom, 1922 als Leiter des Konservatoriums in Bilbao (Spanien) und 1927-42 am Konservatorium in Lüttich, wo er die Association des Concerts populaires liégeois (1927-39) gründete. Er schrieb Orgelwerke, Kammermusik, Orchesterwerke, einige Opern und Vokalmusik. MARSOLO (Marzolo, Marzoli), Pietro Maria, * 2. Hälfte 16. Jh. Messina; it. Komponist. M. erwarb vermutlich den Grad eines Dr. jur. an der Universität Messina. Seine musikalische Laufbahn begann er als Kapellmitglied am Dom in Rieti. 1606 unterrichtete er Musik am Nonnenkonvent S. Antonio in Ferrara, empfing dort 1608 die Priesterweihe, war anschließend bis 1610 Kapellmeister am Dom in Fano und 1612-16 am Dom in Ferrara und an der dortigen Accademia degli Intrepidi. 1612 hatte er sich vergeblich um die Nachfolge Cl. Monteverdis in Mantua bemüht. WW: Missa motecta, vesperarumque psalmi für 8 St. (V 1606); 2 Bücher Motetten für 5 St. u. B.c. (V 1608, 1614). 2 Bücher Madrigale für 4 St. (V 1607 u. 1614); 5 Bücher Madrigale für 5 St., davon erhalten 2-5, teilweise unvollständig (V 1604-09). Ausg.: 2. Madrigalbuch, hrsg. v. L. BIANc0NI (R 1972).
Martha Lit.: R. PAOLUCCI, La cappella musicale del duomo di Fano, in: Note d'archivio 3 (1926); 0. TIBY, I polifonisti siciliani del XVI e XVII secoli (Palermo 1969).
(1954) für SingSt u. 8 Instr.; Chemin (1961) für Chor a cap. Opern: Le Major Cravachon, UA: Paris 1959; La chanson de Roland, UA: ORTF 1967, szenisch Angers 1971.
MARTEAU, Henri, * 31. 3. 1874 Reims, t 3. 10. 1934 Lichtenberg (Franken); frz. Violinist und Komponist. Er war Schüler von H. Léonard in Brüssel und setzte nach dessen Tod (1890) seine
Lit.: C. CHAMFRAY, in: Le courrier musical de France (1968) Nr.21, dazu Nachtrag, in: ebd. (1972) Nr.40.
Ausbildung am Pariser Conservatoire fort. 1892 bis 1894 unternahm er ausgedehnte Konzertreisen in die USA und 1894-99 nach Skandinavien. M. war mit großem Erfolg tätig als Violinlehrer am Konservatorium in Genf (1900-07), an der Musikhochschule in Berlin als Nachfolger von J. Joachim (1907-18), an der Deutschen Akademie für Musik in Prag (1921-24, dort auch als Direktor), an den Konservatorien in Leipzig (1926-27) und in Dresden (seit 1928). M. konzertierte auch mit M. Reger, der ihm 1908 sein Violinkonzert widmete. Sein Haus in Lichtenberg ist heute „Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken". WW: Kammermusik, u. a.: 3 Streichquartette (1903, 1906, 1916); Streichquintett (1900); Chaconne für Va. u. Klv. (1904); Klar.-Quintett (1908); Orch.-Werke, darunter 2 V. -Konzerte (1911, 1919). - 8 Lieder mit Streichquartett (1900); Les voix de Jeanne d'Arc für Sopran, Chor u. Orch.; Chöre. - Oper Meister Schwalbe, UA: Plauen 1921. Lit.: B. MARTEAU, H. M. Siegeszug einer Geige (Tutzing 1971); Mitt. des Hauses M. in Lichtenberg, hrsg. v. G. WEISS, bisher 5 Bde. (1982 ff.) (in Bd. 3: Werk-Verz.).
MARTÉLEMENT, martellement (frz., = hammerartig; hämmernd). - 1) Beim Harfenspiel Anweisung für schnelles und wiederholtes scharfes Anreißen eines Tones. - 2) In der Klaviermusik des 17. und 18. Jh. eine Verzierung, gleichbedeutend mit /Mordent. MARTELLATO (it., = gehämmert; frz.: martelé), bei Streichinstrumenten Ausführungsanweisung für einen kräftig geworfenen Bogenstrich, auf dem Klavier für ein äußerst kräftiges /Staccato (Zeichen: A ober- oder unterhalb der Note). MARTELLI, Henri, * 25.2.1895 Bastia (Korsika), t 15.7. 1980 Paris; frz. Komponist. M. war Schüler von Ch.-M. Widor in Paris, 1932-40 Mitarbeiter der Revue musicale u. 1939-42 des französischen Rundfunks. 1945 wurde er Sekretär der Société Nationale de Musique und 1954 Präsident der französischen Sektion der SIMC. In seinen Kompositionen bevorzugte M. kontrapunktische Satztechniken mit gelegentlich polytonaler Harmonik. WW: Zahlr. Kammermusik, u. a. 2 Streichquartette (1933, 1944); Trio für Klv., Fl. u. Vc. (1951); Sonate (1959) u. Concertstück (1962) für Va. u. Klv.; für Orch.: Bas-reliefs assyriens (1931); Le radeau de la Méduse (1957); Scenes à danser (1963); Rhapsodie für Vc. u. Orch. (1967); 3 Symphonien (1953, 1956, 1957); Konzerte für: Orch. (1932); V. (1939); Klv. (1949); Ob. (1970); ferner ein Doppelkonzert für Klar., Fag. u. Orch. (1956). - Chrestomathie (1949) für Chor für 3 gleiche St. a cap.; Kantate Le temps
MARTENOT, Maurice, * 14. 10. 1898 Paris, t 8. 10. 1980 Clichy bei Paris; frz. Musikpädagoge. Er studierte bei A. Gédalge und gründete und leitete eine École d'Art Martenot. 1928 entwickelte er ein elektroakustisches Tasteninstrument, die /Ondes Martenot. Seit 1947 erteilte M. am Pariser Conservatoire auch Unterricht an diesem Instrument. Schriften: Méthode pour l'enseignement des ondes musicales (P 1931); Méthode Martenot (P 1952); Lutherie électronique (P 1954) (= Cahiers de la Compagnie M. Renaud - J. L. Barrault 3), Wiederabdruck, in: La musique et ses problèmes contemporains 1953-63 (P 1963) (= ebd. 41); Principes fondamentaux d'éducation musicale (P 1967, '1970). Lit.: A. PALM, Die „Méthode M." ein Beitr. z. frz. Musikpädagogik der Gegenwart, in: Musik im Unterricht (Ausg. B) 58 (1967).
MARTHA ODER DER MARKT ZU RICHMOND, Romantisch-Komische Oper in 4 Akten von Friedrich von Flotow (1812-83), Text von Wilhelm Friedrich (d. i. Friedrich Wilhelm Riese) nach dem Ballett Lady Henriette ou La servante de Greenwich (1844) von Saint-Georges und Marzillier. Ort u. Zeit der Handlung: Richmond, Anfang des 18. Jahrhunderts. UA: 25. 11. 1847 in Wien (Kärntnerthor-Theater); dt. EA: 16.2.1848 in Weimar. Wegen der Begeisterung, die in Wien für Alessandro Stradella entstanden war, erhielt Flotow einen neuen Opernauftrag; die Entscheidung fiel für die Umarbeitung eines Balletts, zu dem Flotow bereits den 1. Akt komponiert hatte. Das geschickte Arrangement der bewährten Komödienklischees im Verkleidungs- und Verwechslungsspiel mit flüssig geschriebenen Versen und witzigen Pointen trug ebenso zum dauernden Erfolg dieses Werkes bei wie die musikalische Faktur, die von typischen Stilelementen der französischen Opéra-comique und der deutschen Spieloper bestimmt wird: ausgedehnte Ensembles (zumeist in Liedform und mit Führungssopran), volkstümlich gestaltete Solonummern (darunter als bekannteste Lady Harriets Letzte Rose, auf einem irischen Volkslied beruhend) und der Konversationsstil anstelle des Sprechdialogs. Die Nummernstruktur ist aber trotz der durchkomponierten Form stets (auch in den Finali) beibehalten. Die ausgewogene Mischung aus romantisch-sentimentaler (etwa Lyonels Arie Ach! so fromm, ach! so traut) und burlesker Attitüde fand beim Publikum große Zustimmung; Martha hat einen Stammplatz im Repertoire deutscher Opernbühnen. J. SCHLÄDER 231
Martianus Capella MARTIANUS CAPELLA, Minneus Felix, * Madaura (Nordafrika) wahrscheinlich Ende 4. Jh.; lat. Schriftsteller. Er erhielt seine Bildung in Rom und Karthago und ist der Verfasser der Schrift De nuptiis Mercurii et Philologiae, die in den Büchern III-IX die vor Isidor von Sevilla und Cassiodor umfangreichste Darstellung der Septem artes liberales enthält. Buch IX, De musica, schließt sich an Aristides Quintilianus (De musica, Buch I) und Marcus Terentius Varro (Disciplinarum libri IX, Buch VII) an und behandelt die Stellung der Musik in der antiken Mythologie und in ihrem Verhältnis zu den übrigen Artes, die Wirkung der Musik auf den Menschen sowie die Definition, Klassifikation und Theorie der Musik. Das Werk des M. C. war von großer Bedeutung für das Bildungswesen des Mittelalters; das Buch über die Musik beeinflußte namentlich die Schriften des Remigius von Auxerre (Musica) und des Regino von Prüm (Epistola de harmonica institutione). Ausg.: De nuptiis Mercurii et Philologiae libri IX, hrsg. v. A. DICK (L 1925). Lit.: J. WILLIS, M. C. and His Early Commentators (Diss. Lo 1952); H. HUSCHEN, Capella, M., in: MGG VIII; W.H. STAHL, To a Better Understanding of M. C., in: Speculum 40 (1965); G. WILLE, Die Bedeutung der Musik im Leben der Römer (A 1967); W. H. STAHL, M. C. and the Seven Liberal Arts, in: Records of Civilization 84 (1971).
MARTIENSSEN, Carl Adolf, * 6. 12. 1881 Güstrow, t 1. 3. 1955 Berlin; dt. Pianist und Klavierpädagoge. Er studierte Klavier und Komposition bei K. Klindworth und Wilhelm Berger in Berlin und 1902-05 bei Alfred Reisenauer am Leipziger Konservatorium. Anschließend leitete er 2 Jahre eine Klavierausbildungsklasse am Konservatorium in Bromberg. 1908 ließ er sich in Berlin nieder, trat in Konzerten auf und begann mit dem Studium der Musikwissenschaft. 1914 wurde er Nachfolger Adolf Ruthardts am Leipziger Konservatorium, lehrte 1934-45 an der Musikhochschule in Berlin, 1946-50 in Rostock und anschließend bis 1952 in Ost-Berlin. M. veröffentlichte Schriften zur Methodik des Klavierunterrichts, gab die Klaviersonaten J. Haydns, W. A. Mozarts und L. van Beethofens in Urtext-Editionen heraus sowie die von ihm entdeckte Bachkantate Mein Herz schwimmt im Blut (BWV 199). Er war mit der Gesangpädagogin Franziska Martienssen(-Lohmann) verheiratet. Schriften: Die individuelle Klaviertechnik auf der Grundlage des schöpferischen Klangwillens (L 1932); Die Methodik des individuellen Klavierunterrichts (L 1937); Grundlage einer deutschen Klavierlehre (L 1942); Zur Methodik des Klavierunterrichts (L 1951); Schöpferischer Klavierunterricht (L 1954).
MARTIENSSEN-LOHMANN (geborene MeyerEstorf), Franziska, * 6.10.1887 Bromberg, t 2.2. 1971 Düsseldorf; dt. Gesangpädagogin. Nach ihrer 232
Ausbildung an den Konservatorien in Bromberg und Leipzig sowie bis 1914 bei Johannes Messchaert in Berlin ließ sie sich mit ihrem Mann, dem Pianisten C. A. Martienssen, in Leipzig nieder und gab dort Gesangunterricht. Seit 1927 lehrte sie an der Akademie für Tonkunst in München, 1930-34 an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin, 1945-49 an der Musikhochschule in Weimar und danach bis 1969 am Schumann-Konservatorium in Düsseldorf. Außerdem leitete sie 1949-69 regelmäßig internationale Meisterkurse in Luzern. Fr. M.-L. war in zweiter Ehe seit 1929 mit dem Konzertsänger und Gesangpädagogen Paul Lohmann (1894-1981) verheiratet. Außer durch ihre Unterrichtstätigkeit wurde sie durch ihre gesangspädagogischen Schriften bekannt. Schriften: Das bewußte Singen (L 1923, 3 1951); Stimme und Gestaltung (L 1927); Berufung und Bewährung des Opernsängers (Mz 1943), NA als: Der Opernsänger (Mz 1970); Der wissende Sänger (Z 1956, 2 1963). Lit.: H. J. MOSER, Eine Gesangsprofessorin comme il faut, in: Musik im Unterricht 48 (1957).
MARTIN, Edgardo, * 6. 10. 1915 Cienfuegos; kubanischer Komponist. Er studierte 1939-40 bei J. Ardévol in Havanna und war Mitglied des Grupo Renovación Musical (1940-48) und von Nuestro Tiempo (1950-59), die das kubanische Musikleben nachhaltig beeinflußten. 1945-68 lehrte er Musikgeschichte am Conservatorio Municipal in Havanna und 1969-73 Musikanalyse an der dortigen Escuela Nacional de Arte. WW: 1) Kompositionen: KIv.-, Gitarren- u. Harfenstücke; 2 Streichquartette (1967, 1968); Konzert für 9 Blasinstr. (1944). Für Orch.: 2 Symphonien (1947, 1948); Cuadros de Ismaelillo (1970); Soneras Nr. 1 u. 2 (1973); ferner Fugen für Streichorch. (1947) u. Concertante für Harfe u. kleines Orch. (1949). - Lieder u. Chöre; Kantaten: Los dos abuelos (1959) für Chor u. Orch.; Canto de héroes (1967) für Sopran, Bat u. Orch.; La carta del soldado (1970) für Sprecher, Tenor, Chor, Sprechchor u. Orch. Ballett El caballo de coral. UA: La Habana 1960. - 2) Schriften: La música hispano-americana del presente (La Habana 1945), Catálogo biográfico de compositores de Cuba (ebd. 1970); Panorama histórico de la música en Cuba (ebd. 1971). Lit.: Werkverz., in: Bol. interamericano de música (1962) Nr. 27.
MARTIN, François, * 1727, t Januar/Februar 1757 Paris; frz. Violoncellist und Komponist. Er war vielleicht Schüler des Violoncellisten Martin Berteau. In zeitgenössischen Berichten zwischen 1745-54 erscheint sein Name häufig. Er stand im Dienst des Herzogs von Gramont und war seit 1747 „symphoniste de l'Opéra". M. ist einer der prominentesten französischen Cellisten vor den Brüdern Duport. Seine 3sätzigen Symphonien bedeuten mit der 2thematischen Struktur und 3teiligen Anlage der Kopfsätze mit Exposition, Durchführung und Reprise den Anfang des vorklassischen Stils in Frankreich.
Martinet WW: Sonaten für Vc. (mit einem Duo für V. u. Vc.) (P 1746); Trios ou conversation für 2 V. oder Fl. u. Vc. (P 1746); Sonates en trio für 2 V. u. B. (P o. J.); Symphonies et ouvertures für 2 V., Va. u. B.c. (P 1751). - Cantatilles: Le soupçon amoureux (P 1747); Le Suisse amoureux (P 1747); Le bouquet de Thémire (P 1748); einige Motetten sind hsl. erhalten. Ausg.: Symphonie op. 4 Nr. 2, in: B. S. BROOK, La symphonie française dans la seconde moitié du XVIIIe siècle (P 1962).
MARTIN, Frank, *
15.9. 1890 Genf, t 21.11. 1974 Naarden (Holland); Schweizer Komponist. Er war der jüngste Sohn und das 10. Kind eines Pfarrers und entstammte einer Familie, die seit 1750 in Genf ansässig war. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums wandte er sich zunächst dem Studium der Naturwissenschaften und der Mathematik zu. Erst 1910 entschied er sich endgültig für die Musik und studierte Harmonielehre, Komposition und Instrumentation bei J. Lauber in Genf. Nach Militärdienst und verschiedenen Aufenthalten in Zürich, Rom und Paris ließ er sich 1926 wieder in Genf nieder. Inzwischen waren auch die ersten Kompositionen, Kammermusik und Lieder, entstanden und gedruckt. 1928 holte ihn É. Jaques-Dalcroze an sein Institut für „rhythmische Gymnastik" in Genf, wo M. bis 1939 als Lehrer für Improvisation und Theorie des Rhythmus wirkte. Gleichzeitig entfaltete er eine reiche pädagogische Tätigkeit auch an dem Technicum Moderne de Musique und am Conservatoire in Genf. Als Pianist und Cembalist betätigte er sich bis 1938 in der von ihm selbst und einigen Freunden 1926 gegründeten Société de Musique de Chambre. 1942-46 war er Präsident des Schweizerischen Tonkünstlervereins. 1946 siedelte er in die Niederlande über und lehrte 1950-57 als Professor für Komposition an der Musikhochschule Köln. Die Universitäten Genf und Lausanne verliehen ihm 1949 bzw. 1960 die Ehrendoktorwürde. WW: 1) Instr.-WW: Passacaille (1944) für Org.; 8 Préludes (1948) u.a. Stücke für KIv.; Sonata da chiesa (1938) für Viola d'amore oder Fl. u. Org.; Ballade (1949) für Vc. u. KIv.; Trio sur des mélodies populaires irlandaises (1925) für V., Vc. u. Klv.; Streichquartett (1967). - Für Orch.: Rythmes (1926). 3 mouvements symphoniques; Passacaille (1944) für Streichorch.; Ouverture en hommage à Mozart (1956); Ouverture en rondeau (1958); Études symphoniques Les 4 éléments (1964); Erasmi Monumentum (1968) mit Org.; Petite symphonie concertante (1945) für Harfe,
Cemb., KIv. u. 2 Streichorch.; Concerto (1949) für 7 Blasinstr.; Konzerte für: Klv. (1934, 1969); V. (1951); Cemb. u. kleines Orch. (1952); Vc. (1966); 4 Balladen, 1: für Saxophon (1938), 2: für KIv. (1939), 3: für Fl. (1939, 4: für Pos. (1940); Ballade (1972) für Cemb., Harfe u. Blasorch.; Polyptique (1973) für V. u. 2 Streichorch. - 2) Vokal-WW: Sechs Monologe aus Jedermann (1949); (Text: H. von Hofmannsthal) für Bar. (oder Alt) u. Klv. bzw. Orch.; Drey Minnelieder ( 1961) für Sopran u. KIv.; Quatre sonnets â Cassandre (1922) (Text: P. de Ronsard) für Mezzosopran, Fl., Va. u. Vc.; Die Weise von Liebe u. Tod des Cornets Christoph Rilke (1943) (Text: R. M. Rilke) für Alt u. Orch.; Maria -Triptychon (1968) für Sopran, V. u. Org.; Messe für Doppelchor (1922-26). - Oratorien: Le vin herbé (Der Zaubertrank) (1938-41) (nach Tristan v. J. Bédier) für 12 Solost. u. 8 Instr.; In
terra pax (1944); Golgotha (1945-48); Pilate (1964); Mystère de la Nativité (1957-59); Psaumes de Genève (1958) für Knabenchor, gem. Chor, Orch. u. Org.; Ode â la Musique (1961) für Bar.,
Chor, 6 Blechbläser u. Klv.; Requiem (1972) für Soli, Chor u. Orch.; Et la vie l'emporta (1974), Kammerkantate für Alt u. Bar., Chor u. kleines Orch. - 3) Böhnen-WW: Spectacle populaire La nique â Satan (1931); Der Sturm (1955) (nach Shakespeare), UA: Wien 1956; Comédie en musique Monsieur de Pourceaugnac (1962) (nach J.-B. Molière), UA: Genf 1963; ferner Bühnenmusik. - 4) Schriften: Zahlr. kleinere Aufsätze u. a. über Fragen der zeitgenössischen Musik u. das eigene Schaffen, darunter Réflexions générales â propos du vin herbé (1941); Responsabilité du compositeur (1948); Ausw. u. Bibliogr. in: F. Martin, Un compositeur médite sur son art, hrsg. v. M. Martin (Neuchâtel 1977).
Mit O. Schoeck, A. Honegger und W. Burkhard hat M. der zeitgenössischen Schweizer Musik international Gehör verschafft. Seine ersten Werke stehen unter dem Einfluß der französischen Musik und sind besonders C. Franck, G. Fauré und M. Ravel verpflichtet. In der folgenden Zeit zeigt M. eine starke Vorliebe für die bestimmende Kraft des Rhythmus (namentlich im Trio sur des mélodies populaires irlandaises, 1925, und in Rythmes, 1926), bevor er sich - seit 1930 - die Zwölftontechnik aoeignete. Er verbindet sie in vielfältiger Weise mit tonalen Gestaltungsmitteln, die für ihn nach eigenem Bekunden die Basis jeder wahren Musik bleiben. Diese Verbindung erreicht auf dem Weg über die 4 Balladen für verschiedene Instrumente im Vin herbé (1938-41) eine vollendete Geschlossenheit. Der so geprägten musikalischen Sprache, die von modaler Diatonik bis zu Polytonalität und Atonalität reicht, bleibt M. von nun an treu: gleichermaßen in den Instrumentalwerken, von denen die Petite symphonie concertante, wie in den Vokalwerken, von denen das Oratorium In terra pax besondere Erwähnung verdienen. Lit.: F. MARTIN - J.-C. PIGUET, Entretiens sur la musique (Neuchâtel 1967); Correspondance 1934-1968 (Schriftwechsel mit E. Ansermet), hrsg. v. J.-C. PIGUET - J. BURDET (ebd. 1976); Un compositeur médite sur son art (s. o. Werke). W. SCHUH, Schweizer Musik der Gegenwart (Z 1948); J. DE MENASCE, F. M. and His „Petite Symphonie Concertante", in: MQ 34 (1948); K. VON FISCHER, F. M. Überblick über Werk u. Stil, in: SMZ 91 (1951); E. ANSERMET, Der Weg F. M.s, in: ÚMZ 11 (1956); R. KLEIN, F. M. Sein Leben u. Werk (W 1960); W. TAPPOLET, F. M. u. die religiöse Musik, in: SMZ 100 (1960); A. KOELLIKER, F. M. (Lau 1963); B. BILLETER, F. M. (Frauenfeld 1970); DERS., Die Harmonik bei F. M. (Be 1971); B. MARTIN, F. M. ou la réalité du rêve (Neuchâtel 1973). M. HONEGGER
MARTINET, Jean-Louis, *
8. 11. 1912 Ste-Bazeille (Lot-et-Garonne); frz. Komponist. Er studierte in Paris u. a. bei Ch. Koechlin (Fuge) und als einer der ersten Schüler - bei O. Messiaen (Komposition), Ch. Münch und R. Désormières (Dirigieren) sowie R. Leibowitz (Zwölftontechnik) und erhielt am Conservatoire 1. Preise in Komposition (1943) und Dirigieren (1945). 1970-76 lehrte er am Konservatorium in Montreal.
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Martínez de Bizcarguí WW: 1) llnstr.-WW: Streichquartett Variations (1946). - Für Orch.: Orphée (1944-45, Neufassung 1965); Trilogie des Prométhées (1947, Neufassung 1965); 6 Mouvements symphoniques (1944-59); Symphonie „In memoriam" (1962-63); Divertissement pastoral (1966) für Klv. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Trois Textes du XVI5 siècle (1952) u. Chants de France (1955-56) für Chor a cap.; Kantaten: Elsa (1959) u. Les amours (1959-60) für Chor a cap. sowie Les douze (1951) für Sprecher, Chor u. Orch.; Sept poèmes (1951-52) für Vokalquartett und Orch.
MARTÍNEZ DE BIZCARGUÍ, Gonçalo, * 2. Hälfte des 15. Jh. Azcoitia (Guipúzcoa), t nach dem 25.3.1528 (Datum seines Testaments) Burgos oder Azpeitia (Guipúzcoa); span. Musiktheoretiker und Komponist. Als Domkapellmeister in Burgos veröffentlichte er Arte de canto llano y contrapunto y canto de órgano con proporciones y modos (Saragossa 1508 u. ö., erweitert 1538), in derer den großen Halbton als allein gültig beschreibt und sich gegen die Mutation wendet, was ihm scharfe Angriffe von Juan de Espinosa einbrachte. M. galt in seiner Zeit als originell und fortschrittlich. Ausg.: Arte de canto nano, Faks. der Ausg. Saragossa 1538 (Kas 1968).
MARTINI, Giovanni Battista (Giambattista), OFM, * 24.4. 1706 Bologna, t 3. B. 1784 ebd.; it. Musiktheoretiker und Komponist. Padre M., wie er
meist genannt wurde, war Schüler seines Vaters Antonio Maria M., eines Violinisten und Violoncellisten, studierte dann bei Angelo Predieri (Cembalo), G. A. Riccieri (Kontrapunkt), G. A. Perti (Komposition) und Fr. A. Pistocchi (Gesang). 1721 trat er in den Orden ein und wurde 1727 zum Kapellmeister an S. Petronio in Bologna ernannt, wo er trotz eines Angebots der Kapellmeisterstelle am Petersdom in Rom sein Leben lang blieb. Unter der Protektion von Papst Benedikt XIV. widmete er sich gänzlich der Komposition sowie Studien der Theorie und der Musikgeschichte. Als von seinen Zeitgenossen hochgeschätzter Musiker und Mitglied mehrerer Akademien galt er vor allem wegen seiner wissenschaftlichen Kenntnisse und seiner umfassenden Bildung als die größte musikalische Autorität seiner Zeit. Aus aller Welt strömten junge Musiker nach Bologna, um bei ihm zu lernen und sich von ihm beraten oder ihre Begabungen bestätigen zu lassen, unter ihnen N. Jommelli, St. Mattei, J. Chr. Bach, F. Bartoni, G. Sarti und W. A. Mozart. M. stand in Verbindung mit vielen Persönlichkeiten der musikalischen, literarischen und politischen Welt, so mit König Friedrich II. von Preußen, P. Metastasio, A.-E.-M. Grétry, V. Martin y Soler. Chr. W. Gluck, J.-Ph. Rameau. Sein umfangreicher Briefwechsel (hsl. in Bologna) ist eine wichtige geistesgeschichtliche Quelle. M. sammelte eine Musikbibliothek, die nach Ch. Burney 17 000 Bände umfaßt haben soll und als private 234
Sammlung nach Art und Umfang nur mit der Bibliothek von S. de Brossard verglichen werden kann. Ein kleiner, aber repräsentativer Teil davon befindet sich heute noch in Bologna (Museo Bibliografico Musicale im Conservatorio G. B. Martini, dem ehemaligen Liceo Musicale) und ist eine der bedeutendsten Musikbibliotheken der Welt. M.s Bibliothek diente ihm vor allem zur Vorbereitung seiner Storia della musica, von der allerdings nur die ersten 3 Bände über die Musik der Antike im Druck erschienen. Für die weiteren geplanten Bände existiert in Bologna unter dem Titel Zibaldone martiniano eine Sammlung hsl. Notizen von großem musikgeschichtlichem Wert. Mit seiner Storia della musica gab M. der Musikgeschichtsschreibung eine entscheidende Richtung, indem er die Musik zu anderen Künsten und Geisteswissenschaften in Beziehung setzte. Er hielt bei alldem an der mathematischen Begründung der Musik fest und erwies sich in dieser Beziehung als Gegner von A. Eximeno. — Als Komponist schrieb M. Werke der verschiedensten Gattungen. Ungeachtet seiner großen Vorliebe für den strengen Kontrapunkt, der in der Auffassung der Zeitgenossen seine eigentliche Domäne war, zeigte er sich aufgeschlossen für mannigfache moderne Strömungen. Doch läßt sich dieses Schaffen eher als gelehrt denn als originell bezeichnen. WW: 1) Kompodöoaee: Litaniae arque antiphonae für 4 St. mit Org. u. Instr., op. 1 (Bol 1734); 12 Sonate d'intavolatura per l'organo e ilcembalo (A 1742); 6 Sonate per l'organo e il cembalo (Bol 1747); 12 Duetti da camera (Bol 1763); 2 H.e Canoni für 2-4 St. (V o. J.). - Hsl. sind erhalten: Sonaten u. a. Stücke für Cemb. u. für Org.; Symphonien; Konzerte für versch. Soloinstr., u. a. 6 Cemb.Konzerte; Kantaten, Arien, Messen, Motetten, Hymnen u. Psalmen; Oratorien L'assunzione di Salomone al trono d'Israello (1734), S. Pietro (1738) u. Il sacrifizio d'Abramo. - Bühnen-WW: eine Azione teatrale (1726); Intermezzi: La Dirindina (1731); L'impresario delle Canarie (1744); Don Chisciotte (1746) u. Il maestro di musica. - 2) Schrittes: Storia della musica. 3 Bde. (Bol 1757, 1770, 1781); Regola agli organisti per accompagnare il canto fermo (Bol 1756); Dissertatio de uso progressionis geometricae in musica (1767); Compendio della teoria de' numeri per uso del musico (Bol 1769); Esemplare, o sia saggio fondamentale pratico di contrappunto sopra il canto fermo, 2 Bde. (Bol 1774, 1775); Serie cronologica dei Principi dell 'Accademia de' Filarmonici di Bologna, in: Diario bolognese (1776); Lettere di un academico filarmonico sull'Eximeno (Pesaro 1781); im Druck einige weitere kleine Schriften. Ausg.:1) llastr.-WW: Duetti da camera, hrsg. v. C. PEDRON (Bol o. J.); 6 Sonaten, hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT (L 1954) (= Mitteldt. Musikarch. 1); 20 Composizioni originali per organo, hrsg. v. I. FUSER (Padua 1956); Sonate d'intavolatura per l'organo eil cembalo, Faks.-Ausg. (NY 1967) (= MMMLF 1/19); Sonate da organo e cembalo, Faks.-Ausg. (Bol 1970) (= Antiquae musicae it. bibl. monuments organica A [Mss. ] 42). - 3 Cemb.Konzerte, hrsg. v. G. AGOSTI (Mi 1943) (= I classici mus. it. 11); V.-Konzert F-Dur, hrsg. v. DEMS. (Padua 1960); Cemb.-Konzert D-Dur, hrsg. v. P. BERNARDI - F. SCIANNAMEO (R 1968) (= Musiche vocali e strumentali sacre e profane... 35): Konzert C-Dur für Streichorch., hrsg. v. G. PICCIOLI (Mi 1956). 2) Vokal-WW: Magnificat für Soli, Chor u. Orch., hrsg. v. N. JEN-
Martina (Lo 1957); Concertato „De Profundis" für 5 St., Str., Trp. u. B.c., hrsg. v. DEMS. (Brescia — Kas 1963); 2 Salmi concertati für 3 bzw. 4. St., hrsg. v. DEMS. (ebd. 1964). — 3) Schriften: Carteggio fined. del P. G. M. coi più celebri musicisti del suo tempo I, hrsg. v. F. PARISINI (Bol 1888, Nachdr. 1969) (= Bibl. musica Bononiensis V/22); Exemplare... 1774-75, Faks.-Ausg. (Lo — Wie 1965); Storia della musica 1757-81, Faks. hrsg. v. O. WESSELY, 3 Bde. (Gr 1967) (= Die großen Darstellungen der Musikgesch. in Barock und Aufklärung 3). Lit.: L. BUsI, II padre G. B. M. 1 (Bol 1891, Nachdr. 1969) ( = Bibi. musica Bononiensis II1/2) (mit Werkverz.); W. REICH, Padre M. als Theoretiker (Diss. W 1934); F. VATIELLI, Le opere comiche di G. B. M., in: RMI 40 (1936); G. TEBALDINI, La scolastica di P. M., in: RMI 43/44 (1939/40); H. BROFSKY, Padre M.'s Sonate for Four Trumpets and Strings, in: Brass Quarterly 5 (1961/62); E. R. JACOBI, Rameau and Padre M., in: MQ 50 (1964); H. BROFSKY, The Symphonies of Padre M., in: MQ 51 (1965); DERS., Students of Padre M., in: FAM 13 (1966); B. WIECHENS, Die Kompositionstheorie u. das kirchenmusikal. Schaffen Padre M.s (Rb 1968) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 48); A. MELL, A. Lolli's Letters to P. M., in: MQ 56 (1970); V. DUCKLES, The Revival of Early Music in 18th Century Italy. Observations on the Correspondence Between G. Chiti and Padre G. M., in: RBMie 26 (1972) u. 27 (1973); M. HUGLO, La musicologie au XVIII siècle. G.M. et M. Gerbert, in: RMie 59 (1973); H. BROFSKY, Jommelli e P. M. Aneddoti e realtà di un rapporto, in: RIMus 8 (1973); A. MANN, Padre M. and Fux, in: FS E. H. Meyer (L 1973); A. SCHNOEBELEN, The Growth of Padre M.'s Library as Revealed in His Correspondence, in: ML 57 (1976); DIES., P. M.'s Collection of Letters in the Civico Museo Bibliografico Musicale in Bologna. An Annotated Index (NY 1979). C. SARTORI KINS
MARTINI, Johannes, * um 1430; it. (?) Komponist. Er ist vielleicht identisch mit Johannes Martinus von Armentières. Sein Name erscheint 1474 neben Josquin des Prés und L. Compère in den Archiven der Kapelle der Sforza in Mailand. 1475 bis 1492 war M. Mitglied der Hofkapelle von Ferrara, Lehrer der Isabella d'Este und stand auch mit P. Hofhaimer in Verbindung. Seine überlieferten
Werke weisen ihn eher als Zeitgenossen Ockeghems als von Josquin des Prés aus. WW: 12 Messen für 4 St.; 5 Motetten für 4 u. eine für 3 St.; 5 Magnificat; 23 frz. Chansons (20 für 3 u. 3 fur 4 St.); 7 it. Chansons (4 für 3 und 3 für 4 St.) sowie ein Kanon für 4 St. Ausg.: Drei geistliche Gesänge. hrsg. v. R. GERBER (1937) (= Chw 46). Lit.: B. DISERTORI, Il Ms. 1947-4 di Trento e la canzone „i'ay prim amours", in: RMI 48 (1946); T. KARP, The Secular Works of J. M., in: FS G. Reese (NY 1966); J. G. BRAWLEY, The Magnificats, Hymns, Motets and Secular Compositions of J. M. (1968) (= Diss. Yale Univ.).
MARTINON, Jean, * 11. 1. 1910 Lyon, t 1. 3. 1976 Paris; frz. Dirigent und Komponist. Er war Schüler von V. d'Indy, A. Roussel (Komposition) und Ch. Munch (Dirigieren) und erhielt 1928 am Pariser Conservatoire einen 1. Preis im Violinspiel. 1944-46 war er Dirigent der Société des Concerts du Conservatoire, dann des Symphonieorchesters von Bordeaux sowie 1951-57 der Association des Concerts Lamoureux, 1958 übernahm er das Israel Philharmonic Orchestra in Tel Aviv, dirigierte 1960
bis 1966 die Düsseldorfer Symphoniker, 1963-68 das Chicago Symphony Orchestra und seit 1968 das Orchestre National de l'ORTF. Seine Werke sind meist klassizistisch gehalten; sie können keiner bestimmten Richtung zugeschrieben werden. WW: 1) Instr.-WW: Kiv.-Stücke; 2 Streichquartette (1946, 1966): Domenon (1970) für Bläserquintett; Octuor (1974) u. Vigintuor (1974). — Für Orch.: 4 Symphonien, 1: G-Dur (1934 bis 1936), 2: Hymne à la vie (1942-44), 3: „Irische" (1948), 4: Altitudes (1965); 2 V.-Konzerte (1937-42,1958); Concerto lyrique (1944) für Streichquartett u. kleines Orch.; Vc.-Konzert (1963); FL-Konzert (1971); Konzert für Saxophonquartett u. Orch. (1974). — 2) Voltai-WW: Psalm 136 (Chant des captifs) (1940-42) für Sopran, Tenor, Sprecher, Chor u. Orch.; Ode au soleil (né de la mort) (1945) für Sprecher, gem. Chor u. Orch.; Oratorium Le lis de Saron (Le cantique des cantiques) (1952) für Soli, Chor u. Orch. — 3) Bïhnen-WW: Hécube (nach Euripides). UA: Straßburg 1956; Ballett Ambohimanga (ou La cité bleue) (1946) für 2 Männerst., Chor u. Orch. Lit.: P. VIDAL, in: Musica (Disques) (1966) Nr. 144:C. CHAMFRAY, in: Le courrier musicale de France (1969) Nr. 26, Nachtrag, in: ebd. (1972) Nr. 40.
MARTINŮ, Bohuslav, * B. 12. 1890 Polička, t 28. B. 1959 Liestal (Basel-Land); tschech. Komponist. Als Stipendiat seiner Heimatgemeinde studierte er seit 1906 Violine am Prager Konservatorium und trat 1909 in die Orgel- und die Kompositionsklasse ein. Wie sein zeitweiliges Vorbild Cl. Debussy fand M. jedoch, daß jedes Werk seine eigenen Gesetze hervorbringe; daher lehnte er jeden akademischen Musikunterricht — insbesondere in Kontrapunkt — ab und wurde 1910 wegen „unverbesserlicher Nachlässigkeit" vom Konservatorium verwiesen. 1912 erwarb M. das staatliche Diplom für Violinlehrer; er gehörte seit 1913 gelegentlich, 1920-23 ständig der Tschechischen Philharmonie an. In den Kompositionen dieser Zeit griff er die Volksmusik seiner Heimat auf. 1923-40 lebte M. vorwiegend in Paris, wo er unter Anleitung von A. Roussel in verschiedenen Musikstilen (Neoklassizismus, Jazz) experimentierte, bis er seit 1931 wieder verstärkt das nationale Element berücksichtigte. Nach einjähriger Flucht gelangte M. 1941 nach Amerika und wurde dort durch eine Aufführung seines Concerto grosso unter S. Koussewitzky weit bekannt, so daß er mehrere Lehraufträge (u. a. 1948-51 an der Princeton University/N.Y.) erhielt. Einen Ruf an das Prager Nationalkonservatorium nahm M. 1945 an, doch konnte er ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht folgen. Den Schwerpunkt seines kompositorischen Schaffens bildeten nun symphonische Werke; dabei wandte er sich von der „Geometrie" strenger Formen zur „Phantasie" (Rhapsody Concerto, 1952). Trotz Verleihung der amerikanischen Staatsbürgerschaft (1952) kehrte M. nach Europa zurück und verbrachte seine letzten Lebensjahre hauptsächlich in Frankreich und in der Schweiz bei 235
Martin y Soler P. Sacher, auf dessen Anregungen viele Kompositionen M.s zurückgehen. WW: 1) lustr.-WW: 7 Streichquartette (1918, 1925, 1929, 1937, 1938, 1946, 1947); 3 Sonaten für V. u. Klv. (1929, 1931, 1944); 3 Klv.-Trios (1930, 1950, 1951); 3 Madrigale für V. u. Va. (1947); Klv.-Sonate (1954); zahlr. Werke für 5-9 Instr., u. a. Fantasie für Theremin, Ob., Streichquartett u. Klv. (1944) u. Nonett (1959). - Für Orch.: Half-Time (1924); La Bagarra (1927); Memorial to Lidice (1943); Konzerte: 5 für Klv. (1925, 1934, revidiert 1944, 1948, 1956, 1958); 2 für Vc. (1930, 1945); 2 für V. (1933, 1943); Double Concerto (1938) für 2 Streichorch., Klv. u. Pauken; Rhapsody Concerto (1952) für Va. u. Orch. - 6 Symphonien (1942, 1943, 1944, 1945, 1946, 1953). - 2) Vokal-WW: Nipponari (1912), 7 Lieder für Frauenst. u. kleines Orch.; České madrigaly (1939) für gem. Chor; Polní máe (1939) für Bar., Männerchor u. Orch.; Zbojnické písně (1957) für Männerchor; Oratorium Das Gilgamesch-Epos (1955) für Soli, Sprecher, Chor u. Orch.; Kantate The Prophecy of Isaiah (1959) für Sopran, Alt, Bar., Männerchor, Va., Trp., Klv. u. Pauken. - 3) Biihnen-WW: Opern: Voják a tanečnice (Der Soldat u. die Tänzerin), UA: Brünn 1928; Juliette, UA: Prag 1938; Mirandolina, UA: ebd. 1959; Ariane, UA als: Ariadne, Gelsenkirchen 1961; The Greek Passion, UA: Zürich 1961. - Funkopern: Hlas lesa (Die Stimme des Waldes), UA: Prager Rundfunk 1935; Veselohra na mostě (Komödie auf der Brücke), UA: ebd. 1937, szenisch als: Comedy an the Bridge, UA: New York 1951. - Ballette: Istar, UA: Prag 1924; Špalícek, UA: ebd. 1928; The Strangler, UA: New London/Conn. 1948. M.s Werk läßt sich in seiner Gesamtheit keiner bestimmten Stilrichtung zuordnen; nachzuweisen sind Einflüsse der tschechischen Volksmusik (Melodiebildung), des englischen Madrigals der Renaissance (Polyphonie), des Concerto grosso (Form) und des französischen Impressionismus (Klangfarbe, Harmonik). Daraus resultiert das Ersetzen von thematischer Arbeit durch motivische Fortspinnungstechnik bei konsonant klingender Tonsprache. M.s erreichtes Ziel war, im „Kunstwerk dem Hörer etwas über das Wesen seiner eigenen Weltanschauung" mitzuteilen. Lit.: H. HALBREICH, B. M. (Z - Fr 1968) (mit ausführlichem Werkverz., Bibliogr. u. Discographie). - Tschechische Komponisten, hrsg. v. H. LINDLAR (Bonn 1954) (= Musik der Zeit 8); J. MIHULE, Symfonie B. M. (Pr 1959); M. MIHALOVICI, Abschied v. B. M., in: Melos 26 (1959); P. EVANS, M. the Symphonist, in: Tempo 55/56 (1960); M. ŠAFRANEK, B. M., Život a dílo (Pr 1961), dt. Obers.: B. M., Sein Leben u. Werk (Kas 1964); J. LUDVOVA, Sonátová forma v klavírnich koncertech B.M. (Die Sonatenform in B. M.s Klv.-Konzerten), in: Hudební věda 8 (1971); B. LARGE, M. (Lo 1975); CH. MARTINŮ, Mein Leben mit B. M. (dt. Pr 1978). K. LANGROCK
MARTIN Y SOLER, Atanasio Martin Ignacio Vicente Tadeo Francisco Pelegrin (in Italien Vincenzo
Martin oder Martini „lo Spagnuolo" bzw. „il Valenziano" genannt), * 2.5.1754 Valencia, t 30.1. (11. 2.) 1806 St. Petersburg; span. Komponist. Er war Chorknabe an der Kathedrale von Valencia, ging später nach Madrid und debütierte dort wahrscheinlich als Komponist musikalischer Bühnenwerke mit der Zarzuela La madrileňa. Seit 1776 ist er in Italien nachweisbar, wo er sich als Opernkom236
ponist besonders mit Opere serie sehr schnell einen Namen machte. 1785 zog er nach Wien, schrieb dort Opern auf Texte von L. Da Ponte, u. a. die äußerst erfolgreiche Opera buffa Una cosa rara. 1788 wurde M. von Kaiserin Katharina II. von RuBland als Hofkapellmeister nach St. Petersburg berufen, wo er seit 1790 neben D. Cimarosa als Komponist für die kaiserlichen Theater engagiert wurde und gleichzeitig als Musiklehrer am pädagogischen Institut für adlige Knaben von Smolna tätig war. 1794-96 lebte er in London und kehrte dann nach St. Petersburg zurück. Er lehrte wieder am Institut von Smolna. Zar Paul I. ernannte ihn zum Kaiserlich Russischen Hofrat; 1800-04 war M. außerdem Inspektor der italienischen Hoftheatertruppe. WW: Zahlreiche Opern (meist hsl. erhalten; aus einigen wurden in teilweise großem Umfang einzelne Stücke in verschiedenen vokalen u. instr. Arrangements gedruckt), u. a. Ifigenia in Aulide, UA: Neapel 1779; Ipermestra (Libr.: P. Metastasio), UA: ebd. 1780; La accorta cameriera, UA: Turin 1783; Le burle per amore (Libr.: L. Da Ponte), UA: Venedig 1784; II burbero di buon core (Libr.: dem.) u. Una cosa rara o sia Bellezza ed onestà (Libr.: ders.), UA: Wien 1786; L'arbore di Diana (Libr.: dem.), UA: ebd. 1787, Klv.-A. (Bonn o. J.); Gore-bogatyr Kosometowitsch (Der unglückliche Held Kosometowitsch) (Libr.: Katharina II. A. Chrapowizki), UA: St. Petersburg 1789; Fedul s detmi (Fedul mit seinen Kindern) (Libr.: Katharina II.), UA: ebd. 1791 (zus. mit W. Paschkewitsch); La scola de' maritati (Libr.: Da Ponte) (auch unter dem Titel La capricciosa corretta, dt. Die gebesserte Eigensinnige), UA: London 1795, Klv.-A. (Bonno.J.); L'isola del piacere (Libr.: dem.), UA: ebd. 1795; Derewenski prasduik (Das Dorffest), UA: St. Petersburg 1798. Im Druck erschienen die Kantate Il sogno (L o. J.), ferner Sammlungen it. u. dt. Arietten für SingSt u. Cemb. bzw. Gitarre sowie Kanons für 3 St. u. Cemb.
M. war einer der populärsten Buffo-Komponisten seiner Zeit, im künstlerischen Rang etwa vergleichbar mit D. Cimarosa und G. Paisiello, deren Werke indes gegenwärtig besser erforscht sind als die M.s. Viele seiner Opernmelodien — besonders aus Una cosa rara — waren in ganz Europa und in RuBland allgemein bekannt. Dies wird in besonderer Weise bis heute bezeugt durch das Zitat des Schlußsatzes aus Una cosa rara (O quanto un si bel giubilo) in der Tafelmusik (Finale 2. Akt) von W. A. Mozarts Don Giovanni. Lit.: R. A. MOOSER, Un musicien espagnol en Russie i1 la fin du XVIII sičcle, in: RMI 40 (1936); O. WESSELY, M. y S., in: MGG VIII; R. JESSON, M.'s „L'arbore di Diana", in: MT 113 (1972). MARTUCCI, Giuseppe, * 6.1.1856 Capua,
t 1.6. 1909 Neapel; it. Dirigent und Komponist. Er studierte am Konservatorium in Neapel, an dem er 1880 Lehrer für Klavier wurde. 1886-1902 leitete er das Liceo Musicale in Bologna, wo er 1888 die erste italienische Aufführung von R. Wagners Tristan und Isolde dirigierte; 1902 wurde er Direktor des Konservatoriums in Neapel. O. Respighi zählte zu seinen Schülern. M.s Kompositionen stehen bes. unter dem Einfluß der dt. Musik jener Zeit.
Marl WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke, u.a. eine Sonate (1875) u. Thema u. Variationen (1886); Sonate für Vc. u. Klv. (1880); 2 Trios für Klv., V. u. Vc. (1882, 1883); Quintett für Klv. u. Str. (1878). - Für Orch.: 2 Symphonien (1895, 1904); Klv.-Konzert (1885). - 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder, darunter Pagine sparse (um 1889); La canzone dei rieordi (1887) für SingSt u. Klv.; Oratorium Samuel (1881, revidiert 1905). Lit.: F. FANG, G.M. (Mi 1951) (mit Werkverz.); A. DELLA CORTE, M. e Depanis, in: Rass. Mus. 24 (1954); G. A. FANO, L'arte di G. M., in: I grandi anniversari del 1960, hrsg. v. A. Damerini - G. Roncaglia (Siena 1960) (= Accad. musicale Chigiana 18); F. PERRINO, in: Musicalia 2 (1972) Nr. 2.
MARTZY, Johanna, * 26. 10. 1924 Temesvár (Ungarn, heute Timiwara/Rumänien), t 13. B. 1979 Rüschlikon bei Zürich; ung. Violinistin. Sie studierte 1932-42 an der Musikhochschule in Budapest, war Preisträgerin beim Hubay-Wettbewerb und 1947 1. Preisträgerin in Genf. Seither trat sie mit vielen berühmten Dirigenten auf und bildete zusammen mit dem Pianisten István Hajdú seit 1966 ein Duo. J. M. fühlte sich vor allem der Musik des 19. Jh. verpflichtet. MARX, Adolf Bernhard, *15. (?) 5.1795 Halle / Saale, t 17.5.1866 Berlin; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Er war Jurist in Naumburg / Saale, studierte Musik bei D. G. Türk in Halle und bei C. Fr. Zelter in Berlin, wo er 1824 die Berliner Allgemeine musikalische Zeitung (AmZ) gründete, die er bis 1830 redigierte (u. a. mit Rezensionen Beethovenscher Werke und mit engagiertem Eintreten für die Aufführung von Werken Bachs und Händels). 1827 promovierte M. an der Universität Marburg und erhielt 1830 mit der Hilfe von F. Mendelssohn Bartholdy eine Professur für Musik an der Universität Berlin, wo er 1832 auch Universitätsmusikdirektor wurde. 1850 gründete er mit J. Stern und Th. Kullak das Stern'sche Konservatorium. Während die Kompositionen von M. bald in Vergessenheit gerieten, bedeutet seine Kompositionslehre eine wichtige Etappe in der Entwicklung der Musiktheorie und der musikalischen Formauffassung vor H. Riemann. WW: 1) Kospo fdomen: Klv.-Werke; Lieder u. Chöre; Oratorien Am Tage Johannes' des Täufers (1834) u. Mose (1841); Festkantate für die Berliner Universität (1860); Singspiel Jery und Bätely (1824). - Die Kunst des Gesanges (B 1826); Evangelisches Choral- und Orgelbuch (B 1832); Chorschule (L 1860). -2) Schriften: Über Malerei in der Tonkunst (B 1828); Die Lehre von der musikalischen Komposition, 4 Bde. (L 1837-47); Organisation des Musikwesens (B 1848); Die Musik des 19. Jh. u. ihre Pflege (L 1855); L. van Beethovens Leben u. Schaffen, 2 Bde. (B 1859); Anleitung zum Vortrag Beethovenscher Klavierwerke (B 1863); Gluck und die Oper, 2 Bde. (B 1863, Nachdr. Hil 1970). - Autobiographie Erinnerungen aus meinem Leben, 2 Bde. (B 1865). Lit.: J. TH. MOSEWIUS, Über das Oratorium Moses v. A. B. M. (L 1843); G.F. SELLE, Aus A. B. M.s literarischem NachlaB (B 1898); L. HIRSCHBERGER, Der Tondichter A. B. M., in: SIMG 10 (1908/09); K. G. FELLERER, A. B. M. u. G. W. Fink, in: FS A. Orel (W - Wie 1960); K. HAHN, Die Anfänge der Allgemei-
nen Musiklehre. G. Weber, A.B.M., in: Musikal. Zeitfragen 9 (1960); A. EDLER, Zur Musikanschauung v. A.B. M., in: Beitr. z. Gesch. der Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen (Rb 1969) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 1); H. KIRCHMEYER, Ein Kapitel A. B. M. Ober SendungsbewuBtsein u. Bildungsstand der Berliner Musikkritik zw. 1824 u. 1830, in: ebd.; K.-E. EICKE, Der Streit zw. A.B.M. u. G. W. Fink u. die Kompositionslehre (Rb 1966) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 42); P. RUMMENHOLLER, Musiktheoretisches Denken im 19..1h. (Rb 1967) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 12); B. P. V. MOYER, Concepts of Musical Form in the Nineteenth Century, With Special Reference to A. B. M. and Sonata (1969) (= Diss. Stanford Univ.); K.-E. EICKE, Das Problem des Historismus im Streit zw. M. u. Fink, in: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik (Rb 1969); P. NIELSEN. Den musikalske formanalyse. Fra A. B. M. „Kompositionslehre" til yore dages strukturanalyse (Kop 1971); K. KROPFINGER, Klassik-Rezeption in Berlin (1800-1830), in: Stud. z. Musikgesch. Berlins im frühen 19.Jh. (Rb 1980) (= Stud. zur Musikgesch. des 19.1h. 56); A. FORCHERT, A. B. M. u. seine Berliner Allgemeine musikal. Zeitung, in: ebd.
MARX, Hans Joachim, *16. 12. 1935 Leipzig; dt. Musikforscher. Er studierte an den Musikhochschulen in Leipzig und Freiburg im Breisgau sowie an den Universitäten in Freiburg und Basel, wo er 1966 mit einer Dissertation über Die Orgeltabulatur des Cl. Hör (c. 1535) promovierte. 1967-68 hatte er einen Lehrauftrag an der Universität Zürich, war 1969-73 Assistent am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Bonn, wo er sich 1972 mit der Arbeit Quellenkritische Studien zum Werk A. Corellis habilitierte. Seit 1973 ist M. Professor an der Universität Hamburg, seit 1980 ordentliches Mitglied der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaft. — M. ist mit der Musikforscherin Magda Marx-Weber (* 17. 11. 1941 Graz) verheiratet. Schriften: Der Tabulatur-Codex des Basler Humanisten Bonifacius Amerbach, in: FS L. Schrade (Kö 1963); Die Musik am Hofe Pietro Kardinal Ottobonis unter A. Corelli, in: Anal. Mus. 5 (1968); C. Rainaldi come Compositore, in: RIMus 4 (1969); Monodische Lamentationen des Seicento, in: AfMw 28 (1971); Zur Bedeutung des Begriffs „Symphonie" im Mittelalter, in: Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972 (Kop 1972); Gesch. der Hamburger Barockoper. Ein Forschungsbericht, in: HJbMw 3 (1978); Die Überlieferung der Werke A. Corellis (Kö 1980) (_ Corelli-GA, Suppl.); Neues zur Tabulatur-Hs. St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 530, in: AfMw 37 (1980). - Editionen: Die Tabulaturen aus dem Besitz des ... B. Amerbach (Bas 1967) (= SMD 6); Die Orgeltabulatur des Cl. Hör (Bas 1970) (= ebd. 7); A. Corelli, GA 5: Werke ohne Opuszahl (1976).
MARX, Joseph Rupert Rudolf, * 11.5. 1882 Graz, t 3.9. 1964 ebd.; östr. Komponist. Er promovierte an der Universität Graz 1909 in Musikwissenschaft. 1914-52 wirkte er als Professor für Theorie und Komposition an der Wiener Musikakademie, die er 1922-27 leitete. Gleichzeitig war er als Musikkritiker tätig. 1947-57 lehrte er als Honorarprofessor Musikwissenschaft an der Grazer Universität. M., neben Fr. Schmidt der bedeutendste Vertreter der österreichischen Musik konservativer Richtung im 237
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20. Jh., zeigt in seinen Werken am Impressionismus geschultes nachromantisches Klangempfinden von großer harmonischer Farbigkeit und bezog in den 30er Jahren in starkem Maße auch kontrapunktische Verfahren mit ein. Seine Lieder orientieren sich an H. Wolf, sein Orchesterschaffen und die Kammermusik meist an J. Brahms und Cl. Debussy. M. wurde zu Lebzeiten mit zahlreichen Ehrungen bedacht. Zu seinen Schülern zählen St. Askenase, J. N. David, J. Horenstein, O. Kabasta, O. Wessely und Fr. Wührer. WW: 1) Instr.-WW: Frühlingssonate (1913) für V. u. Klv.; 3 Streichquartette, 1: Quartetto in modo chromatico (1937, revidiert 1948), 2: in modo antico (1938), 3: in modo classico (1941). - Für Orch.: Eine Herbstsymphonie (1921); Idylle-Concertino über die pastorale Quart (1925); Eine Frühlingsmusik (1925); Feste im Herbst (1945); Romantisches Klv.-Konzert EDur (1920); Castelli romani (1930), 3 Stücke für Klv. u. Orch. 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder mit Streichquartett oder Orch., u. a.: Italienisches Liederbuch (1912) (Text: P. Heyse); Verklärtes Jahr (1932), 5 Gesänge mit Orch.; Morgengesang (1910) für Männerchor, Blechbläser u. Org. oder Orch. (1934); Herbstchor an Pan (1911) für Chor, Knabenchor, Orch. u. Org. - 3) Schriften: Uber die Funktionen von Harmonie und Melodie beim Erfassen von Tonkomplexen (Diss. Gr 1909); Betrachtungen eines romantischen Realisten, hrsg. v. O. Ortner (W 1947); Weltsprache Musik (W 1964) (= Buchreihe der Östr. UNESCO-Kommission 7). Lit.: J. BISTRON, J. M. (W 1923); A. LIESS, J. M. (Gr 1943); E. WERBA. J.M. (W 1964) (= Ostr. Komponisten des 20. Jh.s 1); DERS., It. Liederbücher v. H. Wolf u. J.M., in: OMZ 25 (1970); E. SCHENK, in: StMw 27 (1966); J. K. MEYERS, The Songs of J. M. (Kansas City 1972) (= Diss. Univ. of Missouri). B. A. KOHL
MARX, Karl, * 12. 11. 1897 München, t 8.5. 1985 Stuttgart; dt. Komponist. Seit 1919 Schüler von C. Orff, studierte er 1921-24 an der Akademie der Tonkunst in München, an der er 1929 Lehrer für Musiktheorie wurde. 1928-39 dirigierte er den Chor des Münchner Bach-Vereins, lehrte 1939-45 an der Hochschule für Musikerziehung Graz (1944 Professor) und war 1946-66 Professor für Komposition an der Stuttgarter Musikhochschule, an der er seit 1955 auch die Abteilung für Schulmusik leitete. M. war einer der wichtigsten Komponisten der Jugendmusikbewegung. In seinen Werken griff er unter Verzicht auf äußerliche Effekte häufig auf alte Vorbilder zurück. Auffallend ist die große Zahl seiner Vertonungen von Gedichten von Rainer Maria Rilke, Hermann Claudius, Fr. Hölderlin und Hans Carossa. Zu seinem 70. Geburtstag wurde ihm eine Festschrift (hrsg. v. E. Karkoschka, St 1967) gewidmet. WW: 1) lnstr.-WW: Klv.-Stücke; zahlr. Kammermusikwerke, darunter: Sonate für Vc. u. Klv. (1965) u. Divertimento für 16 Bläser (1940). - Für Orch.: Passacaglia (1933, Neufassung 1965); Fantasia sinfonica (1967, Neufassung 1969); Fantasia concertante (1972); Konzerte für: Klv. (1930, Neufassung 1959); Va. (1930); V. (1936); Fl. (1938); 2 V. (1929). - 2) Vokal-WW: Zahlr. Stücke nach Gedichten v. R. M. Rilke, darunter (für SingSt u. Klv.): Rilke -Kreis (1928); Rilke-Lieder (1949); Der Panther u. Das
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Karussell (1951); (für SingSt u. Instr.): Neuer Rilke -Kreis (1942); Gebete der Mädchen (1930) für Sopran u. Streichorch. Lieder (1936) u. Neue Lieder (1937) (beide nach H. Claudius): 3 Gesänge (1948) (nach St. George) für Bariton u. Kammerorch. - Chor-Werke a cap., u. a. Motetten: Werkleute sind wir (1927) (nach R. M. Rilke); Mensch, was du liebst (1930) (nach A. Silesius); Chorliederbuch (1939); 3 Motetten (1951-59); mehrere Kantaten, darunter: Rilke-Kantate (1950) für Sopran, Bar., Chor u. Orch.; Und endet doch alles mit Frieden (1953) (nach F. Hölderlin) für Soli, Chor und Orch.; Raube das Licht (1957) (nach H. Carossa) für Bar., Chor u. Orch.; Auftrag u. Besinnung (1961) für Soli, Chor u. Orch.; Fragment aus Mnemosyne (1973) für Sopran u. Streichorch. u. Versöhnender (1973) für Chor u. Streichorch. sowie Die Entschlafenen (1974) (alle nach F. Hölderlin) für Sopran u. Str. - 3) Schriften: Analyse der Klavier-Sonate B-Dur v. W. A. Mozart (St 1963); Zur Einheit der zyklischen Form bei Mozart (St 1971); Einige Anmerkungen zu Schuberts Forellenquintett, in: NZfM 133 (1971). Lit.: F. OBERBORBECK, K. M., in: Hausmusik 21 (19.57); K. SYDOW, K. M., in: Musik im Unterricht 48 (1957); H. A. METZGER, Das geistliche Vokalwerk v. K. M., in: Württembergische Blätter für Kirchenmusik 25 (1958); K. M. Werkverz., in: ZfMTh 3 (1972) H. 2: E. KARKOSCHKA, Über späte Instrumentalwerke v. K. M., in: Musica 26 (1972). W. PFANNKUCH
MÄRZENDORFER, Ernst, * 26. 5. 1921 Oberndorf (Salzburg); östr. Dirigent. Er studierte Dirigieren bei Robert Wagner in Graz, war dort seit 1940 Opernkapellmeister und übernahm 1951 am Mozarteum in Salzburg eine Dirigentenklasse, 1953 auch die Leitung des Mozarteum-Orchesters. 1954-78 war M. an der künstlerischen Leitung der Salzburger Festspiele beteiligt. 1958-61 war er Dirigent an der Städtischen Oper Berlin und wirkt seither an der Wiener Staatsoper sowie seit 1971 auch an der Volksoper. M., der auch als Komponist von Instrumentalwerken hervorgetreten ist, besorgte (1969) eine spielbare Fassung des Finales von A. Bruckners 9. Symphonie, das nur fragmentarisch erhalten ist. MASANIELLO FURIOSO oder Die Neapolitanische Fischerempörung, musikalisches Schauspiel in 3 Akten von Reinhard Keiser (1674-1739). Text von Barthold Feind. Ort und Zeit der Handlung: Neapel, im Juli 1647. UA: Juni 1706 in Hamburg (Oper am Gänsemarkt). Der Stoff der Oper, der Fischeraufstand von 1647, diente später D. Fr. E. Auber als Vorlage für Die Stumme von Portici. Titelheld ist der Anführer des Aufstands, der Fischer Tommaso Aniello - kontaminiert zu Masaniello -, dem es gelingt, dem ausbeuterischen spanischen Adel einen Vertrag über die Abschaffung aller Zölle abzutrotzen und Demokratisierungsmaßnahmen einzuleiten; durch Verrat des Herzogs zum Wahnsinn getrieben, wird er schließlich von Adligen ermordet. Die scheinbare Disproportionalität zwischen Haupt- und Nebenhandlung - die Liebesaffären der Adligen wurde vielfach als dramaturgische Schwäche ge-
deutet. Dem steht die bewußt eingesetzte dramatische Kraft der Musik Keisers entgegen. Gerade die Arien, deren formale Ausgestaltung vom einfachen Strophenlied bis zur Koloraturarie reicht, sind nicht mehr als Ruhepunkte der Handlung eingesetzt, sondern werden zum dramatischen Moyens, indem die Handlung auf einer höheren Stufe weiterentwickelt wird. Keisers Fähigkeit, Melodien zur Vertiefung und Stilisierung von Affekten auszunutzen, sowie die verfeinerte Instrumentierungskunst mögen neben dem Interesse für den Stoff G. Ph. Telemann bewogen haben, die Oper am 18.6. 1727 erneut zur Aufführung zu bringen. Eine Wiederaufführung am 11. 10. 1967 in Berlin wurde 1973 (Basel) und 1974 (Sheffield) nochmals aufgenommen, konnte das Werk jedoch nicht in den Spielplänen etablieren. TH. MENGER MASCAGNI, Pietro, * 7. 12. 1863 Livorno, t 2.8. 1945 Rom; it. Komponist. Nach musikalischer Grundausbildung in seiner Heimatstadt studierte er am Mailänder Konservatorium gleichzeitig mit G. Puccini bei A. Ponchielli und Michele Saladino. Er brach das Studium vorzeitig ab, schloß sich einer reisenden Operntruppe an und ließ sich als Leiter des Städtischen Orchesters in Cerignola (Apulien) nieder. 1890 wurde er mit seinem Einakter Cavalleria rusticana weltberühmt. Trotz großer Vitalität und unermüdlicher Arbeit gelang ihm kein zweiter gleich großer Wurf. 1895-1902 war er Direktor des Liceo Musicale in Pesaro, dann der Scuola Nazionale di Musica in Rom. In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten völlig vereinsamt, starb er im Hotel Plaza in Rom, der Hochburg seines Erfolges. WW: Symphonie c-moll (1879); Lieder u. Kantaten. — Opern: Cavalleria rusticana, UA: Rom 1890; L'amico Fritz, UA: ebd. 1890; IRantzau, UA: Florenz 1892; Guglie/moRatcliff, UA: Mailand 1895; Iris, UA: Rom 1898; Lemaschere, UA: Mailand 1901; Il piccolo Marat, UA: Rom 1921; Nerone, UA: Mailand 1935. — Ferner die Operette Pinotta, UA: San Remo 1932; Filmmusik Rapsodia satanica (1917).
M.s Bedeutung für die Entwicklung der Oper des Fin de siècle wird gemeinhin unterschätzt: Zwar behauptete sich auf Dauer nur die Cavalleria rusticana im internationalen Repertoire; jedoch erbrachte er in seinen übrigen Bühnenwerken den Beweis, daß er sehr wohl verschiedene Empfindungskategorien und Stoffcharaktere musikalisch beherrschte. Die feinnervige Melodik in L'amico Fritz, die Dichte und Ausdrucksintensität der Harmonik in Iris, seinem zweitgrößten Erfolg, belegen dies. Der stilistische Einfluß seiner Bühnenwerke auf Puccinis und R. Leoncavallos Musik war beträchtlich. In Italien rangiert M. hinsichtlich der Zahl der Opernaufführungen im 20. Jh. an zweiter Stelle hinter Puccini. Der alternde G. Verdi schätzte
Mascagni als begabtesten unter den jüngeren Komponisten ein. Lit.: A. DE DONNO, Modernità di M. (R 1931); A. JERI, M. (R 1945); F. BONAVIA, P.M., in: The Music Masters 3 (Lo 1952); J. W. KLEIN, M. and His Operas, in: Opera 10 (1955); DERS., P. M. and G. Perga, im ML 44 (1963); M. MORINI, Illica e M. nell'esperienza dell'Iris, in: Musica d'oggi 6 (1963); K. GErrEL, Der unbekannte M., in: Theater u. Zeit 11 (1963/64); G. GAVAZZENI, Discorso per M. nel centenario della nascita (R 1964); D. CELLAMARE, P.M. (R 1965); The Autobiography of P. M., hrsg. u. Tibers. v. D. STIVENDER (NY 1975); K.-D. LINK, Literarische Perspektiven des Opernlibrettos. Stud. z. it. Oper v. 1850-1920 (Bonn 1975). W. A. MAKUS
MASCARADE, auf den alten Mummenschanz zurückgehendes Divertissement, das von maskierten Personen getanzt wurde und unter König Heinrich II. in Frankreich große Verbreitung fand. Nach M. Praetorius (Syntagma musicum III, 1619, S. 19) werden „allerley Täntze in genere, als Bransle, Courranten, Volten, Gagliarden, &," besonders „Täntze zu Mummereyen und Vffzügen gemacht/ welche zur Mascarada Bespielet wurden", und handelt es sich um 3 Teile, die Intrada (Auftritt der Personen), die Figuren (Hauptteil) und Retrajecte (Abgang der Personen). Die M. à grand spectacle begleitete die am Tage oder in der Nacht veranstalteten Freiluftveranstaltungen (Einzüge des Herrschers, Turniere, Ritterspiele). Verkleidete Gruppen, gefolgt von Sängern und Instrumentalisten, zogen auf Wagen durch die Straßen und stellten allegorische oder mythologische Szenen in Gestalt lebender Bilder dar. Ein anderer Typus der M., der später das Ballet de cour beeinflußte, spielte sich in einem geschlossenen Gelände, einem Palast oder Garten, ab. Er bestand hauptsächlich aus Récits, manchmal in Verbindung mit Tänzen und Ballets. Italienischer Einfluß wurde dort wirksam, wo sich Dichter wie P. de Ronsard, Mellin de Saint-Gelais, Étienne Jodelle und später Philippe Desportes und François de Malherbe für diese Gattung interessierten. Die Récits gewannen immer größere Bedeutung, wurden aber nicht immer gesprochen. Statt dessen verteilte man an die Zuschauer die Dichtungen, die die aufwendig ausgestatteten und inszenierten Pantomimen oder stummen Tänze kommentierten. Später, am Ende der Regierungszeit Heinrichs IV. und unter Ludwig XIII., verband sich die M. mit der Ballet-mascarade, später mit dem Ballet à entrées, ohne allerdings seinen burlesken Charakter aufzugeben. Sie hielt sich auch noch unter Ludwig XIV. bis um 1675, wurde jedoch nur noch während der Karnevalszeit aufgeführt. Lit.: H. PRUNIÉRES, Le ballet de cour en France avant Benserade et Lully (P 1914); J. JACQUOT. Les fetes de la Renaissance, 3 Bde. (P 1960, 21975); M. MCGowAN, L'art du ballet de cour en France 1581-1643 (P 1963).
MASCHERA, Florentlo, * um 1540 Brescia, t um 239
Mascherata 1584 ebd.; it. Organist und Komponist. Er war Schüler von Cl. Merulo und Organist an S. Spirito in Venedig und wurde 1557 als Nachfolger von Merulo Domorganist in Brescia. M. ist einer der ersten Komponisten eigenständiger Instrumental?Kanzonen. WW: Canzoni da sonare für 4 St. (Brescia 1584 u. ö.); Kanzonen auch in Tabulaturdrucken für Laute (RISM 157414, 1593 1599 ") und Org. (1606 =", 1617.). Ausg.: Canton seconda La martinenga u. Canton quarta für 4 Blockfl., hrsg. v. M. u. F. GRUBLE (Lo 1958); 2 Kanzonen, in: Venezianische Canzonen, hrsg. v. H. MONKEMEYER (Mz 1958) (= Antiqua o. Nr.). Lit.: W. E. McKEE, The Music of F. M. (Denton 1959) (= Diss. North Texas State Univ.).
MASCHERATA (it., = Mummenschanz), mehrstimmige, hauptsächlich in Florenz verbreitete Kompositionsgattung, die auf die 7Canti carnascialeschi zurückgeht. Wichtiger Bestandteil bei Maskenbällen, Umzügen und öffentlichen Festen, war die Form frei und häufig nicht von der Villanella oder der Villotta zu unterscheiden. Ein Wesenszug ist ihr satirischer Charakter (Verspottung des Madrigals), Merkmale ihrer Faktur sind homophoner Satz mit führender Oberstimme und Verwendung von Quintenparallelen. Mascherate veröffentlichten u. a. Giovan Domenico da Nola (1541), Fr. Corteccia (1547), F. Azzaiolo (1557, 1559, 1569), O. Vecchi (1590) und A. Gabrieli (1611). MASCITTI, Michele (in Frankreich Sieur Michel, Michelly oder Miguel genannt), * 1663 oder 1664 Santa Maria (Königreich Neapel), begraben 19.4. 1760 Paris; it. Violinist und Komponist. Er ist seit 1704 in Paris nachweisbar, wo er im Dienst des Herzogs von Orléans stand. 1739 erhielt er seine „lettre de naturalité". M., einer der ersten Komponisten französischer Violinsonaten, stand noch italienischen Vorbildern nahe. Er war zu seiner Zeit hochgeschätzt und wurde gelegentlich A. Corelli gleichgestellt. WW: 12 Sonate a violino solo col violine o cimbalo e sonate a due violini, violoncello e b.c. (P 1704); 2 Bücher Sonate da camera für V. solo u. B.c. (P 1706, 1707); Sonate a violino solo e basso e Sonate a due violini e basso (P 1711); 4 Bücher Sonate a violino solo e basso (P 1714, 1722, 1731, 1738): Sonate a violino solo e basso e quattro concerti a sei (P 1727). Ausg.: 6 Sonate da camera für V. u. B.c., H. 1, hrsg. v. W. KOLNEDER (Hei 1963). Lit.: L. DE LA LAURENCIE, L'école française de violon 1 (P 1922, Nachdr. G 1971); H. R. DEAN, The Music of M. M., 2 Bde. (Iowa City 1970) (= Diss. Univ. of Iowa).
MASKE IN BLAU, Große Operette in 6 Bildern von Fred Raymond (1900-54), Text von Heinz Hentschke, Liedtexte von Günther Schwenn. Ort u. Zeit der Handlung: San Remo u. Argentinien, in den 30er Jahren. UA: 27.9. 1937 in Berlin (Metropol-Theater). Verfilmt: 1939 u. 1952. 240
Die bunte Bilderfolge stellt vor der Szenerie der klassischen „Traumländer" Italien und Argentinien das stets populäre Thema der unerfüllten Liebe vor. Die Handlung, die zum einen im exotischen Lebensbereich der reichen Plantagenbesitzerin, zum andern im Künstlermilieu des Geliebten spielt, entbehrt der besonderen dramatischen Höhepunkte und eignet sich vorzüglich zur prunkvollen Ausstattung im Stil der Revue-Operette. Raymond komponierte Melodien und Tanzstücke, die sich dank ihrer unkomplizierten Harmonik und eingängigen Rhythmik als Schlager einprägten und von groBer Bühnenwirksamkeit sind. Wenn auch die Anwendung abgegriffener Klischees inhaltlicher wie musikalischer Art die Operette nicht sehr originell erscheinen läBt, so sind einzelne Musiknummern daraus doch zu Evergreens geworden, z. B. Die Juliska, Ja das Temp'rament, der instrumentale Walzer in Blau und die lyrischen Stücke Am Rio Negro, Sassa und Schau einer schönen Frau nicht zu tief in die Augen. B. DELCKER MASKENBALL, EIN (Vn ballo in maschera, auch Amélia), Oper in 3 Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901), Text von Antonio Somma nach dem frz. Libretto Gustave III ou le bal masqué (1833) von Eugène Scribe. Ort u. Zeit der Handlung: Stockholm, 1792. UA: 17.2. 1859 in Rom (Teatro Apollo); dt. EA: 23. 11. 1861 in Berlin, EA in dt. Sprache: 6. 3. 1862 in Stuttgart. Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde, die schon den Prosaentwurf Die Rache im Domino abgelehnt hatte, machten Verdi die Vorarbeiten an diesem Libretto, dem die geschichtlichen Vorgänge um den Stockholmer Königsmord an Gustav III. zugrunde liegen, zur Qual. Trotz gelegentlicher konventioneller Tutti-Theatralik kehrt Verdi die seelische Nuancierung in seiner Musik deutlich hervor. Der Belcanto ist durchpulst von der Triebkraft des „affetto". Die heimliche Neigung des Königs zu Amelia, der Gattin seines besten Freundes René, die diese erwidert, ohne ihre eheliche Ehre zu opfern, bildet das Kernmotiv der Handlung. Die Verzweiflung der schuldlos liebenden Amelia, deren Seelenqual das Dreiecksdrama durchspannt, überträgt Verdi in zwei Arien mit charakteristischen Soloinstrumenten: in die Friedhofsarie (f -moll) zu Beginn des 2. Aktes (Ma dall'arido stelo divulsa) mit begleitendem Englisch Horn und in die es moll-Arie zu Beginn des 3. Aktes (Mori-6 — ma prima in grazia) mit begleitendem Solo-Violoncello. Der Page Oskar, dem Urbain in Meyerbeers Hugenotten nachgebildet, trägt unbeschwert-buffoneske Züge in das Geschehen, die den dunklen Hintergrund und das Mordkomplott wirkungsvoll kontrastieren.
Masque Die Szene, in der Amelia unwissend jenes Los zieht, das ihren Mann zum Mörder des Geliebten bestimmt, und das bunt-festliche Ball-Tableau des
Finales als plakatives Ambiente zum wohlplacierten Colpo di scena des Dolchstoßes verraten die bühnenkundige Hand Scribes: Grand Opéra aus der Hand des Italieners Verdi. H. BECKER MASKENSPIEL /Masque. MASNADIERI, I, Oper von G. Verdi; dt. Titel: Die /Räuber. MASON. —1) Lowell, * 8. 1. 1792 Medfield (Massachusetts), t 11. 8. 1872 Orange (New Jersey); amerik. Musikpädagoge. Er gründete 1832 mit G. J. Webb die Boston Academy of Music, veröffentlichte einige didaktische Werke und gab eine Anzahl von Sammlungen geistlicher und weltlicher Vokalmusik heraus, u. a. The Handel and Haydn Society's Collection of Sacred Music (Boston 1822). — 2) William, Sohn von 1), * 24. 1. 1829 Boston, t 14. 7. 1908 New York; amerik. Pianist. Er studierte bei Henry Schmidt in Boston und debütierte 1846. 1849-54 setzte er seine Studien bei I. Moscheles, M. Hauptmann und E. Fr. Richter in Leipzig sowie bei Fr. Liszt in Weimar und bei Raimund Dreyschock in Prag fort. 1855 ließ er sich in New York nieder und gründete mit Th. Thomas die Mason and Thomas Soirées of Chamber Music, die bis 1868 bestanden. Die Yale University in New Haven (Conn.) promovierte ihn 1872 zum Doctor in Music. M. schrieb zahlreiche pädagogische Werke und die Autobiographie Memories of a Musical Life (NY 1901). — 3) Daniel Gregory, Enkel von 1), * 20. 11. 1873 Brookline bei Boston (Massachusetts), t 4. 12. 1953 Greenwich (Connecticut); amerik. Komponist. Er war an der Harvard University in Cambridge (Mass.) Schüler von J. K. Paine, studierte dann Klavier bei Arthur Whiting, Theorie bei Percy Goetschius und Instrumentation bei G. Chadwick (1895) und bildete sich 1913 bei V. d'Indy in Paris weiter. 1910 wurde er Professor an der Columbia University in New York, an der er bis 1940 die Musikabteilung leitete. Als eher konservativer Komponist war er stark von der deutschen Romantik beeinflußt, während seine Instrumentation sich am französischen Impressionismus orientiert. WW: 1) Kompositionen: KIv.-Stücke; Kammermusik, u. a. Sonate für V. u. Klv. (1908); Streichquartett „On Negro Themes" (1919); Klv.-Ouartett (1911); Orch.-Werke, darunter 3 Symphonien. 2) Schriften (in New York erschienen): From Grieg to Brahms (1902, 2 1907, Nachdr. 1971); Beethoven and His Forerunners (1904, 2 1930); The Romantic Composers (1906, Nachdr. NY - Westport/Conn. 1970); The Appreciation of Music. 4 Bde. (1908-21) (zus. mit T. W. Surette u. M. L. M.), Nachdr. des 2. Bd.es als: Great Modern Composers (Freeport/N. Y. 1968); A
Neglected Sense in Piano Playing (1912); Great Modern Composers (1916); From Song to Symphony (1924); The Dilemma of American Music and Other Essays (1928, Nachdr. 1969); Tune in America. A Study of Our Coming Musical Independence (1931, Nachdr. Freeport/N.Y. 1969); The Chamber Music of Brahms (1933, Nachdr. 1970); Music in My Time and Other Reminiscences (1938, Nachdr. Freeport/N. Y. - Westport/Conn. 1970); The Quartets of Beethoven (1947). Lit.: Zo t): H. L. MASON, Hymn-Tunes of L.M. (C/M 1944); L. F. SUNDERMANN, L. M. Father of American Music Education, in: The Journal of Musicology 4 (1944); J. V. HIGGINSON. Notes on L. M.'s Hymn Tunes, in: Hymn 18 (1967); C. A. PEMBERTON, L. M. His Life and Work (Minneapolis 1971) (= Diss. Univ. of Minnesota); E.J. O'MEARA, The L.M. Library, in: Notes 28 (1971/72). - Zu 3): B. C. TUTHILL, D.G.M., in: MO 34 (1948); M.-J. KLEIN, The Contribution of D. G.M. to American Music (Diss. Washington 1957); R. B. LEWIS, The Life and Music of D. G. M. (1959) (= Diss. Univ. of Rochester).
MASQUE, Mask (engl.), englisches szenisches Maskenspiel, dem Ballet de cour vergleichbar, bestehend gleichermaßen aus Handlung, Dichtung, Gesang, Tanz und Ausstattung. Ursprünglich, zu Beginn des 16. Jh., wurden Dialoge noch mimisch vorgetragen, gegen Ende des 16. Jh. jedoch wurden alle nicht gesungenen Abschnitte gesprochen. Die Blütezeit der M. lag zu Beginn des 17. Jh. während der Regierungszeit König Jakobs I. Die Texte stammten vorwiegend von B. Jonson, die Ausstattung vom Architekten Inigo Jones und die Musik von G. Coperario, A. Ferrabosco (II), H. Lawes, R. Johnson und zahlreichen anderen Komponisten, die oft gemeinschaftlich arbeiteten. Die M. war in dieser Zeit so populär, daß einige ihrer Grundzüge in die Schauspiele der öffentlichen Theater übernommen wurden, z. B. in Shakespeares The Tempest (um 1612): die Verlobung Mirandas und Ferdinands ist hier Gegenstand einer kurzen M., reich an Bühneneffekten und mit allegorischer Bedeutung. Später wurden M.s wie Venus and Adonis von J. Blow schon fast kurze Opern, und der Begriff erstreckte sich weiter auf Szenen, die durch das Zusammenwirken von Gesang, Chor, Tanz und Instrumentalmusik charakterisiert waren, z. B. bei H. Purcell und seinen Zeitgenossen in Stücken wie The Prophetess (Dioclesian) von Thomas Betterton und The Indian Queen von John Dryden und Robert Howard, während Purcells The Fairy Queen aus einer ganzen Reihe von M.s (im traditionellen Sinne) besteht, die in eine Bearbeitung von Shakespeares Midsummer-Night's Dream eingeschoben wurden. Im 18. Jh. erlangte die Gattung besondere Bedeutung im Schaffen G. Fr. Händels: die erste Fassung seines (ersten englischen) Oratoriums Esther (Haman and Mordecai, 1720) ist als M. bezeichnet. In neuerer Zeit kam es in der englischen Musik vereinzelt zu einer Rückbesinnung auf Wesen und Bz. der M., so etwa bei R. Vaughan Williams (A Christ241
Massailni mas Carol, 1921; Job, 1934; The Bridal Day, 1938/39) und P. Maxwell Davies (Blind Man's Buff, 1972). Lit.: R. BROTANEK, Die engl. Maskenspiele (W-L 1902) (_ Beitr. z. engl. Philologie 15); P. REYHER, Les m.s anglais (P 1909); W. J. LAWRENCE, Notes on a Collection of M. Music, in: ML 3 (1922); M. S. STEELE, Plays and M.s at Court During the Reigns of Elizabeth, James and Charles (New Haven/Conn. - Lo 1926); E. WELSFORD, The Court M. (C 1927); P. CUTTS, Jacobean M. and Stage Music, in: ML: 35 (1954); DERS., Le rôle de la musique dans les m.s de B. Jonson, in: Les fêtes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot (P 1956); G. WICKHAM, Contribution de B. Jonson et de Decker aux fetes du couronnement de Jacques 1eß, in: ebd.; L. M. KANTNER, Zur Genese der M.-Duette in der Grand Opera, in: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der östr. Akad. der Wiss. 113 (1976); A. J. SABOL, 400 Songs and Dances from the Stuart M. (Providence 1978).
MASSAINI (Massaino), Tiburzio, * vor 1550 Cremona, t nach 1609 Lodi oder Piacenza; it. Komponist. Er war Priester und wirkte 1585-87 als Domkapellmeister in Salò, lebte 1589-90 in Innsbruck, dann in Salzburg und Prag (nachweisbar 1592) sowie 1600-08 in Lodi. M., der venezianischen Schule des späten 16. Jh. zugehörig, war auch einer der frühesten Vertreter des geringstimmigen Concerto in der Art L. Viadanas. WW (in Venedig gedruckt): 1) Weldicie WW: Madrigale für 4 St. (1569); 4 Bücher Madrigale für 5 St. (1571, 1578, 1587, 1594); 2 Bücher für 6 St. (1604). - 2) Geistliche WW: 3 Bücher Messen für 5-6 St. (1578, 1587, 1598); Messen für 6 St. (1595), für 8 St. (1600); 4 Bücher Motetten bzw. Sacri cantus, 1: für 5-6 St. (1576), 2: für 5 gleiche St. (1580), 3 u. 4: für 5 St. (1590, 1599); 3 Bücher Sacrae cantiones für 6 St. (1592, 1596, 1601); 2 Bücher doppelchörige Sacri modulorum ooncentus für 7-16 St. (1592, 1606); Sacrae cantiones f ür 7 St. u. B.c. (1607); Musica per cantare con l'organo für 1-3 St. (1607); 2 Slgen. Vesperpsalmen u. Magnificats für 5-8 St. (1576), für 8 St. (1587); Musica super Threnos Ieremie (Lamentationen) für S St. (1599); Quaerimonia cum responsoriis für die Karwoche für 5 St. (1609). - Weltliche u. geistliche Werke auch in zahlr. Sammeldrucken 1579-1619. Ausg.: Kanzone für 8 Instr., hrsg. v. P. WINTER (F 1962) (= Canticum o. Nr.); Liber prim us cantionum ecclesiasticarum 1592 u. 3 Instrumentalkanzonen 1608, hrsg. v. H. MONTEROSSO (Gr 1964) (= DTO 110); Canzon 33, 1608, für 8 Pos., hrsg. v. A. LUMSDEN (Lo 1969) (= Venetian Brass Music 7); Gabriel angelus luctus est für 2 gem. Chöre zu 4 St. u. 2 Bläserchöre, hrsg. v. O. ULF (Wb 1969). Lit.: H. FEDERI-IOFER, M., in: MGG VIII; S. KUNZE, Die Instrumentalkunst G. Gabrielis II (Tutzing 1963) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 8) (im Anhang Ausg. v. 2 Kanzonen); C. SARTORI, O. Vecchi e T. M. a Salb. Nuovi documenti ined., in: Renaissance-muziek 1400-1600. FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969).
MASSART, Lambert-Joseph, * 19.7.1811 Lüttich, t 13. 2. 1892 Paris; belgischer Violinist. Er studierte bei R. Kreutzer in Paris und wirkte dort anschließend als Violinlehrer. Seit etwa 1830 war er besonders als Kammermusikspieler berühmt; sein Partner war oft Fr. Liszt. 1843-90 lehrte M. am Pariser Conservatoire, nachdem er sich allmählich vom Konzertleben zurückgezogen hatte. Zu seinen 242
zahlreichen Schülern gehören H. Wieniawski, P. de Sarasate und Fr. Kreisler. Seine Konzerte mit der Pianistin Louise-Aglae Masson,* 10.6. 1827 Paris, t 26.7.1887 ebd., seiner Ehefrau, rühmt H. Berlioz in seinen Kritiken. MASSARY (eig. Friederike Massaryk), Fritzi, * 21. 3.1882 Wien, t 30. 1. 1969 Los Angeles; östr. Sängerin (Sopran). Sie begann ihre Bühnenlaufbahn 1902 und hatte 1904 in einer Revue am Berliner Metropol-Theater ihren ersten sensationellen Erfolg. 1911 gastierte sie neben Maria Jeritza bei den Münchner Opernfestspielen in Offenbachs Schöner Helena und kreierte 1915 in Berlin die Titelrolle in der Operette Die Kaiserin von L. Fall. Unter Br. Walter hatte sie an der Städtischen Oper Berlin bedeutende Erfolge als Adele in der Fledermaus von J. Strauß und in der Titelpartie von Fr. Lehárs Lustiger Witwe. AuBerdem trat sie u. a. bei den Salzburger Festspielen sowie in London, Paris und Wien auf. 1933 wanderte sie in die USA aus und verbrachte ihren Lebensabend in Beverly Hills (Calif.). Fr. M. war verheiratet mit dem als Charakterkomiker berühmten Wiener Schauspieler Max Pallenberg (1877-1934). Lit.: 0.131E, F. M. (B 1920); O. SCHNEIDEREIT, F.M. (B 1970).
MASSÉ, Victor (eig. Félix Marie), * 7. 3. 1822 Lorient, t 5.7. 1884 Paris; frz. Komponist. Er war seit 1834 Schüler von P. Zimmermann und L. Halévy am Pariser Conservatoire und erhielt 1844 für seine Kantate Le renégat de Tanger den Prix de Rome. 1860 wurde er Chorleiter an der Opéra, lehrte 1866-80 Komposition am Conservatoire und wurde 1872 als Nachfolger D. Fr. E. Aubers Mitglied der Académie des Beaux-Arts. Von seinen seinerzeit erfolgreichen Opern und Operetten werden Les noces de Jeannette noch heute gespielt. WW: Kantate Le renégat de Tanger (1844); Messe solennelle (1846). - Bühnen-WW: La chambre gothique, UA: Paris 1849; La chanteuse voilée, UA: ebd. 1850; Galathče, UA: ebd. 1852; Les noces de Jeannette, UA: ebd. 1853; La fiancée du diable, UA: ebd. 1854; Miss Fauvette, UA: ebd. 1855; La favorita e la schiava, UA: Venedig 1855; La reine Topaze, UA: Paris 1856; Fror d'Aliza, UA: ebd. 1866; Paul et Virginie, UA: ebd. 1876.
MASSENET, Jules Émue Frédéric, * 12. 5. 1842 Montaud (Loire), t 13. 8. 1912 Paris; frz. Komponist. Ersten Musikunterricht erhielt M. von seiner Mutter, einer begabten Pianistin' 1848 übersiedelte die Familie nach Paris, wo M. 1851 in das Conservatoire eintrat. Er studierte bei A. Savard (Gesang), A. Laurent (Klavier), N.H. Reber (Harmonielehre), Fr. Benoist (Orgel) und A. Thomas (Komposition). 1863 erhielt er für seine Kantate David Rizzio den Prix de Rome. Während seines dreijährigen Aufenthalts in Rom freundete er sich mit
Massenkeil Fr. Liszt an. Zu den nach Paris eingesandten Pflichtkompositionen zählen die Orchestersuite Pompeia, die Scènes de Bal für Klavier und 2 Orchesterfantasien; daneben entstanden bereits in Rom Skizzen zu den später überaus erfolgreichen Oratorien Marie-Magdeleine und La Vierge sowie zu dem Mysterienspiel Ève. Auf Reisen durch Italien, Deutschland und Österreich-Ungarn schrieb er die Première Suite d'Orchestre, die Scènes napolitaines und die Scènes hongroises. Die ersten Erfolge errang er auf symphonischem Gebiet, seinen Weltruhm aber verdankte er den Bühnenwerken. 1867 debütierte er mit der stilistisch an Werke seines Lehrers Thomas erinnernden komischen Oper La grand'tante. In Le roi de Lahore zeigte er sich zwar noch deutlich von der Musik seines Freundes G. Bizet beeinflußt, fand aber dann rasch zu einem persönlichen Stil. Seine Opern Manon, Werther und Thais wurden Welterfolge. Als Nachfolger Fr. -E.-J. Bazins wurde M. 1878 Leiter der Opéra und Professor für Komposition, Kontrapunkt und Fuge am Pariser Conservatoire, ein Zeichen dafür, daß sich diese Institution den von M. verfochtenen Ideen H. Berlioz' und R. Wagners öffnete. Ebenfalls 1878 wurde er Mitglied der Académie des Beaux-Arts und 1889 Grand Officier der Ehrenlegion. Zu seinen Schülern gehören zahlreiche prominente frz. Komponisten, darunter A. Bruneau, G. Charpentier, G. Enescu, Ch. Koechlin, G. Pierné, H. Rabaud und P. Vidal. WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke zu 2 u. 4 Händen; Kammermusik. - Für Orch.: Konzertouvertüre (1863); 7 Suiten, 1: Première Suite d'Orchestre (1865), 2: Scènes hongroises (1871), 3: Scènes dramatiques (1873), 4: Scènes pittoresques (1874), 5: Scènes napolitaines (1876), 6: Scènes de féeries (1879) u. 7: Scènes alsaciennes (1881); ferner eine Fantasie für Vc. u. Orch. (1897) u. ein Klv.-Konzert (1903). - 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder. - Oratorien: Marie-Magdeleine (Text: L. Gallet), UA: Paris 1873; Ève (Text: ders.), UA: ebd. 1875; Narcisse (1877); La Vierge, UA: Paris 1880; Biblis (1886); La terre promise, UA: Paris 1900. - 3) Bühnen-WW (wenn nichts anderes angegeben, UA in Paris): Opern: La grand'tante (Libr.: J. Adenis u. Ch. Grandvallet), UA: 1867; Don César de Bazan (Libr.: A. Ph. d'Ennery u. J. Chantepie), UA: 1872; Le roi de Lahore (Libr.: L. Galtet), UA: 1877; Hérodiade (Libr.: P. Milliet u. H.Grémont), UA: Brüssel 1881; Manon (Libr.: H. Meilhac u. Ph. Gille), UA: 1884; Le Cid (Libr.: d'Ennery, Gallet u. E. Blau), UA: 1885; Esclarmonde (Libr.: Blau u. L. de Gramont), UA: 1889; Le Mage (Libr.: J. Richepin), UA: 1891; Werther (Libr.: Blau, Milliet u. G. Hartmann), UA: Wien 1892; Thais (Libr.: Gallet), UA: 1894; Le portrait de Manon (Libr.: G. Boyer), UA: 1894; La Navarraise (Libr.: J. Claretie u. H. Cain), UA: London 1894; Sapho (Libr.: Cain u. H. Bernède), UA: 1897; Cendrillon (Libr.: Cain), UA: 1899; Grisélidis (Libr.: A. Silvestre u. E. Armand), UA: 1901; Le jongleur de Notre-Dame (Libr.: M. Léna), UA: Monte Carlo 1902; Chérubin (Libr.: F. de Croisset u. Cain), UA: ebd. 1905; Ariane (Libr.: C. Mendès), UA: 1906: Thérèse (Libr.: Claretie), UA: Monte Carlo 1907; Bacchus (Libr.: Mendès), UA: 1909; Don Quichotte (Libr.: Cain), UA: Monte Carlo 1910; Roma (Libr.: ders.), UA: ebd. 1912; Panurge (Libr.: G. Spitzmüller u. M. Boukay), UA: 1913; Cléopâtre (Libr.: L. Payen), UA: Monte Carlo
1914; Amadis (Libr.: Claretie), UA: ebd. 1922. - Ballette: Lecarillon, UA als: Das Glockenspiel, Wien 1892; La Cigale, UA: 1904; Espada, UA: Monte Carlo 1908. - Ferner zahlr. Bühnenmusik, u. a. zu: Ch. M. Leconte de Lisle, Les Erinnyes, UA: 1873; J. Richepin, Nana-Sahib, UA: 1833; V. Sardou, Théodora, UA: 1884; ders., Le crocodile, UA: 1886; Racine, Phèdre, UA: 1900 (Ouvertüre dazu 1874).
M. hat es verstanden, Elemente des französischen Musiktheaters und des neuen Musikdramas im Sinne Wagners sinnvoll miteinander zu verbinden. Die für seinen Stil charakteristischen kurzen Melodielinien werden durch exakte Prosodie geprägt; Enjambements und Wortverkürzungen führen zu einer Annäherung an den natürlichen Sprachrhythmus. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Komponist der psychologischen Zeichnung, vor allem der weiblichen Protagonisten seiner Opern. Lit.: H. T. FINCK, M. and His Operas (Lo 1910); A. SOUBIES, M. (P 1913); A. POUGIN, M. (P 1914); R. BRANCOUR, M. (P 1923, 21930); J. LOISEL, Manon de M. (P 1924); CH. BOUVET, M. (P 1929) (= Les musiciens célèbres 19); A. BRUNEAU, M. (P 1935); A. CoQUIs, J. M. (P 1965) (= Musiciens de tous les temps 20); E. BOUILHOL, M. Son rôle dans l'évolution du théâtre musical (St-Étienne 1969); J. HARDING, M. (Lo 1970, NY 1971); E. KRAUSE, Traum u. Wirklichkeit des Eros. Über die Opern v. J. M., in: Jb. der Komischen Oper Berlin 12 (1971/72); H. BECKER, M.s „Werther". Oper oder vertonter Roman?, in: Ars musica, musica scientia. FS H. Häschen (Kö 1980).
MASSENKEIL, Günther, * 11. 3. 1926 Wiesbaden; dt. Musikforscher. Er studierte nach frühzeitiger und vielseitiger praktisch-musikalischer Ausbildung Musikwissenschaft an der Universität Mainz (A. Schmitz) und an der Sorbonne in Paris (P.-M. Masson). Nach Promotion (1952, mit einer Dissertation über G. Carissimi) und SchulmusikStaatsexamen (1953) in Mainz war er dort 1954-61 Wissenschaftlicher Assistent und habilitierte sich 1961. 1966 wurde er Ordinarius an der Universität Bonn. Seit 1973 ist er Kuratoriumsvorsitzender des Max-Reger-Instituts Bonn, seit 1977 Schriftleiter des Kirchenmusikalischen Jahrbuchs. M., in dessen Forschungen die geistliche Musik des 16.-19. Jh. einen breiten Raum einnimmt, ist der für die deutsche Bearbeitung des vorliegenden Lexikons verantwortliche Herausgeber. Er hat sich in den letzten Jahren zunehmend auch einen Namen als Konzertsänger (Baß-Bariton) gemacht. Zum 60. Geburtstag erschien eine FS Beiträge zur Geschichte des Oratoriums seit Händel (Bonn 1986). Schriften: Die Wiederholungsfiguren in den Oratorien G. Carissimis, in: AfMw 13 (1956); Bemerkungen zum „Compendium musicae" (1618) des R. Descartes, in: Kongr.-Ber. Köln 1958 (Kas 1959); Zur Lamentationskomposition des 15. Jh., in: AfMw 18 (1961); Eine span. Choralmelodie in mehrst. Lamentationskompositionen des 16. Jh., in: ebd. 19/20 (1962/63); Unters. zum Problem der Symmetrie in der Instrumentalmusik W. A. Mozarts (Wie 1962); Mehrstimmige Lamentationen aus der ersten Hälfte des 16. Jh. (1965) (= Musikal. Denkmäler 6); M.-A. Charpentier als Messenkomponist, in: Colloquium amicorum. FS J. Schmidt-
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Massias Gürg (Bonn 1967); Das Oratorium (Kü 1970) ( = Das Musikwerk 37); Eine unbekannte Quelle zur Gesch. der lat. choralen Passion..., in: Musicae Scientiae Collectanea. FS K. G. Fellerer (Kii 1973); Die konzertierende Kirchenmusik, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik 2 (Kas 1976); Cornelius als Liederkomponist, in:
P. Cornelius ... (Rb 1977) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 48); Religiöse Aspekte der Gellert-Lieder Beethovens, in: Religiöse Musik in nicht-liturgischen Werken v. Beethoven bis Reger (Rh 1978) (= ebd. 51); Bach- Handel. Zur Gesch. eines Doppelbildes ... , in: J. S. Bach u. seine Ausstrahlung auf die nachfolgenden Jhh. (Mainz 1980); Die Idylle in der Musik, in: Jahres- u. Tagungsber. der Görres-Gesellschaft Salzburg 1979 (Kö 1980); Einige Überlegungen zu Beethovens Italianità, in: Anal. Mus. 21 (1982); L. v. Beethovens Liederkreis „An die ferne Geliebte'; in: FS H. Antholz (Düsseldorf 1982); Zum Verhältnis Carissimi - Händel, in: Händel-Jb 28 (1982). - Editionen: T Casati, Messa concertata (Wb 1972) (- Chw 116); A. Scarlatti, Messe in A (F 1987). Lit.: Rheinische Musiker 9 (Kö 1981) (mit Schriften-Verz.).
MASSIAS, Gérard, * 25. 5. 1933 Paris; frz. Komponist. Er war 1948-55 Schüler u. a. von DanielLesur am Pariser Conservatoire, anschließend Solo-Bratschist am Mozarteum in Salzburg, seit 1956 beim Orchestre de Chambre der ORTF und seit 1967 beim Orchestre de Paris. Als Komponist ist M. Autodidakt; seine Werke sind stilistisch vielfältig, von modaler und atonaler bis hin zu zwölftöniger Schreibweise. In der Werkreihe Tjurunga experimentiert er auch mit dem gelenkten Zufall, der dem Ausführenden breiten Raum für eigene Gestaltung läßt. WW: 1) 1nstr.-WW: Suite monodique u. Suite mónodique no. 2 (1954) für Saxophon solo; Variationen für 4 Ondes Martenot (1955) sowie für Ob., Klar., Saxophon u. Fag. (1955); Dialogues (1956) für 2 gleiche Instr.; Suite Faciès (1959) für Kammerorch.; Streichtrio (1961); Tjurunga I für V. solo, 2 für Schauspieler u. Sopran, 3 für Streichtrio, 4 für Schauspieler u. Streichtrio u. 6 für
6 Schlagzeuger; dass. als Action musicale Tjurunga, UA: Avignon 1969; Exorcisme (1973) für Fag. u. Klv. mit Schlagzeug ad lib.; Stigmates (1973) für Fag. solo. - Concert 52 (1952) für Fl. u. Streichorch. (oder KIv.); Laude (1961) für Vc. oder Saxophon oder Va. u. Streichorch. - 2) Vokal-WW: Les aveux (1960) für 4 Frauenchöre. - 3) Bühnen-WW: Action musicale Nouveaux racontars sur Agassin et Virelette (oder Aucassin et Nicolette) für einen Schauspieler, mehrere Sänger u. alte Instr., UA: Paris 1971.
MASSINE, Léonide (eig. Leonid Fjodorowitsch Mjassin), * 9. (21.) 8. 1896 Moskau, t 16. 3. 1979 Borken (Westfalen); russ. Tänzer und Choreograph. Er war Schüler von E. Cecchetti in St. Petersburg und wurde 1913 an die Ballets Russes S. Diaghilews engagiert. Für dieses Ensemble schuf er die Choreographien Soleil de minuit (nach N. Rimski-Korsakow, 1915), Les femmes de bonne humeur (nach D. Scarlatti, 1917), Parade, La boutique fantasque und Le tricorne (nach M. de Falla). 1920 verließ er Diaghilews Compagnie, arbeitete an der Mailänder Scala mit Ida Rubinstein zusammen und choreographierte für die Pariser Soireen des Grafen von Beaumont Salade (D. Milhaud) und Le beau Danube (nach J. Strauß). 1926-31 war er Premier danseur und Choreograph 244
am Roxy Theater in New York und 1932-37 Choreograph bei den Ballets Russes de Monte-Carlo. 1939 schloß er sich Col de Basil an, dem er in die USA folgte. Hier entstanden seine symphonischen Ballette, in denen zum ersten Mal Musik des Konzertsaals choreographiert wurde, z. B. La Symphonie fantastique (nach H. Berlioz), 7' Symphonie (nach L. van Beethoven). Ferner kreierte er Nobilissima visione (P. Hindemith) und Gaité parisienne (J. Offenbach). Daneben arbeitete M. noch für europäische Ballett-Compagnien, u. a. seit 1946 für das Sadler's Wells Ballet, für das er 1947 Mam'zelle Angot (Ch. Lecoq) choreographierte. Für europ. Bühnen schuf er ferner Mad Tristan (nach R. Wagner) und Le peintre et son modèle (G. Auric). WW: Choreographien: E. Satie, Parade, UA: Paris 1917; O. Respighi (nach G. Rossini), La boutique fantasque, UA: London 1919; 1. Strawinsky, Pulcinella, UA: Paris 1920; ders., Le sacre du printemps, UA: ebd. 1921; G. Bizet, Jeux d'enfants, UA: Monte Carlo 1932; J. Françaix, Beach, UA: ebd. 1933: J. Brahms, Choreartium (= 4. Symphonie), UA: ebd. 1939; P. Tschaikowsky, Les présages (= 5. Symphonie), UA: ebd. 1939; R. Wagner, Bacchanale (aus Tannhäuser), UA: New York 1939. - Tanzfilme:
Red Shoes (1948); The Tales of Hoffmann (1951); Carrousel (1953). - Schriften: Autobiographic My Life in Ballet. hrsg. v. Ph. Hartnoll - R. Rubens (Lo -NY 1968) (mit Wcrkverz.); M. on Choreography. Theory and Exercises in Composition (Lo 1976).
MASSON, Paul-Marie, * 19.9. 1882 Sète, t 27. 1. 1954 Paris; frz. Musikforscher. Er studierte in Paris 1903-06 an der École Normale Supérieure, außerdem Musikgeschichte bei R. Rolland an der Sorbonne sowie Komposition bei V. d'Indy an der Schola Cantorum und später bei Ch. Koechlin. In Florenz gründete er 1910 die musikwissenschaftliche Abteilung am Institut français, wo er bis 1914 Literatur und Musikgeschichte lehrte, und leitete seit 1920 das von ihm neu eingerichtete Institut français in Neapel. 1930 promovierte er zum Docteur-ès-lettres und lehrte 1931-52 Musikgeschichte an der Sorbonne. Dort gründete er 1951 das Institut de Musicologie. Schriften: Berlioz (P 1923); L'opéra de Rameau (P 1930, Nachdr. NY 1972); Lullistes et Ramistes, in: AM (1911); Le ballet héroique, in: RM (1920); J. Mauduit et les hymnes latines de L. Strozzi. in: RMie 9 (1925); Une lettre inédite de Rameau, in: Mélanges L. de La Laurencie (P 1933); L'ceuvre dramatique de Méhul. in: Annales de l'Université de Paris (1937); Rameau et Wagner, in: MQ 25 (1939); Les tâches internationales de la musicologie, in: Kgr.-Ber. Utrecht 1952; A. C. Destouches, surintendant de la musique du roi, directeur de l'opéra, in: RMie 43/44 (1959).
Lit.: CH. VAN DEN BORKEN, In memoriam P.-M. M.. in: RBMie 7 (1954); J. CHAILLEY, P.-M. M. 1882-1954, in: RMie 36 (1954).
MASSONNEAU, Louis, * 10. 1. 1766 Kassel, t 4. 1. 1848 Ludwigslust (Mecklenburg); dt. Violinist und Komponist. Als Sohn eines französischen Küchenmeisters am Kasseler Hof erhielt er Violin- und Kompositionsunterricht. 1783 wurde er Violinist
Maeterlinck
und Viola d'amore-Spieler der Hofkapelle des Landgrafen Friedrich II., ging 1785 als Konzertmeister nach Göttingen, war 1795-97 Dirigent in Frankfurt a. M., 1797-99 in Altona und 1799-1803 in Dessau. 1803 ließ er sich in Ludwigslust nieder, wo er zunächst als Adjunkt und 1812 bis zu seiner Pensionierung 1837 als Hofkapellmeister wirkte. Unter M.s Werken befindet sich eine Symphonie, La tempéte, die durch ihr Programm, in Einzelheiten der Harmonik, mit den Vogelrufen im 2. Satz und mit ihren starken dynamischen Kontrasten als ein Vorläufer der Sinfonia pastorale von L. van Beethoven erscheint. WW: Im Druck erschienen: Duos für 2 V. u. fur V. u. Vc.: Airs ,aries fur V. u. Va.; Trias concertants: Streichquartette u. Oh.Quartett; 3 Symphonien, eine davon, La tempéte et le calme, auch separat. - Hsl. erhalten sind V.-Konzerte, weitere Orchesterwerke sowie kirchenmusikal. Werke. Lit.: W. BRFNNFcKt: -
B. S. BROOK, M.,
in: MGG VIII.
MASUR, Kurt, * 18. 7. 1927 Brieg (Schlesien); dt. Dirigent. Nach einer Ausbildung an der Landesmusikschule in Breslau studierte M. 1946-48 an der Musikhochschule in Leipzig Dirigieren (H. Bongartz und Kurt Soldan) und Komposition (Arnold Matz). Anschließend war er Solorepetitor in Halle an der Saale, 1951-53 Kapellmeister an den Städtischen Bühnen in Erfurt und 1. Kapellmeister am Opernhaus Leipzig. 1955-58 dirigierte er neben H. Bongartz die Dresdner Philharmonie und ging dann als GMD an das Mecklenburgische Staatstheater nach Schwerin. 1960-64 war M. musikalischer Oberleiter an der Komischen Oper in (Ost -)Berlin und danach als Gastdirigent im In- und Ausland tätig. 1967-72 wirkte er als Chefdirigent und künstlerischer Leiter erneut an der Dresdner Philharmonie und ist seit 1970 außerdem Gewandhaus-Kapellmeister in Leipzig. Seit 1975 lehrt er auch als Professor an der dortigen Musikhochschule. Mit dem Gewandhausorchester unternahm M. zahlreiche Gastspiele bis nach Japan und in die USA. 1976-80 war er ständiger Gastdirigent des Dallas Symphony Orchestra. Lit.: D. HAR"rwtc;, K. M. (L 1976).
MATAČIČ, Lovro von, * 14. 2. 1899 Sušak (heute Rijeka, Jugoslawien), t 4. 1. 1985 Zagreb; jugoslaw. Dirigent. Er war Mitglied der Wiener Sängerknaben, studierte u. a. Komposition und Dirigieren in Wien, 1914-15 am Konservatorium in Köln und volontierte am dortigen Opernhaus. Nach dem Kriegsdienst war M. Kapellmeister u.a. in Osijet und Novi Sad, 1922-28 Dirigent an der Staatsoper in Ljubljana, dann his 1932 in Belgrad und bis 1938 in Zagreb. 1938-41 wirkte er als GMD der Staatsoper und Leiter der Philharmonie in Belgrad und
war daneben häufiger Gast an italienischen Opernhäusern. 1948-51 in Skopje, dann an der Oper in Rijeka und seit 1954 an der Staatsoper in Ljubljana tätig, wurde er 1956 Chefdirigent der Staatsoper in (Ost -)Berlin und gleichzeitig der Staatskapelle Dresden. 1961-66 war er GMD in Frankfurt a. M. und Leiter der Museumskonzerte, his 1964 auch ständiger Gast der Wiener Staatsoper. Nach Gastverpflichtungen in Europa und den USA wurde er 1970 GMD der Zagreber Philharmoniker und 1974 ständiger Gastdirigent des Orchestre National de l'Opéra de Monte-Carlo. Er schrieb mehrere Orchesterwerke und Bühnenmusik. MATASSIN, Matachin (frz.; von it. mattaccino = verrückt), ein der /Moresca nahestehender pantomimischer Tanz, der im 16./17. Jh. als Balletteinlage in England, Frankreich (dort auch als danse des bouffons bezeichnet) und Italien beliebt war (in Th. Arbeaus Orchésographie, 1588, beschrieben). Getanzt wurde der M. als Kriegs- oder Schwertertanz von maskierten (in Soldaten- oder Harlequinkostüme verkleideten) und - in 2 Gruppen aufgeteilt - einander gegenüberstehenden Männern. Diese vollführten dabei groteske Sprünge und Figuren. In seiner volkstümlichen Ausprägung als Totentanz (z. B. in Italien), in dem ein Tänzer den Verstorbenen darstellt, hat der M. eine ähnliche magische Bedeutung wie einige rituelle, mit dem Totenkult verbundene und heute noch übliche Tänze Mittelamerikas. Ein Mattasin oder Toden Tantz erscheint in der Tabulatur von A. Niirmiger (1598), einen Matachin für Gitarre schrieb G. Sanz (1674). MAETERLINCK, Maurice Polydore Marie Bernard, * 29. B. 1862 Gent, t 6. 5. 1949 Orlamonde hei Nizza; belgischer Dichter. Nach seinem Jurastudium in Gent war er zunächst als Rechtsanwalt tätig, widmete sich jedoch bald ganz der Literatur. 1886 kam er nach Paris und machte sich durch mehrere Dramen (La princesse Maleine, Brüssel 1889) und philosophische Essays (u. a. La sagesse et la destinée, 1898) rasch bekannt. 1911 erhielt erden Nobelpreis für Literatur. M. gehört zu den hervorragenden Vertretern des Symbolismus. In seinen pessimistisch-fatalistischen Dramen spielen irreale, traumhafte Elemente, Stimmungen und Schweigemomente zwischen den Worten eine weitaus größere Rolle als die äußere Handlung. Sein Drama Pelléas et Mélisande (Brüssel 1892) wurde in der Vertonung durch Cl. Debussy (Paris 1902) zu einem der wichtigsten Werke des neueren Musiktheaters. WW (Musik zu WW von M.): Pelléas et Maisande: Bühnenmusik v. G. Fauré (1898); symphonische Dichtung v. A. Schönberg
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Matěeus de Perusio (1903); Bühnenmusik v. J. Sibelius (1905); Ouvertüre v. C. Scott (1912); Ballett v. M. Baumann (1954); Aglavaine et Sélysette: Orchestervorspiel v. M. Honegger (1917); Ariane et Barbe-Bleu: Oper v. P. Dukas, UA: Paris 1907; Bühnenmusik v. A. Alexandrow (1920); Soeur Béatrice: Chor v. A. Ljadow (1910); Oper v. A. Gretschaninow, UA: Moskau 1912; Oper v. A. Wolff (1919); religiöses Drama v. F. Rasse, UA: Brüssel 1944; L'oiseau bleu: Bühnenmusik v. E. Humperdinck (1912). - Gedichte: Les serres chaudes: daraus 5 Lieder v. E. A. Chausson (1889) u. Herzgewächse v. A. Schönberg (1911) für Sopran, Celesta, Harmonium und Harfe; Quinze chansons: daraus A. von Zemlinsky, Sechs Gesänge (1900). Lit.: E. NEWMAN, M. and Music, in: Musical Studies (Lo 1905, Nachdr. NY 1969) (- Studies in Music o. Nr.); J. BRUYR, M. et ses musiciens, in: Musics (Disques) (1962) Nr. 105; P. MAHONY, M. and Music, in: Composer (1972) Nr. 43; H. WEBER, Zemlinskys M.-Gesänge, in: AfMw 29 (1972).
nigshofen als Choralist (gedruckt Gr 1903) zum Dr. theol. und habilitierte sich dort im selben Jahr als Privatdozent für Kirchenmusik an der katholischtheologischen Fakultät (1913 Professor). M. hatte einen hervorragenden Ruf als Orgelimprovisator. Als Komponist trat er mit kirchenmusikalischen Werken hervor.
MATHEUS DE PERUSIO /Matten da Perugia.
MATHIEU, Mireille, * 22. 7. 1946 Avignon; frz. Schlagersängerin. 1962 von Johnny Stark (Manager u. a. von Ives Montand) bei einem Wettbewerb für unbekannte Talente in Avignon entdeckt, wurde sie 1965 durch ihren ersten Auftritt im französischen Fernsehen schlagartig berühmt. Weitere Fernsehshows und Konzerte in rascher Folge, u. a. im Pariser „Olympia" (1967) festigten ihre Popularität. Seit 1971 unternimmt M. M., häufig als Nachfolgerin von Edith Piaf bezeichnet, regelmäßig Tourneen durch Deutschland. Sie singt Chansons von Pierre Delanoe, Charles Aznavour, Christian Bruhn (Martin) und Francis Lai, mit dessen Lied Chant olympique sie bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Grenoble 1968 auftrat. Zu ihren bekanntesten Liedern, die sie in mehreren Sprachen singt, gehören C'est ton nom; Qu'elle est belle, Pourquoi mon amour, Hinter den Kulissen von Paris, L'amour, La dernière valse und Histoire d'amour.
MATHEUS DE SANCTO JOHANNE (Mayhuet de Joan), aus der Diözese Morinum stammender Komponist des 14. Jahrhunderts. M. war 1378 Mitglied der Kapelle Herzog Ludwigs I. von Anjou und 1382 bis mindestens 1386 Capellanus der päpstlichen Kapelle in Avignon. In dieser Zeit entstand seine Ballade auf Papst Clemens VII. Möglicherweise ist M. mit einem Mönch namens Mathieu des Klosters St-Jean identisch, der 1363 als Hofkaplan der Königin Johanna von Neapel nachweisbar ist. M. gehört mit seinen im OEKantilenensatz geschriebenen Stücken zu den Komponisten in der Nachfolge G. Machauts, die die OEArs subtilior vorbereiteten. WW (hsl. in Chantilly u. Modena): Eine 4st. u. 2 3st. Balladen; ein 4st. u. ein 3st. Rondeau; eine Motette. Ausg.: Die Motette, in: The Old Hall Ms. 3, hrsg. v. A. HUGHES (Burnham 1938); Ballade auf Clemens VII., in: Zehn datierbare Kompositionen der ars nova, hrsg. v. U. GUNTHER (H 1959) ( = Schriftenreihe des Musikwiss. Inst. der Univ. Hamburg 2); Ballade auf Louis d'Anjou, in: A 14th Century Repertory from the Cod. Reina, hrsg. v. N. WILKINS (R 1966) (= CMM 36); 4 Sätze, in: French Secular Compositions of the 14th Century 1, hrsg. v. W. APEL (1970) (- ebd. 53). Lit.: U. GUNTHER, Der Gebrauch des tempus perfectum diminutum in der Hs. Chantilly 1047, in: AfMw 17 (1960); DIES., Datierbare Balladen des späten 14. Jh. 2, in: MD 16 (1962); DIES.. Zur Biogr. einiger Komponisten der Ars subtilior, in: AfMw 21 (1964); DIES.. Bemerkungen zum älteren frz. Repertoire des Cod. Reina, in: AfMw 24 (1967); A. HUGHES - M. BENT, The Old Hall Ms., in: MD 21 (1967).
MATHIAS, Maria Prançois-Xavier, * 16. 7. 1871 Dinsheim (ElsaB), t 12.2. 1939 StraBburg; elsässischer Organist und Komponist. Er studierte seit 1892 am Priesterseminar in Freiburg, empfing 1897 die Priesterweihe und war 1898-1908 Organist am StraBburger Münster. 1898-1901 studierte er Kunstgeschichte an der Universität, promovierte 1901 in Leipzig mit der Dissertation Die Tonarien (gedruckt L 1903) zum Dr. phil., 1907 in Straßburg mit der Dissertation Der Straßburger Chronist Kö246
Schriften: Die Tonarien (L 1903); Historische Entwicklung der Choralbegleitung (Str 1905); Die Musik im Elsal3 (Str 1905); Compte rendu du Congrès d orgue tenu à l'Univ. de Strasbourg S-8 mai 1934... (Str 1934). Lit.: F.-X. M., l'extraordinaire musique de Dieu, hrsg. v. A. BENDER (Str 1960) (mit Werkverz.); P. WAGNER, in: La musique en Alsace (Str 1970) (= Publications de la Soc. savante d'Alsace et des régions de l'Est 10).
MATHIS, Edith, * 11. 2. 1938 Luzern; Schweizer Sängerin (Sopran). Sie erhielt ihre Gesangsausbildung an den Konservatorien in Luzern und Zürich und debütierte noch während ihrer Studienzeit 1956 als 2. Knabe in W. A. Mozarts Zauberflöte am Luzerner Stadttheater. 1959 wurde sie an die Kölner Oper engagiert, 1963 an die Deutsche Oper in Berlin, wo sie 1965 in der UA der Oper Der Junge Lord von H. W. Henze die Rolle der Luise kreierte. Gastspiele führten sie ferner an die Hamburgische, Münchner und Wiener Staatsoper, zu den Salzburger Festspielen und nach Glyndebourne, an den Covent Garden in London und an die Metropolitan Opera in New York. E. M. ist vor allem als Mozart-Interpretin bekannt geworden und hat einen hervorragenden Ruf auch als Oratorien- und Liedsängerin. MATHIS DER MALER, Oper in 7 Bildern von Paul Hindemith (1895-1963), Text vom Komponi-
Matteo da Perugia sten. Ort und Zeit der Handlung: Deutschland, zur Zeit des Bauernkrieges (urn 1525), das letzte Bild einige Zeit später. UA: 28. 4. 1938 in Zürich; dt. EA: 12. 12. 1946 in Stuttgart. Der Maler und Architekt Mathis Grünewald vereint in sich zwei Künstlertypen, deren unterschiedliche Lebenshaltungen zu seelischen Spannungen führen: Einerseits ist er sich seiner unausweichlichen Doppelrolle als Opfer und Gestalter der Umwelt bewußt, andererseits möchte er sich die Kunst als geheiligten Raum privaten Gefühls bewahren. Den gegensätzlichen Charakterzügen der Hauptfigur entsprechen die Grundstimmungen der Bilder: Sie werden abwechselnd durch ruhige Verinnerlichung, seelische Konflikte und dramatische äußere Handlung bestimmt. Allein die psychologische und gedankliche Konsequenz der Ereignisfolge vermag dabei die Szenen trotz bunten Wechsels zu einem in sich geschlossenen Ganzen zu verbinden. Die Klangsprache des Werkes erfüllt nicht nur alle Erfordernisse sensibler, textgebundener Gefühlsschilderung, sondern zeichnet sich auch durch absolut-musikalische Strukturdichte und Formenreichtum aus. Harmonischer Wohlklang wird gezielt zur Darstellung lyrisch-verhaltener Stimmungen eingesetzt und gewinnt dadurch im freitonalen Kontext den Rang eines eigenständigen musikalischen Bedeutungsträgers. — Bereits 1934 hatte Hindemith das Werk vollendet; nach Eskalation der nationalsozialistischen Hetzkampagne gegen den Komponisten kam die geplante UA an der Berliner Staatsoper nicht zustande; lediglich die Symphonie Mathis der Maler, in der thematisches Material aus der Oper verarbeitet wurde, konnte noch am 12.3. 1934 dem Berliner Publikum vorgestellt werden. Furtwängler suchte auch das Bühnenwerk gegen alle Widerstände durchzusetzen, blieb jedoch erfolglos und demissionierte aus Protest als Vizepräsident der Reichsmusikkammer, als Leiter der Berliner Philharmoniker und Direktor der Staatsoper. w. A. MAKUS MATRIMONIO SEGRETO, IL, Opera buffa von D. Cimarosa; dt. Titel: Die /heimliche Ehe. MATSCHAWARIANI, Alexej Dawidowitach, 10. (23.) 9. 1913 Gori (Georgien); sowjetgrusinischer Komponist. Er studierte 1930-40 Komposition bei Peter Rjasanow am Konservatorium in Tiflis, wo er 1934-36 das Operettentheater leitete. 1940 wurde er Lehrer für Musiktheorie, 1952 Dozent und 1960 Professor für Komposition am Konservatorium in Tiflis. Er war außerdem Präsident des sowjetischen Komponistenverbandes in der Grusinischen Sowjetrepublik. wW: Klv.-Stücke; Orch.-Werke, u.a. Symphonie e-moll (1947);
Prasdnitschnaja uwertjura (Festouvertüre) (1950); Klv.-Konzert (1941); V.-Konzert (1950). — Lieder; Oratorium Den mojej rodiny (Der Tag meiner Heimat) (1954). — Opern: Deda da schwili (Mutter u. Sohn), UA: Tiflis 1945; Gamlet (Hamlet), UA: ebd. 1966; Ballette: Otello, UA: ebd. 1957; Witjas w tigrowoi schkure (Der Held im Tigerfell) (1966); ferner Bühnen- und Filmmusik. Lit.: P. CHUTSCHUA, Balet Otello (Tiflis 1958); T. LEBEDEWA, A. M., in: Musikalnaja schisn (1973) Nr. 17.
MATSUDAIRA, Yoritsune, * 5.5.1907 Tokio; japanischer Komponist. Er erhielt seine Ausbildung bei N. Tscherepnin (Komposition) und Henri Gil-Marchex (Klavier) in Paris. 1956-60 war er Vorsitzender der japanischen Sektion der IGNM. In seinen Kompositionen strebte er eine Verbindung von Zwölftontechnik und Elementen der traditionellen japanischen Musik an. WW: 1) Ieetr.-WW: Somakuha (1961) für Fl. solo; Kammerkonzert für Cemb., Harfe u. Instrumentalensemble (1964); choreographische Suite für Kammerorch. (1965) bzw. 17 Spieler (1967); Dialogue chorégraphique (1966) für 2 Klv. u. Instrumentalensemble; Portrait „Alfa" (1967) für 2 Klv.; Portrait B (1968) für 2 Klv. u. 2 Schlagzeuger; Koromoi-uta (1972) für Klv. — Figures sonores (1956) u. U-Mai (1957) für Orch.; Thema u. Variationen für Klv. u. Orch. (1952). — 2) Vokal-WW: Métamorphoses d'après Samara (1953) für Sopran u. 18 matt.; Katsura (1957, revidiert 1967) für Sopran, Harfe, Cemb., Gitarre u. Schlagzeug; Koromogae („Canto d'amore") (1958) für Sopran u. 19 Instr.; Rekei „Jisei" („Deux étoiles de Vega") (1969) für Mezzosopran u. Instrumentalensemble.
MATTEIS. — 1) Nicola (I), it. Violinist und Komponist des 17. Jahrhunderts. M. kam 1672 nach London, wo er als Virtuose mit eigenen brillanten Violinkompositionen und als Lehrer für Violine, Gitarre und Gesang rasch bekannt wurde. WW: 4 Bücher Ayres (Suiten) für V. u. B.c. (Lo 1685), dazu separat eine zweite V.; First and second book's of sire's für 2 V. u. B. (Lo 1703); ferner eine GeneralbaBschule für Gitarre Le false consonanze della musics (Lo um 1680, auch engl. ebd. 1682).
2) Nicola (H), Sohn von 1), t 23. 10. 1737; engl. Violinist und Komponist. Er war 1700-30 Musiker der Hofkapelle in Wien unter J. J. Fux und komponierte zahlreiche Ballettmusiken zu Opern von F. B. Conti, A. Caldara und Fux. Ausg.: Z. 1): Triosonate G-Dur, hrsg. v. N. TILMOUTH (Lo 1963); Suiten g-moll u. A-Dur für Blockft., V. u. B.c., bearb. v. DEMS. (Lo 1964). — Z. 2): Ballettmusik zur Oper Costanza e fortezza v. J. J. Fux, in der NA dieser Oper, hrsg. v. E. WELLESZ (W 1910) (= DTO 36). Lit.: Z. 1): M. TILMOUTH, N.M., in: MQ 46 (1960); G.A. PROCTOR, The Works of N. M., 2 Bde. (1960) (= Diss. Univ. of Rochester). — Za 2): A. D. MCCREDIE, N. M. English Composer at the Habsburg Court, in: ML 48 (1967); P. REUSCHTTIG, N. M. junior als Ballettkomponist, 2 Bde. (Diss. W 1968) (mit thematischem Kat.).
MATTEO DA PERUGIA (Matheus de Perusio), t vor 1418; it. Komponist. M. war 1402-07 und 1414-16 „biscantor" am Mailänder Dom, 1405-07 gleichzeitig auch in Pavia bei Pietro Filargo, dem Erzbischof von Mailand und nachmaligen Papst 247
Matthaei Alexander V., dem er möglicherweise später nach Pisa, Pistoia und Bologna gefolgt ist. M. gehört zu den Komponisten, die in Norditalien den französischen Stil der d'Ars subtilior zur Hochblüte brachten. Neben Werken von außerordentlicher rhythmischer Komplexität, streng durchgeführter Isorhythmik und Kanontechnik stehen schlichte Lieder mit Instrumentalbegleitung. WW: Hal. sind erhalten (Modena, Bibl. Estense): 4 3st. u. ein 4st. Gloria; Agnus Dei für 3 St.; isorhythmische Motette Ave sancta mundisalus; 2 Ballate für 3 St.; ein Kanon für 3 St.; frz. Chansons: 4 3st. Balladen; 5 3st. u. 2 2st. Virelais; 7 3st. u. 3 2st. Rondeaux. Ausg.: Geistliche Werke, it. Ballate, 12 frz. Stücke, der Kanon sowie Sätze v. Grenon u. Ciconia mit M.s zugefügter St., hrsg. v. F. FANO (Mi 1956) (= Istituzioni e monumenti dell'arte musicale it. N.S. 1); 22 Sätze, in: French Secular Compositions of the 14th Century I, hrsg. v. W. APEL (R 1970) (= CMM 53). Lit.: H. BESSELER, Hat M. de P. Epoche gemacht?, in: Mf 8 (1955); C. SARTORI, M. da P. e B. Feragut, i due primi maestri di cappella del Duomo di Milano, in: AMI 28 (1956).
MATTHAEI, Karl, *23.4.1897 Olten, t 8.2. 1960 Winterthur; Schweizer Organist. Er studierte 1916-20 in Basel Klavier und Orgel am Konservatorium und Musikwissenschaft an der Universität und vervollständigte seine Studien noch 1920-23 bei K. Straube am Leipziger Konservatorium. 1925-59 wirkte er in Winterthur als Organist (seit 1938 an der Stadtkirche) und Direktor der Musikschule des namhaften Musikkollegiums. 1923-33 spielte er in regelmäßigen Konzerten die Praetorius-Orgel der Universität Freiburg im Breisgau. M. war eine der führenden Persönlichkeiten der /Orgelbewegung und wurde durch zahlreiche Neuausgaben älterer Orgelwerke bekannt. Er setzte sich auch für zeitgenössische Komponisten (J. N. David, W. Burkhard) ein und war lange Zeit im Schweizer Musikleben maßgebend. WW: 1) Schriften: Orgel und Orgelmusik, in: Das Atlantisbuch der Musik, hrsg. v. F. Hamel - M. Hürlimann (Z 1934, •1959, NA Mn 1964); Vom Orgelspiel (L 1936, 21949); Die Baugeschichte der Stadtkirchenorgel in Winterthur (Winterthur 1941); J. S. Bachs Orgel, in: Bach-Gedenkschrift 1950, hrsg. v. K. M. (Z 1950). - 2) Edidonen: J. Pachelbel, Ausgew. Orgelwerke, 4 Bde. (Kas 1928-36); M. Praetorius, Sämtliche Orgelwerke (Wb - B 1930, Nachdr. Wb 1966); J. J. Froberger, Ausgew. Orgelwerke (Kas 1931, 31951); G. F. Händel, Orgelkonzerte op. 4 (Kas 1942-56) (= Hallesche Händel-Ausg. IV/2); M. war ferner Hrsg. der Zschr. MuG (Z 1947ff.). Lit.: K. M. Gedenkschrift (Winterthur 1960); E. NIEVERGELT, in: MuG 14 (1960). B. A. KOHL
MATTHESON, Johann, * 28.9. 1681 Hamburg, t 17.4. 1764 ebd.; dt. Musiktheoretiker, Komponist und Kritiker. M. erhielt, seiner Autobiographie zufolge, in jungen Jahren Unterricht in Klavierspiel, Komposition und Gesang. Später erwarb er sich noch Fertigkeiten auf Violine, Flöte, Oboe und Laute. Bereits mit 9 Jahren sang er in der 1678 gegründeten Oper am Gänsemarkt in Hamburg und 248
trat 1696 erstmals als Solist auf. Unter der Direktion S. Kussers lernte er den italienischen Gesangsstil kennen, der M.s erste Oper, Die Plejaden (1699), prägte. 1703 befreundete er sich mit dem jungen G. Fr. Händel, der, wahrscheinlich auf Anraten R. Keisers, nach Hamburg gekommen war und im Opernorchester mitwirkte. Anläßlich der Aufführung von M.s Oper Cleopatra (1704) kam es zwischen Händel und M. zu einem Streit um die Leitung der Aufführung, der erst durch ein glücklich beendetes Duell beigelegt wurde. Bis 1705 wirkte M. an der Gänsemarkt-Oper in 65 Opern mit, komponierte mehrere (heute meist verschollene) Musikdramen und machte sich gleichzeitig als Organist einen Namen. Nachdem sich um 1705 bei ihm ein Gehörleiden bemerkbar gemacht hatte, nahm er beim englischen Gesandten in Hamburg die Stelle eines Sekretärs an. Nach vielfältigen diplomatischen Tätigkeiten erhielt er 1744 den Titel eines Legationsrates. Neben seinem diplomatischen Dienst versah er zwischen 1715 und 1728 die Stelle des Musikdirektors am Dom. In dieser Eigenschaft komponierte M. zahlreiche geistliche Werke, darunter mehr als 20 Oratorien. 1719 verlieh ihm der Herzog von Gottorf-Holstein den Titel eines Hofkapellmeisters von Haus aus. Nach seiner völligen Taubheit (1735) widmete er sich verstärkt musiktheoretischen Fragen. M. starb im 83. Lebensjahr. Zu seinem Begräbnis führte G. Ph. Telemann die von M. selbst komponierte Trauermusik Das fröhliche Sterbelied auf. WW: 1) Kompositionen: lnstr.-WW: Sonate für 2 u. 3 Fl. ohne B. (A 1708); Pieces de clavecin, auch unter dem Titel: Matthesons Harmonisches Denckmahl, aus 12 erwählten Clavier-Suiten (Lo 1714); Der brauchbare Virtuoso... Mit Zwölff neuen KammerSonaten für Fl., V. u. Klv. (H 1720); Die wol-klingende FingerSprache (12 Fugen) (H 1735). - Vokal-WW: Arie scelte dell'opera Henrico IV. Re di Castiglia (H 1711); Odeon morale, jucundum. Sittliche Gesänge mit B.c. (Nü 1751). - Hsl. ist erhalten das Passionsoratorium Der für dir Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus (Text: B. H. Brockes) (Berlin, Dt. Staatsbibl.). Der gesamte Nachlas M.s mit zahlr. nur hsl. erhaltenen Werken (darunter Opern, Serenaden, Kantaten u. mehr als 20 Oratorien) befand sich bis zum 2. Weltkrieg in der Staats- u. Univ.-Bibi. Hamburg u. gilt heute als verschollen. - 2) Schritten: Das neueröffnete Orchestre (H 1713); Das beschützte Orchestre (H 1717); Exemplarische Organisten-Probe im Artikel vom General -Bass (H 1719), erweitert als: Grosse General -BassSchule (H 1731); Das forschende Orchestre (H 1721); Critica musica, 2 Bde. (H 1722-25); Dermusicalische Patriot (1-1 1728); De erudizione musica (H 1732); Kleine General -Bass -Schule (H 1735); Kern melodischer Wissenschafft (H 1737); Der vollkommene Capellmeister (H 1739); Grundlage einer Ehrenpforte (H 1740) (mit M.s Autobiographie); Die neueste Untersuchung der Singspiele (H 1744).
Als Musikschriftsteller war M. durch sein enzyklopädisches Wissen, das er wie kein anderer systematisch darzustellen verstand, einer der einflußreichsten Theoretiker seiner Zeit. In mehr als einem
Mahon
Dutzend Büchern hat er die wichtigsten Fragen der Kompositionslehre, der Musiktheorie, der Aufführungspraxis und der ästhetischen Beurteilung von Musik in einer präzisen Sprache erörtert, die ihn auch als Schriftsteller von Rang erscheinen läßt. Seine von der Aufklärung beeinflußten Vorstellungen zielen eher auf die Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der Musik als auf den vergangener Zeiten. Sein Kampf gegen das System der Solmisation und das der Kirchentonarten hat ihm manche Feilídschaft eingetragen. Im Mittelpunkt seiner theoretischen Ausführungen steht die Lehre von der Melodie als dem Primat einer vollkommen eingerichteten Komposition. — Als Komponist war M. den wenigen erhaltenen Partituren nach zu urteilen, bestrebt, dem wechselnden musikalischen Geschmack zu gefallen. In seinen geistlichen Werken hat er den dramatischen Stil der Oper bevorzugt. Entsprechend seiner Theorie zeichnen sich seine Kompositionen insgesamt durch melodiöse Führung der Einzelstimmen aus, die bisweilen volksliedhaften Charakter haben. Dem Klanglichen hat er den Vorzug vor dem Konstruktiven gegeben. Auch darin war er der Wegbereiter eines neuen musikalischen Empfindens. Ausg.: 1) Kompositionen: 12 Sonaten für 2 u. 3 Fl., hrsg. v. F. J. GIESBERT (Hannover 1939) (= Nagels MA); Die wol-klingende Finger-Sprache, hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT (L 1953, Nachdr. 1969) (= Mitteldt. Musikarch.1/ 1); Sonate u. Suite g-moll für 2 Cemb., hrsg. v. B.C. CANNON (Lo 1960); Das Lied des Lammes, hrsg. v. DEMS. (1971) (= Coll. Mus. 1I/3); Cleopatra, hrsg. v. G. J. BUELOW (Mz 1975) (= EDM 69). - 2) Schriften: Grundlage einer Ehren-Pforte, hrsg. v. M. SCHNEIDER (B 1910, Nachdr. 1969); Grosse Generalbass-Schule, hrsg. v. W. FORTNER, 2 Bde. (Mz 1956). - Faks.-Ausg.: Grosse General-Bass-Schule 1731 (Hil 1968); Das forschende Orchestre 1721 (Rochester/N.Y. 1957, Hil 1976); Critica musica 1722-25, in einem Bd. (A 1964); Dermusicalische Patriot 1728(L-Kas 1975): Kleine General-Bass-Schule 1735 (Laaber 1980); Kern melodischer Wissenschafft 1737 (Hil 1976); Der vollkommene Capellmeister 1739 (Kas 1954, Nachdr. 1969); Die neueste Untersuchung der Singspiele 1774 (L 1975). Lit.: C. VON WINTERFELD, J. M., in: Der ev. Kirchengesang 111 (L 1847, Nachdr. Hil 1966); H. SCHMIDT, J. M., ein Förderer der dt. Tonkunst im Lichte seiner Werke (L 1897, Nachdr. Walluf 1973); F. STEGE, J. M. u. die Musikkritik des 18. Jh., in: ZfM 106 (1939); B. C. CANNON, J. M., Spectator in Musik (New Haven/Conn. 1947, Nachdr. 1968) (mit Werk-Verz.); W. BRAUN, J. M. u. die Aufklärung (Diss. HI 1952); H. BECKER, J. M.s hsl. Einzeichnungen im „Musicalischen Lexicon" J. G. Walther', in: Mf 5 (1952); F. FELDMANN, M. u. die Rhetorik, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); H. CH. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg 1676-1738, 2 Bde. (Wb 1957); H. LENNEBERG, J. M. an Affect and Rhetoric in Music, in: JMTh 2 (1958); O. WESSELY, J. J. Fux u. J. M. (Gr 1965) (= Jahresgabe der Fux -Ges. 1964); G. BUELOW, An Evaluation of J. M.'s Opera „Cleopatra" Hamburg 1704, in: Studies in 18th Century Music. FS K. Geiringer (Lo 1970); W. BRAUN, Drei dt. Arien, ein Jugendwerk Händeln?, in: AMI 42 (1970); H. FEDERHOFER. J. J. Fux u. J. M. im Urteil L. Ch. Mizlers, in: Speculum musicae artis. FS H. Husmann (Mn 1970); H. FREDERICHS. Das Verhältnis v. Text u. Musik in den Brockespassionen Keisers,
Händels, Telemanns u. M.s (Mn 1975) (= Musikwiss. Schriften 9); J. LESTER, The Fux-M. Correspondance. An Annotated Translation, in: Current Musicology 24 (1977); New M. Studies, H. J. MARX hrsg. v. H. J. MARX - G. J. BUELOW (C 1983).
MATTHUS, Siegfried, * 13. 4. 1934 Mallenuppen (Ostpreußen); dt. Komponist. Er studierte seit 1952 Dirigieren an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin, später Komposition bei R. Wagner-Régeny und war 1958-60 Meisterschüler von H. Eisler an der Deutschen Akademie der Künste. Seit 1964 wirkt M. als Dramaturg und Komponist an der Komischen Oper in Berlin. In seinen Werken verfolgt er einen dramatischen, im Ausdruck konzentrierten Stil mit leichtem, klanglich impressivem Gestus; in den Opern unternimmt er die Transformation szenischer Vorgänge in musikalische Strukturen. M., der zu den exponiertesten Komponisten der DDR zählt, sieht als Basis seiner künstlerischen Existenz die soziale Umwelt, von der seine ethischen und ästhetischen Anschauungen geprägt werden. WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Kammermusik, u. a.: Musik für Oboeninstr. u. Klv. (1968); Oktett (1970); Streichquartett (1971); Nocturno (1977) für 3 Fl., 2 Klar., Ballklar. u. Harfe. - Für Orch.: 2 Symphonien, 1: Dresdner Symphonie (1969), 2: (1975/76); Konzerte für: V. (1968); Klv. (1970); Vc. (1975); Fl. (1978); Orchesterkonzert Responso (1977). - 2) Vokal-WW: Kantaten Grigorsk 42 (1960) für Tenor, Bar., Chor u. Orch. sowie Das Manifest (1965) für Soli, Chor u. Orch.; Wie die Saiten der Gitarre (1970) für Kinder- oder Frauenchor; Oratorium Laudate pacem (1973/74) (nach Zeitdokumenten) für Soli, 2 gem. Chöre, Kinderchor, Org. u. Orch.; Hyperion-Fragmente (1979) für Baß u. Orch. - 3) Bühnen-WW: Opern: Lazarillo vom Tormes, UA als: Spanische Tugenden, Karl-Marx-Stadt 1964; Der letzte SchuB, UA: Berlin 1967; Noch einen Löffel Gift, Liebling?, UA: ebd. 1972; Omphale, UA: Weimar 1976, Neufassung Köln 1979. Ballette: Match (1969); Alptraum einer Ballerina (1973); Mario und der Zauberer (1974); Revue (1977). - Ferner zahlr. Bühnen-, Film- u. Hörspielmusik. Lit.: F. K. PRIEBERG, Musik im anderen Deutschland (Kö 1968); H. SCHAEFER, Komponisten der DDR. S. M. (B 1970); F. SCHNEIDER, Das V. -Konzert v. S. M., in: Sammelbde. z. Musikgesch. der DDR II (B 1971); H. VOGT, Neue Musik seit 1945 (St 1972); F. SCHNEIDER, Momentaufnahme. Notate zu Musik u. Musiker in der DDR (L 1979); H. DONNERT, S. M., in: ebd.: U. STURZBECHER, Komponisten in der DDR (Hil 1979). K. LANGROCK
MATTON, Roger, * 18.5. 1929 Granby (Québec); kanadischer Komponist. Er studierte am Konservatorium von Montreal bei Cl. Champagne und in Paris bei Andrée Vaurabourg-Honegger (1949-50) und N. Boulanger (1952-55). 1957 wurde er Professor am Département d'études canadiennes d'ethnomusicologie der Laval-Universität in Québec. In seinen von I. Strawinsky, A. Honegger und O. Messiaen beeinflußten und im wesentlichen polytonal gehaltenen Werken verwendet er neben Elementen kanadischer Volksmusik serielle Techniken. 249
Matutin WW: Klv.-Stücke, u.a. 3 Präludien (1946, 1948, 1950); Streichquartett Esquisse (1949). — Für Orch.: Symphonische Suite Pax (1950); Suite chorégraphique L'horoscope (1958); Mouvements symphoniques I (1960) u. II (1962); Saxophonkonzert (1948); Konzert für 2 Klv. u. Orch. (1964). — Escaouette (1957) für Soli, Chor u. Orchester. Lit.: Werkverz., in: Composers of the Americas 12 (Washington'D.C.1966) .
MATUTIN (vom lat. Matuta, der Göttin der Morgenhelle; eingedeutscht: Mette), ursprünglich aus den Laudes matutinae (/Laudes) durch Aufteilung hervorgegangene 1. /Hore im řOffizium der römisch-kath. Kirche, die z. T. in den letzten Nachtstunden (seit dem Mittelalter auch in die Abendstunden vorverlegt) gefeiert wurde. Im römischen Brevier war die M. in /Invitatorium, Hymnus und die nach liturgischem Rang zahlenmäßig wechselnden Nokturnen (bis 3) mit den dazugehörigen Psalmen, Lektionen und Responsorien aufgeteilt. An bestimmten Sonn- und Festtagen wurde das letzte Responsorium durch das Te Deum ersetzt. Das monastische Offizium wich von dieser Rubrizierung z. T. wesentlich ab. Musikgeschichtlich bedeutsam wurden die M.en der drei letzten Kartage, in deren Rahmen die /Lamentationen vorgetragen wurden (2tLesungen). — Mit der Neuordnung des Stundengebets durch das 2. Vatikanische Konzil wurde die M. vereinfacht. 1970 trat an ihre Stelle schließlich die sog. Lesehore (auch Officium lectionis genannt). MATZERATH, Paul Otto, * 26. 10. 1914 Düsseldorf, t 21. 11. 1963 Zama (Japan); dt. Dirigent. Er studierte bis 1934 am Kölner Konservatorium Violine (Br. Eldering), Klavier und Theorie. Anschließend war er 1935 Korrepetitor in Rheydt, 1936-38 Operettenkapellmeister in Krefeld und dann musikalischer Leiter der Oper in Würzburg. 1940-55 wirkte er als musikalischer Oberleiter (1946 GMD) am Badischen Staatstheater in Karlsruhe und bis 1961 als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main. Gastverpflichtungen führten ihn u. a. zu den Berliner Philharmonikern sowie nach Paris und Budapest. Nach kurzer Tätigkeit beim Türkischen Staatsorchester in Ankara (1962-63) nahm er wenige Wochen vor seinem Tod einen Ruf an das Yomiuri-Nippon Symphony Orchestra in Tokio an. MAUDUIT, Jacques, * 16. 9. 1557 Paris, t 21. B. 1627 ebd.; frz. Komponist. M. studierte Sprachen und Philosophie, unternahm Reisen, besonders nach Italien, und wurde Conseiller et sécretaire de la Royne sowie Garde du dépôt des Requêtes du Palais. Er widmete sich aber hauptsächlich der Musik und errang 1581 einen Preis heim Puy d' Évrc ux. Wenig später kam er mit A. de Baïf und der Aca250
démie de poésie et de musique in Verbindung und wurde nach dem Tod Th. de Courvilles (1581) Bas wichtigster Mitarbeiter. 1584 wurde er auch Mitglied der Académie du Palais. Durch seinen Freund P. de Ronsard lernte er M. Mersenne kennen, den er in musikalischen Fragen beriet. Zum Tode Ronsards (1585) komponierte M. ein Requiem, das Mersenne zufolge sein Ansehen als Komponist begründete. Nach dem Tode Baïfs setzte er die Veranstaltungen der Académie in seinem eigenen Hause fort. Außerdem leitete er die jährlichen Konzerte der Karwoche im Kloster Petit St-Antoine und die Feiern zu Ehren der hl. Caecilia in Notre-Dame sowie zahlreiche Hofballette unter König Heinrich IV. und König Ludwig XIII., zu dessen Rückkehr 1614 er eine selbstkomponierte Ode mit 140 Sängern, Lautenisten und Violinisten aufführte. 1617 leitete er die Aufführung des zusammen mit P. Guédron, G. Bataille und A. Boësset komponierten Balletts La délivrance de Renaud, bei dem ein Ensemble von 92 Sängern und mehr als 45 Instrumentalisten mitwirkte. WW: Chansonnettes mesurées für 4 St. (P 1586, =1588); 2 Airs für SingSt u. Laute, in: RISM 161410; 5 Psalmen, 2 frz. geistliche Gesänge u. 4 Motetten, in: M. Mersenne, Quaestiones celeberrimae in Genesim (P 1623); Fragment eines Requiem, in: dem., Harmonie Universelle (P 1636-37, Faks.-Nachdr. P 1963).
M., ein universal gebildeter Geist und wichtiger Initiator und Organisator des französischen Musiklebens, hat als Komponist die Prinzipien der /Musique mesurée à l'antique in konsequenter Weise angewandt. Trotz der neuartigen, auf Quantitätsmessung beruhenden Verbindung von Wort und Ton ist seine Musik von außerordentlicher Ausdruckskraft, rhythmischer Eleganz und klanglichharmonischer Subtilität. Hauptwerk in dieser Richtung sind die Chansonnettes mesurées auf Texte von Baïf, zugleich ein Höhepunkt in der französischen Vokalmusik des späten 16. Jahrhunderts. In seinen geistlichen Werken zeigt sich M. aber auch als Meister des Übergangs an der Wende des 16./17. Jh.; hier finden sich in ausgeprägter Form erstmals in Frankreich die charakteristischen Elemente des vielstimmig-konzertierenden Stils nach der Art A. und G. Gabrielis, u. a. die Kombination von Singstimmen und Instrumenten. Ausg.: Chansonnettes mesurées (P 1899) (= EXPERT Mainres 10, NA NY o. J.); 8 4st. Psalmen aus Mersennes Quaestiones... (P 1928) (= EXPERT Florilège 7, NA NY o. J.); 2 Motetten, in: Anthologie du motet latin polyphonique en France 1609-61, hrsg. v. D. LAUNAY (P 1963) (= Publ. de la Soc. Fr. de Mie I/17). Lit.: P.-M. MASSON, J. M. et les hymnes latins de L. Strozzi, in: RMie 9 (1925); F. A. YATES, The French Acad. of the 16th Century (Lo 1947) (darin 3 Stücke).
MAUERSBERGER. — 1) Rudolf, * 29. 1. 1889 Mauersberg (Erzgebirge), t 22. 2. 1971 Dresden;
Maultrommel dt. Dirigent, Organist und Komponist. M. besuchte 1903-09 das Lehrerseminar in Annaberg und studierte 1912-14 am Leipziger Konservatorium Orgel (K. Straube), Klavier (H. Sitt), Theorie (S. Krehl) und Dirigieren. Im 1. Weltkrieg war er Militärkapellmeister in Bad Lausick, studierte 1918-19 nochmals in Leipzig und wirkte 1919-25 als Organist und Chorleiter in Aachen. Seit 1925 war er erster Landeskirchenmusikwart von Thüringen und Kantor an St. Georg in Eisenach. Mit der Gründung eines gemischten Bachchores und eines Knabenchores in Eisenach initiierte M. eine jahrzehntelange Bach-Pflege von überregionaler Bedeutung. 1930 wurde er 25. evangelischer Kantor der Dresdner Kreuzkirche (1931 KMD, 1938 Professor). Während seiner mehr als 40 Jahre dauernden Amtszeit führte er den /Dresdner Kreuzchor zu einer nie zuvor erreichten Leistungshöhe und — durch zahlreiche Auslandsreisen — zur Weltgeltung. In der Aufführungspraxis Bachscher Werke setzte er Maßstäbe; so ließ er 1932 die Matthäus-Passion erstmals in neuerer Zeit von Knabenstimmen singen und besetzte 1950 die Arien in der Johannes-Passion und in der h-moll-Messe mit Knabensolisten. Anregend wirkte M. auch auf die moderne Schütz-Pflege, und er förderte intensiv die zeitgenössische Chormusik mit Uraufführungen von Werken u. a. von J.N. David, H. Distler, W. Fortner, E. Pepping, G. Raphael und K. Tho-
mas. Sein eigenes kompositorisches Schaffen ist aufs engste mit seiner Dresdner Tätigkeit verbunden. M. wurde mit Festschriften zum 70, 75. und 80. Geburtstag geehrt: Kirchenmusik heute (hrsg. v. H. Böhm, B 1959), Begegnungen mit R. M. (hrsg. v. E. H. Hofmann und I. Zimmermann, B 1963, Neubearbeitung 6 1977) und Credo musicale. Komponistenporträts aus der Arbeit des Dresdener Kreuzchores (hrsg. v. U. von Brück, Kas 1969).
WW:
Im Druck erschienen: Choralhearb. für Chor u. Instr. (Eisenach 1926-29); Wie liegt die Stadt so wüst (1945). Trauerhymnus fur gem. Chor a cap. (B 1948); Der kleine Jahrkreis für gem. Chor a cap. (Dresden 1951); Weihnachtszyklus für gem. Chor u. Klv. (ebd.); Passionsmusik nach Lukas (1947) für 2 gem. Chore (B 1980). — Hsl. sind erhalten: Kammer- u. Orgelmusik (1912-18); Symphonie e-moll (1914-16) für Orch. u. Frauenchor; Zyklus Tag und Ewigkeit (1942) für Chor a cap.; Dresdner Te Deum (1944-45, 1963) für Soli, Knabenchor, gem. Chor u. Orch.; Zyklus Dresden (1945-50) für Soli u. Chor; Erzgehirgszyklus ( 1948. 1961) für Soli, 3 Chöre. Blech- u. Schlaginstr. u. Org.; Ev. Messe (1954) für 2 Chöre u. Org.; Motetten.
2) Erhard, Bruder von 1), * 29. 12. 1903 Mauersberg, t 11. 12. 1982 Leipzig; dt. Dirigent. Er war Mitglied des Leipziger Thomanerchores und studierte dann am Konservatorium Orgel (K. Straube) u. Klavier. 1925 wurde er Chorleiter u. Organist in Aachen, 1928 in Mainz. 1930-61 war er Nachfolger seines Bruders in Eisenach (Kantor
an St. Georg und Leiter des Bachchores). 1950 gründete er die Thüringer Kirchenmusikschule. 1932-60 war er auch Lehrer an der Musikhochschule in Weimar (1946 Professor). 1961-72 wirkte M. als Thomaskantor in Leipzig und brachte den Chor nach einer durch den Weggang von K. Thomas verursachten kurzen Krisenzeit wieder zu neuem Ansehen im In- und Ausland. Lit.: W. BLANKENBURG. Die Brüder M., in: MuK 39 (1969). — Zu 1): E. H. HOFMANN, Capella sanctae crucis (B 1956); DIES., Der Dresdner Kreuzchor (L 1962); I. ZIMMERMANN, R. M. (B 1969); W. LOTTERMOSER, Zum Klang des Dresdner Kreuzchores, in: MuK 39 (1969); E. H. HOFMANN, Die Kreuzkapelle in Mauersberg u. ihr Stifter (B 1976); M. HERRMANN, R. M. Werkverz. (Dresden 1976, 2 1978) (= Stud. u. Materialien z. Musikgesch. Dresdens 3); DERS., R. M. u. die zeitgen. Kirchenmusik, in: Standpunkt 7 (B 1979); H. JOHN, Der Dresdner Kreuzchor u. seine Kantoren (B 1981). — Zu 2): T. BICKELHAUPT, Bilanzeines Jahrzehnts. Versuch eines Porträts v. E. M., in: Ev. Pfarrerblatt der DDR (B 1972); F. LIST, Der Thomanerchor zu Leipzig (L 1975). B. A. KOHL
MAUGARS, André, * um 1580, i um 1645; frz. Violinist. Er war 1620-24 Hofmusiker König Jakobs I. in London, später Musiker Kardinal Richelieus, Sekretär und englischer Dolmetscher des Königs und seit 1630 Prior von St-Pierre-Eynac. M. genoß (nach dem Zeugnis von M. Mersenne, Harmonie Universelle, 1636-37, und J. Rousseau, Traité de la viole, 1687) als Violenspieler einen ausgezeichneten Ruf. Er bereiste Spanien und hielt sich, bei Richelieu in Ungnade gefallen, 1635-39 in Italien auf. Sein einzig erhaltenes Werk ist die in Rom entstandene Schrift Response faite à un curieux sur le sentiment de la musique d'Italie (P 1639). Sie enthält interessante und originelle Ein-
zelheiten über das römische Musikleben und ist das erste literarische Zeugnis von Rang für die nun bis ins 18. Jh. immer intensiver werdende Auseinandersetzung der Franzosen mit der zeitgenössischen italienischen Musik. Lit.: E. THOINAN. M., célèbre joueur de viole (mit Neuausg. der „Response") (P 1865, Faks.-Ausg. Lo 1965).
MAULTROMMEL, Brummeisen (engl.: jew's harp, trump; frz.: guimbarde, trompe; it.: scacciapensieri: lat.: crembalum; span.: birimbao, guimbarda), Bz. für ein Zupfidiophon (nach neueren
Forschungen ein freies Aerophon), das aus einem vierkantigen, hufeisenförmig zusammengebogenen Stahlrahmen besteht, der beidseitig verlängert wird, so daß zwischen diesen verlängerten Enden eine im Scheitel des Rahmens festgelötete Metallzunge Platz hat. Das Ende dieser Zunge ist rechtwinklig hochgebogen und mit einem kleinen, umgebogenen Häkchen versehen, das der Spieler zum Anzupfen benutzt. Diese sog. Bügel -M. ist zwar heute am weitesten verbreitet, doch gibt es in außereuropä251
Maultrommel Welches Interesse die M. hervorrief, läßt sich daran erkennen, daß es im 19. Jh. berühmte Virtuosen gab, so Carl Eulenstein (1802-1890) und Franz P. Koch (1761-1831). Aber bereits J.G. Albrechtsberger hatte mehrere Konzerte (mindestens 4) für M., Mandoline und Streicher geschrieben, in denen mehrere M.n abwechselnd gespielt werden mußten, damit beim Wechsel der Tonart die Töne der entsprechenden Teiltonreihe erklingen konnten. In vielen Gebieten Europas wurde die M. im Laufe des 19. Jh. durch die řMundharmonika verdrängt und hielt sich nur in wenigen Regionen. In jüngster Zeit nahm jedoch das Interesse an diesem Instrument in ganz Europa wieder zu. ischen Ländern auch M.n aus Bambus oder einem anderen Holz, deren Zunge direkt aus dem Holz geschnitten ist. Da diese sich nicht aufbiegen läßt, befindet sich am Ende der Zunge eine Schnur, die der Spieler zieht, um die Zunge schwingen zulassen. Die M. wird beim Spielen gegen die Zähne im leicht geöffneten Mund gedrückt, der Spieler hält das Instrument mit der linken Hand so gegen die Zähne, daß die Stahlzunge beim Anzupfen mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die Mundhöhle schwingt, die als Resonator dient. Das Instrument hat nur einen Grundton, der durch die Länge und Dicke der Stahlzunge bestimmt ist. Die M. gehört zu den Borduninstrumenten, da über einem ständig mitklingenden Grundton (dem 4. Teilton) nur die Töne aus der entsprechenden Teiltonreihe gespielt werden können. Die Bildung der einzelnen Töne wird durch die Veränderung der Resonanzhöhle erreicht, indem der Spieler die Stellung seiner Zunge oder seiner Wangen verändert. Zusätzlich benutzt er das Ein- und Ausatmen zur Artikulation der erklingenden Töne. Die M. ist ein weitverbreitetes Instrument, sie findet sich in Ozeanien, Indien, China, Sibirien, Europa und Afrika ebenso wie in Nord- und Südamerika. Herkunft und Alter sind nicht festzulegen, sie war jedoch in einigen außereuropäischen Gebieten schon sehr früh ein wichtiges Tauschobjekt. In Europa wurden in Slawen- und Wikingersiedlungen um die Ostsee herum M.n gefunden, die um die Jahrtausendwende datiert werden, aber eindeutig läßt sich das Instrument erstmals für die 2. Hälfte des 12. Jh. nachweisen (Schweizer Funde). In außereuropäischen Ländern war die M. häufig ein Schamaneninstrument oder hatte andere kultische Bedeutung. In Europa gehörte sie, soweit bekannt, zur Volksmusik. Erst im frühen 19. Jh. sollte das Instrument leistungsfähiger werden. J. H. Scheibler verband 1816 5 M.n zu einem von ihm „Aura" genannten Instrument, und der Leipziger Orgelbauer Kemper faßte sogar 10 M.n zusammen. 252
Lit.: C. SACHS, Die M., in: Zschr. für Ethnologie 49 (1917); E. EMSHEIMER, Uber das Vorkommen u. die Anwendungsart der M.n in Sibirien u. Zentralasien, in: Ethnos 6 (1941), wiederabgedruckt in: Studia ethnomusicologica eurasiatica (Sto 1964) (= Musikhistoriska museets skrifter 1); F. ERNST, Ein fast vergessenes Volksinstr. Das Brummeisen oder die M., in: NZfM 131(1970); O. K. LEDANG, On the Acoustics and the Systematic Classification of the Jew's Harp, in: Yearbook of the Int. Folk Music Council 4 (1972); J. WRIGHT, Another Look into the Organology of the Jew's Harp, in: The Brussels Museum of Musical Instr.s Bull. 11/ 1-2 (Bru 1972); W. MEYER - H. DESCH, Maultrommelfunde in der Schweiz, in: FS A. Georing (St 1972); B. GEISER, M. in der Schweiz, in: Bull. d'information du Conseil Suisse de la Musique (1975); W. MEYER, Von M.n, Flöten u. Knochenschwirren. Ein Beitr. der MA-Archäologie z. Gesch. volkstümlicher Musikinstr. in der Schweiz, in: Studia instrumentorum musicae popularis 5 (Sto 1977) (= Musikhistoriska muscets skrifter 7); G. DOURNON-TAURELLE - J. WRIGHT, Les guimbardes du Musče de l'Homme (P 1978). M. BROCKER
MAURER UND SCHLOSSER (Le maçon), Opéra-comique in 3 Akten von Daniel François Esprit Auber (1782-1871), Text von Eugène Scribe (1791-1861) und Germain Delavigne (1790-1868). Ort und Zeit der Handlung: Paris, 1788. UA: 3. 5. 1825 in Paris (Opéra-Comique); dt. EA (in dt. Sprache): 19.3.1826 in Berlin (Hofoper). Der junge Offizier Léon de Merinville wurde bei dem Versuch, ein Mädchen aus dem Harem des türkischen Gesandten in Paris zu entführen, entdeckt und soll nun zusammen mit der Geliebten in einer Grotte eingemauert werden, um dort zu sterben. Zwei Handwerker, der Schlosser Baptist und der Maurer Roger, werden herbeigeholt, um die Fesseln zu schmieden und das Verlies zu vermauern; nach Durchführung dieses Auftrages können beide die französischen Behörden informieren und so die Gefangenen retten. Die Geschichte wurde von François de Coigneux de Bachaumont in einer englischen Zeitschrift entdeckt und zu jener französischen Erzählung umgeformt, welche den Librettisten als Vorlage diente. Auber schuf mit dieser Oper ein Werk, das überaus erfolgreich und richtungweisend für die Gattung der Opéra-comique
Maxwell Davies werden sollte. Der Einfluß der Musik G. Rossinis ist im Vergleich zu früheren Bühnenkompositionen zugunsten eines musikalischen Konversationstones abgeschwächt, welcher den Schritt zur französischen Ausprägung der komischen Oper deutlich hervorhebt. Maurer und Schlosser zeichnet sich durch melodischen Einfallsreichtum aus; von dem in Deutschland besonders beliebten Werk (bereits 1826 in den Spielplänen von 6 deutschen Opernhäusern) wurde vor allem die Ouvertüre berühmt. R. QUANDT
MAU$ILI, al-M. — 1) Ibriihim ibn Mähän ibn Bahman, * 742 al-Kilfa (Irak), t 804 Bagdad; arabischer Musiker. Er stammte aus einer persischen Adelsfamilie, die sich in al-Kúfa niedergelassen hatte und später nach al-Mau$il (Mossul) übersiedelte. M., gleichermaßen in der persischen wie in der arabischen Musik bewandert, studierte an mehreren Orten, darunter in Bagdad, wo er zum berühmtesten Musiker seiner Zeit wurde; der Kalif Hárün-al-Rashid verlieh ihm den höchsten Hofrang. M. war Anhänger der traditionellen Musik. Mit seinem Rivalen Ibn Čámi`, der die modernistische Strömung vertrat, stellte er den Fundus für das Kitäb al-Agáni al-kabir (Großes Buch der Lieder) zusammen. — 2) Ishaq ibn Ibráhim ibn Miihän, Sohn von 1), * 767 Raiy oder Arragán (Persien), t März 850 Bagdad; arabischer Dichter, Hofsänger, Instrumentalist und Musiktheoretiker. M., eine bedeutende Persönlichkeit seiner Zeit, studierte bei seinem Vater und bei seinem Onkel, dem Lautenspieler Zalzal. Nach dem Tode seines Vaters erhielt er dessen Posten am Hof des Kalifen. Als Vertreter der traditionellen Richtung kämpfte er gegen modernistische Strömungen und deren Hauptvertreter Ibráhim ibn al-Mahdi. M., der etwa 20 musiktheoretische Abhandlungen schrieb, gab das von seinem Vater vorbereitete Kitäb al-Agáni al-kabir heraus, das mehr eine Kulturgeschichte als eine Liedersammlung bildet. Lit.: H. G. FARMER, A Hist. of Arabian Music to the 13th Century (Lo 1929, Nachdr. Lo 1967); DERS., The Sources of Arabian Music (Bearsden 1949, revidiert Leiden 1965); E. NEUSAUER, Musiker am Hofe der frühen 'Abbíisiden (Diss. F 1965) (mit Lit. u. Quellen-Verz.).
MAVRA, Buffo-Oper in einem Akt von Igor Strawinsky (1882-1971), Text von Boris Kochno nach Alexander Puschkins Poem Das Häuschen in Kolomna (1833). UA (in frz. Sprache): 3. 6. 1922 in Paris (Opéra); dt. EA (in dt. Sprache): 7. 11. 1925 in Kiel; EA in der Originalsprache: Frühjahr 1928 in Leningrad (Konservatorium). Innerhalb seiner kurzen Versdichtung schildert Puschkin, wie Mavra, eine neu eingestellte Köchin, von ihrer Herrin beim Rasieren ertappt wird und
entflieht; daß Parascha, die Tochter des Hauses, diesen „Eindringling" wohl absichtsvoll zu sich geholt haben muß, deutet er nur an. In der Oper hingegen wird die buffoneske Intrige der Liebenden ausführlich dargestellt. Durch die musikalische Komposition erscheint dabei nicht nur das kleinbürgerliche Milieu, in dem die Handlung spielt, ironisch gebrochen, sondern hier ist zugleich ein weiteres Gegenmodell zur konventionellen emotionsbeladenen „Musikdramatik" entworfen: Traditionselemente der slawischen Folklore, der Zigeunermusik und italienischen Opera buffa werden aufgenommen und verarbeitet; die primär rhythmisch geprägte Begleitung des kleinen, von Blasinstrumenten dominierten Orchesters verschmilzt nicht mit den melodisch frei fließenden Singstimmen; und oftmals durchbrechen unorthodoxe Fortschreitungen erwartbare Satzstrukturen. Am Ende seiner „russischen Periode" stehend, zeugt dieses Werk — es ist bezeichnenderweise dem Andenken A. Puschkins, M. Glinkas und P. Tschaikowskys gewidmet — von Strawinskys Intention, Komponenten ost- und westeuropäischer Kultur aus dem Geist der Moderne erneut zur Synthese zu bringen. E. FISCHER MAXIMA (lat., statt Nota maxima = größte Note), auch Duplex longa genannt, der längste Notenwert in der Mensuralnotation des 13.-16. Jh. (9 ; seit etwa 1430 9). Sie gilt 2 Longae (2'Longa); dementsprechend besteht die M.-Pause aus a) 2 Longaperfecta- oder b) 2 Longa-imperfecta-Pausen: a)
b)
Die M. kommt nur selten vor, in der Frühzeit fast nur in Motetten-Tenores, später — in dieser Funktion gleichbedeutend mit der Longa, aber durch die
breitere Form optisch auffallender — als Schlußnote. MAXIXE, ein am Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. in Brasilien sehr beliebter Tanz. Musikalisch ist er eine Verbindung der aus Europa stammenden Polka mit dem einheimischen Lundu. Wie die Samba, die Nachfolgerin des M., steht er im 2/ 4Takt und hat einen stark synkopierten Rhythmus. MAXWELL DAVIES, Peter, * 8. 9. 1934 Manchester; engl. Komponist. Er studierte am College of Music u. an der Universität in Manchester, 1957 bei G. Petrassi in Rom und 1962-64 an der Graduate Music School der Princeton University (N. J.). An der Grammar School in Cirencester, vor der UNESCO-Konferenz für Musikerziehung und als Vortragsreisender in Kontinentaleuropa sowie in Australien, wo er 1966 eine Gastprofessur an der
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May
Universität von Adelaide innehatte, entwickelte er eine eigene Theorie der Jugend-, Theater- und Kirchenmusikreform. Seit 1970 wirkt er als Leiter des Kammerensembles für zeitgenössische Musik und neue Formen des Musiktheaters „The Fires of London"; seitdem lebt er zeitweise auf den Orkney-Inseln. M. D. sucht in seinem Schaffen altenglische und neuzeitliche (nachstrawinskysche) Form- und Satzstrukturen zu vereinen.
Texten von B. Brecht, Kurt Tucholsky und Erich Kästner) an die Öffentlichkeit. Zahlreiche Gastspielreisen führten sie u. a. in die Bundesrepublik (zuletzt 1980), in die Schweiz, nach Frankreich, Italien, Schweden und in die USA (1972). 1973 erhielt sie einen Lehrauftrag für Chansoninterpretation an der Hochschule für Musik in Ost-Berlin. G. M. wirkte als Sängerin auch in zahlreichen Fernsehsendungen mit.
WW: 1) Instr.-WW: Hymnos (1967) für Klar. u. KIv.; Steman Doubles (1968) für Klar. u. Schlagzeug; Bell Tower (1971) für Schlagzeug; Stevie's Ferry to Hoy (1975) für Klv.; Seven In Nomine (1963-65) u. Steman Caters (1968) für Instr.; Shakespeare Music (1964) für Kammerensemble; Psalm 124 (1974) u. Ave, Maris Stella (1975) (in Memoriam H. Juda) für Instrumentalensemble. - Für Orch.: Second Fantasia on John Taverner's In Nomine (1964); St. Thomas Wake, Foxtrott for Orch. on a Pavan by J. Bull (1969); Worldes Bliss (1969). - 2) Volta'-WW: The Shepherd's Calendar (1965) für junge Sänger u. Instrumentalisten; Five Carols (1966) für Sopran- u. Altst.; Missa super l'homme armé (1968, revidiert 1971) für Sprecher(in) oder Sänger(in) u. Kammerensemble; Eight Songs for a Mad King (1969) für Sänger u. Kammerensemble; From Stone to Thorn (1971) für Mezzosopran u. Instrumentalensemble; Hymn to Saint Magnus (1972) für Sopran u. Kammerensemble; Tenebrae super Gesualdo (1972) für Mezzosopran, Gitarre u. Kammerensemble; Stone Litany, Runes from a House of the Dead (1973) für Mezzosopran u. Orch.; Fiddles at the Wedding (1973/74) für Mezzosopran u. Kammerensemble; Liederzyklus für Sopran u. Kammerensemble (1976). - 3) Buhnen-WW: Vesalii Icons (1969) für Tänzer, Vc. solo u. Ensemble. - Oper Taverner, UA: London 1972; Masque Blind Man's Buff (nach G. Büchners Leonce und Lena), UA: ebd. 1972; Martyrdom of Saint Magnus (1978), Einakter für S Sänger u. 7 Instrumentalisten.
Lit.: D. KRANZ, G. M. Schauspielerin u. Diseuse (B 1973).
Lit.: Zahlr. Werkanalysen, in: Tempo (Lo 1964-78) Nrn. 69-126. H. LINDLAR
MAY, Angelica, * 17.9. 1938 Reutlingen; dt. Violoncellistin. Sie studierte bis 1954 an der Musikhochschule in Stuttgart bei L. Hoelscher, in Trossingen bei Rudolf von Tobel und in München bei Walter Reichardt sowie bei P. Casals in Zermatt und in Prades. 1957 begann sie ihre Solistenlaufbahn als Siegerin im Bundeswettbewerb der deutschen Musikhochschulen. Seither konzertiert A. M. in Europa, Japan und den USA. 1975 wurde sie Professor für Violoncello am R. Schumann-Institut Düsseldorf der Musikhochschule Rheinland. Zusammen mit Kurt Guntner, Violine, und L. Hokanson, Klavier, bildet sie das Odeon-Trio. MAY, Gisela, * 31. 5. 1924 Wetzlar; dt. Schauspielerin und Chansonsängerin. Nach ihrer Schauspielausbildung in Leipzig (1940-42) hatte sie als Schauspielerin und Soubrette u. a. Engagements in Dresden, Danzig (1943-44), Leipzig (wo sie 1945 das Kabarett „Die Rampe" gründete), am Landestheater Halle (1945) und am Deutschen Theater in Berlin (1951-61). Seit 1962 ist sie Mitglied des Berliner Ensembles und seit 1957 tritt sie in erster Linie als Interpretin politischer Chansons (nach 254
MAY, Hans (eig. Johann Mayer), * 11. 7. 1886 Wien, t 31. 12. 1958 London; engl. Komponist östr. Abstammung. Er studierte an der Wiener Musikakademie und war danach als Opern- und
Operettenkapellmeister tätig. Neben zahlreichen Schlagern (Veronika, der Lenz ist da, 1928; Ein Lied geht um die Welt, aus dem gleichnamigen Tonfilm, 1933) schrieb er hauptsächlich Filmmusik, zunächst Begleitmusik für Stummfilme (Ein Sommernachtstraum, 1925; Der Bettler vom Kölner Dom, 1927), danach für den Tonfilm. 1933 emigrierte er nach Großbritannien. WW: Operette Wedding in Paris. - Filmmusik, u.a. zu: Das gestohlene Gesicht (1930); Wien, du Stadt der Lieder (1930); Hai Tang (1930); Ein Lied geht um die Welt (1933); Waltz Time (1945); Shadow of the Eagle (Graf Orloffs gefährliche Liebe) (1950); The Gipsy and the Gentleman (Dämon Weib) (1957). Ferner cahlr. Schlager.
MAYR, Johann(es) Simon (Giovanni Simone), * 14. 6. 1763 Mendorf bei Kelheim (Niederbayern), t 2. 12. 1845 Bergamo; it. Komponist dt. Herkunft. Nach Studien am Jesuitenkolleg in Ingolstadt reiste er 1787 zusammen mit seinem Gönner, dem Feldherrn Thomas de Bassus auf dessen Besitz in Cantone (Schweiz) und dann nach Italien und arbeitete nacheinander in Bergamo bei Carlo Lenzi und in Venedig bei F. Bertoni. Zu dieser Zeit schrieb er Kirchenmusik und Oratorien, die erfolgreich in Venedig und Wien aufgeführt wurden. Von N. Piccinni ermutigt, ließ er 1794 seine erste Oper, Saffo, am Teatro La Fenice in Venedig aufführen, 1802 wurde er Kapellmeister an S. Maria Maggiore in Bergamo und behielt dieses Amt bis zu seinem Tode, hochangesehen auch als Lehrer — G. Donizetti war sein Schüler — und durch seine karitative Tätigkeit. M.s Opernschaffen erstreckt sich bis 1827; danach widmete sich M. fast ausschließlich der Kirchenmusik. Er war einer der letzten Opernkomponisten in der neapolitanischen Tradition. Seine Werke bekunden Einflüsse von der Mannheimer Schule sowie von W. A. Mozart, Chr. W. Gluck und der französischen Opéra-comique. In manchen kompositorischen Einzelheiten (obligate Führung der Bläser u. a. Instrumentationseffekte, Orchestercrescendo) kann er als ein Vorläufer
Mnyuzumi G. Rossinis gelten, dessen Ruhm M.s Schaffen zunehmend überschattet und letztlich überdauert hat. WW: Etwa 70 Opere aerie u. Opere buffe (hsl. erhalten), u. a.: Saffo, UA: Venedig 1794; Telemaco nell'isola di Calipso, UA: ebd. 1797; Adrian in Siria, UA: ebd. 1798; Adelaide di Guesdino (nach Voltaire), UA: ebd. 1799; Ginevra di Scozia, UA: Triest 1801; Alonso e Cora, UA: Mailand 1803; Elisa, UA: Venedig 1804; L'amor coniugale (nach J. N. Bouillys Léonore...), UA: Padua 1805; Adelasia e Aleramo, UA: Mailand 1806; Medea in Corinto, UA: Neapel 1813; Azione sacra Ifigenia in Tauride (Libr.: A. Zeno), UA: Florenz 1817. — Mehrere Oratorien u. Azioni sacre. — Zahlr. Solokantaten u.a. weltliche Vokal-Werke. — Mehr als 500 kirchenmusikal. Werke (Messen, Motetten, Psalmen u.a.). — Schriften: Brevi notizie istoriche della vita e delle opere di G. Haydn (Bergamo 1809); Cenni biografici di A. Capuzi (ebd. 1819). Lit.: H. KRETZsCHMAR, Die musikgeschichtl. Bedeutung S. M.s, in: Jb. Peters 11 (1904); L. SCHIEDERMAIR, S. M., 2 Bde. (L 1907-10) (= Beitr. z. Gesch. der Oper um die Wende des 18. u. 19.3h., 1 u. 2); A. MELI, G. S. M. sulla linea musicale Baviera. — Bergamo (Bergamo 1963); F. LIPPMANN, V. Bellini u. die it. Opera seria seiner Zeit (Kö 1969) (= Anal. Mus. 6); J. FREEMAN, J. S. M. and His „Ifigenia in Aulide", in: MQ 57 (1971); H. BAUER, S. M. 1763-1845 (Mn 1974) (= Bavaria antiqua 4).
MAYR, Richard, * 18. 11. 1877 Henndorf bei Salzburg, t 1. 12. 1935 Wien; östr. Sänger (BaB). Er studierte zunächst Medizin, später gleichzeitig auch Gesang am Wiener Konservatorium. G. Mah1er engagierte ihn 1902 an die Wiener Hofoper (die spätere Staatsoper), der er bis zu seinem allzufrühen Tod als eines der bei Publikum und Presse ungemein beliebten Mitglieder angehörte. In der Wiener Uraufführung der Frau ohne Schatten (1919) von R. Strauss kreierte er die Partie des Barak. Gastspiele führten ihn an die großen internationalen Opernbühnen. 1902 trat er bei den Bayreuther Festspielen als Hagen und Gurnemanz, seit 1922 regelmäßig bei den Salzburger Festspielen auf. Seine Glanzrolle war der Ochs im Rosenkavalier von R. Strauss. MAYR, Rupert Ignaz, * 1646 Schärding, t 7. 2. 1712 Freising; dt. Komponist. Er wurde um 1670 Violinist am fürstbischöflichen Hofe in Freising, ging 1678 nach Eichstätt, wirkte zeitweilig auch in Regensburg, ging 1683 nach Passau und noch im selben Jahr nach München. Von Kurfürst Max Emanuel wurde er nach Paris geschickt, um dort die französische Musik zu studieren. 1685 wurde er in München zum „Primus violinista" ernannt und kehrte 1706 nach Freising zurück, wo er die Leitung der Hofkapelle übernahm. M. gehört zu den süddeutschen Komponisten, deren Rolle bei der Ausbildung einer neuen Tonsprache in der Zeit zwischen 1680 und 1720 durch Vereinigung italienischer, französischer und deutscher Stiltendenzen bisher noch nicht hinreichend gewürdigt ist. WW: Arion sacersive Concertationes musicae ... für 5 Instr. (Rb 1678); Sacri concentus für Solost. u. Instr. (Rb 1681); Pytlsagoriscbe Schmids-Füncklein ... (7 Suiten) für 4 Instr. u. B.c. (A 1692);
Gazophylacium musico-sacrum (25 Offertorien) für 4-5 St., Instr. u. B.c. (Au 1702); Psalmodia brevis ad vesperas für 4 St. mit Inatr. u. B.c. mit Ripienochor (Au 1706); 24 Gesänge im Sammeldruck Theatrum affectuum humanorum (Mn 1717). Ausg.: Ausgew. Kirchenmusik, hrsg. v. K. G FELLERER (Brau 1936) (= DTB 37). Lit.: B. ULRICH, Die „Pythagorischen Schmids-Füncklein", in: SIMG 9 (1907/08); K. G. FELLERER, R.1.M. ... u. seine Kirchenmusik, in: AfMf 1 (1936).
MAYRHOFER, Johann, * 3. 11. 1787 Steyr (Oberösterreich), t 5.2. 1836 Wien; östr. Dichter. Nach einem Theologiestudium studierte er Jura in Wien und lernte hier 1814 Fr. Schubert kennen, mit dem er 1818-20 zusammenwohnte. M. ist neben J. W. von Goethe und W. Müller der von Schubert am meisten vertonte Autor; von ihm stammen u. a. 47 Gedichte, darunter Lied eines Schiffers an die Dioskuren, Fahrt zum Hades, Nachtstück und Erlafsee sowie das Singspiel Die Freunde von Salamanca. M. schrieb auch Erinnerungen an Fr. Schubert (in: Arch. für Gesch., Staatenkunde, Lit. u. Kunst 1, 1829). Lit.: E. VON KOMORZYNSKI, Schuberts Freund u. Textdichter J. M., in: SMZ 21 (1909); F. LISZT, J. M., ein Freund u. Textdichter F. Schuberts (Diss. Mn 1921); M. BAUER, J. M., in: ZfMw 5 (1922/23); Schubert, Erinnerungen seiner Freunde, hrsg. v. 0. E. DEUTSCH (L 1957, 21966).
MAYSEDER, Joseph, * 26. 10. 1789 Wien, t 21. 11. 1863 ebd.; östr. Violinist. Er erhielt seine Ausbildung seit 1798 bei A. Wranitzky und bei I. Schuppanzigh in Wien, der ihn als 2. Violinisten in sein Streichquartett aufnahm. 1802 begann M. in Wien noch ein Kompositionsstudium bei E. A. Förster, kam 1810 als Konzert- und Solospieler an das Hoftheater, 1816 an die Hofmusikkapelle in Wien, wurde 1820 Konzertmeister der Hofoper, 1835 Kammervirtuose und 1836 Musikdirektor der Hofkapelle. M. war 1810-30 der prominenteste Geiger und Violinkomponist in Wien und fand auch die Anerkennung N. Paganinis. Seine virtuos angelegten Kompositionen, u. a. 4 Klaviertrios, 8 Streichquartette, 5 Streichquintette und 3 Violinkonzerte, wurden zu ihrer Zeit viel beachtet. Lit.: E. HEILSBERG, J. M., 2 Bde. (W 1955).
MAYUZUMI, Toshirö, * 20.2.1929 Yokohama; japanischer Komponist. Er studierte 1945-51 an der Musikakademie in Tokio und 1951-52 am Pariser Conservatoire, wo er Schüler von T. Aubin wurde. M., der die Gruppe „Ars Nova Japonica" gründete und beim Studio für elektronische Musik am japanischen Rundfunk NHK arbeitet, zählt zu den führenden Komponisten Japans. WW: 1) Instr.-WW: V.-Sonate (1946); Bunraku (1960) für Vc.solo; Divertimento für 10 Instr. (1948); Tonepleromas (1955) für Bläserensemble, 6 Schlagzeuger u. Singende Säge; Microcosmos (1957) für 7 Spieler; Metamusic (1964) für V., Saxophon,
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Mazur Klv. u. einen Dirigenten. - Für Orch.: Symphonic Mode (1950); Bachanale (1954); Phonologie symphonique (1957); MandalaSymphony (1960); symphonische Dichtung Samsara (Ewige Wiedergeburt) (1962); Texture (1962) u. Fireworks (1963) für symphonisches Blasorch.; Essay (1963) für Streichorch.; Ongaku no tanjó (Die Geburt der Musik) (1964); Incantation (1967); Ectoplasme (1956) für Clavioline, Gitarre, 5 Schlagzeuger u. Streichorch.; Music with Sculpture (1961) für Stahlmobile u. symphonisches Blasorch.; Concertino für Xylophon u. Orch. (1965); Konzert für Schlagzeug u. symphonisches Blasorch. (1969); Shówa-Tempyó raku (1970) für Gagaku-Orch. - 2) Elektronische Musik: XYZ (1953); Boxing (1954); Ballett L'Ěve future (Musique concrète) (1955); Music for Sine Waves (1955); Music for Modulated Waves (1955); Invention for Square Waves and Sawtooth Waves (1955); Variations on the Numerical Principle of 7 (1956) (zus. mit M. Moroi); Aoi-no-ue (1957); Campanology (Musique concrète) (1959); 3 Hymnen (1964). - 3) Vokal-WW: Sphenograms (1951) Für Alt, Fl., Altsaxophon, Marimba, V., Vc. u. Klv. zu 4 Händen; Oratorium U-so-ri (1959); buddhistische Kantate Pratidesana (1963) für Tenor, Bar., Baß, 6st. Männerchor, 3 Hörner, Pk., 4 Schlagzeuger u. 2 Klv.; Ritual Overture (1964) für Frauenchor unisono u. symphonisches Blas-Orch.; Nihon Sanka (Hymne auf Japan) (1972) für gem. Chor u. Orch. 4) Bühnen-WW: Oper Kinkakuyi (Der goldene Schrein), UA: Berlin 1976; Ballett Bugaku, UA: New York 1963.
MAZUR, Mazurek, Mazurka, ein polnischer Tanz aus Masowien in raschem 3 /4 -Takt (MM = 160 bis 180). Charakteristisch sind Akzente auf den schwachen Taktteilen (2. od. 3. Viertel), sogar in den Kadenzen, zahlreiche Triolen, punktierter Rhythmus und große Melodiesprünge. Die Begleitung besteht stets aus einem Bordun mit einer Folge leerer Quinten. Der M. existierte schon im 16. Jh. als Volkstanz, fand aber erst nach 1600 Eingang in das Tanzrepertoire des Adels und des Bürgertums sowie in stilisierter Form in die Kunstmusik. Die Bezeichnung M. taucht erst im 18. Jh. auf.
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Beispiel aus J. Chorosiňski, Melodie taneczne Powiš/a (Tanzmelodien des Weichselgebietes), Krakau 1953, Nr. 114
Das Volk tanzte den M. schwungvoll und gab ihm verschiedene Bezeichnungen, die alle etymologisch mit den Bewegungen der tanzenden Paare zusammenhängen, so Obracany, Obertas, Oberek (von poln. obrót = das Herumdrehen) oder Drobny ( = der kleine Tanz). — Der Oberek ist die schnellere Variante des M., im 3/8 -Takt (MM 1' = 180-240) mit figurativer Melodik und großen Sprüngen (bis zur None). Er wird mit sehr schnellen Drehungen getanzt: s•
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Der Kujawiak, auch Okraly (= rund) genannt, ist eine langsame Variante des M. (MM j = 120-130); er hat lyrischen Charakter und erlaubt ein Tempo rubato. Die Melodik, oft in Moll, ver-
läuft meist stufenweise und zeigt symmetrische Gliederung: ERN 11.rMI 10 _
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Beispiel aus O. Kolberg, Lud,...(Das Volk, ...), Serie VI: Krakowskie Teil 2, Nr. 131
M., Oberek und Kujawiak bildeten einen Zyklus, zu dem noch der Chodzony (= geschrittener Tanz), eine volkstümliche Variante der Polonaise, gehört. Rasch verbreiteten sich diese Tänze auch im Ausland: seit 1809 wurde der M. in Paris, später in Florenz und St. Petersburg auf allen Bällen gespielt. Rudimentär finden sich M. -Rhythmen schon im 17. Jh. in den Kanzonen des polnischen Komponisten Marcin Mielczewski, stilisiert seit dem 18. Jh. in Messen, Kirchen- und Opernsinfonien, in Opern und Balletten. Es war F. Chopin, der dann diese Tänze weltbekannt machte: Seine M.s umfassen die 3 genannten Formen Mazurka, Kujawiak und Oberek. Mazurkas schrieben ferner u. a. Maria Szymanowska, H. Wieniawski, Aleksander Zarzycki, Roman Statkowski, K. Szymanowski, Artur Malawski und vor allem St. Moniuszko in seinen Opern, außerhalb Polens M. Glinka, M. Mussorgski und P. Tschaikowsky. Weniger verbreitet waren Kujawiak und Oberek (Chopin, Finale des Klv.Konzerts f-moll, op. 21). Lit.: F. STARCZEWSKI, Die poln. Tänze, in: SIMG 2 (1900/01); T. NORLIND, Zur Gesch. der poln. Tänze, in: ebd. 12 (1910/11); Z. STESZEWSKA - J. STF,SZEWSKI, Zur Genese u. Chrono-
logie des Mazurkarhythmus in Polen, in: Kgr.-Ber. Warschau 1960; A. PI[.IPCZUK, Der poln. Tanz Mazurek (Diss. Kö 1969); Klavierpolonaise u. -mazurka im 19. Jh., in: Gattungen der Musik. Gedenkschrift L. Schrade I (Be 1973); A. SWARTZ, The Polish Folk Mazurka (Budapest 1975) (= Studia musicologica 17). Z. LISSA Z. LISSA,
MAZZAFERRATA, Giovanni Battista, * Pavia, t 26. 2. 1691 Ferrara; it. Komponist. Er studierte bei T. Merula und war nacheinander Domkapellmeister in Vercelli und Lehrer am Seminar der Stadt (1661) sowie Organist und Kapellmeister der Accademia della Morte (1670-80) und am Dom zu Ferrara. Möglicherweise reiste er danach in die Toskana, um mehrere Oratorien aufführen zu lassen. Vor allem in seinen Kantaten und Sonaten ist — .r
Beispiel aus O. Kolberg, Lud,... (Das Volk, ...), Serie XXII : Leczyckie, Nr. 422
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McCredie M. in vielen Einzelzügen (Melodiebildung, Tendenz zu thematischer Vereinheitlichung) von bemerkenswerter Eigenständigkeit gegenüber dem. entsprechenden Schaffen seiner it. Zeitgenossen.
das gleiche Amt an S. Pietro. Seit mindestens 1637 (aber vielleicht schon um 1625) bis 1645 gehörte er dem Hofstaat Barberinis als „familiaris" an.
WW: Sacri concerti a voce sola, op. 1 (Mi 1661); ein Buch Madrigali... amorosi e morali für 2-3 St. u. B.c. (Bol 1668); Canzonette, e cantate für 2 St. u. B.c. (Bol 1668); Cantate da camera a voce sola, op. 4 (1673); Sonaten für 2 V., Bassetto viola ad lib. u. B.c. (Bol 1674); Salmi concertati für 3-4 St., 2 V. u. B.c. (Bol 1676); Cantate morali e spirituali für 2-3 St. u. B.c. (Bol 1680). Ausg.: Sonate Nr. 4, in: J. W. VON WASIELEWSKI, Instrumentalsätze v. Ende des 16. Jh. bis Ende des 17. Jh. (Bonn 1874, B 2 1905); Sonata a tre op. 5 Nr. 6 für 2V., Vc. u. B.c., hrsg. v. E. SCHENK (W 1959) (= Hausmusik 148).
de Passione D. N. Iesu Cáristi... (R 1648); Psalmi vespertini für
Lit.: W. S. NEWMAN, The Sonata in the Baroque Era (Chapel Hill/N.C. 1959, NY-Lo 2 1972).
MAZZOCCHI. — 1) Domenico, * 8.11.1592 Civita Castellana, t 21. 1. 1665 Rom; it. Komponist. Er wurde 1619 zum Priester geweiht und promovierte zum Dr. jur., trat 1621 als „familiaris" in den Hofstaat des Kardinals Ippolito Aldobrandini ein und gehörte seit 1638 dem der Olimpia Aldobrandini-Borghese-Pamfili an. 1626 reiste er mit Aldobrandini nach Parma, wo er am Hof Herzog Odoardo Farneses Ausschnitte seiner — zuvor in Rom gegebenen — Oper La catena d'Adone aufführte. Um 1637 wurden Madrigale M.s, begleitet von einem Gambenconsort, in den Akademien des Kardinals Francesco Barberini vorgetragen. Seit 1642 widmete sich M. vorwiegend Altertumsstudien. WW: Oper La catena d'Adone (V 1626); Dialoghi e sonetti für 1-4 St. u. B.c. (R 1638); Madrigali... e altri concerti für 5-8 St. u. B.c. (R 1638); Maphaei... Card. Barberini nunc Urbani Papae VIIIpoemata... (1- bis 6st. lat. geistliche u. weltliche Gesänge) (R 1638); Musiche sacre e morali für 1-4 St. u. B.c. (R 1640); Sacrae concertationes für 2, 3, 5, 8 u. 9 St. u. B.c. (R 1664); einige Gesänge in Sammeldrucken 1621-1646. M.s Stile recitativo, sowohl in der Catena d'Adone wie auch später, steht der frühen Monodie noch sehr nahe. Es handelt sich um ausdrucksstarke und hochrhetorische Deklamation. Die Arien weisen eine kleingliedrige, sensibel phrasierte Melodik auf. Sein Chorsatz ist noch ganz der altvenezianisch-römischen Doppelchörigkeit verhaftet. M. gehört zu den letzten Komponisten des Barocks, die 5st. Madrigale geschrieben haben. Gattungsgeschichtliche Bedeutung kommt seinen 1664 in den Sacrae concertationes publizierten, jedoch in den 1630er Jahren entstandenen Oratoriendialogen zu. — 2) Virgilio, Bruder von 1), * 22. 7. 1597 Civita Castellana, t 3. 10. 1646 ebd.; it. Komponist. M., der die niederen Weihen erhielt, nahm bei seinem Bruder Musikunterricht. 1626 (?) — 1629 war er Kapellmeister an Il Gesù zu Rom durch Protektion des Kardinals Fr. Barberini, zugleich Musiklehrer am jesuitischen Collegio Romano; 1629 kurz Kapellmeister an S. Giovanni in Laterano; 1629 erhielt er
WW: Sacri flores für 2-4 St. u. B.c. (R 1640); Piae meditationes 2 Chöre mit B.c. (R 1648); Gesänge (hauptsächlich Motetten) in Sammeldrucken 1625-59. - Opern, darunter Chi soffre speri, UA: Rom 1639.
Das umfangreiche kirchenmusikalische Schaffen von M. ist noch weitgehend unerforscht. Er gehört mit A. M. Abbatini, O. Benevoli und G. O. Pitoni zu den prominentesten Vertretern des vielchörigen
römischen Kolossalstils. Wohl als erster hat er einen Echochor in der Kuppel des Petersdoms eingesetzt. In M.s Chorstil bahnt sich die Verschmelzung der altvenezianisch-römischen Mehrchörigkeit mit konzertierenden Elementen des frühen und mittleren 17. Jh. an. — Die Oper Chi soffre speri (D falcone), deren Musik zur Hauptsache von M. stammen dürfte (beteiligt war auch M. Marazzoli), zeigt M. im Übergang von der frühen Monodie zum Recitativo secco. Seine Arien zeichnen sich durch lockeren Kontrapunkt und liebliche Melodik aus. Wegen zahlreicher Dialekt- und Travestieszenen wird Chi soffre speri als frühes Beispiel einer musikalischen Komödie angesehen. Ausg.: Zu 1): 1 Arie, in: Alte Meister des Bel Canto, hrsg. v. L. LANDSHOFF, 5 Bde. (L 1912-27); 6 Madrigale für S St., hrsg. v. R. MEYLAN (Wb 1965) (= Chw 95); La catena d'Adone, 1626, Faks.-Ausg. (Bol 1969) (= Bibl. musica Bononiensis IV/9); Dialoghi e sonetti, 1638, Faks.-Ausg. (Bol 1969) (= ebd. IX/ 10); Sacrae concertationes, hrsg. v. W. WITZENMANN (Kö 1975) ( _ Concentus musicus 3). - Zu 2): Stücke aus Chi soffre speri II', III, in: H. GOLDSCHMIDT, Stud. z. Gesch. der it. Oper im 17. Jh., 2 Bde. (L 1901-04, Nachdr. Hil -Wie 1967); Intermezzo La civetta aus S. Bonifatio, in: TORCHI Arte Mus.; eine Arie in: Antiche cantate d'amore II, hrsg. v. F. VATIELLI (Bol 1916). Lit.: Zu 1): H. KRETZSCHMAR, Gesch. der Oper (L 1919, Nachdr. Wie 1970); A. EINSTEIN, The It. Madrigal, 3 Bde. (Princeton/N. J. 1949, Nachdr. 1970, dt. Z 1952); H. OSTHOFF, D. M.s Vergil-Kompositionen, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); C. GALLICO, Musicalitä di D. M. „Olindo e Sofronia" dal Tasso, in: Chigiana 22 (1965); W. WITZENMANN, D. M. 1592-1665 (Kö - W 1970) (= Anal. Mus. 8); H. SMrrHER, A Hist. of the Oratorio, 2 Bde. (Chapel Hill/N.C. 1977); F. HAMMOND, G. Frescobaldi and a Decade of Music in Casa Barberini: 1634-1643, in: StidMg 12 (1979) (= Anal. Mus. 19); W. WITZENMANN, Zum Oratorienstil bei D. M. u. M. Marazzoli, in: ebd. - Zu 2): H. GOLDSCHMIDT, s. o.; H. KRETZSCHMAR, s. o.; A. CARDINALI, Cenni biografici di D. e V. M. (Subiaco 1926); S. REINER, Collaboration in „Chi soffre speri", in: MR 22 (1961); P. KAST, Unbekannte Dokumente zur Oper „Chi soffre speri" v. 1637, in: FS H. Osthoff (Tutzing 1969); W. WITZENMANN, s. o. W. WITZENMANN
MCCREDIE (eig. McCredie), Andrew Dalgarno, * 3.9. 1930 Sydney; austral. Musikforscher. Er studierte in Sydney am State Conservatory of Music und an der Univ., 1953-55 an der Royal Academy of Music in London (bei L. Berkeley), dann an den 257
McDaniel
Universitäten in Kopenhagen (1955-56), Stockholm (1956-59) und Hamburg (1960-64), wo er 1964 mit der Dissertation Instrumentarium and Instrumentation in the North German Baroque Opera promovierte. 1965 wurde er an der Universität in Adelaide (Australien) Senior Research Fellow, 1970 Senior Lecturer. 1966 begründete er die von ihm herausgegebene Jahrbuchreihe Miscellanea musicologica. Adelaide Studies in Musicology. Schriften: Buxtehude and Baroque Instrumentation (Sydney 1958); D. Scarlatti and His Opera „Narcisso", in: AMI 33 (1961); Ch. Graupner as Opera Composer, in: Miscellanea musicologica 1 (1966); Investigations into the Symphony of the Haydn-Mozart Era. The North German Manuscripts, in: ebd. 2 (1967); Systematic Musicology. Some 20th Century Patterns and Perspectives, in: Studies in Music 5 (1971); K.A. Hartmann. Sein Leben u. Werk (Wilhelmshaven 1980) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 74), engl. Originalfassung mit thematischem Werk-Verz. vorgesehen als Bd. 19 der Quellenkat. z. Musikgesch. (ebd. 1980-81).
MCDANIEL (eig. McDaniel), Barry, * 18. 10. 1930 Topeka (Kansas); amerik. Sänger (Bariton). Nach Studium an der Juilliard School of Music in New York und an der Musikhochschule in Stuttgart (als Fulbright-Stipendiat) wurde er 1954 an das Mainzer Theater, 1957 an die Staatsoper Stuttgart, 1959 an das Staatstheater Karlsruhe und 1962 an die von C. Ebert geleitete Deutsche Oper Berlin engagiert, der er nach wie vor als festes Ensemblemitglied angehört. Er gastiert regelmäßig in München und Frankfurt. In Bayreuth sang er 1964 den Wolfram, seit 1968 wirkt er bei den Salzburger Festspielen mit. In der Uraufführung der Oper Der junge Lord von H. W. Henze (Deutsche Oper Berlin 1965) sang er die Partie des Sekretärs. Einen hervorragenden Ruf hat M. auch als Bach-Sänger. MCEWEN (eig. McEwen), Sir John Blackwood, * 13.4. 1868 Hawick (Roxburghshire), t 14.6.1948 London; schott. Komponist. Studierte an der R. Academy of Music in London und an der Universität Glasgow. 1896-98 unterrichtete er an der Athenaeum School in Glasgow und lehrte 1898-1936 Komposition und Harmonielehre an der Royal Academy of Music, deren Direktor er 1929-36 war; er war auch Mitgründer der Society of British Composers. M. bezeichnete sich selbst als einen typisch schottischen Komponisten. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik, darunter 7 Sonaten für V. u. Klv. (1913-39); Klv.-Trio (1937, revidiert 1943); 17 Streichquartette (1893-1917); Streichquintett (1911, revidiert 1947); Under Northern Skies (1939) für FL, Ob., Klar., Horn u. Fag. - Für Orch.: 5 Symphonien (1890-1911); 4 Suiten (1924-41); 3 Balladen (1905-08); ferner ein Va. -Konzert (1901); Lieder, Chöre u. 2 Opern. - Schriften: The Thought in Music (Lo 1912); Temporubato (Lo 1928); An Introduction to an Unpublished Edition of the Pianoforte Sonatas of Beethoven (0 1932).
MCINTYRE (eig. McIntyre), Donald, * 22. 10. 1934 Auckland (Neuseeland); neuseeländischer 258
Sänger (BaBbariton). Nach Studium in Auckland und in London debütierte er 1959 an der Welsh National Opera in G. Verdis Nabucco. 1960-67 war er an der Sadler's Wells Opera in London engagiert, seit 1967 ist er Mitglied der Covent Garden Opera in London. 1967-80 trat er regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen auf. Besonders bekannt wurde er dort in der Rolle des Wotan in der Patrice Chéreau-Inszenierung von R. Wagners Ring des Nibelungen. Daneben führten ihn Gastspiele an die Metropolitan Opera nach New York, an die Mailänder Scala und die Staatsopern in Hamburg, München und Wien. MCLAUGHLIN (eig. McLaughlin), John, * 4.1. 1942 Kirk's Sandall (Yorkshire), engl. Jazz- und Rockgitarrist. Er spielte in europäischen Jazz- und Rockgruppen, u. a. bei Brian Auger und bei Wilson Pickett, kam 1968 nach New York in die Gruppe „Livetime" von Tony Williams und trat dann in den Gruppen von Miles Davis auf. 1969 schloß er sich durch den Einfluß des indischen Gurus Sri Chinmoy dem Hinduismus an. Seither nennt er sich auch „Mahavishnu", und sein eigenes Ensemble in den 70er Jahren hieß „Mahavishnu Orchestra"; später leitete er die indisch inspirierte Improvisationsgruppe „Shakti". M. spielt eine Spezialgitarre mit 2 Hälsen und 18 Saiten; sein ekstatisches Spiel erregte viel Aufsehen; Anerkennung fand er aber auch mit Einspielungen auf der Konzertgitarre. Lit.: K. LIPPEGAUS, Rock Jazz, in: Die Story des Jazz, hrsg. v. J.-E. Berendt (St 1975).
MECHANIK, bei Tasteninstrumenten Bz. für den Apparat, der den Fingeranschlag in Tonbildung umsetzt, entweder auf Saiten wie beim /Cembalo, /Clavichord oder /Klavier oder auf Ventile wie bei der řTraktur der /Orgel. Lit.: W. PFEIFFER, Taste und Hebelglied (L =1931); E. A. BOWLES, On the Origin of the Keyboard Mechanism in the Late Middle Ages, in: Technology and Culture 7 (1966).
MECHANISCHE MUSIKWERKE sind Apparate, die ohne Mitwirkung von Menschenhand eine bestimmte, durch jeweils verschiedene Techniken vorher programmierte Musik beliebig oft erzeugen können. Bekannt sind seit dem Mittelalter vor allem die in den Niederlanden und Lüttich verbreiteten Horn- und Turmglockenspiele (13.-15.Jh.), die Geigenwerke des Leonardo da Vinci, Jacques Vaucansons automatisches Flötenspiel (1738) und die gegen Ende des 18. Jh. in Mode gekommenen /Flötenuhren und Spieldosen. Mit der Erfindung der mechanischen Musikaufzeichnung wie die des Phonographen von Thomas Alva Edison (1878) und der Produktion der ersten marktreifen Schallplatte durch Émile Berliner (1887) nahm die prak-
Medea
tische Bedeutung der m.n M. ab, die heute nur noch nostalgischen Wert besitzen. Als eine groBe Gruppe m.r M. sind die verschiedenen Orgeln zu nennen, bei denen eine Mechanik das Gebläse betätigt, das die Pfeifen mit Wind versorgt. Typisch dafür ist z. B. die um 1770 aufkommende /Serinette, bei der eine Kurbel das Gebläse antreibt und eine Walze aus Holz oder Metall in Umdrehung versetzt, deren Stifte und Stiftbrücken ein Flötenregister zum Erklingen bringen. Dieses Prinzip liegt auch der /Drehorgel zugrunde, die um 1700 aufkam. Später wurde die Stiftwalze durch einen pneumatischen Hebelmechanismus ersetzt, den eine perforierte Papierrolle in Bewegung setzte. Aus der Drehorgel wurden die großen Orgelwerke entwickelt, die um 1900 auf den Jahrmärkten und Rummelplätzen aufkamen. In diesem Zusammenhang ist auch die Celestina (1880) zu nennen, eine amerikanische Kleinorgel, deren Töne durch die Schwingung von Bronzelamellen erzeugt werden, und das mechanische Akkordeon, eine Selbstspielharmonika (1905), die mit Hilfe durchschlagender Zungen erklang. — Eine Besonderheit bilden die verschiedenen mechanischen Klaviere: das Walzenklavier, bei dem eine Stiftwalze Hämmer betätigt, die auf Saiten schlagen; das Piano Melodico, bei dem durch Handkurbeln eine perforierte Kartonrolle transportiert wird, in die kleine Eisenstifte eindringen, die ihrerseits die Hämmer in Bewegung setzen; die pneumatischen Klaviere, die mit perforierten Papierrollen und mit Saug- oder Druckluft arbeiten, wie das Welte-Mignon-ReproduktionsPiano, das durch einen /Melographen aufgezeichnetes Klavierspiel reproduzieren kann — durch dieses Verfahren sind uns heute das Spiel u. a. von E. d'Albert, F. Busoni, Cl. Debussy, G. Fauré, A. Glasunow, E. Grieg, E. Humperdinck, Th. Leschetizky, G. Mahler, F. Mottl, A. Nikisch, M. Ravel, M. Reger, C. Saint-Saëns, A. Skrjabin und R. Strauss erhalten —; ferner Klaviere mit gezupften Saiten wie das meist in Zitherform gebaute Chordephon mit einem Federmechanismus, der eine mit Haken versehene Metallscheibe und damit Lamellen betätigt, die die Saiten anreißen. — Die Entwicklung der m.n M. gipfelte in den großen Automaten, die fast orchestrale Wirkungen erzeugen konnten, wie das von J. N. Mälzel um 1800 gebaute Orchestrion, eine Kombination mehrerer mechanischer Instrumente, insbesondere das 1803 daraus entwickelte Panmelodicon oder Panharmonicon, das einem großen Blasorchester mit Schlagzeug (37 Fl., 36 Ob., 38 Klar., 16 Fag., 3 Hörner, 8 Trp., Trommel, große Trommel, 2 Becken, Triangel, 2 Pauken) entsprach. Eine Sonderform ist die um 1926 gebaute Phonoliszt-Violina, ein Klavier mit
Steuermechanik und drei eingebauten Violinen, die von einem pneumatisch gesteuerten Kreisbogen umspielt wurden. — Musik für m. M. komponierten u. a. H. L. Haßler (Stücke für eine von ihm selbst erfundene bzw. verbesserte mechanische Orgel), J. Haydn (Stücke für Flötenuhr, Hob. XIX), W. A. Mozart (Adagio und Allegro KV 594, Fantasie KV 608 und Andante KV 616 für Flötenuhr), L. van Beethoven (2. Teil von Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria, op. 91, für Panharmonicon; Stücke für Spieluhr, WoO 33), P. Hindemith (Musik zum Triadischen Ballett von Oskar Schlemmer für mechanische Org. und Toccata für mechanisches Klv.) und E. Toch (Stücke für das Welte-Mignon-Reproduktions-Piano). Lit.: E. F. SCHMID, H. L. HaBler u. seine Brüder, in: Zschr. des hist. Vereins für Schwaben 54 (1941); A. PROTZ, Mechanische Musikinstr. (Kas 1943); J. E. T. CLARK, Musical Boxes (Birmingham 1948, erweitert Lo 3 1961); H. -P. SCHMITZ, Die Tontechnik des Père Engramelle (Kas 1953) (= Musikwiss. Arbeiten 8); A. CHAPUIS, Histoire de la boite â musique et de la musique mécanique (Lau 1955); A. BUCHNER, Vom Glockenspiel zum Pianola (Pr 1959); E. MAINLOT, Les automates (P 1959); R. QUOIKA, Altöstr. Hornwerke (B 1959); L. MISCH, Zur Entstehungsgesch. v. Mozarts u. Beethovens Komp.en für die Spieluhr, in: Mf 13 (1960); E. SIMON, Mechan. Musikinstr. früherer Zeiten u. ihre Musik (Wie 1960, NA 1980); W. KRUMBACH, Zur Musik des Pommerschen Kunstschranks 1617, in: Mf 14 (1961); A Guidebook of Automatic Musical Instr., hrsg. v. Q. D. BOWERS (Vestal/N.Y. 1967); R. WAARD, From Music Boxes to Street Organs (NY 1967); A. W. J. G. ORD-HUME, Clockwork Music. An Illustrated Musical History of Mechanical Musical Instr. (Lo 1973); The History of Music Machines (NY 1975) (Ausstellungskat.); H. ZERASCHI, Drehorgeln (L 1976); H. JUTTEMANN, Phonographen u. Grammophone (Brau 1979).
MECHANISCHES KLAVIER /Mechanische Musikwerke. MEDEA (Médée), Oper in 3 Akten von Luigi Che-
rubini (1760-1842), Text von François Benoît Hoffmann nach der Tragödie von Corneille (1635), basierend auf dem letzten Akt des Dramas von Eu-
ripides. Ort und Zeit der Handlung: Kreons Palast zu Korinth, im sagenhaften griechischen Altertum. UA: 13.3.1797 in Paris (Théâtre Feydeau); dt. EA (in dt. Sprache): 17.2.1800 in Berlin. In der Ouvertüre dieses Werkes, in der auch der Ton der französischen Revolutionsmusik anklingt, ist mit dem Wechsel von lyrischen und dramatischen Abschnitten der Konflikt zwischen Liebe und Haß bereits angedeutet. Die seelischen Vorgänge in Medea werden im Verlauf der Handlung musikalisch ausdrucksvoll verdeutlicht, so in ihrem Duett mit Jason Perfides ennemis der Gefühlsumschwung zu unversöhnlichem Haß. Das Vorspiel zum 3. Akt — eine der beeindruckendsten musikalischen Gewitterschilderungen überhaupt — leitet den dramatischen inneren Kampf der Medea zwischen Mutterliebe und Rachsucht ein, an dessen Ende sie zu 259
Medek
dem Entschluß gelangt, ihre Kinder zu töten. Die Gestaltung der Hauptrolle erfordert eine ausdrucksstarke, stimmgewaltige Primadonna; in den fünfziger Jahren war Medea die Paraderolle der M. Callas. — Diese Oper wird heute meist mit den von Franz Lachner auskomponierten Rezitativen (1855) aufgeführt. K. LANGROCK MEDEK, Tilo, * 22. 1. 1940 Jena; dt. Komponist. Er studierte 1959-64 in (Ost-)Berlin Musikwissenschaft an der Humboldt -Universität und Komposition bei R. Wagner-Régeny an der Deutschen Hochschule für Musik und war dann noch 1964-67 Meisterschüler Wagner-Régenys an der Deutschen Akademie der Künste. Seit 1962 ist er freischaffend tätig und war bei vielen Kompositionswettbewerben erfolgreich. 1977 übersiedelte er aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland. M.s Kompositionen, die zumeist tonales Material benutzen, sind von musikantischem Spiel mit den tradierten Gattungsnormen und einer individuell gehandhabten Collagetechnik geprägt. WW: 1) Instr-WW: Für Klv.: Kaminstücke (1968-70); Lesarten an zwei Klavieren (1967-71); Tag- und Nachtstücke (1976 ff.). - Für Org.: B-A-C-H. Vier Töne für Orgel (1973);
Praeludium - Choralspiel - Postludium (1971-78); Rückläufige Passacaglia (1979); Reliquienschrein (1980) mit Schlagzeug. Kammermusik: Streichtrio (1965); 3 Bläserquintette (1965, 1974/76, 1978/79), Nonett (1974); Eine Stele für B. A. Zimmermann (1976); Tagtraum (1976) für 7 Instr.; Zur Unzeit Erblühtes (1977) für Marimbaphon; Erdrauch (1979) für Gitarre. Für Orch.: Triade (1964); Rezitativ und Arie (1965); Die betrunkene Sonne (1968) mit Sprecher; Konzerte für: Fl. (1973), Marimbaphon (1975/76), Org. (1977/79), Vc. (1978), V. (1980); Eisenblätter (1983); Rheinische Sinfonie (1986). - 2) Vokal-WW: Der Silberreiher (1963); Todesfuge (1966) (Text: P. Celan) für Sopran u. l6st. Chor; Vier Tagebuchseiten aus Vietnam (1967/71); Deutschland-Lieder (1971-77) (Text: B. Brecht) für Frauenchor; Der schwere Traum (1975) für Sopran u. Orch. ; Gethsemane (1980) (Text: R. M. Rilke) für Sopran, Tenor, Chor und Orch. - 3) BühnenWW: Kurzoper Einzug (1969); Singspiele: Icke u. die Hexe Yu (1970-71), Appetit auf Frühkirschen (1971); Oper Katharina Blum (nach H. Boell, 1984-86). Lit.: Arbeitshefte der Akad. der Künste der DDR 13: Komponistenwerkstatt (B 1973); Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 16 (Mz 1976); U. STURZBECHER, Komponisten in der DDR (Hil 1979); T. M. Eine Dokumentation (Düsseldorf 1980) (WWVera.); O. G. BLARR, Kennen Sie M.? Über die Orgelfalte eines vielfältigen Komp., in: Ars organi 29 (1981). H. WEBER
MEDER, Johann Valentin, getauft 3. 5. 1649 Wasungen/Werra, t Ende Juli 1719 Riga; dt. Komponist. Er studierte seit 1669 in Leipzig Theologie, wandte sich aber dann der Musik zu. 1671 ist M. als Diskantist in der Hofkapelle zu Gotha nachgewiesen, danach in Kassel, Bremen, Hamburg, Kopenhagen und Lübeck, wo er D. Buxtehude kennenlernte; 1674 wurde er Kantor am Gymnasium in Reval, lebte um 1685/86 in Riga und kam 1687 als Kapellmeister an die Marienkirche nach Danzig. Nach der Aufführung zweier Opern wurde er vom 260
Rat der Stadt ausgewiesen, ging später aber nach Königsberg, wo er um 1698/99 als Domkantor wirkte. 1700 wurde er Domorganist in Riga. M.s Argenia, im Original als „Singspiel" bezeichnet, ist neben den Werken von J. W. Franck eine der wenigen frühdeutschen Opern von Belang vor dem Wirken R. Keisers. Anders als bei Franck stehen die monodischen Partien bei M. nicht unter dem Einfluß der italienischen Oper, sondern in der unmittelbaren Tradition des älteren deutschen Ge-
neralbaßliedes. WW: hsl. erhalten: Der Polnische Pracher ... mit seiner Pandur für 5 Instr. (1689). - Singspiel Die beständige Argenia, UA: Reval 1680. - Geistliche Konzerte u. Choralkantaten für 1-4 St. mit Instr.; eine Matthäuspassion (nach 1700). - Gedruckt wurde ein Hochzeitsgesang (Riga 1685). Ausg.: Die beständige Argenia, hrsg. v. W. BRAUN (Mz 1973) (= EDM 68); Psalmkonzert Ach Herr, straf mich nicht für Sopran u. Instr., in: Danziger Kirchenmusik, hrsg. v. F. KESSLER (Neu. hausen -St 1973); Der Polnische Pracher u. Chaconne für 2 Instr. u. B.c., in: Danziger Instrumentalmusik des 17. u. 18. Jh., hrsg. v. DEMS. (ebd. 1979). Lit.: J. BOLET, J. V. M., in: VfMw 7 (1891); H. RAUSCHN1NG, Gesch. der Musik u. Musikpflege in Danzig (Danzig 1931) ( = Quellen u. Darstellungen z. Gesch. Westpreußens 15); J. B. HABERLEIN , A Critical Survey of the North German Oratorio Passion to 1700 (1974) (= Diss. Univ. of Illinois).
MEDERITSCH, Johann Georg Anton Gallus (genannt Johann Gallus), getauft 27. 12. 1752 Wien, t 18. 12. 1835 Lemberg; östr. Komponist. Er war Schüler von G. Chr. Wagenseil und begann 1779 in Wien als Opernkomponist. 1781-82 war er Theaterkapellmeister in Olmütz, 1793-96 und 1798 in Wien und Ofen. Um 1800 erteilte er Fr. Grillparzer Klavierunterricht. 1817 ging er nach Lemberg, wo er sich mit dem Sohn W. A. Mozarts befreundete. WW: Variationen u. Rondos für Klv.; Klv.-Sonaten; Sonaten u. Capricci für V. u. Klv.; Streichtrios; Streichquartette, u. a. op. 5: 6 Ricercare „im Haendelschen Geschmack"; Klv.-Quintette; Klv.-Konzerte; F1. -Konzerte u. Symphonien; Messen. - 1. Akt der Oper Babilons Piramiden (Libr.: E. Schikaneder), UA: Wien 1797 (2. Akt v. P. von Winter); Bühnenmusik zu Macbeth, UA: ebd. 1796. Ausg.: 6 Quartetti capricciosi op. 2, hrsg. v. K. HEINEMANN (Mz 1951); Streichquartett F-Dur, hrsg. v. W. HOCKNER (H 1960). Lit.: TH. AIGNER, Thematisches Verz. der Werke v. J. M. detto Gallus (Mn 1974) (= Publikationen des Inst. für Musikwiss. der Univ. Salzburg B. Musikwiss. Schriften 3). - E. VON KOMORZYNSKI, Grillparzers Klavierlehrer J. M., genannt Gallus, in: Alt-Wiener Kalender für das Jahr 1919 (W 1919), abgedruckt in: Jb. der Grillparzer-Ges. I11/3 (1960); TH. AIGNER, J.G.M., Komponist u. Kopist des ausgehenden 18. u. frühen 19. Jh., in: Mf 26 (1973).
MEDIANTE, Bz. für einen terzverwandten Akkord. Die Verwendung des Begriffs ist nicht eindeutig festgelegt, so daß grundsätzlich alle terzverwandten Akkorde als M.n aufgefaßt werden können, zu C-Dur also die folgenden Akkorde: ADur, a-moll, As-Dur, as-moll, E-Dur, e-moll, Es-
Medtner Dur, es-moll. Häufig aber wird der Ausdruck M. begrifflich auf entfernte Terzverwandtschaft eingeschränkt, d. h. nur auf solche terzverwandten Klänge bezogen, die leiterfremd sind; in diesem Sinne sind zu C-Dur alle Akkorde außer den /leitereigenen a-moll- und e-moll-Akkorden Medianten. Der klangliche Reiz der leiterfremden M.n wurde vornehmlich in der Romantik, dem „Zeitalter der Terzen" (E. Kurth), als musikalisches Ausdrucksmittel eingesetzt. Lit.: E. KURTH, Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners Tristan (Be - L 1920, B 3 1923, Nachdr. Hil 1968).
Söhne Francesco I. (1541-87) und Ferdinando I. (1549-1609) als Mäzene der Künste und Wissenschaften zu nennen. Unter der Regierungszeit von Ferdinando I. entstanden die frühen Opernversuche der Camerata Fiorentina. Ausg.: Tutte le opere, hrsg. v. G. CAVALLI, 2 Bde. (Mi 1958). Werke, die bei versch. Anlässen am Hof der M. aufgeführtwurden: Les fetes du mariage de Ferdinando de M. et de Ch. de Lorraine Florence 1589, I: Musique des intermèdes „La pellegrina", hrsg. v. D. P. WALKER (P 1963) (zus. mit F. Ghisi u. J. Jacquot); A Renaissance Entertainment. Festivities for the Marriage of Cosimo I, Duke of Florence, in 1539, hrsg. v. A. C. MINOR - B. MITCHELL (Columbia/Mo. 1968) (mit Ausg. der Musik, Dichtung u. Komödie sowie einem Kommentar).
MEDIATIO (lat., = Vermittlung), Mediante, Mittelkadenz, in der Psalmodie des Gregorianischen Gesangs die einfache Melodieformel, mit der die Mitte (d. h. der Schluß der ersten Hälfte) der einzelnen Psalmverse markiert wird. Beispiel für die M. (a) des 1. Psalmtons (melodische Abweichung vom Tenor bei den beiden letzten Akzenten), (b) des 2. Psalmtons (Abweichung nur beim letzten Akzent):
Lit.: A. SOLERTI, Musica, ballo e drammatica alla corte medicea dal 1600 al 1637 (Fi 1905, Nachdr. Bol 1969) (- Bibl. musica Bononiensis III/4); F. GHISI, Feste musicali della Firenze medicea (Fi 1939); L. PARIGI, Laurentiana, L. dei M., cultore della musica (Fi 1954); H. W. FREY, Regesten z. päpstlichen Kapelle unter Leo X. u. seiner Privatkapelle, in: Mf 8 (1955) u. 9 (1956); E. E. LOWINSKY, The M. Cod., in: Ann. Mus. 5 (1957); A. M. NAGLER, Theatre Festivals of the M., 1539-1637 (New Haven/Conn. 1964); W. KIRKENDALE, L'aria di Fiorenza id est Il ballo del Gran Duca (Fi 1972).
Initium Tenor Mcdiatio
MEDLEY (engl., = Gemisch), in England seit dem 16. Jh. Synonym für /Potpourri, in der modernen Unterhaltungs- und Tanzmusik gelegentlich Bz. für eine ununterbrochene Folge von versch. Stücken, meist im gleichen Rhythmus u. Tempo.
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Con-fi - tebor in cor-de me -o: Initium
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• Con-fi - tebor in corde me -o:
MEDIATOR ist gleichbedeutend mit /Plektrum. Die Anweisung „mit M." kommt selten vor;
G. Mahler fordert sie im Abschied aus dem Lied von der Erde für die 1. Harfe. MEDICI, Lorenz de', genannt „il Magnifico" (Lorenzo I.), * 1. 1. 1449 Florenz, ý 8.4. 1492 ebd.; it. Staatsmann, Dichter und Musiker. Unter seiner
Regierungszeit (1469-92) entwickelte sich Florenz zu einem der bedeutendsten Musikzentren seiner Zeit. L. de' M. besaß eine eigene Kapelle mit 15 Sängern und eine beachtliche Instrumentensammlung. Seine Gedichte wurden von zahlreichen Musikern vertont; er gilt auch als der berühmteste Dichter und Förderer der "Canti carnascialeschi und lieferte mit seinem S. Giovanni e Paolo einen wichtigen Beitrag für die Gattung der 7Rappresentazione sacra. Von den zahlreichen Komponisten, mit denen er in Verbindung stand, ist vor allem H. Isaac zu nennen, der um 1474-94 am Hof in Florenz lebte und der der Musiklehrer von L. de' M.s Kindern war. — Sein Sohn Giovanni de' M. (1475 bis 1521), seit 1513 als Leo X. Papst, war ebenfalls sehr musikliebend, er komponierte und unterhielt neben der Sixtinischen Kapelle eine eigene Privatkapelle. Aus einem anderen Zweig der Familie de' M. sind noch Cosimo I. (1519-74) und dessen
MEDTNER (Metner), Nikolai Karlowitsch, * 24. 12. 1879 (5. 1. 1880) Moskau, t 13. 11. 1951 London; russ. Pianist und Komponist dt. Herkunft. Er beendete 1900 bei W. Safonow (Klavier), A. Arenski (Komposition) und S. Tanejew (Kontrapunkt und Fuge) sein Studium am Moskauer Konservatorium, wo er 1909-10 und 1915-21 Professor für Klavier war. Seit 1921 lebte er im Ausland, zunächst in Berlin, dann in Paris und schließlich nach 1936 in London. M. nimmt in der russischen Musik eine besondere Stellung ein. Sich auf das Erbe der großen Musiker der Vergangenheit, J. S. Bach, W. A. Mozart und Beethoven sowie vor allem auf J. Brahms, stützend, widmete er sich besonders der instrumentalen und vokalen Kammer- und der Klaviermusik. Auf diesem Gebiet entwickelte er einen durchaus persönlichen Stil. WW: Für Klv.: Wosem kartin nastrojenij (Acht Stimmungsbilder), op. 1 (1896-97); Skaski (Märchen), op. 8 (1905), op. 34 (1916), op.35 (1916-17), op.42 (1921-23), op.48 (1926), op.51 (1928); Sabytyje motiwy (Vergessene Weisen), op. 38-40 (1918 bis 1920); Tri gimna trudu (Drei Hymnen an die Arbeit), op. 45 (1926-27); Romantitscheskije eskisy dlja junoschestwa (Romantische Stücke für die Jugend), op. 54, 2 H.e (1932); 12 Klv.-Sonaten (1904-35). - 3 Klv.-Konzerte, op. 33 (1918), op. 50 (1927) u. op. 60 (1943). - Ferner zahlr. Lieder, u. a. auf Texte v. J. W. von Goethe: op. 6 (1904-05), op. 15 (1907-08), op. 18 (1908-09), u. A. Puschkin: op. 29 (1913), op. 32 (1913-14), op. 36 (1918), op. 52 (1929-30). - Aus M.s Nachlaß: Powsnednewnaja rabota pianista i kompositora. Stranizy is sapisnick knischek (Die tägliche
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Meester Arbeit eines Pianisten u. Komponisten. Seiten aus dem Tagebuch), hrsg. v. P. I. Wasiliew (Mos 1963). Ausg.: Sobranije sotschinenij (GA), hrsg. v. A. GOEDICKE u. a., 12 Bde. (Mos 1959-63); Sonaty dlja fortepjano (Klaviersonaten), 2 Bde., hrsg. v. N. KOPTSCHEWSKI u. a. (ebd. 1975-76). Lit.: J. SWAN, M. and the Music of Our Time, in: ML 8 (1927); R. HOLT, M. and His Music (Lo 1948); N. M. 1879-1951. A Tribute to His Art and Personality, hrsg. v. DEMS. (Lo 1955); C. M. BOYD, M. Reconsidered, in: Monthly Musical Record 82 (1952); H. TRusCOTT, M.'s Sonata in G Minor op. 22, in: MR 22 (1961); J. SWAN, Das Leben N. M.s, in: Musik des Ostens 4 (Kas 1962); C. M. BOYD, The Songs of N. M., in: ML 46 (1965); B. H. LoFrls, The Piano Sonatas of N.M. (1970) (= Diss. West Virginia Univ.); CH. W. KELLER, The Piano Sonatas of N. M. (1971) (= Diss. Ohio State Univ.); C. C. ELMORE, Some Stylistic Considerations in the Piano Sonatas of N. M. (1972) (= Diss. Univ. of N. Carolina); M. BOYD, M. and the Muse, in: MT 121 (1980).
MEESTER, Louis Auguste Edmund Hendrik de, * 28. 10. 1904 Roeselare (Flandern); belgischer Komponist. Er verbrachte einen großen Teil seiner Jugend in Frankreich und Marokko, wo er 1932 auch am Konservatorium von Meknès unterrichtete. Nach seiner Rückkehr nach Belgien studierte er bei J. Absil. 1945-61 war er Tonmeister bei der Radiodiffusion Belge (flämische Abteilung) und wurde 1961 Leiter des Instituts für Psychoakustik und elektronische Musik an der Universität Gent. In seiner expressionistisch anmutenden Musik durchdringen sich Ironie, Farce und Tragik, z. B. in seiner burlesken Kantate Verzoeking van S. Antonius. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke, u.a. eine Sonatine (1964); Sonate für V. u. Klv. (1957); 3 Streichquartette (1947, 1949, 1954); Warai (1967) für Kammerorch. - Für Orch.: Sinfonietta buffa (1947); Concertino für 2 Streichorch. (1964); 2 Klv.-Konzerte (1952, 1956). - 2) Musique concrète n. elektronische Musik: Incantations (1958); Poèmes de Paul Van Ostayen (1962); Ringvariaties (1962); Industrie (1962); 4 gedichten van Sybren Polet (1964); Images (1964); Nocturne malgache (1965); Organon (1965); Environnement (1967). - 3) Vokal-WW: Lieder; La grande tentation de Saint-Antoine (1957) (auf einen Text v. M. de Ghelderode) für Orch. u. Chöre, UA szenisch: Antwerpen 1960. 4) Bühnen-WW: Opern: 2 = te weinig, 3 = te veel (2 = zu wenig, 3 = zu viel), UA: Hämisches Fernsehen 1966; Paradijsvogels, UA: Gent 1967; ferner Film-, Bühnen- u. Rundfunkmusik.
MEFISTOFELE, Oper in einem Vorspiel, 4 Akten und einem Epilog von Arrigo Boito (1842-1918), Text vom Komponisten nach Goethes Faust. Ort und Zeit der Handlung: Deutschland, im ausgehenden Mittelalter. UA (1. Fassung): 5. 3. 1868 in Mailand; UA (2. Fassung): 4. 10. 1875 in Bologna; EA in dt. Sprache: 24. 2. 1881 in Köln. In geschickter Nachdichtung werden der Inhalt von Faust I fast vollständig, die Helena-Episode und die Schlußszene von Faust II frei umgeformt wiedergegeben; einige Abschnitte des Prologs im Himmel und der Gartenszene sind fast wörtlich übersetzt. Musikalische Sprache und dramatische Gestaltung des Werkes erscheinen stilistisch an Verdi orien262
tiert, dem befreundeten Meister, für dessen Opern Falstaff und Otello Boito die Libretti schrieb. Intensives, besonders in den Chören zu großen Steigerungen aufgebautes Pathos, in allen Stimmen melodigs durchgestalteter homophoner Satz und die Anwendung musikalischer und dramaturgischer Effekte mit dem Ziel eindringlicher Personen- und Situationscharakteristik weisen Boito als feinsinnigen und handwerklich geschickten Komponisten aus. Das kritische Mailänder Publikum lehnte das Werk ab; die überarbeitete Fassung wurde ein großer internationaler Erfolg. W. A. MAKUS MEGERLE (Mägerle, Magerl), Abraham, * 9. 2. 1607 Wasserburg am Inn, t 29. 5. 1680 Altötting; dt. Kirchenmusiker. 1617 stand M. als Chorknabe im Dienst der Erzherzogin Anna Katharina von Österreich in Innsbruck und war 1621-32 Sänger, danach bis 1633 Organist der Hofkapelle Erzherzog Leopolds. 1633 wurde er Domkapellmeister in Konstanz und im selben Jahr dort zum Priester geweiht. Von 1640-50 war er Hofkapellmeister in Salzburg. 1651 kam M. als Kanonikus nach Altötting, wurde 1652 in den Adelsstand erhoben und 1662 zum päpstlichen Protonotar ernannt. M. war der Onkel des Predigers Abraham a Sancta Clara. WW: Ara musica, 3 Bde. (Gradualien, Tractus, Alleluia u. Versus für 1-24 St. mit lnstr.) (Salzburg 1647); Psalmodia Jesu et Mariae sacra für 2-4 St. mit Instr. (Mn 1657). - Autobiographie Speculum musico mortuale (1672), versch. Schriften und weitere Kompositionen hsl. erhalten. Lit.: F. X. HABERL, Über A. M., in: KmJb 12 (1897); H. ALBERT, Leben und Werke des Komponisten und Dirigenten A. M. (Diss. Mn 1927).
MEHRCHORIGKEIT (engl.: polychoral style; frz.: polychoralité), Bz. für eine Kompositions- und Aufführungstechnik für 2, 3 oder mehr Chöre, die eine Aufteilung und getrennte Aufstellung verschiedener (vokaler und instrumentaler) Stimmgruppen vorsieht (/Doppelchor). — Das Singen bzw. Musizieren „alter ad alterum per choros" hat seine literarische Wurzel in der Bibel und entspringt den prophetischen Visionen (u. a. Jesaias, Ezechiels) vom Lobpreise Gottes durch immerwährendes Zurufen der Engel und Engelchöre. Aus der alttestamentlichen Tradition wurde dieser Topos bereits früh in die Liturgie des christlichen Ritus übernommen und ist zentraler Teil der /Präfation mit dem /Sanctus. In der musikalischen Praxis schlug sich diese Form des Lobpreises zunächst im .antiphonalen Gesang nieder, der das ganze Mittelalter hindurch wesentliche musikalische Ausgestaltungsweise der liturgischen Feier war. Wenn auch Gegenüberstellungen verschiedener Stimmverbände in Motetten- und Meßkompositionen einiger Meister der /Franko-flämischen Schule (u. a. Jos-
Mehta quin des Prés) als Vorläufer der M. gelten können, so bleibt die räumlich getrennte Aufstellung der musizierenden Gruppen entscheidendes Kriterium für diese Praxis. Die als integraler Bestandteil der Liturgie und als intensivierendes Dekorum zu verstehende Musik konnte erst in einem Raum, der als Abbild des Himmels konzipiert war, eine entsprechende Ausprägung erfahren. Gerade in den sakralen Zentralbauten, die insbesondere in der Renaissance und im Frühbarock entstanden, fand die M. ihren entscheidenden Anfang. Die auf räumliche Gegebenheiten von S. Marco in Venedig bezogene Kompositionstechnik der /Venezianischen Schule ist der erste Beleg für diese Entwicklung. So gehen bereits die Salmi spezzati (1550) A. Willaerts in ihrer doppelchörigen Anlage von einer auf die Emporen von S. Marco aufgeteilten Aufstellung aus (/Coro spezzato). An diese Praxis anknüpfend, jedoch kompositionstechnisch weiterführend, schufen A. und G. Gabrieli — später auch Cl. Monteverdi — in zahlreichen ihrer geistlichen Werke klangsteigernde M.: durch Einbeziehung des am Ende des 16. Jh. inzwischen gleichberechtigt neben dem Vokalen stehenden Instrumentalen und die darauf ausgerichtete satztechnische Gestaltung und Disposition in Vokal- und Instrumentalchöre mit zusätzlicher solistischer Aufgruppierung (/Concerto). Mit dieser Entwicklung und Praxis des Konzertierens hängt auch die Entstehung der Instrumentalgattungen /Sonate und /Konzert zusammen. — In Deutschland wurde die M. von den (durch die Venezianer geprägten) Komponisten J. Gallus (Opus musicum, 1586-87), H. L. Haßler (u. a. Sacri concentus, 1612), M. Praetorius (u. a. Puericinium, 1621) und insbesondere H. Schütz (zum Beispiel Psalmen Davids, 1619) entscheidend weitergetragen. Gerade aus den Vorreden zu einigen Kompositionen von Praetorius und Schütz geht die Praxis der M. mit den jeweiligen Gegenüberstellungen von Vokalchor (Capella oder Chorus vocalis, principalis; bei Schütz Coro favorito), selbständigem Instrumentalchor (Capella oder Chorus instrumentalis) und Solochor (Concerto) hervor. Die zur Vollstimmigkeit zusammengeschlossenen Chöre werden mit Chorus pro (in) Capella, Ripieno oder Tutti bezeichnet. — Die während des 17. Jh. auch in Rom (/Römische Schule) gepflegte, stärker als /Colla parte -Praxis zu verstehende M. blieb eigentlich für die weitere Entwicklung sekundär. Von größerer Bedeutung sind hingegen die in Salzburg am Ende des 17. Jh. entstandenen mehrchörigen Kompositionen, insbesondere H. I. Fr. Bibers, die in ihrer auf den Raum bezogenen (4 Emporen mit Orgeln und Chorraum des Domes) und instrumental verselb-
ständigten Konzeption ganz in der venezianischen Tradition stehen. Hierzu ist vor allem Bibers bisher O. Benevoli zugeschriebene und den sog. römischen
Kolossalstil begründende Missa Salisburgensis (zu 54 St. und 5 Chören) zu zählen. — Weitere aus dem 17. und 18. Jh. bekannte Beispiele für M. sind u. a. von J.-B. Lully (Te Deum), M.-A. Charpentier, H. Purcell, J. S. Bach (Motetten, Matthäus-Passion), G. Fr. Händel (Israel in Egypt) und W. A. Mozart (Messe c-moll, KV 427) erhalten, obwohl den meisten dieser Werke eher eine doppelchörige Kompositionsanlage zugrunde liegt. — Die während des 19. Jh. entstandenen mehrchörigen Werke sind entweder durch eigenschöpferische Anlehnung an die M. des 16./17. Jh. (A. Bruckner, Messe e-moll, 1866; G. Verdi, Te Deum, 1898) oder durch Einbeziehung symphonischer Gestaltungselemente geprägt (F. Mendelssohn Bartholdy, Herr Gott, dich loben wir, 1843; H. Berlioz, Te Deum für 3 Chöre und Orch., 1855). Letzte Steigerung findet dieses Konzept in G. Mahlers B. Symphonie (2 4st. Chöre, Knabenchor, 8 Solostimmen und Orch., 1907). Im Zusammenhang mit der Wiederbelebung der a capella-Vokalpolyphonie im 20. Jh. stehen mehrchörige Kompositionen u. a. von H. Distler und Fr. Poulenc. Lit.: E. HERTZMANN, Zur Frage d. M. in d. 1. Hälfte des 16. Jh., in: ZfMw 12 (1929/30); R. UNGER, Die mehrchörige Aufführungspraxis bei M. Praetorius (Wb 1941); W. GURLrrr, Kirchenmusik u. Kirchenraum, in: MuK 19 (1949); W. EHMANN, H. Schütz. Die Psalmen Davids, 1619, in: MuK 26 (1956); R. HAMMERSTEIN, Musik der Engel (Mn 1962); L. FEININGER, Raum u. Architektur, in: Kgr.-Ber. Köln 1958 (Kas 1963); K.-U. DUWELL, Stud. z. Kompositionstechnik der M. im 16. Jh. (Diss. Kö 1963); P. WINTER, Der mehrchörige Stil (F 1964); W. MASON, The Architecture of St. Mark's Cathedral and the Venetian Polychoral Style, in: Gedenkschrift G. Haydon (Chapel Hill/N.C. 1969); W. MÜLLER-BLATTAU, Tonsatz u. Klanggestaltung bei G. Gabrieli (Kas 1975) (= Saarbrücker Stud. z. Musikwiss. 4); W. JAKSCH, Missa Salisburgensis, in: AfMw 35 (1978). W. JAKSCH
MEHRSTIMMIGKEIT kennzeichnet grundsätzlich jede vokal oder instrumental ausgeführte Musik, bei der gleichzeitig (und vom Ausführenden beabsichtigt) mehrere Stimmen auf unterschiedlicher Tonhöhe erklingen. Neben ihren kunstvollen Ausprägungen in /Polyphonic und /Homophonie umfaßt die M. auch primitive Formen, wie sie uns in der europäischen Volksmusik (z. B. Singen in Terzparallelen) sowie in außereuropäischer Musik (Kaukasus, Hinterindien, Indonesien, Melanesien, Polynesien, Afrika) begegnen. — /Heterophonie. Lit.: M. SCHNEIDER, Gesch. der M., 2 Bde. (B 1934-35, Nachdr. Tutzing 1969).
MEHTA, Zubin, * 29. 4. 1936 Bombay; indischer Dirigent. M. studierte 1954-58 Klavier, Komposition, Kontrabaß und Dirigieren (bei H. Swarowsky) 263
Méhul an der Wiener Musikakademie. Als Preisträger beim Tanglewood-Wettbewerb in Berkshire (Mass.) wurde er von Ch. Münch entdeckt und gefördert. Seit 1959 ist M. Gastdirigent bei den bedeutendsten Orchestern der Welt (u. a. in Berlin, Wien und New York). 1961-67 leitete er das Montreal Symphony Orchestra, seit 1962 als Chefdirigent außerdem das Los Angeles Philharmonic Orchestra, mit dem er zahlreiche Reisen unternahm. 1965 debütierte M. an der New Yorker Metropolitan Opera mit Verdis Aida und ist seither ein begehrter Gast bei internationalen Festspielen. 1970 wurde er musikalischer Berater des Israel Philharmonic Orchestra, das er bereits 1968 auf einer Europatournee dirigierte. 1973 übernahm er Gastverpflichtungen beim New Philharmonia Orchestra in London. Seit 1978 ist M. Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra. Lit.: R. WAGNER, Interview Z. M., in: fono forum 25 (1980).
MÉHUL, Étienne Nicolas, * 22.6.1763 Givet (Ardennen), t 18. 10. 1817 Paris; frz. Komponist. Schon früh erhielt M. Orgelunterricht und wurde 1778 stellvertretender Organist im Kloster Lavaldieu. Noch im selben Jahr ging er nach Paris, wo er — angeregt durch die Musik Glucks — mit der Komposition von Bühnenwerken begann. Seine Oper Alonzo et Cora wurde 1785 von der Opéra angenommen, aber erst 1791 aufgeführt; das Werk wurde wegen seines nicht bühnenwirksamen Librettos ein Mißerfolg. Erfolgreicher war hingegen seine Oper Euphrosine et Corradin, die 1790 an der Comédie Italienne gespielt wurde. Ins Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit rückte M. jedoch zunächst nicht durch seine Bühnenwerke, sondern durch patriotische Musik für die staatlichen Revolutionsfeiern; sein Chant du départ wurde zu einer „zweiten Marseillaise" und fehlte bei keiner Staatszeremonie. Als 1795 das Conservatoire reorganisiert wurde, erhielt M. eine der 4 Inspektorenstellen; im selben Jahr wurde er zum Mitglied der Académie ernannt. In der Folgezeit entstanden so erfolgreiche Opern wie Le jeune Henri, die sich 30 Jahre im Programm der Opéra-Comique hielt, L'Irato, Uthal und Joseph, M.s größter Opernerfolg überhaupt. Ein spürbarer Wandel des Zeitgeschmacks ließ M.s Musik im letzten Jahrzehnt seines Lebens in der Gunst des Publikums sinken; zunehmender Beliebtheit erfreuten sich nun die Kompositionen G. Spontinis. M. war in erster Linie Dramatiker. Er scheute kein Experiment, wenn es darum ging, einer dramatischen Situation musikalisch gerecht zu werden; ungewöhnlich Instrumentationseffekte (z. B. Uthal-Partitur ohne Violinen), „gewagte" harmonische und chromatische Wen264
dungen sind Belege dafür. In Symphonien und symphonisch gearbeiteten Ouvertüren bewies M. seine Meisterschaft auch als Schöpfer absolut musikalischer Werke. WW: 1) IIdtr.-WW: 6 Klv.-Sonaten, 2 H.e (P 1783-88); 4 Symphonien (1797-1810); ferner Ouvertüren. - 2) Vokal-WW: Gelegenheitswerke u. Hymnen, darunter: Hymne à la raison (1793); Le chant du départ (1794); Le cri de la patrie contre les Jacobins (1795); La naissance d'O. Leclerc (1799); Chant national du 14 juillet 1800 (1800); ferner Messen u. a. kirchenmusikal. Werke. - 3) Buden-WW: Opern (UA in Paris): Euphrosine et Corradin (Libr.: F. B. Hoffmann), UA: 1790; Alonzo et Cora (Libr.: Valadier), UA: 1791; Stratonice (Libr.: Hoffmann), UA: 1792; Le jeune sage et le vieux fou (Libr.: deys.), UA: 1793; Horatius Cocks, UA: 1794; Le congrès des rois (zus. mit L. Cherubini, A.-E.-M. Grétry u. a.), UA: 1794; Phrosine et Mélidore, UA: 1794; La caverne, UA: 1795; Doria, UA: 1795; Le jeune Henri (Libr.: J. -N. Bouilly), UA: 1797; La prise du pont de Lodi, UA: 1797; Adrien (nach P. Metastasio), UA: 1799; Ariodant (nach dems.), UA: 1799; Epicure (zus. mit Cherubini), UA: 1800; Bion, UA: 1800; L'Irato, UA: 1801; Une Folie (Libr.: Bouilly), UA: 1802; Le trésor supposé, UA: 1802; Joanna, UA: 1802; L'heureux malgré lui (Libr.: Saint-Just), UA: 1803; Héléna (Libr.: Bouilly), UA: 1803; Le baiser et la quittance (zus. mit F. A. Boieldieu u. a.), UA: 1803; Les deux aveugles de Tolčde, UA: 1806; Uthal (Libr.: Saint-Victor), UA: 1807; Gabrielle d'Estrée (Libr.: Saint-Just), UA: 1806; Joseph, UA: 1807; Les Amazones, UA: 1811; Leprince troubadour, UA: 1813; L'oriflamme de Charles Martel (zus. mit F. Paër u.a.), UA: 1814; La journée aux aventures, UA: 1816; Valentine de Milan (vervollständigt v. L. J. Daussoigne-Méhul) (Libr.: Bouilly), UA: 1822. - Ballette u. a.: Le jugement de Péris, UA: 1793; La dansomanie, UA: 1800; Ninette à la cour, UA: 1802; Daphnis et Pandrose, UA: 1803; Persée et Andromède, UA: 1810; ferner Bühnenmusik. Lit.: A. POUGIN, M. (P 1889, Nachdr. G 1973); C. PIERRE, Musique des fětes et cérémonies de la Révolution française (P 1899); DERS., Les hymnes et chansons de la Révolution française (P 1904); A. PouGIN, Notice sur M. par Cherubini, in: RMI 16 (1909); R. BRANCOUR, M. (P 1912); H. STROBEL, Die Opern v. E. N.M., in: ZfMw 6 (1923/24); E. BLICKEN, Der heroische Stil in der Oper (L 1924) (= Veröff. des Fürstlichen Inst. für musikwiss. Forsch. zu Bückeburg V/1); G. DE SAINT-FOIX, Les six sonates de M., in: RM 6 (1925); P. -M. MASSON, L'ouvre dramatique de M., in: Annales de l'Univ. de Paris 1937; A. L. RINGER, A French Symphonist, in: MQ 37 (1951); W. DEAN, Opera Under the French Revolution, in: Proc. R. Mus. Assoc. 94 (1967/68); DERS., The French Operatic Ouverture from Grétry to Berlioz, in: ebd. 99 (1972/73). R. QUANDT
MEI, Girolamo, * 27.5.1519 Florenz, t Juli 1594 Rom; it. Humanist und Musiktheoretiker. M. studierte an der Universität Florenz, war kurz im Gefolge des Bischofs von Agen (1546), lebte danach in Lyon, Padua und seit 1559 in Rom, wo er bis 1574 im Dienst des Kardinals Montepulciano stand. WW: 5 Briefe an V. Galilei über antike Musik, ein Teil des 1. Briefes hrsg. v. P. del Nero als: Discorso sopra la musica antica e moderna (V 1602); De modis musicis antiquorum libri IV (hsl. ca. 1566-73); De nomi delle corde del monochordo (vor 1582); Trattato di musica.
M. repräsentiert einen neuen Typ des Musiktheoretikers des 16. Jh.: auf dem quellenkritischen Studium der griechischen Musik fußend, steht er im Gegensatz zu den an der gegenwärtigen Musikpra-
Meine Schwester und ich xis sich orientierenden Autoren seiner Zeit. M.s Schriften - insbesondere der Discorso, der die 1565 entdeckten Mesomedes-Hymnen auswertet - wurden bestimmend für die Entwicklung der /Monodie in Florenz (řCamerata Fiorentina). Einfluß hatte M. vor allem auf V. Galilei, mit dem er 1572-81 korrespondierte. Ausg.: Discorso sopra la musica..., Faks.-Ausg. (Bol 1968) (_ Bibl. musica Bononiensis II/35). Lit.: D. P. WALKER, Der musikal. Humanismus im 16. und frühen 17. Jh. (dt. Kas 1949); C. V. PALISCA, G. M. Mentor to the Florentine Camerata, in: MQ 40 (1954); DERS., G. M., Letters on Ancient and Modern Music to V. Galilei and G. Bardi. A Study with Annotated Texts (R 1960) (= MSD 3).
MEICHELBECK (Meichelpeck), Franz Anton, /Maichelbeck. MEIER, John, * 14. 6. 1864 Horn bei Bremen, t 3. 5. 1953 Freiburg im Breisgau; dt. Volksliedforscher. Er studierte Germanistik in Tübingen und Freiburg, wo er 1888 promovierte. 1891 habilitierte er sich in Halle/Saale mit Studien zur Sprach- und Literaturgeschichte der Rheinlande. 1899-1912 war M. Professor für Germanistik an der Universität Basel, wandte sich dann aber ganz der Volksliedforschung zu. In Freiburg im Breisgau gründete er 1914 das Deutsche Volksliedarchiv, das er bis zu seinem Tod leitete und zu einer für Deutschland zentralen Forschungsstelle ausbaute. M.s Ziel war die Sammlung und wissenschaftliche Edition von Volksliedern. M. rief das Jahrbuch für Volksliedforschung ins Leben und war 1911-49 Vorsitzender des „Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde". Zum 70. Geburtstag wurde M. durch die FS Volkskundliche Gaben (B 1934), zum 85. durch die FS Angebinde (Lahr 1949) geehrt. Schriften: Untersuchungen über den Dichter und die Sprache der Jolande (Diss. Fr 1888); Studien zur Sprach- und Literaturgeschichte der Rheinlande (Hl 1891) (= Beitr. z. dt. Sprache u. Lit. 16); Kunstlied und Volkslied in Deutschland (Hl 1906); Kunstlieder im Volksmunde (Hl 1906, Nachdr. Hil 1973); Volksliedstudien (Str 1917).
Zeitgenossen gleich hoch geschätzt wie Clemens non Papa und O. di Lasso, dem er besonders in den deutschen Liedern stilistisch nahesteht. Das zeigt sich u. a. in der Verwendung madrigalesker und villanellenhafter Elemente. M.s Passionen gehören zu den ersten Choralpassionen, die sich in den Turbasätzen von dem Walterschen Vorbild und von der Bindung an den choralen Passionston lösen. WW: Cantiones sacrae für 5-6 St. (Nü 1564 u. ö., erweiterte Aufl. 1572); Selectae cantiones für 5-6 St. (Nü 1572); Sacrae aliquot cantiones latinae et germanicae für 4-5 St. (F 1575); Cantiones aliquot novae für 5 St. (F 1576); Harmoniae sacrae für 5 St. (Erfurt 1588); Cygneae cantiones latinae et germanicae für 4-5 St. (Wittenberg 1590); Newe auBerlesene Teutsche Liedlin für 4-5 St. (Nü 1569); Neuwe auBerlesene Teutsche Gesäng für 4-5 St. (F 1575); je eine Matthäus-, Markus- u. JohannesPassion hsl.; einige weitere lat. u. dt. Gesänge in Sammeldrucken bis 1622; eine Messe, in: H. Praetorius, Liber missarum (H 1622). — Zahlr. Werke auch in Lautentabulaturen veröff. Ausg.: 6 Motetten für 5 St., in: F. COMMER, Musica sacra 19-20 (Rb 1878-79); Lobet den Herren in seinem Heiligtum, hrsg. v. E. ROLLER (St 1964) (= Geistliche Chormusik 1/236); Markus-Passion u. Rezitationsmodell der Matthäus-Passion, in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik I/3 u. 4, hrsg. v. K. AMELN — CH. MAHRENHOLZ — W. THOMAS (Gö 1974). Lit.: R. OPPEL, J. M. (Diss. Mn 1911); G. SCHMIDT, Die Musik am Hofe der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach vom ausgehenden MA bis 1806 (Kas 1956); DERS., Zur Quellenlage der Passionen J. M.s, in: JbLH 3 (1957); R. CASPARI, Liedtradition im Stilwandel um 1600 (Mn 1971) (= Schriften zur Musik 13).
MEILHAC, Henri, * 23.2. 1831 Paris, t 6.7. 1897 Paris; frz. Schriftsteller und Librettist. Vor seiner literarischen Laufbahn war M. 1852-55 als Zeichner und Humorist für das Journal pour rire und die Vie parisienne tätig. 1888 wurde er Mitglied der Académie Française. Neben Vaudevilles und Komödien (La sarabande du cardinal, 1856) verfaßte er vor allem Opern- und Operettenlibretti (zusammen mit L. Halévy und anderen Schriftstellern).
Lit.: E. SEEMANN, J. M., in: Mf 6 (1953); DERS., J. M., Sein Leben, Forschen u. Wirken (Fr 1954) (= Freiburger Universitätsreden N. F. 17); P. ANDRASCHKE, Verz. der Schriften J. M.s, in: Jb. für Volksliedforsch. 14 (1969).
WW (Libretti): zu J. Offenbach, Le Brésilien (1863), La belle Hélène (1864), Barbe-Bleu (1866), La vie parisienne (1866), La grande-duchesse de Gérolstein (1867), Le château à Toto (1868), La Périchole (1868), La diva (1869), Les brigands (1869), La boulangère a des écus (1875); G. Bizet, Carmen (1875); Ch. Lecocq, Le petit duc (1878); J. Massenet, Manon (1884); L. Delibes, Kassya (1893). Lit.: R. ANGERMÜLLER, Unters. zur Gesch. des Carmen-Stoffes (Diss. Mr 1967) (mit Werk-Verz.).
MEILAND (Mayland, Meyland), Jakob, * 1542 Senftenberg (Niederlausitz), t 31. 12. 1577 Hechingen; dt. Komponist. M. war Kapellknabe der Hofkapelle zu Dresden unter J. Walter und M. Le Maistre. Seit 1558 studierte er an der Universität Leipzig, reiste 1560 nach Flandern und war 1565-72 Hofkapellmeister in Ansbach. 1573-75 lebte er vorübergehend in Frankfurt am Main und war 1576-77 Organist in Celle. 1577 wurde er Kapellmeister des Grafen Eitel-Friedrich IV. von Hohenzollern in Hechingen. - M. wurde von seinen
MEINE SCHWESTER UND ICH, Ein musikalisches Spiel in 2 Akten mit einem Vor- u. Nachspiel von Ralph Benatzky (1884-1957), Text von Berr u. Verneuil. Ort u. Zeit der Handlung: Frankreich, um 1930. UA: 29. 3.1930 in Berlin (Komödienhaus). Verfilmt: 1934 (unter dem Titel Ihre Durchlaucht, die Verkäuferin) u. 1954. Vor dem Scheidungsrichter erzählen die Protagonisten die Geschichte ihrer Liebe, die über alle sozialen Unterschiede hinweg den Fortbestand der Ehe garantiert. Benatzky schuf mit dieser Operette eine 265
Meisel
kammermusikalische Komposition, deren Kennzeichen die sparsam begleitete, dem kabarettistischen Chanson nachempfundene Liedmelodie ist. Die Popularität des Werkes beruht u. a. auf der Verwendung moderner Gesellschaftstänze wie Shimmy (Ich lade sie ein, Fräulein), Slowfox (Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin), Tango (Um ein bißchen Liebe dreht sich die Welt) oder Walzer (Freunderl, mir ist heut so gut). Die wenig aufwendige, auch für kleinere Theater geeignete Realisierbarkeit ermöglichte eine weite Verbreitung des Werkes. B. DELCKER MEISEL, Will (Wilhelm), * 17. 9. 1897 Berlin, t 29.4. 1967 Müllheim (Baden); dt. Komponist und Musikverleger. Nach seiner ersten Musik- und Ballettausbildung war M. 1907-23 als Tänzer an der Berliner Hofoper tätig. Danach trat er in Varietés und Kabaretts auf, war Leiter eines eigenen Kabaretts und schrieb Operetten und Filmmusiken. Einige Lieder daraus wurden bekannte Schlager, so etwa Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst, Marie Luise und Tausend rote Rosen blühn. 1926 gründete er den Bühnen- und Musikverlag Edition Meisel & Co. GmbH, bei dem er eigene Werke und Werke anderer prominenter Komponisten von Unterhaltungsmusik verlegte. M. lebte bis zu seinem Tod als freischaffender Komponist in Berlin. WW: 7 Operetten: Fräulein, Pardon (1929); Eine Freundin, so goldig wie du (1930); Zehn Minuten Glück (1932); Die Frau im Spiegel (1935); Mein Herz für Sylvia (1938); Königin einer Nacht (1943); Was macht eine Frau mit zwei Männern (1949). - 44 Filmmusiken, u.a. zu: Die Sonne geht auf (1934); Zigeunerblut (1934); La Paloma (1934); Ein Walzer für dich (1934); Alle Tage ist kein Sonntag (1935). - Ferner Schlager, Chansons und Lieder.
MEISTERSANG, bürgerlicher Abkömmling des 7Minnesangs, der vom 14. bis ins 19. Jh. im dt. Sprachraum verfolgt werden kann, dessen Blütezeit jedoch im 15./16. Jh. liegt. Seine Träger sind Handwerker („Meister"; unter Einschluß anderer Berufsschichten), die sich in mindestens 25 Städten zu Singschulen mit spezifischem Brauchtum zusammenschlossen. Die Frage nach den Wurzeln des zunftund schulmäßig organisierten M. ist kontrovers. Einer legendenhaften Tradition zufolge werden immer wieder 12 Minnesänger als Ahnherren genannt (wobei einige Namen wechseln): u. a. Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Konrad Marner, Heinrich von Meißen, Bartel Regenbogen, Heinrich von Mügeln. Heinrich von Meißen hat angeblich 1310 in Mainz die erste Singschule gegründet. Weitere Gründungen finden sich zumeist in Süddeutschland und im Elsaß, aber auch in Ostdeutschland, Österreich und Böhmen: Mainz (1310-1600), Augsburg (1449-1772), Nürnberg (1450-1774), Straßburg (1492-1780), Freiburg 266
i. Br. (1513-1672), Ulm (1517-1839), Steyr (1540 bis 1616), Colmar (1546—?), Wels (1549-1601), Iglau (1560-1620), Breslau (1571-1670), Memmingen (1600-1875). Zu den profiliertesten Vertretern des M. zählen M. Behaim, Hans Folz (vor 1479-1515), H. Sachs, Adam Puschmann (1532 bis 1600), Georg Hager (1552-1634) und Ambrosius Metzger (1573-1632). Der M. ist eine stark traditions- und autoritätsbezogene, lehr- und lernbare Formalkunst. Er basiert auf kanonisierten Regeln, die in sog. Tabulaturen (Tafeln) niedergelegt sind. Diesen Regeln wird die Liedpflege in all ihren Aspekten — vom Verfertigen der Lieder bis zu ihrem Vortrag — unterworfen („Schulkünste"), während die Organisationsformen und Zusammenkünfte der Meistersinger durch sog. Schulordnungen geregelt werden. Die Zusammenkünfte haben im allgemeinen Wettkampfcharakter. Sie finden entweder in kirchlichen Räumen als „Hauptsingen" oder als „Zechsingen” in Gasthäusern statt. Der Vortrag wird von 3 oder 4 besonders qualifizierten Meistersingern, den „Merkern", bewertet, indem jeder von ihnen einen Einzelaspekt verfolgt (sauberer Reim, metrisch-musikalische Genauigkeit, Sprachrichtigkeit, inhaltliche Qualität). — Die Lieder sind unbegleitet und einstimmig. Ihr Autor ist gleichermaßen für die sprachliche und die musikalische Schicht verantwortlich und trägt seine Arbeiten selbst vor. Bleibt es bis ins 16. Jh. strenge Vorschrift, sich an tradierte Muster zu halten — das Kontrafazieren ist also die Norm —, so besteht seither die geforderte Höchstleistung im Erfinden eigener sprachlich-musikalischer Muster, die „Ton” (oder synonym auch „Weise") genannt werden. Stofflich stehen biblisch-theologisch-moralisierende Themen mit lehrhafter Tendenz im Vordergrund; jedoch werden das gesamte Wissen der Zeit, aktuelle Ereignisse, persönliche Erfahrungen, Gelehrtes und Derbes in den M. hineingenommen. — Das Meisterlied heißt 'Bar und besteht aus 3teilig geformten Strophen. Ihre Verse setzen sich unter Mißachtung des Wortakzents aus silbenzählenden Jamben zusammen. Die Melodik ist linear konzipiert und weist (besonders in der Spätzeit) zahlreiche Melismen auf, die von den Meistersingern „Blumen" genannt werden. Die Tonalität ist /modal, neigt aber in zahlreichen Fällen zu Dur und Moll. Über die Rhythmik kann angesichts der Eigenarten der Schrift — die Schreiber bedienen sich vorwiegend der Choralnotation, mit Tendenzen zu einer rudimentären, unsystematischen Mensuralnotation (/Notenschrift) — und der Mißachtung des Wortakzents kaum Verläßliches ausgesagt werden. Die wichtigsten und reichhaltigsten (Sammel-)Hand-
Melani schritten des frühen M. sind die OEJenaer, die Donaueschinger, die Colmarer und die 1558 von Valentin Voigt angefertigte Liederhandschrift der Universitätsbibliothek Jena. Die lehrhaften Absichten der Meistersinger, die den Stoff zur Rechtfertigung ihrer Existenz vorweisen, die strenge Anlehnung an formale Muster in der Frühzeit und der Zwang zu neuen Formen seit dem 16. Jh., das Messen formaler Qualitäten, die wortakzentfeindliche Metrik — all das geht zu Lasten eines ausgewogenen Wort-Ton-Verhältnisses. Diese Eigenarten sowie das Festhalten an unbegleiteter Einstimmigkeit zu einer Zeit, in der die vokale Mehrstimmigkeit einen Höhepunkt an Raffinement erreicht und die Instrumentalmusik eine erste Emanzipationsphase hinter sich hat, geben dem M. schon im 15./16. Jh. etwas Erstarrtes und Epigonales. Sie sind zugleich eine Erklärung für seine mangelnde ästhetische Strahlkraft. — R. Wagner setzte dem M. ein einzigartiges Denkmal in seiner Oper Die Meistersinger von Nürnberg (1868), freilich nicht nur aus Interesse an der deutschen Kulturgeschichte, sondern viel mehr noch als Kulisse für seine eigene Auffassung vom Verhältnis von Regel und Freiheit in der Kunst. Ausg.: Troubadours, Trouvères, Minne- u. Meistergesang, hrsg. v. F. GENNRICH (Kö 1951, '1960) (= Das Musikwerk 2); Ausgew. Melodien des Minnesangs, hrsg. v. E. JAMMERS (Tü 1963). Lit.: A. PUSCHMANN, Gründlicher Ber. des dt. Meistergesangs (Görlitz 1571, NA Hl 1888); C. SPANGENBERG, Von der Musica u. den Meistersängern (Str 1598, Nachdr. Hil 1966); J. CH. WAGENSEIL, Buch v. der Meister-Singer holdseligen Kunst, in: De ... civitate Noribergensi commentatio (Altdorf 1697, Nachdr. Göppingen 1975); Nürnberger Meistersinger-Protokolle v. 1575-1689, 2 Bde., hrsg. v. R. DRESCHER (St 1897, Nachdr. Hil 1963); F. GENNRICH, Grundriß einer Formenlehre des ma. Liedes (H11932, Nachdr. Tü 1970); B. NAGEL, Der Dt. M. (Hei 1952); H. HUSMANN, Meistergesang, in: MGG VIII; B. KIPPENBERG, Der Rhythmus im Minnesang (Mn 1962); B. NAGEL, M. (St 1962,'1971); Der dt. M., hrsg. v. B. NAGEL (Da 1967) (= Wege der Forsch. 148); E. SCHUMANN, Stilwandel u. Gestaltveränderung im M. (Gö 1972). J. HUNKEMOLLER
MEISTERSINGER VON NURNBERG, DIE, Oper in 3 Aufzügen von Richard Wagner (1813 bis 1883), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: Nürnberg, um die Mitte des 16. Jahrhunderts. UA: 21. 6.1868 in München. Die klassische Vereinigung genialer Improvisation und traditionsgebundener Formstrenge ist die in dieser Oper veranschaulichte Leitidee von Wagners Kunst- und Selbstverständnis. Den Figuren lassen sich ästhetische Positionen zuordnen: Der junge fränkische Ritter Walther von Stolzing belebt die überlieferten Formen des Meistersangs durch freischöpferische Gestaltung; dies ruft das Mißtrauen der orthodoxen Regelfanatiker hervor, deren Repräsentant der Stadtschreiber Beckmesser ist; Hans
Sachs, Oberhaupt der Meistersingerzunft, favorisiert Walther, ermahnt jedoch zur besonnenen Verbindung von Traditionalismus und Neuerertum. Beim Wettsingen um die Hand der schönen Eva Pogner läßt Wagner das einfache Volk, dessen „Kunstinstinkt" er mehr schätzt als den Sachverstand der Fachkritiker, für Walther entscheiden. — Angeregt zu seinem deutlich autobiographisch motivierten Werk wurde Wagner u. a. durch J. Chr. Wagenseils Buch von der Meister-Singer holdseligen Kunst (1697) und A. Lortzings Oper Hans Sachs (1840). Als musikalische Keimzelle fungiert das Vorspiel, das nach Art einer symphonischen Dichtung komponiert und bereits 1862 — fünf Jahre vor Abschluß der Textvertonung — in Leipzig uraufgeführt wurde. Charakteristisch für die Leitmotivik der Meistersinger ist weniger ihre psychologische denn musikalisch-strukturale Dichte: Die Leitmotive sind vielfach als klassische Motivabspaltungen und Charaktervarianten voneinander ableitbar. Die starke Verflechtung chromatischer Harmonik mit archaisierenden diatonischen Wendungen entspricht dem Streben nach Gestaltung historischen Lokalkolorits, das — im Verein mit den zahlreichen geschlossenen Formen — dieses Werk ungeachtet seiner buffonesken Elemente gattungsmäßig in die Nähe zur Großen Oper rückt. w. A. MAKUS MEL, Renatas Del (Rinaldo Del Melle), * um 1554 Ellemelle (Lüttich), t nach Juli 1597; franko-flämischer Komponist. M. war seit 1562 Sänger an St-Rombaut in Mecheln und 1572-80 Hofkapellmeister in Lissabon. Nach einem Aufenthalt in Rom, wo er G. P. da Palestrina kennenlernte, war er 1583-87 in mehreren italienischen Städten tätig, u. a. zuletzt als Kapellmeister an S. Marco in Venedig. 1587-89 stand er im Dienst des Fürstbischofs Ernst von Bayern in Lüttich und Antwerpen. Danach hielt er sich wieder in Italien auf und war 1594-96 Domkapellmeister in Magliano Sabina. 1597 kehrte M. in seine Heimat zurück. WW: Madrigale (Madrigaletti) für 3 St. (V 1586, 1593, 1594); für 4-6 St. (V 1583); für 5 St. (1584, 1587, 1594); für 6 St. (An 1588, V 1593, 1595). - 5 Bücher Motetten, davon erhalten: 1 für 4-8 St. (V 1581), 3 für 5-6 St. (V 1585), 5 für 6-12 St. (V 1595); Sacrae cantiones für 5-12 St. (V 1588); geistliche u. weltliche Werke auch in zahlr. Sammeldrucken 1585-1610 u. hsl. Ausg.: 16 Motetten u. eine Litanei, in: F. COMMER, Musica sacra 16, 20, 21 u. 26 (Rb 1875ff.); 7 Motetten, eine Litanei u. eine Chanson, in: R. J. VAN MALDEGHEM, Trésor musical 1865, 1873, 1875, 1876; eine Litanei, in: C. PROSKE, Musica divina II/4 (Rb 1869). Lit.: G. VAN DOORSLAER, R. del M., compositeur du XVI' sičcle, in: Annales de l'Acad. Royale d'Archéologie de Belgique 49 (1921).
MELANI, it. Musikerfamilie. — 1) Jacopo, getauft 6.7.1623 Pistoia, t 19.8.1676 ebd.; Komponist. 267
Melba Er stand im Dienst des Großherzogs von Toskana in Florenz; 1644 folgte er mit seinem Bruder Atto einer Einladung Kardinal Mazarins nach Paris. 1647 wurde er Organist, 1657 Kapellmeister am Dom von Pistoia. M. zählt zu den frühen Vertretern der Oper mit heiterem Text in Italien. WW: Opern (nur die hsl. erhaltenen) La Tancia ovvero II podestà di Colognole, UA: Florenz 1656; Ercole in Tebe, UA: ebd. 1661; Girello, UA: ebd. 1670. •
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2) Alessandro, getauft 4.2.1639 Pistoia, t Oktober 1703 Rom; Komponist. 1667 folgte er seinem Bruder Jacopo als Domkapellmeister in Pistoia. Seit 1669 war er in Rom an verschiedenen Kirchen tätig. WW: Motetti sacri für 2-5 St. (R 1670); Delectus sacrorum concentuum für 2-5 St. u. B.c. (R 1673); Concerti spirituali für 2-5 St. u. B.c. (R 1682); einige Motetten in Sammeldrucken 1675 u. 1712. - 6 Oratorien, davon hsl. erhalten: Il fratricidio di Caino (auch unter dem Titel Il Sacrificio di Abele), UA: Wien 1678; Santa Rosa di Viterbo, UA: Modena 1691. - Opern (hsl. erhalten): L'empio punito, UA: Rom 1669; Il carceriere di se medesimo, UA: Florenz 1681; Gli amori di Lidia e Clori, UA: Bologna 1688. - Auch einige Kantaten sind hsl. erhalten. Ausg.: Zn 1): La Tancia, in: H. GOLDSCHMIDT, Stud. z. Gesch. der it. Oper im 17. Jh., 2 Bde. (L 1901, Nachdr. Hil - Wie 1967). Zo 2): Aria Vezzosa Aurora, hrsg. v. Kn. Jeppesen, in: La Flora 2 (Kop 1949). Lit.: L. F. TAGLIAVINI, M., in: MGG IX; R. L. WEAVER, Materiali per le biografie dei fratelli M., in: RIMus 12 (1977); DERS., M., in: Grove 6 XII.
MELBA, Nellie (eig. Helen Armstrong), * 19. 5. 1861 Melbourne, t 23.2.1932 Sydney; australische Sängerin (Koloratursopran). Nach ihrer Gesangsausbildung in Melbourne und Paris bei M. Marchesi debütierte sie 1887 in Brüssel als Gilda in G. Verdis Rigoletto. Im Verlauf ihrer Karriere sang sie an allen großen Opernbühnen Europas und Nordamerikas: u. a. 1889 in Paris an der Grand Opéra, 1890 in St. Petersburg, 1893 an der Mailänder Scala, 1888-1914 regelmäßig am Covent Garden in London und 1893-1911 mit einigen kurzen Unterbrechungen auch an der Metropolitan Opera in New York. Sie beendete ihre Laufbahn 1926 in London, wo sie ihre größten Triumphe feierte. Sie war die überragende Primadonna ihrer Zeit und verfügte über eine virtuose Koloraturstimme von außergewöhnlichem Umfang. Ihre bedeutendsten Opernrollen waren Gilda in Rigoletto und Violetta in La Traviata von G. Verdi, die Lucia in Lucia di Lammermoor von G. Donizetti und Mimi in G. Puccinis La Bohème. Ihre Autobiographie erschien unter dem Titel Melodies and Memoires (Lo 1925). Lit.: A. MURPHY, N.M. (Lo 1909); P. COLSON, M. (Lo 1931); J. WECHSBERG, Red Plush and Black Velvet (Boston 1961), dt. Übers.: Roter Plüsch u. schwarzer Samt. Die große M. u. ihre Zeit (Reinbek 1964); G.W. HUTTON, M. (Melbourne 1962); J. HETHERINGTON, M. (Lo 1968).
MELCHIOR, Lauritz (eig. Lebrecht Hommel),
268
* 20.3. 1890 Kopenhagen, t 18.3. 1973 Santa Monica (Calif.); dänischer Sänger (Tenor). Er studierte 1908-17 bei Paul Bang in Kopenhagen und debütierte dort 1913 als Bariton in der Partie des Silvio in R. Leoncavallos Bajazzo am Königlichen Opernhaus. Nach weiterem Gesangsunterricht bei Vilhelm Herold, Victor Beigel, Ernst Grenzebach und Anna Bahr-Mildenburg gelang ihm 1924 mit sensationellen Erfolgen am Covent Garden in London und in Bayreuth der Wechsel ins Heldentenorfach. 1926-50 war er Mitglied der Metropolitan Opera in New York. Gastspielverträge banden ihn an die Hamburger und Berliner Staatsoper. M. galt als der bedeutendste Wagner-Tenor seiner Generation. Lit.: H. HANSEN. L. M. A Discography (Kop 1965, 21972).
MELICHAR, Mois, * 18. 4. 1896 Wien, t 9. 4. 1976 München; östr. Komponist, Dirigent und Musikschriftsteller. Er studierte 1917-20 an der Wiener Musikakademie (u. a. Theorie bei J. Marx) und 1920-23 an der Berliner Musikhochschule (Komposition bei Fr. Schreker). 1923-26 hielt sich M. in Aserbeidschan auf. 1927-33 war er Dirigent und künstlerischer Produktionsberater der Deutschen Grammophon-Gesellschaft. 1946-49 leitete er am Wiener Sender „Rot-Weiß-Rot" das Studio für moderne Musik. Später lebte er als freischaffender Komponist in Wien und München. Als Komponist war er besonders mit seinen Filmmusiken erfolgreich. In seinen Schriften trat er vor allem für die traditionelle dur-moll-tonale Musiksprache ein und wandte sich rigoros insbesondere gegen die Zwölftontechnik A. Schönbergs und den „Primitivismus" in der Orffschen Musik. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke; Orch.-Werke; etwa 250 Lieder; Kantate In tyrannos (1956); Operette Der Walzerkrieg, UA: München 1965; Musik zu zahlr. Filmen (u. a. Nanon, darin: Heut' ist der schönste Tag; Das doppelte Lottchen und Ludwig II.). - 2) Schriften: Die unteilbare Musik (W 1952); Überwindung des Modernismus (W - F 1952, 31956); Musik in der Zwangsjacke (W - St 1958); Schönberg u. die Folgen (W 1960). Lit.: P.J. KORN, Apropos Zwangsjacke. Eine Analyse der Angriffstaktik gegen A. M. (W 1959); H. KAUFMANN, A. M. u. die Ursachen, in: Forum 9 (1962).
MELISMA (griech., = Gesang, Lied), Bz. für einen auf einer einzigen Textsilbe gesungenen /Melodie-Abschnitt. Die Melismatik, wie man den melismenreichen Gesang auch nennt, ist charakteristisches Merkmal vor allem der orientalischen Musik. In der abendländischen Musik ist sie wahrscheinlich über die Rezeption jüdisch-synagogaler Gesangspraktiken im frühchristlichen Kult erstmals fester Bestandteil geworden. In der weiteren Entwicklung des Gregorianischen Gesangs gehört gerade sie zu den wesentlichen Ausprägungen und Schöpfungen der mittelalterlichen Einstimmigkeit. Besonders typisch sind hier die Melismen des /Alleluja (/Ju-
Melodie bilus). Die Textierung originärer Melismen führte zur Entstehung des /Tropus und verwandter Gattungen (řSequenz). Melismatik ist charakteristisch auch für die frühe Mehrstimmigkeit, besonders für das řOrganum. Grundsätzlich lassen sich sodann spätere melodische Erscheinungen wie etwa die /Koloratur als M. auffassen. Den Gegenpol zur Melismatik, d. h. die Zuordnung jeweils eines Tons zu einer Textsilbe, nennt man „Syllabik". Die Spannung zwischen beiden Polen ist bis heute ein elementares Gestaltungsprinzip des Verhältnisses von Wort und Ton in der abendländischen Vokalmusik. MELKUS, Eduard, * 1. 9. 1928 Baden (Niederösterreich); östr. Violinist. Er studierte 1943-53 Violine an der Musikakademie und Musikwissenschaft an der Universität Wien, später noch Violine u. a. bei A. Schaichet an der Zürcher Musikakademie (1956). 1955-56 war er Solobratscher im Zürcher Tonhalle-Orchester, dann im Stadtorchester Winterthur, 1955-58 1. Violinist im Neuen Zürcher Streichquartett und lehrt seither als Professor für Violine an der Musikhochschule in Wien. Seit 1965 leitet er die von ihm gegründete Capella Academica Wien, ein Ensemble mit historischen Instrumenten, das vor allem Musik der Mozartzeit aufführt. Konzertreisen führten M. durch Europa und in die USA. Schriften: Zur Interpretation des Violinkonzertes Opus 61 von L. van Beethoven, in: OMZ 19 (1964); Zur Ausführung der Stricharten in Mozarts Werken, in: Mozart-Jb. 1967; Zur Auszierung der Da -capo-Arien in Mozarts Werken, in: ebd. 1968/70; Die Violine. Eine Einführung in die Geschichte der Violine und des Violinspiels (St 1973) (= Unsere Musikinstr.3).
MELLERS, Wilfrid, * 26. 4. 1914 Leamington; engl. Komponist und Musikfortcher. M. ist Kompositionsschüler von E. Wellesz und E. Rubbra. 1945-48 war er Dozent am Downing College in Cambridge. 1948-59 lehrte er an der Universität Birmingham, 1960-63 an der Universität Pittsburgh (Pa.). 1964 wurde er Professor of Music an der Universität York. WW: 1) lnstr.-WW: Natalis invicti (1968) für Klv.; eine Symphonie (1953); Noctambule and Sun-Dance (1962) für Blasorch.; Alba in Nine Metamorphoses (1961) für Fl. u. Orch. - 2) Vohs]. WW: Voices and Creatures (1962) für Sprecher, Fl. u. Schlagzeug; Rose of May. A Threnody for Ophelia (1964) für Sprecher, Sopran, Fl., Klar. u. Streichquartett; A May Magnificat (1966) für Mezzosopran u. kleines Orch.; Canticum resurrectionis (1969) für 16 St.; Cloud Canticle (1970) für Doppelchor; The World Unborn (1970) für Doppelchor, Fl., Klar., Vc., Pos. u. 2 Schlagzeuger; De vegetalibus et animalibus (1971) für Sopran, Klar., V., Vc. u. Harfe; Venery for Six Plus (1972) für „dancing singer", Klar., Fl., Pos., Kb., Schlagzeug u. Tonband; Trilogie Life Cycle (1968) für 3 Chöre u. 2 Orch. - 3) Buhnen-WW: Opern The Tragical History of Christopher Marlowe, UA: London 1953; The Borderline, UA: ebd. 1959; Kammeroper The Shepherd's Daughter (1954); Monodrain The Ancient Wound (1970) für singende Schauspiele-
rin, 2 Sprecher, 9 Instr. u. Tonbänder. - 4) Schriften: F. Couperin (Lo 1950, Nachdr. Lo 1963, NY 1968); The Sonata Principle (Lo 1957, Nachdr. NY 1969) u. Romanticism and the 20th Century (Lo 1957, Nachdr. NY 1969), beide dt. als: Musik u. Gesellschaft, 2 Bde. (F 1964-65); Music in a New Found Land, Themes and Developments in the History of American Music (Lo 1964, NY 1965, Nachdr. 1975); Harmonious Meeting. A Study of the Rela-
tionship Between English Music, Poetry and Theatre, ca. 1600-1900 (Lo 1965); Caliban Reborn, Renewal in 20th Century Music (NY 1967, Lo 1968). Lit.: R. HENDERSON, The Music of W. M., in: MT 104 (1963).
MELLI (Meg,li), Domenico Maria, * 2. Hälfte des 16. Jh. Reggio Emilia; it. Komponist. M., in Padua lebend, Doktor der Rechte und auf musikalischem Gebiet Dilettant, war einer der ersten Vertreter der >'Monodie. Das 1. Buch seiner Musiche erschien einige Monate vor G. Caccinis Le nuove Musiche (1602) und enthält monodische Fassungen von Madrigalen anderer Komponisten. Erst im 2. und 3. Buch ist er auch mit eigenen Kompositionen vertreten, die jedoch gegenüber den Werken Caccinis rudimentär anmuten. WW: Musiche composte sopra alcuni madrigali ... per cantare nel chitarrone, clavicembalo ed altri istromenti (V 1602), Nachdr. als: Le prime musiche ... (V 1603, 1609), Le seconde musiche ... (V 1602) u. Le terze musiche ... (V 1609).
MELLOTRON, Bz. für ein in England Ende der 50er Jahre entwickeltes Gerät zur Wiedergabe von Instrumental- und Vokalklängen, das vor allem in der Produktion von Unterhaltungsmusik eingesetzt wird. Hierzu werden die gewünschten Klänge (meist Streicher, Bläser, Chor) als Einzeltöne in temperierter Stimmung auf Tonband aufgenommen (als Bandstücke von etwa 8 Sekunden Länge auf einzelne Spulen gewickelt), die im M. über eine Klaviertastatur abgerufen werden können. Auf diese einfache Weise ersetzt das M. z. B. einen Background-Chor. Das M. ist einzuordnen zwischen den elektrifizierten (z. B. >'Elektrogitarre) und den elektronischen (z. B. /Synthesizer) Instrumenten u. wird von letzteren zunehmend ersetzt. MELODICA, Bz. für ein von der /Mundharmonika abgeleitetes ŘHarmonika-Instrument mit Mundstück zum Anblasen und Klappen- oder Ta-
stenmechanik (unterschiedliche Umfänge: h—c3; f—g2, ct—c3; f—e2). Nach ähnlichem Prinzip ist auch die gleichtönige Harmonetta gebaut. MELODIE. Allgemeines. Von J. G. Walther (Musicalisches Lexicon, 1732) schlicht als „SangWeise" definiert, ist M. nach dem Verständnis des 18. und 19. Jh., an dem sich noch heutige Vorstellungen orientieren, eine sinnhafte, in sich geschlossene und überschaubare Tonfolge, für die bestimmte Eigenschaften — individuelle Gestalt, faßlicher Bau, Ausdruckshaftigkeit und Sanglichkeit — 269
Melodie maßgeblich sind. Als ihr Gegenstück erscheint die /Harmonie: M. und Harmonie gelten seit dem 17. Jh. als die zwei einander ergänzenden und stützenden Träger musikalischer Verläufe — M. steht demnach für horizontale, Harmonie für vertikale Vorgänge ('Harmonik). Bezeichnend dafür ist der im 18. Jh. ausgetragene Streit, ob der M. oder der Harmonie der Primat gebühre, ob also die Harmonie das Wesen der Musik ausmache (J. Ph. Rameau 1722) oder ob die M. Vorrang besitze (J.-J. Rousseau 1768). Bezeichnend dafür sind auch Typologien, die, ausgehend von melodischen Bildungen der /Polyphonie und /Homophonie, zwischen „reiner" und harmonisch-metrisch gebundener M. unterscheiden. M.n des /Gregorianischen Gesangs und der Renaissancemusik verkörpern danach die „absolute", harmonisch-metrisch nicht gebundene M., während die dreiklangbestimmte M. der dur-moll-tonalen Musik des 17.-19. Jh. deren Gegentypus bezeichne. Für A. Halm, der J. S. Bachs Fugen- und L. van Beethovens Sonatentypus als zwei kontrastierende „Kulturen der Musik" begriff, waren Bachs Fugenthemen der Inbegriff melodischer Kunst; E. Kurth sah in der „energetischen", linear-freien Melodik der Polyphonie (speziell Bachs) die eigentliche Verwirklichung von M., der er einerseits das enge „rhythmische M.-Empfinden" der Wiener Klassik gegenüberstellte und die er andererseits in der „unendlichen M." Wagners wiedergewonnen sah. Sowohl die Eingrenzung aber auf Vorstellungen des 18. und 19. Jh. wie auch die polare Gegenüberstellung von M. und Harmonie, die aus der Entwicklung zum harmonisch bestimmten Denken seit dem 17. Jh. resultiert, bedeuten eine Einengung des M.-Begriffs. Ähnlich wie řHarmonielehre und /Kontrapunkt sich nicht auf vertikale bzw. lineare Aspekte beschränken — Harmonielehre lehrt auch Akkordfortschreitungen, Kontrapunkt schließt Fragen des Zusammenklangs ein —, so erschöpft sich auch die M. nicht im Horizontalen. Zur M. als konkreter Gestalt gehört sowohl die Harmonie wie auch, als weiteres Moment, der Rhythmus. Erst der hinzutretende Rhythmus macht aus einer geordneten Tonfolge, deren spezifische Gestalt das „Melos" einer M. ausprägt, eine M.; und der „Harmonie" — als dem im älteren Verständnis „Inbegriff rational regulierter Tonbeziehungen" (C. Dahlhaus) — sind auch M.n verpflichtet, die nicht der Dur-Moll-Tonalität entstammen. Aussehen und Art von M.n sind sowohl von unterschiedlichen Tonsystemen abhängig — pentatonische, modale und dur -moll -tonale M.n unterscheiden sich grundlegend voneinander — als auch von Funktion, Gattung und kultureller Herkunft. 270
Seit dem späten 16. Jh. kam der M. die Aufgabe zu, in textlicher Ausdeutung Affekte darzustellen (7Affektenlehre); dazu stand ihr im Barock eine Fülle musikalischer řFiguren mit feststehenden Ausdrucksgehalten zur Verfügung. Ab der Mitte des 18. Jh., im Stilumbruch zur Klassik, kristallisierte sich demgegenüber ein anderes Ideal heraus: Was musikalisch gesagt wurde, sollte neu, originell sein, und es sollte dem inneren seelischen Ausdruck entspringen, nicht einem vorgegebenen Formelkanon. Die individuell-ausdruckshafte melodische Gestaltung wurde zum neuen Leitbild. Instrumentalen M.n können gegenüber vokalen ein größerer .Ambitus, ausgreifendere Bewegungen, höhere Beweglichkeit und kompliziertere Rhythmik zugemutet werden. Doch bedeutet diese grundsätzliche Differenz keinen ausschließenden Gegensatz. Zum einen nämlich löste sich die Instrumentalmusik seit dem 17. Jh. erst allmählich aus ihrer Abhängigkeit von der Vokalmusik, ihrer historischen Wurzel neben der Tanzmusik: Bis ins 18. Jh. hinein besaß Vokalmusik den ästhetischen Primat. So ist ein instrumentales >'Ricercar im Grunde eine "Motette ohne Text; und noch manche Themen Bachs — etwa das Thema der E-DurFuge aus dem 2. Teil des Wohltemperierten Claviers — sind unverkennbar vokaler Tradition verpflichtet. Zum anderen können instrumentale und vokale Melodik zusammenfallen oder sich gegenseitig befruchten: Bachs Vokalmusik ist überwiegend instrumentaler Natur, ohne daß sie den Charakter und Ausdruck des Sprechenden verleugnen würde; die kantabel-melodische Ausformung instrumentaler Themen bei J. Chr. Bach, das sog. „singende Allegro", wirkte nachhaltig auf W. A. Mozart ein; das seit dem ausgehenden 17. Jh. nachweisbare „instrumentale" řRezitativ überträgt die Eigenarten des vokalen Rezitativs auf das Instrumentale (bei Beethoven etwa im 1. Satz der Klaviersonate op. 31,2, im Finale der 9. Symphonie u. ö.); Fr. Schuberts symphonische Themen zeigen häufig liedhaften Charakter; die auf gespanntesten Ausdruck gerichtete Vokalmelodik des Expressionismus trägt oft instrumentale Züge. Innerhalb der Vokal- bzw. Instrumentalmusik selbst differiert die Melodik je nach Gattung. Die M. eines Liedes, auf adäquate Umsetzung einer dichterischen Vorlage angelegt, unterscheidet sich von der einer "Arie, die in den Ablauf des Operngeschehens eingebunden ist; der Refrain eines řRondo beansprucht, wegen seiner steten Wiederkehr, ausgeprägtere melodische Qualitäten als das Thema einer Sonate, das zu thematisch-motivischer Verarbeitung geeignet sein muß. M.n sind schließlich auch von den Kulturkreisen
Melodie
geprägt, denen sie entstammen. Von der Sonderrolle des Volksliedes abgesehen, das in der mündlichen Tradierung dem „Zersingen" und „Zurechtsingen" ausgesetzt ist, sind abendländische M.n im allgemeinen fixierte Gebilde. Außereuropäischen Kulturen dagegen sind derart konstante M.n eher fremd, wie z. B. die /Heterophonie — der simultane Vortrag verschiedener Ausprägungen derselben M. — belegt. Geschichtliches. Der Gregorianische Gesang, der sich in seiner einfachsten Form auf einen Rezitationston beschränkt, kennt syllabische (auf jede Silbe entfällt ein Ton) und melismatische Melodik (pro Silbe mehrere Töne). -. -- -Di-es i-rae, di- es il - la, ~ r ~=rť _~~
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Charakteristisch für diese M.-Gestalt sind: die Sekunde als konstitutives Intervall; der für tonale M. -Bildung insgesamt bestimmende Ausgleich der melodischen Bewegungsrichtung; die stützende Orientierung an zwei Haupttönen: der /Finalis als Schlußton der M. und der .Repercussa (oder Tenor) als melodischem Zentralton über der Finalis; und bestimmte melodische Formeln (řPsalmtöne), die den /Kirchentönen zugeordnet sind. Der Ambitus der M.n ist in authentischen und plagalen Kirchentönen unterschiedlich: M.n in einem authentischen Modus bewegen sich vorzugsweise oberhalb der Finalis, plagale M.n gleichmäßig über und unter ihr. Die ebenmäßige Ausgewogenheit gregorianischer M.n darf nicht mit starrer Würde oder ausdrucksloser Glätte gleichgestellt werden. Sie sind, durch Wiederholung von Tongruppen, gleichermaßen fähig zu beschwörender Intensität •
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Das Wiederholungsverbot im 15. und 16. Jh. ist dafür ebenso ein mittelbarer Zeuge wie auch etwa G. P. da Palestrinas mäßigende Abänderungen an gregorianischen Vorlagen. Bis in das 16. Jh. hinein fußte die im Mittelalter aufkommende Mehrstimmigkeit auf dem melodischen Repertoire des Gregorianischen Gesangs. Galten im Mittelalter einerseits melodische Formeln der Kirchentöne als M., so war um 1200 andererseits die Melodik bestimmten rhythmischen Schemata (Modal-/Notation) und dem Stimmenverband unterworfen: das Ereignis der Mehrstimmigkeit konzentrierte sich primär auf Probleme des Zusammenklangs und der rhythmischen Koordination mehrerer Stimmen. Eine Synthese von Klanglichkeit und „ ,kontrapunktischer` Melodik" (H. Besseler) kündigt sich mit den Niederländern an; J. Tinctoris, der bedeutendste Theoretiker des 15. Jh., rühmt in seinem Liber de arte contrapuncti (1477) nachdrücklich den Wohlklang der Musik eines G. Dufay, J. Ockeghem u. a. Gleichzeitig formuliert er jenes Verbot, das die Chorpolyphonie des 15. und 16. Jh. — jene Epoche bedeutender melodischer Linienkunst — prägt: das Verbot der „redicta", der unmittelbaren Wiederholung von Tönen, Tongruppen oder rhythmischen Gestalten. Die Verfestigung des Kontrapunkts zu motivischer Prägnanz war also in dieser frei strömenden „Prosamelodik" (H. Besseler) ausgeschlossen; Wiederholungen als Verstoß gegen das Gebot der „varietas" werden damit zu einer bewußten Ausdrucksqualität.
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Josquin des Prés, Missa Pangs lingua, Kyrie
Solches Abweichen von kompositorischen Normen im Dienste eines gesteigerten Ausdrucks bestimmt auch die řSeconda pratica Cl. Monteverdis. Sie ist, repräsentiert durch das /Madrigal, gerichtet gegen den strengen Stil der /Prima pratica Palestrinas, für die Motette und Messe repräsentativ sind. Der neuartige Vorrang affektbetonter Textdarstellung begründet und legitimiert satztechnische Freiheiten, z. B. eine freiere Dissonanzbehandlung la - scia - te - mi
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Cl. Monteverdi, Lamento ďArianne
271
Melodie oder im Madrigal der Spätrenaissance textausdeutend -tonmalerische „Madrigalismen":
wie die Figurenlehren von J. Burmeisters Musica poetica (1606) bis hin zu Chr. Bernhards Tractatus E
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I C. Gesualdo, Madrigal Moro lasso
Der neue monodische Stil um 1600 — G. Caccini überschrieb seine Sammlung von Arien und Madrigalen Le nuove Musiche (1601) — machte Front gegen Polyphonie und Kontrapunkt; der stilistische Umbruch markiert, grob formuliert, den Übergang von der musikalischen Linie zur Entdeckung des Klanges: die Musik orientiert sich zunehmend vertikal-akkordisch. Die Melodik der Monodie — des einstimmigen deklamatorischen oder konzertanten Gesanges über einem řGeneralbaß — ist vom Gedanken der Sprachnähe bestimmt: Die Priorität der Sprache gegenüber dem Gesang, die man durch den Kontrapunkt zerstört sah, sollte im Rückgriff auf vermeintliche antike Vorbilder wiederhergestellt werden, der Gesang habe die Sprache nachzuahmen. Das Streben nach Darstellung von Affekten wird zur Richtschnur.
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J. S. Bach, Sinfonia f - moll
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compositionis (1650) zeigen. Zu den ausdrucksstärksten Figuren des 17. und 18. Jh. zählt der Passus duriusculus, der chromatische Quartgang; dieser (auch rein instrumental verwendete) řLamento-Baß als Ausdruck von Klage und Schmerz blieb bis ins 19. Jh. erhalten u. a. bei L. van Beethoven, Thema der 32 Klaviervariationen c-moll, in Fr. Schuberts Lied Litanei u. v. a.
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G. Caccini, Le nuove Musiche
Die enge Verbindung von Sprache und Musik schlug sich, im Anschluß an die nie erloschene Tradition der grundlegenden antiken Rhetorik (Cicero, Quintilian), in musikalisch-rhetorischen Figuren nieder. Die Figuren, wichtigstes Mittel der Affektdarstellung, sind expressive Abweichungen von den Normen des strengen Satzes, so z. B. die drastisch•
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große Zug und ungebunden-weitertreibende Impuls charakteristisch, die E. Kurth vom „linearen Kontrapunkt" und von „kinetischer Energie" sprechen ließen. In einstimmigen Linien Bachs entdeckte Kurth eine latente Mehrstimmigkeit, eine „Scheinpolyphonie"; so im folgenden Beispiel etwa die von fis aus fallende Baßlinie:
•
J. S. Bach, Menuett II aus der Suite Nr. 2 für Vc.- Solo, BWV 1008
bildhaften verminderten Sprünge (Saltus duriusculus) bei Laß ihn kreuzigen in Bachs Matthäuspassion, die zugleich das Kreuz symbolisieren:
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Die Figuren bilden im Barock einen festen und lehrbaren Bestand an musiksprachlichen Formeln, 272
(P. Hindemith nennt später die sekundmäßige Ver-
bindung melodischer Hoch- und Tiefpunkte „Sekundgang" und sieht darin das „Hauptgesetz melodischer Baukunst") Der stilistische Eindruck ungemessener Linearität darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Bachs Melodik — wie insgesamt die Melodik des 17.-19. Jh. — harmonisch gebunden ist: dies erst ermöglicht ihre z. T. kühne Linienführung. Bezeichnend ist das Maß an harmoni-
Melodie
scher Aktivität; bei dem folgenden M.-Ausschnitt aus J. S. Bachs Matthäuspassion (Arie 26) vollzieht sich auf jedem Achtel der harmonisch gestützten und durch den BaB definierten M. ein harmonischer Wechsel:
harmonisch einfachem GrundriB richtet sich das Augenmerk auf melodische Individualität. In der Romantik drängt dagegen die Harmonik zu individueller Ausprägung. Ihre immer stärkere chromatische Durchsetzung — Farb- und Ausdruckswert in
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Demgegenüber ist die Musik in der Mitte des 18. Jh. von betont harmonischer Simplizität. Bei bevorzugtem Einsatz der Hauptfunktionen wird die Kadenz zum Stimulans thematischer Erfindung; Dreiklangsbrechungen („Mannheimer Raketen") und empfindsame Seufzer und Vorhalte zeigen sich als melodische Manieren; die kleingliedrigen, auf Wiederholung setzenden M.n sind deutlicher Periodik, der Entsprechung von Zwei- und Viertaktgruppen, verpflichtet.
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einem — führt letztlich zum Zerfall der dur-moll-tonalen Harmonik. Diese zunehmende Sprengung klassischer Balance wirkt ein auf die „subjektivistische M.-Bildung der Romantiker" (E. Kurth). Sie prägt sich technisch aus in gesteigerter Chromatik, ausgreifenden Intervallsprüngen und expressiven Tonrepetitionen. Neben periodisch-geschlossenen M.n finden sich etwa bei Schubert solche, die über klassische Symmetrie hinausdrängen; neben solchen eingängig-liedhafter Diktion stehen rezitati-
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C. Stamitz, Quartett A-Dur
Von dem Prinzip motivisch-metrischer Korrespondenz ist die Melodik der Wiener Klassik geprägt. Ihre syntaktische Grundform ist die Periode, die den řFortspinnungs-Typus (W. Fischer), das melodische Bauprinzip des Spätbarocks, ablöst. Das Modell der 8taktigen klassischen Periode basiert auf der gleichgewichtigen Entsprechung und Ergänzung eines Vorder- und Nachsatzes. Ihre metrisch einander entsprechenden 4 (=2 + 2) + 4 (= 2 + 2) Takte sind motivisch analog, harmonisch aber komplementär angelegt: nach dem harmonisch offenen Vordersatz (HalbschluB auf der Dominante) bewirkt der Nachsatz die harmonisch schlieBende Rückführung (GanzschluB auf der Tonika).
visch-deklamatorische (z. B. in Der Tod und das Mädchen) und vorausweisend-expressionistische (Der Doppelgänger). Höhepunkte dieser Entwicklung sind einerseits der řImpressionismus, bei dem die M. kaum mehr als selbständiges Gebilde von der Harmonik abgelöst werden kann, andererseits der Bewegungsstrom der „unendlichen M.” R. Wagners, die auf lückenlose Expressivität zielt, und eine „musikalische Prosa", die bis hin zu A. Schönberg sich von dem musikalischen Versprinzip der Klassik — der metrischen Korrespondenz von Takten und Satzteilen — lossagt. Die Preisgabe tonaler Harmonik führte im 20. Jh. einerseits zur melodischen Nutzung modaler oder neuentwickelter Skalen (B. Bartók, O. Messiaen), Nachsatz
Vordersatz
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W.A. Mozart, Klaviersonate A-Dur, KV 331
Klassische M.n sind von einer impliziten Harmonik getragen, die keiner weiteren Stütze bedarf: sie bewahren ihren harmonischen Sinn in sich selbst. Bei
andererseits zur freien /Atonalität und OEZwölftonmusik, die innerhalb der chromatischen Skala von 12 gleichberechtigten Tönen ausgeht. Die 273
Melodie Quartenmelodik, mit der Schönbergs Kammersymphonie op.9 (1906) fanfarenartig anhebt, ~x r
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signalisiert gleichsam den Bruch mit herkömmlichen M. -Baugesetzen. Ohne Rückhalt an der Zusammenhang stiftenden Tonalität zu haben, sind Form und melodische Bildungen der frei-atonalen Instrumentalwerke von aphoristischer Kürze und komprimiertestem Ausdruckswillen.
A. Schonberg, Sechs kleine Klavierstücke, op. 19
In der Zwölftonmusik soll die zugrunde liegende Reihe die Horizontale (Melodik) und Vertikale (Harmonik) gleichermaßen regulieren. Die Reihe und die aus ihr gewonnenen Formen werden in „entwickelnder Variation" zum Ausgangspunkt verschiedenster thematischer Gestalten. Die Möglichkeit aber, die Reihe immer anders zu rhythmisieren, hebt den traditionellen melodischen Konnex
zwischen Tonhöhe und Rhythmus auf; so erfährt etwa im 1. und 3. Satz aus Schönbergs 3. Streichquartett op. 30 (1927) die Reihe eine gänzlich gegensätzliche Gestaltung:
OE411~ ` r'fjfr` 0 Vc. ~
Va.
In der ?seriellen Musik seit 1950, die außer der Tonhöhe auch die Toneigenschaften (Parameter)
Dauer, Lautstärke, Klangfarbe und Artikulation reihenmäßig prädeterminiert, wird der Begriff der M. gegenstandslos. Zu Schönbergs Idee einer řKlangfarbenmelodie (Harmonielehre, 1911) schlagen Klangfarbenkompositionen (G. Ligeti, Krz. Penderecki) seit etwa 1960 eine Brücke, ohne jedoch die von Schönberg postulierte Balance der Klangfarbe zur M. (Tonhöhe) anzustreben. In G. Ligetis Orchesterwerk Melodien (1971) sind „polyrhythmische melodische und ornamentale Schichten" (Ligeti) übereinandergelagert: ein ineinander verschlungenes Gewirk wie eine verhangene Erinnerung an Gewesenes und Mögliches. Lit.: J. -PH. RAMEAU, Traité de l'harmonie (P 1722, Faks.Ausg. NY 1965) (= MMMLF 2/3); J. MATTHESON, Kern melodischer Wissenschaft (H 1737); DERS., Der vollkommene Capellmeister (H 1739, Nachdr. Kas 1954, 21969); J.-J. ROUSSEAU, Dictionnaire de Musique (P 1768, Nachdr. Hil 1969);
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H. CH. KOCH, Versuch einer Anleitung zur Composition (Rudolstadt — L 1782-93, Nachdr. Hil 1969); S. JADASSOHN, Das Wesen der M. in der Tonkunst (L 1899); E. M. VON HORNBOSTEL, M. u. Skala, in: Jb. Peters 19 (1912); A. HALM, Von zwei Kulturen der Musik (Mn 1913, St '1947); W. FISCHER, Zur Entwicklungsgesch. des Wiener klass. Stils, in: StMw 3 (1915); E. KURTH, Grundlagen des linearen Kontrapunktes (Be 1917, '1956, Nachdr. Hil 1977); DERS., Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners „Tristan" (Be 1919, 3 1923, Nachdr. Hil 1968); P. WAGNER, Einführung in die gregor. M.n III (L 1921, Nachdr. Hil 1970); E. TOCH, Melodie -Lehre (B 1923); K. JEPPESEN, Der Palestrinastil u. die Dissonanz (L 1925); A. HALM, Einführung in die Musik (B 1926, Nachdr. Da 1966); H. BESSELER, Die Musik des MA u. der Renaissance (P 1931, Nachdr. Laaber 1979); W. DANCKERT, Ursymbole melodischer Gestaltung (Kas 1932); H. VON ZINGERLE, Zur Entwicklung der Melodik v. Bach bis Mozart (L 1936); P. HINDEMITH. Unterweisung im Tonsatz (Mz 1937, 21940); B. STÄBLEIN, Zur Entwicklung der gregor. M., in: KmJb 35 (1951); H. BESSELER, Singstil u. Instrumentalstil in der europäischen Musik, in: Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (Kas 1954); TH. G. GEORGIADES, Musik u. Sprache (B 1954, 2 1974) (= Verständliche Wiss. 50); H. CH. WOLF, Zur Melodiebildung J. S. Bachs, in: StMw 25 (1962); L. U. ABRAHAM — C. DAHLHAUS, Melodielehre (Kö 1972); H. DANUSER, Musikal. Prosa (Rb 1975) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 46); C. DAHLHAUS, Die Idee der absoluten Musik (Kas 1978); D. DE LA MOTTE, Kontrapunkt (Kas 1981). C. KÜHN
MELODIE DER WELT, dt. Musikverlag. Das Unternehmen wurde 1951 u. a. von Otto Blau, Inhaber des Bühnen- und Musikverlages Josef Weinberger, Wien, gegründet, dessen Geschäftsführer Johann Michel die Geschäftsleitung übernahm. Zunächst auf deutsche Tanzmusik spezialisiert, gehört das Unternehmen heute zu den führenden Musikverlagen auf allen Gebieten der Unterhaltungsmusik (Rock- und Popmusik u. a.). Neben bekannten Komponisten des deutschsprachigen Raumes, wie Will Glahé, Michael Jary, Udo Jürgens und Hans Lang, enthält das Repertoire auch ausländische Namen von internationalem Rang, darunter Burt Bacharach, Gilbert Bécaud, Mike Chapman, Bill Martin, Paul McCartney und Carlos Santana.
MELODIK. Entsprechend dem Begriff /Harmonik als Lehre von den Zusammenklängen bedeutet M. eigentlich Lehre von der ."Melodie. Sprachlich ungenau wird aber M. im 20. Jh. meist synonym für Melodie bzw. für spezifische Prinzipien melodischer Gestaltung etwa eines Komponisten verwandt. MELODIUM, Bz. für ein erstmals um 1844 von dem französischen Instrumentenbauer J. Alexandre gebautes Klein-/Harmonium. MELODRAM, gesprochener Text mit Instrumentalbegleitung, also die Verbindung von literarischem Text und untermalender Musik. Die neuere terminologische Unterscheidung zwischen den Bezeichnungen „Melodrama" (für die literarisch-mu-
Melodram sikal. Gattung) und „Melodram" (für die Technik dieser Verbindung) hat sich ebensowenig allgemein durchgesetzt wie die Gleichsetzung des Terminus „Melodrama" mit „Bühnenmelodram". — Schon der ."Camerata Fiorentina galt zu Beginn der Operngeschichte jedes Bühnenwerk mit Musik als „melodramma per musica", und bei diesem Wortgebrauch blieb es bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Erst J.-J. Rousseaus Pygmalion, den er selbst eine „Scène lyrique" nannte, begründete die eigentliche Gattungsgeschichte des M.s: dem 1762-65 entstandenen Text hatte Rousseau ausführliche Instruktionen zur Komposition einer Begleitmusik beigegeben. Hatte er selbst die neue Gattung noch für einen Notbehelf dafür gehalten, die seiner Ansicht nach für den Gesang ungeeignete französische Sprache komponierbar zu machen, so griffen in Frankreich Horace Coignet (1770) und A. L. Baudron (1780) und in Deutschland A. Schweitzer (1772) und G. A. Benda (1779) die Anregung zur Vertonung dieser Dichtung auf. Besonders die ersten Bühnenmelodramen Bendas trugen zur schnellen Verbreitung des M.s als Gattung bei (Ariadne auf Naxos und Medea, 1795). Bendas Musik stimmt den Hörer nicht, wie Rousseau vorgeschlagen hatte, auf das jeweils Kommende ein, sondern sie illustriert tonmalerisch das gerade Gesprochene dem Inhalt bzw. dem Affekt nach. W. A. Mozart begann unter dem Eindruck der Bendaschen M.en, von deren genauem Studium er am 12. 11. 1778 aus Mannheim dem Vater berichtet, mit der Komposition eines „Duodrams" Semiramis (KV 315e, verschollenes Fragment). Auch G. Neefes 7Monodram Sophonisbe (1778), J. F. Reichardts M.en (z. B. Cephalus und Proteus, 1778), Fr. W. Rusts Duodram Inkle und Yarico (1779) sowie J. Chr. Cannabichs Elektra (1780) stehen unter dem Eindruck Bendas. Ganz dem Mozartschen Einfall entsprechend, „man solle die meisten Recitativ auf solche art in der opera tractiren — und nur bisweilen, wenn die wörter gut in der Musik auszudrücken sind, das Recitativ singen", traten seit Beginn des 19. Jh. M.Partien in Singspiel und Oper immer häufiger auf; besonders in der französischen Opéra-comique erfreuten sich melodramatische Einschübe großer Beliebtheit. Aber auch in der deutschen Oper wird von ihr, nicht selten an zentralen Stellen der Handlung, Gebrauch gemacht (so in L. van Beethovens Fidelio in der Kerkerszene sowie in C. M. von Webers Freischütz in der Wolfsschluchtszene). Auch für Schauspielmusik wurde die Technik des M.s häufig angewandt; so von Fr. Schubert (in der Musik zu Das Teufelsschloß von Kotzebue D 84 und zu Die Zauberharfe D 644), Beethoven (Musik
zu Goethes Egmont, op. 84) und R. Schumann (Musik zu Manfred von Byron, op. 115). Parallel zu dieser Entwicklung entstand das (epische oder lyrische) sog. Konzert-M.: die Rezitation von Gedichten (meist Balladen) mit Klavierbegleitung. So erfuhren melodramatische Vertonung z. B. Klopstocks Die Frühlingsfeyer 1777 durch J. R. Zumsteeg, Leb' wohl, du schöne Erde durch Fr. Schubert (D 829), Fr. Hebbels Schön Hedwig (1849) sowie dessen Ballade vom Heideknaben (1852) durch R. Schumann, G. A. Bürgers Lenore (1857) und N. Lenaus Der traurige Mönch (1860) durch Fr. Liszt. Diese Art des M.s trug stark zur Popularisierung der Gattung bei; großer Beliebtheit erfreuten sich z. B. J. A. Webers Der Gang mit dem Eisenhammer (nach Schiller), Enoch Arden (nach Tennyson) von R. Strauss (1897), Das Hexenlied (nach E. v. Wildenbruch) von M. von Schillings (1904, auch als Orchester-M.). Auch Dilettanten wie Fr. Nietzsche widmeten sich dieser Form; von ihm stammt (1863) Das zerbrochene Ringelein nach Eichendorff. Mit C. M. von Webers Preziosa (1820) und schließlich E. Humperdincks Die Königskinder (1. Fassung 1897) entsteht die Technik des „gebundenen" M.s: Humperdinck rhythmisiert nicht nur (wie Weber) die Sprechstimmen, sondern er notiert auch den Tonfall der Stimmhöhe nach durchgängig (>'Sprechgesang). Hieran knüpfen an: A. Schönberg mit dem Monodram Erwartung op. 17 (1907), Pierrot lunaire op. 21 (1912) und Kol nidre op. 39 (1938); A. Berg (M.-Partien in den Opern Wozzeck und Lulu) und I. Strawinsky (L'histoire du soldat, 1918; Perséphone, 1933). Die Technik der Einbeziehung von Sprechern in durchkomponierte Werke wird in unserem Jh. nicht selten auch in oratorischen Werken angewandt, z. B. in Ode an Napoleon und Ein Überlebender aus Warschau (1947) von A. Schönberg, in La victoire de Guernica (1954) von L. Nono, in der Lukas-Passion (1956) von Kn. Penderecki, in der „Ekklesiastischen Aktion" Ich wandte mich und sah alles Unrecht... (1970) von B. A. Zimmermann, in Magnum Mysterium (1980) von G. Becker. Lit.: E. ISTEL, Die Entstehung des dt. Melodramas (B 1906); M. STEINITZER, Zur Entwicklungsgesch. des M.s u. Mimodrams (L 1919) (= Die Musik 35); H. MARTENS, Das M. (B 1932) (= Musikal. Formen in hist. Reihen 11); R. STEPHAN, Zur jüngsten Gesch. des M.s, in: AfMw 17 (1960); F. RABILL, The World of M. (Univ. Park/Pa. 1967); J.D. DRAKE, The 18th Century Melodrama, in: MT 112 (1971); Z. PILKOVA, The Difference in the Relationship between the Music and the Word in Melodrama, Recitative and Aria in the Second Half of the Eighteenth Century, in: Colloquium Music and Word (Brünn 1973); A. D. MCCREDIE, Handlungsballett, Melodrama u. die musikdramatischen Musikformen des Sturm u. Drangs u. des Weimarschen Klassizismus, in: Muzikolc ki zbornik 15 (1979). R. CADENBACH
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Melograph MELOGRAPH, Pianograph, Bz. für eine Vorrichtung an Klavieren zur mechanischen Aufzeichnung der gespielten Töne. — řMechanische Musikwerke. MELOPOIE (von griech. melopoiia = das Tonsetzen). — 1) In der griechischen Antike zunächst Bz. für die Erfindung eines OEMelos, in der späteren Musiktheorie (u. a. bei Aristoxenos) die Lehre von der Melodiebildung, die in die 3 Bereiche Lěpsis (Auswahl), Mixis (Mischung) und Chrěsis (Anwendung) systematisch aufgegliedert ist. Die Lěpsis legt die Stimmlage eines Gesangs in Hinblick auf seinen Ausdruckscharakter fest (/Ethos), die Mixis bestimmt von vornherein die Gliederung eines Stükkes, insbesondere den Wechsel der Gattungen und Systeme (metabolě), und die Chrěsis regelt die Melodiebildung im eigentlichen Sinne. Diese wiederum wird unterteilt in: Agögě, die aufsteigende oder abfallende Melodieführung, Plokě, die schrittweise oder sprungweise ausgeführte Bewegung, und Petteia, die Wiederholung oder Verlängerung eines gleichen Tones. — 2) Im Zeitalter des l'Humanismus wurde im Zusammenhang mit der Übernahme rhetorischer Begriffe in die Musiktheorie die Bz. M. insbesondere im Sinne von Kompositionslehre aufgenommen (u. a. bei S. Calvisius und M. Mersenne) und synonym mit /Musica poetica gebraucht. Lit.: Zu 1): A. ROSSHOCH — R. WESTPHAL, Theorie der musischen Künste der Hellenen H (L '1886, Nachdr. Hil 1966).
MELOS (griech., = Glied, Weise, Lied, Melodie), Bz. für das melodisch und klanglich bestimmende Prinzip der antiken griechischen Musik. Die ursprüngliche Bedeutung von M. als Glied (bei Homer) wurde im Sinne von musikalischem Glied, Phrase oder Einheit erweitert und, daran anknüpfend, als vokal und instrumental vorgetragene Weise verstanden (z. B. bei Alkman, 7. Jh. v. Chr.). Ein enger Zusammenhang besteht insbesondere seit Pindaros (5. Jh. v. Chr.) zur lyrischen Dichtung. M. ist dort gleichbedeutend mit lyrischem Gedicht. Seit Platon wird M. als Verbindung von Logos (Wort), Harmonia (Tonordnung) und Rhythmos (Bewegungsordnung) im Sinne einer Melodie erklärt. Spätestens jedoch seit Aristoxenos' Schrift Elemente der Harmonik wird M. in der griechischen Musiktheorie als ein von der Rhythmuslehre unabhängiges, melodisch-musikalisches Phänomen verstanden und der Harmonia (/Harmonie) und /Melopöie zugeordnet. Auf Aristoxenos geht auch die Unterscheidung von musikalischem und sprachlichem Melos zurück. — In der Musiktheorie des Mittelalters entsprechen dem Wort M. Bezeichnungen wie /Cantilena, Melodia. Als antiker Terminus blieb M. auch in der Neuzeit bekannt, 276
wurde jedoch erstmals von R. Wagner in der Schrift Über das Dirigieren (1869) in neuer, auf die Musik des 19. Jh. übertragener Bedeutung eingeführt. In diesem Sinne ist M. auch in der musiktheoretischen Terminologie des 20. Jh. üblich geworden. Lit.: W. DANCKERT, Ursymbole melodischer Gestaltung (Kas 1932); H. KOLLER, M., in: Glotta 43 (1965).
MELOS-QUARTETT, dt. Streichquartett. Es wurde 1965 in Stuttgart gegründet, debütierte dort 1966 mit Wilhelm Melcher (* 5.4. 1940 Hamburg), 1. Violine, Gerhard Voss (* 17.12.1939 Burscheid, Bergisches Land), 2. Violine, Hermann Voss (* 9. 7. 1934 Brünen bei Wesel, Bruder von G. Voss), Viola, und Peter Buch (* 18. 5. 1937 Stuttgart), Violoncello, und wurde im selben Jahr beim Concours international d'exécution musicale als bestes Streichquartett ausgezeichnet. Seit 1970 konzertiert das Quartett in vielen Teilen der Welt und trat besonders auch mit zyklischen Aufführungen der Streichquartette L. van Beethovens (1970 Barcelona, 1975 Stuttgart, 1977 Bonn), Fr. Schuberts (1978 Stuttgart und München, 1979 New York) und B. Bartóks (1970 Barcelona) hervor. Die Mitglieder des Quartetts wurden 1975 Dozenten (1980 Professoren) für Quartettspiel an der Musikhochschule in Stuttgart. Sie spielen auf Instrumenten von Carlo Bergonzi (1731; 1. Violine), Lorenzo Storioni (1781; 2. Violine), Carlo Ferdinando Landolfi (um 1750; Viola) und Francesco Ruggieri (1682; Violoncello). Lit.: R. WILKE, Ein Gespräch mit dem M., in: fono forum 23 (1978).
MELUSINE, Oper in 4 Akten von Aribert Reimann (* 1936), Text von Claus H. Henneberg nach dem gleichnamigen Schauspiel (1922) von Yvan Goll. UA: 29. 4. 1971 bei den Schwetzinger Festspielen. In seiner zweiten Oper hebt der Komponist die Bedeutung dieser Gattung als Singtheater hervor, wie die ruhig flieBenden, lyrischen Gesangslinien in den Liebesszenen belegen. Die Partie der Melusine ist dabei äuBerst artifiziell, unnatürlich angelegt — im Kontrast zu Melusinens Absicht, die Natur gegen die Technik zu schützen. Diese dramatische Diskrepanz wird erst gemildert, wenn sich Melusine in den baufreudigen Grafen verliebt, der Konflikt also ins Vordergründige gerückt wird. Reimann erzielt dramatische Aussagekraft durch die Bildung musikalischer Leitkomplexe; dabei wirkt seine Musiksprache sehr knapp konzentriert. Nicht zuletzt die komplizierte Rhythmik (Gleichzeitigkeit von Triolen, Quint- und Septolen) läBt eine stilistische Einordnung der Musik zwischen Cl. Debussy und A. Berg zu. K. LANGROCK
Mendelssohn Bartholdy MEMBRAN (von lat. membrana = dünne Haut), Bz. für in gespanntem Zustand Schwingungen erzeugende Materialien wie Leder, Pergament, Kunststoff- und Metallfolien. Im Unterschied zur Saite handelt es sich bei einer M. um ein 2dimensionales Schwingungssystem. Instrumente, deren Ton durch M.en erzeugt wird, heißen /Membranophone. MEMBRANOPHONE (griech.), in der Systematik der Musikinstrumente (bei V.-Ch. Mahillon, E. von Hornbostel und C. Sachs) Bz. für alle Musikinstrumente, deren tonerzeugendes Material eine gespannte ."Membran ist, die in Schwingung versetzt werden kann, sei es durch Schlagen (Trommel, Pauke), durch Reiben (řReibtrommel), seltener durch Zupfen (indische Zupftrommel) oder durch indirekte Erregung über einen Luftstrom beim Ansingen (OEMirliton). — 'Instrumentenkunde. MENÄEN (von griech. měn = Monat) werden in der orthodoxen Kirche zunächst Handschriften und gedruckte Bücher genannt, welche in erster Linie die Texte der Propriumsgesänge für die unbeweglichen Feste des Kirchenjahres (vom 1. September bis zum 31. August) enthalten. Die M. sind meist (den Monaten entsprechend) in 12 Bände aufgeteilt. Die ältesten neumierten byzantinischen M. stammen aus dem 11. und 12. Jh. und überliefern in der Regel nur Aufzeichnungen der Stichera (9'Sticheron). Einige Handschriften enthalten darüber hinaus auch die Texte der Kanones sowie die für die Lesungen bestimmten Perikopen. Zu den ältesten neumierten M. gehören 5 Codices in Grottaferrata, die aus dem Kloster St. Elias in Carbone stammen. Die M. sind streng von den Menologien zu unterscheiden, die nur Heiligenviten überliefern. MENANTES (eig. Christian Friedrich Hunold), * 29.9.1681 Wandersleben, t 6.8. 1721 Halle; dt. Dichter. Er studierte Jura an der Universität Jena. 1700 kam M. nach Hamburg, wo er durch die Umdichtung der Oper Salomon von G. C. Schürmann bekannt wurde. Aus der Zusammenarbeit mit R. Keiser entstanden hier u. a. das Libretto zu Nebucadnezar und der Oratoriumstext zu Der Blutige und Sterbende Jesus (beide 1704). Daneben schrieb er dort auch das für die Operntheorie und -poetik wichtige Lehrbuch Die Allerneueste Art zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen (H 1707). 1706 mußte M. Hamburg verlassen und hielt seit 1708 an der Universität Halle Vorlesungen in Poetik und Rhetorik, seit 1714 auch in Jurisprudenz. Nach Texten aus seiner 3bändigen Sammlung Auserlesene und theils noch nie ge-
druckte Gedichte (Hl 1718-21) entstanden 5 weltliche Kantaten von J. S. Bach. Lit.: H. VOGEL. Ch. F. Hunold (Dias L 1897); F. SMEND. Bach in Köthen (B 1951) (darin Hunolds Kantatentexte für Bach); H. CH. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg I (Wb 1957).
MENCKIN, Thomas, 2'Mancinus. MENDELSSOHN, Arnold Ludwig, * 26. 12. 1855 Ratibor, t 19.2.1933 Darmstadt; dt. Komponist. M. war der Sohn eines Vetters von F. Mendelssohn Bartholdy. Er studierte zunächst Jura in Tübingen und dann Musik am Institut für Kirchenmusik in Berlin. 1880 wurde er Musikdirektor und Organist in Bonn, 1882 in Bielefeld, war 1885-90 Kompositionslehrer am Konservatorium in Köln und seit 1891 Gymnasialmusiklehrer und Kirchenmusikmeister in Darmstadt. Daneben lehrte er seit 1912 am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main. M. hat groBen Anteil an der Erneuerung der protestantischen Kirchenmusik in Deutschland. P. Hindemith gehörte zu seinen Schülern. WW: Vokal-WW: Für Chor: Die Frühlingsfeier (1891); Paria (1905); Pandora (1908); Kantaten Aus tiefer Not (1912) u. Zagen und Zuversicht (1917) für 3 Solost., gem. Chor u. Orch.; Psalm 137 für Sopran, Chor u. Orch. (1913); Deutsche Messe (1923) für 6st. Chor a cap.; Geistliche Chormusik (14 Motetten a cap. für das ev. Kirchenjahr) (1926); Zehn Volkslieder (1929) für 3-4st. Männerchor a cap. Die Seligpreisungen (1933) für Soli, Chor u. Streichquartett. — Opern: Elsi, die seltsame Magd (nach J. Gotthelf), UA: Köln 1896; Der Berenhäuter, UA: Berlin 1900.— Schriften: Gott, Welt und Kunst, hrsg. v. W. Ewald (Da 1949). Lit.: W. NAGEL. A. M., in: Die Musik 1 (1907/08); H. HERING. A. M. Die Grundlagen seines Schaffens u. seine Werke (Diss. Marburg 1929); K. HOLZMANN, Pädagogen von einst. M. als Lehrer P. Hindemiths, in: Musik im Unterricht 43 (1952); A. WERNER-JENSEN, A. M. als Liederkomponist (Diss. F 1974); M. BALZ, A. M. und die ev. Kirchenmusik in Darmstadt (1980).
MENDELSSOHN BARTHOLDY, Jakob Ludwig Felix, * 3.2. 1809 Hamburg, t 4. 11. 1847 Leipzig; dt. Komponist, Dirigent und Pianist jüdischer Abstammung. M. war ein Enkel des Philosophen Moses M. (1729-1786). Sein Vater Abraham M. (1776-1835) ließ sich 1811 in Berlin nieder und gründete das Bankhaus M. mit Filialen in Paris und London, das für den preußischen Staat wichtige Aufgaben durchführte. Abraham M. trat mit seiner Familie zum evangelischen Glauben über und änderte den Namen in Mendelssohn Bartholdy. Der junge F. M. wuchs in einer politisch liberalen, geistig und künstlerisch aufgeschlossenen familiären Atmosphäre auf. Den ersten Klavierunterricht erteilte ihm seine Mutter Lea geborene Salomon. Durch hervorragende Privatlehrer erhielt er einen weitgefächerten Unterricht in mehreren Sprachen, Zeichnen, Violine (seit 1824, E. Rietz), Klavier (Ludwig Berger, zeitweise auch J. N. Hummel und, 1816 in Paris, Marie Bigot de Morogues) und Kom277
Mendelssohn Bartholdy position (C. Fr. Zelter). 1820 trat er in die von Zelter geleitete Singakademie ein, wo er auch Werke J. S. Bachs kennenlernte. Nach dem von Zelter vermittelten ersten Besuch bei J. W. von Goethe 1821, bei dem M. dem Dichter Werke Bachs und eigene Kompositionen vortrug, wurden seit 1822 im Elternhaus regelmäßig Sonntagskonzerte unter Mitwirkung eines kleinen Orchesters veranstaltet. Hier spielten M., seine Schwester Fanny und sein Bruder Paul mit, und in diesen Konzerten wurden auch die Jugendkompositionen der Geschwister aufgeführt. Erlebnisse einer großen Reise der Familie in die Schweiz 1822 fanden Niederschlag in M.s Streichersymphonien Nr. 9 und 11. Von März bis Mai 1825 weilte er mit dem Vater in Paris, wo er sich einer Prüfung durch L. Cherubini unterzog und diesem mit namhaften Musikern des Conservatoire sein Klavierquartett op. 3 vorspielte. 1827 fand die UA seiner Ouvertüre zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum durch C. Loewe in Stettin statt. Mittlerweile hatte sich sein Elternhaus zum führenden Salon Berlins entwickelt, in dem H. Heine, Bettina von Arnim, G. Fr. W. Hegel, Wilhelm von Humboldt, Rahel Varnhagen, L. Tieck und andere Persönlichkeiten des kulturellen Lebens verkehrten. Seit 1827 hörte er auch Vorlesungen an der Universität, u. a. Ästhetik bei Hegel. Mit der ersten Aufführung der Matthäuspassion nach Bachs Tod am 11. März 1829, die die Bach-Renaissance einleitete, wurde M. mit einem Male weithin bekannt. Eine Reise nach England und Schottland (1829), auf der er erstmals Einblick in das Londoner Musikleben erhielt, legte den Grundstein für seine zeitlebens guten Verbindungen nach England. 1830-32 führte ihn eine große Kunstreise über Weimar, wo er mit Goethe zusammentraf, München und Wien nach Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Mailand und anschließend in die Schweiz, nach Paris und London. Prädestiniert durch soziale Stellung, Bildung und Begabung, hatte er im Vergleich zu anderen Musikern seines Alters für die Reise außerordentlich günstige Voraussetzungen. Seine Briefe an Zelter enthalten sehr genaue Beobachtungen über das internationale Musikleben und die musikalische Praxis. Während seiner Abwesenheit waren Zelter und Goethe gestorben. M. bewarb sich um die Nachfolge Zelters in Berlin und war enttäuscht, als ihm K. Fr. Rungenhagen vorgezogen wurde. Nach der erfolgreichen Leitung des Niederrheinischen Musikfestes im Sommer 1833 wurde er mit Beginn der Spielzeit 1833/34 Musikdirektor in Düsseldorf, wo er neben seiner Tätigkeit in Theater und Konzert auch einen Kirchenchor zu leiten hatte. Mit Carl Immermann begann er eine Reihe von Opernaufführungen, überwarf sich aber 278
bald mit ihm und gab 1834 die Theatertätigkeit an J. Rietz, den Bruder seines Violinlehrers, ab. Obgleich er in Briefen über die schlechten Arbeitsbedingungen in Düsseldorf klagte, wurde der qualitative Aufschwung des dortigen Musiklebens von den Zeitgenossen bald erkannt. 1835 nahm er die angebotene Stelle als Musikdirektor der Gewandhauskonzerte in Leipzig (bis 1847) an und wirkte später auch als Dirigent der Niederrheinischen Musikfeste. Im Sommer 1837 heiratete er die aus einer Frankfurter Hugenottenfamilie stammende Cécile Jeanrenaud, die ihm in seinem ruhelosen Leben einen sicheren Rückhalt bot. Aus der Ehe gingen 5 Kinder hervor. Dank seiner umfassenden Bildung, seiner Dirigierbegabung und seinem kompositorischen Euvre wurde M. bald Mittelpunkt des kulturellen Lebens der Stadt Leipzig, die sich durch sein Verdienst in wenigen Jahren zu einem Musikzentrum von internationalem Rang entwickelte — nicht zuletzt durch das von ihm zusammen mit seinem Jugendfreund F. David (1836 als Konzertmeister verpflichtet) vorbildlich geführte Gewandhausorchester. Auch trat er erfolgreich für die sozialen Belange der Musiker ein. Den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen suchte er durch systematische Förderung des Nachwuchses zu entsprechen. Nachdem ein Leipziger Jurist eine bedeutende Summe für kulturelle Zwecke hinterlassen hatte, betrieb er seit 1839 die Gründung des Leipziger Konservatoriums, das 1843 als erstes deutsches Institut seiner Art eröffnet wurde. 1840 hatte ihn König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen nach Berlin berufen, um das dortige Musikleben und die Musikabteilung der Akademie der Künste zu reorganisieren. Zwischen 1841 und 1844 weilte M. daher oft in Berlin, komponierte auch Schauspielmusik für das dortige Theater (u. a. im Anschluß an die schon bestehende Ouvertüre zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum) und leitete seit 1843 auch den Domchor. Seine Reformvorschläge wurden jedoch durch Intrigen, Bürokratie und königliche Privilegien blockiert, und resigniert kehrte er Ende 1844 endgültig nach Leipzig zurück. WW (das Werk M.s ist noch nicht voll überschaubar; etwa 200 Kompositionen, Jugend- u. Studienwerke, aber auch reife Werke sind nie oder erst in jüngster Zeit gedruckt worden u. daher in der GA [ 1874-771 nicht enthalten. Wegen des Fortgangs der NA an versch. Stellen wird im Folgenden auf die Kennzeichnung als Ms. weitgehend verzichtet): 1) Inatr.-WW: a) Für Klv.: 6 Sonaten, op. 6, 28, 105, 106 sowie 2 ohne Opuszahl; Capriccio, op. 5; Fantasie, op. 15; Rondo capriccioso, op. 14; Variations sérieuses, op. 54; Charakteristische Stücke, op. 7; Lieder ohne Worte, op. 19, 30, 38, 53, 62, 67, 85, 102; Fantasien, op. 16; Capricen, op. 33; 6 Präludien u. Fugen, op. 35; Kinderstücke, op. 72; Einzelstücke; außerdem zahlr. hsl. erhaltene Stücke. - b) Für Org.: 6 Sonaten, op. 65; 3 Präludien u. Fugen, op. 37; Fuge f -moll u.
Mendelssohn Bartholdy 2 Orgelstücke (Lo 1839, 1844). - c) Kammermusik: Streichquartette Es-Dur (1823), op. 12, 13, 44 Nrn. 1-3, 80, 81 (4 nicht zusammengehörige Sätze); Streichquintette, op. 18 u. 87; Oktett, op. 20; Klaviertrios, op. 49 u. 66; Trio für Klv., V. u. Va. (hsl.); Klv.-Quartette, op. 1, 2, 3 u. ein Werk hal.; Sextett für Klv. u. Str., op. 110; Sonaten für V. u. Klv., op. 4; 2 Sonaten ohne Opuszahl: für Va. u. Klv. (1824); für Vc. u. Klv., op. 45, 58; Variation concertantes für Vc. u. Klv., op. 17; Sonate für Klar. u. Klv. (1824); Konzertstücke für Klar., Bassetthorn u. Klv., op. 113, 114. - d) Für Orch.: 12 Jugendsymphonien; 2 Symphoniesätze (1821-23); 5 Symphonien: op. 11, 52 (Lobgesang), 56, 90, 105; 7 Ouvertüren; Trauermarsch für Militärmusik auf den Tod N. Burgmüllers; Marsch, op. 108. - e) Konzerte: für 2 Klv. u. Orch. E-Dur (1823) u. As-Dur (1824); für Klv.: a-moll (1823/24), g-moll, op. 25, d-moll, op. 40; Konzertstücke für Klv. u. Orch. Capriccio brillant, op. 22; Serenade u. Allegro giocoso, op. 43; Rondo brillant Es-Dur, op. 29; Konzert für Klv., V. u. Str. d-moll (1823); für V. u. Str. d-moll (1822); für V. u. Orch. e-moll, op. 64; Duo concertant et variations brillantes für 2 Klv. u. Orch. über ein Thema aus C. M. von Webers Preziosa (zus. mit I. Moscheles). - 2) Vokal-WW: a) Geistliche WW (a cap., teilweise mit Soli): Kyrie; Te Deum; Sätze für die anglikanische Liturgie u. die Agende der altpreuBischen Union; Motetten für gem. Chor, Frauenchor, Männerchor. - Für Soli u. Orch., oder Chor u. Orch.: Kantaten; Gloria; Magnificat; Salve Regina; Tu es Petrus, op. 111; Vespergesang, op. 121; 7 Choralkantaten für Soli, Chor u. Orch.; symphonische Kantate Lobgesang, op. 52; Psalm 115, op. 31; Psalm 42, op. 42; Psalm 95, op. 46; Psalm 114, op. 51; Psalm 98, op.91; Lauda Sion, op. 73; LaB, o Herr, op. 96. - Oratorien: Paulus, op. 36; Elias, op. 70; Christus, op. 97 (Fragment). b) Weltliche WW: gem. Chöre, op. 41, 48, 59 (darin O Täler weit, o Höhen), 88, 100; Lieder fur Männerchor, op. 50 (darin Wer hat dich, du schöner Wald), 75, 76, 120 u. weitere ohne Opuszahl; Festmusik zum Fest der Naturforscher (1827) (hal.), zum Dürerfest (1828) (hsl.); Festgesang zum Gutenberg-Fest ohne Opuszahl; Die erste Walpurgisnacht, op. 60. - Lieder mit Klv.-Begleitung: op. 8, 9, 19, 34 (darin Auf Flügeln des Gesanges), 47, 57, 71, 84, 86, 99 u. ohne Opuszahl; Duette, op. 63 u. 77. - 3) Bähnen-WW: 6 Sing- bzw. Liederspiele; Opernfragment Loreley; Bühnenmusik zu: Calderón, Der standhafte Prinz (1834); Sophokles, Antigonae, UA: Potsdam 1841; Shakespeare, Ein Sommernachtstraum, UA: ebd. 1843; Racine, Athalie, UA: Berlin 1845; Sophokles, Ödipus in Kolonos, UA: Potsdam 1845.
Was M. von seiner Reise 1830-32 an negativen (Italien) wie positiven Erfahrungen (Orchestre du Conservatoire in Paris, vielfältiges Konzertangebot in London) mitbrachte, wurde für seine spätere Tätigkeit bestimmend. Er kam schon früh mit den wichtigsten Musikern seiner Zeit zusammen. Der italienischen Oper stand er ebenso ablehnend gegenüber wie der Musik von H. Berlioz, den er jedoch menschlich schätzte und der auf M.s Einladung 1843 seine Symphonie fantastique in Leipzig dirigierte. In den Gewandhauskonzerten legte M. den Nachdruck auf die Werke der Wiener Klassik und die ihr verpflichteten zeitgenössischen Komponisten; 1838 brachte er Fr. Schuberts große CDur-Symphonie zur Uraufführung. In die Abonnementsreihen nahm er auch historische Konzerte auf, in denen er damals unbekannte Werke von J. S. Bach, G. Fr. Händel, Chr. W. Gluck, J. Haydn, W. A. Mozart u. a. aufführte. Er richtete regelmäBige Kammerkonzerte ein, bei denen er wie bei den
Orchesterkonzerten auch als Pianist auftrat. Außerdem spielte er Orgelkonzerte. In London hatte er die Notwendigkeit eines breiten Konzertangebots erkannt, später auf die Leipziger Verhältnisse übertragen und eigene Qualitätsmaßstäbe angelegt. Bald galt er in England und den USA als der erfolgreichste Musiker seiner Zeit. Sein Einfluß war beispiellos. Nach Übernahme der Leipziger Stelle wurden ihm aus ganz Deutschland Kompositionen zur Beurteilung und Aufführung zugeschickt, und was er befürwortete, durfte allgemeiner Anerkennung sicher sein. Die musikalische Publizistik stand ihm unkritisch gegenüber, und sein Geschmack, den er, beseelt von der geradezu missionarischen Absicht, Publikum und Musikleben in Deutschland zu formen, mit wenigen Einschränkungen durchsetzen konnte, zeitigte auch negative Folgen. In den sehr lebhaften Auseinandersetzungen um Virtuosen, Klassiker und italienische Oper bezeichneten etwa Fr. Chopin und R. Schumann die Grenze dessen, was er an Neuem guthieB, und auch die spätere Gegnerschaft zwischen der klassisch-romantischen Tradition und der Neudeutschen Schule hat hier eine ihrer Wurzeln. Es gehört zu M.s Tragik, daß er in der Breite seines Wirkens in keinem Zeitgenossen ein Korrektiv fand. In Leipzig baute er Muster auf, die in großen Zügen bis in die Gegenwart Gültigkeit haben, doch rieb er sich physisch und seelisch dabei auf. Er hatte in einer Zeit der Umwälzungen mit großem Elan neue Ideen entwickelt und durchgeführt, fühlte sich aber am Ende seines kurzen Lebens von sozialen und politischen Veränderungen überrollt, die er nicht mehr verarbeiten konnte. Das kompositorische Werk M.s ist noch nicht in einem vollständigen Verzeichnis erfaßt. Erst seit 1959 wächst das Interesse an seinem bis dahin fast unbekannten Jugendwerk; das Gesamtwerk wird um etwa ein Viertel umfangreicher sein als die alte Gesamtausgabe (1874-77) und das zugehörige Verzeichnis der im Druck erschienenen Compositionen (3., vervollständigte Aufl. 1882). M. veröffentlichte selbst nur die Werke bis op. 72, alle höheren Opuszahlen wurden bei der Veröffentlichung von den Erben zugeteilt; ab op. 81 ist die Chronologie nicht mehr gewahrt. Da M. selbst auch Kompositionen ohne Opuszahl veröffentlichte, sind Rückschlüsse auf seine eigene Einschätzung unveröffentlichter Werke kaum zu ziehen. Er war sich selbst der stilistischen Uneinheitlichkeit seines Werks bewußt, denn vieles entsprang Einsichten in sozialgeschichtliche Zusammenhänge, verbunden mit der Absicht, dem Bürgertum wertvolle Musik im klassischen Sinne anzubieten. Die Lieder ohne Worte, gemischte und Männerchöre, Lieder und Duette, Kirchenmusik (im Gegensatz zu seinen 279
Mendelssohn Bartholdy oratorischen Werken) sind als die hierhergehörigen Werkgruppen neben einzelnen Stücken zu nennen. Wenn er auch um den unterschiedlichen musikalischen Anspruch wußte, nahm er die Komposition solcher Stücke ernst, und manches davon steht den für das Konzert bestimmten Werken nicht nach. Die Jugendwerke bis etwa 1826 zeigen eine Auseinandersetzung mit der Musik Bachs, Händels, Haydns, Mozarts sowie die Einflüsse seiner Zeitgenossen und Lehrer C. M. von Weber, L. Spohr, Ludwig Berger und C. Fr. Zelter. Von 1827 an (Streichquartette op. 13, 12. Klaviersonate op. 106) ist eine Beschäftigung mit dem Spätwerk Beethovens (Quartette, Klaviersonaten) festzustellen. Bis etwa 1829 zeugen seine Werke von großer Aufnahmebereitschaft und kompositionstechnischer Experimentierfreudigkeit. Während der großen Reise wurden außer dem Klavierkonzert g-moll op. 25 größere Werke nur skizziert und erst später ausgearbeitet („Schottische” und „Italienische" Symphonie op. 56 und 90). Um diese Zeit hatte sich sein Stil so weit gefestigt, daß er fremde Einflüsse nicht mehr aufnahm, doch wurde der kompositorische Prozeß zunehmend langwieriger und komplizierter — die Komposition des Violinkonzerts op. 64 zog sich über 6 Jahre hin —, so daß das Bild vom problemlos komponierenden Genie nicht zutrifft. M. korrigierte und änderte an seinen Werken bis in den Druckvorgang hinein. Läßt man Ressentiments (Antisemitismus) unberücksichtigt, gibt es im Werk selbst Gründe für das in der Geschichte schwankende Urteil. Kompositionen gleicher Gattung und gleichen Anspruchs von unterschiedlicher musikalischer Qualität stehen bei etwa gleicher Entstehungszeit vielfach unvermittelt nebeneinander. Das Ringen um Klarheit und Vermeiden musikalischer Konflikte im Werk selbst ist am Entstehungsprozeß der reifen Werke nachvollziehbar, und erst in den letzten Werken (Elias, Streichquartett op. 80) zeigt sich die Konfliktbereitschaft im Werk selbst, Zeichen auch für seine Stellung den Zeitverhältnissen gegenüber. Auch ist nicht zu verkennen, daß offenkundige Interpretationsfehler sich — abweichend von den Erstausgaben — bis in die Gesamtausgabe (1874-77) in Dynamik, Phrasierung und Artikulation negativ verändernd ausgewirkt haben. Während er in vielen Gattungen die klassische Tradition fortführte, pflegte er mit den Liedern ohne Worte, Ouvertüren, Scherzi („Elfenscherzo") und Orgelsonaten typisch romantische Formen. Dem entspricht die Entfaltung einer romantisch-ausdruckshaften Tonsprache, in der weiträumige Melodik bei sehr artifizieller Binnenstruktur, oftmals mit kontrapunktischen Einschlüssen oder rezitativischen Teilen, mit subtiler Klanglichkeit verbunden ist. 280
Charaktermotive und deren Entwicklung treten an die Stelle klassisch abgegrenzter Themen (Sommernachtstraum- und Hebriden-Ouvertüre, Oktett für Streicher), die sich der Tonmalerei gelegentlich bedienen, ohne programmatisch zu sein. Namen bei Werken bezeichnen den Anlaß zu romantischem, „charakteristischem" Ausdruck. Solche Charakteristik herrscht in den Ouvertüren, Symphonien, den besten der Lieder ohne Worte vor, wirkt aber auch in anderen Werken (Quartette op. 44, Klaviertrio op. 49, Violinkonzert) fort, ohne eigens benannt zu sein. Seine Ausgaben von Oratorien Händels — eine geplante Gesamtausgabe kam nicht zustande — und Orgelwerken Bachs nähern sich der seiner Zeit noch fremden Idee einer kritischen Ausgabe im modernen Sinn. — M. war auch ein sehr talentierter Zeichner und Aquarellist; bildnerisch festgehaltene Eindrücke seiner Reisen ergänzen seine Briefe. Während M.s Werke zu seinen Lebzeiten in Deutschland und England in hohem Ansehen standen und in den USA im 19. Jh. häufiger aufgeführt wurden als Werke Beethovens und M. dort zum Inbegriff des erfolgreichen Musikers wurde, machten sich in Deutschland bald antisemitische Ressentiments bemerkbar. In den Konzerten reduzierte sich die Anzahl der gespielten Werke auf einige Ouvertüren, 2 Symphonien („Schottische” und „Italienische") und das Violinkonzert. Dagegen waren in der Hausmusik die Lieder und Lieder ohne Worte sowie Arrangements aus der Kammermusik und die gemischten und Männerchöre in den Chorvereinigungen sehr beliebt. Nachdem mit dem ersten Weltkrieg und seinen gesellschaftlichen Folgen weite Bereiche privaten Musizierens nicht mehr bestanden, wurden mit dem antisemitischen Verdikt des Nationalsozialismus M.s Werke in Deutschland vollends unterdrückt. Auch in den angelsächsischen Ländern hatte das Interesse um die Jahrhundertwende sehr nachgelassen. Seit 1959, M.s 150. Geburtstag, hat in Forschung und Praxis eine M.-Renaissance begonnen. Neben den bekannten Chor-, Kammermusik- und Orchesterwerken sowie den Oratorien haben sich auch einige der erstmals veröffentlichten Werke (u. a. frühe Streichersymphonien, das von Y. Menuhin erstmals veröffentlichte Violinkonzert d -moll, Choralkantaten) nach und nach ihren Platz im Musikleben sichern können. Ausg.: GA, hrsg. v. J. RIETz, 19 Bde. (L 1874-77, Nachdr. Farnborough 1967-68), NA, 23 Bde. (1969); Leipziger Ausg. der Werke F. M. B.s (L 1960ff.); Neu- u. Erstausg. geistlicher Werke (Neuhausen 1977ff.). — Einzelausg.: Hebriden-Ouvertiire, Faks. der 1. Fassung, hrsg. v. M. F. SCHNEIDER (Bas 1947); Sechs Lieder im Freien zu singen u. Sechs Lieder ohne Worte, op. 30, Faks. der Autographe, in: F. M. B., Denkmal in Wort u. Bild (Bas
Ménestrel 1947); V.-Konzert d-moll. hrsg. v. Y. MENUHIN (NY 1952); V. -Sonate F-Dur, hrsg. v. i)LMS. (NY 1953); 2 Konzertstücke op. 113, 114 für 2 Klar. u. Klv., hrsg. v. J. MICHAELS (H 1957); Auf Wiedersehen, Faks. aus dem Lied Es ist bestimmt in Gottes Rat, hrsg. v. M. F. SCHNEIDER (Ba 1959); Schweizer Sinfonie c-moll, hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1962) (= Corona 80); Jesu meine Freude, Faks. der Autographe, hrsg. v. O. JONAS (Ch 1966); Kinderstücke, op. 72, nach der Eigenschrift, hrsg. v. O. HIEKEL (Mn 1968); Choralkantate O Haupt voll Blut und Wunden, hrsg. v. TH. MOLICH (F 1976); Choralkantate Wer nur den lieben Gott IäBt walten, hrsg. v. O. BILL (Kas 1976). Lit.: 1) Werkverzeichnisse: Thematisches Ven. der im Druck erschienenen Compositionen ... (L 1846, 3 1882, Nachdr. Lo 1966); G. GROVE, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, hrsg. v. E. Blom (Lo 1951); R. ELVERS, Ven. der v. F. M. B. hrsg. Werke J. S. Bachs, in: Gestalt u. Glaube. FS O. Söhngen (Witten 1960); P. KRAUSE, Autographen, Erstausg. u. Frühdrucke der Werke v. F.M. B. in Leipziger Bibliotheken u. Archiven (L 1972); H. CH. WORBS, F. M. B. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1974) (mit Zeichnungen u. Aquarellen M.$). 2) Briete, Dokumente a Erinnerungen der Zeitgenossen: Briefe aus den Jahren 1830-1847, hrsg. v. P. u. C. MENDELSSOHN BARTHOLDY (L 1861 u. ö., engt. Lo 1864, Nachdr. Freeport/N.Y. 1970); Reisebriefe aus den Jahren 1830-32, hrsg. v. P. MENDELSSOHN BARTHOLDY (L 1861), NA als: Briefe einer Reise durch Deutschland, Italien u. die Schweiz..., hrsg. v. P. Sutermeister (Z 1958) (mit Zeichnungen u. Aquarellen M. B.$); K. MENDELSSOHN BARTHOLDY, Goethe u. F.M.B. (L 1871, erweitert engl. Lo 1874); S. HENSEL, Die Familie M. (B 1879 u. ö.); Briefe v. F.M.B. an I. u. Ch. Moscheles, hrsg. v. F. MOSCHELES (L 1888, Nachdr. Walluf-Nendeln 1976): F. M. B.s Briefwechsel mit Legationsrat K. Klingemann, hrsg. v. K. KLINGEMANN junior (Essen 1909); Letters, hrsg. v. G. SELDEN-GOTH (Lo 1946); Ein tief gegründet Herz. Briefwechsel F. M. B.s mit J. G. Droysen, hrsg. v. C. WEHMER (Hei 1958); Briefe an dt. Verleger, hrsg. v. R. ELVERS (B 1968); Briefe aus Leipziger Archiven, hrsg. v. H. J. ROTHE - R. SzESKUS (L 1972). - E. POLKO, Meine Erinnerungen an F.M.B. (L 1868); E. DEVRIENT, Meine Erinnerungen an F. M.B. u. seine Briefe an mich (L 1869, 21872 u. ö., engt. Lo 1869, Nachdr. NY 1972); J. CH. LOBE, Gespräche mit F. M., in: Consonanzen u. Dissonanzen. Gesammelte Schriften (L 1869); F. HILLER, F.M. B. Briefe u. Erinnerungen (Kö 1874); J. ECKARDT, F. David u. die Familie Mendelssohn (L 1888); R. SCHUMANN, Erinnerungen an F. M. B., bearb. u. hrsg. v. G. Eismann (Zwickau 1947); B. ALEXANDER, M. and the Alexanders, in: M.-Stud. 1 (1972). - 3) Biographien a emtassende Darstellungen, Studien zu Werkgruppen u. einzelnen Werken: W.A. LAMPADIUS, F.M.B. Ein Denkmal für seine Freunde (L 1848); E. WERNER, M. A New Image of the Composer and His Age (NY- Lo 1963, dt. Fr- Z1980); K. -H. KOHLER, F.M.B. (L 1966); M. GECK, Die Wiederentdeckung der Matthäus-Passion im 19. Jh. (Rb 1967) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 9); S. GROSSMANN-VENDREY, F.M.B. u. die Musik der Vergangenheit (Rb 1969) (= ebd. 19); W.S. NEWMAN, The Sonata Since Beethoven (Chapel Hill 1969, revidiert NY 1972); W. '11-!OMAS, Das Instrumentalwerk F. M. B.s. Eine Systematisch theoretische Unters. unter besonderer Berücksichtigung der zeitgen. Musiktheorie (Gö - Kas 1972) (= Göttinger musikwiss. Arbeiten 4); Das Problem M., hrsg. v. C. DAHLHAUS (Rb 1974) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 41); R. JACOBS, M. (P 1977); F. KRUMMACHER, M. der Komponist. Stud. z. Kammermusik für Str. (Mn 1978); A. KURZHALS-REUTER, Die Oratorien F. M. B.s (Tutzing 1979); F.M.B., hrsg. v. H. K. METZGER (Mn 1980) (= Musik-Konzepte 14/5); F. M. B., hrsg. v. G. SCHUHMACHER (Da 1981) (= Wege der Forsch. 494) (mit unveröff. Zeichnungen u. Aquarellen). G. SCHUHMACHER
MENDÈS, Catulle, * 20.5.1841 Bordeaux, t 7.2. 1909 Saint-Germain-en-Laye; frz. Schriftsteller, Theater- und Musikkritiker. Er gründete 1861 La revue fantaisiste, die sich für die zeitgenössische Kunst einsetzte, und propagierte als Mitarbeiter der Revue wagnérienne (1885-87) sowie des Journal (seit 1895) die Musik R. Wagners, den er sehr bewunderte. 1898 organisierte er die „Jeudis populaires de musique de chambre ancienne et moderne", um die Kammermusik bei einem breiten Publikum durchzusetzen. M. schrieb auch Libretti. WW (Libretti für): A. E. Chabrier, Gwendoline, UA: Brüssel 1886; A. Messager, Isoline, UA: Paris 1888; R. Hahn, La Carmélite, UA: ebd. 1902; C. Erlanger, Fils de l'étoile, UA: ebd. 1904; J. Massenet, Ariane, UA: ebd. 1906; Cl. Debussy, Rodrigue et Chimène (vom Komp. unvollendet). Lit.: J. F. HERLIHY, C. M., critique dramatique et musical (P 1936); E. BRODY, La famille M. A Literary Link Between Wagner and Debussy, in: MR 33 (1972).
MÉNESTREL (von lat. ministerialis = Beamter, Diener; im 13. Jh. ménestérieus und in Analogie zu anderen Künstlerbezeichnungen ménétrier), im mittelalterlichen Frankreich Bz. für eine besondere Klasse von Jongleurs, die an einen Herrn — häufig selbst ein Trouvère — gebunden war. Sie waren z. T. durchaus angesehen; ihre Rolle beschränkte sich keineswegs immer auf die des Leibdieners und Musikanten: Einige M.s waren Vertraute ihres Herrn und führten auch heikle diplomatische Missionen aus. Sie wurden mit Geld und Naturalien entlohnt; zur Erneuerung ihres Repertoires oder zur Verbesserung ihrer Fähigkeiten hatten sie bestimmte Schulen zu besuchen. Einige M.s stiegen zum Kleinadel auf und erhielten Lehen. Jean Sire de Joinville teilt allerdings auch mit, der hl. Ludwig habe Geld an arme M.s verteilt. Der Idealtyp des M. findet sich in den Zügen des Pinçonnet im Roman de Cléomadès und des Helyott l'Envoisié im Tristan en prose: Künstler, Freund, Vertrauter und fähiger Bote. In der Realität entsprechen diesem Typ etwa Watriquet de Couvin, Blondel de Nesles oder später Jehan d'Ostende, der am Hofe von Savoyen Harfenist und Kitharaspieler war. — In Deutschland gehörten zur Klasse der Ministerialen die meisten Minnesänger, u. a. Walther von der Vogelweide, Ulrich von Winterstetten und Tannhäuser. Der Titel M. war sehr begehrt und verbreitete sich äußerst schnell über die gesamte Gruppe der Jongleurs. Sie organisierten sich zunftmäßig und hatten ihre Straßen, Häuser, Stadtviertel und Kirchen (St -Juliendes-Ménétriers zu Paris, während der Revolution zerstört; Maison des Musiciens zu Reims, im 1. Weltkrieg zerstört). Der Chef einer solchen Zunft führte bis 1773 den Titel „König", aber die M.s hatten längst ihr Ansehen verloren; die Fastes 281
Mengelberg de la grande et ancienne Ménestrandise von Fr. Couperin stellen entsprechend den sozialen Niedergang des Standes musikalisch dar. Vom Ende des 18. Jh. an heißen M.s nur noch dörfliche Bierfiedler, die mit bescheidener Technik und Musikalität bei Festen aufspielen. Lit.: B. BERNHARD, Recherches sur l'histoire de la corporation des ménétriers ou joueurs d'instr. de la ville de Paris, in: Bibl. de l'École des Chartes, Serie A/3 (1841/42); E. VAN DER STRAETEN, Les m.s aux Pays-Bas... (Bru 1878, Nachdr. Hilversum — G 1972); A. VIDAL, La Chapelle St-Julien-des-Ménétriers ... (P 1878); E. DUNCAN, The Story of Minstrelsy (Lo 1907); H. ANGLÉS, Cantors u. Ministers in den Diensten der Könige v. Katalonien-Aragonien im 14. Jh., in: Kgr.-Ber. Basel 1924 (L 1925); N.A. SOLAR-QUINTES, Nuevos documentos sobre ministriles..., in: Miscelánea ... FS H. Angläs II (Ba 1961); W. SALMEN, Der fahrende Musiker im europäischen MA (Kas 1960) (= Die Musik im alten u. neuen Europa 4). W.-D. LANGE
MENGELBERG, Josef Willem, * 28. 3. 1871 Utrecht, t 21.3. 1951 Sent (Unterengadin); ndl. Dirigent. Er war Schüler von Richard Hol in Utrecht sowie von Fr. Wüllner und Gustav Jensen in Köln und debütierte 1890 in Utrecht als Pianist, setzte aber diese Laufbahn nicht fort. 1891 wurde er städtischer Musikdirektor in Luzern und übernahm 1895 die Leitung des Concertgebouworkest in Amsterdam, das er zu Weltruhm führte. Seit 1898 leitete er auch den Chorverein „Toonkunst", mit dem er alljährlich die Matthäuspassion von J. S. Bach aufführte. 1907 wurde M. auch Leiter der Museumskonzerte und 1908 des Cäcilienvereins in Frankfurt am Main, unternahm nach 1908 zahlreiche Tourneen und arbeitete 1921-29 mit dem National Symphony Orchestra in New York. Seit 1945 lebte er zurückgezogen in der Schweiz. M. bevorzugte die deutsche Musik seit J. S. Bach und war auch ein Förderer der zeitgenössischen Musik. Er wurde ein unvergleichlicher Interpret der Werke von G. Mahler und R. Strauss, der ihm sein Heldenleben widmete. M. organisierte ein Mahler-Fest (1920), Festspiele niederländischer (1902, 1912, 1935) und französischer Musik (1922). Er lud die bedeutendsten Musiker seiner Zeit in das Concertgebouw ein und überließ häufig den Komponisten die Leitung ihrer eigenen Werke. Lit.: E. RICHOLSON SOLLrT, W. M. and the Symphonic Epoch (NY 1930); K. PH. BERNET KEMPERS, Mahler u. W.M., in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr — Kö 1958); W. PAAP, W. M. (A 1960); DERS., in: Mens en melodie 26 (1971); E. B. HEEMSKERTE, Over W. M., 1871-1951. Illustraties en documentatie uit het arch. van W. M. en persoonlijke herinneringen (A 1971); R. HARDIE, The Recordings of W. M. (Nashville /Tex. 1972).
MENOTTI, Gien Carlo, * 7. 7. 1911 Cadegliano (Lombardei); amerik. Komponist it. Herkunft. Nach Studien am Mailänder Konservatorium (1923-27) wanderte M. 1928 in die USA aus. Er studierte 1928-33 am Curtis Institute of Music in 282
Philadelphia Komposition bei Rosario Scalero und lehrte 1933-55 selbst an diesem Institut. 1958 gründete er das Festival dei Due Mondi in Spoleto. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Poemetti (1937); Ricercare e toccata über ein Thema aus The Old Maid and the Thief (1953). — Für Orch.: Pastorale and Dance (1934) für Klv. u. Str.; Klv.-Konzert (1945); Apocalypse (1951); V.-Konzert (1952). — 2) MimesWW: (Libr. v. Komponisten): La morte di Piero (unveröff.); Amelia al ballo, UA als: Amelia Goes to the Ball, Philadelphia 1937; The Island God, UA: New York 1942; The Medium, UA: ebd. 1946; The Telephone, UA: ebd. 1947; The Consul, UA: Philadelphia 1950; The Saint of Bleeker Street, UA: New York 1954; Maria Golovin, UA: Brüssel 1958; The Last Savage, UA: Paris 1963; Help! Help! The Globolinks, UA: Hamburg 1968; The Most Important Man, UA: New York 1971; Juana la Loca, UA: 1979; Funkoper The Old Maid and the Thief, UA: National Broadcasting Company (NBC) 1939; die Fernsehopern Amahl and the Night Visitors, UA: ebd. 1951, u. Labyrinth, UA: ebd. 1963; dramatische Kantate The Death of the Bishop of Brindisi (1963); Kirchenoper Martin's Lie, UA: Bristol 1964; Ballette Sebastian, UA: New York 1944, u. Errand into the Maze, UA: ebd. 1947; Madrigalballett The Unicorn, the Gorgon and the Manticore, UA: Washington/D.C. 1956.
Mit Amelia al ballo gelang M. ein erfolgreiches Debüt als Opernkomponist. Er konzipierte für kleine Bühnen Opern wie The Medium und The Telephone, die eine kammermusikalische Besetzung, wenige Personen und nur ein einziges Bühnenbild erfordern. Mit seinem ersten Dreiakter (The Consul) begründete er 1950 seinen Weltruhm. M. ist Komponist, Librettist und Regisseur in einer Person; er fordert, die Spieltechniken der Oper an diejenigen des modernen Sprechtheaters anzugleichen, ist hingegen in seiner Musik melodisch wie harmonisch konservativ. Eklektizistisch-produktiv vereinigen sich in seinem Schaffen Stilelemente der Musik von M. Mussorgski und G. Puccini bis hin zu I. Strawinsky. Lit.: M. I. GASMUS, G. C. M. His Dramatic Techniques. A Study Based on Works Written 1937-1954 (Diss. NY 1962); R. TRICOIRE, G. C. M. L'homme et son zuvre (P 1966) (= Musiciens de tous les temps 26); R. LECONTE HOLDEN junior, Part I:
The Seattle Production of „The Telephone" by G. C. M. (1970) (= Diss. Seattle Univ.); L. GRIEN, The Operas of G.C.M. 1937-72. A Selective Bibliography (Metuchen/N.J. 1974); J. GRUEN, M. A Biogr. (NY 1978). R. QUANDT
MENSUR (von lat. mensura = Maß). —1) Bei Saiteninstrumenten Bz. für das Verhältnis der Saiten zum Korpus, aber auch sämtlicher Maße der Teile des Instruments zueinander. — 2) Bei Blasinstrumenten Bz. für die Weite der Schallröhre bzw. Lage der Tonlöcher. — 3) Bei der Orgel Bz. für die Maßverhältnisse der Pfeifen: Bei den Labialpfeifen sind Durchmesser des Pfeifenkörpers — die M. im engeren Sinne —, Höhe des Aufschnitts, Breite des Labiums und der Kernspalte sowie Größe der Fußöffnung, bei den Zungenpfeifen Länge und Durchmesser des Bechers und der Kehle sowie Größe und Dicke der Zunge von klanglicher Bedeutung. Die
Menuett
Festlegung dieser M.en im Hinblick auf das gewünschte Klangbild und die raumakustischen Verhältnisse gehört zu den wichtigsten Planungsaufgaben des Orgelbaus. - 4) In der Mensuralnotation
nung des Tanzes entspricht eine streng normierte musikalische Struktur: das ältere M. besteht aus zwei zu wiederholenden Achttaktern, die ihrerseits in je zwei Viertaktgruppen gegliedert sind.
,~ a s~ .__ J.-B. Lully, Menuet aus Le bourgeois gentilhomme
Bz. für das Zeitmaß der Notenwerte, das durch Mensurzeichen (/Notenschrift) angegeben wird. Die M. von Longa heißt /Modus, die von Brevis /Tempus, die von Semibrevis-Minima ."Prolatio. Lit.: Ze 3): CH. MAHRENHOLZ, Die Berechnung der Orgelpfeifenmensuren vom MA bis z. Mitte des 19. Jh. (Kas 1938, Nachdr. 1968).
MENSURALNOTATION /Notenschrift. MENSURZEICHEN OENotenschrift. MENUETT (engl.: minuet; frz.: menuet; it.: minuetto; span.: minuete, minué; oft auch pseudo-italia-
nisierend als Menuetto bezeichnet), Bz. für einen ~-~
Über die Klavier- und Orchestersuite des ausgehenden 17. Jh. fand das M. besonders in Frankreich und Deutschland Eingang in die Kunstmusik. Es gehörte nicht zum Kernbestand dieser Folge stilisierter Tanzsätze, wurde aber oft als Auflockerung vor der abschließenden Gigue eingeschoben. Im italienischen Stilbereich erfolgte die Übernahme vorwiegend als Schlußsatz der (Opern-)Sinfonia. Die Verselbständigung als instrumentale Form wirkte sich auf die Struktur aus: Der zweite Teil des M. wurde unter Wahrung der Vierersymmetrie ausgeweitet, häufig durch Anwendung des Da capo-Prinzips:
re" . _-__
da capo J. Mattheson, Menuett (1737)
Tanz französischer Herkunft im Dreiertakt. Die Frage, ob das Wort von „menu" (klein, zierlich, mit Bezug auf die Tanzschritte) oder von der Tanzbezeichnung „amener" (= anführen) abstammt, ist noch ungeklärt. Das M. soll nach 1650 am Hofe Ludwigs XIV. eingeführt worden sein, seine Ausbildung als musikalische Form geht vor allem auf J.-B. Lully zurück. Es verbreitete sich bald in ganz Europa und wurde der beliebteste Tanz aristokratischer, später auch großbürgerlicher Kreise. Erst gegen Ende des 18. Jh. wurde es durch die volkstümlicheren Typen des Kontratanzes und des Deutschen Tanzes (Walzer) abgelöst, aber noch in den 1790er Jahren lieferten J. Haydn, W. A. Mozart und L. van Beethoven M.-Serien für die Wiener Redoutenbälle. Nach ersten vielgestaltigen Erscheinungsformen, bei denen lebhaftes Zeitmaß vorherrschte, vereinheitlichte sich das M. bald zum Typus als Tanz im Tripeltakt in mäßig schneller Bewegung und nahm damit eine Mittelstellung zwischen der langsamen /Sarabande und dem lebhaften /Passepied ein; J. Mattheson bezeichnet seinen Grundaffekt als „mäßige Lustigkeit". - Der geregelten Schrittord-
Durch Hinzufügen eines zweiten M. (Menuetto alternativo) mit anschließender Wiederholung des
ersten ergab sich eine erweiterte Reprisenform A B A, deren Mittelteil in bezug auf Tonart, Satztechnik oder Klangfarbe gegensätzlich gestaltet wurde. Aufgrund seiner häufig 3st. Setzweise (bei Orchesterwerken meist für 2 Ob. und Fag.) bürgerte sich für das zweite M. die Bezeichnung „Trio" ein. Die französischen Clavecinisten erweiterten das M. vereinzelt zur Rondoform (Menuet en rondeau). Der Normaltypus des M.s zwischen 1680 und 1750 ist volltaktig und im 3/4-Takt (im italienischen Stil auch im 3/8-Takt) notiert. Laut Mattheson soll das M. durch den Grundrhythmus J J IJJ charakterisiert sein, doch handelt es sich dabei eher um einen speziellen, allerdings häufig anzutreffenden Typ. Insgesamt bietet die M.-Produktion dieser Zeit eine Fülle unterschiedlicher Gestaltungsformen; was diese miteinander verbindet, ist ihre gemessene, extreme Affekte meidende Haltung, die auch in gelegentlichen Zusätzen wie grazioso, galante, tendre zum Ausdruck kommt. - Als besonderes Genre gilt das gesungene M., das allerdings nur selten als solches bezeichnet ist. Oft handelt es sich dabei um 283
Menuett
nachträglich textierte Tanzmelodien (so bei Sperontes, Die singende Muse an der Pleiße, 1736-45 ); aber auch größere Formen in Oper oder Kantate sind aufgrund ihrer Struktur- und Ausdrucksmerkmale unschwer als Vokalmenuette zu erkennen (z. B. die Aria Unter deinem Purpursaum aus J. S. Bachs Kantate BWV 173a). — In der älteren Kompositionslehre (Mattheson, J. Riepel, H. Chr. Koch) galt das M. als Schulbeispiel für die in Viertaktgruppen symmetrisch gegliederte und als „naturgegeben" empfundene Taktordnung (2'Periode), aus deren Grundsätzen auch die größeren Formen der klassischen Musik abgeleitet wurden. Seit Mitte des 18. Jh. war das M. fester Bestandteil der verschiedenen Nachfolgeformen der Suite (Divertimento, Kassation, Notturno, Serenade). Die reprisenförmige Anlage mit dem kontrastierenden Trio als Mittelteil wurde nun allgemein verbindlich. Der ursprünglich begrenzte Ausdrucksbereich weitete sich aus und ließ freiere rhythmische Gestaltungsformen zu: Menuetto
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P W. A. Mozart, Symphonie A-Dur, KV 201, 3. Satz
tMenuctto. Presto --_ --_--t
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J. Haydn, Streichquartett G-Dur, Hob. III : 81, 3. Satz
Von wesentlicher Bedeutung für die weitere Entwicklung des M.s war seine durch die Mannheimer (J. Stamitz) und Wiener „Vorklassiker" eingeleitete, durch Haydn gefestigte Integration in die zum 4sätzigen Zyklus ausgeweitete symphonische Form. Mit seiner symmetrisch ausgewogenen Gestalt stellt es — in der Regel als vorletzter Satz innerhalb der Gesamtform — eine Phase beschaulicher Entspannung vor dem dynamisch-schwungvollen Finale dar. Unter dem Einfluß der neuen kompositorischen Ideen und Techniken, insbesondere im symphonischen und kammermusikalischen Schaffen Haydns und Mozarts, wandelte sich die Tanzform zum „ausgearbeiteten" Satz, entweder durch Anwendung motivischer Durchführungstechnik bzw. kontrapunktischer Setzweise oder durch Verfeinerung und Komplizierung der metrischen und rhythmischen Struktur. Die Verbindung dieser Stilmerkmale mit einem schnelleren Grundzeitmaß führte schließlich zu einem neuen Satztypus, dem řScherzo. Die bei Haydn und Mozart noch beibehaltene Satzbezeichnung „Menuetto" ist in solchen Fällen nicht mehr auf den Tanzcharakter bezogen. 284
Sie erhält einen strukturellen, auf die formale Funktion zielenden Sinn, der besagt, daß es sich bei diesem Satz um einen Einschub, um einen „Nebensatz" im Rahmen der zyklischen Form handelt. Im Gegensatz zu Haydn, der mit der Überschrift „Scherzo" zu einigen tanzförmig angelegten Sätzen der Streichquartettserie op. 33 offenbar keine Charakterisierung im späteren Sinne des Wortes beabsichtigte, verwenden Beethoven wie auch L. Spohr, C. M. von Weber, Fr. Schubert u. a. diesen Begriff bewußt in der Bedeutung eines pointierten oder motorischen Bewegungstyps, neben dem das „Grazioso-M." als beschauliches, fast ein wenig konven-
tionell anmutendes Gegenbild noch vereinzelt eingesetzt wird (vgl. die entsprechenden Sätze in Beethovens Septett, op. 20, und in Schuberts Oktett, D 803). — Bei den Instrumentalsätzen im Tempo di minuetto verbindet sich der rhythmischmelodische Gestus des älteren M. mit freierer Formgestaltung (Finalsätze der Konzerte KV 191, 219, 242, 246 von Mozart; Klaviersonaten op. 54, 1. Satz, op. 49 Nr. 2, letzter Satz, von Beethoven). Nach 1830 setzt sich das Scherzo endgültig als Standardform des bewegten Binnensatzes durch (wobei das Trio Merkmale des M.s bewahrt), doch finden sich gelegentlich als „Intermezzo" auch zeit- oder nationaltypische Tanzformen (Walzer, Polonaise, Polka, Furiant). Ein Reservat für das M. bleibt die Serenade, die in markanten Einzelwerken bis ins 20. Jh. immer wieder begegnet (J. Brahms, A. Dvořák, R. Strauss, A. Schönberg). Daneben erscheint das M. im 19. und 20. Jh. öfter als historisierendes Charakterstück (E. Grieg, GroBmutters Menuett aus Lyrische Stücke, op. 68; V. d'Indy in Suite dans le style ancien, op. 24; M. Ravel, Menuet antique; R. Strauss in der Suite Bürger als Edelmann; I. Strawinsky in Pulcinella). Lit.: J. MAT-MESON, Der vollkommene Capellmeister (H 1739), Nachdr. hrsg. v. M. Reimann (Kas 1954, =1969) (= DMI I/5); G. BECKING, Stud. z. Beethovena Personalstil. Das Scherzothema (L 1921); P. NETT1., Die Wiener Tanzkomposition in der 2. Hälfte des 17. Jh., in: StMw 8 (1921); W. DANCKERT,
Mozarts Menuettypen, in: Kgr.-Ber. Salzburg 1931 (L 1932); A. ADRIG, M. u. Scherzo, in: Der Musikerzieher 36 (1939/40); M. REIMANN, Unters. z. Formgesch. der frz. Klaviersuite (Rb 1940, Nachdr. 1969) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 3); E. BLOM, The Minuet -Trio, in: ML 22 (1941); H. ENGEL, Der Tanz in Mozarts Kompositionen, in: Mozart-Jb. 1952 (1953); H. GOLDMANN, Das M. in der dt. Muaikgeach. des 17. u. 18. Jh. (Diss. Erl 1956); H. MARTENS, Das M. (Wb 3 1958); I. HERMANN-BENGEN, Tempobezeichnungen (Tutzing 1959) ( = Münchner Veröff. z. Musikgesch. 1); N. SAUVAGE, Le menuet (P 1960); G. MASSENKEIL, Unters. zum Problem der Symmetrie in der Instrumentalmusik W. A. Mozarts (Wie 1962); K. PADRTA, Die M.-Typen im Werke des Komponisten Kramář-Krommer, in: Sborník prací filosofické fakulty Brnenské Univ. 16 (1967); H. H. EGGEBRECHT, Versuch über die Wiener Klassik. Die Tanzszene in Mozarts „Don Giovanni", (Wie 1972) (= Beih. z. AfMw 12); W. STEINBECK, Das M. in der
Mercadante Instrumentalmusik J. Haydns (Mn 1973) (= Freiburger Schriften z. Musikwiss. 4); E. APFEL, Ein M. bei J. Mattheson, in: Mf 29 (1976); J. GMEINER, M. u. Scherzo. Ein Beitr. zur Wirkungsgesch. u. Soziologie des Tonsatzes der Wiener Klassik (Diss. W 1977); F. OTTERBACI-i, Die Gesch. der europäischen Tanzmusik (Wilhelmshaven 1980) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 52). E. PLATEN
MENÜHIN, Yehudi, * 22. 4. 1916 New York; amerik. und Schweizer Violinist. Er erhielt mit 5 Jahren ersten Violinunterricht, trat mit 8 Jahren öffentlich auf, war Schüler von G. Enescu in Paris und von A. Busch in Basel, wurde als Wunderkind weltberühmt und gilt bis heute als einer der größten Violinisten des 20. Jahrhunderts. Seine Konzerte mit Werken für Violine allein wie auch die Duokonzerte mit seiner Schwester, der Pianistin Hephztbah M. (* 20. 5.1920 San Francisco, t 1.1.1981 London), fanden überall begeisterte Resonanz. M.s Repertoire umfaßt Violinkompositionen seit dem Barock, wie er sich stets auch für die Neue Musik einsetzte. B. Bartók widmete ihm seine Violinsolosonate, ein Kompositionsauftrag M.s, der sie 1944 in New York zur Uraufführung brachte. In den letzten Jahren wandte sich M. auch außereuropäischer, vor allem indischer Musik zu, so im Zusammenspiel mit Ravi Shankar. 1959 gründete M. die Festspiele in Gstaad bzw. Samen im Berner Oberland, 1969 die in Windsor; 1959-68 hatte er die künstlerische Leitung des Bath Festival inne. Als Dirigent und Solist des M. Festival Orchestra (des ehemaligen Bath Festival Orchestra) unternahm er zahlreiche Tourneen in alle Welt. 1963 gründete M. die Y. M. School in Stoke d'Abernon (Surrey), in der Kinder frühzeitig an die Musik herangeführt werden sollen. 1969 wurde er Präsident des Internationalen Musikrats der UNESCO, 1972 übernahm er die Leitung des Trinity College in London. M., der sich in aller Welt für Menschlichkeit und Völkerversöhnung einsetzt, erhielt 1979 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Schriften: Sig. von Aufsätzen, Vorträgen u. ä.: Theme and Variations (Lo —NY 1972), dt. Obers.: Variationen (Mn — Z 2 1979); Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (Mn 1977, 4 1979); Die Musik des Menschen (Ge 1980) (zus. mit C. W. Davis). — M. gibt heraus: Y. M.s Musikführer (engl. Lo 1976 ff., dt. Zug 1978 ff.) (darin von ihm, zus. mit W. Primrose: Violine u. Viola, 1978). Lit.: B. GAVOTY — R. HADERT, Y. M. et G. Enesco (Monaco 1955, dt. G 1955); R. MAGIDOFF, Y.M. (NY 1955, Lo 1956, '1973, dt. Be — Wie 1958); E. F. JOCELYN, Music Festivals With Y. M. (Lo 1960); N. WYMER, Y. M. (Lo 1961); H. O. SPINGEL, Y.M. (B 1964) (= Rembrandt-Reihe 50); E. FENBY, M.'s House of Music. An Impression of the Y. M. School at Stoke d'Abernon (Lo 1969, NY 1970); R. DANIELS, Conversations with M. (Lo 1979).
MERBECKE (Marbeck, Marbecke, Marbek), John, * um 1510 (vielleicht auch 1505 oder 1500) Windsor (?), t um 1585 ebd. (?); engl. Kirchenmu-
siker. Er ist 1541 als Organist an der St. George's Chapel in Windsor nachweisbar, wo er bis 1585 blieb. 1543 wurde er wegen Ketzerei zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt und konnte seine Tätigkeit wiederaufnehmen. Von ihm stammt die Musik der 1. Sammlung englischer Kirchenlieder, The Booke of Common Praier Noted, die Bearbeitungen gregorianischer Melodien und eigene Kompositionen M.s enthält. Diese Sammlung, die im 16. Jh. nur vorübergehend in Gebrauch kam, wurde durch die liturgische Reform des 19. Jh. wieder eingeführt und findet heute in der Anglikanischen Kirche Verwendung; zahlreiche Melodien sind auch in methodistische und presbyterianische Gesangbücher aufgenommen. M. ist auch der Autor einer Bibelkonkordanz (Concordance, Lo 1550) und einiger weiterer theologischer Werke. WW: The Boot-e of Common Praier Noted (Lo 1550). — Messe Per arma justiciae für 5 St., 2 Motetten für 5 St. u. ein Carol für 3 St. hsl. erhalten. Ausg.: Messe, 2 Motetten u. ein Carol, in: H. Aston, J. M., O. Parsley, hrsg. v. P. C. BucK — E. H. FELLOWES — A. RAMSBOTHAM — S.T. WARNER (Lo 1929, Nachdr. NY 1963) (= Tudor Church Music 10); A Virgin and Mother für Sopran, Alt u. B., hrsg. v. F. HUDSON (Lo 1960); dass., hrsg. v. C. F. SIMKINS (Lo 1965); Motette Domine Jesu Christe für Soli u. Sst. gem. Chor, hrsg. v. F. HUDSON (Lo 1960); Music for the Congregation at Holy Communion, hrsg. v. CH. CLEALL (Lo 1963). Lit.: H. BYARD, Farewell to M.?, in: MT 114 (1973); R. A. LEAVER, The Work of J.M. (Appleford 1978).
MERCADANTE, Giuseppe Saverio Raffaele, getauft 17.9.1795 Altamura (Bari), t 17.12.1870 Neapel; it. Komponist. Er war Schüler von Giovanni Furno, G. Tritto, F. Fenaroli und N. A. Zingarelli am Conservatorio S. Sebastiano in Neapel. Als sein erstes Werk wurde L'apoteosi d'Ercole 1819 am Teatro S. Carlo in Neapel aufgeführt. 1833 wurde M. als Nachfolger von P. Generali Domkapellmeister in Novara. Sein Ruf war zu jener Zeit bereits so gefestigt, daB G. Rossini ihn nach Paris einlud. Dort brachte M. I briganti am ThéâtreItalien 1836 zur Aufführung. Nach seiner Rückkehr nach Italien übernahm er 1840 als Nachfolger von Zingarelli die Direktion des Konservatoriums von Neapel, das er trotz beginnender, später völliger Blindheit bis zu seinem Tode leitete. Die Musik M.s stand beim Publikum und bei den Musikern in großer Gunst. M. bemühte sich, dem Niedergang der italienischen Oper entgegenzutreten, indem er auf bloBe Virtuosität verzichtete und dem Orchesterpart besondere Aufmerksamkeit schenkte. Nicht zuletzt diese Reform, vor allem in Il giuramento bezeugt, bahnte den Weg für die Kunst Verdis. WW: 60 Opern, darunter: L'apoteosi d'Ercole, UA: Neapel 1819; Violenza e costanza, UA: ebd. 1820; Elisa e Claudio, UA: Mailand 1821; Donna Caritea, UA: Wien 1826; Gabriella di Vergy, UA: Lissabon 1828; I Normani a Parigi, UA: Turin 1832; I bri-
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Merikanto ganti, UA: Paris 1836; II giuramento, UA: Mailand 1837; Le due illustri rivali, UA: Venedig 1838; Elena da Feltre, UA: Rom 1838; Il bravo, UA: Mailand 1839; La vestale, UA: Bologna 1840; Leonora, UA: Neapel 1844; Gli Orazi e i Curiazi, UA: ebd. 1846; Virginia, UA: ebd. 1866. Lit.: B. NOTARNICOLA, S. M., biografia critica (R 1945,'1949, 3 1951); F. WALKER, M. and Verdi, in: ML 33 (1952) u. 34 (1953); A. R. SARDONE, M., le due patrie e „La gran madre Italia" (Neapel 1954); F. LIPPMANN, V. Bellini u. die it. Opera seria seiner Zeit (Rb 1969) (= Anal. Mus. 5); A. G. MOONEY, The Operas of S. M. (Diss. Edinburgh 1970); G. C. BALLOLA, Incontro con M., in: Chigiana 6-7 (1971); R. JACKSON, M.'s Résumé of Opera Reform, in: FS H. Häschen (Kö 1980).
MERIKANTO. — 1) Frans Oskar, * 5.8.1868 Helsinki, t 17.2.1924 Hausjärvi-Oiti bei Helsinki; finnischer Komponist. Er studierte in Helsinki, Leipzig und Berlin, unterrichtete 1889-1914 am Institut für Kirchenmusik und 1907-20 am Musikinstitut von Helsinki. 1911-20 wirkte er auch als Dirigent an der Finnischen Oper. Seine Lieder fanden in Finnland allgemeine Verbreitung. WW: Konzert für Klar., Horn, V. u. Streichquartett; Stücke für V., Org. u. Klv.; etwa 150 Lieder u. Chöre. - Opern: Pohjan neiti (Die Tochterdes Pohja), UA: Viipuri 1908; Elinansurma (Der Tod des Elinas), UA: Helsinki 1910; Regina von Emmeritz, UA: ebd. 1920.
2) Aarre, Sohn von 1), * 29.6.1893 Helsinki, t 28. 9. 1958 ebd.; finnischer Komponist. Er studierte in Helsinki, 1912-14 bei M. Reger und Stephan Krehl am Leipziger Konservatorium sowie 1916-17 in Moskau. Seit 1937 unterrichtete er an der Sibelius-Akademie in Helsinki, wo er 1951 zum Professor für Komposition ernannt wurde. M. gehörte zu den Künstlern, die der Neuen Musik in Finnland Eingang verschafften. Nachdem er anfangs atonal komponiert hatte, wandte er sich seit etwa seinem 50. Lebensjahr einem gemäßigteren Stil zu. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; 3 Symphonien (1914, 1918, 1952-53); 5 symphonische Dichtungen; Suiten, u. a. Kyllikin ryöstö (1935); Konzerte: 3 für Klv., 4 für V. u. 2 für Vc. - Lieder und Chorwerke. - Opern Helena, UA: Helsinki 1912, u. Juha, UA: ebd. 1967. Lit.: Y. SUOMALAINEN, O. M. (He 1950); T. TEERISUO, A. M. ooppera Juha (1970) (= Diss. Univ. Helsinki).
MERKLIN, Joseph, * 17.1.1819 Oberhausen (Baden), t 10.6.1905 Nancy; frz. Orgelbauer dt. Herkunft. Einer Orgelbauerfamilie entstammend, wurde er Schüler seines Vaters Franz Josef M. (1788-1857), der 1832 eine Werkstatt in Freiburg i. Br. gründete, die bis 1907 bestand. Die von J. M. 1846 in Brüssel gegründete Firma, in die er 1853 seinen Schwager Friedrich Schütze aufnahm, wurde von außergewöhnlicher Bedeutung für den westeuropäischen Orgelbau des 19. Jahrhunderts. 1855 wurde die Werkstatt Ducroquet in Paris aufgekauft, seit 1858 firmierte der Betrieb als „Société anonyme pour la construction des Grandes Orgues, 286
Paris et Bruxelles". Eine Filiale in Lyon wurde 1894 an die Firma Kuhn verkauft. — Die wichtigsten aus den Werkstätten in Brüssel und Paris hervorgegangenen Orgeln sind: Paris, St-Eugène (1855; 3 Man., 33 Reg.); Murcia (Spanien), Kathedrale (1857; 4 Man., 63 Reg.); Nancy, St-Epvre (1863; 3 Man., 44 Reg.); Paris, St -Ambroise (1870; 3 Man., 32 Reg.). Diese Orgeln sind alle erhalten geblieben, nicht dagegen die größte und bedeutendste M.-Orgel in Paris, St -Eustache (1879; 4 Man., 72 Reg.). Lit.: B. SULZMANN, Zur Genealogie der Orgelbauerfamilie M., in: Ars organi 26 (1978); K. LUEDERS, Die M. -Orgeln in Paris, St -Eugène und in der Kathedrale von Murcia, in: ebd. H. J. BUSCH
MERRILL, Bob, * 17. 5. 1922 Atlantic City (New Jersey); amerik. Komponist und Textdichter. Er kam schon früh zum Film, zunächst als Schauspieler und Aufnahmeleiter in Hollywood, begann dann zu komponieren und schrieb in den 40er und zu Anfang der 50er Jahre Text und Musik zu zahlreichen Schlagern (u. a. My Truly, Truly Fair; Sparrow in the Tree Top; Candy and Cake). Später wandte er sich ganz dem Musical zu; so brachte er in New York 1957 New Girls in Town (nach Eugene O'Neills Anna Christie), 1959 Take me Along (nach O'Neills Ah, Wilderness) und 1961 Carnival heraus. Für J. Stynes Funny Girl (1964) schrieb M. die Songtexte. MERRILL, Robert, * 4.6. 1919 Brooklyn; amerik. Sänger (Bariton). Er erhielt Gesangunterricht zunächst bei seiner Mutter, später bei Samuel Margolis in New York, debütierte 1944 in Trenton (N.Y.) als Amonasro in Verdis Aida und wurde bereits im folgenden Jahr an die Metropolitan Opera in New York (Antrittsrolle: Germont in La Traviata von G. Verdi) verpflichtet, deren Mitglied er während seiner gesamten Laufbahn blieb. Daneben gastierte er erfolgreich an den großen Opernhäusern Nordamerikas und Europas. Den Schwerpunkt seines Repertoires bilden die Baritonpartien der italienischen und französischen Oper vor allem des 19. Jahrhunderts. Er schrieb eine Autobiographie: Once More from the Beginning (NY 1965). MERSEBURGER, Verlag Merseburger Berlin GmbH, dt. Musikverlag, gegr. 1849 von Carl Wilhelm M. (1816-85) in Berlin durch Ankauf des Verlags „Carl Friedrich Meusel" in Weißenfels. In der Folgezeit leiteten die Firma, die 1850 nach Leipzig übersiedelte, Carl Wilhelm M.s Bruder Otto M. (1822-98) und Otto M.s Sohn Max M. (1853-1935) zusammen mit C. W. M.s Sohn Georg M. (1871-1958), der 1904 einen eigenen Verlag in Leipzig gründete. Nach Kriegszerstörung (1944) wurde das Unternehmen 1951 von Georg M.s Sohn
Mersmann Karl M. (1905-78) mit Sitz in West-Berlin und Darmstadt neu gegründet; das Darmstädter Haus verselbständigte sich 1955 als „Tonkunstverlag Karl Merseburger". 1956 wurde das Berliner Haus von Adolf Strube (1894-1973) erworben und 1964 in eine GmbH umgewandelt, 1972 von A. Strubes Sohn Friedemann Strube (* 1939), der 1976 ausschied, und Wolfgang Matthei (* 1925) übernommen. Zum Verlagsprogramm gehören vor allem musikpädagogische Publikationen und evangelische Kirchenmusik. 1851-94 edierte der Verlag die von Ernest J. Hentschel und L. Chr. Erk gegründete Euterpe. Eine Musikzeitschrift für Deutschlands Volksschullehrer, 1857-61 die von K. Fr. Brendel herausgegebene Zeitschrift Anregungen für Kunst, Leben und Wissenschaft und gibt seit 1950 die Zeitschrift für evangelische Kirchenmusik Der Kirchenmusiker und seit 1952 die Zeitschrift für Orgelwesen Ars organi heraus. Lit.: Hundert Jahre im Dienst der Musik. Aus der Arbeit des Verlags C. M. in Leipzig (L 1949); A. Strube zum 60. Geburtstag (B 1954); H.-M. PLESSKE, Bibliogr. des Schrifttums z. Gesch. dt. u. ostr. Musikverlage, in: Beitr. z. Gesch. des Buchwesens 3 (L 1968).
MERSENNE, Marin, * B. 9. 1588 La Soultière t 1. 9. 1648 Paris; frz. Gelehrter. Er stammte aus einer Bauernfamilie und studierte am College in Le Mans, danach bei den Jesuiten in La Flèche, wo R. Descartes zu seinen Mitschülern zählte. 1611 trat er in den Orden der Minimen (Paulaner) ein, wurde 1612 Priester, unterrichtete 1614-19 im Konvent von Nevers Philosophie und Theologie und kehrte danach als Mönch in das Kloster an der Place Royale in Paris zurück, das er nur noch für einige kurze Reisen in die Niederlande (1628-30), die französische Provinz und nach Italien (1640-45) verließ. Im Kloster widmete er sich ganz seinen Studien; er stand in Verbindung mit Descartes, G. B. Doni, Pierre de Fermat, Galileo Galilei, Pierre Gassendi, Thomas Hobbes, Constantin Huyghens, J. Titelouze u. a. bedeutenden Musikern, Gelehrten und Philosophen der Zeit; teilweise waren diese Beziehungen von heftigen Polemiken geprägt, wie etwa gegenüber Robert Fludd. (Maine),
Schriften: Quaestiones ce/eberrimae in Genesim (P 1623); Les préludes de l'harmonie universelle (P 1634); Questions harmoniques (P 1634); Harmonicorum libri XII, 2 Bde. (P 1635-36, erweitert 2 1648, 31652); Harmonie universelle contenant la théorie et la pratique de la musique (P 1636-37); ferner weitere mathematisch-physikalische u. theologische Schriften.
M. hat sich fast allen Gebieten zugewandt, die heute zur Musikwissenschaft zählen. Trotz eines Mangels an strenger Systematik und kritischer Schärfe bleibt sein Werk eine unerschöpfliche Quelle für die Kenntnis der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Ohne die Theorie der gleichschwebenden Temperatur darzulegen, befürwortete M. die Verwen-
dung, wie er sagt, „gleicher Halbtöne" aus einem praktischen Grund: den Instrumentenbauern sollte die Herstellung der Instrumente erleichtert werden. M. beschrieb das Phänomen der Resonanz und versuchte es zu erklären. Als erster definierte er Ton und Klang als Lu. tschwingung. Er begnügte sich dabei nicht mit theoretischen Spekulationen, sondern nahm die Hilfe von praktischen Musikern in Anspruch: So fügte er seiner Harmonie universelle einen Gesangstraktat von Désargues und einen Lautentraktat von J. Basset bei; er bat É. Moulinié um Beispiele für Verzierungen von Airs de cour und einen Dorfmusikanten namens M. Henry um Stücke aus seinem Repertoire; er befragte seine Briefpartner geradezu penetrant über die Musik der Hebräer oder über die Chansons von Thibaut de Champagne. M.s Bücher über Musikinstrumente sind bis heute eine wesentliche Quelle für die gesamte ältere Instrumentenkunde. Seine immens umfangreiche Korrespondenz erlaubt es, seine Arbeitsmethode zu studieren und die Vielfalt seiner Dokumentation zu würdigen. Von neuplatonischem Gedankengut geprägt, war er ein überzeugter Verfechter geistiger Kooperation und akademischer Institutionen (er dachte sogar an eine internationale Akademie). In seinem ganzen Denken tendiert der von ihm vorgeschlagene Kompromiß zwischen Wissenschaft und Glauben zur Wissenschaft. Von dort her gesehen, gehört das (Euvre M.s nicht mehr dem Bereich der Scholastik an, sondern befindet sich wesentlich auf dem Weg zu einer mechanistischen Weltanschauung. Ausg.: Correspondance du Padre M. M., Religieux minime, hrsg. v. C. DE WAARD, 1-2 (P 1932-35), 3 (P 1946, .1969), 4-11 (1955-70); Harmonie universelle. The Books an Instr., engl. v. R. E. CHAPMAN (Den Haag 1957, Neudr. ebd. 1964); Harmonie universelle..., Faks. hrsg. v. F. LESURE, 3 Bde. (P 1963); Questions harmoniques, Faks.-Ausg. (St 1972); Harmonicorum libri XII, Nachdr. der Aufl. v. 1648 (G 1973). Lit.: H. LUDWIG, M. M. u. seine Musiklehre (Hl 1935, Nachdr. Hil 1971) (= Beitr. z. Musikforschung 4); F. B. HYDE, The Position of M. M. in the Hist. of Music (1954) (= Diss. New Haven / Conn.); J. B. EGAN, M. M. „Traité de l'harmonie universelle" (1962) (= Diss. Indiana Univ.); R. VAUGHT, M.'s Unknown English Viol Player, in: GalpinJ 17 (1964); D. T. MACE, M. M. an Language and Music, in: JMTh 14 (1970); A. GRUBER, M. and Evolving Tonal Theory, in: ebd.; T. ROBINSON, A Reconstruction of M.'s Flute, in: GalpinJ 26 (1973); D. P. WALKER, J. A. Ban and M.'s Musical Composition of 1640, in: ML 57 (1976). F. LESURE
MERSMANN, Hans, * 6. 10. 1891 Potsdam, t 24. 6. 1971 Köln; dt. Musikforscher. Er studierte in München (A. Sandberger), Leipzig (H. Riemann) und Berlin (H. Kretzschmar), wo er 1914 mit einer Dissertation über Chr. L. Boxberg promovierte und sich 1921 habilitierte. Danach lehrte er als Privatdozent an der Technischen Universität in Berlin, 287
Merula 1927-33 als Professor. 1918 wurde er zum Leiter des Melodienarchivs der PreuBischen Volksliedkommission berufen und war 1924-33 Schriftleiter der Zeitschrift Melos. Seit 1931 war M. außerdem am Rundfunk als Programmreferent bzw. Leiter der Musikabteilung in Berlin tätig. 1933 aufgrund seiner kulturpolitischen Ansichten und seines Eintretens für die Neue Musik aus allen Ämtern entlassen, konnte er nur noch privat unterrichten. 1946 als Professor an der Münchner Musikhochschule tätig, war M. 1947-57 Direktor der Musikhochschule in Köln. 1953-64 leitete er (als Gründungsmitglied und Initiator) die deutsche Sektion des Int. Musikrates der UNESCO, deren Ehrenpräsident er zuletzt war. M.s Schriften über Neue Musik sind zum Teil von grundlegender Bedeutung. Schriften: Ch. L. Boxberg und seine Oper Sardanapalus (Diss. B 1916), Teildruck als: Beiträge zur Ansbacher Musikgeschichte (L 1916); Kulturgeschichte derMusikin Einzeldarstellungen, 4 Bde., 1: Beethoven, 2: Das deutsche Volkslied, 3: Musik der Gegenwart, 4: Mozart (B 1921-25); Grundlagen einer musikalischen Volksliedforschung, in: AfMw 4 (1922) u. 6 (1924), separat (L 1930); Angewandte Musikästhetik (B 1926); Einführung in die Musik (B 1928); Die Tonsprache der neuen Musik (Mz 1928, 2 1930); Die Kammermusik (L 1930-33) (= Führer durch den Konzertsaal 3); Eine deutsche Musikgeschichte (Pd - B 1934), erweitert als: Musikgeschichte in der abendländischen Kultur (21952, 21973); Musikhören (Pd - B 1938, erweitert F 1952, Kas 2 1973); Soziologie als Hilfswissenschaft der Musikgeschichte, in: AfMw 10 (1953), wiederabgedruckt, in: Texte z. Musiksoziologie, hrsg. v. T. Kneif (Kö 1975); Deutsche Musik des XX. Jh. im Spiegel des Weltgeschehens (Rodenkirchen 1958) (= Kontrapunkte 1); Relativität von Fortschritt und Tradition in der Musik, in: Philharmonische Blätter (1970-71) Nr. 1. - Gesammelte Aufsätze u. Reden als: Lebensraum der Musik (Rodenkirchen 1964) (= Kontrapunkte 7). Lit.: W. WIORA, in: Mf 24 (1971); F. SCHIERI, in: MuA 24 (1972).
MERULA, Tarquinio, * um 1595 wahrscheinlich Cremona, t 10. 10. 1665 ebd.; it. Organist und Komponist. M. wurde 1623 Kapellmeister an Santa Maria Maggiore in Bergamo und 1624 Kirchenund Kammerorganist König Sigismunds III. von Polen. Nach Italien zurückgekehrt, übernahm er 1628 die Orgel an S. Agata in Cremona und war Regens chori am Dom. 1631-40 war er erneut Kapellmeister an Santa Maria Maggiore in Bergamo. 1643 ging er nach Venedig, wo er mit F. Laurenzi, A. Crivelli und B. Ferrari die Musik zu La Finta Savia von G. Strozzi schrieb. 1652 wurde er wieder Domkapellmeister in Cremona. WW: 1) llrtr.-WW: 4 Bücher Canzoni (oder Sonaten) (V 1616, 2 1639, 1637, 1651); Orgelstücke hsl. - 2) Vokal-WW: 3 Bücher Motetti concertati (mit Sonaten) (V 1624, 1628, 1639); 3 Bücher Konzertierende Messen u. Psalmen für 2-12 St. (V 1639, 1640, 1652). - Madrigaletti für 3 St. u. B.c. (V 1624); 2 Bücher Madrigali concertati für 1-8 St. u. B.c. (V 1624, 1633); Satiro e Corisca. Dialogo musicale für 2 St. (V 1626); Curtio precipitato et altri capricii a voce sola (V 1638).
M. gehört zu den frühen Vertretern der Sonata da 288
camera und da chiesa. In der weltlichen Vokalmusik war A. Grandi sein Vorbild, in den konzertierenden Motetten L. da Viadana. M. macht häufig Gebrauch von ostinaten Bässen. Einige seiner einstimmigen Madrigale lassen die für die zeitgenössische Kantate charakteristische Abfolge von Rezitativen und Arien erkennen. Ausg.: Composizioni per org. e cemb., hrsg. v. A. CuRTIs (Brescia 1961) (= Monumenti di musica it. I /1); Opere complete, hrsg. v. A. SUTKOWSKI (Brooklyn/N.Y. 1974ff.). Lit.: A. CURTIS, L'opera cemb.-organistica di T. M., in: L'organo 1 (1960); J. ROCHE, Music at S. Maria Maggiore (Bergamo 1614-43, in: ML 47 (1966); E. FERRARI BARASSI, T. M. e il dialogo di „Satiro e Corisca", in: Anuario Mus. 27 (1972).
MERULO, Claudio (auch Claudio da Correggio, eig. Merlotti), getauft 8.4. 1533 Correggio (Reggio Emilia), t 5.5. 1604 Parma; it. Organist und Komponist. M. war Schüler von Tuttovale Menon und später von Girolamo Donati. 1556 wurde er Organist am Dom zu Brescia, kam 1557 an die 2. Orgel und 1566 als Nachfolger A. Padovanos an die 1. Orgel an S. Marco in Venedig. Mit Fausto Betanio gründete er einen Musikverlag (1566-1571) in dem er eigene Kompositionen sowie Werke von Ph. Verdelot und C. Porta verlegte. 1584 verließ er Venedig und soll sich dann einige Zeit in Mantua aufgehalten haben. 1586 trat er als Hoforganist in den Dienst des Herzogs von Parma, war seit 1587 gleichzeitig Organist am Dom in Parma und seit 1591 Organist der herzoglichen Kirche La Steccata. M. war auch als Orgelbauer tätig. Ein von ihm selbst gebautes Positiv befindet sich heute im Konservatorium von Parma. Zu seinen Schülern gehörten F. Maschera, G. Diruta und sein Neffe Giacinto, * 1595 Parma, t um 1650, der seine nachgelassenen Werke verlegte. G. M. war von 1630 bis zu seinem Tode Domorganist in Parma. WW: 1) Instr.-WW: Für Org.: Ricercari (V 1567); Messe d'intavolatura d'organo (V 1568); 3 Bücher Canzoni alla francese (V 1592), 1606, 1611); 2 Bücher Toccaten (R 1598, 1604); 3 Bücher Ricercari da cantare für 4 St. (1574, 1607, 1608); weitere Stücke in Sammeldrucken u. hsl. erhalten. - 2) Geisdlche VokalWW: Messen für 5 St. (V 1573); Messen u. Litaniae ... für 8 u. 12 St. mit Org. (1609); 7 Bücher Sacree cantiones (bzw. Motetten): für 4 St. (V 1584); 2 Bücher für 5 St. (V 1578); 2 Bücher für 6 St. (V 1583, 1605); für 6 u. 7 St. (V 1593); für 8-12 St. (V 1594); zahlr. Stücke in Sammeldrucken u. hsl. erhalten. 3) Weltliche Vokal-WW: Madrigale für 3 St. (V 1580); für 4 St. (V 1579); für 5 St. (V 1566, 1604); weitere in Sammeldrucken.
In ihrer Expressivität und klanglichen Farbigkeit nehmen M.s Vokalkompositionen einen hohen Rang innerhalb der Venezianischen Schule ein. Bekannter sind allerdings seine Orgelwerke, ein entscheidender Beitrag zur Ausbildung eines selbständigen Orgelstils und für die Entwicklung der Toccata; durch den Wechsel improvisatorischer, virtuoser Passagen mit fugierten Abschnitten sind
Mesopotamien die Toccaten auch eine Vorstufe der Satzfolge Praeludium und Fuge. Ausg.: Canzonen 1592, hrsg. v. P. PIDOUx (Kas 1941); Sei canzoni da sonar für 4 St., hrsg. v. B. DISERTORI (Mi 1950); GA der Toccaten, hrsg. v. S. DALLA LIBERA, 3 Bde. (Mi 1959); Musica sacra, hrsg. v. J. BASTIAN (R 19700f.) (= CMM 51). Lit.: Q. BIGI, Di C. M. (Parma 1861); C. M. da Correggio 1533 bis 1604 (ebd. 1904); B. DISERTORI, Le canzoni strumentali di C. M., in: RMI 47 (1943); I. HOLST, Ein Doppelchorwerk mit beziffertem Bat v. C. M., in: Kgr.-Ber. Basel 1949 (Bas 1950); L. H. DEBES, Die musikal. Werke v. C. M. 1533-1604. Quellennachweis u. thematischer Kat. (Diss. Wü 1966); J. G. BASTIAN, The Sacred Music of C. M. (1967) (= Diss. Univ. of Michigan); G. VÖLKL, Die Toccaten C. M.s (Diss. Mn 1969); B. MEIER, Die Modi der Toccaten C. M.s, in: AfMw 34 (1977).
MESĚ .Systema teleion. MESOPOTAMIEN (von griech. Mesopotamia = Zweistromland). Unsere Kenntnis vom Musikleben im Alten Orient — insbesondere im Gebiet Assyrien und Babylonien, den Reichen zwischen Euphrat und Tigris — basiert ausschließlich auf archäologischen Funden von Musikinstrumenten sowie ikonographischen und literarischen Quellen. Obgleich die Aussagefähigkeit der Dokumente infolge eher
zufälliger Funde stark eingeschränkt ist, läßt sich aus der Fülle der Objekte immerhin ein recht genaues Bild zumindest des Instrumentariums jenes Gebietes gewinnen. Aussagen über die musikalische Praxis sind naturgemäß nur unter Vorbehalten möglich und überwiegend hypothetisch. Aerophone. Zu den ältesten erhaltenen Instrumenten überhaupt zählen 2 Silber-Pfeifen aus Ur (etwa 2800 v. Chr.), die gleichzeitig von einem Musiker angeblasen wurden und als getrennt-gedoppeltes Aerophon zum Typus des /Aulos zählen. Auf verschiedenen Abbildungen lassen sich lange, gerade Trompeten und gekrümmte Hörner erkennen, die vermutlich als direkte Vorfahren des jüdischen Schofars gewertet werden müssen. Seit dem 14. Jh. v. Chr. spielte man im Gebiet des heutigen Syrien Horninstrumente aus Elfenbein, sog. Olifanten. Chordophone waren die wichtigsten und bemerkenswertesten Instrumente M.s, sowohl im Hinblick auf ihre technische Entwicklung und die formale Vielfalt als auch auf die Häufigkeit der Darstellung, aus der sich eine besondere Vorliebe für den Klang von Saiteninstrumenten in M. schlie-
MESOPOTAMIEN Darstellungen von Musikinstrumenten
2. Winkelharfe,
Trommel, Hörner. Siegelabdruck aus Elam, Mitte 4. Jt.
1.
3. Bügelsistrum. Tafel aus den Königsgräbern von Ur, 1. Hälfte 3. Jt.
Bogenharfe, Trommel, Trompete. Sumerische Darstellung auf einer Vase aus Bismaja
4.
Bogenharfe. Babylonische Tontafel, Anfang 2. Jt.
5. Winkelharfe.
Babylonische Tontafel, Anfang 2. Jt.
289
Mesopotamien ßen läßt. Bei den Sumerern waren Bogen- und Winkel-"Harfen in Gebrauch, deren Saiten entweder mit den Fingern gezupft oder mit einem Stäbchen angeschlagen wurden. Besonders kunstvoll gearbeitet und reich verziert waren Instrumente vom /Leier-Typus ('Lyra), bei denen die Saiten an einem quer zum Korpus verlaufenden Joch befestigt waren und parallel zum Resonanzboden lagen. Meist baute man die Leiern in Tierform, nicht selten dienten Tierpanzer als Resonatoren. Die Lautenfamilie ist zweifellos nicht mesopotamisehen Ursprungs, erfreute sich jedoch in jenem Gebiet relativ früh großer Beliebtheit. Soweit die Dokumente erkennen lassen, spielte man 2 verschiedene Lauten-Typen: einen mit sehr langem Hals und kleinem, ovalem Korpus und einen anderen mit kürzerem Hals und großem, annähernd rechtwinkligem Resonanzkörper. Abbildungen von Psalterien datieren aus einer sehr späten Zeit (8. Jh. v. Chr.), was den Schluß nahelegt, diese Instrumente seien anderen Kulturen entlehnt worden. Membranophone. Vielgestaltig waren die zahlreich abgebildeten Trommeln, deren größte einen Durchmesser von mehr als 1,5 m hatte. Alle Membranophone wurden offenbar mit der Hand geschlagen, jedenfalls fehlen Abbildungen von Schlegeln. Idiophone. Instrumente dieser Gattung dienten ausschließlich der rhythmischen Begleitung, melodiefähige Idiophone waren in M. wahrscheinlich unbekannt. Folgende Typen lassen sich mit Sicherheit nachweisen: Schlagstöcke, von denen sich u. a. zwei kupferne Paare erhalten haben; Gefäß-Rasseln mit meist tierförmigem Korpus, in dessen Innerem sich Kerne, Steine usw. befanden; Sistren (/Sistrum), deren Metallplättchen beim Schütteln gegeneinanderschlugen; kleine, vermutlich aus Bronze gegossene Zymbeln; Glocken, darunter einige sehr kunstvoll gearbeitete mit reliefartigen Verzierungen. Verhältnismäßig viele Texte enthalten Angaben über die Bezeichnung und Verwendung von Musikinstrumenten sowie in geringem Maße auch allgemein-musikalische Erörterungen. Häufig sind die Instrumenten-Namen nicht mit Sicherheit bestimmten Instrumenten-Typen zuzuordnen, mithin ikonographische und literarische Quellen nur selten in Übereinstimmung zu bringen. Bei den Sumerem diente die Musik vor allem der Begleitung religiöser Zeremonien, die Musiker gehörten dem Tempelpersonal an und bildeten eine feste soziale Hierarchie. Die Assyrer stellten größere Militärkapellen zusammen, denen sie Bedeutung für die Kriegführung beimaßen. Mangels entsprechender Quellen liegt der Bereich des weltlichen Musizierens weitgehend im Dunkel. 290
Neue Forschungsergebnisse erhärten die Vermutung, daß die Babylonier bereits eine Musiktheorie besaßen; erste Zeugnisse stammen aus dem 18. Jh. v. Chr. und lassen auf ein heptatonisches Tonsystem schließen. Offensichtlich war dieses musiktheoretische Konzept bis in den Mittelmeerraum verbreitet: in Ras Schamra fand man Tafeln, auf denen babylonische Musikzeichen unter einem hymnischen Text notiert sind. Dies gibt Grund zu der Annahme, bereits im 2. Jt. v. Chr. habe man in M. ein System musikalischer Notation entwickelt. Dieses dürfte dem Musiker den Rahmen musikalischer Gestaltung angegeben haben, deren Einzelheiten ihm durch mündliche Tradierung bekannt waren. Lit.: F. W. GALPIN, The Music of the Sumerians (C 1937); C. SACHS, The History of Musical Instruments (NY 1940); M. WEGNER, Die Musikinstr. des Alten Orients (Mr 1950); H. HARTMANN, Die Musik der turnerischen Kultur (Diss. F 1960); M. DUCHESNE-GUILLEMIN, Découverte d'une gamme babylonienne, in: RMie 49 (1963), 52 (1966), 55 (1969); DIES., Restitution d'une harpe minoenne, in: Antiquité classique 37 (1968); J. RIMMER, Ancient Musical Instruments of Western Asia in the British Museum (Lo 1969); W. STAUDER, Die Musik der Sumerer, Babylonier u. Assyrer, in: Hdb. der Orientalistik I/4 (Lei 1970); DERS., Alte Musikinstrumente in ihrer vieltausendjährigen Entwicklung u. Gesch. (Brau 1972). CH. AHRENS
MESSA DI VOCE (it., = Stimmeinsatz), in der Lehre und Praxis des /Gesangs Bz. für den sog. Schwellton, d. h. für einen langen Gesangston, der sich aus dem piano zum vollen forte entwickelt und zum piano zurückgeführt wird. Zum ersten Mal von G. Caccini (Le nuove Musiche, 1601) als „crescere e scemare della voce" (Wachsen und Abnehmen der Stimme) beschrieben, wurde M. ein wesentliches Mittel der italienischen /Bel canto-Ausbildung und des kantablen Gesangvortrags. Im 18. Jh. ging die Bezeichnung gelegentlich auch auf das Spiel langausgehaltener Töne auf Blas- und Streichinstrumenten über (z. B. bei J. J. Quantz, Versuch einer Anweisung, 1789).
MESSAGER, André Charles Prosper, ' 30. 12. 1853 Montluçon (Allier), t 24. 2. 1929 Paris; frz. Komponist und Dirigent. Er studierte bei E. Gigout (Harmonielehre) und Cl. Loret (Orgel) an der École Niedermeyer, einige Zeit auch bei C. SaintSaëns, mit dem er befreundet war. 1874 wurde er Chor-Organist an St-Sulpice, 1882 Kapellmeister an St-Paul und 1884 an Ste-Marie-des-Batignolles. 1898-1903 war er Directeur général der OpéraComique, 1901-06 Artistic Director der Londoner Royal Opera (Covent Garden), 1907-13 Kodirektor der Pariser Opéra, seit 1908 Dirigent der Société des Concerts du Conservatoire und 1919-20 Kapellmeister an der Opéra-Comique. M., ein überzeugter Wagnerianer, übte einen bedeutenden Einfluß auf das Pariser Musikleben aus. CI. De-
Messe bussy verdankte ihm die Annahme von Pelléas et Mélisande an der Opéra-Comique, deren UA M. 1902 dirigierte. In seinem Schaffen bilden die Operetten einen gewichtigen Anteil. Am erfolgreichsten war er mit dem Ballett Les deux pigeons, das in Frankreich eines der meistgespielten Reper-
toirestücke wurde. WW: Klv.-Werke; Kammermusik; eine Symphonie (1875-76); Kantaten; Chorwerke; zahlr. Klv.-Lieder. — Operetten u. Opéras-comiques (wenn nichts anderes angegeben, UA in Paris): La fauvette du temple, UA: 1885; La Béarnaise, UA: 1885; Le bourgeois de Calais, UA: 1887; Isoline, UA: 1887; Chrysanthème, UA: 1893; Miss Dollar, UA: 1893; Mirette, UA: London 1894; Le chevalier d'Harmental, UA: 1895; La fiancée en loterie, UA: 1896; Les p'tites Michu, UA: 1897; Véronique, UA: 1898; Les dragons de l'impératrice, UA: 1905; Fortunio, UA: 1907; Béatrice, UA: Monte Carlo 1914; Monsieur Beaucaire, UA: Birmingham 1919; La petite fonctionnaire, UA: 1921; L'amour masque, UA: 1923; Passionément, UA: 1926; Coup de roulis, UA: 1929. — Ballette, u. a.: Les vins de France, UA: 1879; Mignons et Vilains, UA: 1879; Les deux pigeons, UA: 1886; Une aventure de la Guimard, UA: 1900.
Diakon oder andere Assistenten) und Chor, der ursprünglich aus Klerikern gebildet war. Das Volk ist von der aktiven Mitwirkung fast vollständig ausgeschlossen. Die Reihenfolge der gesungenen Teile der M. verdeutlicht folgendes Schema (vgl. die entsprechenden Artikel): Feststehende Teile
Veränderliche Teile
(Ordinarium missae)
(Proprium missae)
Chor
Chor
Priester oder Assistenz
Introitus Kyrie Gloria Oratio Epistel Graduale + Alleluia (oder Tractus oder Sequenz)
Lit.: H. FÉVRIER, A. M., mon maitre, mon ami (P 1948); M. AUGE-LARME, A. M. (P 1951); H. BORGEAUD, Lettres d'A. M. à A. Carré, in: RMie 48 (1957).
Evangelium Credo
MESSBUCH řMissale. MESSE (von lat. missa; engl.: mass; frz.: messe; it.: messa; span.: misa), im Sprachgebrauch der rö-
misch-katholischen Kirche zunächst im eigentlichen Wortsinn die Entlassung der Katechumenen nach der frühchristlichen Opferfeier (řIte missa est). Etwa seit dem 5. Jh. ist M. auch (und später ausschließlich) der zentrale Gottesdienst selbst (Eucharistie), in dem nach kirchlicher Lehre das Andenken an das letzte Abendmahl gefeiert und das Kreuzesopfer Christi immer wieder vergegenwärtigt wird. Der Aufbau der römischen Messe. Die M. findet als sog. römische M. im westlichen Europa bereits am Ende des Altertums eine bestimmte äußere Form, die im Prinzip und in ihren wichtigen Teilen bis in unsere Gegenwart unverändert bleibt. Bedeutende Ereignisse in ihrer Geschichte sind: die Einführung des gregorianischen Sakramentars diesseits der Alpen durch Karl den Großen (um 800), vor allem aber die auf dem Konzil von Trient (1545-63) beschlossene und von Papst Pius V. durchgeführte Neuordnung der Liturgie, die in der Fassung des Missale Romanum (1570) für das gesamte Abendland offiziell vorgeschrieben wurde. In ihrer feierlichen Normalform hat diese M. folgende Merkmale: lateinische Sprache, Folge von feststehenden Teilen und von solchen Teilen, die sich gemäß der Ordnung des Kirchenjahres (Proprium de tempore, de Sanctis) ändern, der Wechsel von gesungenen und — laut oder leise — gesprochenen Teilen, die Verteilung der Gesänge auf Priester (bzw.
Offertorium Präfation Sanctus + Benedictus Agnus Dei Communio Postcommunio
Zum Proprium gehört noch als nicht gesungener Teil die Secreta, während das vom Priester (heute von der Gemeinde) gesungene /Pater noster, obwohl feststehend, nicht zum Ordinarium gerechnet wird. An mehreren Stellen der M. gibt es außerdem kurze formelhafte Wechselgesänge zwischen Priester und Chor (z. B. Dominus vobiscum — Et cum spiritu tuo oder am Schluß Ite missa est — Deo gratias).
Seitdem 2. Vatikanischen Konzil (1963-66) hat die römische M. einige ihrer oben genannten Merkmale wie auch insgesamt ihren formal normativen Charakter verloren. Der pastoraltheologische Aspekt einer stärkeren Beteiligung des Volkes an der Liturgie der M. führte binnen kurzem fast zwangsläufig nicht nur zu einer weitgehenden Preisgabe der Latinität, sondern auch zu einer faktischen Zerstörung einer jahrhundertelang gültigen Form. Die Messe im Gregorianischen Gesang und in der frühen Mehrstimmigkeit (13.-14. Jh.). Der musikgeschichtliche Ort der M. ist seit ihren Anfängen durch den Umstand bestimmt, daß der Gesang stets ein integrierender Bestandteil ihrer Liturgie ist. Primär in ihrem Rahmen vollzieht sich die Entwicklung des Gregorianischen Gesangs. Dabei ste291
Messe hen die ursprünglich wohl für das Volk bestimmten Teile des Ordinariums zahlenmäßig weit hinter den Propriumsgesängen, deren responsoriale und antiphonale Formen den ganzen Reichtum der mittelalterlichen Einstimmigkeit kundgeben. Aus der Vielzahl mittelalterlicher oder späterer lst. Meßgesänge sind in die Editio Vaticana 18 sog. Choralmessen — sämtlich ohne die separat gruppierten Credo -Melodien — aufgenommen worden. Hierbei ist zu beachten, daß diese M.n in der Regel ursprünglich nicht als jeweils geschlossene Einheiten überliefert sind. Auch die frühe Mehrstimmigkeit erwächst wesentlich auf dem Boden des Meßgesanges. Das älteste Beispiel ist ein Kyrie-/Tropus Cunctipotens genitor Deus (Mailänder Traktat, um 1100) mit der heute noch gebräuchlichen Kyrie-Melodie (Missa IV der Editio Vaticana) als Unterstimme und einer neuen Melodie als Oberstimme. Indessen veranlassen aber im 12. und 13. Jh. in erster Linie nicht die Ordinariums-, sondern die Propriumsgesänge (insbesondere Graduale und Alleluia) die Komposition mehrstimmiger Stücke (/Organum — 2'Discantus, Motette). Die Ordinariumsteile, die in der Epoche der /Ars antiqua weitgehend einstimmig gesungen werden, geraten erst im Laufe des 14. Jh. verstärkt in das Blickfeld der Komponisten, und zwar vorab als Einzelsätze oder Satzpaare (meist Kyrie — Gloria, auch Sanctus — Agnus). Gleichzeitig tritt die Tropierung zurück. Nur selten begegnet man in diesem Jahrhundert einer geschlossenen Überlieferung aller 5 Sätze des Ordinariums. Die anonym überlieferten Werke dieser Art (aus Tournai, Barcelona, Toulouse und Besançon, alle 3st.) überragt die 4st. Messe de Nostre-Dame von G. de Machaut (komponiert wahrscheinlich 1364 zur Krönung Karls V. in Reims, vielleicht auch schon 1340 entstanden). Terminologisch verdient die Tatsache Beachtung, daß hier zum ersten Mal die Gesamtheit des mehrstimmig vertonten Ordinarium missae ausdrücklich als M. bezeichnet ist. Kompositorisch ist Machauts M. durch das Nebeneinander zweier verschiedener Satzweisen gekennzeichnet: Kyrie, Sanctus, Agnus, Ite missa est (dazu Amen von Gloria und Credo) sind isorhythmische Bearbeitungen der entsprechenden Choralmelodien aus der Missa Cunctipotens genitor Deus, während Gloria und Credo strikt homophon und syllabisch komponiert sind. In diesem Einsatz verschiedenartiger kompositorischer Mittel, je nachdem, ob die Sätze viel oder wenig Text haben, zeigt sich ein ganz bestimmtes Verhältnis von Wort und Ton, auch eine bestimmte Art von musikalischem Ausdruck, die im Bereich der Vertonung des Ordinariums der M. vordem nicht zu beobachten ist. 292
Terminologischer und kompositorischer Sachverhalt legen es nahe, in Machauts Messe de NostreDame den Beginn der Geschichte der M. als einer eigenständigen musikalischen Gattung zu erkennen. Doch bleibt nach Machaut die Komposition des vollständigen Ordinariums zunächst noch die Ausnahme, zahlreicher sind nach wie vor Einzelsätze oder Satzpaare. Erst im 2. Drittel des 15. Jh. wird die „durchkomponierte" M. die Regel. 15.-16. Jahrhundert. Um 1400 lassen sich in den Ordinariumssätzen mehrere Arten der musikalischen Gestaltung feststellen, je nachdem, ob eine vorgegebene chorale Melodie (>'Cantus firmus) in einer oder in mehreren Stimmen in ursprünglicher oder in kolorierter Form verwendet wird oder ob die Stimmen (nach Art des Diskantliedes) gänzlich frei konzipiert sind. In dem gleichen Maße aber, wie die Gesamtheit aller M.-Sätze in das Blickfeld der Komponisten (und ihrer Auftraggeber) tritt, gewinnt auch das Vorhandensein und die Verarbeitung eines C.f. an Bedeutung. Wichtig ist dabei, daß nun nicht — wie bei Machaut — verschiedene Choralmelodien den einzelnen M.-Sätzen zugeordnet werden, sondern daß meist eine und dieselbe Melodie allen Sätzen zugrunde liegt. Und wichtig ist, daß der C.f. nicht mehr — wie bei Machaut — eine entsprechende chorale Ordinariumsmelodie ist, sondern entweder aus anderen choralen Gesängen oder aus weltlichen stammt. Entscheidend jedoch ist, daß die C.f.-Technik nun im Bereich der M.Komposition eine ganz neue Funktion erhält. Sie dient nämlich dazu, die einzelnen Sätze der M. zu einer musikalischen Einheit zusammenzuschließen, die über den liturgischen Zusammenhalt der Teile des Ordinarium missae hinausführt. Seitdem ist das Bemühen um zyklische Geschlossenheit eines der künstlerischen Hauptprobleme in der M.- Komposition. Dieses Bemühen kündigt sich schon an der Wende des 14./15. Jh. an im Bereich der über einen gemeinsamen C.f. gestalteten M.-Teile französischer (J. Ciconia, H. und A. de Lantins) und namentlich englischer Komponisten (L. Power, J. Dunstable). Vollends scheint dieses Bemühen später das Hauptanliegen der Meister der /Franko-flämischen Schule zu sein, die ja die Entwicklung der europäischen Musik des 15. und frühen 16. Jh. maßgeblich bestimmen und die insgesamt auch die Repräsentanten der M.-Komposition sind. Unter ihren Händen wird die M. zur vornehmsten und beliebtesten Gattung der Kunstmusik schlechthin und entspricht in dieser Wertschätzung der zentralen liturgischen Bedeutung der Eucharistiefeier für den spätmittelalterlichen Menschen. Diese Rolle behält die M. im wesentlichen unangefochten (auch durch die von
Messe der Reformation verursachten Veränderungen des religiösen und kirchlichen Lebens) bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. In der kompositorischen Vielfalt der M.-Komposition von etwa 1450-1600 lassen sich immerhin einige hervorstechende Phänomene beobachten. In der äußeren Disposition der Stimmen ist im 15. Jh. Vierstimmigkeit, im 16. Jh. Fünf- und Sechsstimmigkeit vorherrschend; gleichzeitig entsteht die Satzweise für zwei oder mehr Chöre. Ob die Ausführung der M. in dieser Zeit lediglich vokal a cappella geschah oder ob Instrumente beteiligt waren, läßt sich nicht generell sagen. Haupttypus der M. hinsichtlich der C.f.-Bearbeitung ist seit G. Dufay, dessen Schaffen bereits ein erster Höhepunkt in der Geschichte der Gattung ist, die sog. Tenor-M. (C.f. in breiten Notenwerten in allen Sätzen im Tenor). Aber es gibt auch M.n, in denen der C.f. die Melodik aller Stimmen durchdringt. Bezeichnend ist im musikalischen Satz die immer stärkere Tendenz zu einer Gleichberechtigung aller Stimmen, die zusammenhängt mit der Ausbildung der /Imitation als kontrapunktisches Prinzip, von der sich homorhythmische Partien (oft mit der Absicht emphatischer Hervorhebung bestimmter Textstellen) deutlich abheben. Die franko-flämischen Meister machen auch ausgiebig Gebrauch von den mannigfachen Möglichkeiten kanonischer Stimmführung. Ein extremes Beispiel dafür ist die Missa prolationum von J.Ockeghem, der neben und nach Dufay als der bedeutendste M.-Komponist des 15. Jh. zu gelten hat. In der 2. Hälfte des 15. Jh. entsteht als neuer Typ die /Parodie-Messe. Die herausragenden M.-Komponisten in der 1. Hälfte des 16. Jh. sind u. a. J. Obrecht, H. Isaac, P. de La Rue, insbesondere Josquin des Prés, dessen Ruhm als Princeps omnium gerade auf seinen mehr als 20 M.n beruht. Seine späten Werke (z. B. Missa Pange lingua) zeigen eine hohe Meisterschaft sowohl in der klanglichen Ausgewogenheit aller Stimmen als auch in der für seine Zeit außergewöhnlich intensiven Ausdeutung des Textes, die noch heute den Hörer unmittelbar anspricht. An Josquin schließen sich als weitere franko-flämische Komponisten an: Clemens non Papa, N. Gombert, A. Willaert. Zur Zeit Josquins treten auch Komponisten aus anderen Ländern mit ihren M.n stärker in Erscheinung. Aus Frankreich stammen A. Brumel, J. Mouton, A. Févin, aus Deutschland H. Finck, A. Agricola, Th. Stoltzer, L. Senfl; aus Spanien Cr. Morales, der seine M.n allerdings hauptsächlich für Rom schrieb. In Italien entsteht in dieser Zeit keine nennenswerte eigenständige M.Produktion. Um so bemerkenswerter ist es, daß in der 2. Hälfte des 16. Jh. auf einmal ein Italiener die
Führung auf diesem Gebiet übernimmt: G. P. da Palestrina. Gleichrangig ist ihm zwar O. di Lasso, er überragt jedoch andere beachtenswerte Komponisten wie die Niederländer Jachet von Mantua und Ph. de Monte, die Franzosen Cl. Janequin, P. Certon, Cl. de Sermisy, Cl. Goudimel oder den — in Italien wirkenden — Spanier T. L. da Victoria. Der Ruhm Palestrinas als M.-Komponist ist nicht leicht zu erklären; er resultiert aus einer Reihe verschiedenartiger äußerer und innerer Umstände; aus der großen Zahl seiner M.n, aus seiner langen verantwortungsvollen Tätigkeit an St. Peter in Rom. Vor allem aber: sein Stil, der gekennzeichnet ist durch die absolute Gleichwertigkeit aller Stimmen, durch eine Zurückhaltung in der rhythmischen Bewegung, im Dissonanzgebrauch und in der Textausdeutung, durch klangliche Fülle und Klarheit der Diktion, bedeutet für seine Zeitgenossen, allen voran für die maßgebenden Kreise der römischen Kurie, ein Ideal kirchlicher Musik schlechthin. Es scheint zudem, daß die Ruhe und Ausgeglichenheit des Palestrinastils nicht zuletzt deshalb attraktiv sind, weil sie damals und später die Sehnsucht einer von Glaubenskrisen geschüttelten Zeit gerade im religiösen Zentrum der M. klanglich verkörpern. 17. Jahrhundert. Der Beginn des 17. Jh. bedeutet eine deutliche Zäsur in der Geschichte der Messe. Sie verliert wie insgesamt die liturgische Musik im allgemeinen Bewußtsein die einstmals zentrale Stellung zugunsten anderer neu aufkommender musikalischer Gattungen, wie der Oper, des Oratoriums, der Kantate. Verdrängt wird sie auch durch das immer stärkere Wachsen einer autonomen Instrumentalmusik. Immerhin bleibt die /Kirchenmusik und mit ihr die M. bis zum Ende des 18. Jh. ein wesentlicher Teil der höfisch-kirchlichen Repräsentation. Aber der Beginn des 17. Jh., der in der Musikgeschichte insgesamt den Beginn einer neuen Zeit markiert, kündigt auch einen tiefgreifenden Wandel in der musikalischen Gestalt der M. an. Entscheidend ist, daß sich die römische Kirche seit dem Trienter Konzil auf den Stil Palestrinas als Vorbild für die liturgische Musik festgelegt hat, auch wenn sie diese Norm nicht mit allen Konsequenzen durchsetzen konnte (oder wollte). Nun entstehen aber um 1600, von Italien ausgehend, musikalische Kräfte, die ihrem Wesen nach mit den Kompositionsprinzipien jenes Stils in Konflikt geraten müssen: /Monodie und "Generalbaß, damit verbunden ein neues Verhältnis zum Text, eine neue, differenziertere Rhythmik, eine neue Tonalität, die auf die Polarität von Dur und Moll hinsteuert, eine freiere Dissonanzbehandlung im Dienste eines gesteigerten musikalischen Ausdrucks, die Instru293
Messe mentalisierung der musikalischen Sprache. Die Folge dieses Konflikts, in den kompositorische, ästhetische und theologische Fragen hineinspielen, ist, daß die Entwicklung der M. von nun an sozusagen zweigleisig verläuft. Auf der einen Seite entstehen Werke in bewußter Anlehnung an den a cappella-Stil Palestrinas (den sog. Stylus gravis oder ecclesiasticus), und zwar einchörig oder mehrchörig. Dieser Zweig der M.-Komposition, der immer wieder kirchenamtlich favorisiert wird, bleibt im Prinzip, mannigfach aktualisiert oder auch bloß historisierend als Stilkopie, bis in unsere Tage hinein lebendig. Auf der anderen Seite werden seit Beginn des 17. Jahrhunderts M.n im Stile moderno komponiert, in denen sich die jeweilige Weiterentwicklung der musikalischen Sprache widerspiegelt. Der Bedarf an Werken beider Richtungen ist während des 17. und 18. Jh. unverändert groß. Die wichtigsten Pflegestätten der M.-Komposition des 17. Jh., die insgesamt von der musikwissenschaftlichen Forschung wenig erschlossen ist und die auch in der kirchenmusikalischen Praxis kaum beachtet wird, sind die musikalischen Zentren in Italien, Österreich und im (katholischen) Süddeutschland. In Rom ist — gewissermaßen unter den Augen der kirchlichen Obrigkeit — der Anteil der M.n im Palestrina-Stil am größten (Werke von Fr. Soriano, G. Fr. Anerio, Gr. Allegri, A. Cifra, B. Gratiani, M. Simonelli u. a.); daneben spielt hier auch die mehrchörige Satzweise eine bedeutende Rolle (řMehrchörigkeit). Ein Vertreter dieser Richtung, die häufig als römischer Kolossalbarock bezeichnet wurde, ist neben Fr. Foggia O. Benevoli (die ihm bislang zugeschriebene spektakuläre M. zu 54 Stimmen für den Salzburger Dom ist jedoch nach neuesten Erkenntnissen ein Werk H. I. Fr. Bibers, das erst am Ende des 17. Jh. entstand). Anders als in Rom zeigen sich die Komponisten in den großen oberitalienischen Städten den neuen stilistischen Errungenschaften gegenüber sehr viel aufgeschlossener. Im Unterschied zur weltlichen Musik mit italienischem Text, in der es im gewissen Sinn zu einer Revolutionierung der musikalischen Sprache kommt (madrigaleske Monodie, Sologesang in der Oper), wird jedoch im Bereich der liturgischen Musik das Neue behutsam rezipiert. Unter dem Einfluß der „motettischen Monodie" in den Cento concerti ecclesiastici des L. Viadana (1602 bis 1609) entsteht hier in den ersten Dezennien des 17. Jh. ein neuer M.-Typ, die Missa concertata, mit folgenden Merkmalen: 4- bis 6st. Satz mit GeneralbaB, im musikalischen Ablauf ständiger Wechsel von homorhythmischen und monodisch „aufgelockerten" Abschnitten, aber keine imitatorische 294
Technik; die Melodik ist von Pausen durchsetzt, kleinere wortgezeugte Abschnitte werden in einer Stimme wiederholt oder alternieren in den verschiedenen Stimmen. Aufgegeben wird vollständig die Bindung an einen C.f., an ein- oder mehrstimmige Modelle. Die Frage der zyklischen Geschlossenheit der M. scheint die Komponisten dieser Missae concertatae viel weniger zu interessieren, als es bis zum Ende des 16. Jh. der Fall war. M.n dieser Art komponieren in Oberitalien u. a. A. Banchieri, A. Grandi, P. Lappi, E. Bianciardi, B. Corsi u. a. Oft ist es so, daß von ein und demselben Komponisten M.n sowohl im alten wie im neuen Stil überliefert sind; bezeichnend etwa eine gedruckte Sammlung von G. Ghizzolo Messe parte per cappella e parte per concerto (1625). Merkwürdig bleibt noch die Tatsache, daß gerade der „modernste" und genialste unter den oberitalienischen Komponisten dieser Generation, Cl. Monteverdi, nur M.n im alten Stil hinterlassen hat. Die konzertierende M., wie sie oben gekennzeichnet ist, wandelt sich im Laufe des 17. Jh. in verschiedener Weise: durch Aufgliederung der Stimmen in Solo und Tutti, in Concerto- und (oft mit dem Vermerk ad libitum versehene) RipienoChöre, insbesondere aber durch die Einbeziehung von Instrumenten, die entweder obligat (in concerto) oder ebenfalls ad libitum verwendet werden. Charakteristisch für die konzertierende M. dieser Zeit ist ferner, daß die Komponisten bei der Vertonung bestimmter Stellen (z. B. der Schlußpartien von Gloria und Credo) gern auf den kontrapunktischen Stil zurückgreifen, eine Praxis, die auf die häufigen Fugen und Fugati in M.n des 18. Jh. bei den Worten Cum Sancto Spiritu ... bzw. Et vitam venturi saeculi hinweist. Dieses Nebeneinander von Alt und Neu bezeichnet man in der Zeit selbst als Stile misto. Die Hauptträger dieser Entwicklung im 17. Jh. finden sich wiederum in Oberitalien, und zwar vor allem in Bologna. Dort entsteht unter den 3 Kapellmeistern an San Petronio, M. Cazzati, G. P. Colonna und G. A. Perti — ihr Schaffen erstreckt sich über einen Zeitraum von genau 100 Jahren (1657 bis 1756) —, ein überaus reiches Repertoire an konzertierenden Messen. Es sind übrigens meistens, der örtlichen (auch für Venedig u. a. bei A. Vivaldi bezeugten) Praxis folgend, Kurzmessen alla veneziana, die nur aus Kyrie, Gloria und Credo bestehen, um bei der Meßfeier Platz zu lassen für die Aufführung von Motetten und Instrumentalmusik. Einen eigenen Aspekt bietet die M. im 17. Jh. in Frankreich. Sämtliche hier gedruckten M.n des 17. und frühen 18. Jh. sind nämlich a capella-M.n
Messe (meist 4- bis 5st.), die auch in der Typographie (gemäß dem Privileg Ballards) die Tradition des 16. Jh. geradezu rigoros fortführen. Als Komponisten lassen sich nachweisen: J. de Bournonville, N. Formé, E. Du Caurroy, H. Frémart, Fr. Cosset und, an der Wende 16./17. Jh., A. Campra. Der einzige französische Komponist, der ein nennenswertes (Euvre von konzertierenden M.n verschiedener Besetzung hinterlassen und damit spät erst den Anschluß an die übrige europäische M.-Komposition vollzogen hat, ist M.-A. Charpentier. Charakteristisch für Frankreich ist ferner, daß hier im 17. und 18. Jh. eine Art der M. erstarkt ist, die im 16. Jh. und früher namentlich in Italien gepflegt wird, wenn sie dort auch nur untergeordnete Bedeutung hat: die Orgelmesse. In ihr werden nicht alle Teile der einzelnen M.-Sätze komponiert, sondern die aufgezeichnete Komposition bildet erst zusammen mit (in der Regel nicht eigens notierten) alternierend vorgetragenen Choralweisen ein liturgisch-künstlerisches Ganzes. Orgelmessen schrieben: G. Nivers, N. Lebègue, Fr. Couperin, N. de Grigny. Ihre Werke haben sich über die Jahrhunderte hinweg in der Praxis des liturgischen und konzertanten Orgelspiels lebendig erhalten. Eine französische Besonderheit in der M.-Geschichte des 17. Jh. sind schließlich die choralen Neukompositionen, unter denen die Messes Royales von H. Du Mont in Frankreich populär geworden sind. 18. Jahrhundert. Im 18. Jh. kann sich die M. — wie andere Gattungen der katholischen und protestantischen Kirchenmusik — dem Einfluß der Oper nicht entziehen. Dieser Einfluß macht sich am stärksten in einem neuen M.-Typ geltend, den man wegen seiner Nähe zur zeitgenössischen Kirchenkantate als Kantaten-M. bezeichnet. Er ist dadurch charakterisiert, daß die einzelnen M.-Teile gleichsam aufgelöst werden in eine Folge von geschlossenen Arien, Duetten und Chorsätzen, wobei die solistischen Sätze zahlenmäßig das Übergewicht haben. Berühmte Beispiele sind J. S. Bachs Messe h-moll (BWV 232) oder W. A. Mozarts Messe c-moll (KV 427). Indessen ruft schon zu Beginn des 18. Jh. die Annäherung an die Oper und die — von der Zeit selbst als solche empfundene — Gefahr der Verweltlichung der M. starke Gegenkräfte auf den Plan. So kommt es an vielen Orten entweder zu einer Neubelebung der ein- oder mehrchörigen a cappella-M. (z. B. in Rom bei G. A. Pitoni u. a.), oder man versucht in der orchesterbegleitenden M. in vielfältiger Art ein ausgewogeneres Verhältnis von polyphoner, arioser und konzertierender Schreibweise zu realisieren. Es gibt aber im 18. Jh. in der M. noch andere Probleme zu meistern. Eines von ihnen ist die man-
cherorts von kirchlichen Autoritäten aufgestellte Forderung nach größtmöglicher Kürze der M.Komposition. Diese Forderung führt zur Entstehung des Typus der Missa brevis. In ihr verzichtet der Komponist auf jede Textwiederholung, auf ariose Breite und kontrapunktische Dichte zugunsten einer äußerst gedrängten homophonen Deklamation des Textes. Das Gegenstück zur Missa brevis ist die Missa solemnis, in der der Komponist seine Kunst ohne solche Einschränkungen entfalten kann, ohne daß allerdings dieser Terminus an eine bestimmte Satzweise gebunden ist. Die zahlreichen M.-Komponisten des 18. Jh. gruppieren sich in der Hauptsache um einige politischkulturell und religiös wichtige katholische Städte in Italien, Österreich und Deutschland. Die Meister der řNeapolitanischen Schule sind zumeist auch fruchtbare Vertreter der M.: A. Scarlatti, L. Leo, Fr. Durante, G. B. Pergolesi, G. Paisiello. Für Venedig ist A. Lotti, für Bologna G. B. Martini zu nennen. In Wien sind bedeutend in der ersten Hälfte des 18. Jh. J. J. Fux (der sich auch als Theoretiker mit vielen Aspekten der M.-Komposition beschäftigt) und Caldara; in der zweiten Hälfte ragt J. Haydn heraus, namentlich mit seinen 6 späten großen M.n, den sog. Hochämtern (1796-99). Sie gelten uns heute als ein letzter Höhepunkt der konzertierenden M. in barocker Tradition. In Salzburg wirken neben M. Haydn, zu Lebzeiten als Kirchenmusiker weit berühmter als sein Bruder Joseph, J. E. Eberlin sowie L. und W. A. Mozart. Dessen M.n — wenn man absieht von den Sonderfällen der fragmentarischen c-moll-Messe und dem Requiem —, von unvergleichlicher Frische und Leichtigkeit der melodischen Erfindung, haben nach zeitweiser Ächtung aufgrund rigoristischer kirchenmusikalischer Auffassungen gerade in unserer Gegenwart ihre Beliebtheit als Gebrauchsmusik neu gewonnen. Ein reiches Repertoire an Orchestermessen entsteht im 18. Jh. ferner in Dresden (mit Werken von J. D. Zelenka, J. A. Hasse, J. G. Naumann u. a.) sowie in München und Mannheim (u. a. I. J. Holzbauer, Fr. X. Richter). Auch abseits vom höfischen und städtischen Glanz sind im 18. Jh. zumal in Süddeutschland und in Österreich Komponisten am Werk und schreiben für ihre Kirchen M.n in kleinster vokaler und instrumentaler Besetzung und oft unter Benutzung volkstümlicher Melodien (Bauernmessen: Missae rurales, Missae pastoritiae). 19.-20. Jahrhundert. Die politischen Ereignisse und die geistigen Strömungen am Ende des 18. Jh. wirken sich entscheidend auf die gesamte katholische Kirchenmusik aus, die ja durch die Säkularisation weithin ihrer materiellen Basis beraubt wird. Das höfische wird durch das bürgerliche Musikle295
Messe ben abgelöst, an die Stelle der Kirche und der
aristokratischen Kammer treten das öffentliche Konzert- und Opernwesen und der bürgerliche Salon. Das Interesse des Publikums gilt vorab der Symphonie, der Oper, der Kammermusik. Und nur ganz selten fühlt sich ein Komponist von Rang veranlaßt, sein ganzes künstlerisches Gewicht in eine M. zu legen. Insgesamt scheint um 1800 eine kontinuierliche Entwicklung dieser Gattung aufzuhören. Gleichwohl lassen sich die beiden wesentlichen Traditionslinien des 17./18. Jh. auch in den M.n des 19. Jh. weiterverfolgen, denn ein Bedarf an Werken für den liturgischen Gebrauch besteht nach wie vor, auch wenn dieser in großem Umfang durch den Rückgriff auf M.n der Vergangenheit gedeckt wird. Ein Teil also der Neukompositionen lehnt sich an den a cappella-Stil des 16. Jh. an, aber nun nicht mehr im Sinne einer lebendigen Fortführung des Überkommenen, sondern mit der Absicht einer Wiederbelebung des alten Stils, die auf historisierenden Überlegungen — in den einzelnen europäischen Ländern verschieden akzentuiert — beruht. Am rigorosesten geschieht dies in Deutschland durch die Vertreter des řCäcilianismus um 1870, dem aber ein nachhaltiger Erfolg versagt bleibt. Nur selten gelingt es, diese restaurativen Bestrebungen in künstlerisch überzeugende Schöpfungen umzumünzen, so im 19. Jh. A. Bruckner (e-moll -M.) oder Fr. Liszt (Missa choralis). Für das 20. Jh. sind aus der großen Zahl der in der lebendigen Auseinandersetzung mit dem a cappella-Stil entstandenen Werke zu nennen die vielen M.n von H. Lemacher und H. Schroeder, die in Deutschland auf die Gegebenheiten der gottesdienstlichen Praxis abgestimmt sind, sowie einzelne M.n oder M.-Teile von K. Thomas, E. Pepping, Fr. Martin u. a. Der andere Teil der seit etwa 1800 komponierten M.n steht in der Tradition der verschiedenen Arten der Orchester-M. des 18. Jahrhunderts. Die wichtigen Einflüsse in der ersten Hälfte des 19. Jh. kommen aus der Oper, jetzt vor allem aus der französischen Großen Oper, aus dem an G. Fr. Händel orientierten Oratorienstil und nicht zuletzt aus der Symphonie mit ihrer motivisch-thematischen Arbeit und der Durchführungstechnik. Eine unterschiedliche Auseinandersetzung mit diesen Einflüssen läßt sich bei L. Cherubini, C. M. von Weber, Fr. Schubert und insbesondere bei L. van Beethoven feststellen. Seine Missa solemnis ist das berühmteste, vielleicht aber auch das rätselhafteste Werk der gesamten Gattungsgeschichte. Sie tritt nicht nur aus dem liturgischen Rahmen heraus, für den sie ursprünglich gedacht ist, sondern sie distanziert sich auch deutlich von der symphonischen Gestaltung in den Orchesterwerken Beethovens. In 296
der Kombination von Chor, Orchester und Soli und im musikalischen Ausdruck des Textes zeigt sie einen sakralen Stil, dessen Eigenständigkeit sich Beethoven voll bewußt ist. Etwas Ähnliches strebt später A. Bruckner in seinen Orchester-M.n an. Auch in ihnen ist das Aussparen der sonst gerade von diesem Komponisten verschwenderisch benutzten symphonischen Mittel ein Kennzeichen des sakralen Stils. Inwieweit in diesen Zusammenhang auch die M.n von Fr. Liszt, das Requiem von G. Fauré und andere kirchenmusikalische Werke französischer Komponisten (C. Franck, Ch. Gounod, C. Saint-Saëns) hineingehören, möge dahingestellt bleiben. Vielleicht macht hier eine besondere Art kunstvoller Simplizität als Reaktion auf die harmonische Komplexität der Tonsprache R. Wagners gerade in der M. die Sphäre des Sakralen aus. Im 20. Jh. lassen sich nur noch vereinzelt Orchester-M.n von einiger künstlerischer Relevanz aufzeigen. Zu ihnen zählen Werke wie die Glagolská mše (Glagolitische Messe) von L. Janáček oder die M. für Chor und Bläser von I. Strawinsky, die an Machauts Messe de Nostre-Dame orientiert ist. Es gibt neben der zyklischen Vertonung des Ordinarium missae eine Reihe von Sonderformen: 1. M.n, in denen außer dem Ordinarium auch das Proprium vertont ist (sog. Plenar-M.n, Beispiele bereits bei Dufay). Auch das /Requiem ist eine Plenar-M., bei der freilich Gloria und Credo fehlen; 2. M.n, die für den protestantischen Gottesdienst bestimmt sind und die nur aus Kyrie und Gloria bestehen (sog. protestantische Missae, Beispiele von D. Buxtehude, J. S. Bach); 3. Vertonungen des Proprium missae (berühmt der Choralis Constantinus von H. Isaac); 4. M.n, in denen die Teile des Ordinariums durch mehrstimmige Bearbeitungen entsprechender protestantischer deutscher M.Gesänge ersetzt sind (z. B. bei J. Walter, M. Praetorius); 5. katholische Deutsche Lied-M.n, die für den Volksgesang bestimmt sind: den Teilen des Ordinariums entsprechen Lieder in der Volkssprache (wörtliche Übersetzungen oder Paraphrasen), Beispiele von Fr. Schubert (Deutsche Messe) und J. Haas; 6. ein neuer Typ der Lied -M. (seit den 60er Jahren des 20. Jh. in sog. Jugend-M.n praktiziert und viel diskutiert), bestehend aus einer Folge von Liedern und Songs in Rhythmen der Tanz- und Popmusik (u. a. von Peter Janssens); 7. ein- und mehrst. M.n in slawischer Sprache. Ausg. (nur Anthologien): Liber quindecim missarum, Rom 1516, in: EXPERT Maîtres 8-9; The Old Hall Ms., hrsg. v. A. RAMSBOTHAM - H. B. COLLINS - A. HUGHES, 3 Bde. (Burnham - Lo 1933-38); L. FEININGER, Monumenta Polyphoniae Liturgicae Sanctae Ecclesiae Romanae (R 1947); H. STÄBLEINHARDER. 14th Century Mass Music in France (1962) (= CMM 29). - Vgl. ferner in den versch. Tondenkmäler-Ausg. sowie prak-
Messiaen tischen Ausg., u. a.: Extraits des Maîtres musiciens de la Renaissance française, hrsg. v. H. EXPERT; Anthologie des maîtres religieux primitifs, hrsg. v. CH. BORDES; Das Chorwerk (= Chw); Chor-Arch.; Musica divina usw. Lit.: A. SCHERING, Die ndl. Orgelmesse im Zeitalter des Josquin (L1912); P. WAGNER, Gesch. der M. (L 1913, Nachdr. Hil 1963, 1972) (= Kleine Hdb. der Musikgesch. nach Gattungen XI/1); G. ADLER, Zur Gesch. der Wiener Messenkomposition in der 2. Hälfte des 17. Jh., in: StMw 4 (1916); R. FICKER, Die frühen MeBkompositionen der Trienter Codices, in: ebd. 11 (1924); J. A. HUNTEMANN, Die M.n der Santini-Bibi. zu Münster in Westfalen (Diss. Mr 1928); H. A. SANDER, Beitr. zur Gesch. der Barockm., in: KmJb 28 (1933); G. REICHERT, Zur Gesch. der Wiener Messenkomposition in der 1. Hälfte des 18. Jh. (Diss. W 1935); W. SCHULZE, Die mehrst. M. im frühprot. Gottesdienst (Wb 1940) (= Kieler Beitr. z. Musikwiss. 8); W. Vogt, Die M. in der Schweiz im 17. Jh. (Diss. Bas 1940); J. A. JUNGMANN, Missarum sollemnia, 2 Bde. (W 1948, °1962); R. B. LENAERTS, The 16th Century Parody Mass, in: MQ 36 (1950); K. G. FELLERER, Die M. (Dortmund 1951); TH. G. GEORGIADES, Musik u. Sprache (Gö—Hei 1954, 2 1974); B. STÄBLEIN — F. ZAGIBA — R. M ÉNARD— P. KAST— W. SENN, M., in: MGG IX; H. STÄBLEIN-HARDER, 14th Century Mass Music in France (1962) (= MSD 7); E. SPARKS, C.f. in Mass and Motet 1420-1520 (Berkeley—Los Angeles 1963); PH. GOSSET, Techniques of Unification in Early Cyclic Masses and Mass Pairs, in: JAMS 19 (1966); M. N. SCHNOEBELEN, The Concerted Mass at San Petronio in Bologna ca. 1660-1730 (1966) (= Diss. Univ. of Illinois); J. SCHMIDT-GÖRG, Gesch. der M. (Kö 1967) (= Das Musikwerk 30); M. LUTOLF, Die mehrst. Ordinarium Missae-Sätze vom ausgehenden 11. bis z. Wende des 13. zum 14. Jh., 2 Bde (Be 1970); N. S. JOSEPHSON, Zur Gesch. der Missa de beata virgine, in: KmJb 57 (1973); G. MASSENKEIL, Die konzertierende Kirchenmusik, in: Gesch. der kath. Kirchenmusik II, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas 1975); PH. CAVANAUGH, Early Sixteenth-Century Cycles of Polyphonic Mass Propers, in: AMI 48 (1976). G. MASSENKEIL
MESSIAEN, Olivier Eugéne Prosper Charles, * 10. 12. 1908 Avignon; frz. Komponist. Sohn der Dichterin Cécile Sauvage und des Shakespeare-Übersetzers Pierre M., begann er bereits im Alter von 8 Jahren zu komponieren. Mit 10 Jahren lernte er Cl. Debussys Pelléas et Mélisande kennen. Dieses Werk prägte seine ganze musikalische Entwicklung. Elfjährig wurde er Schüler des Pariser Conservatoire. Dort studierte er bis '1930 u. a. bei P. Dukas und M. Dupré. Schon während seiner Studienzeit trat M. mit Kompositionen hervor, die aufhorchen ließen, darunter Le Banquet céleste für Orgel (1928) und 8 Préludes für Klavier (1929). 1931 wurde er Organist an der großen Orgel der Ste Trinité in Paris. Für dieses Instrument schrieb er, angefangen mit La Nativité du Seigneur (1935), alle seine großen Orgelwerke. 1936-39 lehrte er an der École Normale de Musique in Paris und an der Schola Cantorum. Ebenfalls 1936 gründete er mit A. Jolivet, Daniel-Lesur und Y. Baudrier die Gruppe „Jeune France". Diese Gründung hatte für
M.s kompositorische Entwicklung zwar keine Folgen, doch kennzeichnet sie seinen musikalischen Standort. Denn „Jeune France" stand dem musi-
kalischen Neoklassizismus der 1930er Jahre fern. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft im 2. Weltkrieg wurde M. 1942 Professor am Pariser Conservatoire, zuerst für Harmonielehre, 1947 für Analyse, Ästhetik und Rhythmik und 1966 für Komposition. Seit seiner Studienzeit beschäftigen M. Probleme der musikalischen Rhythmik. Deswegen studierte er die Déci-Tâlas des alten Indien und die griechische Metrik. I. Strawinskys Sacre du Printemps, das er eingehend analysierte, inspirierte ihn zu seiner Theorie der „Personnages rythmiques". Die Musik der Wiener Klassiker, vor allem W. A. Mozarts, selbst die Neumen des Gregorianischen Chorals sieht er zuerst unter rhythmischem Aspekt. Es nimmt daher nicht wunder, daß viele seiner Werke vom Rhythmischen her konzipiert sind — etwa die Quatre Études de rythme für Klavier (1949-50) oder das Livre d'Orgue (1951). Als wichtige Inspirationsquelle dienen M. die Gesänge der Vögel, von denen er im Laufe seines Lebens Tausende notiert hat. Die Beschäftigung mit diesem naturgegebenen Material hat fast sein gesamtes (Euvre geprägt. Manche Werke, wie z. B. Catalogue d'Oiseaux für Klavier (1956-58), bestehen nahezu völlig aus kunstvollen Adaptionen von Vogelgesängen. M. ist gläubiger Katholik. Ein groBer Teil seines (Eueres, das allerdings kaum Kirchenmusik enthält, kreist um christliche Glaubenswahrheiten — nicht nur seine Orgelmusik, sondern auch Werke wie Vingt Regards sur l'Enfant Jésus für Klavier oder Trois Petites Liturgies de la Présence Divine für Frauenchor, Klavier, Onde Martenot und Orchester (beide 1944). Bezeichnenderweise bestehen zwischen diesen geistlichen Werken und den weltlichen Werken M.s — etwa der Turangalîla-Symphonic (1946-48) — keine erkennbaren stilistischen Unterschiede. Charakteristisch für alle Werke ist eine neue Art der Zeitordnung, die wenig gemein hat mit der der abendländischen Musik der letzten vier Jahrhunderte. Nicht minder charakteristisch für M. ist die Bedeutung, die die Farbe in seiner Musik erhält. Beides hat viele jüngere Komponisten seit den 1940er Jahren fasziniert. Nicht von ungefähr gehörten P. Boulez, K. Stockhausen und I. Xenakis zu seinen Schülern. M. ist verheiratet mit der Pianistin Yvonne Loriod. WW (außer den bereits genannten): 1) Kompositionen: L'Ascension (1933) für Orch., Orgelfassung mit Transports de joie anstelle v. Alleluia sur la trompette (1934); Les corps glorieux (1939) für Org.; Quatuor pour la fin du temps für V., Klar., Vc. u. Klv., geschrieben u. uraufgeführt 1940 im [Kriegsgefangenen-] Stalag 8A bei Görlitz; 7 Visions de l'Amen (1943) für 2 Klv.; Harawi (1944), 12 Gesänge für Sopran u. Klv.; Cantéyodjaya (1948) für Klv.; Cinq rechants (1949) für 12 gem. St. a cap.; Messe de la Pentecôte (1950) für Org.; Réveil des oiseaux (1953) für Klv. u. Orch.; Oiseaux exotiques (1956) für Klv. u. kleines
297
Metabolě Orch.; Chronochromie (1960) für Orch.; Sept Haikai (1962) für KIv., Xylophon, Marimba u. kleines Orch.; Couleurs de la cité céleste (1963) für Klv., Bläser u. Schlagzeug; Et exspecto resurrectionem mortuorum (1964) für Holzbläser, Blechbläser u. Schlagzeug; La Transfiguration de N.-S. Jésus Christ (1965-69), Oratorium für gem. Chor, 7 Instrumentalsolisten u. Orch.: Méditations sur le mystère de la Ste Trinité (1969) für Org.; Des canyons aux étoiles (1971-74) für Orch. — 2) Schriften: Technique de mon langage musical, 2 Bde. (P 1944, dt. 1966); Conférence de Bruxelles (P 1960); Conférence de Notre Dame (P 1978). Lit.: M.-Sonderh. Melos 25 (1958). — C. SAMUEL, Entretiens avec O. M. (P 1967); S. AHRENS — H. D. MOLLER — A. ROSSLER, Das Orgelwerk M.s (Duisburg 1969, erweitert 2 1976); E. SEIDEL, Bemerkungen zur 2. Pièce en trio des Livre d'Orgue v. O. M., in: MS 93 (1973); K. SCHWEIZER, O. M.s Klavieretüde „Mode de valeurs et d'intensités", in: AfMw 30 (1973); P. BOULEZ, O. M., in: Anhaltspunkte. Essays (St 1975); TH. D. SCHLEE, Hommage il O. M., in: OMZ 34 (1979) (mit Werkyen.); H. HALBREICH, O. M. (P 1980). E. SEIDEL
METABOLĚ (griech., = Veränderung), in der griechischen Musiktheorie der Wechsel im Tongeschlecht, in der Tonart, in den Tetrachorden und in der Melopoeia (d. h. vermutlich im Ethos). Die lateinische Übersetzung und die Übertragung dieses Begriffs in das musiktheoretische Vokabular des 17./18. Jh. führte zur Mutatio. Ihre Anwendung macht nach A. Kircher (Musurgia universalis, 1650) das Wesen des von ihm so genannten Stylus metabolicus aus. In Anlehnung an den antiken Terminus nannte H. Dutilleux ein 1964 entstandenes Orchesterwerk mit 5 miteinander verknüpften Teilen, deren Elemente ständigen Veränderungen unterworfen sind, Métaboles. METALLOPHON. Im weiteren Sinne versteht man unter M.en řIdiophone mit klangerzeugendem Material aus Metall. Zu ihnen gehören Melodie- (Gongspiele, Glocken und Glockenspiele) sowie Geräusch- und Rhythmusinstrumente (Klappern, Becken, Triangel, Gongs). Im engeren Sinne ist M. das Stabglockenspiel des Orchesters mit Resonanzröhren und einem Tonumfang von 3 Oktaven. Beim Orff -Schulwerk heißt M. das diatonische Glockenspiel mit Aluminiumklangstäben. METASTASIO, Pietro (eig. Pietro Antonio Domenico Bonaventura Trapassi), * 3. 1. 1698 Rom, Ť 12.4. 1782 Wien; it. Dichter und Librettist. Bevor er seine schriftstellerische Laufbahn einschlug, studierte M. Jura in Rom, wo er auch die niederen Weihen empfing. In seinem Schaffen wurde er dort vor allem von seinem Lehrer und Erzieher Gian Vincenzo Gravina, einem Gründungsmitglied der römischen Dichtergruppe „Arcadia", beeinflußt, der auch die Graezisierung seines Namens veranlaßte. Die Arcadia strebte die Wiederherstellung von moralischen und ästhetischen Werten im Sinne des Rationalismus in der Literatur an, Fragen des 298
guten Geschmacks und des Hedonismus wurden vornehmlich behandelt; M. folgt Gravina, wenn er die Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung einhält, wenn er Chöre in seine Libretti einführt, die Sprache des Textbuches einfach gestaltet, ein moralisches Theater schafft, das seine Sujets aus der Geschichte schöpft. Die Beschäftigung mit R. Descartes' Les passions de l'âme wurde grundlegend für die von M. ausgedrückte fundamentale Leidenschaft des Menschen. 1719 ging M. nach Neapel, schrieb dort einige Serenate und verfertigte elegante festliche Dichtungen, u. a. Gli orti Esperidi, 1721 von N. Porpora komponiert, bei dem M. auch eine musikalische Ausbildung erhielt. Besondere Erfolge erzielte er mit Didone abbandonata, 1724 von D. Sarri in Musik gesetzt; das Stück erfuhr über 60 Vertonungen. 1730 trat M. auf Geheiß Kaiser Karls VI. seinen Dienst als Poeta cesareo am Wiener Hof als Nachfolger A. Zenos an. In der Donaumetropole wurde M. zum internationalen Dichter geformt, dessen vornehmstes Ziel es war, moralisch-ethisch ein Laudator temporis acti zu sein. WW (Libretti; mit Angabe der ersten Vertonung u. des Jahres der UA): Siface (F. Feo, 1723); Didone abbandonata (D. Sarri, 1724): Siroe, Re di Persia (L. Vinci,1726); Catone in Utica (ders., 1727); Ezio (P. Auletta, 1728); Semiramide riconosciuta (L. Vinci, 1729); Alessandro nell'Indie (ders., 1729), auch als: Cleofide oder Poro; Artaserse (ders., 1730); Demetrio (A. Caldara, 1731); Issipile (F. Conti, 1732); Adriano in Siria (A. Caldara, 1732); Olimpiade (ders., 1733); Demofoonte (deru., 1733); La clemenza di Tito (ders., 1734); Achille in Sciro (ders., 1736); Ciro riconosciuto (ders., 1736); Temistocle (ders., 1736); Zenobia (L. A. Predieri, 1740); Antigono (J. A. Hasse, 1743); Ipermestra (ders., 1744): Attilio Regolo (ders., 1750); Il re pastore (J. Bonno, 1751); L'eroe cinese (ders., 1752); Nitteti (N. Conforto, 1756); II trionfo di Clelia (J. A. Hasse, 1762); Romolo ed Ersilia (ders., 1765); Ruggiero (ders., 1771).
Die Grundzüge des metastasianischen Dramas sind aristokratisch, religiös, politisch-ethisch. M. arbeitete in Wien für eine europäisch gebildete Aristokratie, schuf Vorbilder für die Wiener Gesellschaft, war nicht ihr Abbild. Er richtete sich mit seinem moralisch-ethischen Theater an die gesamte Menschheit seiner Zeit. M. war Vertreter einer glücklich schönen Lebensform und entsprach somit der Regierungsart Kaiserin Maria Theresias und dem aufgeklärten Absolutismus. Er erfüllte die Ansprüche des österreichischen Theaters: Maria Theresias Theatermoral „Sittlichkeit und Tugend" und Kaiser Josephs II. „Virtute exemplo" — und wurde damit ein Gegenpol zu den Vertretern der frivolen und liberalen französischen Theaterdichtung. M. bevorzugte den in Vers und gehobener Prosa geschriebenen Dreiakter. Von 27 Dramen weisen 19 sechs Personen auf, 2 fünf, 5 sieben, ein Stück zählt acht Akteure. Das Sechspersonenstück wurde somit zur Norm. Am Ende einer Szene steht
Metronom im allgemeinen eine Arie. Die Arie, in der Regel zwei Vierzeiler in Kanzonettenform, ist häufig in zwei kontrastierende oder miteinander verbundene Gedanken geteilt; die acht Verse arbeiten vielfach mit Metaphern. Rezitativ und Arie bilden eine höhere Einheit. Die Abgangsarie wird zum Moment der Pause, der Reflexion, summiert Vorhergehendes, ist als Affekt, Emotion oder Kommentar zu betrachten. Symptomatisch für M.s Drama ist das „lieto fine". Fast alle Libretti M.s sind mehrfach von renommierten italienischen und deutschen Komponisten vertont worden (u. a. N. Jommelli, B. Galuppi, N. Piccinni, L. Leo, J. A. Hasse, Chr. W. Gluck und W. A. Mozart). — /Libretto. Ausg.- Opere, hrsg. v. M. FUBINI (Mi 1968), mit Einleitung v. L. Ronga, L'opera metastasiano, u. Anh. L'opera per musica dopo M., hrsg. v. M. Fubini - E. Bonora; Opere scelte, hrsg. v. F. GAVAZZENI (Tn 1968). Lit.: R. DA CALZABIGI, Diss. sulle poesie drammatiche del Signore Abate P. M., in: P. M. Poesie 1 (P 1755); CH. BURNEY, Memoirs of the Life and Writings of the Abbate M., 3 Bde. (Lo 1796, Nachdr. NY 1971); STENDHAL (= M.-H. Beyle), Vies de Haydn, de Mozart et de Métastase (P 1817); A. WO1'QUENNE, Zeno, M. u. Goldoni. Alphabetisches Ven. der Stücke in Versen aus ihren dramatischen Werken (L 1905); A. EINSTEIN, Calzabigis „Erwiderung" v. 1790. In ihren wichtigsten Teilen übers., in: Gluck-Jb. 2 (1915) u. 3 (1917); G. NATTALI, La vita e le opere di P. M. (Livorno 1923); R. GERBER, Der Operntypus J. A. Hasses u. seine textlichen Grundlagen (L 1925) (= Berliner Beitr. z. Musikwiss. 2); C. CULLASI, M. (Tn 1935); L. Russo, M. (Bari 2 1945); R. GIAzoTTo, A. Zeno, P. M. e la critica del Settecento, in: RMI 48 (1946) u. 49 (1947); A. A. ABERT, Zum metastasianischen Reformdrama, in: Kgr.-Bcr. Luneburg 1950 (Kas 1952); A. TRIGIANI, Il teatro raciniano e i melodrammi di P. M. (Tn 1951) (= Pubblicazioni della Facoltà di lettere e filosofia. Univ. di Torino 1I1/2); S. ROMAGNOLI, P. M. in: 1 classici it. nella storia della critica II, hrsg. v. W. Binni (Fi 1955, 2 1960); W. VETTER, Deutschland u. das Formgefühl Italiens. Betrachtungen über die Metastasianische Oper, in: DJbMw 4 (1959); A. M. NAGLER, M. Der Hofdichter als Regisseur, in: Maske u. Kothurn 7 (W 1961); H. BOSCH, Die Opernauff.en des Abate P.M. am Wiener Kaiserhof nach Zeugnissen aus seinen Briefen (Diss. W 1967); H. CH. WOLFF, Das Märchen v. der neapolitanischen Oper u. M., in: Anal. Mus. 9 (1970); G. NICASTRO, M. e il teatro del primo settecento (R 1973); H. LUHNING, „Titus"Vertonungen im 18. Jh. Unters. z. Tradition der Opera seria v. Hasse bis Mozart (Diss. Erl 1974); W. BINNI, Il settecento letterario, in: Storia della letteratura it. VI (Mi 1976); R. ANGERMULLER, Mozart u. M., in: Mitt. der Int. Stiftung Mozarteum 26 (1978).
R. ANGERMÜLLER
METHFESSEL (Methfeßel), Johann Albert (Albrecht) Gottlieb, * 6.10.1785 Stadtilm (Thüringen), t 23. 3. 1869 Heckenbeck bei Gandersheim; dt. Komponist und Kapellmeister. Er wurde 1810 Kammermusikus in Rudolstadt, 1822 Musikdirektor in Hamburg und war 1832-42 Hofkapellmeister in Braunschweig. M. komponierte zahlreiche Lieder, besonders für Männerchor. Davon wurden besonders bekannt Der Gott, der Eisen wachsen lieg und Stimmt an mit hellem, hohem Klang. WW: Klv.- u. Kammermusik; Allgemeines Commers- und Lie-
derbuch; ein Oratorium Das befreite Jerusalem u. die Oper Der Prinz von Basra.
METRIK (von griech. metron = Maß), von der Antike bis ins 18. Jh. Bz. für die Wissenschaft von den poetischen Formen, seit dem 19. Jh. auch für die Lehre vom musikalischen Metrum, im 20. Jh. gelegentlich synonym mit Metrum. — Die antike M. umfaßt die Lehre von den Buchstaben, Silben, den Längen und Kürzen, vom Versfuß, vom Metrum und vom Vers sowie von der Strophe. Im Mittelalter versteht man unter „ars metrica" im Gegensatz zur „ars rhythmica", die die Form der Vulgärpoesie erfaßt, meist die Lehre von den klassischen Metren. An diese Tradition knüpft die ältere Musiktheorie an. J. Mattheson erörtert 1739 unter dem Titel „Metric" die Form der zum Singen bestimmten Poesie. Im 19. Jh. ist die M. die Lehre vom musikalischen Metrum. M. Hauptmann versteht darunter die Lehre von den Maßen, in denen sich die
musikalischen Bewegungen zu vollziehen haben. H. Riemann und Theodor Wiehmayer definieren sie als die Lehre vom musikalischen Satzbau (/Periode). Im 20. Jh. verwendet man das Wort auch synonym mit Metrum, scheint aber eine Verallge-
meinerung davon, eben das Metrische schlechthin, im Sinn zu haben (E. Kurth). lit.: OEMetrum.
W. SEIDEL
METRONOM (von griech. metron = Maß und nomos = Gesetz, Regel), Bz. für eine Vorrichtung zur genauen Festlegung des Tempos mit einem in einem pyramidenförmigen, als Resonator dienenden Gehäuse befindlichen und durch Uhrwerk angetriebenen aufrechtstehenden Pendel, das durch ein verschiebbares, an einer Skala vorbeigleitendes Gewicht auf 40-240 Ausschläge pro Minute eingestellt werden kann; die Ausschläge sind sichtbar und hörbar. Es gibt außerdem Ausführungen, bei denen jeder 2., 3., 4., 6. oder B. Schlag von einem Läutewerk hervorgehoben werden kann. Die Erfindung des M.s wird in der heute verbreiteten Konstruktion dem Wiener Mechaniker J. N. Mälzel, einem Freund L. van Beethovens, zugeschrieben, der es 1816 in Paris patentieren ließ. Dementsprechend geschieht bis heute die Tempoangabe mit Hilfe der Abkürzung M. M. (= Metronom Mälzel) und bezogen auf einen bestimmten Noten-Wert, z. B. M. M. J = 100. Ähnliche Apparate waren vorher schon in Frankreich, so von É. Loulié (Chronomètre, 1696; verbessert 1701 von J. Sauveur), Louis-Léon Pajot (1724) und Henri Louis Choquel (1762), gebaut worden, allein das M. Mälzels konnte sich wie auch dessen Bezeichnung auf die Dauer durchsetzen. Seit den Metronomisierungen Beethovens (seit 1817 für die Symphonien 299
Metrum und für andere Werke), deren Verbindlichkeit jedoch teilweise problematisch ist, schrieben zahlreiche Komponisten genaue Tempoangaben mittels M.s vor. Neuere Ausführungen sind das Taschenuhr-M., das Blink-M. und elektrische Metronome. Lit.: E. SORREL, Les indications métronomiques laissées par les auteurs français du XVIIe et XVIIIe siècle, in: RMie 12 (1928); D. KAIVIPER, Zur Frage der Metronombezeichnung R. Schumanns, in: AfMw 21 (1964); H. CH. WOLFF, Das M. des L.-L. Pajot 1735, in: FS J.P. Larsen (Kop 1972); H. LANGE, Das Fadenpendel-M., in: ÖMZ 31 (1976); P. STADLEN, Beethoven Allegro
nen oder mehrere Akzente modifiziert. Das M. des 4/4-Taktes, sein inneres Taktgewicht, stellt sich demnach etwa so (r r r oder so ( dar. Kompositorisch tritt es vor allem in den Begleitfiguren des klassischen Instrumentalstils in Erscheinung, in den von Koch so genannten „metrischen Figuren". Ihr Prototyp sind die Albertischen Bässe. Wo sich die Melodie frei darüber erhebt, wie in dem folgenden „singenden Allegro" von W. A. Mozart (KV
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und das M., in: Beiträge '76-78. Beethoven -Kolloquium [Wien] 1977 (Kas 1978); H. SEIFERT, Beethovens Metronomisierungen und die Praxis, in: ebd.
METRUM (von griech. metron = Maß), Bz. für das Maß, in dem sich eine poetische oder musikalische Bewegung vollzieht. Da das Wort im Laufe seiner Geschichte auf unterschiedliche Maße und verschiedene Faktoren der Bewegung angewandt worden ist, steht seine Bedeutung nicht fest. Die antike Theorie nennt die gleichmäßigen Abschnitte Metra, durch die der einförmige rhythmische Verlauf der Versfüße zahlhaft gegliedert und begrenzt wird. Im allgemeinen setzt eine metrische Struktur hier Sprache voraus. Die Zahl der Versfüße, die ein M. vereint, geht in seinen Namen ein: Metren, die regelmäßig 6 Versfüße vereinen, heißen beispielsweise Hexametra. In dieser Bedeutung wird der Begriff von der Rhetorik und Poetik bis ins 17. Jh. hinein verwendet. Seit dem 16./17. Jh. werden damit gelegentlich auch musikalische Formationen bezeichnet, etwa die gleichmäßige Abschnittsbildung einer Vokalkomposition (Fr. de Salinas) oder der symmetrische Satzbau eines Tanzes (M. Mersenne). Seit dem Ende des 17. Jh. wird es üblich, mit dem Terminus die Ordnung des Elementaren zu bezeichnen, die Ordnung kleiner, versfußartiger Gebilde oder auch des Taktes (J. G. Walther, J. A. Scheibe, Fr. W. Marpurg). Demnach sind musikalische Metren versfußartige Formeln, und dementsprechend werden sie benannt und klassifiziert. Die Musiktheorie spricht wie die Poetik von Iambus (u—), Trochäus (— u), Anapäst (u u —), Daktylus (—u u), Spondeus (— —), Bacchius oder Baccheus (u— —), Choriambus (— u u —), Dochmius (u— — u —)
PIP IMP III
545), unterscheidet man den Rhythmus der Melodie vom M. der Begleitung. Das M. formuliert die einförmige Taktbewegung aus, die Melodie setzt sich rhythmisch davon ab und ist doch zugleich darauf bezogen. Grundsätzlich geht man in der Klassik während eines Tonstücks nicht von einem in ein anderes M. über. Eine Komposition, deren M. anfangs auf Vierteln basiert, bleibt dabei bis zu ihrem Ende. Nur ausnahmsweise setzen Mozart und L. van Beethoven in großen Sätzen verschiedene Metren gegeneinander. So hebt Beethoven beispielsweise im ersten Satz der 3. Symphonie den Hauptsatz metrisch vom Seitensatz ab; der Hauptsatz wird über einem Achtel-, der Seitensatz über einem Viertelmetrum gebildet. Oder Fr. Schubert sondert im ersten Satz der Klaviersonate A-Dur, D 959, die Durchführung von den Rahmenteilen in entsprechender Weise; das M. der Exposition und der Reprise besteht aus Viertel-, das der Durchführung aus Achtelnoten. Die klassische Balance von M. und Rhythmus wird im 19. Jh. vielfach und auf unterschiedliche Weise gestört. Triviale Musik neigt dazu, das M. hervorzukehren, oft in Gestalt eines groben Tanz-Metrums. Die bedeutenden Komponisten versuchen, das mechanische M. gleichsam in den Griff zu nehmen, es dynamisch abzuschattieren. Gelegentlich wird es gänzlich beseitigt. So tritt in Schuberts Lied Am Meer an die Stelle eines deutlichen metrischen Ganges ein unbestimmtes, unfaßliches, ins Ungemessene drängendes Tremolo. In dem Lied Meeres r~ -- # 1Ť—f Der Ne-bel stieg,
usw.
Seit der Mitte des 18. Jh. versteht man unter M. die innere Ordnung des neuen Akzentstufentaktes (H. Chr. Koch). Man stellt sie dar, indem man eine einförmige Schlag- oder Tonreihe durch ei300
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Die Musik des 20. Jh. wendet sich nicht nur von den überkommenen tonalen, sondern auch von den metrischen Ordnungsprinzipien ab. Weder der Takt noch die Periode überleben. Der Begriff M. verliert seine Bedeutung gänzlich, er wird zu einer historischen Kategorie.
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Stil - le herrscht im Was - ser,
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Stille verzichtet Schubert auf metrische Figuren und läßt so Bewegungslosigkeit musikalisch fühlbar werden. In dem Maße, in dem sich die Komponisten bemühen, die Dynamik der „unendlichen Melodie" ins Werk zu setzen, verliert das Takt-M. an Bedeutung. Es zieht sich gleichsam auf die Taktschwerpunkte zurück und läßt sich am Ende des 19. Jh. nur mehr als Verhältnis der Taktschwerpunkte zueinander, als äußeres Taktgewicht, begreifen. In diesem Sinne definieren es H. Riemann und nach ihm Theodor Wiehmayer. Das M. bezeichnet hier das Gesetz des musikalischen Satzbaus. Riemann nahm an, die dynamische Entfaltung einer kunstgerechten Melodie konzentriere sich auf ein System von Taktschwerpunkten, in dem die Prinzipien der Polarität und Steigerung zugleich wirksam sind. So entspricht dem ersten Periodenschwerpunkt der zweite, dem zweiten der vierte und dem vierten der achte. Dabei überragt der zweite den ersten, der vierte den zweiten und der achte den vierten an dynamischer Potenz.
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Zweitaenkt. grupp Halbsätze i Satz
Riemann hat dieses Gesetz metrischer Entwicklung von Beethovens Satzorganisation, etwa von einer
Periode wie der folgenden (Klaviersonate op. 22, Schlußsatz), abstrahiert.
Lit.: J. MATTHESON, Der vollkommene Capellmeister (H 1739), Nachdr. hrsg. v. M. Reimann (Kas 1954, 21969) (= DMl I/5); H. CH. KocH. Versuch einer Anleitung zur Composition, 3 Bde. (1783-93, Nachdr. Hil 1969); M. HAUPTMANN, Die Natur der Harmonik u. Metrik (L 1853); H. RIEMANN, System der musikal. Rhythmik u. Metrik (L 1903); TH. WIEHMAYER, Musikal. Rhythmik u. Metrik (Magdeburg 1917); F. ROSENTHAL, Probleme der musikal. Metrik, in: ZfMw 8 (1925/26); R. L. CROCKER, Musica rhythmica and Musica metrica in Antique and Medieval Theory, in: JMTh 2 (1958); P. BENARY, Rhythmik u. Metrik. Eine praktische Anleitung (Kö 1967); E. APFEL — C. DAHLHAUS, Stud. z. Theorie u. Gesch. der musikal. Rhythmik u. Metrik, 2Bde. (Mn 1974) (= Musikwiss. Schriften 1); G. HENNEBERG, Theorien z. Rhythmik u. Metrik (Tutzing 1974) (= Mainzer Stud. z. Musikwiss. 6); W. SEIDEL, Uber Rhythmustheorien der Neuzeit (Be — Mn 1975) (= Neue Heidelberger Stud. z. Musikwiss. 7); DERS., Rhythmus. Eine Begriffsbestimmung (Da 1976) (= Erträge der Forsch. 46); M. YESTON, The Stratification of Musical Rhythm (New Haven/Conn. — Lo 1976). W. SEIDEL
METTERNICH, Josef, * 2. 6. 1915 Hermülheim bei Köln; dt. Sänger (Bariton). Er finanzierte sein Gesangstudium in Köln durch seine Mitwirkung als Geiger in einer Tanzkapelle. Zunächst Chorsänger an den Opernhäusern in Bonn und Köln, erhielt er 1940 einen Anfängervertrag am Deutschen Opernhaus in Berlin, wo er, von M. Bohnen besonders gefördert, seinen eigentlichen Durchbruch als Tonio in R. Leoncavallos Bajazzo 1945 erzielte. Nach dem 2. Weltkrieg galt er an den Opernhäusern von Berlin, Hamburg, München und Wien als der führende deutsche Bariton im italienischen Fach. 1953-56 war er an der Metropolitan Opera in New York engagiert (Antrittsrolle: Carlos di Vargas in G. Verdis La forza del destino). Gastspiele führten ihn an die Covent Garden Opera in London (als Holländer in R. Wagners Oper Der Fliegende Holländer) und an die Mailänder Scala. 1957 sang er an
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Metzger
der Staatsoper München, der er bis 1971 angehörte, die Partie des Johannes Kepler in der UA der P. Hindemith-Oper Die Harmonie der Welt. Seit 1965 ist M., der mit der Sängerin Liselotte Losch verheiratet ist, Professor an der Musikhochschule Köln. METZGER, Heinz-Klaus, * 6. 2. 1932 Konstanz; dt. Musiktheoretiker und -schriftsteller. Er studierte 1949-52 an der Freiburger Musikhochschule sowie 1952-54 in Paris bei Max Deutsch und in Tübingen und absolvierte 1956 die Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Seit 1957 lebt er abwechselnd in der Bundesrepublik Deutschland, in Italien sowie in Paris und Zürich. Seine vor allem von Karl Marx, G. W. Fr. Hegel und Th. W. Adorno beeinflußten Schriften behandeln neben dem Werk L. van Beethovens vorwiegend Fragen der Neuen bis zur zeitgenössischen Musik. Schriften: Webern und Schönberg, in: A. Webern, hrsg. v. H. Eimers (W 1955) (= die Reihe 2); dass., in: Kommentare z. Neuen Musik 1 (Kb 1961, 1963); Das Altern der jüngsten Musik, in: Forum 10 (1963); Beethoven. Das Problem der Interpretation (Mn 1979) (= Musik-Konzepte S). - Er gibt heraus: MusikKonzepte. Die Reihe über Komponisten (Mn 1977ff.) (zus. mit R. Riehn).
METZLER, Metzler Orgelbau AG, Schweizer Orgelbauwerkstatt, gegr. 1890 von Jakob M. (1855 bis 1925) in Felsberg. Sie wurde von dessen Sohn Oskar M. (1894-1986) 1930 nach Dietikon bei Zürich verlegt. 1968 übernahmen Oskar M. jun. (* 1925) und Hansueli M. (* 1927), Enkel des Gründers, die Geschäftsleitung. Seit etwa 1950 entwickelte das Unternehmen einen kunsthandwerklichen, an historischen Vorbildern des 18. Jh. orientierten Stil und gehört zu den bedeutendsten Werkstätten in Europa. Von den von M. gebauten Instrumenten sind hervorzuheben: Schaffhausen, Münster (1958; 3 Man., 45 Reg.); Zürich, Großmünster (1960; 4 Man., 68 Reg.); Netstal (1964; 3 Man., 34 Reg.); Genf, Kathedrale (1965; 4 Man., 68 Reg.); Frauenfeld, Stadtkirche (1969; 3 Man., 44 Reg.); Cambridge, King's College (1973; 3 Man., 42 Reg.); St. Pölten, Dom (1974; 3 Man., 36 Reg.). Wichtige Restaurierungen historischer Instrumente sind die Silbermann-Orgel in Arlesheim (Schweiz), die Haupt- und Chororgeln der Klosterkirche Muri sowie die Hinsch-Orgel in Wassenaar (Niederlande). Lit.: D. KINSELA, A New Direction in Organ Building Reflected in the History of M. u. Söhne, in: OYb 8 (1977).
MEULEMANS, Arthur-Jozef-Ludovicus, * 19. 5. 1884 Aarschot (Brabant), t 29. 6. 1966 Brüssel; belgischer Komponist. Er war Schüler von E. Tinel am Institut Lemmens in Mecheln. 1916 gründete er 302
die Orgel- und Gesangschule in Hasselt, die er bis
1930 leitete. 1930-42 wirkte er als Dirigent in Brüssel. 1954 wurde er Präsident der Koninklijke Vlaamse Academie in Brüssel. Zu seinem 80. Geburtstag wurde ihm die Festschrift Aan meester A. M. (An 1964) gewidmet. WW: 1) Instr.-WW: Org.- u. Kammermusik, u.a. 5 Streichquartette; je ein Saxophon- u. Pos.-Quartett. - Für Orch.: 15 Symphonien (1931-59); Middelheim (1961); Aforismen (1961); Aspecten (1961); Cirkus (1961); Het zwin (1963); Torenhof (1963); 3 V.- u. 2 Vc.-Konzerte sowie je ein KIv.-, FL-, Harfen-, Ob.- u. Trp. -Konzert. - 2) Vokal-WW: Oratorien: Sacrum mysterium (1917); De zeven weeen (1920); De dochter van Jairus (1925); Kinderen van deze tijd (1956); 10 Messen; Lieder u. Chöre. 3) Bühnen-WW: Opern: Vikings, UA: Antwerpen 1937; Adriaen Brouwer, UA: ebd. 1947; Egmont, UA: ebd. 1960. - 4) Schriften: Aspecten van het moderne orkest (Bru 1953); E. Tinel (1954); P. Gilson (1955).
M. war einer der ersten „flämischen Impressionisten", die Anregungen Cl. Debussys auf einer schulmäßigen, von C. Franck her geprägten Grundlage aufnahmen. Er wurde der geistige Vater einer zwischen 1880-1900 geborenen belgischen Komponistengeneration. Seine Musik ist farbenreich, suggestiv, zupackend oder zurückhaltend, klar in der Linienführung, effektvoll in der Orchesterbehandlung und reich an Einfällen. Lit.: T. Bouws - J. VAN MECHELEN, A. M. (An 1960); W. PAAP, in: Mens en melodie 19 (1964).
MEXIKO. Vorkolumbische Zeit. Über die Musikpraxis der verschiedenen vorkolumbischen Kulturen, die sich über das Gebiet des heutigen M. ausbreiteten, sind wir lediglich durch archäologische Funde und bildliche Darstellungen unterrichtet. Dazu zählen Quellen, die der Kultur der Olmeken (bis 200 n. Chr.), Zapoteken / Mixteken (bis 1200 bzw. 1521), Maya (besonders der klassischen Periode 700-1000 n. Chr.) und der Azteken (1325-1521) entstammen. Aus dem zapotekischen Mitla sind u. a. Tonfiguren erhalten, die 2 Sänger und 6 Musiker (mit Tonpfeife, Rasseln und Schildkrötenpanzer als Schrapinstrument) darstellen. In einem Maya-Tempel in Bonampak (Chiapas) befindet sich ein Fresko, das Würdenträger und Musikanten (u. a. mit Trompeten und verschiedenen Trommeln) bei einer Inthronisationszeremonie zeigt. Spätere Codices, die z. T. nach der Eroberung M.s angelegt wurden (etwa Codex Mendoza für den spanischen Hof) und das Brauchtum der Unterworfenen festhalten, vervollständigen das Bild über das verwendete Instrumentarium: senkrecht stehende, fellbespannte Trommeln (huehuetl) sind ebenso häufig vertreten wie verschiedene waagrecht liegende Typen (teponaztli) oder solche, denen ein wassergefüllter Kürbis als Resonator dient. Als Idiophone finden — neben Seemuschel und Schild-
Mexiko krötpanzer — flache Steine, Klappern und Rasseln (matracas) aus Kürbis oder Ton Verwendung. Außerdem sind Tonpfeifen und Flöten (auch gedoppelte) bekannt. — Mit der rigorosen Zerstörung der alten Kulturen M.s durch die Spanier gingen auch die ursprüngliche Musikpraxis und das entsprechende Instrumentarium unter. Selbst die Volksmusik stand fortan unter spanischem Einfluß, wie dies u. a. die bis heute von den řMariachis gepflegten Tanzlieder "Corrido, Huapango und OEJarabe belegen. M. nach der Conquista (seit 1519). Zu den ersten Berichten über europäische Musiker in M. gehört die Erwähnung eines Vihuelaspielers — Juan Ortiz — in der Gefolgschaft von Fernando Cortés, dem die Genehmigung erteilt wurde, eine Schule „de danzar y de taňer" zu eröffnen. 1524 gründete Pedro de Gante, ein Franziskaner flämischer Herkunft, in Texcoco eine Schule, an der junge Indios auch im Gesang unterrichtet wurden und die als Vorläufer der späteren Singschule an der Kathedrale von M. City gilt. Dort wurde 1538 der erste Kapellmeister, Juan Xuárez, ernannt. Ihm folgten Lázaro del Álamo, Juan de Victoria und Hernando Franco, deren Werke z. T. überliefert sind. Von Giovanni Paolo und Pierre Ochatre stammen u. a. die ersten Musikdrucke in M., zu denen z. B. ein Liber in quo quattuor passiones Christi (1604) von J. Navarro zählt. Im 17./18. Jh. sind es vor allem Domkapellmeister, die ein bedeutendes kompositorisches Schaffen hinterließen. Dazu gehören u. a. Antonio Salazar (t 1715), sein Nachfolger Manuel Zumaya, der auch als Opernkomponist wirkte (1711 wurde seine Parténope, die erste mexikanische Oper, im Palast des Vizekönigs aufgeführt), und der Neapolitaner Ignazio Gerusalemme (seit 1764 Kapellmeister). In die Reihe wichtiger Komponisten der Zeit vor der Unabhängigkeit M.s sind insbesondere Manuel Arenzana, Soto Carrillo, Luis Medina und José Aldana einzuordnen, die vor allem durch Vertonungen von Bühnenstoffen, aber auch von Zwischenspielen zu bereits bekannten italienischen Opern hervortraten. Wie die kulturelle Entwicklung nach der Erlangung der Unabhängigkeit insgesamt ist auch die musikalische Entwicklung von eigenständigen Tendenzen bestimmt. Grundlage dazu schufen Unterrichtsreformen und Umorganisation des Musiklebens. Zu den Wegbereitern der neuen Richtung gehören u. a. José Mariano Elfzaga (1786-1842), Joaquin Beristain und José Antonio Gómez auf dem Gebiet der geistlichen Musik. Ein anderer Impuls ging von der stark italianisierten Oper aus. Einen nicht unbedeutenden Einflug auf die Pflege italienischer Opern am Teatro Principal nahm der Opernsänger
und Komponist M. García, der 1825 mit einer Truppe die USA und M. bereiste und große Erfolge feierte. Ähnliche Bedeutung kommt der mexikanischen Primadonna Angela Peralta (1845-83) zu, für die Aniceto Ortega (1823-75) eine Rolle in der Oper Guatimotzin vorsah. Auch Cenobio Paniagua (1812-82) und M. Morales, dessen Werke auch in Europa bekannt wurden, vertonten Opernstoffe in italienischer Sprache. Komponisten wie Gustavo Campa (1863-1934) und Ricardo Castro (1866 bis 1907) wiederum orientierten sich vielfach an französischen oder deutschen Vorbildern (u. a. an R. Wagner). Der neuen Geisteshaltung nach der Revolution von 1910 verpflichtet waren vor allem M. M. Ponce und C. Chávez, der u. a. auch als Leiter des 1866 als Sociedad Filarmónica Mexicana gegründeten Konservatoriums fungierte. Sie gehören zu den herausragenden Komponisten dieser Zeit und beeinfluBten u. a. S. Revueltas, J. Rolón, C. Hufzar, Eduardo Hernández Moncada, Luis Sandi und Miguel Bernal Jiménez, z. T. auch noch die Komponisten der 1935 gegründeten „Gruppe der Vier": Daniel Ayala, Blas Galindo, Pablo Moncayo und Salvador Contreras. Zu den Vertretern der zeitgenössischen Musik zählen u. a. Eduardo Mata, Manuel Henrfquez und Mario Lavista. Institutionen. Zentrum des modernen Musiklebens M.s ist der Palacio de Bellas Artes in M. City. Er verfügt über ein ständiges Opern- und Ballettensemble (daneben auch ein folkloristisches). Mit seinen Konzert- und Ausstellungssälen ist er auch Heimstatt für das 1929 von C. Chávez gegründete Nationale Symphonie- und für das städtische Philharmonische Orchester. Das vor allem durch Mosaiken von Diego Rivera bekannte Teatro de los Insurgentes bringt Musicals und Operetten zur Aufführung. — Eine musikwissenschaftliche Abteilung existiert seit 1949 an der 1553 gegründeten Universität. Außerdem ist seit 1973 ein Centro Nacional de Investigación, Documentación e Información Musical am Instituto Nacional de Bellas Artes eingerichtet. Lit.: 1) Bibliographien: L. SPIESS — TH. STANFORD, An Introduction to Certain Mexican Musical Archives (Detroit 1969). — 2) Tondeukmiiler-Aon.: C. MICHEL, Cantos indígenas de M. (Mexico 1951); J. BAL Y GAY, Tesoro de la música polifónica en M., I: El códice del convento del Carmen (ebd. 1952); S. BARWICK, The Franco Codex of the Cathedral of M. (Carbondale 1965). — 3) Studio.: A. HERRERA Y OGAZÓN, El arte musical en M. (Mexico 1917); F. H. MARTENS, Music in the Live of the Aztecs, in: MO 14 (1928); R. LACH, Die musikal. Konstruktionsprinzipien der altmexikanischen Tempelgesänge, in: FS J. Wolf (B 1929); G. SALDIVAR — E. OSORIO BOLID, Historia de la música en M. (čpocas pre-cortesiana y colonial) (Mexico 1934); R. GALLOP, The Music of Indian M., in: MQ 25 (1939); O. MAYER SERRA, Panorama de la música mexicana desde la
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Mey independencia hasta la actualidad (Mexico 1941); R. M. CAM Pos, El folklore literario y musical del M. (ebd. 1946); R. STEVENSON, Music in M., A Historical Survey (NY 1952); V. T. MENDOZA, Panorama de la música tradicional de M. (Mexico 1956); S. MARTI, Canto, danza y música precortesiana (ebd. 1961); DERS., Instr. musicales precortesianos (ebd. 1965); R. STEVENSON, Music in Aztec and Inca Territory (Berkeley - Los Angeles 1968); S. MARTI, La música precortesiana (Mexico 1971); R. STEVENSON, Mexican Colonial Music Manuscripts Abroad, in: Notes 29 (1972/73); J. S. GARRIDO, Historia de la Música popular en M. 1896-1973 (Mexico 1974); G. BÉHAGUE - E. TH. STANFORD, M., in: Grove' XII. L. H. CORRÉA DE AZEVEDO
MEY, Reinhard (Pseudonym: Alfons Yondraschek), * 21. 12. 1942 Berlin; dt. Chansonsänger, Komponist und Texter. Bereits als Schüler und dann als Student sang er seine Lieder in Deutschland und Frankreich und begleitete sich dazu auf der Gitarre. Seine Vertonungen von Balladen von François Villon und Gedichten von Georg von der Vring brachten ihm erste Erfolge. Seit 1965 studierte er in Berlin Betriebswirtschaft an der Technischen Universität und Gitarre am Konservatorium. 1968 gelang ihm in Frankreich der Durchbruch als Chansonsänger (unter dem Pseudonym Frédéric): Als erster Ausländer wurde er mit dem „Prix International de la Chanson Française" ausgezeichnet. Durch Schallplatten, Fernsehshows und Tourneen wurde er auch in Deutschland bald populär und zählt bis heute zu den besten deutschen Chansonautoren und -interpreten. Szenen aus dem Alltagsleben und Sozialkritik sind die Hauptthemen seiner teilweise auch ironischen und humorvollen Chansons. Zu den bekanntesten Titeln zählen: Ankomme Freitag den 13.; In meiner Stadt; Diplomatenjagd; Trilogie auf Frau Pohl; Ich bin aus jenem Holz geschnitzt; Uber den Wolken. Seine Chansons veröffentlichte M. unter dem Titel Ich wollte wie Orpheus singen (Bad Godesberg 1968, Bonn 1972) und Alle Lieder von Anfang an bis heute (Bonn 1977). MEYER, Ernst Hermann, * B. 12. 1905 Berlin; dt. Musikforscher und Komponist. Er studierte Musikwissenschaft bei J. Wolf, A. Schering, Fr. Blume und E. M. von Hornbostel in Berlin, später bei H. Besseler in Heidelberg, wo er 1930 mit einer Dissertation über Die mehrstimmige Spielmusik des 17. Jh. promovierte, sowie Komposition bei P. Hindemith, M. Butting und H. Eisler. 1933 mußte er emigrieren und lebte bis Kriegsende in Großbritannien. 1948-70 war M. Professor für Musiksoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, 1965-71 Präsident des Musikrats der DDR und wurde 1968 Präsident des Verbands der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR. Seit 1967 ist er auch Präsident der G.-F.-Händel-Gesellschaft. Zu seinem 60. Geburtstag wurde er 304
durch eine Festschrift (hrsg. v. G. Knepler) geehrt. — M., der sich in seinem gesamten kompositorischen Schaffen zum Primat des Melodischen bekennt, orientiert sich seit seiner Rückkehr nach Deutschland in der ästhetischen Grundhaltung und in der Verwendung von Satz- und Ausdrucksmitteln prinzipiell an den Gegebenheiten und Erfordernissen der sozialistischen Musikkultur der DDR, für die er auch organisatorisch und schriftstellerisch Bedeutendes geleistet hat. So gründete er 1951 die Zeitschrif t Musik und Gesellschaft. WW: 1) Kompositionen: V. -Sonate (1929); Klar.-Quintett (1944); Klv.-Trio Reflections and Resolution (1948); 3 Streichquartette (1956, 1959, 1967); Konzert für Harfe u. Kammerorch. (1969). - Für Orch.: Sinfonie für Streicher (1947, revidiert 1957 u. 1958); Konzertante Symphonie für Klv. u. Orch. (1961); V.Konzert (1964); Concerto grosso für 2 Trp., Pos., Pk. u. Streichorch. (1966). - Mansfelder Oratorium (1950) für Sprecher, Soli, Chor u. Orch.; Kantaten: Nun, Steuermann (1946, revidiert 1955) (nach W. Whitmans Now Voyager) für Bar. u. Streichorch.; Der Flug der Taube (1952) für Soli, Chor u. Orch.; Ein Leben wahrhaft lebenswert (1953) für Solo, Chor u. Orch.; Gesang von der Jugend (1957) für Soli, gem. Chor, Kinderchor u. Orch.; Das Tor von Buchenwald (1959) für Bar., Chor u. Orch.; Jahrhundert der Erstgeborenen (1961) ; Der Herr der Erde (1961) für Tenor, Chor u. Orch.; Der Staat (1967) für Chor u. Orch.; Lenin hatgesprochen (1970) für Sprecher, Soli, Chor u. Orch. - Oper Reiter der Nacht, UA: Berlin 1973. - 2) Schriften: Die mehrstimmige Spielmusik des 17. Ih. in Nord- und Mitteleuropa (Kas 1934) ( = Heidelberger Stud. z. Musikwiss. 2); Die Vorherrschaft der Instrumentalmusik im Niederländischen Barock, in: TVer 15 (1939); English Chamber Music (Lo 1946, 21951, Nachdr. NY 1971), dt. Obers.: Die Kammermusik Alt-Englands (L 1958); Musik im Zeitgeschehen (B 1952); Aufsätze fiber Musik (B 1957); Händels Oratorienwerk, in: Händel-Jb. 10 (1958); Händel u. Purcell, in: ebd. 11 (1959); G. Mahler, in: MuGes 11 (1961); Tradition und Neuerertum, in: ebd. 13 (1963); Zu einigen Fragen der Periodisierung der Musik des 17. und 18. Ih., in: Händellb. 17 (1971); Kontraste - Konflikte. Erinnerungen, Gespräche, Kommentare (B 1979). Lit.: W. SIEGMUND-SCHULTZE, Das sinfonische Schaffen E. H. M.s, in: Sammelbde. zur Musikgesch. der DDR 1 (B 1969); G. RIENACKER, E. H. M., Sinfonie in B (Versuch einer Analyse), in: Probleme der Realismustheorie (B 1970); H. SCHAFER. Liebeslieder auf die gute Erde. E. H. M. zum 65. Geburtstag, in: \IuGes 20 (1970); K. NIEMANN, E. H. M. Für Sie portraticrt (L 1975); E. H. M. Das kompositorische u. theoretische Werk, hrsg. v. M. HANSEN (L 1976); mehrere Beiträge über M. in: MuGes 30 (1980) H. 12.
MEYER, Friedrich, * 5.3. 1915 Bremen; dt. Komponist und Arrangeur von Unterhaltungsmusik. Er war 1933-37 Hauskomponist am Bremer Schauspielhaus und danach Arrangeur und Komponist bei verschiedenen Schallplattenfirmen. 1945 gründete er das Tanzorchester von Radio Bremen. Seit 1947 ist er freiberuflich als Komponist und Arrangeur tätig (u. a. 1952-76 beim Orchester Erwin Lehn). 1959 heiratete er die Filmschauspielerin und Sängerin Margot Hielscher, * 29.9. 1919 Berlin, die in zahlreichen Filmen mitwirkte, zu denen er die Musik schrieb (Hallo, Fräulein!, 1948; Liebe auf
Meyerbeer
Eis, 1950; Dämonische Liebe, 1950; Die vertagte Hochzeitsnacht, 1953; Das ewige Lied der Liebe, 1954). Produktionen für Funk und Fernsehen ergänzen seine kompositorische Tätigkeit. WW: Zahlr. Schlager u. Chansons; Filmmusik, u.a. zu: Illusion in Moll (1952); Die süßesten Früchte (1954); Die Barrings (1955); Friederike von Barring (1956); Die Blechtrommel (1979).
MEYER, Gregor, * um 1510 (?) Säckingen, t Nov. 1576 Basel; dt. Organist und Komponist. Er war 1525-26 an der Universität Basel immatrikuliert. 1535 wurde er Organist an St. Ursus in Solothurn, das er 1558 jedoch verlassen mußte. Er ging nach Basel, wo er, obwohl er „ein gar bäpstischer Mann" war, die Domorganistenstelle erhielt. 1538-40 schrieb er für das Dodecachordon von Glareanus 11 Kyrie, 6 Kanons und 3 Motetten. Ausg.: 8 Stücke aus Dodecachordon, hrsg. v. W. MERIAN, in: Musikal. Werke Schweizerischer Komponisten des XVI., XVII. u. XVIII. Jh. 1 (G 1927); 2 Kyrie, hrsg. v. A. SCHERING, in: Alte Meister aus der Frühzeit des Orgelspiels (L 1913); 5 Sätze, in: Bicinien aus Glareans Dodekachordon, hrsg. v. W. FREI (Kas 1965) (= Hortus Mus.7). Lit.: W. MERIAN, G. M., in: SJbMw 1 (1924); S. FORNAÇON, G.M., in: MuG 10 (1956).
MEYER, Keratin Margareta, * 3. 4. 1928 Stockholm; schwedische Sängerin (Mezzosopran). Nach dem Studium an der Stockholmer Musikhochschule debütierte sie 1952 als Carmen in G. Bizets gleichnamiger Oper an der dortigen Königlichen Oper. Gastspiele führten sie an die Staatsopern in Hamburg, München und Wien, an die Deutsche Oper Berlin, die Covent Garden Opera in London, die Metropolitan Opera in New York, zu den Festspielen in Bayreuth, Glyndebourne, Edinburgh und Salzburg, wo sie 1966 in der UA der Oper Die Bassariden von H. W. Henze die Agaue sang. Lit.: B. BERTHELSON, K. M., hemtam i stora världen (K. M., heimisch in der großen Welt), in: Musikrevy 24 (1969).
MEYERBEER, Giacomo (eig. Jakob Liebmann Meyer Beer, Rufname Meyer), * 5.9. 1791 Vogelsdorf/Tasdorf bei Berlin, t 2. 5. 1864 Paris; dt. Komponist. Er erhielt seinen ersten Klavierunterricht bei Franz Lauska und konnte schon als Zehnjähriger öffentlich konzertieren. Kompositorisch wurde er bei C. Fr. Zelter, B. A. Weber und seit 1810 (gemeinsam mit C. M. von Weber) in Darmstadt bei Abbé G. J. Vogler ausgebildet. Von Anbeginn verfolgte M. konsequent das Ziel, Opernkomponist zu werden, wobei ihm schon seit seiner Jugend die französische Oper zum Vorbild diente. Nach anfänglichen Mißerfolgen in Deutschland wandte er sich 1816 nach Italien, wo er 6 Opern im italienischen Stil schrieb und 1824 mit dem Crociato den international beachteten Erfolg errang, der ihm die ersehnte Einladung nach Paris ver-
schaffte. Hier gelang M. 1831 mit Robert le diable (nach einem Buch von E. Scribe) der europäische Durchbruch. Seine in enger Zusammenarbeit mit Scribe entstandenen anderen Grollen Opern Les Huguenots (1836), Le prophète (1849) und L'Africaine (1865), Prototypen der GroBen Oper mit historischem Stoffgerüst, wurden Welterfolge. 1842 wurde M. in der Nachfolge G. Spontinis als GMD nach Berlin berufen, trat aber wegen eines Konflikts mit dem Intendanten von Kästner schon 1846 von der Leitung der Oper zurück und beschränkte seine Tätigkeit auf die Leitung der Hofmusik. In seiner Eigenschaft als Preußischer GMD erfüllte M. zahlreiche offizielle Kompositionsaufträge für festliche Anlässe des preuBischen Hofes, förderte die Aufführung von Opern deutscher Komponisten (L. Spohr, R. Wagner) und setzte die soziale Verbesserung der Orchestermusiker durch. Zur Wiedereröffnung des 1843 abgebrannten Berliner Opernhauses am 7. Dez. 1844 entstand das Festspiel Ein Feldlagerin Schlesien (mit Jenny Lind in der Hauptrolle), dessen Exposé M. heimlich von Scribe arbeiten lieg. Teile der Musik gingen nach Umarbeitung für Wien (Vielka, 1847) in die französische Oper L'étoile du nord (1854) ein. 13 Jahre nach dem großen Triumph von Les Huguenots kehrte M. mit seiner Oper Le prophète, die seit 1841 provisorisch beendet war, an die Pariser Opéra zurück. H. Berlioz nannte den Erfolg der gründlich überarbeiteten Partitur bei der UA (1849) mit Pauline Viardot-García in der Rolle der Fides „ungeheuer und ohnegleichen". Aus diesem Anlaß wurde M. als erstem deutschen Komponisten das Komturkreuz der französischen Ehrenlegion verliehen. Die nachfolgenden beiden komischen Opern, L'étoile du nord und Le pardon de Ploermel, reichten an diesen Erfolg nicht heran. Mit der postum aufgeführten L'Africaine (1865), während deren Proben er starb, konnte M. noch einmal an seine Welterfolge anknüpfen. WW: 1) Iimtr.-WW: Für Orch.: 4 Fackeltänze (1842, 1850, 1853, 1858); Festmarsch zu Schillers 100jährigem Geburtstag (1859); Krönungsmarsch zur Krönung König Wilhelms I. von PreuBen (1861) ; Festouvertüre für die Londoner Weltausstellung (1862 ). — 2) Vokal-WW: Zahlr. Chöre, Kanuten; über 60 Lieder, Mélodies, Romanzen usw.; Kantate Gli amori di Teolinda für Sopran, Soloklar., Chor u. Orch., UA: Genua 1816; Ode an Christian Rauch für Soli, Chor u. Orch. zur Einweihung des Reiterdenkmals Friedrichs des Großen, UA: Berlin 1851. — 3) Biihnea-WW: Opern: Romilda e Costanza (Libr.: G. Rossi), UA: Padua 1817; Semiramide riconosciuta (Libr.: ders. nach Metastasio), UA: Turin 1819; Emma di Resburgo (Libr.: ders.), UA: Venedig 1819; Margherita d'Anjou (Libr.: F. Romani nach G. de Pixérécourt), UA: Mailand 1820; L'esule di Granata (Libr.: ders.), UA: Mailand 1822; II Crociato in Egitto (Libr.: G. Rossi), UA: Venedig 1824; Robert le diable (Libr.: E. Scribe, G. Delavigne), UA: Paris 1831; Les Huguenots (Libr.: ders., E. Deschamps), UA: ebd. 1836; Ein Feld lagerin Schlesien (Libr.: ders., L. Rellstab), UA: Berlin 1844,
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Meyerbeer neue Fassung Vielka, UA: Wien 1847; Le prophète (Libr.: E. Scribe), UA: Paris 1849; L'étoile du nord (Libr.: ders.), UA: ebd. 1854; Le pardon de Ploérmel (= Dinorah) (Libr.: J. Barbier, M. Carrier), UA: ebd. 1859; L'Africaine (Libr.: E. Scribe), UA: ebd. 1865. - Ferner Bühnenmusik zu M. Beer, Struensee, UA: Berlin 1846, u. R. Raupach, Das Hoffest von Ferrara, UA: ebd. 1843.
Unter seinen über 60 Liedern (mélodies) wurden Le moine (1834) und Le poète mourant (1836), mit denen M. den Typus der modernen Charakterromanze schuf, weltberühmt. M. hat in seinen Großen Opern, die aus der Verbindung von monumentalen Chortableaus und pittoresken Balletten mit charakteristischen Ensembles und virtuosen Soloszenen leben, den Nummerncharakter der traditionellen Oper schrittweise aufgelöst und somit die Möglichkeiten für eine weitere Entwicklung der Oper zum Bühnendrama hin freigelegt. Konventionelles und Progressives verbinden sich bei ihm zu einer Eigenform des Musiktheaters von höchst artifiziell-manieristischem Zuschnitt mit einer zeitbezogenen sozialkritischen Komponente. Szenen wie das Liebesduett im 4. Akt von Les Huguenots und der Auftritt der Fides im 4. Akt von Le prophète bezeugen, daß M. bei allem Zugeständnis an die Ansprüche des Sängers die dramatische Situation des Bühnengeschehens nicht aus dem Auge verliert. Die experimentelle Verknüpfung italienischer, französischer und deutscher Stilelemente zu eigener Qualität gibt M.s Musik ein unverkennbar persönliches Profil und kennzeichnet ihn als einen Komponisten von universalistischem Kunstanspruch. Obwohl M. zu seiner Zeit als das Haupt der deutschen Schule galt (Fr.-J. Fétis), hat er sich selber stets zum künstlerischen Weltbürgertum bekannt. Der Jubel, der M. aus Frankreich entgegenschlug, und die schroffe Ablehnung, die ihm in seinem Vaterlande widerfuhr, unterstreichen diese Einstellung. Auch die bösartige Verächtlichmachung seines Schaffens, selbst nach seinem Tod noch, die nach 1933 zum totalen Verbot seiner Werke führte, bestätigt letztlich M.s Rang als einer epochalen Gestalt in der Geschichte der Oper. Die Impulse, die von seinem Schaffen ausgingen, das weltweite Gespräch, das um seine Werke geführt wurde, sind noch nicht annähernd erkannt, seine eigentliche Bedeutung im Geschichtsbild seiner Zeit noch längst nicht erschlossen. Ausg.: G. M. Briefwechsel u. Tagebücher, hrsg. v. H. u. G. BECKER, I: (B 1960), II: (B 1970), HI: (B 1975), IV u. V. (in Vorb.); Sizilianische Volkslieder, hrsg. v. F. BOSE (B 1970); Les Huguenots, neue dt. Übertragung v. B. BOHMEL, Klv.-A. hrsg. v. R. ZIMMERMANN (L 1973); Faks.-Nachdr. des venezianischen Ms. v. Il Crociato in Egitto sowie sämtlicher originaler Partiturdrucke (NY- Lo 1980), bisher erschienen: I! Crociato, Robert le diable, Les Huguenots, Le prophète. Lit.: H. MENDEL, G.M. (B 1869); J. F. SCHUCHT, M.s Leben u. Bildungsgang (L 1869); Sonderh. RM 14 (1904) Nr. 19; H. DE
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CURZON, M. (P 1910); H. EYMIEU, L' oeuvre de M. (P 1910); L. DAURIAC, M. (P 1913, 21930); J. KAPP, M. (B 1920, °1932); H. ABERT, G. M., in: Jb. Peters 25 (1918); W.L. CROSTEN, French Grand Opera. An Art and a Business (NY 1948); H. BEKKER, Der Fall Heine - M. (B 1958); H. FREDERICHS, Das Rezitativ in M.s „Hugenotten", in: Beitr. z. Gesch. der Oper, hrsg. v. H. Becker (Rb 1969); CH. FRESE, Dramaturgic der groBen Opern M.s (B 1970); K. PENDLE, E. Scribe and French Opera of 19th Century, in: MO 57 (1971); R. W. GIBSON, „Le prophète" (1972) (= Diss. Northwestern Univ.); I. L. THOMSON, M. and His Contemporaries (1972) (= Diss. Columbia Univ.); S. DOHRING, Formgesch. der Opernarie (Itzehoe 1975); DERS., Les oeuvres tardives de M., in: SMZ 115 (1975); Die Couleur locale in der Oper des 19. Jh., hrsg. v. H. BECKER (Rb 1976) (= Stud. zur Musikgesch. des 19. Jh. 42); J. H. ROBERTS, The Genesis of M.'s „L'africaine" (Berkeley 1977) (= Diss. Univ. of California); C. DAHLHAUS, Motive der M.-Kritik, in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforsch. 1978 (B 1979); H. BECKER, G. M. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1980): DERS., M. u. seine Vaterstadt Berlin, in: Stud. z. Gesch. Berlins im frühen 19. Jh., hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1980) (= Stud. zur Musikgesch. des 19. Jh. 56); DERS., ,,... der Marcel von M.", in: Jb. des Staatl. Inst. für Musikforsch. 1979 (B 1980). H. BECKER
MEYER VON SCHAUENSEE, Franz Joseph Leonti, * 10.8.1720 Luzern, t 2. 1.1789 ebd.; Schweizer Komponist. Er studierte 1739-41 in Mailand Cembalo und Violine. 1742-44 nahm er als Offizier in sardischen Diensten an den italienischen Feldzügen des Österreichischen Erbfolgekrieges teil, ließ sich 1745 in Luzern nieder und wurde Ratsherr, 1752 Priester und Stiftsorganist zu Luzern sowie 1765 Chorherr und Leiter der Kirchenmusik an der Stiftskirche. M. gründete 1760 ein Musikkollegium und, mit dem Ziel der politischen und religiösen Erneuerung der Schweiz, 1768 die Helvetische Konkordiagesellschaft, für deren Tagungen er verschiedentlich kompositorisch tätig war. Stilistisch ist er besonders der Neapolitanischen Schule verpflichtet. WW: Im Druck erschienen (Unterammergau, Augsburg, Zug 1748-63, als op. 1-7) Arien, Te Deum, Marianische Antiphonen, Messen, Vespergesänge für Singstimmen u. Instr. sowie 4 Konzerte für Org. oder Cemb., op. 8 (Nü 1764). Hsl. erhalten: weitere kirchenmusikal. Werke, darunter eine 3chörige Festmesse (darin ein Concerto rappresentando una battaglia musicale); Quodlibet u. Musikalischer Ehrenstreit (1780) für 4 SingSt u. Instr.; Singspiele Hans Hüttenstock (1769) u. Die Engelbergische Talhochzeit (1781). Lit.: E. KOHLER, F. J. L. M. von Sch., Ein Beitr. z. Musikgesch. der Schweiz im 18. Jh. (Frauenfeld - L 1922) (mit Werkverz.); J. A. SALADIN, Die Musikpflege am Stift St. Leodegar in Luzern (Stans 1948).
MEZZA VOCE (it., = mit halber Stimme; Abk. m. v.), Vortragsanweisung in Vokalpartien, die oft in Beziehung steht zum Inhalt oder zur Stimmung des m. v. zu singenden Textes bzw. zu einer bestimmten dramatischen Situation (z. B. schreibt G. Verdi für den Anfang von Simone Boccanegra vor: „tutta questa scena a mezzavoce"). Auch in der Instrumentalmusik wird m. v. verwendet, so etwa
Michael von L. van Beethoven in langsamen Sätzen mit kantabler Melodik (z. B. in der Klaviersonate op. 109).
MEZZOFORTE /forte. MEZZOPIANO /piano. MEZZOSOPRAN (von it. mezzo soprano = halber Sopran; engl., frz. und span.: mezzo-soprano; it.: mezzosoprano), in der mehrstimmigen Vokalmusik des 16./17. Jh. vereinzelt Bz. für eine Vokalpartie zwischen Sopran und Alt, die im c-Schlüssel auf der 2. Linie von unten (sog. M.-Schlüssel) notiert ist. — Sonst allgemein gebräuchliche Bz. für eine weibliche Stimmgattung mit dem Tonumfang von etwa a bis a2. Im Vergleich zum Sopran besitzt der M. in der Höhe weniger Leichtigkeit, in der Tiefe aber einen weitergespannten Bereich des Brustregisters, und sein Timbre ist voller und dunkler. In der Opernpraxis haben sich seit dem 18. Jh. für die M.-Partien verschiedene Fächer ausgeprägt, für die bestimmte Opernrollen als charakteristisch gelten: Koloratur-M. (Rosina in G. Rossinis 11 barbiere di Siviglia), dramatischer M. (Amneris in G. Verdis Aida, Eboli in Don Carlos) und lyrischer M. (Maddalena in Verdis Rigoletto). Die Grenzen sind jedoch sowohl zum Sopran als auch zum Alt hin fließend. Der M. wird in der Oper auch für Hosenrollen (Octavian in R. Strauss' Der Rosenkavalier) herangezogen. Ein reiches Repertoire bietet sich dem M. in den kirchenmusikalischen Werken, z. B. in den Kantaten und Passionen J. S. Bachs sowie im deutschen und französischen Lied. MEZZROW, Men (eig. Milton Mesirow), * 9. 11. 1899 Chicago, t 5. 8.1972 Neuilly-sur-Seine; amerik. Jazzmusiker (Klarinette, Saxophon). Er spielte in den 20er Jahren in Chicago, u. a. bei der „Austin High School Band", danach vor allem in Klubs, besaß 1945-48 die Schallplattenfirma King Jazz und trat seit 1948 hauptsächlich in Frankreich auf. M. hat in der Jazzwelt vor allem als Manager einen Ruf. Er machte mit vielen Größen des traditionellen Jazz Schallplattenaufnahmen, u. a. mit Louis Armstrong, Fats Waller und Sidney Bechet, war für diese aber kein adäquater Partner. Eine Autobiographie erschien unter dem Titel Really the Blues (NY 1946, Lo 1961), dt. Obers.: Jazz-Fieber (Z 1946).
alterlichen Musiktheorie warnte der Satz „mi contra fa est diabolus in musica" (mi gegen fa ist der
Teufel in der Musik) vor dieser doppeldeutigen Intervallbezeichnung, die sich bei Folgen von Tönen aus verschiedenen Hexachorden ergeben konnte: z. B. aus dem Hexachordum durum und Hexachordum naturale (mi = h [6], fa = f) oder aus dem Hexachordum naturale und Hexachordum molle (mi = e, fa = b [ b ] ). Das Intervall mi — fa ergab einen /Tritonus. Durch Vorzeichnung eines b statt h oder eines q statt b konnte dieser /Querstand vermieden werden. — Im Französischen, Italienischen und Spanischen ist Mi der Ton /E. MIČA. — 1) František Víidav, * 5.9.1694 Třebíč (Mähren), t 15. 2. 1744 Jaroměřice; böhmischer Sänger und Komponist. 1722 bis zu seinem Tode war er Kapellmeister beim Grafen Questenberg in Jaroměřice. Er schrieb als erster 5 tschechischsprachige Opern sowie Kantaten und Oratorien. — 2) František Adam (eig. Jan Adam Frantisek de Paula M.), Neffe von 1), * 11. 1. 1746 Jaroměřice, t 19.3. 1811 Lemberg; böhmischer Komponist. Er studierte Jura in Wien und trat in den österreichischen Staatsdienst ein, wurde 1803 Hofrat und 1807 Landespräsident. 1810 wurde er in den Ritterstand erhoben. W. A. Mozart, der seine Werke schätzte, war mit ihm befreundet. WW: 6 Streichquartette; 4 Harfensonaten (1781); Symphonien; Tänze für Orch.; 4 V.-Konzerte (1777-81); Oratorium David(' padesátýžalm, UA: Leopoldi 1813; Singspiel Bernardon die Gouvernante, UA: Prag 1761; komische Oper Adrast und Isidor oder Die Nachtmusik (nach Molière), UA: Wien 1780. Ausg.: Zu 2): Symphonie D-Dur, hrsg. v. J. RACEK (Pr 1946); Streichquartett C-Dur, hrsg. v. J. BACHTIK — A. NEMEC (1946) (= MAB 6); Concertino notturno, hrsg. v. J. RACEK—F. BARTOŠ (1954) (= MAB 19); Ob.-Quartett C-Dur, hrsg. v. H. STEINBECK (W 1967) (= Diletto mus. 258). Lit.: J. BuŽGA, M., in: MGG IX.
mf, Abk. für mezzoforte. — /forte.
MICHAEL. —1) Rogier (R. M. von Bergen), * um 1554 Mons (Hennegau), t nach dem 25. 1. 1619 Dresden; franko-flämischer Komponist. Er war Chorknabe der kaiserlichen Kapelle in Wien und seit 1564 der Kapelle Erzherzog Karls II. in Graz, wo er Schüler von A. Padovano wurde. 1572-74 gehörte er als Tenorist der Ansbacher Hofkapelle, seit 1574 der kursächsischen Hofkapelle in Dresden an und erhielt dort 1587 das Amt des Kapellmeisters, das nach seinem Tod H. Schütz übernahm. Seine Söhne Christian (t 1637) und Samuel (t 1632) waren Organisten in Leipzig. Zu seinen Schülern gehörte J. H. Schein. Von M. stammen die frühesten Weihnachts-Historien (/Historia).
MI, die dritte /Solmisations-Silbe, die im mittelalterlichen /Hexachord-System je nach Transposition die Töne e, a oder h bezeichnete. In der mittel-
WW: Die Gebräuchlichsten u. vornembsten Gesenge D. M. Luther, 53 Choräle für 4 St. (Dresden 1593) (= 2. Teil des Dresdener Gesangbuchs); Introitus Dominicorum dierum für 5 St. (L 1603); hsl. erhalten: Te Deum für 6St. (1595) sowie 2 Historien
Lit.: H. PANASSIÉ, Hist. des disques swing enregistrés à New York par T. Ladnier, M. M., F. Newton, etc. (G 1944), revidiert als: Quand M. enregistre (P 1952) (mit einem Vorwort v. M.).
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Michaels Die Empfängnis unseres Herrn u. Die Geburt ... für 1-6 St. (1602).
2) Tobias, Sohn von 1), * 13.6. 1592 Dresden, t 26. 6. 1657 Leipzig; dt. Komponist. Er wurde 1601 Diskantist der Dresdner Hofkapelle, studierte später an den Universitäten Leipzig und Wittenberg und lebte 1619-30 als Kapellmeister in Sondershausen. 1631 wurde er als Nachfolger J. H. Scheins Thomaskantor in Leipzig. WW: Musikalische Seelenlust, geistliche Konzerte für 1-5 St., Instr. u. B.c., 2 Teile (L 1634, 1637); ferner zahlr. Motetten u. Gelegenheitswerke hsl. erhalten. Ausg.: Zu 1): Die beiden Historien, in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik I/2-3, hrsg. v. K. AMELN — CH. MAHRENHOLZ — W. THOMAS (Gd 1974). — Zu 2): Adventskonzert Machet die Tore weit für Tenor, Sst. gem. Chor u. Instr., hrsg. v. A. ADRIo (B 1948, NA 1958). Lit.: Zu 1): O. KADE, R. M., in: MfM 2 (1870); R. KADE, Der Dresdner Kapellmeister R. M., in: VfMw 5 (1889); J. FRANK, Die Introitus-Kompositionen v. R. M. (Diss. Gießen 1937); H. OSTHOFF, Die Historien R. M.s, in: FS A. Schering (B 1937); H. FEDERHOFER, Jugendjahre u. Lehrer R. M.s, in: AfMw 10 (1953). — Zu 2): J. K. MUNSON, The „Musikalische Seelenlust" of T. M., 2 Bde. (1953) (= Diss. Univ. of Rochester); E. KAPST, T. M. u. seine „Musikalische Seelenlust" (Diss. Halle 1955); A. ADRIO, T. M.s „Musikalische Seelenlust" (1634/37), in: FS H. Osthoff (B 1961).
MICHAELS, Jost, * 25.2. 1922 Hamburg; dt. Klarinettist, Pianist und Dirigent. Nach einer Ausbildung bei seiner Mutter, der Komponistin Ilse Fromm-Michaels (1888-1986), studierte er an der Musikhochschule in Hamburg, wurde 1942 1. Klarinettist im Städtischen Orchester Göttingen und war 1945-50 Solo-Klarinettist im Symphonieorchester des NWDR in Hamburg. Seit 1949 lehrt er an der Musikhochschule in Detmold (1957 Professor). Als Solist bereiste M. u. a. auch Südamerika, Südafrika und Asien. Er gründete das Detmolder Bläserquintett und den Detmolder Bläserkreis und tritt daneben seit 1946 auch in einem eigenen Trio auf. M. gab ältere Klarinettenmusik heraus und schrieb einige Aufsätze, u. a. in der Zeitschrift Das Orchester (1955-58). Lit.: G. ALBERT, J. M., in: Tibia 4 (1979).
MICHELI, Romano, * 1575 oder 1578 Rom, t nach 1659 oder nach 1662 ebd.; it. Komponist. M. war Geistlicher und Schüler von Fr. Soriano und G. M. Nanino. 1596-98 war er Musiker des Fürsten Gesualdo da Venosa in Italien, wirkte nach Reisen durch Italien 1609-10 als Kapellmeister in Tivoli, 1616 in Concordia bei Udine, 1618-20 in Aquileia bei Udine und seit 1625 an San Luigi dei Francesi in Rom. Seit 1636 lebte er längere Zeit als Kanonikus in Neapel und zuletzt in Rom. M. verdient vor allem wegen seiner kunstvollen und raffinierten Kanons Erwähnung. WW: 2 Bücher Psalmen für 3 St. u. B.c. (R 1610, V 1615); Musica
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vaga et artificiosa, Motetten u. Kanons (V 1615); Compieta für 6 St. (V 1616); Madrigali für 6 St. in canone (R 1621); Dialogua Annuntiationis B. M. Virginia für 20 St. (R 1625); ferner mehrere Drucke mit Kanons. — Zahlr. Schriften, u.a.: Certezza d'artificii musicali (V 1621); Copia di lettera (V 1621); Avviso, invito da me R. M.... (R 1650). Lit.: R. CASIMIRI, R. M. e la Cappella Sistina del suo tempo, in: Note d'archivio 3 (1926); C. V. PALISCA, M., in: MGG IX; H. E. SMITHER, R. M.'s „Dialogua annuntiationis" 1625. A TwentyVoices Canon with „Obblighi", in: Anal. Mus. 5 (1968) (mit Übertragung).
MICHNA Z OTRADOVIC (Michna von Otradovic), Adam Vádav, * um 1600 Neuhaus (Böhmen; heute Jindřichův Hradec), t zwischen 30.6. und 16. 10. 1676 ebd.; böhmischer Dichter und Komponist. Seine musikalische Ausbildung erhielt er wahrscheinlich im Jesuitenkolleg seiner Geburtsstadt. 1633 wird er als Organist erwähnt. Neben P. Vejvanovský gehört M. zu den bedeutendsten böhmischen Komponisten des 17. Jahrhunderts. Er schrieb hauptsächlich Kirchenmusik im konzertierenden Stil. WW: Zahlr. kirchenmusikal. Werke, in: Sacra et litaniae (Pr 1654) sowie hsl. — Er gab heraus: Česká mariánská muzyka (Tschechische Marienmusik) (Pr 1647); Loutna česká (Tschechische Laute) (Pr 1653); Svatoroční mučeská (Musik für das hl. Jahr) (Pr 1661). Ausg.: Loutna česká, hrsg. v. E. TROLDA (Pr 1943); Missa S. Wenceslai, hrsg. v. J. SEHNAL (Pr 1966) (= MAB 11/ 1 ). Lit.: J. MUK, A. M. z Otradovic (Neuhaus 1941); O. URBAN, Sacra et litaniae A. Michny z Otradovic (Diss. Brünn 1948); J. ButGA, Der tschechische Barockkomponist A. M. z Otradovic um 1600-1676, in: FS H. Besseler (L 1961); J. SEHNAL, Renaissanceerbe u. neues Denken in den Kirchenmelodien v. A. M. mit Bezug auf die dichterisch-metrische Vorlage, in: Colloquium Music and Word (Brünn 1973).
MIDSUMMER MARRIAGE, THE, Oper von M. Tippett; dt. Titel: řMittsommer-Hochzeit. MIDSUMMER NIGHT'S DREAM, A, Oper von B. Britten; dt. Titel: Ein 7Sommernachtstraum. MIEG, Peter, * 5.9.1906 Lenzburg (Aargau); Schweizer Komponist. Er studierte Kunst- und Musikgeschichte, Deutsche Literatur und Archäologie an den Universitäten Zürich, Basel und Paris und promovierte 1933 an der Universität Zürich zum Dr. phil. im Fach Kunstgeschichte. Daneben nahm er Klavierunterricht bei E. Frey in Zürich und Kompositionsunterricht bei Fr. Martin in Genf. M. war als Kunstkritiker, Maler und Schriftsteller tätig, widmete sich seit 1950 aber vorwiegend der Komposition. In seinen Werken sind besonders Einflüsse von B. Bartók und I. Strawinsky erkennbar. WW: Sur les rives du Lac Léman (1968) für V. u. Klv.; La passeggiata (1968) für Klv. zu 4 Händen u. Lettres á Goldoni (1971) fur Klv.; Quintett für Fl., 2 V., Vc. u. Cemb. (1969); Morceau élégant (1969) für Fl. u. Harfe; Les humeurs des Salis (1970) für Fl. u. Cemb.; La sombre (1970) für V.; Canto lirico (1970) für Engt. Horn; Les jouissances de Mauensee (1971) für 3 Fl.; Toccata, Arioso, Gigue (1959) für Str. — Für Orch.: Rondeau symphonique
Mignone (1964); Meilener Ballette (1966) für Streichorch.; Konzerte für: V. (1949, revidiert 1959); Ob. (1957); Klv. (1961); F1. u. Streichorch. (1962); Harfe u. Streichorch. (1969); Vc. (1966); 2 FI. u. Str. (1973); Konzertstück für Klv. zu 4 Händen u. Streichorch. (1969). - Kantate Der Frühling (1956); Mit Nacht und Nacht (1962) für Tenor u. Orch.; 3 Gesänge für Tenor u. Klv. (1968) (Text: H. von Hofmannsthal). Lit.: F. MUGGLER, in: SMZ 103 (1963) (mit Werkverz.).
MIELCZEWSKI (Mielcowski, Milchevsky, Milczewski, Milszewski, Myltzewsky), Marcia, * 1590, t September 1651 Warschau; poln. Komponist. Er war zunächst Mitglied der Kapelle des Bischofs von Plock und soll sich mehrere Jahre am Hof König Christians IV. von Dänemark aufgehalten haben. 1639 trat er in die Kapelle König Wladislaws IV. ein und war 1644-51 Kapellmeister des Kronprinzen Karl Ferdinand von Polen. WW: Hsl. sind erhalten: Orgelstücke; 14 Motetten für 4-8 St. mit Instr.; einige Messen; Magnificat; 6 Kanzonen für 3 oder 4 Instrumentalst. - Ein Kanon, in: M. Scacchi, Cribrum musicum (V 1643); Deus in nomine tuo für Baß u. Instr., in: J. Havemann, Jesu Hilf (Jena 1659). Ausg.: Deus in nomine tuo, hrsg. v. A. CHYBINSKI K. SIKORSKI (1929, NA 1961) (= WDMP 2); Canzona für 2 V., Fag. (oder Vc.) u. B.c., hrsg. v. A. CHYBIŇSKI - Z. JAHNKE (1930, NA 1961) (= ebd. 6) ; Concerto Veni domine, hrsg. v. Z. M. SZWEYKOWSKI (1956, 2 1963) (=ebd. 29); Canzon prima a 2 u. Canzon terza a 3, in: Musica antiqua Polonica. Barok II, hrsg. v. DEMS. (Krakau 1969). Lit.: J. STt SZEWSKI, M. M.ego „Canzon prima a 2"..., in: Muzyka 12 (1967).
MIES, Paul, * 22.10.1889 Köln, t 15.5.1976 ebd.; dt. Musikforscher und Musikpädagoge. Er studierte Mathematik, Physik und Musikwissenschaft (L. Wolff) an der Universität Bonn und promovierte 1912. Nach dem 1. Weltkrieg war er 1919-39 Studienrat am Humboldtgymnasium in Köln, nach dem 2. Weltkrieg 1946-54 Professor und Leiter der Abteilung für Schulmusik an der Musikhochschule Köln. M., der sich in seinen überaus zahlreichen Schriften hauptsächlich mit den Werken großer Meister des 18./19. Jh. beschäftigte, hat insbesondere der Beethovenforschung wichtige Impulse gegeben. Schriften: Über die Tonmalerei, in: Zschr. für Ästhetik u. allgemeine Kunstwiss. 7 (1912); Stilmomente und Ausdrucksformen im Brahmsschen Lied (L 1923); Die Bedeutung der Skizzen Beethovens zur Erkenntnis seines Stils (L 1925, Nachdr. Hil 1974); Der Charakter der Tonarten (Kö 1948); Das kölnische Volks- u. Karnevalslied (Kö 1951) (= Denkmäler rheinischer Musik 2); F. Schubert (L 1954); Textkritische Untersuchungen bei Beethoven (Duisburg 1957); Studien zum Klavierspiel Beethovens u. seiner Zeitgenossen (Bonn 1966) (zus. mit H. Grundmann); Das instrumentale Rezitativ (ebd. 1968); Das Konzert im 19. Jh. Studien zu Formen u. Kadenzen (ebd. 1972); ferner zahlreiche Beiträge zu Zschr.en. - Gesammelte Aufsätze erschienen-als Bilder und Buchstaben werden Musik (Rodenkirchen 1964). - Er gab einzelne Bde. der Haydn- u. Beethoven-GA heraus u. war 1963-72 Mithrsg. des Beethoven-Jb. Lit.: Autobiographie (mit Schriftenverz.), in: Rheinische Musiker 1 (Kö 1960) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 43).
MIGNON, Opéra-comique in 3 Akten von Ambroise Thomas (1811-96), Text von Michel Carré und Jules Barbier nach J. W. von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ort und Zeit der Handlung: Deutschland und Italien, um 1790. UA: 17. 11. 1866 in Paris (Opéra-Comique); dt. EA (in dt. Sprache): 13. 4. 1868 in Weimar. Das Autorenteam bearbeitete die literarische Vorlage sehr frei und schuf eine Liebesgeschichte, deren Hauptfigur die von Wilhelm Meister aus den Händen von Zigeunern befreite Grafentochter Mignon (eig.: Sperata) ist. Sie verliebt sich in ihren Retter und entreißt ihn ihrer Rivalin, der Schauspielerin Philine. Es existieren vier verschiedene Schlußfassungen dieser Oper, vom tragischen bis zum glücklichen Ausgang; in Deutschland hat sich die Version durchgesetzt, in der Mignon ihren Vater wiederfindet und Wilhelm zum Gatten bekommt — ein Dankgebet (Terzett) steht als Finale. — Thomas' Werk bildet einen der Höhepunkte in der Geschichte der lyrischen Oper und setzt die von Ch. Gounod begründete Tradition der Gattung erfolgreich fort. Treffend ist die musikalische Charakterisierung: Der koketten Philine, die sich mit der berühmten Polonaisenarie Je suis Titania la blonde (Titania ist herabgestiegen) vorstellt, tritt Mignon mit ihrem schwermütigen Connais-tu le pays? (Kennst du das Land?) gegenüber. Durch Tanzstücke wie Zigeuner-Romanze, Styrienne und Forlana schafft Thomas effektvolle Kontraste, die neben Melodienreichtum und rhythmischer Vielfalt das musikalische Bild dieser Oper bestimmen. R. QUANDT
MIGNON, Jean, * Mitte des 17. Jh., t 1708 Paris (?); frz. Komponist. Er war Chorknabe an NotreDame in Paris, später Kapellmeister der Kathedrale in Senlis und 1664-94 an Notre-Dame in Paris. Seine Messen im a cappella-Stil ohne B.c. wurden bis 1744 wiedergedruckt und gehörten lange zum Repertoire der Maîtrise von Notre-Dame. W W : Airs de cour et airs à boire für 2 St. (P 1660); Airs à 4 parties (P 1664); 6 Messen für 4-6 St. (P 1676-1707). Ausg.: Kyrie, Gloria u. Sanctus aus den Messen Johannes est nomen ejus u. Laetitia sempiterna, hrsg. v. F. L. CHARTIER, in: Histoire de la Maitrise de Notre-Dame de Paris (P 1897). Lit.: D. TAITZ-DESOUCHES, J. M. 1640-1710, in: Rech. Mus. 14 (1974).
MIGNONE, Francisco, * 3. 9. 1897 Sao Paulo,
t 18.2. 1986 Rio de Janeiro; brasilianischer Komponist. Er studierte 1913-17 am Konservatorium in Sao Paulo und setzte 1920 seine Studien bei Vincenzo Ferroni in Mailand fort. 1929 kehrte er nach Brasilien zurück, lehrte zunächst am Konservatorium von Sao Paulo und 1932-67 an der Escola nacional de música der Universität in Rio de Ja309
Migot neiro. M. schrieb Opern, Ballette und symphonische Dichtungen, von denen Festa das Igrejas am bekanntesten wurde. Seine Autobiographie trägt den Titel A parte do anjo (Sáo Paulo 1947). WW: Klv.-Stücke u. zahlr. Kammermusik, u. a.: 3 V.-Sonaten (1964, 1965, 1966); 2 Streichquartette (1956, 1957); 2 Bläserquintette (1960, 1962); 2 Trios für Ob., Klar. u. Fag. (1967, 1968). - Für Orch.: Babalorá (1936); Sinfonia do trabalho (1939); Sinfonia tropical (1958); 4 Fantasias brasileiras (1929, 1931, 1934, 1936); symphonische Dichtungen Caramerú (1917), Festa dionisiáca (1923) u. Festa das Igrejas (1940); Konzerte f ür: Klv. (1958); V. (1961); V., Klv. u. Orch. (1966). - Lieder u. Chöre; Oratorien Alegrias de Nossa Senhora (1948) u. Santa Clara (1962) für Soli, Chor u. Orch.; 7 Messen (1962-68) für Chor a cap. - Oper O contradador dos diamantes, UA: Rio de Janeiro 1924; Operette Maracatú de chicorei, UA: ebd. 1939; Ballette, darunter: O guarda chuva, UA: Sáo Paulo 1954, u. Sugestöes sinfónicas (1969). Lit.: Werkverz., in: Compositores de América 4 (Washington/D.C. 1958, Nachdr. 1962); M. VERHAALEN, F.M., His Music for Piano, in: Inter-American Music Bulletin (1970/71) Nr.79 (mit Werkverz.).
MIGOT, Georges Elbert, * 27. 2. 1891 Paris. t 5. 1. 1976 Levallois; frz. Komponist. Ursprünglich zum Arztberuf bestimmt, studierte er seit 1913 am Pariser Conservatoire u. a. bei Ch.-M. Widor (Komposition), V. d'Indy (Orchestration), A. Guilmant und E. Gigout (Orgel). Nach Kriegsdienst und Verwundung setzte er seine Kompositionstätigkeit (bereits 1911 war eine Violinsonate gedruckt worden) fort, widmete sich daneben der Malerei, die er zeit seines Lebens meisterhaft beherrschte, und wandte sich auch ästhetischen Fragen zu (vgl. die Essais pour une esthétique générale, 1920). In den Nachkriegsjahren erhielt er für seine Kompositionen mehrere Preise, darunter den angesehenen Prix de la Fondation Blumenthal. Bald wurden zahlreiche Werke M.s in Frankreich und in anderen Ländern von bekannten Dirigenten aufgeführt. Kompositorischer Höhepunkt in den 30er Jahren wurde sein erstes Oratorium Sermon sur la montagne (1936), dem mitten im Krieg M.s bedeutendstes Werk, La passion, folgte. Beide bilden mit den späteren Werken über die Verkündigung, die Geburt, die Grablegung und die Auferstehung Christi einen großen oratorischen Zyklus. Diese betont christliche Orientierung führte M. freilich in eine bewußte Isolierung von der europäischen Musik der Nachkriegszeit und in eine persönliche Zurückgezogenheit, wobei er der materiellen Sorgen durch die Tätigkeit als Konservator des Instrumentenmuseums des Pariser Conservatoire (1949-61) enthoben war. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: 8 Préludes (1925); Le Zodiaque (1931-32), 12 Konzertetüden; 3 Sonaten; für Org.: 2 Livres d'orgue (1937, 1954); 3 Pièces (1959); Sonaten u. a. Stücke für versch. Instr. allein (V., Va., Vc., Klar., Fag.): für Gitarre: Hommage à C. Debussy (1924), danach die Sonate luthée (1949) für Harfe;
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Sonate (1960); 2 Préludes (1961) u. Sonate (1962) für 2 Gitarren; Sonaten, Dialogues u. a. Stücke für V. u. Klv., für Vc. u. KIv., für Fl. u. Klv.; Suiten, Sonaten u. a. Stücke für 2 gleiche oder versch. Instr. ohne KIv.; Trios für versch. Besetzungen mit u. ohne Klv.; 3 Streichquartette u. Quartette für andere Besetzungen. - Für Orch.: 13 Symphonien (1919-67) (teilweise ungedruckt) für Orch., Kammerorch. u. Blasorch., einige von ihnen nach eigenen Klv.- oder Org.-Stücken, einige mit bestimmten Titeln (1: Les agrestides, 5: Sinfonia da chiesa, 12: Les nombres); Livre de dan series (1929); Konzerte für Klv. (1962) u. Cemb. (1964); Dialogues u. Suiten für V., für Klv., für Harfe, für Vc. u. Orch.; La jungle (1928) für Org. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Lieder ohne Begleitung; zahlr. Klv.-Lieder u. -Liederzyklen, u. a. Poèmes du Brugnon (1933) (Text: T. Klingsor); Lieder mit versch. Instr., u. a. 6 Tétraphonies (1945) mit Fl., V. u. Vc.; Chorwerke a cap. u. mit Instr., u. a. Chansons; Le petit évangéliaire (1952); weltliche Kantaten, u. a. Du ciel et de mer (1961) für Kinderchor, Frauenchor u. Orch.; Kirchenmusikal. Werke: Requiem a cap. (1953); Liturgie oecuménique (1958-59) für 3 gleiche St. u. Org.; 5 Cantiques (1959) u. Répons et cantiques liturgiques (1963-65) für gem. Chor oder Gemeindegesang u. Org.; 35 Psaumes nouvellement harmonisés (1961) für Org. oder gem. Chor. - Oratorien: Le sermon sur la montagne (1936); La passion, 12 épisodes (1941-42); L'Annonciation (1945-46); Saint Germain d'Auxerre (1947); La mise au tombeau (1949) (unveröff.); Les nativités (1951); La résurrection (1953) (unveröff.); La nativité de N.-S. (1954); Nuit pascale et résurrection (1955); L'ecclésiaste (1963) für Bar., Chor u. Orch. - 3) Buhnen-WW: Symphonie lyrique et chorégraphique Hagoromo (Libr.: L. Laloy), UA: Monte Carlo 1922; Ballett La fete de la bergère (1925); Kammeroper Le rossignol en amour (1926) (Libr.: G. M.), UA: Genf 1937. - 4) Schriften: Essais pour une esthétique générale (P 1920, 2 1937); Appogiatures résolues et non résolues, 3 H.e (P 1922-31); J.-Ph. Rameau et le génie de la musique française (P 1930); Les écrits de G. M., gesammelt v. J. Delaye (P 1932); Lexique de quelques termes utilisés en musique (P 1947); Poèmes, 2 Bde. (Ge 1950-51); Kaléidoscope et miroirs ou les Images multipliées et contraires (1956), zus. mit Matériaux et inscriptions (Toulouse 1970).
M., der außerhalb seines Landes vergleichsweise unbekannt geblieben ist, nimmt in der französischen Musikgeschichte unseres Jh. gleichwohl eine Sonderstellung ein. Sein Schaffen ist von enormem Umfang und von seltener Vielfalt der Gattungen und Dimensionen. Er verarbeitete im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung mannigfache stilistische und ästhetische Anregungen: aus der Vokalmusik der Renaissance, aus der Kunst der französischen Lautenisten, aus den Werken J.-Ph. Rameaus wie G. Faurés und Cl. Debussys, aber auch aus der fernöstlichen Kultur und dem Gesang der Vögel. So schuf er sich um 1930 eine musikalische Sprache von unverkennbarer Originalität. Wichtigste Kennzeichen sind ihre Verankerung in der Diatonik, ihre lyrische Grundhaltung, ihre Kantabilität im Vokalen und Instrumentalen, das Streben nach Ausgleich und Ausgewogenheit aller satztechnischen und klanglichen Mittel und nach differenziertem Ausdruck. M.s individuellste Leistung war es, die geistliche und weltliche Vokal- und insbesondere die Chormusik seiner Zeit in Frankreich zu gleicher Höhe mit der Instrumentalmusik geführt zu haben. Es scheint, daß er damit einer Er-
Mikado
neuerung der Chormusik in diesem Lande die Zukunft gesichert hat. An der wissenschaftlichen und praktischen Erschließung seines (Euvres hat M. Honegger entscheidenden Anteil. Seit 1976 existiert auch eine Vereinigung „Les amis de 1'oeuvre et de la Pensée de G. M." mit Sitz in Straßburg.
de France. Seine Musik ist durch eine erweiterte, gelegentlich auch Dodekaphonie einbeziehende Chromatik gekennzeichnet. Seine Rhythmen, Tonarten und Melodien sind häufig von rumänischer Volksmusik geprägt. M. war mit der Pianistin Monique Haas verheiratet.
Lit.: Catalogue des ceuvres musicales de G. M., hrsg. v. M. HONEGGER (Str 1977). - L. VALLAS, G. M. (P 1923); P. WOLFF, La route d'un musicien. G. M. (P 1933); M. HONEGGER, versch. Art., in: Musica 8 (1954), MuK 31 (1961), Musica 19 (1965); M. PINCHARD, Connaissance de G.M. (P 1959); J. RoY, Présences contemporaines (P 1962); H. MORISSETTE, L'oratorio français des origines à G. M. (Diss. Montreal 1970); L. POIRIER, G. M. et la musique d'orgue (Diss. Str 1972); J. VIRET, Mélodie et polymélodie dans l'reuvre de G.M., in: Chant choral 9 (1976). G. MASSENKEIL
WW: 1) Inslr.-WW: Klv.-Stücke, u. a.: Récit (1973); Mélopée (1973) für Ob.; Textes (1975) für Va.; 3 Streichquartette (1923, 1931, 1946); Bläsertrio (1955); zahlr. Sonaten (teilweise mit Klv.), u. a. für: Va. (1942); V. u. Vc. (1944); Vc. solo (1949); V. solo (1949); Klar. (1958); Fag. (1958); Tenorsaxophon Chant premier (1973); ferner Périples (1967) für Kammerorch. - Für Orch.: 5 Symphonien (1951, 1952, 1960, 1963, 1966-69); Toccata für Klv. u. Orch. (1938, revidiert 1940); Symphonies pour le temps (1944); Prétextes (1968) für Ob., BaBklar., Klv., 4 Schlagzeuger u. Streichorch.; „Action symphonique" Borne (1970). 2) Vokal-WW: Kantate La genèse (1935-40) (Text: Y. Goll) für Bar., Chor u. Orch.; 5 Motetten „sur un mot" Mémorial a cappella (1952); Cantilène (1972) für Mezzosopran u. Kammerorch. 3) Bibnen-WW: Opern: L'intransigeant Pluton, UA: ORTF 1939; Phèdre (Libr.: Y. Goll), UA: Stuttgart 1951; Die Heimkehr (nach G. de Maupassant), UA: Düsseldorf 1954, 2. Fassung Hamburg 1955; Krapp (ou La dernière bande) (nach S. Beckett), UA: Bielefeld 1961; Opéra-bouffe Les jumeaux (nach Plautus), UA: Braunschweig 1963. - Ballette: Une vie de Polichinelle, UA: Paris 1923; Le postillon du roy (1924); Divertimento, UA: Paris 1925; Karagueuz, UA: Chicago 1926; Thésée au labyrinthe, UA: Braunschweig 1957, 2. Fassung als : Scènes de Thésée, Köln 1958; Alternamenti, UA: Braunschweig 1959.
MIHALOVICH, Ödön (Edmund), * 13. 9. 1842 Feričance (Slawonien), t 22.4.1929 Budapest; ung. Komponist. Er war seit 1860 Schüler von M. Mosonyi in Pest, 1865 von M. Hauptmann in Leipzig und 1866 noch von P. Cornelius in München. 1865 lernte er in München R. Wagner kennen, dessen Pester Konzerte 1863 seiner musikalischen Entwicklung die entscheidende Richtung gegeben hatten. Nach Pest zurückgekehrt, setzte er sich für die Gründung eines Wagner-Vereins ein, den er später leitete. In Pest traf er auch mit Fr. Liszt zusammen, der ihn schätzte und förderte. Seit 1881 leitete er die Schauspielschule und nach dem Tod Liszts 1887-1919 die Landesmusikakademie. Während dieser Zeit versammelte er die wichtigsten Persönlichkeiten des ungarischen Musiklebens um sich, darunter B. Bartók und Z. Kodály. M. war als Komponist ein Wagner-Epigone konservativer Prägung, der an der von Liszt und Mosonyi eingeleiteten national -ungarischen Bewegung nicht teilnahm. WW: Klv.-Stücke; Ouvertüren; symphonische Dichtungen; 4 Symphonien (1879, 1892, 190(1, 1902); Klv.-Konzert; Lieder u. Chöre. - Opern: Toldi, UA: Budapest 1893; Hagbart und Signe, UA: Dresden 1908; Eliane, UA: Budapest 1908.
MIHALOVICI, Marcel, * 22. 10. 1898 Bukarest, t 12.8. 1985 Paris; frz. Komponist rumänischer Herkunft. Ersten Musikunterricht erhielt er in seiner Heimatstadt. 1919 ging er auf Anraten G. Enescus nach Paris u. ließ sich dort bald endgültig nieder. An der Schola Cantorum war er bis 1925 Schüler von V. d'Indy. 1932 gehörte er zu den Gründern der Vereinigung „Triton", die der zeitgenössischen Musik wichtige Impulse gab. Er gehörte auch zu der „École de Paris" genannten Gruppe ausländischer Komponisten, die sich zwischen den beiden Weltkriegen in Frankreich gebildet hatte. 1959-62 war er Professor für Morphologie musicale an der Pariser Schola Cantorum. 1964 wurde er korrespondierendes Mitglied des Institut
Lit.: Werkverz. (P 1968) (mit einem Vorwort v. C. Rostand). G. BECK, M. M. (P 1954); C. ROSTAND, in: Melos 25 (1958); C. CHAMFRAY, in: Le courrier musical de France (1966) Nr.15.
MIKADO, DER, oder Ein Tag in Titipu (The Mikado or The town of Titipu), burleske Operette in 2 Akten von Arthur Seymour Sullivan (1842 bis 1900), Text von William Schwenk Gilbert. Ort und Zeit der Handlung: die japanische Stadt Titipu, im 15. Jahrhundert. UA: 14. 3. 1885 in London (Savoy Theatre); EA in dt. Sprache: 13. 2. 1886 in New York; dt. EA: 6. 12. 1888 in Berlin
(Friedrich Wilhelmstädtisches Theater). Die Begeisterung für Japanisches, die durch eine Japan-Ausstellung in London neu entfacht wurde, war das wichtigste auslösende Moment, das zur Entstehung des Mikado, einer Satire auf die viktorianische Gesellschaft in fernöstlicher Verkleidung, führte. Sullivan schuf mit diesem Werk den englischen Typus der Gattung „Operette". Zahlreiche abgegriffene Klischees der musikalischen Unterhaltungsliteratur sind zu einem amüsanten Stilgemisch zusammengestellt. Tanzrhythmen stehen neben Sätzen, die von altenglischen Schiffertänzen beeinflußt sind. Aus der Fülle der sanglichen, von einem Kammerorchester begleiteten Melodien ragen die Kanzonette Ichzieh umher im Land, das gemütvolle Lied Bachstelzchen, das in Form eines Madrigals komponierte Lasset singen uns sodann und das Mikado-Lied Ich kehr' den Humor auf jeden Fall hervor heraus. Trotz aller Proteste (z. B. aus Japan) 311
Mikrophon fand drei Jahre nach der UA schon die 9000. Aufführung statt. „Mikado-Truppen" bereisten die Welt. Neben Shakespeares Sommernachtstraum gehört Der Mikado zu den meistgespielten englischen Bühnenwerken. B. DELCKER MIKROPHON. Als erstes Glied in der /elektroakustischen Übertragungskette dient das M. der Umwandlung von akustischen in elektrische Signale. Grundsätzlich ist es ebenso aufgebaut wie der /Lautsprecher, wobei die jeweiligen physikalischen Prinzipien in ihrer Umkehrung zur Anwendung kommen. Heute sind 3 Grundtypen gebräuchlich: dynamisches, Kristall- und Kondensator-M.: Die Schallwellen treffen auf eine Membran, die entweder auf eine Spule bzw. einen Kristall (Tauchspul- bzw. Kristall- oder Piezo-M.) wirkt oder Teil eines Kondensators ist, der aus einer dünnen, leitfähigen Folie als Membran sowie einer mit Bohrungen versehenen feststehenden Gegenelektrode gebildet wird und dessen Kapazität sich mit der Membranbewegung ändert (Kondensator- und Elektret-M.); diese Kapazitätsänderungen werden mittels eines im M.-Gehäuse eingebauten Verstärkers in entsprechende Spannungsänderungen umgewandelt. Für die Anwendung eines M. entscheidend ist dessen Richtcharakteristik, d. h. dessen Eigenschaft, Schall aus allen Richtungen („Kugel"), nur von vorne („Niere") oder nur von vorne und hinten, nicht aber von den Seiten („Acht") aufzunehmen. Auf diese Weise können unerwünschte Schallanteile '(Raumhall, Störgeräusche) weitgehend unterdrückt werden. MILAN, Don Luis (Luys) de, * um 1500 wahrscheinlich Valencia, t nach 1561 ebd. (?); span. Vihuelaspieler und Komponist. Er lebte am Hof des Vizekönigs Ferdinand von Aragón in Valencia und vermutlich auch einige Zeit am Hof des Königs Joäo III. von Portugal, dem er sein Libro de música de vihuela de mano, intitulado El maestro (Valencia 1535-36) widmete. Dieses Werk ist der früheste spanische Tabulaturdruck und die erste spanische Sammlung mit Werken für řVihuela bzw. /Gitarre. Es enthält 50 Instrumentalstücke (Fantasien, Pavanen und Tientos) und 22 Gesänge (spanische und portugiesische Villancicos, italienische Sonette und spanische Romanzen) mit eigens (in roten Tabulaturziffern) notierter Singstimme. Die meisten Stücke besitzen differenzierte Tempoangaben.
Univ.); J. H. VAN DER MEER, Het „Libro de musica de vihuela de mano” v. L. M., in: Mens en melodie 14 (1959); CH. JACOBS. An Introduction to L. de M.'s „El Maestro", in: The Canada Music Book (1970) Nr. 1.
MILANOV (geborene Kunc), Zinka, * 17.5. 1906 Zagreb; jugoslawische Sängerin (Sopran). Nach ihrem Gesangstudium in Zagreb, Mailand und bei Jacques Stückgold in Berlin debütierte sie 1927 am Opernhaus in Ljubljana als Leonore in G. Verdis Der Troubadour, die ihre berühmteste Rolle war und mit der sie sich 1938 auch an der Metropolitan
Opera in New York vorstellte. 1928-1935 war sie in Zagreb, 1936-37 in Prag und anschließend bis 1966 an der Metropolitan Opera in New York engagiert, wo sie in einer Aufführung des André Chenier von U. Giordano ihren Abschied von der Bühne nahm. Gastspiele führten sie außerdem zu den Salzburger Festspielen, an die Wiener Staatsoper, das Teatro Colón in Buenos Aires und an den Covent Garden in London. Lit.: L. RIEMENS, Z. M., Le grandi voci (R 1964); E. K. EINSTEIN, Z. M. Discography, in: Grand baton V/2 (1968).
MILANUZZI (Milanuzi, Milanuzii), Carlo, * um 1590 Esanatoglia bei Camerino, t nach 1647; it. Komponist. Er gehörte dem Augustinerorden an und wurde 1615 vermutlich Organist an S. Stefano in Venedig, 1619 Organist seines Ordens in Perugia und 1622 Kapellmeister an Sant'Eufemia in Verona. 1623 kehrte er nach Venedig zurück, wo er 1623-30 Organist an S. Stefano war. Seit 1636 wirkte er als Kapellmeister an der Kathedrale von Camerino, 1642 erneut an Sant'Eufemia und 1643 bis zu seinem Tod als Kapellmeister und Organist an S. Mauro Martire in Noventa di Piave. M.s Ariose vaghezze, eine Sammlung strophisch gebauter Arien, sind für die Kenntnis der Entwicklung der italienischen Kantate interessant. WW: 9 Bücher Ariose vaghezze für SingSt u. Cemb. oder andere Instr., mit Gitarrentabulatur (V 1622-43); Sacri rosarum floresfur
2-4 St. u. B.c. (V 1619); Vespertina psalmodia für 2 St. u. B.c. (V 1619); Aurea corona di scherzi poetici für 2-4 St. u. B. c. (V 1620); Letanie für 4 St. u. B.c. mit 2. Chor ad lib. (V 1622); Armonia sacra di concerti, messa e canzoni für 5 St. u. B.c. (V 1622); Sacra cetra concertata für 2-5 St. u. B.c. (V 1625); 2 Bücher Concerti sacri di salmi für 2 u. 3 St. u. B.c. (V 1627, 1643); Messe a tre concertate für 3 St. mit B.c. mit 2. Chor u. Instr. ad lib. (V 1629); Hortus sacer deliciarum für 1-3 St. u. B.c. (V 1636); Compieta intiera für 1-4 St. u. Org. (V 1647). Ausg.: 22 Arien, hrsg. v. G. BENVENUTI (Mi 1923).
Ausg.:
Lit.: S. L. ASTENGO, Musici agostiniani anteriori al secolo 19 (Fi 1929); J. L. A. ROCHE, North Italian Liturgical Music in the Early 17th Century (1968) (= Diss. Univ. of Cambridge).
Lit.: J. B. TREND. L. M. and the Vihuelist (Lo 1925) (= Hispanic Notes and Monographs 11); J.M. WARD. The „Vihuela de mano" and Its Literature 1536-76 (1953) (= Diss. New York
MILDER-HAUPTMANN, Pauline Anna, * 13. 12. 1785 Konstantinopel, t 29.5. 1838 Berlin; östr. Sängerin (Sopran). Nach ihrem Studium u. a. bei
Libro de música, hrsg. v. L. SCHRADE (L 1927) (= PAM 2); dass., hrsg. v. R. CHIESA, 2 Bde. (Mi 1966); dass. (mit engl. übers. der Einleitung), hrsg. v. CH. JACOBS (Univ. Park/Pa. 1971).
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MILDENBURG, Anna, řBahr-Mildenburg.
Milhaud A. Sah eri debütierte sie 1803 am Theater an der Wien. Dort sang sie 1805 und 1814 die für sie geschriebene Partie der Leonore in den Uraufführungen der 1. und 3. Fassung von L. van Beethovens Fidelio. Beethoven schätzte sie hoch, was sich auch in einem Scherzkanon (WoO 169: Ich küsse Sie, drücke Sie an mein Herz, 1816) bekundet. 1816-29 war A. M. die Primadonna der Königlichen Oper in Berlin, wo sie vor allem in den Opern von G. Spontini und Chr. W. Gluck großes Aufsehen erregte. Fr. Schubert schrieb für sie 1828 Der Hirt auf dem Felsen. In der berühmten Wiederaufführung von J. S. Bachs Matthäus-Passion durch F. Mendelssohn Bartholdy in Berlin 1829 sang sie die Sopranpartie. 1836 nahm sie Abschied von der Bühne. Die Zeit-
genossen rühmten ihre große Stimme und ihre außerordentliche darstellerische Ausdruckskraft. Lit.: TH. FRIMMEL, Beethoven-Hdb. I (L 1926, Nachdr. Hil —Wie 1968).
MILFORD, Robin Humphrey, * 22. 1. 1903 Oxford, t 29.12.1959 Lyme Regis; engl. Komponist. Er war Schüler von G. Holst, R. Vaughan Williams und R. O. Morris am Royal College of Music in London, wurde später aber entscheidend von Balfour Gardiner und G. Finzi beeinflußt. M.s Kompo-
sitionen zeigen eine starke Hinwendung zur Volksmusik und bekunden, zumal in den kleinen Formen, eine lyrische Begabung. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik; Suite (1928) für Ob. u. Streichorch.; The Darkling Thrush (1930) für V. u. Orch.; V.Konzert (1938); A Festival Suite (1951) für Str.; Fishing by Moonlight (1952) für Klv. u. Str. — Oratorien: A Prophet of the Land (1931); The Pilgrim's Progress (1933); La mort d 'un tyran für Chor u. Orch.; Kantate Days and Moments. — Kinderoper The Shoemaker (1925); Oper The Scarlett Letter (1959); Ballette The Jackdaw of Rheims (1945) und The Snow Queen (1946).
MILHAUD, Darius, * 4.9. 1892 Aix-en-Provence, t 22.6. 1974 Genf; frz. Komponist. Er begann seine musikalische Ausbildung als Violinist, schlug nach seinem Examen am Pariser Conservatoire 1911 aber die Komponistenlaufbahn ein und besuchte Kurse von A. Gédalge und Ch.-M. Widor, wobei er G. Auric und A. Honegger kennenlernte. In seinen frühen Werken ließ sich M. von literarischen Vorlagen anregen. Er nahm Kontakt mit dem Dichter Francis Jammes auf, der ein Treffen mit P. Claudel initiierte, eine Begegnung, die für M.s Schaffen von grundlegender Bedeutung wurde. Durch Claudel erhielt er zahlreiche Textvorlagen und Anregungen für seine Kompositionen. Zudem nahm Claudel ihn 1916 als Sekretär mit nach Brasilien, wo M. die lateinamerikanische Folklore kennenlernte. Nach einem kurzen Aufenthalt in den USA kehrte M. 1919 nach Paris zurück und wurde bald der řGroupe des Six zugerechnet. Als Kritiker des Courrier Musical
nutzte er 1920 die Möglichkeit, sich engagiert für die zeitgenössische französische Musik einzusetzen. Seine Werke dirigierte er häufig selbst; für seine Konzerttourneen (u. a. 1922 durch Amerika) schrieb er für sich relativ leicht spielbare, doch effektvolle Klaviermusik. 1940 emigrierte M. in die USA und nahm eine Lehrtätigkeit am Mills College, Oakland (Calif.), auf. 1947 folgte er einem Ruf an das Pariser Conservatoire und unterrichtete seitdem jährlich abwechselnd dort und am Mills College; später übernahm er auch noch die Sommerkurse in Aspen (Colorado). Trotz schwerer Krankheit, die ihn an den Rollstuhl, oft auch ans Bett fesselte, unterrichtete er am Conservatoire bis 1962. 1956 wurde er Präsident der Académie du Disque Français. In hohem Alter erfuhr er viele Ehrungen: Grand Officier der Ehrenlegion, Commandeur des arts et lettres, Mitglied der Akademie der Künste Berlin (1968), Mitglied der Académie des Beaux-Arts (1972). WW: 1) Instr.-WW: 2 Sonaten für V. u. Klv. (1911, 1917); 18 Streichquartette (1912-51), davon Nr. 14 u. 15 auch zusammen zu spielen; Variations sur un thème de Cliquet (1915) für Klv.; Saudades do Brazil (1920/21), Tanzsuite für KIv.; La cheminée du Roi René (1939) für Fl., Ob., Klar., Horn u. Fag.; La muse ménagère (1944) für Klv.; Paris (1948), 6 Stücke für 4 Klv.; Klv.-Quintett (1950); 3 Streichquintette (1952, 1953, 1956); Duo concertant (1956) für Klar. u. Klv.; Segoviana (1957) für Gitarre; Kammerkonzert (1961) für Klv., Blas- u. Streichquintett; Hommage à Igor Strawinsky (1971) für Streichquartett. — Konzerte: 3 für V. (1927, 1946, 1958); 2 für Va. u. Orch. (1929, 1954/55); 2 für Vc. u. Orch. (1934, 1945); 5 für KIv. (1933, 1941, 1946, 1949, 1955); für Schlagzeug und kleines Orch. (1929/30); für Fl., V. u. Orch. (1938/39); 2 für 2 Klv. u. Orch. (1941, 1961); für Klar. (1941); für Marimba (1947); für Harfe (1953); Concertino de printemps (1935) für V. u. Orch.; Concertino d'automne (1950) für 2 Klv. u. 8 Instr.; Concertino d'été (1950) für Va. u. Kammerorch.; Concerto d'hiver (1953) für Pos. u. Str.; für Cemb. (1964). — Für Orch.: Poème sur un cantique de Camargue (1913) für Klv. u. Orch.; 6 Kammer-Symphonien: 1: Le printemps (1917); 2: Pastorale (1918); 3: Sérénade (1921), alle für kleines Orch.; 4: (1921) für 10 Str.; 5: (1922) für 10 Bläser; 6: (1923) für Vokalquartett, Ob. u. Vc.; Cinq études (1920) u. Le carnaval d'Aix (1926) für Klv. u. Orch.; Suite provençale (1936); Carnaval de Londres (1937); L'oiseau (1937); Opus americanum No. 2 (1940); 12 Symphonien (1939-61); Suite française (1944); Le bal martiniquais (1944); Sept danses sur des airs palestiniens (1946/47); La fin du monde (1949); Suite opus 300 (1950); Ouverture méditerranéenne (1953); Suite cisalpine sur des airs populaires piémontaises (1954); Aspen Serenade (1957); A Frenchman in New York (1962); Ode pour les morts des guerres (1963); Musique pour San Francisco (1971) für Orch. „avec participation du public". — 2) Volta)-WW: Liederzyklen auf Gedichte von F. Jammes, L. Latil, A. Lunel, A. Gide, P. Claudel, R. Tagore u. v. a.; Agamemnon (1913) (Text: P. Claudel) für Sopran, Chor u. Orch.; Les choéphores (Text: ders.) (1915) für Sopran, Bar., Erzähler, Chor u. Orch.; Le retour de l'enfant-prodigue (1917) (Text: A. Gide), Kantate für 5 SingSt u. 21 Instr.; Psalmen 136 u. 129 (1918, 1919) für Bar. u. Orch.; Machines agricoles (1919) (Verkaufskatalog) u. Catalogue de fleurs (1920) für SingSt u. 7 Instr.; La mort du tyran (1932) für Chor, Schlagzeug, Pikkolo, Klar., Tuba; Pan et Syrinx (1934) für Sopran, Bar., Vokalquartett u. 5 lnstr.; Cantate nuptiale (1937) für Gesang u. Orch.; Cantate
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Milhaud de l'enfant et de la mère (1938) für Erzähler, Streichquartett u. Klv.; Quatrains valaisans (1939) (Text: R.-M. Rilke) u. Cantate de la guerre (1940) (Text: P. Claudel) für Chor a cap.; Trois psaumes de David (1954) für gem. Chor a cap.; Huit poèmes de Jorge Guillén (1958) für Chor a cap.; Cantate de la croix de charité (1959/60) für Soli, Chor, Kinderchor u. Orch.; Hommage à Comenius (1966) für Sopran, Bar. u. Orch. ; Cantate de psaumes (1967 ) für Bar. u. 20 Instr.; Ani maamin, un chant perdu et retrouvé (1972) für Sprecher, gem. Chor u. Orch.; „Symphonie chorale" Pacem in terris (1963) für Alt, Bar., Chor u. Orch. — 3) Biihnenwerke: Opern: La brebis égarée (Libr.: F. Jammes), UA: Paris 1923; Les Euménides (Libr.: P. Claudel nach Aischylos), UA: Brüssel 1949; Les malheurs d'Orphée, UA: ebd. 1925; Esther de Carpentras, UA: Paris 1938; Le pauvre matelot (Libr.: J. Cocteau), UA: ebd. 1927; 3 Opéras-minutes: L'enlèvement d'Europe, UA: Baden-Baden 1927; L'abandon d'Ariane u. La Délivrance de Thésée, UA: Wiesbaden 1928; Christophe Colomb (Libr.: Claudel), UA: Berlin 1930; Maximilien (Libr.: F. Werfel, A. Lunel), UA: Paris 1932; Médée, UA: Antwerpen 1939; David (Libr.: A. Lunel), UA: Mailand 1956; Fiesta, UA: Berlin 1958; La mère coupable, UA: Genf 1965; Saint Louis, Roi de France (Libr.: Claudel u. H. Doublier), UA: Rom 1972; Les momies d'Égypte (Libr.: J.-F. Regnard), UA: Graz 1972. — Ballette: L'homme et son désir (1918); Le beruf sur le toit (1919); La création du monde (1923); Salade (1924); Le train bleu (1924); Fete de la musique (1937); Jeux de printemps (1944); The Bells (1945); Adame Miroir (1948); La rose des vents (1957); La branche des oiseaux (1958/59). — Zahlr. Film- u. Bühnenmusik. — 4) Schriften: Polytonalité et atonalité, in: RM 4 (1923); Études (P 1927); Notes sur E. Satie (NY 1946); Notes sans musique (P 1949, =1963, engl. NY 1953, dt. Mn 1962); Entretiens avec C. Rostand (P 1952, dt. H. 1954); Ma vie heureuse (P 1973).
M. bezeichnete sich selbst stolz als „Franzose aus der Provence und jüdischen Glaubens"; diese Herkunft fand Niederschlag in seiner Musik: einerseits kraftvolle Melodik und Aufgeschlossenheit gegen-
über südländischer Folklore (für ihn erstreckte sich die Provence „von Konstantinopel bis Rio de Janeiro"), zum anderen häufige Verwendung von Textvorlagen mit religiösem Hintergrund. Sein umfangreiches Schaffen, in welchem nahezu jede Musikgattung berücksichtigt ist, läßt sich keiner Schule eindeutig zuordnen, wie auch keine gerichtete Entwicklung in den Kompositionen feststellbar ist. Er ergründete in der Reflexion über seine Musiksprache die Möglichkeiten der Polytonalität, wie er sie in Ansätzen schon bei J. S. Bach nachweist: Ziel ist, mehrere gleichzeitig erklingende Melodien so zu komponieren, daß sie als gleichwertig gehört werden können. Dazu werden die diatonischen Melodien mit verschiedenen tonalen Zentren übereinandergeschichtet. Als ein Schulbeispiel für diese „kontrapunktische Polytonalität" kann wohl die 3. Etüde aus den Cinq études für Klavier und Orchester (1920) gelten, die aus 4 gleichzeitig ablaufenden Fugen, je einer bestimmten Instrumentengruppe zugeordnet, besteht. Dabei spielen die Holzbläser in A-Dur, die Blechbläser in Des-Dur, die Streicher in F-Dur, und dem Klavier ist Material aus jeder dieser Skalen zugeordnet. Für die Experimentierfreudigkeit M.s gibt es in seinem Schaffen 314
zahlreiche Belege. In Les choephores (1915) verwendet er als einer der ersten den chorischen Sprechgesang, die in La création du monde (1923) verwendeten rhythmischen Formeln beruhen auf afro-amerikanischen Quellen, die Qualität der klaren Darstellung durch ein gering besetztes Musikensemble nutzte er in den 6 kleinen — 3sätzigen — Symphonien (1917-23), deren längste nur 7 Minuten dauert, und traditionelle Formen stellte er in den 3 Opéras -minutes (1927) mit einer Gesamtspieldauer von 25 Minuten in Frage. Die Eigenständigkeit seiner Arbeiten begründete M. wie folgt: „Für mich existieren keine ästhetischen Gesetze, keine Philosophie oder Theorie. Ich schreibe Musik, und ich liebe sie." Lit.: G. AUGSBOURG, La vie de D. M. en images (P 1935); M. BAUER, D. M., in: MQ 28 (1942); P. COLLAER, D. M. (An— P 1948); G. BECK, D. M. (P 1949, erweitert 1956) (mit Werkverz. u. Diskographie); E. HELM, M., XIV + XV = Oktett, in: Melos 22 (1955); H. H. STUCKENSCHMIDT, Schöpfer der neuen Musik (F 1958); C. CHAMFRAY, Gespräche mit D.M., in: Melos 28 (1961); C. ROSTAND. M. komponiert seit 50Jahren, in: ebd. 29 (1962); J. ROY, D. M. (P 1968); J. HAUSLER, Musik im 20. Jh. (Bremen 1969); P. J. MCCARTHY, The Sonatas of G.M. (Washington/D.C. 1972) (= Studies in Music 1); R. J. SWICKARD, The Symphonies of D. M. (Los Angeles 1973) (_ Diss. Univ. of California); H. KNOCH, Orpheus u. Eurydike. Der antike Sagenstoff in den Opern v. D. M. u. E. Krenek (Rb 1977) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 91). K. LANGROCK
MILITÄRMUSIK, Bz. für Instrumentalmusik (meist Märsche und Signale), die bei den Streitkräften bestimmte Funktionen zu erfüllen hat und von dafür eigens gebildeten Musikensembles (bestehend aus Blas- und Rhythmusinstrumenten) ausgeführt wird; auch allgemein Bz. für Militärkapellen (Musikkorps) und die von ihnen gespielte Musik. Von den Anfängen bis um 1800. Vorläufer der M. war die im Altertum auf Kriegszügen und in Schlachten gebräuchliche Signalgebung durch Trompeten und hornartige Instrumente, die der Nachrichten- und Befehlsübermittlung diente (z. B. im römischen Heer). So berichtet der Schriftsteller Flavius Vegetius (um 390 n. Chr.) in Epitoma rei militaris von Bläsern (tubicines, liticines [bei der Reiterei] und buccinatores), ohne jedoch ihre Instrumente genauer zu beschreiben. Erwähnenswerter hingegen hielt er ihren Status als „Principalsoldaten" (Offiziere). Für die späteren zahlreichen Repräsentations- und Unterhaltungsfunktionen der M. ist ferner die Tätigkeit der im Troß jeder Armee mitziehenden Spielleute Vorbild gewesen. Einfluß auf die Entwicklung der M. hatten auch die im Mittelalter an allen Höfen angestellten Hoftrompeter und Pauker, die neben dem Hofsignaldienst für musikalische Unterhaltung bei Tisch und anderen Gelegenheiten zu sorgen hatten. Die Zahl dieser Musiker, die nicht obligatorisch zum militäri-
Militärmusik schen Personal eines Fürsten gehörten, hing vom Ansehen und von der Größe eines Hofes ab. Hatte jedoch ein Hoftrompeter einen Feldzug seines Herrn mitgemacht, so durfte er sich Feldtrompeter nennen und als solcher Jugendliche zur Ausbildung annehmen. Trompeter im Felde bekleideten zugleich eine Vertrauensstellung. Als Abgesandter seines Herrn hatte ein Trompeter auch wichtige Botschaften zu überbringen. Daraus ergaben sich die besondere Stellung bei Hofe wie auch die Privilegien der Trompeter- und Paukerzunft. Zur Unterhaltung der Landsknechte im Felde dienten Spielleute (Trommler und Pfeifer), die mit ihren z. T. zweckgebundenen Musikstücken zum Wekken, Begleiten des Fähnleins (wenn es zum Zeichen des Aufbruchs durch das Lager getragen wurde) sowie auf dem Marsch und zur Bekanntgabe des Zapfenstreiches den Anfang der eigentlichen M. bildeten. Den Spielleuten der Landsknechte sind auch die ersten zweckdienlichen Märsche (řMarsch) zuzuschreiben. Zu den Trommlern und Pfeifern gesellten sich im 17. Jh. Schalmeibläser (2 Diskantinstrumente, 1 Alt- sowie 1 Baßinstrument), deren Instrumente um 1700 durch die aus Frankreich stammende Oboe ersetzt wurden. Von dieser Zeit an bis zum Anfang des 20. Jh. führten alle Musiksoldaten einer Armee, gleich welches Instrument sie spielten, die Berufsbezeichnung .Hautboisten bzw. Stabshautboisten (Leiter eines Hautboistenkorps). Die Oboe blieb fast während des ganzen 18. Jh. das führende Melodieinstrument der Militärkapellen; um 1730 kamen nach und nach auch 2 Hörner und 1 Trompete hinzu. Mit dieser Besetzung erlebte die M. in der ersten Hälfte des 18. Jh. einen ersten Höhepunkt. Sie hatte zu dieser Zeit ihre festen Aufgaben, nicht nur im Felde, sondern auch bei Hofe. In diesem Zusammenhang wurde in der 2. Hälfte des 18. Jh. insbesondere die řHarmoniemusik von Bedeutung. Mit der Vergrößerung des Instrumentariums zog die Klarinette in die Militärkapellen ein, verdrängte die Oboe von der führenden Melodiestimme und bildete den Grundstock für eine immer größer werdende Holzblasinstrumentengruppe. Entscheidende Impulse für die M. gingen an der Wende zum 19. Jh. von den französischen Revolutionsmusiken der Komponisten G. Cambini, Ch. S. Catel, L. Cherubini, Fr. J. Gossec aus. Mit der Zahl der Militärkapellen in Frankeich wuchs auch das Problem des Nachwuchses, das 1792 durch die Gründung der „École gratuite de la Garde Nationale", aus der 1795 das Pariser Conservatoire hervorging, gelöst wurde. 19. Jahrhundert. Zu Beginn des 19. Jh. erfuhr die preuBische M. eine Differenzierung in verschiedene
instrumentale Besetzungen, die — mit Einschränkungen — auch von anderen europäischen Ländern übernommen wurden. Aus den Hoftrompetern und Paukern, die ihre Privilegien in Preußen 1810 durch Kabinettsordre von Friedrich Wilhelm III., in Dresden 1831 durch Aufhebung des Zunftwesens und in Wien 1878 durch Auflösung des Vereins der Hoftrompeter verloren, entstanden die Trompeterkorps der Kavallerie; aus den Horngruppen, die den Signaldienst versahen, die Waldhornmusik der Jägertruppen. Diesen Gruppierungen war keine weitere Entwicklung beschieden. Die Jägermusikkorps hatten ihren Höhepunkt zur Zeit ihres Gründers und Förderers J. G. Rhode (1797-1857). Trompeter- wie Jägermusikkorps wurden zwar 1936 bei Gründung der Wehrmacht noch einmal aufgestellt, gingen jedoch bald in Umgliederungen auf. In der 1. Hälfte des 19. Jh. und später behauptete sich vor allem das Infanteriemusikkorps, die sog. OEJanitscharenmusik. Es bestand 1805 in Preußen aus 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 2 Inventions-Waldhörnern, 2 Inventions-Trompeten und 2 Baßposaunen. Kurz danach kamen die Piccoloflöte, eine hohe Klarinette in Es, Kontrafagott und Serpent sowie die Janitschareninstrumente große Trommel, kleine Trommel, Triangel und Becken hinzu. Das Repertoire der M. umfaßte um 1800 vor allem kleine Märsche (zweiteilig), Menuette, Parthien (mehrteilige Originalkompositionen) sowie „Pièces d'Harmonies" (Bläserbearbeitungen einzelner Stücke aus bekannten Opern und anderen Kompositionen). Mit der instrumentalen Erweiterung der Musikkorps der Infanterie zum symphonischen Blasorchester in der Mitte des 19. Jh. gelangte die M. zu hohem Ansehen. Vor allem Wilhelm Wieprecht (1802 bis 1872), der in Zusammenarbeit mit dem Instrumentenmacher C. Moritz in Berlin die Baßtuba entwickelte und damit das BaBproblem im Blasorchester löste, trug mit seinem persönlichen Einsatz für die M. und seinen zahlreichen Kompositionen und Bearbeitungen groBer symphonischer Werke für Blasorchester wesentlich dazu bei. Bedeutende Militärkapellmeister waren auch A. H. Neithardt und C. J. Krause. Die von den Militärkapellen in der 2. Hälfte des 19. Jh. gespielten Stücke waren in erster Linie Bearbeitungen großer symphonischer Werke, daneben Märsche (zum Teil nach Motiven oder Melodien aus Opern und anderen Werken). An großen originalen Werken — namentlich von bedeutenden Komponisten — stammen nur wenige aus dieser Zeit: z. B. L. van Beethoven, Märsche (WoO 18-24, darin der sog. Yorcksche Marsch); L. Spohr, Notturno C-Dur op. 34; C. M. von Weber, Marsch von 1826 (J 307); F. J. Gossec, meh315
Militärmusik rere konzertante Stücke und Märsche; Ch. Gounod, Petite symphonie B-Dur; F. Mendelssohn Bartholdy, Ouvertüre für Harmoniemusik op. 24 und Trauermarsch op. 103; R. Wagner, Huldigungsmarsch und Trauermusik. Beliebt waren auch Kompositionen, die der Verwendung marschartiger Rhythmen in den ersten Sätzen wegen Titel wie Concert militaire u. a. trugen. Für den militärischen Bereich schuf Friedrich Wilhelm III. mit Kabinettsordre von 1817 eine Armeemarschsammlung; W. Wieprecht wird um die Mitte des 19. Jh. die Zusammenstellung des heutigen Großen /Zapfenstreiches zugeschrieben. 20. Jahrhundert, besonders in Deutschland. Während sich im 19. Jh. die Einsätze der M. in Friedensund Kriegszeiten des hohen Ansehens wegen entsprachen, hatten die Militärmusiker im 1. Weltkrieg häufig die Funktionen von Hilfssanitätern wahrzunehmen. Wo es noch zu Musikaufführungen kam, geschah dies zur Betreuung verwundeter Soldaten oder zur Auffrischung der Moral der Truppe. Die Begrenzung der Reichswehr nach dem 1. Weltkrieg auf 100000 Soldaten bedeutete auch für die M. eine erhebliche Reduzierung sowohl hinsichtlich der Anzahl der Musikkorps als auch ihrer Besetzungsstärke (um 1900 gab es in Deutschland etwa 600 Musikkorps mit je etwa 45 Musikern, nach 1918 waren es nur noch 100 mit je 27-37 Musikern). Erst die Gründung der Wehrmacht und die Wiederaufrüstung Deutschlands verstärkte die Anzahl der Infanterie- und Marinemusikkorps, zu denen ab 1937 Luftwaffenmusikkorps mit 30, 40 oder 54 Musikern hinzukamen. Die Besetzung der Luftwaffenmusikkorps der Wehrmacht war 1956 Vorbild bei der Aufstellung der Bundeswehrmusikkorps. Die 21 Musikkorps (13 Heeres-, 4 Luftwaffen- und 2 Marinemusikkorps sowie 1 Stabs- und 1 Ausbildungsmusikkorps) mit 60 bzw. 82 Musikern als ständigen Mitgliedern haben die größten Besetzungen, die je deutsche Musikkorps aufwiesen. Als neue Instrumente wurden die bereits in den Luftwaffenmusikkorps der Wehrmacht verwendeten Saxophone eingeführt: (2) Es-Alt-, (2) B-Tenor- sowie (1) Es-BaritonSaxophone. Daneben wurden wesentlich das Klarinetten- und das Trompeten-(Kornett-)Register verstärkt. Fachlich unterstehen alle Musikkorps der Bundeswehr dem „Leiter des Militärmusikdienstes (Musikinspizient)". Lit.: Militär-Musiker-Zeitung (B 1879ff.). — J. G. KASTNER, Manuel général de musique militaire (P 1848, Nachdr. G 1973); H. EICHBORN, Militarismus u. Musik (B 1909); F. BERN. Musik im römischen Heere, in: Mainzer Zschr. 7 (1912); H. G. FARMER, Handel's Kettledrums and Other Papers an Military Music (Lo 1950, 21960, Nachdr. 1965); M. CHOP, Gesch. der dt. M. (Hannover 1926); G. KANDLER, Die kulturelle Bedeutung
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der dt. M. (B 1931); P. PANOFF, M. in Gesch. u. Gegenwart (B 1938); G. KANDLER, M. heute, in: Soldat im Volk 6 (1957); F. DEISENROTH, Deutsche M. in fünf Jhh. (Wie 1961); G. KANDLER — H. HICKMANN, M., in: MGG IX; W. HONIG. Die Musik kommt. Notizen z. Militärmusikgesch., in: NZIM 129 (1968); G. WALSER, Römische u. gallische M., in: FS A. Geering (Be 1972); E. RAMEIS, Die östr. M. Von ihren Anfängen bis zum Jahr 1918 (Tutting 1976); F. MASUHR, Die M. in der Bundeswehr (Bonn 1977); J. ECKHARDT. Zivil- u. Militärmusiker im Wilhelminischen Reich (Rb 1978) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 49). B. HOFELF
MILLE, Agnes (George) de, *1905; amerik. Choreographin und Regisseurin. M. begann ihre Karriere als Tänzerin 1927 in New York. Mit ihrer Choreographie zu Oklahoma! (1943), die Handlung, Musik und Tanz zu einer neuen, übergeordneten Einheit verband, setzte sie einen Markstein in der Geschichte des Musicals. Auch durch die Choreographien zu One Touch of Venus, Bloomer Girl („Bürgerkriegs-Ballett"), Carousel und Brigadoon gab sie dem Tanz einen entscheidenden Anteil am Musical. M., die „große Dame" des amerikanischen Balletts, betrachtet Humor und Vitalität als dessen Wesensmerkmale. WW: 1) Choreographien: Nymph Errant (1933); Why not tonight? (1934); Hooray for What! (1937); Swingin' the Dream (1939); Oklahoma! (1943); One Touch of Venus (1943); Bloomer Girl (1944); Carousel (1945); Brigadoon (1947); Allegro (1947); Gentlemen prefer Blondes (1949); Paint your Wagon (1951); The Girl in Pink Tights (1954); Goldilocks (1958); Juno (1959); Kwamina (1961); 110 in the Shade (1963); Come Summer (1969).2) Sehrahen: Dance to the Piper (Boston 1952), dt. Obers.: Tanz und Theater (W 1957); And Promenade Home (Boston 1958); The Book of the Dance (NY 1963); Speak to me, Dance to me (Boston 1973).
MILLER, Glenn Alton, * 1.3.1904 Clarinda (Iowa), t vermutlich 16.12.1944 (Flugzeug zwischen Twinwood Farm, England, und Paris vermißt); amerik.
Jazzmusiker (Bandleader, Posaunist, Komponist, Arrangeur). Nach dem Studium an der University of Colorado in Boulder spielte er u. a. bei Boyd Santer, Ben Pollack und Red Nichols, in dessen Band er bei der UA von G. Gershwins Musical Girl Crazy (1930) mitwirkte. 1934 spielte er bei den Dorsey Brothers, 1935 bei Ray Noble und entwickelte hier eine spezielle Art der Phrasierung und Instrumentierung (mit der Klarinette als führender Stimme über 4 Saxophonen), die als „Miller Sound” bekannt geworden ist. 1937 gründete er eine eigene Band, 1939 eine neue Band, mit der er dann der erfolgreichste Bandleader der Swing-Ara wurde. 1942 trat er in die US-Luftwaffe ein, wo unter seiner Leitung die Army-Air-Force-Band entstand. M., der noch 1935 bei J. Schillinger Komposition studiert hatte, erhielt 1942 für Chattanooga Choo Choo die erste vergebene „Goldene Schallplatte". Am bekanntesten wurde M.s Arrangement von Joe Garlands In the Mood und die auch als Erken-
Milloss nungsmelodie seiner Band gespielte Moonlight Serenade. 1954 wurde seine Karriere als The Glenn
Miller Story verfilmt. Lit.: S. F. BEDWELL, A G. M. Discography and Biography (Lo 1956); G. T. SIMON, The Big Bands (NY 1971); J. FLOWER, Moonlight Serenade. A Bio-discography of the G.M. Civilian Band (New Rochelle 1972); G.T. SIMON, G. M. and His Orchestra. The Story of America's Most Unforgettable Bandleader (NY 1974). R.-M. SIMON - S. SIMON
MILLET, Lluis, * 18. 4. 1867 Masnou bei Barcelona, t 7. 12. 1941 ebd.; span. Komponist und Chorleiter. M., ein Schüler von F. Pedrell, gründete zusammen mit Amadeo Vives den gemischten Chor
Orféo Català, der unter seiner langjährigen Leitung ein Zentrum des katalanischen Musiklebens wurde. 1930 wurde er Direktor der städtischen Musikschule in Barcelona. Als Komponist schrieb er vor allem Chor- und Vokalmusik. Sein Sohn Lluis Maria, * 21. 6. 1906 Barcelona, übernahm 1945 die Leitung des Orféo Catalä und unterrichtete Musikgeschichte am Konservatorium von Barcelona. WW: Catalanesquesfür Klv.; Egloga für Klv. u. Orch. - Für Chor: El cant dels ocells, Cant de la senyera; Pregaria a la Verge del Remei, Lit.: B. SAMPER, LI. M. (Ba 1926); M. GARCIA VENERO, LI. M. (Ba 1951); E. VENDRELL, El mestre M. i yo (Ba 1953).
MILLEVILLE. —1) Alessandro, * um 1521 wahrscheinlich Paris, t 7. (8.?) 9. 1589 Ferrara; it. Komponist frz. Herkunft. Er stand seit 1544 im Dienst des Hofs von Modena, war 1553-58 päpstlicher Kapellsänger in Rom und später 1575-84 Organist des Herzogs von Ferrara. WW: 2 Bücher Madrigale für 5 St. (V 1575, Ferrara 1584); Madrigale fur 6 St. (V 1584); Sacraecantiones für 5 St. (1584); La vergine, ... stanze spirituali für 4 St. (V 1584).
2) Francesco, Sohn von 1), * 16. Jh. Ferrara, t nach 1639 Arezzo. Er wurde Olivetanermönch und nahm den Ordensnamen Padre Barnaba an. Zunächst stand er vermutlich im Dienst des Königs von Polen in Warschau, dann Kaiser Rudolfs II. 1614 kehrte er nach Italien zurück und wurde Kapellmeister in Volterra, war 1619-20 Kapellmeister und Organist an der Kathedrale in Chioggia, 1622 an S. Giorgio in Ferrara und 1627 an S. Benedetto in Siena. M.s Werke sind im konzertierenden Stil geschrieben. WW (alle in Venedig gedruckt): Messa in concerto u. a. Gesänge für 8-9 St. u. B.c. (1616); Concerti für 2-4 St. u. B.c. (21617); Messen fur 4 u. 8 St. u. B.c. (1617); Madrigali concertati fur 1-8 St. u. B.c. (1617); Letanie della B. Vergine für 8 St. u. B.c. (1619), für 3 St. u. B.c. (1639); Motetten für 1-3 St. u. B.c. (1620); Pompe funebri ..., Karwochen-Responsorien für 2-4 St. u. B.c. (1627); Mazzo di armonici fiori für 2-3 St. u. B.c. (1628).
MILLOCKER, Karl, * 29.4. 1842 Wien, t 31. 12. 1899 Baden bei Wien; östr. Komponist. Nach seinem Musikstudium am Konservatorium in Wien
1856-58 wurde Millöcker Flötist am Theater in der Josefstadt und 1864 Kapellmeister am ThaliaTheater in Graz. Hier brachte er 1865 seine ersten beiden Operetten, Der tote Gast und Die beiden Binder, zur Uraufführung. Über Budapest kehrte er nach Wien zurück, wurde dort 1866 Kapellmeister am Harmonietheater und 1869 am Theater an der Wien. 1878 machte er sich durch die erfolgreiche Premiere der Operette Das verwunschene Schlo ß allgemein bekannt. Mit den folgenden Bühnenwerken, darunter auch der später von Th. Mackeben überarbeiteten Gräfin Dubarry (1879), gelang ihm zwar noch nicht der endgültige Durchbruch, doch konnte er 1882 die ihn belastende Kapellmeisterposition aufgeben und widmete sich seither ausschließlich der Komposition. Noch im selben Jahr brachte er seine erfolgreichste Operette, Der Bettelstudent, heraus, die ihn neben Fr. von Suppé und J. Strauß (Sohn) als einen der bedeutendsten Vertreter der Wiener Operette in ihrer Glanzzeit ausweist. WW: Der tote Gast (1864); Die beiden Binder (1865); Diana (1867); Die Fraueninsel (1868); Der Regimentstambour (1869); Abenteuer in Wien (1873); Das verwunschene Schloß (1878); Gräfin Dubarry (1879), neu bearb. v. Th. Mackeben (1938); Der Bettelstudent (1882); Gasparone (1884), neu bearb. v. P. Burkhardt (1940); Der Feldprediger (1884); Der arme Jonathan (1890), neu bearb. v. H. Hentschke u. J. Rixner (1939); Das Sonntagskind (1892); Der ProbekuB (1894); Nordlicht (1896). Lit.: C. PREISS, K. M. (W 1905); F. SCHERBER, K. M. (1935) (= Neue östr. Biogr. I/8); S. CzECH, Das Operettenbuch (St 1960); F. RACEK, Das Tagebuch C. M.s, in: Wiener Schriften 3 (1969). R.-M. SIMON - S. SIMON
MILLOSS, Aurel von (auch Aurelio M. Milloss, eig. Aurél Milloss de Miholý), *12.5.1906 Újozora (heute Udzin, Serbien); it. Tänzer und Choreograph ung. Herkunft. Er studierte akademischen Tanz bei Victor Gsovsky und E. Cecchetti, freien Tanz bei R. von Laban, außerdem Musik, Malerei und Schauspiel. 1927 debütierte er als Tänzer in Berlin, wurde 1932 Ballettmeister in Augsburg, 1934 in Düsseldorf, war 1938-45 Ballettmeister und Hauptchoreograph an der Königlichen Oper in Rom, 1946-47 sowie 1951-52 an der Mailänder Scala, 1960-63 beim Ballett der Bühnen der Stadt Köln, 1963-66 an der Wiener Staatsoper, 1966-69 am Teatro dell'Opera in Rom und 1971-74 erneut an der Wiener Staatsoper. Daneben wirkte er bei M. Béjarts „Ballet du XXeme Siècle" und bei Festspielen mit. M. setzte sich besonders für zeitgenössische Musik und Kunst ein und arbeitete mit namhaften Komponisten und Malern zusammen. Seine Choreographien sind geprägt durch Eigenwilligkeit wie Vielfalt seiner Ausdrucksmöglichkeiten und -formen, von furiosen Ausbrüchen bis hin zu intellektueller Askese. 317
Milner WW (Choreographien): Le portrait de Don Quichotte (G. Petrassi), UA: Paris 1947; La soglia del tempo (nach B. Bartóks Konzert für Orch.), UA: Rom 1951; Mystères (nach Bartóks Musik für Saiteninstr., Schlagzeug u. Celesta), UA: Paris 1951; Hungarica (nach Bartóks Tanz-Suite), UA: Rom 1956; Gezeiten (nach I. Strawinskys Symphony in Three Movements), UA: Köln 1960; Wandlungen (nach A. Schönbergs Variationen für Orch. op. 31), UA: ebd. 1960; Die Wiederkehr (R. Vlad), UA: ebd. 1962; Die Einöde (nach E. Varèses Déserts), UA: Wien 1965; Estri (G. Petrassi), UA: Spoleto 1968; Tautologos (nach L. Ferraris Tautologos 11), UA: Rom 1969; Raramente (S. Bussotti), UA: Florenz 1971. Lit.: O. F. REGNER, M. u. die groBe Synthese, in: Das neue Ballettbuch (F 1962); A. SCHULZE-VELLINGHAUSEN, Der unbequeme Choreograph. M. u. das Gesamtkunstwerk, in: Theater heute (1962); B. DE ZOETE, The Thunder and the Freshness. A. M. (Lo 1963).
führende amerikanische Heldenbariton seiner Generation.
MILNER, Anthony Francis Dominic, * 13.5. 1925 Bristol; engl. Komponist und Cembalist. Er studierte 1945-47 bei R. O. Morris (Musiktheorie) am Royal College of Music in London, 1944-47 auch bei M. Seiber und lehrte anschließend am Morley College sowie am Royal College of Music. 1966 wurde er an der Londoner Universität Lecturer of Music am King's College, 1971 Senior Lecturer in Music am Goldsmith College und 1974 dort Principal Lecturer.
WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; Orch.-Suiten; symphonische Dichtung Smrt majkc Jugovua (Der Tod von Jugovi.s Mutter); ferner Lieder u. Chöre.
WW: 1) llnstr.-WW: Orgelstücke; Quartett für Ob. u. Str. (1953); Bläserquintett (1964); Streichquartett Nr. 1 (1975). - Für Orch.: Variationen (1959); Ouvertüre April Prologue (1961); Symphonie Nr. 1 (1972) u. Nr. 2 (1978) für Sopran, Tenor, Chor u. Orch.; Divertimento für Streichorch. (1961); Sinfonia pasquale (1964) für Str. mit Holz- u. Blechbläsern ad lib.; Chamber Symphony (1968). - 2) Vokal-WW: Liederzyklus Our Lady's Hours (1957) für Sopran u. Klv. ; Oratorium The Water and the Fire (1961) für Sopran, Tenor, Bar., Knabenchor, gem. Chor u. Orch.; Kantaten: Salutatio angelica (1948) für Alt, Chor u. Streichorch.; St. Francis (1957) für Tenor, Chor u. Orch.; The City of Desolation (1965) für Sopran, Chor u. Orch.; Roman Spring (1969) für Sopran, Tenor, Chor u. Orch.; 2 Motetten (1959); Midway (1974) für Mezzosopran u. Kammerorch.; Festival Anthem (1976) für Soli, Chor u. Orch.; Kinderchöre. - 3) Sehrlften: Harmony for Class Teaching, 2 Bde. (Lo 1950); Schönberg's Variations for Organ, in: The Organ 43 (1963/64); The Music of M. Tippett, in: MQ 50 (1964). Lit.: A. JACOBS. The Music of A. M., in: MT 99 (1958); D. STEVENS, M.'s „St. Francis", in: MQ 44 (1958); E. BRADBURG, The Progress of A. M., in: MT 104 (1963); F. ROUTH, A. M., in: Contemporary British Music (Lo 1972).
MILNES, Sherrill Eastace, * 10. 1. 1935 Downers Grove (Illinois); amerik. Sänger (Bariton). Nach seinem Gesangstudium debütierte er 1960 in Boston als Masetto in W. A. Mozarts Don Giovanni. 1964 wurde er an die New York City Opera, 1965 an die Metropolitan Opera engagiert, der er nach wie vor angehört. 1970 sang er als Macbeth in G. Verdis gleichnamiger Oper zum ersten Mal an der Wiener Staatsoper, 1977 debütierte er als Don Giovanni bei den Salzburger Festspielen. Gastspiele führten ihn an die Opernhäuser von Berlin, Hamburg, London und München. Er gilt als der 318
MILOJEVIČ, Miloje, * 27. 10. 1884 Belgrad, t 16. 6. 1946 ebd.; jugoslawischer Komponist und Musikforscher. Er studierte an der Akademie der Tonkunst in München und promovierte 1924 an der Universität Prag mit der Dissertation Der harmonische Stil Smetanas (gedruckt als: Smetanin harmonski stil, Belgrad 1926). M., der in Belgrad Gymnasiallehrer war und dort an der Universität, der Musikschule und der Musikakademie unterrichtete, war ein bedeutender Kritiker und Essayist. Als Komponist schrieb er vor allem kleine Stücke für Klavier und Chor.
MILONGA, Tanz argentinischer Herkunft, der gegen Ende des 19. Jh. in den Vorstädten von Buenos Aires und Montevideo sehr verbreitet war. Neben der Habanera ist er einer der wichtigsten Vorgänger des argentinischen Tangos, von dem er nach der Jahrhundertwende völlig verdrängt wurde. MILSTEIN, Nathan (Natan Mironowitsch), * 18. (31.) 12. 1904 Odessa; amerik. Violinist russ. Herkunft. Er erhielt seit 1912 Unterricht bei P.S. Stoljarski in Odessa und studierte dann bis zur Emigration seines Lehrers (1917) bei L. von Auer am Konservatorium in St. Petersburg. 1922-25 bereiste er auf Konzertreisen zusammen mit Vl. Horowitz Rußland. 1926 erzielte er mit Konzerten in Berlin und Paris seinen künstlerischen Durchbruch in Westeuropa und war dann für kurze Zeit Schüler E. Ysayes in Brüssel. Seit einer Konzertreise mit Horowitz und Gr. Piatigorsky durch Nordamerika (1929/30) lebt M. in den USA. Sein in aller Welt gefeiertes Spiel wurde als eine „Mischung aus teuflischem Können, Versenkung und Temperament" (J. Kaiser) bezeichnet. Grazile Leichtigkeit verbindet sich mit einem großen blühenden Ton. M. schrieb Kadenzen und Bearbeitungen zu großen Konzertwerken. Er spielt zwei Instrumente von Stradivari. Lit.: B. GAVOTY - R. HAUERT, N. M. (G 1956) (= Les grands interprètes o. Nr.); J. HARTNACK, GroBe Geiger unserer Zeit (Gütersloh 1968).
MILTON. — 1) John I, * um 1563 Stanton St. John bei Oxford, t März 1647 London; engl. Komponist. Er war zuerst Chorknabe an der Christ Church in Oxford, ging dann nach London und wurde 1600 als Notar Mitglied der Scriveners' Company. Als Komponist ist er in verschiedenen Sammeldrucken der Zeit vertreten.
Mingus WW: Ein Madrigal, in: Th. Morley, The Triumphs of Oriana (Lo 1601); 4 Sätze, in: W. Leighton, The Teares or Lamentacions (Lo 1614); 3 Psalmen, in: J. Ravenscroft, The Whole Booke of Psalms (Lo 1621).
2) John II, Sohn von 1), * 9. 12. 1608 London, t 8.11.1674 ebd.; engl. Dichter. Er ist eine der herausragenden Gestalten der englischen Literaturgeschichte. Schrieb Paradise Lost (Lo 1667). WW: Vertonte Dichtungen: die Masque Cornus v. H. Lawes (1634); dass. v. Th. A. Arne (1738); Idyllen Allegro u. Pensieroso, in: L'allegro, il pensieroso ed il moderato v. G. Fr. Händel (1740). - Nach Samson Agonistes entstand der Text zu Händels Samson (1743) u. nach den Psalmen M.s der Text zu dessen Occasional Oratorio sowie nach Teilen aus Paradise Lost einige Partien im Text von J. Haydns Die Schöpfung (1799). Ausg.: Z. 1): The Triumphs of Oriana, hrsg. v. E. H. FELLO WES (Lo 1923), revidiert v. Th. Dart (Lo 1963) ( =The Engl. Madrigal School 32); The Teares or Lamentations, hrsg. v. C. HILL (Lo 1970) (= Early Engl. Church Music 11).
Lit.: Z. 1): E. BRENNECKE, J. M. the Elder and His Music (NY 1938) (= Columbia Univ. Studies in Musicology 2); D. R. ROBERTS, The Music of M., in: Philological Quarterly 26 (1948). - Za 2): S. G. SPAETH, M.'s Knowledge of Music (1913) (= Dias. Princeton Univ.); dass. (Ann Arbor/Mich. 1963) (= Ann Arbor Paperbacks AA 82); J.B. BROADBENT, M., „Cornus" and „Samson Agonistes" (Lo 1961) (= Studies in Engl. Lit. 1); H. u. P. WILLIAMS, M. and Music, in: MT 107 (1966); D. SIEGMUND-SCHULTZE, Die Samson-Gestalt bei M. u. Händel, in: Händel-Jb. 18/19 (1972/73).
MILVA (eig. Maria Ilva Biolcati), * 1939 Goro bei Ferrara; it. Chanson- und Schlagersängerin. Sie feierte ihre ersten großen Erfolge bei den Schlagerfestspielen in San Remo (1961 mit II mare nel cassetto; 1968 mit Canzone) und Neapel (1964 mit Mare verde). Durch ihren früheren Mann, den Fernsehregisseur Maurizio Corgnati, kam sie zum Chanson und Negro spiritual. Sie produzierte Fernsehshows und unternahm zahlreiche Tourneen, u. a. auch nach Deutschland (1977 zu den Berliner Festwochen und 1980), wo sie vor allem durch ihre eigenwilligen Interpretationen von Brecht-Songs bekannt wurde. Zu ihren erfolgreichsten Liedern zählen: Surabaya-Johnny, Zusammenleben, Auf den Flügeln bunter Träume, Lili Marleen. MINATO, Nicola (Niccolò), Conte, * 1. Hälfte des 17. Jh. Bergamo, t nach 1698 Wien (?); it. Librettist. Er lebte zunächst in Venedig und war 1669-98 am Kaiserhof in Wien tätig, wo er für die von Kaiser Leopold I. oder A. Draghi komponierten und von dem Bühnenbildner Ludovico Burnacini ausgestatteten Feste teatrali, Rappresentazioni sacre, Opern usw. die Texte schuf. Seine Libretti waren äußerst erfolgreich; so wurde sein Xerse zuerst von Fr. Cavalli (1654) vertont und mit Abänderungen auch von G. Fr. Händel seinem Serse (1738) zugrunde gelegt. WW: Zahlr. Libretti, u. a. für G. B. Bononcini, F. Cavalli,
A. Draghi, G. F. Händel, G. Legrenzi, B. Pasquini, G. A. Persi, A. Scarlatti u. M. A. Ziani. Ausg.: Libretto Xerse, in: Drammi per musica dal Rinuccini allo Zeno I, hrsg. v. A. DELLA CORTE (Tn 1958). Lit.: F. HADAMOWSKI, Barocktheater am Wiener Kaiserhof, in: Jb. der Ges. für Wiener Theaterforschung (1951/52); N. HILTE, Die Oper am Hofe Kaiser Leopolds I. mit besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit von M. u. Draghi (Diss. W 1974).
MINEUR, frz. Bz. für /Moll.
MINGOTTI, Angelo, * um 1700 Venedig, und sein Bruder Pietro, * 1702 Venedig, t 28.4.1759 Kopenhagen; it. Impresari. Sie bereisten mit einer Operntruppe, in der Regel mit 5 Sängerinnen und 3 Sängern, und einem vor allem italienischen Repertoire 1732-64 Osterreich mit Brünn und Prag sowie Kopenhagen und Dresden. Häufig von überdurchschnittlichen Kapellmeistern, darunter Chr. W. Gluck und P. Scalabrini, geleitet, hatte sie einen großen Anteil an der Verbreitung italienischer Opernmusik. P. M.s Frau, die Sängerin Regina M., geborene Valentini, * 16. 2. 1722 Neapel, t 1. 10. 1808 Neuburg/Donau, Schülerin von N. Porpora, war eine ebenbürtige Rivalin der Faustina Hasse. Nach einem kurzen Aufenthalt in Neapel kam sie nach Dresden und Paris, ferner 1751-53 unter Farinelli nach Madrid und später nach London, wo sie bis 1763 blieb. Danach lebte sie in München, zuletzt in Neuburg. Lit.: Z. 1) a. 2): E. H. MULLER (von Asow), Die Mingottischen Opernunternehmungen 1732-1756 (Diss. L 1915); DERS., A. u. P.M. (Dresden 1917); DERS., Gluck u. die Brüder M., in: Gluck-Jb. 3 (1917); O. WESSELY, Die mingottischen Opernunternehmungen in Ostr., in: Theater in Ostr. (1965) (= NotringJb.). - Za 3): A. J. HEY, Das Mingottische Dezennium in Graz (Diss. Mn 1923); DERS., R. M., in: Aus dem Musikleben des Steirerlandes (1924); E. H. MÜLLER VON ASOW, R. M., in: Musikblätter (1950).
MINGUS, Charlie (Charles), * 22.4. 1922 Nogales (Arizona), t 5. 1. 1979 Cuernavaca (Mexiko); amerik. Jazzmusiker (Klavier, Kontrabaß; Bandleader). Er begann mit traditionellem Jazz, spielte u. a. 1941-43 bei Louis Armstrong, wechselte im Laufe der 40er Jahre zum Modern Jazz, spielte u. a. 1950-51 im Trio von Red Norvo, kam mit Charlie Parker, Stan Getz, Bud Powell, aber auch mit dem für ihn bedeutsamen Duke Ellington zusammen. 1952 gründete M. die Schallplattenfirma Debut. Seit 1955 trat er als Komponist und Bandleader hervor, 1960 spielte Eric Dolphy bei ihm. In den letzten Monaten vor seinem Tod war M. an den Rollstuhl gebunden, leitete aber noch als Dirigent seine Gruppe weiter. Sein Hauptinstrument war der Kontrabaß, den er dynamisch und expressiv spielte. Bedeutung hat M. jedoch als Komponist und Bandleader, weil er zwischen traditionellem und modernem Jazz vermittelte und dabei Ausdrucksformen 319
Minima des Negro spiritual und des Gospelsong mit einem Jazz verband, der den Free Jazz paraphrasierte. Eine Autobiographie erschien unter dem Titel Beneath the Underdog. His World as Composed by M. (NY 1971), dt. Übers.: Autobiographie. „Beneath the Underdog" (H 1980). Lit.: R. G. REISNER. The Jazz Titans (Garden City/N.Y. 1960); B. Coss, Ch. M. (NY 1961); B. McRAE, The Cataclysm (South Brunswick/N.Y. — Lo 1967); R. J. WILBRAHAM. Ch. M. A Biogr. and Discography (Lo 1967, revidiert 1970); J. E. BERENDT, Ein Fenster aus Jazz (F 1977).
MINIMA (lat., statt Nota minima = die kleinste Note), aus der Unterteilung der Semibrevis hervorgegangener Notenwert, der seit dem 14. Jh. (Ph. de Vitry) in der Mensuralnotation verwendet wird und zunächst tatsächlich der kleinste verwendete Notenwert war. Notenzeichen: l; in der „weißen" Notation seit etwa 1430: ó . Das letztere Notenzeichen bildet die Vorstufe zur halben Note, die im Englischen noch heute „minim", im italienischen „minima" heißt. Die M. wird in 2 Semiminimae unterteilt. Die ihr entsprechende Pause besteht bis zum 17. Jh. aus einem kurzen Strich auf der 3. Notenlinie und bildet die Vorstufe zur halben Pause. MINNELLI, Liza May, * 12. 3. 1946 Hollywood; amerik. Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin. Tochter der Schauspielerin Judy Garland und des Filmregisseurs Vincente M., tanzte sie bereits mit 7 Jahren am New Yorker Palace Theater. Neben Auftritten in Nachtclubs und im Fernsehen übernahm sie mehr und mehr Rollen in Musicals am Broadway (Flora, 1965; The Red Menace, 1965) und Filmen (Charlie Bubbles, 1968; The Sterile Cukkoo, 1969; Tell Me That You Love Me, Junie Moon, 1970). Der Durchbruch zum Weltruhm gelang ihr in dem Film Cabaret (1972; Auszeichnung mit dem Oscar 1973). Nach ihrem Auftritt in der Broadway-Musicalrevue The Act (1977) unternahm sie 1978 eine erfolgreiche Deutschlandtournee und trat 1979 bei einer Galashow während der Internationalen Funkausstellung in Berlin auf. höfisch-aristokratische Gesellschaftslyrik des hohen Mittelalters im gesamten deutschen Sprachraum, die sich des Mittelhochdeutschen bedient und für eine einzelne Singstimme konzipiert ist. Hauptvertreter und Kennzeichen des Minnesangs. Der M., der den größten Teil der mittelalterlichen Lyrik ausmacht, tritt neben Vagantendichtung und religiöse Produktionen. Seine frühesten Zeugnisse stammen aus der Mitte des 12. Jh., seine spätesten vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Eine historische Differenzierung, die stofflichen wie ästhetisch-formalen Unterschieden in der Lyrik gerecht wird, läßt MINNESANG,
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3 Phasen erkennen: 1. „Minnesangs Frühling" (so genannt von K. Lachmann; 1150-90 der Kürenberger, Dietmar von Aist, Heinrich von Veldeke und Friedrich von Hausen; 1190-1210 Heinrich von Morungen und Reimar von Hagenau der Alte); 2. Walther von der Vogelweide; 3. „Minnesangs Wende" (nach H. Kuhn; Neidhart von Reuental, Burkhart von Hohenfels, Reinmar von Zweter, Gottfried von Neifen, Tannhäuser, Ulrich von Lichtenstein, Ulrich von Winterstetten, Johannes Hadlaub, Heinrich von Meißen [Frauenlob], Wizlaw von Rügen sowie der Mönch von Salzburg, Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein). Der im Mittelalter sporadisch verwendete und seit dem späten 18. Jh. eingebürgerte Terminus M. (J. H. Voß) verweist auf ein thematisches Feld (mhd. minne = „Liebe" im weitesten Sinn), das im Mittelpunkt dieser Lyrik steht, jedoch keine ausschließliche Geltung besitzt. Es ist die Herrin bei Hofe (mhd. vrouwe), der Zuneigung und Verehrung gilt. Der M. und diese seine idealistisch überhöhte Thematik mit den mittelhochdeutschen Leitbegriffen „mâze" und „höher muot" spiegeln exemplarisch die höfische Kultur der Stauferzeit. Ihrer Pflege widmen sich Hochadel, Ministerialen, Stadtadel, gehobenes Bürgertum und Berufsmusiker. — Das Phänomen M. ist keineswegs auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Es erscheint erstmals bei den /Troubadours der Provence (frühes 12. Jh.); von dort strahlte es nach Norden und Osten aus. Wieweit in dieser Lyrik spanisch-arabische, mittellateinische, antike und volkstümliche Einflüsse wirksam sind, wird unterschiedlich bewertet, wie überhaupt die Frage nach den Wurzeln des höfischen Frauenkults im allgemeinen und seinen formalen Ausprägungen und musikalischen Erscheinungen im besonderen kontrovers beantwortet wird. Die Quellen. Die Oberlieferung der Texte setzt mit dem 13. Jh. ein. Wichtigste und repräsentativste Quelle ist die Anfang des 14. Jh. geschriebene sog. Manessische Handschrift (/Heidelberger Liederhandschrift) in der Universitätsbibliothek Heidelberg (im einschlägigen Schrifttum mit dem Sigel C). Mit dem 14. Jh. beginnt die Überlieferung der Handschriften mit Musiknotation. Sie reicht nur bis zu Walther von der Vogelweide und Neidhart von Reuental zurück, läßt also den frühen M. ganz und die Zeit um 1200 weitgehend im dunkeln. Es handelt sich vor allem um die großen Liederhandschriften, die Jenaer (J), die Wiener (W), die Sterzinger (St), die Mondsee-Wiener (W "), die Colmarer / Kolmarer (K), die Donaueschinger (D), sodann um die Frankfurter (0) und die Berliner NeidhartHandschrift (c), die Wiener (WoA) und die Inns-
Minton brucker Wolkenstein-Handschrift (WoB), die Heidelberger Montfort-Handschrift (Cod. Pal. germ. 329) sowie um das Münstersche Fragment (Ms. VII, 51). — Die Quellen bedienen sich vorwiegend der Choralnotation; einige wenige sind neumiert, ein paar späte weisen eine rudimentäre Mensuralnotation auf. Die Schrift gibt also durchweg präzise Auskunft über den Melodieverlauf, läßt aber die rhythmischen Vorstellungen der Autoren im unklaren. Das hat zu kontroversen Deutungen geführt. Die Auswertung von Kontrafakten — zahlreiche Melodien der französischen Troubadours finden sich im deutschen M. wieder — wird dabei in die Diskussion einbezogen. Alle Übertragungsversuche haben sich der Frage zu stellen, wieweit die Melodien des M.s sich mit den Maßstäben des Werkbegriffs werten lassen und in ihrer Konzeption einem neuzeitlichen Originalitätsdenken verpflichtet sind. — Die Melodik steht dem mittelalterlichen Choral nahe. Die sich in ihr manifestierende Tonalität verweist auf modale Ordnungen. Unterschiedliche Deutungen lassen die (nicht wenigen) Melodien zu, die auf einer Skala mit dem Finalton c basieren. Beim Vortrag ist die Begleitung mit einem Instrument wahrscheinlich. Die Gattungen. Trotz genetischer Fragen lassen sich im M. drei (nicht unbestrittene) Gattungen unterscheiden: Lied, Spruch und Leich. Das /Lied ist die zentrale und daher vorherrschende Gattung, in der sich die spezifische Thematik des M.s am deutlichsten verwirklicht. Es besteht aus Strophen, deren jede dreiteilig im Sinn der Barform (/Bar) strukturiert ist. (Für die Frühzeit gilt dieses Strukturgesetz nur bedingt.) Häufige Sonderformen des Liedes, die auch musikalisch eine eigene Physiognomie zeigen, sind Tagelied und Tanzlied. Das Tagelied meint thematisch den Abschied der Liebenden nach gemeinsam verbrachter Nacht; es hat vergleichsweise starke Melismatik. Das Tanzlied enthält einen Kehrreim und ist durch einen prägnanten Rhythmus gekennzeichnet. Wie das Lied ist auch der vielfach einstrophig auftretende Spruch der Barform verpflichtet. Der Thematik nach handelt es sich um eine Gattung, bei der starkes (politisches) Engagement sichtbar wird, die aber auch einfach der Information dienen kann. Melodisch weist er rezitativische Strukturen auf. Der Leich (/Lai) ist Reflexionslyrik, häufig mit religiöser Einfärbung. Er geht vermutlich mit der liturgischen Sequenz auf eine gemeinsame Wurzel zurück und steht musikalisch dem Tanz nahe. Wie die Sequenz reiht er unterschiedlich lange Doppelversikel, die hier freilich in mehrfachem Cursus wiederkehren (können), ohne ein erkennbares Schema aneinander. Seine Melodik ist ausgesprochen syllabisch.
Ausg.: Minnesinger, 5 Bde., Textausg., hrsg. v. F. H. VON DEN HAGEN (L 1838-61, Nachdr. Osnabrück 1963); Gesänge v. Frauenlob, Reinmar von Zweter u. Alexander, hrsg. v. H. RIETSCH (W 1913) (= DTO 41); M.s Frühling, hrsg. v. C. VON KRAUS (L 1939 u. ö.); Zw. M. u. Volkslied. Die Lieder der Berliner Hs. germ. fol. 922, hrsg. v. M. LANG, die Weisen bearb. v. J. MÜLLER-BLATTAU (B 1941) (= Stud. z. Volksliedforsch. 1); F. GENNRICH, Troubadours, Trouvères, Minne- u. Meistergesang (Kö 1951, 21960) (= Das Musikwerk 2); M. des 13. Jh., aus C. von Kraus' „Dt. Liederdichter" ausgew. v. H. KUHN, mit Übertragung der Melodien v. G. REICHERT (Tü 1953); Mhd. Liedkunst, Faks. hrsg. v. F. GENNRICH (Da 1954) (= Musikwiss. Studienbibl. 10); Singweisen z. Liebeslyrik der dt. Frühe, hrsg. v. U. AARBURG, in: H. Brinkmann, Liebeslyrik der dt. Frühe (Düsseldorf '1956); Ausgew. Melodien des M.s, hrsg. v. E. JAMMERS (Tü 1963) (= Altdt. Textbibl. Ergänzungsreihe 1); R. TAYLOR, Die Melodien der weltlichen Lieder des MA, 2 Bde. (St 1964) (= Sig. Metzler 34-35). Lit.: F. GENNRICH, GrundriB einer Formenlehre des ma. Liedes als Grundlage einer musikal. Formenlehre des Liedes (Hl 1932, Nachdr. Tü 1970); E. JAMMERS. Der Vers der Trobadors u. Trouvčres u. die dt. Kontrafakten, in: FS W. Bulst (Hei 1960); Der dt. M. Aufsätze zu seiner Erforschung, hrsg. v. H. FROMM (Da 1961, •1972) (= Wege der Forschung 15); E. JAMMERS, M. u. Choral, in: FS H. Besseler (L 1961); B. KIPPENBERG, Der Rhythmus im M. Eine Kritik der literar- u. musikhist. Forschung mit einer Ubersicht über die musikal. Quellen (Mn 1962) ( = Münchner Texte u. Unters. z. dt. Lit. des MA 3); K. H. BERTAU, Sangverslyrik. Ober Gestalt u. Geschichtlichkeit mhd. Lyrik am Bsp. des Leichs (Gö 1964); F. GENNRICH, Die Kontrafaktur im Liedschaffen des MA (Langen 1965); E. JAMMERS, Das königliche Liederbuch des dt. M.s. Eine Einführung in die sog. Manessische Hs. (Hei 1965); F. MAURER, Sprachliche u. musikal. Bauformen des dt. M. um 1200, in: Poetica 1(1967); CH. PETZSCH. Kontrafaktur u. Melodietypus, in: Mf 21 (1968); H. TERVOOREN, Bibliogr. zum M. u. zu den Dichtern aus „Des M.s Frühling" (B 1969) (= Bibliogr. z. dt. Lit. des MA 3); B. KIPPENBERG, Die Melodien des M., in: Musikal. Ed. im Wandel des hist. Bewußtseins, hrsg. v. Th. G. Georgiades (Kas 1971) (= Musikwiss. Arbeiten 3); W. STIEF, Die Melodien des M.s als Spiegel verschollener Volkslieder? (1973) (= Studia musicologies 15); P. GULKE, Mönche, Bürger, Minnesänger. Musik in der Ges. des europäischen MA (L — W 1975) (= Wiener musikwiss. Beitr. 4); E. KLEINSCHMIDT, M. als höfisches Zeremonialhandeln, in:. Arch. für Kulturgesch. 1 (1976). J. HUNKEMOLLER
MINORE (it., = Moll; engl.: minor; frz.: mineur; span.: menor), gelegentlich bei einem in Dur stehenden mehrteiligen Stück (z. B. Marsch, Menuett, Scherzo) Überschrift für das in Moll gesetzte Trio bzw. bei einem in Moll stehenden mehrteiligen Stück für den nach einem Durteil in der Haupttonart wiedereintretenden Mollteil. — Die entsprechende Bezeichnung Maggiore (it., = Dur; engl.: major; frz.: majeur; span.: mayor) in einem Mollstück kommt seltener vor.
MINTON, Yvonne Fay, * 4. 12. 1938 Sydney; australische Sängerin (Mezzosopran). Sie studierte am Konservatorium in Sydney, verließ 1961 Australien und gewann im selben Jahr den Internationalen Gesangswettbewerb in 's-Hertogenbosch und debütierte in London in der Oper One Man Show von N. Maw. Seit 1965 tritt sie regelmäßig an der Co321
Mireille vent Garden Opera in London auf, seit 1969 auch am Kölner Opernhaus. 1970 sang sie erstmals an der Mailänder Scala und am Opernhaus von Chicago. Gastspiele führten sie ferner an die Wiener Staatsoper sowie zu den Bayreuther (Debüt als Brangäne, 1974) und Salzburger Festspielen, wo sie 1978 den Octavian im Rosenkavalier von R. Strauss, eine ihrer Glanzrollen, sang. 1980 wurde sie Commander of the Order of the British Empire. MIREILLE, Oper in 5 Akten von Charles Gounod (1818-93), Text von Michel Carré nach der provenzalischen Dichtung Mireïo (1859) von Frédéric Mistral. Ort und Zeit der Handlung: Arles, um 1850. UA: 19.3.1864 in Paris (Théâtre-Lyrique); EA in dt. Sprache: 17.11. 1864 in Philadelphia (nur 1. und 2. Akt); dt. EA (in frz. Sprache): 5. 2. 1893 in Berlin (Kroll-Oper); 1. vollständige Aufführung in dt. Sprache: 19. 3. 1903 in Bremen. Bald nach der UA wurde die Oper auf 3 Akte gekürzt; in dieser Version mit gestrafftem Handlungsverlauf setzte sich das Werk durch. Die junge Arlesierin Mireille weigert sich, einen ihr bestimmten reichen Mann zu heiraten und folgt dem Ruf ihres Herzens, um mit ihrem mittellosen Geliebten Vincent zusammenzusein. Nach einem zweitägigen Marsch in sengender Sonne zur Kapelle Hautedes-Saintes-Maries, wo sie Vincent treffen will, stirbt sie an den Folgen eines Hitzschlages. (Eine 2. Version schlieSt mit der glücklichen Vereinigung des Paares.) Für die Zeit der kompositorischen Arbeit wohnte Gounod in Saint-Rémy-de-Provence, um die Mentalität und die Musik der Menschen zu studieren, in deren Lebensbereich die Oper spielen sollte. Es gelang ihm, insbesondere durch Übernahme folkloristischer Elemente, Stimmungsbilder mit typisch provenzalischer Atmosphäre zu schaffen. Das berühmte Volkslied Magali (in der Oper als Duett vertont) und eine auch im Orchestersatz unverkennbar an der folkloristischen Instrumentenkombination Einhandflöte/Trommel orientierte Farandole sind charakteristische Beispiele für das Lokalkolorit der Oper. R. QUANDT MIRLITON (frz.; engl.: kazoo, bazoo, Tommy talker), Bz. für ein Membranophon, das durch eine beim Sprechen, Singen oder Summen mitschwingende Membran die menschliche Stimme verstärkt und ihr eine scharf näselnde Färbung verleiht. Freie M.s sind ein straff vor den Mund gespanntes Blatt (oder Baumrinde) oder ein Kamm mit einem Stück darübergezogenen Seidenpapiers als Membran. ÄuBerlich Instrumenten ähnlicher sind M.s, deren Membran über ein Loch in einer Röhre oder in einem GefäB gespannt ist. Das M. spielte bei vielen Völkern im kultischen Bereich eine bedeutende 322
Rolle. In Frankreich gab es im 16.-17. Jh. die sog. Zwiebelflöte (flûte â l'oignon) oder Eunuchenflöte (chalumeau oder Mite eunique; vgl. M. Mersenne, Harmonie universelle III, 1636) mit einer Membran aus Zwiebelhaut oder aus dünnem Leder. Diese M.s glichen oft Flöten, hatten blinde Grifflöcher und einen Kugelaufsatz für die Membran und waren so beliebt, daB sogar 4- bis 5st. Kompositionen mit ihnen aufgeführt wurden. Seit Ende des 19. Jh. werden M.s in Gestalt von Trompeten oder Saxophonen als Kinderinstrumente industriell hergestellt. Es gab zu dieser Zeit sogar Bemühungen, das M. als Musikinstrument einzusetzen (řBigophone). In der Jazzmusik wird das M. häufig zur Bluesbegleitung verwendet. Lit.: C. SACHS. Geist und Werden der Musikinstr. (B 1929, Nachdr. Buren 1975).
M. BROCKER
MIROGLIO. — 1) Pierre, * 1715 Piemont, t zwischen 1762 und 1764 Paris; it. Violinist und Komponist. Sein Name taucht erstmals 1738 in der Pariser Presse auf. M. war Mitglied des Orchesters des Fürsten von Carignan, gleichzeitig mit J.-P. Guignon, der wie M. selbst Schüler von G. B. Somis gewesen war. 1741 veröffentlichte er 6 Sonaten für Violine in italienischem Stil. Nach dem Tod des Fürsten von Carignan war M. 1741-62 als Generalsteuerpächter in den Diensten von A. de La Pouplinière. — 2) Jean-Baptiste, Bruder von 1), * um 1725 Piemont, t um 1785 Paris; it. Komponist und Musikverleger. Er war wahrscheinlich Violinschüler seines älteren Bruders und von Guignon und war dann als Komponist und Lehrer für Violine sowie als Violinspieler tätig. Die Mehrzahl seiner Kompositionen erschien überwiegend vor 1765, wo er gemeinsam mit dem flämischen Maler Antoine de Peters ein „Bureau d'Abonnement musical" eröffnete. Dieses erste derartige Unternehmen in Paris lieh gegen Zahlung einer monatlichen Gebühr Musikalien aller Art aus. Trotz Auseinandersetzungen mit einigen Verlegern (besonders L. B. La Chevardière) konnte sich dieses Bureau d'Abonnement musical bis 1783 behaupten und spielte eine bedeutende Rolle für das Pariser Musikleben. M.s 3sätzige Ouvertüren op. 3 und seine 4sätzigen Symphonies op. 10 vereinen italienische und französische Züge mit denen der Mannheimer Schule. WW: 2 Bücher Sonaten für V. u. B. (P 1749, 1750); 6 Bücher Sonaten für 2 V. ohne B. (P 1753); Première suite de menuets für 2 V. oder Violen u. B. (P 1763); 6 Ouvertures è quatre parties (P 1751); 6 Symphonien für Orch. (P 1764). Lit.: B.S. BROOK, La symphonie française dans la 2d` moitié du 1962).
XVIII` siècle (P
MIRSOJAN, Edward Michailowitsch, * 12.5. 1921 Gori (Georgien); sowjetarmenischer Komponist. Er studierte in der Kompositionsklasse von Ward-
Missale kes Taljan am Konservatorium in Eriwan, wo er 1948 Lehrer für Komposition wurde. 1957 übernahm er die Leitung des armenischen Komponistenverbandes. WW: Klv.-Stücke; 2 Streichquartette (1947, 1956); symphonische Dichtungen: Lorezi Sako (1941); Gerojam Welikoj Otetschestwennoj wojny(Den Helden des großen Vaterländischen Krieges) (1944); Poema (Gedicht) (1955); symphonische Tänze (1946); Festouvertüre (1947); Symphonie für Str. u. Pk. (1961); Pos.Konzert (1965). — Lieder u. Chöre; Kantate Sowjetskaja Armenija (Sowjetarmenien) (1948); ferner Filmmusik. Lit.: M. P. TEIL-SIMONJAN, E.M. (Mos 1969).
MISCHPULT, Bz. für ein in der Tonübertragung verwendetes Gerät zur Mischung verschiedener Signale von Mikrophonen, elektrischen Musikinstrumenten, Tonbändern und Schallplatten. Deren Mischungsverhältnis untereinander kann mit Drehoder Schiebereglern eingestellt und laufend den Erfordernissen angepaßt werden. Ein Summenregler ermöglicht die Regelung des gemischten Signals. Für /Stereophonie werden 2 Summenkanäle benötigt, wobei die gewünschte Ortung (z. B. eines Mikrophons) auf der Stereobasis durch einen Panoramaregler eingestellt wird. Der klanglichen Beeinflussung und Verfremdung dient eine Vielzahl von (oft im M. integrierten) Zusatzeinrichtungen wie Filter (Veränderung des Klanges), Begrenzer (Verstärker, der zu laute Signale auf einen Höchstwert „begrenzt") und Kompressoren (zur Verringerung der Originaldynamik), wobei häufig über Buchsen weitere externe Geräte an mehreren Punkten des Signalwegs zwischengeschaltet werden können. Die ankommenden Signale können zudem über weitere Regler auf zusätzliche Summenwege verteilt werden, mit denen z. B. Halleinrichtungen oder Saallautsprecher angesteuert werden. Die vielfältigen technischen Möglichkeiten haben die Tontechnik selbst zum künstlerischen Gestaltungsmittel werden lassen und eine eigene Ästhetik hervorgebracht. U. KRAUS MISERERE, Miserere mei Deus, secundum magnam misericordiam tuam (lat., = Erbarme dich meiner, Gott, nach deiner großen Barmherzigkeit), der Psalm 50 in der Vulgatazählung. Er gehört zu den sogenannten Bußpsalmen und hat in der rö-
misch-katholischen Liturgie seinen Ort im Totenoffizium und in den Laudes, wo er seit dem frühen Mittelalter als täglicher Akt der Reue gebetet wurde. Seine überragende liturgische und musikalische Bedeutung jedoch verdankt er der vielfachen Verwendung im Offizium der Karwoche (die durch die Liturgiereform 1955 stark eingeschränkt wurde). An den letzten 3 Kartagen war die Aufführung des M. als feierlicher Abschluß des Offiziums der Tenebrae vor allem in Italien ein wichtiges mu-
sikalisches Ereignis. Die mehrstimmige Vertonung des M. als Psalmmotette erreichte in der berühmten Komposition Josquin des Prés' (zw. 1501 und 1505) einen ersten Höhepunkt. Für den liturgischen Gebrauch in der Karwoche wurde der Psalm in der Regel nicht motettisch, sondern versweise vertont, oft zusammen mit der Antiphon Christus factus est pro nobis. Doppelchörige Besetzung, Falsobordonesätze, der Wechsel von mehrstimmig vertonten mit einstimmig im Gregorianischen Gesang vorgetragenen Versen: diese Eigenarten der Psalmvertonung kennzeichnen zahlreiche M.-Vertonungen bis ins 19. Jahrhundert. Das berühmte, 1638 entstandene M. von G. Allegri blieb bis 1870 im Repertoire der Sixtinischen Kapelle. In Venedig erfreute sich die Komposition J. A. Hasses (1728), in Neapel die L. Leos (1739) anhaltender Beliebtheit. Große Verbreitung fand S. Matteis italienische Paraphrase in der Vertonung durch N. Jommelli (1774). Deutsche Umdichtungen sind die Kirchenlieder Erbarm' dich mein, o Herre Gott und O Herre Gott, begnade mich. Lit.: M. MARX-WEBER, Röm. Vertonungen des Ps. M. im 18. u. frühen 19. Jh., in: Hamburger Jb. für Musikwiss. 8 (1985); DIES., Neapolit. M.-Vertonungen des 18. u. frühen 19. Jh., in: AfMw 43 (1986).
M. MARX-WEBER
MISÓN, Luis, * Barcelona, t 13.2.1766 Madrid; span. Komponist und Flötist. Er trat 1748 als Flötist in die Königliche Kapelle von Madrid ein und war dann am Teatro del Buen Retiro tätig. M. nimmt einen wichtigen Platz als Schöpfer der Tonadilla escénica, einer musikalischen Zwischenaktsmusik, ein, die beim Publikum unmittelbaren und über ein halbes Jahrhundert andauernden Erfolg hatte. WW: 6 Sonaten für Fl. u. B.c. sind hsl. erhalten. — Komische Opern: El tutor enamorado; El amor a todos vence; La festa cinese; ferner Zarzuelas, Sainetes u. etwa 80 Tonadillas. Lit.: J. SuBIRA, Catálogo de la sección de música de la Bibl. Municipal de Madrid I (Ma 1965).
MISSA (lat.), /Messe. MISSALE, MeBbuch, eines der /liturgischen Bücher, das die Gebete, Gesangstexte und Lesungen der Messe enthält. Es faßt drei ursprünglich selbständige liturgische Bücher zusammen: das Sakramentar (Gebete), das /Graduale (Gesangstexte) und das /Lektionar (Lesungen). Das älteste bekannte Zeugnis, das Missale von Bobbio (Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 13 246), ein kleinformatiges Reise -M. eines Wandermönchs, wird um 700 datiert. Eine langsame Entwicklung führte zu den Ende des 14. Jh. entstandenen Voll-(Plenar-) Missalien. Initiiert durch das Konzil von Trient wurde 1570 durch Pius V. das Missale Romanum als für alle Kirchen verbindlich eingeführt, die nicht einen wenigstens 200 Jahre alten Sonderritus auf 323
Mistinguett wiesen. Es enthielt: Einleitung, Proprium de tem- 1. Aufführung in neuerer Zeit (konzertant): Salzpore, Ordo missae (unveränderliche Teile der burger Festspiele 1970; dt. EA: 23.10.1971 in Messe), Proprium Sanctorum, Commune Sanc- Düsseldorf. torum, Votivmessen, Totenmessen, verschiedene Die konventionelle Anlage dieses Werkes (langatOrationen, verschiedene Benediktionen und Meß- mige Secco-Rezitative, überdehnte Arien meist in formeln für ortseigene Feste. In der liturgischen der verkürzten da capo-Form und hochvirtuos gePraxis war das M. für den Priester am Altar be- staltete Partien für die fünf Handlungsträger) ist stimmt. Deshalb enthielt es Melodien nur für die unmittelbare Folge der äußeren Einflüsse, unter vom Altar aus zu singenden Teile des Ordinarium denen Mozart seine erste Oper für eine italienische missae: Intonationen für Gloria und Credo, Präfa- Bühne schrieb. Der künstlerische Gestaltungsfreitionen, Pater noster und Ite missa est; dazu be- raum war durch den Publikumsgeschmack eng bestimmte charakteristische Gesänge der Kartage. Im grenzt; eine intrigante Hofclique wollte sogar sämtGefolge des 2. Vatikanums erschien 1965 für den liche Arien der Aspasia und das SchluBduett im deutschen Sprachraum ein 3bändiges lateinisch- 2. Akt durch Nummern aus Q. Gasparinis Vertodeutsches Altarmeßbuch. 1970 wurde das erneu- nung desselben Librettos (1767) ersetzen. Mehrere erte Missale Romanum verbindlich, das, als Sakra- Fassungen nahezu jeder Nummer zeugen von den mentar angelegt, wie bisher das gesamte Ordi- Sonderwünschen der Sänger und Instrumentalisten, narium missae und vom Proprium die Amtsgebete auf die Mozart Rücksicht zu nehmen hatte. So lie(Orationen) des Priesters sowie Eröffnungs- und gen die eigentlichen charakterisierenden AffektKommunionvers enthält, jedoch keine Lesungen darstellungen eher in den wenigen Accompaund sonstigen Propriumsgesänge mehr (Introitus, gnato-Rezitativen als in den schablonenhaften Graduale usw., Offertorium, Communio), die jetzt Arien, ausgenommen Mitridates Se di lauri íl crine nur in den entsprechenden „Rollenbüchern" Lek- adorno und Aspasias Nel sen mi palpita. Für zeitgetionar und Graduale stehen. Im Anschluß an das nössische Maßstäbe war die Aufführung ein großer Missale wurde 1974 das McBbuch für die Bistümer Erfolg. J. SCHLÄDER des deutschen Sprachgebiets (Fr u. a. 1975) approMITROPOULOS, Dimitri, * 18. 2. (1.3.) 1896 biert. Es enthält zusätzliche Gesänge für den Gründonnerstag, den feierlichen Schlußsegen und im Athen, t 2. 11. 1960 Mailand; griech. Dirigent. Er Anhang Melodien für Begrüßungsformeln u. a. studierte Klavier und Komposition am Odeion in Athen, bei P. Gilson in Brüssel und bei F. Busoni in Anlässe. Berlin. 1926-30 leitete er das Orchester des AtheMISTINGUETT (eig. Jeanne Florentine Bour- ner Konservatoriums. M. erlangte als Solist und geois), * 5.4.1875 Enghien-les-Bains bei Paris, Dirigent internationalen Ruf; er war 1937-39 t 5.1.1956 Bourgival bei Paris; frz. Chanson- Dirigent des Minneapolis Symphony Orchestra, sängerin und Schauspielerin. Sie debütierte 1895 1949-58 des New York Philharmonic Orchestra unter dem Pseudonym „Miss Tinguette" im Casino und trat dann häufig als Operndirigent hervor, u. a. de Paris mit dem Lied La môme du Casino. Danach seit 1954 an der Metropolitan Opera, dann an der trat sie in zahlreichen Revuen in den Folies-Bergère Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festauf. Zu ihren Partnern zählte auch M. Chevalier. In spielen. M. ist auch als Komponist von Klavierden 20er Jahren galt die M. als „Königin der Pariser stücken, Kammermusik, Orchesterwerken, VokalRevuetheater". Unter dem Titel Toute ma vie (P musik und mit der Oper Soeur Béatrice (nach M. 1954, dt. Z 1954) veröffentlichte sie ihre Erinne- Maeterlinck, UA: Athen 1919) hervorgetreten. rungen. Von ihren bekannten Chansons seien er- 1961 wurde in New York ein internationaler M.wähnt: La vertinguette; Mon homme; En douce; Ça Wettbewerb für Dirigenten eingerichtet. c'est Paris; Je cherche un millionaire; Je suis une Lit.: R. LEIBOwrrz, L'eredità di D. M., in: L'approdo musicale midinette; La femme torpille; Valencia; La Java. 3 (1960); R. BREUER, M., Mystiker u. Moralist, in: Melos 28 Lit.: J. COCTEAU, Adieu k M. (P 1956).
(1961).
MISURATO (it., = gemessen), 7a battuta. MITRIDATE, RE DI PONTO (Mithridates, König von Pontus), Opera seria in 3 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), KV 87 (74 a), Text von Vittorio Amadeo Cigna-Santi nach JeanBaptiste Racines Tragödie Mithridate (1673). Ort u. Zeit der Handlung: Ninfea, 63 v. Chr. UA: 26.12.1770 in Mailand (Teatro Regio Ducal);
MITTELALTER. Der vom karolingischen Reich im 8./ 9. Jh. bis zum Aufkommen der modernen Staaten im 14./15. Jh. sich erstreckende Zeitraum wird in Anlehnung an den allgemeinen, aus der Geschichtswissenschaft stammenden Sprachgebrauch als die musikgeschichtliche Epoche des M. bezeichnet. Die Anfänge der Musik des M. sind in der Begegnung zwischen der im Mittelmeerraum be-
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Mittelalter heimateten liturgischen Einstimmigkeit (Gregorianischer Gesang) und der auf einer elementaren Klanglichkeit beruhenden Musik der Völker nördlich der Alpen zu suchen. Dabei führt die Aneignung des südlichen Melodieguts durch die neu christianisierten Völker im 9. Jh. zu einschneidenden Neuerungen: Die melismatischen Gesänge, vor allem die Alleluia-Jubilus, werden syllabisch textiert und u. a. durch den St. Galler Mönch Notker Balbulus in die neuen Gattungen der řSequenzen und Tropen (/Tropus) verwandelt. Die dadurch bewirkte Hervorhebung des silbentragenden Einzeltons erhält eine Verstärkung durch den Zusammenklang im /Organuni, der ältesten Art von Mehrstimmigkeit, die in der /Musica enchiriadis als Verbindung von Stimmen, vornehmlich im Quart- oder Quintabstand, beschrieben wird. Auch die in dieser Zeit entstehende musikalische Schrift der /Neumen-Notation ist als eine Aneignungsweise des bis dahin mündlich überlieferten Gregorianischen Gesangs bei den neu missionierten Völkern zu verstehen. Die Entstehung, Aufführung und Weitergabe eines großen Bestandes mittelalterlicher Musik ist jedoch auch in der Folgezeit nicht auf Schriftlichkeit angewiesen. Die vorhandenen Quellen besagen deshalb nur, daß und wie eine musikalische Praxis ihren schriftlichen Niederschlag gefunden hat. Diese selbst ist, ebenso wie die mündlich tradierte Musik, nur hypothetisch zu erschließen. Auf ursprünglich mündlicher Überlieferung beruhen auch die ersten größeren Sammlungen mehrstimmiger Musik des 11./12. Jh. im sog. WinchesterTropar, in St-Martial (Limoges) und in Santiago de Compostela (Codex Calixtinus). Die in letzteren Quellen neben zahlreichen Vertonungen versifizierter Texte (Versus, Tropen, ř'Conductus) aufgezeichneten Organa haben die liturgische Melodie als C.f. in der Unterstimme, über der sich eine melismatische Oberstimme erhebt. Im Gegensatz zum älteren Organum, in dem die liturgische Melodie als Oberstimme dominierte, hat sich jetzt die Zusatzstimme nach vorn gedrängt, wobei der C.f., in Einzeltöne zerlegt, die konstruktive Basis bildet. Während das ältere Organum außer in der Musica enchiriadis vor allem im Micrologus des Guido von Arezzo theoretisch erörtert wird, taucht im 12. Jh. das neuere Organum in dem Traktat De arte musica des Johannes Affligemensis (Cotton), in dem anonymen Traktat Ad organum faciendum (Mailänder Traktat) sowie im Vatikanischen Organumtraktat auf. Das neue mehrstimmige Konzept bestimmt auch die folgenschwere Entwicklung, die um 1200 von der Pariser /Notre-Dame-Schule ausgeht und die
mit den Namen der Kantoren Leoninus und Perotinus verbunden ist. Es ist das bleibende Verdienst der Notre-Dame-Musiker, mit der Erweiterung einer geregelten Mehrstimmigkeit über die Zweistimmigkeit hinaus zur Drei- und Vierstimmigkeit erstmals eine klar definierte rhythmische /Notenschrift, die sog. Modalnotation, eingeführt und somit die schriftlich-rhythmische Organisation der Stimmen zur Voraussetzung des musikalischen Konzepts gemacht zu haben. Erst jetzt wird die Schriftlichkeit zum wesentlichen Bestandteil der Mehrstimmigkeit. Die kompositorische Detailarbeit an den Organa führt im Rahmen der sog. 7Discantus-Partien und Ersatz-/Klauseln durch Neutextierung der Oberstimmen zur Entstehung der /Motette, die seit ihren Anfängen in der /Ars antiqua des 13. Jh. zu den zentralen musikalischen Gattungen zählt. Charakteristisch für die in Frankreich verbreitete Motette ist das gleichzeitige Erklingen verschieden-sprachlicher Texte in den zwei Oberstimmen über einem als Tenor verwendeten C.f.-Abschnitt. Zu dem lateinischen sakralen Text im Motetus kann dabei ein französischer weltlicher Text im Triplum treten. Nach Fortschritten in der Notenschrift, die in der 2. Hälfte des 13. Jh. besonders durch Franco von Köln und Petrus de Cruce von der Modal- zur Mensuralnotation ausgebaut wird, ist die Motette auch in der /Ars nova des 14. Jh. bei Ph. de Vitry und G. de Machaut führend, so daß sie die neue Gattung der Vertonung des Meßordinariums nachhaltig prägt (Messen von Tournai, Barcelona, Toulouse; Messe von G. de Machaut). Daneben erfaßt die mehrstimmige Komposition bei Machaut auch das weltliche französische Lied, dessen Wurzeln in der Einstimmigkeit des älteren /Troubadour- und ."Trouvère-Gesangs liegen. Gleichzeitig kommt es in Italien in der Musik des OETrecento mit ihrem führenden Vertreter Fr. Landini zu einer weltlichen Mehrstimmigkeit von hohem Rang, die gegenüber der auf Konstruktion und Formalismus beruhenden französischen Musik die Unmittelbarkeit des Gesanges zur Geltung bringt. In Frankreich selbst neigt die zunehmende Intellektualisierung vor allem in rhythmischer Hinsicht (2'Isorhythmie) in der sog. /Ars subtilior des späten 14. Jh. zu einer Erstarrung des Motettenschaffens, das erst in der 1. Hälfte des 15. Jh. durch frische Impulse aus außerfranzösischen Bereichen in der /Burgundischen Schule und der /Franko-flämischen Schule neu belebt wird. Der am Anfang dieser Schule stehende G. Dufay öffnet der bis dahin auf Frankreich zentrierten Entwicklung neue Einflußsphären, wobei neben der italienischen Musik einfachere mehr325
Mittelalter stimmige Praktiken, wie sie sich in England in einer längeren mündlichen Tradition auf der Grundlage von Terz-Sext-Klängen erhalten haben, als ." Fauxbourdon in die Komposition eindringen. Die Musiktheorie des M.s ist einerseits eine Fortsetzung der durch Boëthius vermittelten spekulativen Lehre der Antike, in der die Ars musica als eine der sieben Artes liberales erscheint, andererseits versucht die Theorie, die musikalische Praxis ihrer Zeit zu erfassen. Ähnlich wie die musikalische Schrift vermögen aber auch die auf die Praxis ausgerichteten Traktate nur eine bestimmte Seite der Musik herauszustellen (z. B. Tonart, Konsonanzen, Klangfolgen, Rhythmus), diese selbst aber entzieht sich in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit der theoretischen Durchdringung. Neben dem beschreibenden Charakter der Lehrschriften steht ihre didaktische Funktion, die sich in Form von Regeln als Anleitung zur Ausführung ausdrückt. Die zentrale Entwicklungslinie der Musik des M.s ist umgeben von Traditionen, in denen eine frühere geschichtliche Stufe weiterlebt. Unter diesen nehmen neben dem Gregorianischen Gesang die frühe Mehrstimmigkeit, weite Bereiche der weltlichen Musik wie der Instrumentalmusik einen beachtlichen Rang ein. Andererseits ist der FortschrittsprozeB in der mittelalterlichen Musik nicht isoliert verlaufen, sondern wurde von der Gleichzeitigkeit der älteren Traditionen wesentlich bedingt. Lit.: H. E. WOOLDRIDGE, The Polyphonic Period (Lo 1901/1905) (= Oxford History of Music 1-2); F. LUDWIG, Die geistliche nichtliturg., weltliche einst. u. die mehrst. Musik des MA bis zum Anfang des 15. Jh., in: Hdb. der Musikgesch., hrsg. v. G. ADLER (B 1924, Nachdr. Tutzing 1961), Taschenbuchausg., 3 Bde. (Mn 1975) (= dtv, Wiss. Reihe 4039-4041); R. VON FICKER, Primäre Klangformen, in: Jb. Peters 36 (1929); H. BESSELER, Die Musik des MA u. der Renaissance (Pd 1931, Nachdr. Laaber 1979); L. SCHRADE, Die hsl. Überlieferung der ältesten Instrumentalmusik (Lahr 1931, Tutzing 21968); O. URSPRUNG, Die kath. Kirchenmusik (Pd 1931, Nachdr. Laaber 1979); G. REESE, Music in the Middle Ages (NY 1940); J. HANDSCHIN, Musikgesch. im Überblick (Luzern 1948); M. F. BUKOFZER, Studies in Medieval and Renaissance Music (NY 1950); TH. G. GEORGIADES, Musik u. Sprache (B—Gö—Hei 1954, 21974) (= Verständl. Wiss. 50); K. VON FISCHER, Stud. z. it. Musik des Trecento und frühen Quattrocento (Be 1956); TH. GÖLLNER, Formen früher Mehrstimmigkeit in dt. Hss. des späten MA (Tutzing 1961); W. APEL, Die Notation der polyphonen Musik (L 1962, 2 1971); M. L. MARTINEZ, Die Musik des frühen Trecento (Tutzing 1963) (= Münchener Veröff. z. Musikgesch. 9); A. SEAY, Music in the Medieval World (Englewood Cliffs/N.J.); RISM, B IV, 1-2, hrsg. v. G. REANEY (Mn—Duisburg 1966-69); F. RECKOW, Der Musiktraktat des Anonymus 4 (Wie 1967) (= Beih.e z. AfMw 5); J. SMITs VAN WAESBERGHE, Musikerziehung, Lehre u. Theorie der Musik im MA (L 1969) (= Musikgesch. in Bildern 3); H. H. EGGEBRECHT — F. ZAMINER, Ad organum faciendum, Lehrschriften der Mehrstimmigkeit in nachguidonischer Zeit (Mz 1970) ( = Neue Stud. z. Musikwiss. 3); Musikal. Edition im Wandel des hist. BewuBtseins, hrsg. v. TH. G. GEORGIADES (Kas 1971) ( = Musikwiss. Arbeiten 23); Gesch. der kath. Kirchenmusik I, hrsg.
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v. K. G. FELLERER (Kas 1972); RISM, B IV, 3-4, hrsg. v. K. VON FISCHER (Mn — Duisburg 1972); H. BESSELER — P. GULKE, Das Schriftbild der mehrst. Musik (L 1973) (= Musikgesch. in Bildern 3); Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen, Gedenkschrift L. Schrade I, hrsg. v. W. ARLT — E. LICHTENHAHN — H. OESCH (Be 1973); A. HUGHES, Medieval Music. The Sixth Liberal Art (Toronto 1974) (= Toronto Medieval Bibliographies 4); R. HOPPIN, Medieval Music (NY 1978). — Vgl. auch die Lit. zu den einzelnen im Artikel genannten musikal. Gattungen. TH. GÖLLNER
MITTERER, Ignaz Martin, * 2. 2. 1850 St. Justina (Tirol), t 18.8.1924 Brixen; östr. Komponist. Er wurde 1874 zum Priester geweiht und begann 1876 ein Musikstudium bei Fr. X. Haberl und M. Haller in Regensburg. Nach einem 2jährigen Romaufenthalt wurde er 1882 als Nachfolger Haberls Kapellmeister am Regensburger Dom, 1885 Domkapellmeister in Brixen. In seinen rund 200 Werken (darunter 45 Messen) verbindet M. einen an G. P. da Palestrina anknüpfenden Stil mit zeitgenössischen Strömungen. Schriften: Die wichtigsten kirchlichen Vorschriften für katholische Kirchenmusik (Rb 1885, 41905, engl. Lo 1901); Praktische Chorsingschule (Rb 1894, 61925), dazu Suppl. mit Singübungen (Rb 1904); Praktischer Leitfaden für den Unterricht im römischen Choralgesang (Rb 1896, 2 1911). Lit.: P. GRIESBACHER, I. M., in: MS 55 (1925); R. CORAZZA, I. M., der große Kirchenkomponist Südtirols (Brixen 1948) (= An der Etsch und im Gebirge 10).
MITTSOMMER-HOCHZEIT (Midsummer Marriage), Oper in 3 Akten von Michael Tippett (5 1905), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: imaginäre Waldlichtung, 20. Jahrhundert. UA: 27.1.1955 in London (Covent Garden). Als Hauptmotive des teils phantastisch-surrealen, teils philosophisch-zeitkritisch ausgerichteten Librettos erscheinen die gedanklichen und materiellen Barrieren, denen sich zwei junge Paare auf der Suche nach sexueller und geistiger Erfüllung gegenübersehen: existentiell bedeutsame Konflikte durch unterschiedliche moralische Wertungen, das Generationenproblem und die Abhängigkeit von ökonomischen Machtverhältnissen. Reichhaltig ist das Repertoire literarisch-szenischer Darstellungsformen, die Tippett virtuos miteinander verbindet: Allegorische Tanzriten und Bilder sind neben dem verbalen Dialog gleichrangige Elemente poetischer Metaphorik. Die musikalische Sprache des Werkes ist von gemäßigter Modernität; alle Mittel spätromantisch-impressionistischer Harmonik und Instrumentation werden voll ausgeschöpft. Besonderen Anteil an der durchgängig sensiblen Empfindungs- und Situationsdarstellung hat die geschickte und strukturell enge Verzahnung von Gesangspart und orchestralen Zwischenspielen. W. A. MAKUS MIXOLYDISCH, in der altgriechischen Musik-
Mjaskowski theorie Bz. für die Oktavgattung mit dem Umfang h—H. — Im System der /Kirchentöne Bz. für den 7. Modus, der durch die Skala g a h c' d l elf' g' charakterisiert ist, während „hypomixolydisch" die Bz. für den B. Modus ist, dem die Skala d e f g a h c' d'
entspricht. Bekannte Beispiele für m.e Melodien sind im Gregorianischen Gesang die Sequenz Lauda Sion, im evangelischen Kirchengesang die Choräle Gelobet seist du, Jesu Christ und Gott sei gelobet und gebenedeiet. Hypomixolydisch ist der Hymnus Veni creator spiritus. Die Harmonisierung von Kadenzen am Schluß m.er Melodien macht wegen des Fehlens eines Leittons (fis) eine besondere Akkordfolge notwendig, die man in der Harmonielehre des 18./19. Jh. als „mixolydischen Schluß" bezeichnet (a) und die sich deutlich von einem Ganzschluß in G-Dur (b) unterscheidet: b
a
rungen über Vom Himmel hoch und den Rätselkanon BWV 1076 schrieb, 20. und letztes Mitglied 1755 L. Mozart. Seit 1743 stand M. in Polen zunächst im Dienst des Grafen Malachowski zu Korískie und lebte dann am Hof von Warschau, wo er geadelt und zum königlichen Historiographen und Hofarzt ernannt wurde. M. verfolgte entschieden das Ziel, alle musikalischen Phänomene mit Hilfe der Mathematik zu bestimmen, und entfernte sich somit von dem in Frankreich seit R. Descartes entwickelten Rationalismus, der weniger positivistisch war als seine eigene Auffassung, die der hundert Jahre vor ihm von M. Mersenne vertretenen Meinung entsprach. Durch die Ablehnung jedes irrationalen Elements und trotz seiner Förderung der praktischen Musik kann M. als einer der Hauptvertreter der traditionellen Strömungen angesehen werden, die von der lebendigen Musik seiner Zeit bereits überwunden waren. Schriften: Lusus ingenii de praesenti bello (Wittenberg 1735); Musicalischer Starstecher, 7 H.e (L 1736-40); Neu eröffnete
MIXTUR (engl.: mixture; frz.: mixture, fourniture, plein jeu; it.: ripieno; span.: lleno), Bz. für ein Orgelregister, das mehrere Töne je Taste erklingen läßt. Im engeren Sinne bedeuten M.en /gemischte Stimmen, die dem /'Prinzipal-Chor angehören, 3-8- oder 10fach besetzt sind und im /Hauptwerk oder Pedal disponiert werden. Der tiefste Chor kann auf C zwischen 2 2/3' und l' liegen, als Obertöne treten Oktaven und Quinten, seltener auch Terzen auf. Sobald eine bestimmte Tonhöhengrenze erreicht ist, repetieren die Chöre um eine Quinte oder Oktave abwärts. Beispiel für die Repetition einer Mixtur 4fach 1 1 /3 ' : 11/3 ' 1' 2/3 ' 1/ ' C C CI C2
22/3' 22/3 '
2 2' 2'
C 3 5 1 / 3' 4' 2 2 /3'
2'
4'
11/3'
1 1 /3' 11/3 '
1'
2/3'
2
1'
MIZLER (Mizlerus, Mitzler) VON KOLOF (de Kolof, Koloff), Lorenz (Laurentius, Laurentz) Christoph (Christophorus), * 25. 7. 1711 Heidenheim (Mittelfranken), t März 1778 Warschau; dt. Musikschriftsteller. Er erhielt von J. S. Bach Unterricht im Cembalospiel und in der Komposition, studierte Philosophie an der Universität Leipzig, promovierte dort 1734 mit einer Dissertatio, quod musica ars sit pars eruditionis philosophicae, habilitierte sich 1737 in Mathematik, Philosophie und Musik und lehrte dort bis 1742/43. 1738 gründete M. die „Korrespondierende Societät der musikalischen Wissenschaften". Ihr 19. Mitglied wurde 1747 Bach, der dafür Einige canonische Veraende-
Musikalische Bibliothek, oder gründliche Nachricht nebst unpartheyischem Urtheil von musikalischen Schriften u. Büchern, 4 Bde. (L 1736-54, Nachdr. Hil 1966); Die Anfangsgründe des Generalbasses, nach mathematischer Lehrart abgehandelt (L 1739, Nachdr. Hil 1972); Auserlesene moralische Oden (L 1740); ferner eine Ubers. des Gradus ad Parnassum v. J. J. Fux ins Deutsche (L 1742). Lit.: J. MATTHESON, Grundlage einer Ehrenpforte (H 1740, Faks.-Ausg. Kas 1969); F. WOHLKE, L. Ch. M. (Diss. B 1940); FEDERHOFER, J. J. Fux u. J. Mattheson im Urteil L. Ch. M.s, in: FS H. Husmann (Mn 1970). H.
MJASKOWSKI, Nikolai Jakowlewitsch, * B. (20.)
4. 1881 Nowo-Georgiewsk (heute Modlin Stary) bei Warschau, t B. B. 1950 Moskau; sowjetruss. Komponist und Musikpädagoge. M. studierte 1906-11 Komposition bei A. Ljadow und Instrumentation bei N. Rimski-Korsakow am Konservatorium in St. Petersburg. 1921-50 war er Professor für Komposition am Moskauer Konservatorium. Zu seinen Schülern zählen vor allem Dm. Kabalewski, A. Chatschaturjan und W. Schebalin. M. wurde 1946 mit dem Ehrentitel Volkskünstler der UdSSR, 1941-51 viermal als Staatspreisträger ausgezeichnet. Sein symphonisches Schaffen nimmt — ganz im Sinne des sozialistischen Realismus — starken Bezug auf Ereignisse und Abläufe in der Sowjetunion, wie die Titel einiger seiner Symphonien zeigen. Stilistisch jedoch bleibt M. dem 19. Jh. und der russischen Tradition verbunden. WW: Symphonien, 1: c-moll (1908, revidiert 1922); 2: cis-moll (1911), 3: a-moll (1914); 4: e-moll (1918); 5: D-Dur (1918); 6: es-moll (1923, revidiert 1948) mit Chor ad lib.; 7: h-moll (1922); 8: A-Dur (1925); 9: e-moll (1926); 10: f-moll (1927); 11: B-Dur (1932); 12: g-moll (1932) (zum 15. Jahrestag der Oktoberrevolution); 13: b-moll (1933); 14: C-Dur (1933); 15: d-moll (1934); 16: F-Dur (1936); 17: gis-moll (1937); 18: C-Dur
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M.M. (1937) (zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution); 19: Es-Dur (1938) für Blasorch.; 20: E-Dur (1940); 21: fis-moll (1940); 22: Simfonija-ballada (1941); 23: a-moll, Simfonija-sjuita (Symphonische Suite) (1941) 24: f-moll (1943); 25: Des-Dur (1946); 26: C-Dur (1948); 27: c-moll (1949). - Ferner ein V.- (1938) und Vc.-Konzert (1945), Kammermusikwerke, Lieder und Chöre. Ausg.: GA, hrsg. v. R. M. GLIER u. a., 12 Bde. (Mos 1953-56). Lit.: A. A. IKONNIKOW. N. Ja. Mjaskowski (Mos 1944, engl. NY 1946, Nachdr. 1970); D. B. KABALEWSKI, N. Ja. Mjaskowski, in: Sowjetskaja musyka 19 (1951, dt. L 1951); W. S. WINOGRADOW, Sprawotschnik-putewoditel po simfonijam N. Ja. Mjaskowskogo (Mos 1954); K.LAUX, Die Musik in Rußland u. in der Sowjetunion bis 1930 (B 1958); N. Ja. Mjaskowski, Stati, pisma, wospominianija (Aufsätze, Briefe, Erinnerungen), hrsg. v. S. I. Schlifschtein, 2 Bde. (Mos 1959-60, 21964); Notografitscheski sprawotschnik (Werkverz.), hrsg. v. DEMS. (Mos 1962); D. EBERLEIN, Russ. Musikanschauung um 1900 (Rb 1978) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 52); D. GOJOWY, Neue sowjetische Musik der 20er Jahre (Laaber 1980).
M.M., MM, Abkürzung für řMetronom Mälzel. MOBERG, Carl-Allan, * 5. 6.1896 Östersund (Jämtland), t 19.6.1978 Uppsala; schwedischer Musikforscher. Er studierte Musikwissenschaft in Uppsala (T. Norlind), Wien (A. Berg) und Freiburg/Schweiz (P. Wagner). 1927 promovierte er in Uppsala, wo er bis 1961 lehrte (1947 Professor). 1934/35 studierte er noch bei J. Handschin in Basel. 1930-39 war er auch Leiter der Musikhistoriska Förening der Universität Uppsala und 1945-61 Präsident der schwedischen Gesellschaft für Musikforschung; seit 1943 war er Mitglied, 1960-63 Präsident der Musikakad. in Stockholm. Schriften: Über die schwedischen Sequenzen, 2 Bde. (Diss. Uppsala 1927) (= Veröff der Gregor. Akad. zu Freiburg in der Schweiz XlII/ 1-2); Der gregorianische Gesang in Schweden während der Reformationszeit, in: KmJb 27 (1932); J. H. Roman, in: STMT 26 (1944); D. Buxtehude (Hälsingborg 1946); Die liturgischen Hymnen in Schweden (Kop 1947); The Function of Music in Modern Society, in: STMf 36 (1954); Das Musikleben in Schweden, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); Musikens historia i Västerlandet intill 1600 (Sto 1973). - M. redigierte 1945-61 die STMT und war Mit-Hrsg. von Sohlmans Musiklexikon, 4 Bde. (Sto 1948-52). Lit.: 1. BENGTSSON, C.-A. M., in: STMT 60 (1978).
MOECK, dt. Verlag und Musikinstrumentenwerk mit Sitz in Celle. Die Firma wurde 1930 von Hermann M. sen. (1896-1982) gegründet und wird seit 1960 von Hermann M. jun. (* 16.9. 1922) Lüneburg) als Alleininhaber geführt (seit 1966 unter der Firmierung: M. Verlag und Musikinstrumentenwerk). Durch die instrumentenbauliche Tätigkeit (Blockflöten u. a. ältere Holzblasinstrumente, Gamben) und durch zahlreiche Veröffentlichungen älterer Musik (z. B. in der auch quellenkundlich verdienstvollen Zeitschrift für Spielmusik, 1932 ff.) hat der Verlag maßgeblichen Anteil vor allem an der Wiederbelebung des Blockflötenspiels in Schule, Haus und Konzert. Eine eigene Holz328
bläserzeitschrift Tibia erscheint seit 1976. Seit 1958 verlegt M. auch zeitgenössische Werke (u. a. von W. Lutoslawski, Krz. Penderecki und weiteren polnischen Komponisten). Die umfangreiche Instrumentensammlung des Verlags befindet sich seit 1963 im Besitz der Universität Göttingen. MOCQUEREAU, Dom André, OSB, * 6. 6. 1849 La Tessonalle (Maine-et-Loire), t 18. 1. 1930 Solesmes; frz. Choralforscher. Er trat 1875 in Solesmes in den Benediktinerorden ein und wurde 1879 zum Priester geweiht. 1889 wurde M. Nachfolger Dom J. Pothiers als Lehrer für Choralgesang. M.s Verdienst liegt zunächst in der Intensivierung der Erforschung der mittelalterlichen Quellen des 2'Gregorianischen Gesangs, die seit 1889 ihren Niederschlag in der Paléographie musicale fand. Für diese monumentale Veröffentlichungsreihe der Benediktiner von Solesmes (2 Reihen mit insgesamt 19 Bänden Faksimile-Ausgaben von Choralhss. des 10.-12. Jh., dazu Abhandlungen) hat M. selbst 7 Bände bearbeitet. Er hatte damit neben J. Pothier einen maßgeblichen Anteil an der Vorbereitung der Choralreform von 1903 (/Choralausgaben). M.s Hauptinteresse galt daneben der rhythmischen Struktur des Chorals. In seinem Nombre musical schuf er eine Theorie von der rhythmischen Gleichwertigkeit aller Noten. Demzufolge ist der Choralrhythmus nicht durch den Wechsel von Länge und Kürze, sondern durch den Wechsel von Arsis und Thesis, von Bewegung und Ruhe (= řIktus 2) bestimmt. Diese Theorie liegt im wesentlichen der von Solesmes entwickelten „äqualistischen" Vortragslehre des Chorals zugrunde und prägt sich z. B. in den „rhythmica signa" aus, mit denen die Solesmesner Choralausgaben versehen sind. Schriften: La psalmodie romaine et l'accent tonique latin (Tou 1895); L'art grégorien, son hut, ses procédés, ses caractères (Solesmes 1896); Méthode du chant grégorien (Tou 1899): Petit traité de psalmodie (ebd. 1904); Le nombre musical grégorien, 2 Bde. (ebd. 1908/27). - Ferner zahlreiche Abh.en in Paléographie musicale. Lit.: Schriftenverz. v. P. COMBE, in: Études grégoriennes 2 (1957); DERS., Histoire de la restauration du chant grégorien d'après des documents inédits (Solesmes 1969).
MODAL (von lat. modus = Maß). —1) Mit m. bezeichnet die Musikwissenschaft die Zugehörigkeit zu den OEKirchentönen (Modi; /Modus). Die auf ihnen beruhende m.e Musik unterscheidet sich von der dur-moll-tonalen des 17.-19. Jh.s grundlegend. Die allmähliche Ablösung der Kirchentöne durch Dur und /Moll markiert einerseits das Ende einer Blütezeit m.er Musik, die sich vom /Gregorianischen Gesang über die frühe Mehrstimmigkeit bis zur klassischen Vokalpolyphonie G. P. da Palestri-
Mödl nas entwickelt hatte. Andererseits lebt sie auch nach dem 17. Jh. fort: im Kirchenstil, dessen „strenger" Satz sich an Palestrina orientiert; in der Lehre vom /Kontrapunkt und im bewußten Rückgriff der Komponisten auf m.e Prinzipien, besonders im 20. Jh. nach dem Zerfall des Dur-MollSystems. — 2) Unter M. -Notation versteht man die /Notenschrift, die auf bestimmten rhythmischen Schemata (Modi, /Modus) der Musik des 12./13. Jh.s beruht. MODALNOTATION /Notenschrift. MODERATO (it., = gemäßigt), Tempo- bzw. Satz-Bz., die seltener allein, meist als differenzie-
render Zusatz zu /Allegro (gelegentlich auch zu Allegretto) erscheint. Ein Allegro moderato ist z. B. der 1. Satz des Klavierkonzertes G-Dur von L. van Beethoven, ein Moderato cantabile der 1. Satz von dessen Klaviersonate As-Dur op. 110. MODERNE, Jacques (genannt „Grand Jacques"), * Pinguento (Istrien), t um 1561 Lyon; frz. Druk-
ker. M. ist seit 1529 in Lyon nachgewiesen. 1532-57 veröffentlichte er neben medizinischen u. a. Werken etwa 50 Individual- und SammelMusikdrucke. Ihr Inhalt ist vielfältiger und internationaler als der anderer französischer Drucker des 16. Jh. und umfaßt Vokalwerke von N. Gombes, Cl. Janequin, Fr. Layolle (der M. besonders nahestand), Cr. Morales, L. Paminger und Lautentabulaturen. WW: Individualdrucke: Werke v. P. Colin, C. Janequin, F. Layolle, Rampollini; etwa 30 Sammeldrucke, darunter 10 Bücher Le Parangon des chansons (1538-43); 4 Bücher Motetti del fiore (1532-39); Lautentabulaturen v. V. Bakfark, F. Bianchini u. G. P. Paladino. Lit.: S. F. POGUE, J. M., Lyon's Music Printer of the 16th Century (G 1969) (mit Verz. der Editionen); D. CRAWFORD, Reflections on Some Masses from the Press of M., in: MQ 58 (1972); Q. W. QUEREAU, Palestrina and the „Motetti del fiore" of J. M. (New Haven/Conn. 1974) (= Diss. Yale Univ.).
MODERN JAZZ, Sammel-Bz. für die unter Einbezug und in der Nachfolge des /Bebop entstandenen Stile des /Jazz der 50er Jahre (/Cool Jazz, /Hardbop, /West Coast Jazz). „Modern" akzen-
tuiert das jeweilig Neue, den experimentellen avantgardistischen Charakter hinsichtlich verschiedener Satztechniken, Klangexperimente, Spielweisen usw. Zu den bedeutenden Bands des M. J. zählen das „Modern Jazz Quartet", die „Jazz Messengers" und die verschiedenen Gruppen um Miles Davis. Lit.: U. KURTH, Als der Jazz „cool" wurde, in: Musik 50er Jahre, hrsg. v. H.-W. Heister — D. Stern (B 1980).
MODERN JAZZ QUARTET, THE, amerik.
Jazzband. 1951 von John Lewis gegründet, spielte das M. bis zur Auflösung 1974 in der Besetzung J. Lewis, Klavier, Milt Jackson, Vibraphon, Percy Heath, Baß, und Connie Kay (1952-55: Kenny Clark), Schlagzeug. Formal orientierte sich das M. an barocken Vorbildern (z. B. in der Suite Fontessa). Ideal der Gruppe war die Durchformung, wobei genau vorgegebene, streng kontrapunktische Strukturen durch Improvisation aufgelockert wurden. Gerade die disziplinierte, der Formidee verpflichtete Spielweise des M. war insbesondere für spätere Bands von Einfluß. Es wurde zum Inbegriff des Cool Jazz. Lit.: M. T. WILLIAMS, J. Lewis and the M. J. Q., Modern Conservation, in: The Jazz Tradition (NY 1970) (mit Lit.Verz.); J. E. BERENDT, Ein Fenster aus Jazz (F 1977).
MODINHA (port.), ein volkstümliches portugiesisches und brasilianisches Strophenlied, das heute meist ein- oder 2stimmig zur Gitarren- oder Klavierbegleitung gesungen wird. — Die portugiesische M. des 18./19. Jh. war ursprünglich eine der italienischen Bravourarie nachempfundene Vokalkomposition, die sich auf Volksmelodien stützte. Sie wurde dann im Laufe des 19. Jh. in Brasilien populär, wo sie sich zu einer durch sentimentale Texte und Melodien gekennzeichneten Liedgattung entwickelte. In der Kunstmusik erscheint die M. vor allem in den Opern von A.C. Gomes. Im 20. Jh. schrieb u. a. H. Villa-Lobos mehrere Klavierstücke, die er Modinhas e cançóes nannte. Lit.: M. DE ANDRADE, M. imperiais (Sáo Paulo 1930); J. B. SIQUEIRA, M. do passado (Rio de Janeiro 1955); M. DE ARAÚJO, A M. e o lundu no século XVIII (Sáo Paulo 1963).
MÖDL, Martha, * 22. 3. 1912 Nürnberg; dt. Sängerin (hochdramatischer Sopran). Sie studierte am Konservatorium in Nürnberg und in Mailand, begann als Altistin und Mezzosopranistin und wechselte später in das dramatische Sopranfach. 1943 debütierte sie als Hänsel in E. Humperdincks Hänsel und Gretel. 1945-49 in Düsseldorf und anschließend an der Hamburger Staatsoper engagiert, wurde sie 1953 Mitglied der Stuttgarter Staatsoper. Seit 1952 trat sie außerdem an der Wiener Staatsoper auf, deren Ensemblemitglied sie wurde, 1951-68 regelmäßig in Bayreuth; berühmt war dort ihre Isolde. 1956 sang sie erstmals an der New Yorker Metropolitan Opera und 1964 bei den Salzburger Festspielen. Gastspiele führten sie auch an den Covent Garden in London, zum Maggio Musicale nach Florenz, an die Opéra in Paris und die Mailänder Scala. In der Eröffnungsvorstellung der wiederaufgebauten Wiener Staatsoper am 5.11. 1955 sang sie die Leonore in L. van Beethovens Fidelio. Dank ihrer großen schauspielerischen 329
Modulatio Ausstrahlung tritt M. M. noch heute in Charakterrollen auf. Lit.: W. E. SCHAFER. M.M. (Velber 1967).
MODULATIO, modulari (von lat. modulus, der Diminutivform von Modus = Maß), bezeichnen seit dem Schrifttum der Antike bis ins 18. Jh. das vokale und instrumentale musikalische Gestalten innerhalb eines melodischen und rhythmischen Maßes (/Modus). Noch 1732 definiert J. G. Walther in seinem Musicalischen Lexicon M. in dieser Bedeutung: als „die Führung einer Melodie oder SangWeise oder die Manier, womit ein Sänger oder Instrumentist die Melodie herausbringet". Da Modus als Synonym von Tonus und Tropus im gesamten lateinischen Schrifttum des Mittelalters u. a. den Kirchenton (řKirchentöne) bezeichnete, konnte M. dementsprechend bis zum 18. Jh. das musikali-
schweifenden — Übergang von einer Tonart in eine andere. Das nur flüchtige Verlassen einer Tonart, die gleich wieder erreicht wird, heißt Ausweichung. Sie hebt die tonale Herrschaft der Ausgangstonart nicht auf:
.
Ausweichung
_
As-Dur
As-Dur
. -~ ~~"~ WM' ~
—_-
Fr. Schubert, Klaviersonate op.122
Es gibt folgende M.s-Möglichkeiten: 1. M. durch Umdeutung eines Akkordes, der sowohl in der Ausgangs- wie in der Zieltonart leitereigen ist und eine Funktion darstellt; sie beruht auf den gemeinsamen Tönen zweier Tonarten:
Modulation von F- nach C-Dur, f, a, d leitereigen in F und C
C
J. S. Bach, 2st. Invention F-Dur
sche Gestalten (componere, "Komposition) innerhalb einer Kirchentonart bedeuten. So definiert J. G. Walther: modulieren beinhalte, „den guten Regeln der Modorum" zu folgen. Erst seit der 2. Hälfte des 18. Jh. bezeichnet M. zusätzlich den
2. M. durch Veränderung eines Akkordes; durch
Alteration einzelner Akkordtöne können sich neue Funktionen ergeben (durch Hochalteration des Grundtones wird z. B. aus einem Dominantseptakkord ein verminderter Septakkord):
L. van Beethoven, Klaviersonate op. 22
Vorgang des Tonartenübergangs. So etwa beschreibt H. Ch. Koch (Musikalisches Lexikon, 1802) M. bereits zweifach: M. als „schickliche und mannigfaltige Abwechslung der Töne überhaupt" und als „Führung der Töne von der Haupttonart in eine andere und zurück". Nur in der neuen Bedeutung zur Bezeichnung des Tonartenwechsels ist M. als /Modulation in die Fachsprache der Gegenwart eingegangen. Lit.: H. H. EGGEBRECHT, Stud. z. musikal. Terminologie (Wie 1955, 21968) (= Abh.en der geistes- u. sozialwiss. Klasse der Akad. der Wiss. u. Lit. zu Mainz 10); H. HüsCHEN, Modus, in: MGG IX. B. R. SUCHLA
MODULATION (engl. u. frz.: modulation; it.: modulazione; span.: modulación). — 1) In der tonalen Harmonik Bz. für den — gezielten oder 330
Ces H
3. M. durch Wechsel des Tongeschlechts; auf einen
Dur-Akkord folgt ein Moll-Akkord oder umgekehrt mit gleichem Grundton:
L. van Beethoven, Klaviersonate op. 2,2
Aufgrund der Dur-Terz als Leitton erhält ein „verdurter" Akkord dominantische Funktion; dies wurde im Barock und in der Wiener Klassik, im Rahmen der Quintschrittsequenz, gern zur M. benutzt:
Modulation
3
D
—a G C
.
r.. d
f
F
B
~.
MI!
11.41
L. van Beethoven, Chorfantasie op. 80
4. M. durch unvermittelten, klanglich überraschenden Einsatz der neuen Tonart (Rückung), so daß ein eigentlicher M.s-Vorgang ausgespart ist. Bevorzugtes Ziel ist dabei die Unter- oder Oberterz (in Dur oder Moll) einer Tonart, z. B. von C nach E/Es bzw. nach A/As: C
~
_
—
..
rischer Gegebenheiten, sondern auch hinsichtlich ihrer formalen Funktion innerhalb eines musikalischen Satzes: die zielstrebige M. zum 2. Thema einer klassischen Sonate etwa unterscheidet sich grundlegend von einer Durchführungs-M., die „einen harmonischen Freiraum von erstaunlicher Weite" (D. de la Motte) eröffnet. Unabhängig von der M.s-Art ist der Verwandtschaftsgrad der aufeinanderfolgenden Tonarten zu beachten. Benachbarte Tonarten sind jene 5 Tonarten, die sich aus den Hauptfunktionen Tonika, Subdominante, Dominante und deren parallelen Tonarten ergeben. d-moll
F-Dur
e-moll
C-Dur
Sp
S
Tp
T
e-moll
G-Dur
Dp
D
Ì
91 ► I
Y
•
I J trT17
~
L. van Beethoven, Klaviersonate op. 10,2
Diese bei den Wiener Klassikern noch seltene M. wird oft von den Komponisten der Romantik verwendet. Von eben solchem klanglichen Reiz, doch vermittelnder ist die „tonzentrale M." (W. Maler); ein Ton der Ausgangstonart wird Bestandteil der neuen Tonart:
Fr. Schubert, Streichquintett C-Dur, D 956
5. M. durch enharmonische Umdeutung; sie wird gern benutzt, um schnell in eine entfernte Tonart zu gelangen. Sie setzt das temperierte System voraus, in dem ein Ton mehrfach aufgefaßt werden kann (z. B. eis = f = geses). Die am häufigsten verwendeten enharmonischen Akkorde (A. Schönberg: „vagierende Akkorde") sind: der verminderte Sept-
akkord ,'.
der M.s-Mittel differieren nicht nur aufgrund histo-
• _ ILI
(er läßt 4 verschie-
dene Deutungen zu), der übermäßige Dreiklang (z. B. _
) und der Dominantsept-
akkord, dessen kleine Septime als übermäßige Sexte gedeutet oder dessen Grundton als tiefalterierte Quinte eines verminderten Septakkordes aufgefaßt werden kann: Außer diesen direkten M.en gibt es auch indirekte, in denen man die Zieltonart über mehrere Zwischentonarten erreicht. Denn Gestalt und Einsatz
,
Alle anderen sind entfernte Tonarten. Der Grad ihrer Entfernung ist im /Quintenzirkel abzulesen. Hierin sind die einander diametral gegenüberstehenden Tonarten die am weitesten entfernten, z. B. C-Dur und Fis-Dur. Im 18. Jh. modulierte man meist zur Nachbartonart (in Dur vorzugsweise zur Dominante, in Moll zur parallelen Durtonart). In der Romantik bezog man immer stärker chromatische oder enharmonische M.en zu entferntesten Tonarten ein. Der Hang zur zunehmenden Alteration von Akkorden bis hin zu schweifenden, chromatisch ineinander gleitenden Klangfolgen und die damit verbundene Auflösung tonaler Bezugspunkte lassen im späten 19. Jh. den Begriff der M. fragwürdig werden. 2) In der Physik Bz. für die Veränderung der /Amplitude, /Frequenz oder /Phase akustischer und elektromagnetischer Wellen; dabei ist der zeitliche Ablauf der Veränderung langsam im Vergleich zur Dauer einer Schwingung. Das /Vibrato ist eine mehr oder weniger periodische M. der Tonhöhe (Frequenz-M., Abk.: FM) und meist auch der Lautstärke (Amplituden-M., Abk.: AM) eines Tones. Im Bereich der "elektronischen Musik werden Vorgänge wie An- und Abschwellen eines Tones (Crescendo und Decrescendo) als M. bezeichnet. — M. ist ein wichtiger Begriff der Rundfunktechnik: Eine Rundfunkantenne empfängt hochfrequente elektromagnetische Wellen, die entsprechend dem niederfrequenten Schwingungsverlauf des Programms, also entsprechend den Schwingungen im hörbaren Frequenzbereich, moduliert sind. Im Rundfunkempfänger wird diese M. rückgängig gemacht (Demodulation): Die hochfrequente Welle, auch Trägerwelle genannt, wird unterdrückt; übrig bleiben die niederfrequenten Schwingungen. Im Lang-, Mittel- und Kurzwellenbereich bedient man 331
Modus sich der AM; es ist allerdings ein Nachteil für die Übertragungsqualität, daß sich die Amplitude des Signals und damit die vom Rundfunksender ausgestrahlte Leistung ändert: Störeinflüsse, die bei voller Senderleistung überdeckt werden, können bei geringerer Leistung deutlich hervortreten. Dieser Effekt wird bei der FM vermieden, da hier die ausgestrahlte Leistung konstant bleibt. Ein FM-Sender benötigt eine sehr groBe Bandbreite, d. h., der Frequenzbereich, der einem Sender zugeteilt ist, muß sehr groß sein, da ja die Senderfrequenz variiert. Ausreichende Bandbreiten für eine FM stehen nur bei hohen Trägerfrequenzen zur Verfügung. Dieses Verfahren kann daher nur im Ultrakurzwellenbereich (UKW) und in den vom Fernsehen benutzten Bereichen angewendet werden, es gewährt dort aber ein hohes Maß an Übertragungsqualität. Rundfunksendungen, die der Hifi-Norm (/High Fidelity) genügen und besonders Stereosendungen sind nur mit Hilfe der FM möglich. Lit.: Z. 1): H. RIEMANN, Systematische Modulationslehre als Grundlage der musikal. Formenlehre (H 1887); M. REGER, Beitr. z. Modulationslehre (L 1903, "1952); A. SCHONBERG, Harmonielehre (W 1911,'1966); W. MALER, Beitr. z. durmolltonalen Harmonielehre (L 1931, M — L '1957); D. DE LA MOTTE, Harmonielehre (Kas 1976, 21979); CH. MOLLERS, Vom Unsinn der Modulationslehre, in: Mt 29 (1976).
MODUS (lat., = Art, Maß, Regel, Modell; engl. u. frz.: mode; it.: modo). —1) Im Musikschrifttum von Antike, Mittelalter und Renaissance sowie seiner Rezipienten bis ins 18. Jh. bezeichnen M. und seine Synonyme Genus, Species, Maneries und Maneria: 1. die Oktavgattung (Species diapason, z. B. bei Boëthius und Notker Labeo). — 2. die Tonart (/Kirchentöne), und wird gleichbedeutend gebraucht mit den Begriffen Tonus und Tropus (z. B. bei Guido von Arezzo und Marchettus de Padua). Noch J. G. Walther gibt 1732 im Musicalischen Lexicon an: „M. musicus ist die Art, einen Gesang anzufangen, in gewissen Grenzen recht fortzuführen und gebührend zu endigen." Mit Modalität und modal bezeichnet die Musikwissenschaft dementsprechend die Zugehörigkeit zu einem Kirchenton. — 3. die Tonweise (z. B. bei Guido von Arezzo als M. graecus, latinus, hispanus, gallicus und teutonicus). — 4. die Kompositionsgattung (z. B. bei Guilielmus Monachus als M. faulxbourdon [/Fauxbourdon] und M. gymel [/Gymel]). — 5. den Tonabstand (/Intervall) als Synonym der Begriffe Distantia, Diastema, Intervallum, Spatium (z. B. bei Hucbald, Adam von Fulda, M. Agricola). — 6. die 6 verschiedenen rhythmischen Grundschemata der sog. Modalnotation (/Ars antiqua, /Notre-Dame, /Ars nova, /Notenschrift). Die Musiktheoretiker des 13. Jh., wie z. B. Johannes de Garlandia und 332
Franco von Köln, nennen 6 unterschiedliche Schemata, auf denen die Rhythmik der mittelalterlichen mehrstimmigen Musik beruht. Diese Schemata (Modi) werden durch die Aufeinanderfolge von langen (L = Longa = 1) und kurzen (B = Brevis = .) Tönen bestimmt: M. primus (1.M.)=1'1. =JJJJ M. secundus (2. M.) = • 1 • 1 = JJJJ M. tertius (3. M.) = 1 •' 1•'= J. J J J. J J M. quartus (4. M.) =•• 1 •• 1 = J J J. J J J. M. quintus (5. M.) = 1 1 11 = J. J. J. J. M. sextus (6. M.) = . . . . . . = J J J J J J Die am häufigsten vorkommende Definition von M. in dieser Bedeutung ist demzufolge: „M. est cognitio soni longis brevibusque temporibus mensurati." Sie findet sich u. a. bei Franco von Köln, Marchettus de Padua und Jacobus Leodiensis. Einige Theoretiker, wie z. B. Johannes de Garlandia und Marchettus de Padua, unterscheiden für den 1., 2., 3. und 4. M. einen perfekten und einen imperfekten M.: der perfekte M. endet mit derselben Quantität, mit der er beginnt, der imperfekte M. endet auf einer anderen Quantität: „M. perfectus est, qui finit per talem quantitatem, per qualem incipit, modus imperfectus est, qui terminatur per aliam quantitatem quam per illam, in qua incipit" (Johannes de Garlandia und Anonymus IV). Für den 1. M. z. B. bedeutet dies, daB er perfekt ist, wenn ein melodischer Abschnitt auf einer langen Note (Longa) endet, daB er aber imperfekt ist, wenn ein melodischer Abschnitt auf einer kurzen Note (Brevis) endet. — 7. im 14., 15. und 16. Jh. den Mensurgrad der Notenwerte Longa und Maxima (/Tempus; /Prolatio) im Rahmen der rhythmischen Moduslehre der Mensuralnotation (/Notenschrift). Es gibt 4 Modi: den M. major (= M. maximarum) perfectus, in dem eine Maxima 3 Longen enthält, also 9 = 111; M. major (= M. maximarum) imperfectus, in dem eine Maxima 2 Longen enthält, also 9 = 11; M. minor (= M. longarum) perfectus, in dem eine Longa 3 Breven enthält, also 1 = • •'; M. minor (M. longarum) imperfectus, in dem eine Longa 2 Breven enthält, also 1 = • • . Die gebräuchlichste Definition von M. in diesem Sinne ist: „M. est mensura longarum in maximis et brevium in longis." Sie findet sich z. B. bei Fr. Gaffori und H. Glareanus. — B. Das Diminutiv von M., Modulus, bezeichnet in der Spätantike und im Mittelalter den verschiebbaren Steg des /Monochords, im Mittelalter allgemein eine Stimme oder einen Stimmabschnitt eines mehrstimmigen Satzes, im besonderen eine Melodieformel oder ein /Melisma, noch im 18. Jh. bei J. G. Walther wird
Mohler darunter eine musikalische Verzierungsfigur verstanden. — 2) In der Theorie der /Zwölftonmusik bezeichnet M. die 4 unterschiedlichen Formen, in denen eine Zwölftonreihe vorkommen kann: die Grundgestalt, die Umkehrung, den Krebs und den Krebs der Umkehrung. Als Synonym für M. wird auch Forme principale oder Erscheinungsform verwendet. — 3) In der Vergleichenden Musikwissenschaft dient M. als Terminus für 3 verschiedene Phänomene: 1. für bestimmte rhythmische Formeln; 2. für die Tonleiter, wie z. B. die auf Bali und Java (7Indonesien) vorkommenden Tonskalen Sléndro und Pélog; 3. für die Tonweise, wie z. B. die arabischen und indischen Melodiemodelle /Maqám und Räga (/Indien). Lit.: Zo 1): W. BRAMBACH, Das Tonsystem u. die Tonarten des christlichen Abendlandes im MA (L 1881); A.M. MICHALITSCHKE, Die Theorie des M. (Rb 1922); U. BoMM, Der Wechsel der Modalitätsbestimmung in der Tradition der Melgesänge im 9. bis 13. Jh. (Einsiedeln 1929); A. M. MICHALITSCHKE, Stud. z. Entstehung u. Frühentwicklung der Mensuralnotation, in: ZfMw 12 (1929/30); M. APPEL, Terminologie in den ma. Musiktraktaten (Diss. B 1935); F. GENNRICH, Abriß der Mensuralnotation des 14. Jh. (Nieder-Modau 1948); H. HUSMANN, Das System der modalen Rhythmik, in: AfMw 11 (1954); H. HÖSCHEN, Der M.-Begriff in der Musiktheorie des MA u. der Renaissance, in: Mittellat. Jb. 2 (1965); DERS., M., in: MGG IX; J. SMITS VAN WAESBERGHE, Musikerziehung: Lehre u. Theorie der Musik des MA (L 1969); W. FROBENIUS, M. (Rhythmuslehre), in: HMT (1974); M. MARKOVITS, Das Tonsystem der abendländischen Musik im frühen MA (Be 1977); B. MEIER, Zum Gebrauch der Modi bei Marenzio. Tradition u. Neuerung, in: AfMw 38 (1981). - Zu 2): H. HEISS, Elemente der musikal. Komposition (Hei 1949); R. LEIBOWITZ, Introduction ä la musique de douze sons (P 1949); H. EIMERT, Lehrbuch der Zwölftontechnik (Wie 1950); H. JELINEK, Anleitung z. Zwölftonkomposition (W 1952); J. RUFER, Die Komp. mit zwölf Tönen (B 1952); R. SEMMLER, Vom Eigenklang der Reihen (Z 1954). -Zia 3): A. J. ELLIS - E. M. VON HORNBOSTEL, Ober die Tonleitern versch. Völker (1922) (= Sammelbde. für vergleichende Musikwiss. 1); H. G. FARMER, A History of Arabian Music to the 13th Century (L 1929); R. LACHMANN, Musik des Orients (Breslau 1929); F. BOSE, Musikal. Völkerkunde (Fr 1953); J. KUNST, Javanische Musik, in: MGG VI; M. SCHNEIDER, Entstehung der Tonsysteme, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957). B. R. SUCHLA
MOERAN, Ernest John, * 31. 12. 1894 Heston (Middlesex), t 1. 12. 1950 Kenmare (County Kerry); engl. Komponist irischer Abstammung. 1913 trat er in das Royal College of Music in London ein, 1920-23 erhielt er Kompositionsunterricht von J. Ireland. Von seinem Schaffen gelten die Lieder als wichtigster Bereich. WW: Sonate für 2 V. (1930); Streichtrio (1931); Vc.-Sonate (1947). - Für Orch.: 3 Rhapsodien (1922; 1924, Neufassung 1941; 1943); Symphonie g -moll (1937); Sinfonietta (1944); Serenade (1948); je ein V.- u. Vc.-Konzert (1942, 1945). Chorzyklen a cap. Songs of Springtime (1934) u. Phyllida and Corydon (1939); Lieder nach J. Joyce (1929) u. W. Shakespeare (1940); Six Norfolk Folksongs (1923) für SingSt u. Klv. Lit.: H. STATHAM, M.'s Symphony in G Minor, in: MR 1 (1940);
G. COCKSHOTT, Warlock and M., in: Composer (1969) Nr. 33; V. L. PENNE, Three 20th Century Song Composers. P. Warlock, E. J. M. and J. Ireland (1969) (= Diss. Univ. of Illinois); S. WILD,
E.J.M. (Lo 1973).
MOFFO, Anna, * 27. 6. 1932 Wayne (Pennsylvania); amerik. Sängerin (Sopran) it. Abstammung. Sie studierte Philologie und Literaturgeschichte an der University of Pennsylvania in Philadelphia und Gesang am Curtis Institute und debütierte 1955 in Spoleto als Norina in G. Donizettis Don Pasquale. Gastspiele führten sie nach Chicago, Mailand, München, Paris, Salzburg (Nanetta in G. Verdis Falstaff unter H. von Karajan) und Wien. 1959 debütierte sie in ihrer Glanzrolle, der Traviata in Verdis gleichnamiger Oper, an der Metropolitan Opera in New York. „La Moffa", wie man sie nennt, ist auch als Operettensängerin in Fernsehshows und im Film außerordentlich erfolgreich. MOHAUPT, Richard, * 14. 9. 1904 Breslau, t 3. 7. 1957 Reichenau (Niederösterreich); dt. Komponist. Nach dem Musikstudium in seiner Heimatstadt wirkte M. u. a. als Opernkapellmeister in Aachen, Breslau und Weimar und als Konzertpianist und Filmkomponist in Berlin. Von 1939-55 lebte er in den USA — wo die meisten seiner Kompositionen entstanden —, danach in Osterreich. Größten Erfolg hatte M. als Komponist und Arrangeur für Radiound Fernsehprogramme in den USA sowie mit seinem noch heute gespielten Werk Stadtpfeifermusik und der Oper Die Bremer Stadtmusikanten. M.s primär rhythmische und harmonische Phantasie entfaltete sich vor allem in wortgebundener und programmatischer Musik. In geschicktem Eklektizismus assimilierte er Elemente von Gebrauchsund Kunstmusik und verband sie — stets experimentierend — zu einem homogenen, dem jeweiligen Kompositionsauftrag angemessenen Werkstil. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik. - Für Orch.: Stadtpfeifermusik (1946); Banchetto musicale (1955) für 12 Soloinstr. u. Orch. Lieder u. Chöre. - Opern: Die Wirtin von Pinsk (nach Goldoni), UA: Dresden 1938, Neufassung: Berlin 1956; Die Bremer Stadtmusikanten, UA: Bremen 1949; Double-Trouble, UA: Louisville 1954; Der grüne Kakadu, UA: Hamburg 1958; Ballette: Die Gaunerstreiche der Courasche, UA: Berlin 1936; Max und Moritz, UA: Karlsruhe 1949; ferner Film- und Bühnenmusik.
MOHLER, Philipp, * 26. 11. 1908 Kaiserslautern,
t 11.9. 1982 Frankfurt am Main; dt. Komponist. Er war Schüler von J. Haas. 1940 wurde er Nachfolger H. Distlers an der Musikhochschule in Stuttgart als Lehrer für Komposition und Dirigieren. Außerdem leitete er den Stuttgarter Orchesterverein. 1958-76 war M. Direktor der Musikhochschule in Frankfurt am Main. Sein Schaffen umfaßt Werke für den Konzertsaal und für das Laienmusizieren. 333
Mohr von Venedig WW: Sinfonische Fantasie (1941); Klv.-Konzert (1937). - Der Tod von Flandern (1933) für 4st. Männerchor a cap.; Geistliche Solokantate (1933) für Sopran u. Klv.; Serenade Nachtmusikanten (1949) für Tenor, gem. Chor u. kleines Orch.; Wandspruchkantate (1956) für gem. Chor, Blechbläser u. Pk.; Kantate Gott sei gelobt und gebenedeiet (1952) für Bar., gem. Chor, Streichorch. u. Org.; Vagabundenlieder (1956) für Bar. u. Klv.; Festliche Liedkantate (1956) für gem. Chor, Blechbläser u. Pk.; Laetare (1968) (nach C. Zuckmayer) für Solost., Männerchor (Knaben- oder Massenchor ad lib.) u. Orch. Lit.: K. LAUX, M., in: MGG IX; G. SCHWEIZER, in: Das Orchester 17 (1969).
MOHR VON VENEDIG, DER, Ballett mit Prolog, acht Bildern und Epilog von Boris Blacher (1903-75), Libretto, Choreographie und Inszenierung der UA: Erika Hanka (1905-58). UA: 29. 11. 1955 in Wien (Staatsoper). Im Gegensatz zu Balletten, die in enger Anlehnung an W. Shakespeares Tragödie Othello (1604) komponiert worden sind, zeichnet sich dieses Werk durch seine ungewöhnliche dramatische Konzeption aus; die tragische Lösung des Konflikts (Desdemonas Ermordung) wird vorweggenommen: die Katastrophe eröffnet (Prolog) und beendet (Epilog) die Handlung, die als Sequenz von Rückblenden präsentiert wird. In acht Bildern schaut Othello die wichtigsten Stationen seines eigenen Lebens; nach der Erinnerung an den Mord begeht er Selbstmord. — Sieben Ritornelle, epigrammatisch lehrhaft betitelt, begleiten kommentierend den Handlungsverlauf, dessen Kulminationspunkte musikalisch durch den Einsatz von Blechblasinstrumenten und Schlagwerk markiert sind. Ritornelle, Prolog und Epilog werden von drei Paaren dargestellt, die an der szenisch-choreographischen Realisation der Haupthandlung nicht beteiligt sind. — Anläßlich der Wiener Festwochen zur Wiedereröffnung der Staatsoper uraufgeführt, bestätigten — neben der musikalischen Komposition — Choreographic, Bühnenbild, Dekoration und Kostüme den Erfolg des Balletts, in dem sich junge Nachwuchstänzer und -tänzerinnen profilierten. Außergewöhnliche Beachtung erlangte Kurt Steigerwalds Neuinterpretation (Oldenburg, 28. 10. 1970): die Integration der sieben Ritornelle in den gesammelten Handlungsverlauf verstärkte den surrealistischen Charakter des Geschehens, das auf einer Drehbühne dargeboten wurde. G. LUDIN MOLIÈRE, Jean-Baptiste (eigentlich J.-B. Poquelin, nannte sich seit 1644 M.), getauft 15. 1. 1622 Paris, t 17. 2. 1673 ebd.; frz. Dichter. Die Beziehungen M.s zur Musik sind durch seine Zusammenarbeit mit P. Beauchamps (Les fâcheux, 1661) sowie — nach dem Bruch mit J.-B. Lully 1672 — mit M.-A. Charpentier (u. a. Le mariage forcé) geprägt. 334
Gemeinsam mit Lully gestaltete er den umfangreichsten Teil seines mit Musik verbundenen Werkes, u. a. die Plaisirs de l'île enchantée, 1664. Mit ihm entwickelte er seit 1661 vor allem jedoch die Gattung der řComédie-ballet. Für den Karneval 1671 wurde der Vorschlag M.s und P. Corneilles, den Amor und Psyche-Stoff im Theater der Tuilerien aufzuführen, den Entwürfen Ph. Quinaults und J. Racines vorgezogen. Das prunkvoll inszenierte Stück Psyché gehört mit der Musik Lullys zu den großen Theaterereignissen der Zeit. An ihm wird deutlich, in welchem Umfang die französische Klassik mit Geist und Formenwelt des Barock verbunden war. Ballettkomödie und -tragikomödie, die in gleicher Weise Wort, Gesang, Instrumentalmusik, Tanz, Pantomime und Bühnenmaschinerie verschmelzen und an Oper und Opera buffa gemahnen, scheinen wie Vorentwürfe auf dem Weg zum totalen Kunstwerk, in dem sich zugleich der Glanz des absolutistischen Staates widerspiegelt. In welchem Umfang dabei literarische und musikalische Strukturen zur Deckung gebracht wurden und die zentralen Aussageabsichten wechselseitig betonten, konnte eine neuere Untersuchung zum Bourgeois gentilhomme als musikalisch begleitetem und gestaltetem Dialog deutlich machen. Texte M.s wurden im übrigen bis ins 20. Jh. in Musik gesetzt bzw. als Vorlagen für Opern verwandt. H. von Hofmannsthal hat sich intensiv um die Wiederbelebung der Ballettkomödien M.s bemüht; auch der Text der Arie des Sängers, Di rigori armato il seno, aus dem Rosenkavalier von R. Strauss ist eine M.Adaptation (aus Bourgeois gentilhomme). WW (in musikal. Bearbeitung): Les précieuses ridicules (1659): Oper v. B. Galuppi (1752), Bühnenmusik v. H. Purcell (1693) sowie v. A. Jolivet (1949); Les fâcheux (mit Musik v. Ch. -L. Beauchamps u. J.-B. Lully) (1661): Ballett v. G. Auric (1923); L'école des femmes (1662): Oper v. R. Liebermann (1955); Tartuffe (1664): Bühnenmusik v. H. Sauguet (1950); Don Juan (1665): Bühnenmusik v. Sauguet (1947); L'amour médecin (Musik v. Lully) (1665): Oper v. E. Wolf -Ferrari (1913); Le pastorale comique u. Le Sicilien ou L'amour peintre (= Einlagen zum Ballet des muses mit Musik v. Lully) (1667): nach Le Sicilien, eine Oper v. G. Bizet (1860) u. Musik v. Sauguet (1934); Amphitryon (1668): Oper v. A. -E. -M. Grétry (1786), Bühnenmusik v. J. M. Kraus (1787); Le divertissement de Chambord (mit M.s Monsieur de Pourceaugnac, Musik v. Lully) (1669): danach Intermezzo v. J. A. Hasse (1727) u. Oper v. F. Martin (1963); Le bourgeois gentilhomme (Musik v. Lully) (1670): danach Intermezzo Larinda e Vanesio v. J. A. Hasse (1726), Bühnenmusik v. Ch. Gounod (1852) u. v. R. Strauss (1912), dann umgearbeitet zu einer Orch.Suite und der Oper Ariadne auf Naxos. Ausg.: Comédie-ballets v. M. u. Lully, 3 Bde., hrsg. v. H. PRUNIÈRES - G. SAZERAC DE FORGES (P 1931-38) ( = Lully-GA III/1-3). Lit.: J. CASTIL-BLAZE, M. musicien, 2 Bde. (P 1852); M. PELLISSON, Les comédies-ballets de M. (P 1914); J. TIERSOT, La musique dans la comédie de M. (P 1921); F. BOTTGER, Die „Comédie-ballet" v. M. - Lully (Diss. B 1931); R. BRANCOUR, M. et la musique, in: RMI 41 (1937); R. ALEWYN - K. SÄLZLE,
Molitor Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument u. Dichtung (Reinbek 1959); P. TINEL, M. et la musique, in: Acad. Royale de Belgique, Bull. de la Classe des Beaux-Arts 49 (1967); Sonderh. M. — Lully (1973) (= XVII` sičcle Nr. 98-99); R. M. ISHERWOOD, Music in the Service of the King. France in the Seventeenth Century (Ithaca — Lo 1973); L. M. FIEDLER, H. von Hofmannsthals M.-Bearb. Die Erneuerung der comédie-ballet auf M. Reinhardts Bühnen (Da 1974); E. LANCE, M. the Musician. A Tercentenary View, in: MR 35 (1974); D. FRICKE, M.s „Bourgeois gentilhomme" als „dialogue en musique" (Da 1980) (= Wege der Forsch. 261). W. -D. LANGE
MOLINARI PRADELLI, Francesco, * 6. 7. 1911 Bologna; it. Dirigent. Er studierte am Conservatorio Statale di Musica G. B. Martini in Bologna Klavier und Komposition sowie bis 1938 Dirigieren (Bernardino Molinari) an der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Seit 1945 dirigiert er an den groBen Opernbühnen Italiens, ist außerdem regelmäßig Gast am Covent Garden in London (seit 1951), an den Staatsopern in Budapest (seit 1951 bzw. 1956) und in Wien (seit 1959). In den letzten Jahren trat er hauptsächlich an der Metropolitan Opera in New York auf. MOLINARO, Simone, * um 1565 Genua, t um 1615 ebd.; it. Lautenist und Komponist. Er war Schüler seines Onkels Giovanni Battista Dalla Gostena und seit 1602 dessen Nachfolger als Kapellmeister an der Kathedrale von Genua. M. wurde bekannt durch seine Madrigale und eine Lautentabulatur. Sie enthält außer 22 Fantasien von Gostena und Chansons verschiedener Komponisten zahlreiche Tanzsätze und Fantasien von Molinaro. Seine Stücke weisen eine für ihre Zeit weitgehende instrumentale Satzweise auf. Einen Tanz aus dieser Sammlung (Ballo detto il Conte Orlando) hat O. Respighi in seinen Antiche danze ed arie für Orchester (1917) bearbeitet. WW: 1) Geistlkhe WW: 3 Bücher Motetten, z.T. mit B.c. (V1597, Mi 1601, V 1609); 2 Slgen. Concerti ecclesiastici für 1-4 St. u. B.c. (V 1605, Mi 1612); Magnificat für 4 St. u. B.c. (Mi 1605); 2 Bücher Fatiche spirituali, geistliche Madrigale für 6 St. u. B.c.; Eine Passion (Loano 1616). — 2) Weltliche WW: 2 Bücher Kanzonetten für 3-4 St. (V 1595, 1600); Madrigale für S St. (Mi 1599); geistliche u. weltliche Werke auch in (z. T. dt.) Sammeldrucken 1589-1624; Intavolatura di liuto (V 1599). Ausg.: Intavolatura di liuto, hrsg. v. G. GULLINO (Fi 1940). Lit.: G. RONCAGLIA, S. M., in: RMI 19 (1941); TH. DART, S. M.'s Lutebook of 1599, in: ML 28 (1947); R. GIAZOTTO, La musica a Genova (Genua 1951).
MOLINET, Jean (Jehan), * 1435 Desvres (Pasde-Calais), t 23. B. 1507 Valenciennes; frz. Dichter. Er war Chronist am burgundischen Hof und stand nacheinander im Dienst Karls des Kühnen, Kaiser Maximilians und schließlich Margarethes von Österreich, deren Bibliothekar er wurde. M. gehörte zur burgundischen Dichterschule der Grands Rhétoriqueurs. Er unterhielt Beziehungen
zu Musikern des burgundischen Hofes und trat mit der zu seiner Zeit berühmten 4st. Chanson Tart ara mon cueur auch als Komponist hervor. In seinem Dialogue du gendarme et de l'amoureux und in der Oraison à la Vierge Marie werden zahlr. Liedanfänge zitiert. Mit L. Compère stand er in dichterischem Briefwechsel. Auf den Tod J. Ockeghems schrieb er 2 Klagegesänge (Lamentations), Qui dulces modulando und Nymphes des bois; der letztere wurde von Josquin vertont. Lit.: N. DUPIRE, J. M., la vie, les oeuvres (P 1932); A. VAN DER LINDEN, La musique dans les chroniques de J. M., in: FS E. Closson (Bru 1948); C. MACCLINTOCK, M., Music and Medieval Rhetoric, in: MD 13 (1959).
MOLIQUE, Wilhelm Bernhard, * 7. 10. 1802 Nürnberg, t 10.5. 1869 Cannstatt bei Stuttgart; dt. Violinist und Komponist. M. war einige Zeit Schüler von L. Spohr und 1816 von Pietro Rovelli in München. Später spielte er im Orchester des Theaters an der Wien, war 1820-26 Hofkonzertmeister in München und 1826-49 in Stuttgart. 1849 ließ er sich in London nieder und wurde 1861 Professor für Komposition an der Royal Academy of Music in London. Seine Kompositionen zeigen Einflüsse von H. Berlioz, R. Schumann und F. Mendelssohn Bartholdy. Größte Beachtung fanden seinerzeit M.s Violinkonzerte und das Violoncellokonzert. WW: Zahlr. V.-Stücke; Kammermusik; Symphonie (1842); 6 V.-Konzerte (1827-46); 1 Vc.-Konzert (1853); 2 Messen; Oratorium Abraham (1860). Ausg.: Concerto f -moll für Klar. u. Orch., hrsg. v. J. MICHAELS (Kas 1970) (= Das 19. Jh. o. J.). Lit.: F. SCHRODER, B. M. u. seine Instrumentalkompositionen (St 1923) (mit Werkven.).
MOLITOR, Alois Franz Simon Joseph, * 3. 11. 1766 Neckarsulm (Württemberg), t 21. 2. 1848 Wien; dt. Komponist, Gitarrist und Musikschriftsteller. M. erhielt den ersten Unterricht von seinem Vater, wirkte dann an verschiedenen Orten in Deutschland und Italien als Musiker und Komponist, so 1796-97 als Orchesterdirektor in Venedig, und war 1798-1831 Verwaltungsbeamter im österreichischen Staatsdienst, wo er zu großem Ansehen gelangte. Durch die musikalischen Veranstaltungen in seinem Wiener Haus, seine Kompositionen (heute meist im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien) und seinen Versuch einer vollständigen methodischen Anleitung zum Gitarrespielen (W 1799; zus. mit W. Klingenbrunner) machte er die Gitarre in der Wiener Gesellschaftsmusik heimisch. Seine Forschungen galten E. d'Astorga und F. Conti; seine Arbeiten zu einer Geschichte der Wiener Hofkapelle und Hofoper blieben unvollendet. Lit.: J. ZUHT, S. M. u. die Wiener Gitarristik (W o. J. [1920]);
335
Molitor I. KOLLPACHER. M., in: MGG IX; J. POWRO2NIAK. Gitarren-Lexikon (B 1979).
MOLITOR. — 1) Gregor (eig. Ferdinand), OSB, * 18.7.1867 Sigmaringen, t 28.5.1926 Beuron (Hohenzollern); dt. Kirchenmusiker. Er trat 1887 in die Benediktiner-Abtei Beuron ein, empfing 1892 die Priesterweihe und war 1904-09 Prior des Klosters, daneben auch Organist. 1907 rief er die Beuroner Kirchenmusikalischen Kurse ins Leben. Er schrieb Die diatonisch-rhythmische Harmonisation der gregorianischen Choralmelodien (L 1913). Als Komponist trat er mit Orgelstücken, Messen, religiösen Liedern und dem Oratorium Mariä Heimgang (1922) hervor. — 2) Raphael (eig. Fidelis), OSB, Bruder von 1), * 2.2.1873 Sigmaringen, t 14. 10. 1948 Beuron; dt. Choralforscher. Er trat 1890 in die Benediktiner-Abtei Beuron ein und studierte dort, später auch in Rom, Philosophie und Theologie. 1897 zum Priester geweiht, lehrte er 1898-1904 Kirchenrecht und Moraltheologie an der Ordenshochschule in Beuron und war daneben Organist der Abteikirche. 1904 berief ihn Papst Pius X. zum Konsultor der neuen vatikanischen Choralausgabe (Editio Vaticana). 1906 wurde M. Abt von Gerleve. Seine Schriften zur Choralforschung haben noch heute grundlegende Bedeutung. Schriften: Die Nach-Tridentinische Choral-Reform zu Rom, 2 Bde. (L 1901-02, Nachdr. Hil 1967); Reform-Choral (Fr 1901); Deutsche Choral- Wiegendrucke (Wb -R - NY 1904) ; Der gregorianische Choral als Liturgie und Kunst (Hamm 1904).
MOLL, Tongeschlecht neben "Dur, von dem es vor allem durch die kleine Terz im Dreiklang unter-es-g, Dur: ç ç-g). Auf Dur und schieden ist (M.: ~ M., deren grundlegende Bedeutung G. Zarlino (1558) erkannte, beruht die dur-moll-tonale Musik des 17.-19. Jh. (OETonalität). Strittig ist die akustische Begründung des Moll. In der /Obertonreihe ist der Durdreiklang als 4., 5. und 6. Partialton vorgegeben. Nach Auffassung des OEDualismus entstammt der M.-Dreiklang einer zur Obertonreihe spiegelbildlichen Untertonreihe; dem vom Grundton aufsteigenden Durdreiklang entspricht damit spiegelbildlich der von der Quinte absteigende M.Dreiklang.
3
•
•
Demgegenüber sieht der Monismus M. als von Dur abgeleitet und damit als nicht gleichberechtigt an. Der M.-Dreiklang als „getrübte Konsonanz" (Helmholtz) ergibt sich hier aus Bestandteilen verschiedener Obertonreihen; in c-es-g z. B. treten 336
c-g aus C-Dur, es-g aus Es-Dur (oder auch c-es aus As-Dur) zusammen. Theoretisch lassen sich drei Arten von M.-Skalen voneinander unterscheiden. Das mit dem gleichnamigen Modus (řKirchentöne) identische äolische M. (auch reines oder natürliches M. genannt) ist durch das Fehlen des OELeittons gekennzeichnet, in a-moll
4
e
• Q
•o-
.
Das har-
monische M. (DurmoH) weist dagegen, analog der Durskala, den Leitton auf.
4
o
•a
. Die
übermäßige Sekunde von der 6. zur 7. Stufe wird dabei gern durch Rückkehr zur 5. Stufe vor allem aber durch den verminderten Septsprung vermieden
. Die verminderte Septe wird
daher zum charakteristischen Ereignis sehr vieler barocker Fugenthemen in M. (z. B. in einem Chorthema aus G. Fr. Händels Messiah):
4 a.riJ ŕľ -fi. J. Erhöhte 6. und 7. Stufe zeigt das melodische M., dessen zweite Hälfte damit genau analog der Durskala gebaut ist. Bei Abwärtsführung der M.-Skala sind diese Erhöhungen gegenstandslos; hier wird daher in der Regel das reine M. eingesetzt:
• 0
`
1
Die Ambivalenz der 6. und 7. Stufe verbietet es, wie bei Dur von einer verbindlichen M.-Skala zu reden: M. erscheint in der kompositorischen Praxis als ein Bestand von neun Tönen:
L o•a•
rM aea •
Diese besondere Struktur des M. begründet zugleich die typische tonale Labilität von M.-Kompositionen; sie tendieren auffällig dazu, den Bereich des M. zugunsten der jeweils parallelen Durtonart zu verlassen, z. B. s-uroll
-->
4i Il1rJ l'.111.1 -O'E 1)1
C-Dur
11J
Feins-lieb - chen, du sollst mir nicht bar - fuB gehn .
Der Wechsel Dur—M. wurde in der Vokalmusik seit dem 17. Jh. gerne als Ausdrucksmittel (etwa zur Kennzeichnung von Freude —Trauer) verwendet und in der Lehre von den musikalisch-rhetorischen "Figuren als Mutatio toni klassifiziert. Dieser Wechsel von Dur und M. als klangliche Abdunklung bzw. Aufhellung wurde zu einem bevorzugten Ausdrucksmittel der Romantik. Derartige textoder stimmungsbedingte Wechsel (z. B. der Durschluß in Schuberts Der Tod und das Mädchen) er-
Moment
scheinen mitunter sogar, wie in Schuberts Streichquintett G-Dur (1. Satz), als thematisches Element:
Lit.: /Dur.
p
- f ,(i
MOLL, Kurt, * 11.4. 1938 Buir bei Köln; dt. Sänger (Baß). Nach seinem Gesangsstudium an der Kölner Musikhochschule kam er über Köln (Opernstudio der Städtischen Bühnen), Aachen und Wuppertal 1969 an die Hamburgische Staatsoper. Gastspiele führten ihn zu den Bayreuther und Salzburger Festspielen und an die führenden Opernhäuser der Welt. Als anerkannter WagnerInterpret singt er auch die Charakterrollen seines Fachs und beherrscht ein großes Konzertrepertoire.
MOLLER, Joachim, /Joachim a Burck. MOLLO, Tranquillo Maria Laurentio, * 10. B. 1767 Bellinzona (Tessin), t 21. 3. 1837 ebd.; östr. Musikverleger. Er war 1793-98 Teilhaber der Wiener Firma Artaria und gründete 1798 zusammen mit D. Artaria den Verlag „Tranquillo Mollo & Co.". 1802-04 fusionierte er vorübergehend mit dem Verlag C. Artaria, den anschließend D. Artaria allein übernahm. Seit 1808 führte M. das Unternehmen nur noch unter seinem Namen. 1832 zog er sich ins Privatleben zurück und überließ seinem Sohn Eduard, * 1799 Wien, t B. 5. 1842 ebd., seit 1818 Mitteilhaber, die Leitung der Firma, die nun mit „Tranquillo Mollos Söhne" firmierte. Nach Eduard M.s Tod wurden die Stichplatten von A. O. Witzendorf und der Firma Haslinger aufgekauft. Tr. M. verlegte L. van Beethovens op. 11, 14--18, 23 und 24. Lit.: O. E. DEUTSCH, Music Publisher's Numbers (Lo 1946. dt. B 1961); A. WEINMANN. Verlagsverz. T. M. (mit u. ohne Co.) (W 1964) ( = Beitr. z. Gesch. des Alt-Wiener Musikverlages Il;9).
MOLNÁR, Antal, * 7. 1. 1890 Budapest, t 7. 12. 1983 ebd.; ung. Komponist u. Musikforscher. Er studierte an der Liszt-Akademie Budapest. 1910-12 sammelte er Volkslieder in Siebenbürgen u. Nordungarn. Als Bratschist spielte er in mehreren ung. Kammermusikensembles u. unterrichtete 1919-59 an der Liszt-Akademie (Musiktheorie, -geschichte, -ästhetik und Kammermusik). M. zählt zu den bedeutendsten Musikforschern Ungarns unserer Zeit. Aufgrund seiner umfangreichen musikwissenschaftlichen Tätigkeit widmete er sich immer seltener der Komposition. Er war der erste Biograph Z. Kodálys. Seine Autobiographie erschien unter dem Titel Magamról, másokról (Über mich und andere) (Budapest 1974). WW: 1) Kompositionen: Quartett für Fl. u. 3 Str. (1912); Orch.Variationen über ein ung. Thema (1927); Kuruc-Musik für 4
Tárogatós u. Kammerorch. (1936); über 100 Lieder; A danaidák (Die Danaiden) (1926) für 3 Frauenst. u. Orch.; Schauspielmusik Sävitri (1913). — 2) Schriften (alle in Budapest erschienen): A zenetiirténet szociológiája (Soziologie der Musikgesch.) (1923); Az uj magyar zene (Die neue ung. Musik) (1926); Die Bedeutung der
neuen osteuropäischen Musik, in: Arch. für die gesamte Psychologie 8 1 (1931); Zenesztétika I (Musikästhetik I) (1938); Bartók müvészete (Bartóks Kunst) (1948); J. Brahms (1959); Repertórium a barokk zene történetéluz (Repertorium z. Gesch. der Barockmusik) (1959); Der gestaltspsychologische Unterschied zw. Haydn u. Mozart, in: Kgr.-Ber. Budapest 1959; Die Persönlichkeit Chopins, in: Kgr.-Ber. Warschau 1960; Uber Transkriptionen u. Paraphrasen v. Liszt (1963) (= Studia musicologica 5); Zénéról míndenkinek, zenei alapismeretek (Über die Musik für Jedermann) (1968); A zeneszerzö világa (Über die Welt des Komponisten) (1969). Lit.: Beszamoló Molnár Antal miiveiröl (Werkverz. M.) (Budapest 1959). — 1. VITÁNYI. A Magyar zenetudomány kezdetei (Die Anfänge der ung. Musikwiss.), in: Muzsika 11 (1968).
MOLTER, Johann Melchior, * 10.2. 1696 Tiefenort/ Werra, t 12. 1. 1765 Durlach; dt. Komponist. Er trat 1717 als Musicus in den Dienst des Markgrafen von Baden-Durlach und wurde 1719 für eine Weiterbildung in Venedig und Rom beurlaubt. 1722-33 war er Markgräflich-Badischer Kapellmeister in Durlach, 1733-43 Kapellmeister in Eisenach und seit 1743 erneut in Durlach. Sein außerordentlich umfangreiches Werk umfaßt hauptsächlich Instrumentalmusik und weist französische und italienische Stilelemente auf. M. war von Bedeutung für die charakteristische Verwendung der Klarinette als Orchesterinstrument. WW: Hsl. sind erhalten: 66 Sonaten; 22 Konzerte für 3, 12 für 4 u. 61 für 5 lnstr.; 14 Ouvertüren; 169 Symphonien; 14 Kantaten; eine Passion; 3 Opern. — Gedruckt wurde nur Esercizio studioso, Sonaten für V. u. Cemb. (A o. J.). Ausg.: 4 Klar.-Konzerte, hrsg. v. H. BECKER (Wi 1957) (— EDM 41); Concerto pastorale für Str. u. B.c., hrsg. v. K. SCHULTZ — HAUSER (B 1961, Neudruck 1963); Symphonie C-Dur für 4 Hörner, hrsg. v. K. JANETZKY (Lo 1968); Concerto D-Dur für Trp. u. Orch., Klv.-A. hrsg. v. H. O. KOCH (Hei 1971); Trp.-Konzerte Nrn. 1-3, alle D-Dur, hrsg. v. M. TALBOT (Lo 1971); Trp.-Konzerte Nrn. I u. 2, hrsg. v. S. L. GLOVER — J. F. SAWYER (Nashville/ Tenn. 1972).
Lit.: F. LÄNGIN, J. M. M., der Markgräflich Baden-Durlachische Kapellmeister u. Hofkompositeur, in: Ekkhart. Jb. für das Badener Land (1965); N. O'LOUGHLIN, in: MT 107 (1966); E. F. LANNING, The Clarinet as the Intended Solo Instr. in J. M. M.'s Concerto 34 (1969) (= Diss. Univ. of Missouri); R. E. MARTIN, Eleven Selected Woodwind Concertos of J. M. M. in Two Volumes (1973) (= Diss. Univ. of Missouri).
MOLTO (it., = viel, sehr), adverbialer Zusatz bei Tempobezeichnungen, der eine Steigerung angibt (z. B. molto vivace). MOMENT (von lat. momentum = Bewegung, Augenblick, Bestandteil), in der mittelalterlichen Musiktheorie bezeichnet der Terminus momentum — neben instans (für die ältere Bz. tempus) — die kleinste Zeiteinheit. Im 18. Jh. bedeutet momentum u. a. bei J. G. Walther (Musicalisches Lexicon, 337
Moment Musical 1732) eine Sechzehntel-, momentulum eine ZweiunddreiBigstelpause. J. G. Herder (u. a. Kalligone, 1800) gebraucht Augenblick, M. und instant für das Element der musikalischen Zeit. Im 19. Jh. erscheint M. in bestimmten Werktiteln (řMoment musical). R. Wagner spricht von den später so genannten Leitmotiven als von „melodischen Momenten". H. Riemann versteht M. im harmonischmetrischen Zusammenhang als Bestandteil bzw. Faktor. Im 20. Jh. steht M. dagegen eher für Kürze oder, wie z. B. bei K. Stockhausen, für Formeinheit und „selbständigen Gedanken — in einer Komposition". M. kann dann — formal — eine Gestalt der Struktur (oder beides) oder — zeitlich — ein Zustand oder Prozeß (oder beides) sein. Die „Formbildung durch M.e" — die „Momentform", in der jeder M. als „Konzentration auf das Jetzt" gehört wird, führt zwangsläufig auch zu einem neuen Verständnis von Zeit und Dauer. Lit..: K. STOCKHAUSEN, Momentform, in: Texte I, hrsg. v. D. Schnebel (Kö 1963) (= DuMont Dokumente o. Nr.); M., in: HMT (1978).
MOMENT MUSICAL (frz., = musikalischer
Augenblick), Bz. für ein lyrisches /Charakterstück. Erstmals als Momens musicals für die Klavierstücke op. 94, D 780 Fr. Schuberts belegt, fanden diese programmfreien Stücke, auch titelmäßig, nur wenige Nachfolger; meist sind es dann liedhaft schlichte Gebilde, so in M. Regers op. 13 (Lose Blätter) und 24 (Six morceaux). Dem Titelsinn entsprechen eher Werke wie Th. Kirchners Nur Tropfen, ganz kurze Stücke für Streichquartett, Z. Fibichs (352) tagebuchartige Stimmungen, Eindrücke und Erinnerungen oder G. Faurés Huit pièces brèves op. 84 (u. a. mit 2 Fugen). G. Klebe nannte sein op. 19 Moments Musicaux. MOMIGNY. — 1) Jérôme Joseph de, * 20.1.1762 Philippeville (heute Belgien), t 25.8.1842 Charenton-St-Maurice (Seine); frz. Komponist und Musiktheoretiker. Er war mit 12 Jahren Organist in St-Omer, später in Ste-Colombe und seit 1785 an der Abtei St-Pierre in Lyon. 1793 nahm er an dem Aufstand der Lyoner Bürger gegen die Stadtbehörde teil und mußte 1794 in die Schweiz fliehen, kehrte 1796 nach Lyon zurück. 1800 aber ging er nach Paris und gründete dort eine Musikalienhandlung mit Verlag, in dem er eigene Werke herausgab. Sein Gönner, der Comte de Lacépède, brachte seine Kompositionen zur Aufführung. 1828 mußte M., finanziell ruiniert, den Verlag auflösen, erhielt aber, u. a. durch Vermittlung L. Cherubinis, eine jährliche Pension und widmete sich seitdem philosophischen und politischen Studien. Von H. Riemann, dessen These von der Auftaktigkeit der leichten 338
Taktteile er bereits antizipierte (Grande Encyclopédie méthodique ...), wurde M. als „Vater der Phrasierungslehre" bezeichnet. Weitere bemerkenswert neue Ansätze finden sich in seiner Konsonanz- und Dissonanztheorie und in seiner Harmonielehre, die er allerdings wenig glücklich mit dem griech. Tetrachordsystem zu verbinden suchte. WW: 1) Kos posido.ea: 2 Streichquartette; Trioeonaten für Klv., V. u. Vc.; Slgen. mit Romanzen; Kantaten mit Klv.-Begleitung; ferner 2 Opern: Le baron de Felsheim (vor 1800) u. La nouvelle laitière (vor 1811); Operette Arlequin cendrillon (P 1811); Pantomime Musique de l'enfant d'Hercule et d'Hébé (P 1811). 2) Sari/tee: Cours complet d'harmonie et de composition d'après une théorie neuve, 3 Bde. (P 1803-06); Exposé succinct du seul système musical qui soit vraiment bon et complet (P 1809); La seule vraie théorie de la musique (P 1821, Nachdr. G 1974); Cours général de musique, de piano, d'harmonie et de composition depuis A jusqu'A Z (P 1834). - Ferner Bd. II des Musikteils der Grande Encyclopédie méthodique par ordre des matières (1818, Nachdr. NY 1971).
2) Georges Joseph, Sohn von 1), * 12. 12. 1812 Vire, t nach 1875 ebd.; fn. Komponist. M. war Schüler von P. Zimmermann und A. Reicha am Pariser Conservatoire und Organist an La ChapelleSt-Denis. Er schrieb Romanzen, Klavierstücke, Cantiques und Motetten. Ausg.: Zu 1): Streichquartett D-Dur op. 1 Nr. 2, hrsg. v. A. PALM (Kas 1969) (= Das 19. Jh. o. Nr.). - La seule vraie théorie .. . 1821, Nachdr. der it. Ausg. 1823 La sola e vera teoria della musica (Bol 1969) (- Bibl. musica Bononiensis II/ 66). Lit.: W. GERSTENBERG, Ein Dictionnaire M.s u. seine Lehre vom musikal. Vortrag, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); J. CHAILLEY, Un grand théoricien belge méconnu de la musique,
in: Bull. de la Classe des Beaux-Arts de l'Acad. Royale de Belgique 48 (1966); F. RrrZEL, Die Entwicklung der „Sonatenform" im musiktheoretischen Schrifttum des 18. u. 19. Jh. (Wie 1968) (= Neue musikgeschichtliche Forsch. 1); M. S. COLE, M.'s Analysis of Haydn's Symphony No. 103, in: MR 30 (1969); A. PALM, J.-J. de M., Leben u. Werk. Ein Beitrag zur Gesch. der Musiktheorie im 19. Jh. (Kö 1969); H. HEUGHEBAERT, Muziekopvatting en muziekanalyse van J.-J. de M., in: Vlaams muziektijdschrift 22 (1970); W. SEIDEL, Uber Rhythmustheorien der Neuzeit (Be - Mn 1975).
MOMPELLIO, Federico, * 9. 9. 1908 Genua; it. Musikforscher. Er studierte Komposition und Klavier am Konservatorium in Parma und promovierte 1932 an der Universität Genua mit der Dissertation II melodramma di G. Verdi zum Dottore in lettere. 1933 wurde er Bibliothekar und Professor für Musikgeschichte am Konservatorium in Palermo, 1934 am Konservatorium in Parma, war 1939-68 Bibliotheksdirektor und 1949-68 Professor für Musikgeschichte am Konservatorium in Mailand. 1968 erhielt er den Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Universität in Parma. Schritten: P. Vinci madrigalista siciliano (Mi 1937); M. E. Bossi (Mi 1952); S. d'India, musicista palermitano (Mi 1956); L. Viadana. Musicista fra due secoli (XVI-XVII) (Fi 1967) (=Historiae musicae cultores Bibl. 23); La musica nel duomo e alla corte sino alla secondo metà del Cinquecento, in: Storia di Milano 9 (Mi 1961) (zus. mit C. Sartori u. G. Barblan); La musica a Milano
Mondonville nell'età moderna, in: ebd. 16 (1962) (zus. mit G. BarbIan); S. F. Neri e la musica „pescatrice di anime", in: Chigiana 22, N.S. 2 (1965); Musica provvissoria nella prima „Forza del destino", in: Verdi. Boll. dell'Istituto di studi verdiani (1966); Valori cromatici nel „Quintetto" di C. Franck, in: Quadrivium 12 (1971).
MOMPOU, Federico, * 16.4. 1893 Barcelona; katalanischer Komponist. Er studierte am Conservatorio del Liceo in Barcelona und 1911-13 am Pariser Conservatoire. 1914-21 lebte er in Barcelona, dann erneut in Paris und ließ sich 1941 endgültig in
Barcelona nieder. Dort wurde er 1951 Mitglied der Real Academia de Bellas Artes de San Jorge und 1959 auch der Akademie von San Fernando. M. entwickelte im bewußten Gegensatz zum intellektuell ausgerichteten, zeitgenössischen „Cerebralismo" einen ausgesprochen primitiven Stil, den er „Recomienzo" nannte. Seine Kompositionen, überwiegend Klavierstücke und Klavierlieder, sind besonders durch das weitgehende Fehlen harmonischer und thematischer Entwicklung gekennzeichnet. Die Themen sind häufig durch folkloristische und exotische Musik inspiriert. WW: Für KIv.: Impresiones intimas (1911-14); Pessebres (1914 bis 1917); Scènes d'enfants (1918); Charmes (1920-21); 10 Präludien (1927-51); Cancidn y danza Nr. 1-10 (1918-53); 3 Paisajes (1942, 1947, 1960); Música callada, 4 H.e (1959-67). Vokal-WW: Cams magica (1917-19); Comptines (1943) für SingSt u. KIv.; Cantar del alma (1960) für Chor u. Org.; Oratorium Los improperios (1964) für Soli, Chor u. Orch.; Vida interior (1966) für Chor. - Ballett House of Birds, UA: London 1955. Lit.: A. IGLESIAS, F. M., su obra para piano (Ma 1976).
MONACO, Mario del, /Del Monaco. MONA LISA, Oper in 2 Akten von Max von Schillings (1868-1933), op. 39, Text von Beatrice von
Vay-Dovsky. Ort der Handlung: Florenz; Zeit: Anfangs- und Schlußszene (Rahmenhandlung): im 20. Jh.; 1. u. 2. Akt (Binnenhandlung): Ende des 15. Jahrhunderts. UA: 26. 9. 1915 in Stuttgart. Die genüßlich-frivole Lebensart des mediceischen Florenz ist der atmosphärische Hintergrund, vor dem die Legende um Mona Fiordalisa del Gioconda - bekannt als „Mona Lisa" - theatralisch effektvoll ausgebreitet wird: Die junge Mona Lisa läßt ihren erheblich älteren Gatten in seiner Schatzkammer ersticken, nachdem dieser ihren jugendlichen Liebhaber umgebracht hat. Erzähltechnisch eingebettet ist dieses Eifersuchtsdrama in eine Rahmenhandlung: Ein Ehepaar auf der Hochzeitsreise bekommt die Geschichte während einer Führung durch den Palast des Gioconda von einem Laienbruder erzählt. Nach der Anfangsszene verwandeln sich die Hochzeitsreisenden in das Ehepaar Gioconda und der Laienbruder in den jugendlichen Liebhaber. Farblicher Nuancenreichtum mit Hilfe des stark besetzten Orchesters, an R. Wagners und R.
Straussens Schreibweise angelehnter Dialogstil und große harmonische Dichte zeichnen das Werk als Meisterstück spätromantischer Musikdramatik aus. Der Stoff war zur Zeit der UA noch aktuell: Leonardo da Vincis „Mona Lisa" war 1911 aus dem Louvre gestohlen und 1913 in Florenz wiedergefunden worden. W. A. MAKUS MÖNCH VON SALZBURG, östr. Dichter und Musiker. Die Zeit seines Wirkens deckt sich vermutlich etwa mit der Amtszeit des Salzburger Bischofs Pilgrim II. (1365-96). Von seinen 107 weltlichen und geistlichen Liedern sind die meisten in der Mondsee-Wiener Lieder-Hs. (östr. Nat.-Bibl. Cod. 2856) und 2 im Lochamer Liederbuch bzw.
im Fundamentum C. Paumanns überliefert. Ausg.: F. A. MAYER - H. RIETSCH, Die Mondsee-Wiener Hs. u. der M. von S., in: Acta Germanica 3-4 (1894-96) (darin Abdruck der weltlichen Melodien); 10 Lieder, in: H. MOSER J. MÜLLER-BLATTAU, Dt. Lieder des MA (St 1968). Lit.: O. URSPRUNG, Vier Stud. z. Gesch. des Liedes, II: Die Mondseer Lieder -Hs. u. Hermann der M. von S., in: AfMw 5 (1923); F. V. SPECHTLER, Der M. von S., Unters. über Hss., Gesch., Gestalt u. Werk ... als Grundlage einer textkritischen Ausg. (Dim. I 1963); DERS., Der M. von S. u. O. von Wolkenstein in den Hss., in: DVfLG 40 (1966); W. ROLL, Zur Überlieferung der Lieder des M.s von S., in: Zschr. für dt. Altertum u. dt. Lit. 99 (1970).
MOND, DER, ein kleines Welttheater von Carl Orff (1895-1982), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: in märchenhafter Vergangenheit. UA: 5.2. 1939 in München. In Anlehnung an das Märchen der Brüder Grimm entfaltet Orff ein humoreskes Kaleidoskop liebenswürdiger menschlicher Schwächen und hintergründiger Lebensweisheiten. Eine leuchtende Kugel wird von vier Burschen gestohlen, erweckt nach deren Tod das Reich der Entschlafenen zu unsittlichfrohem Leben und wird schließlich von Petrus als Mond am Himmel befestigt. Die Sicht der Welt als kosmische Einheit aller Lebensbereiche und die Zweifelhaftigkeit rigorosen moralischen Dogmatismus sind gedankliche Grundelemente des Werkes - dargestellt in expressiver Anschaulichkeit, zwar mit Hilfe vieler Symbole, jedoch ohne akademische Ästhetisierung. Musikalisch verbirgt sich hinter dem gewollt einfachen Klangbild oft dezente satztechnische Raffinesse. Die Integration von Elementen der Unterhaltungsmusik und von Zitaten aus Werken G. Puccinis und G. Verdis dient sowohl der Gattungsparodie als auch der Intensivierung des musikalischen Ausdrucks. Die Komik von Musik und Text ist nicht artifiziell buffonesk, sondern elementar heiter und komödiantisch, von ironischer Distanz ohne Sarkasmus. W. A. MAKUS MONDONVILLE, Jean-Joseph Cassanéa de, ge339
Monferrato tauft 25.12.1711 Narbonne, t 8.10.1772 Belleville bei Paris; frz. Violinist und Komponist. Er kam 1731 nach Paris, wo er 1733 und 1734 seine ersten beiden Bücher Instrumentalkompositionen veröffentlichte. Kurz darauf wurde er 1. Violinist im Concert de Lille und brachte dort mit großem Erfolg seine Motetten zur Aufführung. 1734 spielte er erstmals im Concert spirituel und machte sich dort 4 Jahre später auch als Komponist bekannt. 1739 wurde er Violinist der Chapelle Royale, 1740 Sous-maître und 1744 Surintendant. 1755-62 war er Leiter und Dirigent des Concert spirituel. WW: V. -Sonaten mit B.c. op. 1 (P 1733); Triosonaten (P 1734); 6 Pièces de clavecin en sonates mit V. op. 3 (P um 1734); Les sons harmoniques (6 V.-Sonaten) (P 1738); Pièces de clavecin, avec voix ou violon (P 1748); ferner Motetten, u. a. Chormotetten Jubilate (1734/38) u. Cantate Domino (1742). — Bühnenwerke, darunter: Isbé, UA: Paris 1742; Titon et l'Aurore, UA: ebd. 1753; Thésée, UA: ebd. 1765; Les projets de l'amour, UA: ebd. 1771.
M. gehörte während des Buffonistenstreits zu den bedeutendsten Parteigängern der französischen Musik. Wichtig sind bis heute vor allem seine Instrumentalkompositionen. In den Sonaten op. 4 für Violine mit B. c. verwendete er als erster Flageoletttöne; die Sonaten op. 3 für Violine und Cembalo markieren in der gleichwertigen Behandlung der beiden Instrumente eine neue Stufe in der Entwicklung der Violinsonate. Als Virtuose wurde M. mit den größten französischen Violinisten der Zeit, J.P. Guignon und L. G. Guillemain, auf eine Stufe
gestellt. Ausg.: Pièces de clavecin 1734, hrsg. v. M. PINCHERLE (P 1935) (= Publications de la Soc. Fr. de Mie I/9); Pièces de clavecin 1748, hrsg. v. E. BORROFF (P 1950); dass., Faks.-Ausg. hrsg. v. M. PINCHERLE (Lo 1966); Motetten Jubilate u. Cantate Domino, hrsg. v. E. BORROFF (Pittsburgh 1961); Sonates en trio, hrsg. v. R. BLANCHARD (P 1967) (= Le pupitre 3); Sonaten für V. u. B.c. op. 1 Nr.3 D-Dur u. Nr.4 G-Dur, hrsg. v. F. POLNAUER (Mz 1967) (= V.-Bibi. 19); Sonate C-Dur für V. u. B.c. op. 4 Nr. 2, hrsg. v. DEMS. (Wilhelmshaven 1970) ( = L'arte del violino o. Nr.). Lit.: F. HELLOUIN, M., sa vie et son ceuvre (P 1903); L. DE LA LAURENCIE, L'école française de violon III (P 1924, Nachdr. G 1971); E. BORROFF, The Instrumental Works of J.-J. de M., 2 Bde. (1959) (= Diss. Univ. of Michigan); DIES., The Instrumental Style of J.-J. de M., in: Rech. Mus. 7 (1967); H. BOL, De triosonates op. 2 van J.-J. C. de M., in: Mens en melodie 23 (1968); G. BECKMANN, Die frz. Violinsonate mit B.c. v. J.-M. Leclair bis P. Gaviniès (H 1975) (= Hamburger Beitrag zur Musikwiss. 15).
MONFERRATO, Natale, * um 1603 Venedig, t 23.4. 1685 ebd.; it. Komponist. M. war Geistlicher und Schüler von G. Rovetta in Venedig. Dort wurde er 1639 Sänger, 1647 Vizekapellmeister und 1676 als Nachfolger P. Fr. Cavallis Kapellmeister an San Marco. M. reorganisierte die Kapelle und hob ihr Niveau durch Einführung strenger Aufnahmeprüfungen. Daneben war er Chormeister am Conservatorio dei Mendicanti. 1675 gründete er mit 340
G. Sala eine Notendruckerei, in der er nun alle seine
Werke veröffentlichte. WW (meist in Venedig gedruckt): Missa ad usum cappellarum für 4-5 St. u. B.c. (1677); Messe et Magnificat für 4 St. (1681); Moretti a voce sola (1655, 1666); Moretti bzw. Motetti concertati für 2-3 St. u. B.c. (1655, 1668, 1681); Salmi concertati für 5-8 St. (1647); für 3-8 St. (1671,1678); für 2 St. (1676); doppelchörige Psalmen für 8 St. u. B.c. (1653); Salmi brevi für 8 St. (Bol 1675): Antiphonae für 1 St. u. B.c. (1678). Lit.: C. SARTORI. Le origini di una casa editrice veneziana, in: FAM 7 (1960).
MONFERRINA, piemontesischer Volkstanz (aus Monferrato) im schnellen 6 /8 -Takt. Die M. weist einen 2teiligen Melodieaufbau mit Ritornell auf, wobei die beiden Teile kontrastierend angelegt sind. In der Kunstmusik findet sich die M. u. a. bei M. Clementi. MONIKA, Operette in 3 Akten von Nico Dostal (1895-1981), Text von Hermann Hermecke. Ort und Zeit der Handlung: eine Schwarzwaldgegend und eine norddeutsche Stadt, in den 30er Jahren. UA: 3. 10. 1937 in Stuttgart (Staatstheater). Verfilmt: 1939 (als Heimatland) und 1956. Der milieubedingte Konflikt zwischen ländlichem und städtischem Leben wird glücklich gelöst: Das Mädel aus dem Schwarzwalddorf kann trotz aller Schwierigkeiten den aus Norddeutschland stammenden Geliebten heiraten. Dostal knüpft mit Monika an den Werkstil F. Lehárs und E. Kálmáns an; mit ihren im Volkston gehaltenen Liedern und vielen Tanzmelodien entspricht die Operette dem Bedürfnis des Publikums, die heimatlichen Landschaften zu idealisieren, insbesondere in dem berühmt gewordenen Lied Heimatland, Heimatland, dein gedenk' ich immerdar. Charakteristisch für den singspielhaften Musikstil Dostals sind auch die Duette Einmal rechts 'rum, einmal links 'rum, Ein Walzer zu zweien, das Terzett Mädle, guck nit so dumm und das Liebeslied Dein bin ich immerdar. B. DELCKER
MONIUSZKO, Stanislaw, * 5. 5.1819 Ubiel bei Minsk, t 4.6.1872 Warschau; poln. Komponist. Er erhielt seine Ausbildung 1827-30 bei August Freyer in Warschau und 1837-39 bei C. Fr. Rungenhagen in Berlin. 1840 wurde er Organist an der St. Johannes- Kirche in Wilna, wo er außerdem als Musiklehrer und Theaterdirigent tätig war. Nach dem überragenden Erfolg seiner Oper Halka in Warschau 1858 wurde er noch im selben Jahr als Direktor an die Warschauer Oper berufen. Auf einer Reise nach Paris 1862 lernte er Fr. D. E. Auber und Ch. Gounod kennen. Seit 1864 unterrichtete er Instrumentation und Komposition am Warschauer Musikalischen Institut. Zu seinen Schülern gehörten Z. Noskowski, H. Jarecki und (in Wilna) C. Cui.
Monn WW: Etwa 300 Lieder; Chorwerke; 6 Messen; ein Requiem sowie 4 Litaneien. - Zahlr. Opern, u. a. Nocleg w Apeninach (Das Nachtlager in den Apenninen), UA: Wilna 1839; Halka, UA: ebd. 1848, erweitert um 2 Akte, UA: ebd. 1858; Nowy Don Kiszot (Der neue Don Quixote), UA: Lemberg 1849; Loterya (Die Lotterie), UA: Warschau 1846; Cyganie (Die Zigeuner), UA: Wilna 1852, revidiert als: Jawnuta, UA: Warschau 1860; Bettly, UA: Wilna 1852; Fuis (Der Fliißer), UA: Warschau 1858; Hrabina (Die Gräfin), UA: ebd. 1860; Verbum nobile, UA: ebd. 1861; Strazny dwór (Das Gespensterschloß), UA: ebd. 1865; Paria, UA: ebd. 1869; ferner ein Melodram Beata, UA: ebd. 1872.
Obwohl M. im Schatten Fr. Chopins stand, übte er einen großen Einfluß auf die zeitgenössischen polnischen Komponisten und auf die Ausprägung eines nationalen Stils in der polnischen Musik aus. Seine Opern sind wegen ihrer teilweise sozialkritischen Akzente und ihres melodischen Reichtums bis heute in Polen lebendig geblieben. Stilistisch verband er die traditionelle polnische Kunstmusik mit Einflüssen der italienischen Musik und der deutschen Romantik; in der melodischen Erfindung wurde er durch die polnische und weißrussische, aber auch durch litauische Volksmusik inspiriert. Ausg.: Dziela (GA), hrsg. v. W. RuDZIÓsKt (Krakau 1965ff.); Piesni wybrane (Ausgew. Lieder), hrsg. v. E. NowACZYK (ebd. 1972). - Listy zebrane (Gesammelte Briefe), hrsg. v. W. RUDZINSKI (ebd. 1969). Lit.: F. KECKI, A Catalogue of Musical Works of M. Karlowicz and S. M., engl. v. C. Szklarska (War 1936). - A. WALICKI, S. M. (Lemberg 1873); Z. JACHIMECKI, S. M. (War 1921), NA hrsg. v. W. Rudziríski (Krakau 1961) ( = Z pism Zdz. Jachimeckiego 3); DERS., S. M. and Polish Music, in: The Slavonic Rev. 2 (1924); DERS., Die Kirchenmusik M.s (War 1948); S. M. Sammel-Bd., hrsg. v. I. BELZA (Mos - Leningrad 1952); W. RUDzIÓSKI, S. M. (Krakau 1954, 4 1972); T. KACZYNSKI, Dzie je sceniczne ..Halki" (Die Bühnengesch. des „Halka") (Krakau 1969); K. MAZUR, Pierwodruki S. M. (War 1970); W. RUDZIŇsKt, M. a Chopin, in: Chopin a muzyka europejska, hrsg. v. K. Musiot (Kattowitz 1977).
MONK, Thelonious (Sphere), * 10. 10. 1920 Rocky Mount (N.C.), t 17.2. 1982 Eaglewood (N.Y.); amerik. Jazzmusiker (Klavier). Ende der 30er u. Anfang der 40er Jahre spielte er zunächst Swing und Mainstream, traf aber schon 1941 in New York mit einigen Jazz-Erneuerern zusammen (u. a. mit Kenny Clarke und Charlie Christian) und beteiligte sich aktiv an der Vorbereitung des Modern Jazz (Bebop). Später spielte er auch mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Seit 1957 rückte M. in den Mittelpunkt des Jazzgeschehens, spielte u. a. mit John Coltrane und Johnny Griffin; seit 1959 gehörte der Tenorsaxophonist Charlie Rouse zu seinem Quartett. Bis in die 70er Jahre hinein trat M.
auch als Solist auf. Charakteristisch für seinen Stil war die Auflösung der traditionellen Harmoniebeziehungen und insbesondere die Verwendung von Blueselementen, die er mit komplexen Strukturen verband. Jazzstandards wurden u. a. seine Kompositionen: Round about Midnight, Epistro-
phy, Well you needn't, Straight no Chaser, Blue Monk, Misterioso. Lit.: M. T. WILLIAMS, Th. M., in: The Jazz Tradition (NY 1970) (mit Bibliogr.); A. POLILLO, Jazz, Gesch. u. Persönlichkeiten der afro-amerik. Musik (Mn 1978).
MONN (Mann). —1) Matthias (eig. Johann) Georg, * 9.4. 1717 Wien, t 3. 10. 1750 ebd.; östr. Komponist und Organist. Er ist 1731/32 als Diskantsänger im Stift Klosterneuburg nachweisbar und hatte frühestens seit 1738 an der soeben vollendeten Wiener Karlskirche das Organistenamt inne. Fraglich bleibt, ob er es zeit seines Lebens ausübte; in seinem Testament spricht er nämlich von langwieriger Erkrankung. WW (fast ausschließlich hsl. erhalten): Etwa 80 Symphonien, Partiten, Divertimenti, Cemb.- u. Vc.-Konzerte, Tänze, Sonaten für Cemb., Praeludien u. Versetten für Org., Messen, Magnificat, Motetten. - Ferner eine Theorie des Generalbasses in Beispielen ohne Erklärung.
M. zählt mit G. Chr. Wagenseil und J. Starzer zu den namhaftesten Komponisten der Wiener Vorklassik. In der Tradition verwurzelt, wurde er namentlich in seinen Symphonien zukunftsweisend. Durch Ausbildung eines 2. Themas, einer Durchführung und Hinzufügen des Menuetts zur bisherigen Dreisätzigkeit bereitete er den klassischen Typus der Symphonie entscheidend vor. 2) Johann Christoph, Bruder von 1), * 1726, t 24. 6. 1782 Wien; östr. Komponist und Klavierlehrer. Er lebte laut Testament seines Bruders 1750 als Musiklehrer beim Grafen Kinsky in Prag, seit 1766 als erfolgreicher Klavierpädagoge in Wien, wo er allerdings völlig verarmt starb. M. entspricht in seinen Klavierwerken dem Zeitgeschmack des Publikums, während seine einzige überlieferte Symphonie dem Stil der Mannheimer Schule nahesteht. WW (hs1.): Divertimenti, Sonaten, Menuette, Cemb.-Konzerte. 1 Symphonie.
Ausg.: Zu 1): 3 Symphonien u. 1 Sonata (Partita), in: Wiener Instrumentalmusik vor u. um 1750, 1. Teil, hrsg. v. K. HoRWITZ - K. RIEDEL (W 1908) (= DTO 31) (die urspr. M. zugeschriebene Symphonie Es-Dur stammt v. F. X. Pokorny); 5 Symphonien u. 2 Konzerte, in: ebd. Teil 2, hrsg. v. W. FISCHER (1912) (= ebd. 39); Klv.-Stücke, in: Klv.-Musik des 17. u. 18. Jh. 1, hrsg. v. K. HERRMANN (L 1934); 2 Deutsche Marienlieder, hrsg. v. R. MODER (W 1955); V.-Konzert B-Dur, hrsg. v. I. SCHUBERT (Gr 1975) (= Musik Alter Meister 39/40). - Ein Cemb.-Konzert M.s bearb. A. Schönberg 1932 als Konzert für Vc. u. Orch. - Zu 2): Divertimento D-Dur, hrsg. v. W. FISCHER (_ DTO 39, s.o.); 3 Klv.-Kompositionen, hrsg. v. K. GEIRINGER, in: Wiener Meister um Mozart u. Beethoven (W 1935). Lit.: H. RIEMANN, Stamitz oder M. ?, in: Blätter für Haus- u. Kirchenmusik 12 (1907/08); W. FISCHER, Zur Entwicklungsgesch. des Wiener klass. Stils, in: StMw 3 (1915); R. PHILIPP, Die Messenkompositionen der Wiener Vorklassiker G.M. M. u. G. Ch. Wagenseil (Diss. W 1938); J. LARUE, Major and Minor Mysteries of Identification in the 18th-Century Symphony, in: JAMS 13 (1960); J. M. BARBOUR, Pokorny Vindicated, in: MQ 49 (1963). R. FEDERHOFER-KONIGS
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Monnikendam MONNIKENDAM, Marios, * 28. 5. 1896 Haarlem, t 22. 5. 1977 Heerlen; ndl. Komponist und Musikschriftsteller. Er studierte bei S. Dresden am Konservatorium in Amsterdam und seit 1924 bei V. d'Indy an der Schola Cantorum in Paris. AnschlieBend unterrichtete er am Konservatorium in Rotterdam und am Muziek-Lyceum in Amsterdam. Hauptsächlich jedoch war M. als Musikkritiker bei verschiedenen katholischen Tageszeitungen tätig und veröffentlichte zahlreiche Beiträge in den Zeitschriften Mens en melodie und Musica sacra (Niederlande). Architektonisch empfundener Werkaufbau und ein starkes motorisches Element sind kennzeichnend für den kompositorischen Stil M.s, der auBer von der byzantinischen Liturgie auch von der Volksmusik und vom Schaffen A. Honeggers beeinfluBt ist. WW: 1) Kompositioaea: Zahlr. Orgelwerke, darunter: Konzert für Org., 20 Bläser u. Schlagzeug (1968); Praeludium The Bells (1972); Toccata eoncertante (1976). — Für Orch.: Arbeid (1933); Mouvement symphonique (1950); Konzert für Trp., Horn u. Orch. (1962); Concertino für Klv. u. Orch. (1974). — Zahlr. geistliche Vokalwerke, u. a.: Missa nova (1931) für gem. Chor a cap.; 2 Magnificat (1956, 1966); Missa solennissima (1959) für gem. Chor, Org. u. 7 Blechbläser ad lib.; Missa pro defunctis (1962) für Alt, Org. u. Schlagzeug; Oratorien: Jan van Riebeeck (1951) für Soli, Chor u. Orch.; Nod ou la déstruction du monde (1955) für Soli, Chor, Kinderchor, Sprecher und Orch.; Elckerlijc (1975) für Kinderst., Chor, Kammerorch. u. Org. — 2) Schritten: C. Franck (A 1949, NA Haarlem 1966); L Strawinsky (Haarlem 1951, 1958, 1966); De symfonie van C. Franck (An 1963); Nederlandse componisten van heden en verleden (A 1968). Lit.: H. NOLTHENIUS, Het jongste werk van M. M., in: Mens en melodie 1 (1946); W. PAAP, in: ebd. 21 (1966); DERS., M. M. componist, tachtig jaar (Haarlem 1976). B. A. KOHL
MONNOT, Marguerite Angèle, * 26. 6. 1903 Decize (Nièvre), t 12.10.1961 Paris; frz. Pianistin und Komponistin. Sie studierte Klavier bei A. Cortot sowie Komposition bei Nadia Boulanger und wurde vor allem als Komponistin von Filmmusik und Chansons (u. a. Milord, 1959) bekannt. Ihr größter Erfolg, sowohl in Europa als auch am Broadway war das Musical Irma la Douce (UA: Paris 1957). MONOCHORD (griech., = Einsaiter, von monos = allein, einzig und chordě = Saite), Bz. für ein aus der Antike stammendes Instrument, bestehend aus einem rechteckigen Resonanzkasten, über den längs eine an beiden Enden befestigte Saite gezogen ist. Unter der Saite befindet sich ein verschiebbarer Steg, mit dessen Positionsänderungen die Saite in jedem gewünschten Punkte geteilt, d. h. die schwingende Länge einzelner Teilstrecken verändert werden kann, so daB die exakte Darstellung einzelner Tonhöhen möglich ist. Eine auf der Decke des Resonanzkastens aufgetragene Skala erleichtert das Auffinden der Teilungspunkte. — Über das Aussehen (z. B. Größe oder Saitenlänge) des antiken M.s 342
ist kaum etwas bekannt. Seine Bedeutung als das wichtigste Meßinstrument der griechischen antiken Musiktheorie läßt sich dagegen schon aus der griechischen Bezeichnung „kanón" (lat. regula, norma, = Regel, Norm, Richtschnur) ablesen, die seit Eukleides (Katatomě kanönos = Sectio canonis) überliefert ist. Angeblich soll Pythagoras das M. erfunden haben; sicher ist jedoch nur, daB es zu seinen Lebzeiten benutzt wurde. Die mittelalterliche Musiktheorie verdankt die Kenntnis der antiken Theorie und des M.s der Oberlieferung durch Boěthius. Jedoch erst seit dem 10. Jh. gewann das M. auch eine größere praktische Bedeutung. Ausgehend von den mathematischen Teilungsverhältnissen der Intervalle (Grundintervalle: Oktave 1: 2, Quinte 2 : 3, Quarte 3 :4, groBer Ganzton 8 : 9) und der genauen Abtrennungsmöglichkeit von Teilabschnitten bei der Streckenteilung, wurde es als Hilfsinstrument zur mathematisch exakten Festlegung von Tonhöhen benutzt: als Demonstrationsinstrument zur optisch-akustischen Darstellung von Intervallen, als Meßinstrument zur Stimmung anderer Instrumente (die Saitenteilung am M. war grundlegend für die Berechnung der Orgelmensuren) und als Lehrinstrument im Gesangsunterricht. Die Bedeutung des Instruments für die Musiktheorie zeigt sich auch in der Vielzahl von M.-Mensuren, die in den Musiktraktaten des Mittelalters mitgeteilt werden. Obwohl das M. auch als Musikinstrument benutzt wurde, war es für die Musikausübung von nur geringer Bedeutung, führte jedoch im Spätmittelalter zur Erfindung weiterer Instrumente. Bereits für die antiken Autoren lag es nahe, das M. mit mindestens einer weiteren Saite und dazugehörigem Steg auszustatten, um ein simultan erklingendes Intervall erzeugen zu können. So berichten schon Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.) und nach ihm Boěthius von Instrumenten mit 8 Saiten. Auch im Mittelalter wurden Polychorde, d. h. M.e mit mehreren Saiten, benutzt; dennoch behielt das Instrument den Namen „M." Im 14. Jh. berichtet S. Tunstede von einem Bichord, bei dem zwei Saiten in der Prim gestimmt waren; im 15. Jh. wurde das einsaitige M. mit Tasten ausgestattet, die mit den notwendigen Lehrinformationen wie Tonbuchstaben und Solmisationssilben beschriftet waren. Dieses Tasten-M. war nach Conrad von Zaberu (Novellus musicae artis tractatus, um 1460/70; Opusculum de monochordo, zw. 1462 und 1474) sehr vielfältig verwendbar. Es handelte sich jedoch wohl nur um eine zu Lehrzwecken entwickelte Sonderform, denn schon vorher wurde das mehrsaitige Polychord mit Tasten verbunden und daraus das /Clavichord entwickelt, das erstmals 1404 nachweisbar ist (Eberhard Cersne, Der Minne
Monodie Regel). Da aber das M. meistens ein Polychord war und als Musikinstrument in Texten des 13. und 14. Jh., auch als „monacorde", „manicorde" oder „manicordion" u. ä., bereits häufiger erscheint, könnte es sich in Wirklichkeit schon um ein Clavichord gehandelt haben. Lit.: S. WANTZLOEBEN, Das M. als Instr. u. als System (HI 1911); W. NEF, The Polychord, in: Galpini 4 (1951); J. SMITS VAN WAESBERGHE, De musico-paedagogico et theoretico Guidone Aretino (Fi 1953); K.-W. GUMPEL, Das Tastenmonochord Conrads von Zabere, in: AfMw 12 (1955); J. CHAILLEY, Le monocorde et la théorie musicale, in: FS J. Smits van Waesberghe (A 1963); C. ADKINS, The Technique of the M., in: AMI 39 (1967); A. HUGHES, The M. and musica ficta, in: MD 23 (1969); J. SMrrs VAN WAESBERGHE, Musikerziehung (L 1969) (= Musikgesch. in Bildern III/3); B.MUNxELHAUs, Pythagoras musicus (Bonn 1976); M. MARKOVrrs, Das Tonsystem der abendländischen Musik im frühen MA (Be —St 1977). M. BROCKER
MONODIE (griech.; monódia = Einzel-, Sologesang, von monos = allein und adó = ich singe), in der Antike der Gesang eines einzelnen im Gegensatz zu dem eines Chores. Solistischen Schauspielergesang hat es in der antiken Tragödie immer gegeben; monödein bedeutete dabei soviel wie thrěnein (= klagen, trauern), also Klagegesang. Dieser nahm gegen Ende des 5. Jh., bei Euripides z. T. unter dem EinfluB des jungen Dithyrambos, überhand, so daB in der „alten" Komödie die M. als eine bewuBt spöttisch anspielende Alternative zur M. der Tragödie eingesetzt wurde; in diesem Sinne ist M. in der Komödie zuerst belegt bei Kratin. frg. 10 D (428) und mehrfach bei Aristophanes, der über die „aufgeblasenen" Trauergesänge der Euripideischen Tragödie spottet und diese parodiert (z. B. Frösche, 849ff., 939ff., 1329ff. u. a.). Doch kennt die „alte" Komödie auch eigenständige nichtparodierende M.n, was ebenso für die „mittlere" und die „neue" Komödie gilt. Ein Charakteristikum antiker M. war die musikalische Nachahmung (miměsis) der Affekte, z. B. von Schmerz und leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen. Offenbar waren die M.n von Tragödie und Komödie instrumental begleitet, denn in der Folge nennen Platon (Gesetze, 764d —765 b) und Aristoteles (Probleme, 19,9 und 43) auch die Gesänge von Rhapsoden, Kitharoden, Auloden und die solistischen Gesänge zur Lyra Monodien. In Rückbesinnung auf die M. der Antike setzte sich in der Renaissance und ihrer Beschäftigung mit antiker Literatur gegen Ende des 16. Jh. als Wiederbelebungsversuch der antiken M. in Italien ein „neuer" Stil (stile nuovo, seconda pratica) durch, der gegenüber dem „alten" kontrapunktischen (stile antico, prima pratica) eine affektbetonte vokale Oberstimme gegen eine homophone instru-
mentale BaBbegleitung (řGeneralbaB) absetzt. In Anlehnung an die antike M. als Synonym für den affektvollen Klagegesang waren die ersten M.n von 1582 des V. Galilei nach dem Bericht Pietro Bardis Klagegesänge, und Cl. Monteverdis berühmt gewordene Arianna -M. von 1608 trug den Titel Lamento. Einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung dieses „neuen" begleiteten Sologesanges hatte die "Camerata Fiorentina um 1580. Vor allem G. Caccini und Monteverdi haben in Oper, Arie, geistlicher Solokantate, im geringstimmigen Kirchenkonzert und Solomadrigal den Stile recitativo und den GeneralbaBsatz voll ausgeprägt. Sie folgten dem Grundsatz, daB im neuen Stil „die Musik die Dienerin des Textes" sein solle, während zuvor im alten Stil umgekehrt der Text der Diener der Musik gewesen sei. Daher bestehe die Aufgabe der Musik nun darin, den Sinn und die Affekte des Textes zu deuten und verständlich wiederzugeben, indem das affektgeladene Sprechen eines in seelischer Erregung befindlichen Menschen musikalisch und rhythmisch nachgeahmt werde (musikalische Miměsis der Affekte). Die kompositorischen Mittel, mit deren Hilfe die melodietragende (oft auch improvisatorisch ausgezierte) Oberstimme die Affekte zur Darstellung bringt, sind sorgfältige Deklamation des Textes, schneller Wechsel von langen und kurzen Tönen, groBer Stimmumfang, dissonante Sprünge und gehäufte Chromatik. Der meistens als liegender BaBton notierte GeneralbaB stellt die harmonischen Klänge, d. h. die Akkorde, dar, zu denen die Melodietöne gehören. Das Prinzip der M. hat in der Folge alle Arten und Gattungen der Musik beeinfluBt; sie wirkte nachhaltig auf die Entwicklung vor allem von Oper, Oratorium, Kantate, geistlichem Konzert, Arie und (Instrumental-)Sonate. Entsprechend den verschiedenen Arten des Generalbasses gibt es auch verschiedene Arten der Monodie: Zu unterscheiden von den M.n in der Tradition der Camerata Fiorentina und der frühen Oper sind die Sologesänge in der motettischen Tradition L. Viadanas, im geistlichen OE'Concerto und im lateinischen Oratorium. Lit.: F. BLUME, Das monodische Prinzip in der prot. Kirchenmusik (L 1925); E. KATZ, Die musikal. Stilbegriffe des 17. Jh. (Diss. Fr 1926); W. SCHADEWALDT, Monolog u. Selbstgespräch (B 1926); P. MAAS, M., in: Paulys Real-Encydopädie der class. Altertumswissenschaft, 31. Halb-Bd., neue Bearb. hrsg. v. W. Kroll (St 1933); F. GHssI, Alle fonti della monodia (Mi 1940); N. FORTUNE, It. Secular Monody from 1600 to 1635. An Introductory Survey, in: MQ 39 (1953); DERS., It. Secular Song from 1600 to 1635. The Origins and Development of A000mpanied Monody (1954) (= Diss. Univ. of Cambridge); H.H. EGGEBRECHT, Arten des Gb. im frühen u. mittleren 17. Jh., in: AfMw 14 (1957); TH. G. GEORGIADES, Musik u. Rhythmus bei den Griechen (H 1958) (= rowohlts dt. enzyklopädie 61); H.H. EGGEBRECHT, M., in: MGG IX; W.V. PORTER, The Origins of the Baroque Solo Song, 2 Bde. (1962) (= Dias. Yale Univ./
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Monodram Conn.); J. RACEK, Stilprobleme der it. M. (Pr 1965); P. C. ALDRICH, Rhythm in the 17th-Century It. Monody (NY 1966); E. APFEL, Zur Frage des Rhythmus in der it. M. des 17. Jh., in: Mf 21 (1968); J. H. BARON, Monody. A Study in Terminology, in: MQ 54 (1968); N. FORTUNE, Solo Song and Cantata, in: The Age of Humanism, 1540-1630 (Lo 1968) (= New Oxford Hist. of Music 4); E. APFEL, Polyphonie u. M. Voraussetzungen u. Folge des Wandels um 1600 (Saarbrücken 1974) (= Grundlagen einer Gesch. der Satztechnik 2); N. FORTUNE, Monody, in: Grove 6 XII. B. R. SUCHLA
MONODRAM (von griech. monos = allein und drama = Handlung), im 18. Jh. gelegentlich Bz. für ein /Melodram mit nur einer sprechenden und handelnden Person, so z. B. bei G. Benda (Medea, 1775); ein Melodram mit zwei Personen hieß dementsprechend Duodram. In einem anderen Sinn nennt H. Berlioz seine Symphonie Lélio, ou le retour à la vie (mit Chor und Vokalsolisten, aber ohne gesprochene Partien) ein Monodrame lyrique, nicht ohne damit im ästhetischen Anspruch auf den Begriff des 7Drame lyrique zu zielen. Im 20. Jh. bezeichnet A. Schönberg seine einaktige Oper Erwartung, in der nur eine Person auftritt, als M. Lit.: E. ISTEL, J.-J. Rousseau als Komponist seiner lyrischen Szene Pygmalion (L 1901, Nachdr. Nendeln — Millwood 1974) ( = BIMG I, 1); F. BRUCKNER, G. Benda und das dt. Singspiel, in: SIMG 5 (1903/04).
MONSIGNY, Pierre-Alexandre, * 17. 10. 1729 Fauquembergues (Pas-de-Calais), t 14. 1. 1817 Paris; frz. Komponist. Er besuchte das Jesuitenkolleg in Saint-Omer und erhielt dort Violinunterricht. Mit 18 Jahren trat er in die Verwaltung der Kirchengüter in Paris ein. Eine Aufführung von G. B. Pergolesis La serva padrona (1754) begeisterte ihn derart, daß er sich zum Musikstudium entschloß. Er nahm Kompositionsunterricht anhand von J.-Ph. Rameaus Theorie bei Pietro Gianotti, einem Kontrabassisten der Pariser Opéra, und hatte bereits wenig später mit dem Intermedium Les aveux indiscrets (1759) und mit der Opéra-bouffe Le maître en droit (1760) am Théâtre de la Foire St-Germain einen beachtlichen Erfolg. Daraufhin erhielt er von M. Sedaine das Angebot, mit ihm zusammenzuarbeiten, was für M.s Zukunft entscheidend wurde. Ihr erstes gemeinsames Werk war On ne s'avise jamais de tout, dessen Aufführung am Théâtre de la Foire St-Laurent (1761) großen Anklang beim Publikum fand und dem eine Reihe weiterer Stücke folgte. Nach dem triumphalen Erfolg des Félix (1777) gab M. das Komponieren völlig auf. Während der Französischen Revolution verlor er seinen Besitz und seine Ämter. Nach dem Tode von N. Piccinni (1800) wurde er zum Inspecteur des études am Pariser Conservatoire ernannt, legte aber 1802 das Amt nieder. 1813 wurde er anstelle A.E.-M. Grétrys in die Académie des Beaux-Arts ge344
wählt. M. ist mit E. Duni und Fr.-A. Philidor einer der Begründer der Opéra-comique. Charakteristisch für seine Werke sind besonders eine gefühlvolle Melodik und eine dynamisch differenzierte und gleichsam pittoreske Orchesterbehandlung, die in manchen Einzelheiten an die Symphonik der Mannheimer Schule erinnert. WW: Bühnen-WW (wenn nichts anderes angegeben, UA in Paris): Intermedium Les aveux indiscrets, UA: 1759; Opéra-bouffes: Le maître en droit, UA: 1760; Le cadi dupé, UA: 1761; On ne s'avise jamais de tout (Libr.: M. Sedaine), UA: 1761; Comédies: Le roi et le fermier, UA: 1764; Le faucon (Libr.: Sedaine), LJA: Fontainebleau 1771; La belle Arséne, UA: ebd. 1773; Félix ou L'enfant trouvé (Libr.: Sedaine), UA: ebd. 1777; ferner das Drama Le déserteur (Libr.: dem.), UA: 1769, u. ein Ballethéroique Aline, reine de Golconde (Libr.: deys.), UA: 1766. Ausg.: Ouvertüre aus On ne s'avise jamais de tout, hrsg. v. A. DE ALMEIDA (P 1964) (= L'offrande musicale 16); Arie der Louise aus Le déserteur, in: H. CH. WOLFF, Die Oper II (K6 1971) ( = Das Musikwerk 39). Lit.: A. POUGIN, M. et son temps (P 1908); H. ABERT, W. A. Mozart I (L 1919, '1955); P. DRUILHE, M. (P 1955); E. F. SCHMID, Mozart u. M., in: Mozart-Jb. 1957; L.S. Fox, „La belle Arsène" 1773 by P.-A. M., in: Rech. Mus. 9 (1969).
MONTAGE, Bz. für den Zusammenbau vorgefertigter Teile eines technischen Produkts, in der Medientechnik speziell der Schnitt der Aufnahmeträger (z. B. Film- oder Tonbandstreifen). In der elektronischen Musik ist M. ein wesentlicher Teil des Komponierens, da durch sie erst die Anordnung des elektronisch produzierten Klangmaterials fixiert wird. Als kompositorisches Prinzip wurde M. bereits in Musik ohne technische Mittler entwickelt (z. B. E. Satie, 3 Petites pièces montées für Klv. 4händig, 1919). Charakteristisch ist die Behandlung von rhythmisch-melodischen Einheiten als Bausteine, die in wechselnden Gruppierungen kombiniert werden. M. als Satztechnik verzichtet auf die Funktion des Motivs, dessen Impuls etwas „bewegt", d. h. Entwicklung und Konsequenz fordert, und steht so in Distanz zur Idee des musikalischen Kunstwerks als eines organischen Gebildes. In Analogie zur Schnittechnik des Films wird gelegentlich auch der plötzliche Abbruch organisch sich entwickelnder Partien (G. Mahler, Fr. Schreker) als M. bezeichnet. M., im Unterschied zu ..'Collage ein eher (satz-)technisch als ästhetisch zu bestimmendes Verfahren, eröffnet sehr unterschiedliche Möglichkeiten, von I. Strawinskys Motorik bis zum gleichsam meditativen Kreisen des Materials bei O. Messiaen. In der postseriellen Musik ist sie zum universellen Prinzip der Materialverknüpfung geworden. Lit.: J. ELSNER, Zur melodischen Gestaltung der Kampflieder H. Eislers, in: Sinn und Form, Sonder-H. H. Eisler (1964); R. OEHLSCHLÄGEL, Mixed Media, Collage u. M., in: Opernwelt (1969); D. SCHNEBEL, M. Kagel. Musik, Theater, Film (K6 1970): R. STEPHAN, Aus Strawinskys Spielzeugschachtel, in: FS
Monte E. Doflein (Mz 1972); E. BUDDE, Zitat, Collage, M., in: Die Musik der sechziger Jahre, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1972) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 12). H. WEBER
MONTAGNANA, Domenico, * um 1690, t um 1750; it. Geigenbauer. Einzelheiten seiner Biographie sind nicht bekannt; er selbst bezeichnet sich als Schüler von A. Stradivari in Cremona, wo er 1712 tätig war. Seit 1721 ist er in Venedig bezeugt. Seine Instrumente folgen dem Vorbild von Stradivari, neben dem er zusammen mit G. A. Guarneri zu den bedeutendsten Geigenbauern seiner Zeit zählt. Lit.: W. SENN, M., in: MGG IX. - řGeigenbauer.
MONTAND, Yves (eig. Yvo Livi), * 13. 10. 1921 Monsumano (Toskana); frz. Chansonsänger und Schauspieler it. Abstammung. Er kam 1944 nach Paris und sang in kleinen Kabaretts. 1945 entdeckte ihn Edith Piaf und förderte seine weitere Laufbahn. Bald wurde M. zu einem der bekanntesten Chansonsänger in Frankreich. Daneben machte er auch als Filmschauspieler eine internationale Karriere (über 30 Filme, u. a. Lohn der Angst und Z). 1955 veröffentlichte der auch politisch engagierte Künstler seine Erinnerungen (Du soleil plein la tête). Seine Chansons zu Texten von V. Hugo, Louis Aragon, Guillaume Apollinaire, Paul Eluard, besonders aber von Jacques Prévert (Musik: J. Kosma: Barbara; Les feuilles mortes) sind häufig von politischen Themen geprägt (Actualités; Quand un soldat; Le chant des partisans). Zu den bekanntesten Titeln gehören ferner: Un gamin de Paris; C'est si bon; Une demoiselle sur un balançoire; A Paris; Les grands boulevards; La musique; La Gigolette; La bicyclette; C'est à l'aube; Il n'y a plus d'après. Lit.: A. RÉMOND, Y. M. (P 1977).
MONTANOS (Montaňos), Francisco de, * um 1530 (?), t nach 1592; span. Musiktheoretiker. Er ist 1587 als Kapellmeister an der Kathedrale in Valladolid nachweisbar und bekleidete nach eigener Aussage das Kapellmeisteramt mehr als 35 Jahre. Von ihm stammt ein Traktat Arte de música theórica y práctica (Valladolid 1592), der aus 6 separaten Teilen besteht und zahlreiche Musikbeispiele aufweist. Der 1. Teil, Arte de canto llano, erschien, mehrfach verändert, bis 1756 in 13 Auflagen und war die bekannteste Chorallehre dieser Zeit in Spanien. Lit.: D. M. URQUHART, F. de M.' „Arte de música theórica y práctica". A Translation and Commentary, 2 Bde. (1969) (= Diss. Univ. of Rochester).
MONTANUS (Johann van den Berg, Johannes vom Berg), * Gent, t 7. B. 1563 Nürnberg; flämischer Musikverleger. Er studierte in Paris und ließ sich, nachdem er Protestant geworden war, 1541 in
Nürnberg nieder, wo er sich mit Ulrich Neuber assoziierte. Nach seinem Tod heiratete seine Frau den Drucker D. Gerlach, der seit 1567 das Unternehmen allein weiterführte, während Neuber seit 1568 selbständig druckte. M. veröffentlichte vor allem evangelische Kirchenmusik und Gesangbücher, deutsche Lieder, Motetten niederländischer Komponisten und Musiktraktate und festigte damit den Ruf Nürnbergs als eines bedeutenden deutschen bürgerlichen Musikzentrums im 16. Jahrhundert. WW: Individualdrucke von M. Agricola, Joachim a Burck, A. Petit Coclico, G. Forster, S. Heyden, O. di Lasso, M. Le Maistre, J. Meiland, C. Othmayr, E. Rotenbucher. Zahlr. Sammeldrucke, darunter: Lamentationen (1549); 4 Bücher Psalmi selecti (1553-54); 6 Bücher Evangelia Dominicorum et Festorum Dierum (1554-56); 3 Bücher Novum et insigne opus musicum (Motetten, 1558-59); 3 Bücher Tricinia (1560-63); 5 Bücher Thesaurus musicus (weltliche Gesänge) (1564). - Musiktraktate von F. Beurhaus, A. Petit Coclieo, H. Faber, W. Figulus, N. Listenius, L. Lossius, A. Wilphlingseder. Lit.:
TH. WOHNHAAS, M., in: MGG IX.
MONTE, Philippe de,* 1521 Mecheln, t 4.7. 1603
Prag; franko-flämischer Komponist. Er kam um 1542 nach Italien und wurde Lehrer der Familie Pinelli in Neapel; 1554 veröffentlichte er in Rom sein 1. Buch 5st. Madrigale. Dann ging er nach Antwerpen und war 1554-55 Kapellsänger am englischen Königshof. Dort lernte er W. Byrd kennen, dem er später die 8st. Motette Super flumina Babylonis (1583) schickte; Byrd seinerseits widmete ihm eine Motette auf andere Verse desselben Psalms, Quomodo cantabimus (1584). Ein Brief des bayerischen Agenten in Brüssel, Dr. Seld, an Herzog Albrecht V. von Bayern (1555) rühmt M. als den „pest Componisten, der in dem ganzen land ist, fürnemlich auf die new Art und Musica reseruata". Nach dem Scheitern von Verhandlungen mit G. P. da Palestrina wurde M. als Nachfolger von J. Vaet Kapellmeister am kaiserlichen Hof. 1568 begab er sich von Rom aus nach Wien, wo er sein Amt zunächst unter Kaiser Maximilian II., dann unter Kaiser Rudolf II. ausübte, dem er nach Prag folgte, wo er bis zu seinem Tode blieb. 1570 entsandte Maximilian ihn in die Niederlande, Musiker anzuwerben, ernannte ihn 1572, jedoch ohne Residenzpflicht, zum Schatzmeister der Kathedrale von Cambrai, wo er 1577 Kanoniker wurde. M. unterhielt Beziehungen zu O. di Lasso und A. Pevernage sowie zu zahlreichen Mäzenen (Jakob Fugger, Isabella Medici Orsina, Sigismund Bathory). Zu seinen Schülern zählen J. de Macque, K. Luython und L. de Sayve, der sein Nachfolger in der kaiserlichen Kapelle wurde. WW (fast ausschlieBlich in Venedig gedruckt; die Individualdrucke teilweise mit zahlr. Nachdr.): 1) Geisdkbe WW: 7 Bücher Cantiones sacrae (Motetten) für 5 St. (1572-1600), 2 Bücher für 6 St. (1585, 1587); Messen für 5-8 St. (An 1587); zahlr. Motetten
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Monte u. Messen in Sammeldrucken 1564-1631 u. hsl.; Madrigali spirituali für 5 St. (1581), 3 Bücher für 6 St. (1583,1589,1590); Eccellenze di Maria Vergine für 5 St. (1593). - 2) Weltliche WW: 4 Bücher Madrigale für 4 St. (1562-81), 19 Bücher für 5 St. (1554-98), 8 Bücher für 6 St. (1569-94); 2 Bücher Canzoni et madrigali für 7 St., 1: La fiammetta (1599), 2: Musica sopra Il pastor fido (1600); Sonnetz de P. de Ronsard für 5-7 St. (Löwen 1575). - Einzelne geistliche und weltliche Werke auch in Lautentabulaturen.
In M.s Werk erscheinen die wichtigsten Vokalformen seiner Zeit (mit Ausnahme der „leichteren" Gattungen wie Kanzonetten, Villanellen u. ä.). Als fruchtbarster Madrigalkomponist seiner Zeit griff er mit Vorliebe auf Texte von Fr. Petrarca, Pietro Bembo und Jacopo Sannazaro zurück. Seine Musik, die Lasso nahesteht, aber etwas weniger profiliert erscheint, zeigt M. auf der Höhe der niederländischen Kontrapunktik, bekundet aber auch die Übernahme typisch italienischer Kunstmittel (weitausholende Melodik, rhythmische Kontraste, alternierende Stimmgruppen, ausdrucksbedingter bewußter Wechsel von Polyphonie und Homophonie). In der Verwendung musikalisch-rhetorischer Figuren ist M. zurückhaltend; sein Ziel ist eher, den Grundaffekt eines Textes zu erfassen als einzelne Worte musikalisch auszudeuten. Extreme Chromatik und Fortschrittlichkeit im Sinne der Entwicklung zu Monodie und konzertierendem Stil, wie sie in der zeitgenössischen italienischen Musik erschienen, sind ihm fremd, was besonders seine späten Madrigale auf Texte von G. B. Guarinis Pastor fido bezeugen. Die Motetten M.s erinnern in ihrer satztechnischen und ausdrucksmäßigen Ausgewogenheit an G. P. da Palestrina. Was die Messen angeht, so ist M. durch die Vielfalt der darin verarbeiteten geistlichen und weltlichen Vorlagen und in deren meisterhafter Umgestaltung einer der Hauptvertreter der Parodiemesse des 16. Jahrhunderts. In dem künstlerischen Rang seines Gesamtschaffens und im zeitgenössischen Ruhm läßt sich M. mit Palestrina und O. di Lasso vergleichen. Ausg.: Opera omnia, 31 Bde., hrsg. v. J. VAN NUFFEL-CH. VAN DEN BORREN - G. VAN DOORSLAER (Bru 1927-39, Nachdr. 1965); Opera, New Complete Edition, hrsg. v. R. B. LENAERTS (Löwen 1975 ff., bisher 7 Bde. erschienen); Il secondo libro de Madrigali spirituali für 6 St., Faks.-Ausg. (Bru 1972) (= Corpus of Early Music in Facsimile). Lit.: G. VAN DOORSLAER, La vie et les ceuvres de Ph. de M. (Bru 1921) (mit Werkverz. u. Briefen); P. BERGMANS, Quatorze lettres inédites du compositeur Ph. de M. (Bru 1921); P. NUTEN, De „Madrigali spirituali" v. F. de M., 3 Bde. (Bru 1958) (mit Ausg. der Drucke von 1581 u. 1589); G. A. MICHAEL, The Parody Mass Technique of Ph. de M., 2 Bde. (1959) (= Diss. New York Univ.); P. NUTEN, Enkele stijlkritische beschouwingen over de Franse chansons v. F. de M., in: Renaissance-muziek 1400-1600. FS R. B. Lenaerts (Löwen 1969); W. PASS, Die originelle Ansicht des Unendlichen. Die Madrigali spirituali v. Ph. de M. und der Manierismus, in: Musica Bohemica et Europaea. Kgr.-Ber. Brünn 1970; R. B. LENAERTS, Musik als Ausdruck der Religiosität in Werken v. Ph.
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de M., in: FS J. Overath (Saarbrücken 1973); R. M. LINDELL, Die sechs- u. siebenst. Madrigale v. F. di M. (Diss. W 1977); I. BOssuYT, Newly-Discovered Part Books of Early Madrigal Collections of Ph. de M., in: FAM 26 (1979). I. CAZEAUX
MONTÉCLAIR, Michel Pinolet (Pignolet) de, getauft 4. 12. 1667 Andelot (Haute-Marne), t 22. 9. 1737 Aumont (Oise oder Somme ?); frz. Komponist. Er trat 1676 in die Maîtrise der Kathedrale von Langres ein, wo er einige Monate lang J.-B. Moreau als Lehrer hatte. 1687 ging er nach Paris in die Dienste des Prinzen von Vaudémont, dem er nach Italien folgte. 1695 lebte er wieder in Paris und war dort als Musiklehrer tätig. 1699 wurde er wahrscheinlich Kontrabassist an der Pariser Opéra, wo 1716 sein Opéra-ballet Les festes de l'été und 1732 die Tragédie lyrique Jephté aufgeführt wurden; dieses Werk auf ein biblisches Thema war das erste seiner Art, das in der Opéra gegeben wurde, und hatte großen Erfolg. 1735 wurde an St-Sulpice in Paris ein Requiem von M. aufgeführt. M.s Lehrwerke waren weit verbreitet. WW: 1) Kompositionen: Sérénade ou concert, 3 Suiten für 2 V. od. Fl. od. Ob. mit B.c. (P 1697); 3 Bücher Cantates françaises et italiennes (P nach 1709-28); 6 Konzerte für 2 Fl. ohne B.; 6 Konzerte u. Brunètes anciennes et modernes für Fl. u. B.c. - Opéra-ballet Les festes de /We (P 1716); biblische Oper Jephté (P 1732). 2) Schriften: Méthode pour apprendre la musique (P 1700), umgearbeitet als: Nouvelle méthode (1709); Méthode facile pour apprendre à jouer du violon (P 1711 oder 1712, 21736); Petite méthode pour apprendre la musique aux enfans (P um 1730); Principes de musique, divisez en quatre parties (P 1736, Nachdr. G 1972). Ausg.: Konzerte I-III für 2 Fl. ohne B., hrsg. v. R. VIOLLIER (Locarno 1962-63); 6 Konzerte für 2 Fl., hrsg. v. G. FROTSCHER (Hei 1968). Lit.: E. BORREL, Notes sur l'orchestration de l'opéra „Jephté" de M., in: RM (1955) Nr. 226; M. BRIQUET, Deux motets inédits de M., in: Kgr.-Ber. Köln 1958 (Kas 1959); S. MILLIOT, Le testament de M. P. de M., in: Rech. Mus. 8 (1968); CH. G. PRICE, The Codification and Perseverance of a French National Style of Instrumental Composition Between 1687 and 1737, M.'s Sérénade ou concert 1697 (1973) (= Diss. Stanford Univ.).
MONTEMEZZI, Italo, * 31.5.1875 Vigasio (Verona), t 15.5.1952 ebd.; it. Komponist. Er studierte am Mailänder Konservatorium und widmete sich vor allem dem Opernschaffen. 1939-49 lebte er in den USA, wo er mit seinen Werken großen Erfolg hatte. M. suchte den veristischen Zeitstil zu überwinden, was besonders in seinem Hauptwerk, der dem Impressionismus nahestehenden Oper L'amore dei tre re, zum Ausdruck kommt. WW: Elegie für Vc. u. KIv. (1932); symphonische Dichtungen: Paolo e Virginia (1930) u. Italia mia, nulla fermer:!, il tuo canto! (1944) für Chor u. Orch.; Cantico dei cantici (1900). - Opern: Giovanni Gallurese, UA: Turin 1905; L'amore dei tre re, UA: Mailand 1913; La nave, UA: ebd. 1918; La notte di Zoraima, UA: ebd. 1931; L'incantesimo, UA: Verona 1952. Lit.: R. MARIANI, Ricordo di M., in: Verismo in musica e altri studi (Fi 1976); DERS., Congedo veronese di M. Incantesimo, in: ebd.
Monteverdi MONTEUX, Pierre, * 4.4. 1875 Paris, t 1.7. 1964 Hancock (Maine); frz. Dirigent. Er studierte am Pariser Conservatoire Violine und Komposition und wurde Bratschist im Orchester der Opéra-Comique in Paris, wo er auch bei der Uraufführung von Cl. Debussys Pelléas et Mélisande mitspielte. Dann dirigierte er einige Saisons im Casino von Dieppe. Von S. Diaghilew als Dirigent des Orchesters der Ballets Russes am Théâtre des ChampsElysées und an der Opéra engagiert, leitete er die ersten Aufführungen von Debussys Jeux (1911), I. Strawinskys Pétrouchka (1911), Sacre du printemps (1914) und Rossignol (1914) sowie von M. Ravels Daphnis et Chloé (1912). 1914 gründete M. die Société des Concerts Populaires, die sog. „Concerts M." 1916 ging er in die USA, dirigierte 1917-19 an der Metropolitan Opera in New York und 1919-24 das Boston Symphony Orchestra. 1924-34 war er Mitdirigent W. Mengelbergs beim Concertgebouworkest in Amsterdam und leitete 1929-38 das von ihm gegründete Orchestre Symphonique de Paris. Als Dirigent des San Francisco Symphony Orchestra (1936-52) ließ er sich in den USA nieder, wo er 1941 in Hancock eine Schule für Dirigieren gründete. Seit 1961 war er Chefdirigent des London Symphony Orchestra. M., der ein überragender Dirigent ebenso von Werken der Wiener Klassik wie der französischen Musik war. setzte sich intensiv auch für die Neue Musik ein. Präzision, Lebendigkeit und Herausarbeitung der Struktur eines Werkes kennzeichneten seine Interpretation. Lit.: D. Morrrtřux, It's All in the Music (NY 1965).
MONTEVERDI, Claudio Zuan (Giovanni) Antonio, getauft 15. 5. 1567 Cremona, t 29. 11. 1643 Venedig; it. Komponist. Er war der Sohn eines Arztes und wurde Schüler von M. A. Ingegneri. Noch während der Lehrjahre erschienen erste Kompositionen, u. a. Sacrae cantiunculae und 2 Bücher 5st. Madrigale (1587, 1590). Neben Ausbildung in Komposition und Gesang erhielt M. auch Instrumentalunterricht. Ihm verdankte er 1590 die erste Anstellung als Violaspieler am Hof in Mantua, wo er seit 1594 auch als Sänger auftrat. Reisen im Gefolge des Herzogs führten ihn 1595 nach Ungarn, 1599 nach Flandern. Im selben Jahr heiratete M. Claudia Cattaneo (t 1607), die Tochter eines Musikerkollegen; 1602 wurde er Hofkapellmeister. An Drucken erschienen während des Aufenthalts in Mantua neben weiteren Madrigalbüchern 1607 Scherzi musicali, kanzonettenartige Stücke mit Instrumenten. Im selben Jahr gelang M. mit Orfeo das bedeutendste Werk der frühen Operngeschichte (gedruckt 1609 und 1615). Von der 1608 für die Hochzeit des Thronerben geschriebenen Arianna
hat sich nur das berühmte Lamento erhalten. Damals entstand auch II ballo delle ingrate. Von der in Mantua geschriebenen Kirchenmusik ist mit Ausnahme eines Drucks von 1610 nichts überliefert. Zunehmende Spannungen mit dem Hof veranlaßten M. 1612 zum Rücktritt. 1613 wurde er Kapellmeister an S. Marco in Venedig, was eine der herausragenden Stellungen für einen Musiker im 17. Jh. bedeutete. In ihr verblieb M. bis zu seinem Tod. Das Amt hinderte ihn — seit spätestens 1632 war er Geistlicher — nicht, auch in der Folge weltliche Werke zu schreiben (u. a. weitere Madrigalbücher und Scherzi musicali). Das dramatische Werk der venezianischen Zeit ist bis auf II ritorno d'Ulisse in patria (1640) und L'incoronazione di Poppea (1642) fast völlig verlorengegangen. Geistliche Musik veröffentlichte M. noch einmal 1641. WW (wenn nichts anderes angegeben, in Venedig erschienen): 1) Geisdicbe WW: Sacrae cantiunculae für 3 St. (1582); Madrigali spirituali für 4 St. (Brescia 1583) (nur Bassus erhalten); Sanctissimae Virginis misse 6 v.... ac vesperae pluribus decantandae cum nonnullis sacris concentibus... (1610); Selva morale e spirituale (1641); Messa a 4 v. et salmi a 1-8 v., concertati, e parte da cappella & con le litanie della B. V. (1650). - 2) Weldiche VokalWW: Canzonette a 3 v. (1584); 6 Bücher Madrigali für 5 St. (mit vielen Neuaufl.), 1 (1587), 2 (1590), 3 (1592), 4 (1603), 5: mit B.c. (1605), 6: mit B.c., ... con uno dialogo a 7 (1614); Concerto, 7° libro de madrigali a 1-4 e 6 v. con altri generi de canti (1619); Madrigali guerrieri et amorosi ... libro 8° für 1-8 St. u. B.c. (1638); Madrigali e canzonette für 2-3 St. u. B.c. ... libro 9° (1651); 2 Bücher Scherzi musicali, 1: für 3 St. (1607), 2: ... cioè arie & madrigali in stil recitativo, con una ciaccona a 1-2 v. (1632); Lamento d'Arianna ... et con due lettere amorose in genere rappresentativo (1623), Lamento auch in: G. B. Rocchiami, Maggio fiorito (Orvieto 1623), mit lat. geistlichem Text als Pianto della Madonna, in: Selva morale... (1641). - 3) Biihnen-WW: Orfeo (Libr.: A. Striggio), UA: Mantua 1607 (V 1609, 21615); Arianna (Libr.: O. Rinuccini), UA: ebd. 1608, erhalten nur das Lamento d'Arianna; Prolog zu G. B. Guarinis L'idropica (Libr.: G. Chiabrera), UA: ebd. 1608 (verschollen); Il ballo delle ingrate (Libr. O. Rinuccini), UA: ebd. 1608 (gedruckt im 8. Madrigalbuch); Ballett Tirsi e Cloni (Libr.: dem.), UA: ebd. 1616 (gedruckt im 7. Madrigalbuch); Prolog zu La Maddalena (Libr.: G. B. Andreini), UA: ebd. 1617, in: Musiche de akuni eccellentissimi musici composte per la Maddalena... (1617); Intermedien Le nozze di Teti e di Peleo (Libr.: A. Striggio), UA: Mantua 1617 (verschollen); Andromeda (Libr.: E. Marigliani), UA: ebd. 1617 (verschollen); Lamento d'Apollo (Libr.: A. Striggio), UA: um 1620 (verschollen); Il combattimento di Tancredi e Clorinda (Libr.: T. Tasso), UA: Venedig 1624 (gedruckt im 8. Madrigalbuch); La finta pazza Licori (Libr.: G. Strozzi), UA: Mantua 1627 (verschollen); Armida (Libr.: T. Tasso), UA: 1627 (verschollen); Prolog u. Intermedien, darunter Gli amori di Diana e di Endimione (Libr.: A. Pio), UA: Parma 1628 (verschollen); Torneo Mercurio et Marte (Libr.: C. Achillini), UA: ebd. 1628 (verschollen); Proserpina rapita (Libr.: G. Strozzi ), UA: Venedig 1630 (verschollen); Ballo in onore dell'Imperatore Ferdinando III, UA: Wien 1637 (gedruckt im 8. Madrigalbuch); II ritorno d'Ulisse in patria (Libr.: G. Badoaro), UA: Venedig 1640, hsl.; Le nozze d'Enea con Lavinia (Libr.: ders.), UA: Venedig 1641 (verschollen); Ballett La vittoria d'amore (Libr.: B. Morando), UA: Piacenza 1641 (verschollen); L'incoronazione di Poppea (Libr.: G. F. Busenelle). UA: Venedig 1642, hsl. in 2 Fassungen erhalten.
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Monteverdi
M. ist der bedeutendste italienische Komponist des 17. Jh., neben H. Schütz, der von M. vielfältig angeregt wurde, der herausragende Meister jener Zeit überhaupt. In einer großartigen Synthese verschmilzt er Züge der vokalen Musik des 16. Jh., der frühen Florentiner Opernversuche und der sich zu Beginn des 17. Jh. in den Vordergrund drängenden Instrumentalmusik mit eigenen Vorstellungen eines am Humanismus und an den aufblühenden Naturwissenschaften orientierten Bildes vom Menschen als einem in seinen Affekten sprechend und agierend sich realisierenden Wesen. M.s Bekenntnis, die menschlichen Affekte auf dem Fundament der Wahrheit darstellen zu wollen (Vorrede zum 5. Madrigalbuch, 1605), verwandelte die Musik von Grund auf und machte sie frei für eine ungeahnte Entfaltung. M. mußte mit seinen Ansichten zwangsläufig in Konflikt mit der Tradition geraten. Scharfe Angriffe in den Schriften G. M. Artusis bezeugen dies. Sie halfen M. freilich auch, die eigenen Ziele klar zu bestimmen, wie er sie in der Vorrede zum 5. Madrigalbuch skizziert. Der als Prima pratica bezeichneten musikalischen Kunst der vorangehenden Zeit setzt er seine Seconda pratica entgegen, deren Maßstab die freie Auseinandersetzung mit den Affekten des Menschen in Sprache und Gestik ist. Dieser Maßstab gab allen Neuerungen Sinn und Legitimation. Sein Bruder Giulio Cesare M., getauft 31. 1. 1573 Cremona, t um 1630 Salò (Lombardei), erläuterte stellvertretend für ihn die Ausführungen von 1605 in einem Nachwort (Dichiarazione ...) zu den Scherzi musicali von 1607. Mit der hier formulierten programmatischen Forderung, „l'oratione sia padrona dell'armonia e non serva", wird der Mensch als sprechendes Wesen in den Mittelpunkt der musikalischen Auseinandersetzung gestellt. M.s Experimentierfeld ist das Madrigal, Vorbild in der Frühzeit vor allem L. Marenzio. Schon früh finden sich Tendenzen zur Auflösung des gleichberechtigten Stimmenverbands, wie er in der Vokalpolyphonie des 16. Jh. vorliegt. Rezitation auf Klangflächen ermöglicht ein intensives Hineinhorchen in den Sprachausdruck und sein genaues und eindringliches Nachgestalten. Aus dem homogenen Satzverband löst sich ein Klangfundament heraus, auf dem sich der Mensch musikalisch sprechend profilieren kann. Das Zuweisen dieses Fundaments an Instrumente trennt die Schichten vollends und ermöglicht eine den agierenden Menschen tragende und mit einer eigenständigen musikalischen Gestik zeichnende, aus instrumentalem Geist heraus gestaltete musikalische Gebärdensprache. Dieses Stadium ist als die Geburtsstunde des genuinen musikalischen Theaters anzusehen. Voll ausgebildet 348
erscheint diese Aufteilung im musikalischen Satz zuerst im 5. Madrigalbuch. Die Madrigalbücher 6-9 zeigen dann die verschiedensten Möglichkeiten des neuen Konzepts, so generalbaßgestützte Monodie, das Kammerduett, chorischen oder rein instrumentalen Satz, alles dies entweder eigenständig auftretend oder in Richtung auf die spätere Kantate hin zusammenwirkend. In den späten Madrigalen verschiebt sich das Gewicht hin zu einer zunehmenden Instrumentalisierung der Gesamtfaktur mit einer Vorliebe für Ostinatobildungen. Die Kenntnis von M.s musikdramatischem Schaffen leidet unter der lückenhaften Überlieferung. Zwischen den Werken von 1607-08 und 1640-42 ist kaum etwas erhalten. Zudem sind die Spätwerke offenbar nur in Fremdbearbeitungen überliefert. Wichtiger Ausgangspunkt sind die Experimente der ."Camerata Fiorentina um 1600. In gleichem Maße basiert M. aber auch auf den Intermedien und Tanzspielen der italienischen Renaissancehöfe mit dem reichen Anteil an Chören und bunt besetzter Instrumentalmusik. Gegenüber dem stark theoretischen Ansatz in Florenz und dessen Ausfluß, einer meist spröden und trockenen Monodie, erweist sich die Herkunft von M.s Rezitativen aus der geschichtsträchtigen Gattung des Madrigals als äußerst fruchtbar und ermöglicht einen ausdrucksvollen, überzeugend durchgeformten Sprechgesang. Chor, Tanz und instrumentales Spiel verbinden sich damit zu einem musikalisch-dramatisch organischen Ganzen. Von den im mittleren Schaffensabschnitt geschriebenen Opern und Balletten ist vor allem der Verlust von La finta pazza Licori, der ersten komischen Oper, schmerzlich. Erhalten hat sich B combattimento di Tancredi e Clorinda (1624), ein zwischen Oper und Oratorium stehendes kleines Bühnenwerk, in dem erstmals eine neue Art musikalischer Darstellung von Aktion, das Genere concitato, realisiert wird. Die Einrichtung des ersten öffentlichen Operntheaters in Venedig (1637) bereitete den Boden für M.s dramatisches Spätwerk. Vor allem L'incoronazione di Poppea legte das Fundament für die Weiterentwicklung der Gattung in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Charakteristika der italienischen Oper bis hin zu A. Scarlatti und G. Fr. Händel sind hier vorgeprägt, so die Arienanlage, Ostinatoformen und der geschmeidige Instrumentalsatz über gehenden Bässen. Kennzeichnend für das Spätwerk ist eine stärkere Musikalisierung auch der rezitativischen Abschnitte. In der Ausgewogenheit des Dramatischen und Musikalischen steht M.s Opernschaffen im 17. Jh. einzigartig da. M.s geschichtlicher Rang, der in erster Linie auf seinem weltlichen Schaffen beruht, läßt sich auch in
Montsalvatge den geistlichen Werken erkennen. Der Druck von 1610 nimmt mit der Zusammenstellung von a cappella-Musik und von modernsten Kompositionen die fruchtbare Spannung in der Kirchenmusik der nachfolgenden Zeit voraus. Reicher als aus der Mantovaner Zeit ist M.s kirchenmusikalisches Schaffen aus seiner Tätigkeit an S. Marco überliefert. Die Werke zeigen die Buntheit der weltlichen Musik mit starkem instrumentalem Anteil, oft sind sie auch als Monodien gestaltet und wie Opernszenen aufgefaßt. Wie in der weltlichen Musik geht es M. auch in der geistlichen oft um subjektiven Ausdruck, der Mensch steht mit seiner Sprache im Mittelpunkt. Nach seinem Tod geriet M. rasch in Vergessenheit. Sein Vermächtnis freilich wirkte vor allem bei den nachfolgenden Opernkomponisten fruchtbar fort. Sie trugen, voran Fr. Cavalli und M. A. Cesti, die junge Oper über Italien hinaus. Der gewaltige Aufschwung der italienischen Oper an der Wende vom 17. zum 18. Jh. zehrt noch von dem, was M. einst in Bewegung gebracht hatte. Die eigentliche Wiederentdeckung M.s setzte erst im letzten Viertel des 19.Jh. ein. Seine musikgeschichtlich einzigartige Stellung erweist nicht nur die Fülle der Literatur, die seitdem zu M. entstanden ist, sondern auch die reiche Auseinandersetzung mit M.s Werk in der Musikpraxis und durch namhafte Komponisten des 20. Jh. (u. a. B. Britten, L. Dallapiccola, P. Hindemith, V. d'Indy, E. Krenek, Br. Maderna, C. Orff und O. Respighi). Ausg.: GA (Tutte le opere di C. M.), hrsg. v. G. F. MALIPIERO,
16 Bde. (Asolo 1926-42), Nachdr. zusätzlich Suppl.-Bd., insgesamt 17 Bde. (W 1966-68), davon Bde. 15-16 revidiert u. hrsg. v. D. ARNOLD (W '1967-68), dazu An Alphabetical Index to C. M., Tutte le opere (NY 1965) (= Music Library Assoc., Index Series 1); Opera omnia (Cremona 1970ff.). — Einzelausg.: 1) Geistliche WW a. weltliche Vokal-WW: Messa a 4, hrsg. v. A. TIRABASSI (Bru 1914); Sacrae cantiunculae u. Canzonette a 3 v., hrsg. v. G. CESARI (1939) (= Istituzioni e monumenti dell'arte musicale it. 6); Canzonette a 3 v. sowie Scherzi musicali a 3 v., hrsg. v. H. TREDE (Kas 1940-41); Messa a 4 1650, hrsg. v. H. F. REDLICH (Lo 1952); 12 Composizioni vocali profane e sacre (inedite), hrsg. v. W. OSTHOFF (Mi 1958); Madrigali a 5, 1. Buch, hrsg. v. B. BAILLY DF SURCY (P — NY 1972) (mit Faks. des Erstdruckes). — 2) Biihaen-WW: Lamento d'Arianna, hrsg. v. E. VOGEL, in: VfMw 3 (1887); dass., hrsg. v. C. GALLICO (Lo 1969); II ritorno d'Ulisse in patria, hrsg. v. R. HAAS (1922, Neudruck 1960) (= DTÚ 57); L'Orfeo, Faks. 1609, hrsg. v. A. SANDBERGER (Au 1927); dass., Faks. 1615, hrsg. v. D. STEVENS (Farnborough 1972); L'incoronazione di Poppea, Faks. der Hs. Venedig, hrsg. v. G. BENVENUTI (Mi 1938); dass., hrsg. v. S. MARTINOTTI (Bol 1969) (= Bibl. musica Bononiensis IV/81).
Lit.: 1) Briefwechsel a.a. Quellen: H. PRUNIORES, La vie et l'aeuvre de C. M. (P 1926, Nachdr. NY 1972) (darin 53 Briefe); G. F. MALIPIERO, C. M. (Mi 1930) (mit Ausg. der Briefe u. Vorreden); Lettere, dediche e prefazioni, edizione critica, hrsg. v. D. DE' PAOLI (R 1973); The Letters of C. M., übers. u. hrsg. v. D. STEVENS (Lo 1980). — 2) Biographien u. umfassende
Darstellungen: L. SCHNEIDER, C. M. (P 1921); H. PRUNIORES, M. (P 1924); D. DE' PAOLI, M. (Mi 1945); H. F. REDLICH, C. M. (Olten 1949, engl. Lo 1952, Nachdr. Westport/
Conn. 1971); L. SCHRADE, M. Creator of Modern Music (NY 1950, Nachdr. 1969); M. LE Roux, C. M. (P 1951); C. SARTORI, M. (Brescia 1953); M. ROCHE, M. (P 1960, Nachdr. 1977); L. PASSUTH, M. (W — B — St 1959); G. PANNAIN, Studi monteverdiani, in: Rass. Mus. 28-32 (1958-62); D. ARNOLD, M. (Lo—NY 1963); R. TELLART, C. M. (P 1964); E. SANTORO, La famiglia e la formazione di C. M. (Cremona 1967); G. BARBLAN — C. GALLICO — G. PANNAIN, C. M. nel quarto centenario della nascita (Tn 1967); Atti del Convegno di studi dedicato a C. M., in: RIMus 2 (1968); The M. Companion, hrsg. v. D. ARNOLD — N. FORTUNE (Lo 1968, 1972); C. M. e il suo tempo. Kgr.-Ber. Venedig, Mantua, Cremona 1968 (Verona 1969); D. STEVENS, M. (Lo 1978); D. DE' PAOLI, M. (Mi 1979). — 3) Zu einzelnen Werken und Werkgruppen: E. VOGEL, C. M., in: VfMw 3 (1887) (mit Verz. der gedruckten Werke); A. A. ABERT, M. u. das musikalische Drama (Lippstadt 1954); W. OSTHOFF, Das dramatische Spätwerk C. M.s (Tutzing 1960); G. WESTERLUND — E. HUGHES, Music of C. M. A Discography (Lo 1972); J. G. KURTZMAN, Essays an the M. Mass and Vespers of 1610 (Houston /Tex. 1979) (= Rice Univ. Studies 64,4); A. A. ABERT, C. M.s Bedeutung für die Entstehung des musikal. Dramas (Da 1979). — 4) Ikonographie: E. SANTORO, Iconografia monteverdiana (Cremona 1968). H. HELL
MONTEZUMA, Tragedia per musica in 3 Akten von Carl Heinrich Graun (1704-59), Text (in frz. Sprache) von Friedrich II. von Preußen. Ort und Zeit der Handlung: Mexiko, im 16. Jahrhundert. UA (in it. Sprache): 6. 1.1755 in Berlin (Königliche Oper); EA in dt. Sprache: 1936 in Saarbrücken. Diese 24. Oper Grauns wurde als Gegenstück zum Normaltypus der vorherrschenden italienischen Oper konzipiert. Zeichen dafür sind die Stoffwahl (Neuzeit statt Altertum oder Mittelalter), die verwendeten Formen (zweiteilige Cavatinen statt der dreiteiligen da capo-Arien) und die Verlagerung der musikalischen Darstellung der dramatischen Entwicklung in die Rezitative. Die zentrale Gestalt dieser Oper ist Montezumas Braut Eupaforice, die nicht verhindern kann, daB ihr Geliebter durch die Heimtücke der spanischen Eroberer vernichtet wird. Bei der UA übernahmen zwei hochdotierte Sänger, der Kastrat Amadori und die Astrua, die Hauptrollen; deren Kunst ließ Graun in wenigen traditionellen „welschen" Arien zur Entfaltung kommen, so in der Arie der Eupaforice Non àn calma le mie pene am Ende des 1. Aktes. K. LANGROCK
MONTSALVATGE, Bassols Xavier, * 11.3. 1911 Gerona; span. Komponist. Er studierte am Konservatorium in Barcelona bei Ll. Millet, Francisco Costa (Violine), E. Morera und J. Pahissa und arbeitete danach als Musikkritiker bei La Vanguardia in Barcelona. M. ist Vorsitzender der spanischen Sektion der IGNM und unterrichtet seit 1960 Harmonielehre und Komposition an der Academia Mar349
Moore shall in Barcelona. Er gehört zu den wichtigsten katalanischen Komponisten. Seine frühen Werke
eröffnen neue Möglichkeiten einer katalanischen Nationalmusik („antillanismo"), während seine späteren Kompositionen polytonal gehalten sind. WW: 1) Iitr.-WW: Für Klv.: 3 Impromptus (1934); 3 Divertimentos (1941); Sonatine pour Yvette (1961); Divagación (1956); Quarteto indiano (1952); Concertino (1946) für Streichquartett u. Klv. - Für Orch.: Sinfonia mediterranea (1949); Calidoscopio (1954); Partita 1958; Tres danzas concertantes (1962) für Streichorch.; Desintegración morfológica de la chacona de Bach (1963); Concerto breve (1953) für Klv. u. Orch.; Poema concertante (1952) für V. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Colección de Habaneras populares für Solost.; Oraçáo für Gesang u. Klv.; Canciones para niňos; Cinco canciones negras für Gesang u. Klv. (oder Oreb.); 5 Invocaciones al crucificado (1969) für Sopran u. 12 Instrumentalsolisten. - Für Chor: Cant espiritual (1958); 2 Canciones negras (1960). - 3) Bühnen-WW: Opern: El gato con botas (1945); Una voz in off (1962); musikal. Fabel Viatge a la lluna (1966) für Sprecher und Orch.; Babel (1967). Lit.: M. VALLS, La música catalana contemporánea (Ba 1960); DERS., La música espaňola después de M. de Falla (Ma 1962); DERS., X. M. (Ba 1969); E. FRANCO, M., in: Artistas espaňoles contemporáneos (Ma 1975).
MOORE, Gerald, * 30. 7. 1899 Watford (Hertfordshire), t 13.3. 1987; engl. Pianist. Er lebte 1913-20 in Kanada und erhielt Klavierunterricht, u. a. in London bei John Coates. Schon früh entschied er sich für eine Karriere als Begleiter, in der er weltweite Bedeutung erlangte. M. konzertierte mit den berühmtesten Liedersängern seiner Zeit, u. a. mit Kathleen Ferrier, Elisabeth Schwarzkopf, H. Hotter und D. Fischer-Dieskau, mit dem zusammen er Fr. Schuberts sämtliche Lieder auf Schallplatten aufnahm. 1976 zog er sich vom Konzertpodium zurück. M. war Dr. h. c. der Univ. Brighton und Cambridge. Schriften: The Unashamed Accompanist (Lo 1943, 2 1959), dt. Obers.: Freimütige Bekenntnisse eines Begleiters (Mn 1961); Singer and Accompanist (Lo 1953); The Schubert Song Cycles (Lo 1975), dt. Obers.: Schuberts Liederzyklen (Tü 1975, NA Kas Mn 1978). - Autobiographie Am I Too Loud? (Lo - NY 1962), dt. Obers.: Bin ich zu laut? (Tü 1963,'1977, NA Kas - Mn 1976).
MOORE, Thomas, * 28. 5. 1779 Dublin, t 28. 2. 1852 ebd.; irischer Dichter und Komponist. Er wurde berühmt durch eine Selection of Irish Melodies (10 Hefte und ein Supplement, 125 Volksweisen, Lo 1807/08-34), für die er die Texte verfaßt hatte. Die Verserzählung Lalla Rookh (1817) wurde u. a. von F. David und R. Schumann (unter dem Titel Das Paradies und die Peri) vertont. WW: Texte für Selection of Irish Melodies, 10 H.e (mit 125 Liedern) (Lo 1807/08-34); komische Oper M. P. or the Blue Stocking (zus. mit C. E. Horn) (Lo 1811); ferner veröff. M.: A Collection of the Vocal Music of Th. M. (Lo 1814) ; Sacred Songs (Lo 1816) ; A Selection of Popular National Airs (ebd. 1818-28). Ausg.: The Irish Melodies of T. M., hrsg. v. CH. STANFORD (Lo 1895). Lit.: M. A. DE FORD, Th. M. (NY 1967) (= Twayne's Engl. Authors Series 38).
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MOOSER, Robert-Aloys, * 20.9. 1876 Genf, t 24. 8. 1969 ebd.; Schweizer Musikkritiker und Musikforscher. Er studierte bei O. Barblan (Orgel) in Genf, M. Balakirew und N. Rimski-Korsakow (Komposition) in St. Petersburg und H. Richter (Dirigieren) in Wien. 1897-1909 war er Organist der französischen reformierten Kirche in St. Petersburg und Musikkritiker des französischsprachigen Journal de St-Pétersbourg. Außerdem war er 1899-1904 Mitarbeiter in der Direktion der Kaiserlichen Theater. Seither wirkte er vorwiegend in Genf, seit 1909 als Musikkritiker der Tageszeitung La Suisse. Als Veranstalter der Konzertreihe Auditions du Jeudi (1915-21) und Gründer und Redakteur der Musikzeitschrift Dissonances (1923-44) setzte sich M. nachdrücklich für die zeitgenössische Musik ein. Seine Arbeiten zur russischen Musikgeschichte sind bis heute grundlegend. Schriften: L'opéra-comique français en Russie au XVIII' siècle (G 1932, 2 1954); Un musicien espagnol en Russie..., V. Martin i Soler, in: RMl 40 (1936); Violonistes-compositeurs italiens en Russie, in: ebd. 42-52 (1938-1950); Opéras, intermezzos, ballets. cantates, oratorios joués en Russie au XVIII` siècle (G 1945. 2 1955, revidiert Bas 3 1964); Regards sur la musique contemporaine 1921-46 (Lau 1946); Annales de la musique et des musiciens en Russie au XVIII` siècle, 3 Bde. (G 1948-51); Panorama de la musique contemporaine 1947-53 (G 1953); Aspects de la musique contemporaine 1953-57 (G 1957); Un musicista veneziano in Russia. C. Cavos 1775-1840, in: NRMI 3 (1969). - Gesammelte Kritiken als: Visage de la musique contemporaine 1957-61 (P 1962). Lit.: M. MILA. in: NRMI 3 (1969); A. JACQUIER, in: SMZ 110 (1970).
MORAL, Pablo del, span. Violinist und Komponist des 18./19. Jahrhunderts. M. war Violinist der Kapelle San Cayetano in Madrid und spielte daneben auch an Madrider Theatern. 1778 wurde er städtischer Theaterviolinist und 1790 als Nachfolger von P. Esteve y Grimau Theaterkomponist. M. pflegte besonders die Gattung der Tonadilla escénica. WW (hsl. erhalten): Zahlr. geistliche Kompositionen, u. a. Messen, Komplets u. ein Salve regina. - 130 Tonadillas, darunter: La ópera casera (1799) u. El presidario; Oper La dama inconstante (nur SingSt u. B. erhalten); ferner Bühnenmusik. Ausg.: La ópera casera, Klv.-A. hrsg. v. J. SUBtRÁ, in: La tonadilla escénica 3 (Ma 1930), separat (Ma 1970).
MORALES, Cristóbal (Cristoval) de, * um 1500 Sevilla, t zwischen 4.9. und 7.10.1553 Málaga oder Marchena; span. Komponist. Er war vermutlich Schüler von P. Fernández de Castilleja, Kapellmeister an der Kathedrale von Sevilla, möglicherweise auch von Fr. Peiïalosa. 1526 wird er erstmals als Kapellmeister der Kathedrale von Ávila genannt und wirkte 1528-31 in gleicher Funktion an der Kathedrale von Plasencia. 1534 erhielt er von Papst Clemens VII. eine Pfründe an der Kathedrale von Salamanca, wurde 1535 päpstlicher Kapell-
Moreno Torroba länger und 1536 Comes Sacri Palatii et Aulae Lateranensis und Notar und Vertrauter des Papstes. 1545-47 war er Kapellmeister an der Kathedrale von Toledo, trat anschließend in den Dienst des Herzogs von Arco in Marchena und wirkte zuletzt seit 1551 als Kapellmeister an der Kathedrale von Toledo. WW (in einigen Individual- u. mehr als 50 Sammeldrucken 1539-93 u. hal.): 21 Messen: 12 für 4 St., 7 für 5 St. u. 2 für 6 St., davon gedruckt 2 Bde. (R 1544); Magnificat für 4 St. (V 1542); 91 Motetten: 51 für 4 St., 25 für 5 St., 11 für 6 St., eine für 8 St. u. 3 fur 3 St.; Lamentationi für 4-6 St. (V 1564); Madrigal Ditemi o si o no senza timore für 4 St., in: J. Arcadelt, Madrigali IV (V1539).
M.' Ruhm als bedeutendster spanischer Komponist seiner Zeit wird u. a. dadurch belegt, daß er mit zahlreichen Werken in deutschen, italienischen, französischen und niederländischen Sammeldrukken vertreten ist. Papst Paul III. und Kardinal Ippolito d'Este beauftragten ihn mit Kompositionen (Motetten Jubilate Deo und Gaude et laetare Ferrariensis civitas). Die spanischen Theoretiker — so M.' Zeitgenosse J. Bermudo, P. Cerone und Padre Antonio Soler im 18. Jh. — beriefen sich auf seine Autorität. F. Correa de Araujo und A. Kircher zitieren Beispiele aus seinen Kompositionen. Sein Schüler Fr. Guerrero verwendete Motetten von M. als Vorlage für 2 Parodiemessen. — M. schrieb fast ausschließlich geistliche Werke. Durch F. Peňalosa wurde er mit der franko-flämischen Musik vertraut. Seine Beziehungen zu Peňalosa erklären auch, warum seine ersten Werke in Sammeldrucken neben solchen von N. Gombert, J. Mouton, J. Richafort, Ph. Verdelot und Josquin des Prés erschienen. M.' Satztechnik ist stets am liturgischen Text orientiert, und seine Tonsprache bewahrt insgesamt, besonders in den ausdrucksvollen Motetten (z. B. Lamentabatur Jacob), einen spezifisch spanischen Charakter. In den Messen verwendet er auch weltliche Melodien, u. a. L'homme armé, Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. H. ANGLES (1952ff.), davon erschienen 8 Bde. (75 Motetten, 21 Messen, Magnificat) ( = MMEsp 11, 13, 15, 17, 20, 21, 24, 34). Lit.: Sonderh. M. (1953) (= Anuario Mus. 8). — J. B. TREND, C. M., in: ML 6 (1925); G. A. TRUMPFF, Die Messen des C. M. (Diss. Gö 1939), Teildruck (1953) (= Anuario Mus. 8); R. STEVENSON, C. de M., in: JAMS 6 (1953); H. ANGLES, Der sakrale Charakter der Kirchenmusik v. C. de M., in: Musicus-Magister. FS Th. Schrems (Rb 1963); S. RUBIO, C. de M., Estudio crítico de su polifonia (S. Lorenzo de El Escorial 1969); H. LEUCHTMANN, Drei bisher unbekannte Parodiemessen v. M., Lechner u. Lasso, in: Musik in Bayern 20 (1980). J. SUBIRR
MORDENT (engl.: mordent; frz.: mordant; it.: mordente; span.: mordiente), eine /Verzierung, die durch ein- oder mehrfachen (mehr oder weniger schnellen) Wechsel zwischen Hauptnote und diatonischer oder chromatischer unterer Nebennote
ausgeführt wird. Zeichen: + (gegebenenfalls mit den daruntergesetzten entsprechenden řAkziden-
tien).
Eine als M. bezeichnete Verzierung ist bereits in deutschen Orgeltabulaturen des 15. Jh. belegt und wird dort mit den Zeichen bzw. g (z. B. im Buxheimer Orgelbuch) oder J bzw. $ (z. B. bei H. Kotter und H. Buchner) versehen. Diese Verzierungen wurden in der Art und Weise der >'Acciaccatura ausgeführt. Nach der Definition E. N. Ammerbachs (1583) wurde der M. auch mit der oberen Nebennote gespielt und entspricht in dieser umgekehrten Form dem Pralltriller und Schneller des 18. Jahrhunderts. Im 17./18. Jh. gehörte der M. zu den am häufigsten verwendeten Verzierungen und wurde je nach der Ausführung u. a. auch řPincé (z. B. bei J. -Ph. Rameau), Martellement (z. B. bei J. G. Walther, etwa für den Doppel -M., ?Martèlement), im Deutschen auch Beißer genannt. Lit.: rVerzierungen.
MOREL, François, * 14. 3. 1926 Montreal; kanadischer Pianist und Komponist. Er studierte am Quebec Provincial Conservatory Montreal bei Germaine Malepart Klavier und Komposition bei Cl. Champagne. 1953 gründete er das Ensemble Musique de notre temps zur Verbreitung zeitgenössischer Musik in Quebec. Zunächst von Cl. Debussy und M. Ravel beeinflußt, komponiert M. heute in einem freien atonalen Stil unter gelegentlicher Einbeziehung der Zwölftontechnik. WW: 3 miniatures(1950) für Fl. u. Klv.; 2 Streichquartette (1948, 1963); Bläserquintett (1962). — Für Jazzorch.: Beatnik (1959); Jazz Baroque Suite (1960); Symphonies (1963); Spirale (1956) fur Kammerorch.; Rythmologue (1957) far Schlagzeugensemble. — Für Orch.: Esquisses (1947); Suite (1948); Antiphonie (1951); symphonische Dichtungen: Le rituel de l'espace (1959); Boréal (1959); Le mythe de la roche percée (1961); L'étoile noire (1962). — 4 chants japonais (1949) für SingSt u. Klv.; Les rivages perdus (1954) u. Osmonde (1963) für Frauenchor a cap.
MORENDO (it., = ersterbend, verlöschend), Vortrags-Bz., die ein äußerstes /Diminuendo bei gleichzeitigem /Ritardando fordert.
MORENO TORROBA, Federico, * 3. 3. 1891 Madrid; span. Komponist. M. war am Madrider Konservatorium Kompositionsschüler von C. del Campo. 1926 wurde er Dirigent des Teatro de la Zarzuela und 1935 Mitglied der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid. Außerdem war er 10 Jahre lang Musikkritiker der Madrider Tageszeitung Informaciones. Durch zahlreiche Kompositionen für Gitarre förderte er die Popu351
Morera larität dieses Instruments in Spanien. Außerdem pflegte er die traditionelle Zarzuela. WW: Zahlr. Gitarre-Stücke; Orch.-Werke, u.a. 2 Symphonische Dichtungen (1918, 1919). - Zarzuelas: La marchenera (1928); Monte Carmelo (1939); Maravilla (1941); La caramba (1942); Balle de trajes (1945); Baffle en capitania (1960); Oper La virgen de mayo, UA: Madrid 1926; Ballett Aventuras y desventuras de Don Quijote (1964).
MORERA, Viura Enric (Enrique), * 22. 5. 1865 Barcelona, t 11.3.1942 ebd.; span. Komponist. M. studierte in Barcelona (F. Pedrell) und in Brüssel. Er gehört zu den Initiatoren der Wiederbelebung einer katalanischen Musikkultur. WW: 1C1v.-Stücke; Vc.-Konzert (1917); zahlr. Lieder u. Chöre; 40 Sardanas für Chor. - Opern, u. a.: El mestre (1921) ; Don Joan de Serrallonga (1921).
Lit.: J. PENA, E. M. (Ba 1937); R. PLANES, El mestre M. i e seu món (Ba 1972).
MORESCA (it.; frz.: morisque; span.: morisca), Sammel-Bz. für seit dem 15. Jh. bezeugte, von Männern pantomimisch ausgeführte Tänze, die je nach der Kostümierung als Grotesk-, Narren- oder Mohrentanz (mit geschwärztem Gesicht und Schellenbändern; so bei Th. Arbeau in der Orchésographie, 1588, beschrieben) einzuordnen sind. Als Schwert- oder Fechttanz, bei dem 2 Gruppen (ähnlich .dem 7Matassin) einander gegenüberstanden, vollzog die M. die Kämpfe zwischen Christen und Morisken (islamischen Mauren) nach. Ein anderer Ursprung der M. wird in den tradierten Fruchtbarkeitsriten gesehen, wie sie etwa im /Morris dance (im Frühjahr zu Querpfeife und Trommel getanzte englische Variante der M.) weiterleben. Auch italienische Narren- und Possentänze des Mittelalters (lat. morio = Narr) können die M. und ihre Namensgebung beeinflußt haben. Jedenfalls verbreitete sich die M. seit dem 14. Jh. über ganz Europa, fand Eingang u. a. am Burgundischen Hof und diente seit dem 16. Jh. und insbesondere im 17. Jh. als Balletteinlage in Intermedium, Masque, Komödie und Oper (u. a. Cl. Monteverdi, Orfeo). Obwohl die M. im Laufe des 17. Jh. aus der Kunstmusik verschwand, haben sich verschiedene Ausprägungen in Spanien, Korsika, Mittelamerika und auch in England erhalten. Lit.: C. SACHS, Eine Weltgesch. des Tanzes (B 1933, Nachdr. Hil 1976); R. WOLFRAM, Neue Funde zu den Morisken u. den Morristänzen, in: Zschr. für Volkskunde 50 (1953); P. NETTL, Die M., in: AfMw 14 (1957); H. ENGEL, M., in: MGG IX; P. P. DOMOKOS, Der Moriskentanz in Europa u. in der ung. Tradition (Budapest 1968) (= Studia musicologica 10); E. FERRARI BARASSI, La tradizione della m. e uno sconosciuto ballo del Cinque-Seicento, in: RIMus 5 (1970).
MÖRIKE, Eduard Friedrich, * 8.9. 1804 Ludwigsburg, t 4.6. 1875 Stuttgart; dt. Dichter. Er studierte 1822-26 Theologie am Tübinger Stift, wurde 1834 352
Pfarrer in Cleversulzbach, aber schon 1843 auf eigenen Wunsch pensioniert. 1851 erhielt er eine Stelle als Literaturlehrer am Königlichen Katharinen-Stift in Stuttgart und 1856 eine Professur an der Universität Tübingen. 1866 trat er endgültig in den Ruhestand und lebte in Lorch, Nürtingen und zuletzt in Stuttgart. — M. hatte weder eine praktische noch theoretische musikalische Ausbildung erhalten, fühlte sich aber seit seiner Jugend zur Musik, insbesondere der W. A. Mozarts, hingezogen. Seiner tiefen Verehrung für Mozart entsprang die Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1855), die auch sein bedeutendstes Prosawerk ist. M. verfaßte auch mehrere Opernlibretti, von denen das Singspiel Das blinde Mädel und die Oper Ahasver Fragment und das Singspiel Ein Fest im Gebirge unvertont blieb. I. Lachner schrieb die Musik zu seiner Zauberoper Die Regenbrüder. M.s Gedichte wurden von zahlreichen Komponisten des 19. und 20. Jh. vertont. Vertonungen von Gedichten M.s: H. Wolf, Gedichte v. E. M. (1888); ders., 53 Lieder (davon 13 orchestriert) (1889-91); H. Distler, M. Chorliederbuch, op. 19 (48 Lieder); O. Schoeck, in op. 7, 14, 15, 17, 31, 51; ders., Das holde Bescheiden, op. 62 (36 Lieder); J. Brahms, in op. 19, 59, 61; M. Bruch, in op. 59, 60; R. Franz, op. 27 Nm. 1-6; ders., in op. 28 u. 3 Chorlieder, op. 53; H. Pfitzner, aus 6 Jugendlieder u. in op. 30; M. Reger, in op. 62 u. 70; ders., Er ist's, op. 111 für Frauenchor; R. Schumann, in op. 59, 64, 67, 79, 89, 91, 107, 125. Lit.: V. O. LUDWIG, E. M. in der Lyrik H. Wolfs (W 1930), A. TAUSCHE, H. Wolfs M. -Lieder (W 1947); H. HOSKAM KNEISEL, M. and Music (1949) (= Diss. Columbia Univ.) (mit Ven. der M.-Vertonungen); R. PIRKEL-LEUWER, M.-Lyrik in ihren Vertonungen (Diss. Bonn 1953); R. B. FARRELL, M., Mozart auf der Reise nach Prag (Lo 1960) (= Studies in German Lit. 3).
MORIN, Jean-Baptiste, * 1677 Orléans, t 1754 Paris; frz. Komponist. Er erhielt seine Ausbildung an der Maîtrise von St -Aignan in Orléans. 1704 ist er als Musiker des Herzogs Philipp von Orléans nachweisbar und wurde später Kapellmeister der Äbtissin von Chelles, einer Tochter Philipps, der er seine Kantate Esther widmete. M. schrieb als erster französischer Komponist Kantaten im italienischen Stil. Berühmt wurde sein Divertissement La chasse au cerf, das er anläßlich eines Aufenthaltes Ludwigs XIV. in Fontainebleau 1708 komponierte. WW (alle in Paris gedruckt): 2 Bücher Motetten für 1 u. 2 St. u. B.c. mit u. ohne Instr. (1704, 1709); 3 Bücher Cantates françoises für 1-3 St. u. B.c. mit u. ohne Instr. (1706, 1707, 1712); ferner die Divertissements fur Soli, Chor u. Instr. La chasse au cerf (1709) u. L'hymen et l'amour (1714). Ausg.: 2 Motetten, hrsg. v. R. EWERHART, 2 H.e (Kö 1962) ( = Cantio sacra 45 u. 50). Lit.: M. A. HALL, The Solo Cantatas of J.-B. M. (1967) (= Diss. Univ. of Illinois) (darin 2 Kantaten); D. E. TUNLEY, The 18th Century French Cantata (Lo 1974).
MORITAT /Bänkelsang.
Morley
MORITZ VON HESSEN, Landgraf, auch M. der Gelehrte, * 25.5.1572 Kassel, t 15.3.1632 Eschwege. Er war einer der glänzendsten Vertreter fürstlichen Mäzenatentums seiner Zeit in Deutschland und trat auch als Komponist hervor. Während seiner Regierungszeit (1592-1627) gründete er in Kassel das Collegium Mauritianum, eine Ritterschule, in der auch Kapellknaben unterrichtet wurden (unter ihnen H. Schutz), und ließ 1603-06 das Ottoneum errichten, das erste feste Theater in Deutschland. M. erkannte früh die Begabung von Schütz und schickte ihn 1609 zum Studium bei G. Gabrieli nach Venedig. Als Komponist erhielt er Unterricht bei seinem Kapellmeister G. Otto. Seine mehrstimmigen Werke stehen unter dem Einfluß O. di Lassos und weisen nach der Rückkehr Schütz' aus Italien nach Kassel (wo ihn M. 1613 zum Hoforganisten ernannte) auch Merkmale des venezianischen Stils auf. M.' Psalmen Davids sind eine Ausgabe der Psalmen von A. Lobwasser (vgl. auch řHugenottenpsalter). WW: Christlich Gesangbuch, von allerhand geistlichen Psalmen, Gesängen und Liedern für 4 St. (Kas 1601) (mit 24 einst. Melodien), erweitert (Kas 1612) (mit 4st. Sätzen); Psalmen Davids, Nach Frantzösischer Melodey... für 4 St. (Kas 1607) (mit 31 Melodien u. 4st. Sätzen); 40 Motetten, in: V. Geuck, Novum et Insigne opus, 3 Bde. (Kas 1603-04) (v. M. postum hrsg.). - Hsi sind erhalten (z.T. unvollständig): Motetten, Magnificat, Psalmen u. Instr.-Werke (Fugen, Kanzonen, Tanzsätze). Ausg.: Ausgew. Werke, hrsg. v. W. DANE (Kas 1936) (= EDM, LD 1); 14 Sätze, in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik, hrsg. v. K. AMELN - CH. MAHRENHOLZ - W. THOMAS, II/2, III / 1 und 2 (Gö 1942). Lit.: W. DANE, M. von H.s Tonwerke (Diss. Marburg 1934); F. BLUME, Geistliche Musik am Hofe des Landgrafen M. von H., in: Zschr. des Vereins für hessische Gesch.- u. Landeskunde 68 (1957); CH. ENGELBRECHT, Die Kasseler Hofkapelle im 17. Jh.... (Kas 1958) (= Musikwiss. Arbeiten 14); DIES. (Bernsdorff-Engelbrecht), Musik zw. den Generationen. Gebrauchs- u. Repräsentationsmusik am Hofe des Landgrafen M. von H., in: Sagittarius 2 (1969); W. BLANKENBURG, Landgraf M. von H.-Kassel, in: MuK 42 (1972).
MORLACCHI, Francesco, * 14. 6. 1784 Perugia, t 28. 10. 1841 Innsbruck; it. Komponist. Er war Schüler von Luigi Caruso in Perugia, N. A. Zingarelli in Loreto und St. Mattei in Bologna. 1807 führte er in Florenz seine erste Oper auf und erhielt, durch weitere Werke rasch bekannt geworden, 1810 ein Engagement als Assistent und 1811 als Kapellmeister der italienischen Oper in Dresden, wo er bis zu seinem Tode wirkte. 1816-26 war C. M. von Weber Kapellmeister der deutschen Oper in Dresden, deren Aufstieg M. zu verhindern suchte. Der Tod M.s und seines Mitarbeiters J. Rastrelli sowie der Sturz G. Spontinis in Berlin brachten das Ende der Vorherrschaft der italienischen Oper in Deutschland. WW: 10 Messen mit Orch.; eine Messe a cap. (1814); Passions-
oratorium (1812); Requiem (1817) (für den König von Sachsen); Oratorien Lsacco (1817) u. La morte d'Abele (1821). - Etwa 20 Opern, u. a.: II poeta in campagna, UA: Florenz 1807; komische Oper II ritratto, UA: Verona 1807; Le Danaide, UA: Rom 1810. Lit.: In memoriam F. M., hrsg. v. W. FISCHER (I 1952); G. RICCI DES FERRES-CANCANI, F. M. (Fi 1958) (= Hist. musicae cultores Bibl. 11); W. BECKER, Die dt. Oper in Dresden unter der Leitung von C. M. von Weber (B 1962).
MORLAYE, Guillaume de, * um 1515, t nach 1560; frz. Lautenist. Er war vermutlich Schüler von A. de Rippe, von dem er zwischen 1552 und 1558 6 Lautenbücher postum herausgab. Von ihm selbst erschienen in Paris 4 Tabulaturen (RISM 155232-34, 155819) für Laute und für Gitarre (u. a. mit eigenen Tänzen und Fantasien und mit Chansons und Madrigalen) sowie eine Bearbeitung von Psalmen P. Certons für Singstimme und Laute. An Vokalwerken gab M. zwei Bücher Psalmes et cantiques en vulgaire francoys (P 1552, 1553) heraus. Ausg.: Psaumes de P. Certon ..., hrsg. v. R. DE MORCOURT (P 1957). Lit.: J.-G. PROD'HOMME, G. M., éditeur d'A. de Rippe, in: RMie 9 (1925); P.PIDovx, Les psaumes d'A. de Mornable, G. M. et P. Certon 1546, 1554, 1555, in: Ann. Mus. 5 (1957).
MORLEY, Thomas, * 1557 London, t 1602 ebd.; engl. Komponist. Schüler von W. Byrd, erlangte er 1588 den Grad eines Bachelor of Music in Oxford. Vom Organisten an der St. Paul's Cathedral in London stieg er auf zum Gentleman der Chapel Royal; dieses Amt übte er von 1592 bis zu seinem Tode aus. Seine Bedeutung nicht nur als Komponist und Theoretiker, sondern auch als Herausgeber und Notendrucker spiegelt sich in der weiten Verbreitung seiner Werke im Druck. WW (in London gedruckt, teilweise mit mehreren Nachdr.): 1) Weltliche WW: Canzonets für 2St. (1595), für 3St. (1593), für 5-6 St. (1597); engl. Madrigale für 4 St. (1594, erweitert 21600); Ballets für 5 St. (1595), dies. mit it. Text (1595), mit dt. Text, hrsg. v. V. HauBmann (NO 1609); Ayres für SingSt u. Laute (1600); Madrigale auch in dem von M. hrsg. Triumphs of Oriana (1601) u. a. Sammeldrucken. - 2) Geistliche WW: Services, Anthems, Psalmen u. lat. Motetten hsl. u. in Sammeldrucken erhalten. 3) Instr.-WW: eine Fantasie, Variationen, Tanzsätze für Virginal hsl.; M. gab heraus: Consort lessons für 6 Instr. (1599, 21611). 4) Schritt: A Plaine and Easie Introduction to Practicall Musicke (1597 u. ö.).
Neben dem heiteren und ansprechenden Charakter seiner Kompositionen hatte insbesondere sein Eintreten für die in England rasch an Bedeutung zunehmende italienische Musik maßgeblichen Anteil an seinem Erfolg. Zwar war er keineswegs der erste, der das italienische Madrigal in England heimisch machte; doch unterschied ihn sein außerordentliches Interesse an dieser Gattung von Vorläufern wie Nicholas Yonge (Musica transalpina, 1588) und Thomas Watson (Italian Madrigals Englished, 1590). Er veröffentlichte sowohl Originalwerke 353
Moro verschiedener italienischer Komponisten als auch eigene italienisch beeinfluBte Werke, in denen er sich als Epigone im besten Sinne erwies. Einem Vergleich mit F. Anerio und G. G. Gastoldi hält er durchaus stand. M. war ein Erneuerer, kein Revolutionär. In seinem Streben nach Expressivität vermied er im Gegensatz zu W. Byrd, Th. Weelkes und G. Farnaby schroffe Kontraste in Harmonik und Kontrapunktik. Besondere Bedeutung gewann er auf dem Gebiet der Komposition für „broken consort" (gemischtes Ensemble). Bei M. umfaßt das "Consort 3 Melodieinstrumente (Flöte, Tenorund BaBgambe) und 3 zum Akkordspiel geeignete Zupfinstrumente (Laute, Cister und Pandora). Die Kombination von Blas- und Saiteninstrumenten in der ersten Gruppe und von Instrumenten mit Darm- und Metallsaiten in der zweiten erlaubte eine Fülle klanglicher Abstufungen. Neu daran war der Gedanke, diese Klangkombinationen genau festzulegen. Zwei von M.s Kompositionen stehen in enger Beziehung zu Werken seines Zeitgenossen W. Shakespeare: O Mistress mine (in: Consort Lessons) — ein Lied aus Twelfth Night — und It was a lover and his lass (in den Ayres) — aus As you like it; es ist nicht unmöglich, daß sie von Shakespeare benutzte Melodien überliefern. Ausg.: GA der Canzonets, engl. Madrigale u. Ballets, hrsg. v. E. H. FELLOWES (Lo 1913, 2 1921) (= The English Madrigal School 1-4), revidiert v. TH. DART (Lo 1965-66) (= The English Madrigalists 1-4); Ayres, hrsg. u. revidiert v. DENS. (Lo 1932 bzw. 1959) (= The English Lute Song 16); Canzonets für 2 St. u. für 3 St., Faks.-Ausg. hrsg. v. J. E. UHLER (Baton Rouge/La. 1954, 1957); The Triumphs of Oriana, hrsg. v. H. K. ANDREWS (Lo 1963) (= The English Madrigalists 32). — Collected Motets, hrsg. v. TH. DART — H. K. ANDREWS (Lo 1959). — Keyboard Works, hrsg. v. TH. DART, 2 Bde. (Lo 1959) (= English Keyboard Music 12-13); Consort Lessons, hrsg. v. S. BECK (NY 1959). — A Plaine and Easie Introduction, Faks.-Ausg. hrsg. v. E. H. FELLOWES (Lo 1937), dass., Neudr. hrsg. v. R. A. HARMAN—TH. DART (Lo 1952, 1957); dass., Faks.-Ausg. (Farnborough 1970). lit.: E. H. FELLOWES, The English Madrigal Composers (O 1921, 21948, Nachdr. Lo 1958); DERS., The English Madrigal (Lo 1925,'1947); R. STEVENSON, Th. M.'s „Plaine and Easie" Introduction to the Modes, in: MD 6 (1952); J. KERMAN, M. and „The Triumphs of Oriana", in: ML 34 (1953); J. E. UHLER, Th. M.'s Madrigals for Four Voices, in: ML 36 (1955); D. BROWN, Th. M. and the Catholics, in: The Monthly Musical Record 89 (1959); F. B. ZIMMERMAN, Italian and English Traits in the Music of Th. M., in: Anuario Mus. 14 (1959); D. BROWN, The Styles and Chronology of Th. M.'s Motets, in: ML 41 (1960); J. KERMAN, The Elizabethan Madrigal (0 1962); C. A. MURPHY, Th. M., Edition of Italian Canzonets and Madrigals 1597 and 1598, 2 Bde. (1963) (= Diss. Florida State Univ.); W. SHAW, Th. M. of Norwich, in: MT 106 (1965); D. GREER, The Lute Songs of Th. M., in: Lute Society Journal 8 (1966); J. R. MCGRADY, Th. M.'s „First Booke of Ayres", in: MR 33 (1972). G. NITZ
MORO (da Viadana), Giacomo, * Viadana (Provinz Mantua), t nach 1610; it. Komponist. M. war Mönch, lebte um 1599 in Bologna und um 1604 in 354
Fivizzano. Er gehört mit seinen späteren Werken zu den ersten Vertretern des konzertanten Stils in der unmittelbaren Nähe von L. Viadana. WW (in Venedig gedruckt): Canzonette alla napolitana für 3 St. (1581); Gli encomii musicali für 4-5 St. (1585); Psalmi ad vespertinas ... horas für 5 St. (1595); Officium et missa defunctorum für 8 St. (1599); 4 Bücher Concerti ecclesiastici, 1: für 1-8 St. u. B.c., u. a. mit einer Messe für 8 St. u. Instr.-Kanzonen (1604), 2-4: für 1-4 St. u. B.c. (1607-10), Nachdr. der 4 Bde. (An 1613). — Mehrere Motetten in Sammeldrucken (u. a. bei Donfrid) 1616-38.
MOROI. — 1) Saburó, * 3.8.1903 Tokio, t 24.3. 1977 ebd.; japanischer Komponist. Er studierte Harmonielehre und Komposition in Tokio und 1932-34 an der Hochschule für Musik in Berlin. 1946-65 arbeitete er an einer Neuorganisation des Musikunterrichts in Japan. 1965-67 war er Intendant des Städtischen Orchesters Tokio und seit 1967 Leiter der Musikabteilung sowie Lehrer für Komposition und Musikwissenschaft der privaten Senzoku-Gakuen-Universität in Kawasaki. M. veröff. auch mehrere theoretische Schriften. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; 5 Symphonien (1934, 1938, 1950, 1952, 1970); Klv.-Konzert (1934); Vc.-Konzert (1937); Lieder.
2) Makoto, Sohn von 1), * 17. 12. 1930 Tokio; japanischer Komponist. Er war Kompositionsschüler von Tomojiró Ikenouchi und unterrichtet heute Gregorianik am Musikinstitut Königin Elisabeth in Hiroshima sowie Komposition am Konservatorium Töhö in Tokio. M. gehört zu den Gründern des Instituts für Musik des 20. Jahrhunderts. Sein Stil ist durch Verwendung serieller Techniken in der Nachfolge A. Weberns gekennzeichnet. WW: Klv.-Stücke; Les farces (1971) für V. solo; Kammermusik, ,u. a.: Musics da camera (1954) für Streichquartett; Komposition Nr. 5 (Ode an Schönberg) (1961) für Kammerorch. — Fur Orch.: Komposition Nr. I (1953) u. Nr. 2 (1958); Suite concertante für V. u. Orch. (1962); Klv.-Konzert (1967); Symphonie (1968). — Komposition Nr. 3 (1958) für Sprecher, Männerchor u. Orch.; Metamorphosis (1958) für Sprecher u. Tonband; Développements raréfiants (1957) für Frauenst. u. Instr.; Phaeton (1965) für Sprecher, St., Orch. u. Tonband; Izumo, My Home (1970) für Sopran, Bar., Chor, Orch. u. elektronische Klänge.
MORRIS, Reginald Owen, * 3.3. 1886 York, t 14. 12. 1948 London; engl. Komponist und Musikpädagoge. Er studierte am New College in Oxford und am Royal College of Music in London, wo er 1920 Professor für Kontrapunkt und Harmonielehre wurde. 1926-28 lehrte er am Curtis Institute of Music in Philadelphia, kehrte dann an das Royal College of Music und nach Oxford zurück, wo er 1939 zum Doctor of Music promovierte. Seine Kontrapunkt-Lehrbücher beruhen weitgehend auf Werken des 16. Jh. und waren von großem Einflug auf den englischen Kompositionsunterricht in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Mortelmans WW: 1) Kompositionen: Phantasy Quartet (Lo 1922) u. Canzoni ricercati (Lo 1931); V.-Konzert (Lo 1928); Concerto piccolo (Lo 1930). - Für Chor a cap.: 6 English Folk Songs (1929) u. 5 English Folk Songs (Lo 1931); Corinna 's Maying (1933) für Chor u. Orch. - 2) Schriften: Contrapuntal Technique in the 16th Century (0 1922); The Structure of Music (Lo 1935); Introduction to Counterpoint (0 1944); Oxford Harmony (Lo 1946, Nachdr. 1974). Lit.: E. RUBBRA. R. O. M. An Appreciation, in: ML 30 (1949).
MORRIS DANCE (engl.), Sammel-Bz. für verschiedene Volkstänze, die heute noch in England anläßlich von Umzügen der Morris-Gilden ausgeführt werden und als Masken-, Fecht- und Schwerttänze auf Frühformen der /Moresca zurückgehen. Charakteristisch für den M. d. ist — trotz landschaftlicher Unterschiede in der Ausführung — die Teilnahme von 6-12 Männern, die auf verschiedene Weise kostümiert sind und z. T. auch Frauenmasken tragen. Der M. d. stand ursprünglich im Zusammenhang mit bestimmten Fruchtbarkeitsriten zum Frühlingsanfang. Später fand eine Durchdringung dieser heidnischen Bräuche mit christlichen statt, die sich nicht nur in der formalen, sondern auch in der melodischen Vielfalt der Tänze (mit gerad- und ungeradtaktiger Melodiebildung) widerspiegelt. Parodierende Entlehnungen (z. T. mit obszöner Textierung) und solche aus dem Volksliedbereich sind äußerst häufig praktiziert worden, wie dies etwa die von C. J. Sharp angelegte M. d. -Sammlung belegt. — Gehörten früher Einhandflöten und Trommeln zum verwendeten Instrumentarium, so sind es heute meist auch moderne Instrumente (u. a. Violine). Ausg. u. Lit.: C. J. SHARP, The Morris Book, 5 Teile (Lo 1907-13) (1-3 zus. mit H. C. Mad-Ilwaine, 5 mit G. Butterworth); C. SACHS, Eine Weltgesch. des Tanzes (B 1933, Nachdr. Hil 1976); R. WOLFRAM, Neue Funde zu den Morisken u. den Morristänzen, in: Zschr. für Volkskunde 1 (1953); W. KIMBER, M. d. Tunes..., in: Journal of the English Folk Dance and Song Society 8 (1959); L. BLAKE, The Morris in Wales, in: ebd. 9 (1960); D. HOWISON - B. BENTLEY, The North-West-Morris, in: ebd.
MORTARI, Virgilio, * 6. 12. 1902 Passirana di Lainate (Provinz Mailand); it. Komponist. Er studierte bei C. A. Bossi und I. Pizzetti am Mailänder Konservatorium. 1933-40 war er Kompositionslehrer am Conservatorio B. Marcello in Venedig, 1940-55 am Conservatorio S. Cecilia in Rom und 1955-59 Soprintendente am Teatro La Fenice in Venedig. 1963 wurde er Vizepräsident der Accademia di S. Cecilia in Rom. WW: 1) 1nstr.-WW: Kammermusik, u.a. Serenata detta la diavolessa (1954) für Streichtrio; Streichquartett (1931), Orch.-Fassung ala: Musica per archi (1939). - Für Orch.: Rapsodia (1930); Klv.-Konzert (1960); Allegro (1934) für Vc. u. Orch.; Konzert für Streichquartett u. Orch. (1938). - 2) Vokal-WW: Due divertimenti (1928, 1930) für 4 St. (über lombardische Volksliedthemen); Missa pro salute innocentium (1950) fur 4 St. a cap.;
Due laude (1946) für SingSt, Fl., Vc. u. Klv.; Due salmi funebri (1947) für SingSt, Fl. u. Klv.-Quartett (zum Gedächtnis A. Casellas); Oratorium Resurrezione e vita, UA: Venedig 1954. 3) Bihnen-WW: Opern: Secchi e Sberlecchi, UA: Udine 1927; La figlia del diavolo, UA: Mailand 1954; La scuola delle mogli (nach Molière), UA: ebd. 1959; Il contratto, UA: RAI 1962, szenisch Rom 1964; Ballett L'allegra piazetta, UA: Rom 1945. 4) Schriften: La tecnica dell'orchestra contemporanea (zus. mit A. Casella) (Mi 2 1950), dt. Obers.: Die Technik des modernen Orchesters (Mi - F 1961). Lit.: Werk-Verz., in: Rass. Mus. 23 (1953); R. MARIANI, V. M., in: Verismo in musica e altri studi (Fi 1976).
MORTARO, Antonio, OFM, * Brescia, t 1620 Verona (?); it. Komponist. Er war vermutlich Schüler von C. Antegnati und C. Porta und ist 1598 als Organist an S. Francesco in Mailand und 1602 als Domorganist in Novara nachweisbar. 1606 kehrte er nach Brescia zurück. Seine Werke waren viele Jahrzehnte lang weit verbreitet. WW: 1) Geistliche Vokal-WW: Missae, motecta, cantica BMV (V 1595); Sacrae cantiones für 3 St. (Mi 1598), mit B.c. (V 1610); Messa, salmi, motetti et Magnificat für 3 Chöre (Mi 1599); 2 Bücher Psalmi ad vesperas für 8 St. (V 1599), mit B.c. (1603); Sacrae cantiones für 4 St. (Mi 1602); Missae atque sacrae cantiones für 9 St. u. B.c. (V 1606); Psalmen für 5 St. u. B.c. (V 1608). 2) Weltliche Vokal-WW: 4 Bücher Fiammelle amorose für 3 St. (V 1590-96 u. ö.). - 3) llsotr.-WW: Canzoni da sonare für 4 St. (V 1600), für 4 St. u. B.c. (V 1623). Ausg.: 4 Canzoni für Blockfl., hrsg. v. G. HOULE (NY 1970). Lit.: F. GUERRINI, Per la storia della musica a Brescia, in: Note d'archivio 11 (1934).
MORTELMANS. — 1) Lodewijk, * 5.2.1868 Antwerpen, t 24.6.1952 ebd.; belgischer Komponist. Er war Schüler von J. Blockx und P. Benoit an der Musikschule von Antwerpen und erhielt 1893 für seine Kantate Lady Macbeth den belgischen Prix de Rome. 1901 wurde er Lehrer für Kontrapunkt und Fuge am Konservatorium von Antwerpen, dessen Leitung er 1924-33 innehatte. Daneben unterrichtete er auch an der Kirchenmusikschule Mecheln. Mit P. Gilson und A. de Boeck gehört M. zu den wichtigsten Repräsentanten der flämischen Musik am Anfang des 20. Jahrhunderts. Er wurde vor allem durch Lieder und die Oper De kinderen der zee bekannt. WW: Klv.-Stücke; Orch.-Werke; Lieder, Chöre; ferner die Oper De kinderen der zee, UA: Antwerpen 1920.
2) Ivo Oscar, Sohn von 1), * 19. 5. 1901 Antwerpen; belgischer Komponist. Er studierte an den Konservatorien von Antwerpen und Brüssel und war privat Schüler von P. Gilson. 1931-52 lehrte er Musiktheorie am Konservatorium in Antwerpen, außerdem Theorie, Komposition und Musikgeschichte an den Musikakademien in Berchem (1925-66), Deurne (1939-70) und Mortsel (1946-67) und war 1931-36 Operndirigent in Eindhoven. 355
Morton WW: Kammermusik; Orch.-Werke; Lieder u. Chöre; Oratorien Lutgart u. Eeuwig vlecht de bruid haar kroon (1964); Liedertriptychon Drie liefdezangen (1967); Messen. - Singspiel De krekel en de mier (Die Grille u. die Ameise) (1945) (nach La Fontaine). Lit.: Zu 1): J. L. BROECKX, L. M. (An 1945); DERS., Cat. van het werk van L. M. (Bru 1954); H. HEUGHBART, in: Harop 20 (1968).
MORTON, Jelly Roll (eig. Ferdinand Joseph La Menthe), * 20.9. 1885 Gulfport (Louisiana), t 10. 7. 1941 Los Angeles; amerik. Jazzmusiker (Klavier), Bandleader und Komponist. M. begann 1902 seine Laufbahn als Pianist in New Orleans, war danach ständig auf Tournee, gründete 1926 in Chicago seine für den traditionellen Jazz maßgebende Band „Red Hot Peppers", die mit ungewöhnlichen Arrangements aufwartete. 1938 sprach er seine Lebenserinnerungen auf Schallplatte, veröffentlicht als The Saga of Mr. Jelly Lord. Wie Nick La Rocca behauptete auch M., der „Schöpfer des Jazz" zu sein. Das wirkliche Verdienst von M. ist jedoch, den Ragtime mit dem Blues verschmolzen zu haben. Bekannte Kompositionen sind u. a. Jelly Roll Blues, King Porter Stomp, Frog-I-More-Rag, Wolverine Blues und Dr. Jazz. Lit.: A. LOMAX, Doctor Jazz. Mister J. Rolls Moritat v. Jazz (Z 1960, 1964) (= Sanssouci Jazz-Bibi. 1); N. SHAPIRO - N. HENTOFF, Jazz erzählt (Mn 1962); M. T. WILLIAMS, J. R. M. (Lo 1962, NY 1963) (= Kings of Jazz 11); DERS., J. R. M. Three Minute Form, in: The Jazz Tradition (NY 1970) (mit Bibliogr.).
MORTON, Robert, * um 1440, t Anfang 1475; engl. Komponist. Er wurde 1457 Sänger der Kapelle des Herzogs von Burgund und erhielt 1470 die Würde eines Chapelain. Von M. sind 10 Rondeaux (eines ohne Text), 2 Balladen (eine ohne Text) und eine Motette überliefert. In seinem Rondeau Il sera pour vous erscheint als C.f. zum ersten Mal die in der Folgezeit häufig bearbeitete Chanson L'homme armé. Seine Chanson N'aray ie iamais mieulx wurde von Josquin des Prés in der Missa di dadi parodiert. Ausg.: 2 Chansons, in: Der Kopenhagener Chansonnier, hrsg. v. K. JEPPESEN (Kop - L 1927, 21965); 4 Chansons u. 3 textlose Stücke, in: J. MARIX. Les musiciens de la cour de Bourgogne (P 1937); Princhesse of Youth, hrsg. v. M. BUKOFZER, in: MQ 20 (1939); The Mellon Chansonnier, hrsg. v. L. L. PERKINS H. GAREM (New Haven - Lo 1979). Lit.: J. MARIX. Histoire de la musique et des musiciens de la cour de Bourgogne (Str 1939, Nachdr. G. 1971); D. PLAMENAC, The „second" Chansonnier of the Bibl. Riccardiana (Cos. 2356), in: Ann. Mus. 2 (1954) (darin eine Chanson); H. BESSELER, Dt. Lieder v. R. M. u. Josquin, in: BzMw 13 (1971); D. FALLOWS, R. M.'s Songs. A Study of Styles in the Mid-fifteenth Century (Berkeley 1978) (= Diss. Univ. of California, Berkeley).
MOSCHELES, Ignaz (eig. Isaac), * 23. 5. 1794 Prag, t 10.3. 1870 Leipzig; dt. Pianist, Dirigent und Komponist. Nach Studien bei Fr. D. Weber am Pra356
ger Konservatorium spielte er 14jährig in einem Konzert eigene Kompositionen, setzte seit 1808 seine Studien bei J. G. Albrechtsberger und A. Salieri in Wien fort und wurde dann einer der beliebtesten Klavierlehrer Wiens. Unter L. van Beethovens Anleitung fertigte er 1814 den ersten Klavier-Auszug des Fidelio an. Zwischen 1820 und 1825 bereiste er als gefeierter Pianist Deutschland, Paris, London, Prag und Wien. 1824 war er vorübergehend Lehrer F. Mendelssohn Bartholdys, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. 1825 ließ er sich in London nieder, war Professor an der Royal Academy of Music sowie Direktoriumsmitglied und Dirigent der Royal Philharmonic Society, wodurch ihm der Weg in Gesellschaft und Konzerte geöffnet und viele Schüler zugeführt wurden. Als Dirigent setzte er sich für das Werk Beethovens ein und dirigierte 1832 die erste englische Aufführung der Missa Solemnis. Als er um 1840 spürte, daß ihm Fr. Liszt als Pianist überlegen war, zog er sich von der solistischen Tätigkeit zurück. Auf Drängen Mendelssohns übersiedelte er 1846 nach Leipzig und übernahm die Leitung der Klavierklasse am Konservatorium, die er bis 1870 innehatte. Hier hatte er als Lehrer einen EinfluB, der den K. Czernys übertraf. WW: Kammermusik, darunter Klv.-Trio, op. 84; Septett, op. 88. 8 Klv.-Konzerte; zahlr. Variationen für Klv. mit u. ohne Orch.; Etüden, op. 70; Charakteristische Studien, op. 95; Tägliche Studien, op. 107; ferner eine Klv.-Schule Méthode des méthodes (P 1837, Nachdr. G 1973) (zus. mit Fr.-J. Fčtis). - Er gab heraus: The Life of Beethoven by Anton Schindler (Lo 1841) (übers. u. mit Zusätzen versehen); Beethovens Klavierkonzerte (Nr. 1-4 mit Kadenzen).
Von M.' zahlreichen Kompositionen stehen viele der Wiener Klassik nahe, viele sind als Virtuosenstücke geschrieben; seine Klavierkonzerte gehörten zu seinen Lebzeiten zu den meistgespielten ihrer Art und dienten anderen noch dann als Vorbild, als Paradestücke wie die einstmals berühmten Alexander-Variationen schon vergessen waren. Seine Etüden — op. 70 und besonders die Charakteristischen Studien op. 95 — gehören zu den besten der Zeit und haben noch heute Bedeutung für die Kenntnis der nachklassischen Klaviertechnik. M. gab auch Klaviersonaten und -konzerte sowie Kammermusik Beethovens, W. A. Mozarts, J. Haydns und G. Fr. Händels heraus. Lit.: Aus M.' Leben, nach Briefen und Tagebüchern, hrsg. v. CH. MOSCHELES, 2 Bde. (L 1872-73); Thematisches Werk-Verz. (L 1885). - F. MOSCHELES, Fragments of an Autobiography (Lo -NY 1899); H. ENGEL, Die Entwicklung des dt. Klv.-Konzerts von Mozart bis Liszt (L 1927); W. GEORGII, Klv.-Musik (Fr-Z 2 1950); 1. HEUSSNER, I. M. in seinen Klv.-Sonaten, -Kammermusikwerken u. -Konzerten (Diss. Marburg 1963); K. WOLTERS, Hdb. der KN.-Lit. zu zwei Händen (Z 1967); W. S. NEWMAN, The Sonata Since Beethoven (Chapel Hill 1969, revidiert NY =1972); J. ROCHE, J. M., 1754-1870, in: MT 111
Moser (1970); J. FORNER, Mendelssohns Mitstreiter am Leipziger Konservatorium, in: BzMw 14 (1972), wiederabgedruckt in: G. SCHUHMACHER, F. Mendelssohn Bartholdy (Da 1981) ( = Wege der Forsch. 494). G. SCHUHMACHER
MOESCHINGER, Albert, * 10. 1. 1897 Basel; Schweizer Komponist. Er studierte 1917-24 in Bern, Leipzig und bei W. Courvoisier in München und lebte anschließend als Pianist und Pädagoge in Bern, wo er 1937-43 auch am Konservatorium lehrte. Seit 1943 widmete er sich ausschließlich der Komposition. Sein Stil zeigt Einflüsse von Courvoisier sowie von M. Ravel und I. Strawinsky. WW: 6 Streichquartette (1922-40); 6 Bläsertrios (1950-60). Für Orch.: Sarcasmes (1967); Erratiques (1969); On ne traverse pas la nuit (1970); Tres caprichos (1972) Blocs sonores (1977); Variations mystérieuses (1977) für Kammerorch.; 5 Symphonien, 1: Symphonie à gloire de... (1945); 2: für 6 Bläser, Pk., Schlagzeug u. Str. (1948); 3, 4 u. 5 (1950, 1957, 1960); 5 Klv.-Konzerte, 1: mit Kammerorch. (1931); 2: mit Streichorch. (1938); 3: mit groBem Orch. (1953); 4 u. 5: (1964, 1970); V. -Konzert (1935, revidiert 1949); Trp. -Konzert (1955); Concerto lyrique (1958) für Saxophon u. Orch. - Visions du moyen-âge (1940) für Tenor, Klar. u. Str.; Missa in honorem Sancti Theoduli (1943) für gem. Chor u. Org.; Kantate Miracles de l'enfance (1961) für Mezzosopran, 2 Klar., 2 Fl., Ob., Harfe, Kb. u. Schlagzeug; Labyrinth (1963) (nach Dante) für 2 Frauenst. u. Orch. Lit.: J. HANDSCHIN, Neues v. A. M., in: SMZ 85 (1945); H. OESCH, A. M., in: ebd. 97 (1957); W. SCHUH, A. M.s „Sinfonie Nr. 5", in: ebd. 101 (1961); H. OESCH, A. M.s Briefwechsel mit Th. Mann, in: ebd. 112 (1972) (mit Werk-Verz.).
MOSEL, Ignaz Franz de Paula Vinzenz Ferrerius Joseph, Edler von, * 1. 4. 1772 Wien, t B. 4. 1844 ebd.; östr. Komponist und Musikschriftsteller. M. trat 1788 in den Staatsdienst, wurde 1818 geadelt, war seit 1821 Vizedirektor der beiden Hoftheater und seit 1829 1. Kustos der kaiserlich-königlichen Hofbibliothek. In der Musik Autodidakt, übte er doch großen Einfluß auf das Wiener Musikleben aus. Er gehörte zu den maßgeblichen Persönlichkeiten unter den Anhängern der deutschen Musik und war ein entschiedener Gegner des italienischen Geschmacks. M. wurde vor allem durch seine Schriften bekannt. WW: 1) Kompositionen: Opern: Die Feuerprobe (1811); Salem (1813) u. Cyrus und Astyages (1818). - 2) Schriften: Versuch einer Aesthetik des dramatischen Tonsatzes (W 1813, 2 1910); Ueber die Oper (W 1821); Ober das Leben und die Werke des A. Sahen (W 1827); Geschichte der K. K. Hofbibliothek zu Wien (W 1835). Ausg.: Versuch einer Aesthetik des dramatischen Tonsatzes, hrsg. v. E. SCHMITZ (Mn 1910). Lit.: R. BATKA, Moseliana, in: Musikbuch aus Ostr. 8-9 (1911-12); TH. ANTONICEK. I. von M., 2 Bde. (Diss. W 1962); DERS., „Vergangenheit muB unsre Zukunft bilden". Die patriotische Musikbewegung in Wien u. ihr Vorkämpfer I. von M., in: RBMie 26/27 (1972/73); E. TRINKLER, 1. F. Edler von M., in: Biblos 22 (1973).
MÖSELER VERLAG, dt. Musikverlag. Er geht zurück auf die 1821 von C. Ph. H. Hartmann
(1797-1840) in Wolfenbüttel gegründete Kunstund Musikalienhandlung, seit 1837 von Louis (Ludwig) Hone (1817-95) weitergeführt und 1850 als Alleininhaber übernommen. 1913 trat Georg Kallmeyer, * 15.9.1875 Braunschweig, t 27.5. 1945 Reichenberg, als Teilhaber in das Unternehmen ein, das 1919 in seinen Besitz überging und seit 1926 mit seinem Namen firmierte. An der Jugendbewegung orientiert, erschienen im Verlagsprogramm Werke von Fr. Jöde, praktische Ausgaben, darunter die Reihen Corona (früher: Deutsche Instrumental-Musik für Fest und Feier) mit Kompositionen des 16.-18. Jh., Das Chorwerk (1929 bis 1975 hrsg. von Fr. Blume, seitdem von K. Gudewill; bisher 130 H.e), ferner die M. Praetorius-GA (hrsg. von Fr. Blume, 21 Bde., 1928-40). 1947 übernahm Karl Heinrich Möseler, * 11. 1. 1912, t 26.6. 1984, den nun unter seinem Namen firmierenden Verlag. Der Verlagskatalog umfaßt neben Orchester-, Kammermusik, Chorwerken, Schulmusikbüchern, musikgeschichtlicher Literatur und Zeitschriften die Reihen Aulos („Werkreihen für Blasmusik") und Beiträge zur Schulmusik (hrsg. von W. Drangmeister und H. Rauhe) mit der Beispielsammlung Musikalische Formen in historischen Reihen. Lit.: H.-M. PLESSKE, Bibliogr. des Schrifttums z. Gesch. dt. u. östr. Musikverlage, in: Beirr. z. Gesch. des Buchwesens 3, hrsg. v. K.-H. Kalhöfer - H. Rötzsch (L 1968).
MOSER. — 1) Andreas, * 29. 11. 1859 Semlin bei Belgrad, t 7. 10. 1925 Berlin; dt. Pädagoge östr. Herkunft. Nach Abschluß seines Ingenieur- und Architekturstudiums wurde er 1878 Violinschüler von J. Joachim in Berlin und anschließend dessen Assistent. 1888-1925 (1900 Professor) lehrte er an der Berliner Musikhochschule. Schriften: J. Joachim (B 1898, erweitert 1908-10); Violinschule, 3 Bde. (B 1902-05) (zus. mit J. Joachim); Methodik des Violinspiels, 2 Bde. (L 1920); Geschichte des Violinspiels (B 1923) (mit einer Einleitung v. H.J. Moser), 2. Aufl. hrsg. v. H.-J. Nösselt, 3 Bde. (Tutzing 1966-67).
2) Hans Joachim, Sohn von 1), * 25.5. 1889 Berlin, t 14. B. 1967 ebd.; dt. Musikforscher. Er studierte Musikwissenschaft an den Universitäten Marburg, Leipzig (bei H. Riemann und A. Schering) und Berlin (bei H. Kretzschmar und J. Wolf) und promovierte 1910 in Rostock. 1919 wurde er Dozent in Halle (1922 Professor), lehrte 1925-27 an der Universität Heidelberg und 1927-34 an der Universität Berlin, wo er auch die Staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik leitete. 1933 in den Ruhestand versetzt, unterrichtete M. nach dem Krieg seit 1947 an der Universität Jena und an der Musikhochschule Weimar und wurde 1950 Direktor des Städtischen Konservatoriums in Berlin. 357
Moses in Ägypten Schriften: Die Musikergenossenschaften im deutschen Mittelalter (Diss. Rostock 1910, Nachdr. Wie 1972); Geschichte der Musik, 3Bde. (St 1920-24), I (31930), II/1 (41928), als Bd. II (31930), 1I/2 als Bd. III (21928), NA (Hil 1968); P. Hofhaimer (St 1929, Hil 2 1966); Die mehrstimmige Vertonung des Evangeliums I (L 1931, Nachdr. Hil — Wie 21968) (= Veröff. der Staatlichen Akad. für Kirchen- u. Schulmusik Berlin 2); Corydon, das ist: Geschichte des mehrstimmigen GeneralbaBliedes, 2 Bde. (Brau 1933, Nachdr. Hil 1966); Die Melodien der Lutherlieder (L 1935) (= Welt des Gesangbuchs 4); Musik-Lexikon (B 1935, 2 1943, H 31951), Nachtrag (1953, 4 1955), Nachträge (1958), NA mit NachtragsBd. (1963); H. Schütz (Kas 1936, 21954); Das deutsche Lied seit Mozart, 2 Bde. (B—Z 1937, revidiert Tutzing 2 1966); Goethe und die Musik (L 1949); Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland (B 1954, Nachdr. Hil 1978); Die Musik im frühevangelischen Österreich (Kas 1954); Die Musik der deutschen Stämme (W 1957); Musik in Zeit und Raum. Ausgewählte Abhandlungen (B 1960). — M. war ferner Hrsg. v.: Gassenhawerlin und Reutterliedlin zu Franckenfort am Meyn. Bei Chr. Egenolf 1535 (Au 1927. Nachdr. Hil 1970) u. v. a. — Er revidierte (Wie — Gr 1957-61) sämliche 65 Bde. der DDT. M. ist in der deutschen Musikwissenschaft des 20. Jh. nach Umfang, Vielfalt und Originalität seiner Publikationen eine herausragende Persönlichkeit. Viele seiner Arbeiten — vor allem über H. Schütz, die evangelische Kirchenmusik und das deutsche Lied des 15.-19. Jh. — sind grundlegend geblieben; sein Musiklexikon ist als Leistung eines einzelnen Autors bewundernswert. M. trat auch als Sänger (Bariton) hervor und betätigte sich schrif tstellerisch. 3) Edda, Tochter von 2), * 27. 10. 1941 Berlin; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte Gesang bei Hermann Weißenborn und Gerty König in Berlin und debütierte 1962 als Kate Linkerton in G. Puccinis Madame Butterfly an der Städtischen Oper Berlin. 1963 ging sie als Choristin nach Würzburg, 1964 mit einem Solovertrag nach Hagen, anschließend nach Bielefeld und 1967 an die Deutsche Oper Berlin. 1968-71 war sie Mitglied der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main und gehört seit 1971 dem Ensemble der Wiener Staatsoper an. Den Beginn ihrer internationalen Karriere verdankte sie H. W. Henze und H. von Karajan, in dessen Rheingold-Aufführung sie 1968 bei den Salzburger Osterfestspielen debütierte. Gastspiele führten sie an die Metropolitan Opera in New York, an die Opernhäuser von Paris, Berlin, Hamburg und München sowie nach Südamerika und in die Sowjetunion. In der Verfilmung des Don Giovanni von W. A. Mozart (Regie J. Loosey) übernahm sie die Rolle der Donna Anna. Lit.: Z. 1): D. C. TODD, The Problem of Bowing in the JoachimM. Ed. of Beethoven's String Quartets (Urbana 1967) (= Diss. Univ. of Illinois). — Z. 2): A. A. ABERT. in: AMI 40 (1968).
MOSES IN ÄGYPTEN (Mosè in Egitto), Azione tragica sacra in 3 Akten von Gioacchino Rossini (1792-1868), Text von Andrea Leone Tottola nach 358
dem gleichnamigen Bibeldrama des Padre Francesco Ringhieri. Ort und Zeit der Handlung: Ägypten, um 1225 v. Chr. UA: 5.3. 1818 in Neapel (Teatro San Carlo); für das frz. Theater umgearbeitet als Moise et Pharaon ou Le Passage de la Mer Rouge (Mosè nuovo), Oper in 4 Akten, Text von G. L. Balocchi und V. J. Étienne de Jouy, UA: 26. 3. 1827 in Paris (Académie royale de musique); EA in dt. Sprache: 18. 12. 1820 in Budapest unter dem Titel Eliza und Osiride; dt. EA (in dt. Sprache): Frühjahr 1822 in Frankfurt am Main; dt. EA der 2. Fassung: 24. 3. 1831 in Hamburg. Thema dieser Oper ist die Befreiung der Israeliten aus Ägypten, dargestellt in Anlehnung an die biblische Vorlage. Tottola versuchte, durch Einbeziehung eines zusätzlichen Handlungsstranges (einer Liebesgeschichte zwischen dem Pharaonensohn Amenophis und Anal, der Nichte des Moses) eine handlungslogische Begründung für die unerbittliche Verfolgung der Juden zu schaffen. Rossinis Werk, vom Komponisten selbst einmal als Oratorium bezeichnet, weist in der ersten Fassung eine flächige Konzeption auf, in der die chorischen Blöcke — die beiden Völker darstellend — und die in ausgedehnten Solopartien gezeichneten Charaktere des Pharao und seines Gegenspielers Moses wirkungsvoll kontrastiert werden. Erst in der französischen Fassung wird der Schritt vom Statuarischen zum bühnenwirksamen Dramatisch-Stringenten vollzogen. Bedeutende Änderungen sind darüber hinaus die Neukonzeption des 1. Aktes und die Einführung eines großen Balletts im 3. Akt. Beiden Fassungen gemeinsam ist die richtungweisende symphonische Anlage großer Abschnitte; besonders bemerkenswert ist der Schluß der Oper: der Zug durchs Rote Meer und die Vernichtung der Ägypter werden in einem differenziert gearbeiteten Tongemälde instrumental gezeichnet. Eine ruhig verklingende Schlußphase in C-Dur signalisiert schließlich den Untergang der Feinde und den sicheren Frieden. Die berühmteste Nummer, das Gebet Dal tuo stellato soglio (Der du das All umfassest), schrieb Rossini für die Aufführung in Neapel (1819) nach. R. QUANDT
MOSES UND ARON, Oper in 3 Akten von Arnold Schönberg (1874-1951), Text vom Komponisten nach der Bibel (2. Buch Moses). Ort und Zeit der Handlung: Wüste um den Berg Sinai, zur Zeit des Exodus (ca. 1200 v. Chr.). UA (konzertant): 12. 3. 1954 in Hamburg, UA (szenisch): 6.6. 1957 in Zürich. Schönberg wollte in dieser Bekenntnisdichtung die „Volkwerdung der Juden" darstellen. Drei Handlungsträger verkörpern die „Elemente des mächti-
Motette gen Stoffes": Moses vertritt den Gedanken des unvorstellbaren Gottes, Aron ist der pragmatisch handelnde Volksführer, und der Chor trägt die Rolle des auserwählten Volkes. Die Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Moses und Aron ist nur äußerliche Ausprägung des Zwiespalts zwischen Geist und Materie, Gedanke und Wort oder Ideal und Wirklichkeit. Die aus nur einer Zwölftonreihe entwickelte Komposition, in welcher Moses als dem Träger des Gedankens eine Sprechrolle mit fixierter Tonhöhe, dem Mann der Tat, Aron, eine lyrische Koloratur-Tenorpartie zugewiesen ist, erstreckt sich nur über die ersten beiden Akte. Theatralischer Höhepunkt ist dabei die Szene vom Tanz um das Goldene Kalb. Bei Aufführungen, in denen auf den 3. Akt nicht verzichtet wird, unterlegt man dem gesprochenen Text (Aron stirbt in dem Augenblick, in welchem Moses ihm die Freiheit gibt: der Geist hat gesiegt) meist die Dornbuschmusik (I, 1) oder Schönbergs Musik zu einer Lichtspielszene, op. 34. Die beträchtlichen Schwierigkeiten bei der Realisation führten dazu, daß diese Oper erst etwa 20 Jahre nach dem Tode des Komponisten ins Repertoire mehrerer Bühnen gelangte. Sie fand weite Verbreitung in einem Film von Jean-Marie Straub (1974); für die Musik wurden Schallplattenaufnahmen bereitgestellt. K. LANGROCK MOSONYI, Mihíly (eig. Michael Brand), * 2.9. 1815 Frauenkirchen (heute Österreich), t 31. 10. 1870 Pest; ung. Komponist. Er war Autodidakt und nahm 1834 eine Zeitlang Kompositionsunterricht bei Karl Turányi in Preßburg. Seit 1835 lebte er als Musiklehrer beim Grafen Pejachevich in Rétfalu und ließ sich 1842 endgültig in Pest nieder. Er komponierte zunächst in einem „kosmopolitischen" Stil, gab diesen aber Ende der 1850er Jahre zugunsten der nationalungarischen Bewegung auf und magyarisierte auch seinen Namen. In seinen Kom-
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1845); Streichsextett (1844). — Für Orch.: Ouvertüre (1842); 2 Symphonien (1844, 1856); Gyász-zene (Trauermusik für den Grafen I. Széchenyi) (1860); Klv.-Konzert (1844). — 2) VokalWW: Zahlr. kirchenmusikal. Werke, u. a. 5 Messen, 1 (1840-42), 3 (1849), 5 (1866), 2 u. 4 verschollen. — 3) Biihnen-WW: Opern: Kaiser Max auf der Martinswand (1857); Szép Ilonka (Die schöne Helena), UA: Pest 1861; Álmos, UA: Budapest 1934. Ausg.: Gyászhangok Széchenyi L halálára, in: B. SZ.ABOLCSI, A magyar zenetörténet kézikönyve (Budapest 1947, 2 1955); Álmos, hrsg. v. A. FARKAS (ebd. 1965); Libera me Domine für gem. Chor u. Str., hrsg. v. F. BÓNIS (ebd. 1971). Lit.: F. BÖNIs, M. M. (Budapest 1960); DERS., M. M. magyar óperái (M. M.s ung. Opern), in: Az opera történetéból, hrsg. v. B. SzABOLCSI — D. BARTHA (ebd. 1961), dt. Übers., in: Studia musicologica 2 (1962); Magyar zenetörténeti tanulmányok M. M. és Bartók B. emlékére, hrsg. v. F. BÓNts (ebd. 1973).
MOSSOLOW, Alexander Wassiljewitsch, * 29. 7. (11.8.) 1900 Kiew, t 12. 7. 1973 Moskau; sowjetruss. Pianist und Komponist. Er war 1921-25 Schüler von R. Glière, N. Mjaskowski (Komposition) und S. Prokofjew (Klavier) am Moskauer Konservatorium. Seine zunächst im Stil der westlichen Avantgarde geschriebenen Werke wurden später als formalistisch verurteilt. Daraufhin wandte sich M. einer gemäßigt modernen Schreibweise zu. Seit 1948 sammelte er kirgisische, turkmenische und tadschikische Volkslieder, die er auch in seinen Kompositionen verwendete. WW: 5 Klv.-Sonaten; Kammermusik, u. a. 2 Streichquartette (1928, 1942); 6 Symphonien; Harfenkonzert (1939) u. Vc.-Konzert (1946) sowie 2 Klv.-Konzerte (1927, 1932). — Kirghiz Rhapsody (1933) für Mezzosopran, Chor u. Orch. — Opern Geroj (Der Held), UA: Frankfurt 1927; Plotina (Der Damm), UA: Leningrad 1929.
MOTETTE (engl. und fn.: motet; it.: mottetto; lat.: motetus; span.: motete). Die M. ist in der ersten Zeit der abendländischen Mehrstimmigkeit eine bestimmte Art der Choralbearbeitung und hat ihren Ursprung im Bereich der řNotre-Dame-Schule des 13. Jahrhunderts. Man kann sich ihre Entstehung am besten an einem Beispiel vorstellen.
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