Das große Lexikon der Musik - Band 4. Hal–Kos 3451209489

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Das große Lexikon der Musik - Band 4. Hal–Kos
 3451209489

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HONEGGER / ~LLSSHNKEIL

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DAS GRO SE

LEXIKON DER MUSIK

HERDER

Hal-Kos

4

DAS GROSSE LEXIKON DER

MUSIK in acht Bänden herausgegeben von Marc Honegger und Günther Massenkeil Vierter Band Halbe Note — Kostelanetz

Herder Freiburg Basel Wien

DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK herausgegeben von Günther Massenkeil, Bonn auf der Grundlage des DICTIONNAIRE DE LA MUSIQUE herausgegeben von Marc Honegger, Straßburg, Verlag Bordas, Paris Redaktionelle Bearbeitung der deutschen Ausgabe: Karin Andrae, Hamburg; Christian Berger, Kiel; Charles Biegala, Baden-Baden; Marianne Bröcker, Bonn; Marie-Agnes Dittrich, Hamburg; Ursula Eckart-Bäcker, Aachen; Ingela Flotzinger, Graz; Maria Franke, Au bei Freiburg i. Br.; Maximilian Herbstmeier, München; Thomas B. H. Knospe, Kiel; Dieter Kroll, Oststeinbek bei Hamburg; Ulrich Kurth, Kiel; Dieter Möller, Hamburg; Ulrike Patow, Hamburg; Friedemann Pods, Kiel; Barbara Progscha-Weiner, Hamburg; Gertrud Rinderle, Kirchzarten; Peter Ruschenburg, Hamburg; Roswitha Schlager, Erlangen; Angelus Seipt, Köln; Jerg Trescher, Freiburg i. Br.; Petra Weber-Bockholdt, München; Elisabeth Winkler, Graz; Wolfgang Winkler, Graz sowie die Lexikonredaktion des Verlages Herder

Aktualisierte Sonderausgabe

O der französischen Ausgabe: Bordas 1976 Alle Rechte vorbehalten — Printed in Germany O der deutschen Ausgabe: Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1978 und 1987 Herstellung: Freiburger Graphische Betriebe 1992 ISBN 3-451-20948-9

Allgemeine Abkürzungen

Abb. Abh. Abk. Abt. Acad., Accad. a cap., a tapp. ad lib. AG. and. Akad. amerik. anglik. Anh. Anm. Anon. anon. Ant., Anth. Arch. Art. Assoc., assoc. AT Auff. Aufl. Ausg. ausgew. Ausw.

Abbildung Abhandlung Abkürzung Abteilung Academia, Académie, Accademia a cappella ad libitum Aktien-Gesellschaft althochdeutsch Akademie amerikanisch anglikanisch Anhang Anmerkung Anonymus anonym Antologia, Anthologie Archiv Artikel Association, associé, associated Altes Testament Aufführung Auflage Ausgabe ausgewählt Auswahl

Bar. B.c. Bd., Bde. bearb., Bearb. Beitr. Ber. bes. Bibl. Bibliogr., bibliogr. Bol., Boll. Br. Bsp. Bull. Bz. bzw.

Bariton Basso continuo Band, Bände bearbeitet, Bearbeitung Beitrag, Beiträge Bericht besonders Bibliothek Bibliographie, bibliographisch Boletin, Bolletino Bratsche Beispiel Bulletin Bezeichnung beziehungsweise

C. ca. Cat. Cemb. C.f. Ch. Cie. Co. Cod.

Cantus circa Catalog Cembalo Cantus firmus Chor Compagnie Compagnie Codex

dB ders., dies., dass. d. h. d. i. Diss. Diss. masch. Doz. dt.

Dezibel derselbe, dieselbe, dasselbe das heiBt das ist Dissertation Dissertation maschinengeschrieben Dozent deutsch

EA ebd. ed., Ed. eig. engl. Enz. etc. ev.

Erstaufführung ebenda edidit, Edition eigentlich englisch Enzyklopädie et cetera (= und so weiter) evangelisch

f. f., ff. f., fol. Fag. Faks. Fl. folkl. Forsch. frz. FS

für folgend, folgende Folio Fagott Faksimile Flöte folkloristisch Forschungen französisch Festschrift

GA Gb. gegr. gem.

Gesamtausgabe Generalball gegründet gemischt

V

Ges. Gesch. Ggs. GmbH. GMD gregor. griech. H.

H Hist., hist. hl. Hrsg., hrsg. Hs(s)., hsl.

Gesellschaft Geschichte Gegensatz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Generalmusikdirektor gregorianisch griechisch

ndl. N.F. nhd. Nr(n). N.S. NT

niederländisch Neue Folge neuhochdeutsch Nummer(n) Neue Serie Neues Testament

Ob.

Heft Handbuch Historia, historisch

OHG o. J. o. Nr.

Oboe Ordo Fratrum Minorum (Franziskaner) Offene Handelsgesellschaft ohne Jahr ohne Nummer

Herausgeber, herausgegeben Handschrift(en), handschriftlich

o~ . Orch. Org. OSB

Hz Inc. Inst. Instr., instr. int. it.

Incorporated Institut Instrument, instrumental international, internazionale italienisch

Jb., Jbb. Jg. Jh(h). Jt.

Jahrbuch, Jahrbücher Jahrgang Jahrhundert(e) Jahrtausend

Kap. Kat. kath. Kb. KG. Kgr.-Ber. Klar.

Kapitel Katalog katholisch Kontrabaß Kommandit-Gesellschaft Kongreß-Bericht Klarinette

klass. Klv.

klassisch Klavier

Klv.-A. KMD Kod. Komp. Kons. Kpm.

Klavier-Auszug Kirchenmusikdirektor Kodex Komponist, Komposition Konservatorium Kapellmeister

lat. Libr. Lit. liturg. LP

lateinisch Libretto Literatur liturgisch Longplay, Long Player, Langspielplatte Limited lyrisch

Ltd. lyr.

Mittelalter, mittelalterlich

OFM

ohne

Ostr., östr.

opus rchester Orgel Ordo Sancti Benedicti (Benediktiner) Österreich, österreichisch

Philos., philos. Pk. Plur. poln. port. Pos. Präs. Prof. prot. Prov. Ps(s). pseud.

Philosophie, P philosophisch Pauke Plural polnisch portugiesisch Posaune Präsident Professor protestantisch Provinz Psalm(en) pseudonym

Reg. rel.

Register religiös Revue, Revista Rivista russisch

Rev. Riv. russ.

S. SA Sb. Sing. SingSt SJ SIg(en).

sog. span. St., st. staatl. städt. Str. Stud. S. u. Suppl. Syn., syn.

Seite(n) Société Anonyme Sitzungsbericht(e) Singular Singstimme Societas Jesu (Jesuiten) Sammlung(en) siehe oben Societá, Société Sacer Ordo Cisterciensis (Zisterzienser) sogenannt spanisch Stimme(en), stimmig staatlich städtisch Streicher Studien siehe unten Supplement Synonym, synonym

S. O.

Soc. SOCist

MA, ma. Man. MD MH mhd. Mitt. Ms(s). musikal. Musikwiss., musikwiss.

Musikdirektor Musikhochschule mittelhochdeutsch Mitteilung(en) Manuskript(e) musikalisch Musikwissenschaft, musikwissenschaftlich

Trp. TU

Trompete Technische Universität

NA Nachdr. nat.

Neuausgabe Nachdruck national

u. UA u. a.

und Uraufführung und andere, unter anderem

VI

Manuale

u. ä. Obers. ung. Univ. Unters. unveröff. u. ö. urspr. usf., usw. u. v. a.

und ähnliches Obersetzung ungarisch Universität Untersuchung(en) unveröffentlicht und öfter ursprünglich und so fort, und so weiter und viele andere, unter vielen anderen

veröff. versch. Ven. vgl. Vorb. Vorw.

veröffentlicht verschiedene Verzeichnis vergleiche Vorbereitung Vorwort

wahrsch. Wiss., wiss. WW

wahrscheinlich Wissenschaft, wissenschaftlich Werke (meist Auswahl)

V.

Violine

v. v.

von

z. zahlr. z. B. zeitgen. Zschr. z. T. zus. zw. z. Z.

zu, zum, zur zahlreich(e) zum Beispiel zeitgenössisch Zeitschrift zum Teil zusammen zwischen zur Zeit

voce, voice, voix (Sing. u. Plur.) Viola

Va. Var. Vc. Ver. Veröff.

Variation Violoncello Verein Veröffentlichung(en)

Abkürzungen oft verwendeter Verlagsorte

Amsterdam

H

Hamburg

NY

New York

Anvers (Antwerpen)

He

Helsinki

Oxford

Au

Augsburg

B Ba Bas Be Bol Brau Bru C C/M Ch

Berlin

Hei Hil Hl I Kas Kö Kop L Lau

Heidelberg Hildesheim Halle/Saale

O P

Leipzig Lausanne

Lei

Leiden

Lis Lo Ly

Lisboa (Lissabon)

A An

Da E Erl F Fi Fr G Gö Gr

Barcelona Basel Bern Bologna Braunschweig Bruxelles (Brüssel)

Cambridge Cambridge/Mass. Chicago Darmstadt Edinburgh

Erlangen

Ma

Frankfurt am Main Firenze (Florenz)

Mi Mn Mos

Freiburg im Breisgau Genf Göttingen

Graz

Mr Mz Nü

Innsbruck Kassel Köln Kopenhagen

London Lyon Madrid Milano (Mailand) München Moskau Münster Mainz Nürnberg

Pa

Paris Palermo

Pd

Potsdam

Pr

Prag Roma (Rom) Regensburg Stuttgart Stockholm Strasbourg (Straßburg)

R Rb St Sto Str Tn Tou Tü V W War Wb Wie Wr Wü Z

Torino (Turin) Tournai Tübingen Venezia (Venedig) Wien Warschau Wolfenbüttel

Wiesbaden Weimar Würzburg Zürich

VII

H HALBE NOTE (amerik.: half note; engl.: minim; frz.: blanche; it.: minima; span.: bianca), Bz. für eine aus der /Minima hervorgegangene Note. Zeichen: J . Die ihr entsprechende Pause ist die /halbe Pause. HALBE PAUSE (engl.: minim rest; frz.: demipause; it.: pausa di bianca; span.: silencio de Blanca), Bz. für eine Pause (--=), die der Dauer einer /halben Note entspricht. HALBGEDACKT, halb gedeckt, werden Registerpfeifen einer Orgel genannt, die eine Zwischenstellung zu den offenen und řgedackten Pfeifen einnehmen. Ihr Hut hat eine Bohrung, in die ein Röhrchen eingelötet ist. Der Klang ist flötenartig und heller als bei gedackten Registern. Wichtigstes Register ist die Rohrflöte zu 8' und 4', seltener zu 2'. Auch Rohrgedackt zu 8' und 4' und die /Aliquotstimme Rohrquinte zu 5 1 /3' und 22/3' gehören zu diesem Registertyp. HALBMOND. — 1) /Schellenbaum. — 2) Bz. für einen im 18. Jh. gebräuchlichen halbmondförmigen Trompetentypus, der das Spielen von Stopftönen ermöglichte. Der unbefriedigenden Tonqualität wegen kam der H. bereits Anfang des 19. Jh. wieder außer Gebrauch. HALBSATZ /Periode. HALBSCHLUSS /Kadenz. HALBTON (engl.: half -tone, auch semitone; frz.: demi-ton; it. und span.: semitono). Im System der /temperierten Stimmung ist der H. ein Zwölftel der Oktave und damit das kleinste Intervall (= temperierter H.). Er entspricht der kleinen /Sekunde. Die musikalische Praxis unterscheidet zwischen diatonischem H. (= kleine Sekunde, z. B. g—as), chromatischem H. (= übermäßige Prim, z. B. g—gis) und enharmonischem H. (= doppelt vermin-

derte Terz, z. B. fis—asas). Zwei dieser Halbtöne — ein chromatischer (g—gis) und ein diatonischer (gis —a) — ergeben einen řGanzton. — Der pythagoreische H. (OEpythagoreische Stimmung) ist entweder als diatonischer H. aus der Differenz von 3 Oktaven und 5 Quinten (243 : 256 = Limma) oder als chromatischer H. aus der Differenz von 7 Quinten und 4 Oktaven (2048 : 2187 = Apotome) gebildet. Die harmonisch-reine Stimmung unterscheidet den natürlich-harmonischen H. (15:16), das große Chroma (128:135) und das kleine Chroma (24:25). — Intervall. HALÉVY. — 1) Jacques François Fromental (Fromentin) Élie, * 27.5.1799 Paris, t 17.3.1862 Nizza; frz. Komponist. Schon vor Vollendung des 10. Lebensjahres in das Pariser Conservatoire aufgenommen, studierte er Solfège bei F. Cazot, Klavier bei G. J. L. Lambert, Harmonielehre bei H. M. Berton und Komposition bei L. Cherubini. 1819 erhielt er für seine Kantate Herminie den Prix de Rome. Nach dreijährigem Aufenthalt in Italien, wo mutmaßlich wesentliche Teile seiner unaufgeführt gebliebenen ernsten Frühopern entstanden, kehrte er über Wien 1823 nach Paris zurück. Da es ihm nicht gelang, an der Opéra Fuß zu fassen, wandte er sich weitgehend der Komposition von Opéras-comiques zu. 1827 wurden im Théatre Feydeau sein Einakter L'artisan und das zum Geburtstag König Karls X. gemeinsam mit L. V. E. Rifaut komponierte Gelegenheitswerk Le roi et le batelier aufgeführt. Noch im selben Jahr wurde H. als Nachfolger von A. Daussoigne Professor für Harmonie und Accompagnement am Conservatoire. Gleichzeitig übernahm er am Théatre-Italien, das 1828 seine italienische Oper Clari und 1829 den Einakter La dilettante d'Avignon herausbrachte, die Stelle eines Maestro al cembalo, die er bis 1830 innehatte. Seit etwa 1833 bis 1845 war er an der Opéra Chef du chant, lehrte seit 1833 am Pariser Conservatoire Kontrapunkt als Nachfolger von F. J. Fétis und seit 1840 Komposition. 1835 machten ihn der ernste 1

Halévy Fünfakter La juive an der Opéra und der heitere Dreiakter L'éclair an der Opéra-Comique schlagartig berühmt. 1836 wurde er Nachfolger des verstorbenen A. Reicha in der Académie des BeauxArts, 1844 deren Vizepräsident und 1854 deren ständiger Sekretär. Zu seinen Schülern gehörten V. Massé, F.-E.-J. Bazin, Ch. Gounod, Ch. Lecocq und sein späterer Schwiegersohn G. Bizet. WW: 1) Instr.-WW: Rondeau ou Caprice pour piano (W o. J.); Les cendres de Napoléon. Marche funèbre composée à l'occasion de la translation des cendres für Orch. (Mz o.J.). - 2) Vokal-WW: Kantaten: Les derniers moments du Tasse (1816); La mort d' Adonis (1817); Herminie (1819); Les plages du Nil (1846) für SingSt u. Klv. (P o.J.); Italie (1859); Marche funèbre et De profundis en Hebreu (1820) für 3 SingSt u. Orch. (P o. J.); Messe de l'Orphéon für 4 Männerst., Sopran u. Org. ad lib. (zus. mit A. Adam u. L. Clapisson, v. H.: Sanctus u. Agnus Del) (P 1851): zahlr. geistliche Kompositionen, Männerchöre u. Gesänge (z. T. unveröff.). - 3) Bühnen-WW (wenn nichts anderes angegeben, in Paris uraufgeführt): a) Opéras: Les Bohémiennes (1819-20), nicht aufgeführt; Pygmalion (1823-24), nicht aufgeführt; Frostrate (vor 1824), nicht aufgeführt; Clari, UA: 1828; La juive (Libr.: A. E. Scribe), UA: 1835 (P 1836 u. ö.); Guido et Ginevra ou La peste de Florence (Libr.: ders.), UA: 1838 (L o.J.); Le drapier (Libr.: ders.), UA: 1840; La reine de Chypre (Libr.: J. H. Vernoy de Saint-Georges), UA: 1841 (P 1841); Charles VI (Libr.: C. und G. Delavigne), UA: 1843 (P o. J.); Le lazzarone ou Le bien vient en dormant (Libr.: Saint-Georges), UA: 1844 (P o. J.); Les premiers pas (Libr.: G. Vaez, A. Reyer), Scène prologue (zusammen mit A. Adam, D. F. E. Auber und M. E. Carafa), UA: 1847; La tempestà (Libr.: Scribe nach Shakespeare), UA: London 1850, frz. EA: 1851; Le juif errant (Libr.: Scribe, Saint-Georges), UA: 1852; Le Nabab (Libr.: dies.), UA: 1853 (P o. J.); La magicienne (Libr.: Saint-Georges), UA: 1858 (P o. J.); Noé ou Le déluge (Libr.: ders.) vollendet von Bizet (1868-69), UA: Karlsruhe 1885 (P 1885). - b) Opéras-comiques: Les deux pavillons ou Le jaloux et le méfiant (1824) (Libr.: J. A. C. Vial), nicht aufgeführt; L'artisan (Libr.: G. de Pixérécourt), UA: 1827; Le roi et le batelier (zus. mit L. V. E. Rifaut), UA: 1827; La dilettante d 'Avignon (Libr.: F. B. Hoffman, L. Halévy), UA: 1829 (P o. J.); Attendre et courir (Libr.: Fulgence, Henri) (zus. mit H. de Roulz), UA: 1830; La langue musicale (Libr.: Gabriel, Moreau), UA: 1831; Yelva (1832) (Libr.: Moreau, P. Duport), nicht aufgeführt; Les souvenirs de Lafleur (Libr.: Carmont, Courey), UA: 1833; Ludovic (Libr.: SaintGeorges), Komposition begonnen v. F. Hérold, UA: 1833; L'éclair (Libr.: ders., F.A.E. Planard), UA: 1835 (P 1836); Les treize (Libr.: Scribe, Duport), UA: 1839 (Lo.J.); Le shérif (Libr.: Scribe), UA: 1839; Le guitarrero (Libr.: ders.), UA: 1841 (P - B 1841); Les mousquetaires de la reine (Libr.: Saint-Georges), UA: 1846 (P 1846); Le val d'Andorre (Libr.: ders.), UA: 1848 (P 1848); La fée aux roses (Libr.: Scribe, Saint-Georges), UA: 1849 (P 1849); La dame de pique (Libr.: Scribe), UA: 1850; L'inconsolable (unter Pseudonym Alberti), UA: 1855; Jaguarita l'indienne (Libr.: Saint-Georges. A. de Leuven), UA: 1855 (P o. J.); Valentine d'Aubigni (Libr.: J. Barbier, M. Carrée), UA: 1856. c) Versch. Bühnen-WW: Ballett Manon Lescaut (Scribe), UA: 1830 (P o.J.); Ballettoper La Tentation (zus. mit C. Gide), UA: 1832; Prométhée enchainé (1849) (Aeschylos), Bühnenmusik zu L. Halévys frz. Übers. (P o. J.). - 4) Schriften: Leçons de lecture musicale pour les écoles de la ville de Paris (P 1857); Souvenirs et portraits. Études sur les Beaux-Arts (darin u. a. Les origines de l'opéra en France ..., G. Allegri, L'organiste Froberger, G. Onslow, A. Adam) (P 1862); Derniers souvenirs et portraits ... (darin u. a. Mozart, Boucher-Desmoyers, Nourrit, Berton, ,Lettres sur la musique') (P 1863); Souvenirs d'un ami

2

pour joindre à ceux d'un frère (P 1863); Notice sur la vie et les ouvrages de Cherubini (zus. mit Raoul-Rochette) (P 1843); Notice sur la vie et les ouvrages d 'Adolphe Adam (P 1859).

Trotz des quantitativen wie qualitativen Übergewichtes seiner heiteren Opern beruht H.s Bedeutung für die Operngeschichte auf seinen ernsten Bühnenwerken. Zur Nachahmung fremder Muster hochbegabt, beeinflußte er nachhaltig die Entwicklung der um 1830 in Mode gekommenen Oper mit historischem Sujet, die dem visuellen, akustischmusikalischen und sinnlichen Reiz- und Sensationsbedürfnis des wohlhabenden Bürgertums weitgehend Rechnung trug. Für die französische ernste Oper bedeuteten La juive (1835), Guido et Ginevra (1838), Le drapier (1840), La reine de Chypre (1841), Charles VI (1843) und Le lazzarone (1844) nach Jahren des Tiefstands einen ebenso raschen wie glänzenden Wiederaufstieg. Mit diesen Werken erweist sich H. neben G. Meyerbeer, dessen musikdramatische Technik und Stil er im Grunde nur getreu kopierte, als wichtigster Vertreter der „Grand opéra", dem musikalischen Pendant zum romantischen Drama V. Hugos. Ständig um größtmögliche Ausschöpfung aller szenischen, vokalen und instrumentalen Ausdrucksmittel bemüht, überschätzte er dabei letztlich seine Fähigkeiten als Musikdramatiker. H.s eigentliche Begabung zeigte sich in seinen heiteren Opern in der Nachfolge D. F. E. Aubers und Fr. A. Boieldieus, die in L'éclair (1835), Les mousquetaires (1846) und in Le val d' Andorre (1848) ihre künstlerischen Höhepunkte fanden. 2) Ludovic, Neffe von 1) und Sohn des Schriftstellers Léon H., * 1.1.1834 Paris, t 7.5.1908 ebd.; Schriftsteller und Librettist. Er schrieb zusammen mit H. Crémieux bzw. H. Meilhac etwa 20 Libretti für J. Offenbach, darunter für La belle Hélène und La Vie parisienne, ferner mit Meilhac das Libretto zu G. Bizets Carmen und das Vaudeville-Libretto La réveillon, das C. Haffner und R. Genée für ihr Libretto zu J. Strauß' Fledermaus verwendeten. Lit.: Zu t): CH. DE LORBAC, F. H. (P 1862); E. MONNAIS, F. H., in: Revue et Gazette musicale (P 1863); A. POUGSN, F. H., écrivain (P 1865); R. WAGNER, Bericht über eine neue Pariser Oper, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen 1 (L'1897); E. HANSLICK, J. F. H., in: Die moderne Oper IX (B 1900); M. CURTISS, F. H., in: MO 39 (1953); W. PFANNKUCH, F. H., in: MGG V; J. W. KLEIN, in: MR 23 (1962); DERS., in: Opera Annual 8 (1962); DERS., H.'s „La juive", in: MT 114 (1973); H. CH. WOLFF, H. als Kunst- u. Musikschriftsteller, in: FS K. G. Fellerer (Kö 1973). W. PFANNKUCH

HALEY, Bill, * 6.7. 1927 Highland Park (Michigan), t 9.2. 1981 Los Angeles; amerik. Rocksänger. H., der Begründer des r Rock and Roll, war zunächst Musik-Manager einer Radiostation, gehörte einige Zeit der Country-Band The Saddlemen an

Halffter Jiménez und gründete 1954 die Band The Comets, mit der er die meisten seiner späteren Hits aufnahm. Den sensationellsten Erfolg errang er mit Rock Around The Clock (Leitmotiv des Rockerfilms Blackboard Jungle, dt.: Die Saat der Gewalt), mit dem sich die Jugendlichen der 50er Jahre in Amerika wie in Europa identifizierten. H.s übersteigerter Rock-Stil wurde in der Folge von Interpreten wie Little Richard, Elvis Presley, Buddy Holly, Fats Domino und Chuck Berry modifiziert und verfeinert.

HALF A SIXPENCE, engl. Musical in 2 Akten von David Heneker (* 1906), der die Musik und die Song-Texte schrieb, Buch von Beverley Cross nach dem Roman Kipps von H. G. Wells. Ort und Zeit der Handlung: Folkstone (England), um die Jahrhundertwende. UA: 21.3. 1963 in London (Cambridge Theatre); dt. EA (in dt. Sprache): 21. 4. 1964 in Mannheim (Nationaltheater), Übersetzung von Peter Hirche. Verfilmt 1967 mit Tommy Steele unter der Regie von George Sidney. Mit Half a Sixpence begründete der englische Rock'n'Roll-Star Tommy Steele seinen Ruf als Musical-Darsteller. Die Geschichte des Waisenjungen Arthur Kipps, der Karriere macht und schließlich seine Jugendliebe heiratet, wurde speziell für Steele zum Musical umgearbeitet und inszeniert. Zu den bekanntesten Nummern des Werkes gehören das Duett Half a Sixpence und der parodistische Song Flash! Bang! Wallop!. Das Musical lief in London 677mal en suite; Steele spielte auch die Hauptrolle am Broadway (EA: 25.'4. 1965, Broadhurst Theater). In der amerikanischen Version wurde das tänzerische Moment im Werk stärker betont. R.-M. SIMON - S. SIMON HALFFTER JIMÉNEZ. — 1) Rodolfo, * 30. 10. 1900 Madrid; mexikanischer Komponist dt. Herkunft. Er studierte bei M. de Falla Komposition. Bis zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs (1936) schrieb er für die Madrider Tageszeitung La voz. 1939 emigrierte er über Paris nach Mexiko und übernahm am Nationalkonservatorium in Mexico City eine Dozentur für Theorie und Tonsatz. In seinen Kompositionen sucht er Elementarstrukturen der spanisch-mexikanischen Musikfolklore mit neuzeitlichen, zuletzt auch mit Satztechniken der Schönberg-Schule zu vereinen. 1946-58 gab er die Zeitschrift Nuestra música heraus. Er gehörte zur Herausgebergruppe des Verlags „Ediciones Mexicanas de Música". WW: 1) Instr.-WW: Dos sonatas de El Escorial, op. 2 (1928); Klv.-Sonaten, op. 16 (1947), op. 20 (1951) u. op. 30 (1967); Streichquartett, op. 24 (1958); Vc.-Sonate, op. 26 (1960); für Orch.: Vc.-Konzert, op. 11 (1940); Tripartita, op. 25 (1959); Diferencias (1970). - 2) Vokal-WW: Desterra, op. 31 (1967) für

SingSt u. Klv.; Pregón para una pascua pobre, op. 32 (1968) für gem. Chor, Trompeten, Posaunen u. Schlagzeug. - 3) BïaneoWW: Oper Clavileňo, op. 8 (1936); Ballette: Don Lindo de Almeria, op. 7 (1935), UA: Mexico City 1940; La madrugada del panadero, op. 12, UA: ebd. 1940; Elena la traicionera, op. 14, UA; ebd. 1945.

2) Ernesto Escriche, Bruder von 1), * 16. 1. 1905 Madrid; span. Komponist. Er studierte bei M. de Falla Komposition. 1934 wurde er zum Direktor des Konservatoriums von Sevilla berufen. 1936 verließ er Spanien zu Beginn des Bürgerkriegs. Nach Aufenthalten in New York und Lissabon kehrte er 1960 nach Madrid zurück. Aus dem Nachlaß de Fallas vollendete er dessen szenische Kantate Atlántida, die 1961 zur Konzertpremiere in Barcelona und 1962 zur Bühnenuraufführung an der Mailänder Scala gelangte. H.s Kompositionsstil verbindet Formen der Frühklassik mit melodischrhythmischen Elementen der iberischen Musikfolklore (Rapsodia portuguesa). WW: Kammermusik u. Klv.-Werke; für Orch.: Sinfonietta (1925); Paysage mort; Rapsodia portuguesa (1938) für KIv. u. Orch.; Gitarrenkonzert (1968); Lieder; Canticum in P. P. Johannem XXIII (1964) für Soli, Chor u. Orch.; ferner Hymnus laudi (1969) (zum Andenken an M. de Falla); Opern: La muerte de Carmen; Entr'acte (1964); Ballette: Sonatina (1928); Fantasia galaica, UA: Mailand 1967.

3) Cristóbal, Neffe von 1) und 2), *24. 3. 1930 Madrid; span. Komponist und Dirigent. Er studierte 1947-51 bei C. del Campo y Zabaleta am Nationalkonservatorium in Madrid, an dem er 1962 eine Professur für Komposition erhielt und dessen Direktor er 1964-66 war. Sein kompositorisches Schaffen greift die in Spanien durch M. de Falla, in Ungarn durch B. Bartók und in Rußland durch den frühen I. Strawinsky kultivierten folkloristischen Satztechniken auf und entwickelt sie, auch mit elektronischen Klängen gemischt, in multimediale Bereiche weiter. 1967 war er Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin und fand von hier aus Zugang zu den Uraufführungsplätzen der westeuropäischen Avantgarde. WW: 1) lnstr.-WW: Klv.-Sonate (1950); 2 Streichquartette (1955, 1970); Sonate für V.solo (1959); 3 F1.-Stücke (1959); Formantes (1961) für 2 KIv.; Espejos (1963) für 4 Schlagzeuger u. Tonband; Codex (1963) für Gitarre; Concertino (1956) für Streichorch.; Líneasypuntos (1967) fürelektronische Klänge u.20 Bläser; Llanto por las victimas de la violencia (1971) für Kammerensemble u. elektronische Klangumwandlung; Tiempo para espacios (1974) für Cemb. u. Str. - Für Orch.: Scherzo (1951); Cinco microformas (1960); Rapsodia espaňola de Albéniz (1960) für Klv. u. Orch.; Sinfonia para tres grupos instrumentales (1963); Secuencias (1964); Anillos (1968), auch als Ballett; Fibonaciana (1970) für Fl. u. Orch.; Requiem por la libertad imaginada (1971); Klv.-Konzert (1953); Pinturas negras (1972) für Orgel u. Orch.; Tiempo para espacios (1974) für Cemb. u. Str.; Processional (1974) für 2 KIv. u. Orch.; Vc.-Konzert (1975). - 2) Vokal-WW: Kantaten: Antifona pascual a la virgen „Regina coeli" (1952) für Solistenquartett, gem. Chor u. Orch.; In expectatione resurrectionis Domini (1962) für Bar., Männerchor u. Orch.; Lieder, u. a.

3

Halka 3 Lieder (1965) (Text: B. Brecht) für 2 St. u. 2 Klv., auch für Sopran u. Orch. (1967); Misa para la juventud (1965); Symposion (1966) für Bar., gem. Chor u. Orch.; Yes speak out, yes (UNOKantate) (1968) für Sopran, Bar., gem. Chöre u. Orch.; ferner Misa ducal (1956) für gem. Chor u. Orch.; Noche pasiva del sentido (1970) (Text: Johannes vom Kreuz) für Stimmen u. 2 Schlagzeuger; In memoriam Anaick (1973) für Sprecher, Chor u. Instr. — 3) Bühnen-WW: Oper Don Quijote, UA: Düsseldorf 1970; Ballette Saëta, UA: Madrid 1955, u. Anillos, UA: Lyon 1971. Lit.: Zu 1): J. BAL Y GAY, R. H., in: Nuestra música (Mexico 1946) Nr. 3; Werk-Ven., in: Boletín de música y artes visuales (1954) Nr. 55/56, u. in: Compositores de América 2 (Washington/ D.C. 1956, Nachdr. 1962). — Za 3): M. VALLS, La música espaňola después de M. de Falla (Ma 1962); A. CUSTER, Contemporary Music in Spain, in: MQ 51 (1965); T. MARCO, C. H. (Valencia 1972) (= Artistas espaňoles contemporáneos 34); K. H. KUPPEL, C. H.s Kantate „Yes speak out, yes", in: Musica 27 (1973). H. LINDLAR

HALKA, Oper in vier Akten von Stanislaw Moniuszko (1819-1872), Text von Wlodzimierz Wolski nach K. W. Wójcickis Erzählung Góralka. Ort und Zeit der Handlung: polnische Karpaten, um 1840. UA: 1. 1.1858 in Warschau; EA in dt. Sprache: 1888 in Riga; dt. EA: 14.5. 1935 in Hamburg. Die Liebesbeziehung des Landedelmannes Janusz zum Bauernmädchen Halka, das ihm ein Kind geboren hat, bildet die Vorgeschichte der Oper. Die dramatische Handlung selbst gewinnt ihre Spannung aus dem unüberbrückbaren Gegensatz, der die beiden Personen nun voneinander trennt: Janusz folgt ohne sonderliche Skrupel den gesellschaftlichen Normen und heiratet standesgemäß; Halka beruft sich einzig auf die Rechte des reinen Gefühls, zerbricht unter dem Leid ihres Verlassenseins und geht in den Tod. Zwischen diesen Polen der Konstellation vermittelt die Figur des Jontek, der Halka bedingungslos liebt und zugleich die Kritik an der Moral der herrschenden Klasse zu artikulieren vermag. Einesteils war Moniuszko, dessen musikdramatisch differenzierte Gestaltung der psychischen Konflikte von hoher Intensität ist, bei der Komposition seines Hauptwerks offensichtlich mit der zeitgenössischen Musik Westeuropas vertraut; andernteils gab ihm das Sujet mannigfache Möglichkeiten, Stilelemente und Formprinzipien der polnischen Volksmusik integrierend aufzunehmen. „Nationale" Charakteristika prägen die Fülle der kantablen Melodien ebenso wie die breiten Chorpartien und Tanzszenen: Die emphatisch gefeierte UA der auf vier Akte erweiterten Komposition — eine frühere, zweiaktige Version gelangte nur in Wilna (konzertant am 1. 1. 1848, szenisch am 28. 2. 1854) zur Aufführung — markiert den Beginn einer eigenständig polnischen Operntradition. E. FISCHER

HALL, Jim (James Stanley), *4. 12. 1930 Buffalo (New York), amerik. Jazzmusiker (Gitarre). Er 4

spielte 1955-56 bei Chico Hamilton, wurde 1956 Mitglied des jazzgeschichtlich bedeutsamen Jimmy Giuffre-Trios, unterrichtete daneben 1957-59 an der School of Jazz in Lenox und ging dann mit Giuffre auf Europatournee. 1960 begleitete er Ella Fitzgerald in Südamerika, hatte von 1960-61 ein Duo mit Lee Konitz, spielte von 1961-62 bei Sonny Rollins, leitete von 1962-63 ein Trio und trat 1962-64 mit Art Farmer auf. 1965 bildete er ein neues Trio, nahm 1968 am Jazzfestival in New Port und 1969 an den Berliner Jazztagen teil. In den 70er Jahren spielte er u. a. auch wieder mit Art Farmer zusammen. H., der vom Cool Jazz, aber auch vom Blues geprägt ist, gehört zu den stilbildenden Gitarristen des modernen Jazz. HALLÉ, Sir Charles (eig. Karl Halle), * 11. 4. 1819 Hagen (Westfalen), t 25. 10. 1895 Manchester; engl. Pianist und Dirigent dt. Herkunft. Er trat bereits 4jährig öffentlich auf. Nach kurzem Musikunterricht 1835 bei Chr. H. Rinck und G. Weber in Darmstadt kam er 1836 nach Paris, wo er die Bekanntschaft von Fr. Chopin, Fr. Liszt, H. Berlioz, L. Cherubini und R. Wagner machte. 1843 konzertierte er erstmals in England. Seit 1846 veranstaltete er in Paris Kammermusikkonzerte mit D. Alard und A. Franchomme. Die Februarrevolution 1848 zwang ihn zur Flucht nach London, wo er als Pianist geschätzt war. 1850 wurde er in Manchester Dirigent der Gentlemen's Concerts. In London begann er bald, zunächst in seinem Haus, Konzertreihen mit Klaviermusik. Sie gewannen seit 1861 als Hallé's Pianoforte Recitals große Popularität. Seit 1858 konzertierte er mit dem von ihm in Manchester gegründeten Orchester, das áls Hallé Orchestra berühmt wurde. Er dirigierte u. a. auch das Orchester der Sacred Harmonic Society in London und der Liverpool Philharmonic Society, das er seit 1883 als Nachfolger von M. Bruch leitete. 1893 wurde er Direktor des neugegründeten Royal Manchester College of Music. H. übte durch seine vielfältigen Tätigkeiten einen nachhaltigen Einfluß auf das britische Musikleben aus. Das Hallé Orchestra zählt noch heute zu den führenden britischen Orchestern. H. schrieb auch einige Klavierstücke und gab musikpädagogische Werke heraus (Practical Pianoforte School, Lo 1873 ff.; Musical Library, Lo 1876ff.). Lit.: Life and Letters of Sir Ch. H. Being an Autobiography, hrsg. v. C. E. u. M. HALLÉ (Lo 1896); H. BIELENBERG, K.H. (Hagen 1949); G. RIGBY, Sir Ch. H. A Portrait for To Day (Manchester 1952); C. B. REEs,One Hundred Years of the H. (Lo 1957); M. KENNEDY, The H. Tradition (Manchester 1960); The Autobiography of Ch. H., With Correspondence and Diaries, hrsg. v. DEMS. (N Y 1973); J. BOULTON, Ch. H., in: MR 34 (1973).

Haustein HALLELUJA, Hallelujah (hebräisch, = bringt Jahwe Lobgesang dar), biblischer Gebetsruf. Seit der Vulgata und dem Gregorianischen Gesang wurde die Form/Alleluia üblich, während die mailändische Liturgie die Form H. beibehielt. Auch im protestantischen und anglikanischen Bereich wird die Form H. bevorzugt. Eine berühmte Vertonung ist das Halleluja aus dem Messiah von G. Fr. Händel. — 7 Akklamation. HALLER, Hans-Peter, * 26. 10. 1929 Radolfzell; dt. Komponist. H. war bis 1950 Kompositionsschüler von W. Fortner am Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg und von R. Leibowitz in Paris. Anschließend wurde der Musikredakteur beim SWF. 1954-58 studierte er Musikwissenschaft bei W. Gurlitt an der Universität Freiburg, war seit 1959 erneut Redakteur beim SWF mit Sonderaufgabe elektronische Musik und seit 1972 Leiter des Experimentalstudios der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWF in Freiburg im Breisgau. Seit 1977 lehrt er als Professor an der dortigen Musikhochschule und seit 1974 auch als Gastdozent an den Universitäten Freiburg und Basel sowie bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt. H. komponierte Chor-, Orgel- und Kammermusik und zahlreiche Fernsehfilm- und Hörspielmusiken. WW: Klanginformation für Orgel, UA: Kassel 1967; Variationen für Orgel u. Live Elektronik, UA: ebd. 1973; Spektral, Variationen für Hängebecken, Bläserquintett u. Live Elektronik, UA: Genf 1977; Workshop I für Sopran u. elektronische Klangumformung, UA: Warschau 1979; Workshop II für 4 Fl. (1 Spieler) u. elektronische Klangumformung, UA: Bremen 1980.

HALLER, Michael Georg, * 13. 1. 1840 Neusaat (Oberpfalz), ý 4. 1. 1915 Regensburg; dt. Komponist. Er studierte Theologie in Regensburg und nach seiner Priesterweihe (1864) Kirchenmusik bei Joseph Schrems. 1867 wurde er Kapellmeister der Alten Kapelle in Regensburg und war 1874-1910 Lehrer für Kontrapunkt und Komposition an der dortigen Kirchenmusikschule. Mit seinen kirchenmusikalischen Werken, darunter 4-8 st. Messen und Motetten, gehört H. zu den Vertretern des řCäcilianismus in seiner strengen Richtung. Er schrieb auch einige Oratorien und Kantaten, weltliche Chöre und Lieder sowie Singspiele. H. verfaßte ferner ein Vademecum und Übungsbuch für den Gesang-Unterricht (Rb 1875) sowie eine Kompositionslehre für polyphonen Kirchengesang (Rb 1891). Lit.: H. KAMMERER, Leben u. Werk M. H.s (Diss. Mn 1956); DERS., in: KmJb 44 (1960) (mit Werk-Verz.). — řCäcilianismus.

HALLETZ, Erwin (Pseudonym: René Roulette), *12. 7. 1923 Wien; östr. Komponist. H. studierte 1937-42 an der Akademie für Musik und darstel-

lende Kunst in Wien. Seit 1945 als Tanzmusiker tätig, leitete er bis 1953 ein eigenes Show-Orchester. Seither lebt er als freischaffender Komponist. WW: Operette Träume vom Glück, UA: Wien 1959; TeenagerBallett, UA: ebd. 1960; Musical Die Gräfin vom Naschmarkt, UA: ebd. 1978; Musik zu zahlr. Filmen, u. a. zu Ein tolles Früchtchen (1953); Einmal eine große Dame sein (1958); Träume von der Südsee (1957); Der Stern von Santa Clara (1958); Der Arzt von St. Pauli; ferner Musik zu zahlr. Fernsehspielen u. Shows.

HALLING, norwegischer Männertanz im 2/4- oder — seltener — 6 /8-Takt bei lebhaftem bis schnellem Tempo. Mitten im Tanz hält ein Tänzer einen Hut auf einer langen Stange hoch, den die anderen herunterzuholen versuchen. Der H. wird von der ?Hardanger Fiedel begleitet. In der Kunstmusik haben O. Bull und E. Grieg (Lyriske stykker) für Klavier H.s geschrieben. HALLNÄS, Johan Hilding, * 24.5.1903 Halmstad (Halland); schwedischer Komponist. Er wurde am Musikonservatorium in Stockholm zum Organisten und Musiklehrer ausgebildet, studierte dann 1929 Orgel bei A. Cellier in Paris und 1930 Komposition bei H. Grabner in Leipzig. Danach war er Musiklehrer in Strömstad, Organist in Jönköping und seit 1933 Organist und Kantor in Göteborg. Seit 1954 bedient sich H. der Zwölftontechnik. WW: 1) 1[astr.-WW: Klv.-Stücke; 2 V.-Sonaten (1971, 1975); Triptychon für V., Klar. u. Klv. (1973); A liberta (1974) für Klv.Trio; 2 Streichquartette (1949, 1967); Quartett für 3 Spieler Canzone de sonar (1971) für V., Klar., Klv., Glockenspiel u. kleines Schlagzeug; Horisont och linjespelt (1969) für 13 Str. — Für Orch.: Concerto per archi, timpani e percussioni (1959); En grekisk saga (1967); 7 Symphonien: 1 (1935), 2 (1942), 3: Sinfonia notturna (1948) für Str., 4: Metamorfosi sinfoniche (1954), 5: Sinfonia aforistica (1963), 6: Intima (1966) für Vibraphon, Celesta, Harfe, Schlagzeug u. Streichorch., 7: A Quite Small Symphony (1973); 2 V.-Konzerte (1945, 1965); Klv.-Konzert (1956); 2 Fl. Konzerte (1958, 1962); Ob.-Konzert Momenti bucolichi (1969) mit Klv., Celesta, Schlagzeug u. Streichorch. — 2) Vokal-WW: Messe für gem. Chor, Bläser u. Org. (1953); Cantata (1955) für Sopran, Fl., Klar., Vc. u. Klv.; ferner etwa 40 Chor- u. 100 Sololieder. — 3) Böknen-WW: Ballette: Kärlekens ringdans (Reigentanz der Liebe), UA: Göteborg 1956; Ifigenia (1962).

HALLSTEIN, Ingeborg, *23. 5. 1937 München: dt. Sängerin (Sopran). Nach der Ausbildung u. a. bei ihrer Mutter Elisabeth H. debütierte sie 1957 in Passau als Musette in G. Puccinis Oper La Bohéme, sang danach in Basel und am Theater am Gärtnerplatz in München und ist seit 1961 Mitglied der Bayerischen Staatsoper. Gastspiele führten sie auch an andere bedeutende Opernhäuser in Europa und Südamerika. Seit 1960 sang sie regelmäßig auch bei den Salzburger Festspielen, u. a. 1966 in der Uraufführung der Bassariden von H. W. Henze. I. H. feierte bedeutende Erfolge im Koloraturfach (auch in der Operette) und mehr und mehr auch als Oratorien- und Liedersängerin. 5

Halm

HALM, August Otto, * 26. 10.1869 Großaltdorf (Württemberg), t 1.2. 1929 Saalfeld (Thüringen); dt. Musikpädagoge, Komponist und Musikschriftsteller. Ersten Musikunterricht erhielt er von seinem Vater, einem Pastor. Er studierte in Tübingen Theologie an der Universität und Komposition bei dem akademischen Musikdirektor Emil Kauffmann, der ihn mit H. Wolf bekannt machte. 1892-94 setzte er sein Musikstudium an der Akademie der Tonkunst in München bei J. Rheinberger und F. von Weingartner fort. H. entfaltete eine rege Tätigkeit als Musiklehrer, Chorleiter, Komponist, Kritiker und Schriftsteller und wirkte zunächst in Heilbronn, 1903-06 als Musikerzieher am Landerziehungsheim in Haubinda (Thüringen), 1906-10 an der Freien Schulgemeinde in Wickersdorf bei Saalfeld, 1910-13 in Ulm, 1913-14 in Stuttgart, 1914-20 in Esslingen am Neckar und seit 1920 wieder in Wickersdorf. Als Komponist zunächst von H. Wolf ausgehend, widmete er sich bald fast ausschließlich der Instrumentalmusik, für die ihm J. S. Bach und A. Bruckner Vorbilder waren. Er übte maßgeblichen Einfluß auf die Initiatoren der Singbewegung (/Jugendbewegung), vor allem auf Fr. Jöde und H. Mersmann, sowie auf den Musikforscher E. Kurth aus. Von seinen Schriften, in denen Begriff und Wesen der musikalischen Form im Mittelpunkt stehen, sind vor allem Von zwei Kulturen der Musik und Beethoven auch heute noch von Interesse. Seit 1929 gibt es eine A.-H.-Gesellschaft; ein A.-H.-Archiv befindet sich im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Klv.-Werke; Suiten für Streichtrio u. KN. -Trio; 8 Streichquartette; 2 Symphonien (1910, 1925); Chorwerke; Bühnenmusik zu zahlr. Shakespeare -Werken. 2) Schriften: Harmonielehre (B 1905, 21917); Von zwei Kulturen in der Musik (Mn 1913, St 3 1947); Die Symphonie A. Bruckners (Mn 1913, 2 1923); Von Grenzen u. Ländern der Musik (Mn 1916) (gesammelte Aufsätze); UberBachs Konzertform, in: Bach-Jb. 16 (1919); Einführung in die Musik (B 1926, Nachdr. Da 1966): Beethoven (B 1926, Nachdr. Da 1971); ferner zahlr. Art. in: Wikkersdorfer Jb. 1-11 (Jena 1908-20). Lit.: H. HOcKNER, Die Musik in der dt. Jugendbewegung (Wb 1927); TH. K. SCHMID, Zum Tode A. H.s, in: Die Singgemeinde 5 (1928-29); R. SCHILLING, Die Musikanschauung A. H.s (Diss. masch. Str 1944). - .'Jugendbewegung.

HALS (engl.: neck; frz.: manche; it.: manico; span.: cuello, mango, mástil), schmale, stielartige Verlängerung des Resonanzkörpers eines Saiteninstrumentes (Violine, Viola, Violoncello, Laute, Gitarre, Mandoline usw.), über die die Saiten zu den Wirbeln des Wirbelkastens, Wirbelbrettes oder einer entsprechenden Vorrichtung laufen. Der H. dient im allgemeinen zum Abgreifen der Saiten und ist dafür unter den Saiten abgeflacht und mit einem 6

/Griffbrett mit oder ohne /Bünde ausgestattet. — H. heißt auch der geschwungene Teil der Harfe, an dem die Wirbel befestigt sind.

HALVORSEN, Johan August, * 15. 3. 1864 Drammen, t 4. 12. 1935 Oslo; norwegischer Violinist, Dirigent und Komponist. Er studierte in Oslo, Stockholm und Leipzig sowie bei L. Auer in St. Petersburg, bei Albert Becker in Berlin und bei C. Thomson in Lüttich, debütierte 1882 als Violinist und war dann als Solist, Konzertmeister und Lehrer in Stockholm, Bergen, Leipzig, Aberdeen und Helsinki tätig. 1892-98 war er Dirigent des Theaters Den Nationale Scene und 1893-98 des Orchesters Harmonien in Bergen sowie 1899-1929 am Nationaltheater in Oslo, 1919/20 auch des Filharmonisk SelsKap Orkester. H. leitete auch Konzerte im Ausland, vor allem in den skandinavischen Ländern. In seinen Kompositionen verwendete er häufig volkstümliche Themen und Rhythmen. WW (alle in Kopenhagen gedruckt): 1) Instr.-WW: Kompositionen für V. u. KN.; Passacaglia u. Sarabande con variazioni für V. u. Va.; Bojarernes indtogsmarsch (1895); Suite ancienne (1911); 2 Norske rapsodier (1921); 3 Symphonien (1923, 1924, 1928); Norske eventyrbilleder(1925); Bergensiana (1930); Norwegische Tänze, (1915). - 2) Vokal- o. Buhnen-WW: Lieder u. Chöre, etwa 40 Bühnenmusiken u. a. zu: J. B. Bull, Tordenskjold, UA: 1902; Bjornson, Kongen, UA: 1905; Eldegard, Fossegrimen, UA: 1905; Holberg, Mascarade, UA: 1922; Brandt, Reisen til julestjernen, UA: 1924.

HAMAL, Jean-Noël, * 23. 12. 1709 Lüttich, t 26. 11. 1778 ebd.; belgischer Komponist. Er war Schüler seines Vaters Henri-Guillaume H. (1685-1752) und von Denis Dupont in Lüttich sowie 1728-31 von Giuseppe Amadori in Rom und wurde 1738 Leiter der Maîtrise von St-Lambert in

Lüttich. Bei einem weiteren Italienaufenthalt lernte er in Rom N. Jommelli, in Neapel Fr. Durante kennen, dessen Opere buffe in neapolitanischer Mundart ihn zur Komposition von Opéras-comiques in wallonischem Dialekt anregten. Einige seiner Werke werden auch seinem Vater zugeschrieben. WW: Ouvertures da camera a quattro mit B.c. (P 1743); Sei Sinfonie da camera a quattro mit B. c. (Lüttich o. J.). - Hsl. erhalten (meist in Lüttich, Conservatoire): weitere Instrumentalwerke; kirchenmusikal. Werke (u. a. über 50 Messen, etwa 200 Motetten, einige Lamentationen); Oratorien Jonas; David u. Jonathan; Judith; geistliche u. weltliche Kantaten. - Opéras-comiques: Li voyèdge di Chaudfontainne, UA: Lüttich 1757; Li Ligeois égagi u. Li fiesse di Houte si plou. Lit.: A. AUDA, La musique et les musiciens de l'ancien pays de Liège (Bru - P - Lüttich 1930); R. BRAGARD, „Li voyèdge di Tchaufontainne", in: FS E. Closson (Bru 1948): M. DE SMETS, J.-N. H. (Bru 1959); S. CLERX, H., in: MGG V.

HAMARI, Julia, *21. 11. 1942 Budapest; ung. Sängerin (Alt). Ihre Gesangsausbildung erhielt sie in Budapest bei Fatime Martin und an der Musik -

Hamburger Philharmonie

hochschule, 1966-67 an der Musikhochschule in Stuttgart und debütierte 1966 in Wien als Konzertsängerin in der Matthäuspassion von J. S. Bach. Sie gewann rasch internationalen Ruf als Lieder- und Oratoriensängerin, tritt mit großem Erfolg aber auch als Opernsängerin hervor. HAMBRAEUS, Bengt, * 29. 1. 1928 Stockholm; schwedischer Organist und Komponist. H. war 1944-48 Orgelschüler von Alf Lindner, studierte seit 1947 an der Universität in Uppsala Musik-, Kunst- und Religionswissenschaften und promovierte 1956 mit einer Arbeit über den Codex carminum gallicorum (Sto 1961). 1957-72 war er, zuletzt als Produktionsleiter, in der Musikabteilung des Schwedischen Rundfunks tätig. 1972 wurde er Professor für Komposition an der McGill University in Montreal (Kanada). Als Komponist Autodidakt, stand H. zunächst unter dem Einfluß M. Regers und P. Hindemiths, seit seiner Teilnahme an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt 1951-55 reflektiert sein Schaffen stärker die Musiksprache O. Messiaens und seiner Schüler P. Boulez und K. Stockhausen. Am Studio für elektronische Musik beim NWDR in Köln entstand 1955 seine erste elektronische Komposition (Doppelrohr II). Klangfarbenphantasie, „Großrhythmen" und entrückte Klangstimmungen sind charakteristisch für seinen Stil. Vielfach werden auch Einzelwerke zu „Familien"-Kompositionen synchron übereinandergeschichtet. Als konzertierender Organist gab H. auch Impulse zu einer Erweiterung des Orgelstils. WW: 1) Instr.-WW: Für Orgel: Konstellationer 1(1958); Transit I (1963); Tre pezzi (1967); Toccata Monumentum per M. Reger (1973); Ricercare (1974); Cercoes (1955) für Klv.; Carillon (1974) für 2 Klv.; Segnali (1956-60) für 7 Saiteninstr.; Transit II (1963) für Horn, Pos., elektrische Gitarre u. Klv., auch mit Transit I oder Transfiguration kombinierbar; Invocation (1971) für 2 Ob., Blechbläser u. Schlagzeug. - Für Orch.: Rota 1 (1956-62) für 3 Orch. u. Tonband; Transfiguration (1963); Rencontres (1971); Pianissimo in due tempi (1972) für 20 Str. - Elektronische Kompositionen: Tetragon (Homenaje a P. Picasso) (1965); Klassikt spei (1965); Fresque sonore 1965-67); Tides (1974) u. Intrada (Calls) (1975). - 2) Vokal-WW: Cantigas de Santa Maria (1948), revidiert 1950) für SingSt u. Instr.; Cantata pro defunctis (1952) für Bar. u. Org.; Spectrogram (1953) für SingSt u. Instr.; Gacelas y casidas de F. G. Lorca (1953) für SingSt u. Instr.; Psalmus CXXII (1953) für SingSt u. Org., Antiphonies en rondes (1953) für Sopran u. Kammerorch.; Crystal Sequence (1954) für Sopranchor, 2 Trp., 12 V. u. Schlagzeug; Responsorier (1966) für Solost., Chor, 2 Org. u. Kirchenglocken; Motetum Archangeli Michaelis (1967) für Chor u. Org. - 3) Bühnen-WW: Kammeroper Experiment X (1969), UA: Stockholm 1971; Kirchenoper Se människan (Ecce homo) (1970), UA: ebd. 1971. - 4) Schriften:

Klangproblem i 1600-1700-talens orgelkonst. Om barocken registreringsprinciper med särskild hänsym Bachs sista orgelkompositioner, in: STMf 32 (1950); Preludium, Fuga, Toccata, Ciacona. En studie kring nágra formproblem i Buxtehudes orgelmusik, in: ebd. 39 (1957); Om notskrifter. Paleografi, tradition, förnyelse

(Sto 1970) ( = Publikationer utgivna av Kunglika Musikaliska Akademien med Musikhögskolan 6) (dt. u. engl. Übers. in Vorbereitung); Visioner, förvandlingar, áterblickar. Reflexioner i fyra avsnitt over nágra egna verk, in: STMf 52 (1970). Lit.: L. HEDWALL, B. H., in: Musikrevy 12 (1957); B. WALLNER. Vâr tids musik i Norden (Sto 1968); G. BERGENDAL, Den mângfacetterade H., in: Musikrevy 26 (1971); DERS., 33 svenska tonsättare (Sto 1972); A Conversation between B. H. and A. Stout, in: Church Music 2 (St. Louis/Miss. 1972). H. LINDLAR

HAMBURGER PHILHARMONIE, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg. Am 9. 11. 1828 wurde eine Philharmonische Gesellschaft gegründet, deren erster Musikdirektor und Dirigent bis 1863 Friedrich Wilhelm Grund war. Die Konzerte fanden im Apollo-Saal statt (das erste am 17. 1. 1829). Das Orchester wurde jeweils aus Musikern des Theaterorchesters und aus freien Berufsmusikern zusammengestellt. 1855 wurden die Konzerte in Wörmers Konzertsaal verlegt. Unter J. Stockhausen (seit 1863), zugleich Leiter der Singakademie, nahmen sie einen künstlerischen Aufschwung. Auf Stockhausen folgte 1867 Julius von Bernuth, der Gründer des Konservatoriums. Seit 1868 wurden die Konzerte im Coventgarten veranstaltet. 1894-1904 leitete sie Heinrich Barth. Die Gründung des staatlich unterstützten Vereins Hamburgischer Musikfreunde 1896 ermöglichte auch ein ständiges Orchester. Der Senat hatte seinen Zuschuß an die Bedingung geknüpft, zusätzliche Volkskonzerte durchzuführen. Weitere Förderung erhielt das Orchester durch die Gründung der E. C. NewmanKratschmer-Stiftung 1904. Dirigent war seit diesem Jahr Max Fiedler. Seit 1908 wurden die Konzerte von namhaften Gastdirigenten geleitet (jetzt vor allem in der neu erbauten Musikhalle), 1910-20 von S. von Hausegger und Gerhard von Keußler. 1918 erfolgte die Verschmelzung der Philharmonischen Gesellschaft mit dem Verein der Musikfreunde. Die Konzerte 1921 /22 wurden von Gastdirigenten „auf Probe" bestritten, danach K. Muck (für die Abonnementskonzerte) und E. Papst (für die sonstigen Konzerte) verpflichtet. Das folgende Jahrzehnt war die bislang erfolgreichste Zeit der Philharmonie (seit 1929 wieder unter dem Namen Philharmonische Gesellschaft). Muck und Papst blieben bis 1932 bzw. 1933. Zum 1. 1. 1934 erfolgte die Vereinigung des Orchesters mit dem des Stadttheaters als Philharmonisches Staatsorchester Hamburg. GMD wurde E. Jochum, der bis 1949 blieb. Danach wurden die Konzerte erneut von Gastdirigenten geleitet. Unter Wilhelm Brückner-Rüggeberg wurde die Tradition der Schülerkonzerte wieder aufgenommen. 1951 wurde J. Keilberth GMD (bis 1959); ständiger Gastdirigent war L. Ludwig, der Chef der Staatsoper. Auf Keilberth folgte — nach einem Inter7

Hamel regnum ohne Chefdirigenten —1961 W. Sawallisch. 1960 wurde eine weitere Reihe mit Universitätskonzerten eingeführt, 1968 wurden die Kammerkonzerte wiederbelebt. Seit 1973 war H. Stein vertretungsweise, seit 1975 ist Aldo Ceccato Chefdirigent. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs hat sich das Philharmonische Staatsorchester als Konzert- wie als Opernorchester auch im Ausland einen ausgezeichneten Ruf erworben. Lit.: K. STEPHENSON, Hundert Jahre Philharmonische Gesellschaft in Hamburg (H 1928); E. V ERG, Hamburg philharmonisch. Eine Stadt und ihr Orchester (ebd. 1978); J. E. WENZEL, Geschichte der Hamburger Philharmonie. 1829-1979 (ebd. 1979).

HAMEL, Fred, * 19. 2. 1903 Paris, t 9. 12. 1957 Hamburg; dt. Musikforscher engl. Herkunft. Er studierte Naturwissenschaften in Bonn und Berlin, promovierte 1926 zum Dr. chem., begann in Berlin ein musikwissenschaftliches Studium und promovierte 1930 in Gießen bei R. Gerber. Seit 1927 war er Musikkritiker u. a. der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Berlin, lehrte 1945-46 Musikgeschichte an der Landeskirchlichen Musikschule Hannover, wurde 1947 Leiter der Musikabteilung beim NWDR in Hamburg und 1948 bei der Deutschen Grammophon-Gesellschaft, wo er die Archiv-Produktion aufbaute. Er war Herausgeber der Musikzeitschrift Musica (1947ff.) und von Das Atlantisbuch der Musik (B 1934, Z — Fr 9 1959) (zus. mit M. Hürlimann), für das er auch den Beitrag Geschichte der Musik im europäischen Kulturkreis verfaßte. Schriften: Unbekannte Musikalien im Braunschweiger Landestheater, in: Gedenkschrift H. Abert (H1 1928); Die Komposition J. S. Bachs im Schemellischen Gesangbuch, in: ZfMw 12 (1929/ 30); Form- u. Stilprinzipien in der Vokalmusik J. Rosenmüllers (Diss. GieBen 1930); Die Psalmkompositionen J. Rosenmüllers (Str 1933) (= Sig. musikwiss. Abh.en 10); Gesch. der Musik im europäischen Kulturkreis, in: Atlantisbuch der Musik, hrsg. v. F. H. u. M. Hürlimann (B 1934, Z °1953); Die Schwankungen des Stimmtons, in: Dt. Musikkultur 9 (1944); J. S. Bach. Geistige Welt (Gö 1951); Une histoire de la musique enregistrée, in: Kgr.-Ber. Brüssel 1953; Die Industrieschallplatte als Mittlerin des musikgesch. Erbes, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957). Lit.: O. SOHNGEN, In memoriam F. H., in: Musica 12 (1958).

HAMEL, Peter Michael, *15. 7. 1947 München; dt. Komponist. H. war Schüler von Fr. Büchtger an der Jugendmusikschule in München und studierte dort Tonsatz und Komposition bei G. Bialas an der Musikhochschule. Er gründete die Improvisationsgruppe „Between", in der er als Pianist auftrat, und arbeitete mit J. A. Riedl an Projekten für Musikenvironments im Freien. Seine Kompositionen in „konzentrischer" Musikform suchen, angeregt durch fernöstliche Musik und Geisteshaltung, die H. auf Reisen kennenlernte, europäische und asiatische Klangelemente zu vereinen. 8

WW: Kantate Das Danke an den lieben Gott (1965); Ananda (1973) für Ob. u. Str.; Dharana (1973) für Orch. u. Gruppe; Samma Samadhi (1973) u. Maitreya (1974) für Orch. ;Klangspirale (1976/77) für Kammerensemble; Klv.-Konzert Transco (1976/77); Klangfarben (1977) für indische Saiteninstr.; Oper in 2 Teilen Menschentraum (1977/78); Musik zu dem russ. Spielfilm Der Bund der großen Taten v. 1927 (1979). - Ferner eine Schrift Durch Musik zum Selbst (Be 1976).

HAMERIK (Hammerich). — 1) Asger, *8. 4. 1843 Frederiksberg bei Kopenhagen, t 13.7. 1923 ebd. ; dänischer Komponist. Er studierte Komposition bei N. Gade und J. P. E. Hartmann in Kopenhagen, Klavier und Dirigieren bei H. von Bülow in Berlin und war 1864-69 in Paris Schüler von H. Berlioz, mit dem er auch befreundet war. Die Aufführung seiner Fredshymne bei der Pariser Weltausstellung (1867) machte ihn in weiten Kreisen bekannt. 1869 reiste er nach Italien. 1871-98 leitete er das Peabody Conservatory in Baltimore. Dann kehrte er nach Dänemark zurück. WW: 6 Symphonien (1883-96); 5 Nordische Suiten (1871 ff.); Chorwerke Fredshymne für Chor, Orch., 2 Org., 14 Harfen u. 4 Glocken (1867), Jedisk Trilogie (L o. J.) u. Christliche Trilogie (L 1883); Requiem (1887); Opern: Tovelille (1863-65); Hjalmar og Ingeborg (1868); La vendetta, UA: Mailand 1870; Den rejsende, UA: Wien 1871.

2) Angul, Bruder von 1), * 25. 11. 1848 Kopenhagen, t 26.4. 1931 Frederiksberg; dänischer Musikforscher. Er lernte Violoncello, arbeitete 1874-80 im Verwaltungsdienst und war gleichzeitig Musikkritiker mehrerer dänischer Zeitungen (seit 1880 bei Nationaltidende). 1892 promovierte er an der Universität Kopenhagen und war 1896-1922 Dozent für Musikgeschichte. 1897 veranlaßte er die Gründung des Musikhistorisk Museum in Kopenhagen, das er bis kurz vor seinem Tode auch selbst leitete. Schriften: Musiken ved Christian den Fjerdes hof (Diss. Kop 1892); Studier over bronzelurerne i Nationalmusxet i Kjebenhavn, in: Aarbeger for nordisk oldkyndighed og historic (1893), dt. Übers., in: VfMw 10 (1894); Musikhistorisk Museum (Kop 1909, dt. 1911) (Kat.); J. P. E. Hartmann (Kop 19.16); DanskMusikhistorie indtil ca 1700 (Kop 1921).

3) Ebbe, Sohn von 1), *5. 9. 1898 Kopenhagen, t 11.8. 1951 (ertrunken) im Kattegat; dänischer Komponist. Nach Dirigierunterricht bei Franz von der Stucken (1916-19) war er 1919-22 Dirigent des Orchesters am Königlichen Theater in Kopenhagen. Später machte er sich auch im Ausland als Dirigent und Komponist einen Namen, leitete 1927-30 die Konzerte der Gesellschaft Musikforeningen in Kopenhagen und widmete sich zuletzt ganz seinem kompositorischen Schaffen. WW: 5 Cantus-firmus-Symphonien (1936-49); Ob.-Konzert (1950); Opern: Stepan, UA: Mainz 1924; Leonardo da Vinci, UA: Antwerpen 1939; Marie Grubbe, UA: Kopenhagen 1940; Rejsekammeraten, UA: ebd. 1946; Dremmerne (1950); Ballett Dionysia, UA: Antwerpen 1927.

Hammer Lit.: Zu 1): R. HOVE, A. H., en dansk symphonier, in: Nordisk musikkultur 6 (1957).

HAMILTON, Chico (Foreststorn), *21. 9. 1921 Los Angeles; amerik. Jazzmusiker (Schlagzeug) und Bandleader. Er spielte zunächst als Swingklarinettist bei Lionel Hampton und Lester Young, lernte 1942-46 Schlagzeug bei Jo Jones, ging danach mit Jimmy Mundy und mit Count Basie auf Tournee und begleitete seit 1948 wiederholt die Sängerin Lena Horne. 1952 wurde er Mitglied des

jazzgeschichtlich bedeutsamen ersten Quartetts von Gerry Mulligan. 1956 gründete er ein eigenes Quintett, das auch mit Flöte und Violoncello besetzt war und einen kammermusikalisch geprägten Jazz pflegte. 1958 trat die umbesetzte Gruppe, u. a. mit Eric Dolphy, beim Jazzfestival in New Port auf. 1960 stellte H. eine neue Formation zusammen, die u. a. mit Charles Lloyd (Tenorsaxophon und Flöte) sowie mit dem Gitarristen Gabor Szabo eine Mischung aus Avantgarde- und Pop-Jazz spielte. Kennzeichnend für den Stil H.s ist es, Avantgardistisches in gefälliger Form zu bieten. H. zählt zu den bedeutendsten Schlagzeugern des Jazz. HAMILTON, Iain Ellis, *6. 6. 1 922 Glasgow; schottischer Komponist. Er war zunächst Ingenieur, studierte 1947-51 an der Royal Academy of Music in London Klavier und Komposition und konzertierte dann mit dem Klarinettisten John Davies im In- und Ausland. 1952-59 lehrte er Instrumentation am Morley College, 1955-60 auch an der Universität in London. 1962 wurde er Professor für Musik an der Duke University in Durham (N. C.). H., zunächst beeinflußt von Hindemith, Bartók und Strawinsky, wandte sich in den ersten beiden Jahrzehnten seines Schaffens überwiegend der Instrumentalmusik, seit den 1960er Jahren der Oper zu, von der The Catiline Conspiracy a ls sein Hauptwerk anzusehen ist. Nur vorübergehend serielle Techniken einbeziehend (Sinfonia für 2 Orch., 1958), ist sein Werk durch eine gemäßigt moderne Schreibweise charakterisiert. In seinen Opern verwendet H. thematische Klänge zur Ausdeutung dramatischer Situationen. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Zahlr. Klv.-Werke, u. a.: 2 Sonaten (1957, 1970); Palinodes (1972); für Org.: Fanfares and Variants (1960); Aubade (1965); Threnos, In Time of War (1966); Paraphrase (1970); A Vision of Canopus (1975); Five Scenes (1966) für Trp. u. Klv.; V.-Sonate (1974); Vc.-Sonate Nr.2 (1974); Streichquartette (1950, 1965, 1971); Quintett für Horn, 2 Trp., Pos. u. Tuba (1964); Sonata for Five (1968) für Bläserquintett; Sextett für F1., 2 Klar., V., Vc. u. Klv. (1962); Sonates and Variants (1963) für 10 Bläser; The Alexandrien Sequence (1978) für 12 Instr. — Für Orch.: Symphonien (1949, 1950) u. Sinfonia (1958) für 2 Orch.; symphonische Variationen (1953); Scottish Dances (1956); Cantos (1964); Alastor (1970); Konzerte: 2 für Klv. (1949, 1960, revidiert 1967), V. (1952), Jazz-Trp. (1957),

Klv. (1960), Org. u. Kammerorch. (1964); Circus (1969) für 2 Trp. u. Orch.; Voyage (1970) für Horn u. Orch.; Amphion (1971) für V. u. Orch.; Aurora (1972). — 2) Vokal-WW: Nocturnal für 11 St. (1959); Dialogues (1965) für Sopran, 4 Instr. u. Schlagzeug; SCanzone d'Amore (1957) für Tenor u. Orch.; The Bermudas (1956) für Bar., Chor u. Orch.; A Testament of War (1961) für Bar. u. kleines Ensemble; Epitaph for This World and Time (1970) für 3 Chöre u. 2 Orgeln; Te Deum (1972) für gem. Chor, Bläser u. Schlagzeug; To Columbus (1976) (Text: W. Whitman) für gem. Chor, 3 Trp., 3 Pos. u. Schlagzeug (zur 200 Jahrfeier der USA). — 3) Bühnen-WW: Opern: The Royal Hunt of the Sun (Libr.: I. H. nach P. Shaffer) (1961-68, instrumentiert 1975), UA: London 1977; Agamemnon (nach Aischylos) (1967-69); Dramatic commentary Pharsalia (1968) für 6 Sänger, 11 Instr. sowie je einen Sprecher u. Tänzer, UA: Edinburgh 1969; The Catiline Conspiracy (nach B. Jonson), UA: Stirling 1979; Funkoper Tamburlaine, UA: BBC 1979; Anna Karenina (1977-78); Ballett Clerk Saunders, UA: London 1952. — 4) Schriften: Swiss Contemporary Music, in: European Music in the 20th Century, hrsg. v. H. Hartog (Lo 1957); Serial Composition Today, in: Tempo (1960) Nr. 55/56; Perspectives and Focus, in: ebd. (1963) Nr. 64; Reflections of a British Composers in America. in: Perspectives of New Music 5 (1966/67). Lit.: A. MILNER, Some Observations on the Music of I. H., in: MT 97 (1956); M. SCHAFER, in: British Composers in Interview (Lo 1963).

HAMLET, Ballett in einem Prolog und 3 Bildern nach der gleichnamigen Tragödie W. Shakespeares von Tatjana Gsovsky (* 1902). Musik: Boris Blacher (1903-75). UA: 19.11.1950 in München (Bayerische Staatsoper). Choreographie: Victor Gsovsky (* 1902). Dekoration: Helmut Jürgens. Neben der symphonischen Dichtung Hamlet op. 17 (1940) komponierte Blacher 1949 eine gleichnamige Ballettmusik (op. 35), die als seine erfolgreichste Komposition in dieser Gattung gilt. Anläßlich der UA schrieb er: „Das Werk ist nicht als einfache Transposition der Handlung vom Schauspiel ins Ballett gedacht, sondern soll die Grundidee, die natürlich auch andere Interpretationsmöglichkeiten offenläßt, ausdrücken. Die Formalkonzeption steht der Welt der Shakespeare -Bühne sehr nahe." (Brief an die Dramaturgie der Bayerischen Staatsoper). — Während musikalische Kunstmittel äußerst sparsam eingesetzt sind, erfordert die szenische Realisation ein beträchtliches Aufgebot an Darstellern. In der Choreographie V. Gsovskys und mit der Dekoration von H. Jürgens fand das Ballett außergewöhnliche Beachtung. Die nachfolgenden Interpretationen — u. a. von H. Swedlund (Hamburg 1952), T. Gsovsky (Berlin 1953 / Stuttgart 1954) und Y. Georgi (Hannover 1962) — waren weniger erfolgreich. G. LUDIN HAMMER (engl.: hammer; frz.: marteau; it.: martello, martelletto; span.: martillo, macillo). —1) Teil der Mechanik des /Pianofortes. — 2) Ein Instrument aus Metall oder hartem Holz, das zum Schlagen eines /Ambosses oder Holzbretts (G. Mahler, 9

Hammer

6. Symphonie; A. Schönberg, Die glückliche Hand) verwendet wird. — Der Legende nach soll Pythagoras aus dem Gewichtsunterschied der Hämmer, die beim Schlagen auf den Amboß unterschiedliche Klänge verursachten, erstmalig auf den zahlenmäBig erfaßbaren Unterschied der musikalischen Intervalle geschlossen haben. Diese Legende wird u. a. bei M. Praetorius überliefert (Syntagma musicum II, 1619, vgl. dort Tafel 23), sie schlägt sich in dieser Zeit aber auch im Titel von heiteren Gesellschaftsliedern nieder, wie z. B. in G. Carissimis Cyclopischem Hammer-Tricinium („Drei Schmied bei einem Amboß stunden") in RISM 16554, wo auch ein 3 st. Kanon mit Hämmern als Notenzeichen notiert ist (Faks. u. NA in: H. J. Moser, Corydon II, Brau 1933). Lit.: H. OPPERMANN, Eine Pythagoras-Legende, in: Bonner Jb. 130 (1925).

HAMMER, Emil Hammer-Orgelbau, dt. Orgelbauwerkstatt in Arnum bei Hannover, gegr. 1838 in Elze bei Hildesheim durch Philipp Furtwängler, *6. 4. 1800 Gütenbach (Schwarzwald), t 5.7. 1867 Elze. 1854 trat sein Sohn Wilhelm Furtwängler, *5. 6. 1829 Elze, t 4.9.1883 ebd., 1862 sein anderer Sohn Pius Friedrich Wilhelm Furtwängler, *17. 7. 1841 Elze, t 16. 1. 1901 Hannover, in das Unternehmen ein, das seitdem unter „Ph. Furtwängler & Söhne, Elze" firmierte. P. Furtwängler verlegte 1883 den Firmensitz nach Hannover und nahm den Herzberger Orgelbauer Adolf Hammer, *6. 4. 1854 Herzberg am Harz, t 6.3. 1921 Hannover, als Teilhaber auf. 1883-1937 firmierte der Betrieb als „Ph. Furtwängler & Hammer"; er wurde 1921-37 von den Erben A. Hammers geführt. 1937 übernahm Emil Hammer, *22. 2. 1878 Wesermünde, t 3.12. 1958 Hannover, die Leitung der seitdem „Emil Hammer-Orgelbau, Hannover" genannten Werkstätten, die seit 1958 von E. Hammers Enkel Christian Eickhoff, *23. 12. 1935 Schanghai, geleitet werden. Ph. Furtwängler baute auf der Grundlage von Traditionen des Barocks mit vorsichtiger Hinwendung zu romantischen Tendenzen zahlreiche Orgeln in Niedersachsen, von denen u. a. die größte in Gronau an der Leine (1859; 3 Man., 57 Reg.) erhalten ist. Adolf Hammer kultivierte den Typ der spätromantischen Orchesterorgel (Stadthalle Hannover, 1914; 4 Man., 124 Reg.; Dom Verden, 1916; 3 Man., 54 Reg.). Die Orgel der Marienkirche Göttingen wurde 1925 auf Anregung von Chr. Mahrenholz gebaut und gilt als die erste Orgel der /Orgelbewegung. Seit dem 2. Weltkrieg entstanden zahlreiche Instrumente, vor allem in Nordund Westdeutschland (Universitätskirche Marburg, 10

1964; 3 Man., 47 Reg.; Stadtkirche Bückeburg, 1967; 3 Man., 51 Reg.; St. Martini Stadthagen, 1974; 3 Man., 54 Reg.), aber auch im europäischen Ausland (Dominikanerkirche Danzig, 1977; 2 Man., 35 Reg.) und in Übersee. Lit.: U. PAPE, Ph. Furtwängler, in: ISO-Information 5 (1971); DERS., Dispositionsprinzipien des Orgelbauers Ph. Furtwängler, in: Acta organologica 8 (1974); Ber. über die F.achtagung Frühromantischer Orgelbau in Niedersachsen, hrsg. v. DEMS. (B 1977) (= Veröff. der Ges. der Orgelfreunde 60). H. J. BUSCH

HAMMERFLÜGEL /Klavier. HAMMERICH, dänische Musikerfamilie, /Hamerik. HAMMERKLAVIER /Pianoforte, /Klavier. HAMMERSCHMIDT, Andreas, * 1611 oder 1612 Brüx (Böhmen), t B. 11. 1675 Zittau (Sachsen); dt. Komponist. Er war seit 1633 Organist der Gräflich Bünauschen Kapelle im Schloß Weesenstein, seit 1634 an St. Petri in Freiberg (Sachsen) und seit 1639 an St. Johannis in Zittau. H. verließ Zittau dann nur noch selten. Sein wohl jähzorniger Charakter gab Anlaß zu anekdotenhaften Berichten, u. a. über eine handgreifliche Auseinandersetzung im Leipziger Ratskeller mit J. Rosenmüller, der H. einen „Klauseldieb” genannt haben soll (nach J. Meyer, Der anmaBliche Hamburgische Criticus sine crisi, Lemgo 1728). WW (wenn nichts anderes angegeben, in Freiberg erschienen): 1) lnstr.-WW: Erster Fleiss allerhand neuer Paduanen, Galliar-

den, Balletten, Mascharaden, Françoischen Arien, Courentten u. Sarabanden für Violen u. B.c., 2 Teile (1636, 1639). — 2) VokalWW: Musicalische Andachten, 5 Teile, I: Geistliche Konzerte für 1-4 St. u. B.c. (1638), II: Geistliche Madrigale für 4-6 St. u. B.c. (1641), III: Geistliche Symphonien für 1-2 St. mit Instr. (1642), IV: Geistliche Motetten u. Concert für 5-12 u. mehr St. mit B.c. (1646), V: Chor-Music für 5-6 St. (1652-53); Weltliche Oden oder Liebes-Gesänge für 1-5 St. u. B.c., teilweise mit Instr., 3 Teile, I (1642), 1I (1643), III (L 1649); Dialogi, oder Gespräch zwischen Gott, u. einer gläubigen Seelen, 2 Teile (Dresden 1645); Motetten für 1-2 St. u. B. c. (1649); Lob- u. Dank-Lieder für SingSt u. B.c. (Lüneburg 1651); Musicalische bzw. Geistliche Gespräche über die Evangelia für 4-8 St. mit B.c., 2 Teile (L 1655, 1656); Neue Musikalische Katechismus Andachten für SingSt u. B.c. (Lüneburg 1656); Fest-, Bus- und Dancklieder für 5 St., 5 Instr. u. B.c. (L 1658-59); Kirchen- u. Tafel Musik für 1-3 St. u. Instr. (Zittau 1662); Messen (Kyrie, Gloria) für 5-12 St. (1663);

Fest- u. Zeit-Andachten für 6 St. u. B.c. (Dresden 1671); gedruckt wurden auch einige Gelegenheitsgesänge; einzelne Werke in Sammeldrucken.

H. begann sein kompositorisches Schaffen mit Instrumentalmusik, wandte sich dann aber ausschließlich der — in der Hauptsache geistlichen — Vokalmusik zu. Unverkennbar dem Vorbild von H. Schütz verpflichtet, sind seine Werke bedeutende Belege für die Vielfalt des konzertierenden Stils mit und ohne (obligate und Ripieno-)Instrumente ebenso wie für die lebendige Tradition des a

Hammerstein cappella-Stils. Textlich schöpft H. vor allem aus der Bibel und dem Kirchenlied; doch bezieht er gerade in seine Evangelienvertonungen (Musicalische Gespräche von 1655-56) auch neugedichtete erbauliche und betrachtende Texte ein. Deutlich ist al-

lenthalben H.s Bemühen um Schlichtheit der musikalischen Satz- und Ausdruckskunst. Dies sicherte vielen seiner Werke eine überaus weite Verbreitung bis hin in kleinste Dorfkirchen (so nach dem Zeugnis von J. Beer, Musicalische Discurse, Nü 1719) und bis in die heutige kirchenmusikalische Praxis, brachte ihm andererseits aber bei manchen Zeitgenossen und in den unmittelbar folgenden Generationen gelegentlich auch den Vorwurf musikalischer Verflachung ein; verächtlich sprach man vom „Hammerschmiedischen Fuß". Ausg.: Dialogi, l . Teil, hrsg. v. A. W. SCHMIDT (1901) (= DTö 16); Ausgew. Werke, hrsg. v. H. LEICHTENTRITT (1910) (= DDT 40); Erster Fleiss, hrsg. v. H. MONKEMEYER (Kas 1957) (= EDM 49); Weltliche Oden oder Liebesgesänge 1642-49, hrsg. v. H. J. MOSER (Mz 1962) (= EDM 43); Ausgew. Kirchenmusik, hrsg. v. D. HELLMANN (St 1964) (= Das Chorwerk alter Meister 6); Alleluia. Freuet euch ihr Christen alle für 4 SingSt, Str. u. B.c. u. Wer wälzet uns den Stein. Osterdialog für Chor, 2 Trp., 4 Pos. u. B.c., hrsg. v. DEMS. (NY — Lo 1970); Gelobet seist du, Jesu Christ für Alt, Blechbläser u. B.c. u. Nun lob mein Seel den Herren für Sopran, Blechbläser u. B.c., hrsg. v. B. KOHLER (Neuhausen 1975); dass., hrsg. v. W. EHMANN (Kas 1976). Lit.: G. SCHUNEMANN, Beitr. zur Biogr. H.s, in: SIMG 12 (1910/11); H. O. HUDEMANN, Die prot. Dialogkomposition im 17. Jh. (Diss. Kiel 1941); H. MUELLER, The „Musicalische Gespräche über die Evangelia" of A. H., 2 Bde. (1956) (= Diss. Univ. of Rochester / N.Y.); G. SCHUHMACHER, Kirchenmusik als Kunst des volkstümlichen Gotteslobs. Zum 300. Todestag von A. H., in: MuG 29 (1975).

HAMMERSTEIN. —1) Oscar I, * 8.5.1847 Berlin, t 1.8. 1919 New York; amerik. Produzent und Impresario. Unter seiner Leitung wurden u. a. das London Opera House, das Philadelphia Opera House und das Manhattan Opera House in New York gebaut, das er auch als Manager betreute. Daneben zeigte er Vaudeville-Shows im Victoria Theater. Seine bekannteste Produktion für den Broadway war V. Herberts Operette Naughty Marietta (1910). — 2) Arthur, Sohn von 1), * 1876 New York, t 12. 10. 1955 Palm Beach (Florida); amerik. Produzent. Er wirkte am Broadway und brachte u. a. R. Frimls The Firefly (1912) und RoseMarie (1924; Songtexte von Oscar H. II) heraus. — 3) Oscar II, Enkel von 1) und Neffe von 2), * 12. 7. 1895 New York, t 23.8. 1960 Doylestown (Pensylvania); amerik. Textdichter, Librettist, Regisseur und Produzent. Er war einer der einflußreichsten Textdichter, die für das amerikanische Musiktheater arbeiteten. Seine Karriere begann er als Mitarbeiter von R. Friml und S. Romberg in europäisch beeinflußten Operetten. Mit J. Kern schuf er Show

Boat (UA Ziegfeld Theater 1927), das erste /Musical im heutigen Sinn. In Zusammenarbeit mit R. Rodgers trug er grundlegend zur Weiterentwicklung des Musicals mit Werken bei, die sich durch dramaturgisch gute Libretti, adäquate Texte und mehr und mehr durch die Integration von Wort, Musik und Tanz auszeichneten. Die Schaffensperiode des Autorenteams „Rodgers and Hammerstein", die eine ganze Broadway-Ära bezeichnet, begann mit Oklahoma! (UA St. James Theater

1943). Im selben Jahr fand H.s Adaption der Oper Carmen von G. Bizet, Carmen Jones, weithin Beachtung. I. Berlin nannte H. den Poeten unter den

Songtextern. WW: Libretti zu: V. Youman, Wildflower (1924); R. Friml, RoseMarie (1924); J. Kern, Sunny (1925); R. Friml, The Wild Rose (1926); S. Romberg, The Desert Song (1926); Kern, Show Boat (1927); ders., Sweet Adelins (1929); ders., Music in the Air (1932); ders., Very Warm for May (1939); alle folgenden mit der Musik v. R. Rodgers: Oklahoma! (1943); Carousel (1945); Allegro (1947); South Pacific (1949) (erhielt den Pulitzer-Preis); The King and I (1951); Me and Juliet (1953); Pipe Dream (1955); Flower Drum Song (1958); The Sound of Music (1960). — Er schrieb Lyrics (NY 1949). Ausg.: Zu 3): The Rodgers and H. Song Book, hrsg. v. H. SIMON (N Y 1958). Lit.: Zu 1): V. SHEEAN, The Amazing O. H. The Life and Exploits of an Impresario (Lo— N Y 1956); J. F. CONE, O. H.'s Manhattan Opera House (Norman/Okla. 1966). — Zu 3): D. TAYLOR, Some Enchanted Evenings. The Story of Rodgers and H. (NY 1953, Lo 1955); D. EWEN, R. Rodgers (NY 1957), 2. Aufl. als: With a Song in His Heart. The Story of R. Rodgers (1963); S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960); DERS., The Rodgers and H. Story (Lo — NY 1963); S. SCHMIDT-JODS, Das Musical (Mn 1965) (= Dt. Taschenbuchverlag 310); J. D. WELSH, From Play to Musical (1967) (= Diss. Tulane Univ./La.); R. Rodgers Fact Book (NY 1965, 1968). R.-M. SIMON — S. SIMON

HAMMERSTEIN, Reinhold, *9. 4. 1915 Lämmerspiel (Hessen); dt. Musikforscher. Er studierte seit 1934 Musikwissenschaft (bei O. Ursprung, W. Gurlitt und J. Müller-Blattau), Geschichte und Germanistik an den Universitäten in München und Freiburg im Breisgau, wo er 1940 mit einer Dissertation über Chr. Fr. D. Schubart promovierte. Daneben studierte er Klavier und Gesang. 1938-50 war er, mit Unterbrechung 1940-44 durch Kriegsdienst, Assistent am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität, 1946-58 Dozent für Musikgeschichte an der Musikhochschule in Freiburg. 1954 habilitierte er sich an der dortigen Universität mit der Schrift Die Musik der Engel. 1955/56 war H. Gastdozent an der Universität Basel, vertrat 1959-61 den Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Universität Freiburg im Breisgau und wurde dort 1962 außerplanmäßiger Professor. 1963-80 lehrte er als Ordinarius Musikwissenschaft an der Universität Heidelberg. H. ist Herausgeber der Neuen Heidelberger Studien zur Musik 11

Hammondorgel wissenschaft (Be — Mn 1969ff.) sowie der Beiträge zur Musikforschung (Mn—Salzburg 1976ff.) (zus. mit W. Seidel).

Lit.: G. H., in: Jazz Podium 24 (1975); J. E. BERENDT. Der deutsche Jazz und die Emanzipation, in: Ein Fenster aus Jazz (F 1977).

Schriften: Die Musik am Freiburger Münster, in: AfMw 9 (1952); Der Gesang der geharnischten Männer. Eine Studie zu Mozarts Bachbild, in: AfMw 13 (1956); Tuba intonet salutaris. Die Musik auf den süditalienischen Exultetrollen, in: AMI 31 (1959); Die Musik der Engel. Stud. zu den musikal. Ienseitsvorstellungen des MA (Be - Mn 1962); Die Musik in Dantes Divina Commedia, in: Dt. Dante-Jh. 41/2 (1964); Musik als Komposition und Interpretation, in: DVfLG 40 (1966); Über das gleichzeitige Erklingen mehrerer Texte. Zur Gesch. mehrtextiger Komposition unter besonderer Berücksichtigung IS. Bachs, in: AfMw 27 (1970); Bemerkungen zur niederländischen Bildmotette, in: Kgr.-Ber. Kopenhagen 1972 (Kas 1974); Diabolus in musica. Studien zur Ikonographie der Musik im MA (Be - Mn 1974) (= Neue Heidelberger Stud. zur Musikwiss. 6); Versuch über die Form im Madrigal Monteverdis, in: Sprachen der Lyrik. FS H. Friedrich (F 1975); Tanz und Musik des Todes. Stud. zum ma. Totentanz

HAMPTON, Lionel, *12. 4. 1913 (?) Louisville (Kentucky); amerik. Jazzmusiker (Vibraphon, Schlagzeug, Klavier). Er war ursprünglich Schlagzeuger, spielte in der 2. Hälfte der 20er Jahre in verschiedenen Bands, studierte seit 1928 Musiktheorie an der Universität in Los Angeles und kam dort, nach eigener Aussage, durch L. Armstrong zum Vibraphon, das sein Hauptinstrument wurde (Einspielung Memories of You mit L. Armstrong, 1931). 1932-36 leitete er eine eigene Band, war dann 1936-40 Vibraphonist im jazzgeschichtlich bedeutsamen Quartett von Benny Goodman und wirkte 1938 in Goodmans Carnegie Hall Concert in New York mit. Seit 1940 leitete er verschiedene Big Bands, spielte daneben regelmäßig auch in kleineren Besetzungen, u. a. mit Oscar Peterson. 1942 hatte er mit der Big Band-Aufnahme Flying home großen Erfolg. 1945 gab er mit dem Lionel Hampton Orchestra ein eigenes Konzert in der Carnegie Hall. Im Laufe der 40er Jahre nahm er Bebop-Elemente in sein Spiel auf, in den 50er Jahren solche des Rhythm and Blues. 1953 besuchte er zum erstenmal Deutschland und Europa. 1955 wirkte er in dem Film The Benny Goodman Story mit. 1965 gründete er das Sextett All Star Jazz Inner Circle. Bis in die 70er Jahre unternahm er weltweite Tourneen; 1979 nahm er auch an den Berliner Jazztagen teil. — H. zählt zu den bedeutenden Musikern des Jazz, u. a. durch seine Improvisationen (z. B. über Balladen wie Stardust und The man I love). Über den Jazz hinaus wurde er mit Titeln wie Hey BaBa Re Bop populär. Als Komponist trat er u. a. mit der Jazz-Suite King David hervor, die 1957 in New York unter D. Mitropoulos uraufgeführt wurde. Er lehrte als Professor Musik an der Xavier University und an der Dillard University in New Orleans. H. ist Ehrendoktor der Allen University in Columbia

(Be - Mn 1980).

HAMMONDORGEL, ein von dem Maschinenbauer Laurens Hammond (1895-1973) erfundenes und 1934 in Chicago erstmals vorgestelltes Tasteninstrument, dessen Töne elektro-magnetisch erzeugt werden. Die H. war lange Zeit führend unter den /elektronischen Orgeln (/Elektrophone) und wurde fast ausschließlich im Bereich der Unterhaltungsmusik verwendet. Umgangssprachlich wurde sie im Hinblick auf ihre gelegentliche Verwendung in Filmtheatern auch zu den Kinoorgeln gezählt. Hammond umging den damals für rein elektronische Klangerzeugung noch relativ hohen Aufwand, indem er von einem Elektromotor angetriebene rotierende Scheiben mittels elektromagnetischer Abtastung zur Tonerzeugung verwendete. Die Stimmung ließ sich durch Einstellung der Motordrehzahl verändern. Heute werden auch bei der H. die Töne auf rein elektronischem Weg erzeugt. Bekannte dt. H.-Virtuosen sind Gerhard Gregor und Klaus Wunderlich. Lit.: S. IRWIN, Dictionary of Hammond Organ Stops (NY 1952, '1961).

HAMPEL, Gunter, *31. 8. 1937 Göttingen; dt. Jazzmusiker (Vibraphon, Flöte, Ballklarinette, Klavier). Er begann 1954 als Klarinettist in einer Dixieland-Gruppe, trat seit 1958 mit einer eigenen Gruppe auf und unternahm bald Tourneen durch Europa. 1964 gründete er mit Manfred Schoof, Alexander von Schlippenbach, Pierre Courbois und der Sängerin Jeanne Lee ein für den deutschen und europäischen Free und New Jazz wichtiges Quintett (Einspielung der ersten deutschen Free JazzSchallplatte Heart Plants). H., der ständig auch in New York auftrat, spielte u. a. mit Anthony Braxton und Marion Brown zusammen. In den 70er Jahren wurde er mit seiner Galaxie Dream Band, u. a. mit Jeanne Lee und Perry Robinson, bekannt. 12

(S. C.). Lit.: J. G. JEPsEN, L.H. 1947-57 (Kop 1957) (Privatdruck); O. FLOCKIGER, Discography of L. H. and His Orchestra 1951-53 (Reinach 1961); B. DEMEUSY - O. FLOCKIGER, Discography of L. H. 1954-58 (Bas 1962); N. SHAPIRO N. HENTOFF, Jazz erzählt (Mn 1962); J. E. BERENDT, Das Jazzbuch. Von Rag his Rock (F 1973); D. MORGENSTERN. Swing, in: Die Story des Jazz, hrsg. v. J. E. Berendt (St 1975). K. R. BACHMANN

HANCOCK, Herbie (Herbert Jeffrey), * 12. 4. 1940 Chicago; amerik. Jazzmusiker (Tasteninstrumente). Er spielte zunächst in Chicago, ging 1960 mit dem Trompeter Donald Byrd nach New York und schloß sich dort Phil Woods, Oliver Nelson und Eric Dolphy an. 1963-68 gehörte

Händel er der jazzgeschichtlich bedeutenden Gruppe von Miles Davis an. Unter den Jazzpianisten der 60er Jahre nahm er bald eine Vorrangstellung ein, indem er den modalen Jazz von Davis weiterentwickelte. Seit 1968 hat H. eigene Gruppen und verwendet elektronische Tasteninstrumente. In den 70er Jahren hatte er große Erfolge mit Musik, die Rock-Rhythmen mit Jazzimprovisationen verbindet (Fusion Music). 1979 trat er als Pianist mit Chick Corea im Duo auf. Seine bekannteste Komposition ist Watermelon Man. Lit.: H. H., in: Jazz Podium 25 (1976).

HÄNDEL, (Haendel, Hendel; in England Handel), Georg Friedrich (George Frideric), * 23.2. 1685 Halle/Saale, t 14.4. 1759 London; dt. Komponist (seit 1727 britischer Staatsbürger). Sein Vater Georg H. (1622-97) war Amtschirurg von Giebichenstein und fürstlich sächsischer und kurfürstlich brandenburgischer Leibchirurg; er dachte an eine juristische Laufbahn für den Sohn, erkannte aber dessen ungewöhnliche musikalische Begabung und ermöglichte ihm ein Musikstudium bei Fr. W. Zachow in Weißenfels. 1701 traf H. in Halle mit G. Ph. Telemann zusammen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. 1702 immatrikulierte er sich an der Universität Halle und wurde Organist am dortigen reformierten Dom, gab dieses Amt aber ein Jahr später auf und reiste nach Hamburg, wo er J. Mattheson kennenlernte. 1704 wurde dort eine unter H.s Namen überlieferte Passion nach dem Evangelisten Johannes aufgeführt (Zuschreibung fraglich). Unter R. Keiser war H. an der Oper Violinist und Cembalist. Seine erste Oper, Almira, wurde bei ihrer ersten Aufführung am B. 1. 1705 mit Beifall aufgenommen (3 weitere Opern, ebenfalls in Hamburg entstanden, sind verloren). 1706-10 hielt sich H. in Italien auf, vor allem in Venedig, Rom, Florenz und Neapel, wo er u. a. A. Corelli, A. und D. Scarlatti und A. Steffani kennenlernte. In dieser Zeit komponierte er seine ersten italienischen Opern und Serenaden sowie das erste und einzige italienische Oratorium (La resurrezione), ferner lateinische Opern, Kirchenmusik und mehr als 100 italienische Kantaten (die aber nur teilweise erhalten sind). 1710 verließ H. Italien und wurde im Juni dieses Jahres als Nachfolger Steffanis Kapellmeister des Kurfürsten von Hannover. Ende 1710 reiste er nach London. Er vollendete in zwei Wochen die Oper Rinaldo, die erste italienische Oper, die für eine Londoner Bühne geschrieben wurde. Die erste Aufführung im Queen's Theatre am Haymarket (24.2. 1711) wurde für ihn zu einem Triumph. H. verbrachte dann wieder ein Jahr in Hannover und kehrte im Herbst 1712 nach

London zurück. Abgesehen von einigen Aufenthalten auf dem Kontinent, blieb er seitdem bis zu seinem Lebensende in England. Einer seiner ersten Mäzene dort war Richard Boyle, 3. Earl of Burlington. H. wohnte mehrere Jahre in dessen Haus in Picadilly, wo er häufig mit den Schriftstellern A. Pope, J. Gay und J. Arbuthnot zusammentraf. 1712-17 arbeitete H. vor allem für das Opernhaus am Haymarket. Er komponierte ferner Chormusik mit englischen Texten, darunter das Utrecht Te Deum (1713) und ein Jubilate zur Feier des Vertrages von Utrecht (1713) sowie die Ode for the Birthday of Queen Anne (1714). Die Königin soll ihm daraufhin ein Jahresgehalt von 200 Pfund gewährt, König Georg I. dieses auf 600 Pfund erhöht haben; die Enkel des Königs, die Prinzessinnen Anne, Caroline und Amelia, waren H.s Schülerinnen. 1717 trat H. in den Dienst von James Brydges, Earl of Carnarvon, des späteren Duke of Chandos, für dessen Residenz in Cannons er 12 Chandos Anthems, die Masques Acis and Galatea (1718?) und Haman and Mordecai (1720), die 1. Fassung des Oratoriums Esther, komponierte. Nach Gründung der Royal Academy of Music (1719), die den Auftrag hatte, das King's Theatre mit italienischen Opern zu beliefern, war H. dort zusammen mit G. B. Bononcini und A. Ariosti der meistbeschäftigte Komponist. In den 9 Spielzeiten (1720-28) kamen 14 seiner Opern zur Aufführung. Die letzten Spielzeiten waren von politischen Intrigen und offenen Rivalitäten zwischen den Sängern gestört. Dies endete mit einem Skandal. Die Finanzmittel wurden gestrichen und die Royal Academy of Music verlor ihr Publikum, nicht zuletzt auch wegen des Erfolgs von J. Chr. Pepuschs und J. Gays The Beggar's Opera (1728). Zur Krönung von König Georg II. (1727) hatte H. 4 Anthems geschrieben. Dieses Ereignis, ebenso wie seine Einbürgerung in England, feierte er auch in der patriotischen Oper Riccardo Primo, die er dem König widmete. Auf Betreiben H.s und des Impresarios John Heidegger wurde bald eine zweite Royal Academy of Music (1729-33) geschaffen, für die H. 6 Opern komponierte. In der Zwischenzeit führte eine Privataufführung von Esther in der Crown and Anchor Tavern, der er am 23.2. 1732 beiwohnte, zur Komposition seines ersten Oratoriums in englischer Sprache. Man hatte ohne H.s Wissen Wiederholungen von Esther und Acis and Galatea angekündigt. H. revanchierte sich, indem er im King's Theatre beide Werke in veränderter und erweiterter Fassung zur Aufführung brachte, die englische und italienische Sänger sowie einen großen Chor erforderten. Esther wurde daraufhin vom Bischof von London, der sich weigerte, die Knaben der königli-

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Händel

chen Kapelle zur Verfügung zu stellen, für die Bühne verboten. Trotz dieses Zwischenfalls hatten weitere Aufführungen großen Erfolg, und mehrere Jahre lang stellte H. Esther dem Publikum abwechselnd als Oper und als Oratorium vor. 1733 verlieBen die meisten italienischen Sänger nach einem Streit die Royal Academy of Music und gingen zu einem Konkurrenzunternehmen, das als Opera of Nobility von Frederick, Prince of Wales, unterstützt wurde. Es zählte den Komponisten N. Porpora und den berühmten Kastraten Farinelli zu seinen Mitgliedern. Vier Jahre dauerte die Rivalität der beiden Truppen, bis beide schließlich ruiniert waren (H. selbst wurde jedoch nicht in den Ruin getrieben). Im Juli 1733 ging H. zu Aufführungen eigener Werke nach Oxford, wo im Cheldonian Theatre u.a. die erste Aufführung des Oratoriums Athalia stattfand. 1734 entschied er sich — nach Übereinkunft mit John Rich über Opernaufführungen im Wechsel mit dessen Schauspielaufführungen — für das Covent Garden Theatre. In dieser Zeit begann H. mit der Komposition seiner Orgelkonzerte; bei ihrer Aufführung (als Intermezzi zwischen Teilen seiner Oratorien) spielte er selbst den Solopart. Ein besonderes Ereignis während H.s Tätigkeit am Covent Garden war die Aufführung des Alexander's Feast (1736) mit dem englischen Tenor John Beard. Im April 1737 erlitt H. einen Schlaganfall, erholte sich jedoch schnell nach einem Kuraufenthalt in Aachen. 1738 führte er nach erneuter Einigung mit Heidegger im King's Theatre am Haymarket mehrere Opern auf. 1739-41 arbeitete er für das Lincoln's Inn Fields Theatre. Aus dieser Zeit stammen die 12 Concerti grossi op. 6 und die Opern Imeneo und Deidamia; beide waren Mißerfolge, und H. wandte sich ganz dem Oratorium zu. 1741 lud William Cavendish, Duke of Devonshire und Vizekönig von Irland, H. nach Dublin ein, wo er 9 Monate blieb. Es gab dort mehrere erfolgreiche Konzerte, darunter auch die erste Aufführung des Messiah (1742). In den folgenden Spielzeiten arbeitete H. erneut am Covent Garden Theatre (mit Ausnahme einer Saison, 1744/45, am King's Theatre). Aus dieser Zeit (bis 1749) stammt die Mehrzahl seiner Oratorien, von denen Judas Maccabaeus (1747) am erfolgreichsten war. Neben Oratorien komponierte H. auch weiterhin Instrumentalmusik, kirchenmusikalische Werke und Musik für den Hof, so u. a. Dettingen Te Deum auf den Sieg König Georgs II. bei Dettingen (1743), Music for the Royal Fireworks, zur Feier des Vertrages von Aachen (1749). Im gleichen Jahr komponierte H. ein Anthem zur Einweihung der neuen Kapelle des Foundling Hospital. Er war seit dessen Gründung (1739) einer der Wohltäter und wurde 1750 zu einem der 14

Governors gewählt. Seitdem dirigierte er dort einbis zweimal jährlich den Messiah als Benefizauff ührung für das Hospital. Die Popularität des Messiah in London begann mit diesen Aufführungen. 1751 begann H. zu erblinden. Trotzdem leitete er seine Oratorien bis zum Ende seines Lebens selbst vom Cembalo aus. Er wurde dabei von einem Schüler und Freund J. Chr. Smith dem Jüngeren unterstützt; ihm diktierte er auch seine weiteren Kompositionen bis zum Jahr 1758. Als sein letztes Werk gilt The Triumph of Time and Truth (1757). H. starb nach kurzer Krankheit am 14.4. 1759 und wurde am 20.4. 1759 auf seinen Wunsch in der Westminster Abbey begraben. Ein Denkmal von Louis François Roubillac, der bereits die Statue H.s in Vauxhall Gardens geschaffen hatte (1739), wurde zu seinem Gedächtnis aufgestellt. WW: 1) llaistr.-WW: a) Für Tasteninstr.: Etwa 24 Suiten, darunter: Suite de pièces (Lessons) pour le clavecin, 3 Bde., 1: 8 Suiten (Lo 1720), 2: 9 Suiten (Lo 1733) u. 3: A Third Set of Lessons, 12 Suiten (Lo 1793); 6 Fugues or Voluntarys for the Organ or the Harpsichord (Lo 1735); ferner Variationen, Chaconne mit Variationen, Einzelstücken. - b) Für 1 oder mehrere Instr. mit B.c.: Etwa 20 Sonaten für 1 Instr. (V., Ob., Blockfl., Querfl.), darunter: Sonaten für Querfl., V. oder Ob., op. 1 (A 1722); Sonate C-Dur für Viola da gamba u. Cemb. (um 1705); etwa 25 Triosonaten für 2 V., Fl. (oder Ob.) u. B.c., darunter 6 Sonaten für 2 V., op. 2 (Lo 1731); Seven Sonatas or Trios, op. 5 (Lo 1739); ferner Menuette, Märsche u. a. Stücke. - c) Für Orch.: The Water Music (Wassermusik) (urspr. 3 Suiten, D-Dur, a -moll u. G-Dur) (Lo 1733); Music for the Royal Fireworks (Feuerwerksmusik) (Lo 1749); etwa 28 Konzerte, u. a.: 6 Concerti grossi, op. 3 (Lo 1734); 12 Grands Concertos in Seven Parts, op. 6 (Lo 1740); 3 Konzerte für Doppelorch. (nach 1740); ca. 20 Konzerte für Org. u. Orch., darunter: 6 Concertos for the Harpsichord or Organ, op.4 (Lo 1738) u. op.7 (1740-51). - 2) Vokal-WW: a) Weltliche: Etwa 21 it. Duette mit B.c. (zw. 1706-42) u. 2 it. Trios (um 1708); 72 it. Kantaten (zw. 1707-11); 3 dt. Arien (1696-98); 7 frz. Arien (1707-09); A Collection of Choice English Songs (24 Arien) (Lo um 1731). - Für Chor, Soli u. Orch.: Ode for the Birthday of Queen Anne (1713); Ode Alexander's Feast (Lo 1738); Ode for St. Cecilia's Day (Lo 1739); weltliche Oratorien: L'allegro, il pensieroso ed il moderato (Text: J. Milton, 3. Teil Ch. Jennens) (Lo 1740); Semele (Text: W. Congreve) (Lo 1744); Hercules (Lo 1745); Interludium The Choice of Hercules (Lo 1751). - Kantaten: Etwa 30 Kantaten, darunter Aci, Galatea e Polifemo (1708) (meist zw. 1706-10); Look Down Harmonious Saint (1734); weitere 75 it. Kantaten (zw. 1707-08). - b) Geistliche WW (für Chor mit u. ohne Soli u. Orch.): Lat. Psalmen: Dixit Dominus, Laudate Pueri, Nisi Dominus (1707). - Motetten für Sopran u. Orch.: Salve Regina, Seviat tellus, Silete venti (um 1707); Utrecht Te Deum and Jubilate (1713) (Lo 1731). -12 Chandos Anthems (1717-19); 4 Coronation Anthems (1729) (Lo 1743); 2 Wedding Anthems (1734, 1736); Funeral Anthem für Königin Caroline (1737) (Lo um 1743); Dettingen Anthem (1743); Dettingen Te Deum (1743); Foundling Hospital Anthem (1749); 3 Hymnen (1749). - Oratorien: Il trionfo del tempo e del disinganno (1708), neue it. Fassung (1737), neue engl. Fassung als The Triumph of Time and Truth (1757); La resurrezione (1708); Esther (1720, Neufassung 1732) (Lo 1732); Deborah u. Athalia (1733) (Lo 1735); Saul (1739) (Lo 1739); Israel in Egypt (1739); Messiah (1742) (Lo 1749); Samson (1743) (Lo 1743); Belshazzar (1745) (Lo 1745); Occasional Oratorio (1746) (Lo 1749); Judas Maccabaeus (1747) (Lo 1747); Joshua (1748) u. Alexander Balus (Lo 1748); Susanna u. Salomon

Händel (1749) (Lo 1749); Theodora (1750) (Lo 1751); Jephtha (1752) (Lo 1752). — Ferner Passion nach dem EvangelistenJohannes (Das

Leiden u. Sterben Jesu Christi in gebundener Rede als Oratorium), UA: Hamburg 1704; Passion. Der für die Sünden der Welt gemarterte u. sterbende Jesus (Text: B. H. Brockes), VA: ebd. 1716. — 3) Bösen-WW: a) Opern (wenn nichts anderes angegeben, in London uraufgeführt, meist auch dort gedruckt): Almira, UA: Hamburg 1705; Nero (Musik verschollen), UA: ebd. 1705; Rodrigo, UA: Florenz 1707; Florindo u. Daphne (Musik verschollen), UA: Hamburg 1708; Agrippina, UA: Venedig 1709; Rinaldo, UA: 1711, 2. Fassung, UA: 1731; Il pastorfido, 1712, UA: 1712, 2. u. 3. Fassung, UA: 1734; Teseo (Libr.: N. F. Haym), VA: 1713; Silla, UA: 1713; Amadigi, VA: 1715; Radamisto (Libr.: Haym), UA: 1720; Muzio Scevola (1. Akt v. F. Mattei, 2. Akt v. G. B. Bononcini, nur der 3. Akt v. H.), UA: 1721; Floridante (Libr.: P.A. Rolli), VA: 1721; Ottone (Libr.: Haym), UA: 1723; Flavio (Libr.: ders.), VA: 1723; Giulio Cesare (Libr.: ders.), UA: 1724; Tamerlano, VA: 1724; Rodelinda, VA: 1725; Scipione (Libr.: Rolli nach A. Zeno), VA: 1726; Alessandro (Libr.: Rolli nach O. Mauro), UA: 1726; Admeto (Libr.: Haym nach A. Aureli), VA: 1727; Riccardo Primo (Libr.: Rolli?), VA: 1727; Siroe (Libr.: P. Metastasio), VA: 1728; Tolomeo (Libr.: Haym), VA: 1728; Lotario, UA: 1729; Partenope (Libr.: S. Stampiglio), UA: 1730; Poro (Libr.: Metastasio), UA: 1731; Ezio (Libr.: ders.), VA: 1732; Sosarme, UA: 1732; Orlando, UA: 1733; Arianna (Libr.: P. Pariati), VA: 1734; Ariodante, (UA: 1735; Alcina, VA: 1735; Atalanta, UA: 1736; Arminio, VA: 1737; Giustino, VA: 1737; Berenice, UA: 1737; Faramondo (Libr.: A. Zeno), VA: 1738; Serse (Libr.: N. Minato), UA: 1738; Imeneo, UA: 1740; Deidamia (Libr.: Rolli), UA: 1741. — b) Serenate u. Masques: Acis and Galatea (1718?) (Libr.: J. Gay), UA: Cannons 1718?, 2. Fassung 1731; Haman and Mordecai, VA: Cannons 1720. — c) Bühnenmusik zu: B. Johnson, The Alchemist, VA: 1732; T. Smollet, Alceste (I.o 1790).

H. zählt zusammen mit J. S. Bach zu den bedeutendsten deutschen und europäischen Komponisten seiner Zeit, die man gelegentlich auch als die Epoche Bachs und Händels bezeichnet. Sein zeitgenössischer Ruhm war aber größer als der Bachs, und sein Lebenslauf erweist ihn als einen Kosmopoliten. Auf seinen Reisen lernte er entschiedener als andere in seiner Zeit unterschiedliche Kulturen kennen und eignete sie sich mit Leichtigkeit an. Noch in seiner deutschen Heimat wurde er mit den Grundzügen der italienischen und französischen Musik ebenso vertraut wie mit der deutschen, speziell der mitteldeutschen Vokal- und Klaviermusik. In Italien studierte er gründlich die Kantaten und Opern A. Scarlattis und seiner neapolitanischen Zeitgenossen und den Instrumentalstil A. Corellis. Nach 1710 kam hinzu der in der Folge ständig wachsende Einfluß der englischen Kirchen- und Theatermusik in der Tradition H. Purcells. Aus allen diesen Komponenten schuf sich H. einen Stil von einzigartiger Geschmeidigkeit, die bei aller Kunst der Assimilation nie seine Originalität verlor. Zeit seines Lebens stand das Theater im Zentrum der H.schen Aktivitäten und bildete eine deutliche Konstante seiner schöpferischen Inspiration. Während mehr als 30 Jahren schrieb er Opern, und

zwar vom damals üblichen und beliebtesten Typus der Opera seria (bereits seine Hamburger Oper Almira enthält 15 italienische Arien). Von H.s 39 überlieferten Opern sind 36 für London geschrie-

ben. Sie waren für ein aristokratisches Publikum bestimmt und zeigen noch viele Charakteristika der höfischen Oper des Kontinents, insbesondere in der Besetzung der Rollen durch Sängervirtuosen. Die Hauptrollen sind in der Regel den hohen Stimmen vorbehalten und für Kastraten oder Frauen geschrieben. Der Ablauf jedes Werkes bietet sich wesentlich als eine Folge von Seccorezitativen und Arien (meist Da capo-Arien); nur selten finden sich Ensemblesätze oder Chöre. Innerhalb dieser für die Opera seria typischen Formgestaltung zeigen H.s Opern eine Fülle melodischer, harmonischer und instrumentatorischer Erfindung. Sie enthalten in begrenztem Maße auch dramatische Züge und bezeugen H.s tiefe Menschenkenntnis. Die Sujets sind in der Hauptsache heroisch, sie betreffen mythologische und historische Themen, ermöglichen aber auch den Ausdruck vielfältiger Nuancen von Ironie, von Witz, sogar von Komik (Almira, Serse). Einige Opern weisen auch Züge des Wunderbaren auf. Insgesamt bilden H.s Opern ein Genre voller Subtilität und Raffinement, vorausweisend eher auf W. A. Mozart als auf Chr. W. Gluck. Eine eigene Bewandtnis hat es mit ihrer Präsenz auf der Bühne von heute. Nachdem sie nach dem Tode H.s in der musikalischen Praxis lange Zeit nahezu bedeutungslos waren, bemüht man sich seit etwa 1920 in Deutschland und England intensiv um ihre Wiederbelebung. Die Händel-Feste von Göttingen und Halle (Saale) wirkten hier besonders anregend, und bis in unsere unmittelbare Gegenwart bilden H.s Opern auch für die moderne Regiekunst eine Herausforderung. Ein Hauptproblem für die bühnenwirksame Gestaltung einer H.-Oper scheint zu sein, daß weder das Seccorezitativ als allein handlungstragendes Moment noch die Arie in ihrem gleichsam statischen Affektausdruck Elemente einer musikalischen Aktion enthalten. Dies liegt im Wesen der Opera seria insgesamt, und erst im Rahmen der Opera buffa wuchsen den Komponisten Mittel zu, die Opernszene auch musikalisch als Aktion zu gestalten. Seitdem gibt es die Diskrepanz zwischen der hohen gattungsgeschichtlichen Bedeutung der Opera seria im 18. Jh. und ihrer geringen Präsenz im Bühnenrepertoire des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Opernschaffen H.s ist dafür das repräsentativste, aber nicht das einzige Beispiel. Bis heute beruht H.s Nachruhm denn auch in erster Linie auf seinen Oratorien. Sie zeigen in mancher Hinsicht eine enge Berührung mit seinen Opern, an vielen Stellen spürt man, daß H. sie szenisch konzi15

Händel

pierte und daß sie ursprünglich auch für das Theater geschrieben waren; ohne den Einspruch des Bischofs von London wären sie auch sämtlich auf der Bühne aufgeführt worden. Mindestens ebenso stark wie die Berührung mit der Oper ist indessen die Bindung der Oratorien H.s an die Tradition der englischen Musik, an die Gattung der /Masque, an die anglikanische Kirchenmusik (/Anthem). Nachweisbar ist auch das Nachwirken von Ideen der griechischen Tragödie, wie sie Ende des 17. Jh. namentlich J. Racine auch in Verbindung mit biblischen Stoffen vermittelt hatte. So verweisen H.s erstes Oratorium Esther und die spätere Athalia auf Racines gleichnamige biblische Tragödien. Die Themen der Oratorien H.s sind stets die großen Probleme um Leben und Tod. Sie gelten u. a. dem Widerstand gegen die Tyrannei (Athalia), dem Neid (Saul), dem Ehrgeiz (Semele), der Eifersucht (Hercules), dem Zerfall der Reiche (Belshazzar), dem Martyrium (Theodora) oder der Unterwerfung unter das Schicksal (Jephtha). Stets stehen Menschen mit ihren Leidenschaften, in ihrer Individualität und in ihrem Gegenüber zum Volk im Mittelpunkt. Eine Ausnahme bildet der Messiah, ein auch in der Geschichte der gesamten Gattung einzigartiges Werk. Ihm liegt nicht wie den anderen Oratorien H.s ein dichterisch geformtes Libretto zugrunde, sondern ausschließlich der wörtliche Bibeltext. In der musikalischen Gestaltung stehen die Arien und Accompagnatorezitative in der neapolitanischen Tradition, wenngleich stark modifiziert. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß H. für die Aufführung seiner Oratorien nicht wie für die Opern die italienischen Sängervirtuosen zur Verfügung hatte, sondern nur einheimische Sänger. In den Chorsätzen des Messiah erhalten besonders die textlichen /Akklamationen einen für H. eigentümlichen musikalischen Ausdruck, wie er am sinnfälligsten und geradezu mitreißend im Halleluja gegeben ist. Einzigartig ist der Messiah auch in seinem Nachruhm und in seinem Nachleben. Er hat nicht nur die weitere Entwicklung des Oratoriums in allen europäischen Ländern beeinflußt, sondern auch — besonders hinsichtlich des Chorstils — viele bedeutende kirchenmusikalische Werke, wie besonders W. A. Mozarts Requiem und c-moll-Messe und L. van Beethovens Missa solemnis. H.s Kirchenmusik umfaßt Werke in lateinischer und englischer Sprache. Die lateinischen Psalmen aus H.s italienischer Zeit und die Anthems für die Privatkapelle des Herzogs von Chandos verbinden durchsichtige Kontrapunktik in den Chorsätzen mit ausdrucksvoller Kantabilität in den solistischen Partien. Die für die königliche Kapelle oder für offizielle Anlässe geschriebenen Kompositionen be16

eindrucken am meisten durch die Monumentalität des Chorstils, der auch H.s sicheren Sinn für die räumlichen und akustischen Gegebenheiten der jeweiligen Aufführungsorte bezeugt. Etwas Ähnliches gilt für die Instrumentalwerke H.s, die Werke für Tasteninstrument allein, die Sonaten für mehrere Instrumente und Generalbaß, insbesondere für die Wassermusik und die Feuerwerksmusik (beide für die Aufführung im Freien geschrieben). Die Concerti grossi, namentlich die große Sammlung op. 6, sind ein letzter Höhepunkt der Gattung. Wie sie haben auch H.s Orgelkonzerte seit vielen Jahren ihren festen Platz im Musikleben unserer Zeit. Das Nachleben Händels manifestiert sich nicht nur in der ununterbrochenen Pflege eines Teils seiner Werke, sondern auch in der Art und Weise, wie die Nachwelt das Schaffen und die Persönlichkeit des Komponisten beurteilte. Es ist weithin charakteri stisch für die Einschätzung H.s, daß er häufig mit Bach verglichen wird. Dieser Vergleich hat seine eigene Geschichte, und er hat einige markante Stationen: einen Ausspruch Bachs, er möchte wohl H. heißen, wenn er nicht Bach wäre; Mozarts Gleichschätzung der Bachschen und H.schen Fugen (in einem Brief 1782); die patriotische Akzentuierung der Bedeutung Bachs durch J. N. Forkel (1802) als Reaktion auf das ebenso patriotische Händel-Bild von Ch. Burney (1785); schließlich die seit R. Wagner (er spricht von der „Halleluja-Perücke" H.$) im musikalischen Schrifttum weitverbreitete Überschätzung Bachs gegenüber H., die ihre Spuren noch bei A. Schönberg und Th. W. Adorno hat. Als symptomatisch dafür kann vielleicht auch die Tatsache gelten, daß um die Mitte des letzten Jahrhunderts sich eine große Zahl bedeutender Komponisten, Musiker und Musikhistoriker wohl um das Zustandekommen einer Bach-Gesamtausgabe kümmerte, während die entsprechende H.Gesamtausgabe letztlich das Werk eines einzelnen — Fr. Chrysanders — war. Chrysanders H.-Biographie (1858ff.) blieb bis weit ins 20. Jh. hinein auch die einzige Würdigung H.s von wissenschaftlichem Rang, während mittlerweile die Bach-Literatur seit Ph. Spitta eine Reihe bedeutender Werke aufzuweisen hatte. Neue Impulse für die H.-Forschung gingen erst wieder nach dem 2. Weltkrieg vor allem durch die Arbeit an einer neuen Gesamtausgabe (der Hallischen Händel-Ausgabe) aus, die von der (1955 in Halle gegründeten) Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft getragen wird. Ausg.: Eine erste unvollständige GA, hrsg. v. S. ARNOLD, 36 Bde. (Lo 1787-97); The Works of H., 14 Bde. (Lo 1843-58); GA, hrsg. v. F. CHRYSANDER, 93 Bde. u. 6 Suppl.-Bde. (L 1858-1902), Nachdr. 84 Bde. u. 6 Suppl.-Bde. (Lo 1965-68); Hallische H.-Ausg. (Kas — L 1955ff.), bisher sind erschienen:

Händel Serie I (Oratorien u. große Kantaten): 1: Das Alexanderfest oder Die Macht der Musik, hrsg. v. K. AMELN (1957); 2: Passion nach dem Evange listen Johannes, hrsg. v. K. G. FELLER ER (1964); 6: Ode for the Birthday of Queen Anne, hrsg. v. W. SI EGMUNDSCHULTZE (1962); 7: Passion nach B. H. Brockes, hrsg. v. F. SCHROEDER (1965); 13: Saul, hrsg. v. P. M. YOUNG (1962); 16: L'allegro, il pensieroso ed il moderato, hrsg. v. J. S. u. M. V. HALL (1965); 17: The Messiah, hrsg. v. J. TOBIN (1965); 28: Susanna, hrsg. v. B. ROSE (1967); 31: The Choice of Hercules, hrsg. v. W. SIEGMUND-SCHULTZE (1963); Serie II (Opern): 28: Orlando, hrsg. v. S. FLESCH (1969); 39: Serse, hrsg. v. R. STEGLICH (1958); Serie III (Kirchenmusik): 1: Dixit Dominus, hrsg. v. E. WENZEL (1960); Serie IV (Instrumentalmusik): 1: Die acht großen Suiten, hrsg. v. R. STEGLICH (1955); 2: Orgelkonzerte op.4 Nr. 1-6, hrsg. v. K, MATTHAEI (1956); 3: 11 Sonaten für FI. u. bezifferten Baß, hrsg. v. H. -P. SCHMITZ (1955); 4: 6 Sonaten für V. u. bezifferten Baß, hrsg. v. J. PH. HINNENTHAL (1955); 5: KIv.-Werke 2 (2 Sig. v. 1733), hrsg. v. P. NORTHWAY (1970); 6: Klv.-Werke 3 (einzelne Suiten u. Stücke), hrsg. v. T. BEST (1970); 9: 6 Sonaten für 2 Ob. u. B.c., hrsg. v. S. FLESCH (1976); 10/1: 9 Sonaten für 2 V. u. B.c., hrsg. v. DEMS. (1970); 10/2: 7 Sonaten für 2 V. u. B.c., op. 5, hrsg. v. DEMS. (1967); 11: 6 Concerti grossi, op. 3, hrsg. v. F. HUDSON (1959); 12: 8 Concerti, hrsg. v. DEMS. (1971); Water Music, u. Music for the Royal Fireworks, hrsg. v. H. F. REDLICH (1962); 14: 12 Concerti grossi, op. 6, hrsg. v. A. HOFFMANN - H. F. REDLICH (1961); 17: Klv.-Werke 4. Einzelne Suiten u. Stücke, 2. Folge, hrsg. v. T. BEST (1975). - Einzelausg.: Coronation Anthems Nr. 2 u. 3, hrsg. v. W. HERRMANN (NY - Lo 1971); Sonate e-moll für 2 Fl. u. B.c., hrsg. v. A. C. BELL (Lo 1972); Laudate pueri Dominum für Sopran, Chor, Orch. u. Org., hrsg. v. D. KRÜGER (Hilversum 1972); Concerti grossi, op. 6, hrsg. v. M. NYMAN, 12 H.e (Lo 1973); Konzert D-Dur für Fl., Str. u. B.c. hrsg. v. E. F. W. BODENSOHN (Baden-Baden 1974); Orgelkonzerte op. 7, 1-6, hrsg. v. P. WILLIAMS (Lo 1974); Deutsche Arien 1729, hrsg. v. M. SEIFFERT (Lippstadt 1975); Konzert für Orgel in Judas Maccabäus, hrsg. v. F. HUDSON (Kas 1976); Triosonaten op. 2, 1-3, hrsg. v. B. LAM (Lo 1978). 2 geistliche Arien, hrsg. v. A. MANN (NY 1979) (= Rutgers Univ. Documents of Music 10). - Außerdem zahlr. praktische Ausgaben. Lit.: 1) Sammelpublikationen u. Periodica: H.-Jb., hrsg. v. R. STEGLICH (L 1928-33, Nachdr. NY 1969); H.-Jb., hrsg. v. der G.-F. -H.-Ges. (Hl 1955ff.); H. A Symposium, hrsg. v. G. ABRAHAM (Lo 1954); Berichte über die wiss. Konferenzen zu den Händelfestspielen der DDR, hrsg. v. W. SIEGMUNDSCHULTZE (Hl 1976ff.); Göttinger H.-Beiträge, hrsg. v. H. J. MARX (Kas 1984ff.). - 2) Briefe und Dokumente: H. MÜLLER VON ASOW, The Letters and Writings of G. F. H. (Lo 1935, Nachdr. Freeport/N.Y. 1970); J. KIRKENDALE, The Ruspoli Documents on H., in: JAMS 20 (1967). - 3) Bibliographien u. Lit. über Quellen u. Oberlieferung: K. TAUT, Verz. des Schrifttums über G.F. H., in: H.-Jb. 6 (1933); W. C. SMITH, Catalogue of Works, in: H., A Symposium, hrsg. v. G. Abraham (Lo 1954), dt. Übers., in: H.-Jb. N. F. 2 (1956); K. SASSE, Verz. der Schallplatten mit Werken v. G. F. H., in: H.-Jb. N. F. 1 (1955); K. SASSE, H.-Bibliogr. (L 1963), 2. verbesserte Aufl. (L 1967), 2. Nachtrag (1969); A. H. KING, H. and His Autographs (Lo 1967); J. TOBIN, H.'s Messiah. A Critical Account of the Manuscript Sources and Printed Editions (Lo - NY 1969); A. C. BELL, Chronological Catalogue of H.'s Works (Greenock 1969); W. C. SMITH, H. A Descriptive Catalogue of the Early Editions (NY O 1970); H. D. CLAUSEN, H.s Direktionspartituren („Handexemplare") (H 1972) (= Hamburger Beitr. z. Musikwiss. 7); J. M. KNAPP, The Autograph Manuscripts of H.'s „Ottone", in: FS J. P. LARSEN (Kop 1972); A. D. WALKER, G. F. H. The Newman Flower Collection in the H. Watson Music Library (Manchester 1972); H.-Hdb. (grundlegend), 4 13de., l-3: Thematisch-systematisches Verz., hrsg. v. B. BAS ELT (Kas

usw. 1978, 1984, 1986), 4: Dokumente zu Leben u. Schaffen. Auf der Grundlage v. O. E Deutsch, H. (1955) (Kas 1985). 4) Biographien und umfassende Darstellungen: J. MAINWARING, Memoirs of the Life of the Late G.F. H. (Lo 1760, Nachdr. Hilversum 1964, Buren 1975), dt. Übers. v. J. MATTHESON als: G.F. H.s Lebensbeschreibung (H 1761), NA v. B. PAUMGARTNER (Z 1947), dass., hrsg. v. E. H. MÜLLER VON ASOW (Lindau 1949, W 1950): F. CHRYSANDER, G. F. H., 2 Bde., u. ein Halb-Bd. (L 1858-67, Neudr. 2 1919, Nachdr. Hil - Wie 1966), separates Register v. S. FLESCH (L - Hil 1967); J. MARSHALL, H. (Lo 1883, 21912); PH. SPITTA, G. F. H., in: Famous Composers 1. hrsg. v. J. K. Paine (Boston 1892, Lo 1895); F. VOLBACH, G. F. H. (B 1898, '1914) (= Berühmte Musiker 2); C. F. ABDY WILLIAMS, H. (Lo 1900, NA NY 1935, Lo 1944); J. C. HADDEN, Life of H. (Lo 1904, Nachdr. NY 1976); R. A. STREATFEILD, H. (Lo 1909, Nachdr. NY 1964); R. ROLLAND, H. (P 1910, '1953, dt. Z 1922, B 21954); N. FLO WER, G. F. H. (Lo 1923, Neudr. 1929, 1943), erweiterte NA (1947, revidiert 1959, 1964, dt. L 1925, 21934); H. LEICHTENTRITT, H. (St - B 1924); H. ABERT, G.F. H., in: Schriften u. Vorträge, hrsg. v. F. Blume (HI 1929, Nachdr. Tutzing 1968); A. SCHERING, Die Welt H.s, in: H.-Jb. 5 (1932), auch in: Von großen Meistern der Musik (L 1940); J. M. MÜLLER - BLATTAU, G. F. H. (Pd 1933); E. J. DENT, H. (Lo 1934, Neudr. 1947, NY 1948); A. WESTRUP, H. (Lo 1938); W. SERAUKY, Musikgesch. der Stadt Halle 2/1 (Hl - B 1939, Nachdr. Hil 1971) ( = Beitr. z. Musikforsch. 6); R. STEGLICH, G. F. H. (L 1939); H. J. MOSER, G.F. H. (Kas 1941, 2 1952); O. WHEELER, H. at the Court of Kings (NY 1943, Lo 1945); H. WEINSTOCK, H. (NY 1946, revidiert 21959), dt. v. G. Mabold - A. Ott (Mn 1950); P. M. YOUNG, H. (Lo 1946, NY 1947, revidiert NY 1963, Lo 1975); W. C. SMITH, Concerning H. (Lo 1949); DERS., Handeliana, in: ML 31 (1950); DERS., More Handeliana in: ML 34 (1953); W. SIEGMUND-SCHULTZE, G. F. H. (L 1954, erweitert '1962); O. E. DEUTSCH, H. A Documentary Biography (NY 1955, Nachdr. 1974); J. MÜLLER-BLATTAU, H., in: MGG V; W. SERAUKY, G. F. H., nur Bde. 3 u. 4 erschienen (Kas 1956-58); P. NETTL, G. F. H. (B 1958); R. FRIEDENTHAL, G. F. H. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1959, 51970) (= rowohlts monographien 36); S. HALL, G. F. H. (Lo 1961, revidiert 1963); W. RACKWITZ - H. STEFFENS, G. F. H., Persönlichkeit, Umwelt u. Vermächtnis (L 1962); S. SADIE, H. (Lo-NY '1966); J. TOBIN, H. at Work (Lo 1964); P. H. LANG, G. F. H. (NY 1966, dt. Kas 1978); A. C. BELL, H. in Italy, in: MR 28 (1967); J. BARNA, G. F. H. (Budapest 1972); CH. CUDWORTH, H. A Biography With a Survey of Books, Editions, and Recordings (Lo 1972); C. TIMMIS, H. and Steffani. A New H. Signature, in: MT 114 (1973); A. C. BELL, H. Before England (Darley 1975); D. BURROWS, H. and the Foundling Hospital, in: ML 58 (1977); A. C. BELL, The Great Mister H., in: MR 39 (1978); G. F. H. Beitr. zu seiner Biogr. aus dem 18. Jh., hrsg. v. W. SIEGMUND-SCHULTZE (Wilhelmshaven 1979) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 32). - 5) Zu den einzelnen Werken u. Werkgruppen: M. SEIFFERT, Zu H.s Klavierwerken, in: SIMG 1(1899/ 1900); S. TAYLOR, The Indebtedness of H. to Works by Other Composers (C 1906, Nachdr. NY 1971); O. HAGEN, H.s Musikdrama „Rodelinde" u. seine Bearb. (Gö 1920); W. MICHAEL, Die Entstehung der Wassermusik, in: ZfMw 4 (1921/22); F. KAHLE, G. F. H.s Cembalosuiten (Diss. B 1928); L. SCHRADE, Stud. zu H.s „Alexanderfest", in: H.-Jb. 5 (1932); E. BREDENFORDER, Die Texte der H.-Oratorien (L 1934), E. FOLSING, G. F. H.s engl. Kirchenmusik (L 1940); J. EISENSCHMIDT, Die szenische Darstellung der Opern G. F. H.s auf der Londoner Bühne seiner Zeit, 2 Bde. (Wb - B 1940-41) (= Schriftenreihe des H. -Hauses 5-6); F. EHRLINGER, G. F. H.s Orgelkonzerte (Wü 1941) (= Literarhist.-musikwiss. Abh.en 8); P. M. YOUNG, The Oratorios of H. (Lo 1949, NY 1950); H. CH. WOLFF, Die H.-Oper auf der modernen

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Haendel Bühne (L 1957); H. FERDINAND, Die musikal. Darstellung der Affekte in den Opernarien G.F. H.s (Diss. Bonn 1958); G. -F. WIEBER, Die Chorfuge in H.s Werken (Diss. F 1958); CH. L. CUDWORTH, H. and the French Style, in: ML 40 (1959): W. DEAN, H.'s Dramatic Oratorios and Masques (Lo 1959); S. POLADIAN, H. as an Opera Composer (1959) (= Diss. Cornell Univ./N.Y.); H.-B. DIETZ, Die Chorfuge bei G. F. H. (Tutzing 1961); A. O. GOULD, The Flute Sonatas of G. F. H. (1961) (= Diss. Univ. of Illinois); P. G. PAULY, G. F. H.s Klavierfugen (Diss. Saarbrücken 1961); CH. E. FARBY, The Organ Concertos of G. F. H. (1962) (= Diss. Florida State Univ.); A. MANN, H.s Fugenlehre, ein unveröff. Ms., in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); H. W. SHAW, The Story of H.'s „Messiah" 1741-84 (Lo 1963); A. B. ROBERTSON, Contemporary Practices in the Performance of H.'s „Messiah", 2 Bde. (1963) (= Diss. Indiana Univ.); H. W. SHAW, A Textual and Historical Companion to H.'s „Messiah" (Lo 1965); TH. GÖLLNER, Zur Sprachvertonung in H.s Chören, in: DVfIG 42 (1968); J. M. KNAPP, H.'s „Giulio Cesare in Egitto", in: Studies in Music History. FS O. Strunk (Princeton/N.J. 1968); W. SIEGMUND-SCHULTZE, H.s Operntyp u. seine Darbietungsprobleme, in: Wiss. Beitr. der Univ. Halle-Wittenberg 8 (1968); R. CELLETTI, Il virtuosismo vocale nel melodramma di H., in: RIMus 4 (1969); W. DEAN, Vocal Embellishment in a H. Aria, in: Studies in Eighteenth-Century Music. FS K. Geiringer (Lo 1970); J.M. KNAPP, H.'s „Tamerlano". The Creation of an Opera, in: MQ 56 (1970); H. MEIER, Typus u. Funktion der Chorsätze in G. F. H.s Oratorien (Wie 1971) (= Neue musikgesch. Forsch. 5); S. FLESCH, G. F. H.s Triosonaten, in: H.-Jb. 18/19 (1972/73); W. SIEGMUND-SCHULTZE, Die Artenwelt des „Messias", in: FS J. P. Larsen (Kop 1972); S. SADIE, H. Concertos (Lo 1972); A. GEERING, G. F. H.s frz. Kantate, in: Musicae scientiae collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973); W. D. GUDGER, The Organ Concertos of G. F. H. A Study Based on the Primary Sources, 2 Bde. (1973) (= Diss. Yale Univ.); H.J. MARX, Ein Beitr. H.s zur Accademia Ottoboniana in Rom, in: Hamburger Jb. für Musikwiss. 1 (1974); R. STROHM, H.s Pasticci, in: Stud. z. it.-dt. Musikgesch. 9 (1974) (= Anal. Mus. 14); J. J. FULD, The First Complete Printing of H.'s „Messiah", in: ML 55 (1974); J. STENZL, Über Großaufbau u. die Bedeutung v. H.s „Messiah", in: NZfM 135 (1974); H. FREDERICHS, Das Verhältnis v. Text u. Musik in den Brockespassionen Keisers, H.s, Telemanns u. Matthesons (1975) (= Musikwiss. Schriften 9); D. BURROWS, H.'s Performances of „Messiah". The Evidence of the Conducting Score, in: ML 56 (1975); T. BEST, H.'s Solo Sonatas, in: ML 58 (1977); K. TELLE, Tanzrhythmen in der Vokalmusik G. F. H.s (Mn 1977) (= Beitr. z. Musikforsch. 3); B. COOPER, The Organ Parts to H.'s „Alexander's Feast", in: MI 59 (1978); E. T. HARRIS, Hendel and the Pastoral Tradition (Lo 1980); N. SEIFAS, Die Concerti grossi op.6 u. ihre Stellung in H.s Gesamtwerk, in: H.-Jb. 26 (1980). — 6) lkonographien: J. M. COOPERSMITH, A List of Portraits, Sculptures etc. of G. F. H., in: ML 13 (1932); R. PETZOLD — E. CRASS, G. F. H. Sein Leben in Bildern (L 1955, '1965). — 7) Zur Rezeptionsgeschichte u. Auffährungspraxis: F. VOLBACH, Die Praxis der H. -Aufführung (Diss. Bonn 1899); Die Göttinger H. -Festspiele (Gö 1953); H. CH. WOLFF, Die H. -Oper auf der modernen Bühne (L 1957); J. RUDOLPH, H. Renaissance, 2 Bde. (B 1960-69); J. P. LARSEN, H. Traditions an H. Interpretations, in: Dansk aarbog for musikforsning 1 (Kop 1961); W. RACKWITZ, Die hallische H.-Renaissance 1859 bis 1962 (Diss. Hl 1963), gedruckt als: Gesch. u. Gegenwart der hallischcn H. -Renaissance, 2 Bde. (Hl 1977-79); C.J. MARTIN, Performance Practices in H.'s „Messiah" (1968) (= Diss. Univ. of Cincinnati); P. GULKE, Zur Einrichtung Händelscher Opernpartituren, in: H.-Jb. 15/16 (1969/70); 50 Jahre Göttinger H. -Festspiele, hrsg. v. W. MEYERHOFF (Kas 1970). W. DEAN — G. MASSENKEIL

HAENDEL, Ida, * 15. 12. 1924 Chefm; engl. Vio18

linistin polnischer Herkunft. Sie studierte am Warschauer Konservatorium und bei C. Flesch und G. Enescu. Mit 13 Jahren debütierte sie unter H. Wood in der Queen's Hall in London. Als Solistin bereiste sie viele Länder der Erde. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Interpretation der Werke von J. Sibelius, B. Bartók und A. Chatschaturjan. Sie veröffentlichte eine Autobiographie unter dem Titel Woman with Violin (Lo 1970). HANDHARMONIKA /Akkordeon. HANDL (Händl), Jacobus, /Gallus. HANDLEITER (engl.: cheiroplast, chiroplast; frz.: guide-mains, chiroplaste; it.: guidamani; span.: quiroplasto), eine Vorrichtung, bestehend aus einer vor der Klaviatur in passender Höhe angebrachten Leiste, die die Handgelenke des Klavierschülers kräftigen und die Handstellung verbessern, vor allem die Beteiligung der Ellenbogen am Spiel verhindern soll. Der H., ein vereinfachter .Chiroplast, wurde von P. Zimmermann allgemein bekannt gemacht und von Fr. Kalkbrenner vervollkommnet. Auch Fr. Liszt empfahl ihn seinen Schülern. Im 19. Jh. wurden noch andere Systeme zur Festigung der Handgelenke entwickelt, z. B. Fingerringe aus Blei von Henri Lemoine, das Dactylion von Henri Herz, der Chirogymnast von Casimir Martin oder das Clavier déliateur von Joseph Grégoir. Alle diese Geräte gelten seit langem als Kuriositäten einer vergangenen Zeit. Lit.: 7Chiroplast.

HANDLO, Robert de, engl. Musiktheoretiker des 14. Jahrhunderts. Sein Traktat Regulae cum maximis Magistri Franconis cum additionibus aliorum musicorum (1326), der noch von Th. Morley in seiner Plaine and Easie Introduction (1597) zitiert wird, ist in einer Kopie von J. Chr. Pepusch erhalten. Er handelt von der Form und dem Wert der Notenzeichen, von Ligaturen und Pausen wie auch von den rhythmischen Modi (im Anschluß an Franco von Köln) und gibt aufschlußreiche Hinweise auf die musikalische Praxis seiner Zeit. Ausg.: Regulae, in: COUSSEMAKER Scr. 1 (P 1864, Nachdr. Gr 1908, Hil 1963); dass. engt., hrsg. v. L. A. DITTMER (Brooklyn/N.Y. 1959) (= Musical Theorists in Translation 2).

HANDSCHIN, Jacques Samuel, * 24.3. (5.4.)1886 Moskau, # 25. 11. 1955 Basel; Schweizer Musikforscher. Er studierte an den Universitäten Basel, München und Leipzig Geschichte, Mathematik, Philologie und Nationalökonomie, war gleichzeitig Orgelschüler von M. Reger in München und Leipzig, von K. Straube in Leipzig und dann von Ch.-M. Widor in Paris. 1909-20 lehrte er Orgel (seit 1916

Hanff als Professor) am Konservatorium in St. Petersburg, war auch Organist an der dortigen St.-PetriKirche und blieb bis zu seinem Lebensende als Organist (auch konzertierend) tätig. Einige Komponisten (A. Glasunow, S. Ljapunow u. a.) regte er zu Orgelkompositionen an. H.s erste Veröffentlichungen waren der Orgel, der Akustik und der Musik des Mittelalters gewidmet. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz (1920) promovierte er 1921 bei K. Nef in Basel mit einer Dissertation über Choralbearbeitungen und Kompositionen mit rhythmischem Text in der mehrstimmigen Musik des 13. Jh. und habilitierte sich 1924 dort mit der Schrift Über die mehrstimmige Musik der St. -Martial-Epoche. Seitdem lehrte er Musikwissenschaft an der Baseler Universität, seit 1930 als außerordentlicher, seit 1935 als ordentlicher Professor. H., einer der bedeutendsten und vielseitigsten Musikforscher des 20. Jh., widmete sich vor allem der mittelalterlichen Musik, veröffentlichte aber auch anregende Beiträge u. a. zur Musikpsychologie und zur musikalischen Völkerkunde. Ihm wurden zwei Gedenkschriften gewidmet: Gedenkschrift J. H., hrsg. v. H. Oesch (Be 1957, mit verschiedenen Aufsätzen H.s. u. Schriftenverz.) sowie In memoriam J. H., hrsg. v. H. Anglès u. a. (Str 1962, mit Schriftenverz.). Schriften: Was brachte die Notre Dame-Schule Neues, in: ZfMw 6 (1923/24); Über den Ursprung der Motette, in: Kgr.-Ber. Basel 1924 (L 1925); Mussorgsky (Z 1924) (= 112. Neujahrsblatt der Allgemeinen Musikges. Zürich); Zur Frage der melodischen Paraphrasierung im MA, in: ZfMw 10 (1927/28); Der Organum-Traktat v. Montpellier, in: Stud. zur Musikgesch. FS G. Adler (W 1930); C. Saint-Saëns (Z 1930) (= 118. Neujahrsblatt der Allgemeinen Musikges. Zürich); I. Strawinsky (Z 1933) (= 121. Neujahrsblatt ...); „Antiochien, jene herrliche Griechenstadt", in: AfMw 7 (1942); Dvořák (P 1946); Der Toncharakter. Eine Einführung in die Tonpsychologie (Z 1948); Exotische Musik, in: Musica aeterna (Z 1948); Musikgesch. im Überblick (Luzern 1948, 21964); The Summer Canon and Its Background, in: MD 3 (1949) u. 5 (1951); Musicologie et musique, in: Kgr.-Ber. Basel 1949 (Kas 1951); Trope, Sequence and Conductus, in: Early Medieval Music up to 1300, hrsg. v. A. Hughes (Lo 1954) (= New Oxford History of Music 2). Lit.: W. W IORA, Der tonale Logos. Zu J. H.s Buch „Der Toncharakter", in: Mf 4 (1951), wiederabgedruckt in: DERS., Hist. u. systematische Musikwiss. Ausgew. Aufsätze (Tutzing 1972); A.GEERING, in: AMI 28 (1956); H. HUSMANN, in: Mf 9 (1956); F. MULLER, The Central Ideas of J. H., in: JAMS 9 (1956).

HANDSTÜCK, Bz. für kleine, oft miniaturhaft kurze Klavierstücke mit geringen technischen Anforderungen für den Klavierunterricht für Anfänger. Diese aus pädagogischen Absichten geschaffene Sonderform des OECharakterstücks begegnet erstmals bei D. G. Türk in der Clavierschule ... nebst 12 Handstücken (1789) und in den 60 Handstücken für angehende Klavierspieler (1792). Die Stücke tragen charakterisierende Überschriften, Gedicht-

zeilen, Sentenzen, Sprichwörter oder kurze Inhaltsangaben (Hans ohne Sorgen, Abendlied eines Ritters im Walde), die der Vorstellungswelt von Kindern entsprechen und zu einer affektgerechten Darstellung der Musik verhelfen sollen. Türks Stücke zeigen für ihre Zeit erstaunliche psychologische Einsichten, fanden Nachahmer und sind zu den unmittelbaren Vorläufern von R. Schumanns Album für die Jugend, op. 68 (1858) zu rechnen. Ausg. u. Lit.: D. G.TURK,Klavierschule(L—H11789),Faks.hrsg. v. E. R. Jacobi (1962, 21967) (= DMI 1/23); L. HESSE, From Pieces u. H. für Klv. (Diss. masch. Fr 1941); R. SOFFER, From Pieces de genre to H., in: Musicology 2 (1949).

HANDY, William Christopher, * 16. 11. 1873 Florence (Alabama), t 28.3. 1958 New York; amerik. Jazzmusiker (Kornettist, Komponist), Musikschriftsteller und Verleger. Er studierte am Kentucky Musical College, zog mit Theatergruppen durch die Südstaaten der USA, spielte als Kornettist u. a. bei den Mahara's Minstrels und wurde 1896 deren Leiter. 1905 hatte er in Memphis, danach in Chicago, eine eigene Band. Später gründete er in New York einen Musikverlag und die Schallplattenfirma „Black Swan Records". Mit eigenen Bands machte er 1919-39 Schallplattenaufnahmen. Auch nach seiner Erblindung in den 30er Jahren leitete er seine Unternehmen weiter. Bedeutung gewann er auch als Sammler, Herausgeber und Bearbeiter von Blues-Themen. Einige seiner berühmten Blues-„Kompositionen", mit denen er zugleich zur Standardisierung des 12taktigen Schemas beitrug, basieren auf überlieferten Melodien, so The Memphis Blues auf der Melodie von Mr. Crump. Bekannte Standards von H. sind ferner: Loveless Love, Beale Street Blues, Yellow Dog Blues und vor allem der St. Louis Blues, der zu den meistgespielten Jazzstücken wurde. Seine Autobiographie erschien unter dem Titel Father of the Blues, hrsg. von A. Bontemps (NY 1941, Lo—NY 1961). Er veröffentlichte ferner: Blues. An Anthology (NY 1926, NA als: A Treasury of the Blues, NY 1949); The Birth of the Blues (NY 1941). Über sein Leben handelt der Film St. Louis Blues (1957) mit Nat King Cole in der Hauptrolle. WW: 1) Kompositionen: Memphis Blues (1912); St. Louis Blues (1914); Yellow Dog Blues (1914); Beale Street Blues (1916); Loveless Love (1921); Aunt Hagar's Blues (1922). — 2) Editionen: Blues. An Anthology (NY 1926), NA als: A Treasury of Blues (1949) ; The Birth of the Blues (NY 1941). — Autobiographie Father of the Blues, hrsg. v. A. Bontemps (NY 1941, Lo—NY 1944, 1957, 1961 ). Lit.: E. R. MONTGOMERY, W. Ch. H., Father of the Blues (Champaign/Ill. 1968) (= Americans All Series o. Nr.).

HANFF, Johann Nicolaus, * 1665 Wechmar (Thüringen), t Winter 171 1 / 1 2 (vor dem 21. 1. 1712) 19

Hanke Schleswig; dt. Komponist. Er lebte um 1688 in Hamburg, wo er J. Mattheson im Cembalospiel und in Komposition unterrichtete, ist 1696 in Eutin als Hoforganist nachweisbar und wurde 1711 Organist am Schleswiger Dom. Von H. sind 6 Orgelchoräle, 2 kleine geistliche Konzerte und 2 Liedkantaten überliefert. Die im imitierenden Stil geschriebenen Orgelchoräle verwenden den C. f. als kolorierte Oberstimme (z. B. Erbarm' dich mein) und weisen auf ähnliche Stücke im Orgelbüchlein von J. S. Bach voraus. Ausg.: 6 Org.-Choräle, in: K. STRAUBE, Choralvorspiele alter Meister (L 1907); Kantate Ich will den Herrn loben hrsg. v. B. GRUSNICK (Kas 1959); Kantaten Gott sei uns gnädig für 4st. Chor, 2 V., 2 Va. u. B.c., Alleluja, der Tod ist verschlungen für Sopran, Alt, 2 V., Fag. u. B.c. u. Wohlauf mein Herz für Alt, Tenor, 2 V., Fag. u. B.c., hrsg. v. G. GROTE (B 1962). Lit.: H. SCHILLING, T. Eniccelius, F. Meister, N. H. Ein Beitr. zur Gesch. der ev. Frühkantate (Diss. Kiel 1934); G. FROTSCHER, Gesch. des Orgelspiels u. der Orgelkomposition 1 (B 1935, 21959); T. HOLM, Neue Daten zur Lebensgesch. J. N. H.s, in: Mf 7 (1954).

HANKE (Hancke), Carl, * um 1750 Roßwalde (Schlesien), t 10.6.1803 Flensburg; dt. Komponist. Er war Schüler von Chr. W. Gluck in Wien, übernahm 1776 die Leitung der Kapelle Herzog Albrechts von Hadic-Roßwalde und war nach dessen Tod 1778-81 Theaterkapellmeister in Brünn, 1781-83 in Warschau. 1786 wurde er Stadtmusikus in Schleswig, 1791 in Flensburg. H. setzte sich gleichzeitig mit W. A. Mozart mit dem Figaro-Stoff auseinander (Gesänge und Chöre zum lustigen Tag oder die Hochzeit des Figaro, P. A. Beaumarchais gewidmet, H 1785). WW: Kammermusik; Orchesterwerke; Lieder; geistliche u. weltliche Kompositionen; Singspiele; Schauspielmusik, u. a. eine Hochzeit des Figaro (1785); Ballette; ferner Opern, darunter Der Wunsch mancher Mädchen, UA: Warschau 1781; Dr. Fausts Leibgürtel, UA: Flensburg 1794; Hüon u. Amande (nach Chr. M. Wielands Oberon), UA: ebd. 1794. Lit.: A. EINSTEIN, Ein Schüler Glucks, in: AMI 10 (1938); H. P. DETLEFSEN, Musikgesch. der Stadt Flensburg bis zum Jahre 1850 (Kas 1961) (= Schriften des Landesinst. für Musikforsch. Kiel 11); W. SALMEN — H. W. SCHWAB, Musik u. Musikforsch. in Schleswig-Holstein, in: Christiana Albertina (1967) H. 4 (mit Faks. eines Schifferliedes).

HANN, Georg, * 30. 1. 1897 Wien, t 9. 12. 1950 München; östr. Sänger (Baß). Nach dem Studium an der Wiener Musikakademie debütierte er 1927 an der Staatsoper in München, deren Mitglied er bis zu seinem Tode blieb. Gastspiele führten ihn auch an andere bedeutende europäische Opernhäuser und häufig zu den Salzburger Festspielen. Sowohl in seriösen Partien als auch in Buffopartien zählte er zu den bedeutendsten Bassisten seiner Generation. 20

HANNELES HIMMELFAHRT, Oper in 2 Akten von Paul Graener (1872-1944), Text von Georg

Gräner nach der gleichnamigen Traumdichtung (1896) von Gerhart Hauptmann. Ort und Zeit der Handlung: Zimmer eines Armenhauses in einer Dezembernacht. UA: 17.2. 1927 in Dresden unter Fritz Busch mit Erna Berger in der Titelrolle; gleichzeitig in Breslau unter F. Cortolezis. Hanneles Himmelfahrt ist die erste Oper Graeners, die er — auf der Höhe seines Ruhmes — nach einer bereits erfolgreichen Dichtung komponierte. Die sozialkritischen Züge der literarischen Vorlage wurden von dem Librettisten, einem Vetter des Komponisten, weitgehend eliminiert, so daß in der Oper hauptsächlich die religiös-mystischen Fieberphantasien des sterbenden Mädchens dargestellt werden. Das Werk gab wegen des suggestiven Einsatzes der Klangfarbe Ausschlag für die Einschätzung Graeners als Impressionist. Das symphonische Zwischenspiel Der Hüter der Schwelle fand als programmatisches Stimmungsbild auch Eingang in den Konzertsaal. K. LANGROCK HANSEL UND GRETEL, Märchenspiel in 3 Bildern von Engelbert Humperdinck (1854-1921), Text von Adelheid Wette (der Schwester des Komponisten) nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm. Orte der Handlung: Daheim, im Wald und am Knusperhaus. UA: 23.12. 1893 in Weimar (Hoftheater) unter Richard Strauss. Der durchkomponierten Fassung gingen schon im Frühjahr 1890 die Vertonung einiger Kinderliedverse und anschließend der Plan zu einer Singspiel-Fassung für eine Aufführung im eigenen Haustheater voraus. Stofflich-motivisch vereinigt das Werk die Klischees deutscher Märchenseligkeit. Volkstümlichkeit strebte A. Wette durch die Übernahme von Volksliedtexten in das Libretto an, wie Brüderchen, komm tanz mit mir, dem Abendsegen (die bekannteste Nummer der Oper) aus einem Gebet aus dem Bergischen Land sowie den Kinderreimen Knusper, Knusper, Knäuschen und Der Wind, der Wind, das himmlische Kind aus der literarischen Vorlage. Zahlreiche Züge des Grimm Märchens wurden vereinfacht und ins BürgerlichSentimentale gekehrt, so daß die Librettistin Trivialitäten in der Ereignisfolge nicht immer vermeiden konnte. Die musikalische Erfindungsgabe Humperdincks und seine unverfälschte Originalität im Tonsatz verhalfen jedoch der Oper zu Welterfolg. In einem kompositorischen Konzept, in dem Humperdinck der liebevollen Ausschmückung einzelner Genrebilder den Vorzug vor stringenter Musikdramaturgie gab, bewährte sich der Rückgriff auf die Volksmelodien Suse, liebe Suse, was raschelt im

Hanslick Stroh, Ein Männlein steht im Walde und Schwesterlein, hüt' dich fein. Ausgedehnte symphonische Abschnitte wie die Ouvertüre (mit dem Thema des Abendsegens), der Hexenritt (Vorspiel zum 2. Akt) und die Pantomime der 14 Englein sind von einer Tonsprache geprägt, die deutlich an Werken R. Wagners und Fr. Liszts geschult wurde Hänsel und Gretel galt am Ende des Jahrhunderts als Gipfelwerk der Wagner-Epigonen und als bedeutendes

deutsches Gegengewicht zur italienischen veristischen Oper.

J. SCHLÄDER

HANSEN, Conrad, * 24. 11. 1906 Lippstadt (Westf.); dt. Pianist. Er war Meisterschüler von Edwin Fischer und wirkte als Solist in dessen Kammerkonzerten mit. 1930 begann seine internationale Konzertlaufbahn. H. lehrte 1938-44 am Sternschen Konservatorium in Berlin, 1946-60 an der von ihm mitbegründeten Musikakademie in Detmold. Seitdem ist er Professor an der Musikhochschule in Hamburg. HANSEN, Wilhelm Hansen Musik-Forlag, dänischer Musikverlag, gegr. 1857 von Jens Wilhelm H. (1821-1904). Der Verlag entwickelte sich über Dänemark hinaus u. a. durch die Errichtung von Filialen in Leipzig (1887), Stockholm (AB Nordiska Musikförlaget), Oslo (Norsk Musikforlag A/S) und Frankfurt am Main (Edition Wilhelm H., 1951). Das Verlagsprogramm umfaßt zahlreiche Gebiete der Musik, ist aber spezialisiert auf Editionen nordischer Musik (u. a. von E. Grieg, Ch. Sinding, J. Svendsen, W. Stenhammar, C. Nielsen, J. Sibelius, Y. Kilpinen). Der Verlag hat auch die Entwicklung der Neuen Musik (A. Schönberg, I. Strawinsky, G. Auric, Fr. Poulenc, G. Fr. Malipiero) gefördert. Zum Verlagsprogramm gehören ferner pädagogische und didaktische Werke sowie die Zeitschrift Pro musica (1930ff.). HANS HEILING, Romantische Oper in 3 Akten und einem Vorspiel von Heinrich Marschner (1795-1861), Text von Eduard Devrient. Ort u. Zeit der Handlung: Böhmisches Erzgebirge, im Mittelalter. UA: 24.5. 1833 in Berlin (Königliche Oper). Die Geschichte vom Geisterfürsten Hans Heiling, der auf der Erde in der Liebe einer Frau Erfüllung sucht, abgewiesen wird und Rache schwörend in sein Zwergenreich zurückkehrt, hat mit Christian Heinrich Spieß' gleichnamigem Schauerroman (1800) nur den Titel gemeinsam; Devrient nutzte vielmehr eine alte böhmische Sage als attraktives Opernsujet. — Marschner hält am Singspiel-Typus mit abgeschlossenen Nummern und Sprechdialog

fest, doch trägt das Werk im Detail die charakteristischen Merkmale der frühromantischen deutschen Oper: Weitung der Arien zu größeren Szenen (besonders prägnant in Heilings An jenem Tag), ausdrucksvolle Rezitativ-Komposition mit Steigerung zur ariosen Kantilene in emotional bedeutsamen Augenblicken (etwa im Vorspiel) und die situationsprägende Verwendung des Melodrams (etwa nach der Verwandlung im 2. Akt, wenn die Verbindung von melodramatischem Stil und balladeskem Gesang ein eindrucksvolles Stimmungsbild ergibt). Marschner vermochte die Komplikation des musikdramatischen Stils mit der Kopplung von vier „Sprechweisen" (gesprochener Dialog, Melodram, Rezitativ und Gesang) nicht schlüssig zu bewältigen, da er die Stilebenen nicht konsequent entsprechenden Ausdrucksbereichen zuordnete. Dennoch gilt diese bedeutendste Oper des Komponisten als eines der Hauptwerke der deutschen Romantik vor Wagner, in dem mit der Baßbariton-Partie des Titelhelden ein dämonischer Charakter im Zentrum einer Opernhandlung steht. — Für die Wiener EA (24. 1. 1846) änderte Marschner die Eingangsszene des 2. Aktes und das gesamte Finale. So konnte er auf die dramaturgische Besonderheit der Dea ex machina als Konfliktlösung verzichten und die Stringenz der Handlung steigern. J. SCHLÄDER HANSLICK, Eduard, * 11. 9. 1825 Prag, t 6. B. 1904 Baden bei Wien; östr. Musikkritiker und -ästhetiker. Er studierte in Prag Jura und bei V. J. Tomášek Klavier, Harmonielehre und Kontrapunkt. Mit A. W. Ambros gehörte er zu den „Prager Davidsbündlern", einer Vereinigung, die begeistert für die Musik der deutschen Romantiker eintrat. 1849 promovierte er in Wien zum Dr. jur., war 1850-52 in Klagenfurt Finanzbeamter und kehrte dann nach Wien zurück, wo er neben seinem Verwaltungsberuf seit 1848 Musikkritiken für die Wiener Zeitung schrieb. Sein erstes Buch Vom Musikalisch-Schönen (1854) machte ihn schnell bekannt. 1855-64 war er Kritiker bei der Wiener Presse, dann bei der Neuen Freien Presse. 1856 habilitierte er sich für Musikgeschichte und -ästhetik und lehrte bis 1895 an der Wiener Universität, seit 1861 als außerordentlicher Professor, seit 1870 als Ordinarius. Außerdem war er in den verschiedensten Bereichen kulturpolitisch aktiv. Schriften: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitr. zur Revision der Ästhethik der Tonkunst (L 1854, Wie "1972), Nachdr. der 1. Aufl. (Da 1965) (= Libelli 81); Gesch. des Concertwesens in Wien, 2 Bde. (W 1869-70, Nachdr. Farnborough 1971); Sammel-Bde.: Aus dem Concertsaal 1848-68 (F 1872, Mn — B 2 1886); Galerie französischer u. italienischer Tondichter (B 1874); Die moderne Oper. Kritiken u. Studien, 9 Bde.: I (ohne Einzeltitel)

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Hanslick (B 1875), II: Musikal. Stationen (B 1880), III: Aus dem Opernleben der Gegenwart (B 1884), IV: Musikal. Skizzenbuch (B 1888), V: Musikalisches u. Literarisches (B 1889), VI: Aus dem Tagebuche eines Musikers (B 1892), VII: Fünf Jahre Musik (B 1896), VIII: Am Ende des Jahrhunderts (B 1899), IX: Aus neuer u. neuester Zeit (B 1900), NA der 9 Bde. (B 1911), Nachdr. in engl. Übers. als: The Collected Mus. Criticism (Farnborough 1971); Suite (W 1884); Concerte, Componisten u. Virtuosen der letzten 15 Jahre, 1870-1885 (B 1886, . 1896, Nachdr. Farnborough 1971). - Autobiographie Aus meinem Leben, 2 Bde. (B 1894, '1911), Nachdr. in einem Bd. (Farnborough 1971). - Musikkritiken, hrsg. v. L. FAHLBUSCH (L 1972) (= Reclams Universalbibl. 465).

H.s Schrift vom Musikalisch-Schönen hat auf die europäische Musikanschauung und -ästhetik des 19. Jh. nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Ihre beiden wichtigsten Definitionen, „Das Componiren ist ein Arbeiten des Geistes in geistfähigem Material" (Original-Ausg., S. 35) und „Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik" (S. 32), haben früh dazu geführt, in H. einen reaktionären Formalisten zu sehen, dem jegliche Inhaltsästhetik unhaltbar zu sein schien, wie sie etwa sein Jugendfreund Ambros in der Streitschrift Die Grenzen der Musik und Poesie (1856) vertrat. Begünstigt wurde diese etwas verengte Sicht durch das zwiespältige Verhältnis H.s zu A. Bruckner wie auch durch den erklärten Gegensatz von H. und dem als akademisch geltenden J. Brahms gegen die Programmusik und gegen die auf poetische Vorlagen gegründeten symphonischen Dichtungen der sog. Neudeutschen Schule von Fr. Liszt über R. Wagner (der H. in der ursprünglich Hans Lick genannten Figur des Stadtschreibers Beckmesser aus den Meistersingern von Nürnberg zu verspotten suchte) bis zu R. Strauss. Seit dem 20. Jh. wird H.s Ästhetik mehr im Sinne seines auf Kant und Hegel fußenden Vorbilds Friedrich Theodor Vischer (Ästhetik oder die Wissenschaft des Schönen. 1847 ff.) interpretiert: Unbeschadet der Möglichkeit von Ausdruck und Darstellung außermusikalischer Inhalte durch Musik seien es doch nicht diese selbst, die sie „schön" machten; musikalische Schönheit sei notwendig auf die Form bezogen. Also gehe es H. weniger um das Verhältnis zwischen Form und Inhalt als um die darauf beruhende Qualität von Schönheit in der Musik selbst. Lit.: O. HOSTINSKÝ, Das Musikalisch-Schöne u. das Gesamtkunstwerk vom Standpunkte der formalen Ästhetik (L 1877); F. VON HAUSEGGER, Die Musik als Ausdruck (W 1885); R. SCHÄFKE, E. H. u. die Musikästhetik (L 1922); S. DEAS, In Defence of H. (Lo 1940, Farnborough 2 1972); E. STANGE, Die Musikanschauung E. H.s (Diss. Mr 1954); C. DAHLHAUS, E. H. u. der musikal. Formbegriff, in: Mf 20 (1967); D. BREITKREUTZ, Die musikästhetischen Anschauungen E. H.s u. ihre Gültigkeit in der Gegenwart (Diss. Hl 1970): S. GRUBER, Das Musikfeuilleton im 19. Jh. am Beispiel E. H.s (Diss. W 1972); D. GLATT, Zur geschichtlichen Bedeutung der

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Musikästhetik E. H.s (Mn 1972) (= Schriften zur Musik 15); W. ABEGG, Musikästhetik u. Musikkritik bei E. H. (Rb 1974) (= Stud. zur Musikgesch. des 19.Jh. 44). R. CADENBACH

HANSON, Howard Harold, * 28. 10. 1896 Wahoo (Nebraska), t 26.2. 1981 Rochester (N.Y.); amerik. Komponist. Er studierte am Institute of Musical Art in New York bei Percy Goetchius u. an der Northwestern University in Evanston (Ill.). 1921-64 war er Direktor der Eastman School of Music der University of Rochester (N.Y.), die er zu einem wichtigen Zentrum der amerikanischen Musik machte. H.s Schaffen steht in enger Verbindung zur europäischen Musik des 19. Jh. und läßt besonders den Einfluß von J. Brahms, C. Franck und vor allem von J. Sibelius und S. Rachmaninow erkennen. WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke u. Kammermusik. - Für Orch.: 6 Symphonien (1922, 1928-30, 1938, 1943, 1954, 1968); symphonische Dichtungen Before the Dawn (1920) u. Lux aeterna (1923); Orgelkonzert (1926) u. KIv.-Konzert (1948); ferner: Elegy in Memory of S. Koussevitzky (1956); Mosaics (1958); Summer Seascape (1959); Suite Bold Island (1961); For the First Time (1963); Dies natalis (1967). - 2) Vokal-WW: Klv.-Lieder u. Gesänge. - Für Chor: The Song of Democracy (1957); Song of Human Rights (1963); 150. Psalm (1965); 121. Psalm (1968); Streams in the Desert (1969). - 3) Bähnen-WW: California Forest Play of 1920(1919); Merry Mount, UA: New York 1934. 4) Schriften: Music in Contemporary American Civilization (Lincoln/Nebr. 1951); Harmonic Materials of Modern Music. Resources of the Tempered Scale (NY 1960). Lit.: E. ROYCE. H. H., in: American Composers on American Music, hrsg. v. H. Cowell (1933); B. -C. TUTHILL. H.H., in: MQ 22 (1936); M. ALTER, H.H., in: Modern Music (1941) Januar-Februar-H.; Werkverz., in: Compositores de América 5 (Washington/D. C. 1959, Nachdr. 1964); DASS., in: Boletin interamericano de música (1960) Nr. 20.

HANS VON CONSTANTZ /Buchner, Hans. HAENTZSCHEL, Georg, * 23. 12. 1907 Berlin; dt. Komponist, Dirigent und Pianist. Er erhielt seine musikalische Ausbildung am Sternschen Konservatorium in Berlin, lebt freischaffend und ist Mitarbeiter von in- und ausländischen Rundfunkanstalten. H. schrieb Orchesterwerke, Klavierstücke und Kammermusik und ist vor allem durch harmonisch aparte und effektvoll instrumentierte Unterhaltungs- und Filmmusik bekannt geworden. WW: Streichquartett (1941); Divertimento 58 (1958). - Für Orch.: Drei schwedische Skizzen (1946); Elegie appasionata (1946); Drei Skizzen (1950); Musicaleske (1965); Romantische Rhapsodie (1951) für KIv. u. Orch.; Mosaik (1951) für Big Band; Mixturaleske (1967); für großes Orch. u. Big Band. - Filmmusik, u.a. zu: Münchhausen (1943); Via mala (1947); Der Ruf (1949); Hotel Adlon (1955); Gestehen Sie, Dr. Corda (1958); Stefanie (1958); Der Mann, der sich verkaufte (1959).

HAPPENING /Multimedia.

HARASIEWICZ, Adam, * 1. 7. 1932 Chodziez bei Posen; poln. Pianist. Seine Ausbildung erhielt er

Harfe u. a. am Konservatorium in Krakau (seit 1950) und bei A. Benedetti Michelangeli. Er gewann u. a. 1955 den 1. Preis beim Chopin-Wettbewerb in Warschau. Seither konzertierte er mit großem Erfolg in und außerhalb Europas. H. interpretiert vor allem die Klaviermusik Fr. Chopins.

HARASZTI, Emil (Émile), * 1. 11. 1885 NagyVárad (Ungarn), t 27. 12. 1958 Paris; ung. Musikforscher. Er studierte Musikwissenschaft in Wien, München, Leipzig, Berlin und Paris sowie Komposition bei Edmund Farkas und lehrte seit 1917 an der Universität Budapest (seit 1940 als Professor). 1920-28 war er Direktor des Budapester Konservatoriums. 1927 wurde er Attaché an der ungarischen Botschaft in Paris, wo er sich 1944 endgültig niederließ. Seine Forschungen betreffen vor allem die ungarische Musik und Fr. Liszt. Schriften: Un grand luthiste du XVI` siècle, V. Bakfark, in: RMie 13 (1929); La question tzigano-hongroise dans l'histoire de la musique. in: Kgr.-Ber. Lüttich 1930; La musique hongroise (P 1933); F. Liszt à Paris, in: RM 17 (1936); Le problème Liszt, in: AMI 9 (1937) u. 10 (1938); B. Bartók. His Life and Works (P 1938); A tánc története (Budapest 1938); Berlioz, Liszt et la marche de Rákoczi, in: MQ 26 (1940); F. Liszt. Author Despite Himself, in: MQ 35 (1949); F. Liszt, écrivain et penseur, in: RMie 26 (1952); Berlioz et la Marche hongroise d'après des documents inédits (P 1946); Genèse des Préludes de Liszt, in: RMie 35 (1953); L'élément latin dans l'ceuvre de Chopin. in: Chopin-Jb. der Int. Chopin -Ges. (W 1956); Trois faux documents sur Liszt, in: RMie 42 (1958); F. Liszt (P 1967). Lit.: F. LESURE, E. H., in: AMI 31 (1959).

HARDANGER FIEDEL (norwegisch: hardingfele, hardangerfele), volkstümliches Streichinstrument Norwegens. Sie hat eine der Violine verwandte Form, ist jedoch kleiner als diese und hat einen kürzeren Hals, der statt in einer Schnecke in einem geschnitzten Köpfchen endet. Außerdem hat sie ein niedrigeres Griffbrett und einen flacheren, nicht so stark gebogenen Steg, der dem akkordischen Spiel entgegenkommt, wie es für die H. F. üblich ist. Das Instrument ist reich mit Einlegearbeiten aus Perlmutt und mit Gold verziert. Es hat 4 Spielsaiten, unter denen früher eine unterschiedlich große Anzahl von /Aliquotsaiten, heute im allgemeinen 4, entlanggezogen waren. — Die älteste bekannte H. F. trägt den Namenszug „Ole Jonsen Jaastad 1651". In J. Matthesons Etwas Neues unter der Sonnen! oder Unterirdisches Klippen-Concert in Norwegen (H 1740) findet sich die erste gedruckte, für dieses Instrument bestimmte Musik. Die aus der Zeit vor 1850 erhaltenen Instrumente sind kleiner als die modernen und haben einen fast eckigen Umriß, während die neueren sich mehr an die Violine anlehnen. — Die H. F. hat dünnere Saiten als die Violine. Anders als bei dieser ist die

Stimmung nicht generell festgelegt. Am gebräuchlichsten ist für die Spielsaiten a d 1 a t e 2 oder g c t a' e 2 und für die Aliquotsaiten die 1 f is t a' oder cl e' g t a'. Charakteristisch ist jedoch die grolle Zahl (ungefähr 25) der möglichen anderen Stimmungen, von denen manche Spieler 10 bis 15 beherrschen. Das Instrument wird heute noch im Südosten und Westen Norwegens zur Begleitung typischer Tänze wie Gangar, Springar und Halling gespielt, und zahlreiche Wettbewerbe und Festivals erhalten die traditionelle Musik der H. F. lebendig. Ausg.: Norsk folkemusikk, Serie 1, HarilingfelessIâtter, 4 Bde., hrsg. v. O. GURWIN—E. GROVEN (Oslo 1958-70). Lit.: A. BJQJRNDAL, Nasjonalsinstr. hardingfela (1950) (= Univ. i Bergen árbok, Hist.-antikvarisk rekke 3); DERS., The H. Fiddle, in: Journal of the International Folk Music Council 8 (1956); B. ANMARKRUD, De ulike felestille i hardingfele tradisjonene (1975) (= Diss. masch. Univ. Oslo); R. SEVAG, Die Hardangerfele. Instrument — Spieltechnik — Musik, in: Studia instrumentorum musicae popularis 6 (Sto 1979) (= Musikhistoriska Skrifter 8). M. BROCKER

HARDBOP, Neobop, fälschlich East Coast Jazz, Jazzstil der 50er Jahre, der dem Raffinement des /Cool Jazz ein äußerst vitales Spielideal entgegensetzt. An den /Bebop anknüpfend, steht er in Verbindung mit zwei anderen Gattungen der afroamerikanischen Musik, mit /Blues und Gospelsong (7Negro spiritual). In diesem Rückgriff auf die sozusagen schwarzen Wurzeln des Jazz drückt sich eine wichtige Bewußtseinsänderung afroamerikanischer Musiker aus: Schwarz-Sein wird als positiver Wert empfunden und führt zu einem erstarkten Selbstbewußtsein der „black community"; das deuten auch die zum H. gehörigen Topoi „funky" und „soul" sowie die Titel vieler Stücke (z. B. Dis Heah, Moanin', The Preacher) an. — Die Bands des H. bestehen meist aus Rhythm section (Klv., Kb., Schlagzeug) und 1-3 Bläsern. Ihr Repertoire weist in Form und Ablauf fast durchweg Stücke mit traditioneller /Chorus-Struktur auf. Der Rhythmus ist gestrafft und tritt wieder deutlich in den Vordergrund, ist meist weniger komplex als im Bebop bei langsameren Tempi; beliebt sind Dreiermetren. Die Harmonik ist gegenüber dem Bebop vereinfacht. Bluestonalität und die Mittel der Hot-Intonation sind weitere wesentliche Gestaltungsmittel. Wichtige Musiker und Bands des H. waren Art Blakey, seine Combo The Jazz Messengers, das Max Roach-Clifford Brown Quintett, die Brüder Nat und Julian Adderly, Horace Silver, John Coltrane und Sonny Rollins. HARD ROCK /Rock Music.

HARFE (engl.: harp; frz. harpe; it. und span.: arpa), Sammel-Bz. für alle zusammengesetzten

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Harfe Chordophone, die gezupft werden und deren Saitenebene senkrecht zum Resonanzkörper steht. Die H.n lassen sich nach ihrer äußeren Form in verschiedene Typen unterteilen. Bogen-H.n bestehen aus einem meist länglichen, oft bootsförmigen Resonanzkörper, aus dem der Hals (der Saitenträger) gekrümmt nach oben herausragt (Flachbogen, Schaufelform). Von der Seite gesehen, haben Bogen-H.n die Form eines Kreissegments. Zu den Bogen-H.n ist auch die sog. Knickbogen-H. zu zählen, deren Resonanzkörper und Saitenträger leicht abgeknickt zueinander stehen (so die sumerischen, vertikal gehaltenen H.n). Bei Winkel-H.n sind die überwiegend geraden und langen Resonanzkörper mit dem Saitenträger so verbunden, daß sie zueinander in einem rechten oder spitzen Winkel stehen. Die Instrumente können einen horizontal oder vertikal gehaltenen Resonanzkörper haben. Bei den vertikal gehaltenen Winkel-H.n sind die Saitenträger entweder unten oder oben am Schallkörper befestigt. Rahmen-H.n zeigen von der Seite gesehen die Form eines Dreiecks. Sie verdanken ihre Bezeichnung einer zwischen Saitenträger und Resonanzkörper eingefügten Stützstange, die den starken Saitenzug auffängt. So entsteht ein geschlossener Rahmen aus Resonanzkörper, Saitenträger und Vorderstange, zwischen denen die Saiten aufgezogen sind. Die H. gehört neben der řLeier zu den wichtigsten Saiteninstrumenten des Alten Orients. Ihre Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte läßt sich anhand archäologischen Materials — vorwiegend an bildlichen Darstellungen — verfolgen, das jedoch zu lückenhaft ist, um entwicklungsgeschichtliche Folgerungen zu erlauben. Die Quellen lassen indes erkennen, daß H.n in allen früheren Hochkulturen weit verbreitet und bereits früh alle drei Grundtypen bekannt waren. Belegt sind Bogen-H.n in verschiedenen Formen und Größen (große Stand-H., mittelgroße und tragbare H.) für Ägypten (4. Dynastie, Mitte 3. Jt. v. Čhr.). Im Mittleren Reich (1. Hälfte 2. Jt. v. Chr.) war auch die Winkel -H. gebräuchlich. Im Neuen Reich (2. Hälfte 2. Jt. v. Chr.) wurde die Bogen -H. als Stand- oder Schulter-H. gespielt. Winkel-H.n lassen sich gleichfalls in Babylonien nachweisen. Ebenso ist die Rahmen -H. schon im 3. Jt. v. Chr. belegt. In der griechischen Antike waren verschiedene H.n-Typen bekannt (/Sambuca, Trigonon), die aber als fremde Instrumente angesehen wurden. In Asien, z. B. in Indien, kannte man schon im 2. Jh. v. Chr. Bogen- und später auch Winkelharfen. Beide Typen blieben jedoch nur in Burma erhalten, wo noch heute eine 13saitige Bogen-H. gespielt wird. Weite Verbreitung fanden bis heute verschiedene Formen 24

- Krone, Kopf

HARFE 20. Jh. Hals

- Sěule

Aufhängeleiste

Resonanzkörper Pedale

Fuß

der Bogen- und Winkel-H.n vor allem in Afrika, wo sie oft mit menschen- oder tierähnlichen Schnitzereien und mit einem Bezug von meist nicht mehr als 10 Saiten zu finden sind. In einigen Gebieten Afri-

kas entwickelten sich auch Mischformen (/Harfenlaute). In Lateinamerika wurden Rahmen-H.n von den spanischen Eroberern eingeführt; sie behielten dort bis heute ihren diatonischen Bezug und sind beliebte Volksmusikinstrumente. Die H. hatte von jeher eine unterschiedliche Anzahl von Saiten, so zuerst 7, später 19 oder 20 bei der assyrischen Winkel-H., 16 bei der indischen, 34 oder 40 bei der persischen, 35 bei der griechischen (600 v. Chr.). Die Stimmung der Saiten läßt sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren, war aber nach Ansicht vieler Forscher pentatonisch. Den bildlichen Darstellungen zufolge ist die H. im Altertum weniger als Solo-, sondern mehr als Begleitinstrument gespielt worden. Auch ein Zusammenspiel mehrerer H.n oder mit anderen Instrumenten ist belegt. In Europa ist die H. nicht vor dem B. Jh. nachzuweisen. Sie war als Rahmen-H. zuerst auf den Britischen Inseln und bei den Kelten Irlands verbreitet. Offenbar kam sie von dort, als „cithara anglica" bezeichnet, auf den Kontinent, wo sie schon bald sehr beliebt war. Sie erscheint zuerst als sog. romanische H., die um 1400 von der sog. gotischen H. abgelöst wurde. Die romanische H. hatte eine gedrungene Form mit geschweiftem Hals und zuerst sehr stark gebogener Vorderstange (Harfe, irische). Nach 1400 zeigen Darstellungen, die meist mit König David als H.-Spieler auch für die 2'Ikonographie von großer Bedeutung sind, gotische H.n mit geschweiftem Hals, aber schlanke-

Harfe rem, schmalerem Bau und fast gerader Vorderstange. Typisch für diesen Typ sind die zwei Nasen am Saitenträger (nach oben spitz zulaufende Enden des Halses). Die europäische H. hatte zunächst 7-9 Saiten; im 14. Jh. aber bereits 25, wie G. de Machaut berichtet (Dit de la Harpe), blieb jedoch bis ins 17. Jh. bei durchschnittlich 24 (wie in den Schriften von S. Virdung, M. Agricola, M. Praetorius, M. Mersenne bezeugt). In Spanien gab es H.n mit bis zu 27, in Irland auch bis zu 30 Saiten. Die Saiten der kontinentalen H. waren meist aus Darm, die der irischen aus Metall. Bis ins 16. Jh. blieb die H. ein diatonisches Instrument mit allen Saiten in einer Saitenebene. Mitte des 16. Jh. setzten erste Versuche ein, aus dem diatonischen ein chromatisches Instrument zu machen. So wurden zunächst Saiten für häufig gebrauchte Halbtöne aufgezogen (J. Bermudo, 1555), später wurde durch 5 zusätzliche Saiten die vollständige chromatische Oktave erreicht, wobei nach wie vor alle Saiten in einer Ebene lagen. Die zweireihig-chromatische H., die für das 17. Jh. belegt ist, soll von einem irischen Mönch namens Nugent erfunden worden sein. Bei diesem H.n-Typ verteilten sich die Saiten auf zwei parallele Saitenebenen, wobei sich in einer Reihe die diatonischen, in der zweiten die chromatischen Töne befanden. Daneben waren im 17. Jh. auch schon H.n mit gekreuzten Saiten bekannt, ebenso wie komplizierte dreireihig-chromatische H.n, die bis zu 100 Saiten aufwiesen. Diese Instrumente hatten zwei äußere, unisono gestimmte Saitenreihen (für beide Hände erreichbar), die eine dritte innere, in den chromatischen Halbtönen gestimmte, einschlossen. Die größere Saitenzahl, d. h. für jeden Ton eine, hatte zur Folge, daß die chromatischen H.n sehr plump und unhandlich wurden. Ebenso ließ diese Konstruktion keine Weiterentwicklung zu. Die Entwicklung zu leichteren, handlichen Instrumenten setzte erst mit der Erfindung der Haken-H., der sog. Manual -H. (ohne Pedale), durch Tiroler Volksmusiker (2. Hälfte 17. Jh.) ein, bei der die Chromatik nicht mehr durch zusätzliche Saiten, sondern durch Umstimmen einzelner Saiten erreicht wurde. Drehbare, am Hals befestigte Haken ermöglichten das Umstimmen einzelner Saiten um einen Halbton, so daß wieder 7 Saiten je Oktave ausreichten. Ungenügend war allerdings das eventuell nötige Umstimmen während des Spielens. Die Haken -H. setzte sich trotzdem gegen andere Modelle sehr schnell durch und war vor allem im deutschsprachigen Raum um 1800 sehr beliebt. Die bis heute bedeutendste Entwicklung ging allerdings nicht von der Haken-H. aus, sondern von einem Instrumententyp mit einem anderen Konstruktionsprinzip. Um 1720 baute G. Hochbrucker

(Donauwörth) eine „Tretharfe", eine Pedal -H., bei der das Umstimmen der einzelnen Saiten nicht mit den Händen, sondern mit Hilfe der Fußpedale vorgenommen und somit auch während des Spiels problemlos wurde. Die Pedalzüge für die Fußpedale wurden innen durch die Vorderstange zu den Umstimmvorrichtungen im Hals der H. geführt. Hochbruckers H. hatte zuerst 5, später 7 Pedale, welche die Saiten allerdings nur jeweils um einen Halbton erhöhen konnten. Der Tonvorrat dieser H.n war daher noch immer begrenzt. Sie waren in Es-Dur gestimmt und konnten nur für BTonarten eingesetzt werden. Dennoch verbreitete sich diese Bauart rasch in Frankreich und wurde auch von französischen Instrumentenbauern zur héutigen Pedal-H. vervollkommnet. Neben G. Cousineau und J. B. Krumpholtz (1782) ist vor allem S. Érard zu nennen, der die bis heute nahezu unveränderte Konstruktion schuf. Nach einigen Vorstufen baute er 1810 eine Doppelpedal -H. (harpe à double mouvement) mit 7 Pedalen, von denen jedes auf alle Oktavlagen eines Tones wirkt und zweimal verstellbar ist. Jede einzelne Saite kann dadurch um zwei Halbtöne erhöht werden, so daß alle Tonarten spielbar sind. Die am unteren Ende des Resonanzkörpers in einem Sockel angebrachten, stufenweise verstellbaren Pedale sind durch Pedalzüge (Hebelmechanismus) in der Vorderstange mit Drehscheiben im Hals verbunden, auf denen je zwei Stifte oder Gabeln zur Veränderung der Tonhöhe sitzen. Die moderne H. besteht aus einem Resonanzkörper (mit 5 Schallöchern auf der Unterseite), einem Fuß oder Sockel für die Pedale, der Säule oder Vorderstange, auch Baronstange genannt (von mhd. barre = Riegel), die in der Krone oder dem Kopf (meist verziert) endet, dem einwärts geschwungenen Hals oder Saitenträger (auch Mechanikbogen genannt) mit den Stimmwirbeln und der inneren Umstimmechanik. Die moderne H. hat 46-48 Saiten, bei 47 Saiten einen Tonumfang Cesl—ges4. Der Bezug besteht aus Darmsaiten, die unteren 11 Saiten sind metallumsponnen. Die H. ist temperiert diatonisch in Ces-Dur gestimmt. Zur besseren Unterscheidung beim Spiel sind die Ces-Saiten rot, die Fes-Saiten blau eingefärbt. Die Spieltechnik der H. ist im wesentlichen immer gleich geblieben. Das Instrument wird überwiegend mit den Fingerkuppen (aber auch mit den Fingernägeln oder dem /'Plektrum) gezupft. Bei der modernen beidhändigen Spieltechnik werden Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger benutzt, um Einzeltöne und Akkorde — insbesondere die für das H.-Spiel typischen /gebrochenen Akkorde und Arpeggien (/Arpeggio) —, aber auch /Flageolett25

Hade

Töne und /'Glissando zu erzeugen. Dem Spieler stehen darüber hinaus charakteristische Spielweisen zur Verfügung wie z. B. das /Bisbigliando, tEtouffé und die Ausführung der Töne mit und ohne Mediator (Plektrum). Gelegentlich werden auch besonders harte (frz.: sec; it.: secco) bzw. nahe am Resonanzkörper gezupfte Töne (frz.: près de la table; it.: presso la tavola) gefordert.Gitarrenähnliche Klangeffekte lassen sich durch Zupfen in Halsnähe erzeugen. Neben dem Anreißen der leeren Saiten waren jedoch schon früh auch andere Spieltechniken bekannt. So konnten einzelne Saiten durch den Druck der Finger in der Nähe der Decke oder auch durch richtiges Abdrücken mit den Spielfingern verkürzt und so bestimmte Intervalle ohne Umstimmen gespielt werden (nachgewiesen im Alten Reich Ägyptens, im heutigen Burma noch praktiziert). Üblich waren auch Flageolettspiel (Ägypten, Afrika) sowie das Abdämpfen der Saiten und mehrstimmiges Spiel (Ostjaken). M. BRÖCKER Musik für Harfe. Die Verwendung der H. in Instrumentalkompositionen ist seit dem 16. Jh. u. a. bei J. Bermudo (Declaración, 1555) nachweisbar. Diese meist als /Tabulaturen überlieferten Kompositionen sind jedoch nicht von vorneherein für ein bestimmtes Tasten- oder Zupfinstrument geschrieben, sondern, wie etwa A. de Cabezóns Obras de música para teda, arpa y vihuela (1578), für eine Alternativbesetzung. Seit dem beginnenden 17. Jh. wird die H. auch zu den ?Fundamentinstrumenten gezählt und wird in diesem Sinne zur Ausführung des Generalbasses herangezogen. Innerhalb einer größeren Instrumentalgruppe wird sie erstmals in Cl. Monteverdis Orfeo (1607; dort als arpa doppia auch obligat) eingesetzt, später u. a. auch in Opern und Oratorien von G. Fr. Händel (Giulio Cesare, 1724; Esther, 1732). Erst die Entwicklung der Pedal-H. durch G. Hochbrucker und die damit einhergehende Vergrößerung der spieltechnischen Möglichkeiten (so etwa auch die Einführung von Flageolett und Glissando) führte im 18. Jh. zu einer weiten Verbreitung des Instruments — insbesondere in Kreisen des Adels und des gehobenen Bürgertums — und bedingte

gleichzeitig das Entstehen einer Vielzahl spezieller Kompositionen für Harfe. Daneben war es jedoch bis ins 19. Jh. üblich, auch Werke für Tasteninstrumente auf der H. auszuführen. Zu den ersten bedeutenden Kompositionen für H. allein zählt ein Werk C. Ph. E. Bachs, das wahrscheinlich um 1750 für den Harfenisten Petrini (Vater) entstand. In der Folge waren es vor allem Harfenisten wie Chr. Hochbrucker, J. K. G. Wernich, J. B. Krumpholtz und Fr. Petrini, die zahlreiche Kompositionen für H. schufen. Insbesondere Kammermusikwerke 26

— Sonaten, Duos, Trios und Quartette — in den unterschiedlichsten Besetzungen mit H. zeugen von der Beliebtheit dieses Instruments. Zu den wichtigsten Komponisten zählen Fr. A. Rößler, Fr. A. Hoffmeister, Jean Baur, L. Boccherini, Fr. Benda, J. G. Naumann, J. Vanhal, G. Paisiello, J. W. Hertel, J. M. Molter, J. L. Dussek, J. L. Duport, E. T. A. Hoffmann, A. Boieldieu, L. Spohr und L. Cherubini. Eine bedeutende Rolle spielt die H. in der Kammermusik des 20. Jh., insbesondere französischer Komponisten: z. B. bei M. Ravel (Introduction et allegro, 1906), G. Fauré (Impromptu op. 86, 1913; Une châtelaine en sa tour op. 110, 1918), Cl. Debussy (Sonate, 1916), A. Roussel (Impromptu op. 21, 1919), V. d'Indy (Suite, 1927), J. Ibert (6 Pièces, 1932), J. Françaix (Quintette, 1934) und A. Jolivet (Pastorales de Noël, 1943; Chant de Linos, 1944). Aber auch Sonaten für H. von P. Hindemith, A. Casella und R. Malipiero haben inzwischen einen festen Platz im Konzertrepertoire. — Die Verbindung von Singstimme und H. findet sich — neben vielen Beispielen in der Opernliteratur — u. a. bei R. Schumann (3 Gesänge op. 95), J. Brahms (4 Gesänge op. 17 für Frauenchor, 2 Hörner und H.), A. Caplet (u. a. Doux fût le trait, 1924), M. de Falla (Psyché), P. Hindemith (The Harp that one thro Tara's halls) und B. Britten (A Ceremony of Carols). Asger Hamerik schrieb anläßlich der Pariser Weltausstellung 1867 eine aufsehenerregende Komposition, die Fredshymne, für Chor, Orch., 2 Org., 14 H.n und 4 Glocken. Eine wichtige Funktion erhielt die H. seit dem 2. Drittel des 19. Jh., namentlich seit H. Berlioz und Fr. Liszt, als Instrument im Orchester. Der charakteristische Klang der H. mit den ihr eigenen Spielweisen (s. o.) gehört seitdem wesentlich sozusagen zur Farbenpalette des Orchesters in Konzert und Oper. Meist hat in Werken des 19. Jh. die H. die

Funktion, das harmonische Geschehen im Orchestersatz durch Arpeggien zu umspielen und zu intensivieren. Aber auch das Glissando wird häufig eingesetzt, tonmalerisch z. B. in R. Wagners Parsifal, um Klingsors Speerwurf auszudrücken. Das H.n-Glissando ist überaus typisch vor allem auch für den impressionistischen Orchesterklang. Raffinierte instrumentatorische Effekte mit Hilfe der H. erzielten namentlich G. Mahler, R. Strauss, H. Pfitzner, Fr. Schreker, B. Bartók, I. Strawinsky; P. Hindemith.

Seit dem ausgehenden 18. Jh. wird die H. häufig konzertant bzw. solistisch eingesetzt: etwa bei J. B. Krumpholtz, W. A. Mozart (Konzert für Flöte und H., KV 299), A. Boieldieu (Concerto, 1803), L. Spohr (2 konzertante Symphonien für H. und Violine), N. Ch. Bochsa, F. Hummel, C. Saint-

Harfe, irische Saëns, Cl. Debussy, M. Ravel, Ch.-M. Widor, H. Villa-Lobos, Fr. Martin, D. Milhaud, P. Hindemith, H. Genzmer, E. Krenek, F. Farkas, A. Jolivet, P. Boulez und H. W. Henze. Von den rein didaktischen Werken für H. sind vor allem diejenigen von M. P. Dalvimare, N. Ch. Bochsa, J. Dizi, Th. Labarre und E. Parish-Alvars zu nennen. Verwendung findet die H. auch in der UnterhaltungsF. VERNILLAT musik. Lit.: J. BERMUDO. Declaración de instrumentos musicales (Osuna 1555), Faks.-Ausg. v. S. Kastner (1957) (= DMI 1/11); M. PRAETORIUS, Syntagma musicum, II: De Organographia (Wh 1618, 2 1619), Faks.-Ausg. v. W. Gurlitt (Kas 1958-59) (= DMI 1/15); M. MFRSENNE, Harmonie universelle (P 1636), Faks.-Ausg. v. F. Lesure (P 1963); BARON DE PRONY, Rapport sur une nouvelle harpe de l'invention de S. Érard (P 1815); H. PANUM, H. u. Lyra im alten Nordeuropa, in: SIMG 7 (1905/06); F. JoNSsoN, Das H.-Spiel des Nordens in der alten Zeit, in: ebd. 9 (1907/08); F. W. GALPIN, Old English Instruments of Music (Lo 1910, letzte Ausg. Lo 1965); F. W. GALPIN, The Sumerian Harp of Ur, in: ML 10 (1929); R. HERBIG, Griech. H., in: Mitt. des dt. Archäologischen Inst., Athenische Abt. 54 (1929); H. J. ZINGEL, H. u. Harfenspiel v. Beginn des 16. bis ins 2. Drittel des 18. Jh. (HI 1932); DERS., Zur Gesch. des Harfenkonzerts, in: ZfMw 17 (1935); M. DUCHESNE-GUILLEMIN, La harpe en Asie-occidentale ancienne, in: Revue d'Assyriologie 34 (1937); H. J. ZINGEL, Stud. zur Gesch. des Harfenspiels in klass. u. romantischer Zeit, in: AfMf 2 (1937); C. MARCEL-DUBOIS, Les Instruments de l'Inde ancienne (P 1941); H. J. ZINGEL, Die Einführung der H. in das romantische Orch., in: Mf 2 (1949); R. RENSCH, The Harp (NY 1950); H. HICKMANN, Les harpes de l'Égypte pharaonique. Essai d'une nouvelle classification, in: Bull. de l'Institut d'Égypte 35 (1954); H. J. ZINGEL, Die H. in der Musik unserer Zeit, in: FS M. Schneider (L 1955); DERS., H., in: MGG V; W. STAUDER, Die H.n u. Leiern der Sumerer (F 1957): E. A. BOWLES, La hiérarchie des instruments de musique dans l'Europe féodale, in: RMie 42 (1958); M. TOURNIER, La harpe (P 1959); A. N. SCHIRINZI, L'arpa, storia di un antico strumento (Mi 1961); H. STEGER, David rex et propheta (Nu 1961) (= Erlanger Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. 6); E. HEINRICH, Die H. in der Kammermusik des 20. Jh., in: DJhMw 10 (1965); G. u. M. F. RACHET, Dictionnaire de la civilisation égyptienne (P 1968); H. J. ZINGEL, König Davids H. in der abendländischen Kunst (Kö 1968); H.J. ZINGEL, Die Entwicklung des Harfen spiels v. den Anfängen bis zur Gegenwart (L 1969) (= Neue Harfenlehre 4); R. RENSCH, The Harp. Its History, Technique and Repertoire (Lo—NY 1969); H. DE LA MOTTE-HABER, Eine Methode zur Klassifizierung ma. Harfendarstellungen?, in: Mf 22 (1969); H. CHARNASSÉE — F. VERNILLAT, Les instruments ä cordes pincées (P 1970); A. EMMANUEL, La harpe, son évolution et ses facteurs (P 1971); H. STEGER, Philologia musica. Sprachzeichen, Bild u. Sache im literarisch-musikal. Leben des MA. Lire, H., Rotte u. Fidel (Mn 1971); E. GERSON-KIWI, H.nu. Lautentypen aus Mittelasien u. ihre topographischen Abwandlungen in: Stud. zur Tradition in der Musik. FS K. von Fischer (Mn 1973); D. U. GROENEVELD, A Bibliography of the European Harp to 1600, in: Current Musicology 16 (1973); DERS., Zur Gesch. der H. im frühen MA, in: Mf 26 (1973); H. J. ZINGEL, Zur Gesch. der Volksharfe, in: Musicae scientiae collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973); DERS., Harfenspiel im Barockzeitalter (Rb 1974); DERS., H.nmusik im 19. Jh. (Wilhelmshaven 1976); DERS., Lexikon der H. (Mn 1977); E. HALFPENNY, The Mythology of the English Harp, in: GalpinJ 31 (1978); M. MORROW, The Renaissance Harp, in: Early Music 7 (1979); F. LIPPMANN, Volksharfen in Italien, in: StidMg 12 (1979) (= Anal. Mus. 19).

HARFE, IRISCHE, Keltische H. (irisch-gälisch: cláir-seach). Sie gehört zu den Rahmen-H.n (>'Harfe). Ihr Resonanzkörper ist aus einem Stück Weidenholz ausgehöhlt. Die bis zu 30 diatonisch gestimmten Saiten laufen vom Resonanzkörper, an dem sie von innen mit kleinen Holzpflöckchen gehalten werden, senkrecht zum stark geschwungenen Hals, wo sie auf Metallwirbel (Stimmnägel) aufgezogen sind. Auf eine spätere Entwicklung gehen die drehbaren Haken unter den Wirbeln zurück, mitdenen der Spieler einzelne Saiten um einen Halbton erhöhen kann. Charakteristikum dieses H. -Typs ist die stark auswärts gebogene Vorderstange. Die Saiten, früher aus Metall (Messing und Stahl) gefertigt, bestehen heute zumeist aus Darm oder Nylon; die untersten 4-6 Saiten sind umsponnen. Der Tonumfang liegt meist zwischen g und a4. Die H. wurde ursprünglich in G gestimmt, aber auch Es oder C sind üblich. Das Instrument wird gegen die linke Schulter gelehnt. Man spielte es bis zum 18. Jh. mit sehr langen Fingernägeln: mit der linken Hand die hohen Töne, mit der rechten die tiefen.

IRISCHE HARFE 14. Jh.

Die irische H. ist ein mittelalterliches Instrument, das bis zum Ende des 18. Jh. in ungebrochener Tradition überlebte. Sie ist in Irland, in dessen Wappen sie auch erscheint, durch ikonographische Quellen seit dem 9. Jh. nachzuweisen. Seit dem 12. Jh. wurden ihre Klangschönheit und die Geschicklichkeit der Spieler öfters erwähnt, so von Giraldus Cambrensis, später von V. Galilei (1581) und M. Praetorius (1619). Bis zum 16. Jh. genossen die irischen Harfenisten ein hohes Ansehen; mit dem Niedergang des irischen Adels wurden sie zu wandernden Spielleuten, deren Repertoire und Spieltechnik sich bald veränderten. Der blinde Harfenist Arthur O'Neill (1734-1816) war einer 27

Harfenett der letzten, der als Lehrer der Belfast Harp Society versuchte, die Tradition. weiterzuführen. Ältere Musik für die irische H. ist unbekannt. Seit dem 17. Jh. bezeugen verschiedene Quellen den Gebrauch der irischen H. als Soloinstrument — auf dem das Repertoire der Laute gespielt wurde — und als ?Fundamentinstrument. Von dem blinden Turlogh O'Carolan (1670-1738), der Dichter, Komponist und Harfenist zugleich war, sind über 200 Kompositionen für dieses Instrument erhalten. Sie gehören noch heute — neben der Volksmusik Irlands, Schottlands und Wales, die seit dem Ende des 18. Jh. von Sammlern aufgeschrieben wurde — zum Repertoire eines jeden irischen Volksmusikers. Der bedeutendste Sammler war der Ire Edward Bunting (1773-1843). Er notierte das Repertoire und veröffentlichte es in 3 Bänden mit umfangreichen Vorworten, die Berichte über die irische H., ihre Spielweise und Spieler enthalten. Eine vergleichbare Sammeltätigkeit setzte in den folgenden Jahren auch in Schottland und Wales ein. Bemühungen um die Tradierung des Repertoires und der Spieltechnik hatten jedoch nur vorübergehend Erfolg. Erst Ende des 19. Jh. erfuhr die irische H., die jetzt nicht mehr mit Metallsaiten, sondern mit Darmsaiten bezogen war, eine Wiederbelebung. Dieses Instrument ist wahrscheinlich walisischen Ursprungs und heute unter der Bezeichnung keltische H. bekannt. Sie dient u. a. der Aufführung älterer Musik. Aber auch zahlreiche zeitgenössische Komponisten (z. B. G. Migot, A. Tscherepnin, M. Kelkel, A. Weber, Aubert Lemeland, Marc Cartes) haben Werke für dieses Instrument geschrieben. Lit.: E. BUNTING, A General Collection of the Ancient Irish Music (Lo 1796); W. H. GRATTAN FLOOD, A History of Irish Music (Dublin 1913, Nachdr. Shannon 1970); G. BEAUMONT, La harpe irlandaise (P 1941); R. HAYWARD, The Story of the Irish Harp (Lo 1954); D. J. O'SULLIVAN, Carolan, The Life Times and Music of an Irish Harper (Lo 1958); J. RIMMER, The Morphology of the Irish Harp, in: GalpinJ 18 (1964); DIES., The Irish Harp (Cork 1969); B. BREATHNACH, Folkmusic and Dances of Ireland (Dublin 1971). M. BROCKER

HARFENETT řSpitzharfe. HARFENLAUTE (engl.: harp-lute; frz.: harpeluth; it.: arpa liuto; span.: arpa-laúd), Saiteninstrument mit meist halbrundem oder lautenähnlichem Korpus (daher die Bz.). Die Saiten sind senkrecht zur Decke des Resonanzkörpers angebracht und werden wie bei der Harfe gezupft. Die H. gehört in Westafrika als Kasso oder Kora (vor allem in Mali) zu den altüberlieferten, heute noch gespielten Saiteninstrumenten. Dieses Instrument besteht aus einer halbierten, mit Fell bespannten Kalebasse. Auf der Felldecke steht senkrecht ein sehr hoher Steg mit Einkerbungen auf beiden Seiten. Durch diese 28

sind die einzelnen Saiten vom Saitenhalter bis zum wirbellosen Hals gezogen. Der Spieler hält das Instrument so, daß er der Decke gegenübersitzt und mit den Händen die jeweils auf der entsprechenden Seite angebrachten Saiten zupfen kann. In Europa war die H. ein Mischinstrument mit einem dem Lautenkorpus ähnlichen Resonanzkörper und parallel zur Decke von einem abgeknickten Hals aus aufgezogenen Saiten. Ein solches Instrument ist bei M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619, Tafel 36) abgebildet. Ähnliche Instrumente, die sich jedoch nicht durchsetzen konnten, bauten zu Beginn des 19. Jh. u. a. E. Light und M. BROCKER Ch. Wheatstone in London. HARICH-SCHNEIDER, Eta, * 16. 11. 1897 Oranienburg bei Berlin, t 10.1.1986 Garching ; dt. Cembalistin und Musikforscherin. Nach der Klavierausbildung (u. a. bei R. Breithaupt und H. Tiessen) konzertierte sie seit 1924 zunächst als Pianistin. Daneben studierte sie 1928-35 Cembalo bei Wanda Landowska in Paris und leitete seit 1932 (seit 1935 als Professor) die Cembaloklasse an der Hochschule für Musik in Berlin. Politische Gründe führten 1939 zu ihrer Entlassung. Sie lebte 1941-49 in Japan, wo sie seit 1946 Musiker des kaiserlichen Hofes in westlicher Musik unterrichtete. E. H. hatte als erste europäische Musikforscherin die Möglichkeit, die klassische japanische Musik unmittelbar zu studieren. Sie legte ein umfangreiches Archiv mit Tonbandaufnahmen shintoistischer und buddhistischer Musik an, das weitgehend noch nicht ausgewertet ist. 1963/64, 1967 und 1968 hielt sie sich erneut zu Forschungen in Japan auf. 1951-55 leitete sie in den USA die Baroque Chamber Music Players und studierte daneben in New York Japanologie und Sinologie an der Columbia University, Soziologie an der New School for Social Research. Dort wurde sie 1954 Master of Arts. 1955-72 leitete sie (seit 1957 als Professor) eine Cembaloklasse an der Wiener Musikakademie. Ihre Autobiographie erschien unter dem Titel Charaktere und Katastrophen (B 1978). Schriften: Zärtliche Welt. François Couperin in seiner Zeit (B 1939); Die Kunst des Cembalospiels (Kas 1939, °1979); Paul Hindemith no shinsaku ni tsuite (Über P. Hindemiths neuestes Werk). Analyse des „Ludus tonalis", in: Ongaku Geijutsu (Tokio 1948) April -H.; Gendai Ongaku to Nippon no Sakkyoku-ka (Tokio 1951); The Rhythmical Patterns in Gagaku and Bugaku (Leiden 1954); The Present Condition of Japanese Court Music, in: MQ 39 (1953); The Earliest Sources of Chinese Music, and Their Survival in Japan, in: Monumenta Nipponica 11 (1955); The Remoulding of Gagaku under the Meiji Restoration, in: Transactions of the Asiatic Society of Japan 5 (Tokio 1957): Die letzten Goze, in: Sociologus 8 (1958); Róei, The Medieval Court Songs of Japan, in: Monumenta Nipponica 13-15 (1958-1960), separat (Tokio 1965) (= Monumenta Nipponica Monographs 21): Über die Angleichung nachschlagender Sechzehntel an Triolen, in:

Harmonielehre Mf 12 (1959); Le Shómó Bouddhique. Exercice de Méditation, in: Ortens Extremus (Wie 1962); Saibara, in: DJbMw 7 (1962); Die frohesten erhaltenen Quellen der Kagura-Lieder, in: ebd. 10 (1965); A History of Japanese Music (Lo 1973).

HARMONIE (von griech. u. lat. harmonia), im allgemeinsten Sinne als Ordnungsprinzip verstanden, ist ein überaus vielschichtiger, häufigen Bedeutungswandlungen unterworfener Begriff. Seit der Antike spielt die H. (harmonia) im Zusammenhang mit dem ästhetischen Begriff des Schönen nicht nur in der Musik und in der bildenden Kunst, sondern auch in der Mathematik, Astronomie und Philosophie eine herausragende Rolle. Bestimmend ist dabei das Bestreben, Wesen und Stimmigkeit der Ordnungen als harmonische Proportion von Zahlen zu erkennen. So galt in der Antike und auch im Mittelalter die Korrelation von sinnlicher Verschmelzung zweier Töne und der zugrundeliegenden mathematisch einleuchtenden Proportion als Harmonie. Der Vorstellung von der H. des Weltalls und die entsprechende Einordnung der Musik als „musica mundana" (Boëthius), die das musikalische Denken der Antike und des Mittelalters prägte, stand die Idee der „musica humana" (Boëthius) als das harmonische Zusammenstimmen von Leib und Seele des Menschen gegenüber. Das Verständnis von H. in der erklingenden Musik (Boëthius: „musica instrumentalis") führte von deren Gleichsetzung (Antike) über die Anwendung auf Tonfolgen und Intervalle (Mittelalter) bis hin zur Bezeichnung des Zusammenklangs dreier Töne (Renaissance). Dabei meint der Begriff H. nicht nur den vertikalen Aspekt, sondern auch die Progression von Zusammenklang zu Zusammenklang; z. B. wurde im 15. Jh. das Fortschreiten von einer imperfekten zu einer perfekten Konsonanz als H. bezeichnet. Für J.-Ph. Rameau begründet das „centre harmonique" — der Grundton eines Dreiklangs, auf den sich die Töne des Akkords beziehen — das Prinzip der Harmonie. War der H. -Begriff im 16.-18. Jh. weit gefaßt — er schloß u. a. das Gefüge eines Satzes aus mehreren Stimmen ein —, so wurde er im 19. Jh. eingrenzend mit dem Begriff des řAkkordes gleichgesetzt. HARMONIE DER WELT, DIE, Oper in 5 Aufzügen von Paul Hindemith (1895-1963), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: in Süddeutschland, Österreich und Schlesien, 1608-30. UA: 11.8. 1957 in München (Prinzregententheater) unter Leitung des Komponisten. Die Oper, in deren Verlauf einige Situationen im Leben des Astronomen Johannes Kepler geschildert werden, gilt als Höhepunkt der letzten Schaffensperiode Hindemiths. Das Werk ist künstleri-

sches Konzentrat aller musiktheoretischen wie ästhetisch-philosophischen Studien des Komponisten; so ist z. B. der harmonische Aufbau mit seiner Hierarchie von „Leittonalitäten" (A. Briner) um ein tonales Gesamtzentrum E sowohl konsequente Realisation von Hindemiths harmonischer Theorie als auch inhaltsbezogene symbolische Analogie zu Keplers astronomischem Konstrukt eines in sich geschlossenen, „harmonischen" Aufbaus der Welt. Trotz strenger symbolischer Einbindung auch anderer musikalischer Gestaltungselemente, z. B. Rhythmus, Melodie und Form, ist das Werk kein trockenes philosophisches Lehrstück: Die gedanklich-abstrakte Konstruktion dient wohl der Überhöhung und Vergeistigung des musikalischen Verlaufs, führt jedoch an keiner Stelle zum Verlust unmittelbar verständlicher, szenisch lebendiger Gestaltung; das Symbol bestimmt Gestalt und Charakter des kompositorischen Mittels, dessen Einbettung in die Satzstruktur jedoch teils affektmäßig-textbezogen, teils absolut-musikalisch bleibt. Die wesentlichen musikalischen Gedanken des Werkes hatte Hindemith bereits 1951 in seiner Symphonie Die Harmonie der Welt vorgestellt. W. A. MAKUS

HARMONIEFREMDE TONE, in der /Harmonielehre Bz. für harmonisch einflußlose Dissonanzen, die wesentlich zur linearen Belebung und figurativen Auszierung eines Satzes beitragen. H. T., als akkordfremde Töne zu verstehen, sind >'Durchgang, /Vorhalt, /Nebennote, "Wechselnote, /Antizipation. HARMONIELEHRE. Sie zählt — wie Kontrapunkt, Formenlehre, Melodielehre, Rhythmik, Metrik, Instrumentation — zu den Bereichen der Musiktheorie. Wie der Kontrapunkt die linerare Führung der Stimmen und deren Zusammenklang lehrt — also horizontale wie vertikale Aspekte einschließt —, so orientiert sich auch die H. nicht allein am Vertikalen: Neben dem Aufbau und der Funktion von Akkorden in dur-moll-tonaler Musik lehrt die H. auch deren Fortschreitungen. Erst mit der historisch bedingten Entwicklung der H. zum eigenständigen Fach sank der Kontrapunkt — der bis ins 18. Jh. hinein als eigentliche Kompositionslehre galt — zu einer Teildisziplin ab. J.-Ph. Rameaus Traité de l'harmonie (1722) begründete die moderne H., die zweifach ausgerichtet ist: als von unterschiedlichen Systemen bestimmte Theorie von Akkorden und deren Verbindungen und — im 18.-20. Jh. rückte dies in den Mittelpunkt — als Satzlehre im Sinne einer praktischen Harmonielehre. Die Entstehung der modernen H. war an mehrere Voraussetzungen gebunden: Gegenüber 29

Harmonielehre Dur und /Moll durchgesetzt; Akkorde — seit dem 15. Jh. als sekundäres Ergebnis von Stimmfortschreitungen gewertet — werden nun als primär und unmittelbar gegebene Einheit begriffen, als Grundlage tonalen Zusammenhangs; Umkehrungen eines Akkordes wurden von Rameau als harmonisch und funktional identisch mit dessen Grundstellung erkannt. Nach Rameau — auf den die Lehre vom Terzaufbau der Akkorde zurückgeht — sind die „tonique" (řTonika), „sousdominante" (řSubdominante) und „dominante" (/Dominante) die grundlegenden Akkorde einer Tonart: Die Abfolge der 1., 4. und 5. Stufe („sons fondamentaux") einer Tonleiter mit den auf ihnen errichteten Dreiklängen konstituiert einen musikalisch zwingenden Zusammenhang. Subdominantische Bedeutung erhält jeder Dreiklang durch die Hinzufügung der großen Sexte (sixte ajoutée), eine hinzugefügte kleine Septime macht jeden Dreiklang zum /Dominantseptakkord. Nach H. Chr. Koch — der die Dreiklänge der 1., 4. und 5. Stufe als „wesentliche" Dreiklänge von den „zufälligen” der 2., 3. und 6. Stufe abhob — entwikkelte G. Weber (1779-1839) das Rameausche System weiter. Er führte zur Bezeichnung der Akkorde eine Buchstabenschrift ein, an welche die spätere /Funktionsbezeichnung H. Riemanns anknüpfte. Daneben verwandte Weber, seinerseits auf G. J. Vogler (1800) zurückgreifend, auch römische Ziffern, mit denen er die Stufen einer Tonleiter und deren Dreiklänge angab; die Stufenbezeichnung wurde später durch zusätzliche Ziffern aus der Generalbaßlehre erweitert. Diese unterschiedlichen Bezeichnungsweisen gewannen insbesondere in den im 19. Jh. sich ausbildenden Theorien von den Akkordverbindungen an Bedeutung. Will die Stufen- bzw. Fundamenttheorie S. Sechters zeigen, wie Akkorde in ihrer schrittweisen Progression zusammenhängen, so zielt die Funktionstheorie H. Riemanns in der Beschreibung von Akkordrelationen auf die Beziehung von Akkorden zum tonalen Zentrum der Tonika. Sechter griff zurück auf Rameaus Lehre von der /Basse fondamentale, mit der er das zusammenhangstiftende Moment von Akkordverbindungen darstellen wollte. Akkorde werden danach nicht durch die tatsächlich gegebene Folge von Baßtönen, sondern durch den Fundamentalbaß als — gedachte — Abfolge ihrer Grundtöne zusammengehalten; der Quintbeziehung zwischen den „sons fondamentaux" folgend, sind dabei Quintschritte primär, Terzschritte sekundär; Sekundschritte (in C-Dur etwa der BaBschritt f—g zwischen Subdominante und Dominante) führt Rameau auf Quint- bzw. Quartschritte (auf den den älteren /Kirchentönen hatten sich

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eigentlich gemeinten Schritt d—g) zurück. (Gedanklich verwandt mit diesem Modell ist P. Hindemiths Begriff des /Stufenganges, der als Abfolge der Grundtöne „größerer harmonischer Zusammenhänge" harmonische Logik ermittelt.) Für Sechter ist daher das Intervall, nicht der Akkord das Naturgegebene; das Intervall der Terz wird für ihn, Rameau folgend, für den Aufbau der Akkorde entscheidend. Im Unterschied dazu ist für Riemann der Akkord — in der polaren Ausprägung als Dur- und Molldreiklang — das primär Gegebene: Der Durdreiklang ist in der Obertonreihe als 4., 5. und 6. Partialton gegeben, der Molldreiklang ist dessen spiegelbildliches Produkt einer von der Quinte fallenden Untertonreihe (řDualismus). Die Bedeutung eines Tones hängt danach von seiner Funktion ab: Als Vertreter eines Dur- bzw. Mollakkordes, also als deren Grundton, Terz oder Quint kann jeder Ton theoretisch sechs verschiedene Bedeutungen annehmen. Die für die dur-moll-tonale Musik des 17.-19. Jh. gültige Funktionsbezeichnung Riemanns chiffriert die Hauptfunktionen einer Tonart, denen die anderen Akkorde untergeordnet sind, als T (Tonika), S (Subdominante) und D (Dominante); die T bildet das übergeordnete tonale Zentrum, auf das alle harmonischen Vorgänge bezogen sind. Weiterentwickelt wurde Riemanns System durch H. Grabner und W. Maler. Mit dem Zerfall der tonalen Harmonik — die sich mit der „schwebenden", „aufgehobenen" (A. Schönberg) oder erweiterten /Tonalität ankündigte — stieß die H. im späten 19. Jh. an ihre Grenzen. Daß Stufen- wie Funktionstheorie von verschiedenen Zeiten und verschiedenen Aspekten ausgehen, macht den Streit um angemessene Systeme gegenstandslos. In Konsequenz dieses Gedankens hat sich heute eine historisch orientierte H. durchgesetzt (D. de la Motte), die auf präzise musikgeschichtliche Situationen bezogen ist. Lit.: J.-PH. RAMEAU, Traité de l'harmonie reduite à ses principes naturels (P 1722, Faks.-Ausg. NY 1965) (Faks. = MMMLF 2/3); DERS., Nouveau système de musique théorique (P 1726, Faks.-Ausg. NY 1965) (Faks. = ebd. 2/7); F. W. MARPURG, Hdb. bey dem Generalbaß u. der Composition, 3 Teile (B 1755-58, Anhang 1760, Nachdr. Hil 1971); J. PH. KIRNBERGER, Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, 2 Bde. (B — Königsberg 1771-79), Nachdr. in einem Bd. (Hil 1968); G. VOGLER, Choral-System (Kop 1800); DERS., Hdb. der H. u. für den Generalbaß (Pr 1802); H. CH. KOCH, Hdb. bey dem Studium der Harmonie (L 1811); S. SECHTER, Die Grundsätze der musikal. Komposition, 3 Bde. (W 1853-54); H. RIEMANN. Musikal. Syntaxis. Grundriß einer harmonischen Satzbildungslehre (L 1877, Nachdr. Niederwalluf 1971); DERS., Hdb. der H. (2 1887 u. 6.); DERS., Vereinfachte H. oder die Lehre v. den tona len Funktionen der Akkorde (L — NY 1893. 2 1903); DERS., Das Problem des harmonischen Dualismus, in: N"LfM (L 1905): H. SCHENKER, Neue musikal. Theorien u. Phantasien 1 (St — B 1906, NA W 1979); R. Lolas — L. THUIL.LE, H. (St 1907,

Harmonik A. SCHONBERG, H. (W 1911, '1966, engl. Lo 1978); E. KURTH, Die Voraussetzungen der theoretischen Harmonik u. der tonalen Darstellungssysteme (Be 1913, Nachdr. Mn 1973); 9 1929);

DERS., Romantische Harmonik u. ihre Krise in Wagners Tristan (Be - L 1920, B 31923, Nachdr. Hil 1968); H. GRABNER, Die Funktionstheorie H. Riemanns u. ihre Bedeutung für die praktische Analyse (Mn 1923); S. KARO-ELERT, Polaristische Klang- u. Tonanalyse (Mn 1923); H. ERPF, Stud. zur Harmonieu. Klangtechnik der neueren Musik (L 1927); S. KARG-ELERT, Polaristische Klang- u. Tonalitätslehre (L 1931); W. MALER, Beitr. zur H., 3 H. (L 1931), neu bearb. v. G. BIALAS J. DRIESSLER, als: Beitr. zur durmolltonalen H. (Mn - L 61967, Bsp.-Bd. 2 1960); P. HINDEMITH, Unterweisung im Tonsatz, 3 Bde., 1 (Mz 1937, 2 1940), 2 (1939), 3 (1970); H. GRABNER, Hdb. der funktionellen H. (B 1944, Rh •1977); J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); A. SCHONBERG, Die formbildenden Tendenzen der Harmonie (Mz 1957); W. KELLER, Hdb. der Tonsatzlehre, 2 Bde. (Rb 1957-59); L. U. ABRAHAM, H., 2 Bde. (Kö 1965-69); L. RICHTER, Schönbergs H. u. die „freie Atonalität", in: Colloquium L. Janáček et musica europea (Brünn 1970); P. ALDRICH, „Rhythmic Harmony" as Taught by J. Ph. Kirnberger, in: Studies in Eighteenth-Century Music. FS K. Geiringer (Lo 1970); E. SEIDEL, Eine Wiener Harmonie- u. Generalbaßlehre der Beethoven- u. Schubertzeit, in: Symbolae historiae musicae. FS H. Federhofer (Mz 1971); D. RExROTH, A. Schönberg als Theoretiker der tonalen Harmonik (Diss. Bonn 1971); E. WOLF, Die Musikausbildung 2: H. (Wie 1972); R. BIRNSTEIN - C. KÜHN - D. DE LA MOTTE, Plädoyer für eine Reform der H., in: Musica 26 (1972); M. WAGNER. Die H.n der ersten Hälfte des 19. Jh. (Rb 1974) (= Stud. zur Musikgesch. des 19. Jh. 38); S. BORRIS, Ein interdisziplinäres Konzept für Harmoniekurse, in: Musik u. Bildung 7 (1975); D. DE LA MOTTE, H. (Kas 1976, 21979). C. KOHN

HARMONIEMUSIK, Bz. für eine gemischte, aus Holz- und Blechbläsern bestehende Besetzung. Die H. entwickelte sich vornehmlich an kleineren Höfen im Zusammenhang mit musikalischen Darbietungen im Freien als Ersatz für zahlenmäßig größere Streicher- und Bläserensembles bzw. in Anlehnung an die im 17. und 18. Jh. übliche /Feld-

musik. Bereits aus dem frühen 18. Jh. sind erste H. -Originalkompositionen in der Besetzung für 2 Oboen, 2 Hörner und 2 Fagotte überliefert. Seit der Mitte des 18. Jh. wurde diese Besetzung durch 2 ~---, ---,

waren meist freie Zusammenstellungen homophoner Sätze mit den Bezeichnungen Partita, Serenade, 0)ivertimento oder Harmonie bzw. Pièce d'Harmonie. Dazu zählen neben Originalkompositionen insbesondere auch Bearbeitungen aus Opern, Symphonien und anderen Werken. Namhafte Komponisten bzw. Bearbeiter für H. waren u. a. C. A. Goepfert, F. J. Gossec, J. Küffner, W. Legrand, W. A. Mozart, F. S. Rosetti, Fr. Starke. Lit.: G. KASTNER, Manuel général de musique militaire (P 1848, Faks. G 1973); G. PARÉS, Traité d'instrumentation et d'orchestration ä l'usage des musiques militaires d'harmonie et de fanfare (P 1898); H. G. FARMER, The Rise and Development of Military Music (Lo 1912); L. DEGELE, Die Militärmusik (Wb 1937); J. WAGNER, Band Scoring (NY 1960); R. F. GOLDMAN, The Wind Band (Boston 1961); B. HÖFELE, Materialien u. Stud. zur Gesch. der H. (Diss. Bonn 1982).

HARMONIK. Zusammenklänge und deren Verbindungen, für die der Begriff H. steht, sind — im Bereich der dur-moll-tonalen Musik des 17.-19. Jh. — Gegenstand der >'Harmonielehre; im Gegensatz zur Melodik meint. H. den vertikalen Aspekt simultan erklingender Töne, ohne die Horizontale — das Fortschreiten von Zusammenklängen — auszuschließen. Rang und Geltung der H. waren vom Mittelalter bis in die Neuzeit starken Wandlungen unterworfen. So war die mehrstimmige Musik bis ins 14. Jh. primär rhythmisch orientiert (die Beteiligung mehrerer Stimmen erforderte zuallererst deren rhythmische Koordination). Dieses Fakturmerkmal blieb nicht ohne Auswirkungen auf die H.: an Schwerpunkten (sowie stets am Anfang und Ende) erscheinen vorzugsweise die als perfekt angesehenen Quint-Oktav-Klänge. Dem Mittelalter galten Einklang, Quinte und Oktave als perfekte, Terzen und Sexten dagegen als imperfekte Intervalle; entsprechend treten zum perfekten Quint-OktavKlang (z. B. f — c — f') der semiperfekte Terzr—,

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4-q-T

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ANIMICIIMOMM

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Perotinus, Organum quadruplum Viderunt

Klarinetten, Kontrafagott, aber auch durch Querflöte, 1-2 Trompeten und Pauken, Posaune und Serpent bis zur vollen Blasorchesterbesetzung um 1850 erweitert, die sich gelegentlich auch als Liebhaberbesetzung aus einem bereits vorhandenen Symphonieorchester ergab. — H.-Kompositionen

Quint-Klang (f — a — c') und der imperfekte Terz-Sext-Klang (f — a — d'). Besonders unter dem Einfluß der englischen Musik, die Terzen und Sexten bevorzugte (z. B. bei J. Dunstable), wurde im Übergang zum 15. Jh. das mittelalterliche Klangsystem, das auf Quinte und Oktave basierte, abgelöst. 31

Harmonik Theoretiker rühmen daher den „hohen Wohlklang", der die Musik ab etwa 1430 — die Musik von G. Dufay, G. Binchois, später von J. Ockeghem u. a. — auszeichne (J. Tinctoris, Liber de arte contrapuncti); neuartig sind die sangliche Melodik, der

men") und kühne Chromatik wurden zu seinen Kennzeichen (L. Marenzio, H. Schütz, Cl. Monteverdi); speziell C. Gesualdo nutzte den Wechsel diatonischer Imitation und exzessiver chromatischer Akkordik:

C. Gesualdo, Madrigal Moro lasso

Konsonanzen bevorzugende Satz, das Streben nach akkordischer Fülle. ~

_imompi

4~ 1

G. Dufay, Hymnus Audi benigne conditor

Für die aufblühende Vokalpolyphonie der Renaissance bis zu ihrer Vollendung bei Palestrina wurde das dem kontrapunktischen Denken verpflichtete linear-melodische Moment beherrschend. Kennzeichen sind imitatorische Arbeit, insbesondere Durchimitation (Josquin des Prés), kanonische und andere satztechnische Fertigkeiten („Künste der Niederländer"), der Ausbau des Satzes bis zur Norm der Vierstimmigkeit in der Hochrenaissance, der damit erreichte homogene Klang und die immer deutlicher werdende harmonische Bindung des Satzes. Klangkontraste durch die Gegenüberstellung hoher und tiefer Stimmen und durch wechselnde Stimmenzahl wurden ebenso genutzt wie der Wechsel von imitatorischer Polyphonie und deklamatorischer Homophonie. Cru-ci- fi-xus

131 Et

' ho - II

r

mo

R~ fac -

'

- -tus

est.

Cru-ci-

fi -xus

e--

ti -

Josquin des Prés, Missa Pange lingua

Mit der allmählichen Steigerung der Stimmenzahl im 16. Jh. und der Entwicklung der Mehrchörigkeit (/Venezianische Schule) korrespondiert ein akkordisch-flächenhaftes Komponieren, das vom linearen Denken wegführte. Neben Messe und Motette als Hauptgattungen der Renaissance trat das /Madrigal, das sich von homophon-schlichten Anfängen zu einer dramatischen Ausdrucksform entwickelte: Kontrast polyphoner und homophoner Partien, betonte Textausdeutung („Madrigalis32

In all diesen Erscheinungen kündigte sich jener Umbruch an, mit dem um 1600 die >'Monodie den Weg zur harmonischen Tonalität ebnete: das Ideal der Linie wird durch das Erlebnis des Klanges abgelöst, harmonisch-akkordisches Denken wird für rund 300 Jahre bestimmend. Nicht mehr kontrapunktisch entworfen und noch nicht funktionellen Zusammenhängen verpflichtet, präsentiert die homophone Musik dieser Zeit eine H., die gleichermaßen aus linear kontrollierter Stimmführung und schweifenden Akkordfolgen erwächst.

Sta - bat

nia - ter

do - Io - ro - sa

G. Palestrina, Stabat mater

1722 entstanden J. S. Bachs Wohltemperiertes Clavier (1. Teil), das die für die H. wichtige Errungenschaft der /temperierten Stimmung ausnutzte, und J.-Ph. Rameaus Traité de l'harmonie, der die Entstehung der modernen Harmonielehre begründete: die tonale H. hat sich durchgesetzt. 2'Dur und /Moll haben endgültig die Kirchentonarten (/Kirchentöne) verdrängt; /Akkorde werden nicht mehr aus Intervallen abgeleitet, sondern als unmittelbare Einheit begriffen; /Tonika, /Subdominante und /Dominante, schon früher in Schlußwendungen aufgetreten, erkannte Rameau als grundlegende Akkorde jeder Tonart. Seit H. Riemann werden sie als Hauptfunktionen bezeichnet (/Funktionsharmonik), wobei die Tonika als übergeordnetes tonales Zentrum fungiert; die Quintverwandtschaft zwischen diesen drei /Funktionen, die nach Rameau den schrittweisen Zusammenhang zwischen Akkorden garantiert (/Basse fondamentale), bestimmt das akkordliche Verhältnis; Kadenzen — Ausdruck der harmonischen Tonalität — erscheinen als Gliederungsmittel und als Bekräftigung des Schlusses. Daß Bachs Musik,

Harmonik eingebunden in diese tonale H., zuweilen von unerhört gewagter Linearität ist, begünstigte das Mißverständnis, seine Kontrapunktik sei von der H. unabhängig (E. Kurth). Es ist gerade umgekehrt:

Als syntaktische Grundformen gelten /Satz und /Periode. Modellhaft verstanden, ist die 8taktige Periode durch einen bestimmten Zusammenhang zwischen H. und Motivstruktur geprägt:

Allegretto

z

Takt: Vordersatz Motivik: Harmonik:

b

b

a

T

T

L. van Beethoven, Klaviersonate op. 2,2

weil der Bachsche Kontrapunkt harmonisch fundiert ist, kann er linear sein. Gegenüber der harmonischen Aktivität Bachscher Sätze ist die Musik seit der Mitte des 18. Jh., im Stilumbruch zur Wiener Klassik, von auffallender harmonischer Simplizität: Der harmonische Rhythmus - der durchschnittliche Zeitabstand des Wechsels von Harmonien - ist erheblich langsamer als im Generalbaßzeitalter. Nicht mehr an den „Kenner", sondern an den „Liebhaber" - für den die harmonischen Vorgänge überschaubar bleiben müssen - wendet sich die Musik. Andante

-ell ` :--_-

~~-~--

C. Stamitz, Quintett Es - Dur, 2. Satz

Vergleichbar der Abkehr vom Kontrapunkt um 1600 versteht sich dieser Stilumbruch als Reaktion gegen die vermeintliche Kompliziertheit des Barocks: das Galante verdrängt das Gelehrte. Das neue Ideal der Natürlichkeit und Einfachheit drückt sich aus in liedhaften Themen mit klarer Periodisierung; die Hauptfunktionen werden bevorzugt, Melodien sind unverkennbar harmonisch fundiert, der Vorgang der Kadenz wird zum Impuls thematischer Erfindung, zum Mittel der Gliederung und SchluBbildung. Kadenzierende H. ist daher für Schlußpartien in Kompositionen der Wiener Klassik charakteristisch. Und außer durch die Form im Großen wird die H. dieser Musik durch metrische sowie syntaktische Momente bestimmt. Die /Metrik definiert, in Abhängigkeit von harmonischen Konstellationen das Verhältnis von Takten bzw. Taktgruppen zueinander als „schwer" und „leicht" (wobei der theoretische Streit unentschieden ist, ob die Folge „schwer"-„leicht” oder „leicht"-„schwer” als metrische Norm der Wiener Klassik zu gelten habe).

Die Motivfolge des Vordersatzes, als Kontrast angelegt, bleibt im Nachsatz erhalten; harmonisch aber - und dies bewirkt die komplementäre Ergänzung der Teile - führt der Nachsatz, häufig in Umkehrung (D-T) des „offenen" Vordersatzes (T-D), zur Tonika zurück. Kann in der Wiener Klassik die harmonische Sprache als das Allgemeine, die Thematik und deren Verarbeitung als das Besondere gesehen werden, so rückte im 19. Jh. die H. immer stärker in den Rang individueller Erfindung. Neue, differenzierte Ausdrucksmittel machten sich geltend, mit denen sich die Auflösung tonaler H. anbahnte: gegenüber der Quintverwandtschaft in der Wiener Klassik werden terzverwandte Verbindungen bevorzugt; zunehmende /Alterationen, gleichermaßen als enger verknüpfendes wie als farbliches Moment verstanden, führten zu üppiger Chromatik; unaufgelöste /Vorhalte, durch Zusatztöne getrübte Akkorde, tonal mehrdeutige Klänge (A. Schönberg: „vagierende Akkorde"), wie z. B. der übermäßige Dreiklang, parallel geführte Akkorde (Mixturen), ganztönige Skalen und Klänge, trugschlüssige Bildungen, harmonisch kühne Verbindungen und Rükkungen verschleiern tonale Funktionen oder setzen sie außer Kraft; Spannungsklänge - wie der řDominantseptakkord - erscheinen als Ausdrucksmittel: ohne mehr an reguläre Auflösung ri _ - - tar- - dan - - - do

D'(!) R. Schumann, Bittendes Kind, aus :Kinderszenen op. 15

gebunden zu sein, wurden sie im Interesse einer koloristischen H. als Farbwert eingesetzt. R. Wagners Tristan signalisiert die „Krise der romantischen H." (E. Kurth): im Vorspiel klingt das tonale Zentrum 33

Harmonik (a-moll) zwar durch, wird aber nicht ausgesprochen. Jene Leittönigkeit, die in Abkehr von den Kirchentonarten zur Etablierung der dur-moll-tonalen H. geführt hatte, begünstigte auch durch übersteigerten Einsatz deren Zerfall. Der schließliche Umschlag in die /Atonalität bedeutete im 20. Jh. die eine Konsequenz, die Suche nach Erneuerung oder Ersatz der als verbraucht empfundenen musikalischen Sprache die andere (7Bitonalität, /Polytonalität, Rückgriff auf /Folklore, außereuropäische Musik oder auf musikalische Gestaltungsweisen früherer Epochen). Die Klangbildungen der /Zwölftonmusik werden durch die zugrunde liegende Reihe geregelt, die Unterscheidung von /Konsonanz und Dissonanz ist mit Schönbergs Postulat der „Emanzipation der Dissonanz" gegenstandslos geworden. In der Neuen Musik verstärken sich seit Mitte der 70er Jahre die Anzeichen für eine erneute Auseinandersetzung mit der tonalen Harmonik. Lit.: G. ZARLINO, Istitutioni harmoniche (V 1558, Faks.-Ausg. NY 1965) (Faks. = MMMLF 2/1); M. MERSENNE, Questions harmoniques (P 1634, Nachdr. St 1972); J. PH. RAMEAU, Traité de l'harmonie réduite à ses principes naturels (P 1722, Faks.-Ausg. NY 1965) (Faks. = MMMLF 2/3); DERS., Génération harmonique (P 1737, Faks.-Ausg. NY 1966) (Faks. = ebd. 2/6); DERS., Démonstration du principe de l'harmonie (P 1750, Faks.-Ausg. NY 1965) (Faks. = ebd. 2/4), dt. v. E. Lesser (Wb 1930) (= Quellenschriften der Musiktheorie 1); G. TARTINI, Trattato di musica (Padua 1754, Faks.-Ausg. NY 1966) (Faks. = ebd. 2/8), dt. Übers.: Traktat über die Musik gemäß der wahren Wiss. v. der Harmonie, hrsg. v. A. Rubeli (Düsseldorf 1966) (= Orpheus Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 6); G. A. SORGE, Compendium harmonicum (Lobenstein 1760); G. TARTINI, De' principi dell'armonia musicale ... (Padua 1767, Nachdr. Hil 1970); J. PH. KIRNBERGER, Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, 2 Bde. (B — Königsberg 1771-79, Nachdr. Hil 1968); F. J. FÉTIs,Traité complet de la théorie et de la pratique de l'harmonie (P 1844, 121879); S. SECHTER, Die Grundsätze der musikal. Komposition (W 1853-54); M. HAUPTMANN, Die Natur der H. u. der Metrik (L 1853, 21873); H. RIEMANN, Musikal. Syntaxis, Grundriß einer harmonischen Satzbildungslehre (L 1877, Nachdr. Niederwalluf 1971); DERS., Vereinfachte Harmonielehre oder die Lehre v. den tonalen Funktionen der Akkorde (Lo — NY 1903); F. A. GEVAERT, Traité d'harmonie théorique et pratique (P 1905); L. THUILLE, Harmonielehre (St 9 1929); A. SCHONBERG, Harmonielehre (W 1911,'1966, engl. 1978); E. KURTH, Die Voraussetzungen der theoretischen H. u. der tonalen Darstellungssysteme (Be 1913); A. VON OETTINGEN, Das duale Harmoniesystem (L 21913); E. KURTH, Romantische H. u. ihre Krise in Wagners „Tristan" (Be 1920, 2 1923, Nachdr. Hil 1968); CH. KOECHLIN, Traité de l'harmonie, 3 Bde. (P 1927-30); S. KARG-ELERT, Polaristische Klangu. Tonalitätslehre (L 1931); A. SCHONBERG, Problems of Harmony, in: Modern Music 11 (1934), Nachdr. in: Perspectives of New Music 11 (1973); P. HINDEMITH, Unterweisung im Tonsatz, 3 Bde., 1 (Mz 1937, 21940), 2 (1939), 3 (1970); J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); H. KAYSER, Lehrbuch der H. (Bas 1950); F. REUTER, Praktische H. des 20. Jh. (HI 1952); A. SCHONBERG, Die formbildenden Tendenzen der H. (Mz 1957); M. BITSCH, Précis d'harmonie (P 1957); A. DOMMELDIÉNY, L'harmonie tonale (Neuchâtel 2 1963, 3 1973); H. PISCHNER, Die Harmonielehre J. Ph. Rameaus (L 1963);

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O. ALAIN, L'harmonie (P 1965); C. DALHAUS, Unters. über die Entstehung der harmonischen Tonalität (Kas 1967); R. E. MIDDLETON, Harmony in Modern Counterpoint (Boston 1967); S. GUT, La tierce harmonique dans la musique occidentale (P 1969); J. ROHwER, Die harmonischen Grundlagen der Musik (Kas 1970) (= Kieler Schriften zur Musikwiss. 19); H. VON HELMHOLTZ, Über die physiologischen Ursachen der musikal. Harmonien, hrsg. v. F. Krafft (Mn 1971); R. HAASE, Lit. zur harmonikalen Grundlagenforschung 2 (W 1972); E. KURTH, Voraussetzungen der theoretischen H. u. der tonalen Darstellungssysteme (Mn 2 1973) (= Schriften zur Musik 14); H. KÜHN, Die H. der ars nova. Zur Theorie der isorhythmischen Motette (Mn 1973) (= Berliner Musikwiss. Arbeiten 5); E. T. CONE, Sound and Syntax. An Introduction to Schoenberg's Harmony, in: Perspectives of New Music 13 (1974/75); R. HAASE, Harmonikale Methodik, in: Musikerziehung 29 (1975/76); D. DE LA MOTTE, Harmonielehre (Kas 1976, 21979); D. GÒSTONISKY, Tonalität, Atonalität. Zur H. v. Schönbergs Klv.-Stück op. 11 Nr. 1, in: ZfMth 7 (1976); P. RUMMENHOLLER, Die verfremdete Kadenz. Zur H. F. Liszts, in: ebd. 9 (1978). C. KÜHN

SammelbeHARMONIKA-INSTRUMENTE, zeichnung für Instrumente mit durchschlagenden (frei schwingenden) Zungen. Zu den europäischen H.-I.n zählen alle Formen der Handharmonika (/Akkordeon, /Bandonion, /Concertina, /Konzertina), der /Mundharmonika (/Chromonica, /Clarina, Harmonetta) sowie das /Harmonium. Instrumente mit frei schwingenden Zungen, z. B. die /Mundorgel, waren in China bereits seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. bekannt. In Europa bildete erstmals M. Mersenne eine chinesische Mundorgel ab (Harmonicarum libri XII, 1635, und Harmonie universelle, III, 1636-37). Ob zu dieser Zeit Instrumente mit frei schwingenden Zungen in Europa gespielt wurden, ist ungewiß, ebenso ob es sich bei späteren Instrumenten um spezifisch europäische Neuerfindungen oder um Übernahmen des chinesischen Instruments handelt. Jedenfalls ist das Prinzip der durchschlagenden Zungen in Europa relativ spät genutzt worden: um 1750 scheint es jedoch allgemein bekannt gewesen zu sein und ist durch entsprechende Instrumente belegt. Besonders wichtig für die weitere Verbreitung war die „Sprechmaschine" mit frei schwingenden Zungen, die um 1780 von Chr. G. Kratzenstein (Kopenhagen) konstruiert und von dem böhmischen Orgelbauer Kirsnik (St. Petersburg) in die Orgel aufgenommen wurde. In der Folge ließ G. J. Vogler durchschlagende Zungen in sein Orchestrion (/mechanische Musikwerke) einbauen (durch Racknitz in Warschau), mit dem er durch ganz Europa reiste. Zu Beginn des 19. Jh. setzte eine rege Neuentwicklung von Instrumenten mit durchschlagenden Zungen ein. Von diesen konnten sich bis heute nur die oben erwähnten H.-I. durchsetzen. M. BROCKER

HARMONISCHE TEILUNG, Bz. für die Bildung eines Mittelwertes. Seit der Antike gibt es zwei De-

Harnisch finitionen des Mittelwertes zweier Saitenlängen a und b: 1. den arithmetischen Mittelwert gemäß der Formel x =

(a + b) und 2. den harmonischen

Mittelwert: X, = ( - + ). b

Diese beiden Formeln, auf das Intervall der Oktave angewandt (a : b = 1 : Ž), ergeben eine arithmetische Teilung in Quarte (x = ) und verbleibende Quinte bzw. eine h. T. in Quinte (x' =

) und Quarte.

Dem harmonischen Mittelwert von Saitenlängen entspricht der arithmetische Mittelwert der zugehörigen Frequenzen und umgekehrt. Die griechischen und mittelalterlichen Theoretiker sprachen beiden Teilungen gleiche Bedeutung zu und stellten so Quarte und Quinte gleich. — Durch fortgesetzte h. T. einer Saite — zunächst in zwei Oktaven, die Oktave in Quinte und Quarte (s. o.), die Quinte wiederum in große und kleine Terz (Dur-Akkord) usw. — erhält man eine Einteilung der Saite gemäß der harmonischen Folge, also , , usw. der ganzen Saitenlänge. Die entsprechenden Frequenzen bilden die harmonische /Obertonreihe. HARMONIUM, ein Tasteninstrument mit frei schwingenden (durchschlagenden) Metallzungen zur Tonerzeugung, die durch Druck- oder Saugluft in Schwingung versetzt werden (/Harmonika-Instrumente). Je nach System weist das moderne H. einen Tonumfang von C — c4 bzw. F — f3 auf. — Der französische Instrumentenbauer G. J. Grenié baute um 1810 das erste Tasteninstrument mit ausschließlich durchschlagenden Zungen, die Orgue expressif, der die um 1815 von B. Eschenbach erfundene řÄoline 1) entsprach. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. folgten zahlreiche andere Konstruktionen, unter denen die 1818 gebaute Physharmonika des Wiener Instrumentenbauers Anton Häckl besondere Bedeutung erlangte. Häckls Instrumente wurden von Friedrich Wieck vertrieben, der Duos für Physharmonika und Klavier schrieb und zusammen mit seiner Tochter Clara (der späteren Gattin R. Schumanns) aufführte. Christian F. L. Buschmann in Hamburg verwandte erstmals in einer 1836 gebauten Physharmonika das Saugluftsystem, das von einem amerikanischen Typ des H.s, der Amerikanischen Orgel oder Cottage organ, übernommen wurde. Führend blieb jedoch in Europa zunächst das Druckluftsystem. A. F. Debain führte 1840 den Namen H. für sein Instrument ein, das erstmals die wesentlichen Charakteristika aller seither gebräuchlichen H.-

Instrumente zeigt: Mehrere selbständig registrierbare Zungenreihen („Spiele” zu 16', 8', 4', mitunter 2' und 32') sind in Baß und Diskant geteilt, der Wind kann nach Belieben über einen Magazinbalg in gleichbleibender Stärke oder (nach Betätigung des Zuges „Expression") direkt aus den Schöpfbälgen in beliebiger Stärke den Zungen zugeführt werden. Die Blütezeit des H.s ist zwischen 1880 und 1930 anzusetzen, als in Deutschland u. a. die Firmen Th. Mannborg (Leipzig), O. Lindholm (Borna), Schiedmayer (Stuttgart) die industrielle Produktion betrieben. In Frankreich sind die Werkstätten V. Mustel (1815-1890) und J. Alexandre (ab 1829) zu nennen. Das H. erlangte in Frankreich und in Deutschland als Orgelersatz weite Verbreitung in Kirchen, Kapellen, Schulen und vor allem in Privathäusern zur Begleitung häuslicher Andachten wie auch als Ersatz von Blasinstrumenten in der /Salonmusik. Die Größe der Instrumente reichte vom transportablen einregistrigen Kofferharmonium bis zum zwei- oder dreimanualigen Instrument mit Pedal und bis zu 30 Registern; auch Kombinationen zwischen H. und Klavier wurden gebaut. So besaß F. Liszt ein mit einem Flügel kombiniertes zweimanualiges Harmonium. Aus der relativ seltenen originalen Literatur für H. sind u. a. Werke von A. Dvořák (Bagatellen op. 47, für 2 V., Vc. und H.) und C. Saint-Saëns (SixDuos, Barcarolle) zu nennen. Zahlreiche französische Organisten des 19. Jh. (darunter C. Franck und A. Guilmant) veröffentlichten Sammlungen liturgischer Orgelmusik für H. oder pedallose Orgel; den Vorrang hatten jedoch Arrangements von Klavier-, Kammer- und Orchestermusik. Im 20. Jh. schrieb u. a. S. Karg-Elert, der sich als Komponist, Lehrer und Spieler lebhaft für das „Kunstharmonium" einsetzte, H.-Kompositionen. Seit 1945 hat das H. durch das Vordringen der elektronischen Orgeln und der Orgelpositive seine Bedeutung verloren. Der genau fixierbaren Tonhöhe wegen wurde das H. vor Entwicklung der elektroakustischen Tonerzeugung häufig für akust. Forschungen verwendet (z. B. als Reinharmonium von C. A. řEitz). Lit.: W. LUCKHOFF, Über die Entstehung der Instrumente mit durchschlagenden Zungen und die ersten Anfänge des H.-Baues, in: Zflb 21/22 (1901-02); S. KARG-ELERT, Das moderne Kunstharmonium (B 1906); DERS., Das H. und die Hausmusik, in: Rheinische Musik- und Theaterzeitung 7 (1906); L. HARTMANN, Das H. (L 1913); O. BIE, Klavier, Orgel u. H. (L 21921). H. J. BUSCH

HARNISCH, Otto Siegfried, * zwischen 1568 und 1570 Reckershausen bei Göttingen; beerdigt 18. 81 1623 Göttingen; dt. Komponist. H. studierte 1585-93 an der Universität Helmstedt, war 35

Harnoncourt 1586/88 Kantor am Domstift St. Blasius in Braunschweig, seit 1593 in Helmstedt und 1594-1600 in Wolfenbüttel, wo er vermutlich seit 1597 auch am Hof tätig war. Später trat er als Kapellmeister in den Dienst Herzog Philipp Sigismunds von Braunschweig und Lüneburg. 1603 wurde er Kantor am Pädagogium in Göttingen. H. gehört zu den ersten deutschen Komponisten, die sich in ihren deutschen Liedern den Stil der italienischen Kanzonetten und Balletti zu eigen machten. WW: 1) Kompositionen: 3 Bücher Neue kurtzweilige Teutsche Liedlein für 3 St. (Helmstedt 1587, 1588, 1591); Neue Auserlesene Teutsche Lieder für 5 u. 4 St. (ebd. 1588); Fasciculus novus selectissimarum cantionum für 5-6 u. mehr St. (ebd. 1592); Hortulus Lieblicher lustiger und höflicher deutscher Lieder für 4-8 St. (NO 1604); Rosetum Musicum etzlicher Teutscher u. Lateinischer lieblicherarthBalletten, Villanellen...für 4-6 St. (H 1617); Psalmodia Nova simplex et harmonica für 4 St. (Goslar 1621); Passio Dominica nach Johannes u. Resurrectio Dominica für 5 St. (ebd. 1621). - 2) Schriften: Artis musicae delineatio (F 1608); die anonyme Idea musicae (F 1601), die H. gelegentlich zugeschrieben wird, stammt nicht von ihm. Ausg.: eine Motette in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik II/ 1 (Gö 1935); die Rezitationsmodelle der Johannes-Passion in: ebd. III/1 (Gö 1937-38). Lit.: W. VETTER, Das frühdeutsche Lied, 2 Bde. (Mr 1928) (darin NA v. 3 4st. Liedern); H. J. MOSER, Das dt. Chorlied zw. Senfl u. Hassler, in: Jb. Peters 1928 (L 1929); H. O. HIEKEL, O. S. H. Leben u. Werk (H 1959); K.-W. NIEMOLLER, Unters. zu Musikpflege u. Musikunterricht in den dt. Lateinschulen v. ausgehenden MA bis um 1600 (Rb 1969) (= Kölner Beitr. zur Musikforsch. 54).

HARNONCOURT, Nikolaus, * 6. 12. 1929 Berlin; östr. Dirigent, Cellist und Musikforscher. H. studierte an der Wiener Musikakademie, war 1952-69 Cellist bei den Wiener Symphonikern und trat außerdem als Gambist in zahlreichen Konzerten hervor. 1953 gründete er den Concentus Musicus Wien, der Renaissance- und Barockmusik auf Originalinstrumenten spielt. 1971 trat er mit Monteverdis II Ritorno d'Ulisse im Theater an der Wien in Wien erstmals als Dirigent eines Bühnenwerkes hervor. In der Folge dirigierte er u. a. am Zürcher Opernhaus einen von J.-P. Ponnelle inszenierten Monteverdi-Zyklus. 1980 begann er, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Ponnelle, am Zürcher Opernhaus mit Idomeneo einen Mozart-Zyklus. Er lehrt Aufführungspraxis am Mozarteum und am Institut für Musikwissenschaft der Universität Salzburg. — H. tritt, zumal mit seinen zahlreichen Schallplattenaufnahmen und mit den sie begleitenden Schriften, für eine Darbietung älterer Musik (17.-18. Jh.) ein, die primär an den Aufführungsbedingungen der jeweiligen Entstehungszeit orientiert ist und den Aufführungstraditionen des 19. und 20. Jh. kritisch begegnet. Schriften: Zur Gesch. der Streichinstr. u. ihres Klanges, in: ÚMZ 16 (1961); Das Musizieren mit alten Instrumenten. Einflüsse der

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Spieltechnik auf die Interpretation, in: Musica antiqua ... 1967, hrsg. v. R. Pečman (Brünn 1968) (= Musikwiss. Kolloquien der Int. Musikfestivale in Brno 2); Zu Problemen der Wiedergabe v. Bachs Chor-Orchester-Werken, in: OMZ 24 (1969); Notenschrift u. Werktreue, in: Musica 25 (1971); Die Tradition des Ungeschriebenen in Mozarts Musik, in: ebd. 28 (1974); Musik als Klangrede. Essays u. Vorträge (Salzburg - W 1982). Lit.: Schallplatte u. Kirche (1970) Nr. 2; K. ZEHELEIN D. GREWE, „Ich bin kein Museumswärter". Gespräch mit N. H., in: Das Orchester 26 (1978).

HARPER, Heather, * 8.5. 1930 Belfast; nordirische Sängerin (Sopran). Nach ihrer Ausbildung am Trinity-College in London debütierte sie 1954 in Oxford. Seit 1962 gehört sie der Covent Garden Opera in London an. Häufig wirkte sie bei den Festspielen in Edinburgh und Glyndebourne mit und sang 1967 und 1968 in Bayreuth die Elsa in R. Wagners Lohengrin. Gleich bedeutsam ist ihre Tätigkeit als Konzert-, vor allem als Oratoriensängerin. Ihre Tourneen führten sie auf den Kontinent und nach Übersee. HAERPFER, frz. Orgelbauwerkstatt. Das Unternehmen wurde 1863 von Charles H. (1835-1919), einem Schüler von Steinmeyer und Haas, und Nicolas Dalstein (t 1919), einem Schüler von CavailléColl, in Boulay (Département Moselle) gegründet und firmierte als „Dalstein & Haerpfer". Frédéric H. (1879-1956) führte die Firma weiter und arbeitete eng mit Albert Schweitzer zusammen. Die von Schweitzer und H. entworfene Orgel im Palais des Fêtes in Straßburg (1909; 3 Man., 56 Reg.) hatte maßgeblichen Einfluß auf die Neuorientierung des Orgelbaus im 20. Jahrhundert. 1946-75 wurde das Unternehmen von Walter H. (1909-75) und Pierre Erman (* 1913) als „Haerpfer & Erman" geleitet. Seit 1975 ist Théo H. (* 1946) Alleininhaber des jetzt als „Haerpfer Manufacture Lorraine des Grandes Orgues" firmierenden Unternehmens, das zu den führenden Werkstätten in Frankreich gehört. Wichtige neuere Instrumente sind u. a. die Orgeln in St-Quentin (1966; 4 Man., 75 Reg.) und Paris, St-Germaindes-Prés (1973; 4 Man., 56 Reg.). Lit.: B. BILLETER, Albert Schweitzer und sein Orgelbauer, in: Acta Organologica 11 (1977); H. J. BUSCH, Orgeln in Paris (B 2 1979).

HARPSICHORD, engl. Bz. für /Cembalo. HARRIS, Roy, *12. 2. 1898 Lincoln County (Oklahoma), t 1. 10. 1979 Santa Monica (Calif.): amerik. Komponist. Seit 1919 studierte er an der University of California Orgel bei Ch. Demarest, Komposition bei A. Farwell sowie Instrumentation bei M. Altschuler und A. Bliss. 1926 von A. Copland an das Conservatoire Américain nach ParisFontainebleau empfohlen, beendete er dort 1928

Harrison seine Studien bei N. Boulanger. Anschließend war H. in den USA Kompositionslehrer an verschiedenen Universitäten und Lehranstalten, u. a. an der Westminster Choir School in Princeton (New Jersey). 1961 wurde er Composer-in-Residence an der University of California in Los Angeles. H. fügte der amerikanischen Symphonik neben S. Barber und W. Schuman maßgebende „Modelle" hinzu. Dies betrifft vor allem die Klarheit des Klangbildes trotz kontrapunktischer Strenge und die Spontaneität der Empfindung trotz Programmatik und Monumentalität. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Sonate (1928/29); Little Suite (1938); Toccata (1949); Impressions of a Rainy Day (1925) für Streichquartett; 3 Streichquartette (1929, 1933, 1937-38); 2 Quintette, 1: (1936) für Klv. u. Str. u. 2: (1939) für 2 V., 2 Va. u. Vc.; V.-Sonate; Memories of Ocean Moodes (1966) für Streichquintett u. Klv.; für Orch.: Ouvertüre When Johnny Comes Marching Home (1934); Ode to Truth (1941); March in Time of War (1943); Children at Play (1946); Kentucky Spring (1949); 2 Klv.-Konzerte (1944, 1953); V.-Konzert (1948/49); Konzert für Klv., Blechbläser u. Schlagzeug (1969); ferner 12 Symphonien (1933, 1934, 1937, 1939, 1942, 1944, 1952, 1960, 1961, 1965, 1967, 1969); Epilogue to Profiles in Courage: J. F. Kennedy (1963); Salute to Youth (1964). - 2) Vokal-WW: Für Chor: 4. Symphonie Folksong Symphony (1939) f ür Chor u. Orch. u. 10. Symphony The Abraham Lincoln Symphony (1965) für Chor, Blechbläser u. 2 „amplified Pianos"; Songs of Democracy (1940) (Text: W. Whitman); Walt Whitman Suite (1944); Kantaten: A. Lincoln Walks at Midnight (1953) für Alt u. Klv.-Trio; Give me the Splendid Silent Sun (1959) (nach W. Whitman) für Bar. u. Orch.; Canticle of the Sun (1959) (nach dem Sonnengesang des heiligen Franziskus) für Koloratursopran u. Kammerorch.; Peace and Thanksgiving (1963) für Chor, Blechbläser u. Klv.; Peace and Goodwill to All (1970) für Chor, Blechbläser, Schlagzeug u. Org. - 3) Buhnen-WW: Ballette: Western Landscape, UA: Colorado Springs 1940; From This Earth, UA: ebd. 1940; To Thee, Old Cause, UA: ebd. 1944. Lit.: H. COWELL, R. H., in: American Composers on American Music (Stanford 1933); W. PISTON, R. H., in: Modern Music (1934), Januar-Februar-H.; A. COPLAND, Our New Music (NY 1941); R. EvETT, The Harmonic Idiom of R. H., in: Modern Music (1946); N. SLONIMSKY, R. H., in: MQ 33 (1947). CH. E. BROOKHART, The Choral Music of A. Copland, R. H. and R. Thompson (Nashville/Tenn. 1960) (= Diss. G. Peabody College for Teachers); P. ASHLEY, in: Stereo Revue 21 (1968) (mit Diskographie); D. STEHMANN, The Symphonies of R. H. An Analytical Study of the Linear Materials and of Related Works, 3 Bde. (1973) (= Diss. Univ. of Southern California); R. STRASSBURG, R. H. A Catalogue of His Works (Los Angeles 1973).

H. LINDLAR

HARRISON, Frank Llewelyn, * 29. 9. 1905 Dublin; engl. Musikforscher. Er wurde 1929 Dr. of Music der Universität Dublin. 1930 ging er nach Kanada, wo er bis 1946 Musikdirektor und seit 1940 auch Assistant Professor der Queen's University in Kingston war. 1945-46 studierte er noch bei L. Schrade und P. Hindemith an der Yale University und lehrte 1946-47 an der Colgate University in Hamilton (N.Y.), 1947-52 an der Washington University in St. Louis und seit 1952 an der Oxford

University. 1970 wurde er Professor für Musikethnologie an der Universität in Amsterdam. WW: 1) Schriften: Music in Medieval Britain (Lo 1958, NY 1959); Rota and Rondellus in English Medieval Music, in: Proc. R. Mus. Assoc. 86 (1959/60); English Church Music in the Fourteenth Century, in: Ars Nova and the Renaissance 1300-1540, hrsg. v. A. Hughes - G. Abraham (Lo 1960) (= New Oxford History of Music 3); English Polyphony (ca. 1470-1540), in: ebd.; Musicology (Eaglewood Cliffs/NJ. 1963) (zus. mit M. Hood u. C. V. Patisca); European Musical Instruments (Lo 1964) (zus. mit J. Rimmer); Ars nova in England. A New Source, in: MD 21 (1967); Church Music in England, in: The Age of Humanism 1540-1630, hrsg. v. G. Abraham (Lo 1968) (= New Oxford History of Music 4); Spanish Elements in the Music of Two Maya Groups in Chiapas, in: Selected Reports 1/2 (1968) (zus. mit J. Harrison); Time, Place and Music. An Anthology of Ethnomusicological Observation ca. 1550 to ca. 1800 (A 1973) (= Source Materials and Studies in Ethnomusicology 1). - 2) Editlonen: The Eton Choirbook, 3 Bde. (Lo 1956-61) (= Mus. Brit. 10-12); Collins Music Encyclopedia (Lo - Glasgow 1959) (zus. mit J. A. Westrup).

HARRISON, Julius Allan Greenway, *26. 3. 1885 Stourport (Worcestershire), t 5.4. 1963 Harpenden bei London; engl. Komponist. H. studierte am Birmingham and Midland Institute School of Music bei Gr. Bantock und an der Royal Academy of Music in London. Dort leitete er seit 1925 als Nachfolger von E. Goossens die Handel Society. 1930 wurde er Musikdirektor in Hastings, gab aber wegen zunehmender Taubheit dieses Amt 1940 wieder auf. In seinen polyphonen und kirchentonal gefärbten Kompositionen, in denen die Variationsformen dominieren, sind auch Einflüsse des englischen Volksliedes erkennbar. WW: 1) Instr.-WW: Widdicombe Fair für Streichquartett; Prelude Music (1912) für Harfe u. Streichquartett; Seven Country Sketches (1919) für Klv.; Sonate für Va. u. Klv. (1944); Troubadour Suite (1945) für Str., Horn u. Harfe; für Streichorch.: Worcestershire Suite (1920); Cornish Holiday Sketches (1935); Autumn Landscape (1936); Rhapsodie Bredon-Hill (1941) für V. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Requiem of Archangels for the World (1919) u. The Blessed Damozel (1929) für Frauenchor a cap.; Messe C-c (1948) für Soli, Chor u. Orch.; Missa liturgics (1950) für Chor a cap.; Orchestergesänge Songs of Chivalry, Cavalier Tunes u. Rhapsody (Text: W. Whitman). - 3) Schriften: The Orchestra and Orchestral Music, in: The Musical Companion (Lo 1934); Brahms and His Four Symphonies (Lo 1939); ferner Aufsätze über F. Mendelssohn, R. Schumann, J. Brahms u. A. Dvořák, in: The Symphony, hrsg. v. R. Simpson, 2 Bde. (Harmondsworth 1966). Lit.: E. RUBBRA, J. H.'s Mass, in: ML 31 (1950).

HARRISON, Lou, *14. 5. 1917 Portland (Oregon); amerik. Komponist. Er war Schüler von H. Cowell, H. Cooper und A. Schönberg. 1937-40 unterrichtete er am Mills College in Oakland (Calif.) und 1942 an der University of California in Los Angeles. Seit 1943 lebte er in New York und war u. a. 1945-48 Musikkritiker der New York Herald Tribune. 1951-52 lehrte er am Black Mountain College (Buncombe County/N.C.). H. verwendet in 37

Harsányi seinen Werken vielfältige, darunter auch atonale Kompositionstechniken. WW: 1) Instr.-WW: 6 Cemb.-Sonaten (1935-40) u. 3 Klv.-Sonaten (1941); Streichtrio (1948); Suite für Streichquartett (1949); Double Music (1941) (zus. mit J. Cage) für Schlagzeugquartett; Scenes from William Morris (1955) für Fl., V., Va., Vc., Harfe u. Klv.; Concerto in slendro (1962) für V. u. Schlagzeug; 7 Pastorali (1947-53) für Kammerorch.; 2Suiten (1948, 1949) für Str.; Motette (1950) für 7 Streichinstr.; Symphonie F-Dur (1953); Simfony from Simfonies in Free Style (1956); Konzerto por la violono kun perkuta orkestro (1959); Suite Simfoniaj kordoi (1960); Praeludium u. Sarabande (1937) für Orch., auch für Klv.; Canticle I-111(1939-41) für Schlagzeug-Orch.; Alleluia (1946) für Orch. — 2) Vokal-WW: Messe für den heiligen Antonius (1949) für Chor, Trp., Harfe u. Str.; Nova odo (1963) für Solo, Chor, Sprechchor, Orch., Schlagzeug u. orientalische Instr. — 3) Bühnen-WW: Opern, u. a. Rapunzel, UA: New York 1960; Ballette u. a. Solstice (1949); ferner zahlr. Bühnenmusiken.

HARSÁNYI, Tibor, * 27. 6. 1898 Magyarkanizsa (Ungarn), t 19.9.1954 Paris; frz. Pianist und Komponist ung. Herkunft. H. war an der Budapester Musikakademie Kompositionsschüler von Z. Kodály. 1924 ließ er sich in Paris nieder, von wo er Konzertreisen in die bedeutendsten Musikzentren Europas unternahm. Seine Kompositionen, die Einflüsse des Jazz und der magyarischen Folklore erkennen lassen, kennzeichnen brillante Instrumentation und metrisch-rhythmische Vielfalt. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; zahlr. Kammermusikwerke, u. a. Sonaten, V.-Duo u. V.-Trio, Streichtrio u. -quartett; Orchesterwerke, u. a.: 3 Morceaux (1926); Suite (1927); La joie de vivre (1933); Suite hongroise (1935); Danses variées (1945); Divertissement français (1946); Symphonie in C (1951); V.-Kontert (1939-41); 2 Divertimenti (1941, 1943); Figures et rythmes (1947). — 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder, u. a.: Six mélodies (1922/23) (Text: H. Heine); Chanson (1925) (Text: A. de Musset); Chöre: L'Histoire du petit tailleur (1939) für Sprecher, 7 Instr. u. Schlagzeug; Cantate de Noël (1939) für gem. Chor, Fl. u. Str.; Deux fantaisies (1943) für Chor a cap.; Kantate Colère (1952) für gem. Chor. — 3) Bühnen-WW: Opern: Les invités (Libr.: J.-V. Pellerin), UA: Gera 1930; Illusion ou L'Histoire d'un miracle (Libr.: P. Brive nach E. T. A. Hoffmann), UA: Radiodiffusion Française 1949; Ballette: Le dernier songe, UA: Budapest 1920; Chota Roustaveli (zus. mit A. Honegger u. A. Tscherepnin), UA: Monte Carlo 1945; La fleur verte (1950) u. L'amour et la vie (1950) (beide hls.). Lit.: R. KLEIN, in: ZfM 116 (1955); J. S. WEISSMANN, H., in: MGG V.

HARSDORFFER, Georg Philipp, *1. 11. 1607 Nürnberg, t 17.9. 1658 ebd.; dt. Dichter. H. studierte an den Universitäten Altenburg und Straßburg. 1627-32 bereiste er Westeuropa und Italien und ließ sich später in Nürnberg nieder, wo er zeitweise Ratsmitglied war und 1644 zusammen mit J. Klaj das Dichterkränzchen „Löblicher Hirtenund Blumenorden an der Pegnitz" gründete. H.s Hauptwerk sind die Frauenzimmer-Gesprächsspiele (8 Bde., Nü 1641-49), ein enzyklopädisches Kompendium der zeitgenössischen deutschen Gesellschaftskunst. Die darin enthaltenen Sing- und 38

Ballettstücke wurden von S. Th. Staden vertont, so auch das allegorische Schäferspiel Seelewig (1644), das man, wohl zu Unrecht, gelegentlich als die erste deutsche Oper bezeichnet hat. Lit.: R. HASSELBRINK, H., in: MGG V; P. KELLER, Die Oper Seelewig von S. Th. Staden und G. Ph. H. (Be 1977) (= Publ. der Schweizer. Musikforschenden Ges. II, 29).

HART, Fritz Bennicke, * 11.2. 1874 London, t 9.7. 1949 Honolulu; engl. Komponist. H. war 1893-96 Schüler am Royal College of Music in London und anschließend Theaterkapellmeister. 1908 ging er nach Australien, wo er 1915-35 das Konservatorium in Melbourne leitete und seit 1928 das Melbourne Symphony Orchestra dirigierte. 1932-49 leitete er als Gastdirigent das Honolulu Symphony Orchestra und war 1936-42 Professor für Musik an der Universität von Hawaii. Seine

Kompositionen sind vor allem durch das englische Volkslied inspiriert. WW: Klv.-Stücke; 3 V. -Sonaten (1911, 1920, 1941) u. 2 Streichquartette; für Orch.: Fantasie From the West Country (1907); 13 Szenen nach M. Maeterlincks L'oiseau bleu (1911); symphonische Suite The Bush (1923); Fantasie Shanendoah (1930); Symphonie (1934); Symphonic Rhapsody (1939) für V. u. Orch.; symphonischer Essay A Dedication (1949). — Über 500 Lieder; Volksliedbearbeitungen u. zahlr. Chorwerke. — Opern: Pierrette (1913); Malvolivo (1913); The Land of Heart's Desire (1914); Riders to the Sea (1915); biblische Oper Ruth and Naomi (1917); The Fantastics (1918); The Travelling Man (1920); Weihnachtsoper Even Unto Bethlehem (1943); The Swineherd, the Toad and the Princess (1944); The Vengeance of Faery (1947). Lit.: W. A. ORCHARD, Music in Australia (Melbourne 1952);

A.D. MCCREDIE, Musical Composition in Australia (Canberra 1969); DERS., Catalogue of Forty-Six Australian Composers and Selected Works (ebd. 1969).

HART, Lorenz (Milton), *2. 5. 1895 New York, t 22. 11. 1943 ebd.; amerik. Textdichter und Librettist. H. war durch seinen Vater Max mit der Fa-

milie Heinrich Heines verwandt. 1919 schrieb er mit R. Rodgers, mit dem er weiterhin ausschließlich zusammenarbeitete, das erste gemeinsame Stück: Poor little Ritz Girl. Den ersten großen Erfolg errang das Autorenteam 1925 mit Garrick Gaieties. 1931-35 arbeiteten sie in Hollywood. Nach New York zurückgekehrt, schrieben sie für den Broadway die Musicals On your Toes (1936), Babes in Arms (1937), I'd rather be right (1937), The Boys from Syracuse (1938), Pal Joey (1940) und By Jupiter (1942), die als Meilensteine der Entwicklung des amerikanischen /Musicals gelten. Der Name des Autorenteams „Rodgers and Hart" steht für einen Abschnitt des amerikanischen Musicals, in dem der Song-Text gleichberechtigt neben die Musik trat. H.s Texte zeichnen sich durch Witz, Satire und Schärfe sowie geistreiche Charakterisierung von Situationen und Personen aus.

Hartmann Lit.: The Rodgers and H. Song Book (NY 1951); R. RODGERS, Musical Stages (NY 1975).

HART, Philip, *um 1676, t 17.7. 1749 London; engl. Organist und Komponist. H. war Organist an mehreren Londoner Kirchen. Er veröffentlichte neben zahlreichen Songs (u. a. Morning hymn aus J. Mittons Paradise lost für 2 St., Vc. u. Cemb., 1729) eine Sammlung Fugues ... with lessons für Orgel oder Cembalo (Lo 1720). Lit.: F. DAWES, Ph. H., in: MT 106 (1965); DERS., The Music of Ph. H., in: Proc. R. Mus. Assoc. 94 (1967/68); DERS., Ph. H. and W. Norris, in: MT 110 (1969).

HÄRTEL, dt. Musikverleger, OE'Breitkopf & Härtel. HARTH, Sidney, * 5. 10. 1929 Cleveland (Ohio); amerik. Violinist. Er studierte bei A. Sack, J. Fuchs, L. Bazin und G. Enescu und konzertiert seit 1949 als Solist mit bedeutenden Orchestern und Kammermusikensembles in Europa und in den USA. H. ist Professor für Musik in Pittsburgh. HARTMANN, Johan Peter Emilius (Emil), *14. 5. 1805 Kopenhagen, t 10.3. 1900 ebd.; dänischer Komponist. Er entstammte einer dt. Musikerfamilie, die Mitte des 18. Jh. nach Dänemark kam. Musikunterricht erhielt er von seinem Vater August Wilhelm H. (1775-1850). Nach Abschluß eines Jurastudiums (1828) war er als Beamter tätig. Kurze Zeit war er Schüler von Chr. E. Fr. Weyse, dem er 1843 als Organist an der Vor Frue Kirk in Kopenhagen folgte. H. war Präsident der Musikforeningen und Studenter-Sangforeningen, seit 1867 Professor und einer der 3 Direktoren (u. a. mit seinem Schwiegersohn N. Gade) des Konservatoriums von Kopenhagen. Seine Musik ist vor allem vom dänischen Volkslied beeinflußt. Die späten Werke weisen auf den Stil von C. Nielsen voraus. WW: 2 Klv.-Sonaten (1846, 1885); Org.-Stücke; Trauermarsch für Org. u. Blasinstr. (1848); V. -Sonate (1826); 2 Streichquartette (1848, 1855); für Orch.: Symphonien g-moll (1835) u. EDur (1848); 3 Konzertouvertüren (1825, 1852, 1863); Lieder u. Liederzyklen, u. a. Sulamith og Salomon (1847-1850); Folmer Spillemands viser (aus Hjortens Flugt v. Ch. Winter) (1856); Chöre, darunter die Kantaten Dryadens bryllup (1858) u. eine Universitätskantate (1879). - Opern: Ravnen (Der Rabe), UA: Kopenhagen 1832; Korsarerne (1835); Liden Kirsten (Die kleine Kirsten) (1846); Ballette: Valkyrien (1861); Thrymskviden (1868); Arkona (1875); Bühnenmusik u. a. zu A. Oehlenschlägers Olaf den Heilige (1838) u. Yrsa (1883). Lit.: A. HAMMERICH, J. P. E. H. (Kop 1916); W. BEHREND, J. P. E. H. (Kop 1918); R. HOVE, J. P. E. H. (Kop 1934) (mit Werk-Verz.); V. BITSCH, J. P. E. H. (Hellrup 1955); L. BRIX, Die Klaviermusik v. J. P. E. H. (Diss. Gö 1971).

HARTMANN, Karl Amadeus, *2. 8. 1905 München, t 5.12. 1963 ebd.; dt. Komponist. Er studierte 1924-29 bei J. Haas an der Akademie der

Tonkunst (bzw. Musikhochschule) in München. Um 1931 wurde er Privatschüler von H. Scherchen, dessen Einfluß für seine künstlerische Entwicklung bestimmend wurde. Aus der Zusammenarbeit beider entstand das Buch zu H.s einziger Oper Des Simplicius Simplicissimus Jugend (1934), in deren Komposition Einflüsse des Expressionismus deutlich werden. Von seinen anderen Werken, die bis 1945 entstanden waren, ließ H. später nur noch wenige gelten: das 1. Streichquartett (1933), die 1. Symphonie (1937) und das Concerto funebre (1939). Alle Werke, die während dieser Zeit außerhalb Deutschlands uraufgeführt wurden, zog H. zurück (seine Verleger veröffentlichten sie nach seinem Tode z. T. jedoch neu). In den Kriegsjahren blieb H. in „innerer Emigration" von der Umwelt wie abgeschlossen; 1942 war er Schüler A. Weberns in Maria-Enzersdorf bei Wien. 1945 wurde er Musikdramaturg der Bayerischen Staatsoper in München und rief dort im selben Jahre mit der Konzertreihe „Musica viva" eine der bedeutendsten Pflegestätten zeitgenössischer Musik in Deutschland ins Leben. Seit dieser Zeit wurde er auch als Komponist bekannt. 1952 wurde er zum Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München gewählt, 1953 zum Präsidenten der deutschen Sektion der IGNM und zum Mitglied der Akademie der Künste in Berlin (West). H. erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. 1962 die Ehrendoktorwürde der Spokane University (Wash.). WW: Streichquartett Carillon (1933); 2. Streichquartett (1945-46); 8 Symphonien: 1: Versuch eines Requiems (1937) (Text: W. Whitman) für Alt u. Orch., 2: Adagio (1945, revidiert 1946), 3: (1948-49), 4: (1946-47) für Streichorch., 5: Symphonie concertante (1950), 6: (1951-53), 7: (1957-58), 8: (1962); V.-Konzert Musik der Trauer (1939), Neufassung als: Concerto funebre (1959); Konzert für Va. mit Klv., Bläser u. Schlagzeug (1955); Kantate Lamento (1937) für Sopran u. Klv.; Gesangsszene (1962-63) (nach J. Giraudoux) für Bar. u. Orch.; Ghetto (1960-61) für Alt, Bar., Kammerchor u. kleines Orch., aus Jüdische Chronik (zus. mit B. Blacher, P. Dessau, H. W. Henze, R. Wagner-Régeny); Kammeroper Des Simplicius Simplicissimus Jugend (1934-35), UA: Köln 1949, Neufassung (1955), UA: Mannheim 1957. - Postume Veröff. früherer Kompositionen: Anno '48/Friede (1936-37) (nach A. Gryphius) für Sopran, 4st. gem. Chor u. Klv. (Mz 1968), Jazz-Toccata u. -Fuge (1928) für Klv. (Mz 1970); Sonatine (1931) für Klv. (Mz 1970); Tanzsuite (1931) für Bläserquintett (Mz 1972); Burleske Musik (1931) für Bläser, Schlagzeug u. Klv. (Mz 1973); Symphonische Hymnen (1941-42) (Mz 1976); symphonische Dichtung Miserae (1933-34) (Mz 1977); Sonate 27. April (1945) für Klv. (Mz 1980). - Posthum erschienen: Kleine Schriften (Mz 1965).

H.s Meisterschaft als Komponist zeigt sich in der „Entsprechung des Ausdrucksbedürfnisses und seiner Dringlichkeit mit der Wahl der instrumentalen Mittel" (H. W. Henze) wie auch in dem Aufbau weitgespannter Melodiebögen, insbesondere in den Adagiosätzen seiner Symphonien. Um einen Aus39

Hartmann

gleich zwischen Polyphonie und Ausdruck, die sich nach H.s Auffassung antithetisch verhalten, zu erzielen, bediente sich H. häufig kontrapunktischer Kunstmittel: Der 2. Satz Toccata variata seiner 6. Symphonie besteht aus 3 Fugen, wobei das Thema der ersten in den Themen der folgenden jeweils variiert wird; doch bleibt diese Konstruktion dem Hörer hinter der musikalischen Ausdruckskraft der Komposition verborgen. H.s Werke sind Bekenntnismusik; sein Anliegen als Musiker formulierte er selbst: ,,... meine auf Humanität hinzielende Lebensauffassung einem künstlerischen Organismus mitzuteilen". Lit.: W. ZILLIG, H.s sinfonische Erkenntnisse, in: Melos 26 (1959); S. GUNTHER, H.s achte Symphonie, in: ebd. 30 (1963), M. SEE, Erinnerungen an K. A. H., in: NZfM 125 (1964); L. DALLAPICCOLA, Meine Erinnerungen an K. A. H., in: Melos 37 (1970); R. LUKOWSKY, Bekenntnis zur Humanität. K. A. H., ein bedeutender bürgerlicher Musiker, in: MuG 20 (1970); J. P. DISTEFANO, The Symphonies of K. A. H. (1972) (= Diss. Florida State Univ.); W. FORTNER, K.A.H. Zur 70. Wiederkehr seines Geburtstages, in: Melos/NZ 1 (1975); K. H. RUPPEL, K. A. H. (Mz 1975) (Werk-Verz.); H.-W. HEISTER, Zur Semantik musikal. Strukturen. Der SchluBsatz aus K. A. H.s 1. Symphonie, in: BzMw 18 (1976); E. Voss, Sinfonien als Bekenntnisse zur Humanität. Zur Sinfonik K.A. H.s, in: Melos/NZ 2 (1976); A. McCREDIE, K. A. H. Sein Leben u. Werk (Wilhelmshaven 1980) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 74), engl. Originalfassung mit thematischem Werk-Verz. vorgesehen als Bd. XIX der Quellenkataloge z. Musikgesch. (ebd. 1980-81); K. A. H. u. die Musica viva. Essays, bisher unveröff. Briefe an H. Ausstellungskat., hrsg. v. R. WAGNER (Mn 1980) (= Bayerische Staatsbibl., Ausstellungs-Kataloge 20). K. LANGROCK

HARTMANN, Rudolf, *11. 10. 1900 Ingolstadt; dt. Opernregisseur und Theaterleiter. Er studierte in München Musikwissenschaft, ließ sich als Opernregisseur ausbilden und wurde 1928 Oberspielleiter in Nürnberg, 1934 an der Staatsoper in Berlin; Cl. Krauss berief ihn 1944 als Oberregisseur an die Staatsoper in München, deren Leitung er als Staatsintendant 1952-67 innehatte. H. widmete sich, auch als Gastregisseur, insbesondere den Opern W. A. Mozarts, R. Wagners und R. Strauss', mit dem er befreundet war. Er inszenierte dessen Spätwerke bei ihrer Uraufführung (u. a. Capriccio, München 1938, und Die Liebe der Danae, Salzburg 1952) und führte die Regie bei der Uraufführung u. a. von C. Orffs Der Mond (München 1939) und P. Hindemiths Die Harmonie der Welt (ebd. 1957). H. veröffentlichte Das geliebte Haus. Mein Leben mit der Oper (Mn 1975) und Oper, Regie und Bühnenbild heute (Fribourg — St 1977). Lit: W. PANOFSKY, Musiker, Mimen u. Merkwürdigkeiten im Hof- u. Nationaltheater (Mn 1963); M. SEE, Die künstlerischen Perspektiven im Neuen Hause. Die Bayerische Staatsoper unter R. H. im wiederhergestellten Münchner Nationaltheater, in: NZfM 124 (1963); H. FRIESS, R. H., in: Opera 16 (1965).

HARWOOD, Basil, * 11.4. 1859 Olverton (Glou40

cestershire), t 3. 4. 1949 London; engl. Organist und Komponist. Er erhielt seine musikalische Ausbildung am Trinity College in Oxford und studierte Komposition bei S. Jadassohn und C. Reinecke am Leipziger Konservatorium. 1887-92 war er Organist an der Kathedrale von Ely und 1892-1909 an der Christ Church Cathedral in Oxford, daneben Precentor am Keble College (1892-1903), Dirigent des Bach Choir (1896-1908) und Choragus der Universität (1900-09). Neben H. Parry und Ch. V. Stanford war H. von entscheidendem Einfluß auf die Entstehung einer eigenständigen englischen Orgelkunst im frühen 20. Jahrhundert. WW: Für Org.: 2 Sonaten (1888, 1912); Dithyramb (1892); Paean (1902); Christmastide (1920); Rhapsody (1922); In Exitu Israel (1928); Lullaby (1930); 2 Meditations (1935); Org.-Konzert (1910); ferner zahlr. geistliche Vokalwerke. Lit.: H. G. LEY - C. WILLIAMS, in: English Church Music 19 (1949).

HASELBOCK, Hans, *26. 7. 1928 Nesselstauden (Niederösterreich); östr. Organist und Komponist. Er studierte in Wien Kirchenmusik und Germanistik und promovierte 1952 mit der Dissertation Die dichterische Entwicklung des jungen Wagner. Seit 1949 ist er Organist an der Dominikanerkirche in Wien. 1958-60 war er dreimal Preisträger des Internationalen Orgelimprovisationswettbewerbs in Haarlem und gilt seitdem als einer der führenden Improvisatoren an der Orgel. 1960 wurde er Professor für Orgel und Improvisation an der Wiener Musikakademie (heute Musikhochschule), an der er seit 1965 die Abteilung für Kirchenmusik leitet. WW: 1) Kompositionen: Für Org.: Partiten; Choräle; Toccata Serena (1979). - Salzburger Messe (1967) für Kantor, Chor, Org. u. Bläser; Psalm 103 (1969) für gem. Chor u. Org.; Psalmenproprium (1969) für Chor u. Org.; Madrigalmesse, UA: Wien 1980; ferner A-cap.-Chöre. - 2) Schriften: Barocker Orgelschatz in Niederösterreich (W 1972); Mozarts Stücke für eine Orgelwalze, in: FS W. Supper, hrsg. v. A. Reichling (B 1978). - Ferner edierte H. Werke v. A. Bruckner u. J. K. Kern.

HASKIL, Clara, *7. 1. 1895 Bukarest, t 7. 12. 1960 Brüssel; Schweizer Pianistin rumänischer Herkunft. Sie studierte in Wien bei Richard Robert, dann bei A. Cortot am Pariser Conservatoire. Seit 1910 konzertierte sie in Europa und den USA, u. a. auch als Partnerin von G. Enescu, E. Ysaye, P. Casals, A. Grumiaux und G. Anda. Sie zählt zu den herausragenden Mozart-Interpreten ihrer Zeit, war aber ebenso bedeutend als Interpretin von Werken Fr. Schuberts und R. Schumanns. Seit 1963 findet alle 3 Jahre ein Concours international de piano Cl. H. statt, der von der Association Cl. H. (gegr. 1962 in Vevey) veranstaltet wird. Lit.: R. WOLFENSBERGER, C. H. (Be 1961); B. GAVOTY -

Hasse R. HAUERT, C. H. (G 1962), dt. Übers. (F 1962); J. RÖNTGEN, In memoriam C. H., in: NZfM 123 (1962) (mit Briefen C. H.$); J. SPYCKETT, C. H. (Lau 1976, dt. Be 1977).

HASLINGER, Tobias, * 1. 3. 1787 Zell (Oberösterreich), t 18.6.1842 Wien; östr. Musikverleger. Er war Schüler des Domkapellmeisters Franz Xaver Glöggl in Linz und kam 1810 nach Wien, wo er auch einige eigene Kompositionen veröffentlichte. 1814 trat er in die Musikalienhandlung von S. A. Steiner ein und baute sie binnen kurzem zu einem bedeutenden Verlag aus. Er wurde 1815 Teilhaber von Steiner, 1826 Alleininhaber der Firma, die nun seinen Namen trug. H. war einer der wichtigsten Verleger L. van Beethovens und mit diesem freundschaftlich verbunden, wie auch eine Reihe von scherzhaften Kanons bezeugt. Unter H.s Betreuung bzw. in seinem eigenen Verlag erschienen zahlreiche Originalausgaben von Werken Beethovens, darunter die der Symphonien Nr. 7 und 8 (1816-17) und frühe Nachdrucke. 1817-23 legte H. zur Vorbereitung einer Gesamtausgabe eine Sammlung von kalligraphisch prachtvoll gestalteten Abschriften der bis 1821 gedruckten Beethovenschen Werke an, die später von Erzherzog Rudolph angekauft wurde (sog. Haslinger-Rudolfinische Sammlung, heute in Wien, Bibl. der Gesellschaft der Musikfreunde). H. verlegte auch Werke von Fr. Schubert (u. a. Winterreise und Schwanengesang), von G. Albrechtsberger, G. F. Händel, C.M. v. Weber, L. Spohr, Fr. Liszt, Fr. Chopin u. a. Nach seinem Tod übernahm H.s Sohn Carl H., *11. 6. 1816 Wien, t 26. 12. 1868 ebd., Schüler von C. Czerny und I. von Seyfried, die Nachfolge, zuerst gemeinsam mit seiner Mutter Caroline, nach 1848 allein. 1875 ging die Firma an den Verlag Schlesinger (Lienau) in Berlin über. C. H. verlegte zahlreiche Werke von J. Strauß Vater und Sohn und von C. M. Ziehrer. Lit.: M. UNGER, L. van Beethoven u. seine Verleger S. A. Steiner u. T. H. in Wien, A. M. Schlesinger in Berlin (B — W 1921); A. WEINMANN, Wiener Musikverleger u. Musikalienhändler v. Mozarts Zeit bis gegen 1860 (W 1956); F. ZAGIBA, Chopin u. T. H., in: Chopin-Jb. 1 (1956).

HASSE, Johann Adolf, getauft 25.3. 1699 Bergedorf bei Hamburg, t 16. 12. 1783 Venedig; dt. Komponist. Er war der älteste Sohn des Bergedorfer Organisten Peter H. (um 1668-1737). 1718 ging er als Tenorist an die Hamburger und 1719 an die Braunschweiger Oper, wo er 1721 mit der Opera seria Antioco als Komponist debütierte. Zum Kapellmeister des Herzogs von Braunschweig ernannt, unterhielt er diese Verbindung bis 1728. 1722 wandte er sich nach Neapel, wurde dort Schüler von N. Porpora und A. Scarlatti und hatte auch

zwischen 1726 und 1729 mit mehreren Opere serie Erfolg. 1727 wurde er Kapellmeister am Conservatorio degli Incurabili in Venedig, wo u. a. sein berühmtes Miserere entstand, blieb daneben aber noch bis 1730 auch „Maestro sopranumerario della Real Cappella di Napoli". 1730 heiratete er die Sängerin Faustina Bordoni. Nach Opernaufführungen in Venedig, Parma und Mailand gastierten beide 1731 in Dresden, wo H. mit Cleofide Triumphe feiern konnte und den Titel „Königlich Polnischer und Kurfürstlich Sächsischer Kapellmeister" erhielt. Nach weiteren Opernaufführungen in Turin, Venedig, Rom, Bologna und Wien traten sie im Dezember 1733 in sächsische Dienste. Das bedeutete den Beginn einer fast 30jährigen, ungemein fruchtbaren und glanzvollen Tätigkeit an der wiedereröffneten Dresdner Oper. Beide erhielten oft und großzügig Urlaub: Im November 1734 reisten sie nach London, anschließend nach Venedig und kehrten erst Anfang 1737 nach Dresden zurück. Während weiterer Reisen nach Italien (zumeist nach Venedig: September 1738 — Ende 1739, April 1744 — Sommer 1745, Juli 1746 — Anfang 1747 [über München], 1754) pflegte H. seine Verbindungen zu italienischen Bühnen. Im Mai 1750 war er Gast des französischen Hofes in Paris, im März 1753 folgte er einer Einladung König Friedrichs II. von Preußen nach Berlin. Für den Dresdner Hof schrieb er eine Reihe weltlicher Kantaten, für die Hofkirche mehrere weitgehend deren besonderen akustischen Gegebenheiten Rechnung tragende Oratorien und zahlreiche andere Kirchenmusikwerke. 1750 wurde H. zum Oberkapellmeister ernannt. Sein Wohnhaus wurde 1760 mit der zum Stich vorbereiteten Gesamtausgabe seiner Werke während der Beschießung Dresdens durch Feuer zerstört. Noch im selben Jahr knüpfte er Verbindungen zum Wiener Hof. Nach dem Tode des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. (5. 10. 1763) wurde H. ohne Pension entlassen; nach der Aufführung des Requiems (22. 11. 1763) übersiedelten er und seine Frau Anfang 1764 nach Wien, wo H. während der folgenden Jahre noch eine Reihe höfischer Auftragsopern schuf. 1773 ließen sie sich in Venedig nieder, wo H. bis zu seinem Tode ohne Amt und zurückgezogen lebte. WW: 1) Instr.-WW: Kammermusik, u. a. zahlr. Kompositionen für Cemb. u. Fl. mit u. ohne B.c. (Sonaten, Duos); ferner zahlr. Symphonien u. Konzerte für versch. Instr. mit Orch., sämtlich in London u. Amsterdam gedruckt. — 2) Vokal-WW (in großer Zahl hsl. erhalten): Oratorien: Serpentes ignei in deserto u. Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena; Daniello (Text: A. Zeno), UA: Wien 1731; IIcantico de'tre fanciulli (Text: S. B. Pallavicini), UA: Dresden 1734; Le virtù appie della croce (Text: ders.), UA: ebd. 1737; Giuseppe riconosciuto (Text: P. Metastasio), UA: ebd. 1741; pellegrini al sepolcro (Text: Pallavicini), UA: ebd. 1742, dt.. im Klv.-A. v. J. A. Hiller (L 1784); La caduta di Gerico (Text:

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Hasse G. C. Pasquini), UA: ebd. 1743; La deposizione della croce (Text: UA: ebd. 1746, UA der Neufassung: Wien 1772; La conversione di Sant'Agostino, UA: Dresden 1750. - Geistliche Werke: Te Deum D-Dur, UA: Dresden 1751; Te Deum G-Dur (1776); 2 Te Deum D-Dur; Requiem C-Dur, UA: Dresden 1763; 2 Requiem Es-Dur; Magnificat F-Dur; Missa d-moll, UA: Dresden 1751; Missa Es-Dur (1779); 8 Messen; zahlr. Motetten, Kantaten, Antiphonen, Offertorien, Psalmen u. a. kirchenmusikal. Werke in versch. Besetzungen. - Ferner weltliche Kantaten, u. a. 13 Festkantaten (überwiegend für höfische Anlässe komponiert). - 3) Bühnea-WW: a) Opere serie (nur die erhaltenen; wenn nicht anders angegeben, auf Libretti v. P. Metastasio u. in Dresden bzw. Hubertusburg uraufgeführt; zumeist hsl. erhalten, von einigen WW erschienen in London o. J. Favourite Songs im Druck): Antioco (Libr.: A. Zeno, P. Panati), UA: Braunschweig 1721; II Sesostrate (Libr.: A. Carasale), UA: Neapel 1726; Gerone tirannico di Siracusa (Libr.: A. Aureli), UA: ebd. 1727; Attalo (Libr.: F. Silvani), UA: ebd. 1728; Tigrane (Libr.: Silvani), UA: ebd. 1729; Ezio, UA: ebd. 1729/30 (verschollen), Umarbeitung oder Neufassung, UA: Dresden 1755; Artaserse, UA: Venedig 1730, Umarbeitung, UA: Dresden 1740, nochmalige Umarbeitung, UA: Neapel 1760; Dalisa (Libr.: N. Minato), UA: Parma 1730 (später als La costanza vincitrice, verschollen); Arminio (Libr.: A. Salvi), UA: Mailand 1730; C7eofide (= P. Metastasios Alessandro nell'Indie, bearb. v. M. A. Boccardi), UA: 1731; Demetrio, UA: Venedig 1732, Umarbeitung als Cleonice, UA: Wien 1734, dann Dresden 1740; Ca jo Fabrizio (Libr.: Zeno), UA: Rom 1732; Euristeo(Libr.: ders. oder D. Lalli), UA: Venedig 1732; Siroe, UA: Bologna 1733, Umarbeitung, UA: Dresden 1763; Tito Vespasiano (La clemenza di Tito), !JA: Pesaro 1735; Senocrita (Libr.: Pallavicini), UA: 1737; Atalanta (Libr.: ders.), UA: 1737; Asteria (Libr.: ders.), UA: 1737; Irene (Libr.: ders.), UA: 1738; Alfonso (Libr.: ders.), UA: 1738; Viriate (= P. Metastasios Siface, bearb. v. Lalli), UA: Venedig, Karneval 1739/40; Numa (Libr.: Pallavicini), UA: 1741; Lucio Papino (Libr.: Zeno), UA: 1742; Festa teatrale L'asilo d'amore, UA: Neapel 1742; Didone abbandonata, UA: 1742; Issipile (zweifelhaft), UA: Neapel 1742; Antigono, UA: 1743; Ipermestra, UA: Wien 1744, Umarbeitung, UA: ebd. 1751; Semiramide riconosciuta, UA: Venedig 1744; Arminio (Libr.: Pasquini), UA: 1745; La spartana generosa (Libr.: ders.), UA: 1747; Favola pastorale Leucippo (Libr.: ders.), UA: 1747 (als Leucippus B 1765); Demofoonte, UA: 1748; Azione teatrale I! natale di Giove, UA: 1749; Attilio Regolo, UA: 1750; Ciro riconosciuto, UA: 1751; Adriano in Siria, UA: 1752; Solimano (Libr.: G. A. Migliavacca), UA: 1753; L'eroe cinese, UA: 1753; Artemisia (Libr.: Migliavacca), UA: 1754; II ré pastore, UA: 1755; L'Olimpiade, UA: 1756; Nitteti, UA: Venedig 1758; Azione teatrale Il sogno di Scipione (zweifelhaft), UA: Warschau 1758; Achille in Sciro, UA: Neapel 1759; Festa teatrale Alcide al bivio, UA: Wien 1760 (Klv.-A. L 1763); Zenobia, UA: Warschau 1761; II trionfo di Clelia, UA: Wien 1762; Festa teatrale Egeria, UA: ebd. 1764; Romolo ed Ersilia, UA: Innsbruck 1765; Festa teatrale Partenope, UA: Wien 1767; Intermezzo tragico Piramo e Tisbe (Libr.: M. Coltellini), UA: ebd. 1768; Ruggiero, UA: Mailand 1771. - Ferner zahlr. Intermezzi und Arien für 40 Pasticci.

Als einer der fruchtbarsten und am meisten geschätzten Komponisten seiner Zeit repräsentiert H. die Hochblüte spätneapolitanischer Opernkunst. Er vertonte fast das gesamte dramatische Werk seines Zeitgenossen P. Metastasio: Die Libretti von 32 seiner 56 Opere serie stammen aus dessen Feder, der wie H. selbst ganz dem Geiste der Aufklärung verbunden war. Auf dem Boden konventioneller musikalischer Formen (vor allem der Da capoArie) stehend, erreichte H. bei im einzelnen reicher 42

und metrisch-vielfältiger Affektenmelodik eine ausgeglichene Verbindung von barock-pathetischen und empfindsamen Ausdrucksmomenten, wobei stets die Gesangsstimme bzw. in instrumentaler Musik die Oberstimme dominiert. Mit seinen Opere serie überragt er seine Zeitgenossen. Indem er seinen affektbezogener Typik verpflichteten Stil in Oper und Oratorium rund vier Jahrzehnte lang unverändert beibehielt, wurde er zum Idol seiner Zeit, „seiner" Epoche, mit deren Ende auch sein Ruhm erlosch, den er noch um Jahre überlebte. Im Gegensatz zu den Opere serie erweisen sich seine komischen Opernintermezzi als den Werken der Zeitgenossen nicht ebenbürtig, und seine an Chören auffallend reichen Oratorien erreichen den künstlerischen Rang seiner Opere serie nur teilweise. H.s späte Werke zeigen sein Bemühen um Erweiterung seines musikalischen Formenschatzes. Seine vorletzte Opera seria Piramo e Tisbe stellte einen Versuch dar, an die Wiener Opernreform des Kreises um Chr. W. Gluck Anschluß zu gewinnen. Ausg.: 1) Inch.-WW: a) Sonaten: Triosonaten: D-Dur, hrsg. v. G. FROTSCHER (Hannover 1942, Kas 1969) (= Nagels MA 159); D-Dur op. 3 Nr. 6, hrsg. v. E. SCHENK (W 1955) (= Hausmusik 168); dass. (W 1969) (= Diletto musicale 435); G-Dur, hrsg. v. H. RUF (Mz 1968) (= Il flauto traverso o. Nr.); dass., hrsg. v. K. WALTHER (F 1977); FL-Sonaten: D-Dur, hrsg. v. K. WALTHER (Hannover 1933) (= Nagels MA 99); G-Dur, hrsg. v. R. ENGLANDER (L 1934, NA 1953). -b) Konzerte: für Fl.: h-moll, in: Instrumentalkonzertedt. Meister, hrsg. v. A. SCHERING (1906) (= DDT 29/30); dass., hrsg. v. K. WALTHER (L 1953, NA 1975); G-Dur, hrsg. v. R. ENGLANDER (Hannover 1934) (= Nagels MA 194); D-Dur, hrsg. v. DEMS (Lo 1953); A-Dur, hrsg. v. W. MOHR (Hei 1964); für Ob. F-Dur, hrsg. v. H. TOTTCHER - K. SPANNAGEL (H 1966); für Fl., Str. u. B.c., hrsg. v. Z. JENEY - J. P. MÜLLER (Budapest 21976). 2) Vokal-WW: Miserere c-moll, hrsg. v. A. SCHERING (L 1922); Oratorium La conversione di Sant'Agostino 1750, hrsg. v. DEMS. (L 1905) (= DDT 20); Auszug aus I pellegrini (dt. Fassung v. 1784), in: G. MASSENKEIL, Das Oratorium (Kö 1970) (= Das Musikwerk 37); 4 Kantaten für Frauenchor u. Orch., hrsg. v. S. H. HANSELL (P 1968) (= Le pupitre 11). 3) Böhnen-WW: Arminio, hrsg. v. R. GERBER, 2 Bde. (Mz 1957 u. 1966) (= EDM 27 u. 28); Ruggiero ovvero L'eroica gratitudine, hrsg. v. K. HORTSCHANSKY (Kö 1973). Lit.: C. MENNICKE, J. A. H., in: SIMG 5 (1903/04); DERS., H. u. die Brüder Graun als Symphoniker (L 1906) (mit Ven. der Drucke u. thematischem Verz. der Opern- u. Oratorienouverturen) (Nachdr. Hil - Wie 1977); W. MULLER, J. A. H. als Kirchenkomp. (L 1911) (= BIMG 2/9) (mit Ven. der geistlichen Werke, ohne Oratorien); L. KAMIENSKI, Die Oratorien v. J. A. H. (L 1912); R. GERBER, Der Operntypus J. A. H.s u. seine textlichen Grundlagen (L 1925) (= Berliner Beitr. z. Musikwiss. 2); J. HENNINGS, Das Musikergeschlecht der H., in: Mf 2 (1949); L. HOFFMANN-ERBRECHT, Dt. u. it. Klv.-Musik zur Bach-Zeit (L 1954) (= Jenaer Beitr. z. Musikwiss. 1) (mit Ven. der Kly.-Werke); H. ENGEL, H.s Ruggiero u. Mozarts Festspiel Ascanio, in: Mozart-Jb. 11 (1961); S. H. HANSELL, Works for Solo Voice of J. A. H. (Detroit 1968); DERS., Sacred Music at the „Incurabili" in Venice at the Time of J. A. H., in: JAMS 23 (1970); P. D RUMMOND, The Concertos of J. A. H., in: Proc. R. Mus. Assoc. 99 (1972/73); F. DEGRADA, Aspetti gluckiani nell'ultimo H., in: Chigiana 29/30 (1972/73); K.-H. VIERTEL, Neue Doku-

HaBler mente zu Leben u. Werk J. A. H.s, in: Anal. Mus. 12 (Kö 1973); O. LANDMANN, Quellenstud. zum it. Intermezzo comico per

musicam u. zu seiner Gesch. in Dresden, 3 Bde. (Diss. Rostock 1973); D. J. WILSON, The Masses of J. A. H. (1973) (= Diss. Univ. of Illinois); H. CHR. WOLFF, G. A. H. e l'opera veneziana (V 1973) (Beitr. zum Symposium „Venedig u. die Oper des 18. Jh."); H. LUHNING, „Titus"-Vertonungen im 18. Jh. (Diss. Erl 1974); F. L. MILLNER, H. and London's Opera of the Nobility, in: MR 35 (1974); R. STROHM, H., Scarlatti, Rolli, in: Anal. Mus. 15 (1975). W. PFANNKUCH

HASSE, Karl, *20. 3. 1883 Dohna bei Dresden, t 31.7. 1960 Köln; dt. Komponist. Er war u. a. Orgelschüler von K. Straube am Konservatorium in Leipzig, studierte bei H. Riemann Musikwissenschaft an der Universität, später Komposition bei M. Reger und Dirigieren bei F. Mottl an der Münchner Akademie der Tonkunst. Seit 1909 war er Kantor und Organist in Chemnitz, seit 1910 in Osnabrück, wo er 1918 das Konservatorium gründete. 1919 wurde er Universitäts-Musikdirektor und außerordentlicher Professor in Tübingen, promovierte dort zum Dr. phil. und gründete das Musikwissenschaftliche Institut. 1935-45 leitete er die Musikhochschule Köln. Neben J. Haas und H. Unger ist er ein bedeutender Vertreter der Reger-Schule. WW: 1) Kompositionen: Für Org.: Mehrere Hefte Choralvorspiele, Fantasien, Fugen u. Sonaten; für Klv.: Suiten, Sonaten u. 5 Zyklen Charakterstücke; ferner zahlr. Kammermusik; für Orch.: Prinz-Eugen-Variationen (Elberfeld 1915); V.-Konzert (Bonn 1924); Klv.-Konzert (Wr 1938); Toccata, Passacaglia u. Fuge für Klv. u. Orch. (Hei 1939); Vc.-Konzert; Symphonie g-moll. - Vokal-WW: Zahlr. Lieder mit Klv. u. (oder) Orgel; für Chor: Missa brevis (1912); Choral-Motetten; Das deutsche Sanctus; Vater unser; Tübinger Jubiläumskantate (1927); Reformationskantate (H 1929) für Sopran-, Tenor- u. Bar.-Soli; Hymnus (1937) (nach J. Kepler) für Bar.-Solo, Chor u. Orch. - 2) Schriften: M. Reger (L 1921, 2 1930) (= Die Musik 42-44) (darin 4 Aufsätze Regers); J. S. Bach, Leben u. Wirken (Kö - Krefeld 1937, 21941); Aufsatz-Slgen.: Musikstil u. Musikkultur (Kas 1927); Vom deutschen Musikleben (Rb 1934); Von deutscher Kirchenmusik (Rb 1935); K. Straube als Orgelkünstler, in: FS K. Straube (L 1943); Autobiogr., in: Rheinische Musiker 3, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kö 1964) (mit Werk-Verz.) (= Beitr. zur rheinischen Musikgesch. 58). Ferner edierte H. u. a. die Bde. 2 u. 3 der J. -H.-Schein -GA u. gab 1932-41 die Mitteilungen der M.-Reger -Ges. heraus. Lit.: Werk-Verz., in: Mitt. des M.-Reger-Inst. (1958) H. 7; F. STEIN, K. H.s Dienst an M. Reger, in: ebd.; E. OTTO, in: ebd, (1960) H. 11; O. SCHREIBER, in: Mf 14 (1961); J. WULF, Musik im Dritten Reich (Gütersloh 1963). H.

LINDLAR

HASSLER (eig. HaBler; Hasler, Haissler), Hans Leo (von), getauft 26.10.1564 Nürnberg, t 8.6. 1612 Frankfurt am Main; dt. Komponist. Er gehörte einer berühmten Musikerfamilie an. Sein Vater Isaak H., * um 1530 (?) Joachimsthal, begraben 14.7.1591 Nürnberg, Edelsteinschneider, war seit 1558 Organist an der Spitalkirche in Nürnberg. Sein Bruder Caspar (von) H., getauft 17.8. 1562

Nürnberg, t 19.8.1618 ebd., war seit 1586 Organist an St. Egidien, seit 1587 an St. Lorenz und seit 1616 an St. Sebald in Nürnberg. Er ist als Herausgeber mehrerer Sammlungen lateinischer Kirchenmusik bekannt. Der jüngste Bruder, Jacob (von) H., getauft 18. 12. 1569 Nürnberg, t zw. 23.4.1621 u. 29.9. 1622 Eger (?), wirkte als Organist an den Grafenhöfen in Augsburg und Hechingen sowie im kaiserlichen Prag. Er hinterließ Orgelkompositionen (hsl. erhalten), 6st. Madrigale (Nü 1600) und eine Sammlung mit Magnificat u. a. (Nü 1601). — In Nürnberg kam Hans Leo H. erstmals entscheidend mit der Musik in Berührung: Fr. Lindner war seit 1574 Kantor an St. Egidien, und L. Lechner übte dort 1575-87 das Amt eines „collaborator" und „archimusicus" aus. 1584 reiste H. nach Venedig, um seine Kenntnisse bei A. Gabrieli zu vervollständigen. Anfang 1586 ging er nach Augsburg als Kammerorganist von Octavianus Fugger II. und wurde 1600 städtischer Musikdirektor. 1601 kehrte er in der gleichen Eigenschaft nach Nürnberg zurück. Seit 1602 unterhielt er Beziehungen zu Kaiser Rudolf II., an den er sich mehrmals wegen des Schutzes einer von ihm erfundenen bzw. verbesserten automatischen Orgel wandte. 1604-08 hielt sich H. in Ulm auf; er beschäftigte sich mit der Verwaltung von Bergwerken und mit Geldgeschäften. Wahrscheinlich hatte aber schon die Erhebung der Brüder H. in den Adelsstand (1595) im Zusammenhang mit dieser außermusikalischen Tätigkeit gestanden. Seit 1608 diente H. in Dresden als Kammerorganist des Kurfürsten Christian II. von Sachsen WW: 1) Weltliche- a. betr.-WW: Canzonette für 4 St. (Nü 1590); Neue teutsche Gesang nach Art der welschen Madrigalien u. Canzonetten für 4-8 St. (Au 1596); Madrigali für 5-8 St. (Au 1596); Lustgarten neuer teutscher Gesäng, Balletti, Galliarden u. Intraden für 4-8 St. (Nü 1601, 21605, '1610). - 2) Geistliche WW: Cantiones sacrae für 4-12 St. (Au 1591, erweitert Nü 21597, 3 1607); Missae für 4-8 St. (Nü 1599); Sacri concentus für 4-12 St. (Au 1601, erweitert Nü 21612); Psalmen u. Christliche Gesäng mit 4 Stimmen auff die Melodeyen fugweis komponiert (Nü 1607); Kirchengesänge: Psalmen u. geistliche Lieder auff die gemeinen Melodeyen mit 4 Stimmen simpliciter gesetzet (Nü 1608), dass., hrsg. v. S. Th. Staden (21637) (mit 2 8st. Sätzen); Litaney teutsch für 7 St. (Nü 1619); ferner zahlr. Kompositionen (auch Instr.Werke) hsl. u. in Sammeldrucken 1588-1633.

Mit ähnlichem Nachdruck wie später J. H. Schein war H. um Aneignung der damals in Mode stehenden musikalischen Gesellschaftskunst Italiens bemüht, an die er sich mehr durch die Anmut der Kanzonette und den Schwung des Singballetts als durch die Expressivität des Madrigals gebunden fühlte. Der Lyrismus seines Liedstils, der auch in den geistlichen Gesang überging (Umtextierung von Mein Gmüt ist mir verwirret), hat die Musik Nürnbergs bis ans Ende des 17. Jh. geprägt. Als 43

HäBler Komponist von Kirchenmusik begann H. im Stil von O. di Lasso. Aber schon sein populärstes geistliches Stück, das 6st. Weihnachtsresponsorium Verbum caro factum est, 1591 gedruckt und 1601 von Jacob H. in einer berühmten Messe verwendet, bezeugt mit einprägsamen Motiven, Chorteilungen und Wiederholungen die Einbeziehung „weltlicher" Gestaltungsmittel in die Motette. H.s Sinn für Klangschönheit bewährte sich auch in seinen mehr als 110 handschriftlich überlieferten Orgelkompositionen. Ausg.: 1) Weltliche- o. Instr.-WW: Lustgarten 1601, hrsg. v. F. ZELLE (1887) (= PGfM 15); 16 Orgelstücke, in: Ausgew.

Werke v. Ch. Erbach..., hrsg. v. E. VON WERRA (L 1903) (_ DTB 4/2); Canzonette 1590 u. Neue teutsche Gesang 1596, in: Werke H. L. H.s II/2, hrsg. v. R. SCHWARTZ (L 1905) (= DTB 5/2); Canzonette, revidiert u. hrsg. v. C. R. CROSBY (Wie 1962); Madrigali 1596, hrsg. v. R. SCHWARTZ (L 1910) (= DTB 11/1), dass., revidiert u. hrsg. v. C. R. CROSBY (Wie 1962); eine Ausw. aus Lustgarten, hrsg. v. D. KNOTHE (L 1963). — 2) Geistliche WW: Cantiones sacrae 1597, hrsg. v. H. GEHRMANN (L 1894) (= DDT 2); Missae 1599, hrsg. v. J. AUER (L 1901) (= DDT 7); Sacri concentus 1601, hrsg. v. DEMS. (L 1908) (= DDT 24/25); Kirchengesänge 1608, hrsg. v. R. VON SAALFELD (Au 1925, Kas 6 1961) (ohne die Stücke zu 8 St.); Missa octo vocum, hrsg. v. B. GRUSNICK (Kas 1960) (= Chor-Arch. o. Nr.); Messe Dixit Maria, hrsg. v. P. GANO (1966) (= Penn. State Music Series 11); Ausw. aus Kirchengesänge, hrsg. v. U. W. ZIMMER (Kas 1972). — Vokalwerke aus zeitgen. Drucken, hrsg. v. C. R. CROSBY, 2 Bde. (Wie 1976). Lit.: R. SCHWARTZ, H. L. H. unter dem Einfluß der it. Madrigalisten, in: VfMw 9 (1893); A. SANDBERGER, Bemerkungen zur Biogr. H. L. H.s u. seiner Brüder (L 1904) (= DTB 5/1); R. SCHWARTZ, Zur Hasslerforschung, in: Jb. Peters 13 (1906); F. ROTH, Der groBe Augsburger Spieluhrprozeß, in: SIMG 14 (191 2 / 1 3); L. HUBSCH-PFLEGER, Das Nürnberger Lied im Stilwandel um 1600 (Diss. Hei 1942); R. SEILER, H. L. H. 1564-1612 (Nü 1950); A. LAYER, Die ersten Augsburger Jahre H. L. H.s, in: Mf 8 (1955); M. E. JARVIS, The Latin Motets of H. L. H., 3 Bde. (1959) (= Diss. Univ. of Rochester); B. TERSCHLUSE, Das Verhältnis der Musik zum Text ... mit besonderer Berücksichtigung der „Cantiones sacrae" v. H. L. H. (Diss. H 1964); H. L. H. Zum Gedenken seines 400. Geburtstages, hrsg. v. H. MÜLLER — H. ZIRNBAUER (Au — Nü 1964) (= Ausstellungskat. der Stadtbibl. Nürnberg 41); C. L. BARLOW, The Four-Part Through Seven-Part „Sacrae symphoniae" Collected and Published in 1600 by L. H. (Los Angeles 1966) (= Diss. Univ. of Southern California); R. CASPARI, Liedtradition im Stilwandel um 1600 (Mn 1971); H. HUCKE, H. L. H.s ..Neue Teutsche Gesang" 1596 und das Problem des Manierismus in der Musik, in: Studi musicali 3 (1974). W BRAUN

HÄSSLER (eig. Häßler; Häsler), Johann Wilhelm, *29. 3. 1747 Erfurt, t (17)29. 3. 1822 Moskau; dt. Komponist und Pianist. Von seinem Onkel, dem Bach-Schüler J. Chr. Kittel, musikalisch ausgebildet und von C. Ph. E. Bach und J. A. Hiller weitergeschult, wirkte H. als Organist, Klavierpädagoge und Dirigent lange Jahre in Erfurt, wo er 1780 ein ständiges Konzertunternehmen nach dem Vorbild Hillers und 1784 eine Musikalienhandlung eröffnete. Auf seinen Konzertreisen besuchte er zahlreiche europäische Städte und spielte 1790-92 auch 44

unter J. Haydn in London. 1792 wurde er in St. Petersburg Hofkapellmeister und lebte seit 1794 als Pianist und geschätzter Klavierlehrer in Moskau. Zwischen 1776 und 1790 veröffentlichte H. zahlreiche Sonaten für Klavier mit und ohne Begleitung einzelner Instrumente sowie für Orgel. In RuBland publizierte er seit 1794 die Werke op. 1-50 und griff dabei häufig auf ältere Kompositionen zurück. Neben Sonaten erschienen Fantasien, Präludien und Charakterstücke, überwiegend für Klavier. Eine Autobiographie (bis 1786) ist in Sechs leichte Sonaten für Klavier II (Erfurt 1787) enthalten. H.s Klaviermusik ist formal mitunter stark von C. Ph. E. Bach, später in der ornamentalen Ausschmückung der Melodie auch von W. A. Mozart beeinflußt. Wenn er auch häufig dem Publikumsgeschmack starke Konzessionen machte, gehörte er doch zu jenen Komponisten, die in ihrer gelegentlich individuellen Gestaltung und pädagogischen Zielsetzung die musikalische Entwicklung der Zeit nicht unwesentlich beeinflußten. In vielen Sätzen sind Züge des frühromantischen Charakterstücks ausgeprägt. Die als Fantasie, Capriccio oder Präludium bezeichneten und um 1800 erschienenen Kompositionen zeigen in ihrer improvisatorischen Grundhaltung am besten H.s Intentionen. Ausg.: 6 leichte Klv.-Sonaten, hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT, 3 H.e (Lippstadt 1960-61) (= Organum 5/26, 28 und 30). Lit.. H. STROBEL, J. W. H.s Leben u. Werke (Dias. Mn 1922); Autobiogr. aus dem 2. Teil der „Leichten Sonaten" 1787, in: Selbstbiogr. dt. Musiker des XVIII. Jh., hrsg. v. W. KAHL (Kö 1948, Nachdr. A 1970); H. W. HAMANN, W. A. Mozart, J. W. H. Der Dresdener Orgelwettstreit im Jahre 1789, in: MuK 33 (1963). L. HOFFMANN-ERBRECHT

HATZFELD, Johannes, * 14.4. 1882 Benolpe (Sauerland), t 5.7. 1953 Paderborn; dt. Kirchenmusiker. Er studierte in München Theologie und Musikwissenschaft, wurde 1906 zum Priester geweiht, war bis 1914 in der Seelsorge und 1914-24 als Religionslehrer in Paderborn tätig. H. war Mitbegründer einer Internationalen Gesellschaft für Neue Katholische Kirchenmusik (1930) und der Zeitschrift Musik im Leben (1925) und trat auch als Komponist von kirchenmusikalischen Werken hervor. Bedeutung erlangte er aber vor allem mit seinen weitverbreiteten Liederbüchern (Tandaradei, 1917; Susani, 1925) für das gemeinschaftliche Singen innerhalb der katholischen Jugendbewegung in Deutschland. Lit.: Priester u. Musiker. Gedanken aus Vorträgen u. Aufsätzen v. J.H., hrsg. v. J. OVERATH (Düsseldorf 1954); W. M. GERTEN, Musik im Leben, in: Musikal. Brauchtum. FS H. Lemacher (1956) (= Schriftenreihe des Allgem. Cäcilien-Verbandes ... 1).

HAUBENSTOCK-RAMATI, Roman, * 27.2.

Hauer

1919 Krakau; israelisch-östr. Komponist. Er erhielt seine musikalische Ausbildung 1934-38 in Krakau bei A. Malawski, der dem Klassizismus anhing, und 1938-41 in Lemberg bei dem Schönberg-Schüler J. Koffler. 1947-50 leitete er die Musikabteilung von Radio Krakau und war Redakteur der Zeitschrift Ruch muzyczny, emigrierte dann nach Tel Aviv, wo er die Zentralmusikbibliothek gründete und leitete und seit 1954 als Professor an der Musikakademie unterrichtete. 1957 arbeitete er in Paris im Studio des Recherches de Musique Concrète und ließ sich dann in Wien nieder, wo er im Herbst 1957 das Lektorat für Neue Musik bei der Universal Edition übernahm. 1960 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft. H. leitete in Darmstadt Kurse für Notation (1965) und Komposition (1966) und war als Gastdozent u. a. in Buenos Aires (1968), Stockholm (1968), Tel Aviv (1969-72) und San Francisco (1972) tätig. 1973 wurde er Professor für Komposition an der Wiener Musikhochschule. WW: 1) llnstr.-WW: Ricercari (1948) für Streichtrio; Mobiles: Interpolation (1958) für Fl. u. Tonband u. Liaisons (1958) für Vibraphon, Marimbaphon u. Tonband; 10 musikal. Graphiken Decisions (1960) für versch. Instr.; Mobile Jeux 6 (1960) für 6 Schlagzeuger; Klavierstücke I (1963-65); Mobile Jeux2 (1969) für 2 Schlagzeuger, auch Bühnenfassung; Catch I (1969) für Cemb., dass. II (1969) für 1-2 Klv., Catch III (1969) für Org.; Multiple I—VI, 10 Versionen für 2 Str.; dass., 36 Versionen für 7 Spieler; dass., 27 Versionen für 6 Spieler; dass., 9 Versionen für 1 Holzbläser u. 1 Str.; dass., für 1 Holz- u. Blechbläser; dass., für 6 Spieler (alle 1969); Alone (1969) für Pos. u. einen Mimen; Ludus musicalis (1970), 12 Modelle für Spielmusikgruppen; Multiple VII (1971) für Trp. u. Vc.; Concerto a tre (1973) für Klv., Pos. u. Schlagzeug; Streichquartett (1973); Shapes (1974) für Tasteninstr.; Sonate für Vc. solo (1975); Endless (1975) für Fl., Klv., Kb., Harfe, Celesta, Vc., Vibraphon u. Schlagzeug; Musik für 12 lnstr. (1976); Song (1978) für Schlagzeug; Self (1978) für Ballklar. — Für Orch.: Recitativo e aria (1955) für Cemb. u. Orch.; Ricercari (1956) für Streichorch.; Papagenos Pocket Size Concerto (1956) für Glockenspiel u. Orch.; Les symphonies de timbres (1957); Chants et prismes (1958); „Ständchen" sur le nom de Heinrich Strobel (1958) für Kammerorch.; Séquences (1958) für V. u. Orch.; Mobile Petite musique de nuit (1960); 3 Stücke aus der Oper Amerika als: Vermutungen über ein dunkles Haus (1963) für 3 Orch. (davon 2 auf Tonband); Tableau 1 (1967); Symphonie „K" (1967); Psalm (1968); Tableau II (1970) und III (1971); Concerto per archi (1975); Symphonien (1977). — Elektronische Musik: Exergue pour une symphonic, L'amen de verres, Chanson populaire u. Passacaille (alle 1957). — 2) Voltaa-WW: Blessings (1954) für Sopran u. 9 Instr.; Mobile for Shakespeare (nach den Sonetten Nrn. 53 u. 54) (1969) für St. u. 6 Spieler; „Credentials" or „Think, Think Lucky" (1961) (nach S. Beckett) für Sprechgesang u. 8 Spieler; Hotel Occidental (1967) (nach F. Kafka) für Sprechchor (3 Fassungen); Madrigal für 16st. gem. Chor a cap. (1970); Chorographie (1971) für 16st. gem. Chor a cappella u. Tonbänder; Sonans (1974) für 6 Vokalisten. — 3) Buhne.-WW: Oper Amerika (nach Kafka), UA: Berlin 1966; Bühnenfassung des Mobile Jeux 2 als: Divertimento (nach Plato) für 2 Schauspieler, einen Tänzer und (oder) einen Mimen sowie 2 Schlagzeuger, UA: Köflach bei Graz 1971; „Anti-Oper" La comédie (S. Beckett) für 3 Sprech-St. u. 3 Schlagzeuger, UA: St-Paul-de-Vence 1969, dt.

Fassung als: Spiel, UA: München 1970. Ballett Ulysses für Tonband mit instr., vokaler u. elektronischer Musik. — 4) Schriften: Notation. Material u. Form, in: Notation Neuer Musik, hrsg. v. E. Thomas (Mz 1965) (= Darmstädter Beitr. zur Neuen Musik 9); ferner einen Aufsatz in: Form in der Neuen Musik, hrsg. v. dems. (Mz 1966) (= ebd. 10); Zwischen Trauer u. Computer, in: Wort u. Wahrheit 26 (1971).

Nach den A. Webern verpflichteten Ricercari unternahm H. in Blessings den Versuch, konstruktive Mittel der modernen Musik mit den ästhetischen Prinzipien der orientalischen Musik zu verbinden (1951). In Les symphonies des timbres (1956) experimentierte er mit Klangfarben, in Séquences (1958) löste er das Problem der Verteilung von 4 Orchestergruppen gegenüber dem Solisten. 1958 schuf H. das erste Mobile mit „dynamisch-geschlossener" Form. Die Weiterentwicklung des Prinzips „Ständige Wiederholung bringt ständige Variation", bei dessen Befolgung die Interpreten den musikalischen Ablauf und damit den Inhalt weitgehend selbst bestimmen können, verlangte nach einer neuartigen erweiterten Notation. H. entwickelte daher ein die traditionelle Notenschrift ergänzendes Zeichensystem, das er erstmals 1959 konsequent in Mobile for Shakespeare einsetzte. In diesem Jahr veranstaltete er auch in Donaueschingen die 1. Ausstellung „Musikalische Graphik". Eine weitere „Erfindung" von H. sind die Multiples, bei denen die Besetzung insofern variabel bleibt, als nur die Klangfarbe der ausführenden Instrumente angegeben wird, z. B. Multiple II (1969) für 2 Blechbläser, 2 Holzbläser und 3 Streicher. Als Zusammenfassung aller bis dahin von ihm entwikkelten Kompositionstechniken läßt sich H.s Oper Amerika (1961/63) ansehen. In den letzten Jahren wandte er sich in stärkerem Maße wieder der Kammermusik zu, stets auf der Suche nach unverbrauchten Aussageformen. Lit.: H. SCHATZ, in: Melos 27 (1960); E. KARKOSCHKA, R. H. und der 27. Februar 1969, in: ebd. 36 (1969); K. ROSCHITZ, Anti-Oper als Illusionstheater. Zu R. H.s „La comédie" u. „Divertimento", in: Protokolle '70 (W 1970); U. STURZBECHER, Werkstattgespräche mit Komponisten (Kö 1971). K. LANGROCK

HAUER, Josef Matthias, *19. 3. 1883 Wiener Neustadt, t 22.9. 1959 Wien; östr. Komponist und Musiktheoretiker. Er studierte an der Lehrerbildungsanstalt seiner Heimatstadt, erhielt dort auch eine gründliche Ausbildung in Klavier, Orgel, Violoncello und Gesang und erwarb als Autodidakt Kenntnisse im Violinspiel und in Musiktheorie. Neben Schultätigkeit in Wiener Neustadt wirkte er auch als Chorleiter und Organist; einem Kammermusikkreis, dem er als Violoncellist angehörte, legte er 1912 eine 1. Symphonie vor, die 1913 als Nomos op. 1 öffentlich aufgeführt wurde. 1914 45

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übersiedelte er nach Wien. Während des Kriegsdienstes im 1. Weltkrieg entwickelte er eine Theorie seines musikalischen Schaffens, die er 1918 als Über die Klangfarbe, op. 13 veröffentlichte. Kurz nach Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit wurde H. krankheitshalber 1919 in den Ruhestand versetzt. Am Studium eigener Kompositionen entdeckte er in diesem Jahr die „Zwölftonregel bezüglich der atonalen Melodie", 1921 die von ihm als Tropen bezeichneten 44 möglichen Konstellationen der in je zwei Sechstongruppen angeordneten Zwölftonreihen. Gleichzeitig fand er auch den „melischen Entwurf", nach dem der gesamte Satz einer Komposition im Material der zugrunde gelegten Trope vorgeprägt sei. Mit seinen Schülern H. Heiß (seit 1925), Othmar Steinbauer (seit 1930) und Victor Sokolowski (seit 1946) baute H. die Theorie bis zur Technik des Zwölftonspiels („die Herz und Verstand befriedigende Offenbarung der Weltordnung als Religion", 1947) aus. Seit 1976 werden von Sokolowski Lehrgänge für das Zwölftonspiel und die Tropen H.s an der Wiener Musikhochschule durchgeführt. H. wurde 1954 der Professorentitel verliehen. 1960 errichtete Sokolowski in Wien ein J. M. H.-Studio, dem Gründungen in Toronto (1975) und London folgten; als erste Gesellschaft zur Pflege des Zwölftonspiels wurde 1963 ein J. M. H.-Kreis gegründet. WW: 1) Instr.-WW: Labyrinthischer Tanz, op. 3 (1952) u. Hausmusik (1958) für Klv. zu 4 Händen; Streichquartette, op. 30, 34, 38, 42 u. 47 (1926); Chinesisches Streichquartett, op. 4 (1953); 2 Tänze (1958) (in langsamem 3/.- bzw.'/.-Takt) für 2 V., 2 Va. u. Klv.; für Orch.: Romantische Phantasie, op. 37 (1925); Orch.Suiten, op. 31, 33, 36 (mit Bariton), 43, 45, 47 (1926) (auch als Streichquartett), 48 u. 52; V.-Konzert (1928). — Ferner nahezu 1000 Zwölftonspiele, u. a. im Druck: für Cemb. oder Klv. (1955); Klv. zu 4 Händen (1955, 1955, 1956, 1956 u. 1957); Klv. zu 2 Händen (1956); Streichquartett u. Klv. zu 4 Händen (1957); V., Vc., Akkordeon u. Klv. zu 4 Händen (1957); Streichquartett (1957); Streichsextett (1958); Kammerorch. (1958). — 2) VokalWW: Messe, op.44 für Chor, Org. u. Kammerorch.; ferner zahlr. Hölderlin-Lieder, op. 6, 12, 21, 23, 32, 40; die Kammeroratorien Wandlungen, op. I (1952) (= op. 53, 1927) für 6 Soli, gem. Chor u. Orch. u. Der Menschen Weg, op.II (1952) (= op. 67, 1934), in 5 Teilen für 4 Soli, gem. Chor u. Orch. — 3) Bühnen-WW: Oper Salambó, op. 60 (1930) (nach G. Flaubert); Singspiel Die Schwarze Spinne, op. 6 (1932) (nach J. Gotthelf), UA: Wien 1966. —4) Schriften: fiber die Klangfarbe (W 1918); Vom Wesen des Musikalischen (W 1920, B 1921, 21923), erweitert u. hrsg. v. V. Sokolowski (B 1966); Deutung des Melos (L—W— Z 1923) ( = Neue Musikbücher 7); Vom Melos zur Pauke (W 1925, Nachdr. W 1967) (= Theoretische Schriften 1); Zwölftontechnik. Die Lehre von den Tropen (W 1926, Neudruck W 1953) (= ebd. 2); ferner zahlreiche Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften.

H.s Tropenlehre stellt den einzigen Versuch dar, die Zwölftontechnik zur Theorie auszubauen. Über der spekulativen Grundlage seiner Theorie vernachlässigte er aber deren musikalische Entfaltung und fand daher weit weniger Beachtung als A. Schönberg. Als frühe Ergebnisse von H.s Theorie sind der 46

Verzicht auf Dynamik und Agogik anzusehen, wodurch seine Kompositionen statisch, spannungslos wirken. Bis op. 25 (1924) schrieb er ausschließlich Werke für Tasteninstrumente, gelegentlich auch mit Gesang, weil ihm nur dabei die exakte Realisierung des temperierten 12stufigen Tonsystems möglich schien (als ideales Kammerorchester bezeichnete H. zu dieser Zeit die Kombination von einem Klavier und 3 Harmoniums). Die Gleichberechtigung aller Halbtöne suchte H. durch die Weiterentwicklung einer an der Tastatur orientierten und auf Vorzeichen verzichtenden Zwölftonschrift zu verdeutlichen. Seit 1939 finden sich in den Zwölftonspielen mit totaler Organisation und Determinierung aller Komponenten der Musik auch Parallelen zur seriellen Musik. Wegen der als gegeben betrachteten Präformierung des musikalischen Satzes durch das Material lehnte H. es ab, als Komponist bezeichnet zu werden; er beanspruchte, der einzige Deuter des Melos zu sein. Lit.: TH. W. ADORNO, J. M. H., Die Hölderlinlieder, op. 23, in: Mk 21 (1929); H. A. FIECHTNER, J. M. H., Der Meister der Tropen, in: Die Furche 14 (1958); H. HEISS, Der musikal. Kosmos J. M. H.s, in: NZfM 121 (1960); R. STEPHAN, Über J. M. H., in: AfMw 18 (1961); M. LICHTENFELD, Unters. zur Theorie der Zwölftontechnik bei J.M.H. (Rb 1964) (= Kölner Beitr. zur Musikforsch. 29); DIES.. Schönberg u. H., in: Melos 32 (1965); W. SZMOLYAN, J. M. H. (W 1965); H. KIRCHMEYER, Schönberg u. H., Eine Stud. über den sogenannten Prioritätsstreit, in: NZfM 127 (1966); A. KEYSERLING, Das Zwölftonspiel von J. M. H., in: Musikerziehung 20 (1966/67); K. J. KREJCI, Vollkommene Einheit v. Wort u. Musik. J. M. H.s Hölderlinlieder, in: ebd. 131 (1970); G. SCHUHMACHER, J. M. H.s Kantate „Der Menschen Weg", op. 67, in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); J. SENGSTSCHMID, Anatomie eines Zwölftonspiels. Ein Blick in die Werkstatt J. M. H.s, in: ZfMth 2 (1971); H. SCHONY, Die Vorfahren des Komponisten J. M. H., in: Genealogie 10 (1971); W. ZOBL, J. M. H. Materialien zur Theorie und Praxis der Zwölftontechnik, in: E. Jelinek u. a., Materialien zur Musiksoziologie (W — Mn 1972); W. SZMOLYAN, Neue Lit. über J. M. H., in: OMZ 28 (1973); R. STEPHAN, Zur Entstehung der Zwölftontechnik, in: Musik u. Zahl ... (Bonn -Bad Godesberg 1976); R. FLOTZINGER, J. M. H. in Stoessls „Sonnenmelodie", in: OMZ 33 (1978). K. LANGROCK

HAUG, Hans, *27. 7. 1900 Basel, t 15.9. 1967 Lausanne; Schweizer Komponist. Er studierte am Konservatorium in Basel und bei F. Busoni, W. Courvoisier und J. Pembaur an der Akademie der Tonkunst in München. 1924-27 war er Musikdirektor in Grenchen (Solothurn), 1926-28 Dirigent des Männerchors Solothurn und 1928-34 Chordirigent und 2. Kapellmeister am Stadttheater Basel. 1935 wurde er Dirigent des Orchestre Radio Suisse Romande und leitete 1938-43 das Orchester des Landessenders Beromünster. Seit 1947 war er Theorielehrer am Konservatorium in Lausanne. H.s Schaffen umfaßt besonders Vokalmusik und Bühnenwerke. Seine stets tonale Musik kennzeich-

Hauptsatz nen ein sicheres Gefühl für die kompositorische Behandlung der Singstimme und ein Humor, der durch die Instrumentation geschickt hervorgehoben wird. WW: 1) lnstr.-WW: Kammermusik, u.a. Sonaten, Streichtrio, Streichquartett u. ein Divertimento für Bläser; für Orch.: Ouvertüre zu Don Juan ... u. eine Suite; symphonische Dichtung Ch. Chaplin (1930); Symphonie (1948); Danses suisses (1952); Variationen über ein Thema v. Offenbach (1961); zahlr. konzertante Werke; Konzerte für: V. (1926); 2 für Klv. (1938, 1962); Fl. (1943); Gitarre (1952); Trp. (1967). — 2) Vokal-WW: Oratorium Michelangelo (Soletta 1943); Ring des Jahres (1962) für Bar. u. Orch.; Gastronomische Kantate (1962) für Soli, Chor u. Orch. — 3) Bühnen-WW: Opern: Don Juan in der Fremde, UA: Basel 1930; Madrisa, UA: ebd. 1934; Ariadne, UA: ebd. 1943; Der unsterbliche Kranke, UA: Zürich 1946; Der Spiegel der Agrippina (1954); Justice du roi, UA: Mézières 1963; Funkopern: Orphée, UA: Rundfunk Paris 1954, szenisch Lausanne 1955; Gardien vigilant (1967) (nach Cervantes) u. Le souper de Venise (1967); Ballette, u. a. L'indifférent, UA: Basel 1947; ferner Bühnenmusik. Lit.: J.-L. MATrHEY — L.-D. PERRET, Catalogue de l'ceuvre de H. H. (Lausanne 1971).

HAULTIN, Pierre, * Villaine-sous-Flèche (Sarthe), t 1587 La Rochelle; frz. Notendrucker. Er ist spätestens 1547 als Schriftgießer in Paris nachweisbar, als Drucker 1550-65 in Lyon, seit 1570 in La Rochelle, wo er u. a. Werke von O. di Lasso druckte. H. gilt als Erfinder neuartiger Notendruckstempel (sog. Haultinsche Typen), die, aus einer Kombination von Liniensystem und Einzelnote bestehend, erstmals einen „einfachen" Notendruck ermöglichten (anstelle des älteren Verfahrens, in dem Linien und Noten in verschiedenen Arbeitsgängen gedruckt wurden). Die Haultinschen Typen wurden u. a. von P. Attaingnant und T. Susato verwendet. Lit.: F. LESURE, H., in: MGG V; L. DESGRAVES, Les H., in: L'Imprimerie ä La Rochelle (G 1960); R. SCHAAL, Notendruck B, in: MGG IX.

HAUPTMANN, Moritz, * 13. 10. 1792 Dresden, t 3. 1.1868 Leipzig; dt. Komponist und Musiktheoretiker. Er erhielt früh Musikunterricht (u. a. in Komposition bei Fr. Morlacchi) und studierte seit 1811 Violine und Komposition bei L. Spohr in Gotha. 1812-15 war er Violinist in der Dresdner Hofkapelle, dann bis 1820 Privatmusiklehrer des Fürsten Repnin. 1820-22 lebte er wieder in Dresden, gehörte 1822-42 der Kasseler Hofkapelle unter L. Spohr an und wurde 1842 auf dessen und F. Mendelssohn Bartholdys Empfehlung Thomaskantor in Leipzig, wo er auch Musikdirektor der beiden Hauptkirchen war und seit 1843 am neugegründeten Konservatorium Musiktheorie und Komposition lehrte. Er war 1850 Mitgründer (zusammen mit O. Jahn u. R. Schumann) und seitdem Vorsitzender der Bach-Gesellschaft. Zu seinen

Schülern gehören H. von Bülow, N. Burgmüller, Ferdinand David, F. Draeseke, S. Jadassohn, J. Joachim und J. W.von Wasielewski. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke; V.-Duos; V.-Sonaten u. -Sonatinen; Streichquartette; Klv.-Konzert mit Streichquartett; zahlr. weltliche u. geistliche Vokalwerke, u.a. 3st. Kanons für Sopran, Sologesänge, Duette, Terzette u. Lieder mit V. u. Klv.; Psalmen; Lieder; zahlr. weltliche u. geistliche Chorwerke, u.a. Lieder für gem. Chor u. für Männerchor; Messe für Soli, Chor u. Orch.; 3 Kirchenstücke; ferner eine Oper Mathilde, UA: Kassel 1826. — 2) Schriften: Erläuterungen zu J. S. Bachs Kunst der Fuge (L 1841, 2 1861); Die Natur der Harmonik u. der Metrik (L 1853, 2 1873); Die Lehre v. der Harmonik, hrsg. v. O. Paul (L 1868, 2 1873); Aufsatz-SIg. Opuscula, hrsg. v. E. Hauptmann (L 1874) (postum). — H. edierte die Bde 1, 2 u. 8 der Bach-GA.

Von den Werken H.s, der als Komponist in Mendelssohn Bartholdy sein Vorbild sah, fanden die Lieder und Motetten, auch die Messen und Instrumentalkompositionen im 19. Jh. weite Verbreitung. Bedeutender ist H. jedoch auf dem Gebiet der Musiktheorie. Er befaßte sich, anknüpfend an die Hegelsche Philosophie, aber auch an J. W. von Goethes naturwissenschaftliche Studien, vor allem mit den natürlichen Gesetzmäßigkeiten der Tonalität und mit dem polaren Gegensatz von Dur und Moll (/Dualismus) sowie mit der musikalischen Zeitordnung (Metrik und Rhythmik). Seine Theorie der musikalischen Metrik wurde von H. Riemann scharf angegriffen. H. setzte sich tatkräftig auch für die Wiederbelebung älterer Musik, insbesondere der Werke J. S. Bachs, ein. An der Entstehung der Bach-Gesamtausgabe war er entscheidend beteiligt. Ausg.: GA der Chorwerke, 8 Bde (L 1898). — Briefe v. M. H. an F. Hauser, hrsg. v. A. SCHONE, 2 Bde. (L 1871); Briefe v. M. H. an L. Spohr u. a., hrsg. v. F. HILLER (L 1876); The Letters of a Leipzig Cantor, hrsg. v. A. D. COLERIDGE (Lo — NY 1892). Lit.: M. ROTHÄRMEL, Der musikal, Zeitbegriff seit M. H. (Rb 1963) (= Kölner Beitr. zur Musikforsch. 25); M. RUHNKE, M. H. u. die Wiederbelebung der Musik J. S. Bachs, in: FS F. Blume (Kas 1963); P. RUMMENHOLLER, M. H. als Theoretiker (Wie 1963); DERS., M. H., Der Begründer einer transzendentalen dialektischen Musiktheorie, in: Beitr. z. Musiktheorie des 19. Jh., hrsg. v. M. Vogel (Rb 1966) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 4); DERS., Musiktheoretisches Denken im 19. Jh. (Rb 1967) (= ebd. 12); E. R. JACOBI, Vortrag u. Besetzung Bach'scher Cantaten- u. Oratorienmusik. Ein unbekannter Brief v. M. H. an J. Brahms, in: Bach-Jb. 55 (1969) u. 57 (1971); W. SEIDEL, M. H.s organische Lehre. Tradition, Inhalt u. Geltung ihrer Prämisse, in: IRASM 2 (1971); J. FORNER, Mendelssohns Mitstreiter am Leipziger Konservatorium, in: BzMw 14 (1972); W. SEIDEL, Uber Rhythmustheorien der Neuzeit (Be 1975) (= Neue Heidelberger Stud. z. Musikwiss. 7).

HAUPTSATZ, seit dem 18. Jh. Bz. für die erste, dominierende Einheit einer Komposition, im besonderen für den Beginn der 7Sonatensatzform. Er steht in der Grundtonart und stellt den Hauptgedanken und mit ihm den Grundcharakter der Komposition vor. Im H. der Sonatensatzform und 47

Hauptwerk des Rondos ereignet sich die Exposition oder Evolution des ersten Themas. In der Regel erklingt es zweimal; oft ist die zweite Darstellung länger und ausdrucksvoller als die erste. Bisweilen werden in locker gefügten Sonatensätzen mehrere verschiedene Gedanken zum H. verbunden. Der H. wird grundsätzlich nicht durch eine Kadenz abgeschlossen, sondern geht unmittelbar, bisweilen auch nach einer Pause, in die Überleitung zum Seitensatz über. Lit.:..'Sona tensatzf orm.

HAUPTWERK (engl.: full oder great organ; frz.: grand orgue; it.: grand'organo; span.: gran organo, primer manual), unter den Manualwerken einer Orgel dasjenige mit dem vollständigsten /Prinzipalchor. Seine Basis liegt in der Regel tiefer als in den Nebenwerken (16', 8' oder 4'). Gespielt wird es vom Hauptmanual aus, auf das die Nebenmanuale gekoppelt werden können. Häufig ist das H. vom untersten (I.) Manual anzuspielen; vom zweituntersten (II.) fast immer dann, wenn ein /Rückpositiv vorhanden ist, ebensooft bei drei- und mehrmanualigen Orgeln, wenn ein Rückpositiv fehlt. HAUSEGGER. — 1) Friedrich von, * 26.4.1837 St. Andrä (Kärnten), t 23.2.1899 Graz; östr. Musikschriftsteller. Er studierte Jura und war anschließend Hof- und Gerichtsadvokat in Graz. 1872 habilitierte er sich für Geschichte und Theorie der Musik an der Grazer Universität. Er war ein ausgezeichneter Kritiker, Verfechter der Musik R. Wagners und ein entschiedener Gegner E. Hanslicks und der Formalästhetik, der er eine genetisch-biologische Betrachtungsweise der Musik und die Theorie des Tones als Zusammenhang von Lautund Körpergebärde und als Ausdrucksträger entgegenzustellen suchte. WW: Schriften: Über die neue Entwicklungsphase der Musik (Diss. Gr 1872); Die Musik als Ausdruck (W 1885, 2 1887); R. Wagner u. Schopenhauer (L 1878, '1892); Die Anfänge der Harmonie (Charlottenburg 1895); Aufsatz-S1g. Gedanken eines Schauenden, hrsg. v. S. von H. (Mn 1903).

2) Siegmund von, Sohn von 1), *16. 8. 1872 Graz, 110.10.1948 München; östr. Komponist und Dirigent. Er war Schüler u. a. seines Vaters, Erich Wolf Degners und Martin Plüddemanns. Nach dem Studium an der Grazer Universität war er Dirigent in Graz, München sowie in Frankfurt am Main und leitete seit 1910 gleichzeitig die Philharmonischen Konzerte in Hamburg und das Blüthner-Orchester in Berlin. 1920 wurde er in München Dirigent des Konzertvereinsorchesters (Münchner Philharmoniker) und war 1920-34 Direktor (bzw. Präsident) der Akademie der Tonkunst (bzw. Musikhoch48

schule). H. war lange Zeit Vorsitzender des Allgemeinen deutschen Musikvereins. 1934 gab er seine Lehrtätigkeit auf und beendete 1938 seine Dirigentenlaufbahn. Als Komponist ist er der Neudeutschen Schule verpflichtet. Lit.: Zahlr. Orch.-Werke, u. a. symphonische Dichtungen: Barbarossa (1900) u. Wieland der Schmied (1904); Natursymphonič (1911) (mit SchluBchor); ferner zahlr. Lieder, Orch.-Gesänge u. Chorwerke, darunter Schmied Schmerz u. Totenmarsch; Opern: Helfrid, UA: Graz 1890; Zinnober (Libr. v. Komp. nach E.T.A. Hoffmanns Klein Zaches), UA: München 1898. — Schriften: A. Ritter (B 1907); Aufsatz-SIg.: Betrachtungen zur Kunst (L 1921) (= Die Musik 39/41). Lit.: Zu 1): Briefwechsel mit P. Rosegger, hrsg. v. S. VON HAUSEGGER (L 1924); Gesammelte Schriften, hrsg. v. DEMS. (Rb 1939) (= Dt. Musikbücherei 26). — Zu 2): W. ZENTNER, S. von H., in: Jb. der dt. Musik (L — B 1943).

HAUSMUSIK, seit Beginn des 17. Jh. Bz. für ein musikalisches Repertoire, das seiner meist kleinen Besetzung und seiner relativ leichten Ausführbarkeit wegen für häuslich-geistliches Musizieren und private Andachtsübung gedacht war (bes. für die lutherisch-protestantische Familie). In diesem Sinn steht H. im Gegensatz zur Musik für Schule und Kirche, vergleichbar dem Unterschied, wie er zwischen „musica da chiesa" und „musica da camera" bereits bestand ("Kammermusik). Seit dem 19.Jh. ist H. vor allem ein programmatisch-ideologisierter Begriff für einen großen Bereich nationaler Musikkultur bürgerlicher Prägung auf breitester Ebene. H. in diesem Sinn betrifft ein technisch und musikalisch ebenfalls nicht virtuoses Repertoire und bildet einen Gegensatz zur (internationalen) /Salonmusik, die als oberflächlich empfunden wird. Im Zentrum solcher für „Bildung des Gemüts und Geschmacks" komponierter H. steht die Gattung des einfachen, dem Volkston angenäherten Liedes (z. B. W. H. Riehls Liedersammlung H., St 1855). Während noch die 7. Auflage von H. Riemanns Musik-Lexikon (1909) einen deutlichen Gegensatz zwischen Salonmusik und — als rein und wertvoll eingeschätzter — H. verzeichnet, setzt sich schon um diese Zeit eine H. durch, die weniger der charakterlichen Bildung und Gemütsvertiefung dienen soll als der Veranschaulichung und dem aktiven Nachvollzug stilistisch-handwerklicher Aspekte (z. B. mit Werken von M. Reger, P. Hindemith oder H. Genzmer). — In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Komposition von H. als einer spezifisch für die deutsche Familie geschaffenen künstlerischen Gemeinschaftsübung äußerste Aufmerksamkeit gewidmet. Es entstanden Fachverbände und -zeitschriften für H. — Neben der Pflege von Volksmusik (besonders in Süddeutschland, z. B. in Bayern die „Stub'nmusi") steht der Anteil der Musik aus der Barockzeit — wohl primär seiner techni-

Hautboisten schen Darstellbarkeit wegen — traditionell sehr hoch in der Hausmusik. Allgemein ist es jedoch heute der relativ hohe Standard des Laienmusizierens, der es eigentlich mehr und mehr verbietet, von einem zeitgenössischen typischen H.-Repertoire neben der Kammermusik als eigenem Gebiet zu sprechen. — Bedeutende H.-Reihen und -Editionen sind Nagels Musik-Archiv, Hortus musicus, Diletto musicale, Concertino u. a. Lit.: Zschr. für H., hrsg. v. W. BLANKENBURG (Kas 1933-43), hrsg. v. R. BAUM (1948ff.). - A. REISSMANN, Die H. (B 1884); E. HEIMERAN - B. AULICH, Das stillvergnügte Streichquartett (Mn 1936, 18 1978); H. LEMACHER, Hdb. der H. (Gr 1948); E. SPRANGER, Rede über die H. (Kas 1955); E. VALENTIN, Musica domestica (Trossingen 1958); L. FINSCHER, H. u. Kammermusik, in: Musik u. Verlag. FS K. Vötterle (Kas 1968); R. STEPHAN, Überlegungen zur Funktion der H. heute, in: Ober das Musikleben der Gegenwart (B 1968) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 9); W. SALMEN, Haus- u. Kammermusik (L 1969) (= Musikgesch. in Bildern 4/3); E. REIMER, H., in: HMT (1976). R. CADENBACH

HAUSPARTY (Les biches), Ballett ohne Handlung in einem Akt. Musik: Francis Poulenc (1899 bis 1963). UA: 6.1.1924 in Monte Carlo. Choreographie: Bronislawa Nischinska (1890-1972). Dt. EA: 31.1.1969 in Bonn (frei choreographiert), 4.6.1972 in Düsseldorf (Originalchoreographie). Als Auftragswerk für die Ballets Russes kreiert, wurde das als „Ballet d'atmosphère" bezeichnete Werk von S. Diaghilews Compagnie erfolgreich uraufgeführt. Es besteht aus 8 Tanzszenen (Rondeau, Chanson dansée, Adagietto, Jeux, Rag Mazurka, Andantino, Chanson dansée, Finale): In einem Salon der 20er Jahre arrangiert die Dame des Hauses für ihre Gäste eine „fête galante"; zwölf junge Mädchen, drei Athleten und eine Dame im Matrosenanzug vermitteln das grotesk anmutende, von parodistischen und persiflierenden Intentionen geprägte Tanzgeschehen. Eingängige Melodien sowie Elemente des Jazz in Rhythmik, Harmonik und Instrumentation lassen den Unterhaltungscharakter der Musik deutlich hervortreten. — Br. Nischinska konzipierte die Choreographie in Anlehnung an den klassisch-akademischen Kodex. In einer neuen choreographischen Fassung bot das Royal Ballett in London am 2.12.1964 die bislang bedeutendste szenische Realisation. G. LUDIN HAUSSMANN (eig. Haußmann; Hausmann, Husmann), Valentin, *Anfang des 16. Jh. Gerbstädt bei Eisleben, t zw. 1611 und 1614; dt. Komponist. Zahlreiche Reisen führten ihn durch Deutschland und Polen, aber die Stellungen, die er innehatte, sind nicht bekannt. Nach J. Mattheson (Grundlage einer Ehrenpforte, 1740) soll er Organist und Rats-

herr in Gerbstädt gewesen sein. H. war maßgebend beteiligt an der Verbreitung der italienischen Musik in Deutschland, z.T. durch die Veröffentlichung italienischer Vokalwerke, besonders Kanzonetten und Villanellen (von L. Marenzio, O. Vecchi, G. G. Gastoldi, Th. Morley u. a.), die er selbst mit deutschen Texten versah. Seine eigenen Kompositionen, hauptsächlich weltliche Vokalmusik und Instrumentalmusik, waren denn auch ganz an italienischen Vorbildern geschult. Manche seiner Intraden, Pavanen, Gaillarden und Fugen zählen zu den frühesten Beispielen selbständiger Instrumentalmusik und wurden auch für die Entwicklung der Suite von Bedeutung. WW (wenn nichts anderes angegeben, in Nürnberg gedruckt, z. T. mit mehreren Aufl.): 1) Weldicie Vokal- u. llnstr.-WW: Teutsche weltliche Lieder für 5 St. mit differenzierten Titeln (1592, 1594, 1597); Neue teutsche weltliche Canzonette für 4 St. (1596); Andere ... Lieder nach art der Canzonetten für 4 St. (1597); Neue artige u. liebliche Täntze, zum theil mit Texten für 4 St. (21599); Neue liebliche Melodien für 4 St. (21600, erweitert 1608); Fragment, oder 35 neue weltliche teutsche Lieder für 4-5 St. (1602); 2 Bücher Venusgarten ... 100 außerlesene ... mehrentheils Polnische Täntze (1602, 1603); Fasciculus neuer Hochzeit und Braut Lieder für 4-6St. (1602); Neue Intrade für 5-6 Instr. (1604); Neue ... Paduane und Galliarde für 5 Instr. (1604); Musicalische teutsche weltliche Gesänge ... nach Art der Italianischen Canzonen und Madrigalien für 4-8 St. (1608); ferner einige gedruckte Gelegenheitswerke. - 2) Geistliche WW: Manipulus sacrarum cantionum für 5-6 St. (1602); 1 Messe u. Motetten hsl. u. in Sammeldrucken der Zeit. Ausg.: Instrumentalwerke, hrsg. v. F. BOLSCHE (L 1904) (= DDT 16); Ausw. aus Neue artige u. liebliche Täntze 1599, hrsg. v. J. STAVE (Celle 1937); 6 Tanzsätze für 4 St. aus ebd., hrsg. v. R. STEGLICH, in: 22 Altdeutsche Tänze (Hannover 1935) (= Nagels MA 80). Lit.: J. MATTHESON, Grundlage einer Ehrenpforte (H 1740), Nachdr., hrsg. v. M. Schneider (B 1910), Faks. Kas 1969); T. W. WERNER, Ein Brief W. H.s, in: ZfMw 15 (1932/33); C. MORRICONE - A. SALOTTOLO, V. H. trascrittore e le canzonette italiane in Germania, in: RIMus 5 (1970).

HAUT (frz. = hoch, laut, stark), frz. Bz. für den höheren Teil des Tonbereichs oder des Tonumfangs eines Instruments oder der menschlichen Stimme. Im späten Mittelalter verstand man in Frankreich unter Instruments hauts die lauten Instrumente (Schalmeien, Sackpfeifen, Blechblas- und Schlaginstrumente), die zum Spiel im Freien Verwendung fanden, im Unterschied zu den Instruments bas (Flöten, Krummhörner, Saiteninstrumente, Portativ). Am burgundischen Hof standen die Spieler der Instruments h.s im Rang unmittelbar hinter den Hoftrompetern und vor den Spielern der Instruments bas. HAUTBOIS (frz., von haut und bois, = Holzblasinstrument), frz. Bz. für /Oboe. HAUTBOISTEN, Hoboisten hießen im 17. Jh. in Deutschland diejenigen Musiker der Regimentska49

Haute-Contre

pellen, die die /Schalmei bzw. die /Oboe spielten. Für beide Instrumente war die französische Bezeichnung, die generell auch in Deutschland wörtlich oder in der Schreibweise Hoboe verwendet wurde, Hautbois. In späterer Zeit, teilweise bis 1918, wurden allgemein die Militärmusiker der Infanterie als H. bezeichnet, die Militärkapellen selbst als Hoboistenkorps, auch wenn die Kapellen dann in der Regel nur 2 Oboisten umfaßten. /Militärmusik. HAUTE-CONTRE (frz., von lat. Contratenor altus), im 16.-18. Jh. frz. Bz. für die höchste Männerstimme. Sie entspricht nach Tonumfang, satztechnischer Behandlung und Schlüsselung (meist C-Schlüssel auf der 3. oder 2. Linie) dem Altus (/Alt) in der Musik der anderen Länder. — /Con-

tratenor. HAVINGHA, Gerhardus, * 15. 11. 1696 Groningen, t 6.3.1753 Alkmaar; ndl. Organist und Komponist. Er war Schüler seines Vaters und wurde 1722 Organist an der Laurenskerk in Alkmaar, deren Orgel auf seinen Vorschlag hin durch A. Schnitger 1725 restauriert wurde. Seiner Initiative verdanken die Niederlande wertvolle Orgeln, u. a. in Amsterdam, Gouda und Haarlem. H.s Oorspronk en voortgang der orgelen (Alkmaar 1727) ist eine wichtige Quelle für die Geschichte des altniederländischen Orgelbaus. Von seinen Kompositionen hat sich nur ein Buch Suiten für Cembalo erhalten (A 1725). Ausg.: Suites, hrsg. v. J. WATELET (An 1951) (— MMBeIg 7).

HAWAII-GITARRE, ursprünglich eine her-

kömmliche Gitarre, deren (Stahl-)Saiten durch Unterlegen eines höheren Sattels weiter vom Griffbrett entfernt werden. Stimmung: E A e a cis' e', d. h. reines A-Dur. Die H. liegt flach auf den Oberschenkeln des Spielers, der die Saiten nicht durch Abdrücken mit den Fingern, sondern durch Auflegen eines Metallstabes oder -rohres (Slide) verkürzt. Das stufenlose Verschieben ermöglicht das typische Vibrato und Glissando von Einzeltönen und Durakkorden. Neuerdings ist die H. mit elektrischem Tonabnehmer versehen und hat keinen eigentlichen Korpus mehr. Die H. wird seit etwa 1930 in Tanz- und Unterhaltungsorchestern verwendet, vor allem bei Stücken mit hawaiischer Thematik, denen sie das spezifische instrumentale Kolorit verleiht. HAWKINS,

Coleman (genannt „Bean"), *21. 11.1904 St. Joseph (Missouri), t 19.5. 1969 New York; amerik. Jazzmusiker (Tenorsaxophon). Er kam 1923 nach New York, wurde Mitglied des Orchesters Fletcher Hendersons und setzte als So50

list das Tenorsaxophon im Jazz durch. 1934 ging er nach England zu Jack Hylton, trat in mehreren westeuropäischen Ländern auf und spielte in Frankreich u. a. mit Django Reinhardt zusammen. 1939 in die USA zurückgekehrt, gründete er ein eigenes Orchester, mit dem seine Schallplatteneinspielung Body and Soul entstand, die ein Welterfolg wurde. Einige Jahre später war H. der erste bedeutende Swing-Musiker, der sich den jungen BebopMusikern zuwandte (1944 organisierte er die erste Schallplatteneinspielung des Bebop). Seit 1945 ging er mit der Veranstaltungsreihe „Jazz at the Philharmonic" auf Tournee, trat seit 1950 wieder ständig in Europa auf, spielte 1955-60 meist in New York und wirkte 1958-59 bei der Konzertreihe „Seven ages of Jazz" mit. In den 60er Jahren spielte H. meist mit Combos in New York. H., dessen extrovertiertes Spiel sich durch einen abgedunkelten, voluminösen und ausladenden Ton auszeichnete, gilt als der erste bedeutende Tenorsaxophonist des Jazz. Weitere berühmte Einspielungen: If I Could Be With You (1929); It's the Talk of the Town (1932); The Man I Love (1943); Picasso (1947), wahrscheinlich das erste unbegleitete Solo der Jazzgeschichte (über Harmonien von Body and Soul). Lit.: D. STEWART-BAXTER, C. H., in: Jazz Journal 9 (1956); Jazz erzählt, hrsg. v. N. SHAPIRO - N. HENTOFF (Mn 1962); A. J. MCCARTHY, C. H. (Lo 1963) (= Kings of Jazz 12); C. H., in: A. POLILLO, Jazz. Gesch. u. Persönlichkeiten der afro-amerikanischen Musik (Mn 1978); C. H., in: J. E. BERENDT, Das Jazzbuch. Von Rag bis Rock (F 1978). K. R. BACHMANN

HAWKINS, Sir John, * 30.3.1719 London, t 21.5. 1789 London; engl. Musikforscher. Er war von Beruf Anwalt und widmete sich in seiner Freizeit musikgeschichtlichen Studien. Nach 16jähriger Arbeit veröffentlichte er 1776 A General History of the Science and Practice of Music kurz nach dem Erscheinen des 1. Bandes der General History of Music von Ch. /Burney, der Angaben aus H.' Werk in die folgenden Bände seiner Musikgeschichte übernahm. H. nimmt als Historiograph insofern eine Gegenposition zu Burney ein, als er ein ausgeprägtes Interesse für Musik und Musiker längst vergangener Jahrhunderte zeigte, von seiner unmittelbaren Gegenwart aber kaum Notiz nahm. Burney bezeichnete ihn deshalb als „an Antiquarian more than ... a Musician". Wertvoll ist H.' General History bis heute als Quelle anderweitig nicht nachzuweisender älterer Musikstücke. Schriften: Memoirs of the Late Signore A. Steffani (Lo 1740); A General History of the Science and Practice of Music, 5 Bde. (Lo 1776), 3 Bdc. (Lo '1853, '1875); The General History of A. Corelli, in: Universal Magazine of Knowledge and Pleasure (Lo 1777). Ausg.: A General History, Nachdr. der 2. Aufl., 2 Bde. (1963),

Haydn Faks. der Ausg. 1875, hrsg. v. O. WESSELY, 2 Bde. (Gr 1969) ( = Die großen Darstellungen der Musikgesch. in Barock u. Aufklärung 5). Lit.: E. HEGAR, Die Anfänge der neueren Musikgeschichtsschreibung (Str 1932, Nachdr. Baden-Baden 1974); R. STEVEN SON, The Rivals H., Burney and Boswell, in: MQ 36 (1950); P. A. SCHOLES, The Life and Activities of Sir J. H. (Lo 1953).

HAYDÉE, Marcia (eig. Marcia Haydée Salaverry Pereira da Silva), *18. 4. 1939 Niterói bei Rio de Janeiro; brasilianische Ballettänzerin. Sie erhielt bereits sechsjährig Tanzunterricht bei Vaclav Veltchek, später bei Tatjana Leskova und debütierte 1954 am Teatro Municipal. Anschließend besuchte sie zwei Jahre die Sadler's Wells School (später Royal Ballet School) in London und trat 1958 in das Grand Ballet du Marquis de Cuevas ein, ein Reiseensemble, mit dem sie zuletzt auch als Solistin hervortrat. 1961 wurde sie von J. Cranko an die Württembergischen Staatstheater Stuttgart engagiert und avancierte bereits 1962 in dessen erstem großem Stuttgarter Ballett, Romeo und Julia, zur Primaballerina. Sie entwickelte sich bald in gemeinsamer schöpferischer Arbeit mit ihm zur Primaballerina assoluta der deutschen Ballettszene. Nach Crankos Tod (1973) wurde sie 1976 sein Nachfolger als Ballettdirektor der Württembergischen Staatstheater. In ihrem Tanzstil vereinigt M. H. hohes technisches Können mit natürlichem Spiel und strebt gleichsam eine Vergeistigung der Körperbewegungen an. Dadurch wurde sie für die namhaftesten zeitgenössischen Choreographen eine begehrte Interpretin für differenzierte psychische Vorgänge, aber auch komödiantische Partien. Ihr Weltruhm, den sie auch auf vielen Auslandstourneen begründete, ist nur dem Margot Fonteyns zu vergleichen. Lit.: K. GEITEL, Portrait einer Primaballerina, in: Ballett 1965 (Velber 1965); H. KILIAN, M. H. Portrait einer großen Tänzerin (Sigmaringen 1975); Stuttgarter Ballettannual (1978ff.). B. A. KOHL

HAYDN, Franz Joseph, *31. 3. 1732 Rohrau an der Leitha (Niederösterreich), t 31.5. 1809 Wien; östr. Komponist. H. hat fast nie von seinem ersten Vornamen Franz Gebrauch gemacht und hatte die Gewohnheit, seine Manuskripte mit „Giuseppe H." zu zeichnen. Joseph H. war das zweite Kind und der älteste Sohn von Mathias H., der aus Hainburg in Niederösterreich stammte, und seiner Frau Anna Maria, geborene Koller. Der Vater war Wagnermeister und Marktrichter in Rohrau. Von seinem volkstümlichen Harfenspiel empfing H. die ersten musikalischen Eindrücke. 1738 wurde er nach Hainburg geschickt, wo ein entfernter Verwandter, Johann Mathias Frankh, Schulleiter war. Dieser vermittelte ihm die musikalischen Anfangsgründe. Zwei Jahre später holte ihn der Kapellmeister des

Stephansdoms von Wien, G. Reutter d. J., und nahm ihn als Sängerknaben in die Kapelle auf. H. erhielt hier eine sehr gute musikalische Erziehung, vor allem auf dem Gebiet des Gesanges. Er erarbeitete sich selbständig auch die Grundlagen der Musiktheorie an Hand des Gradus ad Parnassum von J. J. Fux und des Vollkommenen Capellmeisters von J. Mattheson. Einen eigentlichen Kompositionsunterricht hat H. bei Reutter jedoch kaum genossen. „Mein Anfang war immer gleich mit dem Praktischen", sagte er später. Nach seiner Kapellhauszeit hatte H. als Kirchenmusiker, Serenadengeiger und Klavierlehrer schwer um seine Existenz zu ringen, vervollkommnete sich aber in der Komposition. Dem damals in Wien weilenden Komponisten N. Porpora verdankte er „die echten Fundamente der Setzkunst". Graf Morzin gab ihm die erste Anstellung als Musikdirektor (damals, 1759, schrieb er seine erste Symphonie D-Dur). Wie bei J. S. Bach ist es auch bei H. sehr schwierig, die ersten Kompositionen genau zu datieren. Mit ungefähr 18 Jahren komponierte er seine erste Messe F-Dur, die er noch in hohem Alter umarbeitete, mit 19 Jahren sein erstes Singspiel, die verschollene Musik zu einer Farce Der krumme Teufel. Mit 24 Jahren schrieb H. ein Salve Regina E-Dur und ein Orgelkonzert C-Dur. Um diese Zeit entstanden wahrscheinlich auch einige Serenaden und Kassationen, daneben Streichtrios und bald auch, angeregt durch den Musikliebhaber K. J. v. Fürnberg, die ersten Streichquartette, bekannt unter den Opuszahlen 1 und 2.1760 heiratete H. Maria Anna Keller, die Tochter eines Perückenmachers, die ältere Schwester von Therese Keller, die er liebte und die 1755 unerwartet ins Kloster gegangen war. Die Ehe mit der um 3 Jahre älteren Frau war nicht glücklich und blieb kinderlos. Die entscheidende Wende im Leben des jungen Musikers brachte das Jahr 1761, als er in den Dienst des Fürsten Esterházy in Eisenstadt im Burgenland trat. Er wurde zunächst unter dem schon kränkelnden Kapellmeister Gr. J. Werner als Vizekapellmeister angestellt, beschäftigte sich aber bald mit dem gesamten vielfältigen musikalischen Leben am Hof des Fürsten. Seit März 1762, unmittelbar nach dem Tod des Fürsten Paul Anton, nahmen unter dessen Bruder Nikolaus „dem Prachtliebenden" seine Aktivitäten als Komponist und Kapellmeister einen größeren Umfang an. Das kleine Orchester entwickelte sich unter H.s Leitung zu einem bemerkenswerten Musikensemble. Mit Verstärkungen, die z. B. von der Militärmusik, der „Feldharmonie" des Fürsten, kamen, erreichte es gelegentlich die Zahl von 20 bis 25 Musikern. Der Fürst selbst spielte sehr gerne das /Baryton, ein der Viola da 51

Haydn gamba ähnliches Streichinstrument, für das H. zahlreiche Werke komponierte. Von Zeit zu Zeit beklagte sich der Komponist zwar über die isolierte Lage des Schlosses Esterháza, das seit 1766 die liebste Residenz des Fürsten war, an der Südspitze des Neusiedler Sees gelegen, aber er sagte auch: „Niemand ... konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden." Zwischen 1759 und 1789, vor seiner ersten Reise nach England, hat H. 94 Symphonien geschrieben. Besonders zu erwähnen sind hiervon die „Abschiedssymphonie" Nr.45 fis-moll, die „Pariser" Symphonien Nr. 82-87, die H. für die Pariser Gesellschaft „Le Concert de la Loge Olympique" schrieb, wie auch die Symphonien Nr. 88-92, deren letzte, G-Dur, der Komponist anläßlich seiner Promotion zum Ehrendoktor der Universität Oxford 1791 spielen ließ. In Eisenstadt oder Esterháza entstanden auch Konzerte für verschiedene Soloinstrumente, die meisten der etwa 60 Klaviersonaten und 43 der insgesamt 68 Streichquartette: die letzten Streichquartette entstanden in Wien. Unter seinen religiösen Werken dieser Zeit ist die umfangreiche „Cäcilien"-Messe zu nennen. Mit Il ritorno di Tobia hat H. zwischen 1774 und 1775 für Wien sein erstes großes Oratorium geschaffen, sich dabei aber noch ganz an den traditionellen italienischen Stil gehalten. Auch als Opernkomponist war H. am Esterházyschen Hof tätig. Die drei Opern nach Libretti von C. Goldoni, Lo speziale (1768), Le pescatrici (1769) und Il mondo della luna (1777), die Türkenoper L'incontro improvviso (1775), eine italienische Übersetzung nach dem von Gluck verwendeten französischen Libretto La rencontre imprévue, La vera costanza (1779 in Esterháza aufgeführt; Intrigen verhinderten die Aufführung in Wien) und schließlich das heroisch-komische Drama Orlando Paladino (1782), das sind die wichtigen Etappen, die zu einer eigenständigen Opera buffa führten, noch vor den großen Opern W. A. Mozarts, die H. neidlos bewunderte. In der Opera seria gelang es H. ebenfalls, bemerkenswerte Werke zu schaffen, nach L'isola disabitata (1779) z. B. Armida (1783), die jedoch dem traditionellen Operntyp sehr verbunden blieben. Als Theaterkapellmeister mußte H. oft mehr als 100 Aufführungen im Jahr dirigieren und viele angekaufte Opern für seine Bühne arrangieren. Bei dieser Gelegenheit schrieb er für Werke anderer Komponisten zahlreiche Einlagearien. Als H. in Europa weit bekannt war, erhielt er vom Domkapitel in Cádiz (1785) den Auftrag, ein Orchesterwerk Die sieben Worte Jesu am Kreuz zu komponieren, das er später auch als Streichquartett bearbeitete und sogar noch zu einem Passions-Ora-

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torium ausgestaltete. Nach dem Tod des Fürsten Nikolaus (1790) gelang es Joseph Peter Salomon, der in England als Violinist und Konzertagent tätig war, den Komponisten nach London zu holen. H.s 1791 dort komponierte Oper, L'anima del filosofo (Orfeo ed Euridice) kam wegen eines Theaterstreits nicht zur Aufführung. Die 12 „Londoner" Symphonien fanden dafür ein um so größeres Echo. Bei seinen zwei Aufenthalten in England (1791-92 und 1794-95) entstanden auch die letzten Klaviersonaten und viele Klaviertrios, sodann die Lieder nach englischen Gedichten und die ersten 150 Bearbeitungen schottischer Volkslieder für Gesang mit

Klaviertrio. Aus London, wo er einige der berühmtesten Werke G. Fr. Händels gehört hatte, brachte H. die Idee zu seinem Oratorium Die Schöpfungmit. G. van Swieten richtete ihm dafür den Text ein, ebenso für sein zweites Hauptwerk, das Oratorium Die Jahreszeiten. Die ersten Aufführungen fanden 1798 und 1801 statt. 1797 schrieb H. das Lied Gott erhalte Franz den Kaiser, das er als Variationsthema im langsamen Satz seines Streichquartetts C-Dur, op. 76,3 verwendete. Sein letztes größeres Werk war die „Harmonie"-Messe (1802). Das Streichquartett op. 103 (1803) blieb unvollendet. H. starb 1809 in seinem Haus. Einige Tage vorher hatte ihm ein französischer Offizier die Arie Mit Würd' und Hoheit angetan aus der Schöpfung vorgesungen. Der Leichnam H.s wurde später nach Eisenstadt übergeführt und in der Bergkirche beigesetzt. H. hatte einige hervorragende Schüler, unter ihnen I. Pleyel und Sigismund Ritter von Neukomm. Auch L. van Beethoven war eine Zeitlang, nachdem er 1792 nach Wien übergesiedelt war, H.s Schüler mit dem Wunsch, den ihm Graf Waldstein beim Abschied von Bonn ins Stammbuch geschrieben hatte, „Mozarts Geist aus Haydens Händen" zu erhalten. Freilich kam es zwischen beiden doch nicht zu einem engeren Lehrer-Schüler-Verhältnis. Ausdrücklich zu H. bekannten sich später vor allem L. Cherubini und A. Reicha. WW: (Hob. = A. VAN HOBOKEN, J. H., Thematisch-bibliogr. Werkverz. 1-3 [Mz 1957-78]). - 1) Instr.-WW: a) Für Klv.: 28 Sonaten (Divertimenti) (vor 1766), darunter 7 verschollene u. einige zweifelhafte; 35 Sonaten (nach 1766), darunter 6 „Esterházy"-Sonaten (1773, Hob. XVI:21-26); 6 „Auenbrugger" Sonaten (Hob. XVI:20 c-moll v. 1771 u. XVI:35-39, 1780 erschienen); 3 Sonaten (Hob. XVI:40-42, 1784 erschienen) (Prinzessin Marie Esterházy gewidmet); Sonate C-Dur (Hob. XVI: 48, 1789 erschienen); Sonate Es-Dur (1789-90, Hob. XVI:49) (für Marianne von Genzinger komponiert); 3 „Jansen(-Bartolozzi)"Sonaten (1794-95, Hob. XVI:50-52); weitere Klv.-Werke: „Sauschneider"-Capriccio G-Dur (1765); Arietta con variazioni A-Dur (vor 1771); Arietta con variazioni Es-Dur (vor 1774); Fantasia C-Dur (1789); 6 Variations faciles et agréables C-Dur (1790); Variationen f-moll (1793); 1l maestro e lo scolare (vor 1778) für Klv. zu 4 Händen; 32 Stücke für Spieluhr (um 1789-93),

Haydn darunter mehrere zweifelhafte. - b) Duos u. Trios: 6 Duos für V. u. Va. (vor 1777); 21 Trios (davon 3 verschollen) für 2 V. (eines für V. u. Va.) u. Vc. (um 1750-65), dazu einige nicht bestätigte; Trio für Horn, V. u. Vc. (1767); 6 Trios für 2 V. (oder V. u. Fl.) u. Vc. (1784), einige nach Melodien aus Il mondo della luna; 4 Trios für 2FI. u. Vc. (1794/95); etwa 10 frühe Trios für Klv., V. u. Vc. (um 1760); 29 Trios für Klv., V. u. Vc. (1784-97), darunter das Trio G-Dur mit dem Rondo all'ongarese (1795 erschienen). c) WW für oder mit Baryton: 4 Duos für 2 Barytone (um 1764-69); 12 Cassationsstücke für 2 Barytone u. Vc. (um 1765-66); 126 Divertimenti für Baryton, Va. (Nr. 89-91: V.) u. Vc. (um 1765-75); Quintett für Baryton, Va., Vc. u. 2 Hörner (um 1767-68); 7 Oktette für 2 V., Baryton, Va., Vc., Kb. u. 2 Hörner (1775); mehrere verschollene Stücke. - d) 68 Streichquartette: 10 frühe Quartette (um 1757-62), op. 1 u. 2; je 6 Quartette, op. 9 (um 1769/70), op. 17 (1771), op. 20 („Sonnen"-Quartette oder „Fugen"-Quartette) (1772) u. op. 33 („Gli scherzi" oder „Russische" Quartette) (1781); Quartett d-moll, op. 42 (1785); 6 Quartette, op. 50 („Preußische" Quartette) (1787); 12 „Tost"-Quartette: 3 Quartette, op. 54 (1788), 3 Quartette, op. 55 (1788), 6 Quartette, op. 64 (1790), darunter Quartett D-Dur, „Lerchen"Quartett; 6 „Apponyi"-Quartette (1793): 3 Quartette, op. 71, 3 Quartette, op. 74, darunter das „Reiter"-Quartett; 6 „Erdödy"Quartette, op. 76 (1797), darunter das „Quinten"-Quartett dmoll, das „Kaiser"-Quartett C-Dur, „Sonnenaufgang" B-Dur; 2 „Lobkowitz"-Quartette, op. 77 (1799); Quartett, op. 103 (1803) (unvollendet); Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz, op. 51 (1787), Bearb. der Orch.-Fassung. - e) 108 Symphonien, u. a.: Nr. 1 DDur (vor 1759); Nr.6 D-Dur Le matin, Nr. 7 C-Dur Le midi u. Nr. 8 G-Dur Le soir mit dem Finale La tempesta (alle drei 1761); Nr. 22 Es-Dur „Der Philosoph" (1764); Nr. 26 d-moll Lamentatione (um 1767-68); Nr. 30 C-Dur „Alleluja" (1765); Nr. 31 DDur „mit dem Hornsignal" (1765); Nr. 43 Es-Dur „Merkur" (vor 1772); Nr.44 e-moll „Trauer"-Symphonie (vor 1772); Nr.45 fis-moll „Abschieds"-Symphonie (1772); Nr. 48 C-Dur „Maria Theresia" (vor 1769); Nr. 49 f-moll „La passione" (1768); Nr. 52 c-moll (vor 1774); Nr. 53 D-Dur „L'impériale" (um 1778/79); Nr. 59 A-Dur „Feuer"-Symphonie (um 1767-68); Nr.60 C-Dur Sinfonia per la commedia intitolata II distratto (1774) (= Bühnenmusik zu J.-F. Regnards Der Zerstreute); Nr. 63 C-Dur „La Roxelane" (um 1779); Nr.69 C-Dur „Laudon" (um 1775/76); Nr.73 D-Dur „La chasse" (1781); 6 „Pariser" Symphonien (1785-86): Nr. 82 C-Dur „L'ours", Nr. 83 g-moll „La poule", Nr. 84 Es-Dur, Nr. 85 B-Dur „La reine", Nr. 86 D-Dur u. Nr. 87 A-Dur; Nr. 92 G-Dur „Oxford" (1789); 12 „Londoner" Symphonien: Nr. 93 D-Dur (1791), Nr. 94 G-Dur „mit dem Paukenschlag" (1791), Nr. 95 c-moll (1791), Nr. 96 D-Dur „The Miracle" (1791), Nr. 97 C-Dur (1792), Nr. 98 B-Dur (1792), Nr. 99 Es-Dur (1793), Nr. 100 G-Dur „Militär"-Symphonie (1793/94); Nr. 101 D-Dur „Die Uhr" (1793/94), Nr. 102 B-Dur (1794), Nr. 103 Es-Dur „mit dem Paukenwirbel" (1795), Nr. 104 D-Dur London (1795). - f) Konzerte für: Klv. F-Dur (vor 1771), G-Dur (vor 1781), D-Dur (vor 1784); etwa 5 für Org. oder Cemb.; V. u. Cemb. (oder Org.) F-Dur; V. C-Dur (zw. 1761 u. 1769), A-Dur (vor 1771), G-Dur (vor 1769); Vc. C-Dur (um 1761-65), D-Dur (1783, Hob. VIIb:2); Horn D-Dur 1 (1762, Hob. VIId:3) u. II (vor 1781, Hob. VIId:4) (zweifelhaft); Trp. Es-Dur (1796); konzertante Symphonie (Symphonie Nr. 105) B-Dur (1792) für Ob., Fag., V. u. Vc.; ferner versch. Concerti u. Divertimenti für Cemb., 2 V. u. Baß. -g) Andere Instr.-WW: Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz (1786); versch. Märsche; zahlr. Menuette u. Deutsche Tänze; 5 Concerti (um 1786) für 2 Orgelleiern, 2 Hörner, 2 V., 2 Va. u. Vc.; 8 Notturni (1790) für 2 Orgelleiern, 2 Klar. (oder 2 V.), 2 Hörner, 2 Va. u. Vc. (u. Bal3); Divertimenti für versch. Besetzungen, darunter: C-Dur „Der Geburtstag" (vor 1765, Hob. 11:1 1); 6 Scherzandi (vor 1765) für Fl., 2 Ob., 2 Hörner, 2 V. u. Baß. -2) Vokal-WW: a) Für eine oder mehrere SingSt mit u. ohne Klv.: 24 dt. Lieder (1781-84); Kantate Arianna a Naxos (vor

1790); 57 Kanons, darunter Die 10 Gebote (um 1791-99); VI Original Canzonettas (1794) (Text: A. Hunter); VI Original Canzonettas, 2. Folge (1795); 12 Sentimental Catches and Glees (1795), bearb. für 3 St.; 2 engl. Lieder (um 1795); 9 dt. Lieder, darunter Gott erhalte Franz den Kaiser (1796/97); 2 Duette Nisa e Tirsi (1796); 4 Vokaltrios u. 9 Vokalquartette (1796); Kantate The Battle of the Nile (1800); Dr. Harington's Compliment für SingSt u. Chor (1794); fast 400 schottische u. walisische Volkslieder, bearb. für SingSt, V., Vc. u. Klv. - b) Chorwerke u. Kantaten: Destatevi o miei fidi (1763); Qual dubbio ormai (1764); Al tuo arrivo felice (1764 oder 1767); Applausus (1768); engl. Madrigal Hark (1792); Arie u. Chor Nor Can I Think - Thy Great Endeavours (1794). - c) 12 Messen u. versch. andere geistliche Werke: Missa brevis F-Dur (um 1749); „Cäcilien"-Messe C-Dur (1766); „Große Orgelmesse" Es-Dur (um 1768/69); „Nicolai"-Messe G-Dur (1772); Missa brevis Sancti Joannis de Deo („Kleine Orgelmesse") B-Dur (um 1775); „Mariazeller" Messe C-Dur (1782); Missa in tempore belli („Pauken"-Messe) C-Dur (1796); Missa Sancti Bernardi von Offida („Heilig"-Messe) B-Dur (1796); „Nelson"-Messe d-moll (1798); „Theresien"-Messe BDur (1799); „Schöpfungs"-Messe B-Dur (1801); „Harmonie"Messe B-Dur (1802). - 2 Te Deum C-Dur (um 1762/63, um 1800); 3 Salve Regina: E-Dur (1756), g-moll (1771), Es-Dur (vor 1773); Stabat Mater g-moll (1767); Ave Regina A-Dur (um 1750-59?); 2 Lauda Sion salvatorem, C-Dur (um 1750), B-d-AEs (um 1765-69); Alleluja G-Dur (um 1768/69); Libera me, Domine d-moll; Non nobis, Domine d-moll; Offertorium Animae Deo gratae (um 1761-69); Hymnus Ens aeternum (um 1761-69); 2 Cantilenae pro adventu: Ein' Magd, ein' Dienerin (um 1770/75), Mutter Gottes, mir erlaube (um 1775); Pastorella Herst Nachbä (um 1768-70); Motette Quis stellae radius (um 1762); 6 English Psalms (1794/95). -d) 4 Oratorien: Il ritorno di Tobia (1774-75), 2. Fassung (1784) (Text: G. G. Boccherini); Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz (1795/96) (Text: J. Friebert?, G. van Swieten); Die Schöpfung (1796-98) (Text: Lidley?; G. van Swieten), UA: Wien 1798; Die Jahreszeiten (1799-1801) (Text: G. van Swieten), UA: ebd. 1801. - 3) Bähnen-WW: a) Opern (UA: meist in Esterháza): Der krumme Teufel (Libr.: Kurz-Bernardon), UA: Wien 1751 oder 1753 (verschollen); Der neue krumme Teufel (Libr.: ders.), UA: ebd. um 1758 (nur Text erhalten); Festa teatrale Acide (1762) (Libr.: G. A. Migliavacca), UA: Eisenstadt 1763, 2. Fassung 1773 (nur Fragmente erhalten); Commedia Marchese oder La marchesa nespola (1763) (unvollständig); Intermezzo La canterina (1766), UA: 1766; Drammi giocosi: Lo speziale u. Le pescatrici (1769) (Libr.: C. Goldoni), UA: 1768 u. 1770; Burletta L'infedeltà delusa (Libr.: M. Coltellini), UA: 1773; Marionettensingspiel Philemon und Baucis (Pfeffel) (Musik zum Prolog Der Götterrat [P. G. Bader?] verschollen), UA: 1773; Dramma giocoso L'incontro improvviso (Libr.: K. Friebert nach F. Dancourt), UA: 1775; Marionettensingspiel Dido (um 1776) (Libr.: Bader) (Musik verschollen); Singspiel Die Feuersbrunst (um 1775-78) (Echtheit nicht sicher) Dramma giocoso Il mondo della luna (Libr.: Goldoni), UA: 1777; Marionettensingspiel Die bestrafte Rachbegierde (Libr.: Bader), UA: 1779 (Musik verschollen); Dramma giocoso La vera costanza (Libr.: F. Puttini), UA: 1779; Azione teatrale L'isola disabitata (1779) (Libr.: P. Metastasio), UA: 1779; Dramma pastorale giocoso La fedeltà premiata (1780) (Libr.: G. B. Lorenzi), UA: 1781; Dramma eroicomico Orlando Paladino (1782) (Libr.: C. Badini u. N. Porta), UA: 1782; Dramma eroico Armida (1783), UA: 1784; L'anima del filosofo oder Orfeo ed Euridice (1791) (Libr.: Badini), UA: Florenz 1951. - Ganz verschollen sind die Opern La vedova, II dottore, Il scanarello, (alle um 1761-65) u. Hexenschabbas (1773). - b) Verschiedenes: Alfred oder Der patriotische König (1796) (Text: J. W. Cowmeadow); ca. 20 Arien für Aufführungen in Esterháza von Opern v. G. Paisiello, P. Anfossi, A. Salieri, G. Gazzaniga, T. Traetta, F. Bianchi, P. A. Guglielmi, G. Sarti, D. Cimarosa, F. L. Gassmann u. für unbekannte Werke, ferner 2

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Haydn Konzertarien für Sopran: Berenice, che fai (1795) (Text: Metastasio) u. Solo e pensoso (1798) (Text: F. Petrarca). — 4) Zweifelhafte u. unechte Werke (in Aasw.): „Ochsenmenuett" für Klv.; Klv.Trio C-Dur (Hob. XV : 3), v. J. Pleyel; 6 Streichquartette, op. 3, darunter das Quartett F-Dur mit der „Serenade", v. R. Hoffstätter?; Feldpartie B-Dur, mit dem „St.-Antonius-Choral", dem Thema der „Haydn-Variationen" v. J. Brahms; „Kinder"-Symphonic, v. L. Mozart?; Konzert C-Dur für Ob.; Konzert D-Dur für Fl. (Hob. VIIf:D1), v. L. Hofmann.

Wenn man manchmal versucht ist, H.s Instrumentalkompositionen seinen Gesangswerken vorzuziehen, darf man nicht vergessen, daß er, da er in Wien als Sängerknabe begann, sich ganz natürlich zum Gesang hingezogen fühlte. Die Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten sind nicht nur würdige Zeugen Händelschen Erbes, sondern haben selber Epoche gemacht. Neben ihnen stehen die oft als „lustig" mißverstandenen Messen, in denen sich liturgischer Ernst mit musikalischem Reichtum verbindet. Auch zur Entwicklung des Liedes hat H. beigetragen, aber nur die in England komponierten Lieder zeigen eine manchmal auf Fr. Schubert hinzielende Entfaltung. H.s Opern waren vor allem für die beschränkten Möglichkeiten des fürstlichen Theaters in Esterháza gedacht. Zwischen Chr. W. Gluck und Mozart sind sie gleichwohl beachtliche Schöpfungen. Einen kaum zu überschätzenden Einfluß hat H. auf instrumentalem Gebiet ausgeübt. Daß er die Sonatenform immer mehr in einer monothematischen Schreibweise und trotzdem abwechslungsreich durchzuarbeiten verstand, stellt ein charakteristisches Merkmal seiner musikalischen Entwicklung dar. Die erste Symphonie D-Dur (1759) zeigt schon eine echte symphonische Konzeption. In den „Programm"-Symphonien Nr. 6-8 — Le matin, Le midi und Le soir — verschmelzen Elemente des Concerto grosso und der Symphonie zu einem eigenwüchsigen, der konzertanten Symphonie nahestehenden Stil. In den folgenden Werken entfaltete H. seine thematische Arbeit in größerer Weise. Nachdem er in seinen Anfängen zwischen einer drei- oder viersätzigen Form geschwankt hatte, entschied er sich für letztere, und seit der Symphonie Nr. 53 in DDur (L'impériale) entschloß er sich, die meisten seiner Symphonien mit einer langsamen Einleitung zu versehen, vielleicht nach dem Vorbild der französischen Ouvertüre. Ebenso können die Einführung von Variationen in den langsamen Satz, die Entwicklung des symphonischen Menuetts und eine sehr individuelle Instrumentierung als ganz persönliche Neuerungen angesehen werden. Insofern war H. der eigentliche Schöpfer der später „klassisch" genannten Symphonie. Den zweiten Eckpfeiler des H.schen Instrumentalschaffens stellt das Streichquartett dar. Mit der Se54

rie des op. 9 wandte er sich von der unterhaltenden Seite der Gattung ab. In seinem op. 20, den „Sonnen"-Quartetten, hat H. der Fuge einen ähnlichen Rang eingeräumt wie dem Sonatensatz, aber erst mit seinem op. 33 erreichte er einen voll entwickelten Stil, der auf Mozart großen Einfluß haben sollte. Die letzten Quartette bringen neue und teilweise unerwartete Lösungen; noch das op. 103, das unvollendet blieb, bezeugt den Beginn eines bis dahin kaum begangenen Weges. Die große Spannung, von der einige frühere Werke, wie die Quartette D-Dur, op. 20,4 und f-moll, op. 20,5, getragen werden, findet sich auch in vielen seiner letzten Werke wieder, z. B. in dem berühmten „Quinten"-Quartett, das wohl als eines der genialsten Zeugnisse für H.s Behandlung des thematischen Materials im Sonatensatz anzusehen ist. H.s Sonatenschaffen ist ähnlich reich wie sein Symphonie- und Quartettschaffen. Es erstreckt sich auch über einen ähnlich langen Zeitraum. Nach kleinen, in pädagogischer Absicht geschriebenen Werken fand H., geschult an C. Ph. E. Bach, zu einem eigenen, wandlungsfähigen Klavierstil, der auch die Eindrücke ungarischer Volksmusik aufnahm. H.s Klaviermusik bewahrt bis in seine letzten Lebensjahre eine improvisatorisch wirkende Frische und Lebhaftigkeit. Kompositionen wie die Sonate c-moll (1771), die Sonate h -moll (um 1776), die doppelthematischen Variationen f-moll (1793), auch die beiden Sonaten Es-Dur Nr. 49 (1790) und Nr. 52 (1794), um nur wenige zu nennen, führen direkt zu Beethoven hin. In den Klaviertrios, deren Klavierpartie in H.s Werk eine ähnliche Rolle spielt wie etwa bei Mozart die Solostimme in den Klavierkonzerten, zeigt sich auch dieser freie und phantasievolle Charakter, der für jedes Werk eine neue Form schafft. Verglichen mit der Symphonie, dem Quartett und der Sonate sind die anderen Instrumentalformen H.s oft als zweite Wahl betrachtet worden. Das gilt nicht nur für die frühen Divertimenti verschiedener Besetzung und die zahlreichen Kompositionen für das Baryton, sondern auch für die Streichtrios, die aus der späteren Zeit stammenden Kompositionen für Orgelleier und die Konzerte für verschiedene Instrumente. H., der auf Grund seiner Funktion als Kapellmeister alle Instrumente kannte, war ein sehr guter Violinist und ein geschickter Pianist, wenn er sich auch nicht mit den Klaviervirtuosen Mozart, M. Clementi oder J. B. Cramer messen konnte und wollte. Die Konzerte, die er in Eisenstadt und Esterháza schrieb — darunter die Konzerte für Violoncello C-Dur und D-Dur und das Klavierkonzert D-Dur —, zeigen in ihrer Verschmelzung von Virtuosität und eigentli-

Haydn cher musikalischer Substanz eine charakteristische Seite seiner Persönlichkeit auf. Das gilt auch für die konzertante Symphonie B-Dur für Ob., V., Fag. und Vc. aus der Londoner Zeit und für das Trompetenkonzert Es-Dur aus der späten Wiener Zeit. Die zu Lebzeiten H.s so sehr bewunderten Werke des Komponisten wurden im 19. Jh. oft unterbewertet gegenüber der Musik Mozarts, Beethovens und der großen Meister des 19. Jh. Aber schon vor dem 1. Weltkrieg erwachte ein größeres Interesse für H. Insbesondere auch die musikwissenschaftliche Erforschung von H.s Leben und Werk nahm einen großen Aufschwung. Eine wichtige Station bedeutete die Gründung des J.-H.-Instituts in Köln 1955, dem u. a. die Betreuung der H.-Gesamtausgabe obliegt. Ausg.: A) Gesa.tausgaben: GA I, hrsg. v. E. MANDYCZEWSKI u. a., 11 Bde. (L 1908-33) (unvollendet), darin u. a.: Die Schöpfung u. Die Jahreszeiten; GA II, hrsg. v. J. P. LARSEN, 4 Bde. (Boston - L - Wie 1950-51) (unvollendet), darin u. a.: Symphonien Nm. 50-57, Messen Nm. 1-4; GA III, hrsg. v. J.Haydn-Inst. Köln unter Leitung v. G. FEDER (seit 1962) u. J. P. LARSEN (1958-61) (Mn 1958ff.), bis 1986 63 Bde., darin: Symphonien Nrn. 21-24, 28-31, 35, 42, 45-47, 49, 50, 54-57, 61, 66-69, 83, 85, 87, 99-104; 3 V.-Konzerte; Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz (Orch.-Fassung); 5 Konzerte u. 8 Notturni mit Orgelleiern; Streichquartette, op. 1, 2, 9, 17, 20, 33, 64, 71/74; 4 Duette, 12 Kassationsstücke, 1 Quintett u. 7 Oktette mit Baryton; Barytontrios Nrn. 1-126; 2 Bde. Klv.-Trios; 3 Bde. Klv-Sonaten; Messen Nm. 5-12; Opern: Philemon und Baucis, La canterina, Lo

speziale, Le pescatrici, L'infedeltä delusa, L'incontro improvviso, I/ mondo della luna, La vera costanza, La fedeltà premiata, Orlando paladino, Armida, Orfeo; Kantate Applausus; Oratorien: Il ritorno di Tobia, Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz; Lieder; Mehrst. Gesänge; Kanons; Schottische Volkslieder Nr. 1-100. B) Faksimile-Ausg.: Schöpfungsmesse (Mn 1957); Klv.-Sonate A-Dur (Hob. XVI:26) (Mn 1958); „Abschieds"-Symphonie (Budapest 1959); Symphonie Le midi (Budapest 1972); Streichquartett in G u. F (Hob. III: 81 u. 82), 2 Bde. (Budapest 1972). C) Praktische Ausg.: 1) Iastr.-WW: a) Sämtliche Klv.-Sonaten, hrsg. v. CH. LANDON, 3 Bde. (W 1964-66) bzw. 4 Bde. (W 1975-77); dass., hrsg. v. G. FEDER, 2 Bde. (Ausw.) (Mn 1963-65), 3 Bde. (komplett) (Mn 1972); Klv.-Stücke, hrsg. v. S. GERLACH (Mn 1969); dass., hrsg. v. F. EIBNER G. JARECKI (W 1975); 12 Menuette (Hob. IX :11), hrsg. v. K. HERRMANN (Z 1941); 12 Menuette (Hob. IX:8), hrsg. v. L. J. BEER (Wilhelmshaven o.J.); Leichte Tänze (Hob. IX:12 u. die zweifelhaften IX:10), hrsg. v. F. J. GIESBERT (Mz o.J.); Werke für das Laufwerk (Flötenuhr), bearb. für Klv. v. E. F. SCHMID (Kas 1954). - b) 6 Sonaten für V. u. Va., 2 H.e, hrsg. v. W. LEBERMANN (Mz 1970). - e) Trios: Streichtrios (Sonaten) op. 8, 2 H.e (Hob. V:4, 20, 3, 17, G2 [v. M. HAYDN], Al [v. M. HAYDN]) für 2 V., Klv. u. Vc. ad lib., hrsg. v. A. GULzOw - W. WEISMANN (F o. J.); Trio Nr. 1 u. 2 für V., Va. u. Vc. (Hob. V: Esl [s. M. HAYDN] u. 8) (Mn-Gräfelfing 1969-71); 6 Trios für 2 V. u. Vc. (Hob. V:G1, D1, 7, G3, B1, 11), hrsg. v. K. MARGUERRE (Mz 1955); Londoner Trios für 2 F1. u. Vc., hrsg. v. K.-H. KOHLER (L 1959); dass., hrsg. v. L. BALET (Kas 1954); Divertimento Es-Dur für Horn, V. u. Vc., hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1957); 6 Trios, op. 100 für Fl., V. u. Vc., 2 H.e, hrsg. v. R. DITTRICH (F 0.1.); Klv.-Trios, 3 Bde., hrsg. v. F. HERMANN (F o. J.); dass., 45 H.e, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1970-77); dass., bisher 5 Bde. (Bd. III

für Fl. oder V.), hrsg. v. W. STOCKMEIER (Mn 1972-87). d) Quartette: Streichquartette in Stimmen: Sämtliche 83 Quartette, 4 Bde. (F o.J.); dass., bisher op. 1, 2, 9, 17, 20, 33, 64, 71, 74, H.e 1-4 u. 8-9, hrsg. v. G. FEDER u. a. (Mn 1969-80); dass., hrsg. v. R. BARRETT-AYRES - H. CH. R. LANDON (in Einzelheften), bisher op. 2, 9, 71, 74 (W 1977-79). - Taschenpartituren: op. 1, 2, 3 (unecht), 9, 17, 20, 33, 42, 50, 51 (Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz), 54, 55, 64, 71, 74, 76, 77, 103, hrsg. v. W. ALTMANN (Lo o.J.); op.9 u. 17, hrsg. v. G. FEDER (Kas 1965-67); op.1, 2, 9, 71, 74, hrsg. v. R. BARRETT-AYRES H. CH. R. LANDON (W 1977-80). - e) Concertini oder Divertimenti für Klv. (Cemb.), 2 V. u. Vc., Hob. XIV: Nr. 3, hrsg. v. W. WEISMANN (F 1953); Nr. 4, 7 u. 9. (3 H.e), hrsg. v. L. KALMAR (F 1972); Nr. 8, hrsg. v. G. BALLA (F 1973); Nr.11, 12, 13 u. XVIII: F2, hrsg. v. H. WALTER (Mn 1969); Nr. 11, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1959); Nr. 12 (Concerto), hrsg. v. DEMS. (W 1969); Nr. 13 (Concerto), hrsg. v. E. LASSEN (Mz 1956). - f) Sonate Es-Dur für Cemb., 2 Hörner, V. u. Vc., hrsg. v. K. JANETZKY (HI 1953). - g) 4-9st. Divertimenti: Cassation G-Dur (Hob. 1I:2), hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1958); Cassatio F-Dur, D-Dur, G-Dur (Hob. I1:20, D22, G1), 3 H.e, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1959-62); Divertimento „Der Geburtstag" (Hob. II:11), hrsg. v. DEMS. (W 1961); F-Dur (Hob. II:16), hrsg. v. K. JANETZKY (L 1954); C-Dur (Hob. II:17), hrsg. v. H. STEPPAN (W 1960); D-Dur (Hob. I1: 22), hrsg. v. E. LASSEN (F 1962); Notturno C-Dur (Hob. 11:25), hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1961); G-Dur (Hob. 11: 30), hrsg. v. E. FENDLER (NY 1946); 2 in C-Dur (Hob. II: 31 u. 32), 2 H.e, hrsg. v. E. F. SCHMID (Kas 1935-36); Eine Abendmusik Es-Dur (Hob.11:21), hrsg. v. A. EGIDI (B 1936); Quartett G-Dur (Hob. II:1), hrsg. v. W. UPMEYER (Kas 1937); Scherzando No. 1-6, 6 H.e, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1961); Sämtliche Werke für Blasinstr., H.e 1-8 (Hob. 11:15, 23, 7, 14, D18, 3, G9, D23), u. Märsche, hrsg. v. DEMS. (W 1959-60). - h) Symphonien u. Orch.-WW: Sämtliche Symphonien u. konzertante Symphonie, 107 H.e, hrsg. v. H. CH. R. LANDON u. a. (Salzburg - W 1951-67); Ouvertüren D-Dur (Hob. Ia :4), D-Dur (Hob. Ia :7), zu

Acide e Galatea, L'incontro improvviso, Lo speziale, Orlando paladino, 6 H.e, hrsg. v. DEMS. (W 1959-64); Overture for an English Opera, hrsg. v. DEMS. (Salzburg 1953); Opernsymphonie Die wahre Beständigkeit, hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1958); 12 Deutsche Tänze (Hob. IX :12), hrsg. v. O. E. DEUTSCH (Lippstadt o. J.); Katharinentänze (Hob. IX :11), hrsg. v. E. F. SCHMID (ebd. 1959); Menuetti ballabili (Hob. IX :7), hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1970); 6 Allemandes (Hob. IX :9), hrsg. v. DEMS. (W 1960); 24 Menuetti (Hob. IX :16), hrsg. v. DEMS. (W 1974). - Taschenpartituren: Kritische Ausg. sämtlicher Symphonien, 12 Bde., hrsg. v. H. CH. R. LANDON u. a. (W 1965-68); Nr. 7 C-Dur (Le midi), hrsg. v. E. PRAETORIUS (Lo 1936); Nr. 21 A-Dur, Nr. 22 Es-Dur („Der Philosoph"), Nr. 23 G-Dur, Nr. 24 D-Dur, Nr. 28 A-Dur, Nr. 29 E-Dur, Nr. 30 C-Dur („Alleluja"), Nr. 31 D-Dur („mit dem Hornsignal"), hrsg. v. H. WALTER (Kas 1967); Nr.73 D-Dur („La chasse"), Nr.93 D-Dur, Nr. 94 G-Dur („mit dem Paukenschlag"), Nr.95 c-moll, Nr.96 D-Dur, Nr. 97 C-Dur, Nr. 99 Es-Dur, Nr. 100 G-Dur („Militär"Symphonie), Nr. 101 D-Dur („Die Uhr"), Nr. 102 B-Dur, Nr. 103 Es-Dur („mit dem Paukenwirbel"), Nr. 104 D-Dur, hrsg. v. E. PRAETORIUS (Lo 1934-38); Nr. 99, 100, 101, hrsg. v. H. WALTER (Kas 1973); Nr. 102, 103, 104, hrsg. v. H. UNVERRICHT (Kas 1965); Konzertante Symphonie, hrsg. v. CH. LANDON (Lo 1968); Ouvertüre zu L'isola disabitata, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (Lo 1958); Die sieben Worte des Erlösers am Kreuz (Orch.-Fassung), hrsg. v. H. UNVERRICHT (Kas 1961). - i) Konzerte für: V. A-Dur, hrsg. v. A. HEILLER H. CH. R. LANDON (Salzburg 1952); Vc. C-Dur, hrsg. v. O. PULKERT (Pr 1962); D-Dur (Hob. VIIb: 2), hrsg. v. L. NOWAK (W 1962); Horn D-Dur, Nr. 1 (Lo 1954), Nr. 2 (zweifelhaft), hrsg. v. H. H. STEVES (Lo 1954); Trp. Es-Dur (Lo

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Haydn 1949); Orgelleiern, Nr. 1-5, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1959-60); Klv. (Cemb.) oder Org.: Hob. XVIII: Nr. 1, hrsg. v. M. SCHNEIDER (Wie 1953); Nr. 3, hrsg. v. E. LASSEN (Mz 1958); Nr. 4, hrsg. v. B. HINZE-REINHOLD (F 1958); Nr. 5, hrsg. v. H. HEUSSNER (Kas 1959); Nr. 8, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1962); Nr. 10, hrsg. v. H. WALTER (Mn 1969); Nr. 11, hrsg. v. K. SOLDAN (F 1959); V. u. Cemb. FDur, hrsg. v. H. SCHULTZ (Kas 1959). - Taschenpartituren: Konzert für: V. C-Dur, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (Lo 1952); A-Dur, hrsg. v. CH. LANDON (Lo 1959); Vc. D-Dur op. 101, hrsg. v. H.-H. SCHONZELER (Lo 1962); Horn D-Dur (Hob. VIId :3), hrsg. v. CH. LANDON (Lo 1959); Trp. Es-Dur, hrsg. v. H. F. REDLICH (Lo 1951); Klv.-Ausz.: Konzert für V. C-Dur (Berg a. I. 1975); dass. (Wie 1943); G-Dur (F o.J.); dass. (Wie 1943); für Vc. C-Dur (Pr 1963); D-Dur (F o.J.); für Trp. Es-Dur (F 1978); für Klv. D-Dur (F 1931). - 2) Vokal-WW: a) Kantaten und Duette mit Klv.-Begleitung: Arianna a Naxos, hrsg. v. M. FLOTHUIS (Salzburg 1965); 2 it. Duette, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1960). - b) Arien, Kantaten u. Chöre mit Orch.: Miseri noi, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1960); Son pietosa u. Scena di Berenice, hrsg. v. DEMS. (W 1959, 1965); Arien, 20 H.e, hrsg. v. DEMS., dazu Klv.-A., 4 H.e (Salzburg 1961-64); Applausus, hrsg. v. DEMS. (W 1969); Der Sturm, hrsg. v. F. SZEKERES (Budapest 1969), Klv.-A. (W 1958). - c) Messen (Partitur oder Taschenpartitur, Klv.-A. u. St., diese manchmal als Leihmaterial): Missa brevis F-Dur, „Große Orgelmesse" (ohne Partitur) (W o.J.); Missa S. Caecilia (ohne Partitur) (Salzburg 1954); „Rorate"-Messe (zweifelhaft), hrsg. v. H. CH. R. LANDON (ebd. 1957); „Kleine Orgelmesse", „Mariazeller" Messe, „Pauken"-Messe, „Heilig"-Messe, hrsg. v. DEMS. (Kas 1962-64); „Nelson"-Messe, hrsg. v. DEMS. (Lo 1962-63); „Harmonie"-Messe, hrsg. v. F. LIPPMANN (Kas 1965-66); „Nelson"-Messe, „Theresien"-Messe, hrsg. v. G. THOMAS (Kas 1966-69); Missa S. Nicolai (nur Taschenpartitur), hrsg. v. H. CH. R. LANDON (Lo 1969); „Schöpfungs"-Messe, hrsg. v. I. BECKER-GLAUCH (Kas 1980). - d) Sonstige Kirchenmusikwerke (Partitur u. St.): Ens aeternum (L o. J.); Stabat Mater (auch Klv.-A.) (A o. J.); Ein' Magd, ein' Dienerin, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (Salzburg 1957); Salve Regina EsDur, hrsg. v. A. M. MÜLLER (Au 1959); 2 Te Deum, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1959, 1966); Non nobis, Domine, hrsg. v. K. GEIRINGER (St. Louis 1960); Salve Regina gmoll, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1964); Lauda Sion, hrsg. v. I. BECKER-GLAUCH (Mn 1965); Libera me, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (Salzburg 1969); Hör Nachbar u. Ei wer hätt, hrsg. v. O. BIBA (Altötting 1975); 6 Psalmen, hrsg. v. U. W. ZIMMER (Kas 1978). - e) Oratorien (K1v.-A. u. St.): Die Schöpfung, Die Jahreszeiten (F 1932, 1922); Die 7 Worte des Erlösers am Kreuz (Vokalfassung) (Kas 1964). - 3) Opern (Klv.-A.): List und Liebe (La vera costanza) (F o. J.); Die Welt auf dem Monde (Il mondo della luna) (Kas 1958); Die Feuersbrunst (zweifelhaft) (Mz 1963); Lo speziale, Le pescatrici, L'infedeltà delusa (Salzburg 1970, 1965, 1961). - Leihmateriale: Meist bei Universal-Edition und bei Bärenreiter. Lit.: 1) Bibliographien u. Periodika: J. P. LARSEN, Die H.-Überlieferung (Kop 1939); DERS., Drei H.-Kat.e in Faks. (Kop 1941, NA NY 1979); A. VAN HOBOKEN, J. H., Thematisch-bibliogr. Werkverz., 3 Bde. (Mz 1955, 1971, 1978); D. BARTHA L. SOMFAI, H. als Opernkapellmeister (Mz 1960); A. FUCHS, Thematisches Verzeichnis der sämtlichen Kompositionen v. J. H. (Wilhelmshaven 1968) (= Quellenkatalog zur Musikgesch. 2); I. BECKER-GLAUCH, H., in: RISM A/I/4 (Kas 1974); A. P. BROWN - J. T. BERKENSTOCK, J. H. in Literature. A Bibliogr. (Mn 1974) (= H.-Stud. 1I1/3-4); M. HORWARTHNER, J. H.s Bibl., in: Jb. für östr. Kulturgesch. 6 (1976); G. FEDER, J. H.s Skizzen u. Entwürfe. Übersicht der Mss., Werkregister, Lit.- u. Ausg.-Verz., in: FAM 26 (1979); H. WALTER, H.-Bibliogr. 1973-1983 (Mn 1985) (= H.-Stud. V/4). - The H. Yearbook, hrsg.

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v. H. CH. R. LANDON, 16 Bde. (W 1962-86); H.-Stud., Veröff. des J.-H.-Inst. Köln. hrsg. v. G. FEDER, 5 Bde. (Mn 1965-85). - 2) Briefwechsel, Dokumente, Biographien a. umfassende Darstellungen: H. CH. R. LANDON, Chronicle and Works, 5 Bde. (Lo 1976-80); J. H., Gesammelte Briefe u. Aufzeichnungen, hrsg. v. D. BARTHA (Kas 1965). - A. CH. DIES, Biographische Nachrichten von J. H. (W 1810), NA, hrsg. v. H. Seeger (B 1959, Kas 1964); G. A. GRIESINGER, Biographische Notizen über J. H. (L 1810, Nachdr. Hil 1980); G. CARPANI, Le Haydine, ovvero lettere sulla vita e le opere del celebre maestro G. H., (Padua 2 1823, NA Bologna 1969); TH. G. VON KARAJAN, J.H. in London 1791 u. 1792 (W 1861); C. F. POHL, Mozart u. H. in London (W 1867, Nachdr. NY 1971); DERS., J. H., 3 Bde. (L 1878, 1882, 1927, Nachdr. Wie 1970-71); J. SCHNERICH, J. H. u. seine Sendung (Z -L -W 1922, 2 1926); K. GEIRINGER, J.H. (Pd 1932); E. F. SCHMID, J.H. Ein Buch v. Vorfahren u. Heimatdes Meisters (Kas 1934); P. BARBAUD,J. H. inSelbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1960);1. P. LARSEN-G. FEDER, The New Grove H. (Lo 1982); J. H. in seiner Zeit. Ausstellung (Eisenstadt 1982); L. NOWAK, J.H. Leben, Bedeutung u. musikalische Schöpferkraft (Mn 1984); K. GEIRINGER, J. H. Der schöpferische Werdegang eines Meisters... (Mn - Mz 1986). -3) Zu Einzelheiten derBiographie u. Werküberlieferung: H. VON HASE, J. H. u. Breitkopf & Härtel (L 1909); A. VAN HOBOKEN, Discrepancies in H. Biographies (Washington/D.C. 1962); J. HARICH, H. Documenta, in: The H.-Yearbook 2 1963/64 (1964), 3 1965 (1966), 4 (1968), 7 (1970), 8 (1971); G. FEDER, Die Überlieferung u. Verbreitung der hsl. Quellen zu H.s Werken, 1. Folge, in: H.-Stud. 1/1 (1965); G. THOMAS, Griesingers Briefe über H. Aus seiner Korrespondenz mit Breitkopf & Härtel, in: ebd. 1/2 (1966); C.G.S. MORNER, Haydniana aus Schweden um 1800, in: ebd. II/1 (1969); G. FEDER, H. u. Eisenstadt, in: ÚMZ 25 (1970); A. MANN, Beethoven's Contrapuntal Studies with H., in: MQ 56 (1970); H. WALTER, H.s Klaviere, in: H.-Stud. 1I/4 (1970); DERS., Die biographischen Beziehungen zw. H. u. Beethoven, in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); J. HARICH, Das H.-Orch. im Jahr 1870, in: The H.-Yearbook 8 (1971); G. FEDER, J.H. als Mensch u. Musiker, in: 'DMZ 27 (1972); F. BLUME, Gibt es ein neues H.-Bild?, in: Syntagma musicologicum I1 (Kas 1973); F. H. FRANKEN, J. H.s Leben aus medizinischer Sicht, in: Wiener klinische Wochenschrift 88/13 (1976); S. GERLACH, H.s Orchestermusiker v. 1761 bis 1774, in: H.-Stud. 1V/1 (1976); J. H. u. die Lit. seiner Zeit, hrsg. v. H. ZEMAN (Eisenstadt 1976) ( = Jb. für östr. Kulturgesch.6); H. R. HOLLIS, The Musical Instruments of J.H. An Introduction (Washington/D.C. 1977); U. TANK, Die Dokumente der Esterházy-Archive z. fürstlichen Hofkapelle in der Zeit v. 1761 bis 1770, in: H.-Stud. IV/3-4 (1980); DERS.,Stud. zur Esterházyschen Hofmusik von etwa 1620 bis 1790 (Rb 1981);J. H. Tradition u. Rezeption, hrsg. v. G. FEDER U. A. (Rb 1985); Int. J. H. Kongreß Wien 1982, hrsg. v. E. BADURASKODA (Mn 1986). -4) Zu den Werken u. einzelnen Werkgruppen: F. BLUME, J. H.s künstlerische Persönlichkeit in seiněn Streichquartetten, in: Jb. Peters 38 (1931); H. WIRTH, J.H. als Dramatiker (Wb - B 1940); C. M. BRAND, Die Messen v. J.H. (Wü 1941, Nachdr. Walluf 1973); H. J. THERSTAPPEN, J. H.s sinfonisches Vermächtnis (Wb - B 1941); R. SONDHEIMER, H. A Historical and Psychological Study Based on His Quartets (Lo 1951); H. WIRTH, J.H., Orfeo ed Euridice, Analytical Notes (Boston 1951); H. CH. R. LANDON, The Symphonies of J. H. (Lo - W 1955, Suppl. 1961); DERS., H.s Marionette Operas and the Repertoire of the Marionette Theatre at Esterház Castle, in: The H.-Yearbook 1 (1962); H. WALTER, G. van Swietens hsl. Textbücher zu „Schöpfung" u. „Jahreszeiten", in: H.-Stud. 1/4 (1967); S. GERLACH, Die chronologische Ordnung v. H.s Sinfonien zw. 1774 u. 1782, in: ebd. 11/1 (1969); I. BECKERGLAUCH, Neue Forsch. zu H.s Kirchenmusik, in: ebd. 11/3 (1970); Studies in Eighteenth-Century Music. FS K. Geiringer NY 1970); A. P. BROWN, J. H.'s Keyboard Music. Sources and Style

Haydn Northwestern Univ./lll.); G. FEDER, H.s frühe Klaviertrios. Eine Unters. z. Echtheit u. Chronologie, in: H.-Stud. II/4 (1970); L. NOWAK, Die Skizzen zum Finale der Es-Dur-Sinfonie GA 99 v. J. H., in: ebd. 11/3 (1970); H. UNVERRICHT, Zur Chronologie der Barytontrios v. J. H., in: Symbolae historiae musicae. FS H. Federhofer (Mz 1971); L. HAILPARN, H. The Seven Last Words. A New Look at an Old Masterpiece, in: MR 34 (1973); W. STEINBECK, Das Menuett in der Instrumentalmusik J. H.s (Mn 1973) (= Freiburger Schriften z. Musikwiss. 4); G. THOMAS, Stud. zu H.s Tanzmusik, in: H. -Stud. II1/ 1 (1973); DERS., „Gioco Filarmonico": Würfelmusik u. J. H., in: Musicae scientiae collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973); S. WOLLENBERG, H.s Baryton Trios and the „Gradus", in: ML 54 (1973); R. BARRETT-AYRES, J. H. and the String Quartet (Lo 1974); L. FINSCHER, Stud. z. Gesch. des Streichquartetts I: Die Entstehung des klassischen Streichquartetts. Von den Vorformen z. Grundlegung durch J.H. (Kas 1974) (= Saarbrücker Stud. z. Musikwiss. 3); H. -J. HORN. FIAT LVX. Zum kunsttheoretischen Hintergrund der „Erschaffung" des Lichtes in H.s Schöpfung, in: H. -Stud. 111/2 (1974); O. MOE, Texture in H.'s Early Quartets, in: MR 35 (1974); G. FEDER, Opera seria, Opera buffa u. Opera semiseria bei H., in: Opernstud. FS A. A. ABERT (Tutzing 1975); B. WACKERNAGEL, J. H.s frühe Klv.-Sonaten. Ihre Beziehungen z. Klv.-Musik um die Mitte des 18.Jh. (ebd. 1975) (= Würzburger Musikhist. Beitr. 2); H. W IRTH, Gluck, H. u. Mozart. Drei Entführungs-Opern, in: Opernstud. FS A. A. Abert (ebd. 1975); DERS., J. H.s Symphonie mit dem Paukenwirbel. Eine Betrachtung, in: Hamburger Jb. für Musikwiss. 1 (1974); J. WEBSTER, The Bass Part in H.s Early String Quartets, in: MQ 63 (1977); G. FEDER, H.s Opern und ihre Ausg., in: Gedenkschrift G. Henle (Mii 1980). — 5) Aaadrack a. Stil: TH. G. GEORGIADES, Zur Musiksprache der Wiener Klassiker, in: Mozart-Jb. 1951, Wiederabdruck, in: Kleine Schriften (Tutzing 1977) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 26); H. WIRTH, Mozart et H., in: Les influences étrangères dans l'auvre de W. A. Mozart (P 1958); D. BARTHA, Volkstanz-Stilisierung in J. H.s Finale-Themen, in: FS W. Wiora (Kas 1967); CH. ROSEN, The Classical Style: H., Mozart, Beethoven (NY 1971); Der junge H., Wandel v. Musikauffassung u. Musikaufführung in der östr. Musik zw. Barock u. Klassik, hrsg. v. V. SCHWARZ (Gr 1972); G. FEDER, Die Eingriffe des Musikverlegers Hummel in H.s Werken, in: Musicae scientiae collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973); H. SCHENKER, H. Die Schöpfung. Die Vorstellung des Chaos, in: Zur musikal. Analyse, hrsg. v. G. Schuhmacher (Da 1974); L. SOMFAI, The London Revision of H.s Instrumental Style, in: Proc. R. Mus. Assoc. 100 (1974). — 6) Ikoaographien: L. SOMFAI, J.H. Sein Leben in zeitgen. Bildern (Kas 1966); H. CHR. R. LANDON, J. H. Sein Leben in Bildern u. Dokumenten (Wn 1981); M. Huss, J. H. Klassiker zwischen Barock u. Biedermeier (Eisenstadt 1984).

HAYDN, Johann Michael, Bruder von Joseph H., * 13. (?), getauft 14.9. 1737 Rohrau (Niederösterreich), t 10.8. 1806 Salzburg; östr. Komponist. Er studierte bei G. Reutter d. J. am Kapellhaus von St. Stephan in Wien und wurde mit 20 Jahren Kapellmeister des Bischofs von Großwardein. Im Herbst 1762 war er (zusammen mit seinem Bruder Joseph) wegen Erbschaftsangelegenheiten in Rohrau, im Winter danach in Prellburg, anschließend in Wien. Am 24.7. 1763 findet sich H.s Name erstmals in Salzburg, wo er am 14.8. 1763 von Erzbischof Sigismund von Schrattenbach als „Hofmusicus und (2.) Concertmeister" mit jährlich 300 Gulden und Gewährung der Offizierstafel (die L.

und W. A. Mozart versperrt blieb) angestellt wurde. H. wurde 1773 1. Konzertmeister, 1777 Organist an der Dreifaltigkeitskirche, 1782 als Nachfolger von W. A. Mozart 1. Hof- und Domorganist und erhielt zugleich die Klavierinstruktion am Kapell-

haus, während er als Konzertmeister entlastet wurde. Zwischen 1763-82 entstanden viele kirchenmusikalische Werke, Instrumentalmusik für die fürsterzbischöfliche Kammer und Tafel sowie zahlreiche dramatische Kompositionen (vor allem für die Bühne der Salzburger Benediktineruniversität). Aufgrund des Hirtenbriefs von Fürsterzbischof Hieronymus Colloredo (1782) stellte sich H. in den Dienst von dessen kirchenmusikalischen Reformen; 1790 erschien der 1. Teil des von diesem eingeführten deutschen Gesangbuches (Landshut 1777), von H. „vermehrt und verbessert". Für die ihm anvertrauten Kapellknaben schrieb er verschiedene liturgische Werke mit kleiner vokaler und instrumentaler Besetzung. H. starb nach 44 Dienstjahren in Salzburg, von dem er sich trotz eines vom Bruder vermittelten ehrenvollen und lukrativen Angebotes des Fürsten Esterházy nicht lösen wollte. Schon zwei Jahre nach seinem Tode wurde H. der „vielleicht größte Tonsetzer" auf dem Gebiete der (katholischen) Kirchenmusik genannt, und auch Fr. Schuberts Worte über den „ruhigen, klaren Geist" des „guten Haydn" spiegeln diese Verehrung, die das 19. Jh. bewahrte. WW: 1) Instr.-WW (meist hsl. erhalten): Einige Klv.-Stücke; 50 kleine Orgelstücke (W o.J.); Duos für V. u. Va.; Streichquartette u. Quartette für Streicher u. Bläser; Streichquintette; 3 Serenaden u. 2 Cassationen, überwiegend für Orch.; 2 Notturni für Str. u. 2 Hörner; 26 Divertimenti für Str. mit und ohne Bläser u. für Bläser allein; für Orch.: 46 Sinfonien; 5 Konzerte für verschiedene Instr.: Märsche u. Menuette. — 2) Vokal-WW: Zahlr. kirchenmusikal. WW, meist für 4 St., Instr. u. Org., darunter: 32 lat. Messen; 8 Deutsche Messen (Deutsche Hochämter); 2 Requiem, 6 Te Deum; 117 Gradualien; 45 Offertorien; 27 Responsorien für die Karwoche; 11 Salve Regina; 3 Tenebrae. — Zahlr. Gesänge u. Lieder für 3-4 Männerstimmen a tapp. mit dt. u. it. Text. — Kantaten u. Oratorien u.a. weltliche Vokalwerke. — 3) Bühnen-WW: Opern, u.a. Andromeda e Perseo (1787); Singspiele, u.a. Die Hochzeit auf der Alm (1768); Azioni sacre Rebekka als Braut (1766), Abels Tod (1778) u.a.

Im Schatten seines Bruders Joseph stehend, ist H. gleichwohl ein beachtenswerter Komponist von eigenem künstlerischem Profil und eigener Wirkungskraft. Seine Symphonien sowie die Serenaden, Divertimenti und Notturni haben in vielen Einzelzügen (u. a. in der volkstümlichen Melodik und in der Bläserbehandlung) das Instrumentalschaffen W. A. Mozarts, der H. auch persönlich freundschaftlich verbunden war, stark beeinflußt. Wegbereiter war H. auch für Mozarts Kirchenmusik bis hin zum Requiem, hier vor allem im kontrapunktischen, „gebundenen" Stil. H.s originellste Leistung 57

Haydn

bilden die Gesänge für Männerchor, die lange vor der eigentlichen Blüte dieser Gattung entstanden, und die deutschsprachige Kirchenmusik. Sie versteht sich als Gegenpol einer opernhaften Kirchenmusik im neapolitanischen Stil und kam so den Bestrebungen der katholischen Aufklärung um eine Intensivierung der Volksfrömmigkeit entgegen: dies sowohl in den deutschen Meßgesängen und Choralvespern für Soli, Chor und Orchester als auch besonders in den deutschen Singmessen und Kirchenliedern für 4st. Volksgesang mit Orgelbegleitung. Von ihnen hat H.s Deutsches Hochamt „Hier liegt vor deiner Majestät" bis in unsere Gegenwart eine weite Verbreitung gefunden. Ausg.: Instr.-Werke I, hrsg. v. L. PERGER (W 1907) (= DTÚ 29) (mit thematischem Verz. der Instr.-Werke); 3 Messen, hrsg. v. A. M. KLAFSKY (W 1915) (= DTO 45); Kirchenwerke, hrsg. v. DEMS. (W 1925) (= ebd. 62) (mit Kat. der Kirchenmusikwerke). Einzelausgaben: 1) Instr.-WW: a) Kammermusik: 3 Streichquartette, hrsg. v. H. ALBRECHT (Lippstadt 1950) ( = Organum 111/38, 40 u. 42); Divertimento à 5 G-Dur, hrsg. v. W. HOCKNER — H. MLYNARCZYK (H 1960); Divertimento D-Dur 1774, hrsg. v. L. KALMAR (Budapest 1965) (= Musica rinata 7); 5 Divertimenti sowie Quartett C-Dur für Englisch Horn, Va. u. V., hrsg. v. W. RAINER (W 1969, 1970) (= Diletto musicale 39, 273-275, 312 u. 371); Streichquartett A-Dur, hrsg. v. F. BEYER (Z 1971); 6 Streichquartette, hrsg. v. H. ZEHETMAIR (W 1974) (= Diletto musicale 331-333, 335 u. 336); Quartett F-Dur, hrsg. v. W. RAINER (W 1974); 2 V.-Duos, hrsg. v. G. SZEREDI-SAUPE (F 1976); Notturno F-Dur für 2 Hörner, 2 V., Va. u. Vc., hrsg. v. A. STRASSL (W 1977). — b) Für Orch.: Symphonien: D-Dur, hrsg. v. H. CH. R. LANDON (W 1962) (= Diletto musicale 20); C-Dur, hrsg. v. DEMS. (W 1968) (= ebd. 143); G-Dur, hrsg. v. CH. H. SHERMAN (W 1968) (= ebd. 183); A-Dur, hrsg. v. DEMS. (W 1968) (= ebd. 184); D-Dur 1774, hrsg. v. P. GoMBAs (W 1969) (= ebd. 317); C-Dur 1773 u. DDur 1788, hrsg. v. L. KALMAR (= ebd. 314 bzw. 322); C-Dur u. Es-Dur, hrsg. v. CH. H. SHERMAN (W 1977). — Konzerte: FL-Konzert 1766, hrsg. v. J. VÉCSEY (Budapest 1957, '1976); Fl.-Konzert D-Dur, hrsg. v. H. C. R. LANDON (Salzburg 1959); V.-Konzert B-Dur, hrsg. v. P. ANGERER (W 1960) (= Diletto musicale 3); Trp.-Konzert D-Dur, Klv.-A. hrsg. v. W. HASEKE (H 1965); Trp.-Konzert C-Dur Nr. 1, hrsg. v. E. H. TARR (Lo 1971); Concertino C-Dur für Clarino u. Orch., hrsg. v. CH. H. SHERMAN (W 1974); Larghetto F-Dur für Pos. u. Orch., hrsg. v. DEMS. (W 1974). — c) Für Tasteninstr.: Spielstücke für Klv., hrsg. v. P. HEILBUT (Z 1973); 50 kleine Orgelstücke, hrsg. v. J. BONFILS (P o. J.) (= L'organiste liturgique 23/24). — 2) Vokal-WW: Missa S. Crucis, hrsg. v. E. TITTEL (W 1949); Missa dolorum beatae Mariae virginis für Chor u. Org., hrsg. v. DEMS. (Düsseldorf 1962); 6 Graduale, hrsg. v. H. GRAF (Z 1964-68); Missa S. Hieronymi für Soli, gem. Chor u. Bläser mit Org., hrsg. v. CH. H. SHERMAN — M. FLOTHUIS, 2 Bde. (Columbia/Mo. 1969) .(= Accademia musicale 7), dass. (W 1969); Missa pro defunctis für Soli, gem. Chor u. Orch. mit Org., hrsg. v. CH. H. SHERMAN (Columbia/Mo. 1969) (= ebd. 8); Viderunt omnes für Chor u. Orch., hrsg. v. O. BIBA (Hilversum 1971); Ave regina für Bali, Va. solo u. Str., hrsg. v. R. MONSTER (Z 1972); Duetto pastorum Sei fröhlich, mein Isaak für Tenor, Baß, Chor, Str., 2 Hörner u. B.c., hrsg. v. O. BIBA (Altötting 1974); Deutsches Hochamt Hier liegt vor deiner Majestät, hrsg. v. R. SCHOLZ (W 1974); Wir beten Dich unendlich Wesen, hrsg. v. R. MUNSTER (Z 1975); Te Deum 1760, hrsg. v. L. KÜMMERLING (Hei 1976); Nunc dimittis 1784, hrsg. v. H.P. ECKHARDT (Kas 1976); Benedicite Dominum 1784, hrsg.

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v. L. KÜMMERLING (Hei 1977); Missa Sti. Leopoldi, Missa Sti. Aloysii, Vesper in F, Deutsches Miserere für Chor bzw. Frauenchor mit u. ohne Soli, Orch. u. Org., hrsg. jeweils v. W. REINHART, H. GRAF u. P. HAGLER (Z o. J.). Lit.: A. M. KLAFSKY, M. H. als Kirchenkomponist, in: StMw 3 (1915); H. JANCIK, M. H. (Z 1952); R. G. PAULY, M. H.'s Latin Proprium Missae Compositions (1956) (= Diss. Yale Univ.); R. HESS, Serenade, Cassation, Notturno u. Divertimento bei M. H. (Diss. Mz 1963); H. ZEHETMAIR, J. M. H.s Kammermusikwerke à quattro u. à cinque (Diss. 11965); K. PFANNHAUSER, J. M. H. u. seine „Missa Sanctae Crucis", in: Chigiana 24, N. S. 4 (1967); CH. H. SHERMAN, The Masses of J. M. H. A Critical Survey of Sources (1967) (= Diss. Univ. of Michigan); M. H. SCHMID, Die Musiksammlung der Erzabtei St. Peter in Salzburg (Salzburg 1970); R. MUNSTER, Ein eigenhändiges Gradualienverz. v. J. M. H., in: OMZ 26 (1971); M. H. SCHMID, M. H. als Autor zweier apokrypher Mozart -Lieder, in: ebd.; D. R. PETERSEN, The Te Deums of M. H., 2 Bde. (1972) ( = Diss. Univ. of Iowa); G. SCHOLZ, M. H.s Deutsches Hochamt „Hier liegt vor Deiner Majestät", in: OMZ 27 (1972); E. HINTERMALER, M. H.s Salzburger Schülerkreis, in: ebd.; G. CROLL, Miszellen zu M. H., in: ebd.; DERS., Neue Beitr. zur M. H.-Ikonographie nebst Bemerkungen zu KV 6, in: ebd.; R. SCHWALB, Die Männerquartette J. M. H.s. Nebst einem thematischen Kat. (Diss. W 1973); M. H. SCHMID, Mozart u. die Salzburger Tradition, 2 Bde. (Mn 1976); D. D. DONALDSON, The Messa della Benedicenza. A Mass by M. H. 1737-1806 (1976) (= Diss. Univ. of Missouri). G. CROLL

HAYES, Roland, *3. 6. 1887 Curryville (Georgia), t 31. 1. 1977 Boston; amerik. Sänger (Tenor). H. studierte seit 1911 bei Arthur Hubbard in Boston, wo er erstmals 1915 öffentlich auftrat. 1920 ging er nach England, studierte bei George Henschel in London Liedgesang und konzertierte in den Folgejahren besonders in Europa, in den USA (1924) und in Rußland (1928). H., der zu den bedeutendsten Liedinterpreten seiner Zeit gehört, trat auch als Sänger von Negro Spirituals hervor. Eine Sammlung von Negro Spirituals veröffentlichte er unter dem Titel My Songs (Boston 1948). H. war Ehrendoktor mehrerer amerik. Universitäten. Lit.: M. HEHN, Angel Mo' and Her Son, R. H. (Boston 1942, NY 1969).

HAYES, engl. Musikerfamilie. — 1) William, * Dezember 1707 Gloucester, t 27.7.1777 Oxford; Komponist. Er war Chorknabe an der Kathedrale von Gloucester, seit 1729 Organist in Shrewsbury, 1731 an der Kathedrale in Worcester und 1734 am Magdalen College in Oxford. 1741 wurde er Professor of Music und 1749 Doctor of Music der Universität Oxford. WW: 1) Kompositionen: Cathedral music (O o. J.); Vocal and instrumental music, 3 Teile (0 1747); Harmonia Wiccamica (Lo 1780); 4 Bücher Catches, glees, and canons für 3-5 St. (0 1757, 1765, 1773, Suppl. 1756); im Druck erschienen ferner Slgen. v. Arietten u. Kantaten. — 2) Schriftee: The art of composing by a method entirely new (Lo 1751); Remarks on Mr. Avison's essay on musical expression (Lo 1753); Anecdotes of the five music meetings, on account of the charitable foundations at church Langton (Lo 1768).

2) Philip, Sohn von 1), getauft 17.4. 1738 Oxford,

Heath

t 19.3.1797 London; Komponist. Er wurde 1763 Bachelor of Music an der Universität Oxford und 1767 Mitglied der Chapel Royal. Seit 1776 war er Organist am New College, seit 1777 am Magdalen College und seit 1790 am St. John's College in Oxford. 1777 wurde er als Nachfolger seines Vaters Professor of Music. WW: 1) Vokal-WW: Psalmen sowie Anthems (O o. J.): mehrere Bücher Catches, glees, and canons für 3-6 St. (Lo o. J.); Favourite Scots melodies (Lo o. J.); gedruckt wurden ferner zahlr. einzelne Songs. — 2) Instr.-WW: 6 Konzerte für Org., Cemb. oder Klv. (Lo 1769); 6 Sonaten für Klv. u. V. (Lo 1774). — Ph. H. gab auch Werke v. W. Boyce u. einige der oben genannten Drucke seines Vaters heraus. Ausg.: Zu 1): Orgelsonate D-Dur, hrsg. v. F. H. HOPPER (St. Louis/Mo. 1968). Lit.: Z. 1): W. BENNETT, Two Pamphlets of Dr. W. H., in: Monthly Musical Record 64 (1934); E. L. RUBIN, The English Glee from W. H. to W. Horsley, 2 Bde. (1968) (= Diss. Univ. of Pittsburgh/Pa.). — Zu 2): E. H. FELLOWES, English Cathedral Music From Edward VI to Edward VII (Lo 1941, revidiert 1969); W. SHAW, Eighteenth Century Cathedral Music (Lo 1953).

er an der Kathedrale St-Lambert in Lüttich. 1613 hielt er sich vermutlich zu weiteren Studien in Italien auf. Zwischen 1628 und 1635 ist er als Kapellmeister des Kurfürsten von Köln, Ferdinand von Bayern, nachweisbar, der auch Fürstbischof von Lüttich war und vermutlich H.s Ernennung als Kanonikus an St-Jean-l'Évangéliste in Lüttich 1631 unterstützte. 1637 erhielt er außerdem den Titel eines Superintendanten der Hofmusik des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm und Herzogs von Neuburg. H.s Werke sind frühe Zeugnisse für die behutsame Verwendung des konzertierenden Stils in der Lütticher Kirchenmusik. WW: Motetten für 2-4 St. u.B.c. (A 1640) (unvollständig erhalten), für 5 St. u. B. c. (An o. J.), für 3-5 St. (An 1646) (unvollständig); eine Missa pro defunctis für 6 St. u. B. c. sowie 7 Motetten u. 1 Ave Maria für 5-7 St. u. B.c. sind hsl. erhalten. Lit.: J. QUITIN, Sept Motets inédits de G. H., in: RBMie 4 (1950); DERS., G. H., in: MGG V; DERS., in: Beitr. z. Musik im Rhein-Maas-Raum (Kö 1957) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 19); DERS., in: Rheinische Musiker 2 (Kö 1962) (= ebd. 53).

HAYM, Gilles, /Hayne. HAYM (Haim, Aimo), Nicolo Francesco, * um 1675 Rom; t 11.8. 1729 London; it. Komponist und Librettist. H. war deutscher Abstammung und erhielt in Italien eine umfassende Ausbildung. 1694-1700 war er in Rom Violonespieler im Orchester des Kardinals Pietro Ottoboni. Kurz nach 1700 ging er nach England, wo er wenig später als Komponist und Cellist im Dienste des Herzogs von Bedford nachweisbar ist. Zusammen mit Ch. Dieupart und Th. Clayton bemühte er sich in London vor allem um die Einführung der italienischen Oper. Wichtig war in dieser Beziehung die Aufführung von A. Scarlattis Pirro e Demetrio 1708 am Drury Lane Theatre mit z. T. englischem Text, wozu H. die Ouvertüre und zahlreiche Arien hinzukomponierte. Die Ankunft Händels in London 1710 ließ die weiteren Bemühungen H.s scheitern. Nach einem kurzen Aufenthalt in Holland begann dann 1713 seine Tätigkeit als Librettist für Händel, die zu einer künstlerisch überaus glücklichen Zusammenarbeit bis 1728 führte, wie sie sich u. a. in dessen Teseo, Radamisto und Giulio Cesare auswirkte. H.s eigene Kompositionen hatten keinen anhaltenden Erfolg. WW (nur die Kompositionen): Gedruckt erschienen: die Ouvertüre und die Einlagearien für Pirro e Demetrio; Triosonaten u. Kammersonaten (Lo — A o. J.); hsl. erhalten sind eine Kantate, ein Anthem und ein Psalm. Lit.: E. DAHNK-BAROFFIO, N. H.s Anteil an Händels Rodelinde-Libretto, in: Mt 7 (1954); H. J. MARX, H., in: MGG XVI.

HAYNE (Haym, Heyne, Hennius), Gilles, getauft 29.7. 1590 Lüttich, t 28.5. 1650 ebd.; ndl. Komponist. Seine erste musikalische Ausbildung erhielt

HAYNE (Heyne, Haine, Ayne) VAN GHIZEGHEM, franko-flämischer Komponist der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts. H. wurde auf Weisung des Herzogs von Burgund 1457 Schüler des Hofsängers Constans d'Utrecht und wurde seit etwa 1467 in den Rechnungen des Hofes als Sänger und Valet de chambre, doch nie ausdrücklich als Mitglied erwähnt. 1472 nahm er im Gefolge Karls des Kühnen an der Belagerung von Beauvais teil; weitere Nachrichten fehlen. Nach zeitgenössischem Urteil zählte H. zusammen mit G. Dufay, G. Binchois, J. Ockeghem und A. Busnois zu den bedeutendsten Komponisten des 15. Jahrhunderts. Sein Name erscheint auch in der berühmten Déploration auf den Tod Ockeghems von G. Crétin (vertont von Josquin des Prés). H.s Chansons sind in ihrem Stil typisch für die ."Burgundische Schule. Zwei davon, Alez regretz und De tous biens playne waren bis ins 16. Jh. hinein außerordentlich weit verbreitet und fanden mit anderen Chansons H.s auch Aufnahme in die frühesten Sammeldrucke Petruccis. WW: Frz. Chansons für 4 St. sind hsl. erhalten, davon wurden 7 gedruckt (in RISM 1501, 1502' u. 1538'); Alez regretz ist auch überliefert in der hsl. Orgeltabulatur von L. Kleber (1524). Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. B. HUDSON (1977) (= CMM 74); die Gesänge aus RISM 1501 auch in: O. PETRUCCI, Harmonice musices odhecaton, Faks.-Ausg. (NY 1966) (= MMMLF 1/10). Lit.: O. GOMBOSI, Obrecht (L 1925) (darin 5 Stücke); K. JEPPESEN, Der Kopenhagener Chansonnier (Kop — L 1927) (darin „De tous biens playne"); J. MARIX, Les musiciens à la cour de Bourgogne (P 1939) (darin 16 Chansons); DIES., Histoire de la musique et des musiciens de la cour de Bourgogne sous le règne de Philippe le Bon (Str 1939, Nachdr. G 1972); DIES.. H. van G., in: MQ 28 (1942).

HEATH, Percy *30. 4. 1923 Wilmington (North 59

Hebenstreit Carolina); amerik. Jazzmusiker (KontrabaB). H. kam 1947 mit dem Bebop-Trompeter Howard McGhee nach New York, spielte seit 1948 bei Miles Davis, Fats Navarro und Jay Jay Johnson und seit 1950 bei Dizzy Gillespie. Seit 1954 bis zu dessen Auflösung 1974 war er Mitglied des Modern Jazz Quartet. H. gehörte zu den bedeutendsten Kontrabassisten des Jazz. In seinem Spiel hat sein Instrument auch eine melodische Funktion. Lit.: Good bye. Modern Jazz Quartet, in: J. E. BERENDT, Ein Fenster aus Jazz (F 1977).

HEBENSTREIT, Pantaleon, * 1667 Eisleben, t 15.11.1750 Dresden; dt. Violinist, Komponist und Tanzlehrer. Er wirkte an den Höfen in Eisenach und Dresden (seit 1714), zuletzt als Hofkapelldirektor der protestantischen Kirchenmusik und erlangte Bedeutung als Erfinder des Pantaleon, das er als Kunstinstrument aus dem volkstümlichen 7 Hackbrett entwickelte. Seine Kompositionen (Orchestersuiten) wurden 1945 vernichtet. Lit.: CH. G. SCHRÖTER, Umständliche Beschreibung eines neuerfundenen Klv.-Instr., in: F. W. Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst II (B 1763, Nachdr. Hil 1971); S. E. HANKS, Pantaleon's Pantaleon. An 18th Century Mus. Fashion, in: MQ 55 (1969); A. EGERLAND, Das Pantaleon, in: Mf 23 (1970); A. BERNER, H., in: MGG VI.

HEBENSTREITH, Michael, * um 1812, t nach 1850; östr. Komponist und Kapellmeister. Er schrieb die Musik zu vielen Wiener Lokalstücken, so z. B. für C. Haffner (Die Wiener Stubenmädchen), Fr. Kaiser (Dienst botenwirtschaft; Die reiche Bäckerfamilie; Das Armband) und J. N. Nestroy (Liebesgeschichten und Heiratssachen; Die

schlimmen Buben; Freiheit in Krähwinkel; Judith und Holofernes). Außerdem komponierte H. Märsche und Tänze. HECKEL, dt. Instrumentenbauer. — 1) Johann Adam, *14. 7. 1812 Adorf (Vogtland), t 13.4. 1877 Biebrich bei Wiesbaden. Nach Ausbildung als Instrumentenbauer in Adorf und kurzer Tätigkeit seit 1829 in der Instrumentenbau-Abteilung des Verlages B. Schott's Söhne in Mainz gründete er 1831 zusammen mit dem Fagottisten Karl Almenräder in Biebrich eine Blasinstrumenten-Fabrik, die sich auf die Herstellung von Klarinetten und Fagotten spezialisierte. Das von ihnen konstruierte sogenannte Almenräder-Fagott wurde der Prototyp des modernen Fagotts. Seit 1845 führte H. das Unternehmen allein fort. — 2) Ludwig Georg Otto Wilhelm, Sohn von 1), * 25. 1. 1856 Biebrich, t 14. 1. 1909 ebd. Er übernahm nach dem Tod seines Vaters die Firma und trug zu weiteren Verbesserungen des Fagotts bei. Er erweiterte u. a. den Umfang des Kontrafagotts und konstruierte 60

1904 auf Anregung von R. Strauss nach einer Idee von R. Wagner das řHeckelphon, an dessen Entwicklung auch seine Söhne Wilhelm Hermann (1879-1952) und August (1880-1914) beteiligt waren. 1924 übernahm Franz Groffy (* 3.3.1896 Boppard am Rhein), der Schwiegersohn von Wilhelm Hermann H., die Leitung der Firma, die 1948 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt wurde. Sie baut heute alle Arten von Holzblasinstrumenten. WW: Zs 2): „Der Fagott". KurzgefaBte Abhandlung über seine historische Entwicklung, seinen Bau u. seine Spielweise (Biebrich 1899, 2 1931). Lit.: L. G. LANGWILL, The Bassoon and the Double Bassoon (Lo 1947); H. BECKER, H., in: MGG VI; F. GROFFY, Kat. der Fagottslg. des Musikhist. Museums H. in Biebrich/Rhein (Wie 1969); H. HEYDE, Die Blasinstrumentenbauer Jehring (Adorf) u. Heckel (Adorf, Dresden, Biebrich), in: BzMw 19 (1977).

HECKEL, dt. Musiker- und Musikverlegerfamilie. — 1) Johann Jacob, * um 1763 Mannheim, t 16. 12. 1811 Gumpoldskirchen. Er lebte zunächst als Musikmeister in Mannheim und ließ sich später in Gumpoldskirchen nieder. Er wurde bekannt durch eine Parodie In questa tomba oscura, die den Unwillen L. van Beethovens erregte. — Von seinem Bruder Christoph stammen zahlreiche Musikerporträts, darunter auch eines von Beethoven. — 2) Karl Ferdinand, Sohn von 1), * 12. 1. 1800 Wien, t 9.4. 1870 Mannheim; als Komponist ein Schüler von J. N. Hummel, eröffnete er 1821 in Mannheim eine Musikalienhandlung, die er bald um einen Kunst- und Musikalienverlag und eine Klavierfabrik erweiterte. Als besondere verlegerische Leistung sind die Wohlfeile Ausgabe von Mozarts Opern im Klavierauszug und die Edition der ersten Taschenpartituren von Werken der Wiener Klassiker hervorzuheben. Er gab auch die Musikerporträts seines Onkels Christoph als Lithographien heraus. — 3) Emil (der Ältere), Sohn von 2), *22. 5. 1831 Mannheim, t 28.3. 1908 ebd. Er war mit seinem Bruder Karl (d. Ä.) in der väterlichen Firma tätig. Er gehörte seit 1868 zu den treuesten Gefolgsleuten R. Wagners und initiierte 1871 die Bewegung der R. Wagner-Vereine, die sich in den folgenden Jahren um die ideelle und materielle Vorbereitung der /Bayreuther Festspiele verdient machten. H. war auch ein tatkräftiger Förderer H. Wolfs, dessen Werke er 1895-1903 verlegte; besonders setzte er sich für die Uraufführung von Wolfs Corregidor (Mannheim 1896) ein. — 4) Karl (der Jüngere), Sohn von 3), * 23.6. 1858 Mannheim, t 17. 10. 1923 Fürstenfeldbruck. H. führte zunächst mit seinem Bruder Emil (dem Jüngeren) die Firma seines Vaters weiter, widmete sich aber dann ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit.

Hegel WW: Z. 1): Romanzen; Kantaten; Klavierstücke. Das Lied In (Text: G. Carpani) erschien mit dem Titel Parodia als Beitrag zu einer Sammelpublikation von T. Mollo (W 1808) mit über 60 Vertonungen des gleichen Textes von 46

questa tomba oscura

Komponisten, darunter auch Beethoven (WoO 133). — Z. 2): Stücke für Klv. u. für Gitarre; Lieder. — Zu 4): Schriften: Die Bühnenfestspiele zu Bayreuth (L 1891); Erläuterungen zu Wagners Tristan (Mannheim 1893); H. Wolf in seinem Verhältnis zu R. Wagner (Mn 1905); er gab heraus: Briefe R. Wagners an E. Heckel (B 1899). Er schrieb auch einige Dramen u. a. Dichtungen sowie Abhandlungen über F. Nietzsche u. über philosophische Fragen. Lit.: Zs 4): J.-A. BIERINGER, E. H., in: R. Wagner-Jb. 3 (1908); G. JACOB, R. Wagner, E. H. u. die Bayreuther Festspiele, in: Mannheimer Hefte (1965); R. WCRTz, 150 Jahre Kunst u. Musik, in: FS des Hauses K. F. H. (Mannheim 1971) (mit Bibliogr.). R. WURTZ

HECKEL, Wolf (Wolff), * um 1515 München; dt. Lautenist. Er lebte in Straßburg, wo er 1556 ein Lautten Buch von mancherley schönen und lieblichen stucken veröffentlichte (2 Tle.: Discantus und Tenor, Nachdr. 1562). Es enthält im Discantus-Teil Intavolierungen (für 2 Lauten und für 1 Laute) deutscher geistlicher und weltlicher Lieder (u. a. von L. Senfl), französischer Chansons und lateinischer Gesänge sowie Tanzsätze (Saltarelli, Pavanen, Passamezzi) und Gassenhauer. Der TenorTeil ist die wichtigste Quelle für den deutschen Hoftanz des 16. Jh. Werke H.s finden sich auch in mehreren hsl. Lautentabulaturen des 16. Jh. Lit.: W. BOETTICHER, H., in: MGG VI; H. M. BR0wN, Instrumental Music Printed Before 1600 (C/M 1965) (mit Angabe der Neudrucke einzelner Stücke).

HECKELPHON, eine von W. Heckel 1904 auf Anregung von R. Strauss nach einer Idee von R. Wagner entwickelte Baritonoboe aus Ahorn mit kugelförmigem Schallstück (/Liebesfuß) und starker konischer Bohrung. Der Tonumfang des Instruments reicht von H — f2 (in der Notierung eine Oktave höher) und liegt somit eine Oktave tiefer als bei der Oboe. Das H., das dank seines vollen Klanges die Gruppe der Holzblasinstrumente nach der Tiefe besser vervollständigt als das traditionell besetzte Fagott, hat sich im Orchester dennoch nicht allgemein durchsetzen können. Zu besonderen Effekten wurde es verwandt u. a. von R. Strauss (Salome und Elektra) und M. von Schillings (Moloch und Mona Lisa). HEESTERS, Johannes Marius Nicolaas, * 5. 12. 1903 Amersfoort; ndl. Sänger (Tenor) und Schauspieler. Nach einer Gesangs- und Schauspielausbildung in Amsterdam hatte er zunächst Engagements an mehreren holländischen Sprechbühnen, wechselte aber bald ins Operettenfach. 1934 sang er erstmals an der Volksoper Wien, 1936 in Berlin, wo er an der Komischen Oper, am Metropoltheater

und am Admiralspalast ebenso großen Erfolg hatte wie als Filmschauspieler (u. a. in Der Bettelstudent, 1936; insgesamt in mehr als 50 Filmen). Seitdem gehört H. zu den beliebtesten Künstlern seiner Generation. Eine seiner Glanzrollen war der Danilo in F. Lehárs Die lustige Witwe. Viele Operettenmelodien wurden vor allem durch H.s Interpretation populär, so etwa Ein Glück, daß man sich so verlieben kann und Es kommt auf die Sekunde an (aus F. Schröder, Hochzeitsnacht im Paradies). Lit.: Johannes Heesters. Es kommt auf die Sekunde an. Erinnerungen an ein Leben im Frack, nach Gesprächen aufgezeichnet v. W. ESER (Mn 1978).

HEGAR, Friedrich, *11. 10.1841 Basel, t 2. 6. 1927 Zürich; Schweizer Komponist und Dirigent. H. studierte seit 1857 am Leipziger Konservatorium, spielte gleichzeitig als Violinist im Gewandhausorchester und wurde 1860 Konzertmeister der Bilseschen Kapelle in Warschau. 1862 ließ er sich in Zürich nieder, wo er 1865-1906 die Abonnementskonzerte und 1868-1906 das Tonhalleorchester dirigierte. 1876 gründete er die Zürcher Musikschule (seit 1907 Konservatorium), deren Direktor er bis 1914 war. Durch seine vielseitigen Aktivitäten war H. eine maßgebliche Persönlichkeit des Zürcher wie insgesamt des Schweizer Musiklebens. Als Dirigent machte er vor allem die Werke J. Brahms', mit dem er befreundet war, in der Schweiz bekannt und setzte sich entschieden auch für R. Strauss ein. Von seinen zahlreichen Kompositionen wurden das Oratorium Manasse und seine Werke für Männerchor, darunter besonders die Balladen, zu Beginn unseres Jahrhunderts überaus bekannt und beliebt. H.s Brüder Emil (1843-1921) und Julius (1847-1917) waren zu ihrer Zeit ebenfalls namhafte Musiker. WW: Kammermusik, u.a. ein Streichquartett; Festival Ouverture (1895) für Orch.; Vc.-Konzert (1919); Oratorium Manasse (1885); Ahasvers Erwachen (1904) für Soli, Chor u. Orch.; Hymne an die Musik (1905) für Männerchor u. Orch.; zahlr. WW für Männerchor, darunter Totenvolk; Schlafwandel; R. von Werdenberg; 1813. Lit.: E. ISLER, F.H., in: SMZ 46 (1906); W. JERG, H., ein Meister des Männerchorliedes (Lachen 1946); E. REFARDT, Musik in der Schweiz (Be 1952); DERS., H., in: MGG VI.

HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich, *27.8. 1770 Stuttgart, t 14.11. 1831 Berlin; dt. Philosoph. H. studierte 1788-93 Philosophie und Theologie am Tübinger Stift. 1793-96 war er Hauslehrer in Bern und 1797-1800 in Frankfurt am Main, seit 1801 Privatdozent in Jena und 1808-16 Rektor des Nürnberger Gymnasiums. 1816 wurde er Professor in Heidelberg und 1818 in Berlin. Seine erstmals 1816/17 in Heidelberg, dann in Berlin mehrmals vorgetragenen Vorlesungen über Ästhetik, die 61

Hegel 1835 von H. G. Hotho aus Kollegheften und H.s eigenen Aufzeichnungen veröffentlicht wurden, gelten als „Vollendung der klassischen deutschen Ästhetik" (H. Kuhn). Die musikalische Hörerfahrung H.s reichte von der (bei A. Fr. J. Thibaut gepflegten) Vokalpolyphonie des 16. Jh. über Werke Bachs und Händels bis zur Oper zwischen Gluck und Weber und zur Symphonie der Wiener Klassik. H.s Bedeutung für die Musikästhetik gründet in seiner Theorie der schönen Künste als einer Theorie von deren Geschichtlichkeit. Der rote Faden seiner Ästhetik ist die Deutung der Kunstgattungen als geschichtliche Gestalten religiösen Bewußtseins. Die Architektur wird primär der „symbolischen Kunstform" zugeordnet, die im Morgenland der bildlosen Gotteserfahrung entsprach. Die Skulptur gehört primär der „klassischen Kunstform" der griechischen Antike an, als man sich die Götter in idealer Leiblichkeit vorstellte. Dem auf Grund heilsgeschichtlicher Erfahrung eröffneten Weg in das Innere des Menschen entspricht die seit dem christlichen Mittelalter sich ausbildende „romantische Kunstform", in der Malerei, Musik und Poesie vorherrschen. — Die Darlegung der einzelnen Künste setzt bei H. durchaus beim Material und seiner sinnlichen Gestaltung an. Im Klang teilt sich dem Bewußtsein das „Erzittern" des materiellen Körpers -mit, wie auch das Bewußtsein selbst zur Lautäußerung gedrängt wird, wenn es unter der Macht einer Empfindung in sich „erzittert". Die innere Bewegtheit, die in Klang und Stimme sich nur ankündigt, kann durch deren sinnliche Gestaltung (rhythmisch und diastematisch) zu einer „Innerlichkeit" entfaltet werden, die ohne jegliches äuBeres Vorbild ist: „abstrakte Subjektivität" bzw. „das Selbst ohne weiteren Inhalt" als dem der Grundakte des Strebens, Fühlens und Denkens, die im Klanggeschehen als Qualitäten der Bewegung, der Gefühlsfarbe und der rationalen Formung erfahrbar werden. Voraussetzung dafür ist, daß der Dimension der Tondauern und der der Tonhöhen die Struktur der Subjektivität eingeprägt ist: die Momente der Identität, des Unterschieds und der Einheit von Identität und Unterschied prägen sowohl die Taktordnung, die in den Unterschieden von Dauer und Bewegung Einheit herstellt, wie auch das Verhältnis der Töne und Akkorde „in ihrem Zusammenstimmen, ihrer Entgegensetzung und Vermittlung". (Aus diesen Momenten entfaltete M. Hauptmann 1853 seine Theorie der Harmonik und Metrik.) Das Verhältnis der Melodik zu harmonischen und metrischen Normen beschreibt H. als Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit. 62

Wenn in „abstrakter Subjektivität" das Reale, von dem sie sich löst, noch nachklingt, so müssen auch in absoluter Musik Inhalte des geschichtlich „objektiven Geistes" einen Reflex finden. H. sieht diesen Reflex in seelischen Gehalten, die in musikalischer Formung erfahrbar werden, in Bewegungs- und Gefühlsqualitäten, im Ausdruck von Stimmungen und Haltungen, in symbolischer Anspielung. Steht von dem religionsgeschichtlichen Modell her die religiöse Vokalmusik im Zentrum der romantischen Kunstform, so weist H.s Beschreibung der reinen Instrumentalmusik als Loslösung von substantiellem Gehalt und „allgemeinmenschlichem Kunstinteresse" auf seinen berühmten Satz vom Ende der Kunst. — Sieht man von der H.-Nachfolge etwa F. Th. Vischers ab, so ist nach der Mitte des 19. Jh. die H.sche Ästhetik kaum mehr diskutiert worden. Eine Auseinandersetzung fand erst wieder in der neueren phänomenologischen, hermeneutischen und marxistischen Ästhetik statt. Ausg.: G.W.F. H., Vorlesungen über Ästhetik, mit Einleitung hrsg. v. R. BUBNER (St 1971) (= Reclam Universal-Bibl. 7976 bis 7985). Lit.: A. STEINKRÜGER, Die Ästhetik der Musik bei Schelling u. H., Ein Beitr. zur Musikästhetik der Romantik (Diss. Bonn 1927); H. KUHN, Die Vollendung der klass. dt. Ästhetik durch H. (B 1931), auch in: DERS., Schriften zur Ästhetik (Mn 1966); W. WIORA, Einsichten H.s in das Wesen der Musik, in: FS H. Besseler (L 1961); H. HEIMSOETH, H.s Philosophie der Musik (Bonn 1964); M. LICHTENFELD, Gesamtkunstwerk u. allgemeine Kunst. Das System der Künste bei Wagner u. H., in: Beitr. z. Gesch. der Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen (Rb 1965) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 1); H.-Jb., hrsg. v. W. R. BEYER (Meisenheim 1965) (mit Beitr. v. G. Brelet, Z. Lissa, F. Neumann, J. Ujfalussy u. a.); C. DAHLHAUS, Musikästhetik (Kö 1967); W. HENCKMANN, Bibliogr. zur Ästhetik H.s, in: H.-Stud. 5 (Bonn 1969); D. ZOLTAI, Ethos u. Affekt. Geschichte der philosophischen Musikästhetik v. den Anfängen bis zu Hegel (B 1970); TH. W. ADORNO, Ästhetische Theorie (= Gesammelte Schriften VII) (F 1971); G. MAYER, H. u. die Musik, in: BzMw 13 (1971); A. NOWAK, H.s Musikästhetik (Rb 1971) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 25); W. WANSLOW, Die Ästhetik H.s u. seine Lehre v. der Musik, in: Kunst u. Lit. 21 (1973). A. NOWAK

HEGER, Robert, *19. 8. 1886 Straßburg, t 15. 1. 1978 München; dt. Dirigent und Komponist. Er studierte Komposition und Dirigieren in Straßburg, Zürich und in München (bei M. von Schillings). Seit 1907 wirkte er als Theaterkapellmeister in Straßburg, Ulm, Wien (Volksoper), Nürnberg und München (Staatsoper) und 1925-33 an der Staatsoper in Wien, wo er gleichzeitig Konzertdirigent der Gesellschaft der Musikfreunde war. 1933 wurde er in Berlin Preußischer Staatskapellmeister an der Staatsoper und leitete seit 1935 eine Meisterklasse für Operndirigieren an der Staatlichen Hochschule für Musik. 1945-50 war er 1. Kapellmeister an der

Heifetz

Städtischen Oper in Berlin, seit 1950 an der Staatsoper in München (bis 1956) und Präsident der Staatlichen Hochschule für Musik (bis 1954). H. galt als bedeutender Wagner-Interpret. Zu den Höhepunkten seiner Dirigentenlaufbahn gehörten die Meistersinger-Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen 1964. WW: 1) Instr.-WW: Kammermusik, u. a. Trio für V., Vc. u. Klv. (1908); Streichquartett De profundis (1949). — Für Orch.: 3 Symphonien (1921/22, 1928, 1942/43); Variationen über ein Thema aus Verdis Maskenball (1933); Vc.-Konzert (1964); Don Carlos Variationen (1964). — 2) Vokal-WW: Ein Friedenslied (nach Bibeltext) für 4 Soli, Chor, Orch. u. Org., UA: München 1924; Te Deum für 2 Soli, Chor u. Orch., UA: ebd. 1971. — 3) BihnenWW: Opern (auf eigene Libretti): Ein Fest auf Haderslev, UA: Nürnberg 1919; Der Bettler Namenlos, UA: München 1932; Der verlorene Sohn, UA: Dresden 1936; Lady Hamilton, UA: Nürnberg 1951; Tragödie der Zwietracht (1972), hsl., nicht aufgeführt. — 4) Schriften: H. Pfitzners Stellung in der Musikgesch., in: Mitt. der H. Pfitzner-Ges. (1961) Nr. 8; H. Pfitzner u. unsere heutige Zeit, in: ebd. (1964) Nr. 12. Lit.: J. HERRMANN, R.H. 70 Jahre, in: Musica 10 (1956); L. SCHROTT, Ein Meister als Paladin H. Pfitzners, in: Mitt. der H. Pfitzner-Ges. (1966) Nr. 17; W. ZENTNER, Dirigent u. Komponist R. H. fünfundachtzig Jahre, in: Musica 25 (1971).

HEGNER, Anna, * 1.3. 1881 Basel, t 3.2. 1963 ebd.; Schweizer Violinistin. A. H. studierte bei H. Heermann in Frankfurt a. M., wo sie 1904-08 Violinlehrerin am Hoch'schen Konservatorium war. 1911-12 leitete sie in Freiburg i. Br. ein Streichquartett und konzertierte außerdem in europäischen Ländern, u. a. in England, wo sie ihren ersten öffentlichen Erfolg hatte und u. a. 1923 an der Queen's Hall in London in einem Zyklus von 5 Konzerten auftrat. Zu ihren Schülern gehörte P. Hindemith. HEIDELBERGER LIEDERHANDSCHRIFT, Manessische Handschrift (Heidelberg, Univ.-Bibl., Cod. pal. germ. 848), die wohl umfangreichste und prächtigste Sammelhandschrift mittelhochdeutscher Lyrik, die nach ihrem heutigen Aufbewahrungsort bzw. nach dem Züricher Ratsherrn Rüdiger Manesse (t 1304) — einem Sammler alter Liederbücher — benannt ist. Auch als Große H. L. bezeichnet, wird sie von der Kleinen H. L. (Heidelberg, Univ.-Bibl., Cod. pal. germ. 357), einer aus dem Elsaß stammenden Handschrift des 13. Jh., unterschieden. Sie entstand wahrscheinlich Anfang des 14. Jh. in Zürich und enthält auf 426 Pergamentblättern — neben 138 ganzseitigen Miniaturen — Lieder, Leiche und Sprüche von 140 namentlich genannten Autoren (u. a. Reinmar der Alte, Heinrich von Morungen, Walther von der Vogelweide, Neidhardt von Reuenthal, Heinrich von Meißen). Die Ordnung des Inhalts wird bestimmt durch ein mittelalterlichen Ordo-Vorstellungen entsprechendes ständisch-hierarchisches Prinzip.

Die Handschrift überliefert keine Melodien; einige lassen sich jedoch mit Hilfe anderer Quellen bzw. aus Kontrafakturen erschließen. Wertvolle Hinweise zur musikalischen Aufführungspraxis des Mittelalters geben dagegen einige Miniaturen: z. B. zeigt die Miniatur zu Heinrich von Meißen (fol. 399r) ein Instrumentalensemble aus Fiedel, Schwegel, Schalmei, Sackpfeife und Päuklein. Ausg: Die Manessische Lieder-Hs., Faks.-Ausg. hrsg. v. R. SILLIP — F. PANZER — A. HASELOFF (L 1929). Lit.: Des Minnesangs Frühling II, hrsg. v. H. MOSER — H. TERVOOREN II (St 761977); E. JAMMERS, Die sangbaren Melodien zu Dichtungen der Manessischen Lieder-Hs. (Wie 1979). H. TERVOOREN

HEIDER, Werner, *1. 1. 1930 Fürth (Bayern); dt. Komponist. H. studierte an der Musikhochschule München Klavier, Dirigieren und Komposition (K. Höller) und ist seit 1949 als freischaffender Musiker tätig. 1963 gründete er in Erlangen das Ensemble „Kammermusik + Jazz" und 1968 beim Studio Nürnberg des Bayerischen Rundfunks ein Jazz-Collegium. 1956-67 war er als Stipendiat in Rom. H., der Einflüsse von Strawinsky bis Stockhausen aufnahm, fand für seine Werke stilistische Eigenlösungen, die stets auch den Aufführungspraktiker verraten und teilweise auch von pädagogischen Aspekten bestimmt sind. WW: 1) Instr.-WW: Für kleine Besetzung: Inventio 1 (1962) für V. solo; Inventio 11 (1962) für Klar. solo; Inventio III (1966) für Cemb.; Katalog(1966) für Blockflötenspieler; Katalog (1966) für einen Vibraphonspieler; Landschaftspartitur (1969) für Klv. — Passatempo per 7 solisti (1967); Musik im Diskant (1970) für Sopranino-Blockfl., Cemb. u. Schlagzeug; Kunst-Stoff (1971) für Elektroklar., Prepared Piano u. Tonband.—Fürgrößere Besetzung: Konflikt (1963) für Schlagzeugensemble u. Orch.; Konturen (1962) für V. u. Orch.; Strophen (1965) für Klar. u. Kammerorch.; — da sein — Musik für 20 Bläser (1966); Edition (1969) für Kammerorch.; Bezirk (1969) für Klv. u. kleines Orch.; Pyramide (1971) für Kammerorch.; Plakat (1974) für Orch. — 2) VokalWW: Glimpses (1958) für Sopran, Klv. u. Orch.; Picasso-Musik (1966) (Text: P. Picasso) für SingSt u. 3 Instr.; Stundenbuch (1972) für 12 St. u. 12 Bläser; Der Läufer für Chor a cap., UA: Kirchheim 1980. — 3) Bähneo-WW: Ballett Modelle (1964) für Tänzer, Instr., Texte u. Bilder, UA: Kiel 1965. Lit.: E. LIMMERT, Vielseitig zwischen Jazz u. Aleatorik. Ein Porträt des Komponisten W. H., in: Musica 24 (1970).

HEIFETZ, Jascha, *2. 2. 1901 Wilna; amerik. Violinist russ. Herkunft. Er war Schüler seines Vaters Ravin H., dann von E. Malkin und in St. Petersburg von L. Auer und unternahm seit 1912 Konzertreisen nach Deutschland, Österreich und Skandinavien. 1917 übersiedelte er in die USA, wo er noch im selben Jahr in der Carnegie Hall auftrat. Seither konzertierte er in der ganzen Welt, und zeitweilig auch im Klaviertrio mit A. Rubinstein und G. Piatigorsky. 1925 erhielt er die amerikanische Staatsangehörigkeit. 1959 wurde er Professor für Violine an der University of California. H. gilt als einer der be63

Heiller deutendsten Violinisten des 20. Jahrhunderts. Mehrere Komponisten, darunter W. Walton und L. Gruenberg, widmeten ihm Violinkonzerte. H. schrieb Violin-Bearbeitungen, von denen die Hora staccato von G. Dinicu sehr bekannt wurde. Lit.: N. HIRSCH, J. H., l'empereur du violon, in: Musica (Disques) (1962) Nr. 102; J. W. HARTNACK, Große Geiger unserer Zeit (Gütersloh 1968); H., hrsg. v. H. R. AXELROD (Neptune/ N.J. 1976).

HEILLER, Anton, *15.9. 1923 Wien, t 25.3. 1979 ebd.; östr. Organist und Komponist. H. studierte Klavier, Orgel und Komposition an der Musikakademie Wien, wo er seit 1945 eine Orgelklasse leitete (1971 Professor). Seit 1939 machte ersichals Orgelvirtuose, insbesondere als Bach-Interpret, einen Namen und trat auch als Cembalist und Dirigent hervor. Seine Kompositionen weisen Einflüsse der Gregorianik und der alten Niederländer, ebenso auch zeitgenössischer Komponisten, u. a. von J. Lechthaler und Fr. Martin, auf, die er in einen persönlich geprägten polyphonen Stil umgesetzt hat. Seine auf tonaler Harmonik beruhende Vokalmusik ist durch eine enge rhythmisch-metrische Verbindung von Wort und Ton gekennzeichnet. WW: 1) l[nstr.-WW: Für Org.: Sonaten u. Partiten; In festo corporis Christi (1957); Konzert für Org. u. Orch. (1963); Fantasia super „Salve regina" (1966); Meditation Ecce lignum crucis (1967). — 2) Vokal-WW: Choralmotette Ach, wie nichtig, ach, wie flüchtig (1946); Kammeroratorium Tentatio Jesu (1952) für Tenor, Ball, Chor u. 2 Klv.; Te Deum (1953) für gem. Chor u. Org. (auch mit Bläsern u. Pauken); Psalmenkantate (1955) für Soli, Chor u. Orch.; 4 geistliche Motetten a cap. (1960); 10 Messen, u. a. Missa super modos duodecimales (1960) für gem. Chor u. 7 Instr. ; Deutsches Ordinarium (1965) für gem. Chor u. Orch.; 37. Psalm für Chor u. Orch. (1963); Kantate In principio erat verbum (1965) für Tenor, gem. Chor, Orch. u. Org.; Stabat mater für gem. Chor u. Orch. (1968); Adventsmusik (1971) für Chor u. Org.; Passionsmusik (1975) für Kinderchor u. Org. Lit.: R. KLEIN, A. H. auf dem Wege zur Psalmen-Kantate, in: Č)MZ 10 (1955); H.-E. BACH, Zur „Missa super modos duodecimales" v. A. H., in: MS 84 (1964); H. WIENINGER, A. H., Choralmotette „Ach, wie nichtig, ach, wie flüchtig", in: Musikerziehung 21 (W 1967/68); F. KAUFMANN, Wie studiere ich mit meinem Chor das deutsche Ordinarium v. A. H., in: MS 91 (1971).

gelegt. Die musikalischen Ausdrucksmittel sind so verfeinert, daß die Personencharaktere und Affekte differenziert herausgearbeitet werden können. Das Libretto ist in der Ereignisfolge um die Heimkehr des Odysseus streng an Homers Epos orientiert, doch entwarf Badoaro eine Handlung auf drei Ebenen: Disput der Schicksalsmächte; Götterhandel, der über das Geschick der Menschen entscheidet; szenische Entwicklung auf der Ebene der Menschen. In diesem Handlungsrahmen schrieb Monteverdi eine facettenreiche musikalische Personencharakteristik, bei der der Rolle des Odysseus die vielseitigste Partie zugewiesen ist, während Penelope auch musikalisch als die standhafte und treue Gemahlin charakterisiert wird. Zu diesen beiden Hauptfiguren tritt nahezu gleichberechtigt der Schweinehirt Eumet, dessen Ariosi durch volkstümliche Liedelemente die folkloristische Komponente des Werkes repräsentieren. Intermezzoartig eingeschobene komische Dienerszenen kennzeichnen die Struktur dieses für seine Zeit hochmodernen Musikdramas. Bereits in diesem Werk entschied sich Monteverdi für ein Finalduett (wie später in der Krönung der Poppaea), doch ist es hier zweiteilig mit eng verzahnten Dialogpartien und einem nachfolgenden Simultanteil als jubelnder Höhepunkt und Abschluß der Wiedererkennens-Szene zwischen Odysseus und Penelope und der ganzen Oper angelegt. — Die musikalischen Quellen weisen die Oper als fünfaktig aus; dennoch wird heute allgemein eine dreiaktige Version nach einer im 20. Jahrhundert gefundenen revidierten Wiener Fassung gespielt, für die jedoch eine zeitgenössische Aufführung nicht belegt ist. Für die Rezeptionsgeschichte des Werkes wurden die konzertante Wiederaufführung am 9. 1. 1925 in Brüssel und die szenischen Bearbeitungen von Erich Kraack, Peter Hall (in Glyndebourne 1973) und Nikolaus Harnoncourt (Wiener Festwochen 1971 und zusammen mit Jean-Pierre Ponelle in Zürich 1977) bedeutsam. J. SCHLÄDER

H. LINDLAR

HEIMKEHR DES ODYSSEUS, DIE (Il ritorno d'Ulisse in patria), Dramma in musica in einem Prolog und 5 Akten von Claudio Monteverdi (1567-1643), Text von Giacomo Badoaro nach Homers Odyssee. Ort der Handlung: Ithaka, die Heimat des Odysseus. UA: Februar 1641 in Venedig (Teatro di San Cassiano), dt. EA (in dt. Sprache): 1965 in Hamburg. Der neue musikdramatische Stil, der die Operngestaltung der folgenden 100 Jahre prägte und den Monteverdi in der Krönung der Poppaea (1642) resümierend vorführte, ist in dieser Oper bereits an64

HEIMLICHE EHE, DIE (Il matrimonio segreto), Opera buffa in 2 Akten von Domenico Cimarosa (1749-1801), Text von Giovanni Bertati nach G. Colmans und D. Garricks Lustspiel The Clandestine Marriage (1766). Ort u. Zeit der Handlung: Bologna im 18. Jh.; UA: 7.2. 1792 in Wien (Burgtheater); dt. EA: 20.6. 1792 in Leipzig; EA in dt. Sprache: 5.11. 1792 in Berlin. Der Erfolg dieser berühmtesten Oper Cimarosas (er schrieb über 70 Bühnenwerke) gründet zum einen in der Schlüssigkeit des Librettos, denn Bertati kommt trotz deutlicher Anlehnung an die tradierte italienische Intrigenkomödie ohne Verkleidungs-

Heinichen und Verwechslungsszenen aus, zum andern in der überzeugenden musikdramatischen Gestaltung, die offensichtlich an Mozarts Hochzeit des Figaro orientiert ist. Die Bühnenhandlung ist weitgehend in die Duette und größeren Ensembles verlegt, die im Nummernplan des Werkes gegenüber den Arien überwiegen. Träger des musik-dramatischen Ausdrucks sind die Sänger: die Singstimmen dominieren, während der Orchesterklang als dezente Begleitung zurückgenommen wird. Sanglichkeit und einprägsame Melodik sind ebenso kennzeichnend für den Stil des Werkes wie zahlreiche ParlandoPartien in den Dialogen, die auf Werke von Rossini und Donizetti vorausweisen. — Die Oper entstand als Auftragskomposition für Kaiser Leopold II. Sie war und ist in ganz Europa ungewöhnlich erfolgreich. Schon am Abend des UA -Tages mußte sie auf Befehl des Kaisers komplett wiederholt werden. Berühmtheit erlangte in unserer Zeit die Inszenierung von Giorgio Strehler zur Eröffnung der Piccola Scala in Mailand am 26. 12. 1955. J. SCHLÄDER HEINE, Heinrich, * 13. 12. 1797 Düsseldorf, t 17.2. 1856 Paris; dt. Dichter. H. studierte Jura in Bonn, Göttingen und Berlin, ohne aber sein Studium abzuschließen. 1831 ging er als Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung nach ,Paris, wo er bis zu seinem Tod blieb. H.s Musikkritiken und -feuilletons, die, wenn auch nicht von der gleichen musikalischen Kennerschaft geprägt, in ihrer literarischen Wirkung auf den Musikjournalismus denen E. Th. A. Hoffmanns vergleichbar sind, lebten von der persönlichen Begegnung mit den Größen des Berliner und Pariser Musiklebens, darunter G. Meyerbeer, F. Mendelssohn Bartholdy, V. Bellini, H. Berlioz, G. Rossini, G. Donizetti, R. Wagner, F. Hiller, Fr. Chopin und Fr. Liszt. Musikgeschichtlich bedeutsam wurden die überaus zahlreichen Vertonungen seiner Gedichte, besonders aus dem Buch der Lieder, das außerordentlich rasch internationale Verbreitung fand. Zu den Komponisten von H. -Gedichten gehören u. a. Fr. Schubert, R. Schumann, R. Franz, F. Mendelssohn Bartholdy, G. Meyerbeer, J. Brahms, F. Hiller, E. Grieg, Fr. Liszt, R. Wagner, M. Moussorgski, P. Tschaikowsky und A. Rubinstein, in neuerer Zeit O. Schoeck, M. Castelnuovo-Tedesco und H. Eisler. Volkstümlich wurde Fr. Silchers Vertonung von Ich weiB nicht, was soll es bedeuten. Schriften (Musikkritiken): Boucher, der Sokrates der Violonisten (1821); Briefe aus Berlin (1822); A. Methfessel (1823); F. Hillers Konzert (1831); Meyerbeers Hugenotten (1836); Über die frz. Bühne (1837); Lutetia (Nrn. 12, 33, 43, 55, 56) und einiges aus dem Anhang (1840-44); Pariser Musikbrief (1847). Ausg.: Zeitungsberichte über Musik und Malerei, hrsg. v. M. MANN (F 1964).

Lit.: F. HILLER, Aus dem Tonleben unserer Zeit (L 1868), 2 Bde., N.F. (1871); F. HIRTH, Wagner, Meyerbeer u. H., in: Das goldene Tor 5 (1950); H. BECKER, Der Fall H.— Meyerbeer (B 1958); J. MITTENZWEI, Musikal. Inspiration in H.s Erzählung „Florentinische Nächte" u. die Auffassung des Dichters über das „Zeitalter der Musik", in: Das Musikalische in der Lit. (H11962); F. D. STOVALL, Schubert's H. Songs. (Austin 1967) (= Diss. Univ. of Texas); A. SCHNEIDER, R. Schumann u. H.H. Eine hist.-ästhetische Unters. anhand der Vertonungen mit Berücksichtigung einiger Probleme der Liedanalyse (1970) (= Diss. Berlin); M. MANN, H. H.s Musikkritiken (H 1971) (= H.-Stud. 1); A. ECKHOFF, „Dichterliebe". H. H. im Lied. Ein Verz. der Vertonungen... (H 1972); L. PROx, Wagner u. H., in: DVfLG 46 (1972); E. KLUSEN, H. H. u. der Volkston, in: Zschr. für Volkskunde 69 (1973); J. RUDOLPH, Bemerkungen zum Thema H. H. u. die Musik, in: FS E. H. Meyer (L 1973). R.CADENBACH

HEINICHEN, Johann David, * 17.4.1863 Krössuln bei Weißenfels, t 16.7.1729 Dresden; dt. Komponist und Musiktheoretiker. Nach dem Besuch der Thomasschule in Leipzig studierte er seit 1702 Jura an der dortigen Universität. 1705 wurde er Advokat in Weißenfels, widmete sich dann aber, 1709 nach Leipzig zurückgekehrt, nur noch der Musik. Vorübergehend in Leipzig, Naumburg und Zeitz tätig, reiste er 1710 nach Italien, wo er besonders von A. Vivaldi Anregungen empfing. Mehrere seiner Opern wurden erfolgreich in Venedig aufgeführt. 1716 wurde er Kapellmeister für die Kirchen und Kammermusik am Hof in Dresden. WW (ausschließlich hsl. erhalten, meist in Dresden, einzelne Stücke auch als Bsp. in den theoretischen Werken): 1) Instr.-WW: Einige Sinfonien u. Suiten; zahlr. Solokonzerte u. Concerti grossi; Solo- u. Triosonaten u. a. kammermusikal. Werke; einzelne Klv.u. Orgelwerke. — 2) Vokal-WW: Zahlr. Messen u. Messensätze, 2 Requiems, Te Deum, Lamentationen, Litaneien, Hymnen, Pm., dt. u. lat. Motetten u. Kantaten; Serenaden u. Festmusiken; zahlr. it. Solokantaten, meist mit Instr. — 3) Bühnen-WW: Opern: Paris und Helena, UA: Naumburg 1710; Le passioni per troppo amore u. Calfurnia, UA: Venedig 1713. — 4) Theoretische WW: Neu erfundene u. gründliche Anweisung... zu vollkommener Erlernung des General -Basses (H 1711); Der General-Baß in der Composition (Dresden 1728).

Von den mehreren hundert, überwiegend hsl. überlieferten Kompositionen ist der umfangreiche Komplex der Kirchenmusik (Messen, Motetten, Oratorien, Hymnen u. a.) wissenschaftlich noch nicht ausgewertet. H.s Opern sind stark dem Zeitgeschmack unterworfen. Bedeutsamer sind seine italienischen Kantaten mit ihrer kantablen Führung der Solostimme und den sorgfältig dem Sprachduktus folgenden Rezitativen. In der Orchester- und Kammermusik fand er ein dankbares Experimentierfeld für formale und instrumentatorische Versuche, die ihn als frühen Wegbereiter der Instrumentalmusik zur Zeit der Wiener Klassik kennzeichnen. Von seinen theoretischen Schriften gehört Der General-BaB in der Composition (Dresden 1728) zu den bedeutendsten deutschen Kompositionslehren seiner Zeit. Sie ist zugleich 65

Heinitz eine der letzten zusammenfassenden Darstellungen der Figurenlehre (>'Figuren), stellt aber auch Elemente des ?galanten Stils als neues Kompositionsideal heraus. Ausg.: Konzert C-Dur für 4 Fl., in: Gruppen-Konzerte der Bachzeit, hrsg. v. K.M. KOMMA (1938) (= EDM 11) (Nachdr. Wie 1962); Konzert G-Dur, hrsg. v. H. FISCHER (B 1938); Concerto grosso, hrsg. v. R. ENGLÄNDER (Lo 1955); Concerto à 8 C-Dur, hrsg. v. I. HECHLER (Celle 1960); Konzert D-Dur für V. u. Str., hrsg. v. A. HOFFMANN Wb 1961) (= Corona 58); Konzert für Fl., V., Theorbe u. Str., hrsg. v. G. HAUSSWALD (Z 1967); Sonate D-Dur, hrsg. v. DEMS. (Dresden 1949); Sonate c-moll für Ob. u. Fag., hrsg. v. H. STEINBECK (Wie 1961); Sonate D-Dur für Fag. u. Gb., hrsg. v. G. ANGERHOFER (L 1967); Triosonate, hrsg. v. G. HAUSSWALD (L 1951); Triosonate c-moll, hrsg. v. H. WINSCHERMANN (H 1963); Triosonaten c- u. e-moll, hrsg. v. K. JANETZKY (Hei 1968, 1970); Sanctus für Chor u. Orch., hrsg. v. H. O. KOCH (Hilversum 1969); Nisi Dominus aedificaverit domum für Sopran, Ob. u. B.c., hrsg. v. K. JANETZKY (L 1978); Der General-BaB in der Composition, Faks.-Nachdr. (Hil 1969). Lit.: G. A. SEIBEL, Das Leben des Hofkapellmeisters J. D. H. (L 1913, Farnborough 2 1969); R. TANNER, J. D. H. als dramat. Komponist (L 1916); G. HAUSSWALD, J. D. H.s Instrumentalwerke (Wb 1937) (mit thematischem Werk-Verz.); I. BECKERGLAUCH, Die Bedeutung der Musik für die Dresdner Hoffeste (Kas 1950); P. BENARY, Die Kompositionslehre des 18. Jh. (L — Wie 1961); G. J. BUELOW JUNIOR, H.'s Treatment of the Dissonance, in: JMTh 6 (1962); DERS., The Full Voices Style of Thorough-Bass Realization, in: AMI 35 (1963); DERS., Thorough-Bass Accompaniment According to J. D. H. (Berkeley / Calif. 1966) (mit engl. Teilübers. v. „Der General-BaB in der Composition"); DERS., The „Loci topici" and Affect in Late Baroque Music, in: MR 27 (1966); R. DAMMANN, Der Musikbegriff im dt. Barock (Kö 1967); E. SCHMITZ, Die Messen J. D. H.s (Diss. H 1967). L. HOFFMANN-ERBRECHT

HEINITZ, Wilhelm, *9. 12. 1883 Altona, t 31.3. 1963 Hamburg; dt. Musikforscher. Er war zunächst Fagottist in in- und ausländischen Orchestern, seit 1915 Musikberater am Phonetischen Laboratorium des Instituts für afrikanische und Südseesprachen an der Hamburger Universität. 1920 promovierte er an der Universität Kiel, habilitierte sich 1931 an der Universität Hamburg, wurde 1935 Professor und gründete dort die Forschungsabteilung für Vergleichende Musikwissenschaft, die er bis 1949 leitete. Schriften: Instrumentenkunde (Pd 1929); Strukturprobleme in primitiver Musik (L 1931); Neue Wege zur Volksmusikforsch. (H 1937); Taktprobleme in J. S. Bachs „Wohltemperiertem Klavier", in: FS M. Schneider (L 1955); Physiologische Beobachtungen zur Werk-Asthetik F. Chopins, in: Kgr.-Ber. Warschau 1960 (War 1963); Zeitgemäße Aufführungsprobleme, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963). Lit.: W. VETTER, Dem Gedenken an W. H., in: Mf 16 (1963).

HEINRICH, Anton Philipp, *11. 3. 1781 Schönbüchl bei Rumburg (Böhmen), t 3.5. 1861 New York; amerik. Komponist. Er wanderte 1810 in die USA aus, wo er zunächst in Kentucky, später u. a. in Philadelphia, Boston und zuletzt in New York 66

seinen Lebensunterhalt als Violinist und Violinlehrer verdiente. 1820 veröffentlichte er mit dem Sammelband The Dawning of Music in Kentucky seine ersten Vokal- und Instrumentalstücke. Mehrere Reisen führten ihn später wieder nach Europa. In London spielte er als Violinist u. a. im Orchester des Drury Lane Theatre. 1842 war er einer der Gründer der New York Philharmonic Society. H., der keinerlei musikalische Ausbildung erhalten hatte, wurde von zeitgenössischen amerikanischen Kritikern als „Beethoven of America" bezeichnet. Er gehört zu den ersten amerikanischen Komponisten, die in symphonischen Werken Themen indianischer Musik verwendeten, so u. a. in der Fantasie Pushmataha (1831). WW: KIv.-Stücke u. Kammermusik; Sig. mit Vokal- u. Instr.Werken The Dawning of Music in Kentucky (Bardstown/Ky. 1820); zahlr. Orch.-Werke, u. a.: Pushmataha, a Venerable Chief of a Western Tribe of Indians (1831); Grand American Chivalrous Symphony (1835); Pocahontas, the Royal Indian Maid ... (1837); ferner Lieder u. Oratorien. Lit.: W.T. UPTON, A. Ph H. (NY 1939, Nachdr. 1967); I. LOWENS, The Triumph of A. Ph. H., in: Musicology 2 (1948), erweiterter Abdruck, in: Music and Musicians in Early America (NY 1964).

HEINRICH V., König von England, *9. 8. 1387 Monmouth, t 31.8. 1422 Bois de Vincennes bei Paris. H., der selbst mehrere Musikinstrumente spielte, vergrößerte die Zahl der Musiker der Chapel Royal in beträchtlichem Maße. Sie erlangte in seiner Regierungszeit durch seine unmittelbare tatkräftige Förderung europäischen Ruhm. Bei vielen Ereignissen in H.s Leben spielte Musik eine herausragende Rolle (>'Großbritannien). Das wichtigste Zeugnis dafür und zugleich die früheste umfassende Quelle für die englische Mehrstimmigkeit ist das /Old Hall Manuscript. Es enthält auch 2 3st. Messesätze von H.; erhalten ist ferner der Tenor eines Kyrie. Ausg.: Gloria u. Sanctus für 3 St., in: The Old Hall Manuscript, hrsg. v. A. RAMSBOTHAM — H. B. COLLINS — A. HUGHES, 3 Bde. (Lo 1933-38). Lit.: J. MARIX, Histoire de la musique et des musiciens de la Cour de Bourgogne sous le règne de Philipp le Bon (Str 1939); M. BUKOFZER, Studies in Medieval and Renaissance Music (Lo 1951); B. L. Trowell, H. V., in: MGG VI.

HEINRICH VIII., König von England, * 28.6. 1491 Greenwich bei London, t 28.1. 1547 London. H. erhielt eine umfassende musikalische Ausbildung und spielte u. a. Virginal, Orgel und Flöte. Nach seiner Thronbesteigung 1509 wurde die Chapel Royal die bedeutendste musikalische Institution Englands und sein Hof eines der wichtigsten musikalischen Zentren Europas. Hier wirkten zahlreiche englische und ausländische Sänger, Instrumentalisten und Komponisten, darunter R. Fairfax

HeiB und W. Cornyshe, sowie auch Orgel- und Instrumentenbauer. H. hinterließ eine bedeutende Musikinstrumentensammlung und einen umfangreichen Notenbestand. Von seinen eigenen Kompositionen sind 17 mehrstimmige Lieder, eine Motette und 14 Instrumentalstücke erhalten. — H. vollzog 1531 die Trennung der englischen Kirche von Rom und gründete 1534 unter der Oberhoheit der englischen Krone die Anglikanische Kirche. Dies hatte auch auf die zukünftige Entwicklung der Kirchenmusik in England entscheidenden Einfluß (Großbritannien). Ausg.: Music at the Court of Henry VIII, hrsg. v. J. STEVENS (Lo 1962) (= Mus. Brit. 18). Lit.: J. STEVENS, Music and Poetry in the Early Tudor Court (Lo 1961); P. DOE, Latin Polyphony Under Henry VIII, in: Proc. R. Mus Assoc. 95 (1968/69).

HEINRICHSHOFEN'S VERLAG, seit 1948 in Wilhelmshaven ansässiger dt. Musikverlag. Der von W.H. Heinrichshofen (1779-1881) in Magdeburg

gegründete Verlag widmete sich zunächst vor allem Klavierausgaben (Fr. Liszt) und gehobener Unterhaltungsmusik (J. Raff). Schwerpunkte der heutigen Verlagsproduktion sind Unterrichtswerke, Kammermusik und Schrifttum zur Musik, darunter die Taschenbücher zur Musikwissenschaft. 1954 wurde eine Zweigniederlassung in Amsterdam, 1961 eine in Locarno eröffnet. Lit.: M. PLESSKE, in: Beitr. z. Gesch. des Buchwesens III, hrsg. v. K.-H. Kalhöfer - H. Rötzsch (L 1968).

HEINRICH VON MEISSEN, genannt Frauenlob, * 1250 Meißen, t 29.11. 1318 Mainz; dt. Minnesänger. Er stand in Beziehung zu norddeutschen Fürsten (u. a. Wizlaw v. Rügen) und hielt sich in seinen letzten Lebensjahren in Mainz auf. Sein Grab befindet sich dort im Dom. H.s Lieder umfassen Leiche (z. B. Marienleich, Minneleich) und Spruchtöne (z. B. Langer Ton, Goldener Ton, Würgendrosselton) und weisen ihn als einen der letzten Vertreter des řMinnesangs aus. Überliefert sind sie in einigen der wichtigsten deutschen Hss. des 14.-15. Jh. (Jenaer Lieder-Hs., Wien, Östr. Nat.Bibl. Ms. 2071, Colmarer Lieder-Hs., Donaueschinger Lieder-Hs.), finden sich aber auch noch — in z.T. stark abweichenden Fassungen — in Hss. des Meistersangs. Ausg.: H. von M., des Frauenlobes Leiche, Sprüche, Streitgedichte u. Lieder, hrsg. v. L. ETTMULLER (L 1843, Nachdr. A 1966); Die Sangesweisen der Colmarer Hs...., hrsg. v. P. RUNGE (L 1896, Nachdr. Hil 1965); G. MUNzER, Das Singebuch des A. Puschmann (L 1906, Nachdr. Hil 1970); H. RIETSCH, Gesänge v. Frauenlob, Reinmar von Zweter u. Alexander (1913) (= DV) 41); Die Colmarer Lieder-Hs., Faks. der Melodien, hrsg. v. F. GENNRICH (Langen 1967) (= Summa musicae medii aevi 18); 3 Lieder, in: H. MOSER - J. MÜLLER-BLATTAU, Dt. Lieder des MA (St 1968). - l'Jenaer Liederhandschrift.

Lit.: H. KRETSCHMANN, Der Stil Frauenlobs, in: Jenaer germanistische Forsch. 23 (1933); A. REICH, Der Vergessene Ton Frauenlobs, in: Mf 3 (1950); H. ENKE, Der Vergessene Ton Frauenlobs, in: Mf 4 (1951); K.H. BERTAU - R. STEPHAN, Wenig beachtete Frauenlobfragmente, in: Zschr. für dt. Altertum u. dt. Lit. 86 (1955/56); K. H. BERTAU, dass., Teil 2, in: ebd. 93 (1964); DERS., Sangverslyrik (Gö 1964); DERS., Genialität u. Resignation im Werk H. Frauenlobs, in: DVfLG 40 (1966); J. SCHAEFER, Walther von der Vogelweide u. Frauenlob. Bsp.e klass. u. manieristischer Lyrik im MA (Tü 1966); R. J. TAYLOR, The Art of the Minnesinger, 2 Bde. (Cardiff 1968) (mit Ausg. v. 16 Liedern u. einem Lied mit zweifelhafter Zuschreibung sowie einem Kommentar).

HEISE, Peter Arnold, *11. 2. 1830 Kopenhagen, t 12.9. 1879 Tárbaek bei Kopenhagen; dänischer Komponist. Er war 1852-53 Schüler von M. Hauptmann am Leipziger Konservatorium und seit 1858 Musiklehrer und Organist an der Akademie in Sore. Anschließend lebte er in Kopenhagen. H. gilt als der bedeutendste Liederkomponist Dänemarks im 19. Jahrhundert. Seine Oper Drot og Marsk wird heute noch aufgeführt. WW: Kammermusik u. Orch.-Werke; zahlr. Lieder; Opern: Paschaens Datter, UA: Kopenhagen 1869; Drot og Marsk, UA: ebd. 1878; Ballett Con Adeler i Venedig, UA: ebd. 1870; ferner Bühnenmusik. Lit.: W. BEHREND, P. H., ein dänischer Liederkomponist, in: FS H. Riemann (L 1909); G. HETSCH, P. H. (Kop 1926); R. HOVE, H.s Kammermusik, in: Dansk Musiktidsskrift 16 (1941); B.JOHNSSON, Klaveret i H.s Sange, in: ebd. 19 (1944).

HEISS, Hermann (eig. Heiß; Pseud. Georg Frauenfelder), * 29.12.1897 Darmstadt, t 6.12.1966 ebd.; dt. Komponist. H. studierte zunächst Musiktheorie bei B. Sekles in Frankfurt am Main und ging 1923 zu J. M. Hauer nach Wien, der ihm 1925 die Schrift Zwölftontechnik: Die Lehre von den Tropen widmete. Seit 1946 war er Dozent bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Kranichstein, 1953 auch an der Darmstädter Akademie der Tonkunst, seit 1955 als Leiter eines Studios für elektron. Komposition. (H. schuf für den Hessischen Rundfunk ein Pausenzeichen aus elektronischen Klängen.) In seiner Schrift Elemente der musikalischen Komposition entwickelte er in Weiterführung des Zwölftonsystems eine „Tonbewegungslehre". Seit 1961 trat er für eine „Integrierung aller Zeit-Künste" ein, für die er eine Kompositionstechnik der „zentripetalen Zeitgestaltung" entwarf. Dieses Konzept eines „Gesamtkunstwerks" als Synthese von elektronischer Musik, filmischer Lichtfarbbewegung, tänzerischer Aktion und gesprochenem Wort gelangte über ein experimentelles Stadium nicht hinaus. WW (die meisten früheren Werke wurden 1944 in Darmstadt vernichtet): 1) llastr.-WW: Klv.- u. Orgelstücke; für Orch.: Sinfonia atematica (1950); Sinfonia giocosa (1954); Zehn Konfigurationen zu Bildtiteln v. P. Klee (1957); Polychromatica (1959); Bewegungsspiele (1959); Kompositionen (1931) für V. u. Streichorch.;

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Heitmann Duokonzert (1948) für V., Klv. u. Orch.; Klv.-Konzert (1954); Elektronische Musik: Elektronische Kompositionen I (1956), II Laut u. leise (1957), III As 60(1960)u. /V(1961); 2 Essays (1957, 1958); Zuordnung Vier(1962); Variable Musik (1966) für 4 Tonbänder. — 2) Vokal-WW: Expression K. (nach F. Kafka) (Wie 1953) u. Zum neuen Jahr (1954) für SingSt u. Klv.; Zyklus Interieur(1957) (nach G. Benn); Logatome (1963) für Sprecher, Instr. u. elektronische Klänge; Missa für Alt, Tenor, Chor u. Tonband (1964); Salutatio (1966) (nach Hölderlins Hyperion) für SingSt, Sprecher u. Tonband. — 3) Biiěeei-WW: Spiel Der Manager (1951) für Tänzer, Sänger, Sprecher u. Orch., UA: Darmstadt 1958; Ballette: Herz auf bürgerliche Art (1952); Schwarzer Dionysos (1955) für Tänzer, Sänger, Sprecher u. Orch.; elektronisches Ballett Die Tat (T. Gsovsky nach Dostojewskijs Schuld u. Sühne), UA: Berlin 1961. — 4) Schriften: Elemente der musikal. Komposition (Hei 1949); Zufall u. Gestaltung, Material u. Qualität, in: Melos 26 (1959); Die elektronische Musik u. der Hörer, in: Wandel des musikal. Hörens (B 1962) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 3). Lit.: H. LINDLAR, H.H. 60 Jahre, in: Musica 11 (1957); H.U. ENGELMANN, H. H.; in: Melos 39 (1972); C. HENIUS, H. H., „homo ludens" der Kranichsteiner Jahre, in: Das undankbare Geschäft mit neuer Musik (Mn 1974); B. REICHENBACH, H. H. Eine Dokumentation, hrsg. v. E. Thomas (Mz 1975) (= Darmstädter Beitr. zur Neuen Musik 15).

HEITMANN, Fritz, *9. 5. 1891 Ochsenwerder bei Hamburg, t 7.9. 1953 Berlin; dt. Organist. H. studierte 1909-11 in Leipzig bei K. Straube und M. Reger. 1912-14 war er Organist am Dom in Schleswig, 1918-32 Organist an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin und seit 1932 Organist am Evangelischen Dom. 1925 wurde er Professor für Orgel an der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Berlin (später Musikhochschule). H. zählte zu den führenden deutschen Organisten und trat in den 1930er Jahren durch zahlreiche Konzertreisen ins Ausland hervor. In den 20er Jahren spielte er die ersten deutschen Schallplattenaufnahmen mit Orgelmusik ein. Lit.: R. VOGE, F. H. Das Leben eines dt. Organisten (B 1963).

HELFERT, Vladimir, * 24.3.1886 Plánice bei Klattau (Böhmen), t 18.5.1945 Prag; tschechischer Musikforscher. H. studierte 1904-08 Musikwissenschaft bei O. Hostinský in Prag und bei J. Wolf, K. Stumpf und H. Kretzschmar in Berlin. 1908 promovierte er in Prag mit einer Dissertation über G. Benda. 1910-19 war er Professor an einer Handelsschule in Prag, 1919-26 Lehrer an einer Mittelschule in Brünn, wo er sich 1921 an der Masaryk-Universität habilitierte. 1926 wurde er dort Professor. 1919 gründete er das Musikarchiv des mährischen Museums in Brünn und redigierte seit 1924 die Zeitschrift Hudební Rozhledy (Musikalische Rundschau). Schriften: J. Benda a J. J. Rousseau (Diss. Pr 1908); Hudební barok na Českých zámcích (Pr 1916); Zur Gesch. des Wiener Singspiels, in: ZfMw 5 (1922/23); Zur Entwicklungsgesch. der Sonatenform, in: AfMw 7 (1925); Hudba na jaroměřickém zámku (Pr 1925); Tvůrčí rozvoj B. Smetany (Pr 1925), 2. Aufl. hrsg. v.

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B. Štčdroň (1940, 4 1956, dt. L 1956); J. Benda, 2 Bde. (Brünn 1929, 1934); Česká moderní hudba (Olmütz 1936); La musique dans la république tchécoslovaque (Pr 1936) (mit E. Steinhard); J. Janáček (Pr 1949). — H. war Hrsg. der Musica Antiqua Bohemica (MAB) (Pr 1934ff.) u. der Sammelschrift Musikologie I (Pr 1938), fortgesetzt v. J. Racek, 11—V (1949-58) (V: In memoriam V.H., mit Schriften-Ven.). Lit.: F. HRABAL, Pohled na V. H., in: Hudební Rozhledy 23 (1970); Sonderheft „V. H. pokrokový vědec a člověk", in: Sborník prací filosofické fakulty Brněnské university 24 (1975); O. SETTARI, V. H.s Hymnologie im Lichte seines wissenschaftlichen Nachlasses, in: ebd.; J. VYSLOUŽIL, Der tschechische Musikwissenschaftler V. H., in: ebd. 25/26 (1976/77); J. POLEDŇÁK, Methodologische Fragen in V. H.s Werk, in: ebd.

HELIKON (griech.). — 1) Gebirge in Böotien, das in der Antike als Sitz der Musen galt. — 2) Altgriechisches Instrument mit 4 gleichgestimmten Saiten zur Intervallbestimmung. — 3) Eine hauptsächlich in der Militärmusik verwendete, kreisrund gebaute /Tuba mit nach vorne gerichteter Stürze (als BaBtuba in F und Es, als KontrabaBtuba in B), die über der Schulter getragen wird. Eine Sonderform des H. ist das Sousaphon. Tonumfang des H. in B: A2 — b. HELLENDAAL (Helendaal, Helendale, Holandael, Hollandall, Hollendale), Pieter (Peter), getauft 1.4. 1721 Rotterdam, t 19.4. 1799 Cambridge; holländischer Violinist, Organist und Komponist. H. wurde 1735 Organist an St. Nicolas in Utrecht. Um 1738 ging er nach Italien und war dort bis 1740 Violinschüler von G. Tartini in Padua. 1749-51 war er an der Universität Leyden immatrikuliert. 1752 übersiedelte er nach England, lebte zunächst in London, später in King's Lynn, wo er 1760 an St. Margaret's Church ein Jahr Nachfolger Ch. Burneys als Organist war, und zuletzt in Cambridge. Dort war er bis zu seinem Tode Organist an mehreren Kirchen. Er konzertierte auch als Violinist in England. H., der vorwiegend Instrumentalwerke schrieb, ist der einzige holländische Komponist des 18. Jh., der außerhalb seines Landes Anerkennung fand. WW: 1) Instr.-WW: Sonaten u. Solos für V. u. BaB bzw. B.c., op. 1 (A 1744), op. 2 (A 1750) u. op. 4 (Lo 1760); Grand concerto's for Violins... in eight parts, op. 3 (Lo 1758); Solos für Vc. u. B.c., op. 5 (C 1780); Grand lessons für Cemb. oder Klv. mit V. u. Vc., op. 6 (Lo 1790). — 2) Vokal-WW: A collection of Psalms (C 1794); Kantate Strephon and Myrtilla (C um 1785); ferner Glees, Catches u. a. (auch hsl. erhalten). Ausg.: Vier Sonates voor violoncel en becyferde Bas ... (A 1926); Sonate op. 5 Nr. 3, hrsg. v. W. PUPER (Lo 1928); Seven Psalms, hrsg. v. H. BRANDTS -BUYS (Hilversum 1947). Lit.: CH. VAN DEN BORREN, P. H., in: TVer 13 (1932); H. BRANDTS-BUYS, P. H., in: Mens en Melodie 11(1947); J. A. PARKINSON, P. H., in: Monthly Musical Report 82 (1952).

HELLER, Stephen, * 15.5.1813 Budapest, t 14.1. 1888 Paris; ung. Pianist und Komponist. H. erhielt frühzeitigen Musikunterricht bei Anton Halm in

Hellmesberger Wien, wo er 1826 erstmals öffentlich auftrat. 1828 unternahm er eine zweijährige Konzertreise, erkrankte aber auf der Rückkehr 1830 in Augsburg. Von Freunden finanziell unterstützt, lebte er dort bis 1838 und bildete sich noch bei H. Chelard weiter. 1838 ging er auf Anraten Fr. Kalkbrenners nach Paris. Dort traf er u. a. mit Fr. Chopin und Liszt zusammen und befreundete sich mit H. Berlioz. Als Pianist und Lehrer genoß er bald großes Ansehen, während sich seine Kompositionen, obgleich schon früh von Schumann gelobt, nur langsam durchsetzen konnten. Sie gehören meist zur Gattung des 'Charakterstücks, zeigen in simplifizierter Weise den Einfluß Chopins und Schumanns und gelten heute in ihrer Gesamtheit und in ihrem Stil als typische Zeugnisse für die Salonmusik des 19. Jahrhunderts. H.s Etüden wurden bis weit ins 20. Jh. hinein häufig im Klavierunterricht benutzt. WW: Zahlr. Klv.-Stücke, u. a.: Promenades d'un solitaire, op. 78 u. 89; Nuits blanches, op. 82; Feuilles volantes, op. 123; Im Walde, op. 86, 128 u. 136; Reise um mein Zimmer, op. 140; Aufzeichnungen eines Einsamen, op. 153. — Études, darunter 25 Études pour former le sentiment du rythme et de l'expression, op. 47; Technische Studien als Vorbereitung zu den Werken Chopins, op. 154; ferner Impromptus, Préludes, 4 Sonaten, 3 Sonatinen, Scherzo, Variationen, Walzer u. Capricen sowie Phantasien u. ä. über bekannte Opernmelodien der Zeit. Lit.: H. BARBEDETTE, S.H. (P 1876, engl. Detroit 1974); R. SCHUTZ, Ein Künstlerleben (L 1911); R. SIETZ, S. H., in: MGG VI; R. E. BOOTH JUNIOR, The Life and Music of S. H. (1969) (= Diss. Univ. of Iowa); G.PUCHELT, Verlorene Klänge. Stud. zur dt. Klaviermusik 1830-80 (B-Lichterfelde 1969); L. BRONARSKI, Chopin et S. H., in: SMZ 113 (1973).

HELLINCK, Lupus (latinisierte Form von Wolf hard oder Wolfram), * um 1495, t 14. (?) 1.1541; vermutlich aus der Diözese Utrecht stammender franko-flämischer Komponist. H. war 1506-11 Chorknabe an St. Donatian in Brügge, studierte Theologie und wurde spätestens 1519 zum Priester geweiht. Seit 1521 war er Phonascus an NotreDame in Brügge und seit 1523 bis zu seinem Tode Succentor an St. Donatian. Ein sicheres Urteil über Umfang und Art des Gesamtschaffens von H. ist wegen der eigentümlichen Quellenlage seiner Werke nicht möglich, doch weisen die einwandfrei ihm zuzuschreibenden Werke durchaus ein eigenes stilistisches Profil auf. So etwa ist in den Messen eine übereinstimmende formale Anlage und Gliederung charakteristisch. WW (hsl. u. in zahlr. Sammeldrucken des 16. Jh.). Wegen der Gleichheit von H.s latinisiertem Vornamen Lupus mit dem Namen des etwa gleichaltrigen Landsmanns, dem Cambraier Kapellmeister J. .Lupf, ist die exakte Zuschreibung von Werken zu einem der beiden nur in wenigen Fällen möglich. Für H. sind dies (nach H. Albrecht, in: MGG VI): 7 (vielleicht auch 14) Messen für 4 St.; 7 Motetten für 4-5 St.; 3 ndl. Lieder für 4 St.; 11 dt. Choralbearbeitungen für 4-5 St. in: G. Rhau, Neue deudsche geistliche Gesenge (Wittenberg 1544) (= RISM 154421 ).

Ausg.: 11 Gesänge, in: G. Rhau, Newe deudsche geistliche Gesenge, hrsg. v. J. WOLF (1908) (= DDT 34); 2 ndl. Lieder, in: T. Susato, Het ierste Musyck boexken 1551, hrsg. v. F. VAN DUYSE (Utrecht — A 1908), u. in: P. Phalesius, Een Duytsch Musyck Boeck 1572, hrsg. v. DEMS. (L 1903); 5 Motetten, in: P. Attaignant, Treize livres de motets I, hrsg. v. A. SMIJERS (P 1934), VIII—IX, hrsg. v. A.T. MERRIT (1962); Kyrie der Messe Christus resurgens, in: A. SMUERS, Van Ockeghem to Sweelinck (A 1956); Credo aus der Messe Ego sum qui sum, in: R. B. LENAERTS, Die Kunst der Niederländer (Kö 1962) (= Das Musikwerk 22). Lit.: H. ALBRECHT, L. H. u. Johannes Lupi, in: AMI 6 (1934); H. OSTHOFF, Die Niederländer u. das dt. Lied 1400-1640 (B 1938, Nachdr. Tutzing 1967); H. ALBRECHT, H., in: MGG VI; R. B. LENAERTS, Les messes de L. H. du Manuscrit 766 de Montserrat, in: FS H. Anglés I (Ba 1958); M. ANTONOWYCZ, Das Parodieverfahren in der Missa Mater Patris v. L. H., in: FS R.B. Lenaerts (Löwen 1969); J. GRAZIANO, L.H. A Survey of 14 Masses, in: MQ 56 (1970); B.J. BLACKBURN, J. Lupi and L.H. A Double Portrait, in: MQ 59 (1973).

HELLMANN, Diethard, * 28.12.1928 Grimma (Sachsen); dt. Organist und Dirigent. Er studierte seit 1944 Kirchenmusik an der Musikhochschule in Leipzig und war gleichzeitig bis 1949 Organist bei den Aufführungen des Thomanerchors. Seit 1948 war er Kantor und Organist an der Friedenskirche in Leipzig, Dozent für Orgelspiel und Leiter des Chors der Musikhochschule. 1955 ging er als Kantor und Organist an die Christuskirche nach Mainz. Seit 1959 war er Lehrbeauftragter für evangelische Kirchenmusik an der Universität Mainz (1963 Honorarprofessor) und leitet seit 1974 die Abteilung für evangelische Kirchenmusik an der Hochschule für Musik München, deren Präsident er seit 1981 ist. H. war Gründer und bis 1985 Leiter des Mainzer Bach-Chores, der im In- und Ausland einen hervorragenden Namen hatte. Auch als Herausgeber älterer Musik ist H. tätig. HELLMESBERGER, östr. Musikerfamilie. — 1) Georg, * 24.4. 1800 Wien, t 16.8. 1873 Neuwaldegg bei Wien; Violinist. H. war Sängerknabe am kaiserlichen Konvikt in Wien und Mitschüler von Fr. Schubert, später Kompositionsschüler von E. A. Förster und am Konservatorium Violinschüler von J. Böhm. 1821 wurde er Böhms Assistent und 1826 Professor am Konservatorium, 1830 Konzertmeister der Hofoper (seit 1842 Philharmonisches Orchester) und wenig später Mitglied der Hofkapelle. — 2) Joseph (der Ältere), Sohn von 1), * 3.11. 1828 Wien, t 24.10. 1893 ebd.; Violinist. Er war am Wiener Konservatorium Schüler seines Vaters und wurde 1845 Solist des Opernorchesters. 1848-59 war er „artistischer" Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, damit gleichzeitig Dirigent der Konzerte der Gesellschaft und seit 1851 Dirigent des Konservatoriums. 1860 wurde er Konzertmeister des Hofopernorchesters, 1863 So69

Hello, Dolly! loviolinist der Hofkapelle und 1877 Hofkapellmeister. Das 1849 von ihm gegründete Streichquartett (H.-Quartett), das sich vor allem für die späten Streichquartette Beethovens und die Werke Schuberts einsetzte, erlangte bedeutenden Ruf. — 3) Georg, Sohn von 1), * 27.1.1830 Wien, t 12.11. 1852 Hannover; Komponist. Er war Schüler seines Vaters. 1850 wurde er Konzertmeister und 1851 Hofkapellmeister in Hannover, wo im gleichen Jahr seine Oper Die beiden Königinnen uraufgeführt wurde. Neben weiteren Opern schrieb er Kammermusik und Lieder. WW: Hsl. erhalten sind Solostücke für V., Kammermusik u. Symphonien sowie die Oper Palma; im Druck erschien u.a. die Oper Die beiden Königinnen, UA: Hannover 1851.

4) Joseph (der Jüngere, genannt Pepi), Sohn von 2), * 9.4. 1855 Wien, t 26.4. 1907 ebd.; Violinist und Komponist. Er wurde 1878 Soloviolinist der Hofkapelle am Stuttgarter Hoftheater. Er schrieb Operetten, Ballette, Bühnenmusiken, Tanzmusik und Lieder. H.s Ballszenen und der Teufelstanz sind noch heute beliebte Glanzstücke virtuoser Orchestermusik. WW: 22 Operetten, darunter: Der Graf von Gleichen u. seine Frauen, UA: Wien 1880; Das Veilchenmädel, UA: ebd. 1904; Wien bei Nacht, UA: London 1906; Der Triumph des Weibes, UA: ebd. 1906; Der Veilchenkavalier, UA: ebd. 1911; ferner 6 Ballette, u. a. Die verwandelte Katze (1888) u. MeiBner Porzellan (1890).

5) Ferdinand, Bruder von 4), * 24.1. 1863 Wien, t 15.3. 1940 ebd.; Cellist. Er war das letzte bedeutende Mitglied der Familie H., die ein Jahrhundert lang im Mittelpunkt des Wiener Musiklebens stand. Lit.: R. M. PROSL, Die H. (W 1947); A. OREL, H., in: MGG VI; P. LORENZ, Vor 75 Jahren starb „Vater H.", in: ÚMZ 23 (1968); J. FREYENFELS, Mahler und der „fesche Pepi". Eine Konfrontation und ihre Elemente, in: NZŠM 132 (1971).

HELLO, DOLLY!, amerik. Musical in 2 Akten von Jerry Herman (* 1932), der die Musik und die Song-Texte schrieb, Buch von Michael Stewart nach dem Bühnenstück The Matchmaker (Die Heiratsvermittlerin) von Thornton Wilder, einer Adaptation seines Stückes The Merchant of Yonkers. Dieses geht auf Johann Nestroys Posse mit Gesang Einen Jux will er sich machen zurück, die ihrerseits in dem englischen Bühnenstück A Day well spent von John Oxenford wurzelt. Ort und Zeit der Handlung: New York, 1898. UA: 16.1. 1964 in New York (St. James Theater). Dt. EA (in dt. Sprache): 26.11. 1966 in Düsseldorf (Schauspielhaus). Verfilmt 1969. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Heiratsvermittlerin Dolly Levi, die drei jungen Paaren zum Glück und sich selbst zu einer guten Partie verhilft. Zum außergewöhnlichen Erfolg des Werkes (2344 Vorstellungen en suite am Broadway) trugen Cho70

reographie und Regie von Gower Champion wesentlich bei. Der Titelsong der Dolly Hello, Dolly!, mit dem Dolly ihren großen Auftritt im Harmonia Gardens Restaurant hat (Szene II, 2), wurde zum Weltschlager. Am 11. Oktober 1967 brachte Produzent David H. Merrick — noch während die Original-Produktion lief — das Musical in einer ebenfalls außerordentlich erfolgreichen Besetzung, ausschließlich mit farbigen Sängern und Schauspielern, mit Pearl Bailey und Cab Calloway in den Hauptrollen heraus. R.-M. SIMON - S. SIMON HELM, Everett, *17. 7. 1913 Minneapolis (Minnesota); amerik. Komponist und Musikforscher. H. studierte bis 1935 an der Harvard University in Cambridge (Mass.), 1936-38 in Europa bei G. Fr. Malipiero, R. Vaughan Williams (Komposition) und A. Einstein (Musikwissenschaft) und promovierte 1939 an der Harvard University mit einer Arbeit über die Anfänge des italienischen Madrigals. 1942-44 leitete er die Musikabteilung des Western College in Oxford (Ohio), bereiste 1944-46 Südamerika und leitete 1948-49 in Deutschland die Musik- und Theaterabteilung der Militärregierung für Hessen. 1960-62 war er Chefredakteur der Zeitschrift Musical America. Seit 1963 lebt H. in Asolo (Venezien). WW: 1) Komposidooeo: Zahlr. Kammermusik, darunter Quartette u. Quintette; Symphonie für Str. (1955); 2 Klv.-Konzerte (1951, 1956); Konzert für 5 Instr., Schlagzeug u. Str., UA: Donaueschingen 1953; Sinfonia da camera (1961) Konzert für Kb. u. Streichorch. (1968); Mysterium Adam u. Eva, UA: Wiesbaden 1952; Singspiel 500 Drachentaler; Funkoper Die Belagerung von Tottenburg. UA: SDR 1956; Ballett Le Roy fait battre tambour, UA: Frankfurt 1957. - 2) Schriftei: The Beginnings of the Italian Madrigal (Diss. C/M 1939); Ch. Ives, Pionier der modernen Musik, in: Melos 25 (1958); Secular Vocal Music in Italy, in: Ars nova and the Renaissance, hrsg. v. A. Hughes - G. Abraham (Lo 1960); B. Bartók in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek bei H 1965) (= rowohlts monographien 107); F. Liszt in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (ebd. 1972) (= ebd. 185). H. edierte The Chansons of .I. Arcadelt (1942).

HELMHOLTZ, Hermann Ludwig Ferdinand von, * 31.8. 1821 Potsdam, t 8.9. 1894 Berlin; dt. Physiker und Physiologe. H. studierte Medizin an der Berliner Universität. 1849 wurde er Professor für Physiologie in Königsberg, 1855 für Physiologie und Anatomie in Bonn, 1858 für Physiologie in Heidelberg und 1871 Professor für Physik in Berlin und 1888 Präsident der neugegründeten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg. H.' wissenschaftliche Arbeiten umfaßten weite Gebiete der Physiologie und Physik, mit denen er durch die Verbindung von Experiment und theoretischer Auswertung Richtung und Art der Naturwissenschaft seiner Zeit wesentlich bestimmte. Er gilt auch als Begründer der musikalischen Akustik

Hemmel durch sein Werk Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik (Brau 1863, 61913). Das Werk enthält eine Theorie der Tonhöhenempfindung (die sog. Resonanztheorie), die sich allerdings als falsch erwiesen hat. Grundlegend blieben auch H.' Arbeiten über die Kombinations- und Summationstöne sowie seine Erklärung der Konsonanz- und Dissonanzempfindungen als auf kontinuierlichen bzw. diskontinuierlichen Schwingungen beruhend (7Konsonanz und Dissonanz). Lit.: S. TAYLOR, Sound and Music. A Non-Mathematical Treatise on the Physical Constitution of Musical Sounds and Harmony, Including the Chief Acoustical Discoveries of Professor H. (Lo 1873, Nachdr. NY 1967); C. STUMPF, Tonpsychologie, 2 Bde. (L 1887-90, Nachdr. Hilversum 1965); Beitr. z. Akustik u. Musikwiss., hrsg. v. DEMS., 9 H.e (L 1898-1924); C. DAHLHAUS, H. von H. u. der Wissenschaftscharakter der Musiktheorie, in: Über Musiktheorie, hrsg. v. F. Zaminer (Kö 1970); Über die physiologischen Ursachen der Harmonien, hrsg. v. F. KRAFFT (Mn 1971).

HELMONT, Charles Joseph van, *19. 3. 1715 Brüssel, t 8.6. 1790 ebd.; belgischer Organist und Komponist. Er wurde 1733 Organist an der Stiftskirche Ste-Gudule in Brüssel, 1737 Maître de chant an Notre-Dame du Sablon und an der Chapelle royale espagnole und 1741-77 wieder an Ste-Gudule. H. schrieb vor allem Kirchenmusik. Seine Pièces de clavecin sind von Rameau beeinflußt. WW: Zahlr. kirchenmusikal. Werke, meist für Chor u. Orch. mit u. ohne Soli (sämtlich hsl. in Brüssel, Bibl. du Conservatoire, erhalten), darunter: Messen, Motetten, Litaneien, Magnificats, Pss; Lamentationen für Sopran u. B.c.; Oratorium Judith (1756); Divertissement Le retour désiré, Klv.-A. (Bru 1749); Pièces de clavecin (Bru 1737); Fugen für Klv.; Ouvertura für Orch. (hsl.). Ausg.: Werke für Org. u. Cemb., hrsg. v. J. WATELET (1948) ( = MMBelg 6) (mit Biogr. v. S. Clercx). Lit.: S. CLERcx, Les clavecinistes belges et leurs emprunts i1 l'art de F. Couperin et de J. Ph. Rameau, in: RM 20 (1939); R. WAN GERMÉE, Les maîtres de chant des XVII' et XVIII` siècles à la collégiale des SS. Michel et Gudule à Bruxelles, in: Mémoires de L'acad. royale de Belgique (Bru 1950).

HEMEL, Oscar van, * 3.8. 1892 Antwerpen; ndl. Komponist belg. Herkunft. H. studierte am Konservatorium von Antwerpen Violine. Während des 1. Weltkrieges ließ er sich in den Niederlanden nieder. 1918 wurde er Lehrer für Violine und Musiktheorie an der Musikschule Bergen op Zoom. Seit 1948 lebt er als freischaffender Komponist in Hilversum. H. schuf sich seit den 30er Jahren unter dem Einfluß seines Lehrers W. Pijper einen Stil von ausgeprägter linearer Kontrapunktik. WW: 2 V.-Sonaten; Klv.-Trio (1937); 6 Streichquartette; ein Klv.-Quartett (1938); 4 Bläserquartette (1955); Klar.-Quintett (1958). - Für Orch.: 4 Symphonien; Symphonietta; Ballade; Tema con variazioni; Konzerte für: V. (1944); Klv.; Va.; Ob. Kantaten: Maria Magdalena; Le Tombeau de Kathleen Ferrier u. Hart van Holland. - Ferner eine Oper Viviane. Lit.: J. WOUTERS, O. van H., in: Sonorum Speculum 13 (1962).

HEMIOLE (von griech. hemiolios = eineinhalb = 3 / 2 ; für ursprünglich lat. proportio hemiola = das Verhältnis 3 : 2), in der Mensuralnotation des 15.-17. Jh. Bz. für eine Gruppe von 3 Brevisnoten im dreizeitigen Tempus (Tempus perfectum), die durch Schwärzung (7Color) imperfiziert werden (d. h. je 2 Semibreves gelten) und damit denselben Wert haben wie 2 weiße, perfekte Breves (zu je 3 Semibreves): o o o In moderner Übertragung co = J .) bedeutet das:

J. I J. Igi oder

J

1 J. I J. I .~ JJ^ I J.

Solche H.-Bildungen, die eine deutliche Akzentverschiebung im musikalischen Ablauf bewirken, finden sich häufig in den Werken der Niederländer seit G. Dufay, aber auch noch in der Musik des Barock, namentlich vor Kadenzen und auch unter Aufspaltung der H. in kleinere Notenwerte. Diese tritt dann oft auch durch eine entsprechende Textdeklamation in Erscheinung:

~Sopr .

>

1>

>~

~-~

-- for the mouth of the da er Gott un -set

Lord

Herr

bath spo - ken it, ver - hei - lIen hat

G. F. Händel, Messiah,Chor Nr. 3

In späterer Zeit zeigen besonders R. Schumann und J. Brahms eine Vorliebe für H.n; besonders prägnant ist der Anfang des 1. Satzes der 3. Symphonie (der „Rheinischen") von Schumann mit drei suk-

zessiven H.n: Viol. 1 --------

44-~~~~~~-~~rt - ~

HEMMEL (Hemel), Sigmund, * vermutlich vor 1520, t 1564 Tübingen; dt. Komponist. Er war seit etwa 1544 Tenorist der Hofkapelle Herzog Ulrichs von Württemberg in Stuttgart, später zeitweilig auch deren Kapellmeister. Sein auch in katholischen Gebieten weitverbreitetes Hauptwerk, Der gantz Psalter Davids, wie derselbig in Teutsche Gesang verfasset (4st., postum TO 1569), ist die erste vollständige Vertonung der Psalmen Davids in deutscher Sprache. Den Gesängen dieser Sammlung liegen vorhandene Psalm- u. a. Liedweisen (meist im Tenor) zugrunde. Die Satzweise (motettisch in akkordischer Stimmführung) deutet auf das Vorbild der Choralbearbeitungen J. Walters hin. Lit.: O. ZUR NEDDEN, Zur Frühgesch. der prot. Kirchenmusik in Württemberg, in: ZfMw 13 (1930/31) (darin die Psalmen 90 u. 107); G. UEBLER, Anfänge der prot. Kirchenmusik in Württemberg u. S. H.s Psalter, in: Württembergische Blätter für Kirchen-

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Hempel musik (1934); H. MARQUARDT, Die Stuttgarter Chorbücher unter besonderer Behandlung der Messen (Tü 1936); W. BRENNECKE, H., in: MGG VI.

HEMPEL, Frieda, * 26. 6.1885 Leipzig, t 7.10. 1955 Berlin; dt. Sängerin (Sopran). Sie erhielt ihre Gesangsausbildung am Konservatorium in Leipzig und 1903-05 am Sternschen Konservatorium in Berlin, debütierte 1905 in Breslau, sang im gleichen Jahr bereits in Bayreuth, 1905-07 in Schwerin und danach an der Königlichen Oper in Berlin. 1912-20 gehörte sie der Metropolitan Opera in New York, anschließend bis 1921 der Chicago Opera an. Besonders im Koloraturfach zählte Fr. H. zu den bedeutendsten Sängerinnen ihrer Zeit. In den letzten Jahren ihrer Laufbahn trat F. H. in Amerika und in Europa ausschließlich als Konzertsängerin auf. Populär waren in dieser Zeit ihre Jenny-Lind-Konzerte, in denen sie in der Kostümierung der Lind sang. Unter dem Titel Mein Leben dem Gesang veröffentlichte sie 1955 in Berlin ihre Memoiren. HENDERSON, James Fletcher, * 18. 12. 1898 Cuthbert (Georgia), t 29. 12. 1952 New York; amerik. Jazzmusiker (Pianist, Bandleader, Arrangeur). H. kam 1920 nach New York. Dort spielte er bei W. C. Handy, war seit 1922 Hauspianist in dessen Plattenfirma „Black Swan Records", begleitete die Bluessängerin Ethel Waters und nach ihr viele andere Stars des Vaudeville-Blues, u. a. 1923-27 Bessie Smith, mit der er auch Schallplattenaufnahmen machte. 1923-34 leitete er in New York ein Orchester, das sich, nicht zuletzt wegen der Arrangements von Don Redman und Benny Carter, zur ersten Big Band der Jazzgeschichte entwickelte. 1935-39 hatte er auch mit einer zweiten Band Erfolg, ging dann aber als Pianist zu Benny Goodman, bevor er 1942-47 wieder mehrere eigene Bands leitete. 1942-47 war er erneut Begleitpianist von Ethel Waters. 1950 beendete ein Schlaganfall seine Karriere. H. gehörte zu den großen Bandleadern und Arrangeuren der 1920er und 1930er Jahre. Seine Arrangements für Benny Goodman mit ihren deutlich voneinander abgehobenen Bläsersätzen prägten ganz wesentlich den charakteristischen Sound des Goodman-Orchesters. Lit.: N. SHAPIRO-HENTOFF, Jazz erzählt (Mn 1962); D. MORGENSTERN, Swing, in: Die Story des Jazz, hrsg. v. J. E. Berendt (St 1975); A. POLILLO, Jazz, Gesch. u. Persönlichkeiten der afrb-amerikanischen Musik (Mn 1978). K. R. BACHMANN

HENDRIX, Jimi (eig. James Marshall), * 27. 11. 1942 Seattle (Washington), t 18.9. 1970 London; amerik. Rockgitarrist. H. spielte in verschiedenen amerikanischen Rhythm-and-Blues Bands. 1966 72

ging er nach England und gründete dort mit David Noel Redding (Baßgitarre) und Joe Mitch Mitchell (Schlagzeug) die Jimi Hendrix Experience. Ende 1969 löste er diese Band auf und formierte die Band of Gipsys, in der er mit wechselnden Partnern, u. a. mit Buddy Miles, spielte. H. galt als der führende Gitarrist der späten 60er Jahre, der die Rockmusik bis weit in die 70er Jahre beeinflußte. In seiner Musik verband er spieltechnische Elemente des Blues, Rock und Jazz. Sein differenziertes Gitarrenspiel überdeckte er häufig mit elektronischen Rückkoppelungs-, Verzerrer- und Überlagerungseffekten und fand in dieser Synthese von Musik und Technik seine individuelle Ausdrucksform. Lit.: A. DISTER, J.H. (P 1972).

HENEKER, David, *31. 3. 1906 Southsea (England); engl. Komponist und Textdichter. Er war 1925-48 Offizier in der britischen Armee und wandte sich dann erst dem Musiktheater zu. In London erzielte er die größten Erfolge mit der englischsprachigen Fassung von Marguerite Monnots Irma la Douce (1958) und mit Half a Sixpence (1963), zu dem er selbst Musik und Song-Texte schrieb. WW: Expresso Bongo (1958); Irma la Douce (1958); Make me an Offer (1959); The Art of Living (1960); Half a Sixpence (1963); Charlie Girl (1965); Jorrocks (1966); Popkiss (1972).

HENIUS, Carla, * 7. 12. 1919 Mannheim; dt. Sángerin (Mezzosopran). H. studierte bei Lula MyszGmeiner und Maria Ivogün an der Berliner Hochschule für Musik und debütierte 1943 in Kassel. 1946-48 sang sie am Landestheater in Darmstadt, 1949-51 in Kaiserslautern und 1951-56 am Mannheimer Nationaltheater, dem sie durch Gastverträge auch weiterhin verbunden blieb. Sie trat seither jedoch vorwiegend als Konzertsängerin besonders mit zeitgenössischer Musik im In- und Ausland auf und sang u.a. in Uraufführungen von Werken P. Hindemiths, B. Blachers, L. Nonos und G. Manzonis. 1957 übernahm sie eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater Mannheim und lehrte 1962-66 an der Musikhochschule in Hannover. 1966 gründete sie das Colloquium musicale zur Aufführung zeitgenössischer Kompositionen. Von C. H. erschienen gesammelte Essays Das undankbare Geschäft mit neuer Musik (Mn 1974). HENKEMANS, Hans, * 23. 12.1913 Den Haag; niederländischer Komponist und Pianist. H. studierte Medizin an der Universität Utrecht und war gleichzeitig Kompositionsschüler von W. Pijper. Nach Abschluß seines Studiums, während dem er bereits als Komponist und Pianist hervorgetreten war, wandte er sich ganz der Musik zu. Auf seinen

Hensel Konzertreisen in Europa und Südafrika machte er sich vor allem als Mozart- und Debussy-Interpret bekannt. Die lyrische Tonsprache seiner oft polymetrisch und polytonal strukturierten Kompositionen bleibt meist an ein Klangzentrum gebunden. WW: Sonate für Klv. (1958) u. für 2 Klv. (1944); zahlr. kammermusikal. WW., u. a.: Sonaten für Vc. u. Klv. (1936) u. für V. u. Klv. (1944); 2 Streichquartette (1933) u. 2 Bläserquintette (1934, 1962); Acre festivo (1965) für 3Trp. u. 2 Pos.; Quattro pezzi (1963) für Fl. u. Harfe. - Für Orch.: Symphonie (1934); Voorspel (1935-36); Partita (1960); Barcarola fantastica (1960); Dona montana (1964); Élégies (1967) für 4F1. u. Orch.; Konzerte: für Klv. (1932); für Fl. (1945-46); für V. (1948-50); für Va. (1954); für Harfe (1955). - Vokal-WW: 3 Lieder (1964); Bericht an de levenden (1965) f ür Chor. Sprecher u. Orch.; Villonnerie (1965) (nach F. Villon) für Bar. u. Orch.; Tre aspetti d'amore (1968) für gem. Chor u. Orch. Lit.: M. FLOTHUIs, H. H., in: Sonorum speculum (1963) Nr. 14; DERS., in: ebd. (1965) Nr. 22; W. PAAP, H. H. verlaat het Podium, in: Mens en melodie 24 (1969).

HENLE, G. Henle Verlag, dt. Musikverlag. Er wurde 1948 von Günter H. (1899-1979) mit Sitz in München und Duisburg gegründet (seit 1970 Alleinsitz München). Der Verlag propagierte die „Urtext-Ausgabe" und widmete sich besonders klassischer und romantischer Klavier- und Kammermusik. Er betreut die Kritischen Gesamtausgaben der Werke Haydns und Beethovens, die Reihe „Frühromantik" des Erbes Deutscher Musik, die Reihe II des Répertoire International des Sources Musicales, ferner die Denkmälerreihe Die Oper und die Serie Kataloge bayerischer Musiksammlungen. Außerdem veröffentlicht er wissenschaftliche Werkverzeichnisse und thematische Kataloge, insbesondere das thematisch-bibliographische Verzeichnis der Werke Beethovens von KinskyHalm und ein Verzeichnis der Werke Chopins. Neben weiteren textkritischen Schriften gibt der Verlag vor allem monographische Haydn- und Beethoven-Studien heraus. Günter H. unterstützte viele musikologisch wichtige Institutionen. U. a. gehörte er zu den Mitbegründern des JosephHaydn-Instituts. 1964 erhielt er für seine musikeditorischen und musikwissenschaftlichen Leistungen die Ehrendoktorwürde der Universität Köln. lit.: G. HENLE, Weggenosse des Jh.s (St 1968); 25 Jahre G. H. Musikverlag 1948-1973 (Mn 1973); K. G. FELLERER, G. H. 75 Jahre, in: Mf 27 (1974); M. STAEHELIN, G. H. 1899-1979, in: Mf 32 (1979); DERS., Gedenken an G. H., in: Jahresring 79-80 (St 1979), auch in: In memoriam ... G. H. (Duisburg 1979).

HENNESSY, Swan, * 24.11.1866 Rockford (Illinois), t 26. 10. 1929 Paris; amerik. Komponist irischer Abstammung. H. studierte am Stuttgarter Konservatorium, ließ sich später in Paris nieder und unternahm von dort ausgedehnte Reisen durch Europa. Seine Kompositionen enthalten Elemente der irischen und keltischen Folklore.

WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Sonate celtique für Va. u. Klv. (P 1924); Rapsodie gaélique für Vc. u. Klv. (P 1925); je eine Sonatine für V. u. Klv. u. für Vc. u. Klv. (P 1929); Saxophonstücke; Trios für Str. u. für 2 Klar. u. Fag.; 4 Streichquartette (P 1913, o. J., 1925, 1929); 4 Pièces celtiques für Engl. Horn, V., Va. u. Vc. (P 1925); ferner Lieder nach Gedichten v. Leconte de Lisle, Verlaine u. Baudelaire.

HENNIUS /Hayne, Gilles. HENRICI, Christian Friedrich (Pseudonym: Picander), *14. 1. 1700 Stolpen (Sachsen), t 10.5. 1764 Leipzig; dt. Dichter. H. studierte Jura in Wittenberg. Seit 1720 lebte er, zunächst als Privatlehrer, dann als Postbediensteter und zuletzt als Steuereinnehmer in Leipzig. H. schrieb zunächst meist satirische Gelegenheitsgedichte, bevor er mit der Sammlung Erbaulicher Gedancken 1725 seine ersten Kantatendichtungen veröffentlichte. Im gleichen Jahr begann auch seine Zusammenarbeit mit J. S. Bach, für den er zahlreiche weltliche und geistliche Kantatentexte verfaßte. Durch seine Gewandtheit im Umgang mit poetischen Formen und durch seine profunden musikalischen Kenntnisse erwies er sich als ein Librettist, der den Anforderungen Bachs in glücklicher Weise entsprach, besonders auch im Hinblick auf die Anpassung eines neuen Textes an eine vorgegebene Komposition (Parodieverfahren). Von H. stammen u. a. die poetischen Texte der Matthäus-Passion und die Texte der Bauern- und der Kaffeekantate (BWV 211 u. 212). W W : Sammlung Erbaulicher Gedancken bey und über die gewöhnlichen Sonn- und Festrags-Evangelien (L 1725); Cantaten auf die Sonn- und Fest-Tage durch das ganze Jahr (L 1728); Ernst-Scherzhaffte und Satyrische Gedichte, 5 Teile (L 1727-51); darin Texte der Bach-Kantaten Nr. 19, 84, 145, 148, 149, 156, 157, 159, 171, 174, 188, 197a, 205, 211-213, 216. Ausg.: R. WUSTMANN, J. S. Bachs Kantaten-Texte (L 1913); Schäferkantate Entfliehet, verschwindet, hrsg. v. F. SMEND (Kas 1943); W. NEUMANN, J. S. Bachs sämtliche Kantaten-Texte (L 1956, Nachdr. 1967). Lit.: L. F. TAGLIAVINI, Studi sui testi delle cantate sacre di J. S. Bach (Padua - Kas 1956); F. ZANDER, Die Dichter der Kantatentexte J.S. Bachs, in: Bach-Jb. 54 (1968); H. STRECK, Die Verskunst in den poetischen Texten zu den Kantaten J. S. Bachs (H 1971) (= Hamburger Beitr. z. Musikwiss. 5).

HENSEL, Walther (eig. Julius Janiczek), *8. 9. 1887 Mährisch-Trübau, t 5.9. 1956 München; dt. Musikpädagoge und Volksliedforscher. H. studierte Alt- und Neuphilologie, Gesang und Tonsatz in Wien, Freiburg i. O. und in Prag. 1911 promovierte er in Freiburg mit der Dissertation Der Vokalismus der Mundarten in der Schönhengster Sprachinsel. 1912-18 war er in Prag Gesanglehrer, Französisch- und Deutschlehrer an der Handelsakademie, zeitweilig auch Assistent am germanistischen Seminar der Universität. Seit 1925 wirkte er in Dortmund als Jugendmusikpfleger, Gründer und 73 .

Henselt Leiter der Jugendmusikschule am städtischen Konservatorium. Seit 1930 lehrte er an der Stuttgarter Volkshochschule. 1938 kehrte er in seine Heimat zurück und widmete sich besonders der Erforschung des sudetendeutschen Volksliedes. Nach 1945 war er in München am Volkslied-Archiv der städtischen Musikbücherei tätig. Zusammen mit seiner Frau, der Sängerin Olga Pokorny, hatte H. bereits 1923 zur Volkslied- und Chorgesangpflege als Basis einer geistigen und nationalen Erneuerung in Finkenstein die erste Singwoche und den „Finkensteiner Bund" begründet und seither zahlreiche Singwochen in Deutschland und in den Nachbarländern veranstaltet, deren groBe Breitenwirkung in Jugend, Schule, Kirche und Volk ihn zum „Singmeister des deutschen Volkes" und führenden Vertreter der Chor- und Jugendmusikbewegung werden liegen. 1923-34 gab er die Finkensteiner Blätter heraus, mit denen K. Vötterle in Augsburg den Bärenreiter-Verlag eröffnete und zum Verleger H.s wurde. WW: 1) Lieder- a. Taoa:lgen.: Dt. Liedlein aus ()str., 2 H.e (L 1913, 1917); Der Prager Spielmann (Eger 1919); Das Aufrecht Fähnlein (1923); Der siegende Quell, H. 1 (Au 1925), H. 2 u. 3 (Kas 1936); Volkstänze aus dt. Gauen (Kas 1925); Strampedemi (Kas 1931); Spinnerin Lobunddank (Kas 1932, 21957); Sonnengesang des hl. Franziskus (Kas 1935); Unser Land im Lied (Mn 1951). - 2) Melkaa: Lied und Volk. Eine Streitschrift wider das falsche dt. Lied (Au 1923); Im Zeichen des Volksliedes (Reichenberg 1922, Kas 21936); Über die gesamte Musikpflege in Schule u. Volk (Rudolstadt 1924); Auf den Spuren des Volksliedes (Kas 1944, 21964); weitere Beitr., in: Die Singgemeinde (1924ff.) (mit wichtigen Notenbeigaben). Lit.: Die Finkensteiner Singwoche, hrsg. v. H. KLEIN (Au 1924); H. POLZER, W. H., in: Bärenreiter-Jb. 2 (1926); H. HOCKNER, Die Musik in der dt. Jugendbewegung (Wb 1927); K. VOTTERLE, W.H. u. die ev. Kirchenmusik, in: MuK 27 (1957); DERS., Haus unterm Stern (Kas 1969); R. BAUM, Musikal. Aktivität ohne Auftrag, in: Musica 23 (1969); H. J. BUSCH, H., in: Lexikon der Musikpädagogik (1972); H. JANTZEN, H., in: Namen u. Werke II (F 1974).

HENSELT, Georg Martin Adolf von, * 9. 5. 1814 Schwabach (Bayern), t 10. 10. 1889 Warmbrunn (Schlesien); dt. Pianist und Komponist. H. studierte als königlicher Stipendiat seit 1832 Klavier bei J. N. Hummel in Weimar und später Musiktheorie bei S. Sechter in Wien. Seine Konzerttätigkeit machte ihn seit 1836 als Pianist rasch international bekannt. 1838 lieB er sich in St. Petersburg nieder, wo er Hofpianist der Kaiserin, Musiklehrer der Prinzen und Generalmusikinspektor der kaiserlichen Töchtererziehungsheime wurde. Als Pianist hatte H. eine individuelle, besonders auf Legato-Spiel basierende Klaviertechnik entwickelt, die technische Brillanz mit ausdrucksvoller Tongebung verband. Seine Kompositionen, überwiegend Klavierwerke, wurden von Schumann und Liszt geschätzt. WW: Zahlr. Klv.-Stücke, u. a.: Poème d'amour, op. 3; 4lmpromp-

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tus, op. 7, 17, 34, 37; Frühlingslied, op. 15; Ballade, op. 31; weitere Klv.-Werke ohne Opuszahl meist in Hamburg u. Berlin gedruckt; Duo für Klv. u. Horn, op. 14; Klv.-Konzert f-moll, op. 16; Konzertetüden, op. 2 (Nr. 6 Vöglein Etüde), 5 u. 13 (Nr. 2 La gondola); ferner zahlr. Klv.-Bearbeitungen. Lit.: O. STOLLBERG, Schwabacher Charakterköpfe in der Musikgesch. des 20. Jh.s, in: Schwabach, Geschichte- und Kulturbilder (Schwabach 1951); R. DAVIS, H., Balakirev and the Piano, in: MR 28 (1967); R. PUCHELT, Verlorene Klänge. Stud. z. dt. Klv.-Musik 1830-80 (B 1969).

HENZE, Hans Werner, *1. 7. 1926 Gütersloh; dt. Komponist. H. studierte 1943-44 Klavier und Schlagzeug an der Staatsmusikschule Braunschweig, 1946-48 Komposition bei W. Fortner in Heidelberg und Zwölftonsatz bei R. Leibowitz in Paris. 1948-49 war er musikalischer Leiter und Bühnenkomponist am Deutschen Theater in Konstanz, unter dem Direktor H. Hilpert, arbeitete bis 1952 zusammen mit Fortner bei den Kranichsteiner Ferienkursen für Neue Musik und 1950-53 als Ballettkapellmeister am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden. Seither lebt H. in Italien (1953 Ischia, 1957 Neapel, 1961 Rom). Reisen führten ihn zu Einstudierungen seiner Werke als Dirigent und Regisseur vornehmlich in die Bundesrepublik Deutschland und nach England. Seit Mitte der 70er Jahre veranstaltete H. in Montepulciano sommerlich das Cantiere Internazionale d'Arte zur Erprobung neuer szenisch-musikalischer Formen und Inhalte in Zusammenarbeit mit jungen Künstlern aus aller Welt. 1961-67 betreute er eine Kompositionsklasse am Mozarteum in Salzburg. 1980 übernahm er einen Lehrstuhl für Komposition und Ästhetik an der Musikhochschule Rheinland in Köln. WW: 1) betr.-WW: Variationen, op. 13 (1949) u. Sonata (1959) für Klv.; Divertimenti (1964) für 2 Klv.; 6 Absences (1961) u. Lucy Escott Variation (1963) für Cemb. - V.-Sonate (1946); Kammerkonzert für Klv., Fl. u. Str. (1946); Concertino für Klv., Bläser u. Schlagzeug (1947); 5 Streichquartette (1947,1952, 1976, 1976, 1977); Kammersonate für Klv., V. u. Vc. (1948, revidiert 1963); Serenade für Vc. (1949); Blääerquintett (1952); Concerto per il Marigny (1956) für Klv. u. 7 lnatr.; Sonata per archi (1958); Drei Dithyramben (1958) für Kammerorch.; Sonata per Pianoforte (1959); Adagio für 8 Instr. (1963); Aria de la folia espagnola (1977) für Kammerorch. - Für Orch.: Ode an den Westwind (1953) für Vc. u. Orch.; Quattro poemi (1955); 3 sinfonische Etüden (1955, neu bearb. 1964); Antifone (1960); Fantasie Los caprichos (1963); Telemanniana (1967); Freiheitshymne (1967) für Str.; Compases... (1970) für Va. u. 22 Spieler; Allegoria per musica Heliogabalus Imperator (1972); Barcarola (1980). - 6 Symphonien, 1: (1947, Neufassung 1963), 2: (1949), 3: (1950), 4: 1 Sau (1955), 5: (1962), 6: (1969) für 2 Kammerorch. - 2 V.-Kon-zerte (1947, 1971), das 2. für St., 33 Instr. u. Tonband; 2 Klv.Konzerte (1950, 1967); Doppio concerto (1966) für Ob., Harfe u. Str.; Concerto per Contrabasso (1966); Suite Apollo trionfante, UA: Gelsenkirchen 1980. - 2) Vokal-WW: 5 Madrigale (1947) (nach F. Villon) für gem. Chor u. 11 Insu.; Chorgefangener Trojer (1948, revidiert 1964) (nach Goethes Faust II) für Chor u. Orch.; Konzertarie Der Vorwurf (1948) (Text: F. Werfel) für Bar., Trp., Pos. u. Streichorch.; Kantate Whispers from Heavenly Death (1948) (Text: W. Whitman) für hohe SingSt u. 8 Instr.; Wiegenlied

Herbeck der Mutter Gottes (1948) (Text: Lope de Vega) für lst. Knabenchor u. 9 Inatr.; Improvisationen Apollo et Hyazinthus (1949) (auf Texte v. G. Trakl), für Cemb., Alt-St. u. 8 Instr.; 5 Neapolitanische Lieder für mittlere St. u. Kammerorch. (1956); Nachtstücke u. Arien nach Gedichten v. I. Bachmann (1957) für Sopran u. Orch.;

Kammerkantate In lieblicher Bläue (1958) (nach Hölderlin Hymne) für Tenor, Gitarre u. 8 Instr.; Aufstand (1960) (für die Gemeinschaftskomp. Jüdische Chronik, zus. mit B. Blacher, P. Dessau, K. A. Hartmann u. R. Wagner-Régeny) für Alt, Bar., Sprecher, Chor u. Kammerorch.; Kantate Novae de infinito laudes (1962) (nach G. Bruno) für 4 Soli, Chor u. Instr.; Kantate Being

Beauteous (1963) (nach A. Rimbaud) für Koloratursopran, Harfe u. 4 Vc.; Ariosi (1963) (nach Gedichten v. T.Tasso) für Sopran, V. u. Orch. oder für Sopran, V. u. Klv. zu 4 Händen; Chorfantasie auf die Lieder v. einer Insel v. I. Bachmann (1964) für Kammerchor, Pos., 2 Vc., Kb., Portativ, Schlagzeug u. Pk.n; Cantata della fiaba estrema (1963) für Sopran, Kammerchor u. 13 Instr.; Konzert Musen Siziliens (1966) (nach Vergil) für Chor, 2 Klv., Bläser u. Pk.n; „Oratorio volgar et militare in due parti — per Che Guevara" Das FloB der Medusa (1968) für Sopran, Bar., Sprechst., Chor, Knabenchor u. Orch.; Rezital El Cimarrón. A utobiografia de Esteban Monte jo (1969) für Bar., Fl., Gitarre u. Schlagzeug; „Show mit 17" II difficile percorso verso la casa di Natascha Ungeheuer (1969) (nach G. Salvatore), dt. Fassung v. H. M. Enzensberger als: Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer; Imaginäres Theater El Reyde Harlem (Text: F. Garcia Lorca) für mittlere St. u. 8 Instr. UA: Witten 1980. — 3) Bärgen-WW: Opern: Das Wundertheater (nach Cervantes), für Schauspieler, UA: Heidelberg 1949, Neufassung für Sänger, UA: Frankfurt 1965; lyrisches Drama Boulevard Solitude (nach Prévosts Manon Lescaut), UA: Hannover 1952, daraus symphonische Zwischenspiele (1953); König Hirsch (Libr.: H. von Cramer), UA: Berlin 1956, revidierte Fassung, UA: Kassel 1963; Der Prinz von Homburg (Libr.: I. Bachmann), UA: Hamburg 1960; Elegy for Young Lovers (Libr.: W. H. Auden, Ch. Kallman) dt. als: Elegie für junge Liebende, UA: Schwetzingen 1961; komische Oper Der junge Lord (Libr.: I. Bachmann), UA: Berlin 1965, daraus Zwischenspiele für Orch. (1964); Opera seria Die Bassariden (Libr.: H. W. Auden, Ch. Kallman), UA: Salzburg 1966, daraus Mänadenjagd für Orch.; Vaudeville La Cubana oder Ein Leben für die Kunst (Libr.: H.M. Enzensberger), UA: München 1975; „Action für Musik" We Come to the River (Libr.: E. Bond), UA: London 1976, dt. als: Wir erreichen den FluB, UA: Stuttgart 1977; komische Oper Don Chisciotte della Mancia (nach L. u. G. Paisiello), UA: Gelsenkirchen 1979; Oper für Kinder (Libr.: G. di Leva), UA: Montepulciano 1980; komische Oper Die englische Katze (Libr.: E. Bond), UA: Schwetzingen 1981. — Funkopern: Ein Landarzt (nach Kafka), UA: NWDR 1951, Bühnenfassung, UA: Frankfurt 1965, als Monodram für Bar. u. Orch. (1964); Das Ende einer Welt (Libr.: W. Hildesheimer), UA: ebd. 1953, Bühnenfassung, UA: Frankfurt 1965. — Ballette: Ballett-Variationen, UA: Wuppertal 1958; Ballettpantomime Der Idiot (Libr.: T. Gsovsky, I. Bachmann), UA: Berlin 1952; Labyrinth (1951); Jack Pudding, UA: Wiesbaden 1951, daraus Orch.-Suite (1949); Maratona di dang, UA: Berlin 1957, daraus eine Suite für 2 Jazzbands u. Orch. UA: Köln 1956; Ondine (Libr.: F. Ashton), UA: London 1958, daraus Jeux des tritons für Klv. u. Orch. u. Hochzeitsmusik für Blasorch. (1957) sowie Trois pas des tritons u. 2 Suiten für Orch. (1958); Pantomime Des Kaisers Nachtigall, UA: Venedig 1959; Tristan, UA: Stuttgart 1979. — Ferner Bühnen- u. Filmmusik. — 4) Scrritter Undine, Tagebuch eines Ballettes (Mz 1959); Essays (Mz 1964); Musik u. Politik (Mz 1976); ferner war H. Hrsg. v.: Zwischen den Kulturen. Neue Aspekte der musikal. Asthetik (F 1979).

Unter den deutschen Komponisten seiner Generation erwies sich H. frühzeitig als die vielseitigste, jedenfalls aber fruchtbarste und erfolgreichste kom-

positorische Begabung. Er verfügt in gleich sicherer Weise über spätromantisch-impressionistische wie über freitonal-serialistische und weitere moderne Stilmittel und Satztechniken. Überwiegend Programm-musikalisch inspiriert und wort- oder bewegungsbezogenen Stoffen zugewandt, weisen auch die seit den späten 60er Jahren vermehrt sozialkritisch und politisch engagierten Bühnen- und Vokalwerke seinen charakteristischen Personalstil auf: oszillierende Klangfarbigkeit und Expressivität, unter virtuoser Einbeziehung (neo-)folkloristischer Stilmittel sowie auch Klang- und RhythmusElemente des Jazz bei zunehmender Vereinfachung der Schreibweise, dabei nicht ohne ironische Distanz, aber auch nicht immer frei von Zwängen der Routine. Lit.: H.-Sonder-H.e: Melos 27 (1960) u. 32 (1965); Musik u. Bildung 10 (1978). — R. STEPHAN, H. W. H., in: die reihe (1958) H. 4; J. HAUSLER, H. W. H. Versuch eines Portraits, in: NZfM 122 (1961); W. SCHWINGER, Auf der Suche nach neuer Schönheit, in: Musica 20 (Kas 1966); U. DIBELIUS, H. W. H., in: Moderne Musik 1945-65 (Mn 1966, St 1968); K. GEITEL, H. W. H. (B 1968); J. HAUSLER, Musik im 20. Jh. (Bremen 1969); U. STURZBECHER, H. W. H., in: Werkstattgespräche mit Komponisten (Kö 1971); H. PAULI, „Für wen komponieren Sie eigentlich?" (F 1971) (= Reihe Fischer 16); H. H. STUCKENSCHMIDT, H. W. H. u. die Musik unserer Zeit, in: Universitas 27 (1972); H.-K. JUNGHEINRICH, Vier Stunden auf H.s neuem Weg. Ein Interview, in: Melos 39 (1972); W. BuRDE, Volkstümlichkeit u. Avantgarde. Überlegungen zum neueren Schaffen v. H. W. H., in: Avantgarde u. Volkstümlichkeit. Fünf Versuche, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1975) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 15); DERS., Tradition u. Revolution in H.s musikal. Theater, in: Melos/NZ 2 (1976); CH. M. SCHMIDT, Über die Unwichtigkeit der Konstruktion. Anmerkungen zu H. W. H.s 6. Symphonie, in: ebd.; R. FROESE, H. W. H.s Tentos aus Kammermusik, in: G + L 1 (1979). H. LINDLAR

HEPTATONIK (von griech. hepta = sieben), in Analogie zu OEPentatonik gebildete Bz. für ein 7töniges System. J. Handschin leitete u. a. die H. aus der Quintschichtung f c g d a e h innerhalb des Quintenzirkels ab. Durch das Versetzen dieser Töne in den Rahmen einer Oktave ergibt sich die diatonische Tonleiter cd e f g a h. Lit.: J. HANDSCHIN, Musikgeschichte im Überblick (Luzern 1948, St 2 1964).

HERBECK, Johann Franz Ritter von, * 25.12. 1831 Wien, t 28.10.1877 ebd.; östr. Komponist und Dirigent. H. studierte Komposition bei L. Rotter in Wien. 1856-66 war er Chormeister des Wiener Männergesangvereins, seit 1858 Professor am Konservatorium der Gesellschaft für Musikfreunde und 1859-69 deren Dirigent. 1866 wurde er außerdem 1. Hofkapellmeister, leitete 1870 bis 1875 die Hofoper und anschließend wieder die Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde. H. setzte sich tatkräftig u. a. für die Aufführung der 75

Herbert Werke Fr. Schuberts ein, dessen h-moll-Symphonie er wiederentdeckte. Auch war er einer der ersten, die in seiner Zeit die Bedeutung A. Bruckners erkannten. Von H.s eigenen Vokalkompositionen erfreuten sich vor allem die Männerquartette großer Beliebtheit. WW: 2 Streichquartette; 4 Symphonien (1853, 1857, 1861, 1877), nur die 4. Symphonie erschien im Druck; zahlr. geistliche Vokalwerke; Lieder; Männerchöre u. gem. Chöre a cap. u. mit Begleitung; Männerquartette, darunter: Volkslieder aus Kärnten; Im Wald mit Hornquartetj,; Wanderlust; Maienzeit; Landsknecht u. Waldszene mit Orch.; ferner Bühnenmusik; außerdem Bearbeitungen v. Werken Schuberts, Mozarts, Bellinis u. a. lit.: L. HERBECK, J. H., ein Lebensbild (W 1885); K. PFANNHAUSER, Aus H.s Leben, Wirken, Umwelt u. Schriftmappe, in: 125 Jahre Wiener Männergesangsverein (W 1968); J. BRAUN, Ritter v. H. u. das Wiener Hofoperntheater (Tutzing 1976) ( = Wiener Veröff. z. Musikwiss. 2/2).

Dublin, *1. 2. 1859 Victor, HERBERT, t 24.5.1924 New York; amerik. Komponist, Dirigent und Cellist irischer Herkunft. H. erhielt seine musikalische Ausbildung in Europa, spielte u. a. 1882 ein Jahr im Orchester von Eduard Strauß (1835-1916) und später als 1. Violoncellist im Stuttgarter Hoforchester. 1886 nach New York ausgewandert, dirigierte er 1901-03 das Pittsburgh Symphony Orchestra und leitete seit 1904 ein nach ihm benanntes Orchester in New York. 1914 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP). In seinen Operetten, von denen Naughty Marietta am erfolgreichsten war, knüpfte H. an die traditionelle Form der europäischen Operette an und verschmolz sie geschickt mit Elementen des amerikanischen Musiktheaters. Charakteristisch für seine Werke, die eine enorme Popularität errungen haben, ist auch die effektvolle Instrumentation. H. gilt als der dominierende BroadwayKomponist zu Beginn des 20. Jahrhunderts. WW: Zahlr. Instr.- u. Orch.-Kompositionen; Vokalwerke, u. a. Kantate The Captive für Soli, Chor u. Orch., UA: New York 1915; Opern Natoma, UA: ebd. 1911 u. Madeleine, UA: ebd. 1914; zahlr. Operetten, u. a.: Prince Ananias, UA: New York 1894; The Wizard of the Nile, UA: ebd. 1895; The Serenade, UA: Cleveland 1897; The Fortune Teller, UA: Toronto 1898; Cyrano de Bergerac, UA: Montreal 1899; Babes in Toyland, UA: Chicago 1903; Mademoiselle Modiste, UA: Trenton 1905; The Red Mill, UA: Buffalo 1906; Little Nemo, UA: Philadelphia 1908; Naughty Marietta, UA: Syracuse 1910; Sweethearts, UA: Baltimore 1913; The Only Girl, UA: Atlantic City 1914; Eileen, UA: Cleveland 1917; The Velvet Lady, UA: Philadelphia 1918; Angel Face, UA: Chicago 1919; Orange Blossoms, UA: Philadelphia 1922; The Dream Girl, UA: New Haven 1924. Lit.: J. KAYE, V. H. America's Greatest Romantic Composer (NY 1931, Nachdr. Freeport/N.Y. 1970); C. L. PURDY, V.H. American Music-Master (NY 1944); E. WATERS, V. H. A Life in Music (NY 1955); S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960, '1974). R.-M. SIMON — S. SIMON

HERBST (Autumnus), Johann Andreas, * 9. 6. 76

1588 Nürnberg, t 24. 1. 1666 Frankfurt a. M.; dt. Komponist und Musiktheoretiker. Ober H.s Herkunft und musikalische Ausbildung ist nichts bekannt. Seit 1614 als Hofkapellmeister beim Landgrafen Philipp von Butzbach und 1619 beim Landgrafen Ludwig V. in Darmstadt tätig, übernahm er 1623 den Posten eines Director musices und Leiters der Kirchenmusik an der BarfüBerkirche in Frankfurt a. M., wo er bald einen beherrschenden Einfluß auf das Musikleben der Stadt ausübte. Mit dem vergrößerten Orchester und einem neugegründeten, italienisch geschulten Kapellchor brachte er vornehmlich mehrchörige Werke zur Aufführung. 1636 folgte er einem Ruf als Kapellmeister an die Nürnberger Frauenkirche, kehrte aber 1644 wieder in seine Frankfurter Stellung zurück. WW: Im Druck erschienen: Theatrum Amoris ... nach art der Welschen Madrigalien für 5-6 St. (Nü 1613); Meletemata sacra Davidis für 3 u. 6 St. (Nü 1619, 21652); Suspiria cordis für 4 St. u. B.c. (F 1646); 29 Choräle, in: L. Erhardt, Harmonisches Choralund Figuralgesang-Buch (F 1659); zahlr. weitere Vokal-WW hsl. erhalten. — Schriften: Musica practica (Nü 1642, '1658); Musica poetica (Nü 1643); Compendium musices (F 1652).

Als Komponist anfangs noch stark der Tradition des späten 16. Jh. verpflichtet, zeigt H. in den späteren Werken mit Generalbaß die Rezeption und Verarbeitung moderner Stilmittel, besonders die der italienischen Mehrchörigkeit. Seine knapp formulierten, pädagogisch geschickt konzipierten und in deutscher Sprache geschriebenen musiktheoretischen Schriften fußen im wesentlichen auf italienischen Vorbildern und auf dem Syntagma musicum von Michael Praetorius. Diese Elementar- und Kompositionslehren, von denen einige auch die italienische Gesangskunst behandeln, waren im 17. Jh. weit verbreitet. Ausg.: Einige Choräle, in: C. VON WINTERFELD, Der ev. Kirchengesang II (L 1843-47, Nachdr. Hil 1966); Drei mehrchörige Festkonzerte, hrsg. v. R. GERBER (Kas 1937) (= EDM, LD Rhein-Main 1). Lit.: H. GOLDSCHMIDT, Die it. Gesangsmethode des 17. Jh.s (Breslau 1890, 21892); W. NAGEL, Zur Biogr. des J. A. H., in: SIMG 11 (1909/10); P. EPSTEIN, Das Musikwesen der Stadt Frankfurt am Main zur Zeit J. A. H.s, in: AfMw 6 (1924); A. ALLERUP, Die „Musica practica" des J. A. H. (Kas 1931); H. H. EGGEBRECHT, Zum Wort-Ton-Verhältnis in der „Musica poetica" v. J.A. H., in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957). L. HOFFMANN-ERBRECHT

HERDER, Johann Gottfried (von), * 25. B. 1744 Mohrungen (Ostpreußen), t 18. 12. 1803 Weimar; dt. Dichter und Kulturphilosoph. H. studierte 1762-64 Theologie in Königsberg, wo er die Vorlesungen I. Kants hörte und besonders durch J. G. Hamann beeinflußt wurde. 1764 wurde er durch Hamanns Vermittlung Prediger und Lehrer an der Domschule in Riga, wo er mit dem Kantor und Bachschüler J. G. Müthel zusammenarbeitete.

Herman

1769 reiste er nach Paris und Nantes und traf mit Diderot und d'Alembert zusammen. Auf einer Deutschlandreise im folgenden Jahr besuchte er Lessing und Claudius und in Straßburg den jungen Goethe, den er nachhaltig beeinflußte. 1771-76 war er Schaumburg-Lippescher Hofprediger und Hofpoet in Bückeburg, wo ihn eine rege Zusammenarbeit mit dem Bachsohn J. Chr. Fr. Bach verband, der Kantaten-, Oratorien- und Operntexte H.s vertonte. Seit 1776 war er Generalsuperintendent von Weimar. 1780 führte dort der Hofkomponist E. W. Wolf Händels Messiah in H.s Textübertragung erstmals wieder auf. 1788-89 unternahm er eine Italienreise. H. war als der führende Kopf des mit seinem Fragment über die neuere Literatur (1767) beginnenden „Sturm und Drang" ein weit über seine Zeit hinauswirkender Anreger, der Dichtung, Literatur- und Geschichtswissenschaft wie Musikschaffen und -forschung maßgeblich prägte. Sein bedeutendster Beitrag zur Musik war die Wiederentdeckung des als „lebendige Stimme der Völker, ja der Menschheit" und als unmittelbarer Ausdruck der „Seele des Volks" gewerteten „Volkslieds" (um 1773 von Herder eingeführter Terminus). Seine in der H.-Nachfolge noch stärker idealisierte und ideologisierte, heute umstrittene Volksliedidee löste als eine „wahrhaft fruchtbare Fiktion" (Klusen) nicht allein die von H. geforderte und durch seine Editionen eröffnete umfassende Sammlung und Erforschung der Volkskultur aus, sondern förderte auch maßgeblich die Etablierung der „Folkloristik" — der späteren Musikethnologie —, die auf der Basis von H.s Grunderkenntnis der Geschichtlichkeit und damit des Eigenwerts und der Eigengesetzlichkeit von Kulturerzeugnissen der verschiedenen Epochen und Regionen den Helleno- und Eurozentrismus überwand. Eine Konsequenz der ganz Europa erfassenden „Volksliedbewegung" war u. a. das Aufblühen zahlreicher nationaler Musikkulturen auf der Basis der einheimischen Volksmusik und der starke Einschlag des „Volkstons" in Kompositionen des 19. Jahrhunderts. Ferner begründete H. eine auf Einfühlung und „unmittelbare Empfindung" fundierte Ausdrucksästhetik, die u.a. zur Umwertung verachteter früher Kulturerzeugnisse zu künstlerischen Vorbildern der Zeit und damit zu kulturkritischer Relativierung geltender ästhetischer Normen führte. Bedeutsam waren auch H.s Ideen zur Restauration der Kirchenmusik. Seinem Aufsatz Cäcilia (1803) kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Ausg.: GA, hrsg. v. B. SUPHAN, 33 Bde. (B 1877-1913, Nachdr. Hil 1967/68); Auswahl, hrsg. v. W. DOBBEK, 5 Bde. (Wr 1957); Briefe (Auswahl), hrsg. v. DEMS. (Wr 1959); Stimmen der Völker

in Liedern, hrsg. v. J. VON MÜLLER (Tü 1807 u. ö.); dass., hrsg. v. H. MEYER (St 1893) (Dt. National-Litteratur 74); dass., hrsg. v. H. ROLLEKE (St 1975). Lit.: R. HAYM, H. nach seinem Leben u. seinen Werken dargestellt, 2 Bde. (B 1877-1885, Nachdr. 1978); W. NUFER, H.s Ideen zur Verbindung v. Poesie, Musik u. Tanz (B 1929, Nachdr. Nendeln 1967); J. MÜLLER-BLATTAU, Hamann u. H. in ihren Beziehungen zur Musik (Königsberg 1931); K. SCHÜNEMANN, Reichardts Briefwechsel mit H., in: FS M. Schneider (HI 1935); K. HUBER, J. G. von H.s Begründung der Musikästhetik, I: Die philos. Grundlagen v. H.s Musikästhetik, in: AfMf 1 (1936); F. NoçoN, H.s Entwurf einer Ästhetik (Diss. Bonn 1941); A. KLEINAU, H.s Volkslied-Begriff (Diss. Marburg 1947); J. MÜLLER-BLATTAU, Musikal. Stud. zu H.s Volkslied, in: Niederdt. Jb. für Volkskunde 22 (1947); W. WIORA, H.s Ideen zur Gesch. der Musik, in: Im Geiste H.s ..., hrsg. v. E. Keyser (Kitzingen 1953), u. in: Hist. u. systematische Musikwiss. Ausgew. Aufsätze (Tutzing 1972); U. SCHMITZ, Dichtung u. Musik in H.s theoretischen Schriften (Diss. Kö 1960); W. WIORA, H.s u. Heinses Beitr. zum Thema „Was ist Musik", in: Mf 13 (1960); F. VON INGEN, J. G. H.s kirchenmusikal. Anschauungen, in: MuK 33 (1963); A. JOHANSONS, H., Harder u. ein lettisches Bauernmädchen, in: Zschr. für Volkskunde 61 (1965); L. SCHRADE, H.'s Conception of Church Music, in: De scientia musicae studia atque orationes, hrsg. v. E. Lichtenhahn (Be 1967); E. KLUSEN, Volkslied. Fund u. Erfindung (Kö 1969); J. MÜLLER-BLATTAU, Goethe, H. u. das elsässische Volkslied, in: Goethe-Jb. 89 (1972); P. F. MARKS, The Application of the Aesthetics of Music in the Philosophy of the Sturm u. Drang. Gerstenberg, Hamann and H., in: MR 35 (1974); K. AMELN, J. G. H. als GesangbuchHerausgeber, in: JbLH 23 (1979). W. SCHEPPING

HEREDIA (Eredia), Pietro, * Vercelli, t 1648 Rom: it. Komponist span. Herkunft. Er war 1595-96 Hofmusiker in Turin, später Kapellmeister an der Kathedrale von Vercelli, 1623-29 Organist an der Peterskirche in Rom und seit 1639 Kapellmeister am Pontificio Seminario Romano (Römischen Priesterseminar) und an der Kirche Il Gesù. WW: Messe Super cantu romano für 4 St. u. B. c. (hsl. 1635), eine weitere Messe in RISM 1646' (zus. mit 3 Messen Palestrinas in der Bearb. v. G. F. Anerio u. einer Messe Anerios), ein 5st. Requiem mit B. c. in der erweiterten Neuauflage dieses Druckes (RISM 1662'); eine Motette in RISM 1616'; ein Madrigal in: G. B. Doni, Compendium (1635). Ausg.: Missa super cantu romano, hrsg. v. M. HERMESDORFF (Treviso 1873); Madrigal Passa la vita, in: TORCHI Arte Mus. IV; dass., hrsg. v. R. MITJANA, in LAVIGNAC Hist. IV (1920). Lit.: W. KURTHEN, Die Missa Super cantu romano v. P. E., in: KmJb 31-33 (1936-38).

HERMAN, Jerry (Gerald), * 10. 7. 1932 New York; amerik. Komponist und Textdichter. In der Musik Autodidakt, war H. zunächst für Shows an Universitäten und Nightclubs tätig. 1961 brachte ihm Milk and Honey mit eigenen Texten und Songs seinen ersten Broadway-Erfolg. Mit den Musicals Hello, Dolly! (UA 1964) und Mame (UA 1966), deren Titel-Songs weltberühmt wurden, gelang ein Durchbruch; die weiteren Werke Dear World (UA 77

Herman 1969) und Mack & Mabel (1974) konnten aber an diese Erfolge nicht anknüpfen. Lit.: S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 1960, '1974).

HERMAN, Woody (Woodrow Charles), * 16. 5. 1913 Milwaukee (Wisconsin); amerik. Jazzmusiker (Klarinette, Altsaxophon) und Bandleader. H. formierte Ende der 30er Jahre ein als „The Band that plays the Blues" bekannt gewordenes Ensemble, das er 1943/44 unter der Bezeichnung „First herd" zur Big Band erweiterte. Erfolgshit dieser Band, deren Swingstil jetzt eine deutliche Tendenz zum Bebop hatte, war Caledonia, ein Stück, das I. Strawinsky zu seinem von H. 1946 uraufgeführten Ebony Concerto inspirierte. 1947 stellte H. die „Second herd" zusammen, die bis 1949 bestand. Sie zeichnete sich besonders durch den Saxophonsound der sogenannten „Four Brothers" Stan Getz, Zoot Sims, Herb Stewart (später Al Cohn) und Serge Chaloff aus und übernahm stilistisch Elemente des Cool-Jazz. Nach der Ende 1949 gegründeten und 1955 wieder aufgelösten „Third herd" stellte er 1956 erneut eine Band zusammen, die sich aber erst 1963 zur „Fourth herd" formierte. Diese vor allem durch die Arrangements von Nat Pierce geprägte Band verarbeitete Elemente des Hard Bop. Auch die von H. in den 70er Jahren geleiteten Big Bands gehörten zu den führenden Gruppierungen des konventionellen modernen Jazz. Lit.: W. H., 2 Bde., hrsg. v. E. EDWARDS (Brande 1959-61); W. H., 2 Bde., hrsg. v. E. EDWARDS - G. HALL - B. KARST (Whittier/Calif. 1965); W. H., hrsg. v. E. EDWARDS, I: 1932-42 (ebd. 1969); J. E. BERENDT, Das Jazzbuch. Von Rag bis Rock (F 1973).

HERMANN (Herman, Heriman) DER LAHME, auch Hermannus Contractus oder Hermann von Reichenau genannt, OSB, *18. 7. 1013 vielleicht Saulgau (Schwaben), t 24.9. 1054 Kloster Reichenau; dt. Musiktheoretiker. H., Graf von Vehringen und Sohn des Grafen Wolferadus II. von Altshausen, seit der Kindheit gelähmt, kam 1020 als Klosterschüler nach Reichenau und trat 1043 in den Benediktinerorden ein. Unter Leitung des Abtes Berno erhielt er eine umfassende wissenschaftliche und musikalische Ausbildung und entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Neben dem Chronicon und Schriften über Mathematik und Astronomie verfaßte H. auch einen Musiktraktat Opuscula musica. Er enthält die Lehre von den Intervallen, Tetrachorden, Tonbuchstaben und Kirchentonarten sowie eine unter der Bezeichnung „hermannische Buchstabennotation" bekannt gewordene Notationsweise, die zusätzlich zu den adiastematischen Neumen relative Tonhöhen anzeigende Intervallbuchstaben benutzt. 78

Steigende oder fallende Intervalle werden durch einen hinzugesetzten Punkt bzw. durch das Fehlen desselben angezeigt. Diese Notationsweise, eine direkte Vorstufe der Liniennotation Guido von Arezzos, wird u. a. auch von Johannes Affligemensis (Musica), Frutolfus von Michelsberg (Breviarium) und Jacobus Leodiensis (Speculum musicae) beschrieben. Am Schluß von H.s Traktat finden sich einige Gedichte als Merkverse zum Erlernen der musikalischen Intervalle, wie sie im ganzen Mittelalter verbreitet waren. Von H. stammen vermutlich auch Text und Melodie mehrerer Sequenzen, Hymnen sowie der ."Marianischen Antiphonen Alma redemptoris und Salve regina, die Höhepunkte der mittelalterlichen Einstimmigkeit darstellen. Ausg.: Opuscula musica, in: GERBERT Scr. Il; dass., in: L. ELLINWOOD, Musica Hermanni contracti (Rochester 1936) (mit engl. Übers.). Lit.: J. HANDSCHIN, H. C. Legenden, nur Legenden?, in: Zschr. für dt. Altertum u. dt. Lit. 72 (1935); H. OESCH, Berno u. H. von Reichenau als Musiktheoretiker (Be 1961); R. L. CROCKER, H.'s Major Sixth, in: JAMS 25 (1972).

HERMELINK, Siegfried, *10. 5. 1914 Gniebel bei Tübingen, t 9.8. 1975 Fréconrupt (Elsaß); dt. Musikforscher. H. studierte an der Musikhochschule in Stuttgart, seit 1938 Musikwissenschaft in Tübingen und seit 1940 bei H. Besseler in Heidelberg, wo er 1945 promovierte. 1946-51 war er Lehrer für Orgelspiel und Musikgeschichte am Kirchenmusikalischen Institut und seit 1952 Universitätsmusikdirektor in Heidelberg. 1959 habilitierte er sich für Musikwissenschaft und wurde 1965 Professor. Schriften: Zur Gesch. der Kadenz im 16. Jh., in: Kgr.-Ber. Köln 1958 (Kas 1963); Rhythmische Struktur in der Musik v. H. Schütz in: AfMw 16 (1959); Dispositiones modorum. Die Tonarten in der Musik Palestrinas u. seiner Zeitgenossen (Tutzing 1960) ( = Münchner Veröff. z. Musikgesch. 4); Die Tabula compositoria, in: FS H. Besseler (L 1961); Bemerkungen zum ersten Praeludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier, in: FS J. Müller-Blattau (Kas 1966) (= Saarbrücker Stud. z. Musikwiss. 1); Bemerkungen zu Bachs Rezitativ, in: MuK 39 (1969); Eine Kirchenliedweise als Credomelodie, in: Mf 23 (1970); ein Heidelberger Choralbuch vom Jahre 1766, in: JbLH 15 (1970); Bemerkungen zur SchützEdition, in: Musikal. Edition im Wandel des hist. Bewußtseins, hrsg. v. Th. G. Georgiades (Kas 1971) (= Musikwiss. Arbeiten 23). - H. edierte ferner für die Lasso-GA (neue Reihe) die Messen 1-55 (Kas 1962-70) (= GA 3-10).

HERMENEUTIK (von griech. herméneuein = deuten), die Kunst des Auslegens von Texten, also auch von Kunstwerken. Die Tradition der H. geht bis auf die Homerinterpretation der Antike zurück, blieb jedoch bis ins 18. Jh. eine Lehre von den „dunklen Stellen". Erst Fr. Schleiermacher erhob die H. von einer Methode kasuistischen Deutens zu einer universalen Lehre von den Bedingungen und Möglichkeiten des Verstehens. Im Anschlug an Schleiermachers H. versuchte W. Dilthey eine me -

Hérold

thodische Grundlegung der Geisteswissenschaften. Der „erklärenden" Psychologie von naturwissenschaftlicher methodischer Ausrichtung stellte er eine „beschreibende und verstehende" Psychologie gegenüber, die allein die jeweilige historische Situation durch Nacherleben einholen könne. Diltheys H. war für die Geisteswissenschaften folgenreich. In der Musikwissenschaft unternahm H. Kretzschmar mit seiner musikalischen H. den Versuch, den „geistigen Inhalt" von Instrumentalmusik — dem die Form nur als Hülle beigegeben sei — durch Erläuterung des Affektgehalts von Intervallen, Motiven und Themen zu umschreiben. Die eingeschränkte historische Gültigkeit der Affektenlehre des 17. und 18. Jh., auf die er sich berief, blieb ebenso unreflektiert wie die eigene ästhetische Position, die der Inhaltsästhetik des 19. Jh. verpflichtet war. Das Auseinanderdriften von philologischhistorischer Methode und H. nach Dilthey dokumentiert sich in der Musikwissenschaft am eindrücklichsten in den Arbeiten des KretzschmarSchülers A. Schering: seine hermeneutischen Studien zur Musik Bachs und Beethovens stehen unverbunden neben seinen Beiträgen zur Gattungsgeschichte. Während Schering die Untersuchungen zum Symbolgehalt der Bachschen Musik durch die Lehre von den musikalisch-rhetorischen řFiguren historisch fundieren konnte, berief er sich bei seinen Interpretationen Beethovenscher Instrumentalmusik auf die Einfühlung — *eine Einengung von Schleiermachers Kongenialitätsbegriff — als Instanz. Kraft dieser Einfühlung, die allerdings im Unterschied zu Kretzschmar eine formale Analyse der Komposition einschließt, vermag der Hermeneut den geistigen Inhalt des musikalischen Kunstwerkes nicht nur zu umschreiben, sondern in einem „esoterischen Programm" — einer vom Komponisten verschwiegenen literarischen Vorlage — zu objektivieren. Scherings Versuch der Objektivierung seiner Interpretationen scheiterte letztlich — trotz seines vertieften methodischen Bewußtseins — daran, eine Methode anzugeben, wie jene literarische Vorlage zu finden sei. Heidegger hat zur Sprache gebracht, daß Verstehen letztlich durch keinerlei Methode zu begründen („unvorgreiflich”) sei. Die Uneinholbarkeit des Vorverständnisses haben die Literatur- und in ihrem Gefolge die Musikwissenschaft in der „werkimmanenten Interpretation" kultiviert, in der auf eine Stützung der Begegnung zwischen interpretierendem Subjekt und Werk durch Theorie weitgehend verzichtet wird, aber auch die Zirkelstruktur des Verstehens auf sich beruhen bleibt. Erst die Rückbesinnung auf die Traditionsgebundenheit des Verstehens (Gadamer) hat dessen Geschichtlichkeit

methodisch fruchtbar gemacht. Das Verständnis eines Werkes ist nicht mehr auf den vom Autor „gemeinten" Sinn eingeschränkt. Erst die Wirkungsgeschichte eines Werkes eröffnet Einsichten in die Verstehensmöglichkeiten, die es bietet. Da die Wirkungsgeschichte — auch musikalischer Werke — hauptsächlich durch Sprache tradiert ist, gewinnt das Sprechen über Musik zunehmend Gewicht. Jegliche Interpretation und Analyse, auch die scheinbar unverfängliche Beschreibung musikalischer Sachverhalte, hat sich der hermeneutischen Frage nach dem Vorverständnis, von dem sie getragen werden, zu stellen. Lit.: H. KRETZSCHMAR, Anregungen zur Förderung musikal. H., in: Jb. Peters 9 (1902); DERS., Neue Anregungen zur Förderung musikal. H., in: ebd. 12 (1905); A. SCHERING, Zur Grundlegung der musikal. H., in: Zschr. für Ästhetik u. allgemeinen Kunstwiss. 9 (1914); DERS., Das Symbol in der Musik, hrsg. v. W. GURLITT (L 1941); H. ZENCK, Numerus u. Affectus, hrsg. v. W. Gerstenberg (Kas 1959) (= Musikwiss. Arbeiten 16); H.-G. GADAMER, Wahrheit und Methode (Tü 1960, 3 1972); C. DAHLHAUS, Analyse und Werturteil (Mz 1970); K. H. EHRENFORTH, Verstehen und Auslegen. Die hermeneutischen Grundlagen einer Lehre von der didaktischen Interpretation (F 1971); Musik und Verstehen, hrsg. v. P. FALTIN — H.-P. REINECKE (Kö 1973); A. SCHERING, Vom Wesen der Musik, hrsg. v. K. M. Komma (St 1974); P. SZONDI, Einführung in die literarische H. (F 1975); Beitr. zur musikal. H., hrsg. v. C. DAHLHAUS (Rb 1975) (= Stud. z. Musikgesch. des 19.Jh. 43); H. H. EGGEBRECHT, Musikal. Denken (Wilhelmshaven 1977) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 46); R. STEIGER. Methode u. Ziel einer musikal. H. im Werke Bachs, in: MuK 47 (1977). H. WEBER

HEROLD, Johannes, * um 1550 Jena, t Weimar, beerdigt 8.9. 1603; dt. Komponist. H. war seit etwa 1593 Kantor in Klagenfurt. Wegen der Gegenreformation ging er 1607 nach Altenburg, wo er noch im selben Jahr Hofkapellmeister wurde. 1602 siedelte er mit der Kapelle nach Weimar über. Von seinen Werken ist lediglich eine motettische Passion erhalten (Gr 1594, ohne Discantus-Stimme), die Einflüsse der venezianischen Schule erkennen läßt. Ausg.: Historia des Leidens u. Sterbens unsers Herrn u. Heilands (Matthäuspassion), hrsg. u. ergänzt v. H. J. MOSER (Gr 1955) (= Musik alter Meister 4). Lit.: H. J. MOSER, Die Klagenfurter dt. Passion des J. H., in: MuK 11 (1939); DERS., Die Musik im frühevangelischen Ostr. (Kas 1954); H. FEDERHOFER, H., in: MGG VI.

HÉROLD, Louis Joseph Ferdinand, * 28.1.1791 Paris, t 19.1. 1833 ebd.; frz. Komponist. H. wurde zuerst von seinem Vater, Franz Joseph H. (1755-1802), unterrichtet, einem Schüler Ph. E. Bachs. Später war er Schüler von Fr. J. Fétis und am Pariser Conservatoire, u. a. bei L. Adam, Ch. S. Catel, R. Kreutzer und seit 1811 bei É. N. Méhul. 1812 erhielt er den Prix de Rome. 1813 ging er nach Neapel, wo er mit G. Paisiello, S. Mayr und N. Zingarelli bekannt wurde und die Töchter König 79

Herpol Murats unterrichtete. 1815 führte er vor dem königlichen Hof mit großem Erfolg die Oper La gioventù di Enrico Quinto auf, mußte aber aus politischen Gründen Italien noch im selben Jahr verlassen, hielt sich zunächst 3 Monate in Wien auf und wandte sich wieder nach Paris. Dort wurde er noch im selben Jahr Akkompagnist am ThéâtreItalien, 1824 Chordirektor und 1826 Gesangmeister an der Opéra. Von seinen an G. Rossini und Boieldieu anknüpfenden Bühnenwerken konnten sich in Frankreich nur Marie und besonders sein letztes Werk, Le Pré-aux-Clercs, durchsetzen. In Deutschland wurde sein Name vor allem durch die Oper Zampa sowie durch das Ballett Lydie, la fille mal gardée bekannt. Die Ouvertüre zu Zampa war bis weit ins 20. Jh. hinein ein beliebtes Werk der bürgerlichen Hausmusik für Klavier zu 4 Händen. WW: Kammermusik; Orch.- u. Vokalwerke; zahlr. Opéras-comiques, u.a. (UA in Paris): Charles de France ou Amour et gloire (zus. mit F. A. Boieldieu), UA: 1816; Les Rosières, UA: 1817; La clochette ou Le diable page, UA: 1817; Les croqueurs, UA: 1819, dt. als: Der Tausch, UA: Wien 1820; Le mutelier (nach La Fontaine), UA: 1823; Almédon ou Le monde renversé, später als: Marie, UA: 1826; Zampa ou La fiancée de marbre, UA: 1831; Le Pré-aux-Clercs (nach Mérimée), UA: 1832; Ludovic, vollendet v. F. Halévy, UA: 1833; Ballette: Astolphe et Joconde ou Les coureurs d'aventures, UA: 1827; La somnambule ou L'arrivée d'un nouveau seigneur, UA: 1827; Lydie, la fille mal gardée, UA: 1828; La belle au bois dormant, UA: 1828. Lit.: A. POUGIN, H. (1906); M. BRIQUET, H., in: MGG VI.

HERPOL (Herbipolis, Herbol, Herpolitanus, Herpoll), Homer, * um 1520 Saint-Omer (Pas-de-Calais), t 1573 oder 1574 Konstanz; franko-flämischer Komponist. H. war 1554-55 Kantor an der St.-Nikolaus-Kirche in Freiburg i. Ü. 1555 wurde er Schüler Glareans in Freiburg i. Br., nahm aber 1557 seine frühere Kantorenstelle wieder auf. 1567 wurde er wegen seines schlechten Lebenswandels entlassen. Zuletzt erscheint sein Name 1575 in einem Chorbuch des Klosters Reichenau. H.s Novum et insigne opus musicum ist der erste bekannte vollständige Jahrgang lateinischer Evangelien-Motetten. Die 54 Gesänge, die planmäßig die 12 Modi Glareans verwenden, sind charakteristisch für den imitatorischen Stil der Niederländer in der Art A. Willaerts und Clemens' non Papa.

duate School of Music in New York, wo er das New Chamber Orchestra gründete. 1933 wurde er beim Columbia Broadcasting System (CBS) Komponist und Arrangeur, 1934 Dirigent der American School of the Air und leitete 1940-55 das CBS Symphony Orchestra. WW: Streichquartett (1966); für Orch.: Symphonie (1940); 2 Suiten Currier and Ives (1935) u. For the Fallen (1943); V.-Konzert (1937). - Oper Wuthering Heights, UA: London 1965. - Zahlr. Filmmusiken, u.a. zu: Citizen Kane (1940); Vertigo (1958); North by Northwest (1959); Psycho (1960); Mamie (1964) und Fahrenheit 451 (1966).

HERRMANN, Hugo, *19. 4. 1896 Ravensburg (Württemberg), t 7.9. 1967 Stuttgart; dt. Komponist und Musikpädagoge. H. war zunächst Volksschullehrer, studierte dann am Stuttgarter Konservatorium und an der Berliner Musikhochschule bei W. Gmeindl und Fr. Schreker. 1919-23 war er Musiklehrer, Organist und Chorleiter in Balingen und Ludwigsburg, ging anschließend als Organist nach Detroit (Michigan), war 1925-29 Chorleiter in Reutlingen und bis 1932 Volontär am Staatstheater Wiesbaden, für das er auch Auftragswerke schrieb. 1935-62 leitete er, seit 1949 als Professor, die Städtische Musikschule Trossingen. H. wirkte maßgeblich u. a. an den Donaueschinger Musiktagen 1934-37 und nach dem 2. Weltkrieg sowie an den 1945 begründeten Trossinger Musiktagen mit. 1953 gehörte er zu den Gründern des Deutschen Akkordeonlehrer-Verbandes. H. schrieb vor allem Chorwerke und instrumentale Volksmusik, deren Pflege für das Laienmusizieren er förderte, ferner auch eine größere Anzahl Akkordeonkompositionen sowie Schulwerke für Laienchor und Akkordeon.

WW: Novum et insigne opus musicum für 5 St. (Nü 1565), die Nrn. 11, 23 u. 52 auch in: J. Rühling, Tabulaturbuch auff Orgeln u. Instrument (L 1583); Officium in die Sancto Penthecostes (1575) (hsl. in Augsburg, Stadtbibl.); 7 Magnificat, je ein Salve regina u. Regina coeli sowie 6 Responsorien (Karlsruhe, Landesbibl.).

WW: 1) Instr.-WW: Klv.- u. Akkordeonstücke; 5 Streichquartette. - Für Orch.: 5 Symphonien (1928, 1929, 1950, 1951, 1955); Symphonische Metamorphosen (1953); 2 Orgelkonzerte (1928); V.-Konzert (1930); Cemb.-Konzert (1931); Gambenkonzert (1931); 2 Akkordeonkonzerte (1941, 1949); Doppelkonzert für Harfe u. Akkordeon (1951); Sinfonia alla comedietta (1958) für Akkordeonorch. u. Schlagzeug; Feierlicher Prolog (1960); Seraphische Musik (1961); Laudes (1965), symphonische Varianten über ein gregor. Benedictus. - 2) Vokal-WW: Lieder; Apokalypse 1945 für 2 Solost. u. Str.; Oratorium Jesus u. seine Jünger (1931) sowie mehrere Messen; zahlr. Chorwerke, u.a.: Minnespiel (1922); Chorpastorale (1928); Chorfestspiel Des Friedens Geburt (1947); Grußworte (1954); Cantata primavera (1956). - 3) Bö6nen-WW: Kammeroper Gazellenhorn, UA: Stuttgart 1929; Opern: Vasantasena, UA: Wiesbaden 1930; Das Wunder, UA: Stuttgart 1937; Paracelsus, UA: Bremen 1943. Lit.: A. BERCHTOLD: H. H., in: MS 87 (1967).

Lit.: A. LEERING, H.H. u. M. Barberini Lupus, in: FS K. Nef (Z - L 1933); W. BRENNECKE, H. H., in: MGG VI; M. SCHULER, Zur Biogr. v. H.H., in: Mf 18 (1965).

HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MAUI, Oper von P. Dessau; /Puntila.

HERRMANN, Bernard, * 29.6. 1911 New York, t 24. 12. 1975 Los Angeles; amerik. Komponist. H. studierte u. a. bei A. Stoessel an der Juilliard Gra-

HERSCHEL, Friedrich Wilhelm (Sir William), *15. 11. 1738 Hannover, t 25.8. 1822 Slough bei Windsor; dt. Astronom und Komponist. H. trat

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Herz 1753 als Oboist und Violinist in die Regimentskapelle in Hannover ein, mit der er bei Ausbruch des Siebenjährigen Krieges nach England ging. Um 1757 schied er aus der Armee aus und ließ sich 1760 in England nieder. Dort verdiente er seinen Lebensunterhalt vorwiegend als Musiklehrer, schrieb zahlreiche Kompositionen und widmete sich mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien. 1766 wurde er Organist an der Octagon Chapel in Bath, wandte sich aber zunehmend der Astronomie zu. Zu seinen bedeutenden Leistungen auf diesem Gebiet gehören u. a. die Entdeckung des Planeten Uranus (1781) sowie die Konstruktion eines nach ihm benannten Teleskopes (1789). WW: Im Druck erschienen: 6 Cemb.-Sonaten mit obligater V. u. Vc. (Bath 1765); hsl. erhalten sind Org.-, V.- u. Harfensonaten; 24 Symphonien u. Konzerte für versch. Instrumente. Lit.: C. A. LUBBOCK, The H. Chronicle (C 1933); The Musician Astronomer, in: ZIMG 9 (1907/08); G. BUYFMANN, W.H. Leben u. Werk (St 1961); V. DUCKLES, W. F. H.'s Concertos for Oboe, Viola and Violon, in: FS O. E. Deutsch (Kas 1963).

HERTEL. —1) Johann Christian, * 25.6. 1697 Öttingen, t Oktober 1754 Strelitz; dt. Komponist und Violinist. Er trat 1718 in die Hofkapelle in Eisenach ein und war seit 1733 deren Konzertmeister. Nach Auflösung der Kapelle 1741 war er 1742-53 Konzertmeister am Hof von Strelitz. WW: 6 V.-Sonaten (A 1727); hsl. sind erhalten: 3 Trios; 5 Symphonien; 5 Ouvertüren; 9 V.-Konzerte.

2) Johann Wilhelm, Sohn von 1), * 9. 10. 1727 Eisenach, t 14.6. 1789 Schwerin; Violinist, Cembalist und Komponist. H. war seit 1744 Violinist und Cembalist am Hof von Strelitz, der nach dem Tod des Herzogs nach Schwerin übersiedelte. Dort wurde H. 1754 Hofkomponist. Seine Kompositionen stehen stilistisch in der Nähe der Berliner Schule. 1757-58 gab er in Leipzig eine Sammlung musikalischer Schriften, vor allem italienischer und französischer Autoren, in 2 Teilen heraus. 2 weitere Teile sowie Autographe eigener Schriften befinden sich hsl. in der Bibliothek des Brüsseler Conservatoire. WW: 1)1 1r.-WW: 6 Cemb.-Sonaten, op. 1 (NO 1756); Symphonien für Orch. (H o.J.); weitere WW hsl., darunter Konzerte für versch. Instr. — 2) Vok*l-WW: Psalmen; Choräle; Kantaten; Oratorien, u. a. Die Geburt Christi (1774); Jesus in Banden (1782); Jesus vorGericht (1782) (vorwiegend hsl. in Schwerin u. Brüssel); ferner J. F. Löwen Oden u. Lieder, 2 Teile (L 1757, 1760). Ausg.: Zo 2): Cemb.-Sonate d-moll, hrsg. v. H. ERDMANN (Kas 1950); Symphonie G-Dur um 1765, hrsg. v. M. SCHNEIDER (L 1956); Konzert a-moll für Fag., Str. u. B. c., hrsg. v. W. H. SALLAGAR (Wilhelmshaven 1965); Partita III für Ob. (oder Fl.) u. Org. (oder Cemb.), hrsg. v. H.M. KNEIHS (Z 1970). Lit.: Z. 1): Biogr. v. J. W. H., in: F. W. MARPURG, Historisch kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik III (B 1757, Nachdr. Hil 1971); J. A. HILLER, Lebensbeschreibung berühmter Musikgelehrten u. Tonkünstler (L 1784). — Z. 2): Autobiogr., hrsg. v. E. SCHENK (Gr— Kb 1957) (= Wiener musikwiss. Beitr.

3); M. R. HERTEL, The Keyboard Concertos of J. W. H. (Washington/ D. C. 1964) (= Diss. Catholic Univ. of America); E. SCHENK, J. W. H. und das Haus Breitkopf, in: FS H. Engel (Kas 1964).

HERTZ (Abk. Hz), nach dem deutschen Physiker Heinrich Hertz (1857-94) benannte Maßeinheit für die /Frequenz: 1 Hertz = 1 Schwingung pro Sekunde. Bei dem auf 440 Hz festgelegten Kammerton a 1 z. B. schwingt eine Saite 440mal pro Sekunde hin und her. Im angloamerikanischen Sprachraum ist anstelle von Hz die Frequenzeinheit /cps gebräuchlich. HERVÉ (eig. Florimond Ronger), * 30.6.1825 Houdain bei Arras, t 3.11. 1892 Paris; frz. Komponist. Nach dem Tod seines Vaters (1835) kam H. nach Paris, wo er bei A. Elwart und D. Fr. E. Auber studierte und Organist wurde, zunächst an der Heilanstalt von Bicétre, 1845-53 an St-Eustache. 1848 hatte er an dem von A. Adam gegründeten Théâtre National seinen ersten großen Erfolg mit Don Quichotte et Sancho Pança, die als die erste französische Operette gilt. H. sang darin selbst die Partie des Don Quichotte. 1849 wurde er Kapellmeister am Théâtre de l'Odéon, 1851 am Théâtre-du-Palais-Royal in Paris. 1854 eröffnete er ein eigenes Theater, die Folies-Concertantes (die späteren Folies-Nouvelles), und wurde damit J. Offenbachs Rivale. Seit 1886 lebte er in London als musikalischer Leiter der Empire Music Hall. WW: Etwa 80 Operetten, u. a. (UA in Paris): Don Quichotte et Sancho Pança, UA: 1848; La perle d'Alsace, UA: 1854; L'oeil crevé, UA: 1867; Chilpéric, UA: 1868; Le petit Faust, UA: 1869; Mam'zell Nitouche, UA: 1883; La cosaque, UA: 1884; Les bagatelles, UA: 1890; ferner Ballette, darunter: La rose d'amour, UA: 1888; Diana, UA: 1888 u. Cléopatra, UA: 1889.

Mit seinen komisch-parodistischen Stücken wurde H. neben Offenbach der Schöpfer der französischen Operette. Er komponierte mehr als 120 Operetten, Pantomimen, Ballette usw., für die er oft auch das Libretto verfaßte und in denen er häufig selbst die Hauptrolle sang oder das Orchester dirigierte. Diese Stücke enthalten eingängige Melodien und mitreißende Walzer. In La perle d'Alsace (1854) erscheint erstmals ein Cancan in der Kunstmusik. Lit.: L. H. LECOMTE, Histoire des théâtres de Paris, les FoliesNouvelles (P 1909); L. SCHNEIDER, Les maîtres de l'opérette française, H., Ch. Lecocq (P 1924).

HERZ, Henri (Heinrich), * 6.1.1806 (1803?) Wien, t 5.1. 1888 Paris; dt. Pianist und Komponist. Er studierte seit 1816 am Pariser Conservatoire Klavier (bei L. B. Pradher) und Komposition (bei A. Reicha) und erwarb sich rasch den Ruf eines der hervorragendsten französischen Pianisten vor Fr. Liszt. Zahlreiche Konzertreisen führten ihn in 81

Herz die meisten europäischen Länder und nach Nord und Südamerika (1845-51). 1842-74 lehrte er am Pariser Conservatoire und bildete eine große Zahl seinerzeit berühmter Pianisten aus (u. a. Marie Jaell). Zeitweise betrieb er in Paris auch eine Klavierfabrik. Als Komponist schrieb H. ausschließlich Werke für und mit Klavier. Sie hatten dank ihrer pianistisch brillanten, modischen Schreibweise in ihrer Zeit einen enormen Erfolg, wurden aber wegen ihrer mangelnden Originalität und ihrer unechten Sentimentalität von bedeutenden Komponisten wie F. Mendelssohn Bartholdy, R. Schumann und F. Liszt scharf kritisiert. — H.' Bruder Jacques Simon (1794-1880), der ihm seit 1857 in Paris assistierte, machte sich ebenfalls als Pianist und Komponist von Salonmusik einen Namen.

Korrepetitor und Opernkapellmeister in Dresden, Altenburg, Aachen und Freiburg im Breisgau. 1931 übersiedelte er nach Berlin, wo er während des 2. Weltkrieges Chefredakteur der Allgemeinen Musikzeitung und Pressechef des Berliner Philharmonischen Orchesters war. Am erfolgreichsten blieb er mit seinen populären Büchern über Dirigenten, Sänger und über die Oper sowie als Herausgeber eines Musiklexikons.

WW: Für Klv.: Variationen u. Phantasien, auch über bekannte Opern, teilweise mit Orch. (über 110 Opuszahlen); Divertissements u. Caprices; Rondos; Tänze; Märsche; Nocturnes; weitere Salonmusik; ein Klv.-Trio; 8 Klv.-Konzerte. - Studienwerke: u. a. mehrere Slgen. Etüden u. Préludes; 2 Klv.-Schulen. Ausg.: Klv.-Variationen op. 60 über Non più mesta aus Rossinis La cenerentola, hrsg. v. D. GARVELMANN (NY 1970).

HERZOG BLAUBARTS BURG (A kékszakállú herceg vara), Oper in 1 Akt von Béla Bartók (1881-1945), op. 11, Text von B. Balász in Anlehnung an das Bühnenmärchen Ariane et BarbeBleue von M. Maeterlinck nach der stofflichen Vorlage in Les Contes de ma Mère l'Oye von Charles Perrault (1697). Ort der Handlung: die Halle von Blaubarts Burg. UA: 24.5. 1918 Budapest; dt. EA (in dt. Sprache): 13.5. 1922 Frankfurt am Main. Im Entstehungsjahr 1911 wurde Bartóks einzige Oper von einer Jury als unaufführbar zurückgewiesen. Diese Ablehnung galt dem Libretto mit stark verdichteten symbolistischen Zügen und dem daraus resultierenden Mangel an äußerer Handlung wie auch der in ihrer Vermischung eines expressiven Stils mit Techniken des musikalischen Impressionismus unkonventionellen Tonsprache. Bartók zeigte für den ersten Punkt der Kritik Verständnis, als er die Aufführung seiner Oper, deren Grundstimmung er mit „trostloses Adagio" angab, in einem Programm mit dem Ballett Der holzgeschnitzte Prinz „mit seiner bunten, reichhaltigen, abwechslungsreichen Handlung" propagierte. Nach der UA, die in eine Zeit des erwachenden Nationalismus fiel, wurde Bartók der die ungarische Sprache exakt nachzeichnenden Prosodie wegen als „Pfleger des wahren neuen ungarischen Singspiels" gefeiert; die weite Verbreitung dieser Oper mit ihren suggestiven Klangbildern begann jedoch erst nach 1945. K. LANGROCK

HERZ, Joachim, *15. 6. 1924 Dresden; dt. Opernregisseur. Er studierte an der Musikhochschule und der Opernschule in Dresden sowie an der Humboldt-Universität in Berlin und wurde 1951 Spielleiter an der Landesoper Dresden-Radebeul, 1953 an der Komischen Oper Berlin (als Assistent von W. Felsenstein). Über Köln kam er 1957 als Oberspielleiter nach Leipzig, wo er 1955-76 Operndirektor war. 1976-80 war er als Nachfolger von W. Felsenstein Intendant der Komischen Oper Berlin. Neben seiner Bühnentätigkeit, die weite Beachtung fand, beschäftigte sich H. auch publizistisch intensiv mit opernästhetischen Problemen. WW: 1) llnszealerunge.: B. Britten, Albert Herring, Berlin 1959; S. Prokofieff, Krieg und Frieden, Leipzig 1961; R. Wagner, Der fliegende Holländer, Berlin 1962; D. Schostakowitsch, Katerina Ismailowa, Leipzig 1965; H. W. Henze, Der junge Lord, Berlin 1968; R. Strauss, Salome, London 1976; K. Weill - B. Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Berlin 1977; G. Puccini, Madame Butterfly, ebd. 1978; A. Berg, Lulu, ebd. 1980.- 2) Schritte.: Sinn und Unsinn in Operntexten, in: Theater der Zeit 6 (1959); Zeitgenössische Operninterpretation, in: Jb. der Komischen Oper Berlin 6 (1965/66); Die neue Dimension der musizierenden Bühne. Zur Opernästhetik, in: Das Orchester 16 (1968); Musiktheater. Beiträge zur Methodik und zu Inszenierungskonzeptionen, hrsg. v. S. Stompor (L 1970, .1976) (= Reclams Universal-Bibl. 458) (zus. mit W. Felsenstein u. G. Friedrich, mit Statistik v. H. Inszenierungen u. Bibliogr.). Lit.: W. RÖSLER, Werkstattgespräche mit J. H.; in: Theater der Zeit 25 (1970); H. -J. IRMER, Gespräch miti. H., in: Sinn u. Form 26 (1974).

HERZFELD, Friedrich, *17. 6. 1897 Dresden, t 19.9. 1967 Garmisch-Partenkirchen; dt. Musikschriftsteller. Nach Studien an der Akademie der Tonkunst und der Universität in München war er 82

Schriften: W. Furtwängler (L 1941, 2 1950); Magie des Taktstocks (B 1953, neu bearb. 1959, Da - Z 1964); Musica nova (B 1954); H. von Karajan (B 1959) (= Rembrandt-Reihe 17); Das neue Bayreuth (B 1960) (= ebd. 23); I. Strawinsky (B 1961) (= ebd. 35); Schallplattenführer für Opernfreunde (B 1962); aus seinem Nachlaß erschien Magie der Oper (F 1970). - H. war Hrsg. von Lexikon der Musik (B 1957), 3. Aufl. als: Ullstein Musiklexikon (B 1965, 8 1976).

HERZOGENBERG, Leopold Heinrich Picot de Peccaduc, Freiherr von, * 10.6.1843 Graz, t 9.10. 1900 Wiesbaden; östr. Komponist. Er studierte Jura und Philosophie an der Wiener Universität und war 1862-64 Schüler von Otto Dessoff am Wiener Konservatorium. 1868 heiratete er Elisabeth von Stockhausen, ließ sich in Graz, 1872 in Leipzig nie-

Hess

der, wo er 1874 Mitgründer und 1875 Direktor des Bachvereins wurde. 1885-1900 war er Professor für Komposition an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin. H. gehörte zu den engen Freunden von J. Brahms, dessen Ausstrahlung in seinen Werken neben der von R. Schumann und R. Wagner deutlich spürbar ist. Sein reiches und vielseitiges Schaffen erhielt durch den Tod seiner Frau (1892) eine entscheidende Wende zur protestantischen Kirchenmusik hin, der er sich nun, wiewohl Katholik, mit großer Energie widmete. Die Werke aus diesem Bereich verwenden in vielfältiger Weise Choralmelodien und beziehen auch den Gemeindegesang in die Komposition ein. WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Kammermusik, u.a. 5 Streichquartette (1876-90) u. 3 V.-Sonaten (1882-92); 2 Symphonien c-moll (1885) u. B-Dur (1890): zahlr. Vokalwerke, darunter: Lieder u. Duette; Kantate Columbus, op. 11 (1870) für Soli, Männerchor u. Orch.; Königspsalm, op. 71 (1891) für Chor u. Orch.; Requiem für Chor u. Orch., op. 72 (1891); Totenfeier, op. 80 (1894) u. Messe, op.87 (1895) für Soli, Chor u. Orch.; 2 Kirchenoratorien Die Geburt Christi, op.90 (1895) u. Die Passion, op.93 (1896) für Soli, Gemeindegesang u. Orch. Lit.: W. ALTMANN, H. von H. Sein Leben u. Schaffen, in: Mk 2 (1903); J. Brahms im Briefwechsel mit H. u. E. von H., hrsg. v. M. KALBECK, 2 Bde. (B 1907,'1921, Nachdr. Tutzing 1974) ( = J. Brahms, Briefwechsel 1-2); F. SPITTA, H. von H.s Bedeutung für die ev. Kirchenmusik, in: Jb. Peters 26 (1920); H. KÜHN, Brahms u. sein Epigone H. von H. Zur Musik in der Gründerzeit u. im Fin de siècle, in: Musica 28 (1974); CH. BRUSATTI, Das Liedschaffen H. von H.s (Diss. W 1976).

HESDIN, Nicolle des Celliers d', t 21.8.1538 Beauvais; frz. Komponist. Er war Leiter der Chorknaben an der Kathedrale von Beauvais. Sein kirchenmusikalisches Schaffen ist in der Dichte des kontrapunktischen Satzes der Kunst der Niederländer verpflichtet, und auch die Chansons weisen eine stärker kontrapunktisch gearbeitete Schreibweise auf als die charakteristischen Pariser Chansons seiner Zeit. WW (in ca. 40 Sammeldrucken 1529-78 u. hsl.): 2 Messen für 4 bzw. 5 St., eine 3. Messe (Benedicta es) wird auch A. Willaert zugeschrieben; zahlr. Motetten für 4-5 St.; zahlr. Chansons für 4-5 St. Ausg.: 9 Motetten, in: P. Attaingnant, Treize livres de motets, Ill, IV, V u. VII, hrsg. v. A. SMIJERS, VIII, hrsg. v. A. T. MERRITT (P 1960-63); je eine Chanson, in: Expert Maîtres V u. in: PGfM 23 (1899). Lit.: A. SMIJERS, H. of Willaert, in: TVer 10 (1915); M. ANTONOW YTSCH, Die Motette Benedicta es v. Josquin des Prés u. die Messen super Benedicta es v. Willaert, Palestrina, de la Hěle u. de Monte (Utrecht 1951).

HESELTINE, Philip Arnold (Pseud.: Peter Warlock), * 30.10.1894 London, t 17.12.1930 ebd.; engl. Komponist und Musikforscher. Er studierte Komposition bei Fr. Delius und B. van Dieren und lebte lange in London, 1925-28 in Eynsford (Kent). In seinem Schaffen nimmt die Liedkomposition einen breiten Raum ein. H.s musikwissen-

schaftliches Interesse galt vor allem dem Werk von Fr. Delius und der Musik des 16. und 17. Jh. WW (alle in London erschienen): 1) Kompositionen: Serenade für Str. (1923); Rn Old Song für kleines Orch. (1923); Capriol Suite für Streichorch. (1927); zahlr. Lieder, u.a. der Liederzyklus The Curlew für Tenor, Fl., Engl. Horn u. Streichquartett (1924) u. 12 Nursery Rhymes (1924); Corpus Christi für Sopran, Tenor u. Chor a cap. (1921). — 2) Schriften: F. Delius (1923); The English Ayre (1926); C. Gesualdo (1926); Th. Whythorne (1928); Giles Earle. His Booke (1932). — Ferner Editionen älterer Musik, u. a. English Ayres 1598-1612, 6Bde. (1922) (zus. mit Ph. Wilson) (Nachdr. Lo 1964). Lit.: C. GRAY, A Memoir of Ph. H. (Lo 1934); I. A. COPLEY, A Critical Survey of the Music of P. Warlock (Diss. Lo 1967); DERS., Warlock and Delius. A Catalogue, in: ML 49 (1968); DERS., The Writings of P. Warlock 1894-1930. A Catalogue, in: MR 29 (1968); F. TOMLINSON, A. P. Warlock Handbook (Lo 1974); J. A. COPLEY, The Music of P. Warlock (Lo 1979).

HESPOS, Hans-Joachim, *13. 3. 1938 Emden; dt. Komponist. Er studierte 1959-62 an der Pädagogischen Hochschule in Oldenburg. Als Musiker Autodidakt, ist er seit 1962 als Volksschullehrer, heute als Hauptschullehrer in Delmenhorst bei Bremen tätig. Er ist Preisträger u. a. der Stichting Gaudeamus Bilthoven (1967) und der Fondation Royaumont in Paris (1968). Mit seinen Kompositionen fordert H. „Fühl/Denk-Ereignisse in voller Erfahrung für diese unsere Welt", d. h. die gesamte Skala musikalischer Erscheinungen vom kaum Wahrnehmbaren bis zum übermäßig Lauten müsse als musikalisches Material herangezogen werden, um unerhörte Ausdrucksmöglichkeiten deutlich werden zu lassen. WW: Sich Formendes (1962); Für Fl. solo (1963); Für Cello solo (1964); Einander-Bedingendes (1967) für 5 Instrumentalsolisten; Dschen (1968) für Saxophon u. Streichorch.; Break (1968) für einen Pianisten u. eine Orch.-Gruppe; Endogen (1968) für Streichtrio; Keime u. Male (1969) für Kammerorch.; Mouvements (1969) für großes Orch.; Passagen (1969) für Kammerensemble; Splash (1969) f ür Kb. u. Schlagzeug; Anregung für einen Pianisten (1969); Sound (1970) für Kammerensemble; Druckspuren... geschattet (1970) für 7 Instrumentalisten; Palimpsest (1970) für St. u. Schlagzeug; Interactions (1971) für sehr großes Orch.; Traces de... (1972) für Org.; Blackout (1972) für Orch.; Monod für Radio (1974); Musik zum Triadischen Ballett v. O. Schlemmer (1977); conga für 2 Trommeln, Saxophon u. Str. (1980). Lit.: H. KRELLMANN, Stolperdrähte zum Neu-Anderen. Gespräch mit dem Komponisten H.-J. H., in: Musica 30 (1976).

HESS, Willy, *12. 10. 1906 Winterthur; Schweizer Musikforscher. Er studierte in Zürich an der Universität und am Konservatorium (Komposition bei V. Andreae, Klavier bei Reinhold Laquai; Nebenfächer Orgel und Fagott) sowie 1929-30 an der Berliner Universität. Seit 1931 lebt er in Winterthur

freischaffend als Musiklehrer, Musikschriftsteller und Komponist; 1942-71 spielte er auch als Fagottist im dortigen Stadtorchester. Im Mittelpunkt seiner musikologischen Forschungen steht das Leben und Schaffen L. van Beethovens. 83

Hesse WW: 1) Kospositionen: Klv.-Stücke zu 2 u. 4 Händen; zahlr. Kammermusikwerke; Orch.-Werke u. Solokonzerte; Lieder u. Gesänge mit Klv.- u. Orch.-Begleitung; 2 Märchenspiele u. zahlr. Bearbeitungen fremder Werke, u. a. v. L. van Beethoven, W. A. Mozart u. G. Ph. Telemann. - 2) Schriften: Beethovens Oper Fidelio u. ihre drei Fassungen (Z 1953); Beethoven (Z 1956, Wie 1957, NA Winterthur 1976); Verz. der nicht in der GA veröff. Werke L. van Beethovens (Wie 1957); Die Dynamik dermusikal. Formbildung, 2 Bde. (W 1960-64): Beethovens Bühnenwerke (Gö 1962) (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 132); Die GA der Werke A. Bruckners, in: Bruckner-Stud. FS L. Nowak (W 1964); Beethoven-Stud. (Mn - Duisburg 1972) (mit Verz. des gesamten Beethoven-Schrifttums von W. H.), 2. Bd. angekündigt (Winterthur 1980); Autobiogr. Aus meinem Leben. Erlebnisse, Bekenntnisse, Betrachtungen (Z 1976). - H. gab heraus: Suppl. zur (alten] Beethoven-GA, 14 Bde. (Wie 1959-71).

HESSE, Adolf Friedrich, * 30.8. 1809 Breslau, t 5.8. 1863 ebd.; dt. Organist und Komponist. Er war in Breslau Schüler der Organisten Friedrich Wilhelm Berner und Ernst Köhler und wurde 1831 1. Organist an der dortigen Bernhardinkirche. H. galt in Deutschland als bedeutender Organist und erregte in Paris und in London Aufsehen durch sein virtuoses Pedalspiel. In Breslau dirigierte er auch die Symphoniekonzerte des Opernorchesters. Zu seinen Schülern zählt N. J. Lemmens, der Lehrer von A. Guilmant, und Ch.-M. Widor. WW: Klv.-Stücke; Klv.-Sonate zu 4 Händen, op. 42; 40 Orgelkompositionen, u. a. Praeludien, Fugen, Fantasien u. Etüden; 2 Streichquartette u. ein Streichquintett; 6 Symphonien; Ouvertüren; Klv.-Konzert; ferner Kantaten u. Motetten sowie das Oratorium Tobias. Lit.: L. Spohr u. A. F. H., Briefwechsel aus den Jahren 1829-59, hrsg. v. J. KAHN (Rb 1928) (= Dt. Musikbücherei 66); L. SPOHR, Selbstbiographie II (Kas -Gö 1861), NA, hrsg. v. E. SCHMITZ (Kas -Bas 1955); W. KWASNIK, M. Brosig und A. H. als Orgelmusiker, in: Instrumentenbau-Zschr. 15 (1961); H. J. SEYFRIED, A. F. H. als Orgelvirtuose u. Orgelkomponist (Rb 1965) (= Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 17).

HESSE, Hermann, * 2.7.1877 Calw, t 9.8.1962 Montagnola (Tessin); dt. Dichter. Aus einer Missionarsfamilie stammend, war H. zunächst Buchhändler und lebte seit seinem Durchbruch mit Peter Camenzind (1904) freischaffend in der Schweiz. Sein Verhältnis zur Musik blieb in seinen Dichtungen allgegenwärtig, ursprünglich romantisch-subjektivistisch (Klingsors letzter Sommer, 1920), später reflektiv-symbolisch (Das Glasperlenspiel, 1943). Eine Sammlung Musikalische Notizen (1948), ein Vierter Lebenslauf (postum 1965) und die Briefe spiegeln seine Musikanschauung in aphoristischer Form. H. zählt zu den öfter vertonten Lyrikern seiner Zeit (O. Schoeck; R. Strauss, 3 der Vier letzten Lieder). Lit.: Gesammelte Briefe, hrsg. v. U. u. V. MICHELS (F 1973ff.). - K. MATTHIAS, Die Musik bei Th. Mann u. H.H. Eine Stud. über die Auffassung der Musik in der modernen Lit. (Diss. Kiel 1956); W. DÜRR, H. H. Vom Wesen der Musik in der Dichtung (St 1957); E. VALENTIN, Die goldene Spur. Mozart in der Dichtung H. H.s (Au 1966); A. HSIA, H.s esoterisches Glas-

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perlenspiel, in: DVfLG 64 (1970); H. J. LUTHI, Humanismus u. Humanität in H. H.s „Glasperlenspiel", in: FS A. Geering (Be 1972); H. H. Musik. Betrachtungen, Gedichte, Rezensionen u. Briefe, Dokumentation, hrsg. v. V. MICHELS (F 1976).

HESSENBERG, Kurt, *17. 8. 1908 Frankfurt am Main; dt. Komponist. Er studierte 1927-31 am Leipziger Konservatorium Klavier bei R. Teichmüller und Komposition bei G. Raphael. 1933 wurde er am Hochschen Konservatorium (seit 1938 Musikhochschule) in Frankfurt am Main Lehrer für Theorie und Tonsatz, 1953 Professor für Komposition. 1951 wurde er mit dem R. Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. Kontrapunktik, rhythmische Prägnanz und Formdisziplin prägten H.s Persönlichkeitsstil von Anfang an. Schwerpunkte seines von „Trends" unbeeinfluüten reichen Schaffens sind neben Konzert- und Kammermusik, Liederkreisen und Kantaten vor allem geistliche Chorwerke, Oratorien und Orgelkompositionen. WW: 1) Iaetr.-WW: Klv.-Werke, u. a. Invention u. Variationen (1930) sowie 2 Sonaten (1964); für Org.: 3 Choralpartiten (1933, 1947, 1948); Fantasia (1956) u. Choralvorspiele; für Orch.: Struwwelpeter -Suite, op. 7 (1933); 3 Symphonien (1936, 1943, 1954); Concerto grosso (1939); Konzertante Musik (1947) für 2 Streichorch.; Spielmusik für Str. (1954); Intrada u. Variationen über ein Thema v. J. Regnart (1955); Sinfonietta für Streichorch. (1959); Konzerte für: Cemb. (1931), Klv. (1940), 2 Klv. (1950), Orch. (1958). - 2) Vokal-WW: Choralkantate Gelobet seist du, Jesu Christ (1935) für gem. Chor, 2 Solo-St. Org. u. Orch.; Fiedellieder (1940) (Text: Th. Storm) für Tenor, gem. Chor u. Orch.; Weihnachtskantate (1943) (Text: M. Claudius) für gem. Chor, Sopran, Alt, kleines Orch. u. Org.; 5 heitere Chöre (1943); 4 Lieder für gem. Chor (1944); Psalmentriptychon für 8st. gem. Chor, Sopran, Bar., Orch. u. Org. (1946); Kantate Der cherubinische Wandersmann (1946) (Text: A. Silesius) für gem. Chor, Sopran, Bar., kleines Orch. u. Org.; Kantate Struwwelpeter (1949) für Kinderchor u. kleines Orch.; Passions- u. Weihnachtslieder für Chor a cap.; ferner Männerchorlieder auf Texte v. Goethe, Eichendorff u. Keller. Lit.: O. RIEMER, Unausgeschöpfte Tonalität. Gedanken zum Schaffen v. K. H., in: Musica 7 (1953); H. WALCHA, K. H., in: MuK 28 (1958); CH. ALBRECHT, in: Credo musicale, FS R. Mauersberger (Kas 1969).

HESTERBERG, Trude, * 2.5.1892 Berlin, t 31.8. 1967 München; dt. Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin. Sie erhielt eine musikalische Ausbildung am Sternschen Konservatorium in Berlin und debütierte 1912 als Climène in George Dandin von Molière am Deutschen Theater in Berlin. 1921 gründete sie das Kabarett „Die wilde Bühne", in dem sie Chansons von B. Brecht, Walter Mehring, Marcellus Schiffer, W. G. Heymann und Kurt Tucholsky vortrug. Sie sang in Operetten und Revuen. Nach dem 2. Weltkrieg trat sie in München auf; sie wirkte auch in vielen Filmen und Fernsehsendungen mit. Lit.: K. BUDZINSKI, Die Muse mit der scharfen Zunge (Mn 1961); H. GREUL, Bretter, die die Zeit bedeuten (Kö 1967).

Heugel HETEROPHONIE (von griech. heteros = anderes, verschieden, und phöné = Stimme). Der von Platon (Nomoi VII, 812 d-e) mit nicht klar feststellbarer Bedeutung verwendete Begriff wurde von C. Stumpf 1901 als Terminus in die Vergleichende Musikwissenschaft eingeführt, um zufallsbedingte Zusammenklänge von einer geregelten Polyphonie abzugrenzen. H. entsteht z. B., wenn mehrere Personen eine Melodie gemeinsam ausführen, diese aber im Detail individuell modifizieren, so daß gewissermaßen verschiedene Varianten simultan erklingen (nach M. Schneider: „Variantenheterophonie"). Ob Interpreten tatsächlich ein Unisono anstreben, Mehrklangsbildungen also unbeabsichtigt sind und lediglich toleriert werden, läßt sich im Einzelfall kaum zweifelsfrei klären; der Übergang zu einer nach festen Regeln organisierten Polyphonie ist prinzipiell fließend. In außereuropäischen Kulturen wird der Qualität einzelner Intervalle meist weniger Bedeutung beigemessen als bestimmten horizontalen Bewegungsabläufen sowie klanglichen und rhythmischen Differenzierungen, aus denen z. T. sehr komplexe polyphone Strukturen erwachsen, z. B. in der /Gamelan-Musik (/Indonesien) oder der /Gagaku-Musik (/Japan). Lit.: C. STUMPF, Tonsystem u. Musik der Siamesen, in: Beitr. z. Akustik u. Musikwiss. 3 (L 1901), Wiederabdruck, in: Sammelbde. für Vergleichende Musikwiss. 1, hrsg. v. dems. — E. M. von Hornbostel (Mn 1922); G. ADLER, Uber H., in: Jb.-Peters 15 (1908); H. GÖRGEMANN — A. J. NEUBECKER, „H." bei Platon, in: AfMw 23 (1966); A. SCHAEFFNER, Variations sur deux mots. Polyphonie, hétérophonie, in: RBMie 20 (1966).

HEUBERGER, Richard Franz Josef, *18. 6. 1850 Graz, t 28.10.1914 Hinterbrühl bei Mödling (Wien); östr. Komponist, Dirigent und Musikkritiker. Er legte 1875 als Ingenieur seine Staatsprüfung ab, wandte sich im Jahr darauf ganz der Musik zu und wurde Chormeister des Akademischen Gesangvereins in Wien sowie 1878 Dirigent der Wiener Singakademie. Als Musikkritiker arbeitete er für das Wiener Tagblatt, für die Münchener Allgemeine Zeitung und seit 1896 als Nachfolger von E. Hanslick für die Neue Freie Presse. 1902 wurde er als Dozent an das Wiener Konservatorium berufen. Als Komponist debütierte er 1886 mit einer Oper Die Abenteuer einer Neujahrsnacht, die im Leipziger Stadttheater uraufgeführt wurde. Einen internationalen Erfolg errang er jedoch erst 1898 mit seiner ersten Operette Der Opernball, die bis heute einen festen Platz im Operettenrepertoire einnehmen konnte. WW: 1) Kompositionen: Orch.-Werke, u. a. Symphonien, Suiten, Schubert-Variationen u. eine Ouvertüre zu G. G. Byrons Kain; ferner Lieder, Chöre u. Kantaten. — Operetten (UA in Wien): Der Opernball, UA: 1898, revidierte Fassung, UA: 1931 u. 1952; Ihro Exaellenz, UA: 1899, revidierte Fassung als: Eine ent-

zückende Frau, UA: Berlin 1940; Der Sechsuhrzug, UA: 1900; Das Baby, UA: 1902; Der Fürst von Düsterstein, UA: 1909; Don Quixote, UA: 1910. — Opern: Die Abenteuer einer Neujahrsnacht, UA: Leipzig 1886; Manuel Venegas, UA: ebd. 1889; Mirjam oder Das Maifest, UA: Wien 1894; Barfüllele, UA: Dresden 1904. — Ballette: Die Lautenschlägerin, UA: Prag 1896, u. Struwwelpeter, UA: Dresden 1897. — 2) Schriften: Musikal. Schriften (L 1901); Im Foyer. Gesammelte Essays über das Opernrepertoire der Gegenwart (L 1901); F. Schubert (B 1902, 3 1920); Erinnerungen an J. Brahms. Tagebuchnotizen aus den Jahren 1875-97, hrsg. v. K. Hofmann (Tutzing 1970, 21976). Lit.: S. CZECH, Das Operettenbuch (St 1960).

HEUCHLERIN AUS LIEBE, DIE (La finta semplice), Opera buffa in 3 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), KV 51 (46a), Text von Carlo Goldoni, bearbeitet von Marco Coltellini. Ort der Handlung: in der Umgebung von Cremona. UA: 1.5. 1769 in Salzburg (Erzbischöfliches Palais); dt. EA (in dt. Sprache): 2.10. 1921 in Karlsruhe als Die verstellte Einfalt. Mozart komponierte seine erste komische Oper 1768 auf Anraten Kaiser Josephs II. für die Wiener Hofoper mit der Aussicht auf ein Honorar von 100 Dukaten. Doch die Aufführung wurde von der intriganten italienischen Clique am Wiener Hof hintertrieben; erst auf Wunsch des Mozart-Gönners Erzbischof Sigismund von Schrattenbach ging das Werk in Salzburg in Szene. In der Eile, in der Mozart die Komposition zugleich mit dem Singspiel Bastien und Bastienne abschloß, mag die Übernahme der Sinfonie D-Dur KV 45 als Ouvertüre und der Arie Nr. 7 aus dem Oratorium Die Schuldigkeit des ersten Gebots begründet sein. — Die merklich von der Commedia dell'arte beeinfluBte Intrigenkomödie setzte der zwölfjährige Mozart ganz im Stil der Zeit in Musik. Die Gesangsnummern sind teils durch Secco-, teils durch Accompagnato-Rezitative miteinander verbunden. Auch die Finali sind stilistisch an Vorbildern in komischen Opern der Zeitgenossen orientiert. Heute wird das Werk zumeist in einer Neufassung von Bernhard Paumgartner (zuerst 1956 in Salzburg und London und im selben Jahr in Schwetzingen als Das schlaue Mädchen) aufgeführt. J. SCHLÄDER HEUGEL, Johannes (Hans), * um 1497 Deggendorf (Niederbayern), t Januar 1585 Kassel; dt. Komponist. Er immatrikulierte sich 1515 an der Leipziger Universität und wurde wahrscheinlich in Südwestdeutschland musikalisch ausgebildet. Um 1535 wurde er als Komponist an den Hof in Kassel verpflichtet, wo er spätestens 1547 zum Kapellmeister avancierte. Den Schwerpunkt in H.s Schaffen bilden Motetten über Psalmtexte in lateinischer und •deutscher Sprache. Sein Stil war anfangs gekünstelt; später schloB er sich der Nachfolge von Josquin des 85

Heugel & Cie. Prés an und komponierte im Alter in einer homorhythmischen, akkordischen Satzweise, die der frühen venezianischen Doppelchörigkeit nahesteht. WW: In 12 umfangreichen (z. T. unvollständig erhaltenen) Individual- u. Sammelhss. in Kassel, Landesbibl. mit insgesamt etwa 730 Stücken sind etwa 500 Werke von H. überliefert, meist Motetten u. Gelegenheitsgesänge. Weitere Hss. u. zahlr. Sammeldrucke 1535-61 enthalten Motetten sowie weltliche dt. Lieder. Ausg.: 2 Psalmen für 4 bzw. 6 St., in: J. Kugelmann, Concentus novi 1540, hrsg. v. H. ENGEL (Kas 1955) (= EDM, Sonderreihe 2); 2 Gesänge, in: 18 weltliche Lieder aus den Drucken Ch. Egenolffs, hrsg. v. H.-CH. MÜLLER (Wb 1970) (= Chw 111). Lit.: W. NAGEL, J. H., in: SIMG 7 (1905/06); J. KNIERIM, Die H.-Hss. der Kasseler Landesbibl. (Diss. B 1943).

HEUGEL & CIE., frz. Musikverlag, ist hervorgegangen aus einem von Jean-Antoine Meissonnier 1812 in Paris gegründeten Verlag. 1839 assoziierte sich dieser mit Jacques Léopold H., * 1.3.1815 La Rochelle, t 12.11.1883 Paris, 1842 wurde H. nach dem Ausscheiden Meissonniers Alleininhaber des Unternehmens, das er in kurzer Zeit zu einem der führenden französischen Musikverlage ausbaute. Er trat auch als Musikschriftsteller hervor, vor allem in dem von ihm seit 1839 redigierten Le ménestrel, der zu den bedeutendsten Musikzeitschriften Frankreichs gehörte (er erschien 1833-1940). Nachdem Tode H.s blieb der Verlag weiterhin in den Händen der Familie und wurde 1944 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. — Der Verlag veröffentlichte außer Musikzeitschriften (neben Le ménestrel auch La maîtrise, die der Kirchenmusik gewidmet war, 1857ff.) und musikalisch-pädagogischen Werken (u. a. von L. Cherubini, Fr. de S. Baillot, Ch.-S. Catel, L. Niedermeyer, A. Fr. Marmontel, Th. Dubois) alle Arten von Musik: Chansons, Mélodies, Volksmusik, Symphonien, hauptsächlich aber Opern. Im 19. Jh. erschienen bei H. u. a. Manon, Thais und Werther von J. Massenet, Mignon von A. Thomas, Louise von G. Charpentier, Le roi d'Ys von É. Lalo und Lakmé von L. Delibes. Im 20. Jh. verlegte H. Werke u. a. von G. Fauré, Fr. Poulenc, D. Milhaud, J. Ibert, A. Jolivet, P. Boulez. Seit 1951 erscheint eine umfangreiche Sammlung von Taschenpartituren älterer und neuerer Musik und seit 1967 die Ausgabenreihe Le pupitre. HEURE ESPAGNOLE, L', Oper von M. Ravel; dt. Titel: Die řspanische Stunde. HEUSS, Alfred Valentin, * 27. 1.1877 Chur, t 8.7. 1934 Gaschwitz bei Leipzig; dt. Musikschriftsteller. Er studierte 1896-98 am Stuttgarter Konservatorium, dann an der Akademie der Tonkunst und der Universität in München sowie 1899-1902 bei H. Kretzschmar an der Universität Leipzig, an der 86

er 1903 mit der Dissertation Die Instrumentalstücke des „Orfeo" (gedruckt in: SIMG 4, 1902/03) promovierte. 1904-18 war er Redakteur der Zeitschrift der Internationalen Musikwissenschaft (ZIMG) und Musikkritiker bei der Leipziger Volkszeitung und der Leipziger Zeitung, 1921-29 Hauptschriftleiter der Zeitschrift für Musik (ZfM). H., dessen Arbeiten über die ältere Musik, namentlich über J.S. Bach, von Bedeutung sind, war ein entschiedener Gegner der Neuen Musik und der Atonalität. Schriften (in Leipzig erschienen): G. F. Händel, „Saul" in der Einrichtung v. F. Chrysander (1906); A. Bruckner, Te Deum (1908); J. S. Bachs Matthäuspassion (1909, Nachdr. Walluf 1972); Über die Dynamik der Mannheimer Schule, in: FS H. Riemann (1909); Beethoven, „Die Geschöpfe des Prometheus", Ballett (um 1910); F. Liszt. Missa Solemnis (1910); Erläuterungen zu F. Liszts Sinfonien u. sinfonischen Dichtungen (1912); Kammermusikabende (1919); Beethoven. Eine Charakteristik (1921, '1933). Lit.: A. SCHERING, Nachruf auf A. H., in: Z1Mw 16 (1934); J. SACHS, Some Aspects of Musical Politics in Pre-Nazi Germany, in: Perspectives of New Music 9 (1970/71).

HEUTLING-QUARTETT, 1958 gegründetes dt. Streichquartett. Es debütierte 1959 in Hannover in der Besetzung Werner Heutling (• 6.12.1921), 1. Violine, Oswald Gattermann Or 13.5.1922 Hamburg-Altona), 2. Violine, Erich Bohischeid (* 15.7.1929 Köln), Bratsche, und Bernhard Braunholz (* 16.1.1931 Braunschweig), Violoncello; 1962 übernahm Konrad Haesler (* 25.3. 1937 Weimar) das Violoncello. Das Quartett widmet sich den Werken von den Wiener Klassikern bis zur Neuen Musik; es hat Gesamtaufnahmen der Streichquartette und -quintette von W. A. Mozart (mit Heinz-Otto Graf, 2. Bratsche) und der Streichquartette von Fr. Schubert auf Schallplatte eingespielt. HEWITT. — 1) James, * 4.6.1770 Dartmoor (England), t 1.8. 1827 Boston; amerik. Violinist und Komponist engl. Herkunft. Er gehörte dem Londoner Hoforchester an und emigrierte 1792 in die USA, wo er bald im New Yorker Musikleben eine führende Rolle als Violinist, Dirigent, Komponist, Konzertunternehmer und Musikverleger spielte. 1794 wurde seine Oper Tammany or the Indian Chief aufgeführt, eine der ersten in Amerika geschriebenen Ballad operas (Musik verloren). 1812-18 lebte er als Organist und Musikdirektor des Federal Street Theater in Boston und kehrte dann wieder nach New York zurück. Neben weiteren Ballad operas schrieb er Klaviermusik, Violinduos und Konzertouvertüren. — 2) John Hill, Sohn von 1), *11. 7. 1801 New York, t 7. 10. 1890 Baltimore; amerik. Komponist und Schriftsteller. Er verfaßte Gedichte und Theaterstücke und erhielt

Heyden wegen seiner etwa 300 Lieder den Beinamen „Father of the American ballad". Er schrieb auch Kantaten, Ballad operas und eine Autobiographie Shadows on the Wall (Baltimore 1977). Ausg.: Z. 1): The Battle of Trenton und Military Sonata für Klv., in: C. ENGEL— O. STRUNK, Music from the Days of G. Washington (Washington 1931). Ut.: J.T. HOWARD, The H. Family in American Music, in: MQ 17 (1931); C. E. HUGGINS, J. H. H. Bard of the Confederacy (Tallahassee 1964) (= Diss. Florida State Univ.); J.W. WAGNER, J. H. His Life and Works (1969) (= Diss. Indiana Univ.); DERS., J. H. 1770-1827, in: MO 58 (1972); DERS., The Music of J. H. A Supplement to the Sonneck-Upton and Wolfe Bibliographies, in: Notes 29 (1972/73).

HEXACHORD (von griech. hex = sechs, und chordě = Saite; lat. hexachordum), aufeinanderfolgende Reihe von 6 diatonischen Tonstufen mit dem Halbton in der Mitte, d. h. mit den Intervallen 2 große Sekunden — 1 kleine Sekunde — 2 große Sekunden (bzw. Ganzton — Ganzton — Halbton — Ganzton — Ganzton). Zum ersten Mal wurde es im 11. Jh. von Guido von Arezzo beschrieben (Micrologus de musica) und unter pädagogischer Zielsetzung verwendet: Es sollte zeigen, daß jeder Ton der Tonleiter im Zusammenhang einer jeweils für ihn kennzeichnenden Folge von höheren und tieferen Tönen steht, und dem Schüler erlauben, genau den Platz der kleinen Sekunde ausfindig zu machen. hexachordum durum hexachordum molle ut re mi fa sol la

ut re nii fa sol la

ut re m i fa sol la

hexachordum naturale

Auf dem H. bauen sich im 15.-17. Jh. manche Vokalwerke auf, z. B. die Messen La sol fa re mi und L'homme armé super voces musicales von Josquin des Prés und Ut re mi fa sol la von G. P. da Palestrina sowie zahlreiche Instrumentalwerke — Fantasien oder Ricercari — des 16. und 17. Jahrhunderts. — řSolmisation. lit.: G. G. ALLAIRE, The Theory of H.s, Solmization and the Modal System. A Practical Application (R 1972) (= MSD 24): D. LEWIN, On the Interval Content of Invertible H.s, in: JMTh 20 (1976).

HEY, Julius, * 29.4. 1832 Irmelshausen (Unterfranken), t 22.4. 1909 München; dt. Gesangspädagoge. Er studierte bei Fr. Lachner Musiktheorie und bei dem als Lehrer für Stimmbildung seinerzeit angesehenen Friedrich Schmitt Gesang. Durch Vermittlung König Ludwigs II. von Bayern und mit Unterstützung R. Wagners wurde er 1867 unter H. von Bülows Direktion Gesanglehrer an der Königlichen Musikschule in München. 1875 berief ihn Wagner als gesanglichen Beirat nach Bayreuth.

1883 gab H. seine Stellung in München auf und lehrte dann vor allem in Berlin; 1906 kehrte er nach München zurück. Sein Hauptwerk Deutscher Gesangunterricht enthält eine auf den Besonderheiten der deutschen Sprache aufbauende Gesanglehre. Ihr Ziel ist es, ausgehend von einer auf den Sprachlauten und einer naturgemäßen Tonbildung beruhenden Stimmerziehung, eine „flüssige Sprechcantilene" zu erzielen. H. komponierte auch Lieder, Duette und eine für den ersten Gesangunterricht gedachte Sammlung von 16 Kinderliedern. WW: Lieder; Duos; eine Sig. mit 16 Kinderliedern; Deutscher Gesangunterricht, 4 Teile, I: Sprachlicher Teil; II: Ton- und Stimmbildung der Frauenstimmen; III: Ton- u. Stimmbildung der Männerstimmen; IV: Textliche Erläuterungen (Mz 1885); R. Wagner als Vortragsmeister, hrsg. v. H. Hey (L 1911). Ausg.: Der Kleine Hey. Die Kunst des Sprechens, nach dem Urtext revidiert, ergänzt u. hrsg. v. F. REUSCH (Mz 1956). Ut.: A. GOTTMANN, J. H., in: Mk 3 (1902); H. KRECH, J.H. u. sein Sängerbildungsideal (Diss. Hl 1941).

HEYDEN (Haiden, Hayden, Heiden). —1) Sebald, * wahrscheinlich B. 12. 1499 Bruck bei Erlangen, t 9.7. 1561 Nürnberg; dt. Musiktheoretiker. Er besuchte die Schulen von St. Lorenz (1505-10) und St. Sebald (1510-13) in Nürnberg und studierte 1513-19 an der Universität Ingolstadt. 1519 wurde er Kantor in Leoben (Steiermark) und im selben Jahre an der Spitalschule zum Hl. Geist in Nürnberg. Von 1525 bis zu seinem Tode war er Rektor der Schule von St. Sebald. H. setzte sich in Nürnberg tatkräftig für die Reformation ein. Seine musiktheoretischen Schriften wurden im 16. Jh. viel benutzt. Von seinen Liederdichtungen gehört O Mensch, bewein dein Sünde groB mit der Melodie von M. Greiter bis heute zum Kernbestand des evangelischen Gemeindegesangs. WW: Musicae Stoicheiosis (Nü 1532), jeweils erweitert als: Musicae id est, Artis canendi libri duo (Nü 1937) u.: De arte canendi, ac vero signorum in cantibus usu, libri duo (Nü 1540); ferner theologische und pädagogische Schriften. Im Druck erschienen einzeln und in Sammeldrucken acht Kirchenlieddichtungen.

2) Hans, Sohn von 1), getauft 19.1.1536 Nürnberg,

t 22.10.1630 ebd.; dt. Organist und Instrumentenbauer. Er lebte als Kaufmann in Nürnberg und widmete sich in seiner Freizeit dem Studium der Mechanik, Optik und Musik. 1567-71 wirkte er ehrenamtlich als Organist an St. Sebald und 1574-85 an St. Egidien. Um 1575 wurde er durch die Erfindung des Nürnbergischen Geigenwerks oder GeigenClavicymbels (7Streichklavier) bekannt, das er um 1600 verbesserte. WW: Musicak instrumentum reformatum (Nü o.J., erweitert 1610), lat. v. C. Rittershausen als: Commentatio de musicali instrumento reformato (Nü 1605).

3) Hans Christoph, Sohn von 2), getauft 14.2.1572 Nürnberg, begraben 9.2.1617 ebd.; Komponist 87

Heyer und Organist. Er wurde 1591 Organist an der Spitalkirche in Nürnberg und war in gleicher Stellung 1596-1616 an St. Sebald tätig. WW: 2 Bücher 4st. Gantt neue lustige Täntz (Nü 1601); Postig-

lion der Lieb (Nü 1614). Ausg.: Zu 3): 9 Lieder, hrsg. v. W. VETTER, in: Das frühdeutsche Lied 2 (Mr 1928); ein Lied in: Antiqua-Chorbuch 2/4, hrsg. v. H. MONKEMEYER (Mz 1951). Lit.: Za 1): A. KOSEL, S. H. (Nü 1940) (= Literarhist.-musikwiss. Abh.en 7), vgl. dazu R. WAGNER, in: Mitt. des Vereins für Gesch. der Stadt Nürnberg 36 (1941); C. A. MILLER, S. H.'s „De arte canendi". Background and Contents, in: MD 24 (1970). — Zu 2): G. KINSKY, H. Haiden, der Erfinder des Nürnbergischen Geigenwerks, in ZfMW 6 (1923/24). — Zu 3): L. HUBSCHPFLEGER, Das Nürnberger Lied (Diss. Hei 1942) (mit Verz. der Lieder).

HEYER, Wilhelm Ferdinand, * 30.3. 1849 Köln, t 20.3. 1913 Köln. Von Beruf Papiergroßhändler, war er Sammler von Musikinstrumenten und gründete 1906 in Köln das Musikhistorische Museum. Er vereinigte dort einen großen Teil der Sammlung von Paul de Wit, die Sammlung des Barons Alessandro Kraus aus Florenz sowie die Klaviersammlung der Pianofortefabrik und Orgelbauanstalt Ibach in Barmen. Außer 2600 Instrumenten umfaßt das Museum auch Musikerautographen, -briefe, -porträts und seltene Drucke. Der Katalog der Sammlung (von G. Kinsky) gilt noch heute als bibliographisches und instrumentenkundliches Standardwerk. Als H.s Museum 1926 aufgelöst wurde, erwarb die Universität Leipzig den größten Teil der Instrumentensammlung; die übrigen Bestände wurden einzeln verkauft. Lit.: G. KINSKY, Kat. des Musikhist. Museums v. W. H. I, II, IV (Kö 1910, 1912, 1916); P. RUBARDT, Führer durch das Instrumentenmuseum der Karl-Marx-Univ. Leipzig (L 1955).

HEYMANN, Werner Richard, *14. 2. 1896 Königsberg, t 30.5. 1961 München; dt. Komponist. Nach einer ersten Tätigkeit als Orchestergeiger erhielt er Kompositionsunterricht bei P. Juon und Paul Scheinpflug. Ab 1919 arbeitete er in Berlin u. a. mit Max Reinhardt und Trude Hesterberg zusammen. 1933 emigrierte er in die USA und wurde amerikanischer Staatsbürger. Seit 1950 lebte er in München. Nach einigen ernsteren Werken komponierte H. Schlager und vor allem Filmmusik. Bekannt wurden Melodien wie Liebling, mein Herz läßt dich grüßen, Das ist die Liebe der Matrosen oder Das gibt's nur einmal. Zur Bühnenfassung von Heinrich Manns Professor Unrat schrieb er Chansons. WW: Rhapsodische Sinfonie für Bar. u. Orch. (1918); FrühlingsNotturno für Orch.; Streichquartett; Orchestergesänge; Lieder; 2 Operetten; Musikal. Lustspiel Kiki vom Montmartre (1954); Chansons; Musik zu über 50 Filmen, u. a. Liebeswalzer (1930); Die drei von der Tankstelle (beide mit L. Harvey u. W. Fritsch); Bomben auf Monte Carlo (1931) (mit H. Albers u. H. Rühmann);

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Der Kongreß tanzt (1931) und Ninotschka (1939) (mit G. Garbo); Bühnenmusik, u.a. für M. Reinhardt.

HEYNE, Gilles, 7Hayne. HICKMANN, Hans Robert Hermann, * 19.5. 1908 Roßlau (Anhalt), t 4.9.1968 Blandford Forum (Dorset, England); dt. Musikforscher. Er studierte in Berlin bei A. Schering, C. Sachs und E. M. von Hornbostel und promovierte 1934 mit einer Dissertation über Das Portativ. 1932-57 war er in Ägypten tätig. Er wurde zum Mitglied des Institut d'Égypte und (1954) zum korrespondierenden Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo ernannt. 1957 an der Universität Hamburg habilitiert, lehrte er dort Allgemeine und Vergleichende Musikwissenschaft. 1958 übernahm er die künstlerische Leitung der Archiv-Produktion bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Schriften: Das Portativ (Kas 1936, Nachdr. 1972); Musicologie pharaonique (Kehl 1956) (= Sig. musikwiss. Abh.en 34); La chironomie dans l'Égypte pharaonique, in: Zschr. für aegyptische Sprache u. Altertumskunde 83 (B 1958); Musik im Austausch der Völker, in: Musica 13 (1959); Rythme, mètre, et mesure de la musique instrumentale et vocale des anciens Égyptiens, in: AMI 32 (1960); Ein neuentdecktes Dokument zum Problem der altägyptischen Notation, in: ebd. 33 (1961); Pharaonic Jingles, in: The Commonwealth of Music. Gedenkschrift C. Sachs (NY 1965); Der Skindapsos. Ein Nachtrag zur Terminologie antiker Saiteninstr., in: Speculum musicae artis. FS H. Husmann (Mn 1970); Orientalische Musik (Leiden 1970) (= Hdb. der Orientalistik. Abt. 1, Ergänzungs-Bd. IV). Lit.: K. L. NEUMANN, Special Bibliogr., H. H. 1934-64, in: Ethnomusicology 9 (1965); F. BOSE, in: Mf 21 (1968); R. GUNTHER, H. H. zum Gedächtnis, in: AMI 41 (1969).

HIDALGO, Elvira de, * 27. 12. 1892 Valderrobres (Aragón), t 21. 1. 1980 Mailand; span. Sängerin (Sopran). H. studierte Gesang in Barcelona und Mailand und debütierte 1908 als Rosina in G. Rossanis ii barbiere di Siviglia am Teatro San Carlo in Neapel. In den folgenden Jahren gastierte sie an allen bedeutenden Opernbühnen Europas und Nordamerikas und war 1924-26 an der Metropolitan Opera in New York verpflichtet. Als Interpretin der klassischen Belcanto-Partien wurde sie in Opern G. Donizettis und V. Bellinis, aber auch als Traviata (Verdi) und Manon (Massenet) gefeiert. Nach Beendigung ihrer Bühnenlaufbahn 1932 lehrte sie Gesang am Konservatorium von Athen, wo in den 40er Jahren Maria Callas ihre Schülerin war. Seit 1949 lehrte sie am Konservatorium in Ankara. 1959 ließ sie sich in Mailand nieder. HIDALGO, Juan, * um 1612 La Moralejas (?), begraben 31.5. 1685 Madrid; span. Komponist. 1631 wurde er als Harfenist Mitglied der Madrider Hofkapelle. Mit seiner Oper Celos aun del aire matan auf einen Text von P. Calderón de la Barca (UA: Madrid 1660; hsl. erhalten) gehört er zu den ersten

Hildebrandt

spanischen Komponisten, die Musik für die Bühne schrieben. Er komponierte außerdem einzelne Villancicos u. a. Gesänge. Ausg.: 1. Akt v. Celos aun del aire matan, hrsg. v. J. SUBIRA (Ba 1933). Lit.: J. MOLL, Nuevos datos para la biografia de J. H., arpista y compositor, in: Miscelánea ... FS H. Anglés II (Ba 1961); R. L. PITTS, Don J. H. 17th Century Spanish Composer (Nashville /Tenn. 1968) (= Diss. Peabody College for Teachers).

HIERONYMUS DE MORAVIA, OP, Musiktheoretiker des 13. Jahrhunderts. Er stammte aus Mähren und lebte in der 2. Häfte des 13. Jh. in einem Kloster in der Rue St-Jacques in Paris. Von ihm stammt ein Tractatus de musica (zw. 1272 u. 1304), eine der umfangreichsten Musikabhandlungen des Mittelalters, der die Summe der theoretischen Kenntnisse der Epoche darstellt. Er kompiliert die Theorien von Boethius, Isidor von Sevilla, Guido von Arezzo, Johannes Affligemensis, Johannes de Garlandia, al-Fárábi, Hugo von St-Victor und Thomas von Aquin. H. bringt auch lange Zitate aus den Schriften zur frühen Mehrstimmigkeit von Johannes de Garlandia, Franco von Köln, Petrus Picardus und einem Anonymus. Die einzigen eigenständigen Beiträge des H. sind Kap. 24, das aufschlußreiche Aussagen u. a. über die zeitgenössische Gesangspraxis enthält, und Kap. 28, in dem H. zwei Streichinstrumente beschreibt, die zweisaitige Rubeba (/Rebec) und die fünfsaitige Viella (7Fiedel). Ausg.: Tractatus de musica, in: COUSSEMAKER Scr. 1; dass., hrsg. v. S. M. CSERBA (Rb 1935) (= Freiburger Stud. z. Musikwiss. 2). Lit.: G. PIETZSCH, Die Klassifikation der Musik ... (Hl 1929, Nachdr. Da 1968); A. PUCCIANTI, La descrizione della „Viella" e della „Rubeba" in Girolamo di M., in: Collectanea historiae musicae 4 (1966).

HIFI'HORN (von hief, hift = Ruf, Jagdsignal; später umgedeutet zu „Hüfthorn"), seit dem Mittelalter (bis ins 19. Jh.) verwendetes kurzes, weitmensuriertes Jagdhorn, das an einem über die Schulter zu hängenden Riemen oder am Gürtel getragen wurde. Die als Signalinstrumente dienenden Hifthörner wurden aus Tierhörnern oder Metall in unterschiedlicher Größe hergestellt. Im 18. Jh. wurden 4 Arten unterschieden, „Zinken von klarem Laut" (kleinste Bauform), „Mittel-Hörner, die einen mittelmäßigen Ton haben", „Halb-RüdenHörner" und „Rüden-Hörner" („die einen groben und tiefen Laut haben"). Lit.: G. KARSTÄDT, Die Verwendung der Hörner in der Jagdmusik, in: Alta musica I, hrsg. v. W. Suppan — E. Brixel (Tutzing 1976).

HIGH FIDELITY (engl., = hohe Klangtreue; Abk.: HiFi) bezeichnet die möglichst originalge-

treue Übertragung und Speicherung von akustischen Ereignissen. Qualitätsparameter hierfür sind insbesondere Frequenzgang, Klirrfaktor, Fremdspannung und Impulstreue sowie die erreichbare Lautstärke. Mit Einführung der Transistoren und Halbleiter wurde die HiFi-Technik weiten Kreisen finanziell erschwinglich und entscheidend vorangetrieben. In der Speicherung ist die Digitaltechnik, mit der die Übertragungsfehler auf ein kaum noch meßbares Minimum reduziert werden, auf dem Vormarsch. Das schwächste Glied in der ,elektroakustischen Übertragungskette ist noch der Lautsprecher. Lit.: O. STURZINGER, Hi-Fi-Technik (St 1963); HiFi und Stereophonie — ihr Platz und Rang im Musikleben, hrsg. v. K. BLAUKOPF (Karlsruhe 1971) (= Schriftenreihe Musik u. Ges. 10 /11). W. KNOBLOCH, Schlüssel zur HiFi (Mn 1978).

HI-HAT (engl.), in der Jazz-, Rock- und Unterhal-

tungsmusik allgemein gebräuchliches Pedalbecken, welches aus der Charleston-Maschine der 20er Jahre hervorgegangen ist. Es hat zwei Becken auf einem Ständer mit Doppelrohrstange und Pedal; das obere Becken ist an der inneren beweglichen Stange befestigt und wird durch Niedertreten des

Pedals gegen das untere festliegende Becken geschlagen, was einen kurzen, hellen Klang ergibt. HILDEBRANDT, Zacharias, * 1688 Münsterberg (Schlesien), t 11.10.1757 Dresden; dt. Orgelbauer. Nach einer Ausbildung als Kunsttischler erlernte er 1713-16 das Orgelbauerhandwerk bei G. Silbermann in Freiberg und machte sich 1722 selbständig. Bei der Einweihung seiner Orgel in Störmthal bei Leipzig (1723) begegnete er J. S. Bach, der zu dieser Gelegenheit die Kantate Höchst erwünschtes Freudenfest (BWV 194) komponierte und das Instrument sehr positiv begutachtete. 1730 wurde H. zum Sachsen-Weißenfelsischen Hoforgelbaumeister ernannt. Von seinen Orgeln ist im Originalzustand die in Störmthal (1723; 1 Man., 14 Reg.) erhalten, ferner umgebaut oder verändert die Orgeln in Langhennersdorf (1718-22; 2 Man., 21 Reg.), Sotterhausen bei Sangerhausen (1727; 1 Man., 9 Reg.) und an St. Wenzel in Naumburg (1743-46; 3 Man., 53 Reg.). G.

Silbermann verpflichtete 1750 für den Bau der Orgel in der Dresdner Hofkirche H. als Mitarbeiter, der nach Silbermanns Tod (1753) das Werk (3 Man., 47 Reg.) 1754 fertigstellte. H. entwickelte den Stil seines Lehrers, wohl auch unter dem Einfluß J. S. Bachs, in Richtung auf größere Farbigkeit weiter. Sein Sohn Johann Gottfried, * 1724 Störmthal oder Liebertwolkwitz, t 7.11. 1775 Dresden, übernahm die Werkstatt des Vaters und baute u. a. die von J. Mattheson gestiftete Orgel der St. Micha89

Hildegard von Bingen eliskirche in Hamburg (1762-67; 3 Man., 60 Reg.); von seinen Instrumenten ist keines erhalten. Lit.: CH. MAHRENHOLZ, Die H.-Orgel in der St. Wenzelskirche zu Naumburg, in: MuK 5 (1933); W. NICHTERLEIN, Die Naumburger H. -Orgel u. ihr Erbauer (Ludwigsburg 1933); U. DÄHNERT, Der Orgel- u. Instrumentenbauer Z. H. (L 1962); DERS., Ist das Hilbersdorfer Brüstungspositiv ... ein Werk G. Silbermanns?, in: lnstrumentenbau-Zschr. 18 (1964); H. J. BUSCH, Orgeln um J.S. Bach, in: Ars organi 25 (1977).

HILDEGARD VON BINGEN, OSB, Heilige, * 1098 Bermersheim (Rheinhessen), t 17.9. 1179 Kloster Rupertsberg bei Bingen (Rhein). Seit 1136 Äbtissin der Frauenklause Disibodenberg (Nahe), gründete sie 1150 das Kloster Rupertsberg, von wo aus 1165 die Besiedelung des Klosters Eibingen bei Rüdesheim (Rhein) erfolgte. H., als Prophetin, Theologin und Ärztin eine der bedeutendsten Frauengestalten Deutschlands, hinterließ auch ein umfangreiches (Euere von lst. Vertonungen eigener lateinischer geistlicher Dichtungen, darunter ein geistliches Spiel Ordo virtutum (Reigen der Tugenden). Diese Gesänge, in germanischer Choralnotation überliefert, sind chorale Neuschöpfungen von individuellem Gepräge, die gegenüber dem gregorianischen Repertoire in mannigfacher Hinsicht eigenständig sind: Sie lassen sich nicht in das System der gregorianischen Modi einordnen; beherrschend im melodischen Duktus sind Grundton und Oberquinte, was geradezu den Eindruck eines Tonika-Dominante-Gefüges hervorruft; häufig lassen sich ein ungewöhnlicher Ambitus und große Intervalle beobachten, besonders am Beginn der Gesänge; reiche Melismatik herrscht vor, besonders in den Responsorien. Die Antiphonen haben meist responsorialen Stil. In den Sequenzen fehlen die symmetrische Anlage und sonstige Übereinstimmungen mit den zeitgenössischen Sequenzen; nur die typische Folge von Versikelpaaren ist beibehalten, und auch musikalische Parallelismen sind trotz der Ungebundenheit der Texte zu finden. In den Hymnen H.s wechselt, anders als in den gregorianischen Hymnen, die Melodie vielfach von Strophe zu Strophe. In der Gesamtanlage der einzelnen Gesänge verfährt H. überaus frei, sie benutzt keine gattungstypischen Grundrisse und Gliederungen. Kennzeichnend ist vielmehr das Spiel mit bestimmten melodischen Formeln und deren Varianten, nicht ohne gelegentlichen bildhaften Ausdruck. H.s Ordo virtutum, die Darstellung der menschlichen Seele im Entscheidungskampf zwischen dem Guten und dem Bösen, ist ein Werk sui generis in der Geschichte des ma. Mysterienspiels, wie denn das ganze dichterisch-musikalische Schaffen H.s in seiner Geschlossenheit und Geistigkeit unverM. I. RITSCHER gleichlich ist. 90

WW: Kompositionen (überliefert in Dendermonde, Abteibibl., Cod. 9 u. in Wiesbaden, Hessische Landesbibl., Hs. 2, beide spätes 12. Jh.): 43 Antiphonen, 18 Responsorien, 8 Sequenzen, 3 Hymnen, 1 Kyrie, l Alleluia, 3 weitere strophische Gesänge; geistliches Spiel Ordo virtutum (85 lat. Gesänge sowie gesprochene Dialogpartien des „Diabolus"). - H. schrieb ferner theologische, medizinische u. naturwiss. Werke u. hinterließ zahlr. Briefe. Ausg. (nur der Kompositionen): Der hl. H. Kompositionen. Nach dem großen H.-Kodex in Wiesbaden phototypisch veröff. v. J. GMELCH (Düsseldorf 1913); Reigen der Tugenden. Ordo virtutum. Ein Singspiel, hrsg. u. übers. v. M. BOCKELER - P. BARTH (B 1927); Lieder. Nach den Hss. hrsg. v. P. BARTH - M. I. RITSCHER - J. SCHMIDT-GORG (Salzburg 1969) (mit einem kritischen Ber. v. M. I. Ritscher). Lit.: W. LAUTER, H.-Bibliogr. Wegweiser zur H. -Lit. (Alzey 1970). - H. BOCKELER, Die Lieder der hl. H., in: GregoriusBlatt 5 (1880); J. POTHIER, Kyrie de Sainte Hildegarde, in: Revue du chant grégorien 7 (1898/99); DERS., Séquence „O virga ac diadema". Composée en l'honneur de la Sainte Vierge par Ste Hildegarde, in: ebd. 8 (1899/1900); L. BRONARSKI, Die Lieder der Hl. H. Ein Beitr. zur Gesch. der geistlichen Musik des MA (L 1922, Nachdr. Walluf 1973) (= Veröff. der Gregorianischen Akad. zu Freiburg [Schweiz] 9); J. SCHMIDT-GORG, Die Sequenzen der Hl. H., in: Studien z. Musikgesch. des Rheinlandes. FS L. Schiedermair (Kö 1956) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 20); M. SCHRADER - A. FUHRKOTTER, Die Echtheit des Schrifttums der hl. H. von B. Quellenkritische Unters. (Kö 1956) (= Beih. z. Arch. für Kulturgesch. 6); J. SCHMIDTGORG, H. von B., in: MGG VI; DERS., Zur Musikanschauung in den Schriften der hl. H., in: Der Mensch u. die Künste. FS H. Lützeler (Düsseldorf 1962); M. 1. RITSCHER, Die Musik der hl. H., in: Colloquium amicorum. FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1967); DIES., Zur Musik der hl. H. von B., in: FS H. von B. 1179-1979, hrsg. v. A. Ph. Bruck (Mz 1979). A. FUHRKÚTTER

HILFE, HILFE, DIE GLOBOLINKS! (Help, Help, the Globolinks!), Oper in einem Akt für Kinder und solche, die Kinder lieben, von Gian Carlo Menotti (* 1911), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: eine Kleinstadt im 20. Jh. UA: 21.12.1968 in Hamburg (Staatsoper). Mit diesem Auftragswerk für die Hamburger Staatsoper schuf Menotti nach Amahl and the Night Visitors seine zweite Oper für Kinder. Die Komposition für das „schwierige Publikum" zwang Menotti bereits bei der Konzeption des Einakters zu bedeutenden Einschränkungen. Das „Spiel für die Kinder der neuen Generation" ist kurz, auf Arien und „weitschweifige, psychologische Erklärungen" wurde verzichtet. Darüber hinaus bemüht sich der Komponist, leicht nachsingbare Melodien zu schreiben, und er fordert nachdrücklich eine bedingungslos realistische Darstellung. Das Science-Fiction-Märchen von der Invasion außerirdischer Wesen, die nur durch die Macht der Musik besiegt werden können, soll musikalisch nicht in die Zukunft weisen; das Werk ist harmonisch konventionell, die Melodien sind eingängig. Lediglich für die unverständliche Sprache der Außerirdischen schreibt Menotti elektronisch erzeugte Klänge vor. R. QUANDT

Hiller HILL, Alfred Francis, * 16. 12. 1870 Richmond (Victoria), t 30. 10. 1960 Darlinghurst (New South Wales); australischer Violinist, Dirigent und Komponist. Er studierte Violine am Leipziger Konservatorium und spielte 2 Jahre im Gewandhausorchester. Dann lebte er in Neuseeland, wo er sich mit Maori-Musik befaßte, die er auch in einigen seiner Kompositionen verarbeitete. 1910 ließ sich H. in Sydney nieder; er war dort Mitgründer des New South Wales Conservatory, an dem er bis 1934 Harmonie und Komposition lehrte. WW: Zahlr. Streichquartette, u. a. Maori String Quartet n° 1 u. n° 2 (L o.J.); 13 Symphonien, darunter A Maori Symphony; Maori Rhapsody; Kantaten Hinemoa (NY o.J.) u. Tawhaki; Opern: Tapu: The Weird Flute; A Moorish Maid; Giovanni, the Sculptor; ferner die Schrift Harmony and Melody (Lo 1927). lit.: A. D. MCCREDIE, A. H. 1870-1960. Some Backgrounds and Perspectives for an Historical Edition, in: MMASt 3 (Adelaide 1968); J. M. THOMSON, The Role of the Pioneer Composer. Some Reflections on A. H., in: Studies in Music 4 (1970).

HILL, Edward Burlingame, * 9.9. 1872 Cambridge (Massachusetts), t 9.7. 1960 Francestown (New Hampshire); amerik. Komponist. Er studierte an der Harvard University in Cambridge (Mass.), bei G. Chadwick in Boston und bei Ch.-M. Widor in Paris. Er lehrte 1908-40 an der Harvard University, wurde 1928 zum Professor ernannt und leitete bis 1938 die Musikabteilung. WW: Klv.-Stücke, u. a. Jazz Studies für 2 Klv. (1922-38); Sonate (1925) für Klar. u. KIv. (NY 1927); Sonatine (1954) für Klar. u. Klv.; Sonate für FI. u. Klv. (1925); Streichquartett (1935); Klv.Quartett (1937); Klar.-Quintett (1945); Sextett für Klv. u. Blasinstr. (1934) (NY 1939); für Orch.: 4 Symphonien; symphonische Dichtungen: The Parting of Lancelot and Guinevere (1915); The Fall of the House of Usher (1920); Lilacs (1927) (NY 1931); The Flute (1938); Stevenson Suite Nr. 1 (1917) u. Nr.2 (1922) (NY 1925); Sinfonietta in one movement (1932); Prelude (1953); 2 Klv.-Konzerte (1931, 1938); V.-Konzert (1933, revidiert 1937); Music (1943) für Engl. Horn u. Orch.; Kantate Nuns of the Perpetual Adoration (1907); Ode (1930) für Chor u. Orch.; ferner die Schrift Modern French Music (Boston 1924, Nachdr. Westport/Conn. 1970).

HILL, William E. Hill & Sons, engl. Geigenbaufirma, gegr. 1760 in London von Joseph H. (1715-84) und bis heute im Besitz der Familie H. Ein Urenkel des Gründers, William E. H. (1817-95), veröffentlichte mehrere Schriften über die Violine: The Tuscan (Lo 1889); The Salabue Stradivarius (Lo 1893) und Violin and Their Makers (Lo 1893). Seine Söhne Arthur F. H. (1860-1930) und Alfred E. H. (1862-1940) vermachten dem Staat eine Sammlung von Streichinstrumenten, die im Ashmolean Museum in Oxford aufbewahrt wird, darunter auch die StradivariGeige „Messiah". Sie schrieben zusammen mit ihrem Bruder William H. H. 1857-1927): A. Stradivari. His Life and Work (Lo 1902, 21909, Nachdr.

NY 1963) und The Violin-Makers of the Guarneri Family (Lo 1931, Nachdr. 1965). Lit.: D. D. BOYDEN, Catalogue of the H. Collection of Musical Instruments in the Ashmolean Museum Oxford (Lo 1969).

HILLBILLY MUSIC (engl., = HinterwäldlerMusik), meist abwertend gebrauchte Bz. für die Volksmusik der Weißen im Mittelwesten und in den Südstaaten der USA, für die einfache Strophenlieder mit Refrain erzählenden Inhalts, Dreiklangsmelodik, aber auch afroamerikanische Elemente kennzeichnend sind. Wie bei dem verwandten Bluegrass werden bei der H. M. Instrumente wie Banjo, Mandoline, Gitarre und Geige verwendet. Durch die ökonomisch-sozialen Veränderungen des beginnenden 20. Jh. war auch die H. M. wesentlichen Wandlungen unterworfen und galt zunächst als entfremdete und abgewertete Musik, bevor sie in den 40er Jahren in der von der Schallplattenindustrie getragenen Country & Western Music (/Western Music) aufging.

HILLEBRECHT, Hildegard, * 26.11.1927 Hannover; dt. Sängerin (Dramatischer Sopran). H. studierte zunächst Medizin und nahm dann Gesangunterricht bei Margarete von Winterfeld an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg und bei Franziska Martienssen-Lohmann in Düsseldorf. 1951 debütierte sie an den Städtischen Bühnen Freiburg als Leonore in Verdis Il trovatore. Nach Engagements in Zürich und an der Deutschen Oper am Rhein wurde sie 1961 Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München. H. gastierte regelmäßig bei den Salzburger, Bayreuther und Edinburgher Festspielen und sang auch in New York (Metropolitan Opera), Paris, Rom und in Rio de Janeiro. HILLER, Ferdinand (von), * 24.10. 1811 Frankfurt am Main, t 10. oder 11.5. 1885 Köln; dt. Pianist, Dirigent und Komponist. H. trat bereits 9jährig als Solist des c-moll-Klavierkonzertes von Mozart auf. 1825 setzte er seine pianistische Ausbildung bei J. N. Hummel in Weimar fort, den er

1827 nach Wien begleitete. Dort lernte er noch Beethoven und Schubert kennen. 1828-35 lebte er in Paris, wo er — insbesondere in der dortigen Erstaufführung von Beethovens Es-Dur-Klavierkonzert — als Solist bekannt wurde. Zu seinem Freundeskreis gehörten u. a. Fr. Chopin und Fr. Liszt (mit denen er Bachs Konzert für 3 Klaviere aufführte), G. Meyerbeer, H. Berlioz, L. Cherubini und V. Bellini. 1836-37 leitete er in Frankfurt den Cäcilienverein. 1839 brachte er, allerdings ohne Erfolg, an der Mailänder Scala seine auf Anregung G. Rossinis geschriebene Oper Romilda zur Aufführung. Ende 1839 folgte er einer Einladung 91

Hiller Mendelssohns nach Leipzig, wo er 1840 das dort vollendete Oratorium Die Zerstörung Jerusalems aufführte. 1841 studierte er in Rom die ältere italienische Kirchenmusik. Nach Deutschland zurückgekehrt, dirigierte er 1843/44 die Gewandhauskonzerte in Vertretung des abwesenden Mendelssohn. 1844 ging er nach Dresden. Dort rief er die Abonnementskonzerte ins Leben, leitete die Liedertafel und brachte 2 neue Opern heraus. Die Bekanntschaft mit Robert und Clara Schumann führte zu einer engen freundschaftlichen Beziehung. 1847 wurde er Städtischer Kapellmeister in Düsseldorf und 1850 in Köln und leitete dort bis 1884 auch das von ihm neu aufgebaute Konservatorium. Das künstlerische Engagement H.s blieb nicht ohne Einfluß auf das Musikleben Kölns, das sich während seiner mehr als 30jährigen Wirksamkeit zum bedeutendsten Konzert- und Ausbildungszentrum Westdeutschlands entwickelte. So leitete er dort häufig die Niederrheinischen Musikfeste und unternahm außerdem zahlreiche Konzertreisen u. a. nach London, Paris und Rußland. Jahrelang war er auch Feuilletonist der Kölner Zeitung. Obwohl H. zu den einflußreichsten Anhängern Brahms' gehörte, gelang es ihm nicht, Brahms als Nachfolger nach Köln zu gewinnen. Zu seinen Schülern gehörten M. Bruch und E. Humperdinck. Seine Kompositionen mit vorwiegend klassizistisch-romantischen Zügen bezeugen seine konservative Musikauffassung. In seinen ästhetischen Anschauungen war er besonders E. Hanslick verpflichtet. WW: 1) Ioetr.-WW: Für Klv.: 24 Etüden; 24 rhythmische Etüden; Capricen; Fantasien; Duette. - 4 Symphonien; 2 Klv.-Konzerte As-Dur u. fis-moll; V.-Konzert. - 2) Vokal-WW: Zahlr. Klv.Lieder u. Chorwerke; Oratorien: Die Zerstörung Jerusalems, UA: Leipzig 1840; Saul, UA: Düsseldorf 1858. - 3) Buhnen-WW: Opern: Der Traum in der Christnacht, UA: Dresden 1840; Konradin, UA: ebd. 1847; Der Advokat, UA: Köln 1854; Die Katakomben, UA: Wiesbaden 1862; Der Deserteur, UA: Köln 1865. 4) Schriften: Übungen zum Studium der Harmonie u. des Kontrapunktes(Kö 1860, 161897); Die Musik u. das Publicum (Kö 1864); Aus dem Tonleben unserer Zeit (L 1868, 1871); Beethoven (L 1871); Mendelssohn (Kö 1874); Briefe an eine Ungenannte (Kö 1877); Goethes musikal. Leben (Kö 1883); Erinnerungsblätter (Kö 1884). Lit.: H. HERING, Die Klv.-Werke F. von H.s (Diss. Kö 1927); F. H.s Briefwechsel, 7 Bde., hrsg. v. R. SIETZ (Kö 1958-70); R. SIETZ, H., in: Rheinische Musiker 1 (Kö 1960); G. PUCHELT, Verlorene Klänge. Stud. zur dt. Klv.-Musik 1830-80 (B 1969); R. SIETZ, Die musikal. Gestaltung der Loreleysage bei M. Bruch, F. Mendelssohn u. F. H., in: M. Bruch-Studien (Kö 1970) (= Beitr. zur rheinischen Musikgesch. 87); P. MIES, F. H. „Ghaselen" für Klv., in: Stud. z. Musikgesch. des Rheinlandes 4 (Kö 1975) (= ebd. 112).

HILLER (Huller), Johann Adam, *25. 12. 1728 Wendisch-Ossig bei Görlitz, t 16.6. 1804 Leipzig; dt. Komponist. Nach dem Besuch der Dresdner Kreuzschule, wo er von G. A. Homilius Musikun-

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terricht erhielt, studierte H. seit 1751 in Leipzig Jura und Geschichte, erlernte nebenbei das Spiel fast sämtlicher Instrumente, vervollkommnete sich im Gesang und komponierte eifrig. 1754 wurde er Hauslehrer beim Grafen Brühl in Dresden, ging vier Jahre später nach Leipzig, wo er Liebhaberkonzerte und Concerts spirituels nach Pariser Vorbild veranstaltete. Später rief er die sogenannten „Gewandhauskonzerte" ins Leben. 1771 gründete er eine Gesangschule, in der er einige namhafte Schülerinnen heranbildete. 1784 folgte er für kurze Zeit einem Ruf als Kapellmeister an den Hof des Herzogs von Kurland nach Mitau und war anschließend in Berlin und Breslau tätig, wo er Händels Messias in einer eigenen Bearbeitung aufführte. 1789 übernahm er als Nachfolger von J. F. Doles das Thomaskantorat in Leipzig; er wandte sich nun ausschließlich der Komposition geistlicher Werke zu und setzte sich tatkräftig für eine Reform der Kirchenmusik ein. 1801 trat er in den Ruhestand. WW: 1) Kompositionen: a) Vokal-WW: Mehrere Slgen. mit weltlichen Liedern u. einzelne weltliche Kantaten für SingSt u. Klv.; weltliche Chor-Werke. - Geistliche Klv.-Lieder, darunter Choral-Melodien nach C. F. Gellerts Geistlichen Oden u. Liedern (L 1761), bearb. für 4 St. u. B. c. (L 1792); 50 geistliche Lieder für Kinder, mit V. (L 1774/75); Religiöse Oden u. Lieder (L 1790); Allgemeines Choral-Melodienbuch für 4 St. (L 1793 mit mehreren Nachträgen); weitere ähnliche Slgen. für Chor u. Instr., u. a. Ps. 100; Messen (hsl. erhalten). - b) Singspiele (UA in Leipzig, von den meisten wurden, ebenfalls in Leipzig, Klv.-Auszüge gedruckt): Der Teufel ist los, 1. Teil: Die verwandelten Weiber, 2. Teil: Der lustige Schuster, UA: 1766; Lisuart u. Dariolette, UA: 1766, erweitert auf 3 Akte, UA: 1767; Lottchen am Hofe, UA: 1767; Die Muse, UA: 1767; Die Liebe auf dem Lande, UA: 1768; Die Jagd, UA: 1770, überarbeitet v. Lortzing, UA: 1830; Der Dorfbalbier, UA: 1771; DerAerndtekranz, UA: 1771; Der Krieg, UA: 1772; Die kleine Aehrenleserin, UA: vor 1773; Die Jubelhochzeit, UA: 1773; Das Grab des Mufti oder Die beiden Geitzigen, UA: 1779; Poltis oder Das gerettete Troja, UA: 1782. e) laetr.-WW: gedruckt wurden: Loisir musical ((Sonaten u. Pièces de galanterie) für Cemb. (L 1762); Fugetten für Orgel (L 1791). - H. gab zahlr. Slgen. von Arien u. Duetten u. einzelne Opern u. Oratorien anderer Komponisten heraus. U. a. bearbeitete er auch G. F. Händels Messias. - 2) Schriften: Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrter u. Tonkünstler neuerer Zeit (L 1784); Über Metastasio u. seine Werke (L 1786); Anweisung zum musikalisch-richtigen Gesange (L 1774, 2 1798); Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesange (L 1780); Ueber die Musik u. deren Wirkungen (= Übers. v. Chabanons Observations sur la musique v. 1779) (L 1781, Nachdr. L 1974); Anweisung zum Violinspiel (L um 1792); Kurze u. erleichterte Anweisung zum Singen (L 1792); versch. kleinere Schriften. - Ferner die Zschr. Wöchentliche Nachrichten u. Anmerkungen die Musik betreffend (L 1766-70, Nachdr. Hil - NY 1970).

H., typischer Vertreter einer philanthropischen Epoche, gehörte zu den vielseitig interessierten und fortschrittsgläubigen Bildungsmusikern. Unermüdlich in seiner Aktivität, tat er sich in gleicher Weise als Dirigent, Komponist, Organisator, Pädagoge und Musikschriftsteller hervor. Als Singspielkomponist erstrebte er als Anhänger J.-

Hilton J. Rousseaus Einfachheit und Natürlichkeit und versuchte, Formen der italienischen Oper im Stile J. A. Hasses und C. H. Grauns mit kurzen Liedern nach dem Vorbild der französischen Opéra-comique organisch zu einer Einheit zu verbinden und beide Elemente gleichzeitig zur Personen- und Standescharakterisierung zu verwenden. H. hat damit der späteren „deutschen Operette" wesentlich den Weg geebnet. Von seinen geistlichen Kompositionen gehören die Messe in D-Dur und der 100. Psalm zu den gehaltvollsten, an besten Mustern geschulten Werken. Mit der Herausgabe von Kompositionen fremder Meister hat H. den Klavierauszug populär gemacht. Als Musikschriftsteller schuf er mit den Wöchentlichen Nachrichten die erste vorbildlich gewordene Musikzeitschrift, die sich an einen breiten Leserkreis des aufgeschlossenen Bürgertums wandte. In seinen Gesangsschulen hat H. den Lehrstoff zum erstenmal nach modernen methodischen Gesichtspunkten geordnet, wobei er aber die italienische Bravourarie noch immer als höchsten Gipfel der Gesangskunst betrachtet. Ausg.: 10 Lieder in: M. FRIEDLAENDER,Dasdt. Lied im 18.Jh. 1/2 (St - B 1902, Nachdr. Hil 1962); Minuetto u. Musette, in: Kleine leichte Klv.-Stücke, hrsg. v. A. KREUTZ (Mz 1935); Gehe, guter Peter, gehe, aus dem Aerndtekranz v. 1772, in: A. SCHERING, Gesch. der Musik in Bsp. (L 21953); eine Arie aus Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesange 1780, in: E. T. FERAND, Die Improvisation (Kö 1956) (= Das Musikwerk 12); Allg. Choral-Melodienbuch 1793, Nachdr. (Hil 1978). Lit.: K. PEISER, J. A. H. (L 1894); G. CALMUS, Die ersten dt. Singspiele v. Standfuß u. H. (L 1908, Nachdr. Walluf 1973); H.s Autobiographie, in: Lebensläufe dt. Musiker v. ihnen selbst erzählt, hrsg. v. A. EINSTEIN (L 1915); A. SCHERING, Musikgesch. Leipzigs III (L 1941, Nachdr. L 1974) (darin: Das Zeitalter J. A. H.s 1750-1800); E. SCHENK, Breitkopfs Musik zum Leipziger Liederbuch u. ihre Beziehungen zu H. u. Goethe, in: Chronik des Wiener Goethe-Vereins 52/53 (1949), Wiederabdruck, in: Ausgew. Aufsätze, Reden u. Vorträge (Gr 1967) (= Wiener Musikwiss. Beitr. 7); W. SERAUKY, J. A. H. als Erwecker der Händel-Tradition im 18. Jh., in: FS zum 175jährigen Bestehen der Gewandhauskonzerte (L 1956); V. DUCKLES, J. A. H.s „Critical Prospectus for a Music Library", in: Studies in 18th Century Music. FS K. Geiringer (Lo 1970); K. KAWADA, Stud. zu den Singspielen v. J. A. H. (Kas 1973). L. HOFFMANN-ERBRECHT

HILLER, Lejaren A. * 23.2.1924 New York; amerik. Komponist. H. studierte an der Princeton University und an der University of Illinois, wo er seit 1958 Assistant Professor, 1961-66 Associate Professor und 1966-68 Professor of Music war. Seitdem unterrichtet er an der State University of New York in Buffalo. H. befaßte sich als Theoretiker wie Komponist vor allem mit der Computermusik, zu deren wichtigsten Vertretern er gehört. WW: 1) Kompodtio.eu: 5 Klv.-Sonaten (1946-60); 6 Streichquartette (1949-72); 'Mac Suite (1957) (zus. mit M. Isaacson) für Streichquartett; 2 Symphonien (1953, 1960). - Elektronische Kompositionen: Computer Cantata (1963) für Sopran, Tonband u. Kammerensemble; Algorithms I (1968) für 9 Instr. u. Tonband;

HPSCHD (1967-69) (zus. mit J. Cage) für 1-7 Cemb. u. 51 Tonbänder. - 2) Schriften: Experimental Music (NY 1959) (zus. mit M. Isaacson); Electronic Music at the University of Illinois, in: JMTh 7 (1963); Informationstheorie u. Computermusik (Mz 1964) (= Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 8).

HILLER, Wilfried, * 15.3. 1941 Weißenhorn (Schwaben); dt. Komponist. H. studierte von 1963-70 an der Münchner Musikhochschule (Komposition bei G. Bialas, Schlagzeug bei L. Porth und H. Hölzl) und arbeitet seit 1968 eng mit C. Orff zusammen. Er ist Gründer der Münchner Konzertreihe „musik unserer zeit", in der neue Präsentationsformen zeitgenössischer Musik erprobt werden. 1968 erhielt er den RichardStrauss-Preis und 1971 den Förderpreis für Musik der Stadt München sowie 1977 den Anerkennungspreis der Stadt Salzburg für das Ritual Niobe. 1978 und 1981 arbeitete er als Stipendiat der Villa Massimo in Rom. WW: 1) lustr.-WW: Rhythmizomenon (1966) für Klv.; Movements (1967) für Org.; Solo für ein Löwengebrüll (1968); Fanfare (2. Platz im Wettbewerb um die Olympiafanfare 1972); Katalog für Schlagzeug (1966-75); Nachtgesang (1974) für Orch.; Pas de deux (1978) für 2 Klv. - 2) Volal -WW: Der Leuchtturm (1962-65) Liederzyklus nach Gedichten von W. Borchert. 3) Báb.en-WW: An diesem heutigen Tage (Libr.: E. Woska) (1971/73); Liebestreu und Grausamkeit (1972/80) (nach W. Busch); Muspilli (1974-78) für Bar. u. Kammerensemble; Niobe (1974-77) (Libr.: E. Woska); Der Gesang der Gesänge (1977-80) (nach M. Buber) für Sopran, Sprecherin, Tänzerin, Bar., Chor und Orch.; Ein Frosch sah einstmals einen Stier (1978/79) Szenen nach Fabeln von Jean de la Fontaine; Ijob (1979) (nach M. Buber) für Tenor (60-80 Jahre), 1 Schauspielerin, Tasted= und Schlaginstrumente; Der Lindwurm und der Schmetterling (1979/80) (Text: M. Ende) Szene für Marionetten; Tranquilla Trampeltreu (1980) (Text: M. Ende) Musik. Fabel in Rondoform.

HILTON, engl. Musikerfamilie. — 1) John I, t März 1608 Cambridge; engl. Organist und Komponist. H. war seit 1584 Countertenor an der Kathedrale von Lincoln und seit 1594 Organist am Trinity College in Cambridge. Sein 5st. Madrigal, Fair Oriana, Beauty's Queen, fand Aufnahme in The Triumphes of Oriana (Lo 1601). Hsl. sind Anthems und Orgelkompositionen erhalten. — 2) John II, möglicherweise Sohn von John I, * 1599 Oxford, t London, beerdigt 21.3. 1657. H. wurde 1626 Bachelor of Music des Trinity College in Cambridge und 1628 Laienpriester und Organist der Kirche an St. Margaret's in Westminster. Er veröffentlichte in London Ayres, or Fa La's für 3 St. (1627) und den Sammeldruck Catch that Catch can (1652, '1673 als The Musical Companion), der bis zur Mitte des 18. Jh. oft nachgedruckt wurde. Handschriftlich sind von ihm weitere Vokalwerke, geistliche Dialoge und Werke für Violenensemble erhalten. Ausg.: Z. 2): 3 Ayres, hrsg. v. A. GOODCHILD (Lo 1960); ein Ayre, hrsg. v. W. S. GWYNN WILLIAMS (Lo 1963); Preludio u.

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Hilverding 5 Fantasien für 3 Streich- oder Blasinstr., hrsg. v. H. MONKEMEYER (Wilhelmshaven 1963); Catch that Catch can 1652, Faks.-Ausg. (NY 1970); 7 Lieder, in: English Songs 1625-60, hrsg. v. I. SPINK (Lo 1971) (= Mus. Brit. 33). Lit.: W. H. GRATTAN FLOOD, New Light on Late Tudor Composers. J. H., in: MT68 (1927); B. SMALLMAN, Endor Revisted. English Biblical Dialogues of the 17th Century, in: ML 45 (1965).

HILVERDING (Helwerding, Hilferding) van Wewen, Franz Anton Christoph, * 17. 11. 1710 Wien, t 30. (29.?) 5. 1768 ebd.; östr. Tänzer und Choreograph. Seit 1737 als Hoftänzer in Wien tätig, trat H. hier um 1740 als erster mit tragischen Ballettpantomimen (Britannicus nach Racine, Idomenée nach Crébillon, Alzire nach Voltaire) hervor, einer Gattung, die später von seinem Schüler G. Angiolini, der ihn ausdrücklich als seinen Lehrer bezeichnete, und von dem ebenfalls in Wien wirkenden J. G. Noverre vollendet wurde. 1742-52 war er Ballettmeister am Kärntnerthor-Theater, 1748-52 auch Ballettmeister am Burgtheater. 1752 wurde er Hofballettmeister. 1759-64 reorganisierte er das Petersburger Ballettwesen. 1765 trat er wieder in Wien als Tänzer auf. 1766/67 leitete er als Pächter das Kärntnerthor-Theater. H. verfaßte zahlreiche Balletteinlagen (u. a. zu Opern von J. A. Hasse, Chr. W. Gluck, A. Adolfati, H. F. Raupach, G. Chr. Wagenseil und V. Manfredini) und eine Reihe selbständiger Ballette (für das Kärntnerthor-Theater volkstümliche und Charakterballette, für das Burgtheater mythologische, allegorische und Groteskballette sowie Divertissements), zu denen neben I. Holzbauer und F. L. Gaßmann vor allem J. Starzer die Musik schrieb. Lit.: G. GUGITZ, Die Familie H. u. ihre theatralische Sendung, in: Jb. des Vereins für Gesch. der Stadt Wien 11 (1954); W. PFANNKUCH, F. H., in: MGG VI; G. WINKLER, Das Wiener Ballett v. Noverre bis F. Elßler (Dim. W 1967); F. DERRA DE MORODA, F. A. Ch. H., in: Ballett 1967 (Velber 1967); DIES., F. A. Ch. H. u. das ballet d'action. Zum 200. Todestag des großen östr. Ballettmeisters, in: ČIMZ 23 (1968). W. PFANNKUCH

HIMMEL, Friedrich Heinrich, * 20. 11. 1765 Treuenbrietzen (Brandenburg), t 8.6. 1814 Berlin; dt. Pianist und Komponist. Als Stipendiat König Friedrich Wilhelms II. von Preußen war er 1787-92 Schüler von J. G. Naumann in Dresden. Nach weiteren zweijährigen Studien in Italien wurde er 1795 als Nachfolger J. Fr. Reichardts Hofkapellmeister in Berlin, von wo aus er zahlreiche Reisen unternahm. 1798/99 führte ihn eine Konzertreise nach Petersburg, Moskau, Riga, Stockholm und Kopenhagen. 1802 reiste er nach Paris, London und Wien, 1811 nach Wien und Prag. 1806/07 unternahm er eine Reise quer durch Deutschland. 1808-10 lebte er in Königsberg, wohin der Hof übergesiedelt war. Seine italienischen Opere serie, vor allem aber seine deutschen Bühnenwerke sowie viele seiner teils ga94

lant-empfindsamen, teils volkstümlichen Lieder waren bei seinen Zeitgenossen sehr beliebt. Unter seinen insgesamt über 300 vorwiegend klavierbegleiteten Liedern finden sich vereinzelt auch durchkomponierte Lieder (Wunderhorn-Lieder) und Liederzyklen (z. B. Alexis und Ida), die der deutschen Romantik nahestehen. WW: Zahlr. Klv.-Stücke u. -Variationen, Klv.-Trios, 2 Klv.-Quartette u. ein Klv.-Sextett; Grande Sonate für Klv. u. Fl., op. 14 (Hannover o. J.); Air des matelots varié für Klv. u. Vc., op. 15 (Lo. J.); eine Symphonie u. 3 Klv.-Konzerte, u. a. op. 25 (L o. J.); etwa 300 Lieder, meist mit Klv.-Begleitung, u. a. Wunderhorn-Lieder, op. 27 (1808); Liederzyklus Alexis u. Ida, op. 43 (1814); geistliche u. weltliche Chorwerke (u. a. ein Vater unser); 2 Messen; Kantaten; Oratorium Isacco (Libr.: P. Metastasio), UA: Berlin 1792. — Opere serie: Il primonavigatore, UA: Venedig 1794; La morte di Semiramide, UA: Neapel 1795; Alessandro, UA: St. Petersburg 1799; Vasco di Gama, UA: Berlin 1801; Singspiele (Klv.-Auszüge erschienen im Druck): Liederspiel Frohsinn und Schwärmerey, UA: ebd. 1801; Fanchon das Leyermädchen (Libr.: A. von Kotzebue nach N. Bouilly), UA: ebd. 1804 (gedruckt wurden daraus auch zahlreiche Einzelstücke); Zauberoper Die Sylphen, UA: ebd. 1806 (B o. J.); eine komische Oper Der Kobold, UA: Wien 1813 (W o. J.). Ausg.: eine Kantate in: R. JAKOBY, Die Kantate (Kö 1968) ( = Das Musikwerk 32). Lit.: L. ODENDAHL, F. H. Bemerkungen zur Gesch. der Berliner Oper um die Wende des 18. u. 19. Jh. (Bonn 1917); L. GELBER, Die Liederkomponisten A. Harder, F. H. H., F. Hurka, C. G. Hering (B 1936); W. PFANNKUCH, H., in: MGG VI. W. PFANNKUCH

HINDEMITH. — 1) Paul, * 16. 11. 1895 Hanau, t 28. 12. 1963 Frankfurt am Main; dt. Komponist. H. war seit 1909 Violinschüler von A. Rebner, seit 1912 Kompositionsschülervon A. Mendelssohn und B. Sekles am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main. 1915 wurde er dort Konzertmeister am Opernhaus. Seit 1917 entstanden seine ersten wichtigen Kompositionen: 3 Gesänge für Sopran und Orchester op. 9 (1917), 1. Streichquartett op. 10 (1918) und Sonaten für Streichinstrumente und Klavier op. 11 (1918/19). Bekannt wurde H. durch die 1921 in Stuttgart uraufgeführten Einakter Mörder, Hoffnung der Frauen und Das Nusch-Nuschi sowie durch sein 2. Streichquartett bei den Donaueschinger Musiktagen. 1921 gründete er das Amar-Quartett, dem er bis 1929 als Bratschist angehörte, konzertierte aber auch als Solist. Ab 1933 wurde seine Position immer schwieriger, da seine Musik als „entartete Kunst" galt. Furtwänglers Eintreten für H. und die Aufführung der Symphonie Mathis der Maler 1934 führten zu einem Skandal. 1935-37 reiste er mehrmals in die Türkei mit dem Auftrag, das dortige Musikleben aufzubauen. 1937 emigrierte er in die Schweiz, von wo aus er bis 1939 3 Reisen in die USA unternahm. 1940 übersiedelte er schließlich dorthin und erhielt einen Lehrstuhl an der Yale University in New Haven. 1947 reiste er nach Europa. Nach seiner Berufung

Hindemith

als Professor für Musikwissenschaft an die Universität Zürich 1951 gab er 1953 seine Lehrtätigkeit in New Haven auf. 1956 reduzierte er auch seine Zürcher Aufgaben und trat in den letzten Jahren vor allem als Dirigent und mit zahlreichen Vorträgen hervor. H. erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Orden Pour le mérite. — Nach dem Tod von H.s Frau (1967) wurde nach deren Testament der gesamte Nachlaß in eine H.-Stiftung eingebracht, die 1968 mit Sitz in Blonay gegründet wurde. Die Stiftung ist gleichzeitig Trägerin des Paul-Hindemith-Instituts in Frankfurt am Main. Das Institut besitzt ein Archiv und ist als Schwerpunktstätte der H. Forschung auch Redaktionsort der H.-Gesamtausgabe und der beiden Publikationsreihen der Stiftung: H. -Jahrbuch und Frankfurter Studien. Außerdem bemüht sich die Stiftung um die Nachwuchsförderung. Für diesen Zweck wurde in Blonay ein „Kulturzentrum" eingerichtet. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: In einer Nacht, op. 15 (1919); Suite „1922"; 3 Klv.-Sonaten (1936) u. Ludus tonalis (1942); die sogenannten Kammermusiken (sieben), op. 24,1 u. op. 36 sowie op.46; 7 Streichquartette; Septett (1948); Oktett (1957-58); Klar.-Quintett, op. 30; zahlr. Duo- u. Solo-Sonaten. - Für Orch.: Lustige Sinfonietta, op. 4 (1916), UA: Berlin 1980; Konzert für Orch., op. 38 (1925); Konzertmusik, op. 41 (1926); Philharmonisches Konzert (1932); Symphonie Mathis der Maler (1934) u. Symphonie Es-Dur (1940); Symphonische Metamorphosen über Themen v. C. M. von Weber (1943); Symphonie Die Harmonie der Welt (1951); Symphonie B-Dur (1951) u. Pittsburgh Symphony (1958). - Solokonzerte für Vc., op. 3 (1915); Va. u. kleines Orch. Der Schwanendreher (1935); V. (1939); Vc. (1940); Klv. (1945); Klar. (1947); Horn (1949); Holzbläser u. Orch. (1949); Trp., Fag. u. Streichorch. (1949); ferner Konzertmusik für Klv., Blechbläser u. Harfe, op. 49 (1930) u. Konzertmusikfür Va. u. Orch., op. 48 (1930). -2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder, u.a. der Zyklus Das Marienleben nach R. M. Rilke, sowie Lieder nach Texten v. M. Claudius, F. Rückert, F. Novalis, W. Busch, F. Hölderlin, A. Silesius, C. Brentano, F. Nietzsche u. a.; Sologesänge mit Orch.: 3 Gesänge für Sopran u. Orch., op.9 (1917); 6 Lieder aus Das Marienleben (1938-59); Sologesänge mit Instr.: Melancholie, op. 13 (1919) (Text: Ch. Morgenstern); Des Todes Tod, op. 23,1 (1922) (Text: E. Reinacher); Die junge Magd, op. 23,2 (1922) (Text: G. Trakl); Die Serenaden, op. 35 (1925); für Chor: Lieder nach alten Texten, op. 33 (1923); Oratorium Das Unaufhörliche (1931); Six chansons (1939) (nach R. M. Rilke); Requiem Als Flieder jüngst... (1946); 12 Madrigale nach J. Weinheber (1958); Messe (1963); Sing- u. Spielmusik: Tuttifäntchen (1922); Sing- und Spielmusiken für Liebhaber und Musikfreunde, op. 45 (1928-29); Wir bauen eine Stadt (1930); Plöner Musiktag ( 1932). -3) Bähnen- W W: Sketch Hin und zurück, UA: Baden-Baden 1927; Lehrstück (Libr.: B. Brecht) für 2 Männer-St., Sprecher(in), gem. Chor, Orch., Blasorch., Tänzer(in), 3 Clowns u. Menge, UA: ebd. 1929. - Opern: Mörder, Hoffnung der Frauen (Libr.: O. Kokoschka), UA: Stuttgart 1921; Das NuschNuschi, UA: ebd. 1921; Sancta Susanna, UA: Frankfurt 1922; Cardillac (Libr.: F. Lion nach E. T. A. Hoffmann), UA: Dresden 1926, neue Fassung, UA: Zürich 1953; lustige Oper Neues vom Tage, UA: Berlin 1929; Mathis der Maler, UA: Zürich 1938; Die Harmonie der Welt, UA: München 1957; The Long Christmas Dinner (Libr.: Th. Wilder), dt. als: Das lange Weihnachtsmahl, UA: Mannheim 1961. - Ballette: Der Dämon, UA: Darmstadt 1923; Nobilissima visione, UA: London 1938;

The Four Temperaments, UA: New York 1946; Hérodiade, UA: Washington 1944. - 4) Scrrifteo: Lehrwerke: Unterweisung im Tonsatz, 1: Theoretischer Teil (Mz 1937, 2 1940), II: Übungsbuch für den zweistimmigen Satz (Mz 1939), III: Übungsbuch für den dreistimmigen Satz (Mz 1970); A Concentrated Course in Traditional Harmony, 2 Bde. (NY 1943, 21944, 1948), dt. Übers., 2 Bde.: 1: A ufgaben für Harmonie-Schüler u. 2: Harmonieübungen für Fortgeschrittene (Mz 1949); Elementary Training for Musicians (NY 1946, 21949); A Composer's World. Horizons and Limitations (C/M 1952, Paperbackausg. Garden City/N.Y. 1962, Gloucester 1969), dt. Übers. v. H.: Komponist in seiner Welt. Weiten u. Grenzen (Z 1959); Übungsbuch für elementare Musiktheorie (Mz 1975).

Trotz vieler Einflüsse vor allem Cl. Debussys und M. Regers weisen H.s vor 1920 entstandene Kompositionen bereits eine individuelle Handschrift auf. Mit dem 2. Streichquartett, der 1. Kammermusik, der Suite „1922" für Klavier und dann mit dem Liederzyklus Das Marienleben (1922/23) gewann H. in Deutschland unter der jungen Komponistengeneration die führende Position. Charakteristisch in seiner Musik ist die harte Gegenüberstellung von aggressiver Heftigkeit und herber Melancholie. Der Satzduktus ist geprägt von primär melodischrhythmischen Bewegungsimpulsen. Mit dem Marienleben und dem Streichquartett op. 22 vollzieht sich ein Wandel: Die melodische Energie wird in eine polyphone Ordnung eingebunden, der Satz tendiert zur konstruktiven Durchformung. Alte Satz- und Formmodelle (Fuge, Passacaglia usw.) unterstreichen die Ausbildung des neuen Stilideals, das H. als verbindlich ansah und 1936/37 in seiner Unterweisung im Tonsatz theoretisch zu fundieren suchte. Kernpunkt des H.schen Satzideals ist die „melodische Tonalität", die Vorstellung von einer linear geprägten Satzgestaltung, wobei die melodischen Linien so angelegt sind, daß daraus Zusammenklangsordnungen resultieren, die im Sinne einer „erweiterten Tonalität" aufzufassen sind. Vor allem aber ist H.s Stilideal, das freilich in der kompositorischen Wirklichkeit Wandlungen unterliegt, auch Konsequenz eines kunstethischen Anspruchs, der unter Bezugnahme auf die zeitgeschichtliche Problematik nachdrücklich in den Opern Mathis der Maler 1934/35 und die Harmonie der Welt (1956/57) formuliert ist. H.s Schaffen ist außerordentlich vielseitig, umfaßt von der Oper und dem Oratorium über sinfonische Werke, Konzertmusiken, Kammermusikwerke und Lieder bis zu Sonaten-Kompositionen für Duo und Solo fast alle Gattungen. Hierin wie in der Neigung, ganze Werkserien zu komponieren (Sonaten op. 11, op. 25, Sonaten für fast alle traditionellen Instrumente in den 30er und 40er Jahren, Kammermusiken op. 24, op. 36 und op. 46), wird das Bemühen erkennbar, den „alten", alle musikalischen Erscheinungsformen umfassenden Musikbegriff wieder verbindlich zu 95

Hines machen. Auf dieser Linie liegt auch H.s vorbildhaftes Engagement auf dem Gebiet der Musik für Kinder und Laien (Wir bauen eine Stadt, Plöner Musiktag, Sing- und Spielmusiken für Liebhaber und Musikfreunde). Für H. bedeutete Musiker-Sein die Aufhebung der Grenzen von Kunst- und LaienMusik, von schöpferischer und nachschöpferischer Tätigkeit. Sein Wirkungsfeld umfaßte Praxis und Theorie, organisatorische Funktionen und experimentelle Versuche (Film- und Radiomusik, Kompositionen für Trautonium, Zusammenarbeit mit O. Schlemmer: Triadisches Ballett, und B. Brecht: Lehrstück, Lindberghflug u. a.). 2) Rudolf, Bruder von 1), * 9. 1. 1900 Hanau; dt. Cellist. H. studierte bis 1918 am Hochschen Konservatorium in Frankfurt a. M. und danach kurze Zeit bei A. Földesy in Berlin. 1919-21 war er 1. Solocellist des Münchner Konzertvereins, 1921-24 an der Wiener Staatsoper. Er spielte außerdem im Münchener Trio und im Amar-Quartett und lehrte zeitweilig an der Musikhochschule in Karlsruhe. Ausg.: Zu 1): GA, hrsg. v. L. FINSCHER - K. VON FISCHER (Mz 1975ff.). Lit.: Die Werke v. P. H. im Verlag B. Schott's Söhne (Mz 1954); E. WESTPHAL, P. H., eine Bibliogr. des In- u. Auslandes seit 1922 über ihn u. sein Werk (Kö 1957) (= Bibliogr. H. 2); P. H. Kat. seiner Werke, Diskographie, Bibliogr., Einführung in das Schaffen (F 1970); H.-Jb. (F 1971 ff.). - F. WILLMS, Führer zur Oper Cardillac v. P. H. (Mz 1926); K. HASSLWANTER, P. H.s Cellowerke u. ihre Stellung im Rahmen seines Gesamtschaffens u. seiner „Unterweisung im Tonsatz" (Diss. I 1958); W. THOMSON, H.'s Contribution to Music Theory, in: JMTh 9 (1965); W. PUTZ, Stud. zum Streichquartettschaffen bei H., Bartók, Schönberg u. Webern (Rb 1968) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 36); J. KEMP, H. (Lo 1970); A. BRINER, P.H. (Z - Mz 1971); F. GOEBELS, Interpretationsaspekte zum „Ludus tonalis", in: H.-Jb. 2 (1972); C. GOTTWALD, H.s Messe, in: Musik u. Bildung 6 (1974); J.P. THILMANN, Zu H.s Motetten, in: Musica 28 (1974); E. ZWINK, P. H.s „Unterweisung im Tonsatz" als Konsequenz der Entwicklung seiner Kompositionstechnik, graphische u. statistische Musikanalyse (Gö 1974) (= Göppinger akad. Beitr. 81); A. RUBELI, P. H.s a-cap.-Werke (Mz 1975) (= Frankfurter Stud., Veröff. des P.-H.-Inst. 1); E. ZWINK, Zur Ableitung der Reihe 1 in H.s „Unterweisung im Tonsatz", in: Mf 29 (1976); D. P. NEUMEYER, Counterpoint and Pitch Structure in the Early Music of H. (1976) (= Diss. Yale Univ.); J. H. LEDERER, Zu H.s Idee einer Rhythmen- u. Formenlehre, in: Mf 29 (1976); G. METZ, Melodische Polyphonie in der Zwölftonordnung. Stud. zum Kontrapunkt P. H.s (Baden-Baden 1976) (= Sig. musikwiss. Abh. 57); J. C. KIDD, Aspects of Mensuration in H.'s Clarinet Sonata, in: MR 38 (1977); G. SCHUBERT, Ober die GA der musikal. Werke P.H.s, in: Mf 30 (1977). D. REXROTH

HINES, Earl Fatha (Earl Kenneth), * 28. 12. 1905 Duquesne (Pennsylvania), t 22.4. 1983 Oakland; amerik. Jazzpianist und Bandleader. H. spielte 1926-28 u. a. bei Louis Armstrongs „Hot Five" und leitete 1928-48 eigene Big Bands. Seine beste Band war die der Jahre 1939-41, seine einflußreichste (in ihr spielten nachmalige Größen des Bebop wie Charlie Parker und Dizzy Gillespie) 96

hatte er 1943. 1948 kehrte H. wieder zu Louis Armstrong zurück, leitete seit 1951 aber wieder eigene Bands. Unter dem Eindruck der Trompetentechnik Armstrongs entwickelte H. einen speziellen Klavierstil, den „Trumpet Piano Style". Lit.: E. H., in: Jazz erzählt, hrsg. v. N. SHAPIRO - N. HENTOFF (Mn 1962); A. POLILLO, Jazz, Gesch. u. Persönlichkeiten der afro-amerik. Musik (Mn 1978).

HINES, Jerome, * B. 11. 1921 Los Angeles; amerik. Sänger (Baß). H. studierte in Los Angeles und debütierte 1941 in San Francisco als Biterolf in Wagners Tannhäuser. Seit 1946 gehörte er der Metropolitan Opera in New York an und sang als Gast an den größten Opernhäusern Amerikas und Europas, insbesondere seit 1958 regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen. H. hat auch einen bedeutenden Ruf als Konzertsänger. HINTERSATZ, ursprünglich Bz. für Orgelpfeifen (/Mixturen, "gemischte Stimmen), die seit Ende des 15. Jh. in dem ursprünglich ohne Registerteilung funktionierenden /Blockwerk vom /Prinzipal und seinem Plenum getrennt und - daher der Name - dahintergesetzt wurden. Heute Bz. für eine Mixtur im Hauptwerk oder Pedal. HIPPOLYTE UND ARICIE, Tragédie in einem Prolog und 5 Akten von Jean-Philippe Rameau (1683-1764). Text von Abbé Simon Joseph de Pellegrin. Ort und Zeit der Handlung: Griechenland in mythischer Vergangenheit. UA: 1. 10. 1733 in Paris; EA in dt. Sprache: 20.5. 1931 in Basel. Rameaus erste aufgeführte Oper, die er erst im Alter von fünfzig Jahren komponierte, zählt zu den bedeutendsten französischen Bühnenwerken des 18. Jahrhunderts. Noch Claude Debussy sah in Rameau den Vollender der französischen Oper und bezeichnete Gluck als naturalistischen Barbaren. Durch Reduktion der Handlung auf die Liebesgeschichte von Aricie und Theseus' Sohn Hippolyte, die nach tragischen Verwicklungen durch das Eingreifen Dianas zum glücklichen Ende geführt wird, wird der dramatische Ablauf gegenüber den früheren Bearbeitungen des gleichen Stoffes durch Euripides oder Racine erheblich gestrafft. Rameau folgt bei der musikalischen Ausgestaltung scheinbar der französischen Operntradition seit Lully: die Handlung wird getragen vom continuo-begleiteten Rezitativ, das gelegentlich von Arien als Ausdruck seelischer Bewegung unterbrochen wird, wobei die Prosodie der Sprache die Gestaltung wesentlich beeinflußt. Doch gerade hier äußert sich auch Rameaus Eigenständigkeit, die Übergänge von rezitativischen zu ariosen Partien, gelegentlich zu kleinen ,Airs` ausgebaut, sind fließend und immer

Historia vom Text bestimmt. Wie später Gluck zieht Rameau dramatische Stringenz der reinen Prachtentfaltung vor, was sich sowohl an dem Bemühen um psychologische und dramatische Rechtfertigung der Divertissements als auch in der Ausgestaltung der Chorszenen ablesen läßt. Die rhythmisch und harmonisch sehr differenzierte Klangsprache und eine die Klangfarben der Einzelinstrumente charakteristisch ausnutzende Orchestertechnik bewirkten zunächst Unverständnis beim Publikum, trugen dann aber wesentlich zum Erfolg des Werkes bei. TH. MENGER

HIRMOS (von griech. heirmos = Verbindung, Reihe), in der byzantinischen Kirchendichtung und Musik Bz. für eine Modellstrophe, die jeder der neun Oden des 2' Kanons zugrunde liegt; d. h., die einzelnen Strophen (/Troparien) jeder Ode sind metrisch und musikalisch gleich strukturiert. Überlieferungen, seit dem 10. Jh. größtenteils auch neumiert, finden sich in Handschriften, den sog. Heirmologien. Der heirmologische Stil (/Byzantinischer Gesang) ist primär durch Syllabik gekennzeichnet. Die Überlieferung der H.-Melodien ist bis zum 13. Jh. weitgehend einheitlich gewesen. Danach vollzog sich eine durchgreifende musikalische Wandlung, die zur Ausbildung eines „rezitativischen" heirmologischen Stils führte. HIRSBRUNNER, Theo, * 2.4. 1931 Thun; Schweizer Musikforscher. H. studierte 1951-53 am Konservatorium in Bern und 1953-55 am Pariser Conservatoire Violine, 1956-59 Theorie und Komposition bei S. Véress in Bern, 1959 bei W. Vogel in Ascona und 1961-62 bei P. Boulez in Basel. Seit 1966 lehrt H. Musikgeschichte und Musiktheorie am Konservatorium in Bern. 1978 wurde er von der ČSSR mit der Leoš Janáček-Medaille ausgezeichnet. Neben vielen Aufsätzen veröffentlichte er eine Arbeit über Debussy (Kö 1980). HIRSCH, Paul Adolf, *24. 2. 1881 Frankfurt a. M., t 25. 11. 1951 Cambridge; dt. Musiksammler und -bibliograph. H. begann 1896 mit dem Sammeln von Musikdrucken und Musikhandschriften und baute zu seiner Zeit die bedeutendste Privatbibliothek Europas auf, die 1929 15 000 Bände umfaßte, darunter zahlreiche Werke über Mozart, Originalausgaben älterer musiktheoretischer Schriften und Gesamtausgaben von Werken einzelner Komponisten. 1946 wurde die Sammlung vom British Museum London erworben. Durch seine Sammeltätigkeit und eigene wie auch von ihm inspirierte Arbeiten wurde H. einer der Pioniere der modernen Musikbibliographie. WW: Schriften: Kat. einer Mozart-Bibi. (F 1906); Musik -Biblio-

philie. Aus den Erfahrungen eines Musiksammlers, in: FS Zobeltitz (Wr 1927); Bibliogr. der musiktheoretischen Drucke des F. Gafori, in: FS J. Wolf (B 1929); Some Early Mozart Editions, in: MR 1 (1940); Dr. Arnolds Handel Edition, in: MR 8 (1947); Contemporary Editions of Beethoven, in: MR 14 (1953) (zus. mit B. Oldman). — Katalog der Musikbibl. P. H. (zus. mit K. Mayer), 4 Bde., I: Theoretische Drucke bis 1800 (B 1928), II: Opern-Partituren (B 1930), III: Instr.- u. Vokalmusik bis etwa 1830 (F 1936), IV: Erstausg., Chorwerke in Partitur, Gesamtausgaben, Nachschlagewerke etc. Ergänzung zu Bd. I—III (C 1947). Zus. mit J. Wolf gab H. ferner heraus: Veröffentl. der Musikbibl. P. H. (B 1922-30, Kas 1934, Lo 1945) mit Faks.- u. Neu-Ausg. theor. u. prakt. WW des 16.-19. Jh. Lit.: O. HIRSCH, Some Articles and Catalogues Written or Published by P. H., in: MR 12 (1951); A. H. KING, P. H. 1881-1951. Some Personal Recollections, in: Monthly Musical Record 82 (1952); DERS., Ein guter Europäer. Zum Gedenken an P. H. 1881-1951, in: Musica 6 (1952); O. E. DEUTSCH, Nachruf für P. H., in: Mf 5 (1952); Catalogue of Printed Books in the British Museum, Accessions, Serie III, Part 291 b: Books in the H. Library, with Supplementary List of Music (Lo 1959).

HISTOIRE DU SOLDAT, L', Handlung von I.Strawinsky; dt. Titel: Die /Geschichte vom Soldaten. HISTORIA (lat., = Geschichte). -1) Im Mittelalter gelegentlich Bz. für die Antiphonen und Responsorien eines Tages, die sich ursprünglich auf das Leben des an diesem Tage gefeierten Heiligen bezogen und aus der hl. Schrift oder aus den Märtyrerakten entnommen waren. - 2) Im Sprachgebrauch der lutherischen Reformation ist H. (auch verdeutscht Historie) synonym mit Evangelium im heilsgeschichtlichen und im liturgischen Sinn (als einer gottesdienstlichen Lesung). Dementsprechend findet sich der Terminus im Titel zahlreicher gottesdienstlicher Kompositionen deutscher Provenienz des 16./17. Jh., denen die biblischen Berichte der zentralen Ereignisse im Leben Jesu zugrunde liegen: der Geburt, des Leidens und der Auferstehung. Da die Vertonung der Leidensgeschichte als /Passion musikgeschichtlich eine Sonderstellung einnimmt, versteht man unter H. im musikologischen Schrifttum meist nur die Vertonung der anderen „Geschichten". Zahlenmäßig am umfangreichsten sind die OsterHistorien. Textliche Grundlage für ihre Entstehung und Entwicklung ist eine der Summa passionis entsprechende Evangelienharmonie von Johannes Bugenhagen (Wittenberg 1526). Ihre erste (anonyme) Vertonung folgt dem Vorbild der responsorialen Passion: einstimmiger choraler Vortrag des erzählenden Textes (Evangelist) und der Worte Christi mit Hilfe eines melodischen Modells (Rezitationston und bestimmte Formeln an den Interpunktionsstellen), 2-4st. homorhythmischer Satz für die Worte der anderen Personen, dazu Einleitungs- und Schlußchor. Das Rezitationsmodell 97

Historia

dieses „Ostertons" erhält sein eigentümliches Profil durch die Terz cl über dem Rezitationston a, mithin durch eine melodische Wendung, wie sie für den ?Germanischen Choraldialekt charakteristisch ist.

Da Am

der Sab — bath vçrgangen war, A — bend aber des Sabbathen,

Wie bei der sog. Walter-Passion schließen sich auch an diese Oster-H. weitere Vertonungen an, wobei die Formeln des Ostertons jeweils modifiziert und die mehrstimmigen Sätze neugeschaffen werden. Es sind die Historien von N. Rosthius (hsl. 1598), A. Scandello (hsl., um 1568, hier nur die Evangelistenpartie einstimmig; gedruckt in der Bearbeitung von S. Besler 1612 u. von O. S. Harnisch 1621). In dieser Tradition steht auch die Historia der fröhlichen und siegreichen Auferstehung von H. Schütz (Dresden 1623). Sie hat durchgehend Generalbaß. In der Evangelistenpartie (die im >'FalsobordoneSatz nach Art einer >'Cappella Fidicinia von 4 Gamben begleitet wird) benutzt auch Schütz auf weite Strecken den alten Osterton senza misura, weicht aber von ihm oft ab zugunsten eines bildhaften oder affektbetonten musikalischen Wortausdrucks, der auch die anderen im Stile concertato gehaltenen Partien des Werkes stark beherrscht. Die Auferstehungs-H. von Scandello war das unmittelbare Vorbild auch für die beiden frühesten Weihnachts-Historien (R. Michael, Die Empfängnis unseres Herrn Jesu Christi und Die Geburt ..., beide hsl., 1602). Sie lehnen sich in der melodischen Gestaltung der Evangelistenpartie jeweils an die chorale Singweise der Cantica Magnificat und Nunc dimittis an, die in den beiden H.n im FalsobordoneSatz erklingen. Auch die Geschichte der Weihnachts-H. hat Schütz durch ein bedeutsames Werk geprägt (Historia der freuden- und gnadenreichen Geburt, Dresden 1664). Der Evangelistenbericht zeigt in seiner generalbaßbegleiteten Melodik kaum noch Spuren einer choralen Lectio, sondern verweist auf den Stile recitativo und — wiederum in vielen affekthaltigen und bildhaften Stellen — auf den Stile rappresentativo der neuitalienischen Monodie. Damit steht dieses Werk in der Nähe der oratorischen deutschen Passion. Mit ihm geht zugleich die Entwicklung der H.Komposition im eigentlichen Sinne zu Ende. Die Vertonung biblischer Berichte aus dem Leben Jesu geschieht nun bei deutschen Komponisten nicht mehr unter der Bz. H., sondern ist Teil der Evangelienkomposition insgesamt, namentlich im Rahmen des deutschen Oratoriums des 18. Jh. Erst im 20. Jh. erfolgte im Zuge der Erneuerung der evangelischen 98

Kirchenmusik eine Rückbesinnung auch auf die alte H., teilweise unter Übernahme der responsorialen Gestaltung. Im Titel erscheint dabei durchweg die deutsche Bz. Geschichte, z. B. in Werken von H. Distler, K. Hessenberg, H. Wunderlich, K. Fiebig, S. Reda. — 3) Die Bz. H. erscheint in französischen Quellen des 17. und 18. Jh. im Titel einiger lateinischer Oratorien von G. Carissimi und wurde so vereinzelt auch von M. A. Charpentier verwendet. H. ist hier aber nicht, wie oft angenommen wird (und wie etwa auch aus der gelegentlich gebrauchten Bezeichnung „Histoire sacrée" hervorgeht), ein mit Oratorium synonymer Gattungsbegriff, sondern bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur auf den Text der betreffenden Werke (z. B. Carissimis Historia di Ezechia). Ausg.: Zu 2): Neudruck der genannten anonymen WW sowie der WW von Rosthius, Scandello u. Michael in: Hdb. der dt. ev. Kirchenmusik, I/3 (Gö 1973) u. I/4 (ebd.); die H. von Scandello in der Fassung v. S. Besler (Breslau 1612), hrsg. v. U. HERRMANN (St 1960) (= Die junge Kantorei 8); die beiden Historien von Michael auch hrsg. v. H. OSTHOFF (Kas 1937, Gö o. J.). Lit.: W. MATTHÄUS, Die Evangelienhistorie v. J. Walter bis H. Schütz (Diss. masch. F 1942); W. BLANKENBURG, H., in: MGG VI; H. E. SMITHER, Carissimi's Latin Oratorios. Their Terminology ..., in: Anal. Mus. 17 (1976). G. MASSENKEIL

HISTORICUS (lat., = Geschichtsschreiber, Evangelist), im lat. Oratorium des 17./18. Jh. (namentlich bei G. Carissimi und M. A. Charpentier) Bz. für den Sänger, der nur den erzählenden Text vorträgt, bzw. für die ein- oder mehrstimmigen Teile, denen dieser Text zugrunde liegt. Der H. entspricht dem /Evangelisten in der deutschen protestantischen /Passion und /Historia (2) und dem /Test() im italienischen Oratorium dieser Zeit. HISTORISMUS. Der Begriff H. wird in den Geisteswissenschaften in unterschiedlichem Sinn verwendet und erfordert deshalb eine sorgfältige terminologische Abgrenzung. Die Geschichtswissenschaft verstand seit der 1. Hälfte des 19. Jh. — unmittelbar beeinflußt durch die Wertung der Individualität und das daraus entstandene neue Geschichtsverständnis (Herder, Goethe) — unter H. das Bestreben, jede Epoche in der Gesamtheit ihrer geistig-kulturellen Erscheinung vorurteilsfrei, d. h. allein aus ihren Bedingungen und Gegebenheiten heraus, zu begreifen. Die Bz. H. wurde auch in kritischem Sinne, z. T. sogar polemisch abwertend, überall dort angewandt, wo historische Aspekte im Vordergrund der Betrachtung standen und im Extremfall eine konsequente und ausschließliche Historisierung des Denkens und alles Gewordenen bedingten (relativistischer H.). Diese Auffassung, in der natürliche Normen und ästhetische Werte

H. M. S. Pinafore

grundsätzlich als fragwürdig erscheinen, läßt jedoch die Annahme überzeitlicher Konstanten in der Geschichte und damit auch in der Kunst und Musik nicht zu. — Der H. in der Musik des 19. und 20. Jh.

stellt den Versuch dar, im Sinne eines bewußten Zurückgreifens auf ältere Vorbilder Überlieferungen zu restaurieren, die abgebrochen, vergessen oder auch abgewertet waren, und unterscheidet sich durch diese reflexive Haltung von der bloßen Traditionspflege früherer Epochen. Historisierende Bestrebungen um 1600 (/Camerata fiorentina), das Nebeneinander verschiedener Kompositionsstile (/Prima pratica, /Seconda pratica) und das bewußte Anknüpfen an ältere Musik im 17. und 18. Jh. (/Stile antico, /a cappella) sind in einem erweiterten Verständnis als H. anzusehen. Die Rückbesinnung auf G. P. da Palestrina (in Deutschland durch J. G. Herder und J. Fr. Reichardt vorbereitet), ferner das von J. Thibaut proklamierte a cappella-Ideal (Über Reinheit der Tonkunst, 1824), das — verbunden mit der Forderung nach einer bleibenden Wiederbelebung (/Restauration) der alten Vokalpolyphonie als den „wahren Kirchenstil" — die kirchenmusikalische Bewegung des /Cäcilianismus zur Folge hatte, und außerdem die zunehmende Beschäftigung mit Werken von J. S. Bach und G. Fr. Händel machen es deutlich, welche Bedeutung der H. in der Musik seit dem 18. Jh. hatte und in welchem Maße er die Kompositionsweise und die musikalische Praxis im 19. Jh. bestimmte. Die Sehnsucht nach einer „Repoetisierung des Lebens" (A. W. Schlegel) führte in der Romantik und in den ihr folgenden Strömungen durch Kritik am Zeitgeschehen zu der Forderung, vergessene „Grundwerte" wieder aufzudecken und einer schöpferischen Neugestaltung zugänglich zu machen (R. Schumann: „Rückschritt als Vorschritt"). Als Folge des H. und der damit verbundenen musikgeschichtlichen Forschung nahm die Zahl der Gesamtausgaben und Biographien seit der Mitte des 19. Jh. rapide zu. Seitdem sind historische Aspekte auch in der Ästhetik und Pädagogik bestimmende Faktoren. Die Wiederbelebung älterer Musik, die sich in der Praxis zuerst im „historischen Konzert" (Fr.-J. Fétis, F. Mendelssohn Bartholdy) abzeichnete, die Hinwendung zu mehreren Stilen nebeneinander (z. B. L. Spohr, Historische Symphonie g-moll, op. 116) und deren Eingliederung in ein sich festigendes Konzert- und Opernrepertoire in stil- und werkgetreuer Wiedergabe durch den Interpreten bzw. unter Verwendung historischer Instrumente sind wesentliche Phänomene jenes Prozesses, der im 18. Jh. einsetzte und dessen volle Expansion auch gegenwärtig noch nicht abzusehen ist (/Aufführungspraxis).

Lit.: F. MEINECKE, Die Entstehung des H., 2 Bde. (Mn — B 1936); C. DAHLHAUS, H. u. Tradition, in: FS J. Müller-Blattau (Kas 1966); E. DOFLEIN, H. u. Historisierung in der Musik des 19. Jh., in: FS W. Wiora (Kas 1967); H. KIER, R.G. Kiesewetter 1773-1850. Wegbereiter des musikal. H. (Rb 1968) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 13); Alte Musik in unserer Zeit. Referate u. Diskussionen der Kasseler Tagung 1967 (Kas 1968) (= Musikal. Zeitfragen 13); Die Ausbreitung des H. über die Musik, hrsg. v. W. WIORA(Rb 1969) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 14); G. KNEPLER, Gesch. als Weg zum Musikverständnis. Zur Theorie, Methode u. Gesch. der Musikgeschichtsschreibung (L 1977). N. DRECHSLER

HIT (engl., = Stoß, Treffer), Bz. für einen in den Ranglisten der Unterhaltungsbranche an der Spitze stehenden Musiktitel. — /Schlager. HLOBIL, Emil, * 11. 10. 1901 Mezimostí Veselí (Böhmen); tschechischer Komponist. H. studierte 1924-30 in der Musikklasse für Komposition bei J. Suk am Prager Konservatorium, wo er 1941-58 Komposition und Musiktheorie lehrte. Anschließend wurde er Dozent an der Akademie musických amění in Prag. Nach seinen unter dem Einfluß Suks und V. Nováks geschriebenen Frühwerken wandte sich H. dem Neoklassizismus zu. Seine nach 1945 entstandenen Werke sind von der tschechischen und slowakischen Volksmusik geprägt. WW: Zahlr. Klv.-Stücke; Orgelmusik; Kammermusik, u. a.: 4 Streichquartette; Bläserquintett, op. 64 (1964); Trio für Klar., Horn u. Kb. (1967); Trp.-Sonate, op. 71 (1967); Contemplazione, op. 75 (1968) für Va. u. Streichorch. — Für Orch.: 5 Symphonien (1949, 1951, 1957, 1959, 1969); V.-Konzert, op. 47 (1953); symphonische Dichtung Svátek pracé (1960); Concerto filarmonico, op. 66 (1964); Invocazioni, op. 69 (1967); Konzert für Kb. u. Orch., op. 70 (1967). — Chöre; 3 Lieder (1953); Evocazioni, op. 75 (1968) für Sopran, Fl. u. Kontraalt-Fl. — Opern: Anna Karenina (1962) (nach Tolstoi); Méšták šlechticem (Der Bürger als Edelmann) (1965). Lit.: J. MATEJCEK, Tschech. Komponisten v. heute (Pr 1957).

H. M. S. PINAFORE or The Lass that loved a Sailor, Operette (Comic Opera) in 2 Akten von Sir Arthur Seymour Sullivan (1842-1900), Text von

Sir William Schwenck Gilbert (1836-1911). Ort und Zeit der Handlung: an Bord der H. M. S. Pinafore um 1880. UA: 25.5. 1878 in London (Opéra Comique).

Der Handlungsrahmen einer traditionellen Liebesund Verwechslungskomödie gab den Autoren vielfach Gelegenheit, die Politik der Zeit, den britischen Patriotismus und Chauvinismus satirisch-ironisch aufs Korn zu nehmen. Eines der glänzendsten Beispiele dafür ist Sir Joseph Potters Couplet When I was a Lad, in dem er seine Karriere vom Laufburschen zum Ersten Lord der Britischen Admiralität schildert. Textlich ist dieses Couplet eine deutliche Anspielung auf den damaligen First Lord, William H. Smith, musikalisch ein prägnantes Beispiel für Sullivans Technik der Verknüpfung von Solo und 99

Hoboken

Chor. Die Ouvertüre ist ein effektvolles Repertoirestück für Promenadenkonzerte geworden. H. M. S. Pinafore markierte bereits im Jahr der UA den Durchbruch der englischen komischen Oper in den USA (EA: 25. 11. 1878 in Boston, Boston Museum). R.-M. SIMON — S. SIMON HOBOKEN, Anthony van, *23. 3. 1887 Rotterdam, t 1. 11. 1983 Zürich; holländischer Musiksammler u. -bibliograph. Er studierte 1906-09 an der Technischen Hochschule in Delft, besuchte seit 1910 das Hochsche Konservatorium in Frankfurt a. M. u. war seit 1925 Schüler von H. Schenker in Wien. Mit ihm zusammen gründete er 1927 das „Archiv für Photogramme musikalischer Meisterhandschriften" in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, das erste musikalische Dokumentationszentrum überhaupt. 1936 begann er mit der Erstellung eines Kataloges seiner 1919 begonnenen Slg. musikal. Erstdrucke unter besonderer Berücksichtigung der Kompositionen J. Haydns. Als wichtigstes Ergebnis dieser Tätigkeit erschien seit 1957 das Haydn-Werkverzeichnis (abgekürzt: Hob.), nach dessen systematischer Einteilung heute die Werke Haydns gezählt werden (z. B. das Kaiserquartett als Hob. III: 77). H. war Dr. h. c. der Universitäten Mainz, Köln und Utrecht; zu seinem 75. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift geehrt (hrsg. v. J. Schmidt-Görg, Mz 1962). Schriften: J. Haydn. Thematisch-bibliographisches Werk-Verz., l: Instrumentalwerke (Mz 1957), II: Vokalwerke (Mz 1971), III: Register, Addenda u. Corrigenda (Mz 1978); Probleme der musikbibliographischen Terminologie, in: FAM 5 (1958); A Rare Contemporary Edition of Haydn's „Hymn for the Emperor", in: Studies in 18th Century Music. FS K. Geiringer (Lo 1970); N. Porta u. der Text v. J. Haydns Oper „Orlando Paladino", in: Symbolae historiae musicae. FS H. Federhofer (Mz 1971). Lit.: Kat. des Arch. für Photogramme musikal. Meisterhss. I, bearb. v. A. ZIFFER (W 1967) (= Museion, N. F. 3/3); Das H.Arch. der Musikslg. der Čostr. Nationalbibl., Ausstellungskat. (W 1977).

HOCHBRUCKER (Hochbrugger). - 1) Georg, * um 1670 Augsburg, t 1763 Donauwörth; dt. Instrumentenbauer. H. erfand das Pedalsystem für die Harfe, das das Transponieren in die gebräuchlichen Tonarten ermöglichte. Das von ihm entwickelte 5pedalige Instrument, dessen System, von Érard 1811 verbessert, noch heute gebräuchlich ist, wurde von seinem Sohn und Schüler Simon H., *1699 Donauwörth, t nach 1750, auf zahlreichen Reisen durch Europa vorgeführt und bekannt gemacht. 2) Coelestin, Neffe von 1), OSB, *1727 Tagmersheim, t 1809 Freising; dt. Organist und Komponist. Er trat 1747 in das Kloster Weihenstephan bei Freising ein, wo er 1752 zum Priester geweiht wurde. Von seinen Kompositionen hat sich nichts erhalten. - 3) Christian, Bruder von 2), *17. 5. 100

1733 Tagmersheim, t Anfang 19. Jh. Paris; dt. Harfenist und Komponist. Er galt seit seinem ersten Auftreten im Concert spirituel in Paris als einer der bedeutendsten Harfenisten Europas und stand in den Diensten des Kardinals Jean de Rohan und (seit 1781) der Königin Marie-Antoinette. Er floh vor der Französischen Revolution nach England, kehrte aber um 1800 nach Paris zurück. Seine Werke - ausschließlich für und mit Harfe - sind musikalisch und spieltechnisch typisch für die endgültige Ausprägung einer eigenständigen Harfenmusik, die sich vorher nicht grundsätzlich von der Musik für Cembalo unterschied. WW: Zu 3): Sonaten für Harfe (P um 1762); Divertissement für Harfe oder KIv. (P o. J.); 2 Bücher Sonaten für Harfe mit V. ad lib. (P o. J.); 3 Slgen. Ariettes choisies fur SingSt u. Harfe (P o. J.); Divertimentos für Harfe oder KIv. (Lo 1797) (gezeichnet mit J. B. H.). Ausg.: Zu 3): Sonate No. 6 en sol majeur, hrsg. v. F. VERNILLAT (P 1969). Lit.: H. J. ZINGEL, H., in: MGG VI; R. RENSCH, The Harp (NY 1950).

HOCHDRUCKREGISTER, Bz. für Register in Orgeln (vor allem des 19. und frühen 20. Jh.), die mit einem besonders hohen Winddruck (bis 300 mm Wassersäule, anstatt normal 50-120 mm) angeblasen werden und dementsprechend kräftig klingen. HOCHMÜTIGE, GESTURZTE UND WIEDER ERHABENE CROESUS, DER Oper in 3 Akten von Reinhard Keiser (1674-1739). Text von Lucas von Bostel. Ort und Zeit der Handlung: das Königreich Lydien im Altertum. UA: 1711 in Hamburg (Oper am Gänsemarkt). Das Schicksal des Lydierkönigs Croesus, der, vom Feind besiegt, auf dem Scheiterhaufen die Vergänglichkeit von Macht und Besitz erkennen muß, ehe er großmütig begnadigt wird, war einer der beliebtesten Opernstoffe des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Libretto von Bostel, eine Bearbeitung des Creso von Nicolò Minato, wurde bereits 1684 von J. Ph. Förtsch für Hamburg vertont. 1711 erschien die Oper dann in Keisers Vertonung auf dem Spielplan. Das Werk kann als typisches Beispiel für die Hamburger Barockoper gelten. Nach italienischem Vorbild wechseln in der Handlung Staatsaktion und Liebesintrige miteinander ab. Daneben nimmt in der Bearbeitung Bostels die Figur der lustigen Person, gemäß Hamburger Tradition, breiten Raum ein. Keisers Musik besticht durch eingängige Melodik, knappe, überschaubare Arienformen und variable Instrumentation unter starker Bläserbeteiligung. Die Oper erlebte 1730 eine Wiederaufnahme, für die Keiser eine Reihe von Arien neu komponierte. Beide Fassungen sind rein

Hoddinott deutschsprachig, enthalten also, entgegen der herrschenden Hamburger Praxis des 18. Jahrhunderts, K. ZELM keine italienischen Arien. HOCHZEIT DES FIGARO, DIE (La nozze di Figaro), Opera buffa in 4 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), KV 492, Text von Lorenzo da Ponte (1749-1838) nach Beaumarchais' Komödie Le mariage de Figaro ou la folle journée (Gennevilliers 1783, Paris 1784). Ort u. Zeit der Handlung: Schloß des Grafen Almaviva bei Sevilla, 18. Jh.; UA: 1.5.1786 in Wien (Burgtheater), EA in dt. Sprache: vermutlich im Juni 1787 in Prag (Rosenthal -Theater); dt. EA (ebenfalls in dt. Sprache): 23.9. 1787 in Donaueschingen (Privattheater des Prinzen Fürstenberg). Beaumarchais' sozialkritische Satire wird dank da Pontes librettistischer Meisterleistung zur Charakterkomödie schlechthin, in deren Figurenkonstellation Figaro/Susanne, Graf/Gräfin und Cherubin in einem vorbildlich gewichteten Spiel gleichberechtigt nebeneinander stehen. Mozart schuf mit der Vertonung dieses Librettos die vollendetste Komödie des Musiktheaters, die den Gattungstypus der Opera buffa sprengt, weil die enge Verknüpfung von Rezitativ und Arie bzw. Ensemble und die musikalische Erfindung Personen und Handlung, scheinbar auf der Grundlage der traditionellen Intrigenkomödie entworfen, vom Typischen ins unverwechselbar Charakteristische überhöht. Neuartig für die Ensemble-Technik dieser Zeit wirkte Mozarts Kunst, die oftmals verwirrende Ereignisfolge in großen Ensembles zu konzentrieren und zu lösen. Unbezweifelbarer Höhepunkt der Oper ist das Finale des 2. Aktes, in dem die musikalische Konfiguration bis in feinste Regungen die sich ständig ändernden, überraschenden dramatischen Konstellationen nachvollzieht. In der Behandlung der Vokalpartien bietet diese Oper alle Varianten vom Secco- und Accompagnato-Rezitativ über die Parlando-Arie und die geschlossene Soloform bis zum vielstimmigen Ensemble. Nahezu alle Arien und die Ouvertüre gehören seit langem zu den bekanntesten Stücken Mozarts. Besonders populär sind Figaros Cavatine Will der Herr Graf ein Tänzchen nur wagen und seine Arie Nun vergiß leises F7ehn, süßes Kosen. Nachdem Kaiser Joseph II. 1785 die Aufführung von Beaumarchais' Komödie durch die Schikaneder-Truppe in Wien verboten hatte, gewann die UA der Oper an Sensationswert. Mozart stellte die Komposition innerhalb von sechs Wochen Ende 1785 (nach L. Finscher) fertig. Die UA dauerte sechs Stunden, weil viele Nummern wiederholt werden mußten. Nach der 3. Aufführung erließ Jo-

seph II. ein Gebot, nur noch Solonummern zu wiederholen. Die EA in Prag im Dezember 1786 brachte Mozart einen noch größeren Erfolg. In der Wiener Neueinstudierung 1789 erklangen zwei neue Arien (KV 577 und 579) für Adrianna Ferrarese (Susanna). Heute nimmt der Figaro nach der Zauberflöte die zweite Stelle in der Beliebtheit der Repertoirewerke auf dt. Bühnen ein. J SCHLÄDER

HOCHZEITSNACHT IM PARADIES, Operette in 8 Bildern von Friedrich Schröder (1910-1972), Buch von Heinz Hentschke, Liedertexte von Günther Schwenn. Ort und Zeit der Handlung: eine dt. Stadt und Venedig, Gegenwart. UA: 24.9. 1942 in Berlin (Metropol-Theater). 1950 verfilmt. Schröders erste Operette wurde einer der größten Erfolge in dieser Gattung. Trotz der vordergründigen Handlungsklischees in diesem turbulenten Verwechslungsspiel um Eifersucht und Liebe setzte sich das von modernen Tanzrhythmen geprägte revueähnliche Werk noch während des zweiten Weltkrieges durch. Allein am Metropol-Theater erzielte es mehr als 500 Aufführungen nicht zuletzt dank der dominierenden Leistung von J. Heesters. Die Gesangsnummern wurden fast ausschließlich zu Evergreens, so das Duett Ich spiel mit dir, der langsame Walzer Alle Wege führen mich zu dir, der Foxtrott Was ich dir noch sagen wollte und vor allem Ein Glück, daß man sich so verlieben kann. R.-M. SIMON — S. SIMON

HOECKH, Karl, * 22.1. 1707 Wien, t 25.11. 1773 Zerbst; östr. Komponist. H. war zunächst Hoboist einer Regimentskapelle. Nach Beendigung seines Militärdienstes ging er um 1730 mit Fr. Benda nach Warschau, wo er als 2. Violinist einer Privatkapelle engagiert wurde. Ende 1730 trat er als Konzertmeister in die von J. Fr. Fasch geleitete Zerbster Hofkapelle ein. H. schrieb vor allem Kompositionen für sein Instrument. WW: Gedruckt wurden: Sieben Parthien für 2 V. u. Baß (B 1761); 2 Sonaten für V. u. Baß, in: C. Ph. E. Bach, Musikalisches Vielerley (H 1770). Ausg.: Partita II für 2 V. u. B.c., hrsg. v. E. SCHENK, in: Hausmusik 170 (W 1954).

HODDINOTT, Alun, *11. 8. 1929 Bargoed (Glamorgan); engl. Komponist. Er studierte an der Universität Cardiff, wo er 1951-59 Lecturer am Cardiff College of Music und 1959-65 am University College war. Anschließend war er bis 1967 Reader of Music an der University of Wales und ist seither Professor of Music am University College of Music in Cardiff. H., der Kompositionsaufträge u. a. von der BBC erhielt, gehört zu den wichtigsten walisischen Komponisten seiner Generation. Er gründete das Cardiff Festival of Twentieth Century Music. 101

Hodeir WW: Orgelstücke; Klv.-Werke, u. a. 5 Sonaten, op. 17 (1959), op. 27 (1962), op. 40 (1965), op. 49 (1966), op. 57 (1968); Sonate für Klar. u. Klv. (1967); Streichquartett Nr. 1 (1966). - Für Orch.: 3 Symphonien, op. 7 (1955), op. 29 (1962), op. 61 (1968); Variants, op. 47 (1966); Fioriture, op. 60 (1968); Konzerte: für Klar., op. 3 (1951), für Harfe, op. 11 (1958), 3 für Klv., op. 19 (1960), op. 21 (1960), op. 44 (1966) u. für V., op. 22 (1961) ; 2 Concerti grossi, op. 41 (1965) u. op. 46 (1966). - Ferner Lieder u. Chöre, u. a. die Kantate Dives and Lazarus (1965) für Sopran, Bar., Chor u. Orch. lit.: A. F. LEIGHTON THOMAS, A. H., in: MT 96 (1956).

HODEIR, André, *22. 1. 1921 Paris; frz. Jazzmusiker und -kritiker. H. war Schüler von O. Messiaen. Seit 1942 spielte er unter dem Pseudonym Claude Laurence als Violinist im Sextett von André Ekyan. 1947-50 gab er die Zeitschrift Jazz Hot heraus. 1954 wurde er Präsident der Académie du Jazz in Paris und gründete im selben Jahr die Jazzgroupe de Paris, die modernen Jazz mit zeitgenössischer Konzertmusik verband. H. gilt als der führende Jazzkritiker Frankreichs. Schriften: Le jazz, cet inconnu (P 1945); Introduction à la musique de jazz (P 1948); Les formes de la musique (P 1951, '1969, engl. NY 1966); Hommes et problèmes du jazz (P 1954), engl. Libers.: Jars, Its Evolution and Essence (NY 1956); La musique depuis Debussy (P 1961), engl. Obers.: Since Debussy (NY - Lo 1961); Towards Jars (NY 1962); Les mondes du jazz (P 1970).

HODEMONT (Hoedemont, Hodimontio), Léonard Collet de, * um 1575, t August 1636; wallonischer Komponist. H. erhielt seine musikalische Ausbildung an der Kathedrale St-Lambert in Lüttich. Seit 1595 war er Stipendiat an der Universität Löwen. Nach Lüttich zurückgekehrt, wurde er 1612 Kanonikus an St-Gilles und 1616 an St-Materne, 1619-23 war er Maître de chant an der Kathedrale. H.s Werke und sein Wirken waren maßgeblich an der Verbreitung des neuitalienischen Stils in seinem Lande beteiligt. Zu seinen Schülern gehörten H. Du Mont und L. Pietkin. WW: Armonica recreatione. Villanellen für 3 St. u. B.c. (An 1625); Sacri concentus für 1-5 St. u. B.c. (Lüttich 1630). Lit.: J. QUITIN, Un musicien liégeois, L. de H., in: La Vie wallonne 25 (Lüttich 1951); DERS., H., in: MGG VI.

HODGES, Johnny (John Cornelius), * 25.7. 1906 Cambridge (Massachusetts), t 12.5.1970 New York; amerik. Jazzmusiker (Alt- und Sopransaxophon). H. spielte zunächst u. a. bei Chick Webb und kam 1928 zu Duke Ellington, in dessen Orchester er der herausragende Solist wurde. Seit 1951 leitete er eigene Bands, kehrte aber 1955 in die Ellington-Band zurück, der er bis zu seinem Tod angehörte. H., dessen Spielweise eine Ausdrucksskala von vehement-abrupter bis lyrisch-zarter Tongebung umfaßte, gehörte mit Benny Carter zu den führenden Altsaxophonisten der 30er Jahre. Lit.: J. H., in: Jazz erzählt, hrsg. v. N. SHAPIRO - N. HENTOFF (Mn 1962).

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HOÉRÉE, Arthur Charles Ernest, *16. 4. 1897 Saint-Gilles bei Brüssel; belgischer Komponist und Musikschriftsteller. H. studierte 1908-12 am Conservatoire und seit 1916 an der École polytechnique in Brüssel. 1919 setzte er seine musikalische Ausbildung am Pariser Conservatoire u. a. als Schüler von P. Vidal (Fuge und Komposition) und V. d'Indy (Dirigieren) fort. Anschließend war H. als Musikkritiker tätig und unternahm Konzertreisen als Dirigent und Liedbegleiter seiner Frau, der Sängerin Régine de Lormoy. 1950 wurde er Kompositionslehrer an der École Supérieure de Musique von Paris und 1958 am Centre de formation professionnelle der ORTF. WW: 1) Kompoaidonen: Klv.-Stücke; Kammermusik, u. a. Streichquartett Pastorale et danse (1923); Orch.-Suiten u. La famille de Charles IV (1961) für Orch.; Lieder, Chöre u. Gesangszyklen, darunter Creve-coeur le magicien (1961) für 2 Soli, Chor u. Orch.; Ballette: La souris blanche et la Dame de Paris; Quatre choreographies (1948, Neufassung 1970); L'aventure du Chevalier Bertrand; Symphonie choréographique; ferner Bühnen- u. Filmmusik. - 2) Schriften: A. Roussel (P 1969); zahlr. weitere Art. in versch. Zschr. Lit.: J. BRUYR, L'écran des musiciens I (P 1930); P. LEPROHON, Les mille et un métiers du cinéma (P 1947).

HOFFDING, Niels Finn, * 10.3.1899 Kopenhagen; dänischer Komponist und Musikpädagoge. H. studierte Komposition bei K. Jeppesen und Th. Laub in Kopenhagen und bei J. Marx in Wien. 1931-1969 lehrte er am Konservatorium in Kopenhagen (seit 1949 als Professor), das er 1954 auch leitete. 1929-39 war er Vorsitzender der Musikpädagogischen Vereinigung. Seit 1956 gehörte er der Leitung der Opernakademie an. H., der wesentliche Anregungen aus der deutschen Jugendbewegung und dem Kreis um Fr. Jöde empfing, setzte sich für eine Erneuerung der Musikerziehung und eine Intensivierung des Laienmusizierens in Dänemark ein. WW: Klv.-Stücke; 2 Streichquartette (1920, 1925): 2 Bläserquintette (1940, 1953); 4 Symphonien (1923,1924, 1928, 1934); symphonische Fantasien (1939, 1943, 1944, 1953): Lieder; Chöre, u. a.: Das Eisenbahngleichnis (1934) (Text: E. Kästner) für Chor, Ely. u. 3 Saxophone; Pans flejter (1938) für Chor, Klv. u. Fl.; Vintersolhverv (1964); Giordano Bruno (1968) für Bar., Männerchor, Blechbläser und Schlagzeug; Opern: Kejserens ny Kloeder (1926) (nach H. Ch. Andersen); Kilderejsen (1930-31) (nach L. Holberg); Choroper Pasteur (1938). Lit.: G. CARRITT, F. H., in: Monthly Musical Record 83 (1953); Werk-Vers., hrsg. v. S. BRUHNS - D. FOG (Kop 1969).

HOFFER, Paul, * 21.12.1895 Barmen, t 31.8. 1949 Berlin; dt. Komponist. H. studierte zunächst an der Kölner und, nach Kriegsunterbrechung, seit 1920 bei F. Schrecker an der Berliner Musikhochschule. Dort wurde er 1923 Lehrer für Klavier und Milsikerziehung, 1930 für Komposition und Theorie, 1933 Professor und 1948 Direktor.

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H.s Kompositionen sind von P. Hindemith beeinflußt; sie umfassen Opern, Oratorien, Orchesterund Kammermusik, Chöre und Lieder. Für sein Chorwerk Olympischer Schwur erhielt er 1936 die Goldmedaille der Olympiade. WW: 1) fastr.-WW: Zahlr. Kammermusik; Symphonie (1926/27); Sinfonie der groBen Stadt (1937); Konzerte für Klv., V., Vc. u. für Ob. u. Streichorch. — 2) Vokal-WW: Lieder u. Chöre; Oratorien: Der reiche Tag (1938); Vom edlen Leben (1942); Mysterium Liebe (1943); Die letzte Stunde (1947). — 3) Böbaea-WW: Opern Borgia u. Der falsche Waldemar, UA: Stuttgart 1934; Ballett Tanz um Liebe u. Tod, UA: Hamburg 1939. Lit.: H. TIESSEN, Erinnerungen an P. H., in: Musica 10 (1956).

HOFFGEN, Marga, * 26.4.1921 Mülheim an der Ruhr; dt. Sängerin (Alt). H. studierte bei Anna Erler-Schnaudt in Essen und bei G. Weißenborn in Berlin und debütierte 1952 als Konzertsängerin in Berlin. Seit ihrer Mitwirkung in der Bachschen Matthäus-Passion 1954 in Berlin unter Wilhelm Furtwängler sowie 1955 in Wien unter Herbert von Karajan wurde sie auch außerhalb Deutschlands bekannt. Ihre einzige Opernpartie war die Rolle der Erda in Wagners Ring des Nibelungen, in der sie außer in Bayreuth auch am Covent Garden in London, an der Wiener Staatsoper und in Buenos Aires mit Erfolg auftrat. M. H. ist mit dem Dirigenten Theodor Egel verheiratet. HOFFLER, Konrad, getauft 30.1.1647 Nürnberg, t spätestens 1705; dt. Gambist und Komponist. H. war Mitglied der Hofkapellen in Bayreuth und Ansbach und seit 1676 der Kapelle des Herzogs von Weißenfels, die J. A. Krieger leitete. 1695 veröffentlichte er in Nürnberg: Primitiae Chelicae oder Musicahsche Erstlinge mit virtuosen Suiten für Viola da gamba. Ausg.: Suite Nr.1 F-Dur u. 2 Stücke aus der Suite A-Dur, hrsg. v. R. DINER, in: MfM 27 (1895).

HOFFMAN, Grace, * 14. 1. 1925 Cleveland (Ohio); amerik. Sängerin (Alt). Sie studierte bei Friedrich Schorr und Giuseppe Gentile in New York sowie bei Mario Basiola in Mailand und debütierte 1952 in Zürich als Azucena in Verdis Il trovatore. 1955 wurde sie nach Stuttgart engagiert. Durch Gastspiele an allen Musikmetropolen Europas und Amerikas, besonders in London, Mailand, Wien, München, San Francisco, New York und in Buenos Aires wurde sie besonders in den großen Alt-Partien in Verdi- und Wagner-Opern bekannt. Seit 1957 sang sie fast jährlich auch bei den Bayreuther Festspielen. HOFFMANN, Bruno, *15. 9. 1913 Stuttgart; dt. Glasharfenvirtuose. H. wurde in Klavier, Orgel und Musiktheorie ausgebildet. Nach dem Abitur be-

gann er ein Architekturstudium, das er 1937 in Stuttgart abschloß. Bereits als 16jähriger begann er mit dem Bau von Glasspielen und entwickelte zur Verbesserung der spieltechnischen Möglichkeiten die sogenannte /Glasharfe. Damit gelang ihm eine entschiedene Wiederbelebung älterer Musik für Glasspiel und Glasharmonika; und auch zeitgenössische Komponisten interessierten sich für diese Instrumente. H. wird auch von Museen als Restaurator herangezogen. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Stücke für Glasharfe solo u. mit Klv.-Begleitung, auch mit Orch., u. a.: Glück am Wege u. Fantasie In einer groBen Stadt. — 2) Schriften: Zahlr. Artikel u. Aufsätze über die Glasharmonika u. Glasharfe in versch. Lexika u. Zschr.; Ein Leben für die Glasharfe (B 1980).

HOFFMANN, Ernst Theodor Amadeus (eig. Ernst Theodor Wilhelm; aus Verehrung Mozarts nahm H. später „Amadeus" als 3. Vornamen an), * 24.1. 1776 Königsberg, t 25.6. 1822 Berlin; dt. Dichter und Komponist. H. studierte mit 16 Jahren Jura an der Universität Königsberg und trat mit 19 Jahren in den Staatsdienst. Gleichzeitig nahm er Musikunterricht bei C. W. Podbielski und vervollkommnete sich später noch bei J. Fr. Reichardt in Berlin, wo er 1798 als Referendar an das dortige Kammergericht berufen worden war. 1799 vollendete er in Berlin Die Maske, ein Singspiel in 3 Akten auf einen eigenen Text. 1800-1806 war er nacheinander Richter in Posen, Plock und Warschau, wo er vor allem Kirchenmusik schrieb und sich in Kontrapunktstudien versenkte. Für die von der deutschen Bevölkerung Warschaus gegründete Musikalische Ressource entstand das 2aktige Singspiel Die lustigen Musikanten, ferner die Es-Dur-Symphonie sowie ein Harfenquintett, Werke, die vornehmlich der Wiener Klassik (Mozart), der 2. Generation der Berliner Schule und dem deutschen Singspiel verpflichtet waren. Nach Berlin zurückgekehrt und mittellos, wandte er sich dem Studium älterer Musik, insbesondere von Chr. W. Gluck zu und suchte kompositorisch einen Neuansatz zu finden. Bald erkannte er jedoch auch seine schriftstellerische Begabung und seine Eignung zur Musikrezension. 1808 ging er an das Nationaltheater in Bamberg, wo er sich zwar als Dirigent nicht durchsetzen konnte, aber als Komponist, Theatermaler und Maschinist Erfolg hatte. Neben zahlreichen Bühnen- und Gelegenheitsmusiken entstand dort die häufig als erste romantische Oper bezeichnete Aurora, ein Schlüsselwerk seiner stilistischen Entwicklung, ferner 3 Melodramen, ein Klaviertrio sowie zahlreiche kleinbesetzte Vokalwerke für die ihm nahestehende Schülerin Julia Marc. In Bamberg setzte auch seine Rezensententätigkeit ein. Seine Besprechung der 5. Symphonie von L. van Beethoven wurde vor103

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bildlich für die Musikkritik des 19. Jahrhunderts. 1813 ging H. als Theaterkapellmeister nach Dresden und Leipzig. Dort entstand mit der Zauberoper Undine sein musikalisches Hauptwerk, das 2 Jahre später in Berlin, wo H. wieder als Richter am Kammergericht tätig war, 1816 einen weithin beachteten Erfolg erzielen konnte. Danach widmete er sich vorwiegend seinem literarischen Schaffen. Als Komponist gehört H. zu den ersten Vertretern der deutschen Romantik, was von seinen Zeitgenossen, u. a. von C. M. von Weber, voll gewürdigt wurde. Als Rezensent schuf er eine Musikkritik von literarisch-ästhetischem Anspruch und erhob — lange vor R. Wagner — die Forderung nach dem „Gesamtkunstwerk" Oper. Seine Schriften, vor allem die Erzählungen, in denen im Gegensatz zu den rationalistischen Tendenzen seiner Zeit das Unwägbare und Transzendente der Musik eine dichterisch meisterhafte Gestaltung fand, beeinflußte die gesamte deutsche und französische Romantik weit mehr als sein kompositorisches Schaffen. WW: 1) Instr.-WW: 5 Klv.-Sonaten (1805-08) u. Klv.-Trio EDur (1809); Kammermusik, u.a. Harfenquintett mit Streichquartett (1805-07); Orch.-Ouvertüre (1801) u. Symphonie Es-Dur (1805-06). — 2) Vokal-WW: Geistliche Werke, darunter Messe d-moll für Chor u. Orch. (1805) u. Canzoni per 4 v. a cap. (1808) sowie Miserere für Soli, Chor u. Orch. (1808). — Weltliche Werke, u.a. 3 Kanzonetten mit Klv. (1812); 6 it. Duette (1812); ferner Lieder u. Chöre. — 3) Bühnen-WW: Melodramen: Dirna (1809) (Libr.: J. von Soden); Julius Sabinus (1810?) (Libr.: ders.); Saul, König in Israel (1811). — Opern: Die Maske (1799); Die lustigen Musikanten (1804) (Libr.: C. von Brentano), UA: Warschau 1805; Liebe und Eifersucht, UA: ebd. 1807; Der Trank der Unsterblichkeit (1808) (Libr.: J. von Soden); Aurora (1812) (Libr.: F. von Holbein); Undine (1814) (Libr.: F. de la MotteFouqué), UA: Berlin 1816; ferner Ballett Arlequin (1808) u. zahlr. Bühnenmusik, u.a. zu Z. Werner, Kreuz an der Ostsee (1804-05). — 4) Schritten: Ritter Gluck (1809); L. van Beethoven, 5. Symphonie (1810); Ch. W. Gluck, Iphigénie en Aulide (1810); Der Dichter u. der Komponist (1813); Don Juan (1814); Kreisleriana 1(1814); Der Opernalmanach des Herrn von Kotzebue (1814); Alte u. Neue Kirchenmusik (1814); Kreisleriana 11 (1815); Die Fermate (1816); ferner zahlr. Rezensionen u. Aufsätze über Beethoven, Gluck, M. Haydn u. a. Ausg.: 1) Kompositionen: Undine, Klv.-A., hrsg. v. H. PFITZNER (L 1906); E. T. A. H.s musikalische Werke, hrsg. v. G. BECKING, erschienen sind: I: 4 Klv.-Sonaten, II: Harfenquintett u. IV: 6 geistliche Chöre für gem. Chor (L 1922-27); Klv.Sonate A-Dur, hrsg. v. F. SCHNAPP (Kas 1968); Ausgew. musikal. Werke, bisher 5 Bde. erschienen (Mz 1971-76); Aurora, hrsg. v. H. DECHANT (Wie 1981). — 2) Schriften: GA der literarischen Werke, hrsg. V. W. MÜLLER-SEIDEL— F. SCHNAPP, 5 Bde. (Mn 1950-65) (Bd. V: Schriften zur Musik). Lit.: P. SCHAEFFER, Die Bedeutung des Musikalischen u. Akustischen in E. T. A. H.s literarischem Schaffen (Marburg 1909); H. PFITZNER, E. T. A. H.s „Undine", in: Gesammelte Schriften I (Au 1926); R. KOPPLER, E. T. A. H. am Bamberger Theater, in: Bericht des hist. Ver.s zu Bamberg ... 81 (Bamberg 1929); W. BERGENGRUEN, Die Dichter der Deutschen (St 1940); H. EHINGER, E. T. A. H. als Musiker u. Musikschriftsteller (Olten — Kö 1954); G. ALLROGGEN, E. T. A. H.s Kompositionen (Rb 1970) (= Stud. z. Musikgesch. des 19.Jh.s 16); H. DECHANT, E. T. A. H.s Oper „Aurora" (Rb 1975) (= Re-

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gensburger Beitr. z. Musikwiss. 2); G. ALLROGGEN, E. T. A. H. in Warschau, in: Deutsche Musik im Osten (Kö—W 1976); N. E. HAIMBERGER, Vom Musiker zum Dichter. E. T. A. H.s Akkordvorstellungen (Bonn 1976); P. SCHNAUS, E. T. A. H. als Beethoven -Rezensent der AmZ (Mn 1977); M. SCHNEIDER, E. -Th.-A. H. biographie (P 1979); Der Musiker E. T. A. Hoffmann. Selbstzeugnisse, Dokumente u. zeitgen. Urteile, hrsg. v. F. SCHNAPP (Hil 1980). H. DECHANT

HOFFMANN (Hofmann), Eucharius, * Heldburg (Franken), t10.5. 1588 Stralsund; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Er war bis 1580 Kantor in Stralsund, seit 1582 Konrektor in Stralsund. Kurz vor seinem Tode wurde er dort Diakon an St. Marien. Seine Doctrina de tonis seu modis musicis gehört zu den wenigen zeitgenössischen Quellen, die den Begriff /Musica reservata zitieren. Diese ist für H. durch die Verwendung von Chromatik in der Vokalmusik gekennzeichnet. WW: 1) Kompositionen: Cantiones für 4-6 St. in den 12 Tonarten (Wittenberg 1577); Vyff geistlicke olde Ostergesenge für 4 St. (ebd. 1579); Geistliche Lieder ... auff Villanellen art für 4 St. (ebd. 1580); Cantica sacra (Weihnachtsgesänge) für 3-4 St. (Greifswald 1582); Missa sine nomine für 8 St. (hsl.). — 2) Schriften: Musicae practicae praecepta (Wittenberg 1572, Rostock 2 1578, Hamburg '1588); Doctrina de tonis seu modis musicis (Greifswald 1582); Brevis synopsis de modis seu tonis (Rostock 1605). Ausg.: Vyff geistlike olde Ostergesenge, eine Motette aus den Geistlichen Liedern u. 2 Kanons aus den Cantica sacra, hrsg. v. H. ENGEL, in: Musik in Pommern 4 (1935). Lit.: W. MÜLLER, Musikgesch. Stralsunds bis 1650 (Diss. Fr 1932); H. ENGEL, Die Stralsunder Komponisten aus dem Ende des 16. Jh., in: Musik in Pommern 4 (1935); M. RUHNKE, H., in: MGG VI; K. W. NIEMOLLER, Unters. z. Musikpflege u. Musikunterricht an den dt. Lateinschulen v. ausgehenden MA bis um 1600 (Rb 1969) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 54).

HOFFMANN, Ludwig, * 11.6. 1925 Berlin; dt. Pianist. H. studierte 1946-48 Klavier bei Paul Weingarten an der Wiener Musikakademie und anschließend bei Richard Rössler an der Berliner Musikhochschule. Außerdem besuchte er Kurse bei Marguerite Long und Arturo Benedetti Michelangeli. 1953 debütierte er in Köln und konzertierte seitdem, auch im Duo mit der Pianistin Ingrid Haebler, in Europa und Amerika. H. erhielt 1969 einen Lehrauftrag und 1972 eine Professur für Klavier an der Hochschule für Musik in München. HOFFMANN-ERBRECHT, Lothar, * 2.3. 1925 Strehlen (Niederschlesien); dt. Musikforscher. Er studierte 1946-49 an der Musikhochschule Weimar und 1949-51 an der Universität Jena, an der er 1951 mit der Dissertation Deutsche und italienische Klaviermusik zur Bachzeit promovierte. 1952 wurde er dort wissenschaftlicher Assistent und ging 1956 an die Universität Frankfurt a. M., wo er sich 1961 mit einer Arbeit über Th. Stoltzer habilitierte und seitdem lehrt (seit 1968 als Professor). Daneben hat er Lehraufträge 1961 an der Technischen

Hoffmann von Fallersleben Hochschule Darmstadt und seit 1969 an der Frankfurter Musikhochschule. Schwerpunkte seiner Forschungen sind Editionspraxis, deutsche Musik um 1500, Instrumentalmusik des 18. Jh. und russische Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. WW: 1) Schriften: Dt. u. it. Klaviermusik zur Bachzeit (L - Wie 1954) (= Jenaer Beitr. z. Musikforsch. 1); Sturm u. Drang in der

dt. Klaviermusik v. 1753-1763, in: Mf 10 (1957); Der „Galante Stil" in der Musik des 18. Jh., in: StMw 25 (1962); Th. Stoltzer. Leben u. Schaffen (Kas 1964); Die Sinfonie (Kö 1967, =1971) ( = Das Musikwerk 29); J. S. Bach als Schöpfer des Klavierkonzerts, in: Quellenstud. z. Musik. FS W. Schmieder (F 1972); Das Klavierkonzert, in: Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen. Gedenkschrift L. Schrade (Be 1973); Stoltzeriana, in: Mf 27 (1974); H. Fincks fünfstimmige Missa super Ave praeclara, eine wichtige Neuentdeckung, in: Renaissance-Stud. FS H. Osthoff (Tutzing 1979); Der Romantiker Skrjabin. Bemerkungen zu seiner Musikanschauung, in: A. Skrjabin (Gr 1980); Der Lautenist S. L. WeiB u. J. S. Bach, in: FS H. Häschen (Kö 1980). - 2) Editionen: C. Ph. E. Bach, Vers. über die wahre Art das Clavier zu spielen, Faks.-Ausg. (L 1957, '1979); H. Finck, Ausgew. Werke (1962, 1980) (= EDM 57 u. 70); Th. Stoltzer, Ausgew. Werke III (1969) (= ebd. 99); L. van Beethoven, Klaviersonaten, 2 Bde. (F 1973, 1979) (zus. mit C. Arrau).

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN (Les Contes d'Hoffmann), Opéra fantastique in einem Prolog, 3 Akten und einem Epilog von Jacques Offenbach (1819-80), Text von Jules Barbier nach dem gleichnamigen Theaterstück (1851) von Barbier und Michel Carré. Orte der Handlung: Luthers Weinkeller in Nürnberg, Spalanzanis physikalisches Kabinett, Giuliettas Palast in Venedig und Crespels Haus in Deutschland. UA: 10.2. 1881 in Paris (Opéra-Comique) ohne den Giulietta -Akt; EA in dt. Sprache: 7. 12. 1881 in Wien (Ringtheater); dt. EA: 20.9. 1882 in Hamburg. Das Libretto bietet ein effektvolles Arrangement von Erzählungen E. Th. A. Hoffmanns, dramatisch zugeschnitten auf drei Liebeserlebnisse, die der Dichter als Titelheld der Oper erzählt und in denen die Ereignisse einer Rahmenhandlung gespiegelt werden. Strukturbestimmend für Offenbachs Oper ist die Verzahnung von Traum und Wirklichkeit, von Rahmen- und Binnenerzählung und die Gestaltung skurriler Phantastik, die auch Hoffmanns Erzähltechnik prägt. Die Einheit der stofflich stark kontrastierenden Handlungen und der kaleidoskopartigen Szenenfolge wird gewährleistet durch die symmetrische Anlage des Werkes, die tendenzielle Parallelität der Handlungsstränge und die funktionale Gleichartigkeit handlungstragender Figuren in den Akten. Offenbach disponierte deshalb jeweils mehrere Figuren in gleicher Stimmlage bzw. gleichem Rollenfach, zu verkörpern durch einen Sänger: die mephistophelischen Gestalten Lindorf, Coppelius, Dapertutto und Mirakel (Charakterbariton), die Dienerrollen Andreas, Cochenille, Pitichinaccio und Franz (Spieltenor) und die Frauen-

rollen Olympia, Giulietta und Antonia. Diese stellen die drei Frauentypen der Seelenlos-Kalten (Puppe), der Verführerisch-Berechnenden (Kurtisane) und der Sensibel-Empfindsamen (Künstlerin) dar, die alle in der Rahmenfigur Stella (stumme Rolle) zusammenfließen. Die Sopranrollen entstammen jedoch jeweils anderen Fächern (Koloratursopran, dramatischer Mezzosopran und lyrischdramatischer Sopran) und werden deshalb meist getrennt besetzt. — Musikalisch repräsentiert jeder Akt eine andere musikdramatische Ausdruckswelt; der 1. Akt die französische Opéra-comique, der 2. Akt die italienische romantische Oper, der 3. Akt die deutsche romantische Oper. Offenbachs Freund Ernest Guiraud führte nach dem Tod des Komponisten die Instrumentation des fertigen Klavierauszugs aus und komponierte die Rezitative nach. Noch im Jahr der UA folgte in Paris die 100. Aufführung. Im deutschsprachigen Raum wird die Oper seit der Wiener Aufführung in mehreren (vor allem hinsichtlich des Schlusses) unterschiedlichen Fassungen gespielt, u. a. in der Fassung von W. Felsenstein (1958) und in einer Rekonstruktion (unter Benutzung unveröffentlichter Materialien) von F. Oeser und G. Schwalbe (1976, Volksoper Wien). J. SCHLÄDER

HOFFMANN VON FALLERSLEBEN, August Heinrich, * 2.4. 1798 Fallersleben (Niedersachsen), t 29.4. 1874 auf Schloß Corvey bei Höxter; dt. Dichter und Linguist. Nach seinem Theologieund Philologiestudium an den Universitäten in Göttingen, Bonn und Leyden (Promotion) wurde er 1823 Bibliothekar, 1830 Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Breslau, wurde aber wegen seiner zu liberalen Ideen, die er in den Unpolitischen Liedern zum Ausdruck gebracht hatte, 1842 ausgewiesen. Nach Aufenthalten in Neuwied und Weimar kam er 1860 als Bibliothekar des Herzogs von Ratibor nach Corvey. — Für die Musikgeschichte bedeutsam sind seine Forschungsund Sammeltätigkeit auf dem Sektor des Volkslieds (besonders des Mittelrheingebiets und Schlesiens) sowie des Gesellschaftslieds, des deutschen Kirchenlieds und des Kinderlieds. H. sorgte, z. T. in Zusammenarbeit mit E. Richter und L. Erk, für die Veröffentlichung der von ihm gesammelten Lieder, die in zahlreichen Anthologien enthalten sind. Als Verfasser des Deutschlandlieds und verschiedener populär gewordener Lieder ist H. weithin als Dichter bekannt geworden. Schriften (Autor u. Hrsg.): Gesch. des dt. Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit (Breslau 1832, Hannover '1861, Nachdr. Hil 1965); Dt. Lieder aus der Schweiz (Z - Winterthur 1842, Nachdr. Hil 1975); Dt. Gassenlieder (L 1843, Nachdr. Hil 1975); Schlesische Volkslieder mit Melodien (L 1842) (zus. mit E. Richter u. L. Erk)

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Hoffmeister (Nachdr. Hil 1973); 50 Kinderlieder (L 1843); Die dt. Gesellschaftslieder des 16. u. 17. Jh., 2 Bde. (L 1844, 2 1860), Nachdr. 1 Bd. (Hil 1966); Dt. Volksgesangbuch (L 1848, Nachdr. Hil 1975); Vehe's Gesangbüchlein v. Jahre 1537 (L 1853); Ruda. Polnische Volkslieder der Oberschlesier (Kas 1865); Vaterlandslieder (H 1871). - Ferner die Autobiogr. Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, 3 Bde. (Hannover 1868). Ausg.: Gesammelte Werke, hrsg. v. H. GERSTENBERG, 8 Bde. (B 1890-93). Lit.: F. LOFFLER, Der Einflug des Volksliedes auf H. von F. (Diss. Hei 1919); W. HEIDRICH, Die Kinderlieder H.s von F. (Diss. Kö 1925); W. SCHOOF, H. von F. und die holländische Volksliedforschung, in: Zschr. für Volkskunde 52 (1955); W. SALMEN, Das Erbe des ostdt. Volksgesanges (Wü 1956); E. SCHADE, Auf den Spuren L. Erks, in: Mitteilungsblätter der H. von F.-Gesellschaft 10 (1962); P. H. NELDE, Flandern in der Sicht H. von F.s. Eine Untersuchung im Rahmen dt.-flämischer Beziehungen im 19. Jh. (Wierijk 1967).

HOFFMEISTER, Franz Anton, *12. 5. 1754 Rottenburg am Neckar, t 9.2. 1812 Wien; dt. Komponist und Musikverleger. Nach einem Jurastudium in Wien wandte er sich der Musik zu. Er erwies sich als überaus fruchtbarer Komponist von Instrumentalwerken. Große Bedeutung hatte aber vor allem der von ihm 1784 gegründete Musikverlag. Hier erschienen die Originalausgaben zahlreicher Werke von W. A. Mozart, mit dem H. auch freundschaftlich verbunden war, sowie Werke von J. Haydn, L. van Beethoven, I. Pleyel, C. Ditters v. Dittersdorf u.a. 1800 gründete er in Leipzig zusammen mit dem Organisten A. Kühnel einen weiteren Verlag, das „Bureau de musique Hoffmeister et Kühnel", von dem u. a. ganze Serien von Werken bekannter Komponisten veröffentlicht wurden, u. a. sämtliche Streichquartette und -quintette von Mozart, die Klavier- und Orgelwerke von J. S. Bach und die Streichquartette von Haydn. 1805 verließ H. die Leipziger Firma (1813 von C. F. Peters übernommen); später gab er auch den Wiener Verlag auf. WW: Gedruckt wurden zahlr. kammermusikal. Werke: Sonaten für Cemb. oder Klv., auch mit 1 u. mehr Instr.; Solos für Fl. bzw. V. u. B.; Duos, Terzette bzw. Trios, Quartette u. Quintette für versch. Kombinationen von Streich- u. Holzblasinstr.; für Orch.: Symphonien u. Ouvertüren; zahlr. Konzerte für Klv. u. fürFl., l V.Konz. -Opern bzw. Singspiele: im Druck erschienen Der Königssohn aus Ithaka (Telemach); Rosalinde. - Vokal-WW: mehrere Slgen. von Klv.-Liedern u. mehrst. Gesänge. Ausg.: 5 dt. Lieder, in: Das Wiener Lied v. 1778 bis Mozarts Tod, hrsg. v. M. ANSION - I. SCHLAFFENBERG (1920) (= DTO 54); Serenade Es-Dur für 2 Ob. (oder Fl.), 2 Klar., 2 Hörner, 2 Fag. u. Kontrafag., hrsg. v. E. HESs (Bas 1962) (= Für Kenner u. Liebhaber 24); Quintett Es-Dur für Horn u. Streichquartett, hrsg. v. H. STEINBECK (1963) (= Diletto mus. 109); Quartett e-moll, op. 16 Nr. 2, hrsg. v. R. ERMELER (Wilhelmshaven 1964); F1.Konzert D-Dur, hrsg. v. J. SZEBENYI (Mz - Budapest 1966); Quartett D-Dur für Va. d'amore, 2 V. u. Vc., hrsg. v. K. STUMPF (1967) (= Diletto mus. 195). Lit.: E.F. SCHMID, F. A. H. u. die „Göttweiger Sonaten", in: ZIM 104 (1937); A. TYSON, Beethoven's „Pathétique" Sonata and Its Publisher, in: MT 104 (1963); A. WEINMANN, Die Wiener Verlagswerke v. F. A. H. (W 1964).

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HOFHAYMER (Hofhaimer, Hofheymer, Hoffheimer), Paulus (Paul) Ritter von, * 25.1. 1459 Radstadt (Tauern), t 1537 Salzburg; östr. Organist und Komponist. Er stammte aus einer Organistenfamilie und war wahrscheinlich Schüler seines Vaters sowie des Salzburger Organisten Jacob von Graz. 1480 wurde er Kammerorganist des Erzherzogs Siegmund in Innsbruck und behielt diese Stellung unter seinem Nachfolger Maximilian I. bei, den er auf Reisen häufig begleitete. Im Dienste der Tiroler Hofkapelle lernte H. 1484 H. Isaac, 1486 in Frankfurt am Main A. Schlick kennen und traf 1494 in Mecheln Kurfürst Friedrich den Weisen von Sachsen, an dessen Hof er sich 1498 und 1516 einige Zeit aufhielt; ein Angebot als Hoforganist des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1489) lehnte er ab. 1502-06 lebte er in Passau, 1508 vielleicht in München und 1508-18 in Augsburg, nach dem Tode Kaiser Maximilians I. 1519-21 wieder in Passau und ließ sich 1522 in Salzburg nieder, wo er als Organist am Salzburger Dom tätig war. H. war Lehrer einer ganzen Generation von Organisten (von O. Luscinius „Paulomimen" genannt), u. a. von H. Buchner, H. Kotter, W. Grefinger, L. Paminger und U. Brätel. 1515 wurde H. anläßlich der Hochzeit von Kaiser Maximilians Tochter Maria mit dem ungarischen König Ladislaus in Wien — H. spielte dabei die Orgel von St. Stephan — zum Ritter (eques auratus) geschlagen. WW: 1) Weltliche WW: Harmoniae poeticae für 4 St. (Nü 1539) (35 Oden von H. u. 9 von L. Senil); 20 dt. Lieder für 3-4 St. in Sammeldrucken 1510-52 v. A. v. Aich, E. Oeglin, P. Schöffer, G. Forster, G. Rhau, P. Kugelmann u. hsl., einige davon u. einzelne untextierte Lieder (Carmina) auch in gedruckten u. hsl. Orgeltabulaturen der 1. Hälfte des 16. Jh. (u. a. von A. Schlick, F. Sicher, H. Kotter, L. Kleber). - 2) Geistliche WW: 1 Motette in: G. Rhau, Tricinia (Wittenberg 1542); 1 Motette hsl.; 2 weitere Motetten in Orgeltabulatur bei Sicher u. Kleber.

H.s Bedeutung als Komponist liegt in erster Linie im Bereich des mehrstimmigen deutschen Liedes, jener vom Bürgertum getragenen Gattung, die zwischen 1480 und 1550 ihre Blütezeit und bei H. einen ihrer Höhepunkte hatte. Die Lieder H.s sind Tenorlieder, in denen als Vorlagen fast ausschließlich „gelehrte" Melodien (Hofweisen) verwendet werden; nur vereinzelt erscheint eine Volksliedmelodie (Greyner, Zanner). Die Satzweise ist teils homorhythmisch, teils sind die Stimmen kontrapunktisch selbständiger geführt. H.s Orgelkompositionen sind Intavolierungen meist von eigenen weltlichen Gesängen. In ihrer reichen Ornamentik scheint sich die Improvisationskunst des Organisten H. widerzuspiegeln. Ausg.: 4 Orgelstücke u. je ein Satz aus den Tabulaturen v. Kotter u. Kleber, in: Frühmeister dt. Orgelkunst, hrsg. v. H. J. MOSER - F. HEITMANN (L 1930, Neudr. Wie 1954); 10 Lieder, in: G. Forster, Frische teutsche Liedlein I, hrsg. v. K. GUDEWILL -

Hofmannsthal 1942) (= EDM, RD 20); 16 Lieder u. 5 Carmina, in: Das dt. Gesellschaftslied in Ostr. v. 1480-1550, hrsg. v. L. NOWAK - A. KOCZIRZ - A. PFALZ (1930) (= DTO 72); Carmina für 4 St., hrsg. v. H. MONKEMEYER(Celle 1968) (= Der Bläserchor 9); Motette Recordare u. Carmen Tandernaken für Org., hrsg. v. M. RADULESCU, 2 H.e (W 1975). W. HEISKE (Wb

Lit.: R. VON LILIENCRON, Die Horazischen Metren ..., in: VfMw 3 (1887) (darin 19 Oden H.$); W. MERIAN, Der Tanz in den dt. Tabulaturbüchern (L 1927, Nachdr. Hil - Wie 1968) (darin 2 Lieder H.s mit je zwei Intavolierungen); H.J. MOSER, P. H. (St 1929) (mit Anhang, darin sämtliche gesicherten Werke, aber auch jene mit zweifelhafter Zuschreibung), Ergänzungen dazu in: ZfMw 15 (1932/33), 2. Aufl. mit Abdruck einzelner Beitr. v. R. Federhofer-Königs, H. Klein, H. J. Moser u. O. Wessely (Hil 1966); W. SENN, Musik u. Theater am Hof zu Innsbruck (I 1954); O. WESSELY, Neue Hofhaimeriana, in: Anzeiger der Ostr. Akad. der Wiss., Philos.-hist. Klasse 92 (1955); L. HOFFMANN-ERBRECHT, P.H. in Salzburg, in: FS H. Besseler (L 1961); W. APEL, Gesch. der Orgel- u. Klaviermusik bis 1700 (Kas 1967); K. WAGNER, H. u. Salzburg, in: OMZ 25 (1970); M. KUGLER, Die Musik für Tasteninstr. im 15. u. 16. Jh. (Wilhelmshaven 1975) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 41). O. WESSELY

HOFMANN (Hoffmann), Leopold, *14. 8. 1738 Wien, t 17.3. 1793 ebd.; östr. Komponist. Er war Chorknabe an der Hofkapelle in Wien und Schüler von G. Chr. Wagenseil und wurde 1758 Violinist an der Kirche St. Michael, 1766 Kapellmeister an St. Peter, 1769 Nachfolger Wagenseils als Hofklaviermeister sowie 1772 2. Hoforganist und Kapellmeister am Stephansdom. Er war ein sehr fruchtbarer und zu seiner Zeit angesehener Komponist von Kirchenmusik. Seine Instrumentalkompositionen erfreuten sich wegen ihrer eingängigen Melodik großer Beliebtheit. WW (meist hsl.): Klv.-Stucke; Kammermusik, darunter Duos, Quartette, Divertimenti u. Menuette; Konzerte für Cemb., V. oder Vc.; Symphonien; 33 Messen; Gradualien; Offertorien; ein Requiem; ferner zahlr. Lieder in Slgen. gedruckt (W 1780-1808). Ausg.: Ein Lied, in: M. FRIEDLAENDER, Das dt. Licd im 18. ih. I (St 1902, Nachdr. Hil 1962); 2 Lieder, in: Das Wiener Lied v. 1778 bis Mozarts Tod, hrsg. v. M. ANSION - 1. SCHLAFFENBERG (W 1920) (= DTO 54); Divertimento a tre C-Dur, hrsg. v. E. SCHENK (W 1953) (= Hausmusik 156). Lit.: H. PROHÁSZKA, L. H. als Messenkomponist, 2 Bde. (Diss. W 1956); V. KREINER, L. H. als Sinfoniker (Diss. W 1958); H. PROHÁsZKA. L. H. u. seine Messen, in: StMw 26 (1964).

HOFMANNSTHAL, Hugo von Hofmann, Edler von, * 1.2. 1874 Wien, t 15.7. 1929 Rodaun bei Wien; östr. Dichter und Librettist. Er promovierte 1899 in Wien in Romanistik und lebte seit 1901 als freier Schriftsteller in Rodaun. 1920 wurde er mit M. Reinhardt, R. Strauss, Fr. Schalk und Alfred Roller zu einem der Initiatoren der Salzburger Festspiele. Eine bedeutende Rolle spielte er in der Geschichte der neueren Oper durch seine Zusammenarbeit mit R. Strauss, die — mit Unterbrechungen — von 1906 bis fast zu seinem Tode dauerte. WW: 1) Libretti für R. Strauss: Kantate Tüchtigen stellt das schnelle Glück für 4st. Männerchor, UA: 1914. - Josephslegende

(Handlung v. H. von H. u. H. Graf Kessler), UA: Paris 1914; Elektra, UA: Dresden 1909; Der Rosenkavalier, UA: ebd. 1911; Ariadne auf Naxos, UA: Stuttgart 1912, neue Fassung: Wien 1916; Der Barger als Edelmann (nach Molière), UA: Berlin 1918; Die Frau ohne Schatten, UA: Wien 1919; Die Ruinen von Athen, UA: ebd. 1924; Die ägyptische Helena, UA: Dresden 1928; Arabella, UA: ebd. 1933; Die Liebe der Danae (Libr.: J. Gregor nach H. von H.), UA: Salzburg 1952. - 2) Schriften (zu musikal. Themen): Ariadne auf Naxos (1912); Zur Entstehungsgeschichte der Frau ohne Schatten (1919); Beethoven (1920); Der Rosenkavalier (1927); Die ägyptische Helena (1928).

H. war nicht ausgesprochen musikalisch, empfand aber große Verehrung für W. A. Mozart. Sein Vorbild war die Nummernoper des 18. Jh., die er, als

Gegengewicht zum Musikdrama R. Wagners, für seine Zeit wiedererwecken wollte. Die Musik war für ihn in der Oper „das herrschende unter den verbundenen Elementen". Das Libretto sollte das szenische Gerüst liefern, seine Sprache aber auf die Dimension des Klanglichen, auf das suggestive Wort, das dem Dichter verdächtig geworden war, verzichten. Der Komponist sollte angeregt werden, mit der Musik das Unsagbare zu sagen. Diese Möglichkeit der Musik, über die Sprache hinauszugehen, war es wohl, die Hofmannsthal an der mühevollen Arbeit des Librettisten faszinierte. Seine Operntexte sah er darum als wesentlichen Teil seines Lebenswerkes an. Der sensible H. hatte Mühe, seine Auffassungen gegen den robusteren R. Strauss durchzusetzen, akzeptierte aber dessen sicheres Urteil in Fragen der Bühnenwirksamkeit. Der Briefwechsel zwischen Strauss und Hofmannsthal ist ein einzigartiges Dokument des unermüdlichen Ringens zweier Künstler um die gemeinsamen Werke. — Von anderen Komponisten wurden durch H.s Dichtungen u. a. E. Wellesz (Achill auf Skyros, 1925), H. Gagnebin (Jedermann, 1942), Fr. Martin (6 Monologe aus Jedermann, 1943), R. Wagner-Régeny (Das Bergwerk von Falun, 1960) und W. Fortner (Terzinen, 1966) angeregt. Ausg.: Gesammelte Werke in Einzelausg., hrsg. v. H. STEINER, (Sto 1945ff., F 1950ff.); R. StrauB - H. von H. Briefwechsel, GA, hrsg. v. F. u. A. Strauss, bearb. v. W. SCHUH (Z 1952, '1978); H. von H. u. R. Strauss, Der Rosenkavalier. Fassungen, Filmszenarium, Briefe, hrsg. v. W. SCHUH (F 1971). Lit.: M. KOMMERELL, H. von H. (F 1930); R. ALEWYN, Über H. von H. (Gö 1952, erweitert `1967); W. VOLKE, H. von H. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbeck 1967) (= rowohlts monographien 127); M. E. SCHMID, Symbol u. Funktion der Musik im Werk H. von H.s (Hei 1968); A. WANDRUSZKA, Das „Rosenkavalier-Libretto", in: OMZ 24 (1969); H. SWAROWSKY, Noch einmal zum „Rosenkavalier-Libretto", in: ebd.; J. KNAUS, H.s Weg zur Oper „Die Frau ohne Schatten". Rücksichten u. Einflüsse auf die Musik (B - NY 1971); H.-A. KOCH, „Fast Kontrapunktlich Streng". Beobachtungen zur Form v. H. von H.s Operndichtung „Die Frau ohne Schatten", in: Jb. des Freien Dt. Hochstifts (1971); E. -M. LENZ, H. von H.s mythologische Oper „Die ägyptische Helena" (TO 1972); W. SCHUH, Umgang mit Musik. Über Kompositionen, Libretti u. Bilder (Z -

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Hofmeister Fr 2 1972); H. von H. Bibliogr., Werke, Briefe, Gespräche, Vertonungen, hrsg. v. H. WEBER (B—NY 1972); A. A. ABERT, R. Strauss' Anteil an seinen Operntexten, in: FS K. G. Fellerer (Kö 1973); M. MARX-WEBER, H. v. H.s Beethovenbild, in: Literaturwiss. Jb. NF 15 (1974); D. G. DAVIAU — G. J. BUELOW, The „Ariadne auf Naxos" of H. von H. and R. Strauss (Chapel Hill/N.J. 1975). M. MARX-WEBER

HOFMEISTER, Friedrich, * 24.1.1782 Strehla an der Elbe, t 30.9. 1864 Reudnitz bei Leipzig; dt. Musikverleger. Er gründete 1807 in Leipzig einen Verlag und wurde vor allem bekannt durch die Veröffentlichung eines Katalogs aller in Deutschland erschienenen Partituren und Musikbücher (Handbuch der musikalischen Literatur), mit dem er das gleichnamige Werk von C. F. Whistling fortsetzte und ergänzte. H.s Handbuch erschien von 1816 bis 1943. — Während der Verlag H. heute in Leipzig als VEB weitergeführt wird, besitzt das Haus seit 1950 eine Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland, heute in Frankfurt am Main (vormals in Hofheim am Taunus), die musikbibliographische Publikationen herausgibt. Lit.: Tradition u. Gegenwart. FS z. 150jährigen Bestehén des Musikverlages F. H. (L 1957); H.-M. PLEssKE, Zur Gesch. der dt. Musikbibliogr., in: BzMw 5 (1963).

HOGNER, Friedrich Johannes Paul, *11. 7. 1897 Oberwaldbehrungen (Unterfranken); dt. Kirchenmusiker. Er studierte am Landeskonservatorium Leipzig (Orgel bei K. Straube) und war 1922-25 Kantor in Leipzig-Gohlis, 1925-29 in Regensburg, 1929-37 Orgellehrer am Leipziger Konservatorium, 1937-65 Landeskirchenmusikdirektor der Bayerischen Evangelischen Landeskirche, Kantor und Organist an der Matthäuskirche und Professor für Orgelspiel an der Musikhochschule in München. Als Spieler und Publizist setzte er sich vor allem für das Orgelwerk M. Regers und die deutsche und skandinavische Orgelmusik der Zeit zwischen 1920 und 1950 ein. H. komponierte gottesdienstliche Vokal- und Orgelmusik sowie Lieder. Lit.: W. KUNZE, F.H., in: MuK 27 (1957).

HOHLFLÖTE (vielleicht von Holderflöte = Holunderflöte), weit mensuriertes, offenes, zylindrisches Orgelregister des "Flötenchors im Manual oder Pedal in der 16'-, 8'-, 4'- und 2'-Lage. HOEHN, Alfred, * 20.10.1887 Oberellen bei Eisenach, t 2.8. 1945 Königstein im Taunus; dt. Pianist und Komponist. Er studierte Klavier bei Lazzaro Uzielli am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, 1907-08 Dirigieren bei Fr. Steinbach in Köln, wurde 1910 Hofpianist beim Herzog von Meiningen und unternahm zahlreiche Konzertreisen durch Europa. Seit 1929 lehrte er 108

Klavier am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, 1934-40 leitete er dort eine Meisterklasse für Klavier. Er verfaßte eine Methode des virtuosen Klavierspiels (postum L 1949). H., der als einer der namhaftesten deutschen Pianisten seiner Zeit gilt, komponierte Klaviermusik, ein Streichquartett und Orchesterlieder und gab mehrere Klavierwerke Beethovens, vor allem Sonaten, in Urtextausgaben heraus. HOHNER, Matth. Hohner AG, Fabrik von Harmonika-Instrumenten in Trossingen (Württemberg), gegr. 1857 von Matthias H. (*12. 12. 1833 Trossingen, t 11. 12. 1902 ebd.), der durch moderne Produktionsmethoden dem Akkordeon und der Mundharmonika zu einer schnellen Verbreitung in Europa und Übersee verhalf, und 1909 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Dem Unternehmen angeschlossen sind die 1931 errichtete Harmonika-Fachschule (seit 1951 Hochschule für Musikerziehung) und die im selben Jahr gegründete Edition Hohner. Kompositionsaufträge der Firma konnten sich zunächst nur zögernd durchsetzen; als einer der ersten schrieb H. Herrmann Stücke für Harmonika-Instrumente. Seit 1945 stellt die Firma, die z. T. heute noch in Familienbesitz in dritter Generation steht, auch Saxophone und elektronische Musikinstrumente her. Lit.: A. FETT, Im Dienste der Neuen Musik für Akkordeon. 25 Jahre Musikverlag M. H. AG (Trossingen 1956); A. LAMMLE, M.H. Leben u. Werk (St 1957); Dr. Karl H. zum Gedenken, in: Das Musikinstr. 20 (1971).

HOKANSON, Leonard Ray, *13. 8. 1931 Vinalhaven (Maine); amerik. Pianist schwedischer Herkunft. Er studierte in den USA u. a. bei Hedwig Rosenthal und A. Schnabel und debütierte im Alter von 18 Jahren mit dem Philadelphia Orchestra. Als Preisträger beim Busoni-Wettbewerb 1959 startete er eine internationale Karriere, die ihn durch Europa und nach Übersee führte. H. bildet mit der Violinistin Jenny Abel ein Duo (seit 1964) sowie mit Kurt Guntner (Violine) und Angelica May (Violoncello) das Odeon-Trio und tritt häufig als Liedbegleiter (u. a. von Grace Bumbry und H. Prey) auf. 1977 wurde er Professor an der Musikhochschule in Frankfurt am Main. HOLBORNE, Anthony, t 1602 London (?); engl. Lautenist und Komponist. Er stand vielleicht einige Zeit im Dienst von Sir Richard Champernowne in Modbury (Devon). Dann lebte er am Hof Königin Elisabeths I. H.s Werke bilden einen der bedeutendsten Beiträge zur englischen Tanzmusik des 16. Jahrhunderts. WW: The Cittharn Schoole (Lo 1597), enthält Praeludien, Pava-

Holiday nen, Galliarden u. a. Stücke für Cister (teilweise mit zusätzlichem BaB-Instr.) sowie 6 Canzonetten für 3 St. v. A.s Bruder William (t 1602); Pavans, galliards, almains and other short aeirs für 5 Instr. (Lo 1599); 48 Stücke für Laute, 18 für Pandora, einzelne Gesänge für SingSt. u. Laute hal. u. in Sammeldrucken 1607-12. Ausg.: Complete Works, I: Music for Lute and Bandora, hrsg. v. M. KANAZAWA (C/M 1967); Complete Music for Brass, hrsg. v. P. BLOCK, 2 Bde. (Lo 1971). Lit.: B. JEFFERY, Instrumentation in the Music of A. H., in: Galpin J 19 (1966); DERS., The Lute Music of A. H., in: Proc. R. Mus. Assoc. 93 (1966/67); DERS., A. H., in: MD 22 (1968).

HOLBROOKE, Joseph (Josef), * 5.7.1878 Croydon (Surrey), t 5.8. 1958 London; engl. Komponist. Er war Schüler der Royal Academy of Music in London und trat seit 1890 als Pianist und Dirigent vorwiegend eigener Kompositionen und von Werken anderer englischer Komponisten hervor. Sein Schaffen zeigt den Einfluß der Neudeutschen Schule sowie C. Francks und P. Tschaikowskys. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, u. a. 2 KIv.Quartette, Klv.-Quintette, 5 Streichquartette, 2 Klar.-Quintette u. -Sextette. - Für Orch.: Symphonische Dichtungen: The Raven, UA: London 1900; Queen Mab, UA: Leeds 1904; Ulalume (1904); The Masque of the Red Death (1905); The Viking; ferner 5 Symphonien, ein Klv.- u. ein V.-Konzert. - 2) Vokal- •. BiilmenWW: Symphonische Dichtungen mit Chor: The Bells (nach E. A. Poe), UA: Birmingham 1906; Ode to Victory(1906) (nach Byron); Homage to E. A. Poe (1908); Apollo and the Seaman, UA: London 1908. - Opern: Pierrot and Pierrette, UA: London 1909; The Enchanter, UA: Chicago 1915; The Wizard, UA: ebd. 1915; keltische Trilogie The Cauldron of Anwyn (Libr.: E. T. Ellis), I: The Children of Don, UA: London 1912, II: Dylan, Son of the Wave, UA: ebd. 1914, III: Bronwen, Daughter of Llyr, UA: Huddersfield 1929; ferner die Ballette The Red Mask, The Moth and the Flame u. Coromanthe. - 3) Schriften: Contemporary British Composers (Lo 1925). Lit.: K. L. THOMSON, H. Some Catalogue Data, in: ML 46 (1965).

HÖLDERLIN, Johann Christian Friedrich, * 20.3. 1770 Lauffen am Neckar, t 7.6. 1843 Tübingen; dt. Dichter. Für H., der in seiner Jugend selbst Klavierund Flötenunterricht erhalten hatte, spielte die Musik eine bedeutsame Rolle. In seinen Dichtungen werden häufig Ausdrücke aus dem Bereich der Musik (wie „Gesang", „Lied", „Melodie") wie auch Musikinstrumente genannt. In einer während seiner Studienzeit (1788-93) am Tübinger Stift, wo er sich der evangelischen Theologie widmete, entstandenen Parallele zwischen den Sprichwörtern Salomos und den Werken und Tagen Hesiods untersucht er Metrum und Rhythmus; im Vorwort seiner Antigone-Übersetzung stellt er eine Theorie vom „Wechsel der Töne" auf. H.s Dichtung zeigt in Satz- und Versbau eine im Vergleich zu seinen Zeitgenossen völlig andersartige Faktur, die sich wegen der harten Fügung der Worte, d. h. einer strikten Gruppierung nach Akzentfolgen, im Grunde einer Vertonung widersetzt. Daher inter-

essierten sich zeitgenössische Musiker kaum für H.s Werk. Einer der wenigen war Theodor Fröhlich mit Hyperions Schicksalslied (1830). Erst seit J. Brahms' Schicksalslied, op. 54 (1871) finden H.s Dichtungen bei Komponisten Interesse. Zu den zahlreichen Musikern, die H.-Texte vertonten, gehören H. E. Apostel, B. Britten, W. Braunfels, P. Cornelius, H. Eisler, J. B. Foerster, W. Fortner, H. Genzmer, J. Haas, J. M. Hauer, H. W. Henze, P. Hindemith, H. Holliger, Ph. Jarnach, A. Knab, E. Kornauth, E. Krenek, K. Marx, E. Pepping, H. Pfitzner, M. Reger, A. Reimann, H. Reutter, A. Schönberg, R. Strauss, WI. Vogel, H. Zilcher und W. Zillig; Bühnenwerke nach H. wurden von Br. Maderna, C. Orff und H. Reutter komponiert. Lit.: A. KELLETAT - M. KOHLER, Bibliogr. der Vertonungen v. Dichtungen H.s, in: H.-Jb. 7 (1953); K. M. KOMMA, H. u. die Musik, in: ebd.; TH. G. GEORGIADES, Musik u. Sprache (B 1954, 2 1974) (= Verständliche Wiss. 50) Kap. 8: Die dt. Sprache u. die Musik; K. M. KOMMA, Probleme der H.-Vertonungen, in: H.-Jb. 9 (1955/56); F. DOHL, H. u. die Musik, in: NZfM 123 (1962); Lieder u. Gesänge nach Dichtungen v. F. H., hrsg. v. K. M. KOMMA (Tübingen 1967) (= Schriften der H.-Ges. 5); G. SCHUHMACHER, Geschichte u. Möglichkeiten der Vertonung von Dichtungen F. H.s (Rb 1967) (= Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 18).

HOLE, William, t 15.9. 1624; engl. Musikdrucker. Er war als Notenstecher zu Beginn des 17. Jh. tätig. Seine Parthenia, die erste Sammlung von Virginalmusik, und Prime musiche nuove gehören zu den frühesten Musikdrucken, die von gestochenen Platten hergestellt wurden. Sein Sohn Robert war ebenfalls Notenstecher. WW. Parthenia or the Maydenhead of the first musicke that was printed for the Virginalls. Composed by three famous Masters: W. Byrd, Dr. J. Bull & O. Gibbons... (Lo um 1612); Prime musiche nuove di A. Notart a una, due e tre voci, per Cantare con la Tiorba et altri strumenti (Lo um 1613); Parthenia in violata (Lo um 1613) (gestochen von Robert H.). Lit.: C. HUMPHRIES - W. C. SMITH, Music Publishing in the British Isles (Lo 1954); A. M. HIND, Engraving in England in the 16th and 17th Centuries (C 1955).

HOLIDAY, Billie (eig. Eleonora Fagan Gough McKay), * 7.4. 1915 Baltimore, t 17.7. 1959 New York; amerik. Jazzsängerin. Sie kam 1929 nach New York, wo sie 1933 von John Hammond entdeckt wurde und im selben Jahr ihre erste Schallplatte mit Benny Goodman aufnahm. Über 350 Schallplatteneinspielungen, u. a. mit dem Orchester von Teddy Wilson und mit eigenen Bands, verhalfen ihr zu einer weltweiten Popularität. Neben zahlreichen Gastspielen in den USA mit bekannten Orchestern, wie den von Count Basie und Artie Shaw, unternahm sie 1954 ihre erste und 1958 ihre zweite Europatournee. Obwohl B. H. durch die sich immer stärker entwickelnde Musikindustrie dazu angehalten war, schlagerähnliche Songs mit deutlichen 109

Hollande

Swingelementen zu interpretieren, konnte sie durch ihre oft tragischen und erschütternden Lebenserfahrungen in ihren Songs nie die Bluesatmosphäre und ihre Herkunft vom traditionellen Blues verleugnen. Ihre Autobiographie erschien als Lady Sings the Blues (Garden City/N.Y. 1956, Lo 1958, 1960 [zus. mit W. F. Dufty], dt. Übers.: Schwarze Lady ... Sings the Blues, H 1957, Reinbek 1965). Lit.: J. G. JEPSEN, Discography of B. H. (Brande 1960); Jazz erzählt, hrsg. v. N. SHAPIRO — N. HENTOFF (Mn 1962); J. E. BERENDT, Das Jazzbuch. Von Rag bis Rock (F 1973); J. CHILTON, Billie's Blues. A Survey of B. H.'s Career 1933-55 (Lo 1975) (mit Bibliogr.).

HOLLANDE, Jean de, /Hollander, Christian

Janszone. HOLLANDER (Hollande), Christian Janszone (Christiaan Janszoon, Jean de), * um 1510/15 Dordrecht (?), t zw. Juli 1568 und Juli 1569 Innsbruck; franko-flämischer Komponist. Er war 1549-57 Kapellmeister an St. Walburga in Oudenaarde und dann Mitglied der Tiroler Hofkapelle Kaiser Ferdinands I. und nach dessen Tode (1564) Erzherzog Ferdinands. Wahrscheinlich ist H. identisch mit Jean de Hollande, der 1538-41 Succentor an St -Sauveur und 1541-44 als Nachfolger von L. Hellinck an St-Donatian in Brügge war. Seine Werke, u. a. Huldigungsmotetten für den kaiserlichen Hof, waren im 16. Jh. weit verbreitet. WW: Newe teutsche geistliche und weltliche Liedlein für 4-8 St. (Mn 1570, 2 1574, 3 1575); Triciniorum ... fasciculus (Nü 1573); weitere Lieder sowie Motetten, Lamentationen, einzelne Messen sind hsl. u. in vielen Sammeldrucken 1546-89 erhalten, besonders zahlreich in dem Prachtdruck P. Giovannellis mit Werken von Mitgliedern der kaiserlichen Kapelle (RISM 1568 2-6). Ausg.: 8 Gesänge für 5-8 St., in: H. OSTHOFF, Die Niederländer u. das dt. Lied (B 1938, Nachdr. Tutzing 1967); eine dt. Motette für 5 St., in: J. Desprez u. a., Acht Lied- u. Choralmotetten ..., hrsg. v. DEMS. (Wb 1934) (= Chw. 30). Lit.: F. NOSKE, Ch. J. H. en zijn „Tricinia", in: TVer 18 (1959); H. ALBRECHT, H., in: MGG VI.

HOLLAENDER. -1) Gustav, *15. 2. 1855 Leobschütz (Oberschlesien), t 4.12. 1915 Berlin; dt. Violinist und Komponist. Er studierte 1867-69 Violine bei Ferdinand David am Leipziger Konservatorium, danach bei J. Joachim sowie Komposition bei Fr. Kiel an der Königlichen Hochschule in Berlin, wurde dort 1874 Kammermusiker im Hofopernorchester und 1885 Violinlehrer an Kullaks Neuer Akademie der Tonkunst. 1881 wurde H. in Köln Konzertmeister des Gürzenich-Orchesters und Lehrer an der Rheinischen Musikschule, 1884 auch Konzertmeister am Stadttheater. Seit 1895 war er Direktor des Sternschen Konservatoriums in Berlin. Er komponierte Werke für Kammermusik und (Streich-)Orchester, darunter 3 Violinkonzerte, 110

die vor allem von pädagogischem Interesse sind. 2) Victor, Bruder von 1), *20. 4. 1866 Leobschütz, t 24.10.1940 Hollywood; Komponist. Er studierte an Th. Kullaks Neuer Akademie der Tonkunst in Berlin, war dann Kapellmeister an verschiedenen in- und ausländischen Bühnen und wurde 1901 Kapellmeister und Hauskomponist am Metropoltheater, 1908 auch am Neuen Operettentheater in Berlin. 1934 wanderte er in die USA aus. H. ist besonders als Komponist von Operetten, Singspielen und Revuen bekanntgeworden. WW: 1) Inslr.-WW: Eine Reihe kleinerer Klv.-Stücke; für Orch.: Märsche, Walzer u. a. — 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder, u. a. Die Kirschen in Nachbars Garten u. Unterm Machandelbaum (1889); Oratorium Die Jugend Samuels. — 3) Bárnes-WW: Opern San Lin und Trilby (hsl.). — Tanzpantomime Sumuran, UA: Berlin 1914. — Operetten, Singspiele u. Possen, u. a. :Die Gesangsvereins probe oder Der Jubiläumstag, UA: Köln 1882; Carmosinella, UA: Frankfurt 1888; Der Bey von Marokko, UA: London 1894; Der rote Kosalt, UA: Berlin 1903; Der Sonnenvogel, UA: St. Petersburg 1907; Hupf, mein Mäderl, UA: Wien 1910; Der Regimentspapa, UA: Dresden 1914; Die Prinzessin vom Nil, UA: Berlin 1915; Die Schöne vom Strande, UA: ebd. 1915. — Revuen, u. a. Auf ins Metropol, UA: Berlin 1904 (mit dem Schaukellied u. Der VorschuB auf die Seligkeit); An der grünen Isar, UA: München 1905; Der Teufel lacht dazu, UA: Berlin 1907 (mit dem Kasino-Lied u. Willst du mein Cousinchen sein?); Hurra, wir leben noch, UA: ebd. 1910.

3) Friedrich (in den USA: Frederick Hollander), Sohn von 2), * 18. 10. 1896 London, t 18. 1. 1976 München; Komponist. Nach einem Studium an der Berliner Musikhochschule bei E. Humperdinck schrieb er seit 1919 Chansons für das Kabarett „Schall und Rauch" im Großen Schauspielhaus in Berlin und Bühnenmusik für M. Reinhardt. Neben Chansons auch für andere Kabaretts (z. B. „Tingel-Tangel") komponierte H. Musik für Revuen und seit 1929 für Filme, von denen Der blaue Engel (1930; darin der von Marlene Dietrich gesungene English Waltz Ich bin von Kopf bis Full auf Liebe eingestellt) ein Welterfolg wurde. 1933-55 lebte er in den USA. H. schrieb auch Musicals und Lieder und verfaßte die Texte zum großen Teil selbst. Eine Autobiographie H.s erschien als Von Kopf bis FuB. Mein Leben mit Text und Musik (Mn 1965). WW: Revuen: Höchste Eisenbahn, UA: Berlin 1926; Hetärengespräche, UA: ebd. 1926. —Musicals: Ich tanze um die Welt; Majestät macht Revolution; Scherzo, UA: Hamburg 1956. — Zahlr. Filmmusiken, u. a.: Der blaue Engel (1930); Die große Sehnsucht (1930) (zus. mit R. Eisner, K. Brüll u. P. Dessau); One Hundred Men and a Girl (1937); Bluebeard's Eighth Wife (1938) (zus. mit W. R. Heymann); Hotel Imperial (1939); Berlin Express (1948); Androcles and the Lion (1953); We're No Angels (1953); Das Spukschloß im Spessart (1960) (zus. mit O. Bienert u. A. Strasser). Ausg.: Zu 3): Fr. H., Lieder u. Chansons für B. Ebinger (Fr 1957); F.-H.-Album für Gesang u. Klv. (B 1971). Lit.: Zu 3): W. V. RUTTKOWSKI, Das literarische Chanson in Deutschland (Be 1966) (= Sig. Dalp 99); H. GREUL, Bretter, die die Zeit bedeuten (Kö 1967); D. SCHULZ-KOEHN. Vive la chanson (Gütersloh 1969).

Holliger HOLLER, Karl, * 25.7.1907 Bamberg, t 14.4.1987 Hausham (Obb.); dt. Komponist. Er studierte 1926 bei H. Zilcher in Würzburg und 1927-33 in München bei J. Haas (Komposition), S. von Hausegger (Dirigieren), Emanuel Gatscher (Orgel) und H. von Waltershausen (dramat. Komposition) an der Musikhochschule, an der er 1933-37 Lehrer für Orgel, Harmonielehre und Komposition war. 1937 wurde er Lehrer für Komposition, Dirigieren und Orgel sowie Leiter der Abteilung für Katholische Kirchenmusik an der Frankfurter Musikhochschule und übernahm 1949 als Nachfolger von J. Haas die Leitung einer Meisterklasse für Komposition an der Münchner Musikhochschule, deren Direktor er 1953-54 und deren Präsident er 1954-77 war. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: 2 kleine Sonaten, op. 32 (1943) für Klv. zu 4 Händen, umgearbeitet als: Petite symphonie I u. 11; op. 32a (1965, 1969) für Orch.; 3 kleine Sonaten, op. 41 (1946), danach 2 Sonaten für 2 Klv., op. 41a (1967); Sonatinen I u. II, op. 58 (1962); Tessiner Klavierbuch, op. 57 (1961). - Für Org.: Partita, op. 1 (1929); 2 Choralvariationen, op. 22 (1936); Ciacona, op. 54 (1950); Choralpassacaglia, op. 61 (1962); Orgelkonzert, op. 15 (1932, Neufassung 1962). - Kammermusik: 8 V.-Sonaten, op. 4 (1929, revidiert 1968), op. 30 (1942), op. 33 (1943), op. 35 (1944), op. 37 (1945), op. 39 (1946), op. 44 (1947), umgearbeitet als Sonate für Orch., op. 44a (1966) u. op. 52 (1949); Vc.-Sonate, op. 31 (1943), Fassung für Va. u. Klv. (1967); 2 F1.-Sonaten, op. 45 (1947) u. op. 53 (1948); Bratschensonate, op. 62, „in memoriam P. Hindemith" (1967); Triosonate, op. 38 (1946), umgearbeitet als Concerto grosso für 2 V. u. Klv., op. 38 (1965); Klv.Trio, op. 34 (1944), neue Fassung für Harfe, V. u. Vc. (1966); 6 Streichquartette: op. 24 (1938, revidiert 1966), op. 36 (1945), op. 42 (1947), op. 43 (1947), op. 48 (1948) u. op. 51 (1959); Klv.Quartett, op. 7 (1930, revidiert 1955); Klar.-Quintett, op. 46 (1947), umgearbeitet als Serenade für Kammerorch., op. 46a (1957). - Für Orch.: Hymnen (1933), 4 symphonische Sätze über gregor. Choralmelodien; Symphonische Fantasie über ein Thema v. Frescobaldi, op. 20 (1935, neue Fassung 1965); Passacaglia u. Fuge nach Frescobaldi (1939); Heroische Musik (1940); 1. Symphonie cis-moll (1945); Fuge für Streichorch. (1949); Sweelinck Variationen, „Mein junges Leben hat ein End", op. 56 (1950);

Sonate für Orch. (1966); Permutation (1970). - Konzerte für: Cemb. (1934); je zwei für V. (1938, neue Fassung 1964, 1948), Vc. (1940, 1948), Klv. (1950, 1973); ferner je ein Concertino für Klv. (1956) u. FI. (1958). - 2) Volal-WW: Missa brevis, op. 3 (1929) für Soli u. Chor; Motette Media vita, op. 8 (1930) für 4-8st. Männerchor; Eine kleine Weihnachtsmusik, op. 12a (1930) für Frauenchor, V. u. Org.; Passionsmusik, op. 12b (1930) für Sopran, Frauenchor, V. u. Org.; 6 geistliche Gesänge, op. 17 (1932) für Sopran u. Org., ferner 3 altdt. Minnelieder, op. 5 (1929) für mittlere SingSt u. Klv.; Hymnischer Gesang, op. 13 (1933) für Männerst. oder gem. Chor u. Orch. - Ferner Hörspiel u. Filmmusik.

In seinem überwiegend instrumentalen Schaffen, das sowohl Einflüsse von A. Bruckner über M. Reger bis P. Hindemith wie auch solche von Cl. Debussy und M. Ravel bis I. Strawinsky aufweist, entwickelte H. eine eigen-persönliche Musiksprache, in der sich kontrapunktische Satzstrenge und eine gelegentlich impressionistische Klangsinnlichkeit durchdringen. Lit.: U. STURZBECHER, K. H., in: Werkstattgespräche mit H. LINDLAR

Komponisten (Kö 1971).

HOLLER, York (Georg), *11. 1. 1944 Leverkusen; dt. Komponist. Er studierte 1963-70 an der Kölner Musikhochschule bei B. A. Zimmermann (Komposition), H. Eimert (elektronische Musik) und Alfons Kontarsky (Klavier) und legte 1967 das Staatsexamen in Schulmusik ab. H., Stipendiat u. a. der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt und der Villa Massimo in Rom, lebt als freischaffender Komponist in Köln, wo er liveelektronische Musik beim WDR und an der Musikhochschule realisiert, an der er seit 1976 auch einen Lehrauftrag für Theorie und Analyse innehat. Seit 1977 zunehmend am. Pariser Institut für Medienmusik (IRCAM) und an den Informationszentren der westeuropäischen Avantgarde aufgeführt, zählt H. zu den in der Integration instrumentaler und elektronischer Musik begabten Tonsetzern. WW: Diaphonie (1965) für 2 Klv.; Sonate (1968) für Klv.; Sonate (1969) für Vc. solo; Epitaph (1969) für V. u. Klv.; 4-Kanal-Komposition Horizont (1972); Tangens (1974) für Vc., elektrische Gitarre u. Org., Klv. u. 2 Synthesizer; Klanggitter (1977) für Vc., Klv., Synthesizer u. Tonband; Antiphon (1977) für Streichquartett; Mythos (1979/80) für 15 Instr. u. Tonband. - Topic (1967) für Orch.; Chroma (1978) für großes Orch. u. elektronisch transformierte Org.; Arcus (1978) für Kammerorch. u. Tonband; Umbra (1980) für Orch. u. 4-Kanal-Tonband; Surreal (1980) für Orch. u. Elektronik. H. LINDLAR

HOLLIGER, Heinz, * 21.5.1939 Langenthal (Kanton Bern); Schweizer Oboist und Komponist. Er studierte in Bern, Paris und Basel (Oboe bei Pierre Pierlot, Komposition bei S. Veress und P. Boulez), war 1959-63 Solooboist im Orchester der Basler Orchester-Gesellschaft, errang bei internationalen Wettbewerben 1. Preise (Genf 1959, München 1961) und begann damit seine Konzertkarriere. 1966 übernahm er eine Oboenklasse an der Freiburger Musikhochschule. Sein Repertoire umfaßt Werke aller Stilepochen seit dem 17. Jh. bis heute. Zahlreiche namhafte Komponisten schrieben für ihn Werke, die seine blastechnisch-klanglichen Neuerungen berücksichtigen. WW: 1) llastr.-WW: Sonatine für Klv. (1958); Elis (1961, revidiert 1966) (nach G. Trakl), 3 Nachtstücke für Klv., Fassung für Orch. (1963-73); Sequenzen über Johannes I, 23 (1962) für Harfe; Improvisationen für Ob., Harfe u. 12 Instr. (1963); Mobile (1964) für Ob. u. Harfe; Trio für Ob. (Engl. Horn), Va. u. Harfe (1966); „h"für Bläserquintett (1968); Pneuma (1970) für Bläser, Schlagzeug, Orgel u. Radios, Fassung für kleines Bläserensemble (1971); Cardiophonie (1971) für einen Bläser u. Magnetophone, Fassung für Fl., Klar., Trp. oder Pos. (1971); Kreis (1972) für 4-7 Spieler; Streichquartett (1973); Atembogen (1975) für Orch. - 2) Volal-WW: Kantate Erde u. Himmel (1961) für Tenor, Fl., Streichtrio u. Harfe; Glühende Rätsel (1964) (Text: N. Sachs) für Alt u. 10 Instr.; Siebengesang (1967) für Ob., 4 Soprane, 3 Alt, groBes Orch. u. Lautsprecher; Dona nobis pacem (1969) für 12 SingSt; Psalm (1971) (Text: P. Celan) für gem. Chor; Die Jahreszeiten (1975) (Text: Fr. Hölderlin), 4 Gedichte nach Scaranelli für gem. Chor. - 3) Bühnen-WW: Der magische Tänzer (Text: N. Sachs), 2 Szenen für 2 Sänger, 2 Tän-

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Hollingue zer, 2 Schauspieler, Chor, Orch. u. Tonband, UA: Basel 1970; Kurzoper Come and Go (Libr.: S. Beckett), UA: Hamburg 1978; Monodram Not I für Frauenst. u. Live-Elektronik, UA: Avignon 1980.

H.s eigene Kompositionen zeichnen sich durch subtile Klanglichkeit vorwiegend kammermusikalischer, z. T. experimenteller Besetzung aus; unter ihnen befinden sich auch Werke für seine Frau, die Basler Harfenistin Ursula Holliger-Hänggi. Mit seinen instrumental-vokal gemischten Kompositionen seit 1971 näherte er sich (nach eigenen Worten) „dem Fühlbar-, ja Sichtbarmachen der extremen physischen und psychischen Bedingungen, unter denen diese Klänge entstehen". Lit.: J. HÄUSLER, H. H., in: SMZ 107 (1967); R. LUCK, War die Ob. 100 Jahre tot?, in: Werkstattgespräche mit Interpreten Neuer Musik (Kö 1971); C. GOTTWALD, Bausteine zu einer Theorie der Neuen Vokalmusik, in: FS L. Strecker (Mz 1973) (zu H.s „Psalm"). H. LINDLAR

HOLLINGUE, Jean de, /Mouton, Jean. HOLLREISER, Heinrich, * 24.6.1913 München; dt. Dirigent. Nach seiner Ausbildung an der Akademie der Tonkunst sowie bei K. Elmendorff in München wurde H. 1932 Opernkapellmeister in Wiesbaden, 1935 in Darmstadt, 1938 1. Kapellmeister in Mannheim und kam nach einem Engagement in Duisburg 1942 an die Bayerische Staatsoper in München. 1945-52 war er GMD (für Oper und Konzert) in Düsseldorf, dann bis 1961 1. Kapellmeister an der Wiener Staatsoper sowie bis 1964 Chefdirigent und musikalischer Oberleiter an der Deutschen Oper in Berlin. Seither ist er dort wie auch in München und Wien als ständiger Gastdirigent tätig. 1956 wurde ihm von der Republik Österreich der Titel Professor verliehen. HOLLWEG, Ilse, * 23.2.1922 Solingen; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte bei Gertrude Förstel an der Kölner Musikhochschule und debütierte 1943 in Saarbrücken. 1946 wurde sie als 1. Koloratursopran an die Oper in Düsseldorf verpflichtet. 1950 wirkte sie erstmals bei den Festspielen in Glyndebourne und Edinburgh mit und sang 1951/52 auch in Hamburg und Berlin. 1952 wurde sie Mitglied der Wiener Staatsoper und ging 1955 wieder nach Düsseldorf, wo sie bis 1970 blieb. Während dieser Zeit wurde sie durch Konzerttourneen und Operngastspiele in allen Musikzentren Europas und auch in Nordamerika besonders als Mozart- und Strauss-Interpretin bekannt. Außerdem sang sie häufig in Uraufführungen von Werken zeitgenössischer Komponisten (A. Schönberg, L. Nono, P. Boulez). Lit.: K. RUHRBERG, I. H. (Duisburg 1971).

HOLM, Renate, * 10.8. 1931 Berlin; dt. Sängerin 112

(lyrischer u. Koloratursopran). Sie war Schülerin von Maria Ivogün, Waltraut Waldeck und Maria Hittorf. Seit 1953 wurde sie durch Operettenfilme und als Schlagersängerin bekannt. 1957 debütierte sie als Opernsängerin an der Wiener Volksoper und 1961 an der Wiener Staatsoper (Ensemblemitglied seit 1964). R. H. sang 1961-64 bei den Salzburger Festspielen und 1975 bei den Osterfestspielen. Sie gastierte u. a. in Buenos Aires, Moskau und London. Ihr Repertoire reicht von der klassischen Operette und dem Wienerlied über W. A. Mozart, G. Rossini, G. Verdi und G. Puccini bis zu R. Strauss. Produktionen für Funk, Fernsehen und Schallplatte ergänzen ihre Tätigkeit. HOLMBOE, Vagn, * 20. 12. 1909 Horsens (Jütland); dänischer Komponist. Er studierte 1927-30 bei Kn. Jeppesen und F. Hoffding am Konservatorium in Kopenhagen, anschließend bei E. Toch in Berlin. 1933-34 hielt er sich zum Studium der Volksmusik in Rumänien auf. 1940-47 war er Professor für Chordirigieren und Gehörbildung am königlichen Blindeninstitut, 1947-55 Musikkritiker bei der Zeitung Politiken und 1950-65 Professor für Theorie und Komposition am Konservatorium in Kopenhagen. H. gehört zu den führenden dänischen Komponisten. In seinen Werken, bes. in den Streichquartetten, ist eine Verschmelzung Bartókscher Einflüsse mit nordischen Elementen spürbar. WW: 1) Instr.-WW: Fanden les i Voldmosen (1971) für Klar., 2 V. u. Kb.; Musik for fugte og freer (1971) für 2 Fl. u. 16 Fag.; Ondata (1972) für Schlagzeug; Triade für Trp. u. Org. (1975); Firefir (1977) für 4 Fl.; 14 Streichquartette (1941-75); Quintett für 2 Trp., Horn, Pos. u. Tuba (1961); Sextett für Fl., Klar., Fag., V., Va. u. Vc. (1973). - Für Orch.: symphonische Metamorphosen Epitaph (1956) u. Monolith (1960) sowie Epilog (1961); Tempo variabile (1972); 10 Symphonien: 1 (1935), 2 (1939), 3 (1941), 4 (1941, revidiert 1945), 5 (1944), 6 (1947), 7 (1950). 8 (1952), 9 (1968, revidiert 1969), 10 (1971, revidiert 1972); Sinfonia in memoriam (1955); Konzerte für: Vc. (1974), Fl. (1976) und Tuba (1976). - 2) Vokal-WW: Solhymne, op. 77 (1960) u. Beatus vir, op. 96a (1967) für gem. Chor a cap.; Requiem for Nietzsche, op. 84 (1964) für Soli, Chor u. Orch.; Edward (1971) für Bar. u. Orch.; The Wee-Wee Man (1971) für Tenor u. Orch.; Beatus parvo (1973) für Chor u. Kammerorch. 3) Schriften: Tre symfonier, in: Modern nordisk musik, hrsg. v. I. Bengtsson (Sto 1957) (mit Werk-Verz.); Mellemspil (Kop 1966, '1968). Lit.: A. D. MCCREDIE, in: The Chesterian 36 (1961) Nr. 208; R. LAYTON, V. H. and the Quartet, in: MT 110 (1969); B. WALLNER, in: Dansk musiktidsskrift 45 (1969) (zur 5. Symphonie); Werk-Verz. v. S. Berg, in: ebd.; V. H. A Catalogue of His Music. Discography, Bibliography, Essays, hrsg. v. P. RAPoPORT (Lo 1974).

HOLMÉS, Augusta Mary Anne (Pseud.: Hermann Zenta), *16. 12. 1847 Paris, t 28. 1. 1903 ebd.; frz. Komponistin irischer Herkunft. Sie war eine aufsehenerregend schöne Frau von vielseitiger künstlerischer Begabung. Auf musikalischem Gebiet bildete

Holst sie sich zunächst autodidaktisch, studierte später noch bei C. Franck und war auch mit C. Saint-Saëns befreundet. Die größte Bewunderung hegte sie jedoch für R. Wagner. Wie er wollte sie ihr eigener Textdichter sein, und ihn suchte sie in manchen ihrer Werke geradezu sklavisch nachzuahmen. Populär in Frankreich blieb einzig ihr volksliedartiges Noël. A. H. lebte mit dem Dichter Catull Mendès zusammen, der auch ihr literarischer Mentor war. WW: Zahlr. Klv.-Lieder; viele Orch.-Werke, symphonische Dichtungen, teilweise mit Vokal-Teilen, u. a.: Lutèce (P zw. 1879 u. 1880); Les Argonautes (P 1881); Irlande (P 1883); Ludus pro patria (P 1888); Ode triomphale (P 1889); ferner die Oper La montagne noire, UA: Paris 1895. Lit.: P. BARILLON-BAUCHE, A. H. et la femme compositeur (P 1912); R. PICHARD DU PAGE, Une musicienne versaillaise, A. H. (P 1921); R. MYERS, A. H. A Meteoric Career, in: MQ 53 (1967).

HOLOUBEK, Ladislav, * 13.8. 1913 Prag; slowakischer Komponist und Dirigent. Er studierte 1926-33 bei A. Moyzes an der Preßburger Musikakademie und 1934-36 bei V. Novák an der Meisterschule in Prag. 1933-53 war er Dirigent am Slowakischen Nationaltheater in Preßburg, leitete 1952-55 das dortige Künstlerische Militärensemble und war 1955-58 Opernchef in Košice. 1958 wurde er Chefdirigent des Slowakischen Nationaltheaters in Preßburg. WW: Kammermusik, u. a. 3 Streichquartette (1935, 1946, 1964); zahlr. Orch.-Werke, darunter eine Symphonie (1947); Liederzyklen u. Chorwerke. — Opern: Stella, VA: Bratislava 1939, revidierte Fassung: Košice 1957; Svitanie (Morgendämmerung), VA: Bratislava 1941; Tužba (Sehnsucht), VA: ebd. 1944; Rodina (Die Familie), UA: ebd. 1960; Professor Mamlock, VA: ebd. 1965. Lit.: Contemporary Czechoslovak Composers, hrsg. v. C. GARDAVSKY (Pr 1965).

HOELSCHER, Ludwig, * 23.8. 1907 Solingen; dt. Violoncellist. Er studierte in Köln, München (Wilhelm Lamping), Leipzig (J. Klengel) und Berlin (Hugo Becker). Seine internationale Karriere begann er als Kammermusikspieler. 1931-40 bildete er mit W. Stross (bzw. seit 1934 mit M. Strub) und Elly Ney ein Klaviertrio, trat dann aber auch ebenso erfolgreich als Solist unter den bedeutendsten Dirigenten in aller Welt hervor. Später spielte er auch im Trio mit G. Taschner und W. Gieseking. 1937 wurde H. Professor an der Berliner Musikhochschule, 1938 am Mozarteum in Salzburg und leitete 1954-72 eine Meisterklasse an der Musikhochschule Stuttgart. H. widmet sich bes. den Werken von J. S. Bach und M. Reger sowie Werken zeitgenössischer Autoren. H. Pfitzner, J. N. David, P. Hindemith, E. Krenek, W. Fortner, K. Höller, H. W. Henze u. a. widmeten ihm Kompositionen. Er schrieb: H. Pfitzner und seine Werke für Violoncello (in: Mitt. der H.-Pfitzner-Ges. 20, 1967).

Lit.: E. VALENTIN, Cello, das Instr. u. sein Meister L. H. (Pfullingen 1955); G. STRUTH, L. H., in: NZfM 117 (1956); M. KAINDL-HÖNIG, L. H. (Genf 1962) (= Die großen Interpreten o. Nr.); W.-E. VON LEWINSKI, L. H. (Tutzing 1967).

HOELSCHER, Ulf, * 17. 1. 1942 Kitzingen; dt. Violinist. Er studierte an den Musikhochschulen in Heidelberg und Köln sowie in den USA an der Indiana University in Bloomington und am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Als Preisträger mehrerer Wettbewerbe führten ihn Konzertreisen mit großem Erfolg durch Europa, in die UdSSR sowie nach Übersee. H., der zu den führenden deutschen Violinisten der Gegenwart zählt, setzt sich neben dem klassischen Repertoire stark für zeitgenössische Werke ein; u. a. spielte er die Uraufführung von H. W. Henzes 2. Violinkonzert (1971). HOLSCHNEIDER, Andreas, * 6.4.1931 Freiburg im Breisgau; dt. Musikforscher. Er studierte 1950-55 Klavier bei Edith Picht-Axenfeld an der Freiburger Musikhochschule und 1956-60 Musikwissenschaft an den Universitäten in Heidelberg, Wien und Tübingen, wo er 1960 bei W. Gerstenberg mit einer Dissertation über Händels „Messias" in Mozarts Bearbeitung promovierte. Nach einem Studienaufenthalt 1960-61 in Italien war er 1961-67 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg, an der er sich 1967 mit einer Arbeit über Die Organa von Winchester habilitierte und 1972 zum Professor ernannt wurde. Seit 1970 ist H. Leiter der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon Ges. (Polydor International). Schriften: Neue Mozartiana in Italien, in: Mf 15 (1962); Zu Schuberts „Frühlingsglaube", in: FS O. E. Deutsch (Kas 1963); Die Organa v. Winchester. Stud. zum ältesten Repertoire polyphoner Musik (Hil 1968); C. Ph. E. Bachs Kantate „Auferstehung und Himmelfahrt Jesu" u. Mozarts Aufführung des Jahres 1788, in: Mozart-Jb. 1968/70; Unbekannte Beethoven-Skizzen in Bergamo, in: Anal. Mus. 9 (1970); Zur Aufführungspraxis der Marien- Vesper v. Monteverdi, in: Hamburger Jb. für Musikwiss. 1 (1974); Bach-Rezeption und Bach-Interpretation im 20. Jh., in: Musica 30 (1976); Die instr. Tonbuchstaben im Winchester Tropar, in: FS G. von Dadelsen (St 1978). — H. edierte u. a.: W. A. Mozart, Der Messias (Kas 1961) (= Neue Mozart-Ausg. X/28, 1, Bd. 2); ders., Das Alexanderfest (Kas 1962) (= ebd. X/ 28, 1, Bd. 3).

HOLST, Gustav Theodore, * 21.9. 1874 Cheltenham, t 25.5. 1934 London; engl. Komponist schwedischer Herkunft. Er studierte bei Ch. Stanford am Royal College of Music in London, wo er 1919-23 selbst Lehrer für Komposition war. Aus gesundheitlichen Gründen widmete er sich danach ausschließlich der Komposition. WW (alle in London erschienen): 1) Instr.-WW: Für Orch.:

Somerset Rhapsody (1907); St. Paul's Suite (1913); Japanese Suite (1915); The Planets (1916); Fugal Ouverture (1922); Hammersmith (1930) (hsl.); Brook Green Suite (1933); Fugal Concerto (1923) für Fl., Ob. u. Str.; Konzert für 2 V. u. Orch. (1929); Lyric Movement (1933) für Va. u. kleines Orch. — 2) Vokal-WW:

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Holzbauer Etwa 40 Lieder; zahlr. Chorwerke, u. a.: King Estmere (1903); Choral Hymns from the Rig Veda (1908-12); The Cloud Messenger (1910); Hymn to Dionysus (1911); A Dirge for two Veterans (1914); Three Festival Choruses (1916); The Hymn of Jesus (1917); 6 Choruses (1932). — 3) Bühnen-WW: Opern: Savitri (1908), UA: London 1916; The Perfect Fool (1921), UA: ebd. 1923; At the Boar's Head (1924), UA: Manchester 1925; The Tale of the Wandering Scholar (1929), UA: Liverpool 1934; ferner die Chorballette The Golden Goose (1926) u. The Morning of the Year (1927). — Collected Facs. Edition, hrsg. v. I. HOLST — C. MATTHEws (Lo 1974ff.).

H. beruft sich für sein Schaffen auf ältere englische Komponisten wie Th. Weelkes und H. Purcell, ließ sich aber gleichermaßen vom englischen Volksgesang wie von der orientalischen Philosophie inspirieren, um auf diese Weise dem Einfluß von J. Brahms und R. Wagner zu entgehen. Sein bedeutendstes oratorisches Werk, The Hymn of Jesus (auf

einen griechischen Text), enthält Elemente des Gregorianischen Gesangs und verwendet in Rhythmik und Tonalität neuartige Gestaltungsmittel. H.s auch über England hinaus bekanntestes Werk ist die symphonische Suite The Planets. Lit.: R. Vaughan Williams — G. H. Heirs and Rebels. Letters Written to Each Other and Occasional Writings on Music, hrsg. v. U. VAUGHAN WILLIAMS — 1. HOLST (Lo 1959, Nachdr. NY 1974); I. PARROTT, H.'s „Savitri" and Bitonality, in: MR 28 (1967); I. HOLST, H.'s Music. Some Questions of Style and Performance at the Centenary of His Birth, in: Proc. R. Mus. Assoc. 100 (1973/74); M. SHORT, G.M. 1874-1934. A Centenary Documentation (Lo 1974); J. WARRACK, H. and the Linear Principle, in: MT 115 (1974); I. HOLST, A Thematic Catalogue of G. H.'s Music (Lo 1974); DIES., H. (Lo 1974); G. H. Collected Essays, hrsg. v. S. LLOYD — E. RUBBRA (Lo 1974).

HOLZBAUER, Ignaz Jakob, *17. 9. 1711 Wien, # 7.4.1783 Mannheim; östr. Komponist. Er be-

gann in Wien ein Studium der Rechte und der Theologie, widmete sich bald aber ausschließlich der Musik, ermutigt durch J. J. Fux, dessen Gradus ad Parnassum er als Autodidakt studiert hatte. Er erweiterte seine Kenntnisse durch eine Reise nach Venedig, wo er vermutlich B. Galuppi begegnete. Nach seiner Rückkehr wurde er um 1736 Kapellmeister des Grafen Rottal zu Holleschau in Mähren, dann, um 1742, am Burgtheater in Wien, wohin er nach einem erneuten Aufenthalt in Italien (um 1744-1747) zurückkehrte. 1751 wurde er Oberkapellmeister am Württembergischen Hofe in Stuttgart, 1753 am Kurpfälzischen Hofe in Mannheim. Er unternahm noch drei weitere Reisen nach Italien (1757, 1758, 1759) und war wahrscheinlich mehrfach in Paris. Als der Hof 1778 nach München übersiedelte, blieb H. in Mannheim. H. wird meist zur ersten Generation der řMannheimer Schule gerechnet. Von Fux' Theorien ausgehend, hat er sich immer wieder aktuelle musikalische Strömungen assimiliert. Diese wurden von ihm am selbständigsten in seinen zahlreichen, zu ihrer Zeit weitver114

breiteten Messen verarbeitet, die auch W. A. Mozart bei seinem Mannheimer Aufenthalt stark beeindruckten. Das gilt ähnlich auch für H.s Oper Günther von Schwarzburg, die ungeachtet ihres deutschen Textes und ihres Sujets aus der deutschen Geschichte eine echte Opera seria ist. Sie war denn auch nicht unmittelbar maßgebend für die Entwicklung einer eigenständigen deutschen Oper, sondern wirkte eher indirekt, auf dem Wege über Mozart, in dessen Zauberflöte sich deutliche Spuren dieses Werkes zeigen. WW: 1) Instr.-WW (meist hsl. erhalten): 5 Werke für Streichtrio; 24 Werke für Streichquartett; 3 Divertimenti für 5 Streichinstr.;

5 Quintette für Fl., V., Va., Vc. u. Cemb.; 3 Sextuors für Fl., Ob.. V., Va., Vc. u. B. (P o. J.); für Orch.: zahlr. Symphonien, davon 29 gedruckt; 4 Sinfonie concertanti für versch. Instr.; Konzert für Fl.; Konzert für Va. u. Vc. — 2) Vokal-WW: Über 40 Messen, davon 39 hsl. erhalten (München, Bayerische Staatsbibl.; Briinn, Moravske Museum); Motetten u. a. kirchenmusikal. Werke; Oratorium La Betulia liberata, UA: Mannheim 1760 (hsl.). — 3) Biibueo-WW: Opern: erhalten sind Nitetti, UA: Turin 1758; Alessandro nell'Indie, UA: Mailand 1759; Günther von Schwarzburg, UA: Mannheim 1777. Ausg.: Günther von Schwarzburg, hrsg. v. H. KRETsCHMAR (1902) (= DDT 8/9); Symphonie La tempestà del mare, in: Sinfonien der pfalzbayerischen Schule II/1, hrsg. v. H. RIEMANN (1906) (= DTB 7/2); Divertimento Es-Dur, in: Mannheimer Kammermusik des 18.Jh., hrsg. v. DEMS. (1914) (= DTB 15); Sinfonia a tre B-Dur, hrsg. v. H. ZIRNBAUER (Mz 1940); Instr. Kammermusik, hrsg. v. U. LEHMANN (1953) (= EDM 24); Fl.-Konzert D-Dur, hrsg. v. I.GRONEFELD (Mn 1958) (= Leuckartiana 19); Sinfonia E-Dur, hrsg. v. E. RABSCH (H 1960); Quintett G-Dur für Fl., V., Va., Vc. u. Cemb., hrsg. v. F. SCHROEDER (Wie 1963) (= Coll. Mus. 111); Sinfonia D-Dur, hrsg. v. DEMS. (W 1968) (= Diletto mus. 166); Divertimento für 2 Fag. u. 2 Hörner, hrsg. v. K. JANETZKY (L 1969); Sinfonia à 10, op. 4, Nr. 3, hrsg. v. G. KEHR (Mz 1970); Concerto für Va. u. Vc., hrsg. v. U. DRONER (Z 1976). Lit.: CH. F. D. SCHUBART, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, in: Gesammelte Schriften V (St 1839); F. WALTER, Gesch. des Theaters u. der Musik am kurpfälzischen Hofe (L 1898, Nachdr. Hil 1968) (darin Nachdr. v. H.s Autobiogr.); W. KURTHEN, Zur Gesch. der dt. Singmesse, in: KmJb 26 (1931); F. WALDKIRCH, Die konzertanten Sinfonien der Mannheimer im 18. Jh. (Ludwigshafen 1931); G. REICHERT, Zur Gesch. der Wiener Messenkomposition in der ersten Hälfte des 18. Jh. (Diss. W 1935); H. WERNER, Die Sinfonien v. I. H. (Diss. Mn 1942); U. LEHMANN, H., in: MGG VI; E. SCHMITT, Die kurpfälzische Kirchenmusik im 18. Jh. (Diss. Hei 1958); R. MONSTER, Mozart u. H., in: Mozart-Jb. 1959; E K. u. J. K. WOLF, Manuscripts from Mannheim, in: JAMS 27 (1974); K. ALTMANN, Die Messen v. I. H. (Diss. Bonn 1983). K. ALTMANN

HOLZBLASINSTRUMENTE (abgekürzt auch: Holz; engl.: woodwind instruments oder wood; frz.: bois; it.: legni; span.: instrumentos de madera), Sammel-Bz. für die im modernen Orchester benutzten Blasinstrumente, die entweder ein Mundloch (Piccoloflöte, Querflöte), ein einfaches Rohrblatt (Klarinette, Saxophon) oder ein doppeltes Rohrblatt (Oboe, Englisch Horn, Fagott, Kontrafagott) haben. Die meisten, aber nicht alle In-

Homilius strumente dieser Gruppe bestehen tatsächlich aus Holz (Ebenholz, Palisander). Trotzdem zählen auch Flöten aus Silber oder Saxophone aus Metall wegen der gleichen Spieltechnik zu den Holzblasinstrumenten. Lit.: A. BAINES, Woodwind Instruments and Their History (Lo 1957 '1967, Nachdr. 1977); J. MEYER, Akustik der H. in Einzeldarstellungen (F 1966) (= Fachbuchreihe Das Musikinstr. 17); C. J. NEDERVEEN, Acoustical Aspects of Woodwind Instrument (A 1969); E. NICKEL, Der Holzblasinstrumentenbau in der Freien Reichsstadt Nürnberg (Mn 1971); B. BARTOLOZZI, Neue Klänge für H. (Mz 2 1971).

HOLZBLOCK (engl.: wood block; frz.: bloc de bois; it.: cassettina; span.: caja china), Aufschlag-

idiophon asiatischen Ursprungs, bestehend aus einem rechteckigen Stück Hartholz (Nußbaum, Jacaranda oder Palisander) mit oberseitiger Wölbung, schlitzförmigen Aushöhlungen an den Längsseiten und Aussparungen für einen Gabelhalter oder Ständer. Angeschlagen wird das Instrument mit Schlägeln verschiedener Art oder Trommelstöcken. Den H. gibt es in verschiedenen Größen (mittlere Größe ca. 18 x 7,5 x 4 cm) und Tonhöhen, wobei im Orchester meist 3 (hoch, mittel und tief) vorgeschrieben sind. — Auf dem Umweg über die Jazzband, wo er heute die Röhrenholztrommel ersetzt, fand der H. in den 20er Jahren in vielen Werken der Neuen Musik Verwendung, u. a. bei P. Hindemith (Kammermusik No. 1), E. Varèse (Intégrales) und S. Prokofjew (5. Symphonie). Er gehört auch zu den Schlaginstrumenten im Orff -Schulwerk. HOLZGESCHNITZTE PRINZ, DER (A fából faragott királyfi), Tanzspiel in einem Akt von Béla Bartók (1881-1945), op. 13; Libretto: Béla Balász (1884-1949). UA: 12. 5. 1917 in Budapest (Königl. Oper), Choreographie: Otto Zöbisch; dt. EA: 1922 in Frankfurt am Main, Choreographie: Ilse Petersen. In Anlehnung an I. Strawinskys Ballett Petruschka (1911) komponierte Bartók in den Jahren 1914-16 die Musik zu dem Tanzspiel Der holzgeschnitzte Prinz; das Libretto verfaßte B. Balász nach einem magyarischen Märchen: Prinz, Prinzessin, Holzpuppe, Fee und verzauberte Natur sind die Handlungsträger. Bevor Prinz und Prinzessin als Liebende zueinanderfinden, erkennt die Prinzessin, daß sie sich von einer leblosen Holzpuppe hat blenden lassen. — Der Wechsel von situationsverändernden Abschnitten und den sieben Tänzen des Balletts spiegelt sich in der Disposition der Komposition wider. Deren kammermusikalische Intensität bleibt stets gewahrt, weil die aufwendige Orchesterbegleitung vor allem dazu dient, eigenwillig differenzierte Klangkombinationen zu erzielen. Bei der musikalischen Ausgestaltung orientierte sich

Bartók an rhythmischen und melodischen Modellen ungarischer Volksmusik. — Nicht zuletzt wegen seiner choreographischen Konzeption wurde das Werk, das Graf Bánffy, der Intendant der Königlichen Oper, in Auftrag gegeben hatte, bei der UA mit geringer positiver Kritik aufgenommen. Neuinszenierungen schufen u. a. V. Kratina (Hellerau 1923), H. Kröller (München 1924), G. Harangozó (Budapest 1939), A. von Milloss (Venedig 1950), D. Hoyer (Hamburg 1951), H. Freund (Frankfurt am Main 1956), E. Walter (Wuppertal 1962) und L. Seregi (Budapest 1970). G. LUDIN HOLZHAY, Johann Nepomuk, * 26.2.1741 Rappen bei Mindelheim, t 17.9. 1809 Ottobeuren; dt. Orgelbauer. Er lernte bei seinem Onkel Alexander H. sowie bei K. J. Riepp und ließ sich in Ottobeuren nieder. Mit ihm vollzog sich im süddeutschen Orgelbau der Übergang vom spätbarocken zu einem klassizistischen Stil. Instrumente H.s sind (z. T. verändert) erhalten in Ursberg/Schwaben (um 1775; 2 Man., 26 Reg.), Obermarchtal/Württemberg (1784; 3 Man., 41 Reg.), Weißenau bei Ravensburg (um 1780; 3 Man., 40 Reg.), Rot an der Rot (1785-93; 3 Man., 36 Reg.) und Neresheim (1797; 3 Man., 48 Reg., 1929 völlig verändert, 1975-79 nicht ganz original restauriert). Lit.: R. WEBER, Die Orgeln v. J. Gabler u. J. N. H. (Kö 1933); W. SUPPER — K. MEYER, Barockorgeln in Oberschwaben (Kö 1941); Der Barock, seine Orgeln u. seine Musik in Oberschwaben, hrsg. v. W. SUPPER (B 1952).

HOLZSCHLÄGEL, Schlagstock für Trommeln, Gongs und Metallophone, dessen Kopfteil mit Filz oder Leder bezogen ist oder aus elastischem Material besteht. HOMILIUS, Gottfried August, * 2.2.1714 Rosenthal bei Königstein (Sachsen), t 5. 6. 1785 Dresden; dt. Komponist. Er immatrikulierte sich 1735 an der Universität Leipzig und war wahrscheinlich gleichzeitig Schüler von J. S. Bach. 1742 wurde er Organist der Frauenkirche in Dresden und 1755 Kantor an der Kreuzschule und Musikdirektor der drei Hauptkirchen. Zu seinen Schülern zählen J. A. Hiller, J. Fr. Reichardt und D. G. Türk. H., der zu seiner Zeit gelegentlich als der bedeutendste Kirchenkomponist bezeichnet wurde, ist der letzte nennenswerte Vertreter der protestantischen Kantatenkomposition des 18. Jh. Aus seinem reichen Schaffen sind auch die Motetten und die (meist choralgebundenen) Orgelwerke zu erwähnen. WW: Im Druck erschienen: Sechs Arien (Dresden 1786); Passions-Kantate (L 1775); Weihnachtsoratorium Die Freude der Hirten über die Geburt Jesu (Frankfurt/Oder 1777); 5 Motetten u. eine Arie für Chor, in: J. A. Hiller, Vierst. Motetten u. Arien, 6 H.e (L 1776-81); 7 Lieder, in: Gesänge für Maurer... (1782)

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Homophonie sowie in: Sechs Arien für Freunde ernsthafter Gesänge (Dresden 1786); hsl erhalten sind Praeludien u. Choralvorspiele für Org.; eine Markus-Passion u. Passionskantaten; Singgedicht Der Messias; ca. 140 Kantaten; über 50 Motetten, 2 davon mit griech. Text; 3 Choral-Slgen. mit B.c.; hsl. erhalten ist auch eine Abh. über den GeneralbaB. Ausg.: 5 Choralbearb. u. 6 Choralvorspiele, hrsg. v. G. FEDER (Lippstadt 1957) (= Die Orgel I-II); 2 Motetten, in: 4 Motetten der Bachschule, hrsg. v. DEMS. (Wb 1963) (= Chw 89). Lit.: K. HELD, Das Kreuzkantorat zu Dresden, in: VfMw 10 (1894); R. STEGLICH, K. Ph. E. Bach u. der Dresdner KreuzkantorG. A. H. im Musikleben ihrer Zeit, in: Bach-Jb. 12 (1915); R. SIETZ, Die Orgelkompositionen des Schülerkreises um J. S. Bach, in: ebd. 32 (1935); G. FEDER, H., in: MGG VI; R.E. SNYDER, The Choral Music of G.A. H. 1714-1785, 2 Bde. (1970) (= Diss. Univ. of Iowa); H. JOHN, G. A. H. und die ev. Kirchenmusik Dresdens im 18. Jh. (Diss. HI 1973); DERS., Zum kompositorischen Werk G. A. H.', in: BzMw 19 (1977).

HOMOPHONIE (von griech. homos = gleich und phöně = Klang), Bz. für eine vertikal orientierte Satztechnik, bei der alle Stimmen im gleichen oder fast gleichen Rhythmus gesetzt sind, d. h. bei der eine Stimme Note gegen Note durch Klänge harmonisiert wird (Contrapunctus simplex; /Kontrapunkt) bzw. begleitende Stimmen einer melodieführenden Stimme völlig untergeordnet werden, im Gegensatz zur horizontal orientierten Satztechnik von rhythmisch-melodisch selbständigen Stimmen in der /Polyphonie. Das Begriffspaar Homophonie—Polyphonie bietet allerdings nur eine unscharfe Abgrenzung, die die vielfältigen satztechnischen Möglichkeiten nicht differenziert erfassen kann. H. begegnet in der älteren Musik u. a. als /Discantus, mehrstimmiger /Conductus und /Hymnus, /Faburdon, /Fauxbourdon, řNoëma, /Frottola, /Villanella, /Musique mesurée à l'antique, /Kantionalsatz oder /OdenKomposition. — In der Antike bezeichnete homophonos phthongos die Oktave oder Oberoktave zur Melodie bzw. ein Unisono mit der Melodie. Der Gregorianische Gesang, die Kunst der Minnesänger oder das Volkslied, überhaupt jede Art von Musik, die von mehreren Personen vorgetragen wird, kommen von dieser Art H. her. Die so verstandene Bedeutung hat sich bis ins 18. Jh. gehalten (J. G. Walther, Musicalisches Lexicon, 1732), bevor sich die heutige Bedeutung in Verbindung mit dem funktional-harmonischen Satz durchsetzte. HONEGGER, Arthur, *10. 3. 1892 Le Havre, t 27.11. 1955 Paris; Schweizer Komponist. H. war Sohn deutsch-schweizerischer Eltern und wuchs in Le Havre auf. Durch seine Mutter wurde er früh in Gesang und Klavierspiel ausgebildet. 1909-10 besuchte er das Zürcher Konservatorium, von dessen Leiter F. Hegar er zum weiteren Musikstudium nach Paris empfohlen wurde. Hier war er am Con116

servatoire Schüler von L. Capet (Violine), A. Gédalge (Kontrapunkt und Fuge), Ch.-M. Widor (Komposition) und V. d'Indy (Orchester-Leitung). 1913 ließ er sich als freischaffender Musiker (Komponist, Quartettspieler, Korrepetitor und Kapellmeister) endgültig in Paris nieder. Viele in Paris wirkende Komponisten seiner Vorgänger-Generation, darunter E. Satie, Cl. Debussy, M. Ravel und I. Strawinsky, wurden ihm zu wegweisenden Freunden. P. Claudel und J. Cocteau gewann er als Librettisten seiner Bühnenwerke. 1920 schloß er sich mit D. Milhaud, Fr. Poulenc, G. Auric, L. Durey und Germaine Tailleferre zur „Groupe des Six" zusammen. Zwischen den beiden Weltkriegen war H. als gesuchter Komponist von Oratorien, Opern, Balletten, Filmen, Hörspielen und Konzerten tätig. Im 2. Weltkrieg übernahm er eine KompositionsKlasse an der Pariser École Normale Supérieure de Musique und arbeitete als Musikkritiker für mehrere Zeitungen. 1947 unternahm er mit seiner Frau, der Pianistin und Komponistin Andrée Vaurabourg (1893-1980), eine Vortrags- und Konzertreise nach Nord- und Südamerika, zu deren Beginn er in New York an einer Angina pectoris erkrankte. Er erholte sich nicht mehr von dieser Krankheit und erlag schließlich einem Herzinfarkt. H. war Stellvertretender Präsident der Musiksektion der UNESCO, Präsident des Internationalen Komponistenverbandes (CISAC), Mitglied der Académie Française seit 1946 und Träger des Groß-Kreuzes der Ehrenlegion. Von der Universität Zürich wurde er mit dem Ehrendoktor-Titel geehrt. Seine Witwe stiftete 1971 einen A.-H.-Preis für Komposition. WW: 1) lastr.-WW: Für Klv.: Cahier Romand (1924); Suite (1928); Partita für 2 Klv. (1940); Souvenirs de Chopin (1947); Fugue et Chorale (1917) für Org. ; 3 Streichquartette (1917, 1935, 1937); Rhapsodie für 2 Fl., Klar. u. Klv. (1917); 2 V.-Sonaten (1918, 1919); Danse de la chèvre (1919) für Fl.; Hymne (1920) für 10 Str.; ferner Solosonaten für V., Va. u. Vc. - Für Orch.: Pastorale d'été (1920); Symphonie mimée Horace victorieux (1921); 3 symphonische Sätze: 1: Pacific 231 (1923), 2: Rugby (1928), 3: (1932); Prélude, arioso et fughette sur le nom de Bach (1932); für Streichorch.: Nocturne (1936); Suite in 7 Sätzen lour de fetes Suisse (1943); Suite archaique (1951); Monopartita (1951); 5 Symphonien, 1 u. 2 (1931, 1942), 3: Liturgique (1946), 4: Deliciae Basilienses (1947), 5: Di tre re (1951); Concertino für Klv. u. Orch. (1924); Vc.-Konzert (1929); Kammerkonzert für Fl., Engl. Horn u. Str. (1948). - 2) Volul-WW: Zahlr. Klv.-Liederzyklen nach G. Apollinaire, P. Claudel, J. Cocteau, P. Valérie u. a.; Kantaten: Cantique de Pâques (1918); Cantique des Cantiques (1926); Les mille et une nuit (1937) für Sopran, Tenor, Chor u. Orch.; Cantate de Noël (1953). - 3) Bähen-WW: szenische Oratorien: Le Roi David, UA: Mézières 1921; Cris du monde, UA: Solothurn 1931; Nicolas de Flue, UA: ebd. 1940; Jeanne d'Arc au bûcher, UA konzertant: Basel 1938, UA szenisch: Paris 1950; La danse des morts (Der Totentanz), UA: Basel 1940; biblisches Drama Judith, UA: Mézières 1925; Oper Antigone (Libr.: J. Cocteau nach Sophokles), UA: Brüssel 1927; Operette Les aventures du Roi Pausole, UA: Paria 1930. - Ballette: Vérité-Mensonge, UA: Paris 1920; Skating Rink, UA: ebd. 1932;

Hoogstraten Chota Rostaveli, UA: Monte-Carlo 1945; L'homme à la peau de léopard, UA: Paris 1946; Tanzmelodramen Amphion u. Sémiramis (nach P. Valéry), UA: ebd. 1931 u. ebd. 1934. — Ferner zahlr. Bühnenmusik, u. a. zu: J. Cocteau, Antigone (nach Sophokles) (1922); Shakespeare, La tempéte (1923); P. Claudel, Le soulier de satin (1943); A. Gide, Hamlet (nach Shakespeare) (1946) u. Th. Maulnier, Roi Oedipe (nach Sophokles) (1952). — 4) Scrrittee: Incantations aux fossiles (Lau 1948), dt. Obers.: Beschweirungen (Be 1955); Je suis compositeur (P 1951), dt. Obers.: Ich bin Komponist (Z 1952); Nachklang, Autobiogr. mit kleinen Schriften, übers. u. hrsg. v. W. Reich (Z 1957).

H. gehörte neben D. Milhaud und P. Hindemith zu den fruchtbarsten Komponisten seiner Generation. Sein Schaffen umfaßt neben den herkömmlichen Gattungen, die er z. T. entscheidend weiterentwickelte, auch modernere, u. a. Film- und Rundfunkmusik. In kunstvoller Weise bedient sich H. der unterschiedlichsten Stilmittel aus älterer und neuerer Zeit, von mittelalterlicher Polyphonie bis zu Polyrhythmik und Jazz. Le Roi David (1921), Jeanne d'Arc (1938) und La danse des morts (1940) zeigen dies besonders deutlich. In ihrer Gesamtkonzeption sind diese Werke zugleich herausragende Stationen in der Geschichte des modernen europäischen Musiktheaters. Formenstrenge („Musik ist Geometrie in der Zeit") und Innerlichkeit („Musik ist Gottesdienst") sind für viele seiner Werke charakteristisch, durchdringen sich aber am reinsten in der Vielschichtigkeit seiner Symphonik als seinem „letzten Wort". Lit.: ROLAND-MANUEL, A. H. (P 1925); M. DELANNOY, A. H. (P 1953); W. TAPPOLET, A. H. (Z 1954) (mit WerkVerz.); J. FESCHOTTE, A. H. (P 1966, Lau 1970) (mit WerkVerz. u. Diskographie); P. M EY LAN, A. H. Humanitäre Botschaft der Musik (St 1970) (mit Werk-Verz.); J. MAILLARD—J. NAHOUM, Les symphonies d'A. H. (P 1974); E. LICHTENHAHN, Aus P. Sachers Briefwechsel mit A. H., in: ÚMZ 31 (1976); G. K. SPRATT, H.'s „Le Roi David". A Reassessment, in: MR 39 (1978); Beruf u. Handwerk des Komponisten. Illusionslose Gespräche ..., hrsg. v. E. KLEMM (L 1980). H. LINDLAR

HONEGGER, Marc, *17. 6. 1926 Paris; frz. Musikforscher. H. studierte Musikwissenschaft bei P.M. Masson und J. Chailley an der Sorbonne in Paris. Seit 1958 ist er Professor und Direktor des Institut de Musicologie an der Universität Straßburg. 1970 wurde er Docteur ès lettres mit den beiden Thèses Les chansons spirituelles de D. Lupi

et les débuts de la musique protestante en France au

XVI` siécle und Les messes de Josquin des Prés dans

Schriften: La réforme et l'essor de la musique en Allemagne, in: Histoire de la musique, hrsg. von Roland-Manuel, Bd. 1 (P 1960) (= Encyclopédie de la Pléiade 9); La musique française de 1830 à 1914, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962; La chanson spirituelle populaire huguenotte, in: JbLH 8 (1964).

HONGEN, Elisabeth, * 7.12.1906 Gevelsberg (Sauerland); dt. Sängerin (Alt). H. studierte Germanistik und Musikwissenschaft und anschließend Gesang bei G. Weißenborn an der Hochschule für Musik in Berlin. 1933 debütierte sie an der Oper in Wuppertal und war 1935-40 in Düsseldorf unter Vertrag. 1940 wurde sie an die Dresdener und 1943 an die Wiener Staatsoper verpflichtet, wo sie bis 1963 blieb. Als Sängerin vor allem dramatischer Partien trat sie u. a. in Mailand, London, Buenos Aires, Paris, Amsterdam, Zürich, München sowie bei den Festspielen in Salzburg, Bayreuth und Edinburgh auf. In der Spielzeit 1951/52 war sie Gast an der Metropolitan Opera in New York. 1957-60 leitete sie eine Opernklasse an der Wiener Musikakademie. 1964 wurde E. H. zum Professor, 1970 zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt. Lit.: E. WURM, E. H. (W 1966).

HONOLKA, Kurt, * 27.9.1913 Leitmeritz (Böhmen); dt. Musikschriftsteller und -kritiker. H. studierte an der Deutschen Universität in Prag und wurde dann Journalist. 1949-63 war er Feuilletonleiter der Stuttgarter Nachrichten und arbeitete anschließend als Musik- und Theaterkritiker für inund ausländische Zeitschriften und Rundfunkanstalten. H. setzte sich vor allem auch für die zeitgenössische slawische Musik ein und widmete sich als Übersetzer und Bearbeiter besonders Opern, Liedern und Chorwerken Fr. Smetanas, A. Dvořáks und L. Janáčeks. Die meisten tschechischen und slowakischen Opern, darunter Die verkaufte Braut von Fr. Smetana, werden in Deutschland heute in seinen Übersetzungen gespielt. Schriften: Die groBen Primadonnen (St 1960); Das vielstimmige Jahrhundert (St 1960); Der Musik gehorsame Tochter (St 1962); Gesch. der russ. Musik (St 1963) (= Die GroBen der Kunst, Lit. u. Musik II/3); Der groBe Reader's Digest Opernführer (St 1966); A. Dvořák in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (Reinbek 1974) (= rowohlts monographien 220); F. Smetana (ebd. 1978) (= ebd. 265); Opernübersetzungen (Wilhelmshaven 1978). — Ferner gab H. heraus Knaurs Weltgesch. der Musik (Mn 1968).

la tabulature de D. Pisador. H.s wissenschaftliche Arbeiten gelten vor allem der Musik des 16. Jahrhunderts. Darüber hinaus förderte er die Wiederbelebung älterer Musik als Leiter der Chanteurs traditionnels de Paris sowie durch die Gründung der Journées de Chant Choral 1961 in StraBburg. H. ist ferner Herausgeber eines Dictionnaire de la musique (4 Bde., P 1970-76), das dem vorliegenden Werk zugrunde liegt.

HOOGSTRATEN, Willem van, *18. 3. 1884 Utrecht, t 11.9. 1965 Tutzing; ndl. Dirigent. H. studierte Violine am Kölner Konservatorium bei B. Eldering und in Prag. 1914-18 war er städtischer Kapellmeister in Krefeld und konzertierte außerdem mit der Pianistin Elly Ney, mit der er bis 1927 verheiratet war. 1920-37 dirigierte er die Sommerkonzerte und 1921-23 auch die Winterkonzerte des 117

Hook Philharmonic Symphony Orchestra in New York und 1924-37 die Winterkonzerte des Portland Symphony Orchestra in Oregon, wo er 1928 den Ehrendoktorgrad der Universität erhielt. 1938 bis 1945 leitete er das Mozarteum -Orchester in Salzburg und 1948-55 die Stuttgarter Philharmoniker. 1953 wurde er mit dem Professorentitel ausgezeichnet.

Staatsoper engagiert. 1946-49 war er Mitglied der Berliner Staatsoper, anschließend der Bayerischen Staatsoper München, und seit 1951 sang er auch bei den Bayreuther Festspielen. Gastspiele führten ihn an viele bedeutende Bühnen in Europa und in den USA. Besonderen Erfolg hatte H. als Wagnersänger sowie in den Rollen des Florestan, Othello und Bajazzo.

HOOK, James, * 3.6.1746 Norwich, t 1827 Boulogne, engl. Organist und Komponist. H. trat schon mit 6 Jahren öffentlich auf und komponierte mit 8 Jahren eine Ballad opera. 1769-72 war er Organist und Komponist an Marylebone Gardens in London, 1774-1820 an dem berühmten Londoner Vergnügungspark Vauxhall Gardens, auBerdem viele Jahre lang auch Organist an der Johanniskirche in Horseleydown. H.s Schaffen umfaBt vor allem Werke der Unterhaltungsmusik, die zu seiner Zeit sehr beliebt waren. Einige seiner Lieder wurden in England geradezu zu Volksliedern.

HOPKINS, Antony, * 21.3.1921 London; engl. Komponist, Pianist und Organist. H. war Schüler am Royal College of Music und von H. Tippett am Morley College of Music, wo er später auch selbst unterrichtete. 1952-64 leitete er die Intůnate Opera Company, für die er die Opern Three's Company und Ten o'clock Call komponierte. AuBerdem lehrte er am Royal College und als Gresham-Professor an der City University. Besonders bekannt wurde H. durch seine BBC-Sendereihe Talking about music, die teilweise auch in Buchform veröffentlicht wurde.

WW: Sonaten; Trios, Quartette; Ouvertüren; Konzerte; Kantaten; Serenaden, Catches u. über 2000 Lieder, zahlr. in Liedslgen. erschienen; ferner etwa 30 Singspiele u. Opern, u. a.: The Lady of the Manor (1778); The Country Wake (1785) u. Wilmore Castle (1800); Klv.-Schule Guida di musica I, op. 37 (um 1785), u. II, op. 75 (um 1794). Ausg.: Trios, op. 83 Nm. 3-5 für 3 Blockfl., hrsg. v. R. COLWELL — R. SALKELD — F. SPIEGEL (Lo 1961-63); 3 Lieder für Sopran, BaBklar. u. Klv., hrsg. v. P. WESTON — W. BERGMANN (Lo 1962); Sonatinen, op. 12, hrsg. v. C. CURWIN (Lo 1964); Sonate E-Dur, op. 54 Nr. 6 für Sopranblockfl., hrsg. v. S. F. GOODYEAR (Lo 1968).

WW: 1) Kompoitbnee: Klv.-Stücke u. Kammermusik; A Festival Ouverture (1950) für 2 Trp. u. Streichorch.; Lieder u. Chöre; Kantate Scena für Sopran u. Streichorch. — Opern: Lady Rhodesia, UA: London 1948; The Man from Tuscany (1951); Ten o'clock Call (1956); A Time for Growing, UA: Norwich Festival 1967; 2 Kammeropern Three's Company (1953) u. Christmas Story (1954); Jugendoper Rich Man, Poor Man, Beggar Man (1969); Kinderoper Dr. Musicus (1969). — Ballette: Etude (_ Mirages) (1947) u. Café des Sports (1954). Ferner viele Bühnen-, Hörspiel- u. Filmmusiken. — 2) Beritten: Talking About Symphonies (Lo 1961,1971, Belmont/Calif. 1964); Music Al Around Me. A Personal Choice from the Literature of Musk (Lo 1967).

lit.: H.J. HEDLUND, J. H. and the Patent Voice Flute, in: Music, Libraries and Instruments (1961) (= Hinrichsen's 11th Music Book).

HOPAK (ukrainisch), Gopak (russ.), Bz. für einen ursprünglich nur von Männern ausgeführten ukrainischen Volkstanz, der neben Kasatschok, Trepak und Meteliza weite Verbreitung gefunden hat und - auch in stilisierter Form - heute noch bei unterschiedlichsten Anlässen getanzt wird. Charakteristisch für den schnellen Tanz im 2/4-Takt sind vor allem die von einzelnen Tänzern nacheinander dargebotenen akrobatischen Einlagen. Presto etc.

Der H. fand auch Eingang in die Kunstmusik, u. a. bei M. Mussorgski im Finale der komischen Oper Der Jahrmarkt von Sorotschinzy. HOPF, Hans, * 2.8.1916 Nürnberg; dt. Sänger (Tenor). H. war Schüler von Paul Bender in München. Nach seinem Debüt am Bayerischen Landestheater war er 1939-42 als lyrischer Tenor in Augsburg und danach als Heldentenor an der Dresdner 118

HOPKINS, Edward John, * 30.6.1818 Westminster, t 4.2. 1901 London; engl. Organist und Komponist. H. war seit 1826 Chorknabe der Chapel Royal und nahm seit 1833 Privatunterricht bei T. F. Walmisley. Seit 1834 war er Organist an mehreren Londoner Kirchen, zuletzt 1843-98 an der Temple Church. Er erlangte hohes Ansehen durch sein virtuoses Orgelspiel wie auch durch seine kirchenmusikalischen Aufführungen. Als Komponist trat er mit zahlreichen Services, Anthems und Psalmen hervor. Grundlegende Bedeutung auch für die Entwicklung des modernen englischen Orgelbaus hat H.s Schrift The Organ, Its History and Construction (Lo 1855, 31877, Nachdr. der 3. Aufl. Hil 1965). Sein Bruder John H., * 30.4.1822 London, t 27.8. 1900 Rochester, und sein Neffe John Larkin H., * 25.11. 1820 Westminster, t 25.4. 1873 Venrner auf Wight, waren ebenfalls angesehene Organisten und schrieben Kirchenmusik. HOPKINSON, Francis, * 21.9.1737 Philadelphia, t 9.5.1791 ebd.; amerik. Politiker, Jurist, Dichter, Erfinder und Komponist. H., der auch zu den Unterzeichnern der amerikanischen Unabhängig-

Horen keitserklärung gehört, gilt als der erste Komponist seines Landes. Er schrieb Lieder und Chorwerke.

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Außerdem entwickelte er ein als Bellarmonica bezeichnetes Glockenspiel, versah Franklins Glasharmonika mit einer Tastatur und trug zu Verbesserungen im Bau des Cembalos bei.

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Ausg.: Six Songs, hrsg. v. H. V. MILLIGAN (Boston 1918); Seven Songs for the Harpsichord or Forte Piano, Faks. der Ausg. 1788 (Philadelphia 1954).

Lit.: O. G. SONNECK, F. H. 1717-1791. The First American Composer, in: SIMG 5 (1903/04); DERS., F. H.... and J. Lyon (Washington/D.C. 1905, Nachdr. NY 1967); G. E. HASTINGS, The Life and Works of F. H. (Ch 1926).

HOQUETUS (lat., auch (h)oketus, (h)ochetus; aus altfrz.: hoquet, von hoqueter = zerschneiden; nach Husmann von arab.: al-qat'), zeitgenössische Bezeichnung für eine zunächst in 2st. Klauseln und 3st. Organa der /Ars antiqua verwendete Satzweise, bei der Töne oder Tongruppen abwechselnd auf 2 Stimmen verteilt und mit Pausen durchsetzt werden, so daß stets eine der beiden pausiert:

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Beginn (oben) des Hoquetus A l'entrade und hoquetierte Variante im gleichen Stück (unten) aus dem Speculum musicae des Jacobus Leodiensis (nach AfMw 11, 1954 und MQ 55, 1969)

87f.), Jacobus Leodiensis (Coussemaker Scr. II, 394, 401, 429) und Pseudo-Tunstede (ebd. IV, 296) Lit.: M. SCHNEIDER, Der H., in: ZfMw 11 (1928/29); H. HUSMANN, Der Hoketus „A l'entrade d'avril", in: AfMw 11 (1954); DERS., Die Etymologie v. „Hoquet" u. der arabische Einfluß in der gotischen Musik, in: Romanisches Jb. 7 (1955/56); W. E. DALGLISH, The Hocket in Medieval Polyphony, in: MQ 55 (1969); D. HARBINSON, The Hocket Motets in the Old Corpus of the Montpellier Motet Manuscript, in: MD 25 (1971); O. WES. SELY, Über den H. in der Musik zu Madrigalen des Trecento, in: De ratione in musica. FS E. Schenk (Kas 1975); W. DALGLISH, The Origin of the H., in: JAMS 31 (1978).

• etc.

Hoquetusabschnitt aus einer Motette des 13. Jh. (nach AMI 42,1970)

W. E. Dalglish unterscheidet 3 Typen: 1. Gelegentlicher H., der inmitten oder (in der /Ars nova häufig) am Ende, selten am Anfang, von Kompositionsabschnitten erscheint. Einen bedeutenden Platz nehmen solche H.-Teile in der /Caccia und /Chasse des 14. Jh. ein. — 2. Unabhängiger H., der eine ganze Komposition durchgehend durch die H. -Satzweise bestimmt; die Werke sind textlos und über einen (präexistenten, liturgischen) Tenor gebaut. Aus der Ars antiqua sind 8 Kompositionen überliefert; im 14. Jh. stellt der 3st. H. über den Tenor David von G. de Machaut den Höhepunkt dieses Typus dar. — 3. Variationen -H., bei dem die H.-Teile einer Komposition — im Unterschied zum 1. Typus — Varianten anderer, nichthoquetierter Teile derselben Komposition sind. Nachgewiesen ist dieser Typus in Motetten des 14. Jh. und in einem Messesatz des Old -Hall -Manuscripts (Credo von Pennard). Theoretisch behandelt wird der H. von Franco von Köln (Coussemaker Scr. I, 134), Lambertus (ebd. I, 281), W. Odington (ebd. I, 248ff.), Johannes de Grocheo (hrsg. v. E. Rohloff, 57f.,

HORBEREICH /Hörfläche. HOREN (von lat. horse = Stunden), Bz. für die 8 Tagzeiten des Stundengebetes der kath. Kirche: /Matutin, /Laudes, /Prim, /Terz, /Sext, /Non, /Vesper und /Komplet. Die Stundengebete (auch kanonische oder liturgische Stundengebete), in die das kanonische /Offizium unterteilt ist, sind seit dem 11. Jh. im /Brevier zusammengestellt. Die in den jeweiligen H. gebeteten bzw. gesungenen Psalmen, Antiphonen, Responsorien, Hymnen und Lesungen richten sich nach der Ordnung der entsprechenden liturgischen Tage. — Die H. sind aus den 2 Gebetszeiten — der morgendlichen (matutinum = Mette) und der abendlichen (lucernarium, der späteren Vesper) — des frühen Christentums hervorgegangen. Bereits im 6. Jh. wurden in Syrien die schon im NT genannten Tagesgebetsstunden Terz, Sext und Non aufgenommen. In der weiteren Entwicklung wurde der Morgengottesdienst in Matutin und Laudes aufgeteilt, denen seit den Ordensregeln des Benedikt von Nursia die Prim (zum Arbeitsbeginn) folgte. Außerdem wurde der Vesper (am Ende des Tages) die Komplet (vor der Nachtruhe) hinzugefügt. Die Ordensregel der Benediktiner gilt als erste systematische Ordnung der H., bei der es 119

Hören sich jedoch lediglich um die Kodifizierung der bis dahin bereits bestehenden Übung handelt. Das 2. Vatikanische Konzil nahm einige Änderungen vor: Die Prim entfiel, die sog. kleinen H. (Terz, Sext, Non) wurden zusammengefaßt und die anderen vereinfacht. Die Laudes und die Vesper sind heute als kirchliches Morgen- bzw. Abendgebet die wichtigsten H. des Tages, die — im Unterschied zu den kleinen H. und der Komplet — auch feierlich begangen werden können. In der Musikgeschichte kommt allein der Vesper und der Komplet Bedeutung zu. HÖREN /Gehör. HORENSTEIN, Jascha, * 24.4. (6.5.) 1898 Kiew, t 2.4. 1973 London; amerik. Dirigent russ. Herkunft. H. studierte 1907-11 in Königsberg Violine bei M. Borde und 1911-19 an der Wiener Musikakademie Violine u. a. bei A. Busch und Kontrapunkt und Komposition bei J. Marx und F. Schreker. 1920 folgte er Schreker an die Berliner Musikhochschule und übernahm dort vol H. Scherchen den Schubert-Chor und den Gemischten Chor. 1923 gab er bei den Wiener Symphonikern sein Debüt als Dirigent. 1925-28 leitete er das Berliner Symphonie-Orchester, war seit 1928 1. Kapellmeister und 1929-33 GMD an der Düsseldorfer Oper. Anschließend unternahm er Konzertreisen nach Palästina, in die UdSSR, nach 140

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führung von A. Bergs Wozzek. H. wurde vor allem auch als Interpret der Werke G. Mahlers und A. Bruckners bekannt. Lit.: D. EWEN, The Man with the Baton (NY 1936); G. SALESKI, Famous Musicians of Jewish Origin (NY 1949); J. H., in: London Musical Events 12 (1957); J. H. Awarded Kilenyi Mahler Medal, in: Chord and Dischord 2 (1963).

HÖRFLÄCHE, Hörfeld, Bz. für den Bereich, in dem — abhängig von /Frequenz und /Schalldruck — ein Schallereignis hörbar ist. Vom menschlichen Ohr werden Luftdruckschwankungen mit Frequenzen zwischen 16 und 20000 Hz als Schall wahrgenommen. Frequenzen unter 16 Hz bezeichnen wir als Infraschall, Frequenzen über 20000 Hz als Ultraschall. Bei einigen Tieren (z. B. Hunden, Katzen, Fledermäusen) liegt die obere Hörgrenze bei 30000 Hz und darüber. Beim Menschen verschiebt sich die obere Hörgrenze mit zunehmendem Alter nach unten: bei 60jährigen liegt sie häufig nur noch bei 5000 Hz. Die allgemeine Hörfähigkeit, und damit auch die Fähigkeit zu musizieren, wird dadurch relativgeringfügig beeinträchtigt, da der wichtigste Hörbereich (auch der Grundtonbereich der Musikinstrumente) unter 4000 Hz liegt. Die H. wird bezüglich Lautstärkeempfindung nach unten durch die Hörschwelle, nach oben durch die Schmerzschwelle, die frequenzabhängig sind, begrenzt. — 7Gehör.

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Polen, Australien und nach Frankreich. 1939-45 lehrte er Dirigieren an der New School for Social Research in New York und konzertierte in den USA, in Südamerika und in Mexiko. 1946 kehrte er nach Europa zurück und ließ sich später in Lausanne nieder. 1950 dirigierte er die Pariser Erstauf120

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2.104 Frequenz [Hz]

HÖRFUNK, Musik im Hörfunk. Am 29. Oktober 1923 erfolgte aus dem Berliner Vox-Haus die erste

Programmansage für ein H.-Konzert. Seitdem setzte eine Entwicklung ein, die die Ausbreitung und Perfektionierung der Musik im H. vorantrieb und die — nicht zuletzt der großen Fernsehkonkur-

Horn

renz wegen — inzwischen zu einem technischen Höchststand führte. Markante Daten dieser Entwicklung waren 1930 die Einführung des Magnetbandes, 1950 die erste UKW-Sendung, seit 1963 Stereosendungen und 1973 die Einführung des Kunstkopfverfahrens. Die stetig voranschreitende Perfektionierung der Musikaufzeichnung und Ausstrahlung hatte jedoch auch tiefgreifende ästhetische, produktive wie auch rezeptive Veränderungen zur Folge, die sich auf musikalische Gattungen, Stile und Programme auswirkte: der H. stiftete eine unwiderrufliche Pluralität musikalischer Erscheinungen; der technische Standard von Werkaufzeichnungen schwang sich zum Maßstab für das öffentliche Musikleben auf; ein sozial wie bildungsgemäß genau definierbares Publikum als ein „Gegenüber" der Musizierenden mußte einem sog. „dispersen" Publikum Platz machen. Um dennoch bestimmte Zielgruppen zu erreichen, haben sich die meisten Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland — die seit 1950 eine Arbeitsgemeinschaft (ARD) bilden —auf eine Programm-Struktur geeinigt, die z. B. in einem Programm volkstümliche Musik (Operette), in einem anderen progressive Pop-Musik und in einem weiteren Konzert- und Kammermusik, Neue Musik u. a. anbietet. Damit wächst dem H., gerade unter dem Druck des Fernsehens, eine ausgleichende Funktion zu. Musik im H. ist stets, von wenigen Live-Mitschnitten abgesehen, manipulierte, technisch verfremdete Musik, die, aus vielen Einzelaufnahmen zusammengesetzt, in künstlicher „Klangsezierung" und stereophoner Schlackenlosigkeit dargeboten wird. Diese technischen Eingriffe sind medienbedingt; mehr noch, sie sind mediennotwendig. Der Verlust des unmittelbaren Dabeiseins im Live-Konzert, der Verlust einer Hörorientierung durch die Augen muß im nur auditiv erfahrbaren musikalischen Werk kompensiert werden: der reale Aufführungsraum wird durch einen virtuellen ersetzt (Hall, Stereophonie, Kunstkopf); wo das Ohr als Hilfe zum Ordnen eines diffusen Klangeindrucks fehlt, muß die Tonregie wie mit einer Kamera akustisch-strukturelle „Großaufnahmen" herstellen. Das Ergebnis ist ein sozusagen besonders lupenreines Klangbild. Dort, wo bei einer Live-Aufführung spieltechnische Fehler, das Risiko des Spielens und die Risikobereitschaft des Spielers positiv vermerkt werden, muß die „Konserve" jeden auch nur geringfügigen Fehler eliminieren. Die im Live-Konzert mitunter auftretenden Ungenauigkeiten dürfen in der H.Übertragung nicht zu hören sein; metrische Strenge und klangliche Transparenz sind medienspezifische Notwendigkeiten. Hinsichtlich der Programmgestaltung stehen dem

H. nahezu alle Möglichkeiten offen: So fungiert der H. häufig als Auftraggeber für Neue Musik oder für bestimmte Gattungen, insbesondere für die sog.

Funkoper (řOper), als Dokumentationsinstrument z. B. für Festspiele, als experimentelles Medium, z. B. mit Collagen, Montagen, didaktischen Features und řHörspielmusik. Im Verhältnis zum Gesamtprogramm selten — von Schulfunksendungen abgesehen — sind allerdings immer noch Kombinationen von Musik und Informationen, gleichgültig ob ästhetischer oder historischer Art. Eine besondere Bedeutung kommt schließlich auch den Schallplattensendungen und -besprechungen zu, in denen der H. gewissermaßen eine Vermittlerrolle für die Schallplattenindustrie und die betreffenden Interpreten einnimmt. Lit.: W. BENJAMIN, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (F 1963); H. BAUSCH, „29. Oktober, 8 Uhr abends". Bemerkungen anläßlich eines Jubiläums, in: ARD-Jb. 5 (H 1973); K. KÜHN, Die Musik in dt. Rundfunkprogrammen, in: Musik in den Massenmedien Rundfunk u. Fernsehen, hrsg. v. H.-Ch. Schmidt (Mz 1976); L. K. GERHARTZ, Rundfunk, Musik u. musikal. Produktion. Überlegungen eines Rundfunkredakteurs, in: ebd.; P. ROCHOLL, Fragen der unterschiedlichen Vermittlung v. Musikwerken in den Medien. Gründe, Tendenzen, Auswirkungen, in: ebd.; H. ROSING, Zur Rezeption v. technisch vermittelter Musik. Psychologische, ästhetische u. musikal.-funktionsbezogene Aspekte, in: ebd.; H.-CH. SCHMIDT, Vermittelte Musik, in: Audiovisuelle Medien im Musikunterricht, hrsg. v. J. Schwenk — H. Meesc (St 1978); DERS., Massenmedien u. Musik, in: Kritische Stichwörter zum Musikunterricht, hrsg. v. W. Gieseler (Mn 1978); F. KNILLI, H., in: Kritische Stichwörter z. Medienwiss., hrsg. v. W. Faulstich (Mn H.-CH. SCHMIDT 1979).

HORN (engl.: horn; frz.: cor; it.: corno; span.: cuerno, trompa). — 1) Im weiteren Sinne Oberbegriff für Blasinstrumente, bei denen der Ton durch die elastisch gespannten Lippen (Polsterzungen) des Bläsers, die den Luftstrom periodisch unterbrechen, erzeugt wird. In den technologisch einfachsten Formen sind diese Instrumente — die zunächst aus dem Tier-H. (/Schofar), aus dem Haus der Meeresschnecke (Schnecken-H., Muschel-H.), aus Elfenbein, Ton, Alabaster oder Pflanzenmaterial hergestellt wurden — seit vorgeschichtlicher Zeit über die ganze Erde verbreitet. Äußerlich entsprechen die später aus Metall gefertigten Hörner mehr oder weniger der Urform des Tier-H.s: sie bilden einen Kreis, einen Halbkreis oder ein Kreissegment, oder sie werden in abgewinkelter Form (2'russische Hörner) gebaut. Hörner dienten im europäischen Kulturraum (und dienen in außereuropäischen Ländern z. T. noch heute) als Kult-, Signal- (Jagd, Heerwesen, Post) oder Repräsentationsinstrumente (>'Olifant) und galten nicht selten als Symbol für Fruchtbarkeit, Kraft oder Würde. Die spieltechnischen Möglichkeiten beschränkten sich auf einen Ton oder einen kleinen Ausschnitt 121

Horn

aus der Reihe der /Naturtöne. Die Erzeugung weiterer Töne erreichte man durch Anbringen von Grifflöchern und Klappen (Prinzip: Verkürzung des Rohres bzw. der Luftsäule), in hochentwickelter Form mit /Ventilen. — In der Instrumentenkunde wird gewöhnlich unterschieden zwischen Hörnern mit vorwiegend kürzeren konischen Röhren weiter Mensur (>'Bügelhorn, >'Tuba) und Hörnern mit vorwiegend langen konischen Röhren enger Mensur (řHorn 2). 2) Im engeren Sinne Bz. für das Ventil-Waldhorn, das durch eine enge, überwiegend konisch (konisch— zylindrisch — konisch) verlaufende, rund gewundene Röhre, eine ausladende Stürze, ein Trichtermundstück und Ventile gekennzeichnete Blechblasinstrument des modernen Symphonieorchesters. Obwohl das römische 2'Cornu in der Form eines G als erste Vorstufe des Wald-H.s angesehen werden könnte, gilt als gesichert, daß kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden besteht, da die im Altertum entwickelten Blasinstrumente aus Metall wahrscheinlich nach der Völkerwanderung nicht mehr hergestellt wurden. Im Mittelalter fanden einfache, leicht gekrümmte H.-Typen (2'Hifthorn), die auf das Tier-H. zurückgehen, Verwendung, sowie der oft mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Olifant.

WALDHORN (ohne Stimmbögen) 18. Jh.

Kreisrund gewundene Hörner lassen sich, abgesehen von einem vereinzelten Beleg aus dem 14. Jh. (Chorgestühl der Kathedrale von Worcester), seit Mitte des 15. Jh. nachweisen. Zwei verschiedene Typen sind zu unterscheiden: das Jeger horn (S. Virdung) bzw. Cor à plusieurs tours (M. Mersenne) mit mehreren Windungen, engem konischem Rohr und leicht ausladendem Schallstück und das kurze, aus nur einer Windung bestehende cornet de chasse 122

bzw. die trompe (J. du Fouilloux). Wahrscheinlich aus der Verbindung dieser beiden H.-Typen entstand im 17. Jh. das neue große Cor de chasse (in Deutschland später Parforce-H. genannt). Auf seiner Europareise 1680/81 lernte Graf Sporck das neue einwindige engmensurierte Parforce-H. (die Weite der Windung war bedingt durch die Größe des Dreispitzes dieser Epoche) in Frankreich kennen und nahm mehrere Exemplare mit nach Böhmen. Dort wurde das H. gegen Ende des 17. Jh. ins Orchester aufgenommen. Durch die Gebrüder J. und M. Leichamschneider in Wien erfuhr das Instrument eine wesentliche Umgestaltung: Sie erweiterten die Rohrmaße, gaben der Stürze einen Durchmesser von etwa 23 cm, erhöhten die Zahl der Windungen auf 2-4, verringerten den Kreisdurchmesser und fügten in Analogie zur Trompete Stimmbögen (Krummbögen) hinzu, die gestatteten, in verschiedenen Tonarten zu spielen. Das neu entstandene Wald-H. (corno da caccia, heute auch als Naturwaldhorn bezeichnet) erfreute sich wegen seines „lieblich-pompeusen" Klanges großer Beliebtheit und entwickelte sich zu einem Modeinstrument. Zu seiner raschen Verbreitung trugen insbesondere böhmische Musiker bei. Um 1753 versetzte der aus Böhmen stammende Hornist A. J. Hampel, zusammen mit dem Dresdner Instrumentenbauer J. Werner, die bisher zwischen Mundstück und Mundrohr eingesetzten Stimmoder Inventionsbögen in die Mitte der Rohrwindung. Das sog. Inventions-H. konnte genauer und rascher gestimmt werden, da der U-förmige Stimmbogen sich zugleich als Stimmzug verwenden ließ. Wahrscheinlich verdankt es seine Entwicklung der um die gleiche Zeit aufgekommenen Praxis des /Stopfens (die verringerte Entfernung zwischen Mundstück und Stürze erleichterte es, die rechte Hand in die Stürze einzuführen). Durch verschiedene Arten des Stopfens wurde die Naturtonreihe um zahlreiche chromatische und diatonische Zwischentöne ergänzt. 1781 führte der deutsche Virtuose C. Thürrschmidt zusammen mit dem Pariser Instrumentenbauer L. J. Raoux an dem Inventions-H., das als Prototyp des modernen H.s angesehen werden kann, einige kleinere Umgestaltungen aus. Das neue, als Cor solo bekannt gewordene Instrument unterschied sich von dem älteren Inventions-H. durch das feste Mundrohr und die Anzahl der in die Rohrwindungen einzusetzenden Stimmbögen, die auf die bei den Solisten der Zeit gebräuchlichsten Tonarten (G, F, E, Es, D) beschränkt waren. — Eine Verbindung zwischen dem alten Wiener H. mit den auf das Mundrohr aufzusetzenden Stimmbögen und dem Modell von Hampel/Werner stellt das sog. Orchester-H.

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dar, das in Frankreich bis ins 19. Jh. hinein im Orchester verwendet wurde. In England erfreute es sich groBer Beliebtheit und hielt sich hier in Militärkapellen bis zum Ersten Weltkrieg. 1814 versah H. Stoelzel das Orchester-H. mit den von ihm erfundenen Stopfer- bzw. Schubventilen (zunächst 2), für die ihm 1818 zusammen mit Fr. Blühmel ein gemeinschaftliches Patent erteilt wurde. Aus diesem H. ging nach Verbesserungen durch Stoelzel (1827 Pumpenventil), durch J. Meifred und durch E. F. Périnet in Paris (1839 Périnetventil) jener Typ des Orchester-H.s hervor, der in England und Frankreich bis vor kurzem vorherrschte. Um 1821 erfand Chr. Fr. Sattler das Doppelrohrventil, das 1830 von L. Uhlmann in Wien weiterentwickelt wurde und als Wiener Ventil bekannt geworden ist. Zwar experimentierte bereits Blühmel um 1814 mit Drehventilen, doch erst 1832 gelang J. Riedl in Wien die eigentliche Entwicklung des heute beim Wald-H. in den meisten Ländern bevorzugten Dreh- bzw. Zylinderventils. Etwa gleichzeitig bemühten sich auch Instrumentenbauer in Frankreich und Belgien um die Konstruktion eines H.s, das möglichst alle gebräuchlichen Stimmungen in sich vereinigte. So entwickelte z. B. J. B. Dupont in Paris ein Cor omnitonique. Bei dem ersten Modell handelte es sich im Prinzip um 8 verschiedene Hörner unterschiedlicher Rohrlänge, die ein gemeinsames Schallstück hatten. Durch Betätigen einer zentralen Umschaltvorrichtung und Umstecken des Mundstückes auf eines der acht Mundrohre ließ sich das Instrument in 8 verschiedenen Tonarten spielen. Im Laufe des 19. Jh. folgten diesem Konstruktionsprinzip neue Varianten, die jedoch für die Praxis keine Bedeutung gewannen. Bereits in der 2. Hälfte des 19. Jh. setzte sich unter den Ventilhörnern das F-H. durch (ohne Betätigung der Ventile erklingt eine Naturtonreihe auf F1 mit Ausnahme des bei Waldhörnern nicht bzw. schwer ansprechenden 1. Naturtons F1 ). 1898 erfand E. Kruspe in Erfurt das Doppel-H., das eine Verbindung des F-H.s mit dem um eine Quarte höher stehenden B-H. darstellt. Durch ein 4. Ventil (Umschaltventil) kann die Grundlänge der Röhre (F-H. etwa 370 cm; B-H. etwa 274 cm) so verkürzt werden, daß das Instrument in B erklingt. Das Doppel-H. in F/B ist heute der in allen Ländern, mit Ausnahme von Frankreich, am weitesten verbreitete Typ des Ventilhorns. Das in Frankreich im Orchester verwendete H. ist im Gegensatz zu allen anderen Hörnern mit einem Verkürzungsventil (3. Ventil) ausgestattet. Während normalerweise durch die Verwendung von Ventilen die Tonhöhe

erniedrigt wird, wird durch das Verkürzungsventil die Grundstimmung erhöht. Nach dem Krieg wurde das französische Orchester-H. um ein 4. Ventil ergänzt und in Analogie zu dem Doppel-H. zum Cor double ascendant umgestaltet. Das französische Instrument mit seiner engeren Mensur und weniger ausladenden Stürze zeichnet sich durch seinen glänzenden Klang aus.

Stürze, Schallbecher

DOPPELHORN 20. Jh.

Ventilbogen

Mundstück

Ventile (Dreh- oder Zylinderventile)

Umschaltventil

1888 konstruierte Červený in Königgrätz ein H. in hoch F, das die Ausführung hoher Partien erleichtern sollte, im Gebrauch jedoch zunächst eingeschränkt blieb. Erst nach 1945, mit der steigenden Schwierigkeit der Hornpartien in modernen Kompositionen und mit dem Interesse an der Musik des Barock, wandten die Hornisten sich diesem Instrument zu. Um die bei allen Ventilhörnern vorhandenen Intonationsprobleme zu beseitigen, wurden im Laufe des 20. Jh. zahlreiche Konstruktionsversuche unternommen, darunter Instrumente mit 7 Ventilen oder Kombinationen von 3 Hörnern in einem (Tripel-H.). Eine neuere Entwicklung zur Verbesserung der Intonation stellt das enharmonische H. von M. Vogel (Bonn) dar. Wenngleich einige der neu Tonumfang (F/B-Doppelhorn):

Notierung

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oder (ältere Form, OE-sog. ,.hoher Baßschlüssel') b i b

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Horn

konstruierten H.-Typen das Experimentierstadium überschritten haben und serienmäßig hergestellt werden, ist bis heute das Doppel-H. in F/B in den meisten Ländern das gebräuchlichste Orchesterinstrument geblieben. Musik für Horn. Das H. wurde im europäischen Kulturraum bis zum Ende des 17. Jh. vor allem als Signalinstrument verwendet, zunächst zur Ausführung einstimmiger Signale, spätestens seit dem 16. Jh. aber auch in der /Jagdmusik in Stücken für mehrere Hörner. Im Sinne einer klanglichen Charakterisierung entsprechender Jagdszenen oder mythologischer Figuren (Diana) erklangen Hörner im 17. Jh. gelegentlich schon in der Oper. Die erste bekannte Komposition dieser Art ist eine /Fanfare in Fr. Cavallis Oper Le nozze di Teti e di Peleo (1639). Einen ähnlichen Typ der Jagdfanfare beschreibt M. Mersenne in seinen Harmonicorum libri XII (1635/36). Mit Le(s) cors de chasse ist auch ein kurzer Satz im ersten Intermedium von J.B. Lullys Oper Princesse d'Élide (1664) bezeichnet, bei dem wohl nur die Oberstimme von Hörnern ausgeführt wurde. Durch den Bau längerer engmensurierter Hörner mit einer Rohrlänge von wenigstens 240 cm wurde es möglich, die von der Trompete her bekannte Clarinblastechnik (TClarino) auf das H. zu übertragen und so die musikalischen Verwendungsmöglichkeiten zu erweitern. Nachdem Graf Sporck diese Hörner im böhmisch-österreichischen Raum bekannt gemacht hatte (nach 1681), fanden sie Aufnahme in Opernaufführungen am Wiener Hof (C. A. Badia, Diana rappacificata, 1700, und J. J. Fux, Ouvertüre zu Meleagro von M. A. Ziani, 1706). Von Anfang des 18. Jh. an zogen böhmische Virtuosen die Aufmerksamkeit der Komponisten in vielen Teilen Europas auf die neuen Instrumente (z. B. R. Keiser, Octavia, 1705, und D. Buxtehude, Templum honoris). Die Konzerte von G. Ph. Telemann (um 1712 und 1733) und Chr. Förster, das 1. Brandenburgische Konzert, BWV 1046, von J. S. Bach (um 1718) und die 1751 in die Motette In convertendo von J. -Ph. Rameau eingefügten obligaten Horn -Partien sowie jene in G. Fr. Händels Julius Caesar (1754) zeugen von den gesteigerten spieltechnischen Möglichkeiten. Weitere Beispiele finden sich in den Opern von A. Scarlatti, G. C. Schürmann, J. A. Hasse, J. G. und K. H. Graun und in den Kantaten von J. S. Bach. Nach dem Aufkommen der Stopftechnik in der zweiten Hälfte des 18. Jh. entstanden zahlreiche Solokonzerte für H. und Orchester, in denen sich häufig der neue kantable Stil mit dem älteren verband. Zahlreiche Kompositionen dieser Zeit, u. a. von F. A. Rosetti (26 Konzerte), J. Haydn (2 Kon124

zerte) und W. A. Mozart (4 Konzerte) spiegeln die Vorliebe für dieses Instrument wider. Im 19. Jh. nahm die Zahl der Solokonzerte für H. ab. Kompositionen wie das Konzertstück op. 86 (1849) für 4 Hörner und Orchester von R. Schumann, das Konzert für Wald-H. und Orchester op. 8 (1865) von Fr. Strauss und das Konzert für H. und Orchester op. 11 (1883) von R. Strauss stellen Ausnahmen dar. Eine bedeutendere Rolle gewann das H. im 19. Jh. dagegen in der symphonischen Musik. Wurde es zunächst noch meist paarweise eingesetzt, so erhöhte sich die Zahl der Hörner bald häufig auf 4, später auch auf 6 oder 8, bisweilen auf 12. In der Romantik wurde das H. zum Instrument des poetischen Ausdrucks schlechthin. Der H.-Klang steht nicht mehr nur als traditionelles Symbol für die Jagd (z. B. Jägerchor in C. M. v. Webers Freischütz) und im übertragenen Sinne für den Wald, sondern gleichermaßen für romantisches Fernweh und Weltschmerz, für das Gefühl des Erhabenen wie auch des Unwirklichen und Phantastischen (H. Berlioz, Roméo et Juliette). Charakteristische Hornpartien finden sich in den Werken für und mit Orchester u. a. von H. Berlioz, F. Mendelssohn Bartholdy, R. Wagner, J. Brahms, P. I. Tschaikowsky, V. d'Indy, G. Mahler, Cl. Debussy, R. Strauss, P. Dukas, R. Vaughan Williams, M. Ravel, A. Webern, G. Migot, A. Honegger, M. Tippett und B. Britten. Im Verlauf des 20. Jh. erlangte das H. als Soloinstrument wieder eine gewisse Popularität, und es entstanden zahlreiche kammermusikalische Werke und Konzerte, so u. a. von P. Dukas, Villanelle für H. und Klavier (1906), Ch. Koechlin, Sonate op. 70 für H. und Klavier (1918-25), Poème op. 70 b für H. und Orchester (1927), 15 Stücke für H. und Klavier (1942), D. E. M. Smyth, Trio für H., Viola und Klavier (1927), P. Hindemith, 2 Sonaten für H. und Klavier (1939, 1943), Konzert (1949), Sonate für 4 Hörner (1952), R. Strauss, Konzert op. 86 (1942), B. Britten, Serenade für Tenor, H. und Streichorchester (1943), M. Seiber, Notturno für H. und Streichorchester (1944), Fantasie für Flöte, H. und Streichquintett (1945), G. Jacob, Konzert für H. und Streichorchester (1951), Doppelkonzert für Violoncello, H. und Streichorchester (1951) und M. Tippett, Sonate für 4 Hörner (1955). Lit.: S. VIRDUNG, Musica getutscht (Bas 1511, Faks.-Aung. Kas 1970) (Faks. = DMI I/31); M. MERSENNE, Harmonicorum libri XII, 2 Bde. (P 1635-36, Nachdr. G 1973); DERS., Harmonie universelle (P 1636, Faks.-Ausg. P 1963); J. MATTHESON, Das Neu-Eröffnete Orchestre (H 1713); V. ROESER, Essai d'instruction à l'usage de ceux qui composent pour la clarinette et le cor (P 1764, Faks.-Ausg. G 1972); A. J. HAMPEL — J. V. PUNTO, Seule et vraie méthode pour apprendre facilement les éléments des 1"et 2° cors aux jeunes élèves (P 1798); F. DUVERNOY. Méthode pour le cor (P o. J.); V. -CH. MAHILLON, Les instruments vent, II: Le cor, son histoire, sa théorie, sa construction (Bru

Hornbostel 1907); F. PIERSIG, Die Einführung des H.s in die Kunstmusik u. seine Verwendung bis zum Tode J. S. Bachs (Hl 1927); E. PAUL, Das H. in seiner Entwicklung vom Natur- zum Ventilinstr. (Diss. W 1932); R. MORLEY-PEGGE, The French Horn (Lo 1960); J. EPPELSHEIM, Das Orch. in den Werken J.-B. Lullys (Tutzing 1961) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch.7); R. GREGORY, The H. (Lo 2 1969); H. FITZPATRICK, The H. and H. -Playing and the Austro-Bohemian Tradition from 1680 to 1830 (Lo 1970); B. BROCHLE, H.-Bibliogr., 2 Bde. (Wilhelmshaven 1970-75); A. BAINES, Brass Instruments. Their History and Development (Lo 1976); B. BROCHLE - K. JANETZKY, Kulturgesch. des H.s (Tutzing 1976); DIES., Das H. (Be - St 1977); H. HEYDE, Zur Frühgesch. der Ventile u. Ventilinstr. in Deutschland 1814-1833, in: Brass Bulletin 24 (1978) - 27 (1979). D. ALTENBURG

HORN, Johann Caspar, *17. 8. 1636 Chemnitz, t 18.9. 1722 Dresden; dt. Komponist. H. studierte seit spätestens 1663 Jura in Leipzig und promovierte dort 1668. Für die studentische Pindus-Gesellschaft komponierte er Unterhaltungs-, Tanzund Ballettmusiken, darunter das Ballett d'Orphée für fast 100 Akteure. Seit 1678 war H. in Dresden Rechtskonsulent, außerdem Musikdirektor an der (alten) Frauen- und an der Sophienkirche, für die er bis 1699 regelmäßig neue Kompositionen lieferte. 1680/81 veröffentlichte er die teils noch in Leipzig entstandenen Evangelienvertonungen als Geistliche Harmonien. Ostern 1683 wurde seine Auferstehungshistorie von „fast 2000 Tacten" aufgeführt. WW: Parergon musicum für 5 Instr. u. B.c., 6 Teile, I (L 1664), II: nach der lustigen französischen Manier zu spielen (L 1664), III u. IV (L 1672), V u. Vl (L 1676); Schertzende Musenlust für 5 St., 5 Instr. u. B.c. (L 1673); Allerhand anmutige Sonatinen, Allemanden, Couranten, Balletten u. Giguen für 5 St. (L 1677); Musikal. Tugend- u. Jugend-Gedichte für 6 St., 5 Instr. u. B.c. (F 1678); Geistliche Harmonien über die gewöhnlichen Evangelia für 4 St., 4 Instr. u. B.c., 2 Teile, I: Winterteil (Dresden 1680) u. II: Sommerteil (ebd. 1681).

H.s Bedeutung beruht auf seinen Orchestersuiten nach der neuesten französischen und auf seinen Evangelienvertonungen nach der italienischen Manier. Die beiden ersten Teilsammlungen seiner Orchestermusik gab er 1663 selbst heraus, weitere 4 Bücher veröffentlichte der Leipziger Verleger G. H. Fromman 1672-78 nach in Leipzig vorhandenem Aufführungsmaterial. Für die anhaltende Beliebtheit dieser Stücke spricht, daß sie noch 1727 im Leipziger Buchhandel erhältlich waren. Lit.: A. SCHERING, Musikgesch. Leipzigs 11 (L 1926); E. MULLER, Musikgesch. v. Freiberg (L 1939). H. KÜMMERLING

HORN. — 1) Karl Friedrich, * 13. 4. 1762 Nordhausen (Thüringen), t 5.8. 1830 Windsor; dt. Organist und Komponist. Er ließ sich 1782 in London nieder und war dort 1789-93 Musiklehrer der Königin Charlotte und bis 1811 der Prinzessin Auguste Sophia. 1823 wurde er Organist an St. George's Chapel in Windsor. H. besorgte zusammen mit S. Wes-

ley die 1. kritische Ausgabe von Bachs Wohltemperiertem Clavier in England (Lo 1810-13). WW (gedruckt in London): Sonaten u.a. Stücke für Klv. mit Fl. od. V. u. mit V. u. Vc.; eine Abh. A Treatise on Harmony (1821); ferner einzelne Songs.

2) Charles Edward, Sohn von 1), * 21.6. 1786 London, t 21. 10. 1849 Boston (Massachusetts); engl. Sänger und Komponist. Er war Schüler seines Vaters und 1808-10 von V. Rauzzini in London, wo er 1809 erfolgreich als Sänger am English Opera House debütierte. Außerdem arbeitete er als Opernkomponist und Bearbeiter älterer Opern, u. a. von Rossini, Mozart und D. Fr. E. Auber, mit mehreren Londoner Bühnen zusammen. 1832 ging er nach New York, wo er eine Musikalienhandlung betrieb und Musikunterricht erteilte. 1843-47 lebte er wieder in England. In die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, war er dort bis zu seinem Tod Dirigent der Handel and Haydn Society in Boston. WW: Lieder, Kanzonetten u. Glees; Kantate Christmas Bells; etwa 30 Singspiele; Oratorien: The Remission of Sin, UA: New York 1832; Satan, UA: London 1845; Daniel's Prediction, UA: ebd. 1847. Lit.: Zu 1): H. F. REDLICH, Anfänge der Bachpflege in England, in: Bach-Probleme, hrsg. v. H.-H. Dräger - K. Laux (L 1950), u. in: Kgr.-Ber. Luneburg 1950 (Kas 1952); DERS., The Bach Revival in England 1750-1850 (1952) (= Hinrichsens 7th Music Book). - Zu 2): R. A. MONTAGUE, Ch. E. H. His Life and Works (Tallahassee 1959) (= Diss. Florida State Univ.).

HORNBOSTEL, Erich Moritz von, * 25.2. 1877 Wien, t 28. 11. 1935 Cambridge; östr. Musikforscher. H. studierte Chemie, Physik u. Philosophie an den Universitäten Wien u. Heidelberg u. promovierte 1900 mit einer musikwissenschaftlichen Dissertation in Wien. 1901 ging er nach Berlin und widmete sich dort psychologischen, musikwissenschaftlichen und (1905-06 als Assistent C. Stumpfs) besonders tonpsychologischen Forschungen. 1906 unternahm er eine Studienreise nach Nordamerika, wo er die Musik einiger Indianerstämme erforschte. 1906-33 leitete er das Phonogramm -Archiv in Berlin und war seit 1923 Professor an der Universität. 1933 emigrierte er in die USA und lehrte dort an der New School of Social Research in New York. — H. begründete zusammen mit C. Stumpf die moderne Musikethnologie, die er mit den Fächern Tonpsychologie, Akustik und Instrumentenkunde zur „Systematischen Musikwissenschaft" verband. Zu seinen Schülern gehören C. Sachs, M. Schneider, W. Wiora und H. Husmann. Schriften: Stud. über das Tonsystem u. die Musik der Japaner, in: SIMG 4 (1902/03) (zus. mit O. Abraham); Die Probleme der vergleichenden Musikwiss., in: ZIMG 7 (1905/06); Über die Mehrstimmigkeit in der außereuropäischen Musik, in: Kgr.-Ber. Wien 1909 (W 1909); Vorschläge für die Transkription exotischer Melodien, in: SIMG 11 (1909/10) (zus. mit O. Abraham); Syste-

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Horne matik der Musikinstrumente, in: Zschr. für Ethnologie 46 (1914) (zus. mit C. Sachs); Vorbericht zur Blasquintentheorie, in: Anthropos 16 (1919/20); Psychologie der Gehörserscheinungen, in: Hdb. der Physiologie 11(1926); Musikal. Tonsysteme, in: Hdb. der Physik 8, hrsg. v. H. Geiger — K. Scheel (B 1927); Gestaltspsychologisches zur Stilkritik, in: Stud. z. Musikgesch. FS G. Adler (W — L 1930); Das Berliner Phonogrammarchiv u. C. Stumpf u. die vergleichende Musikwiss., in: Zschr. für vergleichende Musikwiss. 1 (1933). — Ferner war H. Hrsg. der Sammelbde. für vergleichende Musikwiss., 3 Bde. (Mn 1922-23) (zus. mit C. Stumpf). — Eine GA seiner Schriften, hrsg. v. K. P. WACHSMANN — D. CHRISTENSEN — H. -P. REINECKE (Den Haag 1975 ff.). Lit.: C. SACHs, E. M. von H. 1785-1935, in: Mf 1 (1948); A. LIEBE — E. H. MEYER, Prof. Dr. E. M. von H., in: MuGes 2 (1952) (mit Schriften-Verz.); F. BOSE, E. von H., in: Musica 5 (1952); V. ERNST, Die wissenschaftsgeschichtliche u. philosophische Position v. E. M. von H. (B 1970).

HORNE, Marilyn, * 16.1.1929 Bradford (Pennsylvania); amerik. Sängerin (Mezzosopran). H. war Schülerin von William Vennard an der South California University und debütierte in Los Angeles. Nach kurzem Engagement in San Francisco kam sie nach Deutschland, wo sie von 1956-59 in Gelsenkirchen verpflichtet war. Anfang der 60er Jahre begann sie mit Gastspielen in den USA, in London, Edinburgh und anderen europäischen Opernmetropolen ihre internationale Karriere und gehört seither zu den prominentesten Vertreterinnen des italienischen Koloraturfaches. Lit.: M. R. ScoT'r, M. H., in: Opera 18 (Lo 1967); R. CELETTI, M. H. Una voce rossiniana, in: Discoteca 9 (1968).

HORNPIPE (engl.). —1) Bz. für ein Blasinstrument mit einfachem Rohrblatt und Grifflöchern, an des-

sen unterem Ende ein Schallstück aus Tierhorn, aus Huf oder auch aus Holz befestigt ist. Häufiger sind H.s mit zwei parallelen Pfeifen, die in einem oder auch zwei Tierhörnern enden. Eine verwandte Form der H. ist das walisische 2'Pibcorn. Die H. kann mit dem Mund direkt angeblasen oder auch als Spielpfeife in einer řSackpfeife verwendet werden. — 2) Bz. für einen englischen, ursprünglich wohl schottischen Volkstanz, der seinen Namen offenbar von dem begleitenden Instrument erhielt und bis in das 18. Jh. als bäuerlicher Tanz im 3/2-Takt getanzt wurde. Als höfischer bzw. stilisierter Tanz im 3 / 2-, später aber auch im 4 /4- oder 2/4-Takt fand er Eingang in die Kunstmusik, u. a. bei H. Purcell, G. Fr. Händel und J. H. Ravenscroft. Lit.: Zu 1): H. BALFOUR, The Old British Pibcorn or H. and Its Affinities, in: Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 20 (1891); A. BAINES, Bagpipes (0 1960).

HORNQUINTEN, Bz. für eine besondere Art der Stimmführung in sog. verdeckten Quinten (Parallelen), wie sie sich bei paarig verwendeten Hörnern auf Grund des ursprünglich aus Naturtönen 126

bestehenden Tonvorrats als Fortschreitungsmöglichkeit ergab und im 18./19. Jh. beliebt war: -a š

H. wurden in dieser Zeit gelegentlich auch zum

Ausdruck bestimmter Vorstellungen verwendet, die an die parallele Stimmführung bzw. an den Hörnerklang gebunden sind, z. B. in der Schöpfung von

J. Haydn (Rezitativ Nr. 29) vor den Worten „Seht, das beglückte Paar"; klangnachahmend erscheinen H. auch in Werken für andere Instrumente (vgl. das Lebewohl-Motiv in L. van Beethovens Klaviersonate op.81a). HOROWITZ, Vladimir Samojlowitsch, *18. 9. (1. 10.) 1904 Berditschew (Ukraine); amerik. Pianist russ. Herkunft. H. studierte Klavier und Komposition am Konservatorium in Kiew. Nach seinem Debüt 1917 unternahm er mehrere Konzertreisen durch Rußland. 1925 ging er zu einem Studienaufenthalt nach Europa und ließ sich in Berlin nieder, von wo aus er in den meisten europäischen Ländern konzertierte. 1928 trat er erstmals in den New Yorker Carnegie Hall auf und lebt seitdem in den USA. 1936-39 und 1953-65 mußte er seine Konzerttätigkeit wegen einer Krankheit unterbrechen. 1965 spielte er erneut mit sensationellem Erfolg in der Carnegie Hall und gehört seitdem zu den bedeutendsten Pianisten unserer Zeit. H. widmet sich vor allem den Werken von Fr. Chopin, J. Brahms, Fr. Liszt, P. Tschaikowsky, S. Rachmaninow und A. Skrjabin. H. heiratete 1933 eine Tochter von A. Toscanini. Lit.: J. KAISER, Große Pianisten in unserer Zeit (Mn 1965); M. GRATER, Toscanini u. H., in: NZfM 128 (1967); C. ADLER, V. H., in: High Fidelity 23 (1973) (mit Diskographie); W. MOHR, V. H., in: Fonoforum (1974) H. 10; C. ADLER, The Unknown Recordings of V.H., in: High Fidelity 28 (1978).

HORRES, Kurt, * 29. 11. 1932 Düsseldorf; dt. Opernregisseur. H. war Schüler am R.-SchumannKonservatorium in Düsseldorf und studierte an der Universität Köln Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. 1955 ging er als Regieassistent von W. Felsenstein an die Komische Oper Berlin, kam dann über Bonn und Wuppertal 1960 als Oberspielleiter nach Lübeck und 1964 als Operndirektor wieder nach Wuppertal. 1969-76 leitete er außerdem eine Opernklasse an der Musikhochschule Köln (1972 Professor). Seit 1976 ist er Intendant des Staatstheaters Darmstadt. Als Gastregisseur der bedeutendsten bundesdeutschen Opernbühnen sowie an in- und ausländischen Festspielplätzen setzte sich H. besonders für das Opernschaffen osteuropäischer Komponisten ein und

Horst inszenierte zahlreiche Ur- bzw. deutschsprachige Erstaufführungen.

Lit.: E. L. RUBIN, The English Glee from W. Hayes to W. H., 2 Bde. (1968) (= Diss. Univ. of Pittsburgh).

HORSCHÄRFE, die Fähigkeit des menschlichen /Gehörs, verschiedene Tonhöhen, Klangfarben und Lautstärken — je nach Anlage, Übung und Schulung — unterschiedlich wahrzunehmen. Oberhalb 500 Hz können Frequenzverhältnisse, die etwa 1 / lo Halbton entsprechen, unterhalb 500 Hz Frequenzdifferenzen von etwa 3,5 Hz unterschieden werden; die H. nimmt also hinsichtlich der Tonhöhe zu tieferen Frequenzen hin ab. Hinsichtlich Lautstärkenunterschieden vermag das Ohr Veränderungen von 1 /Phon wahrzunehmen. Die Tonhöhenempfindung ist auch lautstärkeabhängig: bei größerer Lautstärke steigt die Tonhöhe (in einem individuell allerdings verschiedenen Ausmaß, bei manchen Menschen um fast einen Halbton). Auch das Oktav-Empfinden entspricht bei nacheinander gespielten Tönen nicht immer den tatsächlichen Frequenzverhältnissen, so daß z. B. beim Klavier die tiefen und hohen Oktaven meist vergrößert werden (Oktav-Spreizung). Daraus ergibt sich, daß eine physikalisch „einwandfreie" Intonation für das musikalische Empfinden nicht immer „richtig" klingt.

HORSPIELMUSIK. Seit dem ersten OriginalHörspiel Zauberei auf dem Sender (24. 10. 1924) erfüllt die Musik im Hörspiel des /Hörfunks in aphoristischer Prägnanz Funktionen wie im Spielfilm: paraphrasierend, kontrapunktierend, milieuzeichnend, leitmotivisch, szenentrennend bzw. -verbindend, als „Abspann" formal schließend. Dem gesprochenen Wort ähnlich, artikuliert sie sich in den Dimensionen Zeit und Raum, aktiviert sie das Vorstellungsvermögen des Hörers. Mit der Wende zum „Neuen Hörspiel" in den 60er Jahren tritt die H. aus ihrer Rolle als musikalischer „Background" heraus und wird zum gestalteten Sujet, etwa in D. Schnebels Hörfunk I, in Dieter Kühns Goldberg-Variationen oder in M. Kagels Soundtrack, wo die Musik soziale Ebenen repräsentiert und die musikalischen Ebenen zu einer „Karambolage klanglicher und semantischer Art" (W. Klüppelholz) montiert werden. Damit sind die Grenzen zur Dokumentation fließend geworden: Musik, Musikleben, Rezeptionssituationen und gesellschaftliche Funktionen rücken zu Themen des Hörspiels auf, z. B. in der Dokumentation Wie eine Staubwolke von Noten von Ekkehard Sass (1978), wo sich die 300 Stunden lang aufgenommenen gesamten Abläufe innerhalb eines Orchesterbetriebes zu 70 Hörspielminuten verdichten.

HORSCHWELLE /Hörfläche. HORSLEY, engl. Musikerfamilie. — 1) William, * 15. 11. 1774 London, t 12.6. 1858 ebd.; Organist und Komponist. Er war Organist an mehreren Londoner Kirchen. 1798 gründete er den Club Concentores sodales zur Förderung der Glee- und Kanonkomposition. 1813 gehörte er auch zu den Gründern der Philharmonic Society. H. stand mit F. Mendelssohn Bartholdy in freundschaftlicher Verbindung. Er gehört zu den führenden /GleeKomponisten seiner Zeit. WW: Klv.-Stücke; Lieder u. Balladen für 1 u. mehr St.; zahlreiche Glees; Anthems. — Schriften: An Explanation of the Musical Intervals (o. O. 1825?); An Introduction to the Study of Practical Harmony and Modulation (Lo 1847). — H. gab auch die Cantiones Sacrae von W. Byrd heraus (Lo 1842).

2) Charles Edward, Sohn von 1), *16. 12. 1822 London, t 28.2. 1876 New York; Organist und Komponist. Er war Schüler seines Vaters und von I. Moscheles in London, von M. Hauptmann in Kassel und von F. Mendelssohn in Leipzig, wo er auch L. Spohr kennenlernte. Später war er Organist an St. John's in London, ging 1862 nach Australien und lebte zuletzt in den Vereinigten Staaten. Seine Kompositionen sind von Mendelssohn beeinflußt. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; geistliche Werke; Ode Euterpe für Soli, Chor u. Orch.; Musik zu Mittons Cornus; Oratorien David (1850), Joseph (1853) u. Gideon (1859); ferner die Schrift A Text Book of Harmony (Lo 1876).

Lit.: H. SCHWITZKE, Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte (Kö — B 1963); K. BLAUKOPF — S. GOSLICH — W. SCHEIB, 50 Jahre Musik im Hörfunk (Mn 1973); W. KLUPPELHOLZ, Musik als Hörspiel, in: Musik u. Bildung 9 (1977). H.-CH. SCHMIDT

HORST, Anthony van der * 29.6.1899 Amster-. dam, t 7.3. 1965 Hilversum; ndl. Komponist, Organist und Chorleiter. H. war Orgelschüler von J. B. de Pauw und Kompositionsschüler von B. Zweers am Amsterdamer Konservatorium, wo er selbst seit 1936 Orgel und Dirigieren lehrte. Außerdem war er Organist an der Grote Kerk in Naarden, dort seit 1931 auch Dirigent der Nederlandse Bachvereniging. Außerdem dirigierte er die Koninklijke Oratoriumsvereniging in 's-Gravenhage. H. schrieb vor allem Orchesterwerke, Chor- und Orgelkompositionen. Er beschäftigte sich besonders mit dem Problem der Tonalität und verwendete in seinen Werken häufig eine von ihm selbst erfundene achtstufige Tonleiter mit zwei tonalen Zentren, der er den Namen „Modus conjunctus" gab. WW: Suite in modo conjuncto (1943) für Org.; für Orch.: 3 Symphonien (1939, 1954, 1959); 3 Orkest-etudes (1954) u. Réflexions sonores, op. 99 (1963); Psalm 90 (1933) für Sopran u. Org.; Te Deum für Soli, Doppelchor, Orch. u. Org. (1946); Rembrandtkantate (1956); ferner Chorus I—VII (1931-58) für versch. Besetzungen, darunter Nr. II La Nuit für 8st. Chor a cap.

127

Horszowsky Lit.: W. PAAP, in: Mens en melodie 14 (1959) u. 19 (1964); J. GERAERDS, A. van der H., in: Sonorum Speculum 21 (1964); J. WOUTERS, in: ebd. 23 (1965).

und beeinflußte die nationale Richtung innerhalb der tschechischen Musik.

HORSZOWSKY, Mieczyslaw, * 23.6. 1892 Lemberg; amerik. Pianist poln. Herkunft. H. studierte zunächst in Lemberg und 1899-1904 bei Th. Leschetizky in Wien. 1902 debütierte er in Warschau und konzertierte seit 1905, u. a. auch mit P. Casals und A. Rubinstein, in Europa und Amerika. 1942 wurde er Professor für Klavierspiel am Curtis Institute of Music in Philadelphia, wo er 1969 den Ehrendoktortitel für Musik erhielt. H. trat mehrmals mit zyklischen Aufführungen hervor, so 1942-43 in Rio de Janeiro mit sämtlichen Partiten und beiden Teilen des Wohltemperierten Claviers von J. S. Bach und 1954 in New York mit sämtlichen Beethoven-Sonaten.

Lit.: Z. NEJEDLÝ, O. H. (Pr 1955); Z. SADEcKÝ, O některých otázkách estetiky O. Hostinského (Pr 1956).

HORVAT, Milan, * 28.7. 1919 Pakrac (Kroatien); jugoslawischer Dirigent. H. studierte Klavier und Dirigieren an der Musik-Akademie in Zagreb und promovierte an der Universität zum Dr. jur. Seit 1945 leitete er in Zagreb den Rundfunkchor, seit 1946 auch das Philharmonische Orchester und übernahm 1948 eine Professur für Dirigieren an der Akademie. Seit 1953 war er Chefdirigent des Rundfunk-Symphonieorchesters in Dublin und leitete 1958-69 die Oper und Philharmonie in Zagreb. Seitdem dirigiert H., der außerdem in Westeuropa, in den USA und in Japan konzertierte, das Symphonieorchester des ORF in Wien. HOSTINSKÝ, Otakar, * 2. 1.1847 Martiněves (Böhmen), t 19. 1. 1910 Prag; tschechischer Musikforscher und Philosoph. H. studierte zunächst Jura, später Philosophie (bei R. Volkmann) in Prag und München. 1869 promovierte er in Prag, wo er 1871 Musikunterricht bei Fr. Smetana nahm und Kunst- und Musikkritiken für mehrere Zeitungen schrieb. 1873-77 war er als Erzieher des Grafen Siegmund Thun in München, Salzburg und Italien. 1877 habilitierte er sich in Prag für Ästhetik, wurde 1883 Professor und lehrte 1882-86 auch Musikgeschichte am Konservatorium. Seit 1880 war er Mitvorsitzender der Musiksektion der Umělecká Beseda. H. gehörte zu den Begründern der tschechischen Musikwissenschaft. Bedeutung erlangten seine musiktheoretischen Schriften sowie seine Monographie über Fr. Smetana. In seinen ästhetischen Anschauungen von Volkmann ausgehend und an E. Hanslick anknüpfend, entwickelte er die formalästhetische Theorie J. Fr. Herbarts weiter, wobei er Hanslicks Kritik an der Musik der Neudeutschen-Schule zu überwinden suchte. Er setzte sich besonders für die Pflege des Volksliedes ein 128

Schriften: Das Musikalisch-Schöne u. das Gesamtkunstwerk vom Standpuncte der formalen Ästhetik (L 1877); Die Lehre v. den musikal. Klängen (Pr 1879); Herbarts Ästhetik in ihren grundlegenden Teilen (H 1891); J. Blahoslav a J. Josquin (Pr 1896); B. Smetana a jého boj o moderní českou hudbu (Pr 1901, NA 1941); Fibich u. das Melodram (Pr 1901); zahlr. weitere Art. u. Aufsätze in tschechischer Sprache; eine Ausw. seiner Schriften in: H. o umění, hrsg. v. J. Čisařovský (Bronn 1956) u. H. o hudbě, hrsg. v. M. Nedbal (Pr 1961).

HOT (engl., = heiß), im /Jazz übliche zusammen-

fassende Bz. für spezifisch afroamerikanische Ausdrucksmittel (/Hot-Intonation, Blue notes I/Blues], /Growl, /Dirty tones). Hot music wurde in den 20er und 30er Jahren synonym für Jazz als Abgrenzung gegen die Schlagermusik (Sweet music) gebraucht. HOTHBY (Ottobi, Hothius, Octobo, Ottobius), John (Johannes), t 1487 vermutlich in England; Musiktheoretiker und Komponist engl. Herkunft. Mehreren Quellen zufolge soll H. an der Universität Oxford promoviert worden sein und 1435 dort auch gelehrt haben. Eine Quelle berichtet von Studien in Paris, ein Schreiben von H. selbst von Reisen nach Frankreich, England, Spanien, Deutschland und Italien. Als gesichert gilt ein Aufenthalt in Florenz vor 1467. 1467-86 lebte er in Lucca, wo er Kapellmeister an der Kathedrale S. Martino und Musiklehrer an der Kathedralschule war. 1486 folgte er einem Ruf Heinrichs VII. nach England. H. verfaßte mehrere Traktate, in denen er an Pythagoras, Boěthius und Guido von Arezzo anknüpft. Seine konservative Haltung wird besonders in einigen gegen Ramos de Pareja gerichteten Schriften deutlich. H. werden auch einige in Venedig und Florenz erhaltene anonyme Traktate zugeschrieben. Er gehört zu den bedeutendsten Lehrern und Musiktheoretikern seiner Zeit. WW: 9 geistliche u. weltliche Kompositionen, 8 für 3 St. u. eine für 4 St. (hsl. Faenza). — Schriften: La Calliope legale; Tractatus quarundam regularum artis musicae; Dialogus in arte musica. Ausg.: The Musical Works of J. H., hrsg. v. A. SEAY (Dallas/Tex. 1964) (= CMM 33); J.Octobi Ires tractatuli contra B. Ramun, hrsg. v. DEMS. (R 1964) (= CSM 1(1). Lit.: U. KORNMÜLLER, J. H., in: KmJb 8 (1893); A. SEAY,

The Dialogus J. Ottobi Anglici in arte musica, in: JAMS 8 (1955); DERS., Florence. The City of H. and Ramos, in: ebd. 9 (1956).

HOT-INTONATION (engl.), eine für alle Gattungen der afroamerikanischen Musik typische vokale und instrumentale Tonbildung, bei der die einzelnen Töne hart angestoßen (/Attacke) und abgerissen werden. Die H. -I. stellt — insbesondere im instrumentalen Bereich — eine Nachahmung vokaler,

Hovhaness Chakmakjian ursprünglich afrikanischer Ausdrucksmittel dar. Sie wird oft verbunden mit anderen speziellen Möglichkeiten der Tongestaltung wie z. B. /Vibrato, /Glissando, /Growl -Effekte, Blue notes (2'Blues) und /Dirty tones. HOTTER, Hans, * 19. 1. 1909 Offenbach am Main; dt. Sänger (Bariton). H. studierte an der Musikakademie und bei M. Roemer in München und debütierte in der Spielzeit 1929/30 am Stadttheater in Troppau. Nach Engagements in Breslau, Prag (1932-34) und Hamburg (1934-37) kam er 1937 an die Bayerische Staatsoper in München, wo er während seiner gesamten Sängerlaufbahn blieb. Er gastierte weltweit und sang seit 1951 mit triumphalem Erfolg auch bei den Bayreuther Festspielen. Es macht das besondere künstlerische Profil H.s aus, daß er nicht nur das Helden- und Charakterfach beherrschte, sondern als großartiger Darsteller auch Spielrollen (wie den Basilio in G. Rossinis Barbier) gleichermaßen eindrucksvoll gestaltete, und daß er zudem als Liedersänger (u. a. in Fr. Schuberts Winterreise) beispielhaft wirkte. Seit 1958 betätigte sich H. auch als Regisseur und wurde 1967 Spielleiter der Bayerischen Staatsoper. Er veröffentlichte (zus. mit J. Fuchs) Vox humana. Eine Studie über das Singen (Hannover 1952). Lit.: B. W. WESSLING, H.H. (Bremen 1966).

HOTTETERRE, Jacques Martin, * um 1684 Paris, t 16.7. 1762 ebd.; Flötenvirtuose und Komponist. H. entstammte einer weitverzweigten Musikerfamilie. Wegen seines Beinamens „le Romain" gilt es als wahrscheinlich, daß er längere Zeit in Rom verbracht hat. 1705 trat er als Baßviolist und Fagottist der Musique de la Grande Écurie in den Dienst des königlichen Hofes. Aufsehen erregte er vor allem durch sein brillantes Spiel der Querflöte, mit dem er dieses Instrument populär machte und die Blockflöte aus ihrer bisherigen Vormachtsstellung verdrängte. Auch seine Kompositionen für Querflöte bezeugen H.s große Virtuosität. H.s Lehrwerke für die Querflöte wurden grundlegend für die von ihm ausgehende Entwicklung der Flötenmusik und des Flötenspiels des 18. Jh. in Frankreich. WW (alle in Paris erschienen): 2 Bücher Pièces für Fl. u. a. Instr. mit B.c., op. 2 (1708) u. op. 5 (1715); Sonates en trio für 2 FI. oder andere Instr. u. B.c., op. 3 (1712); 3 Bücher Suites de pièces für 2 F1. oder andere Instr., teilw. mit B.c., op. 4 (1712), op. 6 (1717) u. op. 8 (1722); L'art de préluder sur la flůte traversière .. . avec des préludes ..., op. 7 (1719). — Lehrwerke: Principes de la flute traversière..., de la flute à bec..., et du haut-bois (1707 mit mehreren Aufl., auch ndl. A 1728 u. engl. Lo 1729), NA, hrsg. u. erweitert v. A. Bailleux (um 1765); Méthode pour la musette, op. 10 (1737, 2 1738).

Ausg.: Kompositionen: Suite für Fl. u. B.c. aus op.2, hrsg. v. L. SCH AFFLER (1929) (= Nagels MA 48); Sonate D-Dur für Ob., Fl. oder V. u. B.c., hrsg. v. R. VIOLLIER (G 1949) (= Musi-

que Française 6); Suite e-moll op. 2 Nr. 4 für FI. (Ob., V.) u. B.c., hrsg. v. H. RUF (Kas 1956) (= Flötenmusik o. Nr.); Suite des pièces pour la Maréchalle de Villars, hrsg. v. F. KOSCHINSKY (ebd. 1962); Suite (Première suite de pièces) h-moll, hrsg. v. K. ZOLLER (H 1962) (= FI.-Duette alter Meister 1); Préludes, hrsg. v. B. BANG — D. LASOCKI (Lo 1968); 227 Selections from Preludes and Sketches [für Block-Fl.), 2 Bde., hrsg. v. G. VELLEKOOP (A 1968); Triosonaten D-Dur op. 3 Nr. 2 für Altblockflöte, Querflöte (2 Querflöten bzw. Ob., V.) u. B.c. hrsg. v. DEMS. (Mz 1968) (= Antiqua o. Nr.) u. (Mz 1969) (= Il fl. Traverso o. Nr.); Suite e-moll op. 5 Nr. 2 für Altblockflöte (Querflöte, Ob., V.) u. B.c., hrsg. v. DEMS. (Kas 1969) (= Hortus Musicus 198). Lehrwerke: Principes de la flůte traversière, Faks. u. dt. Übers., hrsg. v. H. J. HELLWIG (Kas 1942, 2 1958), NA der Aufl. v. 1720 (G 1973), engl. Übers.: Rudiments of the Flute, hrsg. v. P. M. DOUGLAS (NY 1968) sowie als: Principles of the Flute, hrsg. v. D. LASOCKI (Lo—NY 1968); L'art de préluder sur la flůte traversière, hrsg. v. M. SANVOISIN — A. GEOFFROY DECHAUME (P 1966). Lit.: R. COTTE, H., in: MGG VI, J.M. HUSKINSON, Les „Ordinaires de la Musique du Roi", M. de la Barre, M. Marais et les H., d'après un tableau du début du XVIII'siècle, in: Rech. Mus. 17 (1977).

HOUDAR DE LA MOTTE, Antoine, * 15.1. 1672 Paris, t 26. 12. 1731 ebd.; frz. Librettist. H. studierte zunächst Jura, schlug dann aber eine schriftstellerische Laufbahn ein. Er schrieb das in seiner Konzeption neuartige Libretto für die von A. Campra vertonte Ballettoper L'Europe galante, die 1697 mit ungewöhnlichem Erfolg an der Académie Royale de Musique herausgebracht wurde und die Gattung der /Opéra-ballet begründete. Danach verfaßte er bis 1709 zahlreiche Libretti und einige Kantatentexte u. a. für A. C. Destouches, M. de La Barre, M. Marais und L.-N. Clérambault. 1710 wurde er Mitglied der Académie Française. HOVHANESS CHAKMAKJIAN, Alan Scott; * 8.3. 1911 Somerville (Massachusetts), t 20. 11. 1964 West Orange (N. J.); amerik. Komponist armenischer Abstammung. H. studierte in Boston u. a. Komposition bei Fr. Converse und 1942 als Stipendiat bei B. Martinů in Tanglewood. Später lehrte er selbst am Bostoner Konservatorium und erteilte in den Sommermonaten 1956 und 1957 Kompositionsunterricht an der Eastman School of Music in Rochester (N.Y.). 1959-60 unternahm er Studienreisen nach Indien, 1962-63 nach Japan und Korea. Auf Konzertreisen in Frankreich, Deutschland und der UdSSR führte er eigene Werke auf. Seine Kompositionen wurden größtenteils im Verlag C. F. Peters Corporation in New York veröffentlicht. H. befaßte sich seit etwa 1940 mit orientalischer Musik, blieb aber modal und rhythmisch grundlegend durch die armenische Musik beeinflußt. Nach zunächst streng kontrapunktisch gearbeiteten Werken entwickelte er eine Schreibweise, in der eine Melodiefloskel in mehreren Stimmlagen variiert wird. Einige seiner Kompositionen sind polytonal. 129

Howells WW: 1) lastr.-WW: Sonaten u. Suiten für Klv. sowie 2 Klv.-Quintette, op. 9 u. 109; Streichtrio, op. 201; 3 Streichquartette, op. 8, 147 u. 208; Bläserquintett, op. 159. - Für Orch.: 19 Symphonien: Exile, op. 17; Mysterious Mountain, op. 132; op. 148; für Bläser u. Schlagzeug, op. 165; op. 170; Celestial Gate für kleines Orch., op. 173; Nanga Parvat für Bläser u. Schlagzeug, op. 178; Arjuna, op. 179; Saint Vartan, op. 180; op. 184; All Men are Brothers, op. 186; für Chor, Orch. u. Wasserfallrauschen auf Tonband ad lib., op. 188; op. 190; Ararat für Bläser u. Schlagzeug, op. 194; Silver Pilgrimage, op. 199; für Str. u. koreanische Instr., op. 202; Symphony for Metal Orchestra, op. 203; Circe, op. 204a; Vishun, op. 217; ferner Konzerte für Soloinstr. u. Orch.; Fantasy on Japanese Wood Prints für Xylophon u. Orch., op. 211. - 2) Vokal-WW: Magnificat für Soli, Chor u. Orch., op. 157; Kantate Fuji für Frauenchor, Fl., Harfe u. Str., op. 182; In the Beginning was the Word für Alt, Baß, Chor u. Orch., op. 206; Lady of Light für Sopran, Bar., gem. Chor u. Orch., op. 227. - 3) Bäónen-WW: Musikal. Märchen The Blue Flame, op. 172, UA: San Antonio/Tex. 1959; Kammeroper Pilate, op. 196, UA: Los Angeles 1966; Spirit of the Avalanche, op. 197, UA: Tokio 1963; musikal. Drama The Leper King, op. 219; Opera Ballett The Burning House, op. 185, UA: Gatlinburg/Tenn. 1964; Tanzdrama Wind Drum, UA: Honululu 1962; Ballett Circe, op. 204, UA: Martha Graham School, New York, 1963. Lit.: W. A. DAILEY, Techniques of Composition Used in Contemporary Works for Chorus and Orchestra on Religious Texts ... from 1952 Through 1962 (Washington/D.C. 1965).

HOWELLS, Herbert Norman, * 17. 10. 1892 Lydney (Gloucestershire), t 24.2. 1983 Oxford; engl. Komponist. H. war 1912-17 Schüler u. a. von Ch. Stanford u. Ch. H. Parry am Royal College of Music in London, wo er seit 1920 Kompositionslehrer war. 1925-37 unterrichtete er Harmonielehre und Kontrapunkt am Morley College of Music in London, wurde 1935 Musikdirektor der St. Paul's Girls' School und 1952 Professor of Music an der Londoner Universität, außerdem 1960 Präsident des Royal College of Organists und 1965 Präsident der Plainsong and Mediaeval Society. WW: 1) lestr.-WW: Org.-, Klv.- u. Clavichordstücke; Kammermusik, u. a. 2 Streichquartette, 3 V.-Sonaten; je eine Ob.- u. Klar.-Sonate. - Für Orch.: Suiten: The B.'s Pastoral Rhapsody; Music fora Prince (1943); Krönungsmusik King's Herald (1937); 2 Klv.-Konzerte u. ein Cellokonzert; Elegy für Va., Streichquartett u. Streichorch. - 2) Vokal-WW: Lieder; geistliche Vokalwerke, darunter: Missa sine nomine (1912), Missa sabrinensis (1954) u. eine engl. Messe (1960); Requiem Hymnus Paradisi (1960); Stabat Mater (1964); ferner Anthems, Magnificat u. Motetten. Lit.: H. OTTAWAY, H. H. and the English Revival, in: MT 108 (1967); W. SUTTON, The Organ music of H.H., in: ebd. 112 (1971); R. SPEARING, H. H. A Tribute to H. H. on His Eightieth Birthday (Lo 1972); P. SPICER, H. H.'s Partita, in: MT 115 (1974); C. PALMER, H.H. (Borough Green 1978).

HOW TO SUCCEED IN BUSINESS WITHOUT REALLY TRYING, amerik. Musical in 2 Akten von Frank Loesser (1910--69), der Musik und SongTexte schrieb, Buch von Abe Burrows, Jack Weinstock und Willie Gilbert nach dem gleichnamigen Buch von Shepherd Mead. Ort und Zeit der Handlung: eine amerikanische Großstadt zur Zeit der 130

UA. UA: 14. 10. 1961 in New York (46th Street Theater). 1967 verfilmt. Hauptfigur dieser musikalischen Satire um Karrieren und big business ist J. Pierpont Finch, ein Fensterputzer, der zum Präsidenten der „World Wide Wickets Company" aufsteigt, aber nicht aufgrund besonderer Leistung, sondern allein dadurch, daß er seine Vorgesetzten jederzeit richtig zu behandeln weiß. Die Autoren nehmen in dieser Komödie typische, alltägliche Verhaltensweisen der Mitarbeiter einer großen Firma aufs Korn. Den außerordentlichen Erfolg spiegeln die 1417 Aufführungen en suite am Broadway sowie die Auszeichnungen der Kritik: Pulitzer-Preis für Drama, Antoinette Perry Award und New York Drama Critics Circle Award für das beste Musical (alle 1962). Zu den bekanntesten Songs dieses Musicals, des letzten von Frank Loesser, gehören Grand Old Ivy, ein Loblied auf die Universität, I believe in You und Brotherhood of Men. R.-M. SIMON - S. SIMON

HOYOUL (Hoyol, Hoyu, Hoyou, Hoyeux, Huiol), Balduin, *1547 (1548?) Lüttich, t 26.11. 1594 Stuttgart; franko-flämischer Komponist. H. war Sängerknabe der württembergischen Hofkapelle in Stuttgart und seit 1563 Altist. 1564-65 nahm er bei O. di Lasso in München Kompositionsunterricht, kehrte dann an die Hofkapelle zurück, wo er 1589 als Nachfolger seines Schwiegervaters L. Daser Kapellmeister wurde. WW: Im Druck erschienen Sacrae cantiones für 5-10 St. (Nü 1587); Motetten, eine Messe, lat. Gesänge für 3-10 St. u. 8 Magnificats sowie 19 dt. geistliche Lieder sind hsl. erhalten. Ausg.: 2 Sätze für 3 St., in: Hdb. der ev. Kirchenmusik III/2, hrsg. v. CH. MAHRENHOLZ. Lit.: J. SITTARD, Zur Gesch. der Musik u. des Theaters am Württembergischen Hofe 1 (St 1890, Nachdr. Hil 1970); H. MARQUARDT, Die Stuttgarter Chorbücher (Diss. Tü 1934, Teildruck 1936); D.T. POLITOSKE, B. H. A Netherlander at a German Court Chapel, 2 Bde. (1967) (= Diss. Univ. of Michigan).

HRISANIDE, Alexandru, *15. 4. 1936 Petrila; rumänischer Pianist und Komponist. H. war Schüler am Konservatorium in Bukarest und später von N. Boulanger am Conservatoire Américain in Fontainebleau. Vom Neoklassizismus der französischen Schule ausgehend, sind seine Kompositionen später zunehmend durch strukturelle Elemente gekennzeichnet. H. schrieb Orchester- und Vokalwerke, Kammer- und Klaviermusik. WW: 3 Klv.-Sonaten (1956, 1959, 1964); Unda (1969) für Org.: A la recherche de la verticale (1969) für Ob. solo; Sonate Hommage à Bartók, Enesco, Schoenberg (1957) für V. u. KJv.; Sonate für Klar. u. Klv. (1964); Musik für Va. u. Klv. (1965); VoluminaInventionen (1967) für Vc. u. Klv.; Trio für V., Va. u. Fag. (1958): Streichquartett (1958); Directions (1969) für Bläserquintett. Für Orch.: Poem (1959); VERS-Antique (Hommage à Euripide) (1969); Konzert für Orch. (1964); Ad perpetuam rei memoriam

Huber (1968). - Lieder u. die Kantate C'ÉTAIT issu stellaire (1965) (nach S. Mallarmé) für Männerchor, Org. u. Orch.

HRISTIČ, Stevan, * 19. 6.1885 Belgrad, t 21.8. 1958 ebd.; jugoslawischer Komponist und Dirigent. H. studierte Komposition bei St. Krehl und R. Hofmann und Dirigieren bei A. Nikisch am Leipziger Konservatorium, später Kirchenmusik in Moskau, Rom und Paris. Nach Belgrad zurückgekehrt, gehörte er 1923 zu den Gründern der Philharmonie, die er bis 1934 leitete. 1924-35 war er Direktor und Dirigent des Nationaltheaters, 1937-50 Professor für Komposition an der Staatlichen Musikakademie. 1950 wurde er Mitglied der serbischen Akademie der Wissenschaften und Kunst. Außerdem war er 1951-53 Präsident der jugoslawischen und 1952-54 des serbischen Komponistenverbandes. Von H.s Kompositionen wurde am bekanntesten das Ballett Ohridska legenda (Die Ohrider Legende), eine Folge von brillant instrumentierten Balkan-Volkstänzen, der als Libretto ein Volksmärchen zugrunde liegt. WW: 1) Isstr.-WW: Klv.-Stücke; Vranje Suite (1948) für Orch.; Symphonie Phantasie (1908) für V. u. Orch.; Rhapsodie (1944) für Klv. u. Orch. - 2) Vokal-WW: Lieder u. Chore; Oratorium Vaskrsenje (1912) u. ein Requiem (1918). - 3) Bühnen-WW: Oper Suton, UA: Belgrad 1925, 2. Fassung: ebd. 1954; Ballett Ohridska legenda, UA: ebd. 1947, Neufassung: ebd. 1958.

HUBAY, Jenö, *15. 9. 1858 Pest, t 12.3. 1937 Budapest.; ung. Violinist und Komponist. Er erhielt ersten Musikunterricht bei seinem Vater, dem Violinisten und Komponisten Karl H. (1828-85), und studierte 1873-76 bei J. Joachim in Berlin. Nach Konzertreisen in Ungarn 1876-77 trat er 1878 erfolgreich in einem Konzert von J. E. Pasdeloup in Paris auf, wo er noch Schüler von H. Vieuxtemps wurde. 1882 wurde er Professor für Violine am Brüsseler Conservatoire, 1886 an der Musikakademie in Budapest, die er 1919-34 auch leitete. Sein von ihm zusammen mit D. Popper gegründetes Streichquartett gehörte zu den besten Kammermusikvereinigungen seiner Zeit. H. schrieb u. a. 6 Opern, von denen A Cremonai Hegedüs (Der Geigenmacher von Cremona) einen nachhaltigeren Erfolg erzielte. Sein Hejre Kati für Violine und Orchester wurde ein beliebtes Unterhaltungsstück. WW: Zahlr. V. -Stücke mit Klv. oder Orch., u. a.: Csárda-jelene[; Sonate romantique; Concertstück (Lo 1891); 4 V. -Konzerte; 4 Symphonien(1885, 1915, 1921, 1925); BiedermeierSuite (1913); Lieder u. Chöre; 6 Opern, darunter: A Cremonai Hegedus (Der Geigenmacher v. Cremona), UA: Budapest 1894; Anna Karenina, UA: ebd. 1915; Az Álarc (Die Maske), UA: ebd. 1931; ferner 2 Ballette. Lit.: B. POLLI, J. H. e la sua scuola, in: RM1 47 (1943).

HUBBARD, Freddi (Frederick Dewayne), * 7.4.

1938 Indianapolis (Indiana); amerik. Jazzmusiker

(Trompete, Flügelhorn). H. spielte 1959-60 bei Sonny Rollins und entwickelte sich rasch zum herausragenden Trompeter der 60er Jahre, besonders des Hard Bop. Danach spielte er mit verschiedenen anderen namhaften Musikern, u. a. mit Ornette Coleman, John Coltrane und Max Roach und trat 1965 in einer Studio Big-Band von Friedrich Gulda auf. In den 70er Jahren ließ sich H., der die Stilmittel vom konventionellen Modern Jazz bis zum atonalen Free-Jazz beherrschte, auch mit Jazzrock und Discomusik hören. HUBER, Hans, * 28.6.1852 Eppenberg (Kanton Solothurn), t 25.12. 1921 Locarno; Schweizer Komponist und Musikpädagoge. H. studierte 1870-74 am Leipziger Konservatorium bei C. Reinecke Klavier und bei E. Fr. Richter Musiktheorie und Komposition. 1877 ließ er sich in Basel nieder. Dort wurde er 1889 Lehrer an der seit 1905 mit dem Konservatorium verbundenen Allgemeinen Musikschule, die er 1896-1918 auch leitete. H. gehörte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Schweizer Musiklebens seiner Zeit. Stilistisch von R. Schumann, Fr. Liszt, J. Brahms und R. Strauss ausgehend, weisen seine teilweise populär gewordenen Kompositionen vor allem Einflüsse der Schweizer Folklore auf. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: 4 Trios; 2 Quartette (1891, 1902) u. 2 Quintette (1891, 1907): 8 Triofantasien (1880-85); Quintett (1914) u. Sextett (1900) für Klv. u. Bläser; 9 V.- u. 4 Vc.-Sonaten. - Für Orch.: 8 Symphonien: I: d-moll, Tell (1881), II: e-moll, Böcklin (1900), III: C-Dur, heroische (1902) (mit Sopransolo Sanctus), IV: A-Dur, akademische (1909, revidiert 1918), V: FDur, romantische (1906), VI: A-Dur (1911), VII: d-moll, schweizerische (1917) u. VIII: F-Dur (1920); 4 Klv.-Konzerte: I: c-moll • (1878), II: G-Dur (1891), III: D-Dur (1899) u. IV: B-Dur (1911); ferner ein V.-Konzert g-moll (1878). - 2) Vokal-WW: Oratorien: Der Heilige Hain (1910) u. Weissagung u. Erfüllung (1913); 4 Messen (1919-20). -3) Bühnen-WW: Opern: Weltfrühling, UA: Basel 1894; Kudrun, UA: ebd. 1896; Der Simplicius, UA: ebd. 1912; Die schöne Belinda, UA: Bern 1916; Frutta di mare, UA: Basel 1918). Lit.: E. REFARDT, H. H. (L 1922); G. BUND1, H.H. (Bas 1925); E. REFARDT, H. H. (Z 1944) (darin Aufsätze, WerkVerz. u. Bibliogr.).

HUBER, Klaus, *30. 11. 1924 Bern; Schweizer Komponist. H. studierte 1947-49 am Konservatorium in Zürich Violine bei St. Geyer sowie Musiktheorie und (1955) Komposition bei W. Burkhard. 1955-56 war er Kompositionsschüler von B. Blacher in Berlin. Seit 1950 lehrte er Violine am Konservatorium in Zürich, war 1960-63 Dozent für Musikgeschichte am Konservatorium in Luzern und 1961-64 Dozent für Musiktheorie an der Musikakademie in Basel, wo er 1964-75 eine Kompositions- und eine Instrumentationsklasse leitete. Seit 1976 ist er Professor für Komposition und Leiter des Instituts für Neue Musik an der Musikhoch131

Huber schule in Freiburg im Breisgau. H. knüpft in seiner punktuellen Schreibweise an Webern an. WW: 1)1as1r.-WW: In te Domine speravi (1966) u. Cantus cancricans (1968) für Org.; zahlt. Kammermusik, u. a.: Moteti-Cantiones (1964) für Streichquartett; Alveare vernal (1967) für Fl. u. 12 Str.; James Joyce Chamber Music (1969) für Harfe, Horn u. Kammerorch. — Für Orch.: Inventionen u. Choral (1956); Litania instrumentalis (1957); Tenebrae (1968); Konzert Tempora (1970) für V. u. Orch.; Kb.-Konzert (1977). — 2) Vokal-WW: Antiphonische Kantate nach Ps. 136 (1956) für gem. Chor, Unisonochor u. Orch.; Des Engels Anrede an die Seele (1957) für Tenor, Fl., Klar., Horn u. Harfe; Auf die ruhige Nachtzeit (1958) für Sopran u. 3 Instr. (FL., Va. u. Vc.); Oratorium Soliloquia (1964) für 2 Chöre, 5 Solisten u. groBes Orch.; Das Te Deum Laudamus deutsch nach Th. Müntzer u. M. Weisse (1964) für Chor a cap. u. 3 Einzel-St.; Askese (1966) (Text: G. Grass) für Fl., Sprecher u. Tonband; Psalm of Christ (1967) für Bar. u. 8 Instr.; Kleine deutsche Messe (1969) für gem. Chor, Orch., 3 Streichinstr., Harfe, Schlagzeug u. Gemeindegesang. — 3) Biibaeo-WW: Oper Jot oder Wann kommt der Herr zurück?, UA: Berlin 1973. lit.: F. MUGGLER — M. KNAUER, in: OMZ 24 (1969); K. KELLER, „Tempora", Konzert für V. u. Orch. v. K. H., in: Melos 40 (1973); R. OEHLSCHLÄGER, Auf Gegenwart reagierend. Eine kritische Würdigung K. H.s, in: Musica 28 (1974); U. GASSER, K. H.s „Senfkorn", in: SMZ 119 (1979).

HUBER, Kurt, * 24.10.1893 Chur, t 13.7.1943 Berlin; dt. Musikforscher, Philosoph und Psychologe. H. studierte Psychologie, Philosophie sowie Musikwissenschaft bei A. Sandberger und Th. Kroyer an der Universität München. Dort promovierte er 1917 mit einer Monographie über Ivo de Vento und habilitierte sich 1919 im Fach Psychologie. 1920 wurde er Privatdozent, 1926 Professor für Psychologie und erhielt später auch einen Lehrauftrag für Ton- und Musikpsychologie sowie psychologische Volksliedkunde. Im Auftrag der Deutschen Akademie legte er eine phonographische Sammlung altbayerischer Volkslieder an und war 1937/38 kommissarischer Leiter der Volksmusikabteilung im Staatlichen Institut für Musikforschung in Berlin. Seit 1938 lehrte er wieder in München. Als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und führendes Mitglied der „Weißen Rose" wurde er zusammen mit den Geschwistern Scholl hingerichtet. Schriften: Der Ausdruck musikal. Elementarmotive. Eine experimentalpsychologische Unters. (L 1923); Herders Begründung der Musikästhetik, in: AfMf 1(1936); Die volkskundliche Methode in der Volksliedforsch., in: ebd. 3 (1938); Asthetik, hrsg. v. O. Ursprung (Ettal 1954); Musikästhetik, hrsg. v. dems. (ebd. 1954); Volkslied u. Volkstanz. Aufsätze zur Volksliedkunde des ba juwarischen Raumes, hrsg. v. C. Huber— O. A. von Müller (ebd. 1960). Lit.: K. H. zum Gedächtnis, hrsg. v. C. HUBER (Rb 1947); O. URSPRUNG, K. H., in: Mf 1 (1948); E. GRAVE, Die ästhetischen Kategorien in K. H.s Asthetik (Diss. Mn 1957).

HUBER, Nicolaus A., *15. 3. 1939 Passau; dt. Komponist. H. studierte 1958-62 Schulmusik, dann unter Fr. X. Lehner und G. Bialas Komposition an der Musikhochschule in München. 1965/66 132

arbeitete er mit J. A. Riedl im Münchener Elektronischen Studio und studierte 1967/68 bei L. Nono in Venedig. 1969 wurde er Dozent, 1974 Professor für Komposition an der Folkwang-Musikhochschule in Essen. Als engagierter Sozialist sucht H. mit seinen Kompositionen politisches Bewußtsein zu erwecken und zu verändern. WW: Traummechanik (1968) für einen Schlagzeuger u. Klv.; Darabukka (1976) für Klv.; Dasselbe ist nicht dasselbe (1977/78) für kleine Trommel; presente (1979/80) für Pos.; Streichquartett Informationen über e-f (1965/66); Parusie. Annäherung u. Entfernung (1967) für Orch. u. Tonband; Epigenesis 1 (1967/68), II (1967 / 68) u. III (1968); Aion (1969) für 4-kanaliges Tonband u. Gerüche; von ... bis ... (1968) für Va., Harmonium, Klv. u. Schlagzeug; Versuch über Sprache (1969); Versuch zu „Versuch über Sprache" (1970); Harakiri (1971) für kleines Orch. u. Tonband; „Banlieue", 1. Sprechchor, 2. Augenmusik, 3. Schauplätze der Revolution (1973/74); Gespenster (1976) für groBes Orch., Sprecher/Sänger u. Tonband; 3 Politrevuen (1976, 1977, 1978/79); „Lernen von ..." (1977) für großes Orch. — Von seinen Schriften sei genannt: Die Kompositionstechnik Bachs in seinen Sonaten und Partiten für V. solo und ihre Anwendung in Weberns op. 27/2, in: ZfMTh 1 (1970). Lit.: U. DIBELIUS, Zum Komponieren v. N. A. H., in: Musica 26 (1972); F. DUDDA, N. A. H.s Darabucca, in: Feedback Papers 15 (1978).

HUBERMAN (Hubermann), Bronislaw, *19. 12. 1882 Tschenstochau, t 16.6. 1947 Corsier sur Vevey (Wallis); poln. Violinist. H. war Schüler von Ö. Mihálovich in Tschenstochau und seit 1892 bei J. Joachim in Berlin. Seit 1893 unternahm er zahlreiche Konzertreisen u. a. nach Wien — wo er durch seine Mitwirkung bei dem Wiener Abschiedskonzert der Sängerin Adelina Patti 1895 schlagartig bekannt wurde —, Paris, Brüssel, Amsterdam, Palästina und in die USA. 1936 gründete er in Tel Aviv das Palestine Orchestra (seit 1948 Israel Philharmonic Orchestra), dessen erstes Konzert A. Toscanini dirigierte. 1938 ließ er sich in der Schweiz nieder, wo er mit Ausnahme der Jahre 1941-45, die er in den USA verbrachte, bis zu seinem Tod blieb. Lit.: H. GOETz, B. H. and the Unity of Europe (R 1967); An Orchestra is Born. The Founding of the Palestine Orchestra as Reflected in B. H.'s Letters, Speeches and Articles (Tel Aviv 1969).

HUCBALD (Hucbaldus, Hubaldus, Uchubaldus), OSB, * 840(?), t 20.6. 930 St-Amand-Les-Eaux; flandrischer Musiktheoretiker. H. erhielt seine Ausbildung im Kloster St-Amand, wo sein Onkel Milo Abt und Leiter der Sängerschule war. 860 setzte er seine Studien in Nevers und später als Schüler von Heiric und Mitschüler von Remigius von Auxerre in St-Germain in Auxerre fort. Nach dem Einfall der Normannen 886 lebte er in den Klöstern St-Omer, St-Sifhin und St-Bertin, wo er die Schule leitete. Um 893 wurde er von Bischof Fulco zusammen mit Remigius mit der Neuorganisation

Hug & Co.

der beiden Kathedralschulen in Reims beauftragt. Um 900 kehrte er nach St-Amand zurück und wurde dort als Abt Nachfolger seines verstorbenen Onkels Milo. — H. wurden früher mehrere Musiktraktate, darunter besonders die Musica Enchiriadis, zugeschrieben. Heute gilt lediglich seine Verfasserschaft für De harmonica institutione als gesichert. Dieser von Heiric von Auxerre beeinflußte und nach der Musica Enchiriadis wichtigste Musiktraktat zwischen 800 und 950 kritisiert vor allem Mängel der Neumenschrift und empfiehlt die Verwendung von Linien, Centonen und Buchstaben zur genaueren Fixierung der Tonhöhen. H. schrieb auch Hymnen und Tropen und verfaßte mehrere Hagiographien. Ausg.: Sämtliche Schriften, in: MIGNE PL 132 (P 1853); De harmonica institutione u. die unechten musikal. Schriften (außer De organo), in: GERBERT Scr. I; De organo, in: COUSSEMAKER Scr. I; H. SOWA, Textvariationen zur Musica enchiriadis, in: ZfMw 17 (1935). - Hymne O quam glorifica luce coruscas, in: Hymnen, I: Die ma. Hymnenmelodien des Abendlandes, hrsg. v. B. STÁBLEIN (Kas 1956) (= Monumenta monodica medii aevi 1). Lit.: J. HANDSCHIN, Etwas Greifbares über H., in: AMI 7 (1935); R. WEARLAND, H. as Musician and Theorist, in: MO 42 (1956); H. POTIRON, La notation grecque dans l'institution harmonique d'H., in: Études grégoriennes 2 (1957); R. WEARLAND, The Compositions of H., in: ebd. 3 (1959); J. SMrrs VAN WAESBERGHE, Neue Kompositionen des J. von Metz, H.s v. St-Amand u. S.s von Gembloux?, in: FS H. Husmann (Mn 1970); Y. CHARTIER, La „Musica" d'H. de Saint-Amand. Introduction, établissement du texte, traduction et commentaire (Diss. P 1973).

HUCKE, Helmut, *12. 3. 1927 Kassel; dt. Musikforscher. H. studierte 1947/48 an der Hochschule für Musik und 1948-52 an der Universität Freiburg i. Br., wo er 1952 promovierte. 1953-56 war er Stipendiat der Görres-Gesellschaft in Italien, 1957-62 Schriftleiter und danach Mitherausgeber der Zeitschrift Musik und Altar, außerdem 1964 Konsultor des Consilium ad Exsequendam Constitutionem de Sacra Liturgia. 1967 habilitierte er sich an der Universität Frankfurt am Main und wurde dort 1971 Professor. Seit 1984 lehrt er hauptamtlich an der Musikhochschule Frankfurt und als Honorarprof. an der Universität. 1969/70 und 1977/78 war er Gastprof. in USA (Brandeis University Waltham und University Stony Brook). Schriften: Unters. zum Begriff „Antiphon" u. zur Melodik der Offi~umsantiphonen (Fr 1952); Gregor. Gesang in altrömischer u. fränkischer Überlieferung, in: AfMw 12 (1955); Das Problem des Manierismus in der Musik u. Die Cheironomie u. die Entstehung der Neumenschrift, in: Mf 32 (1979); Über Herkunft u. Abgrenzung des Begriffs „Kirchenmusik", in: Renaissance Stud. FS H. Osthoff (Tutzing 1979) (= Frankfurter Beitr. z. Musikwiss. 11); A. Scarlatti u. die Musikkomödie, in: Colloquium A. Scarlatti Würzburg 1975 (Tutzing 1979) (= Würzburger Musikhist. Beitr. 7); Das kirchenmusikal. Erbe in der liturg. Erneuerung, in: MS 100 (1980); Toward a New Historical View of Gregorian Chant, in: JAMS 33 (1980).

HUDEČEK, Václav, * 7.6.1952 Rožmitál pod Třemšínem; tschech. Violinist. Er studierte seit 1968 an der Musikakademie in Prag bei Václav Snítil und debütierte 1967 in London mit dem Royal Philharmonic Orchestra in Paganinis D-dur-Konzert. 1972-74 war er Schüler von David Oistrach in Moskau. H. ist häufig mit selten gespielten Werken des 19. und 20. Jh. zu hören und konzertiert neben seiner Hochschultätigkeit im In- und Ausland. HUE, Georges Adolphe, * 6.5.1858 Versailles, t 7.6. 1948 Paris; frz. Komponist. H. war Schüler von É. Paladilhe und am Pariser Conservatoire u. a. von N. H. Reber. 1879 erhielt er für seine Kantate Medée den Prix de Rome. Nach zweijährigem Romaufenthalt unternahm er zahlreiche Reisen in die ganze Welt, deren Eindrücke sich in vielen Kompositionen niederschlugen. H., der ein begeisterter Anhänger R. Wagners war, schrieb vor allem Lieder und Bühnenwerke, die mit großem Erfolg in Paris aufgeführt wurden. WW: 1) Instr.- a. Vokal-WW: Symphonische Werke u. Stücke für V., Fl. u. Orch.; ferner Lieder u. Chöre; Kantate Médée (1879) u. die symphonische Legende Rübezahl (1886) für Soli, Chor u. Orch. sowie eine Episode sacré Résurrection (1892) für Sopran solo u. Chor. - 2) Birnen-WW (in Paris uraufgeführt u. gedruckt): Opern: Le Roi de Paris, UA: 1903; Titania, UA: 1903; Le Miracle, UA: 1910; Dans l'ombre de la cathédrale, UA 1921. Opéras-comiques: Les Pantins, UA: 1881; Riquet à la houppe, UA: 1928. - Ballette und Pantomimen: Cceur brisé, UA: 1890; Siang-Sin, UA: 1924; Nimba (um 1920) (hsl. erhalten); ferner Bühnenmusik. Lit.: G. SAMAZEUILH, Musiciens de mon temps (P 1947).

HUFNAGELSCHRIFT OENotenschrift. HUFSCHMIDT, Wolfgang, * 15.3. 1934 Mülheim, dt. Komponist. H. studierte 1953-58 Kirchenmusik an der Folkwangschule in Essen, wo er seit 1960 neben seiner Tätigkeit als Kirchenmusiker auch Theorielehrer war. 1969 wurde er Professor für Komposition. WW: Verwandlungen für Streichquartett (1966-69); Ricercar für Altft. (1966); Kontrafaktur1(1972) für Orch.; Sonate über Musik (1975) (Lehr- u. Lernstück für Kinder). - Gebete für den toten Bräutigam (1962) (Text: N. Sachs), für Alt u. Instr.; Texte über Frieden (1969) für Männerchor, 2 KIv. u. Schlagzeug; Stephanus. Eine Dokumentation in Bildern, Musik u. Sprache (1971/72); Kontrafakturll (1973/74) für 5 Chorgruppen; Agende (1973) für 2 Diaprojektoren, Tonband, Radioempfänger, 4 Chorgruppen, Org. u. 3 Liturgen; Exercitien 111- Das Prinzip Hoffnung (1974) (nach E. Bloch) für 6 Ausführende; Trio 3 (1975) für Sprecherinnen u. Instr.; Musik zu Heines „Deutschland, ein Wintermärchen" (1977) für Sprecher/Sänger u. Gitarre; Weihnachtstriptychon (1977/80) (zus. mit W. Pilz) für 3 Filme, Sprecher, Tonband, SingSt u. Instr.; Und mein Gesang wird singen ein anderer Mund (1978/80) für 48 St. a cap.; 3 jiddische Lieder (1978) für Sänger, Fl. u. Schlagzeug; Die Städte sind für dich gebaut (1980) (nach B. Brecht) für eine Schauspielerin mit optischen u. akustischen Requisiten.

HUG & CO., Schweizer Musikverlag, Musikalien133

Hugenotten und Instrumentenhandlung. Die Firma wurde 1791 von H. G. Nägeli in Zürich gegründet und 1807 von Jakob Christoph H. und Caspar H. übernommen, die seit 1817 mit „Gebrüder Hug" firmierten und

neben dem Verlag auch eine Instrumentenhandlung betrieben. Seit Mitte des 19. Jh. wurde das Unternehmen durch in- und ausländische Niederlassungen, u. a. in Basel, St. Gallen, Luzern, Leipzig, Winterthur, Neuchâtel und Solothurn, erweitert. Schwerpunkte des Verlags bilden Werke Schweizer Komponisten, Schul- und Unterrichtswerke und besonders Chorwerke. Bei H. erscheinen auch mehrere Musikzeitschriften, darunter (seit 1876) die Schweizerische Musikzeitung. 1923 schenkte die Firma ihre Sammlung von 220 alten Musikinstrumenten dem Zürcher Kunstgewerbemuseum. Sie wird heute von Erika H. geleitet und firmiert mit „Musikverlag Hug & Co.". Niederlassungen befinden sich in Basel und Zürich. Lit.: S. F. MÜLLER, Ein Haus der Musik. Aus 150 Jahren H. & Co. (Z 1957); DERS., J. Ch. H., in: RMS 97 (1957); H. -M. PLESSKE, Bibliogr. des Schrifttums zur Gesch. dt. u. östr. Musikverlage, in: Beirr. z. Gesch. des Buchwesens 3, hrsg. v. K. -H. Kalhöfer — H. Rötzsch (L 1968).

HUGENOTTEN, DIE (Les Huguenots), Oper in 5 Akten von Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Text von Eugène Scribe (1791-1861) und Émile Deschamps (1791-1871), mit Abänderungen von Gaetano Rossi (1780-1855). Ort und Zeit der Handlung: Paris und Umgebung, 23./24.8. 1572 (Bartholomäusnacht). UA: 29.2. 1836 in Paris (Académie royale de Musique). Der namentlich in katholischen Ländern als bedenklich empfundene politisch-religiöse Stoff führte zu mehreren Umtextierungen und Umbenennungen: Die Schweden vor Prag (Prag Juni 1836); Die Anglikaner und die Puritaner (München 22.5.1838); Die Ghibellinen vor Pisa (Kassel 20.8. 1839); Die Welfen und Ghibellinen (Wien 19. 12. 1839); Die Dekabristen (Moskau 1925). In Berlin war die Oper wegen Einspruchs der Zensurbehörde bis 1842 verboten. Der Massenmord an den Hugenotten in der Bartholomäusnacht ist historischer Hintergrund und zugleich Moyens für eine Liebeshandlung zwischen Valentine, Tochter des Anführers der Katholiken, und Raoul, einem der Führer der Hugenotten. Dieser wird, unbeobachtet, Zeuge der fanatischen Mordverschwörung (Schwerterweihe) — nur einen Moment vermag ihn Valentine durch das Geständnis ihrer Liebe davor zurückzuhalten, seine Freunde zu warnen. Meyerbeer hat mit den Hugenotten den Prototyp der Grand Opéra und eines der erfolgreichsten Werke der Operngeschichte geschaffen. Von 1836 134

bis 1900 erreichte die Oper allein in Paris über 1000 Aufführungen. Thematisch charakteristische, aber zugleich auch hochvirtuose Arien, die oft zu dramatischen Szenen geweitet werden, rhythmisch prägnante Chöre, frei entwickelte Accompagnati und wirkungsvolle, gut disponierte Balletteinlagen beweisen die Modernität damaligen Opernschaffens. Alle Elemente können zum Tableau, der Großszene, zusammengebunden werden. Die Rolle des Marcel hob Meyerbeer durch eine Art Leitmelodie, die Verwendung des Kirchenliedes Ein feste Burg, heraus; Marcels Rezitative werden konsequent durch die Leitfarbe von Kontrabaß und arpeggiertem Violoncello koloriert. Anstelle von Artenreihung kultiviert Meyerbeer die frei konstruierte Dialogszene, z. B. im Final -Duett zwischen Valentine und Raoul im 4. Akt, in dem der Simultangesang zugunsten freier deklamatorischer Abschnitte zurücktritt. Die Instrumentation der Partitur, in der zum ersten Male die Baß-Klarinette vorgeschrieben ist (5. Akt), erregte Bewunderung. Die Hugenotten lösten eine breite ästhetische Diskussion aus (Berlioz, Wagner, Heine, Schumann, George Sand, Liszt, Hanslick u. a.); die Melodien wurden als Grundlage zahlreicher KlavierBearbeitungen verwendet. H. BECKER HUGENOTTENPSALTER (frz.: psautier Huguenot), Bz. für eine Sammlung von Psalmen in französischer Sprache, die, mit Melodien versehen und durch die 10 Gebote sowie das Canticum Simeonis ergänzt, das offizielle Gesangbuch der reformierten Kirchen wurden. Die Versifizierung der Psalmen erfolgte von 1539-62 vornehmlich in Genf, der Hauptwirkungsstätte Calvins (daher heute auch vielfach die Bz. Genfer Psalter). Calvin hatte sich spätestens seit 1536 mit dem Gemeindegesang beschäftigt und 1539 als Pfarrer der französischen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg als erstes französisches Gemeindegesangbuch die Aulcuns pseaumes et cantiques mys en chant herausgegeben. Es enthält 22 Lieder, darunter 13 Psalmbereimungen von Cl. Marot und 6 von Calvin selbst; ebenso sind die 10 Gebote, das Canticum Simeonis und ein versifiziertes Credo seine Schöpfungen. Die Melodien stammen z. T. aus dem Straßburger, seit 1524/25 eingeführten evangelischen Gemeindegesang, z. T. wurden sie der ungewöhnlichen Strophenformen in Marots Texten wegen neu geschaffen. Dies geschah höchstwahrscheinlich durch die Straßburger W. Dachstein und M. Greiter. Das Gesangbuch von 1539 bildete den Ausgangspunkt für die Genfer Ausgaben, deren Geschichte mit La Forme des Prières et Chantz Ecclésiastiques (1542) beginnt. Ihr Schöpfer ist Calvin (grundlegend für

Hugenottenpsalter sein Musikverständnis ist darin die Epistre au lecteur), der 1541 nach Genf zurückgekehrt war. Der Druck enthält 36 Psalmlieder, darunter 30 von Marot, während Calvin seine Lieder nach und nach zurückzog, ferner 4 weitere Gesänge. Bereits 1543 erschien eine weitere Ausgabe mit nunmehr 49 Psalmen von Marot und der erweiterten Epistre au lecteur. Nachdem Marot 1544 gestorben war, stagnierte zunächst die Weiterführung des H., bis von 1550 an Th. de Bèze auf Drängen Calvins die Versifizierung der übrigen Psalmen in Angriff nahm. 1551 erschienen in Genf die Pseaumes octantetrois mit den bisherigen 49 von Marot und 34 neuen von de Bèze sowie dem 10-Gebote-Lied, dem Canticum Simeonis und dem Glaubenslied (alle drei von Marot) und 2 Tischliedern. De Bèze fügte 1554 6 und 1556 7 neue Bereimungen hinzu und vollendete von 1559 (nach seiner Berufung zum Rektor der Genfer Akademie) bis 1562 den vollständigen Liedpsalter. Nicht so deutlich wie die Herkunft der Texte ist die der Melodien. Von den zunächst aus Straßburg übernommenen wurde allein die zu Psalm 36 (die heute in Verbindung mit S. Heydens O Mensch, bewein dein Sünde groB allgemein bekannte) beibehalten; die 1542/43 hinzugekommenen stammen wahrscheinlich von G. Franc, dem damaligen Kantor an der Genfer Peterskirche. Greifbar ist der Anteil von L. Bourgeois (Genfer Kantor von 1545-1552) an der weiteren Melodiebeschaffung. Er hat nicht nur die Weisen zu den 34 neuen Psalmen der Ausgabe von 1551 beigesteuert, sondern zugleich den gesamten, damals vorliegenden Psalter einheitlich musikalisch redigiert (wichtig darin sein Advertissement touchant les Chants des Pseaumes). Melodiebeschaffung heißt nicht zwangsläufig die Bereitstellung originaler Neuschöpfungen, obwohl diese wahrscheinlich die Mehrzahl im H. ausmachen; es schloß auch die Möglichkeit der Umbildung vorhandenen Melodiengutes ein. Das hat Bourgeois in einigen Fällen ähnlich wie die lutherische Reformation mit mittelalterlichen liturgischen Weisen getan; dadurch ist es freilich zu vorübergehenden Spannungen mit dem Genfer Rat gekommen. Die Anknüpfung an weltliche Weisen ist offenbar nur ganz vereinzelt erfolgt. Von besonderer Eigentümlichkeit ist die völlig einheitliche rhythmische Redaktion der Genfer Weisen, die — mit nur zwei Ausnahmen aus den Jahren 1542-43 — durchweg streng syllabisch in der Notierung von ausschließlich Semibreven und Minimen und unter Verzicht auf punktierte Noten und Ligaturen abgefaßt sind; jede Melodiezeile beginnt und endet mit einer Semibrevis, nach jeder Zeile folgt eine entsprechende Pause. Nur am Abschluß der Melodie steht eine Longa. Nicht zuletzt dieser

höchst einprägsamen rhythmischen Einheitlichkeit verdankt der H., vor allem auch außerhalb des französischen Sprachgebiets, seine große und schnelle Verbreitung. Zu den nach 1551 hinzugekommenen Psalmliedern wurde nicht mehr die gleiche Anzahl von Weisen beschafft; verschiedentlich wurden bereits vorhandene wiederverwendet. Die Herkunft der Melodien aus der Zeit nach 1551 ist nicht mit Sicherheit ermittelt. Es gilt als unwahrscheinlich, daß deren Schöpfer der damalige Genfer Kantor P. Dagues gewesen ist, da er nirgends sonst als Komponist ausgewiesen ist. Insgesamt énthält der abgeschlossene H. 125 Melodien zu den 152 Texten. Mit der offiziellen Geltung des Psalters war zugleich eine in den Ausgaben stets mitgedruckte Table pour trouver les Pseaumes seIon l'ordre, qu'on les chante en l'Église à Genève verbunden, die eine strenge Ordnung der gottesdienstlichen Verwendung sämtlicher Psalmen vorsah. — Ein weiterer Liedpsalter entstand um die gleiche Zeit in Lausanne. Dort erschienen 1552 (21557) 34 Psalmen von de Bèze mit Melodien von Fr. Gindele, und 1565 vollendete Franc in Lausanne den mit zahlreichen eigenen Weisen vervollständigten Psalter, der sich jedoch gegenüber dem H. auf die Dauer nicht durchsetzen konnte. Der H. erfuhr seit 1562 eine in der Gesangbuchgeschichte einmalige Verbreitung. Allein in Genf wurden über 30000 Exemplare hergestellt, und die Zahl der an 18 verschiedenen Orten erschienenen Drucke belief sich bis um 1600 auf über 60. Gleichzeitig wurde der H. unter Beibehaltung der originalen Strophenformen in zahlreiche andere Sprachen übersetzt (1872 bereits 19), u. a. ins Holländische durch P. Dathenus, ferner ins Englische und Italienische sowie ins Deutsche durch den lutherischen Königsberger Rechtsgelehrten A. Lobwasser (1565, frühester nachgewiesener Druck 1573), wobei die Melodien das Bindeglied zu dem Original darstellen. Der Lobwasser-Psalter wurde in sämtlichen reformierten Kirchen des deutschen Sprachgebietes einschließlich der Nordschweiz offizielles Gesangbuch und diente obendrein als Grundlage für eine Übersetzung ins Ungarische. Allerdings bildete er stets nur den ersten Teil, dem jeweils ein zweiter mit sonstigen, auch lutherischen Liedern folgte. Der H. blieb überall rund 200 Jahre uneingeschränkt in Gebrauch. Erst im Zeitalter der Aufklärung setzten, bei oft gleichzeitigem Verzicht auf seine Vollständigkeit, Textrevisionen ein; auch neue Übersetzungen wurden eingeführt. Hingegen blieben die Melodien nach vorübergehender Isometrierung bis zur Gegenwart im Gebrauch. Der vollständige H. mit den Genfer Weisen ist heute noch im holländischen Liedboek voorde Kerken (1973) enthalten. 135

Hugenottenpsalter Trotz des Verbotes von Figuralmusik im reformierten Gottesdienst entstanden von Anbeginn an zahlreiche mehrstimmige Bearbeitungen des H. für die häusliche Erbauung. Die wichtigsten sind die von L. Bourgeois (die früheste Sammlung im Kantionalsatz-Stil: 50 Psalmen, 4st.-homophon mit Tenor-Cantus firmus, 1547), Cl. Goudimel (3-6st. Liedmotetten, 1551-66; 4st.-homophon, 1564/65; figurierte Sätze, 1568), Ph. Jambe de Fer (4-5st., meist homophon, 1564), P. de l'Estocart (4- bis 5st.-polyphon, 1583), Cl. le Jeune (4st.-homophon, 1601) und J. P. Sweelinck (4-8st. Liedmotetten, 1604-21). Auch Bearbeitungen für Laute und für Orgel, insbesondere die von H. Speuy (1610), S. Mareschall (1640), A. van Noordt (1649) und Fr. Hurlebusch (1740) sind überliefert. Von allen Ausgaben erlangten die homophonen von Cl. Goudimel und Cl. le Jeune mit Abstand die weiteste Verbreitung. Ihr intensiver Gebrauch führte seit dem späten 17. Jh. vor allem in der Schweiz zum mehrstimmigen Gemeindegesang. In Deutschland erschien bereits der Erstdruck des Lobwasser-Psalters mit den Goudimel-Sätzen von 1564/65, dem zahlreiche weitere Ausgaben folgten. M. Praetorius bearbeitete in verschiedenen Teilen der Musae Sioniae (1605-10) 21 Genfer Weisen mit dem Lobwasser-Text (zumeist mehrchörig). Landgraf Moritz von Hessen ergänzte in der Kasseler Ausgabe des Lobwasser-Psalters von 1607 bei den Psalmen ohne eigene Weisen den Melodienbestand durch Neuschöpfungen, die sich jedoch nicht durchsetzten. 1657/58 gab J. Crüger in der Psalmodia sacra für den reformierten kurfürstlichen Hof in Berlin den Lobwasser-Psalter mit eigenen 4st. Sätzen (mit 2 Instrumentalstimmen und B.c.) zu den Genfer Weisen heraus. Eine Anzahl von Melodien des H. fand sogar Eingang in den lutherischen Kirchengesang und beeinflußte dessen Melodiengut. Ausg.: Aulcuns pseaulmes ... 1539, hrsg. v. M. D. DELÉTRA (G 1919); Les Psaumes ... mis en musique ... par C. Goudimel 1565, hrsg. v. K. AMELN - P. PIDOUX (Kas 1935); Das Psalmenbuch, hrsg. v. H. HOLLIGER (Kas 1953); 150 Pseaumes ... par P. de L'Estocart 1583, hrsg. v. P. PIDoux - H. HOLLIGER (Kas 1954); La forme des prières ... 1542, hrsg. v. P. PIDoux (Kas und Bas 1959); L. Bourgeois, 24 Psaumes 1547, hrsg. v. P. A. GAILLARD (Bas 1960); Chorals de la réforme, hrsg. v. M. HONEGGER (P 1965); G. MIGOT, 53 Psaumes huguenots (P 1966); G. GOUDIMEL, fEuvres complètes (NY 1967ff.); Pseaumes octantetrois ... 1551 (New Brunswick 1973). Lit.: W. S. PRATT, The Music of the French Psalter of 1562 (NY 1939, Nachdr. 1966); P. A. GAILLARD, L. Bourgeoys ... (Lau 1948); U. TEUBER, Notes sur la rédaction musicale du psautier genevois 1542-1562, in: Ann. Mus.4 (1956); P. PIDOUX, Le Psautier Huguenot, 2 Bde. (Bas 1962); W. BLANKENBURG, Zur Verbreitung des Genfer Liedpsalters in Mitteleuropa in den ersten Jahrzehnten nach seiner Fertigstellung, in: JbLH 9 (1964); DERS., Die Kirchenmusik in den reformierten Gebieten des europäischen Kontinents, in: F. Blume, Gesch. der ev. Kirchen-

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musik (Kas 2 1965); S. J. LENSELINK, Les Psaumes de C. Marot ... (Kas- Bas 1969); P. PIDOUX, L. Bourgeois' Anteil am H., in: JbLH 15 (1970); D. GUTKNECHT, Unters. zur Melodik des H.s (Rb 1972) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 67); G. ÄSCHBACHER, Bemerkungen zur rhythmischen Gestalt des H.s, in: FS A. Geering (Be 1972). W BLANKENBURG

HUGHES, Anselm, OSB, * 15.4.1889 London, t 8. 10. 1974 Burnham (Buckinghamshire); engl. Musikforscher. H. studierte 1908-11 am Keble

College in Oxford, wo er 1911 Bachelor of Arts und 1915 Master of Arts wurde, und 1911-12 am Theological College in Ely. Anschließend war er bis 1922 Chordirigent an mehreren Londoner Kirchen, seit 1922 Musikdirektor an der Abtei von Pershore (Worcester) und seit 1926 an der Abtei von Nash dom (Buckinghamshire), deren Prior er 1936-45 war. 1926-35 war er Sekretär, seit 1949 Vizepräsident der Plainsong & Mediaeval Music Society und seit 1947 Vorstandsmitglied der Gregorian Association, außerdem Präsident der Faith Press Ltd. in London. H. setzte sich bes. für die Erforschung und Wiederbelebung älterer englischer Musik ein. WW: 1) Schriften: Early English Harmony 11 (Lo 1913); Latin Hymnody (Lo 1922); Worcester Mediaeval Harmony of the 13th and 14th Century (Burnham 1928, Nachdr. Hil - NY 1971); Anglo-French Sequelae (Burnham 1934, Nachdr. Lo 1966); Mediaeval Polyphony in the Bodleian Library (0 1951); Septuagesima. Reminiscences of the Plainsong & Mediaeval Music Society... (Lo 1959); The Topography of English Mediaeval Polyphony, in: Gedcnkschrift J. Handschin (Str 1962); Ninety Years of English Musicology, in: FS Ch. van den Borren (An 1964); Continuity, Tradition and Change in English Music up to 1600, in: ML 46 (1965); New Italian and English Sources of the 14th to 16th Century, in: AML 39 (1967). - Ferner war H. Hrsg. v. The New Oxford History of Music II: Early Mediaeval Music up to 1300 (Lo 1954, revidiert 1955) u. III: Ars nova and the Renaissance (Lo 1960) (zus. mit G. Abraham). - 2) Editionen: English Gothic Music (Lo 1941 ff.) (zus. mit P. Grainger); The Fayrfax Series (Lo 1949ff.); Plainsong for English Choirs (Lo 1967).

HUGHES, irische Musikerfamilie. — 1) Herbert, * 16. 3.1882 Belfast, t 1. 5.1937 Brighton; Musikforscher, Musikkritiker und Komponist. Er war seit 1901 Schüler am Royal College of Music in London. 1904 gehörte er zu den Gründern der Irish Folk Song Society, von deren Journal er zusammen mit Charlotte M. Fox die ersten beiden Bände herausgab. 1911-32 war er Musikkritiker beim Daily Telegraph. H. gab außerdem 4 Bde. Irish Country Songs (1909-36) und Historical Songs and Ballads of Ireland (1923) heraus. Seine Kompositionen umfassen hauptsächlich Lieder. — 2) Spike (eig. Patrick Cairns), Sohn von 1), * 19. 10.1908 London; Komponist und Musikschriftsteller. Er war 1923 —25 Schüler von E. Wellesz in Wien. 1930-33 leitete er ein eigenes Tanzorchester, wurde 1933 Musikkritiker beim Daily Herald und arbeitete seit

Hiillmandel 1937 vorwiegend für die BBC. Seine Cinderella gilt als die erste Fernsehoper. WW: 1) Kompositionen: Kammermusik; Ballett High „Yellow", UA: London 1932; Fernsehoper Cinderella, UA: BBC 1938, UA der Funkfassung: BBC 1942; Operette Bianca (1937); Oper St. Patrick's Day (1947); ferner Film- u. Bühnenmusik. - 2) Schriften: Autobiographische Schriften Opening Bars (Lo 1946) u. Second Movement (Lo 1951); ferner Nights at the Opera (Lo 1948) (zus. mit B. MacFadyean); Famous Mozart Operas (1956); Glyndebourne. A History of the Festival Opera (1965); Famous Verdi Operas (Lo - Philadelphia 1968).

HUGLO, Michel, * 14.12.1921 Lille; frz. Musikforscher. H. trat in die Benediktiner-Abtei St Pierre in Solesmes ein, studierte 1943-48 Philosophie und Theologie und empfing 1947 die Priesterweihe. Von 1948 bis zu seinem Austritt aus dem Kloster 1960 war er Mitarbeiter der Paléographie musicale. Nach dem Studium bei J. Chailley an der Sorbonne in Paris promovierte er dort 1969. Seit 1962 gehört H. dem CNRS an. 1976 wurde er Vizepräsident der Société française de musicologie. Schriften: Notice descriptive sur le manuscrit VI. 34 de Bénévent, in: Paléographie musicale 15 (1953); Les noms des neumes et leur origine, in: Études grégoriennes 1 (1954); La chironomie médiévale, in: RMie 49 (1963); Les tonaires. Inventaire, analyse, comparaison (P 1971); Tradition orale et tradition écrite dans la transmission des mélodies grégoriennes, in: Stud. z. Tradition in der Musik. FS K. von Fischer (Mn 1973); La musicologie au XVIII siècle. G. Martini et M. Gerbert, in: RMie 69 (1973); Introduction en Occident des formules byzantines d'intonation, in: Studies in Eastern Chant 3 (1973); L'auteur du traité de musique dédié à Fulgence d'Affligem, in: RBMie 31 (1977); Aux origines du trope d'interpolation. Le trope méloformed'introiť, in: RMie 84 (1978); Les débuts de la polyphonie à Paris. Les premiers „organa " parisiens, in: Forum musicologicum 2 (K6 1980).

HUGO, Victor Marie, * 26. 2.1802 Besançon, t 22. 5.1885 Paris; frz. Dichter. H. war Sohn eines napoleonischen Generals, wuchs in Neapel und Madrid auf und kam dann nach Paris. 1822 veröffentlichte er seine erste Gedichtsammlung. 1841 wurde er Mitglied der Académie Française und 1845 Pair de France. Nach Ausbruch der Revolution 1848 wurde er Deputierter der Pariser Kammer und Führer der demokratischen Linken. Während der Herrschaft Louis Napoléon Bonapartes lebte er in Brüssel und später auf den Inseln Jersey und Guernsey im Exil. 1870 kehrte er nach Frankreich zurück. H. gehörte zu den führenden Vertretern einer französischen Romantik, wie sie H. selbst als eine Art von Liberalismus auffaßte. Zur Musik hatte er allerdings keine engere Beziehung und soll sich sogar ausdrücklich gegen eine Vertonung seiner Gedichte gewandt haben, die jedoch wegen ihrer eigenen rhythmischen und klanglichen Musikalität eine große Faszination auf die bedeutendsten französischen Komponisten seiner Zeit ausübten. Lieder und Chorwerke auf Texte von H. schrieben u. a. H. Berlioz, G. Fauré, C. Franck, V. d'Indy,

É. Lalo, Ch. Gounod, C. Saint-Saëns und R. Wagner. Darüber hinaus wurden mehrere seiner Theaterstücke als Opernvorlagen verwendet, so Le roi s'amuse und Hernani für G. Verdis Rigoletto und Hernani, Lucrèce Borgia für G. Donizettis gleichnamige Oper und Angelo tyran de Padoue für S. Mercadantes Il giuramento und A. Ponchiellis La Gioconda. Ausg.: tEuvres complètes de V. H., 48 Bde. (P 1880-89); tEuvres inédites, 9 Bde. (P 1886-93) u. ouvres posthumes, 12 Bde. (P 1897-1903). Lit.: R. BRANCOUR, Le sentiment de la musique chez V. H., in: RMI 22 (1915); TH. MARIX-SPIRE, Les Romantiques et la musique. Le cas G. Sand (P 1954); L. GscHOPF, Die Dramen V. H.s in der Operndichtung (Diss. W 1952); H. PULS, Die Musikauffassung der französischen Romantik, dargestellt an Lamartine und V. H. (Diss. Saarbrücken 1955); L. K. GERHARTZ, Die Auseinandersetzung des jungen Verdi mit dem literarischen Drama (B 1968) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 15); L. GUICHARD, V. H. et „Le roi s'amuse", in: Verdi. Bolletino dell'Istituto di Studi Verdiani 3/7 (Parma 1969).

HUGO VON REUTLINGEN (Hugo Spechtshart), * 1285 Reutlingen, t 1359 oder 1360; dt. Musiktheoretiker. Er war Leutpriester an der Marienkirche zu Reutlingen. Von seinen Schriften sind für die Musikgeschichte wichtig der Musiktraktat Flores musicae omnis cantus Gregoriani (1332, erweiterte Fassung 1342, gedruckt Str 1488) und eine Vers-Chronik (Chronikon, 1349), die auch die einzige Quelle für die erhaltenen Melodien der OEGeißlerlieder ist. Der Straßburger Druck der Flores enthält frühe Beispiele des Notendrucks. Ausg.: Die Lieder u. Melodien der GeiBler..., hrsg. v. P. RUNGE (L 1900, Nachdr. Hil 1969); Flores musicae, hrsg. v. K.-W. GOMPEL (1958) (= Akad. der Wiss. u. Lit. Mainz, Abh. der geistesu. sozialwiss. Klasse 3). Lit.: A. HUBNER, Die Geißlerlieder (B-L 1931).

HUFZAR GARCÍA DE LA CADENA, Candelario, * 2.2.1883 Jerez (Mexiko), t 3.5.1970 Mexico City; mexikanischer Komponist. H. war zunächst Militärmusiker. 1918 studierte er Komposition bei G. Campa am Konservatorium in Mexico City, wo er später Komposition und musikalische Analyse lehrte. Nach einem Schlaganfall 1944 zog er sich von seinen Ämtern zurück. H. schrieb hauptsächlich Orchesterwerke. Charakteristisch ist die Verwendung von Instrumenten, Themen und Rhythmen der indianischen Musik. Am bekanntesten wurde H.s Pueblerinas. WW: Kammermusik, u.a. ein Streichquartett (1938); Preludio e Fuga (1943) für Orch.; 4 Symphonien (1930, 1936, 1938, 1942); symphonische Dichtungen: Imágenes (1929), Pueblerinas (1931) u. Surco (1935); ferner Prière pour ma mère für SingSt u. Orch.

HULLMANDEL, Nicolas Joseph, * 23.5.1756 Straßburg, t 19. 12.1823 London; elsässischer Pianist und Komponist. H. war ein Neffe des berühm137

Humair ten Hornisten und Komponisten J. J. Rodolphe. Seine erste Ausbildung erhielt er als Chorknabe am Straßburger Münster. Später war er Schüler C. Ph. E. Bachs in Hamburg. 1776 ließ er sich in Paris nieder, wo er als Klavierspieler und Klavierlehrer und auch als Glasharmonika-Spieler bald großes Ansehen erlangte. Bei Ausbruch der Französischen Revolution ging er nach London. H. schrieb vorwiegend Werke für Klavier, für dessen Bevorzugung gegenüber dem Cembalo er auch in einem Artikel über das Clavecin in Diderots und d'Alemberts Encyclopédie méthodique (P 1797) eintrat. WW (alle in Paris gedruckt z.T. mit mehreren Nachdrucken): Sonaten für Klv. mit V. (meist ad lib.), op. 1 (um 1774), 3 (1777), 6 (1782), 8/3 (1783), 9 (1787), 10 (1788), 11 (1788); Klv.-Sonaten, op. 4 (1778) u. 8 (1778); Petits airs für Klv., op. 2 (1776), 5 (1780) u. 7 (Divertissements) (um 1778); ferner ein Lehrwerk Principles of music, chiefly calculated for the piano forte or harpsichord ..., op. 12 (um 1795). Ausg.: Sonate op. 6/3, in: E. REESER, De klaviersonate met vioolbegeleiding (Rotterdam 1939); Sonate, op. 4/3, Airs, op. 5, Divertissement, op. 7/6 u. Sonate op. 8/3, in: R. BENTON, N. J. H. and French Instrumental Music in the Second Half of the 18th Century (Diss. Ann Arbor 1961); eine Sonate, in: Six Keyboard Sonates from the Classic Era, hrsg. v. W. S. NEWMAN (Evanston / Ill. 1965). Lit.: D.E. PIKE, H., in: ML 21 (1940); R. BENTON, N.J. H. Quelques aspects de sa vie et de son oeuvre, in: RMie 47 (1961); DIES., H.'s Article on the Clavecin in the Encyclopédie Méthodique, in: GalpinJ 15 (1962).

HUMAIR, Daniel, * 23.5.1938 Genf; Schweizer Jazzmusiker (Schlagzeug). H. begleitete in den 60er Jahren die französischen Swingle Singers auf zahlreichen Tourneen durch Europa und durch die USA. Bekannt wurde er als Mitglied von Phil Woods European Rhythm Machine, die 1969-72 zu den bestem Jazz Combos Europas gehörte. Er spielte außerdem bei namhaften Jazzmusikern wie Chet Baker, Jean-Luc Ponty und Lucky Thompson. HUMANISMUS, seit dem 19. Jh. Bz. für die Kultur des Denkens und Forschens, die, von Italien ausgehend, neben und nach der Scholastik die Renaissance prägte. Die „studia humanitatis", wie die Zeitgenossen ihre Bemühungen nannten, galten zunächst und vor allem der Grammatik, Rhetorik, Poetik und Philologie: Die Humanisten knüpfen an die Schriften der heidnischen und der christlichen Antike an. Sie lesen sie um der darin enthaltenen Weisheiten und Wahrheiten willen. Sie schulen daran ihre Sprache und ihre Philosophie. Und sie kultivieren in ihrem Sinne die politische Bildung. Die Musiker befanden sich in der Renaissance in einer außergewöhnlichen Lage: sie konnten im Gegensatz zu den übrigen Künstlern — den Architekten, Bildhauern, Malern, Poeten und Literaten — die Antike nicht wiederbeleben, weil die antike 138

Musik restlos untergegangen war (nicht einmal die wenigen Reste davon, die inzwischen entdeckt worden sind, waren damals bekannt). Um so dringlicher und wichtiger waren humanistische Forschungen auf dem Gebiet der Musikästhetik und -theorie. Sie wurden vor allem im 16. und 17. Jh. vielerorts betrieben. Im Zusammenhang damit entstand ein neuer Typus des Musiktheoretikers: der literarisch gebildete, mit den antiken Autoren vertraute Gelehrte, der Theoretiker im emphatischen Sinne, der sich von dem nur am zeitgenössischen Usus interessierten Praktiker absetzt. Theoretiker dieses neuen Typus sind u. a. Fr. Gaffori, Glareanus, Fr. Salinas, Pontus de Tyard, G. Mei, V. Galilei, G. B. Doni, M. Mersenne und Isaac Vossius. Wieder ins Bewußtsein gehoben wurde durch den musikalischen H. der pythagoreisch-platonische Gedanke, die Musik — ihre harmonische Verfassung — sei die Analogie des Kosmos und des Menschen, seiner körperlichen, seelischen und sozialen Ordnung. Erinnert wurde an die Zwecke, die Platon der Musik in der Erziehung und im Staat vorgeschrieben hatte. Man entdeckte den antiken Begriff der Musikě, die ursprüngliche Einheit von Poesie, Musik und Tanz wieder und forderte — so etwa P. de Ronsard — dementsprechend die musikalische Fassung der zeitgenössischen Poesie. Man dachte über die antiken Berichte von den wunderbaren Wirkungen der Musik auf die Menschen nach und forschte nach den Mitteln, mit denen sie hervorgerufen worden seien. Man ließ sich tief auf die antike Musiktheorie ein: man edierte, referierte, kommentierte sie, und man setzte sie ins Verhältnis zur zeitgenössischen Praxis. Dabei wurden das antike Tonsystem und die damit verbundenen mathematischen Probleme vorgeführt. Es wurden die antiken Tongeschlechter, das diatonische, chromatische und enharmonische, sowie die antiken Tonarten (oder was man dafür hielt) beschrieben und charakterisiert. Und es wurden endlich die Formationen der antiken Rhythmik, die Pedes, Metren und Verse wieder ins Bewußtsein gebracht. Dazu kommt der Beitrag der Nachbardisziplinen: der Poetik und der Rhetorik entnahm man u. a. die Kategorien der Form-, Stil- und Figurenlehre. Im allgemeinen dachten die Humanisten unter den Musiktheoretikern nicht gering über die musikalische Praxis ihrer Zeit. Isaac Vossius, der die Abschaffung aller „modernen" Errungenschaften forderte, ist eine Ausnahme. Man pries zwar die Einstimmigkeit und stellte sie aus systematischen Gründen und mit Rücksicht auf die antike Musik vor und über die Mehrstimmigkeit (Glareanus und Salinas), aber man verlangte nicht ernsthaft die Abschaffung der Polyphonie. Denn auf sie gründete

Humfrey sich das Selbstbewußtsein, das viele Musiker und mancher Musiktheoretiker, besonders auffällig etwa Mersenne, gegenüber der Antike bekundet haben. Die humanistisch orientierte Musiktheorie forderte grundsätzlich nur, daß sich der zeitgenössische Usus nach der wahren Theorie, für die man die antike hielt, richte. So gab es zwar keine Renaissance der antiken Musik, aber doch vielerlei Versuche, die zeitgenössische Praxis dem Bild anzunähern, das die humanistische Theorie von ihr gezeichnet hat. Die Frage, ob die Abkehr von den niederländischen Kunsthaftigkeiten und die damit verbundene Zuwendung zu einem einfacheren, klangschönen und ausdrucksvollen Stil — ein Prozeß, der die Musikgeschichte des 16. Jh. kennzeichnet — sich dem humanistischen Postulat einer antikisierenden, sprachnahen und wirkungsvollen Musik verdankt, läßt sich bündig nicht beantworten. Jedenfalls aber kommt der Gang der Geschichte diesem Postulat entgegen. Desgleichen mag man bezweifeln, ob die Achtung, die die Musik des 16. Jh. dem Wort entgegenbringt, allein auf den Einfluß des H. zurückgeht; aber auch sie entspricht einer seiner topischen Forderungen, dem Postulat einer wort-, satz- und sinngemäßen Deklamation. Gewiß reflektieren Kompositionen klassischer Poesie auf humanistisch gebildete Hörer. Schon Josquin des Prés vertonte Verse von Vergil. Humanistischen Bedürfnissen entsprechen die homorhythmischen, ganz dem antiken Versmaß angemessenen 4st. Horaz-Oden, die L. Senfl und andere für den Schulunterricht komponiert haben. Humanistische Gesinnung spricht aus der /Musique mesurée ů l'antique, die man in einer eigens dafür gegründeten Akademie in Paris nach 1570 kultivierte. Gewiß nicht ohne Rücksicht auf antike Verhältnisse hat man die Chromatik in zeitgenössische Kompositionen eingeführt; vermutlich wollte man den „weichen" Charakter, den die Alten dem Tongeschlecht zugeschrieben haben, erneuern. A. de Bertrand hat in einigen RonsardVertonungen sogar versucht, das enharmonische Geschlecht wiederzubeleben; diese Kompositionen rechnen mit Intervallen, die kleiner sind als Halbtöne. Eine wichtige Rolle spielt die Idee der antiken Musik endlich bei der Entstehung der Oper. Die antiken theatralischen Gattungen und die Beschreibung der Rolle, die die Musik darin gespielt hat, begründen ihre Vorformen und ihre ersten Belege. Die antike Einheit der Künste, der Poesie, der Musik und des Tanzes, schien damit wiedergewonnen. Zudem entsprach der neue, freie monodische Stil der humanistischen Vorstellung des Gesangs mehr als die gebundene Polyphonie. Lit.: P. WAGNER, Aus der Musikgesch. des dt. H., in: ZfMw 3

(1920/21); H. ZENCK, N. Vicentinos „L'antica musica" 1555, in: FS Th. Kroyer (Rb 1933); D. P. WALKER, Der musikal. H. im 16. u. frühen 17.Jh. (Kas 1949) (= Musikwiss. Arbeiten 5); W. GURLITT, Die Kompositionslehre des dt. 16. u. 17. Jh.s, in: Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (Kas 1954), Neudruck in: DERS., Musikgesch. u. Gegenwart 1, hrsg. v. H.-H. Eggebrecht (Wie 1966) (= Beih.e zum AfMw 1); A. BUCK — H. ALBRECHT, H., in: MGG VI; K. W. NIEMOLLER, Die Musik im Bildungsideal der allgemeinen Pädagogik des 16. Jh.s, in: AfMw 17 (1960); W. KAHL, Das Geschichtsbewußtsein in der Musikanschauung der it. Renaissance u. des dt. H., in: H. Albrecht in memoriam (Kas 1962); W. MÜLLER-BLATTAU, Der H. in der Musikgesch. Frankreichs u. Deutschlands, in: FS W. Wiora (Kas 1967); The Age of Humanism 1540-1630, hrsg. v. G. ABRAHAM (Lo 1968) (= New Oxford History of Music 4); Beitr. zur Zeit u. zum Begriff des H. vorwiegend aus dem Bereich der Musik, hrsg. v. V. RAVIZZA (Be 1972); E. WEBER, La musique mesurée l'antique en Allemagne, 2 Bde. (P 1974); K.-G. HARTMANN, Die humanistische Odenkomposition in Deutschland, Vorgesch. u. Voraussetzungen (Erl 1976). W. SEIDEL

HUME, Tobias, * um 1580, x16.4. 1645 London; engl. Violenspieler und Komponist. H. war zunächst Berufssoldat und verließ die Armee mit dem Rang eines Hauptmanns. Anschließend trat er als Violenspieler und Komponist hervor, lebte aber seit 1829 im Charterhouse in London, einer wohltätigen Einrichtung. Captain H., wie er genannt wurde, schrieb hauptsächlich Kompositionen für Violen. Diese Werke spiegeln gelegentlich das exzentrische Naturell H.s wider. Das Stück Hark, hark aus der Sammlung von 1605 ist der erste Beleg für die Spielanweisung „col legno". WW: The first part of ayres... Captain Humes Musicals Humors (5 Gesänge mit Violen u. 116 Stücke für 1 u. mehrere Violen) (Lo 1605); Captain Humes Poetical! Musicke principally made for two basse-viols (Lo 1607). Ausg.: Fain would I change that Note, hrsg. v. P. WILSON — P. WARLOCK, in: Oxford Choral Songs from the Old Masters, n° 304b (Lo 1923); Tobacco, hrsg. v. DENS., in: English Ayres Elizabethan and Jacobean 3 (0 1933); 12 Instr.-Stücke, hrsg. V. TH. DART — W. COATES (Lo 1955, 2 1962) (= Mus. Brit 9). Lit.: B. PATTISON, Music and Poetry of the English Renaissance (Lo 1948); K. NEUMANN, Captain H.'s „Invention for two to play upon one viole", in: JAMS 22 (1969).

HUMFREY (Humphrey, Humfreyes), Pelham, * 1647, t14.7.1674 Windsor; engl. Komponist. H. wurde 1660 als Chorknabe der Chapel Royal Schüler von H. Cooke und setzte 1664 seine Ausbildung als königlicher Stipendiat in Frankreich und Italien fort. Während seiner Abwesenheit 1660 bereits zum Lautenisten des Königs und 1667 zum Gentleman der Chapel Royal ernannt, wurde er nach seiner Rückkehr 1672 als Nachfolger von Cooke Master of the children und noch im selben Jahr zusammen mit H. Purcells Vater Composer in Ordinary for the Violine to His Majesty. H. gehörte mit seinen kirchenmusikalischen Werken zu denjenigen Komponisten, die den konzertierenden Stil nach italienischem und französischem Vorbild in 139

Hummel England einführten. Er erweist sich damit als unmittelbarer Vorläufer seines Schülers H. Purcell. WW: Zahlr. Songs u. Ayres für SingSt u. Laute in Sammeldrucken der Zeit, besonders in RISM 1673' u. 1675'; 4 geistliche Gesänge in RISM 1688'; Anthems u. Oden in engl. Hss. des 17./18. Jh., 6 Anthems auch gedruckt, in: W. Boyce, Cathedral Music, 3 Bde. (Lo 1760-73); Bühnenmusik zu W. Shakespeare, The Tempest (hsl. Paris, Bibl. Nat.); einzelne Stücke für Flageolett in RISM 16735 u. 1682'. Ausg.: 3 Lieder, hrsg. v. I. HOLST (P 1938); A Hymn in God the Father, hrsg. v. M. TIPPETT — W. BERGMAN (Lo 1947). Lit.: B. JORDAN, The Songs of P. H. An Introductory Survey, in: FS P. A. Pisk (Austin/Tex. 1966); P. DENNISON, The Will of P. H., in: R.M.A. Research Chronicle 7 (1969); DERS., The Church Music of P. H., in: Proc. R. Mus. Assoc. 98 (1971/72).

HUMMEL (schwedisch; dänisch: Humle; frz.: Buche de Flandre [Flandrische Zither]; isländisch: langspil; ndl.: Noordsche Balk; norwegisch: langleik), Bz. für eine Griffbrettzither Nordeuropas (verwandt mit 2'Épinette des Vosges, /Scheitholz und /Dulcimer) mit zumeist kastenförmigem Resonanzkörper, der auch aus einem ausgehöhlten Stück Holz (oft ohne Boden) gefertigt sein kann. Über die Decke sind 3-20 Saiten aufgezogen, von denen einige als Melodie-, die restlichen als Bordunsaiten dienen. Die Melodietöne werden durch Niederdrücken eines Holzstabes oder der Finger auf ein längs über die Decke gezogenes, mit Bünden ausgestattetes Griffbrett oder direkt auf in die Decke eingelassene Bünde erzeugt. Die Saiten werden meist mit einem Plektrum gezupft. HUMMEL, Bertold, * 27.11. 1925 Hüfingen (Baden); dt. Komponist. H. studierte Komposition bei H. Genzmer und Violoncello bei Atis Teichmanis an der Musikhochschule Freiburg i. Br. 1954-56 konzertierte er im In- und Ausland. Anschließend war er bis 1963 Kantor an St. Konrad in Freiburg und Mitarbeiter beim Südwestfunk Baden-Baden. 1963 wurde er als Kompositionslehrer (1974 Professor) an die Hochschule für Musik nach Würzburg berufen, deren Präsident er gegenwärtig (1980) ist. Seine vorwiegend freitonalen Kompositionen sind bei großer Formenvielfalt von klangsinnlicher Ausdruckskraft. WW: 1) llistr.-WW: Für Org.: Introduktion (1952); Tripartita (1955); Adagio (1962); Fantasie (1963); 3 Marianische Fresken (1971); Alleluja (1972); Metamorphosen über B-A-C-H (1971) für Org. u. 11 Bläser; lnvocationes (1978) für Trp. u. Org.; ferner zahlr. Kammermusik. — Für Orch.: 2 Symphonien (1959, 1966); symphonische Dichtung Stille vor dem Sturm, nach einem Gemälde v. H. Thoma (1973); Sinfonietta (1970) für Blasorch.; Oregonsinfonie (1977) für Blasorch.; Fantasie Gregoriana (1977); Sinfonia piccola (1978) für 8 Kontrabässe; Faustszenen (1979) für Bläser u. Schlagzeugensemble; Visionen, nach der Apokalypse des Heiligen Johannes, UA: Berlin 1980. — Konzerte für: Fl. Pan 56 (1956); Fag. (1956); Va. (1956); Klv. (1956); Cemb. (1958) (nach Pergolesi); Bassetthorn (1965); Schlagzeug u. Streichorch. Pentafonia (1974); Schlagzeug u. großes Orch.

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(1978). — 2) Vokal-WW: 4 Messen (1952, 1957, 1958, 1967); 3 Motetten (1958, 1972, 1975); Proprien, Psalmen, Kantaten; Lieder nach H. Hesse u. Th. Storm. — 3) Bäbssen-WW: Oper Des Kaisers neue Kleider (nach Ch. Andersen), UA: Freiburg 1957; Ballett Die letzte Blume, UA: Würzburg 1975.

HUMMEL, dt. Musikverlegerfamilie. — 1) Johann Julius, * 17. 12. 1728 Waltershausen (Unterfranken), t 27.2.1798 Berlin. Er gründete 1756 in Amsterdam und 1770 in Berlin einen Musikverlag mit Musikalienhandlung. Schwerpunkte der Verlagsproduktion waren Original- und Nachdrucke frühklassischer Musik, besonders von Werken J. Haydns, C. Ph. E. Bachs und W. A. Mozarts. 1798 übernahm Johann Julius' Sohn Johann Bernhard (1760—um 1805) das Unternehmen, das er als reisender Klaviervirtuose jedoch kaum noch betreute, so daß der Verlag, der in den Niederlanden, England und in Übersee eine wichtige Mittlerrolle für die Verbreitung der Wiener Klassik gespielt hatte, 1821 erlosch. — 2) Burchard, Bruder von 1), * 16.4.1731 Waltershausen, t 27.9.1797 Den Haag. Er war Militärmusiker (Hornist und Oboist) und gründete um 1759 in Den Haag eine Buch- und Musikalienhandlung nebst Verlagsdruckerei. 1782 trat sein Sohn Leonardus (* 1757) in den Verlag ein, der nun mit „Burchaid H. & Fils" firmierte. Nach dem Tod Burchards wurde das Unternehmen unter dem Namen „Veuve Burchard H." von der Witwe zusammen mit Leonardus weitergeführt. Lit.: A. GOOVAERTS. Histoire et bibliogr. de la typographie musicale dans les Pays-Bas (An 1880); R. SCHAAL, J. J. u. B. H., in: MGG VI; C. JOHANSSON, J. J. & B. H. Music-Publishing and Thematic Catalogue, 3 Bde. (Sto 1972).

HUMMEL, Johann Nepomuk, * 14.11. 1778 PreBburg, t 17. 10. 1837 Weimar; östr. Pianist und Komponist. H. erhielt frühzeitig Unterricht durch seinen Vater, der Musikdirektor am Militärstift von Warberg bei Preßburg war. 1786 wurde er in Wien Schüler W. A. Mozarts, in dessen Haus er auch zwei Jahre lebte. Unter Mozarts Leitung konzertierte H. 1787 erstmals in Dresden. Zusammen mit dem Vater unternahm er zwischen 1788 und 1793 erfolgreiche Konzertreisen, u. a. nach Prag, durch Deutschland, Dänemark, Großbritannien und durch die Niederlande. Nach Wien zurückgekehrt, setzte er seine Studien bei J. G. Albrechtsberger, A. Sahen und J. Haydn fort, auf dessen Empfehlung er 1804-11 in Eisenstadt Kapellmeister des Fürsten Esterházy war. Anschließend lebte er als Musiklehrer in Wien und seit 1816 als Hofkapellmeister zu Stuttgart. In gleicher Eigenschaft wirkte er von Februar 1819 an in Weimar. Mit der dortigen Großherzoglichen Kapelle unternahm er Konzertreisen durch ganz Europa. Zu seinen Schülern gehörten A. J. Benedict, F. Hiller und A. Henselt.

Humperdinck WW: Alle Werke mit op.-Zahl 1-127 u. op. postum 1-9 erschienen in Leipzig. Von den zahlr. Werken ohne op. -Zahl wurden 10 gedruckt, während etwa 30, u.a. geistliche- u. Orch.-Werke, Kantaten, Opern, Ballette u. Bühnenmusik, ungedruckt blieben. — Lehrwerk Ausführlich theoretisch-practische Anweisung zum Piano-Forte-Spiel (W 1828).

Der Schwerpunkt von H.s umfangreichem Schaffen liegt auf der Klaviermusik. Die frühen Kompositionen lassen als Ausläufer der von Mozart begründeten Wiener Pianistenschule dessen Einfluß erkennen. Jedoch neigt H. in der späteren Schaffensphase stärker zu Virtuosem und Salonhaftem, z. B. in der Grande Sonate fis-moll op. 81. Von der Ensemblemusik, die etwa ein Viertel des Gesamtoeuvres einnimmt, haben sich bis zur Gegenwart das Klaviertrio Es-Dur op. 12, das Septett d-moll op. 74 sowie das Klavierquintett es-moll op. 87 behauptet. Von den 7 Klavierkonzerten zählt das in a-moll op. 85 zu den bekanntesten. Noch häufig aufgeführt werden auch das virtuose, durch elegante Spielmanieren gekennzeichnete Trompetenkol}zert EDur (Werk o. O.) sowie die Messe Es-Dur op. 80. Seine mit über 2200 Notenbeispielen ausgestattete Klavierschule dokumentiert pädagogisches Geschick und steht ebenbürtig neben entsprechenden Unterrichtswerken von C. Czerny und F. Kalkbrenner. H.s Bedeutung beruht auf der Mittlerstellung zwischen der Klaviermusik der Wiener Klassik und dem virtuosen Klavierstil des 19. Jahrhunderts. Ausg.: 10 Variationen für KN. über ein Thema aus Glucks Armida, hrsg. v. H. ALBRECHT (Lippstadt 1951) (= Organum 5/8); Streich -Trios Es-Dur u. G-Dur hrsg. v. F. STEIN, 2 H.e (F 1958); Klar.-Quartett (Lo 1958, Nachdr. NY 1960); Orch.Variationen über O du lieber Augustin, hrsg. v. F. STEIN (Kas 1959); Klv.-Konzert a -moll, op. 85, hrsg. v. A. RLITHARDT (L 1960); Sonate G-Dur für Fl. u. Klv., op. 2 Nr. 2, hrsg. v. H. RIESSBERGER (W 1967) (= Diletto mus. 181); Variationen für Ob. u. Orch., op. 102, hrsg. v. H. STEINBECK (Z 1970); Trp. -Konzert Es-Dur, hrsg. v. F. STEIN (L 1957); dass. in E-Dur, hrsg. v. E. H. TARR (Mz 1972). Lit.: D. ZIMMERSCHIED, Thematisches Ven. der Werke v. J. N. H. (Hofheim 1971); W. MEYER, J. N. H. als Klavierkomponist (Diss. Kiel (1922); K. BENYOVSZKY, J. N. H. (Prellburg 1934); R. DAVIS, The Music of J. N. H., in: MR 26 (1965); D. ZIMMERSCHIED, Die Kammermusik J. N. H.s (Mz 1966); D. G. BROCK, The Church Music of H., in: MR 31 (1970); J. SACHS, Authentic English and French Editions of J. N. H., in: JAMS 25 (1972); J. O. WESTLUND, The Mass Settings of J. N. H. (1977) (= Diss. Univ. of Iowa); H. R. JUNG, J. N. H. Zum 200. Geburtstag, in: MuGes 28 (1978). R. FEDERHOFER-KONIGS

HUMORESKE, Bz. für ein instrumentales, heiterscherzhaftes Charakterstück mit einfachem und knappem Formaufbau, meist in zwei- oder dreiteiliger Liedform. Die Bz. H. erscheint erstmals in R. Schumanns op. 20 für Klavier. Die Wahl des Titels geht offenbar auf den Einfluß Jean Pauls zurück, der die poetische Auffassung vom Humor als „Verschmelzung von Schwärmerei und Witz"

vertrat. In der Literatur bzw. Dichtung ist die Bz. H. jedoch wesentlich später belegt. Neben anderen

Charakterstücken — etwa der /Burleske oder dem /Scherzo —, die für die genrehafte Darstellung von Humor und Witz in der Instrumentalmusik stehen, finden sich H.n seit Schumann im Schaffen vieler Komponisten: Bei Th. Kirchner (op. 48) und Fr. Kiel (op. 42 und 59) erhalten sie einen spielerischen, tänzerischen Charakter. Die H.n von E. Grieg (op. 6 und 19) und A. Dvořák (op. 101) tragen folkloristische Züge. Zyklisch eingebunden erscheint die H. bei S. Heller (Klv.-Sonate op. 88) und bei E. von Dohnányi (op. 17). H.n schrieben u. a. auch E. Humperdinck und H. Huber. Vokale H.n (für 4 Männerstimmen a cap.) schrieben C. Loewe (op. 84) und Fr. Liszt (Gaudeamus igitur). HUMPERDINCK, Engelbert, * 1.9. 1854 Siegburg, t 27.9. 1921 Neustrelitz (Mecklenburg); dt. Komponist. Er studierte 1872-76 am Konservatorium in Köln Komposition bei F. Hiller, Fr. Gernsheim und G. Jensen und als Stipendiat 1876-79 an der Königlichen Musikschule München Kontrapunkt bei J. Rheinberger und privat Komposition bei Fr. Lachner. Ende 1879 reiste er für ein halbes Jahr nach Italien. 1881-82 war er Assistent R. Wagners in Bayreuth. Anschließend unternahm er eine Reise nach Italien, Frankreich, Spanien und Marokko. Ende 1885 ging er für ein halbes Jahr als Lehrer an das Konservatorium Barcelona, war seit 1887 Lehrer am Konservatorium in Köln und seit 1888 Verlagslektor bei B. Schott's Söhne in Mainz. 1890-97 lehrte er am Hochschen Konservatorium in Frankfurt und arbeitete als Opernreferent für die Frankfurter Zeitung. 1893 wurde er durch sein Märchenspiel Hänsel und Gretel schlagartig berühmt und wirtschaftlich unabhängig. 1900-20 war er Professor und Mitvorsteher der Meisterschule für Komposition an der Akademie der Künste in Berlin, wo er 1905-12 auch mit Max Reinhardt zusammenarbeitete. 1910 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Berlin. 1911 wurde er als Nachfolger M. Bruchs Direktor der Theorie- und Kompositionsklassen der Musikhochschule Berlin sowie Vizepräsident der Akademie der Künste. Klv.-Stücke; Kammermusik, u. a. ein StreichWW:1) quartett (1920) (Mz o. J.). Für Orch.: Humoreske (1879) (Bonn 1887); Ouvertüre Der Zug des Dionysos (1880); Maurische Rhapsodie (1898) (L 1899). — 2) Vokal-WW: Zahlr. KIv.Lieder und Chorwerke; Chorballaden Die Wallfahrt nach Kevelaer (1878-87) (Text: H. Heine) (Mz o. J.); Das Glück von Edenhall (1879-83) (Text: L. Uhland) (B 1883). — 3) BúaeaWW: Märchenspiel Hänsel und Gretel (Libr.: A. Wette); UA: Weimar 1893 (Mz 1894); Die sieben Geislein (Libr.: dies.), UA: Berlin 1895 (Magdeburg 1895); Melodram Königskinder (Libr.: E. Bernstein-Porges), UA: München 1897 (L 1897),

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Hompert Neufassung als Märchenoper, UA: New York 1910 (L 1910); Märchenoper Dornröschen (Libt.: E. Ebeling, B. Filhes), UA: Frankfurt 1902 (F 1902); komische Oper Die Heirat wider Willen (Libr.: H. Humperdinck), UA: Berlin 1905 (B 1905); Spieloper Die Marketenderin (Libr.: R. Misch), UA: Köln 1914 (B 1914); Spieloper Gaudeamus (Libr.: ders.), UA: Darmstadt 1919 (B 1919). — Ferner zahlreiche Bühnenmusiken zu Werken von Shakespeare, M. Maeterlinck u. K. F. Vollmoeller.

nische Klänge, elektrisches Cello, Synthesizer u. elektronische Org., UA: Witten 1977; Klavierstück IV mit Obligati (Tonband) (1977). — 2) Scrrittes: Elektronische Musik als Hochschulfach, in: Melos 37 (1970), dass., in: Musik u. Bildung 11 (1970); Was ist u. wie funktioniert ein Synthesizer?, in: Melos 4 (1973); Das Lexikon der elektronischen Musik (Rb 1973, 21977) (zus. mit H. Eimert); Elektronische Musik (Wie 1980).

Mit Hänsel und Gretel führte H. die deutsche Oper durch stofflichen Rückgriff auf das deutsche Volksmärchen und musikalisch weitgehend volksliedhafte Tönung aus der Stagnation des Wagner-Epigonentums heraus und stellte dem aufkommenden italienischen Verismo eine spezifisch deutsche Operngattung entgegen. Das Märchenspiel wurde ein Welterfolg. In der Bühnenerstfassung der Königskinder (1897), die um 1900 im Mittelpunkt heftig geführter kunsttheoretischer Auseinandersetzungen stand, verwendete er das stets zur höchsten Ausdruckssteigerung eingesetzte Melodram als stilbildendes Prinzip und betrat insoweit in der jüngeren Operngeschichte Neuland. Erfolgreich wurde das Werk indes erst nach der Umarbeitung zur Volloper (1910). Hinter Hänsel und Gretel und Königskinder treten H.s übrige Bühnenwerke weit zurück. Seine Shakespeare-Bühnenmusiken wurden aber bis in die 30er Jahre viel gespielt. lit.: O. BESCH, E. H. (L 1914); H. KUHLMANN,Stil u. Form in

HUNGARIAN STRING QUARTET. Das Ensemble wurde 1935 gegründet (Debüt im gleichen Jahr in Budapest) und bestand bis 1970. Die Mitglieder waren zunächst S. Vegh (der später ein eigenes Quartett hatte), 1. Violine, Péter Szervánsky, 2. Violine, Dénes Koromzay (* 18.5. 1913 Budapest), Viola, und Vilmos Palotai, Violoncello. 1937 wurde Zoltán Székely (* B. 12. 1913 Kocs) Primarius des Ensembles, das seit 1950 in den USA ansässig war. 2. Violine spielte zuletzt Michael Kuttner (9. 2. 1918 - 10. 10. 1975), Violoncello Gabriel Magyar (* 5. 12. 1914 Budapest). Der Primarius spielte auf einer Geige A. Stradivaris (Michelangelo genannt, 1718), der 2. Violinist auf einem Instrument P. Guarneris (1704) und der Cellist auf einem Instrument A. Gaglianos (1703). Das H. pflegte bes. das Schaffen B. Bartóks und zeitgenössischer, vor allem ungarischer Komponisten.

der Musik v. E. H.s „Hänsel u. Gretel" (Diss. Marburg 1930); L. KiRSTEN, Motivik u. Form in der Musik zu E. H.s „Königskinder" (Diss. Jena 1942); K. W. PULLEN, Die Schauspielmusiken E. H.s (Dias. Kö 1951); E. THAMM, Der Bestand der lyrischen Werke E. H.s (Dias. Mz 1951); W. PFANNKUCH, E. H., in: MGG VI; W. HUMPERDINCK, E. H. Das Leben meines Vaters (F 1965); E. H. Briefe u. Tagebücher I, 1863-1880, u. II, 1881-1883, hrsg. v. H.-J. IRMEN (Kö 1975, 1976); E. H. als Kompositionsschüler J. Rheinbergers, hrsg. v. DEMS. (Kö 1974); DERS., Die Odyssee des E. H. Eine biographische Dokumentation (Steinfeld 1975). W. PFANNKUCH

HUMPERT, Hans Ulrich,* 9.10.1940 Paderborn; dt. Komponist. H. studierte 1961-67 Komposition bei R. Petzold und Elektronische Komposition bei H. Eimert an der Musikhochschule in Köln. 1967-72 war er Lehrbeauftragter und Assistent Eimerts. 1972 wurde er dessen Nachfolger als Leiter des Studios für elektronische Musik und gleichzeitig Professor für Elektronische Komposition an der Musikhochschule Köln. H. gehörte 1969 zu den Gründern der „Gruppe 8 Köln", die Gemeinschaftskompositionen entwickeln wollte. WW: 1) Komporitiosen: Erscheinungen eines Bachchorals für 2 Pianisten, einen Vibraphonisten u. Cellisten, UA: Köln 1969; Quattro Notturni, 4 elektronische Stücke, 2 Versionen, UA: Hilversum u. Graz 1969; Konzert für Klarinette u. elektronische Klänge, UA: Köln 1969; Der Frieden (Text: F. Hölderlin) für Sopran u. elektronische Klänge, UA: Hilversum 1969; Synesis für Synthesizer u. elektronische Orgel, UA: Frankfurt 1971; Electronic Maniac für elektrisches Cello, elektronische Org., Synthesizer u. elektronische Klänge, UA: Köln 1973; Assonanzen für elektro-

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HANI-MIHACSEK, Felicie, * 3.4.1896 Fünfkirchen, t 26. 3. 1976 München; östr. Sängerin (Sopran). Sie erhielt ihre Gesangsausbildung bei R. Papier-Paumgartner in Wien und debütierte dort 1919 an der Staatsoper, wo sie bis 1925 verpflichtet war. AnschlieBend war sie bis 1953 Mitglied des Münchner Nationaltheaters und arbeitete dann vornehmlich als Gesangspädagogin. H. begann ihre Laufbahn als Koloratursopran, sang später aber auch zunehmend Partien des lyrischen und gelegentlich des dramatischen Fachs. Gerühmt wurde ihr silbriges Timbre. Ihre Glanzrolle war die Feldmarschallin im Rosenkavalier von R. Strauss. HUNOLD, Christian Friedrich. OEMenantes. HUPFAUF, Bz. für einen Springtanz. - /Nachtanz. HURDY-GURDY (engl.), /Drehleier. HURÉ, Jean, * 17.9. 1877 Gien (Loiret), t 27.1. 1930 Paris; frz. Organist, Pianist und Komponist. H. kam 1895 nach Paris, war Organist an verschiedenen Kirchen, u. a. an Notre-Dame-des-Champs und konzertierte als Organist und Pianist mit groBer improvisatorischer Begabung in vielen europäischen Ländern. 1926 wurde er als Nachfolger von E. Gigout Organist an St-Augustin. H. war auch ein angesehener Lehrer. 1910 gründete er eine École

Husch Normale zur Ausbildung von Organisten, Pianisten und Komponisten und 1924 die Zeitschrift L'Orgue et les organistes. WW: 1) Kompositionen: Orgelmusik; Kammermusik, u.a. 2 Streichquartette (P 1921); 3 Symphonien (1896, 1897, 1903), 1 V.-Konzert u. Konzertstück für Saxophon u. Orch.; 7 Chansons de Bretagne für SingSt u. Klv. (P 1910); Te Deum für Sopran und Orch. (P 1921); ferner einige Bühnenwerke u. ein Ballett Au Bois sacré, UA: Paris 1921. — 2) Schriften: Chansons et danses bretonnes précédées d'une étude sur la monodie populaire (Angers 1902); Défense et illustration de la musique française (Angers 1915); La technique de l'orgue (P 1918); L'esthétique de l'orgue (P 1923); Saint Augustin musicien (P 1924). Lit.: G. MIGOT, J. H. (P 1926); G. SAMAZEUILH, Musiciens de mon temps (P 1947).

HURLEBUSCH, Conrad Friedrich, * 1695 oder 1696 Braunschweig, t 17. 12. 1765 Amsterdam; dt. Organist und Komponist. Nach der Ausbildung bei seinem Vater, dem Organisten und Komponisten Heinrich Lorentz H. (* 1666), unternahm er 1715 bis 1721 eine mehrjährige Studien- und Konzertreise nach Hamburg, Wien, Italien und München. In dieser Zeit entstanden ein Teil seiner Kammerkantaten, die Mattheson in der Critica Musica (1722) lobend erwähnt, und nach der Reise 1722 seine erste italienische Oper, L'innocenza difesa. 1723-25 war er Hofkapellmeister in Stockholm, lebte 1727-36 in Hamburg und 1737-43 vermutlich wieder in Braunschweig. 1743 wurde er Organist an der Oude Kerk in Amsterdam. WW: Compositioni musicali per il cembalo, 2 Teile (H 1735); 2 Bücher Sonate di cembalo, op. 5 u. 6 (A 1746); Opera scelta für Cemb. (A o.J.); De 150 Psalmen Davids für SingSt u. B.c. (A 1746, 31766); 72 Oden, in: Sig. versch. u. auserlesener Oden, hrsg. v. J. F. Gräfe, 4 Bde. (Hl 1737-43); v. den Opern Flavio Cuniberto u. L'innocenza difesa erschienen jeweils 6 Arien mit Orch. im Druck, op. 3 u. 4 (A 1746).

Die Urteile zeitgenössischer Kritiker wie Mattheson, Forkel, Scheibe und Gottsched vermitteln von H., der auf seinen Reisen fast alle musikalischen Strömungen seiner Zeit kennenlernte, ein stark divergierendes und widersprüchliches Bild. Die wenigen erhaltenen Werke lassen ihn als einen dem empfindsamen Stil zugeneigten Komponisten erkennen. Seine 150 Psalmen Davids, die innerhalb von 20 Jahren 3 Auflagen erlebten, waren in der reformierten Kirche sehr beliebt. Ausg.: Concerto grosso a -moll, in: Instrumentalkonzerte dt. Meister, hrsg. v. A. SCHERING (L 1907) (= DDT 29/30); Compositioni musicali per il cembalo, hrsg. v. M. SEIFFERT (Utrecht 1912); 1 Lied, in: H. J. MOSER, Das dt. Sololied u. die Ballade (Kö 1957) (= Das Musikwerk 14); Keyboard Sonatas, hrsg. v. A.JAMBOR, 2 Bde. (Philadelphia 1966-67). Lit.: J. MATTHESON, Grundlage einer Ehrenpforte (H 1740), NA hrsg. v. M. Schneider (B 1910, Faks.-Ausg. Kas 1969); M.FRIEDLAENDER, Das dt. Lied im 18.1h. (St —B 1902, Nachdr. Hil 1962); M. SEIFERT, K. F. H., in: TVer 7 (1904); H. KRETZSCHMAR, Gesch. des neuen dt. Liedes I (L 1911, Nachdr. Wie 1966); H. J. MOSER, Alte Meister des dt. Liedes (L

2 1931); DERS., Das dt. Sololied u. die Ballade (Kö 1957) (= Das Musikwerk 14); L. BENSE, H., in: MGG VI. F. BRUSNIAK

HURNIK, Ilja, * 25.11.1922 Poruba bei MährischOstrau; tschechoslowakischer Pianist und Komponist. H. veröffentlichte bereits 1932 erste Kompositionen, studierte später Klavier bei V. Kurz und Komposition bei V. Novák bis zu dessen Tod 1949. 1946-50 setzte er seine Klavierstudien bei I. Štěpánová an der Prager Musikakademie fort. H.s Kompositionen enthalten in Melodiebildung und formaler Anlage volksliedhafte Elemente. Als Pianist setzte er sich vor allem für Werke französischer Impressionisten ein. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, darunter: Sonaten u. Sonatinen für versch. Instr.; Sonata da camera (1953) für Fl., Ob., Vc. u. Cemb.; 2 Bläserquintette (1944, 1949); Klv.Quintett u. Klv.-Trio (1953); 2 Streichquartette (1949, 1961); Moments musicaux (1962) für Bläser; Kyklopes (1963) für Orch.; Konzert für Ob., Cemb. u. Str. (1953) u. für Ob. u. Orch. (1958). — 2) Vokal-WW: Kantate Maryka (1948, Neufassung 1955); Oratorium Noe (1958) für Soli, Chor u. Orch.; SulamitLieder (1963) für Mezzo-Sopran; Zyklus Pfiběhy jedné kapely (1968) für Sprecher u. Kammerensemble; Pastorela (1968) für Soli, Kinderchor u. Orff-Instr. — 3) Bühnen-WW: Opern Dáma a lupiči (Die Lady u. die Gangster) (nach Ladykillers v. W. Rose), UA: Pilsen 1966; Mudrei a bloudi (Die Weisen u. die Törichten) (1968); ferner das Ballett Ondrás (1950). Lit.: J. KLUsÁK, H. aneb O pokorné hře, in: Hudební rozhledy 17 (1964); Contemporary Czechoslovak Composers, hrsg. v. Č. GARDAVSKÝ (Pr 1965).

HUSA, Karel, * 7.8. 1921 Prag; amerik. Komponist tschechischer Herkunft. H. studierte am Prager Konservatorium und seit 1946 am Pariser Conservatoire u. a. bei N. Boulanger, A. Honegger und A. Cluytens. Später ließ er sich in den USA nieder, wo er seit 1954 als Professor für Musiktheorie und Dirigent des Symphonieorchesters an der Cornell University tätig ist. WW: Klv.-Stücke zu 2 u. 4 Händen; 3 Streichquartette (1948, 1954, 1968); Trio Evocations de Slovaquie (1952) für Klar., Va. u. Vc.; 2 Préludes (1966) für Fl., Klar. u. Fag.; Sonate für V. u. KIv. (1973); Divertimento für 5 Blechbläser (1974); Apotheosis of This Earth (1971) für Blasorch.; für Orch.: Fresque (1948); 1. Symphonie (1955); Fantasies (1956); Mosaiques (1961); Music for Prague (1968); Two Sonnets by Michelangelo (1975); Elegie et rondeau (1960) für Altsaxophon und Orch.; Konzerte: für Blechbläserquintett und Streichorch. (1965); für Saxophon und Bläserensemble (1967); für Trp. u. Orch. (1973). — 12Moravian Songs (1956) für SingSt u. KIv.; Festive Ode (1965) für Chor u. Orch.

HUSCH, Gerhard, * 2.2. 1901 Hannover, t 21. 12. 1984 Viehausen; dt. Sänger (Bariton). H. studierte bei H. Emge in Hannover und debütierte 1923 in Osnabrück. Nach Engagements in Bremen und Köln war er 1933-44 Mitglied der Berliner Staatsoper. Außerdem gastierte er in Wien, Mailand, Hamburg, Dresden und München. Seit 1932 widmete er sich zunehmend dem Oratorien- und Lied143

Husch gesang und unternahm Konzerttourneen in die großen Musikzentren Europas, Nordamerikas und Japans. 1938-68 war er Professor an der Hochschule für Musik in München und unterrichtete später an mehreren japanischen Musikschulen. H. galt als einer der bedeutendsten Liedersänger seiner Zeit. HUSCH, Hanns Dieter, * 6.5.1925 Moers; dt. Kabarettist und Chansonsänger. Nachdem er bereits seit 1946 während eines Germanistikstudiums an der Universität Mainz bei vielen studentischen Kabarett-Veranstaltungen mitgewirkt hatte, trat er 1949 erstmals mit einem Solo-Programm, Das literarische Klavier, hervor. 1956 gründete er in einem Mainzer Keller das Kabarett „arche nova", dessen Leiter er bis 1961 war. Seitdem gehört er mit seinen Fernseh- und Bühnen-Auftritten zu den bekanntesten deutschen Unterhaltungskünstlern. Er besitzt ein eigenes intellektuelles Profil und ist keiner bestimmten Richtung zuzuordnen. Er veröffentlichte u. a. Carmina Urana (1964), Archeblues und andere Sprechgesänge (Z 1968), Den möcht' ich seh'n (Kö 1978) und brachte auch mehrere Schallplatten heraus. HUSCHEN, Heinrich, * 2.3. 1915 Moers (Niederrhein); dt. Musikforscher. H. studierte in Köln und Berlin Kirchenmusik, Schulmusik und Musikwissenschaft. Nach der Organisten- und Chorleiterprüfung 1940 und dem Staatsexamen 1941 promovierte er 1943 in Köln. Seit 1948 war er Assistent am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln und Leiter des Collegium musicum. 1955 habilitierte er sich an der Universität Köln, wurde dort 1961 außerplanmäßiger Professor und 1964 Ordinarius an der Universität Marburg a. d. Lahn. 1970-83 war er Ordinarius an der Universität Köln und versah seit 1971 einen Lehrauftrag an der Kölner Musikhochschule. Zum 50. und zum 65. Geburtstag wurden ihm Festschriften gewidmet. 1968 wurde er als erster Deutscher von der Royal Society of Music in London mit der DentMedaille geehrt. H. veröffentlichte zahlreiche grundlegende Studien .zur Musiktheorie des Mittelalters und der Renaissance. Schriften: Die Musik im Kreise der artes liberales, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); Der Harmoniebegriff im Musikschrifttum des Altertums u. des MA, in: Kqr.-Ber. Köln 1958 (Kas 1959); Der Einfluß lsidors von Sevilla auf die Musikanschauung des MA, in: Miscelánea ... FS H. Anglés I (Ba 1958); Frühere u. heutige Begriffe v. Wesen u. Grenzen der Musik, in: Kgr.-Ber. New York 1961 (Kas 1961); Der Harmoniebegriff im MA, in: Studium Generale 19 (B 1966); Musik der„Anbetung im Geiste", in: Gesch. der kath. Kirchenmusik 1, hrsg. v. K. G. Fellerer (Kas - Bas 1972); Frühchristliche Hausmusik, in: ebd.; Lob- u. Preismotetten auf die Musik aus früheren Jahrhunderten, in: Musicae scientiae collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973);

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Die Motette (Kö 1974) (= Das Musikwerk 47); für MGG verfaBte er über 100, für Grove 6 mehr als 20 umfangreiche Artikel.

HUSMANN, Heinrich, * 16. 12. 1908 Köln, t B. 11. 1983 Brüssel; dt. Musikforscher. H. studierte bei Fr. Ludwig in Göttingen, bei A. Schering, J. Wolf, Fr. Blume und E. von Hornbostel in Berlin und promovierte dort 1932. 1933 wurde er Assistent am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig, habilitierte sich dort 1941 und wurde 1944 stellvertretender Institutsleiter. Seit 1949 lehrte er an der Universität Hamburg (1956 als Ordinarius) und 1960-77 an der Universität Göttingen. Zu seinem 60. Geburtstag wurde ihm eine Festschrift gewidmet. H.s Forschungen umfassen ein breites Spektrum der Musikwissenschaft. Schriften: Die dreistimmige Organa der Notre-Dame-Schule (B 1932); Die „Kunst der Fuge" als Klavierwerk, in: Bach-Jb. 35 (1938); Zur Grundlegung der musikal. Rhythmik des mittellateinischen Liedes, in: AfMw 9 (1952); Vom Wesen der Konsonanz (Hei 1953); Antike u. Orient in ihrer Bedeutung für die europäische Musik, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); Einführung in die Musikwiss. (Hei 1958, Nachdr. Wilhelmshaven 1975) ( = Taschenbücher z. Musikwiss. 40); Grundlagen der antiken u. orientalischen Musikkultur (B 1961); Zur Frage der Herkunft der Notre-Dame-Handschrift W., in: Musa, Mens, Musici. Gedenkschrift W. Vetter (L 1969); Echos u. Makam nach der Hs. Leningrad ..., in AfMw (1979). - H. gab heraus: Die drei- u. vierstimmigen Notre-Dame-Organa. Kritische Gesamtausgabe (1940, Nachdr. Hil -Wie 1967) (= PäM 11); Fünf- u. siebenstellige Centstafeln (Leiden 1951, Nachdr. Hil 1967); Die ma. Mehrstimmigkeit (Kö 1955) (= Das Musikwerk 9); Tropen- u. Sequenzhandschriften (Mn 1964) (= R1SM B V/1); Die Melodien des chaldäischen Breviers Commune nach den Traditionen Vorderasiens und der Malabarküste (R 1967); Die Melodien der Jakobitischen Kirche (W 1969).

HUSSITENLIEDER. Die Bewegung der Hussiten, der Anhänger des tschechischen Theologen und Reformators Jan Hus (* 1370/71 Husinec), der am 6.7.1415 auf dem Konstanzer Konzil als Ketzer verbrannt wurde, hatte u. a. die Einführung des volkssprachigen Kirchengesangs zum Ziel. Seit jener Zeit entstanden in Böhmen zahlreiche geistliche Lieder, die handschriftlich verbreitet wurden. Der erste bekannte Herausgeber eines böhmischen Gesangbuches war V. Miřinsky (t um 1492), das nur aus den Drucken von 1522 und 1531 bekannt ist. Der früheste erhaltene, wahrscheinlich im Umkreis der Utraquisten entstandene Druck mit geistlichen Liedern in tschechischer Sprache stammt von 1501. Zahlreiche weitere Drucke mit wachsender Liederzahl folgten in kurzen Abständen. Für die H. wurde seit dem 16. Jh. die 1467 gegründete Brüder-Unität mit Abstand am wichtigsten. Aus ihrem Kreis ging 1531 das von M. Weisse redigierte erste deutschsprachige böhmische Gesangbuch hervor. Man spricht daher in der Folgezeit nur noch vom Liedgut der Böhmischen Brüder. - Eines der ältesten H.,

Hydraulis Kdož Ste Boží bojovnicí (Ihr Streiter Gottes), galt im nationalen tschechischen Aufbruch des 19. Jh. als ein besonderes Zeichen und wurde verwendet von Fr. Smetana (in Tabor und Blaník aus dem Zyklus Mein Vaterland) und von A. Dvořák (in der Ouvertüre Husitská). Ausg.: M. Weisse, Gesangbuch der Böhmischen Brüder 1531, Faks.-Nachdr., hrsg. v. K. AMELN (Kas 1957). Lit.: J. TH. MÜLLER, Hymnologisches Hdb. zum Gesangbuch der Brüdergemeine (Herrnhut 1916); W. BLANKENBURG, Die Musik der Böhmischen Brüder und der Brüdergemeine, in: F. Blume, Gesch. der ev. Kirchenmusik (Kas 1965); J. KOUBA, Der älteste Gesangbuchdruck v. 1501 aus Böhmen, in: JbLH 13 (1968); W. BLANKENBURG,Die Musik der Brüdergemeine in Europa, in: Unitas Fratrum, Herrnhuter Stud. (Utrecht 1977). W. BLANKENBURG

HUTTENBRENNER, Anseim, * 13. 10. 1794 t 5.6. 1868 Ober-Andritz bei Graz; östr. Komponist. Als Mitschüler Franz Schuberts, zu dessen engstem Freundeskreis er zählte, erhielt H. bei A. Salieri Unterricht in Gesang und Komposition. 1824-29 und 1831-39 leitete er den Steiermärkischen Musikverein. Graz,

WW (meist hsl. erhalten): Zahlr. Klv.-Stücke zu 2 u. 4 Händen; Orgelmusik; 2 Symphonien; 10 Ouvertüren; 6 Märsche; etwa 250 Lieder; Duette, Terzette u. 300 Männerquartette; Chöre; ferner 4 Opern.

In seinem Schaffen, das H. als namhaftesten Komponisten der Steiermark in der 1. Hälfte des 19. Jh. ausweist, überwiegen Kleinformen, wie Lied, Männerquartett und Klavierstücke, die die Geisteshaltung und Gefühlswelt des Biedermeiers widerspiegeln. Von seinen zwei erhalten gebliebenen Opern reiht sich Lenore den Bemühungen um eine deutsche romantische Oper an, während der Oedip auf Colonos stilistisch an G. Spontini anknüpft. Unter seinen geistlichen Werken ragt die Messe f -moll (1855) durch spannungsreiche Harmonik, an A. Bruckner gemahnende Unisoni, großangelegte Steigerungen und prägnante Rhythmen hervor. Sein doppelchöriges Requiem c-moll (1825) erklang zur Totenfeier Salieris, L. van Beethovens, Schuberts und Kaiser Franz' I. H. bearbeitete die Symphonie h-moll von F. Schubert, deren Autograph sich in seinem Besitz befand, für Klavier zu 4 Händen. Auch als Kritiker trat er hervor. Ausg.: Nachruf an Schubert in Trauertönen am Pianoforte, in: W. KAHL, Das Charakterstück (Kö 1955) (= Das Musikwerk 8); Sonate F-Dur, op. 10 1823, in: Musik aus der Steiermark 53 (Gr 1969). Lit.: O. E. DEUTSCH, A. H.s Erinnerungen an Schubert, in: Jb. der Grillparzer-Ges. 16 (W 1906) (darin: „Bruchstücke aus dem Leben des Liederkomponisten" F. Schubert v. H.); DERS., Schubert. Die Erinnerungen seiner Freunde (L 1957); F. HÜTTENBRENNER, A. H. u. Schuberts h-moll Symphonie, in: Zschr. des hist. Vereins für Steiermark 52 (1961); D. GLAWISCHNIG,

A. H. 1794-1868. Sein musikal. Schaffen (Gr 1969) (= Musik aus der Steiermark 1V/5) (mit vollständigem Werk-Verz.).

H. FEDERHOFER

HUYGENS, Constantin, Herr von Zuyligem, *4. 9. 1596 Den Haag, t 28.3. 1687 ebd.; ndl. Dichter. H. gehörte zu den bedeutendsten und vielseitigsten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens seiner Zeit. Er war ein begeisterter Musikliebhaber, spielte mehrere Instrumente, besaß eine große Instrumentensammlung und schrieb zahlreiche, doch größtenteils verlorene Vokal- und Instrumentalkompositionen. Erhalten ist eine Pathodia sacra et profana mit 20 lateinischen Psalmen, 12 italienischen Arien und 7 französischen Airs, die erste französische Sammlung im monodischen Stil mit Generalbaß. H. befaßte sich außerdem mit Fragen der musikalischen Temperatur und Instrumentenkunde und stand hierüber u. a. mit R. Descartes und M. Mersenne in regem Briefwechsel. Sein Orgeltraktat Gebruyck of ongebruyck van't orgel... kritisiert die mißbräuchliche Verwendung des weltlichen konzertierenden Orgelstils in der calvinistischen Kirche und fordert eine Rückkehr zum strengen liturgischen Stil. H. war der Vater des bedeutenden Mathematikers und Physikers Christian H., *14. 4. 1629 Den Haag, t 8.7. 1695 ebd., der sich ebenfalls mit musikalischen Fragen befaßte. In seinem Novus cyclus harmonicus stellt er ein 3 ltöniges temperiertes System vor. WW: 20 Psalmen, 12 it. Arien u. 7 frz. Airs, in: Pathodia sacra et profana (P 1647); ferner die Schrift Gebruyck of ongebruyck van't orgel in de Kercken der Vereenighde Nederlanden (Leiden 1641). Ausg.: Gebruyck of ongebruyck van 't orgel, hrsg. v. B. N. VAN DER PAAUw (Rotterdam 1937), in engl. Übers. hrsg. v. E. E. SMIT VANCROTTE (Brooklyn/N.Y. 1964); Pathodia sacra et profana, hrsg. v. F. NOSKE (A 1957). Lit.: F. NOSKE, Rondom het orgeltractaat van C. H., in: TMw 17 (1955); W. PAAP, De Pathodia van C. H., in: Mens en Melodie 13 (1958); L. P. FARRAR, Ch. H. His Musical Contributions to 17th Century Science (1962) (= Diss. Univ. of Texas).

HYDRAULIS (griech., = Wasserorgel; von hydör = Wasser, und aulos = Schalmei, Pfeife), antikes Blasinstrument, bei dem durch Wasserdruck regulierte Luft in die Pfeifen geleitet wurde. Seine Erfindung wird dem Techniker Ktesibios von Alexandria (3. Jh. v. Chr.) zugeschrieben. Heron von Alexandria (Pneumatica, 1,42; 1. Jh. n. Chr.) beschreibt eine H. mit nur einer Kolbenpumpe, während vor ihm bereits Vitruvius (De architectura X, 8; um 14 v. Chr.) ein technisch entwickelteres Instrument mit bronzenen, aus Hohlzylindern bestehenden, in einem sockelartigen Behälter aus Kupfer untergebrachten Pumpen mit Kolben und Ventilen kannte. In diesem Behälter, der teilweise mit Wasser gefüllt war und einen zweiten, kleineren, halb 145

Hydraulis mit Wasser gefüllten Behälter in Form eines umgestülpten Trichters mit hohlem, nach oben in die

Windlade führendem Stiel enthielt, staute sich die durch die Pumpen eingefüllte Luft, bis der Druck gleichmäßig stark war und sie durch den „Stiel" nach oben in die řWindlade gepreßt werden konnte. Die Gleichmäßigkeit der Windzufuhr für die Pfeifen wurde durch das eingefüllte Wasser erreicht, das die durch ungleichmäßige Bedienung der Pumpen entstandenen Druckschwankungen ausglich. Während des Spielens blieb der Druck durch einen ständigen Luftstrom aus den Pumpen, reguliert durch das Wasser, stets gleich. Bei hohem Druck, erforderlich für eine größere Lautstärke, war die Dauer des Spiels eingeschränkt (was vermutlich auch die Verwendung der H. als Signalinstrument begünstigte). In der Windlade befand sich eine mit Löchern für die einzelnen Töne versehene Gleitschiene, die von einem Schieber bewegt und von einer Feder wieder in die Ausgangsposition zurückgebracht wurde. Das bei Heron beschriebene Pfeifenwerk bestand nur aus Auloi (Zungenpfeifen mit zylindrischem Resonanzkörper), während Vitruvius bereits von mehreren, bis zu 8 Pfeifenreihen (Registern) berichtet, die einzeln oder wahlweise auch zusammen gespielt werden konnten. In Griechenland war das Instrument im 1. Jh. v. Chr. so beliebt, daß sogar Orgelwettspiele stattfanden; in Rom wurde es vor allem bei Zirkusaufführungen gespielt. Anhand der erhaltenen Bildzeugnisse läßt sich erkennen, daß die Zahl der Pfeifen im Laufe der Zeit ständig zunahm, schließlich bis zu 3 oder 4 Reihen von Pfeifen (mit jeweils 13 bis 18 Tönen). Diese Reihen konnten mit Hilfe von Registerschiebern an der Windlade getrennt gespielt werden. Im Oströmischen Reich wurde die H. weiterhin im Zirkus gespielt und gehörte vor allem zum Instrumentarium des Hofes als Symbol der kaiserlichen Macht. Als solches, und erst in zweiter Linie als Musikinstrument, ist auch die erste Orgel des fränkischen Reiches zu sehen, die König Pippin der Jüngere 757 von Kaiser Konstantin V. geschenkt bekam. Neben dem Hofinstrument muß es eine größere H. als Signalinstrument gegeben haben, deren Klang angeblich über 60 Meilen weit hörbar war — so jedenfalls behauptet der Grieche Muristos (erstmals erwähnt um 850) in einem arabisch geschriebenen Text. Auch von dem byzantinischen Feldherrn Belisar wird berichtet, daß er ein Instrument mit hohem Druck und wenigen Pfeifen für militärische Signale benutzte. Bei Instrumenten aus der Zeit seit der Spätantike ist es häufig schwer feststellbar, ob es sich um eine H. oder um eine Balgorgel handelt, da der Name H. bis ins Mittelalter sehr oft für beide Typen benutzt 146

wurde. Bereits im römischen Kaiserreich wurden die Pumpen des Wassergebläses zuweilen durch Blasebälge ersetzt. Bei den kleinen, im ganzen Kaiserreich verbreiteten Balginstrumenten mit Labialpfeifen, die wenig Druck benötigten, wurde die Luft direkt in die Windlade geleitet. Die Überreste eines dieser Instrumente aus dem Jahr 228 n. Chr. (mit der Bezeichnung hydra) wurden verkohlt in den Ruinen von Aquincum bei Budapest gefunden; es handelt sich um eine Orgel mit 4 Registern zu je 13 Tönen. Bei diesem wichtigen Dokument für die Kenntnis der frühen Balgorgel gehen die Ansichten über die Art des Gebläses auseinander und die Rekonstruktions- bzw. Ausbesserungsversuche sind unzuverlässig. Lit.: CH. MAC LEAN, The Principle of the Hydraulic Organ, in: SIMG 6 (1904/05); H. G. FARMER, The Organ of the Ancients from Eastern Sources (Lo 1931); TH. SCHNEIDER, Organum Hydraulicum, in: Mf 7 (1954); J. PERROT, L'orgue de ses origines héllenistiques à la fin du XIII'siecle (P 1965, engl. NY 1971); D. SCHUBERTH, Kaiserliche Liturgie (Gö 1968); M. WALCKER-MAYER, Die römische Orgel v. Aquincum (St 1970); K. SZIGETI, Die ungelösten Probleme der römischen Orgel v. Aquincum, in: Studia musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 13 (Budapest 1971); L. ELVIN, Organ Blowing. Its History and Development (Swanpool / Lincoln 1971). M. BROCKER

HYMENAIOS (griech., = Hochzeitsgesang), in der griech. Antike Bez. für das Lied beim Hochzeitszug, mit dem die Braut vom väterlichen Haus in die Wohnung des Bräutigams geführt wurde. Als Begleitinstrumentarium für den singenden und tan-

zenden Chor dienten Kithara und Flöten. — řEpithalamion. HYMNAR, Hymnarium, Bz. für eine handschriftlich oder gedruckt überlieferte Sammlung von Hymnen der lateinischen Liturgien. H.e sind z. T. als Sonderbücher erhalten, meist aber mit einem Offizienbuch, z. B. dem Psalter oder Antiphonale officii, als Teil verbunden; doch wurde bereits im Mittelalter statt einer geschlossenen Sammlung die Einfügung der Hymnen in die Tages- und Festoffizien zur Regel. Für den liturgischen Gebrauch einer Einzelkirche bestimmt, geben die H.e aus der unübersehbaren Anzahl von Texten und Melodien jeweils eine örtliche oder regionale Auswahl. Die seltenen ältesten Handschriften des 7.-9. Jh. weisen nur Texte ohne Melodien auf; lesbare Melodien bieten erst das H. von Moissac mit diastematischen Neumen (Rom, Bibl. Vat. Ross. 205; 10.-11. Jh.) und das H. von Kempten mit Tonbuchstaben (Zürich, Zentralbibl. Rh. 83; vor 1026). Vollständig neumiert ist das H. von Verona (Bibl. Cap. CIX; 11. Jh.), das für 207 Texte die Melodien angibt. — Unter den nichtlateinischen Liturgien besitzen vor allem der griechische und der armenische Ritus

Hymnus Hymnenbücher, die als Gegenstücke der lateinischen H.e gelten können (troparion, triödion, měnaion, mit jeweils verschiedener Auswahl). Ausg. u. Lit.: Die Hymnen des Thesaurus Hymnologicus H. A. Daniels u. anderer Hymnen-Ausg., 2 Bde., hrsg. v. C. BLUME (L 1908-09) (= Anal. Hymn. 51-52), dazu 2 Register-Bde., hrsg. v. M. LUTOLF (Be 1978); Hymnar von Pairis, hrsg. v. K. WEINMANN (Rb 1905); Hymnar von Einsiedeln, hrsg. v. B. EBEL (Einsiedeln 1930); 10 vollständige Hymnare u. Einzelstücke aus 148 Hss., hrsg. v. B. STABLEIN (Kas 1956) (= Monumenta monodica medii aevi 1); Melodiarium Hungariae medii aevi, I: Hymni et sequentiae, hrsg. v. B. RAJECZKY (Budapest 1956); B. STABLEIN, H., in: MGG VI; DERS., Hymnus. Der lat. Hymnus, in: ebd.; U. BOMM, Gregor. Gesang, in: Arch. für Liturgiewissenschaft 20 (1978) — 21 (1979). U. BOMM

HYMNODIE (griech.), in engerem Sinne Bz. für das Hymnensingen, den Hymnengesang (Hymnus). Die ursprünglich verbale Form des Wortes (hymnodein) benannte bei den Griechen eine feierliche Art des Singens überhaupt (vgl. Aischylos, Agamemnon 990). In der Spätantike bedeutet die substantivische Form H. allgemein das Lobsingen, sowohl in heidnischem wie in altchristlichem Sinne (Psalm, Benedicite, Trishagion). H. galt nicht als eigener musikalischer Gattungsbegriff. HYMNOGRAPHIE, byzantinische H., 7Byzantinischer Gesang. HYMNOLOGIE, eine theologische Wissenschaft im Bereich der praktischen Theologie, speziell der Liturgik, die das — in der Regel einstimmige — gottesdienstliche Gemeindelied untersucht und von anderen gottesdienstlichen Gesangsformen, insbesondere vom Gregorianischen Gesang und dem liturgischen Altargesang, abzugrenzen sucht. Sie ist sowohl eine historische wie eine systematische Wissenschaft. Ihr Gebiet greift zudem in das der Philologie und das der Musikwissenschaft über, da ihr Forschungsbereich auch die Metrik und vor allem Melodik des Kirchenlieds in ihre Arbeit mit einzubeziehen hat. — Der Begriff H. erscheint bei M. Praetorius als „Hymnologia" (Syntagma musicum I, Wittenberg 1614/15, S. 11) im Sinne von Lobsagung, in der Bezeichnung einer wissenschaftlichen Disziplin zuerst bei B. F. Schmieder (Hymnologie, 1789). Als das früheste wissenschaftliche hymnologische Werk hat Johann Caspar Wetztels Hymnopoeographia (1719-28) zu gelten. Das 19. Jh. war im Sinne der gottesdienstlichen Restauration vorwiegend eine Zeit der Quellensammlungen sowohl von Kirchenliedtexten wie von Melodien. Eine historische Gesamtdarstellung bot Eduard Emil Koch in der Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche(1866-77). Ein erstes öku-

menisches hymnologisches Werk bildet das Dictionary of Hymnology (1892-97). Das grundlegende Periodicum im deutschsprachigen Raum ist heute das Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie (Kas 1955 ff.). Lit.: 1) Hymnolog. Quellen- a. Nacrecblagwerke: J. C. WETZEL, Hymnopoeographia oder Historische Lebensbeschreibung der berühmtesten Liederdichter, 4 Bde. (Herrenstadt 1719-28); B. F. SCHMIEDER, H. oder über die Tugenden u. Fehler der verschiedenen Arten geistlicher Lieder (HI 1789); J. P. LANGE, Die kirchliche H. oder die Lehre vom Kirchengesang, 2 Bde. (Z 1843); CH. PALMER. Ev. H. (St 1865); E. E. KOCH, Gesch. des Kirchenlieds u. Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der dt. ev. Kirche, 8 Bde. (St 1866-77, Nachdr. Hil 1972); C. G. A. VON WINTERFELD, Das dt. Kirchenlied v. der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jh., 5 Bde. (L 1864-77, Nachdr. Hil 1967); Das kath. dt. Kirchenlied in seinen Singweisen, hrsg. v. W. BAUMKER. 4 Bde. (Fr 1883-1911, Nachdr. Hil 1962); Blätter für H., hrsg. v. A. FISCHER — J. LINKE (Gotha 1883-94, Nachdr. Hil 1971); Encyklopädie der ev. Kirchenmusik, hrsg. v. S. KUMMERLE, 4 Bde. (Gütersloh 1888-95, Nachdr. Hil 1972); Die Melodien des dt. ev. Kirchenliedes aus den Quellen geschöpft ..., hrsg. v. J. ZAHN. 6 Bde. (ebd. 1889-93, Nachdr. Hil 1963); Dictionary of H. Forth the Origin and History of Christian Hymns of all Ages and Nation, hrsg. v. J. JULIAN, 2 Bde. (Lo 1892-97, Nachdr. Hil 1957); A. FISCHER — W. TÜMPEL, Das dt. ev. Kirchenlied des 17. Jh., 6 Bde. (ebd. 1904-16, Nachdr. Hil 1964); K. AMELN — M. JENNY — W. LIPPHARDT, Das dt. Kirchenlied (Kas 1975 ff.) (= RISM B 8/1); — 2) Literatur zur H.: W. BLANKENBURG, Der gottesdienstliche Liedgesang der Gemeinde, in: Liturgia 4 (Kas 1961); M. JENNY, H. als theologische Disziplin, in: Reformation (1966) Nr. 9; O. BRODDE, H., in: Die ev. Kirchenmusik (Rb 1967); H.-J. LAUBACH. Das dt. prot. Tauflied von der Reformation bis zur Gegenwart (H 1969); CH. ALBRECHT. Einführung in die H. (B 1973); W. ZELLER, „DaB Christus unser Lob u. Gesang sei". 450 Jahre ev. Gesangbuch, in: MuK 44 (1974); W. LIPPHARDT. Aufgaben u. Wege der H. als theologische Wiss. (Gr 1974); M. ROsSLER, Die Frühzeit hymnologischer Forsch., in: JbLH 19 (1975); M. JENNY, Die gedruckten musikal. Quellen des dt. Kirchenliedes, in: ebd. 20 (1976); W. BLANKENBURG, Die Entwicklung der H. seit etwa 1950, in: Theologische Rundschau 42 (1977) und 44 (1979).

HYMNUS (lat., von griech. hymnos; engl.: hymn; frz.: hymne; it.: inno; span.: himno), lyrischer Gesang in Versen, gelegentlich auch in Prosa, zum Lob einer Gottheit, eines Heroen oder eines Heiligen. 1) Einstimmiger Hymnus. Antike. Das Wort, dessen Herkunft ungewiß ist, bezeichnete in der griechischen Dichtung einen Chorgesang zum Preis und zu Ehren eines Gottes. Alle großen Lyriker haben diese Gattung gepflegt, für die sich zahlreiche Beispiele in den Chören der attischen Tragödie finden. Aus der späteren Antike sind große Teile von zwei Hymnen an Apollon (einer ein /Päan) erhalten, die bei Ausgrabungen in Delphi gefunden wurden. Die Hymnoi Homěrikoi (Homerische H.n) in Hexametern aus hellenistischer Zeit besingen die Heldentaten eines Gottes, den man mit den in seinem Kult üblichen Titeln in groBer Zahl anspricht; dies ist als rein literarische Tradition in der hellenistischen Dichtung nachgeahmt worden. Normaler147

Hymnus weise war der H. in lyrischen Versmaßen verfaßt; weite Verbreitung hat der Zeus-H. des Kleanthes gefunden. In ihm wird Zeus gebeten, seinen Wohnsitz im Olymp oder in einem seiner Kultstätten zu verlassen und bei seinen Anbetern einzukehren. Im kaiserlichen Rom häufen sich die Beispiele für Hymnen an Orpheus, und spätgriechisch-ägyptische Papyri überliefern Beschwörungshymnen, die der Sphäre der Magie und des Aberglaubens angehören. Byzantinischer Hymnos. Der Terminus „Hymnos" dient in der byzantinischen Kirchendichtung und Musik als allgemeine Bezeichnung für den Lobgesang. Dabei können 2 Kategorien von Hymnoi unterschieden werden: 1. Religiöse Dichtungen, die in die Liturgie nicht aufgenommen wurden, d. h. gelehrte Dichtungen, die vielfach antike Metren verwenden. Die prominentesten Vertreter dieser Hymnendichtung in frühchristlicher Zeit sind Klemens von Alexandria (t vor 215), Gregorios von Nazianz (329/30-390/91) und Synesios von Kyrene (370-413). 2. Hymnen, die in die Liturgie aufgenommen wurden, die meisten von ihnen Kontakia (/Kontakion). Das angesehenste Kontakion der griechischen Kirche ist der Akathistos hymnos. (Der Name besagt, daß der Hymnos „nicht sitzend" vorgetragen wird.) Dieser Hymnos besteht aus einem Prooimion und 24 Oikoi, die mit 2 Kehrversen und mit alphabetischer Akrostichis miteinander verbunden sind. Die Oikoi behandeln das Thema der Verkündigung Mariä; das Prooimion ist ein Siegeslied; als Autoren wurden die Patriarchen von Konstantinopel Sergios (610-638), Germanos (t 733), Photios (ca. 820 bis nach 886) und — neuerdings — der Melode Romanos (t nach 555) angenommen. Es existiert von ihm eine lateinische Übersetzung aus dem 9. Jh.; die ältesten Aufzeichnungen von Melodien finden sich in Handschriften des 13. Jahrhunderts. Lateinischer Hymnus. Der Begriff „Hymnus" ist in der abendländischen Kirche seit etwa 500 bekannt und umfaßt im weitesten Sinne alle lateinischen geistlichen und kirchlichen Gesänge in gehobener (poetischer) „Sprache", einschließlich der rhythmisch freien (psalmodischen) Gesänge der Kirche, von denen vor allem der H. angelicus /Gloria in excelsis Deo, der H. seraphicus /Sanctus und der H. Ambrosianus /Te Deum hervorzuheben sind. Im engeren Sinn bezeichnet H. einen metrisch festgelegten strophischen Gesang, wie er von Ambrosius in die Liturgie eingeführt wurde. Entscheidende Kennzeichen für die Form des liturgischen H. sind der gleiche Bau aller Strophen (Isostrophismus), wodurch stets die Wiederholung der Melodie bedingt ist (Abgrenzung gegen die Se148

quenzen), oder die starre Beibehaltung der stets gleichbleibenden Anzahl von Silben innerhalb der einzelnen Strophen (Isosyllabismus). Von diesen beiden Prinzipien weicht nur das Distichon ab, das besonders den Prozessions-H. bestimmt, wobei für diesen Gesang „ad procedendum" das Kennzeichen des Kehrverses (Refrain) eine Scheidung gegenüber der großen Gruppe der Hymnen erlaubt. Für den H. vollzieht sich die Ordnung des Verses durch den stetigen Wechsel von Längen und Kürzen nach einem metrischen Prinzip. Seit dem 6. Jh. behauptet sich der Isosyllabismus. Dadurch siegte das rhythmische Prinzip und prägte den H. in seiner mittelalterlichen Form. Die wichtigsten Versmaße der lateinischen Hymnen sind der jambische Dimeter (Ambrosianus) mit 8 Silben (7 — L) — — L/ —, z. B. Veni redemptor gentium), der trochäische Vers mit 6 Silben (— — Ave maris stella), die sapphische Strophe mit 11 Silben (— -— L. Ut queant laxis resonare fibris) und der Asclepiadeus mit 12, z. T. auch 11 Silben (---„--„ : Sanctorum meritis inclyta gaudia). Zwischen diesen 4 Versmaßen, die den Anfang der lateinischen Hymnodie markieren, sind die verschiedensten Kombinationen (besonders zu 7, 10 und 15 Silben) möglich. Die erwähnte Ausnahme und zugleich den Sonderfall bildet das Distichon, das sich aus einem Hexameter und einem Pentameter zusammensetzt. Von ihren stilistischen Merkmalen her, besonders von ihren Ursprüngen, sind dem H. verwandt, doch nicht gleichzusetzen: der Versus, auch in seiner ma. Erscheinungsweise als /Tropus, die beide einen vorgegebenen liturgischen Text kommentieren und somit Einschiebsel bzw. Einfügungen darstellen; die Rhythmi des /Reimoffiziums des 11.-13. Jh., von denen z. B. das /Stabat mater dolorosa und das /Dies irae der Gattung der /Sequenz zugehören, während die weiteren Unterabteilungen (Glossen- und Stundenlieder, Psalterien, Rosarien) sich vollständig dem Urbild entfremden; der /Conductus, der, aus dem Tropus seit etwa 1100 erwachsen, die rhythmisch gegliederte Prosa verläßt; die /Cantio als das einstimmige lateinische Lied des Mittelalters, die mit dem H. zwar die Form eines Strophenlieds gemeinsam hat, aber in anderen entscheidenden Merkmalen (größerer Umfang, strafferer Rhythmus, Fehlen der Doxologie) von ihm abweicht; das lateinische, deutsche und lateinisch-deutsche (Misch-)Lied des Spätmittelalters in Dreiermensur, das durch keine nähere Bezeichnung in einer Gruppe oder Gattung zusammenzufassen ist. In ihrer Gesamterscheinung sind die Hymnen trotz ihrer Verschiedenheit die lyrischen Stimmen der

Hymnus Kirche, besonders im Hinblick auf die geplante Verbindung und Verschmelzung eines Großteils von ihnen mit dem Gesang. Die Volksnähe des H. blieb durch das ganze Mittelalter erhalten, namentlich seitdem die Sequenz seit etwa 900 sich als die anspruchsvollere, nur einen kleineren Kreis ansprechende poetische Form zu erkennen gab. Der liturgische Ort der lateinischen Hymnen ist das Stundengebet. Die Hymnen sind z.T. älter als das /Brevier; wohl schon von Hilarius von Poitiers und besonders von Ambrosius waren sie bestimmt für das Stundengebet der christlichen Gemeinde, und zwar als Volksgesang. Entscheidend wurde die Verfügung von Benedikt von Nursia, die allen /Horen je einen H. zusprach. Erhalten haben sich bis heute mit einigen Änderungen im 17. Jh. die Hymni diurni für die 7 Wochentage, die zum ältesten Teil des Breviers gehören. Einige Hymnen, wie z. B. das Pange lingua und das Veni Creator Spiritus, werden auch außerhalb des Stundengebetes in der Liturgie verwendet. Die ältesten /Hymnare enthalten nur selten eine musikalische Notierung, da Hymnen die am leichtesten im Gedächtnis zu behaltenden Melodien des gesamten liturgischen Repertoires waren. Erst im 13. Jh. wurden die mit Noten versehenen Handschriften häufiger (Hss. von Cambrai, Évreux, Klosterneuburg, Paris, Saint-Omer, Troyes, Worcester u. a.). Im 14. und 15. Jh. finden sich handschriftlich, im 16. Jh. auch in Drucken mensural notierte Hymnen, für die eine dreizeitige Mensur anzunehmen ist. Die Übersetzung lateinischer Hymnen in die Volkssprache bildete eine wichtige Quelle des reformatorischen /Kirchenliedes. Von Luther selbst stammen die Texte u. a. zu Nun komm, der Heiden Heiland (= Veni redemptor gentium), Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist (= Veni Creator Spiritus). Auch im katholischen Kirchengesang besonders des 17.-19. Jh. waren Lieder gebräuchlich, denen eine versifizierte Nachdichtung lateinischer Hymnen zugrunde liegt (bekannt davon noch heute: Komm Schöpfer Geist, kehr bei uns ein). W.

IRTENKAUF

2) Mehrstimmiger Hymnus. Versuche, eine gregorianische Hymnenmelodie zweistimmig auszuführen, sind bereits in der Musica Enchiriadis des 9. Jh. belegt. Sie setzten sich später, besonders im 13. und 14. Jh., oft in dreistimmiger Form fort. Für all diese Hymne:i gilt der Grundsatz der AlternatimAufführung, d. h. die abwechselnde Wiedergabe der Melodie strophenweise choraliter und figuraliter. Die Geschichte der mehrstimmigen Hymnenbearbeitung beginnt mit den 10 fast Note gegen Note komponierten Hymnen der Hs. Apt (vor 1400),

vermutlich entstanden für die päpstliche Kapelle in Avignon. Sie begründen die Tradition der zyklischen Vertonung „per totum annum", der sich fast alle namhaften Komponisten von G. Dufay bis G. P. da Palestrina verpflichtet fühlten. Das künstlerische Niveau von Dufays 21 3-4st. Fauxbourdonhymnen mit chansonhaft koloriertem Choral, erfüllter Klanglichkeit und schönheitlicher Geformtheit wirkte beispielgebend auf die in Italien tätigen franko-flämischen Komponisten, vor allem in der 2. Hälfte des 15. Jh., wie die 140 Sätze der Trienter Codices beweisen. In England trat J. Dunstable mit mehrstimmigen Hymnenbearbeitungen, die als isorhythmische Motetten gestaltet waren, hervor. — Um 1500 erlebte die Hymnenkomposition quantitativ und qualitativ in Deutschland eine große Blüte. Enthält das Glogauer Liederbuch noch 20 stark italienisch beeinflußte Hymnensätze, so zeigen die späteren Hauptquellen im 3-5st. Satz eine Vielfalt der Techniken, die von der Vollstimmigkeit mit Cantus planus im Tenor bis zur imitatorisch durchwirkten, spannungsreichen motettischen Gestaltung reichen, besonders bei H. Finek, Th. Stoltzer und L. Senfl. Diese Vertonungen waren auch im protestantischen Mitteldeutschland außerordentlich beliebt, wurden durch Drucke verbreitet und von jüngeren Musikern bis um 1600 weiter gepflegt. — Während der mehrstimmige H. in Frankreich kaum gepflegt wurde, erlebte er in Italien im 16. Jh. durch niederländische und italienische Komponisten einen weiteren Höhepunkt. Beispielgebend für den tridentinischen Reformkatholizismus wurde Palestrinas Hymnenzyklus (43 Hymnen in 133 Sätzen) von 1589. L. HOFFMANN-ERBRECHT

Vom 17. Jh. bis zur Gegenwart blieb die Vertonung lateinischer Hymnen über alle Stilverschiedenheiten hinweg fester Bestandteil der Kirchenmusik, meist im Rahmen der Motette. Gleichwohl sind aus dieser Zeit nur ganz wenige Werke von Rang zu nennen, wie etwa A. Bruckners Vexilla regis. Aus der Zahl der nicht streng liturgischen lateinischen Hymnenvertonungen ragen im 20. Jh. die Quattro inni sacri (für Bar. u. Org.) von G. Petrassi heraus. Eine bemerkenswerte Verwendung der Bz. H. im kirchenmusikalischen Bereich findet sich in der Originalausgabe der C-Dur -Messe von L. van Beethoven. Hier werden Kyrie / Gloria als 1. H., Credo als 2. H. und Sanctus / Benedictus / Agnus als 3. H. bezeichnet, wohl im Hinblick auf den hier hinzugefügten deutschen Text, der nicht eine Übersetzung des lateinischen Messetextes, sondern eine vollständig neue religiöse Dichtung ist. Außer vokalen Bearbeitungen gregorianischer Hymnen entstanden im 15.-17. Jh. auch zahlreiche 149

Hymn's Bearbeitungen für Orgel. Die frühesten Beispiele stammen von deutschen Autoren (K. Paumann, P. Hofhaymer, A. Schlick, H. Buchner, Fr. Sicher). Später schrieben Orgelhymnen: im 16. Jh. G. Cavazzoni, G. M. Asola; im 17. Jh. u. a. G. C. Arresti, A. Banchieri, B. Botazzi, J. Bull, A. de Cabezón, G. B. Fasola, G. Frescobaldi, M. Praetorius, G. Scipione, S. Scheidt, J. P. Sweelinck. G. MASSENKEIL Ausg.: Zs 1): Analecta hymnica medii aevi, hrsg. v. G. M. DREVES—C. BLUME, 55 Bde. (L 1886-1922, Nachdr. F-NY 1961 bis 69); Monumenta monodica medii aevi, I: Hymnen, 1: Die ma. Hymnenmelodien des Abendlandes, hrsg. v. B. STÄBLEIN (Kas 1956). — Zu 2): Le manuscrit ... d 'Apt, hrsg. v. A. GASTOUÉ (1936) (= Publ. Soc. Fr. de Mie I/10); H. Finck, Acht Hymnen, hrsg. v. R. GERBER (Wb 1931) (= Chw 9); Dt. Meister des 15. Jh., Zwölf Hymnen, hrsg. v. DEMS. (Wb 1935) (ebd. 32); G. Dufay, Sämtl. Hymnen, hrsg. v. DEMS. (Wb 1937) (= Chw 49); G. Rhau, Sacrorum hymnorum liber primus, hrsg. v. DEMS. (L 1942, 1943) (= EDM 21, 25); S. Dietrich, Ausgew. Werke, I: Hymnen 1545, 1. Teil, hrsg. v. H. ZENCK (L 1942) (= ebd. 23).

Lit.: Z. 1): U. CHEVALIER, Repertorium hymnologicum, 6 Bde. (Löwen — Bru 1892-1921); C. BLUME, Der Cursus S. Benedicti Nursini u. die liturg. Hymnen des 6.-9. Jh. (L 1908); B. EBEL, Das älteste alemannische Hymnar mit Noten, Kod. 366 (472) Einsiedeln, 12. Jh. (Einsiedeln 1931); PH. A. BECKER, Vom christlichen H. zum Minnesang, in: Hist. Jb. der Görres-Ges. 52 (1932); C. BLUME, Unsere liturg. Lieder, Das Hymnar der altchristlichen Kirche (Rb 1932); R. E. MESSENGER, Christian Hymns of the First Three Centuries (NY 1942); B. STÄBLEIN, Die ma. Hymnenmelodien (Erl 1946) (= Habil.-Schrift); DERS., Zur Gesch. der choralen Pange-lingua-Melodie, in: Der kultische Gesang der abendländischen Kirche. FS D. Johner (Kö 1950); R. E. MESSENGER, The Medieval Latin Hymn (Washington/D.C. 1953); C. E. POCKNEE, The French Diocesan Hymns and Their Melodies (Lo 1954); Melodiarium Hungariae medii aevi, I: Hymni et sequentiae, hrsg. v. B. RAJECZKY (Budapest 1956); B. STABLEIN, Parerga zu Monumenta monodica Medii Aevi 1, in: Mf 10 (1957); J. SzOVÉRFFY, Die Annalen der lateinischen Hymnendichtung, 2 Bde. (B 1964-65); P. MITTLER, Melodieuntersuchungen zu den dorischen Hymnen der lateinischen Liturgie im MA (Diss. Bonn 1965); W. LIPPHARDT, Das Hymnar der Metzer Kathedrale um 1200, in: FS B. Stäblein (Kas 1967); H. GNEUSS, Hymnar u. Hymnen im engl. MA (Tü 1968); H. LAUSBERG, Zum H. „Jesu dulcis memoria", in: Martyra, Leiturgia, Diakonia. FS H. Volk (Mz 1968); H. GOLTZEN, Die Stellung des H. im Tagzeitengebet, in: FS Ch. Mahrenholz (Kas 1970); J. SZOVÉRFFY, Ein Schmuckmittel der ma. Strophen. „Regelmäßige Zeilenentlehnung" in der Hymnendichtung in: Mittellat. Jb. 7 (1972); H. LAUSBERG, Der H. „Ave maris stella" (Opladen 1976) (= Abh. der Rheinisch-Westfäli-

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schen Akad. der Wiss. 61). — Zu 2): A. ELLING, Die Messen u. Hymnen der Hs. v. Apt, (Diss. Gö 1924); G. HAYDON, The Hymns of C. Festa, in: JAMS 12 (1959); R. GERBER, Zur Gesch. des mehrst. H., hrsg. v. G. Croll (Kas 1965) (= Musikwiss. Arbeiten 21); G. HAYDON, The Hymnus of J. de Kerle, in: Aspects of Medieval and Renaissance Music. FS G. Reese (NY 1966); M. BERNSTEIN, The Hymns of G. de Wert, in: Gedenkschrift G. Haydon (Chapel Hill/N.C. 1969); T. R. WARD, The Polyphonic Office Hymn from 1400 to 1520. A Descriptive Inventory (Lo, in Vorb.).

HYPATĚ /Systema teleion. HYPOTYPOSIS, von J. Burmeister 1599 geprägte Bz. für eine musikalisch-rhetorische Figur, durch die ein Textwort oder ein Textinhalt musikalisch ausgedeutet wird. Die klassische Rhetorik bezeichnet als H. den fingierten Augenzeugenbericht (Cicero) bzw. eine so anschauliche Beschreibung eines Gegenstandes, daß der Hörer den Eindruck habe, ihn vor Augen zu sehen (Quintilian). Burmeister definiert seine musikalisch-rhetorische H. als „jene Art der Textausdeutung, durch die etwas an sich Unbeseeltes lebendig vor Augen geführt oder entschleiert zu sein scheint". Unter den von ihm gegebenen Beispielen finden sich Koloraturen, Wechsel der Satztechnik, der Stimmlagen oder der Notenwerte, textbezogene Wiederholungen und Abweichungen von der Taktordnung durch Häufung von Synkopen (Abweichungen von den Gesetzen der Tonart, Überschreitungen des normalen Tonumfangs einer Stimme und auffallende Dissonanzen hatten eigene Bezeichnungen erhalten). Diese Besonderheiten konnten nur dann als musikalischrhetorische /Figuren aufgefaßt werden, wenn sie von der Normalsprache auffallend abwichen und wenn der Komponist sich darauf beschränkte, sie dort anzubringen, wo der Text ihn dazu legitimierte. Was Burmeister als H. bezeichnet hatte, wurde von späteren Musiktheoretikern differenziert und auf verschiedene Figuren verteilt. Man spricht daher von einer H. -Klasse und versteht darunter alle wortausdeutenden Figuren in Abgrenzung von den Wiederholungsfiguren der Emphasisklasse und den satztechnischen Ornamenten. Hz, Abk. für /Hertz.

I I, i, von J. Ph. Kirnberger 1771 vorgeschlagene Bz. in der Notenschrift für die Naturseptime, das Intervall zwischen dem 4. und 7. Oberton (/Septime), das er versuchsweise in die Komposition einführte. IAMBUS /Metrum. IBACH, Rud. Ibach Sohn, dt. Klavierfabrik mit Sitz seit 1945 in Schwelm (Westfalen), gegr. 1794 in Barmen von Johannes Adolf Ibach (1766-1848) als Klavier- und Orgelbauwerkstatt. Sein Sohn Carl Rudolf (1804-63) übernahm 1825 die Leitung, wurde 1833 Mitinhaber, 1839 zusammen mit seinem Bruder Richard (1812-89), der sich auf den Orgelbau spezialisierte. 1844 trat der dritte Sohn von Adolf, Gustav Adolf (1823-83), in das Geschäft ein und machte sich 1862 in Bonn als Orgel- und Klavierbauer selbständig. 1869 wurde das Barmer Unternehmen in die „Orgelbauwerkstatt Richard I." und die „Klavierfabrik Rudolf I. Sohn" geteilt, deren Leitung P. A. Rudolf (1843-92) übernahm. 1904 verkaufte die Witwe von Richard dessen Betrieb an das Stammhaus, das nacheinander von Walter (1856-1923), Rudolf (1873-1940), Johann Adolf, (* 1911) und Rolf (* 1940) geleitet wurde. Das Haus Rud. I. Sohn gehört seit Mitte des 19. Jh. zu den führenden deutschen Klavierbauwerkstätten; nach 1870 hatte auch die Orgelbaufirma Richard I., vor allem durch ihre Exporte, eine hervorragende Stellung inne. Lit.: Das Haus R.I. Sohn Barmen - Köln 1794-1894 (Barmen 1894); Dokumente. 175 Jahre I. (Schwelm 1970); G. BEER. Orgelbau I. Barmen 1794-1904 (Kö 1975) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 107).

IBERT, Jacques François Antoine, * 15.8.1890 Paris, t 5.2.1962 ebd.; frz. Komponist. Nach Studien am Pariser Conservatoire bei A. Gédalge und P. Vidal (1910-14) errang er 1919 den 1. Grand Prix de Rome mit der Kantate Le poète et la fée. 1937 wurde er Direktor der Académie de France in Rom in der Villa Medici, unterbrach diese Tätigkeit und kehrte dann bis 1960 auf diesen Posten zurück. 1955 wurde er Direktor der Union des Théâtres

Lyriques de Paris, gab aber diesen Posten aus zeitlichen Gründen bald wieder ab. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Le vent dans les ruines (1915); Histoires, 10 Stücke (P 1922), auch für Orch. bearb.; Les rencontres (1921-24); Française (P 1928); Toccata sur le nom de Roussel (1937); Petite suite, 15 Stücke (Lau 1944); 3 Pièces für Org. (P 1920); 6 Pièces für Harfe (P 1932); Caprilena (1951) für V.; rude-Caprice pour un Tombeau de Chopin u. Ghirlarzana (1952) für Vc.; Pièce pour flute seule (1935); Sonatine Jeux für V. u. Klv. (1924-27); Impromptu für Trp. u. Klv. (1951); Entracte (1937) für Fl. u. Gitarre; 5 Pièces en trio (1953) für Ob., Klar. u. Fag.; Trio (1944) für V., Vc. u. Harfe; Streichquartett (1937-42); 2 Mouvements für 2 Fl., Klar. u. Fag. (1923); 3 Pièces brèves für Bläserquintett (1930); Capriccio (1936) für 10 Instr. - Für Orch.: Ballade de la geôle de Reading (nach O. Wilde) u. Escales (1924); Suite symphonique, aus der Bühnenmusik zu Donogoo v. J. Romains (1929-32); Ouverture de fete (1940-41); Suite élisabéthaine (1941) mit Sopran u. Chor, aus der Bühnenmusik zu Le songe d'une nuit d'été v. W. Shakespeare; Louisville-Concert (1953); Concerto (1925) für Vc. u. Orch.; Concerto (1932-34) für Fl. u. Orch.; Concerto da camera (1933) für Saxophon u. 11 Inch.; Symphonie concertante (1948-49) für Ob. u. Orch.; Hommage à Mozart (1955); Bacchanale (1956). - 2) Vokal-WW: Zahlreiche Lieder u. Chansons, u. a.: 5 chansons de Don Quichotte (1931) u. Complainte de Florinde (Text: A. Arnou() (P 1957); ferner Chant de folie (1923-24) für Soli, 8st. Chor u. Orch. - 3) Bühnen-WW: Opéra-bouffe Angélique (1928); Persée et Andromède (P 1929); Opéra-comique Le roi d'Yvetot (1927-28); Farce Gonzague (1930); L'Aiglon (1936-37) (Libr.: E. Rostand) (zus. mit A. Honegger), UA: Monte-Carlo 1937; Operette Les petites cardinales (1937-38) (Libr.: A. Willemetz u. P. Brach nach L. Halévy) (zus. mit A. Honegger), UA: Paris 1939. - Ballette: Les rencontres (P 1924); Diane de Poitiers, UA: Paris 1934; Le chevalier errant (1935), mit Rezitation u. Chor; Les amours de Jupiter (1945), UA: Paris 1946; Le triomphe de la pureté (1951); Impromptu au bois de Boulogne (1956); Tropismes pour des amours imaginaires (1957), UA: Paris 1974 (Schallplatteneinspielung).

I. gehört zu den „Unabhängigen" der Generation vor 1900, obwohl Anregungen und Einflüsse u. a. besonders von M. Ravel nachweisbar sind, der auch in den 20er Jahren Musik von I. aufführen ließ, weil sie ihm bedeutend erschien und er eine Entwicklung der Musik in dieser Richtung voraussah. Stellvertretend für Ravel übernahm I. 1932 auch die musikalische Gestaltung eines Don Quixote-Films, in dem 5 Lieder für F. Schaljapin geschrieben sind. Das Ansehen von I. in den 20er Jahren wird auch 151

Idée fixe deutlich durch seine Beteiligung an Gemeinschaftskompositionen, z. B. mit Ravel, D. Milhaud, A. Honegger, G. Auric, Ch. Koechlin und A. Roussel. Obwohl sich I. keiner Kompositionsschule verpflichtet fühlte und heute als Eklektiker gilt, wurde sein Name in den 20er Jahren häufig in Verbindung mit der Groupe des Six und in den 30er Jahren zusammen mit Honegger und Roussel genannt. I. ließ sich auch von der Emanzipation des Rhythmus und des Schlagzeugs um 1920 beeindrucken und verwendete in Angélique Jazzelemente. Mehrfach wurde ihm „Wissen" und Sorgfalt im technischen Bereich bescheinigt, so von R. A. Mooser, der I.s Streichquartett hochschätzte. B. de Schloezer bezeichnete ihn 1926 als typischen Vertreter eines „musikalischen Hedonismus", dem es um eine leichte, einfache, angenehm klingende und ansprechende Musik gehe. Die Mannigfaltigkeit von I.s Werken und die folgende Äußerung bezeugen, wie er verstanden sein möchte: „Le terme académisme m'a toujours fait frémir." Lit.: A. HOÉRÉE, J. I., in: RM 10 (1929); P. LANDORMY, La musique française après Debussy (P 1943, 2 1948); J. FESCHOTTE, J. I. (P 1958); U. BÄCKER, Frankreichs Moderne v. C. Debussy bis P. Boulez (Rb 1962); G. MICHEL, J. I., l'homme et son ouvre (1968); A. ORENSTEIN, M. Ravel, Leben und Werk (St 1978). U. ECKART-BÄCKER

IDÉE FIXE (frz., = fixe, unveränderliche Idee) nannte H. Berlioz in seinen Programmtexten zur Symphonie fantastique (1830) das Hauptthema des 1. Satzes, das, mehr oder weniger stark abgewandelt, in den anderen 4 Sätzen wieder auftritt. Berlioz hat hiermit die in der Oper seiner Zeit gebräuchliche Verwendung von Erinnerungsmotiven in die Instrumentalmusik übertragen. (Später, im Zusammenhang mit R. Wagner, entstand der Terminus /Leitmotiv, der im Schrifttum gelegentlich mit I. f. gleichgesetzt wird, obwohl Berlioz selbst die Bezeichnung I. f. in keinem anderen Zusammenhang wieder benutzt hat.) Die Wahl des aus der Medizin stammenden Begriffs „idée fixe" (der etwa gleichbedeutend mit „Wahnvorstellung" ist) war für Berlioz durch den psychologischen Kontext des Programms der Symphonie fantastique motiviert: „Infolge einer eigentümlichen Bizarrerie erscheint dem Künstler" (der die Symphonie quasi durchleidet bzw. träumt) „das Bild der Geliebten stets nur in Begleitung eines musikalischen Gedankens." Lit.: R. BOCKHOLDT, Die idée fixe der Phantastischen Symphonie, in: AfMw 30 (1973).

IDELSOHN, Abraham Zebi, *1. (13.) 7. 1882 Filzburg bei Libau (Lettland), t 14.8. 1938 Johannesburg (Südafrika); jüdischer Musikforscher und Kantor. Nach Musikstudien in Königsberg, Lon152

don, Berlin und Leipzig wurde er 1903 Kantor (hazzan) in Regensburg, 1905 in Johannesburg und übersiedelte 1906 nach Jerusalem, wo er sich dem Sammeln und Studium jüdischer und orientalischer Musik widmete und 1910 ein Institut für jüdische Musik sowie 1919 eine jüdische Musikschule gründete. Seit 1922 lebte er in den USA; 1924-34 lehrte er jüdische Musik am Hebrew Union College in Cincinnati/Conn. Schriften: Hebräisch-Orientalischer Melodienschatz, 10 Bde. (L 1914-32); Jewish Music, Historical Development (NY 1929, Nachdr. NY 1967); Jewish Liturgy and Its Historical Development (NY 1929, NA 1965, 1967); Musical Characteristics of East European Folk Song, in: MQ 18 (1932). Lit.: A. SENDREY, Bibliogr. of Jewish Music (NY 1951) (mit Werk-Verz.); E. WERNER, From Generation to Generation. Studies on Jewish Musical Tradition (NY 1968).

IDIOMELOS, Automelos (griech.-byzantinisch, = mit eigener Melodie), Hinweis, häufig am Beginn eines /Sticheron oder anderen byzantinischen Gesanges, daß die Melodie für den betreffenden Text geschaffen wurde. Der Begriff wird zur Unterscheidung von Prosomoios verwendet, der besagt, daß einem Gesang eine schon vorhandene Melodie eines anderen Stückes unterlegt ist. IDIOPHONE, nach der Klassifikation von E. M. von Hornbostel und C. Sachs diejenigen Instrumente, deren Material (z. B. Holz, Metall, Glas oder Stein) elastisch genug ist, um selbst durch Anschlagen (Xylophon), Anzupfen (Maultrommel), Reiben (Glasharmonika) oder Blasen in Schwingung versetzt zu werden, im Unterschied zu den Instrumenten, deren primär schwingende Substanz erst künstlich hinzugefügt werden muß (z. B. Saite bei den Chordophonen oder Fell bei den Membranophonen). Hornbostel und Sachs ersetzten die anfangs von V.-Ch. Mahillon vorgeschlagene Bezeichnung „Autophone" durch den Begriff I., der heute allgemein in Gebrauch ist. IDIOT, DER, Ballett in 6 Bildern mit Prolog und Epilog von Hans Werner Henze (*1926), Libretto: Tatjana Gsovsky (* 1901), Texte: Ingeborg Bachmann (1926-76). UA: 1.9. 1952 in Berlin (Hebbel-Theater). Choreographie: T. Gsovsky. Fjodor M. Dostojewskijs (1821-81) Roman Der Idiot (1868) inspirierte T. Gsovsky und H. W. Henze, diese Ballettpantomime zu schaffen. Die Sprechrolle des Sonderlings Myschkin, der Hauptfigur des Werks, ist gegenüber dem szenisch vermittelten Geschehen abgesetzt, dem Henze in der Partitur scharf akzentuierte Rhythmen und stark chromatisch gefärbte Klangfolgen zuordnet. — Trotz der künstlerisch überzeugenden Darbietun-

Igelhofí gen von Klaus Kinski (Fürst Myschkin), Wiet Palar (Nastassia), Natascha Trofimova (Aglaja), Harald Horn (Rogoschin) und Wolfgang Leistner (Ganja) blieb das Werk ohne weitere Resonanz. In der 1959 entstandenen, ebenfalls kaum beachteten Neufassung, zu der wiederum I. Bachmann die Texte schrieb, wird die Partie des Myschkin auf die Rollen eines Tänzers und eines Sprechers aufgeteilt. G. LUDIN

I DO! I DO!, Musical von Harvey Schmidt; dt. Titel: Das /Musikalische Himmelbett. IDOMENEO, RE DI CRETA, ossia: Ilia ed Idamante, Dramma per musica in 3 Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), KV 366, Text von Giambattista Varesco nach der Tragédie lyrique Idoménée von Antoine Danchet mit Musik von A. Campra (UA: Paris 1712). Ort u. Zeit der Handlung: Kreta, nach dem Trojanischen Krieg. UA: 29.1.1781 in München; EA in dt. Sprache: 1.1.1802 in Kassel. Dieses Werk (als Auftragsarbeit für den Mannheimer Kurfürsten Karl Theodor entstanden; der mythologische Stoff mit dem Menschenopfer im Zentrum der Handlung war vorgeschrieben) bewahrt einerseits die traditionellen Aufbauschemata der Opera seria mit dem Wechsel von Rezitativ und Arie (diese häufig noch in der Da capo-Form). Andererseits fand Mozart, offenbar unter dem Einfluß von Glucks Pariser Reformopern, zu einem neuen musikdramatischen Stil, bei dem die bruchlose musikalische Verknüpfung von Accompagnato, Secco und Arie zur großformalen Szenenbildung führt. Vor allem der 1. Akt ist nahezu ausschließlich von diesem Kompositionsstil geprägt. Auffällig sind auch die ungewöhnlichen formalen Dimensionen des Werkes, die Massenszenen und Chöre. Dem Ballett (im Januar 1781 komponiert und als KV 367 eigens geführt) kommt besondere Bedeutung zu, vor allem in der großen Orchestersuite, die den Abschluß des Werkes bildet. — Als Lohn für die Komposition erhoffte sich Mozart vergeblich eine Anstellung am Münchner Hof. Zu seinen Lebzeiten wurde die Oper nur noch einmal (im März 1786 als Privataufführung im Wiener Palais des Prinzen Auersperg) gegeben. Die Kastratenrolle des Idamante arbeitete Mozart für Tenor um und nahm weitere tiefgreifende Änderungen vor. Zusammen mit zahlreichen Passagen, die schon für die Münchner UA gestrichen werden mußten, existiert ein umfangreiches Werkmaterial, das in der Folgezeit vielfach, jedoch nicht immer zum Besten des Werkes bearbeitet wurde. J. SCHLÄDER

IDYLLE, Idyll (von griech. eidyllion = Bildchen),

als literarische Gattung eine bestimmte Art von Schäfer- bzw. Hirtendichtung, die in der Antike bei Theokrit und Vergil ihre klassische Ausprägung erfahren hat. Sie erlebte dann in der 2. Hälfte des 18. Jh. eine neue Blüte (Salomon Geßner, Johann Heinrich Voß u. a.). In vielfältiger Weise fand die I. auch Eingang in die Musik, wohl zuerst in Huldigungswerken kantatenähnlicher Art von G.-B. Lully (Idylle sur la paix, P 1685) und M.-A. Charpentier (Idylle sur le retour de la santé du roi, 1694). In Anlehnung an eine literarische I. schrieb später M. Ravel das Orchesterstück Daphnis et Chloë (nach Longus). Seit dem 19. Jh. erscheint die Bezeichnung I., losgelöst von der literarischen Gattung und von der Vorstellung des Hirtenmilieus, als Titel von Stücken, die allgemein den Eindruck von Ruhe, Zurückgezogenheit, Beschaulichkeit u. ä. vermitteln sollen, so etwa im Bereich des /Charakterstücks für Klavier (z. B. bei N. W. Gade, Fr. Smetana, A. Jensen, E. Chabrier), häufig auch auf niedrigerem künstlerischem Niveau in der französischen Salonmusik des Fin de siècle. Eine eigentümliche Bedeutung erhielt die I. — ebenfalls in jenem allgemeinen Sinn — bei R. Wagner (Siegfried -Idyll für Orch., entstanden als musikalischer Reflex des Aufenthalts in Tribschen / Schweiz, des „Tribschener Idylls"). Aus späterer Zeit sind noch zu nennen: L. Janáček, Idylla für Streichorch. (1878); Fr. Delius, Idyll für Sopr., Bar. u. Orch. nach W. Whitman (1900); A. v. Webern, Im Sommerwind, I. für Orch. (1904); E. Wolf -Ferrari, Idillio-concertino für Ob. u. Orch. (1932). Ohne eigens als I. bezeichnet zu sein, gibt es im 18./19. Jh. Werke, die in jeweils charakteristischer Weise den Sinn und die Idee der I. musikalisch ausdrücken. Die bekanntesten Beispiele sind die Szene des Orpheus im Gefilde der Seligen aus Chr. W. Glucks Orfeo, das Duett Holde Gattin aus J. Haydns Schöpfung und die Szene am Bach in der Sinfonia pastorale von L. van Beethoven. Lit.: R. BOSCHENSTEIN-SCHÄFER, I. (St 1967, 2 1977); G. MASSENKEIL, Die I. in der Musik, in: Jahres- u. Tagungs-

bericht der Görres-Gesellschaft 1979 (Kö 1980).

IGELHOFF, Peter, * 22.7. 1904 Wien, * 8.4. 1978 Bad Reichenhall; dt.-östr. Komponist. I. war zuerst Ministerialbeamter, studierte dann Musik in Wien und London und kam 1936 nach Berlin, wo er bald als Chansonsänger bekannt wurde. Er trat zunehmend auch als Komponist hervor und gehörte seit 1937 zu den erfolgreichsten Filmkomponisten. Nach dem Krieg wurde er Vorstandsmitglied des Deutschen Komponistenrates. 1969 erhielt er den Professorentitel. I. wurde auch durch zahlreiche 153

Ignetieff Auftritte in Funk und Fernsehen als Interpret eigener Lieder bekannt, u. a. mit Der Onkel Doktor hat gesagt und Mein Herz hat heut Premiere. WW: Musikal. Lustspiele und Musicals: Liebe auf den ersten Blick, UA: Bremen 1937; Ein Mann mit Herz, UA: Dresden 1938; Ein toller Fall, UA: Frankfurt 1940; Mademoiselle Mama, UA: Wien 1946; Eine Nacht mit Rosita, UA: München 1949; Moral um Mitternacht, UA: Basel 1969; Geld regiert die Welt, UA: Koblenz 1978; Musik zu etwa 50 Filmen, u. a. zu: Wir machen Musik (1942); Hurra, ein lunge (1953); Eine Frau genügt nicht (1955); Majestät auf Abwegen (1958); Musik zu über 100 Fernsehshows und Fernsehserien, u. a.: Vati macht alles (1960); Alle Hunde lieben Theobald (1969); Mein Bruder, der Herr Berger (1971); ferner über 1000 Chansons, Lieder und Schlager.

IGNÁTIEFF, Michail, * 23.1. (5.2.) 1910 St. Petersburg; dt. Balalaikavirtuose russ. Herkunft. Er lebt seit 1918 in Deutschland, ist Autodidakt, studierte Musiktheorie bei Richard Kursch am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin und war 1924-30 Konzertmeister in einem Balalaikaorchester. Seitdem ist er freischaffend als Solist tätig. Er komponierte Kammermusik für Balalaika und Klavier, Variationen über russische und slawische Volkslieder und Tänze und verfaßte eine Schule des künstlerischen Balalaika-Spiels (F 1951). Lit.: M. GOLDSTEIN, M. I. u. die Balalaika (H 1971).

IKONOGRAPHIE (von griech. eikön = Bild und graphein = schreiben), die Erforschung und Deutung von Bildinhalten. Gegenstand der musikalischen I. sind bildliche Quellen, auf denen Musikdarstellungen zu sehen sind: singende oder spielende Personen, Instrumente, Noten. Sie erscheinen in der bildenden Kunst als primärer Bildinhalt (z. B. Orpheus, König David, Personifizierungen der Musica, die heilige Caecilia, Musikerporträts, musizierende Gruppen), als attributive Ergänzung (Marien- und Heiligenbilder, liturgische Handlungen, weltliche Feste, Krönungen usw.), als akzidentielle (erzählende oder schmückende) Beigabe zu einer Szene und als Dekoration. (Ein besonderer Bereich sind die illuminierten Musikhandschriften und illustrierten Drucke.) Diese Darstellungen können unsere Kenntnis von der Musikgeschichte anschaulich bereichern, indem sie Aufschluß über die Biographie einzelner Musiker, Belege zur Sozialgeschichte der Musik, zur Instrumentenkunde und Aufführungspraxis sowie Hinweise auf die Musikanschauung früherer Epochen liefern. Grundsätzlich ist zu trennen zwischen illustrierenden Dokumenten, die für sich selbst sprechen (z. B. Komponistenporträts, Abbildungen von Instrumenten), und Bildwerken, die erst durch ikonologische Interpretation, d. h. erst nach der Analyse der jeweiligen Bildtradition, dem Vergleich mit 154

analogen Darstellungen und dem Heranziehen literarischer Quellen, ihren Sinn erschließen. Die ikonologische Methode der Kunstwissenschaft (Hauptvertreter: Erwin Panofsky) behandelt ein Bildwerk als vielgliedriges Gefüge, in dem verschiedene geistesgeschichtliche Entwicklungen und Bedingungen — unabhängig von der persönlichen Art des Künstlers — Gestalt angenommen haben, und bemüht sich, die einzelnen Stränge freizulegen, ihre Wurzeln zu erkennen sowie Querverbindungen und Verästelungen zu verfolgen. Dabei erweist sich auch in den individuellsten Schöpfungen großer Künstler vieles als rückführbar auf Traditionen, vorgegebene Schemata und Topoi. Umgekehrt erlaubt die Analyse der Einzelelemente erst die angemessene Würdigung des Ganzen. Nachdem die ältere Forschungsich meist mit den illustrierenden Dokumenten beschäftigt hatte (z. B. G. Kinsky, Geschichte der Musik in Bildern; Quellensammlungen zu Leben, Werk und Umwelt einzelner Meister), wurde die musikalische I. durch W. Gurlitt, H. Besseler, E. Winternitz, R. Hammerstein u. a. um allgemein kulturgeschichtliche Fragestellungen erweitert. Seit den 60er Jahren hat sie — angeregt bes. durch bedeutende kunsthistorische Arbeiten (Panofsky, G. Bandmann, H. Steger, E. Schröter u. a.) — einen ungeahnten Aufschwung genommen. Die von Besseler und M. Schneider begründete Musikgeschichte in Bildern sammelt und erläutert wesentliche Bildzeugnisse zu bestimmten musikhistorischen Themen. Das 1971 gegründete Répertoire international d'iconographie musicale (RIdIM) widmet sich der Katalogisierung sämtlicher erreichbarer Quellen und ihrer Auswertung. Eine Fülle monographischer Abhandlungen mit teils musikwissenschaftlichem (vielfach organologischem), teils kunsthistorischem Hauptakzent entstand in Nachfolge dieser Unternehmungen. Bleibt das Materialsammeln auch weiterhin eine wesentliche Aufgabe der musikalischen I., so liegt ihre besondere Chance im wachsenden Interesse für interdisziplinäre Fragen. Bildliche Musikdarstellungen — seien es nun eine oder mehrere Personen, die singend oder spielend erscheinen, religiöse Szenen oder auch nur abgebildete Musikinstrumente — sind ja in den wenigsten Fällen lediglich getreue Wiedergaben der Realität; sie haben meist auch einen Sinn, der über sie selbst hinausweist. Zu seiner Entschlüsselung müssen die symbolische und allegorische Bedeutung der Instrumente, die vielfältigen Relationen zwischen Musik auf der einen, Philosophie und Theologie, Mythologie, Literatur und Emblematik auf der anderen Seite herangezogen werden. Beispielsweise können Bilder mit einer musizierenden Gruppe

Iktus durchaus Kenntnisse über die musikalische Aufführungspraxis vermitteln; oft dienten sie aber weniger der exakten Alltagsschilderung als einer allegorischen Aussage (häufig Harmonie, Liebe, politische Eintracht; aber auch Laster, Vergänglichkeit usw.). Der Realitätsgrad ist in jedem Fall neu zu prüfen. Ähnliches gilt auch für die Musikinstrumente, die seit der Antike vielfach Außermusikalisches symbolisieren. Als unerläßliche Hilfen bei der Interpretation erweisen sich die ikonologischen, emblematischen und symbolkundlichen Handbücher des 16. und 17. Jh., die den Wissensstoff aus Antike, Mittelalter und Renaissance enzyklopädisch zusammenfassen (vgl. Henkel—Schöne, s. u. Lit.). War die musikalische I. ursprünglich nur auf die Bebilderung der Musikgeschichte beschränkt, so hat sie sich daneben immer stärker zu einem Spezialfach zwischen Musik-, Kunst-, Literatur- und allgemeiner Kulturgeschichte entwickelt. Wie sie von den Anregungen der großen Fächer profitiert, kann sie ihrerseits als Hilfswissenschaft auf diese zurückwirken. 1) Nachschlagewerke, Methodisches, allgemeine Darstellungen: G. KINSKY, Gesch. der Musik in Bildern (L 1929); Artikel zu einzelnen Bildthemen in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte (St 1937ff.); K. M. KOMMA, Musikgesch. in Bildern (St 1961); Musikgesch. in Bildern, hrsg. v. H. BESSELER—M. SCHNEIDER, fortgesetzt von W. BACHMANN (L 1961 ff.); E. PANOFSKY, Studies in Iconology (NY 1962); A. HENKEL— A. SCHONE, Emblemata (St 1967) (Zusammenstellung nach den Schriften des 16. u. 17. Jh.); V. RAVIZZA, Zu einem int. Repertorium der Musikikonographie, in: AMI 44 (1972); E. WINTERNITZ, The Iconology of Music. Potentials and Pitfalls, in: Perspectives in Musicology, hrsg. v. B. S. Brook u. a. (NY 1972); E. LOCKSPEISER, Music and Painting. A Study in Comparative Ideas from Turner to Schoenberg (Lo 1973); E. PANOFSKY, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst (Kö 1975); RIdIM Newsletters (NY 1975 ff.) (mit Bibliogr.); H. GIESEL, Stud. zur Symbolik der Musikinstr. im Schrifttum der alten u. ma. Kirche (Rb 1978) (= Kölner Beitr. zur Musikwiss. 94); I. u. Ikonologie. Theorien, Entwicklung, Probleme, hrsg. v. E. KAEMMERLING (Kö 1979). — 2) Studien: H. LEICHTENTRITT, Was lehren uns die Bildwerke des 14.-17. Jh. über die Instrumentalmusik ihrer Zeit?, in: SIMG 7 (1905/06); B. A. WALLNER, Musikal. Denkmäler der Steinätzkunst des 16. u. 17. Jh. (Mn 1912); M. SEIFFERT, Bildzeugnisse des 16. Jh. für die instr. Begleitung des Gesanges u. den Ursprung des Musikkupferstiches, in: AfMw 1 (1918/19); L. SCHRADE, Die Darstellungen der Töne an den Kapitellen der Abteikirche zu Cluny, in: DVfLG 7 (1929); Musik u. Bild. FS M. Seiffert, hrsg. v. H. BESSELER (Kas 1938); W. GURLITT, Die Musik in Raffaels Heiliger Cäcilia, in: Jb. Peters (1938), Neudr. in: Musikgesch. und Gegenwart 1 (1966) (= Beihefte zum AfMw 1); W. BACHMANN, Bilddarstellungen der Musik im Rahmen der artes liberales, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1956 (Kas 1957); G. BANDMANN, Melancholie u. Musik. Ikonographische Stud. (Kö — Opladen 1960); P. EGAN, „Concert" Scenes in Musical Paintings of the Italian Renaissance, in: JAMS 14 (1961); H. STEGER, David Rex et Propheta (Nü 1961); R. HAMMERSTEIN, Die Musik der Engel (Be — Mn 1962); A. P. DE MIRIMONDE, Remarques sur l'Iconographie musicale, in: RMie 51 (1965); F. LESURE, Musik u. Ges. im Bild (Kas 1966); E. WINTERNITZ, Musical Instruments and Their Symbolism in Western Art (Lo 1967); H. J.

ZINGEL, König Davids Harfe (Kö 1968); S. FRAENKEL, Decorative Music Title Pages (NY 1968); V. RAVIZZA, Das instr. Ensemble von 1400-1550 in Italien. Wandel eines Klangbildes (Be — St 1970) (= Publ. der Schweizer Musikforsch. Ges. II/21); K. MEYER-BAER, Music of the Spheres and the Dance of Death. Studies in Musical Iconology (Princeton / N. J. 1970); H. M. BROWN — J. LASCELLE, Musical Iconography. A Manual for Cataloguing Musical Subjects in Western Art Before 1800 (C/M 1972); V. SCHERLIESS, Musikal. Noten auf Kunstwerken der it. Renaissance bis zum Anfang des 17. Jh. (H 1972) (= Hamburger Beitr. zur Musikwissenschaft 8); T. SEEBASS, Musikdarstellung und Psalterillustration im frühen MA, 2 Bde. (Be 1973); V. SCHERLIESS, Notizen zur musikal. I. 1: Gestimmte Instr. als Harmonie -Allegorie, in: Anal. Mus. 14 (1974); R. HAMMERSTEIN, Diabolus in musica. Stud. zur I. der Musik des MA (Be— Mn 1974); A. P. DE MIRIMONDE, Sainte -Cécile, Métamorphoses d'un thème musical (G 1974) (= Iconographie musicale 3); P. FISCHER, Music in Paintings of the Low Countries in the 16th and 17th Centuries (A 1975); E. SCHROTER, Die I. des Themas Parnass vor Raffael (Hil — NY 1977) (= Stud. z. Kunstgesch. 6); R. D. LEPPERT, The Theme of Music in Flemish Paintings of the Seventeenth Century 2 Bde. (Mn — Salzburg 1977) (= Musik u. Musiker im Bild. Ikonographische Stud. 1); V. SCHERLIESS, Musica politica, in: FS G. von Dadelsen (Neuhausen — St 1978). V. SCHERLIESS

IKTUS (lat., = Hieb, Schlag). — 1) Bz. für den Schlag, durch den in der Antike das Grundmaß der rhythmischen Bewegung (genus rhythmicum) markiert worden ist. Im allgemeinen dürfte er wie der neuzeitliche Tactus im Auf und Ab der Füße oder der Finger (so Fabius Quintilianus) ausgeführt worden sein. Die Frage, ob sich dieser „Taktschlag" in einer Betonungsordnung versinnlicht hat und somit Indiz einer quantitierenden Rhythmik ist, läßt sich nicht schlüssig beantworten, auch weil sich die antike Theorie darin nicht einig ist. Jedenfalls war der antike I. im Gegensatz zum modernen Akzent keine zentrale Kategorie der Rhythmik. — In einigen modernen Rhythmustheorien wird das Wort wieder verwendet. M. Lussy bezeichnet damit die Brennpunkte der Motive und Sätze, ihre logischen Akzente. W. SEIDEL 2) In der von Solesmes entwickelten Vortragslehre des Gregorianischen Gesangs ist I. Bz. der rhythmischen Senkung (Thesis). Ein I. fällt auf alle Noten mit Verlängerungszeichen (Episem, Punkt), auf den bestimmten Neumenformen (Quilisma, Pressus) vorhergehenden Ton und auf die erste Note einer Zweier- oder Dreiergruppe von Neumen. In den Choralausgaben mit rhythmischen Zeichen wird der I., falls er sich nicht aus den Regeln ergibt, durch einen kleinen vertikalen Strich unter der Note angedeutet. H. HUCKE Lit.: Zu 1): M. LUSSY, Le rythme musical (P 1883); B. SNELL, Griech. Metrik (Gö 1962); F. CRUSIUS, Römische Metrik (Mn '1963); G. WILLE, Musica Romana (A 1967). — Zo 2): A. MOCQUEREAU, Le nombre musical grégorien, 2 Bde. (Tou 1908-25).

155

Ileborgh ILEBORGH, Adam, lebte um die Mitte des 15. Jh. in Stendal (Altmark). Er bezeichnete sich selbst als Frater und „Rectoriatus" und gehörte wahrscheinlich dem Franziskanerorden an. Von ihm stammt eine der ältesten deutschen Orgeltabulaturen (datiert 1448), ohne daß es sich feststellen läßt, ob er ihr Sammler, Kopist oder Autor ist. Die Handschrift, die sich heute im Curtis Institute of Musical Art in Philadelphia befindet, enthält 5 kurze Praeludien ohne Taktordnung, die den Gebrauch des Pedals voraussetzen, und 3 Mensurae über einen weltlichen C.f. (Frowe al myn hoffen an dir leyed). Ausg.: Die Tabulatur, in: Keyboard Music of the 14th and 15th Century, hrsg. v. W. APEL (Dallas/Tex. 1963) (= Corpus of Early Keyboard Music 1). lit.: J. WOLF. Hdb. der Notationskunde 2 (L 1919, Nachdr. . in: ZfMw 16 (1934) 1963); W. APEL, Die Tabulatur des Al., (mit den 5 Praeludien); DERS., Early German Keyboard Music, in: MQ 23 (1937); G. KNOCHE, A. von I., in: Franziskanische Stud. 28 (1941) (mit Faks. der gesamten Hs.); G. MOST, Die Orgeltabulatur v. 1448 des A. I., in: Altmärkisches Museum Stendal, Jahresgabe 8 (1954) (mit Faks. der gesamten Hs.), vgl. dazu: M. REIMANN. in: Mf 9 (1956).

ILLICA, Luigi, * 9.5.1857 Castell'Arquato (Piacenza), t 16. 12. 1919 Colombarone (Piacenza); it. Librettist. Er war zunächst Journalist, wurde 1879 Mitarbeiter des Corriere della Sera in Mailand und gründete 1881 in Bologna die Tageszeitung Don Chisciotte. 1882 kehrte er nach Mailand zurück, wo er mit dem Gedichtband Farfalle seine literarische Laufbahn begann. 1889 erschien mit Il vassallo di Szigeth (Zus. mit F. Pozza) für A. Smareglia sein erstes Operntextbuch. Seit 1892 widmete sich I. ausschließlich der Dichtung von Libretti; er wurde vor allem durch seine Textbücher zu Opern G. Puccinis und U. Giordanos bekannt. WW: Zahlr. Libretti, u.a. für: Alfredo Catalani, La Wally (nach L. Ganghofer), UA: Mailand 1892; A. Franchetti, Christoforo Colombo, UA: Genua 1892; Germania, UA: Mailand 1902; G. Puccini, Manon Lescaut (zus. mit M. Praga u. D. Oliva), UA: Turin 1893; La Bohéme (zus. mit G. Giacosa), UA: ebd. 1896; Tosca (zus. mit dems.), UA: Rom 1900; Madama Butterfly (zus. mit dems.), UA: Mailand 1904; U. Giordano, Andrea Chenier, UA: ebd. 1896; Siberia, UA: ebd. 1902; P. Mascagni, Iris, UA: Rom 1898; Le maschere, UA: ebd. 1901 (u. 6 andere Städte am selben Abend); Isabeau, UA: Buenos Aires 1911. Lit.: I. MORINI, L. I. (Piacenza 1961); DERS., I. e Mascagni nell'esperienze dell' „Iris", in: Musica d'oggi 6 (1963); G. RONCAGLIA, Un capolavoro, „Iris", in: ebd.

ILOSVAY, Maria von, * 8.5.1913 Budapest; ung. Sängerin (Alt). Sie studierte am Budapester Konservatorium und bei Laura Hilgermann in Wien, errang 1937 den 1. Preis beim internationalen Gesangswettbewerb in Wien und wurde von A. Erede für eine Europa- und Nordamerikatournee verpflichtet; 1940 wurde sie Mitglied der Hamburgischen Staatsoper. Seit den 50er Jahren trat sie 156

regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen auf sowie 1954-59 an der Covent Garden Opera in London und 1956/57 an der Metropolitan Opera in New York, häufig auch in Wien und München und bei den Festspielen in Salzburg und Edinburgh. M. von I., die als Wagner-Sängerin große Erfolge hatte, fand ebenso als Interpretin Neuer Musik Anerkennung. IMBAULT, Jean Jérôme, * 9.3. 1753 Paris, t 15.4. 1832 ebd.; frz. Violinist und Musikverleger. Er studierte Violine bei P. Gaviniès, mit dem er 1770 sein erstes Konzert gab. Danach spielte er beim Concert spirituel und wurde 1810 Mitglied der Chapelle Impériale. Um 1783 gründete er einen Verlag, in dem er zahlreiche Instrumentalwerke von J. Haydn, M. Clementi, W. A. Mozart, L. Duport, G. B. Viotti, L. Boccherini u. a. sowie Revolutionshymnen von Cl.-J. Rouget de Lisle herausgab. 1814 übernahm Janet & Cotelle den Verlag. Lit.: M. BRENET, Les concerts en France sous l'Ancien Régime (P 1900, Nachdr. NY 1970); L. DE LA LAURENCIE, L'école française de violon 2 (P 1923 Nachdr. G 1971); C. HOPKINSON, A Dictionary of Parisian Music Publishers 1700-50 (Lo 1954); P. GUIOMAR, in: FAM 13 (1966); R. BENTON, J.-J. I., violiniste et éditeur de musique à Paris, in: RMie 62 (1976).

IMITATION (von lat. imitatio = Nachahmung; it.: imitazione; span.: imitación), ein kompositionstechnisches Prinzip im mehrstimmigen Satz, bei dem eine melodische Gestalt unterschiedlicher Ausdehnung (Motiv, Thema, Phrase oder freier melodischer Ablauf) in verhältnismäßig kurzem Abstand von einer oder mehreren anderen Stimmen wiederholt wird. Dabei ist strenge und freie Imitationstechnik zu unterscheiden. Die Musiktheorie bezeichnet mit strenger I. (imitatio ligata) die durchgängige, nach einer genau umschriebenen Vorschrift durchgeführte Nachahmung, die auch als Kanon bezeichnet wird. (Dabei ist zu beachten, daß jede strenge I. kanonisch ist, aber nicht jeder Kanon auf I. beruht, so z. B. der Reservat- und der Linearkanon.) Freie I. (imitatio libera oder simplex) liegt dementsprechend dann vor, wenn nur der (charakteristische) Beginn einer vorausgehenden Stimme von einer nachfolgenden aufgenommen, der weitere Verlauf aber auf abweichende Weise fortgeführt wird (Anfangsimitation). Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter freier I. aber auch eine Nachahmung, die sich (wie im Notenbeispiel 1) bei Wahrung der Kontur gewisse melodische (*) oder rhythmische (+) Abweichungen erlaubt, während die strenge I. die Gestalt der führenden Stimme in bezug auf Intervalle und Tondauern beibehält. Bestimmte tonartbedingte Modifikationen, die sich

Imitation

~•

Freie Imitation (H. Purcell, aus: Fantasia a4 in d)

aus der Versetzung einer Folgestimme auf eine andere Tonstufe (unter Beibehaltung des leitereigenen Tonvorrats) ergeben, werden jedoch zur strengen I. im erwähnten Sinne gerechnet. Die Musiktheorie des 16. Jh. bezeichnete ausschließlich diese Art der Nachahmung (bei der es gelegentlich — wie im Notenbeispiel 2 — zum Austausch von groBen und kleinen Intervallen [s] kommt) als I. und verwandte für das intervallidentische Wiederaufgreifen der Führungsstimme den Begriff OEFuga. -



i r

-• •

Strenge Imitation in derUntersekunde (Josquin des Prés)

Besondere Arten der I. sind die Umkehrung der Bewegungsrichtung (per motum contrarium) und die Verkürzung oder Vergrößerung der Notenwerte (per diminutionem oder per augmentationem). In Notenbeispiel 3 sind alle drei Formen (über einem „Fundament" in doppelter Vergrößerung) miteinander kombiniert:



Ít

i~iČr~e

systematische Weise sämtliche Stimmen eines Satzes einbeziehen. In diesem Falle spricht man von Durchimitation. Die I. hat im Verlaufe der historischen Entwicklung die Bedeutung eines Grundprinzips der polyphonen Setzweise gewonnen. Dadurch, daß bei der Durchimitation sämtliche Stimmen wechselweise an einem bestimmten melodischen Material teilhaben, wird die Gleichberechtigung aller Teile des Satzgefüges besonders sinnfällig. Die Differenzierung der melodischen Linien in Abschnitte, die durch Wiederkehr hervorgehoben werden, und andere, die nur einmal erklingen, führt zur Gegenüberstellung von Haupt- und Nebenstimmen, von Thema und Kontrapunkt und wird damit zu einem Grundprinzip thematischen Komponierens. Das Verfahren des sukzessiven Durchimitierens lockert die Satzstruktur auf, da die Stimmen vor ihren imitierenden Einsätzen häufig pausieren, und gibt andererseits dem formalen Ablauf den Charakter einer Entfaltung oder Steigerung. Nicht jedes Aufgreifen einer melodischen Gestalt durch eine Folgestimme ist I. in des Wortes eigentlicher Bedeutung. Die Aufteilung von paarigen Abläufen oder von

sr7==ss=i š~~~~šš~vi

~

~ťig--g

~~-

---

Per diminutionem, motu contrario ,

f

____ --- ~~_ -

...... a

Sogetto -Thema

-__ `

_I--_ Fundament

-

~f--

----4---Per augmentationem, motu contrario

J. S. Bach, aus: Verschiedene Canones, BWV 1087, Nr.14

Das Zitieren einer vorausgehenden Stimme in rückläufiger (krebsgängiger) Form wird zwar formal auch dem Bereich der I. zugeordnet (imitatio cancricans), doch ist hier der Vorgang des Nachahmens nicht unmittelbar wahrzunehmen. Innerhalb eines Satzgefüges kann das Verfahren der I. vereinzelt angewandt werden (episodisch oder zwischen nur zwei von mehreren Stimmen) oder auf

Sequenzen auf verschiedene Stimmen wie auch die Stimmtauschtechnik bei aneinandergereihten Satzblöcken können nicht als echte Nachahmung gelten. In der abendländischen Musikgeschichte hat die I. im Sinne eines natürlichen nachahmenden Musizierens ihren Ursprung im kanonischen Prinzip (Sommerkanon Sumer is icumen in, England 13. Jh.), 157

Imperfektion wogegen der Ausgangspunkt für die intellektuellkonstruktive Komponente der Imitationstechnik wohl eher in den Conductus- und Organumformen des 12. und 13. Jh. zu sehen ist. Seit dem 15. Jh. gewann die imitierende Stimmführung zunehmend an Bedeutung, besonders seit Josquin des Prés wurde die in den motettischen Formen (/Motette) angewandte Durchimitation zum dominierenden Kompositionsprinzip. Die hier entwickelte Satzkunst wurde seit Ende des 16. Jh. auch auf die imitierenden Formen der Instrumentalmusik (/Ricercar, /Fuge) übertragen. Im 18. und 19. Jh. wurden in den homophonen und periodisierten Formtypen eigene Arten der Nachahmung entwickelt oder an bestimmten Stellen der Form (Durchführung, Finalebeginn, Scherzo) Episoden im imitierenden Kontrapunkt (/Fugato, /Kanon) eingefügt. Die Musik des beginnenden 20. Jh. räumte der polyphonen Satztechnik und damit der I. noch einmal große Bedeutung ein. In den auf Wiederholung grundsätzlich verzichtenden athematischen Kompositionen der jüngsten Musik ist dagegen I. im Sinne der Gestaltnachahmung nicht mehr möglich. Lit.: G. ADLER, Die Wiederholung u. Nachahmung in der Mehrstimmigkeit, in: VfMw 2 (1886); H. RIEMANN, Lehrbuch des einfachen, doppelten u. imitierenden Kontrapunkts (L 1888, 4-6 1921); W. APEL, I. in the 13th and 14th Centuries, in: Essays an Music. FS A. Th. Davison (C/M 1957); C. DAHLHAUS, Ch. Bernhard u. die Theorie der modalen I., in: AfMw 21 (1964); D. HARBINSON, I. in the Early Motet, in: ML 45 (1964); J. KERMAN, Byrd, Talfis, and the Art of I., in: Aspects of Medieval and Renaissance Music. FS G. Reese (NY 1966); A. C. HOWELL, Paired I. in the 16th Century Spanish Keyboard Music, in: MQ 53 (1967); C. DAHLHAUS, Unters. über die Entstehung der harmonischen Tonalität (Kas 1968) (= Saarbrücker Stud. z. Musikwiss. 2); B. MEIER, Die Tonarten der klass. Vokalpolyphonie (Utrecht 1974); G. MORCHE, Muster u. Nachahmung. Eine Unters. der klass. frz. Orgelmusik (Diss. Hei 1975); V. E. NEWES, I. in the Ars nova and Ars subtilior, in: RBMie 31 (1977). E. PLATEN

IMPERFEKTION, Imperfectio (von lat. imperfectus, = unvollendet), in der Mensuralnotation (/Notenschrift) die Verkürzung einer 3zeitigen (perfekten) Longa um 1/3 ihres Wertes. Sie erfolgt dann, wenn auf eine Longa entweder eine einzelne Brevis (oder Brevis-Pause) oder mehr als drei Breves folgen. Entsprechendes gilt für die I. der Brevis durch die Semibrevis. Im folgenden Beispiel (in schwarzer Notation des 13. Jh. gemäß der Lehre Francos von Köln) sind die erste und die letzte Longa perfekt, die zweite und die dritte Longa werden durch die jeweils folgende Brevis „imperfiziert":

11•1••••1=i J.IJ J IJ JIJ J J I J.I

Es gibt außer dieser I. „a parte post" auch eine I. „a parte ante", wenn eine Longa durch eine vorangehende Brevis imperfiziert wird. I. findet nicht 158

statt, wenn zwischen Longa und Brevis ein Punkt steht (punctus divisionis). Beispiel dafür und für eine I. a parte ante: 1 =iJ.IJJ

..1

I. findet in entsprechender Weise auch in der späteren weißen Mensuralnotation statt, natürlich nur im Tempus perfectum. Äußeres Zeichen einer irregulären I. (d. h. nicht „a parte post" oder „a parte ante") ist hier die Kolorierung (/Color). — /Hemiole.

IMPRESSIONISMUS, Bz. für einen Malstil, der in den 60er Jahren des 19. Jh. in Frankreich von Malern wie Édouard Manet, Claude Monet und Auguste Renoir entwickelt wurde. Die neue Malweise distanzierte sich von der akademischen Ateliermalerei und erstrebte eine Freiluftkunst (Pleinair), die die Brechungen des Lichts, die Schattierung der Farben und die Auflösung der Konturen atmosphärisch einfängt. Die Technik, die Farben nicht auf der Palette zu mischen, sondern auf der Leinwand rein so eng nebeneinanderzusetzen, daß sie sich erst dem distanzierten Blick des Betrachters mischen, wurde durch die Farbtheorie Michel-Eugène Chevreuls und die elementaristische Wahrnehmungspsychologie theoretisch gestützt. — Die Bezeichnung I. ist erstmals in einem Artikel von Louis Leroy in Le Charivari vom 23.4. 1874 belegt; sie wurde in Anlehnung an Monets Gemälde Impression — soleil levant ursprünglich mit abschätziger Bedeutung geprägt. In diesem negativen Sinne erscheint das Wort zunächst auch in musikalischem Zusammenhang, und zwar in einer Kritik der Académie des BeauxArts von 1887 an Cl. Debussys Jugendwerk Salut printemps für Frauenchor und Orch. (1882), in dem der Komponist zu Lasten deutlicher Zeichnung und Formgebung sich einem verschwommenen I. hingegeben habe. Der ursprünglich pejorative Sinn des Wortes I. hat Debussy wahrscheinlich bewogen, sich gegen die Klassifizierung als Impressionist zu verwahren, obwohl er in seinen Schriften „impressions" häufig als auslösendes Moment seines Komponierens nennt. Seit der Jahrhundertwende wurde die Bezeichnung musikalischer I. für die Musik Debussys sowie mancher Werke M. Ravels, O. Respighis, M. de Fallas u. a. gebräuchlich, zunächst in Frankreich, dann auch in Deutschland (z. B. bezeichnet A. Schönberg in seiner Harmonielehre von 1911 Debussys Verwendung der Ganztonakkorde als impressionistisch). Der Bedeutungshorizont von I. in der Musik festigt sich jedoch erst in der Gegenüberstellung zum /Expressionismus. Als Stilmerkmale des musikalischen I. gelten statische, afunktionale Harmonik, in ornamentalen Motiven

Improvisation kreisende Thematik und eine in raffinierten Klangfarbenmischungen schwelgende Instrumentation, an die sich vor allem die Analogiebildung zur Malerei heftet. In älterer Literatur diente die Gegenüberstellung von Expressionismus als „deutscher" Stilhaltung, in der sich die Ungebrochenheit der Ausdruckskraft manifestiere, und I., dessen passive Hingabe an bloße Sinnenreize Ausdruck „französischen Wesens" sei, nicht selten chauvinistischer Polemik. Nach dem 2. Weltkrieg haben Komponisten wie P. Boulez und K. Stockhausen an Debussys Musik neue Formprinzipien entdeckt, die ihre Unterordnung unter den Begriff eines musikalischen I. vollends problematisch erscheinen läßt. Lit.: Lexikon des I., hrsg. v. M. SERULLAZ (Kö 1975); J. REWALD, Die Gesch. des I. (Kö 1975, '1979). — W. DANCKERT, Das Wesen des musikal. I., in: DVfLG 7 (1929); J. F. KOLscH, Der I. bei Debussy (Diss. Kö 1937); H.-G. SCHULZ,

Musikal. I. u. impressionistischer Klv.-Stil. Ein Beitr. zur musikal. Stilforsch. (Duisburg 1940); B. A. ZIMMERMANN, Jenseits des I., in: Musica 3 (1949); W. DANCKERT, C. Debussy (B 1950)

(mit Ven. der älteren Lit.); H. ALBRECHT, I., in: MGG VI; W. DÖMLING, Debussy u. der 1. Zu einem abgestandenen Thema, in: NZfM 132 (1971); W.-A. SCHULTZ, Die freien Formen in der Musik des Expressionismus u. I. (H 1974) (= Hamburger Beitr. z. Musikwiss. 14); J. P. FAYE, Musique de l'openair zw. drei Sprachen, in: Musik-Konzepte 1/2 (Mn 1977). H. WEBER

IMPROMPTU (frz., von lat. in promptu = in Bereitschaft), in der frz. Literatur des 17. Jh. ein

Stegreifgedicht, auch Titel von kleineren Theaterstücken, erscheint im 18. Jh. vereinzelt in musikalischem Zusammenhang (bei J. Mattheson, 1739, zur Bezeichnung eines improvisierten Kanons). Im 19. Jh. ist I. der Titel von Charakterstücken verschiedenster musikalischer Gestaltung, meist für Klavier. Er begegnet zuerst bei J. V. Voříšek (I.s op. 7, 1822) und H. Marschner (op. 22 u. 23). Am bekanntesten wurden Fr. Schuberts I.s op. 90 und op. 142, die seither den Inbegriff des I. darstellen. Sie enthalten in ihrer Anlage Elemente u. a. der Sonatensatzform, der Variation oder des Lieds ohne Worte. Das I. op. 5 von R. Schumann stellt eine Folge freier, fantasierter bzw. fugierter Sätze über einen Passacagliabaß dar, der L. van Beethovens Eroica-Variationen nachgestaltet ist. Die mit den Etüden und Nocturnes verwandten, dreiteiligen, mehr spielerisch betonten 4 I.s von Fr. Chopin haben u. a. bei M. Reger (op. 32) und G. Fauré (6 I.s, op. 34) eine Nachfolge gefunden. I.s schrieben auch A. Jensen (4 I.s, op. 20), F. Hiller (50 kurze I.s, zum Präludieren, op. 123) und Fr. Liszt (I.s sur des thèmes de Rossini et Spontini, Valse-I.). Lit.: J. MATTHESON, Der vollkommene Capellmeister (H 1739, Faks. Kas 1954, 2 1969) (= DMl 1/5); W. KAHL, Das lyrische Klavierstück Schuberts u. seiner Vorgänger seit 1810, in: AfMw

3 (1921); DERS., Aus der Frühzeit des lyrischen Klavierstücks, in: ZIM 89 (1922); H.H. EGGEBRECHT, Stud. zur musikal. Terminologie (1955, 2 1968) (= Akad. der Wiss. u. der Lit. Mainz, Abh. der geistes- u. sozialwiss. Klasse, Nr. 10); L. MISCH, Ein unbekanntes „I." v. Beethoven, in: NZ!M 117 (1956).

IMPROPERIEN (lat., = Vorwürfe), die Klagen des Heilands über sein treuloses Volk, ein Gesang der römisch-katholischen Liturgie während der Kreuzverehrung am Karfreitag. Die I. sind aus 3 verschiedenen Teilen unterschiedlicher Herkunft zusammengestellt: 1. die sogenannten „groBen" Improperien (Popule meus, quid feci tibi, 3 Strophen und ein Refrain), die offenbar auf gallikanische Tradition zurückgehen und zuerst in einer fränkischen Handschrift des 9. Jh. überliefert sind; 2. das griechisch-lateinische Trishagion (Hagios ho Theos, Sanctus Deus), eine feierliche Anrufung des Namens Gottes, das mit den großen I. verknüpft ist, zuerst im Zusammenhang mit dem Konzil von Chalcedon (451) überliefert wurde und Bestandteil aller ostkirchlichen Liturgien sowie des mozarabischen und gallikanischen Ritus ist, wo es an der Stelle des Gloria der Messe stand; 3. die „kleinen" Improperien (Ego propter te flagellavi...), die auf eine psalmodieartige Weise gesungen werden, zuerst im 11. Jh. in Italien überliefert. Die Zusammenstellung der 3 Teile findet sich zuerst im Missale Romanum von 1474. Seit dem 16. Jh. sind die I. auch mehrstimmig vertont worden, u. a. von G. P. da Palestrina und T. L. da Victoria. Lit.: A. BAUMSTARK, Der Orient u. die Gesänge der Adoratio crucis, in: Jb. für Liturgiewiss. 2 (1922); H. SCHMIDT, Hebdomada Sancta II (R 1957). H. HUCKE

IMPROVISATION (von it. improvvisare = aus dem Stegreif spielen, reden usw.) bedeutet Gleichzeitigkeit von musikalischer Erfindung und klanglicher Realisierung. In der außereuropäischen, vornehmlich in der vorderasiatischen Musizierpraxis ist derlei Gleichzeitigkeit stets erhalten geblieben, während sie in der abendländischen Musik spätestens seit dem 17. Jh., auch infolge zunehmender schriftlicher bzw. drucktechnischer Fixierung der Musik, an Verbreitung und Bedeutung verlor. Die Kunst der I. umfaßt sowohl spontan erfundene und unmittelbar realisierte Musik wie spontane Umspielung, Auszierung oder Variierung vorgegebener melodischer oder rhythmischer Grundmuster. Beide Arten sind auch als autonome und unwiederholbare Interpretation und Rezeption in einem zu verstehen. Die indische Rága, javanische Patet, persische Dastgah, arabische und türkische Magám geben als schriftlich nicht fixierte Modelle oder Modi I.s-Rahmen ab. Strukturdetails in Melos und Rhythmus verleihen diesen überlieferten Gestalt159

Improvisation typen bestimmte Ausdruckscharaktere, deren „inneres Bild" vom Spieler oder Sänger entwickelt werden muß, um sich auf die Hörer zu übertragen. — In der Frühgeschichte des /Gregorianischen Gesangs spielte die I. bei der Vokalisierung des /Jubilus und der Auszierung des Sprechgesangs eine Rolle. Der Traktat Musica Enchiriadis (9. Jh.), die früheste Quelle der abendländischen Mehrstimmigkeit, beschreibt die I. schon nicht mehr als Neuerung, da /Organum und /Diaphonia in der Gesangspraxis bereits bekannt waren (Organa aus dem Winchester-Tropar, dem Calixtinus-Codex von Santiago de Compostela und den Handschriften von St-Martial, Limoges). Die Quellen weisen das damalige Entwicklungsstadium improvisierter Mehrstimmigkeit (Polyphonie) melodisch als /Discantus, rhythmisch als Organum auf. Der lineare Kontrapunkt des Mittelalters ist als improvisierter Kontrapunkt zu verstehen (super librum cantare, Contrappunto alla mente) und noch im Barock als improvisierter Contrapunctus ex mente, wogegen schriftlich fixierte Kompositionen als Res facta gelten. Die Praxis des improvisierten Kontrapunkts ist von den Theoretikern seit dem 13. Jh., von J. Tinctoris noch im späten 15. Jh. beschrieben worden (De inventione et usu musicae, um 1487). Im 15.-17. Jh. entwickelten sich verschiedene Techniken improvisierter Ausführung mehrstimmiger Musik, so in England Sight, Gymel und Faburden, auf deutschem Boden die Sortisatio. — Einige der ältesten überlieferten Dokumente schriftlich notierter Orgelmusik (Cod. Faenza, um 1400) weisen verschiedene aus der I. gewonnene Satztechniken auf. Sie ähneln den Techniken, die in den Fundamenta von K. Paumann (1552, 1470) und H. Buchner (1520) aufgeführt stehen (/Fundamentum). Im 16.-17. Jh. berichten H. Finck, A. P. Coclico, G. Zarlino, G. M. Artusi, S. Calvisius, L. Zacconi und A. Kircher von improvisierten mehrstimmigen Fantasien über liturgische Themen. M. Mersenne rühmt die Fähigkeit der Organisten, „alle Arten von Kanons und Fugen improvisierend ausführen" zu können (Harmonie universelle, 1636-37). Auch den Berufssängern der damaligen Zeit waren die I.s-Techniken vertraut. Das Reglement der päpstlichen Kapelle fordert 1545 unter Paul III. von Choristen die Fähigkeit zur I. über Cantus planus-Melodien. G. Baini (1828) bezeugt diese Tradition für Italien noch im frühen 19. Jahrhundert. — Entscheidend mitbeteiligt war die I. auch an der Verselbständigung der Instrumentalmusik seit dem 16. Jahrhundert. Zunächst in der vokal-instrumental praktizierten /Kontrafaktur sowie in der Diminuierungs- und Kolorierungspraxis der Tanzliedmusik, schließlich in der Entwick160

lung eigenständiger Instrumentalformen wie /Tiento, /Ricercar, /Toccata, /Fantasie u.a. In der Tanzmusik (/Suite) bildete der /Basso ostinato häufig ein Ausgangsmodell für Variationsfolgen, das rhythmisch-melodisch improvisiert wurde (/Passacaglia, /Folia, /Romanesca, /Passamezzo). Diese Basso ostinato-Variationen wie auch die /Doubles weiterer Tanzsätze (/Gavotte, /Menuett) entwickelten sich unmittelbar aus der I.s-Praxis. Im frühen 17. Jh. brachten die oft improvisatorisch ausgezierte /Monodie und der /Generalbaß, der wesenhaft auf I. beruht, neue Aspekte mit sich. Für den Wiederholungsteil der späteren italienischen /Da capo-Arie und die Doubles der französischen Ariette blieben die improvisierten Koloraturen als Ziergesang technischem Vermögen und der musikalischen Phantasie der Primadonnen und Kastraten überlassen. Kadenzen bildeten in Italien bei den Gesangssolisten seit langem das Hauptgebiet improvisierter Ausschmückungen (G. Bassani, Ricercare, passaggi e cadentie, 1585). Kontrapunktisch improvisierte Kadenzbildungen waren jedoch seit dem 17. Jh. kaum mehr kultiviert worden, außer von den an liturgische Themen und Anlässe gebundenen Organisten (eine Tradition, die sich bis ins 20. Jh. erhalten hat). Zu Beginn des 18. Jh. führten süditalienische Cembalisten das /Partimento-Spiel ein, eine Förderung der Improvisations- und Generalbaßpraxis anhand von Kompositionsskizzen (Fr. Durante, Partimenti, 1732). Bei den Gesangsstars war es inzwischen zur Gewohnheit geworden, vor Eintritt in das Da capo ihrer Soloarien auf dem Orgelpunkt der Dominante kunstvoll improvisierte Figurationen (Passaggi, Gruppo, Trillo) einzulegen. Die Instrumentalsolisten übernahmen in Solokonzerten diese Gelegenheit zur Selbstdarstellung mit Kadenz-I.en auf dem Quartsextakkord vor Eintritt in die Reprise („aufgehaltene” Kadenz). C. Ph. E. Bach begann damit, Kadenzen auch schriftlich festzulegen, um den überhandnehmenden Auswüchsen improvisierter Kadenzen zu begegnen. L. van Beethoven, in jüngeren Jahren selber als Pianist ein überragender Improvisator, wollte die 1809 zu seinen sämtlichen Konzerten schriftlich nachgelieferten, z. T. mehrfachen, also wahlweisen Kadenzen als für die Solisteninterpreten verbindlich angesehen wissen. C. Czerny hat den Improvisationsstil Beethovens beschrieben (Vollständige theoretisch-praktische Pianoforteschule, 1836). Beethovens Kunst der I. (bzw. des freien Phantasierens, wie es damals hieß) schlägt sich vielfach auch in seinen Werken für und mit Klavier nieder (z. B. in der Chorphantasie op. 80). Die Klavier-I. blieb in der Konzertpraxis des frühen

Im WeiBen RöBI 19. Jh. vereinzelt weiterbestehen, doch kam sie im Laufe des 19. Jh. zum Erliegen. Die Musik dieser Zeit tendierte in der wachsenden Werkfixierung zu einer Überladung mit Aufführungsdetails (Agogik, Dynamik), eine zu der früheren, nichtfixierten improvisierten Praxis gleichsam komplementären Zeiterscheinung. Kompositorisch hinterließ die historisch gewordene I.s-Praxis noch vereinzelte Spuren in Fr. Chopins Impromptus und Fr. Liszts Paraphrasen. Bei Organistenkomponisten blieb die I. allerdings bis ins späte 19. Jh. und darüber hinaus bis in die Gegenwart erhalten (A. Bruckner, C. Franck, M. Dupré, O. Messiaen). I. im ursprünglichen Sinne trat bereits vor der Jahrhundertwende im /Jazz wieder auf, als solistisch freie I. wie als I. im Rahmen des (Head- und Skeleton-)Arrangements; die traditionelle Basso ostinato -Variation fand ihre Fortsetzung als Chorusvariation über einem melodisch-harmonischen

Grundschema, die traditionelle Kadenz als solistischer Einwurf (/Break). Gefördert wurde die I. fernerhin durch Impulse der neueren Musikerziehung, insbesondere der Rhythmischen Erziehung (É. Jaques-Dalcroze) wie neuerlich auch der Musiktherapie. Sie erkennen in der I. Möglichkeiten, die sensoriellen, emotionellen und intellektuellen Elementarbereiche der Musik auf kreative Weise in Verbindung zu bringen. Als Gruppen -I. fand die I. seit den 50er Jahren dieses Jh. Eingang in die Kompositions- und Aufführungspraxis der musikalischen Avantgarde (/Aleatorik). Als unabdingbar hatte sich die I. für die Aufführungspraxis älterer Musik seit den neobarocken Tendenzen der 20er Jahre erwiesen. Insgesamt tragen Bedeutung und Verbreitung der I. in den letztgenannten Bereichen (Alte Musik und Orgelspiel wie Neue Musik, Jazz und Musikerziehung) womöglich zu einer Erneuerung der (west-)europäischen Musik und Musizierpraxis im ausgehenden 20. Jh. bei. Lit.: M. FISCHER, Die organistische I. im 17.1h. (Kas 1929) ( = Königsberger Stud. z. Musikwiss. 5); É. JAQUES-DALCROZE, L'i. au piano, in: Le rythme 34 (G 1932); DERS., L'i. musicale, in: RM 14 (1933); A. EPPING, ABC der I. (B 1954); H. HUCKE, I. im gregor. Choral, in: KmJb 38 (1954); E.T. FERAND, Die I. in Beispielen aus 9Jh. abendländischer Musik (Kö 1956, 2 1961) (= Das Musikwerk 12); H. A. Löw, Die I. im Klavierwerk Beethovens (Diss. Saarbrücken 1962); L. FRIEDEMANN, Gemeinsame I. auf Ingr. (Kas 1964); G. KNEPLER, I., Komposition. Überlegungen zu einem ungeklärten Problem der Musikgesch., in: FS B. Szabolcsi (Budapest—Kas 1969); C. BRESGEN, Die 1. (Hei 1969, Wie 2 1974); H. SCHRAMOWSKI, Der Einfluß der instr. I. auf den künstlerischen Entwicklungsgang u. das Schaffen des Komp., in: BzMw 13 (1971); E. KARKOSCHKA, Aspekte der Gruppen-I., in: Melos 38 (1971); J. VIERA, Arrangement u. I. (W 1971); O. KOLLERITSCH, Neue Musik u. 1., in: Jazzforsch. 3/4 (1971/72); C. DAHLHAUS, Komposition u. I., in: NZfM 133 (1972), dass. in: Musik u. Bildung 5 (1973); H. CH. WOLFF, Originale Gesangs-l.en des 16.-18. Jh. (Kö 1972) (= Das Musikwerk

42); H. OESCH, Zw. Komposition u. I. Die Musik der 60erJahre (Mz 1972) (= Schriften des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 12); H. SCHRAMOWSKI, Schaffenspsychologische Unters. zur instr. I., in: BzMw 15 (1973); W. HEINISCH, Instrumentalunterricht u. I., in: Musik u. Bildung 7 (1975); I. u. neue Musik. 8 Kongreßreferate, hrsg. v. R. BRINKMANN (Mz 1979) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 30). H. LINDLAR

IMPULS, in der Akustik ein kurzzeitiger, stoßartiger Schallwechseldruck, wie er insbesondere von Schlaginstrumenten, aber auch im Einschwingvorgang bei anderen Instrumenten und bei der Sprache hervorgerufen wird. Er ist gekennzeichnet durch eine hohe Geschwindigkeit der Änderung des /Schalldrucks; nach der /Fourieranalyse sind darin auch Ultraschallanteile enthalten: Nach neueren Erkenntnissen kann das Ohr Anstiegsgeschwindigkeiten bis mindestens 10 Mikrosekunden (entsprechend einer /Grenzfrequenz von 50 kHz) wahrnehmen, weshalb in der Schallübertragung dem Ultraschallbereich zunehmend Bedeutung beigemessen wird.

IM WEISSEN RÜSSL, Singspiel in 3 Akten von Ralph Benatzky (1884-1957), Buch von Hans Müller und Eric Charell nach dem gleichnamigen Lustspiel von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg. Gesangstexte von Robert Gilbert, musikalische Einlagen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert, Robert Stolz und Hans Frankowski. Ort und Zeit der Handlung: St. Wolfgang am Wolfgangsee vor dem ersten Weltkrieg. UA: B. 11. 1930 in Berlin (Großes Schauspielhaus). Verfilmt 1935 und 1953.

Aus Zeitgründen war die Kompositionsarbeit für Im Weißen Rößl aufgeteilt worden: Die ganze Welt ist himmelblau und Mein Liebeslied muß ein Walzer sein stammen von Stolz, Zuschau'n kann i net von Granichstaedten, Erst wann's aus wird sein von Frankowski und Was kann der Sigismund dafür? von Gilbert. Benatzky schrieb die restlichen Gesangsnummern, darunter auch die Titelmelodie „Im Weißen Rößl" am Wolfgangsee. Das heitere Spiel um Urlaub, Liebe und Geschäft ist von typisch österreichischer Atmosphäre geprägt, selbst Kaiser Franz Joseph tritt im Verlauf des Stückes auf. Im Weißen Rößl wurde nach über 400 Aufführungen in Berlin zum Welterfolg, in London (EA: 8.4. 1931 Coliseum) wurden 651 Vorstellungen en suite gezeigt. Innerhalb eines Jahres übernahmen zahlreiche Theater in aller Welt die Erstinszenierung von Eric Charell, der selbst die mit 223 Aufführungen für damalige Verhältnisse sehr erfolgreiche Broadway-Fassung (EA: 1. 10. 1936, Center Theater) unter dem Titel White Horse Inn herausbrachte. R.-M. SIMON — S. SIMON 161

Inbal INBAL, Eliahu, *16. 2. 1936 Jerusalem; israelischer Dirigent. I. studierte 1948-56 Violine und Dirigieren am Konservatorium und an der Musikakademie in Jerusalem und 1957-60 Komponieren bei P. Ben -Haim. 1960-63 studierte er am Conservatoire in Paris und besuchte 1961-62 in Siena an der Accademia Musicale Chigiana Dirigentenkurse bei S. Celibidache. I., der 1952-60 als Konzertmeister und Konzertdirigent in Israel tätig gewesen war, tritt seit 1963 als Gastdirigent in bedeutenden Musikzentren Europas, Amerikas und Israels auf. 1974 wurde er Chefdirigent des Symphonieorchesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt. INCANTATION (fn.), im Französischen Bz. für die heute noch bei den Naturvölkern üblichen ma-

gischen Beschwörungsformeln. Die Bz. erscheint im 20. Jh. auch als Werktitel, u. a. bei A. Jolivet (5 Incantations für Flöte solo) und P. Capdevielle (Incantation pour la mort d'un jeune Spartiate). INCIPIT (lat., wörtlich = es beginnt), fachsprachliche Bz. für den Anfang eines Textes oder Musikstückes. Musikalische Incipits, die je nach Zweck-

mäßigkeit eine oder mehrere Notenzeilen bzw. Stimmen enthalten, sind in der Regel wesentlicher Bestandteil thematischer Verzeichnisse von Werken einzelner Komponisten. Sie dienen auch der Katalogisierung bestimmter musikalischer Bestände (anonyme Melodien u. dergleichen). Für die Ordnung und Erschließung solcher Kataloge gibt es unterschiedliche Systeme, die meist auf einer numerischen Codierung der Intervallfolge beruhen. Lit.: O. KOLLER, Die beste Methode, Volks- u. volksmäßige Lieder nach ihrer melodischen Beschaffenheit lexikalisch zu ordnen, in: SIMG 4 (1902/03); J. LARVE—M. RASMUSSEN, Numerical I. for Thematic Catalogue, in: FAM 9 (1962); J. LANSKY — W. SUPPAN, Der neue Melodien-Kat. des Dt. Volksliedarchivs, in: ebd. 10 (1963); G. BIRKNER, Eine musikal. Katalogisierung des neueren dt. Volkslieds, in: Zschr. für Volkskunde 60 (1964); I. BENGTSSON, Numericode. A Code System for Thematic I.s, in: STMf 2 (1967).

INCORONAZIONE DI POPPEA, L', Dramma in musica von Cl. Monteverdi; dt. Titel: Die /Krönung der Poppaea. INDIA, Sigismondo d', * um 1580 Palermo, t 1629 Modena (?); it. Komponist. I. hielt sich zwischen 1600 und 1611 u. a. in Florenz, Parma und Piacenza

auf. 1611-23 war er Kammermusikdirektor des Herzogs Karl Emmanuel I. von Savoyen in Turin, lebte 1623-24 am Hof der Este in Modena und 1624-26 in Rom in der Residenz des Kardinals Moritz von Savoyen. D'I. ist in seiner Zeit einer der wichtigsten Vertreter des monodischen Stils in der 162

weltlichen italienischen Musik außerhalb der Oper. Zahlreiche Werke der Musiche (1609ff.) bezeugen ein Streben nach starkem musikalischem Ausdruck mit Hilfe ungewöhnlicher melodischer und harmonischer Mittel. Auch die 2st. Werke dieser Sammlung sind erwähnenswert, da sie zu den frühesten Kammerduetten gehören (řDuett). WW: 1) Geistliche WW: 2 Bücher Sacri concentus ecclesiastici für 3-6 St. u. B.c. (V 1610); Motetten für 4 St. u. B.c. (V 1627). — 2) Weltliche WW: 8 Bücher Madrigale für 5 St. mit u. ohne B.c., I (Mi 1606); II (V 1611), III (V 1615), IV u. V (V 1616), VII u. VIII (R 1624); 2 Bücher Villanelle alla napolitana für 3-5 St. (Neapel 1608, V 1612); 5 Bücher Le musiche für 1-2 St. u. B.c. (V bzw. Mi 1609, 1615, 1618, 1621 u. 1623); Le musiche e balli für 4 St. u. B.c. (V 1621) (die Stücke dieser Sig. u. hsl. erhaltene weitere Stücke wurden bei Festlichkeiten in Turin aufgeführt). Ausg.: Il 1 °libro de madrigali a S v., hrsg. v. F. MOMPELLIO (Mi 1942) (= I Classici Musicali Italiani 10); ein Madrigal in stile recitativo, in: F. NOSKE, Das außerdt. Sololied (Kö 1958) (= Das Musikwerk 16); II primo libro di Musiche da cantar solo, hrsg. v. F. MOMPELLIO (Cremona 1970). Lit.: N. FORTUNE, S. d'I. An Introduction to His Life and Works, in: Proc. R. Mus. Assoc. 8 (Lo 1954-55); F. MOMPELLIO. S. d'1. Musicista palermitano (Mi 1956); DERS., „Opere recitative, balletti et inventioni" di S. d'I., in: Collectanea historiae musicae 2 (Fi 1957).

INDIANER, Musik der Indianer. Nordamerika. Zur Zeit der Entdeckung Amerikas gab es etwa 1000 I.-Stämme, die sich kulturell stark voneinander unterschieden. Seit dem 19. Jh. reduzierte sich die Zahl der Stämme erheblich. Infolge der Umsiedlung in Reservate und durch den verstärkten Kontakt der einzelnen Stämme untereinander und zu den Weißen begann ein Prozeß weitgehender Akkulturation, der die Musik nicht im gleichen Maße erfaßte wie andere Bereiche der Kultur. Bei fast allen Stämmen ist die Musik eingebunden in kultische Handlungen: von Krankenheilungen bis zu kollektiven Wettspielen. Zwar gibt es musikalische Spezialisten, doch nehmen diese in der Regel zugleich die Funktion des Medizinmannes oder Schamanen wahr; vielfach ist das musikalische Repertoire geistiges Eigentum der gesamten Gemeinschaft. Die nordamerikanischen I. kennen nur wenige Instrumente. Es dominiert der unbegleitete bzw. von einer Trommel unterstützte Gesang. Abgesehen von grifflochlosen Pfeifen, die nur einen Ton hervorbringen, sind Blockflöten aus Holz oder Knochen die einzigen Melodieinstrumente. Die I. im Süden der USA kennen einfache, 1- bis 2saitige Streichinstrumente mit schmalem Korpus und benutzen gelegentlich auch den Jagdbogen als Musikinstrument. Schlaginstrumente bilden die Hauptgruppe des Instrumentariums. Besondere Bedeutung kommt der einfelligen Rahmentrommel zu, da sie der Sänger während des Gesanges und des Tan-

Indien zes bequem in der Hand halten und schlagen kann. Für ein gemeinschaftliches Musizieren bedient man sich größerer einfelliger Trommeln, die von mehreren Männern mit Schlegeln geschlagen werden. Unter den Idiophonen finden neben Rasseln und Klappern auch Schrapstöcke Verwendung sowie die sog. Wassertrommel, ein ausgehöhlter, mit Wasser gefüllter Holzstamm. Trotz vieler Unterschiede gibt es stilistische Gemeinsamkeiten in der Musik der Indianer. Melodisch herrschen absteigende Bewegungen in teilweise großen Stufen (Fanfarenmelos) vor, die Ambitus liegen nur selten über einer Oktave. Bei der von Trommeln oder Idiophonen ausgeführten Liedbegleitung entsteht eine wohl nur selten beabsichtigte polyrhythmische Struktur. Die Gesänge werden überwiegend mit gepreßter Stimme und stark emphatisch, bei langen Werten auch pulsierend vorgetragen. Lateinamerika. Die Mehrzahl der I. Lateinamerikas pflegt heute eine stark europäisierte Musik, wenngleich in einigen Gebieten offenbar Überreste der vorkolumbischen Musikkultur zu überdauern vermochten. Das Instrumentarium der mittel- und südamerikanischen Hochkulturen war — soweit Instrumentenfunde, Darstellungen musikalischer Szenen (vor allem in Bonampak) oder frühe Berichte von Reisenden und Missionaren dies erkennen lassen — außerordentlich vielgestaltig, wobei Blasinstrumente überwogen. Die ungewöhnlich große Zahl erhaltener gedoppelter und dreifacher Aerophone sowie Abbildungen umfangreicher Musikergruppen lassen auf eine zumindest rudimentäre Mehrstimmigkeit schließen. — Infolge der rassischen Vielfalt und starker Vermischung der I. bietet die lateinamerikanische Kultur ein sehr heterogenes Bild, vieles — gerade im Bereich der Musik — ist bisher noch unerforscht. Bei I. -Stämmen, die bis in die jüngste Zeit ohne Kontakte zu Weißen oder anderen ethnischen Gruppen blieben, sind die Melodien oft litaneiartig strukturiert; ein kleiner, engstufig ausgefüllter Ambitus überwiegt. Die Musik jener Stämme, die im Gebiet der ehemaligen Hochkulturen leben (Andenstaaten, Mittelamerika, Mexiko), ist gekennzeichnet durch pentatonische Skalen sowie durch verschiedene Formen der /Heterophonie. Instrumentales Musizieren wird angesichts des vielfältigen Instrumentariums jedenfalls in stärkerem Maße gepflegt als in Nordamerika. Unter den Aerophonen überwiegen, neben einfachen Holztrompeten und Rohrblattinstrumenten, Flöten verschiedenster Bauart, darunter auch Panflöten. Dies läßt auf ein entwickeltes Tonbewußtsein und akustische Grundkenntnisse schließen, die für das Stimmen jener Flöten erfor-

derlich sind. An Chordophonen kannten die I. vor der Kolonisierung offenbar lediglich den Musikbogen sowie einfachste Zupfinstrumente. Die Gruppe der Membranophone umfaßt auch zweifellige Trommeln, die der Idiophone — neben reinen Rhythmusinstrumenten — vor allem Schlitztrommeln und Xylophone. Lit.: Zo Nordamerika: G. HERZOG, Special Song Types in North American Indian Music, in: Zschr. für vergleichende Musikwiss. 3 (1935); H. H. ROBERTS, Musical Aeras in Aboriginal North American Indian Music (New Haven/Conn. — Lo 1936); W. N. FENTON, Songs from the Iroquois Longhouse (Washington 1942); D. P. MCALLISTER, Peyote Music (NY 1949); B. NETTL, Stylistic Variety in North American Indian Music, in: JAMS 6 (1953); DERS., Musikal. Völkerkunde in Amerika, in: Mf 9 (1956); D. P. MCALLISTER, The Role of Music in Western Apache Culture, in: Men and Cultures. Fifth Congress of Anthropological and Ethnological Sciences (Philadelphia 1960); B. NETTL, Polyphony in North American Indian Music, in: MQ 47 (1961); W. RHODES, North American Indian Music in Transition, in: Journal of the International Folk Music Council 15 (1963). — Z. Lateinamerika: O. ABRAHAM—E. M. VON HORNBOSTEL, Phonographierte Indianermelodien aus Britisch -Columbia, in: Sammelbde. für vergleichende Musikwiss. 1 (1922); CH. W. MEAD, The Musical Instruments of the Incas, in: Anthropological Papers of the American Museum of Natural History 15 (1924); R. u. M. D'HARCOURT, La musique des Incas et ses survivances (P1925); F. DENMORE, Music of the Tule Indians of Panama (Washington 1926); F. BOSE, Die Musik der Uitoto, in: Zschr. für vergleichende Musikwiss. 2 (1934); K. G. IZIKOWITZ, Music and Other Sound Instruments of the South American Indians (Göteborg 1935); R. GALLOP, The Music of Indian Mexico, in: MQ 25 (1939); C. W. GOULD, An Analysis of the Folk Music in the Oaxaca and Chiapas Areas of Mexico (1954) (= Diss. Northwestern Univ.); F. BOSE, Die Musik der Chibcha u. ihrer heutigen Nachkommen, in: Int. Arch. für Ethnographie 48 (1958); R. u. M. D'HARCOURT, La musique des Aymara, in: Journal de la Société des Américanistes, N.F. 48 (1959); S. MARTI, Canto, danza y mtísica precortesiana (Mexico 1961); DERS., Instr. musicales precortesianos (ebd. 1965).

CH. AHRENS

INDIEN. Historische Entwicklung. Der indische Subkontinent ist ein Sammelbecken verschiedener, teilweise sehr unterschiedlicher Kulturen. Das hinduistische Gesellschaftssystem verhindert bis heute weitgehend eine kulturelle Angleichung eingedrungener oder bereits ansässiger Volksstämme untereinander. Infolgedessen konnten die meisten indischen Völker, selbst wenn sie in engem Kontakt miteinander lebten, ihre eigene Sprache, ihre Bräuche und ihre Musik bewahren. Drei völlig unterschiedliche Kulturen prägten im wesentlichen die Frühgeschichte Indiens. Alsälteste gilt die Kultur der Mundas; diese sind mit bestimmten Bevölkerungsgruppen in Kambodscha und Laos verwandt und konnten bis heute in den Wäldern Zentral- und Ost-I.s in einzelnen Stämmen überleben. Die Vertreter der zweiten Kultur, die sog. Draviden, sprechen agglutinierende Sprachen und leben im Süden des Subkontinents, doch finden sich in ganz I. bis hin nach Belutschistan kleine dra163

Indien vidische Sprachinseln. Die Kultur dieser Gruppe ist vermutlich mit der alten sumerischen Kultur, mit der kretisch-minoischen und mit jener der ersten Dynastien Ägyptens verwandt. Abgesehen von den Peuhls in der Sahara, die derselben Sprachfamilie angehören, lassen sich Spuren der dravidischen Kultur außerhalb I.s nur schwer ausfindig machen. Für die dritte Gruppe, eine indoarische Kultur, ist eine Musik charakteristisch, die Obereinstimmungen mit jener des antiken Griechenlands und Persiens erkennen läßt. Ihr Ursprung geht auf den vedischen Kult der Arier zurück; sie wurde offenbar aber auch von skythischen und parthischen Einflüssen geprägt. Aus diesem Musiksystem entwickelte sich die klassische hindustanische Musik; die frühesten theoretischen Schriften stammen aus dem 3. Jh. v. Chr.: einige Kapitel im Nityashistra, dem Lehrbuch der Theaterkunst von Bharata, bilden die erste Hauptquelle der indischen Musiklehre. Seit dem 10. Jh. n. Chr. unterlag insbesondere der Norden Indiens islamischem Einfluß, der sich auch in der Musik deutlich bemerkbar macht. Mit der Kolonisation und Industrialisierung drangen schließlich auch Elemente europäischer Kultur nach I., die im Bereich der Musik zunehmend an Bedeutung gewannen und traditionelle Formen und Praktiken verdrängten. Allgemeiner Charakter und Tonsystem der indischen Musik. Die klassische hindustanische und dravidische Musik hat modalen Charakter. Nach der Lehre des Bharata beruht sie auf verschiedenen Grima, meist 7stufigen Leitern, die über einem unveränderlichen Grundton errichtet werden. Dieser klingt während der Ausführung eines Stückes als Bordun mit. Die Musik entfaltet sich fast ausschließlich durch Improvisation im Rahmen einer Reihe festgelegter Stilarten, Modelle und Formen. Jeder Musiker ist sich ständig des jeweiligen Tones der gewählten Leiter mit ihren Charakteristika bewußt, er kennt den ihr zugeordneten Stimmungsgehalt und das genaue Intervall, das er in bezug auf den Grundton bildet. Durch die speziellen Tonfolgen der Modi versucht der Musiker, verschiedene Gemütsverfassungen und Stimmungen auszudrükken und so direkt auf den Zuhörer einzuwirken. Kompositionen und formale Strukturen im Sinne der abendländischen Musikkultur sind dieser Musik weitgehend fremd. Das indische Tonsystem beruht auf einer Gliederung der Oktave in 22 nicht genau bestimmte Tonschritte, die Šruti. Die 7 Hauptstufen bestehen aus einer jeweils unterschiedlichen Sruti-Anzahl: so gibt es mehrere Arten von kleinen Sekunden, Terzen, Sexten und Septimen, zwei große Sekunden usw. Trotz meist nur geringer Größenunterschiede 164

messen die Inder einzelnen Intervallen unterschiedliche, zuweilen sogar gegensätzliche Bedeutung zu. Die natürliche große Terz (4 :5) z. B. wird als mild und ruhig gewertet, während die durch Quintfolgen gewonnene pythagoreische Terz (64 : 81) — die um den Wert des sog. syntonischen Kommas (81:80 oder 22 Cents) größer ist — einen forschen und strahlenden Charakter hat. Die kleinere Terz findet in Modi mit zärtlicher Stimmung Verwendung, die größere in solchen mit kühnem und kriegerischem Gefühlsgehalt. Unveränderlich sind lediglich Quarte und Quinte. Entscheidende Bedeutung kommt den Intervallverhältnissen zu, nicht der Stellung einzelner Töne zu einem absoluten Bezugston. Die Grundtöne können auf unterschiedliche Tonstufen transponiert werden. Die 7 Hauptnoten der Leitern tragen Bezeichnungen, die den jeweils ersten Silben ihrer vollständigen Namen entsprechen: sa ($açja), ri (R$abha), p (Gändhära), ma (Madhyama), pa (Paňcama), dha (Dhaivata) und ni (Ni$äda). Wie in unserem Tonsystem gelten erhöhte und erniedrigte Töne als Akzidentien ihrer Hauptnoten. Das indische Tonsystem ist sehr alt, erste Notationsquellen stammen aus dem 5. Jh. v. Christus. Da die Leitern im Laufe der Jahrhunderte einem ständigen Entwicklungsprozeß unterlagen, ist eine Auswertung der alten Notationen allerdings sehr schwierig. Dies gilt selbst für die zahlreichen notierten Melodien in der Samgitaratnikara des Särňgadeva aus dem 13. Jh., der zweiten wichtigen Quelle der indischen Musiklehre nach Bharata. Erst die Notationen seit dem 16. Jh. sind besser verständlich, indessen setzt die Interpretation eine genaue Kenntnis ihres kulturellen Ursprungs voraus. Die Skalenmodelle. Das System des Bharata basiert auf zwei modalen Grundskalen: Sa-grima (über dem Ton sa, mit einer kleinen Terz) und Ma grima (über dem Ton ma, mit einer großen Terz). Die 7 Tonstufen dieser beiden Leitern dienen als Ausgangspunkt für Nebenleitern, die Múrchani (insgesamt 14) oder die freier strukturierten Jiti (insgesamt 18). Durch zahlreiche Verfeinerungen entwickelten sich aus diesen Nebenleitern die einzelnen Modi, d. h. das System der Riga (= Farbe, Leidenschaft) als eigentliche Grundlage des klassischen indischen Systems. Es handelt sich jedoch um einen Melodietypus mit ganz spezifischem Affektgehalt, der jeder Improvisation zugrunde liegt. Dem Räga eignen neben dem jeweils typischen Tonmaterial weitere charakteristische Eigenschaften: Auf- und Abstieg einer Melodie können unterschiedlich verlaufen, gewisse Töne besondere Akzente, Ausführungsarten oder Verzierungen (Gamaka) aufweisen, einzelne Tonstufen immer

Indien

oder bei bestimmten Melodiebewegungen ausgelassen werden. Von besonderer Bedeutung sind der als Bordun erklingende Grundton sowie zwei betonte, ebenfalls als Bordun gebrauchte Zentraltöne, die sich auf die beiden den Oktavraum gliedernden Tetrachorde verteilen; sie heißen Vádin (= klingend) und Samvädin (= anklingend, assonant). Um die Gesetzmäßigkeiten des vielschichtigen und differenzierten Rága-Systems beherrschen und alle Feinheiten und Eigenheiten der Modi in einer Improvisation voll zum Ausdruck bringen zu können, bedarf es einer langen Ausbildung. Da sich mit jedem Rága eine besondere, gefühlsinhaltliche Stimmung verbindet, die im Zuhörer entsprechende Emotionen erzeugen kann und soll, ist der Kontakt zwischen Musiker und Zuhörer in jedem Augenblick sehr eng. Man setzt die Rága nicht nur zu menschlichen Gefühlen und seelischen Stimmungen in Beziehung, sondern auch z. B. zu Tages- und Jahreszeiten. Eigenschaften der Rága waren häufig Gegenstand der indischen Dichtung und Malerei: Rága-Miniaturen (Riga-mild) nehmen in der indischen Malerei eine bevorzugte Stellung ein. Wesentlich älter als die Miniaturmalerei sind Versdichtungen, die den Charakter der Rága stark assoziativ beschreiben. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: Vibhása (Modus der Morgenröte): „Vibhása hat eine helle Haut und ein bezauberndes Antlitz. Stolz, wie der Hahnenschrei am Morgen, schüttelt sein Lachen die Locken auf seiner Stirn. Weißgekleidet ist er von einer Anmut, wie der Gott der Liebe selbst."

A

Yavanapuri Todi: „Todi, die Griechin, ist eine stattliche Fremde. Sie trägt kostbare Kleider, und ihr Haar liegt in breiten, glatten Streifen auf ihrer Stirn. Ihre Ohrgeschmeide aus Edelsteinen sind in Gold gefaßt und haben die Form von Blumen. Schmachtend spielt sie am Morgen kunstvoll die Laute, trinkt Wein und zeigt ihre reizenden Formen und die schneeweißen Glieder." ~ ~

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Theoretisch lassen sich mehrere tausend Melodiemodelle oder Rága entwickeln; ein guter Musiker beherrscht etwa zwei- bis dreihundert. Grundlage der heutigen musikalischen Praxis bilden jedoch in Nordindien meist 10 Thät, in Südindien 72 Melakarta. Die Thál, bei deren Notation man auf die Angabe der Kleinsttonschritte verzichtet, ent-

sprechen weitgehend dem persischen Dastgáh oder dem arabischen Mágám. Bhairava: c des e f g as h c' Bhairavi: c des esfgasb c' Káphi: cd esfga bc' Todi: c des es fis g as h c' Máravá: c des e fis g a h c 1 Khamája: cdefgabc' Asávari: cdesfgahc' Bilávala: cd e fg a h c' Kalyána: c d e fis g a h c 1 Púrvi: c des e fis g as h c 1 Die gebräuchlichsten karnatischen Melakarta sind: Hanumattodi: c des es f g as b c' Máyámälavagaula: c des e f g as h c 1 c d es f g as b c 1 Nathabhairavi: Kharaharapriya: c d es f g a b c' Harikámbhoji: c d e f g a b c' Dhirašaňkarábharana: cd e f g a h c 1 Mecakalyáni: c d e fis g a h c 1 Tiila. Das rhythmische System der indischen Musik ist bis ins feinste ausgearbeitet und durchstrukturiert; es basiert auf sich wiederholenden rhythmischen Perioden, den Tála. Sie enthalten eine bestimmte Anzahl von Schlägen, die in charakteristischen Gruppierungen angeordnet sind. Akzente innerhalb der Perioden bestimmen das musikalische Zeitmaß, aber erst die komplizierten Variationen, Gegenrhythmen sowie unerwartete Akzente, Synkopen usw. beleben die rhythmischen Abläufe. Besondere Bedeutung kommt dem Sam (= zusammen), dem ersten Schlag einer Periode, zu, der stets betont ist und bei dem sich Solist (Sänger oder Instrumentalist) und der Spieler des Rhythmusinstrumentes nach individuellen Improvisationen jeweils wieder treffen. Lange Perioden bieten dem alternierenden und duettierenden Wechselspiel der Musiker naturgemäß größere Entfaltungsmöglichkeiten und erlauben es, den Ablauf eines Stückes interessanter zu gestalten. Die einzelnen TálaSchläge werden entweder laut angegeben, z. B. durch Händeklatschen, oder stumm an den Fingern abgezählt. In der indischen Musik gibt es eine besondere Form der rhythmischen Notation: jede Art des Trommelanschlages (ob am Rand oder in der Mitte des Felles, ob mit den Fingerspitzen, mit der Handfläche, der linken oder der rechten Hand, leicht oder kräftig) wird durch eine eigene Silbe (z. B. dha, dhin, da, tin) gekennzeichnet. Der Musiker lernt die Silben der meist sehr komplizierten Schlagmuster zunächst auswendig, ehe er sie auf die Trommel überträgt. Es steht ihm jedoch frei, im Rahmen der feststehenden Modelle neue rhythmische Varianten zu erarbeiten. 165

Indien Zu den am häufigsten verwendeten Tála-Modellen gehören: Dädra Jhampa Çhautäl Dhamär Tintäl

6 Schläge 10 Schläge 12 Schläge 14 Schläge 16 Schläge

3+3 2+3+2+3 2+2+2+2+2+2 5+5+2+2 4+4+4+4

Instrumente. Bharata teilte die indischen Musikinstrumente in vier Klassen ein: Saiteninstrumente (Tata), Blasinstrumente (Sushira), Trommeln (Avanaddha) und Idiophone (Ghana). In der klassischen Musik wie in der Volksmusik finden verschiedene Instrumenten-Typen der einzelnen Klassen Verwendung, wobei sich die Instrumente des Südens nicht selten durch ihre kompliziertere technische Struktur und künstlerische Fertigung von jenen des Nordens unterscheiden. 1. Saiteninstrumente: Die nordindische Viná, seit dem 15. Jh. zahlreich abgebildet, stellt besonders hohe Anforderungen an die Musikalität und die manuelle Geschicklichkeit des Musikers. Die Viná besteht aus einem Bambusrohr mit 24 hohen, stegartigen Bünden, das durch kurze Metallröhrchen mit zwei kugelförmigen Resonanzkörpern aus getrockneten Kürbissen verbunden ist. Ober die Bünde laufen 4 metallene Melodiesaiten in Quintund Quartstimmung. Drei weitere Stahlsaiten sind an der Seite angebracht und lassen den Grundton und dessen obere und untere Oktave erklingen. Die Saiten werden mit kleinen Metallplektren (am Mittelfinger und am kleinen Finger der rechten Hand befestigt) gezupft. Die Vinä wird schräg vor den Körper gehalten, dabei ruht ein Kürbis auf der linken Schulter, der andere auf dem rechten Knie. Die jüngere südindische Vinä hat die Form einer vergrößerten Mandoline. Ihr breiter-Hals mit flachen, festen Bünden geht in ein halbkugelförmiges hölzernes Korpus über. Am oberen Ende des Halses ist ein zweiter Resonanzkörper angebracht, der aus einem kleinen Kürbis besteht. Beim Spiel liegt die Viná, deren Saiten und Bünde ähnlich angeordnet sind wie beim nordindischen Instrument, waagerecht auf der Erde oder auf einem Knie des Musikers. Die südindische Gotuvádyam ist eine Abart der Viná ohne Bünde. Die Saiten der Gotuvádyam werden nicht gezupft, sondern vom Spieler mit einem Holzstöckchen gerieben. Das beliebteste Instrument I.s ist heute die Sitär, eine Langhalslaute persischen Ursprungs, die vermutlich im 15. Jh. entstand und im 17. Jh. ihre endgültige Form erhielt. Sie besteht aus einem halbkugelförmigen Korpus und einem langen, relativ breiten Hals mit 16-20 Metallbünden. 3-7 Melodiesaiten aus Stahl 166

und Kupfer laufen über die Bünde und über einen elfenbeinernen Steg in der Mitte des Resonanzkörpers. Bisweilen hat das Instrument bis zu 20 zusätzliche Aliquotsaiten, die ihm einen spezifischen leicht näselnden Klang verleihen. Die Saiten werden mit einem zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltenen Plektrum oder einem kleinen Metallkeil gezupft, den der Musiker an einem Finger trägt. — Der Sitár sehr ähnlich, doch größer in den Abmessungen und daher voller im Klang ist die Surbahar, die als besonders geeignet für die Gestaltung umfänglicher Aläpa-Einleitungen gilt und daher von manchen Musikern bevorzugt wird. Das größte Tonvolumen aller indischen Saiteninstrumente besitzt die Sarod. Ihr längliches, sehr tiefes und an den Flanken stark eingekerbtes Korpus ist mit einer Membran überzogen, die den Steg trägt. Hals und Korpus gehen nahtlos ineinander über, der bundfreie Hals wird erst zum Wirbelkasten hin etwas schmaler. Die Sarod ist mit 4 Melodie- und zahlreichen Bordunsaiten bespannt, die der Spieler mit einem kleinen Plektrum zupft. Die musikalisch bedeutsamen Glissandi erzeugt er, indem er mit dem Finger auf der Saite hin- und hergleitet (dagegen wird die Saite beim Spiel der Vinä oder Sitár zur Seite gezogen und dadurch ihre Spannung verändert). Die Tänpúrä ist das charakteristische und unentbehrliche Begleitinstrument der indischen Vokal- und Instrumentalmusik. Sie ähnelt der Sitár, doch ist ihr Resonanzkörper ovaler gebaut und der lange, bundlose Hals schmaler. Der flache Steg aus Holz oder Elfenbein steht in der Mitte der gewölbten Decke und ist so gebogen, daß er die Entstehung eines obertonreichen Klanges fördert; die Obertöne sind zuweilen lauter als der Grundton der entsprechenden Saite. Ein Seidenfaden zwischen den 4 Saiten und dem Steg verstärkt dieses akustische Phänomen. Die Tánpúrá dient nicht als Melodieinstrument. Der Spieler hält vielmehr das tonale Zentrum des betreffenden Modus, in der Regel Grundton und Quarte bzw. Quinte, als Bordun fest und gibt dadurch eine Stütze für die melodische Entwicklung und die präzise Intonation der Sänger. Um den für Borduninstrumente charakteristischen Permanenzklang zu erreichen, bedienen sich die Tánpúrá-Spieler einer besonderen Technik: sie zupfen die Saiten in schneller Folge mit den Fingerkuppen, ohne daß sich die Lautstärke im Moment des Anreißens erhöht und eine Zäsur hörbar wird. Der Klang des Instrumentes ähnelt dem eines Streichinstrumentes. Wichtigstes indisches Streichinstrument ist die Sarangi, an deren Stelle allerdings zunehmend die Violine tritt. Die Sarangi besteht aus einem massiven, an der Seite stark eingezogenen Resonanzkörper, der mit Fell bespannt ist, und

Indien einem breiten Hals. Mit einem kurzen Bogen werden 3-4 Melodiesaiten aus Darm gespielt, 13 Bordunsaiten aus Metall liegen unter den Hauptsaiten. Die Sarangi hat einen vollen Klang und dient vor allem als Begleitinstrument in der Vokalmusik. Einen interessanten Mischtypus stellt die Esraj dar, die insbesondere in der vokalen Musizierpraxis Bengalens Verwendung findet: der breite Hals mit Bünden ähnelt jenem der Sitár, das sehr kleine, an den Flanken eingezogene und mit einer Membran überzogene Korpus dem der Sarangi. Während die 4 Melodiesaiten, von den Wirbeln am oberen Ende des Halses ausgehend, über seine gesamte Länge laufen, sind die zahlreichen Bordunsaiten übereinander auf einer schmalen separaten Leiste befestigt, die neben dem Hals liegt. 2. Blasinstrumente: Die Murali ist die klassische Querflöte Indiens. Sie besteht aus einem etwa 35-40 cm langen Bambusrohr mit 6 Grifflöchern. Vamsha heißt eine mundstücklose Längsflöte: ihr oft sehr langes Rohr aus knotenfreiem Bambus ist an beiden Seiten offen und hat 6-7 Grifflöcher. Durch direktes Anblasen der oberen Rohrkante entsteht ein weicher und modulationsfähiger Ton. Durch Halbdeckung der Grifflöcher bzw. durch Veränderungen des Anblasdruckes können Tonhöhe und Klang des Instrumentes in relativ großem Maße modifiziert werden. Die kegelförmige Schalmai Shani (im Süden meist Nägasvara genannt) besteht aus einem konischen Holzrohr mit 7-9 Grifflöchern und einem angesetzten Schalltrichter aus Metall. Im kupfernen Kopfende steckt ein dünnes Röhrchen, an dem mit einem Seidenfaden das aus Strohhalmen oder Schilf gefertigte Doppelrohrblatt befestigt ist. Die Šhanái wird in der Regel nicht solistisch gespielt, sondern von einer zweiten Schalmei, deren Löcher bis auf eines mit Wachs verschlossen sind und die lediglich einen oder zwei Borduntöne aushält, begleitet. Der Klang der Šhanät ist wie jener der ähnlich konstruierten vorderorientalischen Surna relativ stark und wenig modulationsfähig, denn das Rohr schwingt frei in seiner ganzen Länge in der Mundhöhle. Die Šhanái wird daher meist im Freien gespielt, bei Festen und Zeremonien vor Palästen, Tempeln und Privathäusern. GroBer Beliebtheit erfreut sich auch das Rohrblattinstrument Bin, das oft fälschlich als Schlangenbeschwörer-Flöte bezeichnet wird. Es besteht aus zwei parallelen Bambusröhren; das Rohrblatt befindet sich im Innern eines am oberen Ende der Röhren befestigten Kürbisses, der als Windkapsel dient. Hornähnliche Instrumente und Trompeten finden ausschließlich bei kultischen Zeremonien Verwendung und dienen nur selten als Melodieinstrumente.

3. Trommeln: Wichtigstes Rhythmusinstrument Südindiens ist die zweifellige Mrdaňga, deren langes rundes Korpus leicht ausgebaucht ist. Der Name (von Mrd = Ton) deutet darauf hin, daß diese Trommel ursprünglich aus Ton gefertigt wurde. Ihr Name findet erstmals im 2. Jt. v. Chr. Erwähnung. Der Mrdaiiga ähnelt die größere Pakhavaj, die in Nordindien, insbesondere in Bengalen, Verwendung findet. Sie diente früher als Begleitinstrument der Vinä, wird aber heute zunehmend von der Tablá verdrängt. Diese ist wohl arabischen Ursprungs und heute der wichtigste Trommeltypus Indiens. Sie besteht aus zwei einzelnen Trommeln, die immer paarweise gespielt werden: einer kleinen zylinderförmigen Dáyá für die rechte Hand und einer paukenfömigen Báyá für die linke Hand. Das Fell der heller klingenden, meist aus Holz gefertigten Zylindertrommel wird mit einer rund um das Korpus laufenden Schnur aus geflochtenem Leder und mit vertikal angebrachten Lederriemen befestigt. Kleine Holzrollen zwischen Lederriemen und Körper lassen sich hinauf- und herunterschieben und ermöglichen es, die Spannung des Felles zu regulieren und den Klang der Tablá den Erfordernissen des betreffenden Raga anzupassen. In der Mitte des Felles ist die sog. Stimmpaste aus einem Gemisch von Mehl und Pech aufgetragen, die die Reinheit des Klanges beeinflußt. Die Dáyá steht auf der Erde und wird mit der rechten Hand an verschiedenen Punkten des Felles angeschlagen, und zwar entweder mit der Handfläche, dem Handgelenk, mit einem oder zwei ausgestreckten Fingern bzw. mit den Fingerspitzen. Gleichzeitig gibt der Trommler auf der tiefer klingenden Bäyä, die auf einem Stoffring aufliegt, mit dem Gelenk oder der Fläche der linken Hand das metrische Grundmaß an. Auch das Fell der Báyá ist mit Stimmpaste, jedoch mehr zum Rand hin, bestrichen. Die Fellspannung erfolgt bei dieser Trommel mittels Schnürchen, von denen jeweils zwei durch einen verschiebbaren Metallring verbunden sind. Heute bedient man sich gelegentlich auch einer Spannvorrichtung aus Schraubbolzen wie bei der europäischen Pauke. Außer den bereits genannten finden noch weitere Trommeltypen Verwendung, so z. B. die zweifelligen Dhol, Dholak und Khol. Zu den Membranophonen mit kesselförmigem Schallkörper, den Pauken, zählen die Khurdak, die immer paarweise gebraucht wird, sowie die einzeln gespielte Nágarä (Felldurchmesser 80-100 cm). Die Nágará wird mit gebogenen Schlegeln geschlagen; ihr Klang ist kräftig und durchdringend. 4. Idiophone: Wichtigste Instrumente dieser Gattung sind verschiedene Zimbeln (Jhálra, Jháng, Táli), die meist im rhythmischen Zusammenwirken 167

Indien mit einer Trommel gespielt werden. Daneben gibt es hölzerne Klangstäbe (Karatäla oder Chittiká), die ähnlich den Kastagnetten gehandhabt werden, den Gong Tála sowie unterschiedliche Glocken. Die indische Musizierpraxis ist ihrem Wesen nach solistisch. In der Regel musiziert ein Sänger oder Instrumentalist gemeinsam mit einem TänpúráSpieler. Vor dem Hintergrund des ausgehaltenen Borduns heben sich die Melodiebewegung sowie die oft feinen Tonhöhennuancen wirkungsvoll ab.

Meist tritt auch ein Trommler hinzu, so daß sich in der Ausführung eine rhythmisch-melodische Vielschichtigkeit ergibt. Im Unterschied zum Tanpúra-Spieler, der lediglich eine musikalische Begleitfunktion erfüllt, immer im Hintergrund steht und auch sozial einen niederen Rang einnimmt, ist der Trommler zumindest heute ebenbürtiger Partner des Solisten. Zwar dienen die Trommelschläge über weite Strecken als rhythmische Begleitmuster der Melodiebewegung, doch der Tabla-Spieler tritt häufig auch mit längeren Solopassagen hervor. Gelegentlich entwickelt sich ein spielerischer Wettstreit zwischen Solist und Trommler, in dem jeder versucht, den Partner an rhythmischer Präzision und Differenzierung sowie an technischer Brillanz zu übertreffen. Gattungen und Stile. Wesentliches Element der indischen Musik war und ist der Gesang. Die wichtigsten Vokalstile sind im Norden der Dhrupad, eine mehrteilige Liedform mit rondoartigen Elementen, im Süden die Krti. Während im Dhrupad der Text eine tragende Funktion hat, verkümmert er in den Gattungen Kheyal, Thumri zu einzelnen bedeutungslosen Silben, die endlosen Koloraturen unterlegt werden. Ursprünglich dominierte die menschliche Stimme, und man versuchte, ihr den Instrumentalklang anzugleichen. In nachislamischer Zeit näherte sich der Vokalstil jedoch immer stärker instrumentalen Musizierpraktiken an. Kompositionen im europäischen Sinne sind der indischen Musik fremd, jeder Ausführende ist immer zugleich auch selbst „Komponist", der im Rahmen bestimmter Regeln und Modelle die Musik frei gestalten kann. Seine Kunstfertigkeit beurteilt man danach, ob es ihm gelingt, das durch die Raga und andere Normen vorgegebene Material so zu verarbeiten, daß es als neu empfunden wird, ohne die Grenzen des Gewohnten und Bekannten zu überschreiten. Eine musikalische Darbietung beginnt zumeist mit einem Äläpa, einer ausgedehnten, freien Introduktion ohne festes Metrum. Im Äläpa entwickelt der Musiker das Tonmaterial des betreffenden Raga, führt seine modalen Feinheiten vor und bringt den Zuhörern den Stimmungsgehalt nahe. Im Verlauf 168

der Einleitung wird der Hörer so weit mit dem Raga vertraut gemacht, daß er sich ganz auf die Musik konzentrieren und den Verlauf der Darbietung

nachvollziehen kann. Aufgrund seiner Funktion als Einleitung ist die Dauer des Äläpa eigentlich begrenzt, doch nicht selten so weit ausgedehnt, daß er länger als eine Stunde dauert und zum Kernstück der Interpretation wird. Auf den Äläpa folgt der Hauptteil, in dem der Solist seine Musikalität und technische Geschicklichkeit unter Beweis stellen kann. Hier verarbeitet er das Tonmaterial, übernimmt die tradierten Modelle und entwickelt seine eigenen. Dieser Teil ist metrisch straff gegliedert und wird von einer Trommel begleitet. Die Ausführung schließt mit einem schnellen, virtuosen Teil, in dem es häufig zum Wettstreit zwischen Solist und Trommler kommt. Neben der zuvor besprochenen Kunstmusik, die immer nur von Angehörigen gehobener Kasten ausgeführt wird und gebildeten Kennern verständlich ist, gibt es in I. eine weit verbreitete Musik des Volkes. Im Gegensatz zu der relativ einheitlichen Kunstmusik ist sie, entsprechend der ethnischen Vielfalt des Landes, außerordentlich artenreich und bisher nur wenig erforscht. Es fehlt ihr jedes entwickelte und schriftlich fixierte theoretische System, wenngleich gewisse Elemente der artifiziellen Musik Eingang in die insgesamt einfacher strukturierte Volksmusik fanden. Lit.: W. KAUFMANN, The Rigas of North India (Bloomington 1969, 2 1974); J. KUCKERTz, Form u. Melodiebildung der karnatischen Musik Südindiens, 2 Bde. (Wie 1970); P. SINHA, An Approach to the Study of Indian Music (Kalkutta 1970); E. ROSENTHAL, The Story of Indian Music and Its Instruments... (New Delhi 1971); J. KUCKERTZ, Die klass. Musik I.s und ihre Aufnahme in Europa im 20 Jh., in: AfMw 31 (1974); W. KAUFMANN, The Rigas of South India (Bloomington 1976); R. S. GOTTLIEB, The Major Traditions of North Indian Tabla Drumming, 2 Bde. (Mn—Salzburg 1977). CH. AHRENS

INDONESIEN. I. bildet heute eine politische Einheit, weist jedoch eine rassische und kulturelle Vielfalt auf, die in der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung der etwa 3500 Inseln begründet ist. In der vorgeschichtlichen Zeit waren die Sunda-Inseln von austronesischen Volksstämmen bewohnt. Aus zahlreichen Funden (z. B. Bronzetrommeln) kann auf eine intensive Musikpflege geschlossen werden. Wahrscheinlich kannten diese Stämme bereits auch Gongs, Bambusflöten, Mundorgeln und vielleicht Saiteninstrumente. Jedenfalls beeinflußte diese frühe Kultur insbesondere die späteren Hochkulturen auf Bali und Java. So gehen sicherlich das Schattentheater Wayang kulit, bestimmte magische Handlungen, Ritualtänze und Musikpraktiken auf ältere Vorformen zurück, die

Indonesien sich — trotz kultureller und geschichtlich bedingter Unterschiede — auch in anderen, entfernter verwandten Kulturen Südost-Asiens nachweisen lassen. Die Sunda-Inseln waren bereits vor dem 1. Jh. n. Chr. starken Einflüssen aus Indien und China, später aus dem islamischen Arabien und — durch den Kolonialismus der Portugiesen und Holländer — auch aus Europa unterworfen. Die sich aus dieser Vielzahl von Impulsen ergebende Vielfalt ist — gerade in musikalischer Hinsicht — Charakteristikum der heutigen Musikkultur Indonesiens. Die Sundainseln. Sumatra wurde vor allem durch den Islam beeinflußt: dies belegen bestimmte Instrumente, wie z. B. die Schalmei Serunai, die Doppelfelltrommel Rebana, sowie eine Schule für Korangesang. Daneben sind auch Gongs (verschiedener Größe) und andere Trommeln — die vor allem als Begleitinstrumente für das Gesang- und Sprechtheater dienen —, Bambusflöten und (meist 2saitige) Lauten gebräuchlich. Ein ähnliches Instrumentarium findet sich u. a. bei den Volksstämmen im Innern der Insel, den Batak und Menangkabau. Allerdings hat hier die Christianisierung inzwischen einen Traditionswandel bewirkt. — Neben den auf Borneo gebräuchlichen Flöten und Trommeln kennen die Dayaks eine Mundorgel mit 6 Pfeifen (5 Melodietöne und ein Bordun), die auf eine Kalebasse (kledi) montiert sind, und eine große zweisaitige Laute. Die Küstengebiete sind kulturell im Westen und Norden von Malaysia und China, im Süden von Java beeinflußt. So wird in den Sultanaten von Bandjarmasin und Martapura überwiegend Musik für /Gamelan gespielt, wie sie auf Java üblich ist. — Im Süden von Celebes sind die Bugi beheimatet, die für ihre gesungenen Gedichte bekannt sind. Die Sänger begleiten sich dabei auf einem doppelsaitigen Streichinstrument oder auf einer länglichen, zweisaitigen Zither. Die Toradja, im Inselinneren lebend, gebrauchen einsaitige Instrumente mit Resonanzkörpern aus Kokosnuß, verschiedene Flöten und eine Art Schalmei, deren Mundstück aus einem durchstochenen Reisstengel, der offene Schalltrichter aus einem gerollten Bananenblatt besteht. Charakteristisch für die Musik der Torodja sind vor allem bestimmte Begräbnisgesänge. Der christianisierte Norden der Insel hat seine Traditionen z. T. aufgegeben. — Die islamische Bevölkerung der Molukken verwendet Gongs und vereinfachte Instrumente des Gamelan (wie man sie auch im Süden der Philippinen, auf Celebes und Borneo findet), einsaitige Streichinstrumente und Bambuszithern. — Auf der Westseite der Insel Lombok blieben balinesische, im Innern islamische Traditionen erhalten. Bedeutend ist auch die Musiktradition der Bunak auf Timor, die

u. a. den Chorgesang pflegen. Chorgesang — z. T. in großen Gruppen — ist auch auf Flores üblich. Dort findet man bei einzelnen Stämmen besonders schöne Instrumente wie Bambuszithern, Panflöten, einsaitige Streichinstrumente, Xylophone und Gongs. Java. Geschichte. Die kulturelle Entwicklung Javas

entfaltete sich insbesondere nach dem Eindringen indischer Einflüsse und des Buddhismus und Hinduismus zur vollen Blüte. Java wurde — ebenso wie Bali und Sumatra — Schauplatz großer, aufeinanderfolgender Reichsgründungen. Das mächtige Sriwidjaja-Reich unter der Dynastie der Sailendra (bis 927 n. Chr.) brachte u. a. eines der größten buddhistischen Denkmäler der Welt hervor, den Tempel von Borobudur. Aus dieser Epoche sind zahlreiche Gongs und Bronzeinstrumente überliefert; u. a. sind viele Instrumente (Trommeln, Gongs, Zithern, Flöten) auf den Reliefs von Borobudur dargestellt. Zahlreiche hindu-javanische Reiche folgten aufeinander: z. B. das von Padjadjaran (West-Java), das sein eigenes politisches System und seine Kultur bis ins 15. Jh. erhielt, und das kleine, jedoch kulturell wichtige Fürstentum Mataram. Inmitten dieser Reiche war der Kraton, Palast und Hof der hindu-javanischen Könige und Fürsten, ein reges und glänzendes Kulturzentrum. Auf die Epoche des letzten großen Hindureiches Madjapahit (Ost-Java), das über solche prunkvollen Höfe verfügte, gehen einige Gamelan zurück, die noch heute bei den Sultanen von Java eingesetzt oder als besondere Kostbarkeit in den Museen und in den Studios des indonesischen Rundfunks aufbewahrt werden. Der Untergang von Madjapahit um die Mitte des 15. Jh. hängt mit der Vormachtstellung islamischer Fürsten im Zentrum und Westen Javas zusammen, die den Osten eroberten und seit 1518 islamische Sultanate gründeten. — Die Einführung des Islam ließ die Musik- und Tanzpflege, vor allem im Volk, erlahmen; lediglich im Kraton blieben die Traditionen erhalten. Die islamischen Fürsten übernahmen sogar die Gamelan in die Moscheen. Um 1613 gingen die verschiedenen Staaten Javas in die Macht des Sultans Agung über, der sein Reich bis Borneo ausdehnte und Tanz, Theater und dekorative Bildhauerei förderte. Den Holländern gelang es schließlich, auf die Gründung weiterer Sultanate Einfluß zu nehmen, deren Fürsten wiederum ihren eigenen künstlerischen Stil schufen. Noch heute unterscheidet man in Mittel-Java zwei musikalische und choreographische Stilrichtungen: den Stil von Jogjakarta und den von Surakarta. Mit dem schwindenden Einfluß der Sultane ging auch eine kulturelle Veränderung einher. Das Volk kehrte wieder zu der traditionellen Kunst der Kra169

Indonesien ton zurück. Der Kraton von Jogjakarta verfügt noch über 15 Gamelan und fast 70 Musiker und Chorsänger, der von Surakarta noch über etwa 30 Gamelan. Zwei weitere Paläste haben ein bedeutendes Musikleben bewahrt; Pakualaman in Jogjakarta und Mangkunegaran in Surakarta. Auch die Gamelan des indonesischen Rundfunks pflegen chie Musiktradition. Die Studios von Surabaja (Ost-Java) verwenden die Gamelan der Madjapahit-Epoche. Die Gamelan werden vor allem bei Privatfeiern (z. B. Geburt, Hochzeit), bei Dorffesten, Erntezeremonien und bei offiziellen Anlässen gespielt. Auf Java gibt es mehr als 5000 Ensembles, darunter auch solche für Tanz, Schattentheater und Tanztheater. J. BRUNET Instrumente. Kennzeichnend für die javanische Musik sind die Gamelan-Orchester, die gewöhnlich folgende Instrumente umfassen: Saron (Metallophone unterschiedlicher Größe mit 6-7 Lamellen auf einem hölzernen Resonanzkörper), Slentem und Gendèr (Metallophone mit mehr als 7 Tönen über unterschiedlichen Resonanzkörpern), Gambang (mehroktaviges Xylophon), Gong, Kempul (senkrecht aufgehängte Einzelgongs), Kenong, Keluk und Kempjang (waagrecht angeordnete Einzelgongs), Bonang (Gongspiel aus horizontal aufgehängten Gongs), Kendang, Ketipung und Tjiblon (zweifellige Trommeln), Rabäb (zweisaitige Spießlaute) und Suling (Bambusflöte). Hinzu treten mitunter ein oder mehrere Sänger. Die Gesamtzahl der Instrumentalisten beträgt 10-30. Die Funktion der Instrumente und die musikalische Struktur der Stücke lassen sich — z. B. in unser Notationssystem übertragen — folgendermaßen beschreiben: Die Hauptmelodie wird von den Metallophonen Saron und Slentem oktavierend in langen Notenwerten (Halbe) vorgetragen, wobei der Saron panerus die Werte rhythmisch unterteilt, ohne neue Töne hinzuzufügen. Die Metallophone Gendèr sowie die Gongspiele Bonang paraphrasieren das Thema, indem sie es in kleineren Notenwerten umspielen. Dabei bleibt die Bewegungsrichtung der Melodie im wesentlichen erhalten, die Spieler fügen jedoch Zwischentöne ein. Der Gambang unterteilt die Notenwerte noch einmal: aus den Halben der Kernmelodie bzw. Vierteln der Umspielung werden Achtel. Rabäb, Suling sowie die Singstimme führen eine Gegenmelodie zum Hauptthema aus, sind in ihrer Gestaltung jedoch weniger starr auf ein bestimmtes Schema festgelegt als die übrigen Instrumente. Schläge auf die Einzelgongs Gong, Kenong, Kempul, Keluk und Kempjang gliedern größere melodische und formale Abschnitte. Die Trommelspieler geben das Tempo an und markieren die 170

Übergänge von einem Teil des Stückes zum nächsten. CH. AHRENS Tonsystem. Die javanische Musik kennt 2 Skalen: die heptatonische (/Pélog) mit größeren und kleineren Intervallen und die pentatonische (řSléndro) mit fast gleichen Intervallen. In jedem der beiden Systeme gibt es 3 Modi, die řPalet, die einem der 3 Abschnitte der Nacht im Wayang kulit entsprechen. Die Palet unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Lage und sind jeweils um eine Quinte versetzt. An der Lage der Palet können die Musiker den in der Melodie (gending) verwendeten Modus erkennen. Übergänge innerhalb der Patet, auch von Sléndro zu Pélong, sind möglich. Die Melodie wird durch Schläge auf die Gongs Kenong, Keluk und Kendang in Abschnitte gegliedert. Jeder Schlag entspricht einer bestimmten Anzahl von Keteg, der Takteinheit. Die Zahl der Kenong- und KelukEinheiten bildet die Form des Stücks. Im Rahmen des Gending ageng, einer großen Komposition mit Singstimme, hört man zunächst die Bebuka, eine vokale Einleitung, die dem Palet vorstellt, dann den Mérong, einen schnellen Satz, schließlich den Munggah, eine Art große, langsame Durchführung. In den kürzeren Gending sind der Ketawang und der Ladrang, die durch das Verhältnis der Kenong-, Kempul- u. Keluk-Einheiten zueinander bestimmt sind, die gebräuchlichsten Formbildungen. Die Vokalkompositionen enthalten Solopartien für Männer- oder Frauenstimme — die eine freie Melodielinie in einem bestimmten Palet singen — und eine Chorpartie Gerongan (Männer-) bzw. Pesinden (Frauenstimmen), die zur Hauptmelodie des Gamelan fast unisono verläuft. Die Gending mit Gesang dienen gewöhnlich als Begleitung bei Theaterund Tanzdarbietungen. Die javanische Musik ist nicht notiert. Im letzten Jahrhundert wurden jedoch verschiedene Notenschriften (z. B. die KratonRautenschrift) entwickelt als Gedächtnisstützen für melodische und rhythmische Abläufe. Das Padjajaran-Reich im Westen Javas blieb bis ins 15. Jh. politisch unabhängig. Daher konnte sich dort eine eigenständige Musikkultur entwickeln, die in den Zentren Bogor, Bandung und Sumedan bis heute erhalten blieb. Zwei Ensembles sind für diese Region typisch: Katjapisuling, eine Instrumentalgruppe aus einer Bambusflöte mit 6 Löchern, einer 18saitigen Zither Katjapi und einer etwas kleineren 15saitigen Zither Rintjik; die andere Gruppe heißt Gamelan degung und besteht aus 5-7 Instrumenten: darunter ein Kolenang degung (Bonang mit zwei rechtwinklig angeordneten Reihen zu je 7 kleinen Gongs), ein oder zwei Saron, eine Gruppe von 3 Kendang, 2 Gong (große hän-

Indonesien gende Gongs) sowie ein Jengglong degung (Einheit aus 6 hängenden Gongs). Der Gamelan degung enthält bisweilen auch eine Flöte mit 4 Löchern, Suling degung, und ein Ketuk. Das Instrumentalensemble Katjapisuling dient der Begleitung des Tembang sunda, gesungenen Gedichten mit festgelegtem Metrum. Der Tembang sunda gliedert sich in 3 Teile: Papantunan, Djemplong und Rantjang. Die Gedichte werden nach den Systemen des Padalisan gebaut. Diese beruhen auf den traditionellen Sukukata (Vokale am Versende), die den Stil der Gesänge des Tembang, der Lagu-lagu, prägen. Der Gamelan sunda ist ein weiterer javanischer Gamelantyp, der jedoch nach den in West-Java üblichen Skalen und Patet gespielt wird. Typisch für WestJava sind auch die Angklung-Ensembles, die aus Bambusinstrumenten bestehen, die jeweils nur einen Ton erzeugen. Ein Angklung-Orchester kann aus bis zu 60 Instrumenten, die im Sléndro gestimmt sind, bestehen. Bali. Geschichte. Bali befand sich im Lauf seiner Geschichte mehrfach in politischer und kultureller Abhängigkeit von Java. Bali und Java scheinen jedenfalls bis ins 15. Jh. eine im wesentlichen gleiche Kultur gehabt zu haben. Der Einfluß des Islam auf Java zwang im 15. Jh. die letzten Fürsten von Madjapahit zum Rückzug nach Bali. In ihrem Gefolge kamen auch Dichter und Musiker mit. Seit dieser Zeit entwickelte sich eine bis heute wirksame Musikkultur, die sich jedoch eine gewisse Eigenständigkeit Java gegenüber bewahrte, die sich in unterschiedlichen Formen und Klangfarben der Instrumente - z. B. der auf Bali Gong genannten Gamelan - und in der Musikpraxis äußert. Vor allem der Hinduismus fungierte als Traditionswahrer, denn balinesische Kunst ist religiöse Kunst. Die Musiker sind in den Bandjar, den Zentren der dörflichen Kulturarbeit, zusammengefaßt. Instrumente. Die Instrumente des Gong bestehen größtenteils aus Metallophonen, deren Umfang 5 Oktaven umfassen kann. Dazu gehören Gendèr pemugal, Kantil, Djublag, Tjalung und Djegog sowie zwei Bonang, der Reong, der von 2-4 Musikern gespielt wird, und der Terompong, der in der Tempelmusik Lebambatan verwendet wird; ferner hängende Gongs: Gong kempul und Kemong für die melodische Untergliederung, die Melodieinstrumente Rabáb und verschiedene Suling, und schließlich mehrere Trommelarten, die Keni;lang. Zu unterscheiden sind ferner verschiedene Instrumentalensembles: die ältesten heißen Gambuh und bestehen aus Suling gambuh (4-6 großen Flöten), Rabäb und Schlaginstrumenten. Der Gendèr wayang, aus nur 4 Gendèr bestehend, dient als Begleitung für das Theater Wayang wong und für das

Schattentheater Wayang kulit. Der Gong geçié steht den alten javanischen Gamelan am nächsten. Zu diesen Ensembletypen zählen auch die Gong saron, Gambang (mit Xylophonen) und Gong selunding. Eine besondere Tradition hat der alte höfische Gong semar pegulingan. Die älteren Gong sind heptatonisch, der Gong anklung und der Gong kletengan sind tetratonisch abgestimmt, ähnlich auch der Genggong (Maultrommel-Ensemble). Im 20. Jh. entwickelte sich auf Bali ein neuer Stil, der Kebyar, eine Kombination aus Gong gesg und Gong semar pegulingan, der heute überwiegt. Charakteristisch sind plötzliche Tempowechsel, Klanglichkeit und starke Differenzierung von Verzierungen und Dynamik. - Das von dem Maler Walter Spies 1928 (für Touristen) gegründete 7stimmige Vokalensemble (ketjak) wurde auch im Ausland berühmt, blieb für Bali aber ohne Einfluß. Tonsystem. Die Musiktradition Balis wird von einer Generation zur anderen mündlich weitergegeben. Sie ist arm an technischen Begriffen und kennt keine theoretische Fixierung. Jedes Ensemble hat eine eigene Tonskala, eine allgemeinverbindliche gibt es nicht. Die Skalen enthalten 4, 5 oder 7 Intervalle; die improvisierte Musik beruht überwiegend auf der Pentatonik, die mitunter durch Zusatztöne erweitert sein kann. Trotz der unterschiedlichen Stimmungen basieren die Balinesischen Tonleitern - obwohl begrifflich den Balinesen fremd - auf dem Pélog und Sléndro. Aus diesen beiden Skalen ergeben sich die für Bali typischen pentatonischen Systeme Tembung, Selisir, Baro, Lebeng und Sunarèn, deren jeweiliger Grundton aus der heptatonischen Gambuh-Skala stammt. - Die Musik I.s - insbesondere die Javas und Balis - nimmt gerade im Zusammenhang mit der Rezeption außereuropäischer Musik seit dem Ende des 19. Jh. eine besondere Rolle ein. Der Einfluß reicht von der Übernahme isotonischer Skalen, u. a. bei Cl. Debussy, und Klangeffekten (etwa in J. Cages First Construction in Metal) bis zu Experimenten hinsichtlich einer Synthese abendländischer und fernöstlicher Musikpraxis (z. B. bei E. Schoener). Lit.: J. KUNST, Ein musikologischer Beweis für Kulturzusammenhänge zw. I. ... u. Zentralafrika, in: Anthropos 31 (1936); A. STEINMANN, Ober anthropomorphe Schlitztrommeln in I., in: ebd. 33 (1938); J. KUNST, Music in Java, 2 Bde. (Den Haag 1949, 21973); DERS., 2000jährige Gesch. Süd-Sumatras, gespiegelt in ihrer Musik, in: Kgr.-Ber. Luneburg 1950 (Kas 1952); W. DANCKERT, Älteste Musikstile u. Kulturschichten in Ozeanien u. I., in: Zschr. für Ethnologie 77 (1952); H. HUSMANN, Grundlagen der antiken u. orientalischen Musikkultur (B 1961); C. MCPHEE, Music in Bali (Newhaven/Conn.—Leiden 1966, NY 2 1976); E. SCHLAGER, Rituelle Siebentonmusik auf Bali, hrsg. v. H. Oesch (Be 1976) (= Basler Stud. z. Ethnomusikologie); M. HOOD, The Evolution of Javanese Gamelan, I: Music of Roaring Sea (Wilhelmshaven 1980). J. BRUNET

171

Indy

INDY, Vincent d', * 27.3. 1851 Paris, t 2. 12. 1931 ebd.; frz. Komponist. Aus einer alten Aristokratenund Offiziersfamilie stammend, wuchs d'I. bei seiner Großmutter, der Comtesse Rézia d'I., auf, die ihm auch die Anfangsgründe der Musiklehre und des Klavierspiels vermittelte, und in deren Haus viele Künstler verkehrten, u. a. G. Rossini. Später erhielt er dann Klavierunterricht bei A. F. Marmontel und L. Diémer, studierte bereits mit 13 Jahren Harmonielehre bei dem noch jungen A. Lavignac und eignete sich schnell eine umfassende Kenntnis der Werke von Chr. W. Gluck, L. van Beethoven, C. M. von Weber und F. Mendelssohn Bartholdy an; vor allem beeindruckten ihn die Opern G. Meyerbeers und R. Wagners. Nach dem Bakkalaureat begann er zunächst Rechtswissenschaft zu studieren, wandte sich dann aber bald definitiv der Musik zu. Seine ersten Kompositionen schrieb er mit 18 Jahren. 1871 wohnten J. Massenet und G. Bizet in Paris der Aufführung eines Scherzos von d'I. bei und fanden hohes Lob für ihn, der sich nun auch professionell als praktischer Musiker betätigte: als Cellist, als Trompeter, Pauker und Hornist und (seit 1873) als Klavierbegleiter bei der Société Nationale de Musique (1871 von C. Saint-Saëns gegründet). Zur gleichen Zeit studierte er Kontrapunkt und Orgel bei C. Franck und wurde Chorleiter und 2. Dirigent bei den Konzerten von J. É. Pasdeloup, kurz darauf Chorleiter bei den Concerts Colonne und Sekretär der Société Nationale, deren Leitung er 10 Jahre später übernahm. 1876 wohnte d'I. den Eröffnungsvorstellungen der Bayreuther Festspiele bei. Die wichtigsten Werke des folgenden Jahrzehnts, die symphonische Trilogie Wallenstein und Le chant de la cloche bezeugen denn auch deutlich den Wagnerschen Einfluß, sie begründeten aber zugleich den nationalen Ruhm d'I.s, der nun, mit 36 Jahren, als die führende Persönlichkeit einer neuen französischen Komponistengeneration unter dem Zeichen Wagners gilt. In dieser Schaffensperiode zeigt sich erstmals auch in charakteristischer Weise d'I.s Verbundenheit mit der Natur und mit dem Volksleben seines Landes, so vor allem in der Symphonie cévenole; sie beruht weitgehend auf einer volkstümlichen Melodie, die der Komponist selbst im Gebiet der Cevennen gefunden hat. Weiterhin unermüdlich in seinen vielfältigen Aktivitäten im Dienst der Société Nationale, u. a. weltweit als Dirigent eigener Werke und von Werken seiner französischen Zeitgenossen, schuf sich d'I. ein neues Wirkungsfeld in der 1896 (zusammen mit Ch. Bordes und A. Guilmant) gegründeten „Schola cantorum". Sie wurde unter seiner Leitung nicht nur eine renommierte Ausbildungsstätte für Kirchenmusiker und eine der bedeutendsten europäischen 172

Pflegestätten älterer und neuerer Kirchenmusik — u. a. erfuhren hier die Oratorien von G. Carissimi und M. A. Charpentier und Kantaten und Passionen von J. S. Bach ihre französische Wiederbelebung —, sondern auch ein Unternehmen, das erstmals Opern von Cl. Monteverdi wiederaufführte und sich gleichermaßen dem Schaffen zeitgenössischer französischer Komponisten widmete (P. Dukas, A. Roussel, Cl. Debussy u. a. m.). Gleichwohl blieb der kompositorische Elan d'I.s bis an sein Lebensende ungebrochen, er galt in den letzten Jahrzehnten verstärkt auch der Oper, teilweise Wagnerschen Ideen verpflichtet und mit Sujets aus der nordischen Mythologie und Literatur. Zeit seines Lebens war d'I. auch als Mensch eine tief beeindruckende Persönlichkeit; A. Roussel und E. Satie waren seine Schüler. WW: 1) Iaatr.-WW: Für KIv.: Sonate (1908); Thème varié, fugue et chanson (1925); für Org.: Prélude et petit canon (1893); Věpres du Commun des Martyrs (1899). — V. -Sonate (1909); Vc.-Sonate (1926); Trio für Klar., Vc. u. Klv. (1888); Klv.-Quartett a -moll (1878); 3 Streichquartette (1891, 1898, 1930); Chansons et danses (1899) für 7 Blasinstr. — Für Orch.: Trilogie Wallenstein (1885); Legende Sauge fleurie (1885); Variationen Istar (1897); Suite Jour d'été à un montagne (1906); Diptyque méditerranéen (1922); Suite D-Dur ... dans le style ancien (1887) für Trp., 2 Fl. u. Orch.; Choralvariationen für Saxophon mit Orch. (1903); Kon zert für Fl., Vc., KIv. u. Str. (1927). — 2) Vokal-WW: Zahir. geistliche u. weltliche Werke, u.a. die Légende dramatique Le chant de la cloche (nach F. Schiller) für Soli, Doppelchor u. Orch., UA: Paris 1886; Chöre a cap. u. mit Klv.-Begleitung; ferner Volksliedbearbeitungen. — 3) Bibnen-WW: Opéra-comique Attendez-moi sous l'orme, UA: Paris 1882; Actions dramatiques Fervaal, UA: Brüssel 1897 u. L'étranger, UA: ebd. 1903; Drame sacré La légende de St-Christophe, UA: Paris 1920; ferner Bühnenmusik zu A. Alexandre, Karadec, UA: ebd. 1898 u. zu C. Mendès, Médée, UA: ebd. 1898. — 4) Schriften: Cours de composition musicale, 4 Teile (P 1903-50), I u. II/ 1 (1913, 1905, Nachdr. 1948) (zus. mit A. Sérieyx), 11/2, hrsg. v. A. Sérieyx (1930, Nachdr. 1948), III, hrsg. v. G. de Lioncourt (1950); C. Franck (P 1906, 161930, engt. Lo 1910, Nachdr. NY — Gloucester/Mass. 1965); Beethoven (P 1911, engt. Lo 1913, Nachdr. Freeport/N.Y. 1970); R. Wagner et son influence sur l'art musical français (P 1930).

Durch sein kompositorisches Schaffen und durch seine gesamte Tätigkeit erweist sich d'I. als der bedeutendste französische Komponist des späten 19. Jh. vor Debussy und als der Initiator und Träger einer musikalischen Erneuerung, die man in Frankreich als die „nouvelle école française" bezeichnet. Seit seiner frühesten Jugend vielseitig gebildet und interessiert, war er mit vielen berühmten Musikern seiner Zeit bekannt, mit Fr. Liszt, J. Brahms, Wagner, R. Strauss. Er war ein enthusiastischer „Wagnériste", aber kein blinder Gefolgsmann des Bayreuther Meisters, dessen Schaffen und Ideen nicht ohne Einfluß auf d'I. blieben. Sie riefen indes auch starke Gegenkräfte hervor, was u. a. d'I.s mannigfaltige Verwendung der französischen Volksmusik (Symphonie cévenole, Fervaal, Fantaisie sur un vieil air de ronde française) und der Rückgriff auf

Informationstheorie gregorianische Melodik bezeugen. In seiner kompositorischen Technik finden sich harmonische Kühnheiten (z. B. in Mort de Wallenstein) ebenso wie dichte Kontrapunktik und eine differenzierte Rhythmik, die von choraler Geschmeidigkeit bis zur Kompliziertheit unregelmäßiger Rhythmen reicht (z. B. Verwendung von Taktarten wie 8 / 16, 1o/16, 12/16, 14/ 16; 8 /4 = 5 /4 + 3 /4 ). Demgegenüber wirkt d'I.s Melodik oft trocken. In der Orchesterbehandlung, die stark von H. Berlioz geprägt ist, gibt es bei d'I. viele neue und aparte klangliche Wirkungen in einzelnen Instrumentenkombinationen wie im gesamten Orchester. So verwendet er im Chant de la cloche und in Queste de Dieu die Kombination Klavier + Hörner zur Charakterisierung des Glockenklangs, in Fervaal die ungewöhnliche Zusammenstellung Baßklarinette, Kontrabaßklarinette, 8 Saxhörner, 4 Saxophone. Anders als Wagner, der einen orchestralen „Mischklang" bevorzugt, benutzt d'I. häufig einzelne Timbres getrennt und weist damit voraus auf die Orchestration Debussys und vielleicht auch auf den „Spaltklang" in Werken des 20. Jahrhunderts. Im formalen Aufbau seiner Werke fällt die oft dichte motivische Arbeit auf, die in der symphonischen Tradition Beethovens, Wagners und Francks steht. Bei aller Bedeutung d'I.s für die neuere französische Musikgeschichte läßt es sich allerdings nicht übersehen, daß seinen Werken außerhalb Frankreichs, zumal in Deutschland, bis heute kein sonderlich starkes Echo vergönnt ist: möglicherweise eine Folge und ein Symptom der langen Entfremdung zwischen diesen beiden Ländern, die gerade einen so national gesinnten und französischem Volkstum verbundenen Künstler wie d'I. voll treffen mußte.

INFEDELTA DELUSA, L', Burletta per musica von J. Haydn; dt. Titel: /Untreue lohnt nicht.

hat im Bereich der Musik über die /Computermusik hinaus Bedeutung gewonnen. Im Rahmen der I. wird der umgangssprachliche Terminus Information zu einem formalen, quantitativen Begriff präzisiert, während inhaltliche Gesichtspunkte zunächst außer Betracht bleiben. Ermöglicht wird dies dadurch, daß man die Übertragung von Nachrichten auf die einfachste Form der Nachrichtenübertragung, nämlich Ja-Nein-Entscheidungen, reduzieren kann. Dieser Auswahlvorgang mit 2 Möglichkeiten definiert, wenn beide Möglichkeiten gleich wahrscheinlich auftreten, die Maßeinheit für Information: 1 bit. So gelingt es, unterschiedliche nachrichtenübertragende Systeme auf die gleiche formale Weise zu beschreiben. Bei einem Zeichenrepertoire von 12 Tönen und gleichwahrscheinlichem Auftreten aller Töne läßt sich die maximale Information (lI) durch den dyadischen Logarithmus der Anzahl der Möglichkeiten ausdrücken: fI = Id 12 = 3,58 bits. Haben wir es mit nicht gleichwahrscheinlichen Zeichen zu tun, wie es in der Musik überlicherweise der Fall ist, so entsteht für jedes Zeichen ein gesonderter Informationswert, der sich zu einer Gesamtinformation (H) aufsummiert. Diese bleibt im allgemeinen unter dem Maximalwert (I), der für Gleichwahrscheinlichkeit gilt. Eine daraus abgeleitete wichtige Größe ist die „relative Entropie" (R): R = LI (ihr Komplement ist die „relative Informari tionsredundanz" P = 1 — R), während der meist benutzte Absolutwert der Redundanz (Q) sich aus der Differenz der beiden Informationswerte ergibt: Q = 1^I—H (bit/Symbol). Die Methoden der I. haben die zeitgenössischen Komponisten und Musiktheoretiker auf der Suche nach allgemeinen ästhetischen Gesetzen angeregt. So beschäftigten sich Wilhelm Fucks, Joseph Lauter und Walter Reckziegel mit der Analyse von komponierter Musik anhand ihrer notierten Texte auf informationstheoretischer Grundlage. Hermann Rohrer entwarf 1970 ein mathematisches Konzept der musikalischen Stilanalyse. An den materialzentrierten, objektivistischen Ansätzen wurde jedoch zunehmend Kritik geübt; u. a. formulierte Konrad J. Burdach Ansätze zu einer Theorie musikalischer Produktions- und Rezeptionsprozesse in Anlehnung an die Redundanztheorie der Ästhetik von Rul Gunzenhäuser. Diese betrachtet ästhetische Realisation und Konsumation als informationelle und kommunikative Zeichenprozesse und bildet die Grundlage für eine erweiterte Musikästhetik. — /Kybernetik.

INFORMATIONSTHEORIE, Bz. für eine mathematische Theorie der Informationsverarbeitung. Sie

Lit.: W. MEYER-EI'PLER, Statistische u. psychologische Klangprobleme (W 1955) (= die reihe 1); R.C. PINKERTON, Information Theory and Melody, in: Scientific American 194 (1956);

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173

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INGEGNERI (Ingigneri), Marc' Antonio, *um 1547 Verona, t 1.7. 1592 Cremona; it. Komponist. I. war wahrscheinlich ein Schüler von V. Ruffo in Verona und von Cipriano de Rore in Parma. Um 1568 kam er nach Cremona, wurde dort 1576 Praefectus und 1581 Domkapellmeister. I. wurde besonders von Bischof Nicolao Sfondrato, dem späteren Papst Gregor XIV. gefördert. Zu seinen Schülern gehörte Cl. Monteverdi. Seine Madrigale .entsprechen im wesentlichen dem Stil der Zeit, zeichnen sich jedoch durch kühne und ausdrucksvolle Harmonik aus, für die auch die vielstimmigen Sacrae cantiones (1589) mit doppelt und dreifach besetzten Chören ein charakteristisches Beispiel sind. I.s Responsorien galten lange Zeit als Opus dubium von Palestrina; erst Fr. X. Haberl konnte 1877 I.s Verfasserschaft nachweisen. WW: 1) Geistliche WW: 4 Slgen. Sacrae cantiones, für 5 St. (V 1576), für 4 St. (V 1586) für 7-16 St. (V 1589) für 6 St. (V 1591); 2 Bücher Messen für 5 u. 8 St. (V 21573, 1587); Responsoria hebdomadae sanctae, Benedictus & Improperia für 4 St. u. Miserere für 6 St. (V 1588); Hymnen für 4 St. (V 1606). —2) Weltliche WW: 2 Bücher Madrigale für 4 St. (V 2 1578, 1579); 5 Bücher Madrigale für 5 St. (V vor 1572, 1572, 1580, 1584 u. 1587); Madrigale für 6 St. (V 1586); weitere WW in den Sammeldrucken der Zeit. Ausg.: 44 Madrigale für 4-5 St. u. ein Kyrie u. Gloria für 5 St. 1573, in: La musica in Cremona nella seconda meta del secolo XVI..., hrsg. v. G. CESARI — G. PANNAIN (Mi 1939); Responsoria, als Opus dubium in der Palestrina-GA, Bd. 32, hrsg.

1. Laudate Dominum omnes

v. F. X. HABERL (L 1892, Nachdruck Ridgewood/N.J. 1968); 7 Madrigale, hrsg. v. B. HUDSON (Wb 1975) (= Chw 115). Lit.: E. DOHRN, M. A. I. als Madrigalkomponist (Diss. B 1936, Teildruck Hannover 1936); D. ARNOLD, Monteverdi and His Teachers in: The Monteverdi Companion, hrsg. v. dems. — N. Fortune (Lo 1968); M. L. DUGGAN, M. A. I., Motets for Four and Five Voices, 2Bde. (1968) (= Diss. Univ. of Rochester/N.Y.); L. E. BARKER, The Eight Voice Polychoral Motets of M. A. I. (1974) (=Diss. Arizona State Univ.).

INGHELBRECHT, Désiré-Émile, * 17. 9. 1880 Paris, t 14.2. 1965 ebd.; frz. Dirigent und Komponist. I. studierte am Pariser Conservatoire. Seit 1908 dirigierte er am Théâtre des Arts und 1913 am Théâtre des Champs-Élysées. 1920-23 war er musikalischer Leiter der Ballets Suédois, 1924-25 und 1932-33 Musikdirektor der Opéra-Comique und 1945-50 der Opéra. Außerdem dirigierte er 1928-32 die Concerts Pasdeloup und das 1934 von ihm gegründete Orchestre National des RTF seit dessen Bestehen. I. war ein Freund Debussys und wurde vor allem als Interpret von dessen Werken bekannt. Er wirkte an mehreren Uraufführungen mit und leitete die Erstaufführung von M. Mussorgskis Boris Godunow in frz. Sprache. WW: 1) 1nstr.-WW: Zahlr. Klv.-Werke zu 2 u. 4 Händen; Kammermusik, u. a. ein Streichquartett (1945). — Für Orch.: Automne (P 1905); Rapsodie de printemps (P 1910); Sinfonia breve da camera (P 1930); Ibériana für V. u. Orch. (P 1948); symphonische

Suite Ion (1951). — 2) Vokal-WW: Stücke für Chor a cap.; Lieder für SingSt u. Klv.; Tant que Noel durera (1943) für Rezitation, Soli, Chor u. Orch.; Mowgli (1946) (nach R. Kipling) für SingSt u. Orch. — 3) BiiWen-WW: Musikal. Komödie La nuit vénitienne (1908) (nach A. de Musset); — Ballette: El Greco (1920), UA: Paris 1920; Le diable dans le beffroi (1921) (nach E. A. Poe), UA: ebd. 1929; La métamorphose d' Eve (1928); Opéra-ballet Le chéne et le tilleul (1960) (nach La Fontaine). — 4) Schrittes: Comment on ne doit pas interpréter Carmen, Faust et Pelléas (P 1933); Mouvement contraire, souvenirs d'un musicien (P 1947); C. Debussy (P 1953); Le chef d'orchestre parle au public (P 1957).

INITIUM (lat., = Eingang, Anfang). Im Gregorianischen Gesang typisierte Anfangsfloskel einer Melodie, eines zu wiederholenden Melodieabschnitts oder eines Psalmtons. Das I. findet sich insbesondere bei Wechselgesängen, wo es das Anknüpfen an den Schluß (Finalis) eines vorausgehenden Gesangteils erleichtert. Das I. legt zugleich die Tonart fest. In der Psalmodie — mit Ausnahme der Psalmodie der Cantica Magnificat und Benedictus (>'Canticum) — wird das I. nur zum ersten Vers gesungen, die folgenden Verse beginnen mit dem Tenor. Beispiel für den 5. Psalmton:

gentes: laudate eum

omnes populi.

2. Quoniam confirmata est super nos et veritas Domini manet in se - ternum. misericordia ejus:

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Instrument IN NOMINE. Titel zahlreicher Instrumentalstücke englischer Komponisten des 16.-17. Jh. für Violenensemble (řConsort), auch für Tasteninstrumente oder Laute. Der Name verweist auf einen Abschnitt im Benedictus der Messe Gloria tibi Trinitas von J. Taverner, wo zu den Worten „in nomine Domini" die chorale Antiphon Gloria tibi Trinitas (Vesper vom Fest der Hl. Dreifaltigkeit) als C.f. in langen Notenwerten erklingt. Dieses Stück und seine instrumentalen Übertragungen wurde in der Folgezeit, losgelöst von der liturgischen Verwendung, zum Modell für die I.n.-Kompositionen, denen in der Regel die genannte Melodie ebenfalls als C.f. oder — seltener — als Sogetto für kontrapunktische Verarbeitung zugrunde liegt. Meist sind diese Kompositionen mehrteilig und enthalten kontrastierend imitatorische und homorhythmische Abschnitte. Nur wenige Werke mit dem Titel I.n. zeigen keinen Zusammenhang mit der I.n.-Melodie. I.n.-Kompositionen schrieben fast alle englischen Komponisten der 2. Hälfte des 16. und des 17. Jh., vor allem Chr. Tye, ferner J. Bull, R. Whyte, O. Gibbons und H. Purcell. Eine wichtige Quelle für die Gattung ist das Mulliner Book (um 1555). Auf ein I.n. von Bull greift R. Strauss in Die schweigsame Frau zurück, um das englische Kolorit dieser Oper auch musikalisch auszudrücken. Ein der älteren englischen Musik nachempfundenes I.n. findet sich in der English Suite von A. D. Bush (1945-46). Lit.: E. H. MEYER, English Chamber Musik (Lo 1946, 2 1951, Nachdr. NY 1971), dt. Übers.: Die Kammermusik Alt-Englands (L 1958); G. REESE, The Origin of the English „I. n.", in: JAMS 2 (1949); R. DONINGTON - TH. DART, The Origin of the I. n., in: ML 30 (1949); D. STEVENS, The Mulliner Book. A. Commentary (Lo 1952); G. REESE, Music in the Renaissance (NY 1954, revidiert 1959).

IN SEINEM GARTEN LIEBT DON PERLIMPLÍN BELISA, Vier Bilder eines erotischen Bilderbogens in der Art eines Kammerspiels von Federico García Lorca (1898-1936) in der dt. Nachdichtung von Enrique Beck, Musik von Wolfgang Fortner (* 1907). UA: 10.5. 1962 in Schwetzingen unter W. Sawallisch. Der 50jährige, sehr kultivierte Don Perlimplín läßt sich in die Ehe mit der jungen, begehrenswerten Belisa (der Personifizierung des genuinen weiblichen Sexus) drängen. Deren Körper will er „auf dem Wege zum Sexus durch den Sexus" (E. Beck) beseelen, indem er — unerkannt — als schöner, feuriger Jüngling erscheint und in dessen Gestalt bei einem Rendezvous in seinem Garten Belisa liebt. Die tragische Komödie erreicht ihren Höhepunkt, als der scheinbar gehörnte Gatte den von Belisa geliebten Unbekannten — sich selbst — ersticht und in

ihren Armen sterbend erklärt: „Ich bin meine Seele, und du bist dein Leib." — In der Komposition folgte

Fortner weitgehend den Bühnenanweisungen des Originaltextes. Das musikalische Material geht auf eine Zwölftonreihe zurück, die für jedes Bild eine spezifische Permutation erfährt. Das sparsam besetzte Orchester liefert mit Harfe, Celesta, Vibraphon, Gitarre und Cembalo (hinter der Bühne) häufig die der Situation angemessene „silbrige" Klangfarbe. Das kurze Vorspiel zu diesem Werk, das dem wiederentdeckten Typus der Opera semiseria angehört, wird von dem im Villanellenstil für 5st. Kammerchor geschriebenen Titel der Oper umrahmt. K. LANGROCK INSTRUMENT. Ein Werkzeug, das die menschliche Stimme sowie die Laute der Natur nachahmt, ergänzt, verstärkt, verfremdet, um mit Hilfe von Tönen, Klängen und Geräuschen eine über die verbale und gesungene Kommunikation hinausreichende Verständigungs- und Signalfunktion zu erzielen. In den Kulturen der Frühzeit und der Naturvölker dienten bzw. dienen Schallgeräte und Klangwerkzeuge dazu, um als Verkörperung von Geisterstimmen die Gegenwärtigkeit übersinnlicher Wesen zu bezeugen, durch abschreckende oder anlockende Wirkungen des Schalls Geister abzuwehrenoder anzuziehen, Anbetung und Lobpreis zu verstärken und — als religiöses Signal — kultische Abläufe zu regeln. Die Begründung und Verwendung der I.e liegt in religiös-magischen Vorstellungen: im Mythos, im zauberischen Ritual, in der Kulthandlung. Ethnische Gruppen und Völker, die irrealen jenseitigen Mächten (Geistern, Dämonen, Göttern) eine schicksalhafte und diesseitige Wirkung beimessen, glauben und vertrauen auf die existenzsichernde Anwesenheit der mythischen und persönlichen Vorfahren, der in den Schöpfungsepen tradierten Urzeitgestalten und Kulturbringer. Zum kultischen Nachvollzug dieses Geschehens, das eine Verbindung und Identifikation mit den Gestalten und Mächten der Vergangenheit ermöglicht, gehört auch der Schall der Geisterstimmen-I.e zur realen und vernehmbaren Vergegenwärtigung dieser Wesen. Prototyp eines solchen Geisterstimmengerätes ist das Schwirrholz, ein flaches, längliches Holzbrettchen, das an einer Schnur um den Kopf gewirbelt wird, sich zusätzlich um die eigene Achse dreht und durch diese Doppelbewegung ein charakteristisches Summen hervorbringt. Dieses im europäischen Raum in jüngerer Zeit zum Kinderspielzeug denaturierte I. dient in außereuropäischen Kulturen als zentrales Objekt kultischer Handlungen und wird an geheimen, verborgenen Orten aufbewahrt; 175

Instrument

Nicht-Eingeweihten ist oft unter Androhung der Todesstrafe verboten, solche heilige Klangwerkzeuge auch nur anzusehen. Neben dem Schwirrholz dienen häufig — in unterschiedlich gestimmten Paaren — Längs- und Querflöten, Schlag- und Stampfwerkzeuge, Reibtrommeln und Reibhölzer als Verkörperung urzeitlicher Wesen, mythischer Zwillinge, Geschwisterpaare oder Ehegatten. Im Rahmen eines zauberischen Rituals bewußt erzeugte Klänge sollen in kritischen Phasen menschlichen Lebens oder der Gesellschaft übernatürliche Mächte ansprechen — gewissermaßen aus der Vorstellung, daß Musik die Sprache der Götter sei. Fest davon überzeugt, Geister beeinflussen zu können, vertraut der Mensch auf die lockenden, schreckenden und berauschenden Wirkungen des Schalles durch Lärminstrumente: Glocken, Gongs, Trommeln, schreckende Hörner und schrille Pfeifen erklingen bei Gewitter und Sturm, bei Erdbeben, Mond- und Sonnenfinsternis, zur Austreibung von Krankheits- und zur Abwehr von Totengeistern. Da nicht jeder Mensch die Gaben und Kräfte besitzt, um mit Geistern umgehen zu können, beauftragt die Gruppe Spezialisten (Schamanen, Medizinmänner, Zauberer, Priester) mit dem Vollzug der Unheil abwendenden Riten. Damit werden Schallgeräte und Musik-I.e zum individuellen Vorbehaltsgut jener Professionisten, die im Rahmen magisch-kultischer Handlungen den Kontakt des Menschen zu den unangreifbaren Mächten herstellen. Nur der Schamane ist bei den sibirischen Jakuten imstande, mit einer Rahmentrommel Geister zu rufen oder diese sogar im Inneren seiner Rassel gefangenzusetzen. Der Einfluß des Schalles veranlaßt die übersinnlichen Mächte, sich in einer für den Menschen bzw. die Gesellschaft günstigen Art und Weise zu verhalten. Auch in den Universalreligionen ist Kult (Gottesdienst) nicht ohne Musik denkbar. Die erhobene (rezitierende, singende) menschliche Stimme wird dabei vielfach von Musik-I.en verstärkt (jedoch ist z. B. die christliche Kultmusik — zumindest seit ihrer Verschriftlichung — wesenhaft Vokalmusik). Auf Relikte magischen und zauberischen Denkens weist die Tatsache hin, daB Schall und Klang den Kultort von bösen Geistern zu reinigen vermögen; Glocken, Gongs, Schneckentrompeten, Trommeln, Flöten und Schalmeien rufen in Tempeln, Klöstern und Kirchen zum Gebet, sie erklingen zur Ehre oder im Namen der Gottheit und haben die Aufgabe, den Ablauf der kultischen Handlung zu gliedern. Musik-I.e sind also primär nicht allein körperliche Dinge, wie Waffen oder Gefäße, sondern sie erzeugen durch den Klang, den der Mensch mit ihrer Hilfe hervorbringt, eine seelische Wirkung — und 176

sie beeinflussen dadurch den Bewußtseinsinhalt des Menschen. Die Absicht ist daher anfänglich keine ästhetische: schrille, grelle oder dumpfe, brummende und heulende Töne werden bevorzugt. Wie in der Geschichte der Kunst allgemein, so vollzog sich im Laufe der europäisch-abendländischen Kulturentwicklung auch die Lösung der MusikI.e aus der kultischen, sozialanthropologischen Zweckbestimmung und Gebundenheit. Was an Saiten-, Blas- und Schlag-I.en in der europäischen Musik benutzt und ständig verfeinert wurde bzw. wird, ist in Naturvolk- und älteren Hochkulturen bereits vorgegeben (davon ausgenommen sind selbstverständlich elektronische Apparaturen). Aus magisch-religiösen Geräten wurden allmählich Vermittler sinnlich-künstlerischen Genusses. Im freien, absoluten musikalischen Kunstwerk ordnete sich der Musiker mit seinem Tonwerkzeug den Ideen eines (weltlichen) Schöpfer-Genies unter. Die Entwicklung vollzieht sich fortan innerhalb einer Dreiecksbeziehung: Komponist, Spieler, Instrumentenbauer, die einander wechselseitig befruchten und zu spezifischen Leistungen drängen. Andererseits wird das Musik-I. außerhalb des professionellen Musikbetriebes zum Spielzeug der „Hobby-Kultur". Mit dem Bau, der Entwicklung und der Verwendung der einzelnen I.e beschäftigt sich die /Instrumentenkunde. Internationale Verbände von Forschern und Musikern widmen sich Fragen einzelner

I.e bzw. I.en-Gruppen (auch Volksmusik-I.en). Dagegen ist ein sozialanthropologischer Ansatz, wie ihn Curt Sachs formulierte bzw. für die außereuropäischen Völker und bis in das europäische Mittelalter hinein ausarbeitete, seit den 30er Jahren kaum weitergeführt worden. Auf seiten der Medizin (A. Greither, E. Kern) und der Ethnologie (U. Ramseyer) erfolgten dazu in jüngster Zeit Anstöße, auch eine kulturethnologisch orientierte biologische Anthropologie ist am Mensch-Musik-Verhältnis interessiert (B. Hassenstein). Eine Musikanthropologie, wie sie A. Merriam in den USA und W. Suppan in Europa vorschlagen, ist als interdisziplinäre Gemeinschaftsarbeit der genannten und weiterer Fächer denkbar. Lit.: O. ZERRIES, Das Schwirrholz (St 1942); F. BOSE, Musikal. Völkerkunde (Fr 1953); H. FISCHER, Schallgeräte in Ozeanien (Str — Baden-Baden 1958); R. HAMMERSTEIN, Die Musik der Engel. Unters. z. Musikanschauung des MA (Be — Mn 1962); S. MARCUSE, Musical Instruments. A Comprehensive Dictionary (NY 1964); A. P. MERRIAM, The Anthropologyof Music(Ch 1964); U. RAMSEYER, Klangzauber. Funktionen außereuropäischer Musikinstr. (Bas 1969); D. EVANS, Afro-American One Stringed Instruments, in: Western Folklore 29 (1971); H. HIMMELHEBER, Masken, Tänzer u. Musiker der Elfenbeinkünste (Gö 1972); A. GREITHER, Anthropologie der Musikinstr., in: Kulturanthropologie. Neue Anthropologie 4, hrsg. v. H.-

Instrumentation G. GADAMER — P. VOGLER (St — Mn 1973); W. W1ORA,

Ergebnisse u. Aufgaben vergleichender Musikforsch. (Da 1975); CH. KADEN, Hirtensignale. Musikal. Syntax u. kommunikative Praxis (L 1977); W. SUPPAN, Werkzeug, Kunstwerk, Ware. Prolegomena zu einer anthropologisch fundierten Musikwiss., in: Musikethnologische Sammelbände 1 (1977); DERS., Anthropologie der Musik (Mz 1980). — /Instrumentenkunde. W.

SUPPAN

INSTRUMENTALES THEATER /Musiktheater. INSTRUMENTATION (engl. u. frz.: orchestration; it.: orchestrazione). Seit Beginn des 19. Jh. (u. a. bereits von H. Chr. Koch im Kurzgefaßten Handwörterbuch der Musik, 1807, und von E. Th. A. Hoffmann 1810 in der Rezension der 5. Symphonie von L. van Beethoven gebrauchte) Bz. für die Verteilung der Stimmen eines musikalischen Satzes auf die Instrumente des Orchesters, bald auch für die handwerklich-technische wie die

ästhetische Seite der Gestaltung des Orchesterklanges. Versuche, einen terminologischen Unterschied zwischen I. und /Orchestration oder gar zwischen I. und Instrumentierung zu definieren, müssen als mißlungen angesehen werden. Der Begriff der I. setzt zu seiner sinnvollen Verwendung bestimmte Gegebenheiten des musikalischen Satzes voraus, sollte also nicht unreflektiert über die Musikgeschichte ausgedehnt werden; er ist nur anwendbar auf Musik, deren in der Instrumenten-Vorzeichnung fixierte Klanggestalt Strukturelement ist, ohne die Tonhöhen an struktureller Bedeutung zu übertreffen. Für die Musik der Generalbaßzeit und früherer Epochen sollte daher von Besetzung, allenfalls von Instrumentenver-wendung gesprochen werden, für die Musik des 20. Jh. bietet sich der Begriff Klang(farben)komposition an. Seinem Ursprung in der Kompositionslehre des beginnenden 19. Jh. verdankt der Begriff I. eine normative Grundtendenz, die sich auch bei wertfreier Beschreibung historischer Typen von Orchestersatz nicht gänzlich eliminieren läßt. Während die Lehrbücher des 18. Jh. nur diejenigen Instrumente behandelten, die — wie Klarinetten und Hörner — durch ihre Spieltechnik den Komponisten Schwierigkeiten bereiten konnten, entwickelte sich zu Beginn des 19. Jh. die Gattung der I.s-Lehren, als deren Paradigma Hector Berlioz' Grand Traité d'instrumentation et d'orchestration modernes (P 1844) angesehen werden kann. Die Entwicklung der 1.s-Lehren korrespondierte mit einem Wandel kompositorischer Praxis in diesem Jahrhundert: Während der Komponist des 18. Jh. normalerweise seine Erfahrungen innerhalb des Orchesterverbandes machte, begann im 19. Jh. die Tradition des Komponierens „am Klavier", die die Komponisten

dem Orchesterapparat entfremdete, umfassende Lehrwerke also notwendig machte. Aufgrund der zunehmenden Funktionenteilung und der steigenden Komplexität des Orchestersatzes entwickelte sich die Notationsform des /Klavierauszuges als Medium der Konzeption und Einstudierung von Orchestermusik. Einzig von der Reduktion des Orchesterklanges auf die „neutrale" Gestalt des Klavierauszuges her ist die Funktion des Instrumentierens im musikalischen Schaffensprozeß verständlich; auch wenn die Interdependenz von Tonhöhenstruktur (= Klavierauszug) und Klangimagination immer wieder betont wurde, muß doch der Vorgang des Instrumentierens als „Einkleidung" einer gegebenen Tonhöhenstruktur in ein möglichst vorteilhaftes Klanggewand verstanden werden. Der in diesem Vorgang begründete Schematismus, der sich bereits in der Orchestermusik des frühen 19. Jh. vorbereitete, wurde nach Aufspaltung der Musik in werkhafte und Gebrauchsmusik von der Sphäre der Gebrauchsmusik begierig usurpiert; die Zusammenstellung der I.s-Lehren läßt erkennen, daß sich das Schwergewicht an Publikationen zunehmend zur Gebrauchsmusik hin verlagerte, da die Ansprüche an die Individualität der Werke in der Kunstmusik schon zu Beginn des 20. Jh. eine I., die als lehrbares Verfahren gehandhabt werden konnte, nicht mehr zuließen. Eine Rekonstruktion der Geschichte des Komponierens mit Instrumenten, die die Rolle der Instrumente bei der Konstituierung des musikalischen Sinnes zu untersuchen wünscht, hat auszugehen von den strukturellen Bedingungen des musikalischen Satzes und von dem vormusikalischen Horizont instrumentaler Semantik, der sich — lange vor dem Gebrauch der Instrumente zu orchestralen Zwekken — in der Lebenswelt bildete. Einzelne Instrumente besaßen schon während des Mittelalters einen genau definierten Verwendungshorizont, der sich assoziativ mit dem Instrumentalklang verband. Die soziale Zuordnung dieser Instrumente (z. B. Trompete — König; Horn —Jäger; Schalmei — Hirte), die ihren deutlichsten Ausdruck in den zunftartigen Standesorganisationen der Musiker fand, lieferte bei szenischer Verwendung der Instrumente das Strukturschema für ihren Einsatz. Es kann daher nicht überraschen, daß bei der Ausbildung fixierter Besetzungen derjenigen Musik eine Pionierfunktion zufiel, in welcher die assoziativen Inhalte des Instrumentariums auch präsent waren; so erklärt sich die Vorrangstellung szenischer Musik bei der Erweiterung der Instrumentalbesetzungen, die bis zum Ende des 19. Jh. andauerte. Der Vorschlagscharakter der Besetzungsangaben in der Musik des 16. Jh. — der sich schon in der häufigen 177

Instrumentation

Vorschrift „per cantare o sonare con ogni sorte di strumenti" spiegelt — wich in den überlieferten Besetzungsangaben der Florentiner Intermedien (am besten dokumentiert zu La Pellegrina, Fi 1589) einer protokollarischen Aufzählung der mitwirkenden Instrumente, häufig unter namentlicher Nennung der Spieler. Obwohl mit dieser Erwähnung keine direkte Vorschrift für zukünftige Aufführungen verbunden gewesen sein kann — da es sich um einmalige Festaufführungen handelte —, fixierten diese Listen mitwirkender Instrumente immerhin die Intentionen der Komponisten; schrittweise etablierten sich typisierte Zuordnungen von Instrumenten und Affekten oder szenischen Personen. Die Forderung, die begleitenden Instrumente gemäß dem Affekt des Sängers zu wechseln (A. Guidotti in der Vorrede zu E. de' Cavalieris Rappresentazione di Anima e di Corpo, 1600), kann geradezu als Motto der Instrumentenverwendung in der Oper des Generalbaßzeitalters angesehen werden. Durch das Anknüpfen der frühen Oper an die Kompositionstechnik der generalbaßbegleiteten Monodie in der řCamerata Fiorentina wurde die semantische Ordnung des Instrumentariums überformt durch die erste kompositionstechnische Ausdifferenzierung: die Einteilung der Instrumente in /Fundament- und Ornament -Instrumente (A. Agazzari, 1607; M. Praetorius, 1619). Während in den Intermedien vielstimmige Kompositionen instrumental und vokal zugleich erklangen, wobei die Notwendigkeit der Gegenwart aller Sänger und Instrumentalisten auf der Bühne die Möglichkeiten szenischer Illusion stark einschränkte, führten die räumliche Trennung von Handlungsraum und Instrumentarium sowie die funktionale Trennung von Gesang und Begleitung in der frühen Oper zu stärkerem Hervortreten des Instrumentalklanges. Die Ornamentinstrumente folgten etwa den Verwendungsregeln, die sich im Schauspiel (Bühnenmusik) und in den Intermedien etabliert hatten, die Akkordinstrumente der B.c.-Gruppe dagegen wurden häufig nach klanglichen Erwägungen gewählt; zwischen einer die Singstimme hinreichend stützenden Klangfülle und der Forderung nach Textverständlichkeit war ein Mittelweg zu finden. Es entwickelte sich die bis zum Ende der Generalbaßzeit relativ stabile Continuogruppe aus tiefen Streichinstrumenten, Fagotten, z. T. Posaunen u. Akkordinstrumenten in verschiedenen Lautstärkegraden; das leisere Register wurde im 17. Jh. von Zupfinstrumenten und Gamben repräsentiert, die nach der Entstehung des standardisierten Streicherkörpers aus Violininstrumenten allmählich aus dem inzwischen formierten Orchester verschwanden. Die folgende Liste der in Cl. Monteverdis 178

Orfeo (1607) mitwirkenden Instrumente — repräsentativ für die Maximalbesetzung einer Festaufführung der frühen Oper — umfaßt kein standardisiertes Ensemble, so daß von „Orchester" noch nicht gesprochen werden kann: 2 Gravicembali, 2 Kontrabässe, 10 Violininstrumente, 1 Harfe, 2 Violini piccoli, 3 Chitarronen, 2 Orgeln, 3 Baßgamben, 5 Posaunen, 1 Regal, 2 Zinken, 1 Piccolo -Blockflöte, 4 Trompeten, Cistern. Vor allem in Venedig, wo seit 1637 regelmäßige Opernaufführungen stattfanden, entwickelte sich in der Folgezeit eine orchestrale Normbesetzung, die sich auf einen standardisierten Streicherkörper stützte; im Italien des 17. Jh. entstand der 4st. Normalsatz für Streicher, während sich in der französischen Oper des 17. Jh. Fünfstimmigkeit durchsetzte. Da die Satztechnik der Opern J.-B. Lullys aber auf einem AuBenstimmensatz beruht, bedeuteten die Mittelstimmen wenig mehr als eine Ausarbeitung der im Generalbaß fixierten Harmoniefolge; zwischen 1700 und 1720 vollzog sich daher auch in Paris der Wandel zur Vierstimmigkeit —durch einfaches Weglassen einer Stimme. Durch die institutionelle Stabilität der königlichen Ensembles, die zudem nicht den wirtschaftlichen Beschränkungen der auf Gewinnbasis arbeitenden venezianischen Operntheater unterlagen, konnte J.-B. Lully in seinen Opern einen vollständig durchgebildeten Orchestersatz schaffen, der nur die Abfolge von Fünf- und Dreistimmigkeit (selten Vierstimmigkeit) kannte; mit der Stimmenzahl verband sich jeweils zwingend eine bestimmte Besetzung. Mitwirkung der in reichlicher Zahl vorhandenen Blasinstrumente (Oboen, Fagotte; Flöten, seltener Trompeten) war an die Außenstimmen gebunden, mit Ausnahme des Triosatzes, der dem Ensemble der Doppelrohrblattinstrumente vorbehalten war. Die für das Orchester der Wiener Klassik und Vorklassik konstitutive Gegenüberstellung von solistischen Bläserstimmen und chorisch besetzten Streichern kannte das Orchester Lullys noch nicht. Der entscheidende Schritt zur Konstituierung des heute als Orchester bezeichneten Instrumentalensembles — der Name bezeichnete ursprünglich den Raum vor der Bühne im Operntheater, wurde aber zwischen 1680 und 1700 auf das dort spielende Ensemble übertragen — geschah nicht durch Vermehrung der Instrumente, sondern durch deren Reduktion, die eine satztechnische Differenzierung ihrer Funktionen ermöglichte. Im Orchester der italienischen Oper hatte sich um 1700 der Schrumpfungsprozeß vollzogen, der vom typenreichen „Zufallsorchester" der Intermedien zur stabilen Formation des Streicherensembles mit einzelnen hinzugefügten Bläsern führte; der in den Opern A. Scarlattis

Instrumentation

verbreitete Typus der „Trompetenarie", eine häufig mit Herrschern assoziierte Besetzung, verlangte neben der Singstimme eine Trompete, schwach besetztes Streichorchester und Basso continuo. Durch die verbreitete Colla parte-Führung der Mittelstimmen im Streichersatz — Violinen unisono, Viola in der Oberoktave mit dem Baß — konnte der Orchestersatz im Extremfall auf 2 reale Stimmen reduziert werden. Aus diesem Satzgerüst entstand im Laufe des 18. Jh. das Orchester durch Normierung einer chorischen Streicherbesetzung und durch satztechnische Funktionalisierung der paarweise angeordneten solistischen Bläser — im Normalensemble der Opernsinfonia traten um 1740 zwei Oboen und zwei Hörner (oder Trompeten mit Pauken) zum Streichersatz. Die satztechnische Differenzierung der Parte — d. h. die allmähliche Auseinanderentwicklung der Streicher- und Bläserstimmen — muß begriffen werden als Produkt zweier widerstrebender Tendenzen: Die allgemeine Steigerung der spieltechnischen Anforderungen verlieh einem Instrumentalpart einen genau auf die Möglichkeiten des jeweiligen Instruments zugeschnittenen Charakter; die Intention dagegen, möglichst viele und verschiedenartige Instrumente am Ganzen teilhaben zu lassen, zwang zur Anpassung an eine allgemeine Struktur der Instrumentalmusik. In dem Maße, in dem z. B. der Part der 1. Violinen spezifische Streicherfigurationen zu enthalten begann — etwa Arpeggien, die für Blasinstrumente außerordentliche Schwierigkeiten bergen —, mußten sich die Bläserstimmen von der Textur der Streicher lösen. Die dabei geübte Vereinfachungspraxis, ursprünglich — wie H. Berlioz es noch 1844 für die Kontrabässe beschreibt — im Belieben jedes einzelnen Spielers, schuf aus einer Orchesterstimme mehrere. Die entstehenden Stimmen waren ursprünglich naturgemäß nicht sehr verschieden; häufig etwa spiegeln Bläserakkorde die immanente Zweistimmigkeit von Violinfigurationen. Hörner und Trompeten dagegen, deren begrenzte Naturtonreihen ein diatonisches Musizieren nur in den höchsten Registern gestatteten, erforderten eine strukturell wesentlich stärkere Vereinfachungspraxis; diese wurde notwendig mit dem schrittweisen Verlust der Clarinotechnik, die den Bläsern in der höchsten Oktave des Gesamtumfangs eine diatonische Tonleiter zur Verfügung gestellt hatte. Daß die — in der Sakralmusik zwischen 1660 und 1760 häufig verwendeten — Posaunen kaum je innerhalb dieses Zeitraumes mit Aufgaben im Orchester betraut wurden, obwohl ihnen doch die chromatische Tonleiter zur Verfügung stand, zeigt deutlich, daß die Entwicklung des vorklassischen Orchesterapparates nicht auf eine Vermehrung des Instrumentari-

ums abzielte, sondern nur auf die Neudefinition der satztechnischen Relationen zwischen einer begrenzten Anzahl von traditionsreichen Instrumenten. Das folgende Schema veranschaulicht die allmähliche Ausdifferenzierung dieses Klangkörpers im Laufe des 18. Jh.: Violine 1/2 (+ Oboe 1/2)

Horn 1/2 (Trompete 1/2) (Pauke) Viola

Basso

Basso

Violine 1/2 Flöte 1/2 Oboe 1/2 Klarinette 1/2 Trompete 1/2 Horn 1/2 Pauken Viola Fagott 1/2 Violoncello Kontrabaß

Die durch Oboen gelegentlich verdoppelte Diskantstimme der Violinen erfuhr eine Auffächerung in 4 Stimmenpaare, die im Orchester der Vorklassik als lagengleich gelten können; waren zu Beginn Alternativbesetzungen lagengleicher Instrumente die Norm — spielten also entweder Oboen oder Klarinetten bzw. Hörner oder Trompeten (bei denen die Identität der Obertonordnung Kriterium ihrer satztechnischen Verwandtschaft war) —, so wurden diese Instrumentenpaare in der zweiten Hälfte des 18. Jh. zunehmend nebeneinander eingesetzt. Zugleich wurden die Spieler, die anfangs durchgängig mehrere Instrumente beherrschten, durch die steigenden spieltechnischen Anforderungen gezwungen, sich auf ein Instrument zu konzentrieren; eine Ausnahme bilden Blasinstrumente, die als Derivate eines Hauptinstruments auffaßbar sind, wie z. B. Englisch Horn und Baßklarinette. Mit der Vermehrung und Standardisierung des Bläserensembles verband sich eine drastische Erhöhung der Zahl der mitwirkenden Streichinstrumente. Die folgende Besetzungsliste (nach Fr. W. Marpurg) veranschaulicht die Stärke des Mannheimer Orchesters im Jahre 1756 — eines Orchesters, dessen technisches Niveau und Orchesterdisziplin in Europa berühmt waren: 20 Violinen, 4 Violen, 4 Violoncelli, 2 Kontrabässe, 4 Flöten, 2 Oboen, 4 Fagotte, 4 Hörner, 12 Trompeten, 2 Pauken. Die relativ zum Violinchor sehr schwache Besetzung der Violen erklärt sich aus der Unselbständigkeit ihrer Parte; hinter der erstaunlichen Zahl von 4 Flöten (gegen 2 Oboen!) dürften sich auch 2 Klarinettisten verbergen, die — da die Klarinetten als neukonstruiertes Instrument nur schrittweise in die Orchester Eingang fanden — in den Besoldungslisten noch mit ihrem Zweitinstrument geführt wurden. Die Zwölfzahl der Trompeter umgreift auch die HoftFompeter, darf also nicht zu der Annahme verleiten, die Trompetenparte seien verdoppelt 179

Instrumentation ausgeführt worden. Auf der Grundlage dieser Orchesterbesetzung, die bis zu Beethovens ersten beiden Symphonien Gültigkeit besaB, entwickelte sich der Orchestersatz der Wiener Klassik; das Orchester Haydns, Mozarts und Beethovens unterschied sich vom Klangkörper der Vorklassik nicht durch ein erweitertes Instrumentarium, sondern allein durch eine erweiterte und verwandelte satztechnische Funktionalisierung der einzelnen Instrumente. Der GeneralbaBsatz, der Bewegungsimpuls und harmonisches Geschehen an eine Stimme (den Baß) als Inbegriff des musikalischen Sinnes bindet, war in dem Orchestersatz der neapolitanischen Oper (L. Vinci, L. Leo, A. Scarlatti, G. B. Pergolesi, N. Jommelli) durch Reduktion des musikalischen Sinnes der Baßstimme ausgehöhlt worden; als primär harmonisch konzipierte Stütze für kantable Melodik verlor der Baß an motivischer Substanz, während die Oberstimme zunehmend an motivisch-thematischer Substanz gewann. Eine variable Funktionalisierung aller Stimmen des musikalischen Satzes entwickelte sich; auch die zwischen Melodie und BaB vermittelnden Stimmen, die zur harmonischen Füllung beitrugen, gewannen an struktureller Relevanz. Das ständige Oszillieren der satztechnischen Funktionen des Gesamtensembles zwischen den verschiedenen Orchesterparten versuchte man durch die Begriffe „durchbrochene Arbeit" und „obligates Accompagnement" zu beschreiben; erst als die zusätzliche akkordische Füllung durch das Tasteninstrument der Generalbaßgruppe längst überflüssig geworden war, weil die Harmonie in den Parten des übrigen Ensembles vollständig repräsentiert war, ließ man — erst gegen 1800 — die Bezifferung der Baßstimme endgültig fort. Im Orchestersatz der Wiener klassischen Musik verschob sich das Medium des musikalischen Sinnes von der konkreten Ebene einer Stimme auf die abstraktere Ebene des harmonisch-metrischen Kádenzgerüstes; innerhalb dieses Kadenzgerüstes erwarben die Einzelstimmen eine bis dahin ungeahnte Freiheit. Da die Kadenzstruktur die Kontinuität des musikalischen Zusammenhanges garantierte, konnten die Instrumentalparte, für sich betrachtet, inkomplett sein; im Orchestersatz der Klassik und Romantik beruht die orchestrale Farbenvielfalt nicht zuletzt auf der Möglichkeit, Stimmen frei ein- und aussetzen zu lassen. Während sich der Kreis der verwendeten Tonarten erweiterte, stellten die Hörner, Trompeten und Pauken die ständige Rückbindung des Satzes an die Haupttonart sicher; entfernte sich der Modulationsplan von der Grundtonart — etwa in Durchführungen — mußten die Naturinstrumente schweigen. Es wäre jedoch falsch, die Funktion der Blechblasinstrumente 180

im klassischen Orchestersatz nur unter dem Blickwinkel des Mangels zu sehen; der Modulationsplan der Sonatenhauptsatzform spielt nämlich jene Möglichkeiten des Ensembles wider, kann als Realisierung der Möglichkeiten und Grenzen des klassischen Orchesters in Gestalt einer Formidee begriffen werden. Während die klassische Orchesterbesetzung im Bereich autonomer Instrumentalmusik erst durch die Symphonien Beethovens Erweiterungen erfuhr (Einführung des 3. Hornes [3. Symphonie], des Kontrafagotts und der Posaunen [5. Symphonie], der Schlaginstrumente [9. Symphonie]), die die Satztechnik wesentlich tangierten und die Orchestertechnik des 19. Jh. vorbereiteten, begannen im Opernorchester diese Entwicklungen schon wesentlich früher. Die Posaunen in Chr. W. Glucks Orfeo ed Euridice (1762), Harfen und Schlaginstrumente in den französischen Revolutionsopern (L. Cherubini, E. N. Méhul, J.-Fr. Le Sueur, G. Spontini), die um 1800 entstehenden Blech-Bühnenmusiken in den Opere serie G. S. Mayrs (banda sul palcoscenico) — sie alle bestätigen die größere „Offenheit" der szenischen Musik gegenüber Einflüssen eines Instrumentariums, das — obwohl existent — nicht nur Normalbesetzung des Orchesters zählte. Die bekannten Erweiterungen des Orchesterapparates im 19. Jh. (u. a. Piccoloflöte, Englisch Horn, Es-Klarinette, Baßklarinette, Kontrafagott, Posaunen, Baßtuba, Harfen und Schlagzeug) vollzogen sich gemäß einem konstanten Schema: Vorhandene Instrumente aus nichtwerkhafter Musik oder aus fremden Musikkulturen drangen — zuweilen nach Adaption von Details ihrer Konstruktion — auf dem Umweg über die Szene in das Opernorchester ein; später, wenn durch Gewöhnung die Symbolfunktion des Instrumentes geschwunden war, ging es ein in die Normalbesetzung des Konzertorchesters. Zu Beginn des 19. Jh. wurde die Existenz einer einheitlichen Orchesterformation freilich noch überlagert durch manchmal zählebige lokale Traditionen der Orchesterbesetzung. Z. B. waren Englisch Hörner in Wien um 1762 (Chr. W. Gluck, Orfeo ed Euridice) und in Venedig um 1794 (G. S. Mayr, Saffo) verbreitete Instrumente, während dieses Instrument 1808 bei seiner Einführung in das Orchester der Pariser Opéra Aufsehen erregte. Bei der Vereinheitlichung der europäischen Orchesterbesetzungen kam jenen Komponisten besondere Bedeutung zu, die im Laufe ihres Lebens in mehreren Ländern wirkten und daher Besonderheiten der Orchesterkultur ihrer Länder weitertragen konnten: Chr. W. Gluck (Deutschland — Italien — Frankreich), G. S. Mayr (Deutschland — Italien), G. Spontini (Italien — Frankreich — Deutschland) und G. Meyerbeer

Instrumentation (Deutschland — Italien — Frankreich). Die Entwicklung der Orchestertechnik und Orchesterkomposition durchlief zu Beginn des 19. Jh. eine zentrale Phase, nicht nur aufgrund der allgemeinen institutionellen Verfestigung der orchestralen Ensembles, die eine erhebliche Steigerung der spieltechnischen Anforderungen möglich machte, sondern vor allem wegen einer grundlegenden Wandlung im Verhältnis der Musik zu den ästhetischen und technischen Bedingungen der Klangproduktion. Drei Gründe waren vor allem maßgebend: 1. In der Musik der französischen Revolutionsoper hatte sich das Verhältnis von musikalischem Satzverfahren und klingendem Ergebnis wesentlich gewandelt; das Erklingende selbst in seiner Wirkung auf die Hörer errang die Stellung einer Kategorie des Komponierens, die Rolle des musikalischen Satzverfahrens als Struktur trat demgegenüber in den Hintergrund. 2. Die romantische Dichtung, vor allem die Lyrik der deutschen Frühromantik, hatte der Klangwahrnehmung (řKlang) ein neues Gewicht verliehen; Musik wurde häufig nicht mehr unter dem Primat der Kompositionsstruktur gehört, sondern einzelne Klänge wurden als isolierte Erlebnisqualitäten rezipiert. Mit bestimmten Instrumenten (Horn) verband sich eine poetische Idee, die als musikalischer Bedeutungsträger assoziiert wurde. 3. Die erste Hälfte des 19. Jh. brachte eine Reihe wesentlicher Veränderungen, die größtenteils noch heute das Instrumentarium eines Symphonieorchesters entscheidend prägen: die Erfindung der Ventile für die Blechblasinstrumente, einschneidende bauliche Verbesserungen an Holzblasinstrumenten, die Entwicklung der Pedalharfe — sowie, allgemeiner, die Tendenz des 19. Jh., anstehende Probleme des Instrumentariums nicht durch Selbstbeschränkung beim Akt der Komposition, sondern durch Erfindergeist zu lösen. Die im Orchestersatz der französischen Revolutionsoper beginnende Suche nach Klangeffekten unterwarf den Orchestersatz des 19. Jh. den Normen einer von Generation zu Generation anspruchsvoller werdenden kompositorischen Technologie und damit dem Zwang zu beständiger klanglicher Innovation. Die zahlreichen baulichen Veränderungen des Instrumentariums, die in erster Linie darauf abzielten, den Orchesterklang als ganzen und innerhalb der einzelnen Gruppen (Holzbläser/Blechbläser) homogener werden zu lassen, wurden unterstützt durch satztechnische Errungenschaften; die mangelnde Verschmelzungsfähigkeit des Oboenklanges im Holzbläserensemble etwa wurde durch zahlenmäßige Vermehrung der Holzbläser und durch eine konsequente Mischtechnik in

solistischen Holzbläserpassagen getilgt. Bedeutete schon das Ideal eines homogenen Orchesterklanges gegenüber der orchestralen Satztechnik der Wiener Klassik eine einschneidende Wandlung, weil an die Stelle durchhörbarer diastematischer Strukturen ein eher diffuses Ideal von Verschmelzungsklang trat, so wurde die Orchesterbehandlung vollends durch die Tendenz revolutioniert, das Orchester als ein einziges Instrument aufzufassen, dessen Farbenreichtum dem Komponisten zu möglichst individueller Nutzung zur Verfügung stand. Ein Beleg für diese Konzeption von Orchesterklang, die die Gemeinschaftsidee des Musizierens im Orchesterverband der Wiener Klassik ablöste, ist die I.sLehre von H. Berlioz; sie entstand in dem historischen Moment, als das Denken in einzelnen Klangereignissen — Kennzeichen jeder I.s-Lehre — mit dem fortgeschrittenen Stand der Musiksprache korrespondierte. Das kompositorische Schaffen von Berlioz spiegelte in seiner wechselnden Popularität den Wandel in der allgemeinen Auffassung von Klangfarbenkomposition; die von Berlioz imaginierten Klangstrukturen konnten erst einem Publikum verständlich werden, das die ästhetische Brüchigkeit des regelrecht Instrumentierten erfahren hatte. Die Aufladung einzelner Klangfarben mit poetischen Bedeutungsgehalten begünstigte die Ausbildung von Klangfarbenstrukturen, die sich im Zeitalter der Forderung nach dramatischer Wahrheit auf der Opernbühne naturgemäß an die dramaturgischen Strukturen der Bühnenwerke anlehnten. Der reine Klang eines Instrumentes oder ein individualisierter Mischklang wurde daher mit einzelnen Personen, Orten oder Handlungsmomenten eindeutig verknüpft — es entstand der „Leitklang", am besten repräsentiert vielleicht durch die Hörner der Freischütz-Ouvertüre (1821) oder durch die düstere Klangchiffre, die C. M. von Weber der Gestalt des Samiel in diesem Werk zuordnete. Unter allgemeiner Steigerung der spieltechnischen Anforderungen wurde die Orchesterbesetzung der Großen Oper und der deutschen romantischen Oper schrittweise bis zur Dreizahl aller Holzbläser vermehrt. Einer dreifachen Holzbläserbesetzung entsprachen normalerweise 4 Hörner, da die Hörner — der traditionellen Einteilung in hohe und tiefe Hornisten wegen — fast nur paarweise vorgeschrieben wurden. In der Partitur von R. Wagners Lohengrin wurden Englisch Horn und Baßklarinette erstmals vollständig in den Bläsersatz integriert; das „Lohengrin"-Vorspiel mit seinen hohen Violinakkorden (die bruchlos mit Holzbläserklängen verschmelzen) und mit der raffinierten Mischtechnik der allmählich hinzutretenden Holzund Blechbläser gibt einen Eindruck von der fort181

Instrumentation

geschrittensten I.s-Kunst um 1850. Die Weiterentwicklung der Wagnerschen Orchestertechnik in seinen späteren Werken, vor allem in Tristan und Isolde und im Ring des Nibelungen, gab den Zeitgenossen ein Modell des orchestral überhaupt Möglichen; erst gegen Ende des 19. Jh. wurde die I. durch die Werke von M. Mussorgski, N. RimskiKorsakow, R. Strauss, Cl. Debussy und M. Ravel um neue Verfahrensweisen bereichert. Durch die Vorrangstellung der Wagnerschen Orchesterbehandlung in der 2. Hälfte des 19. Jh. ist I.sGeschichte für diese Zeit nur möglich als Klassifikation der Einflüsse Wagners — oder der Resistenz gegenüber diesen Einflüssen und gegenüber orchestraler Brillanz überhaupt. Die Orchesterbesetzung des Ring des Nibelungen mag als Beispiel für ein großes Orchester um 1876 dienen — nicht zuletzt wegen ihrer Funktion als Vorbild für die Orchesterhypertrophie in der Musik des Fin de siècle: 4 Flöten (3. und 4. auch Piccolo), 4 Oboen (4. auch Englisch Horn), 4 Klarinetten (4. auch Baßklarinette), 3 Fagotte, 8 Hörner (4 davon alternierend mit 4 Wagnertuben), 1 Kontrabaßtuba, 3 Trompeten, Baßtrompete, 3 Tenorposaunen, Kontrabaßposaune, 4 Pauken, Schlagzeug, 6 Harfen, 16 1. Violinen, 16 2. Violinen, 12 Violen, 12 Violoncelli, 8 Kontrabässe. Durch die Erfindung des „verdeckten Orchesters" im Bayreuther Festspielhaus wird der Klang dieses Ensembles noch zusätzlich einer Korrektur unterzogen: Der Streicherklang steht im Vordergrund, während die Bläser — vor allem das schwere Blech — „ausgeblendet" werden. Zusammen mit der Neukonstruktion einzelner Instrumente (Wagnertuben, Baßtrompete, Kontrabaßposaune) diente die Tieferlegung des Bayreuther Orchesters dem Ziel des Komponisten, eine neue, vollständig autonome Klangwelt nur für dieses Werk synthetisch zu erschaffen. Die Sakralisierung der Kunst, die ihren deutlichsten Ausdruck in der „Kunstreligion" des Fin de siècle fand, stellte derartige Anforderungen an die Autonomie des Einzelwerkes, daß sich in der Orchesterkomposition nach dem Spätwerk Wagners keine Normbesetzungen mehr etablierten. Die Besetzungen des 20. Jh. spiegeln nicht mehr eine satztechnische Struktur, sie repräsentieren die Auswahl aus dem Vorrat existierender Instrumente, mit der der Komponist seine Klangimagination zu realisieren glaubte. Daraus resultierten „unsymmetrische" Orchesterbesetzungen, in denen einzelne Gruppen überwogen, oder Auswahlbesetzungen — bis zum reinen „Sçhlagzeug-Orchester". Während in Deutschland und Österreich zu Beginn des 20. Jh. das Riesenorchester (u. a. R. Strauss, Elektra, 1909; A. Schönberg, Gurrelieder, 1911) dominierte, bedienten 182

sich die verschiedenen „nationalen Schulen" — vor allem die russische und französische Musik — einer anderen Form von I.s-Technik, die nicht in die Sackgasse wuchernder Füllstimmen führte. Die Kompaktheit des Wagnerschen Orchesterklanges rief vor allem in Frankreich eine Gegenbewegung hervor, die die Orchesterpalette des 20. Jh. um wesentliche Klangfarben bereicherte; die I.s-Lehre von N. Rimski-Korsakow formuliert die Maximen dieser I.s-Technik, die auf Klarheit, Durchsichtigkeit und Brillanz abzielte. Die Entscheidung des Autors, nur eigene Beispiele zu besprechen, beleuchtet das Dilemma der I.s-Lehre: Um 1900 entzog sich die Klanggestalt als individualisiertester Teil der Komposition fast gänzlich theoretischer Vermittlung. Das Raffinement der Orchestertechnik des Fin de siècle, die über die strukturellen Aspekte des musikalischen Satzes dominierte, schuf Klänge von erlesener Schönheit, deren Genese hinter dem Schleier einer ausgefeilten instrumentalen Mischtechnik verborgen blieb. R. Strauss' Salome, A. Schönbergs symphonische Dichtung Pelléas et Mélisande und die Opern F. Schrekers mögen für eine Orchestersprache stehen, die den bereits benutzten Klang zugunsten des noch ungehörten verschmähte; daraus resultierte eine Abwehrhaltung gegen die „arrangierten" Klänge der nicht-werkhaften Musik, deren I.s-Lehren immer mehr den Charakter von Rezeptbüchern annahmen. Die Komponisten der 2. Wiener Schule reicherten den schon im Laufe des 19. Jh. mit Geräuschhaftigkeit gesättigten Orchesterklang weiter mit Klängen an, deren Geräuschspektren die Hörempfindung eines distinkten Tones nicht mehr aufkommen ließen; das pure Geräusch als Ausdruckswert bildete einen wesentlichen Bestandteil ihres Komponierens (A. Schönberg, Erwartung, A. Berg, Orchesterstücke op. 6, A. von Webern, Orchesterstücke op. 6). Die kompositorische Emanzipation des Geräusches, an welcher theoretisch auch der italienische /Futurismus, praktisch auch I. Strawinsky und E. Varese wichtigen Anteil hatten, führte die Orchestertechnik des 20. Jh. in eine Aporie, die weder in den zwölftönigen Werken der Wiener Schule noch in den Kompositionen des russischen und französischen Neoklassizismus' ausgetragen wurde: Das pure Geräusch ist der Grenzwert des Klanges, die Negation des Tones; eine Geräuschkomposition kann sich nicht mehr auf den Ordnungsfaktor der Tonrelationen stützen. Daher kehrten — nach der Erweiterung des Erfahrungsraumes durch richtungsweisende Einzelwerke — die meisten Kompositionen nach 1920 zu einer Tonhöhenordnung zurück, der sich die Klangstruktur vollständig unterwarf (strukturelle I.). In der Symphonie op. 21

Instrumentation von A. von Webern etwa ist die Verteilung der Töne auf die Instrumente des Kammerorchesters durch die Reihenstruktur total determiniert, die Klangerscheinung des Werkes wurde damit zur Funktion der Tonhöhenorganisation. Im Gegensatz zu den Werken der Komponisten der Wiener Schule hatte die schematisierte I.s-Technik der Trivialmusik in den Werken G. Mahlers, Ch. Ives', I. Strawinskys, E. Saties und der französischen Neoklassizisten als parodierte Aufnahme in die Kunstmusik gefunden; höchste Klangsensibilität schlug um in das Zitat des Banalen zum Zwecke seiner Entlarvung. Die in den Kompositionen um 1920 allgemein ablesbare Tendenz zum Kammerorchester — Ausdruck des Willens zu größerer Kontrolle über die Satzstruktur — wurde von den Werken des Neoklassizismus mitvollzogen; weniger wegen der größeren Strukturierbarkeit der Kammerbesetzung als wegen ihrer größeren Klangschärfe. Zusätzlich griffen viele Kompositionen zwischen den Weltkriegen Besetzungs- oder Satztypen der Jazz- und Salonmusik auf. Die entstehende Mehrdimensionalität der Instrumentenverwendung löschte die Relikte des einheitlichen Satzverfahrens früherer Jahrhunderte aus; I. degenerierte zur Parodie, wenn sie als Verfahren geübt wurde, und wandelte sich zum Klangdesign, wenn sie als werkhaftes Element der Satzstruktur auftrat. Eine Geschichte des Komponierens nach 1950 — die noch zu schreiben ist — müßte (neben einer Beschreibung zahlreicher spieltechnischer Errungenschaften) darzustellen versuchen, wie die Dichotomie von Geräuschkomposition und Konstruktion im Konzept der — physikalischen — Klangfarbe aufgelöst wurde. Während die instrumentalen Werke in der seriellen Kompositionstechnik auch bei strenger Durchkonstruktion allein durch ihre Besetzung immer noch Züge historischer Klangkomposition tragen — so verweist z. B. P. Boulez' Le marteau sans maître auf die Klangwelt des frz. Impressionismus —, konnte das Zentralproblem der seriellen Musik, die Nicht-Transformierbarkeit der instr. Klangfarben, die als Qualitäten nebeneinander existieren und keiner quantitativen Behandlung zugänglich sind, im Rahmen der elektronischen Musik gelöst werden. K. Stockhausens Komposition Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug unternahm den Versuch, elektronische Transformationen zwischen den verschiedenen Schlagzeugklängen als Struktur erfahrbar zu machen. Auch die extrem dichten Partiturgewebe der „kontinuierlichen" Klangfarbenkompositionen für Orchester (etwa Atmosphères von G. Ligeti) beruhen auf dem Vorbild elektronischer Klangfarbentransformation, wenden dieses aber wieder auf rein instrumentale Ensembles an.

In der Klangkomposition von Clustern von nicht mehr durchhörbarer Dichte, wie sie die Musik der Gegenwart seit etwa 1965 beherrscht, wurden Orchesterklang und Werkidee identisch; die Kategorie der I., angesiedelt im Zwischenbereich von musikalischer Struktur und klanglicher Erscheinung, hebt sich darin selbst auf. — řKlang. Lit.: 1) lnstrumentationslehrbächer: V. ROESER, Essai d'instruction. A l'usage de ceux qui composent pour la clarinette et le cor... (P 1764, Faks.-Ausg. G 1972); L. J. FRANCOEUR, Diapason général de tous les instruments à vent (P 1772); J. G. ALBRECHTSBERGER, Von der Beschaffenheit u. Anwendung üblicher musikal. Instrumente (0.0. 1790); 0. VANDENBROEK, Traité général de tous les instruments à vent à l'usage des compositeurs (P 1794); A. F. CH. KOLLMANN, Essay on Practical Musical Composition (Lo 1799, 2 1812, Nachdr. NY 1973); A. SUNDELIN, Die Instrumentirung für das Orch., oder Nachweisungen über alle bei demselben gebräuchlichen Instr. (B 1828); J. FROHLICH, Systematischer Unterricht in den vorzüglichsten Orch.-Instr. (WO 1829); F. J. Ft-ris, Manuel des compositeurs ou Traité méthodique de l'harmonie des instruments (P 1837); G. KASTNER, Traité général d'i. (P 1837); DERS., Cours d'i., considéré sous les rapports poétiques et philosophiques de l'art (P 1839); H. BERLIOZ, Grand traité d'i. et d'orchestration modernes (P 1843, erweitert 1853, dt. L 1843), bearb. v. R. Strauss (L 1905, NA 1955); F. GLEICH, Hdb. der modernen I. für Orch. u. Militairmusikcorps (L 1853, 4 1903); J. C. LOBE, Lehrbuch der musikal. Komp. II: Die Lehre von der I. (L 1855); F. A. GEVAERT, Traité général d'i. (Gent 1863), erweitert als: Nouveau traité d'i. (P—Bru 1855, dt. L 1887); E. PROUT, I. (Lo 1877), dt. Übers.: Elementarlehrbuch der I. (L 3 1905); F. A. GEVAERT, Cours méthodique d'orchestration (P—Bru 1890); R. HOFMANN, Praktische Instrumentationslehre (L 1893); F. L. SCHUBERT, Instrumentationslehre nach den Bedürfnissen der Gegenwart (L 1903); E. GUIRAUD, Traité pratique d'i. (P 1909); F. MAYERHOFF, Instrumentationslehre (B—L 1909); H. RIEMANN, Hdb. der Orchestrierung (B 1910); N. RIMSKI-KORSAKOW, Osnovy orkestrovki, 2 Bde., hrsg. v. M. O. Steinberg (B— St. Petersburg — Mos 1913, Mos—Leningrad 2 1946, dt. Mos — B 1922, engl. NY 1922, 1964); F. VOLBACH, Die Instr. des Orch. (L 1913); C. FORSYTH, Orchestration (Lo—NY 1918); A. CARSE, Practical Hints on Orchestration (L 1919); E. EVANS, Method of Orchestration (Lo 1926/27); E. WELLESZ, Die neue I. (B 1928/29); W. MERRILL, Practical Introduction to Orchestration and I. (Ann Arbor/Mich. 1937); A.-F. MAREscOTTI, Les instruments d'orchestre, leurs caractères, leurs possibilités et leur utilisation dans l'orchestre moderne (P 1950); B. ROGERS, The Art of Orchestration. Principles of Tone Colour in Modern Scores (NY 1951); CH. KOECHLIN, Traité de l'orchestration I—III (P 1954-1956); W. PISTON, Orchestration (NY 1955); H. KUNITZ, Die I., 13 Bde. (L 1956-61); H. ERPF, Lehrbuch der 1. u. der lnstrumentenkunde (Mz 1959); G. P. S. JACOB, The Elements of Orchestration (Lo 1962); J. BURGHAUSER — A. ŠPELDA, Akustische Grundlagen des Orchestrierens (Rb 1971); J. VIERA, Arrangement u. Improvisation (W 1971); D. SEBESKY, The Contemporary Arranger (Port Washington/ N.Y. 1973). — 2) Studien: F. J. FÉTIs, Des révolutions de l'orchestre, in: Curiosités historiques de la musiques (P 1830); H. LAVOIX, Histoire de l'i. depuis le seizième siècle jusqu'à nos jours (P 1878); E. THOMAS, Die I. der Meistersinger von Nürnberg (Mannheim 1899); H. GOLDSCHMIDT, Das Orch. der it. Oper im 17. Jh., in: SIMG 2 (1900/01); L. A. COERNE, The Evolution of Modern Orchestration (NY 1908); E. BERNOULLI, H. Berlioz als Aesthetiker der Klangfarben (Z 1909); A. SCHONBERG, Harmonielehre (L—W 1911, '1966); H. D. BRUGER, Glucks dramatische Instrumentationskunst und ihre

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INSTRUMENTENBAU, Bz. für die Verfertigung von Schallgeräten (/Instrument). Er umfaßt alle zum Entwurf, zur Berechnung und zur Herstellung von Musikinstrumenten notwendigen Tätigkeiten, sowie die Prüfung des Werkstoffes (Technologie) und die Wartung von Instrumenten (Reparatur, Restauration, Pflege und Umbau). I. als eigenes Handwerk bildete sich im europäischen Spätmittelalter im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung der Instrumentalmusik heraus. Während bis dahin die Verfertigung von Instrumenten Nebenprodukt von in Zünften organisierten Handwerkern, u. a. Tischlern, Drechslern, Malern, Stechern, Gold- und Kesselschmieden war, wurde der I. nun von eigens dafür spezialisierten Berufsgruppen mit z. T. hohen künstlerischen und technischen Ansprüchen getragen. — Innerhalb der abendländischen Instrumentenentwicklung nahm bereits früh der Orgelbau eine besondere Stellung ein. Seit dem 16. Jh. gewann auch der Bau von anderen Tasten- ()Cembalo) und vor allem Saiteninstrumenten (řGeigenbauer) an Bedeutung. In europäischen Ländern war der I. zunächst auf Familienbetriebe beschränkt, aus denen sich später Schwerpunkte des I.s (insbesondere im Geigenbau), in neuester Zeit gar Großbetriebe mit Massenproduktion entwickelten. Eine Spitzenstellung nimmt hier heute das von der abendländischen Musikkultur besonders beeinflußte Japan ein, das daneben seine eigenen Instrumente noch in der tradi-

Instrumentenkunde tionellen und oft langwierigen Weise herstellt. — In den meisten europäischen Ländern sind die verschiedenen Instrumentenbauer heute in Fachverbänden, die nach Fachrichtungen aufgegliedert sind, organisiert, die auch den Vertrieb der Instrumente ihrer Mitglieder im Inland gewöhnlich über Musikalienhandlungen und den Export über ausländische Vertretungen abwickeln. Große Firmen verfügen z. T. über ein eigenes Verkaufsnetz. Für Werbung und Information werden Fachausstellungen, Messen und Kongresse abgehalten. Der Nachwuchs von Instrumentenbauern wird bei großen Firmen im eigenen Betrieb, sonst vom zuständigen Fachverband in speziellen, von ihm errichteten, betriebenen und finanzierten Schulen ausgebildet: u. a. Geigenbau in Markneukirchen und Mittenwald, in Mirecourt (Frankreich) und in Cremona (Italien); Orgel- und Klavierbau in Ludwigsburg; Holzblas-I. in Bubenreuth. Das mit der /Jugendbewegung seit den 20er Jahren erwachte Interesse an älteren Instrumenten bedingte in der letzten Zeit auch den Aufschwung des Baus sog. historischer Instrumente (>'Cembalo, z. B. Neupert in Bamberg seit 1928; /Blockflöten u. a. Holzblasinstrumente, z. B. Moeck in Celle). Lit.: Zeitschriften: Zschr. für I., hrsg v. P. DE WIT (1880-1940): Dt. I.-Zeitung, hrsg. v. E. EUTING (1899-1943); I.-Zschr., hrsg. v. H. MATZKE (1946ff.); Das Musikinstr., hrsg. v. E. BOCHINSKY (1952 ff.). — TH. BERTHOLD — M. FÜRSTENAU, Die Fabrikation musikal. Instr. ... im königlich sächsischen Vogtlande (L 1876); P. KLIPPERS, Ein Beitr. z. Gesch. des Musikinstrumentenmacher-Gewerbes mit besonderer Rücksicht auf Leipzig (Diss. L 1886); H. NIRRNHEIM — V. HECKSCHER — P. DE WIT, Zur Gesch. des I., in: Mitt. des Vereins für hamburgische Gesch. 19 (1898) u. 21 (1900); W. HAENGER, Die Musikinstr.-Industrie (Tü 1919); F. JAHN, Beitr. zur Gesch. des Nürnberger Musik-I.s, Trp.- u. Posaunenmacher im 16.Jh., in: AfMw 7 (1925) (Teildruck); E. JAHN, Die Lage der vogtländischen Musikindustrie ... (Diss. F 1927); R. BETHMANN, Die Versorgung der Welt mit Musikinstr. (Diss. B 1929); E. CLOSSON, La facture des instruments de musique en Belgique (Bru 1935): A. MALECEK, Beitr. z. Gesch. der Wiener Lautenmacher im MA, in: Jb. des Vereins für Gesch. der Stadt Wien 5/6 (1946/47); P. LOUBET DE SCEAURY, Musiciens et facteurs d'instruments sous l'Ancien Régime (P 1949); F. LESURE, La facture instrumentale à Paris au XVI'siècle, in: GalpinJ 7 (1954); W. WORTHMOLLER, Die Instr. der Nürnberger Trp.- u. Posaunenmacher, in: Mitt. des Vereins für Gesch. der Stadt Nurnberg 41 (1955); H.-H. DRÄGER, Die hist. Entwicklung des I., in: Klangstruktur der Musik, hrsg. v. F. Winckel (B 1955); A. LAYER, Die Anfänge der Lautenbaukunst in Schwaben, in: Mf 9 (1956); U. LACHMANN, Die Struktur des dt. Musikmarkts ... (Diss. Tü 1960); L. G. LANG W ILL, An Index of Musical Wind-Instr. Makers (Edinburgh 1960, erweitert 31972); E. NICKEL, Der Holzblas-I. in der Freien Reichsstadt Nürnberg (Mn 1971) (= Schriften z. Musik 8); F. G. BULLMANN, Berliner I. in der 2. Hälfte des 18. Jh., in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980).

INSTRUMENTENKUNDE (engl.: organology; frz.: organologie; it.: organologia; dementsprechend gelegentlich auch dt.: Organologie), Teil-

disziplin der Musikwissenschaft, die den Bau, die Spielweise, den Klang, die Entwicklung, die Geschichte der einzelnen Musikinstrumente sowie deren Stellung und Funktion innerhalb einer Gemeinschaft, eines Volkes oder einer Volksgruppe untersucht. Gegenstand der I. sind sowohl die gegenwärtig gespielten Instrumente der europäischen und außereuropäischen Kulturen als auch Instrumente, die nur, überwiegend oder in anderer Weise in der Vergangenheit gebraucht wurden. Sofern die I. außereuropäische Instrumente bzw. Volksmusikinstrumente untersucht, ist sie zugleich ein wesentlicher Bereich der >'Musikethnologie. Die Erforschung der in der europäischen Mehrstimmigkeit vom Mittelalter bis etwa zum 18. Jh. gebrauchten Instrumente — summarisch oft als „historische Instrumente" bezeichnet — kann auch der /Interpretation und /Aufführungspraxis älterer Musik dienen. Die Verwendung der Instrumente im neueren Solo-, Gruppen- und Orchesterspiel ist nicht so sehr Gegenstand der I., sondern der Kunde von der /Instrumentation. Die Quellen der I. sind: vollständig oder teilweise

erhaltene Instrumente selbst, bildliche Darstellungen in Malerei und Skulptur, Äußerungen über Instrumente und ihre Spieler im musikalischen Schrifttum und in sonstigen Schriften und Dichtungen, in neuerer Zeit Schallaufzeichnungen. In Betracht kommen ferner die Instrumentennamen. Je nach Gegenstand und Aufgabenstellung der Untersuchungen ist die I. auf Methoden verschiedener natur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen angewiesen, so der mathematisch-physikalischtechnischen Disziplinen, der Kunstwissenschaft (/Ikonographie), der Archäologie, der Literaturund Sprachwissenschaft (dabei auch der Etymologie), der Ethnologie, Anthropologie, Psychologie, Soziologie. Die Begründung der I. hängt eng zusammen mit dem Vorhandensein von 7Instrumentensammlungen. Obwohl diese meist unter wissenschaftlichem Aspekt angelegt sind, genügen sie nicht immer in ausreichendem Maß der Musikinstrumentenforschung. Häufig fehlen nicht nur Exemplare historischer Instrumente, sondern die vorhandenen sind lediglich museale Objekte ohne Beziehung zur lebendigen Praxis. Das Sammeln von Musikinstrumenten reicht in Europa bis in die Renaissance zurück. Leider gingen jedoch viele dieser Sammlungen verloren, so daß bis ins 17. Jh. meistens nur noch die Inventarlisten existieren. Bis in diese Zeit stützen sich Untersuchungen im wesentlichen auf schriftliche Quellen, in denen die zu ihrer Zeit verwendeten Instrumente behandelt werden. Für das Mittelalter sind von großer Bedeutung die ikono185

Instrumentenkunde graphischen Quellen sowie die verschiedenen divisiones instrumentorum, die im Rahmen der allgemeinen Musiklehre das Instrumentarium in Blas-, Saiten- und Schlaginstrumente unterteilten. Sie beschreiben oft nicht nur das Instrument, seine Spielweise und seinen Klang, sondern berücksichtigen auch die Stellung der einzelnen Instrumente im Gesamtinstrumentarium. Die Kenntnis der Instrumente des 16. und 17. Jh. verdanken wir vor allem den Schriften von S. Virdung, M. Agricola, M. Praetorius, M. Mersenne und P. Trichet, die größtenteils auch mit Abbildungen von Instrumenten ausgestattet sind (bei Praetorius z. B. mit genauen technischen Zeichnungen samt Maßstabangaben). — Die Bemühungen, Musikinstrumente nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen, reichen bis in die griechische Antike und in den alten Orient zurück. Eine altchinesische Klassifikation ging vom verwendeten Material aus und teilte die Instrumente in 8 Gruppen ein: Metall, Stein, (Ton-)Erde, Fell oder Leder, Seide (Saiten), Kalebasse, Bambus und Holz. Ein anderes, aus Alt-řIndien überliefertes Einteilungsprinzip sah bereits eine Klassifikation nach der physikalischen Beschaffenheit des primär schwingenden Stoffes vor: in Ghana (Becken, Gongs), Avanaddha (Trommeln), Tata (Saiteninstrumente) und Sushire (Blasinstrumente). Eine wissenschaftlich fundierte I. setzte jedoch erst gegen Ende des 19. Jh. ein, als V.-Ch. Mahillon mit der Katalogisierung der Instrumente begann, die im Musée Instrumental du Conservatoire Royal de Musique in Brüssel vorhanden waren. Er unterteilte die Instrumente in Autophone, >'Membranophone, řChordophone und /Aerophone. Diese Klassifikation wurde von E. M. von Hornbostel und C. Sachs übernommen, die, um Mißverständnisse zu vermeiden, lediglich den Terminus Autophone durch 7Idiophone ersetzten. Damit wurde erstmals ein Ordnungssystem geschaffen, mit dem alle bekannten und noch nicht bekannten, aber denkbaren Instrumente erfaßt werden konnten. Es basiert auf der für die Einordnung entscheidenden physikalischen Beschaffenheit des in Schwingung zu versetzenden Materials und erfaßt auch weitere wichtige Merkmale wie Form, Konstruktion, Spielweise, Schwingungserzeugung usw. Obwohl als Ideal angestrebt, ist die Fragefolge nicht für jede Instrumentengruppe stets gleichbleibend; die Chordophone werden ihrer Form nach, die Aerophone nach ihrer Anblasvorrichtung und die Idiophone und Membranophone nach der Art, wie sie zum Klingen gebracht werden, unterteilt. Trotzdem blieb diese Klassifikation — in jüngerer Zeit um eine fünfte Gruppe, die 7Elektrophone erweitert — bis heute Grundlage der systematischen Behandlung 186

von Musikinstrumenten. Allerdings berücksichtigt dieses System — an Museumsinstrumenten entwikkelt — nur die das Instrument betreffenden Fragen und nicht die Aspekte des praktischen Gebrauchs wie Haltung, Spieltechnik, Funktion usw. Man erkannte jedoch bald die Bedeutung auch dieser Gesichtspunkte für die I. und versuchte, die Klassifikation von Hornbostel/Sachs zu erweitern, teilweise auch neue Einteilungsprinzipien zu finden. Neben A. Schaeffner, der „Instruments à corps solide vibrant" („Selbstklinger") und „Instruments à air vibrant"(„ Luftklinger") unterschied, war es 1948 H.-H. Dräger, der in einer immer gleichbleibenden Fragefolge eine objektivere, möglichst umfassende Betrachtung eines Instruments, seines Spiels und seiner Funktion anstrebte. Vor allem die musikalischen Möglichkeiten versuchte K. Reinhard bei seiner Anordnung in Geräusch-, Rhythmusund tonfähige Instrumente zu berücksichtigen. Zu den Versuchen, einzelne Instrumentengruppen systematisch zu erfassen, gehört die Systematik der Borduninstrumente von J. Matzner, die der Blas instrumente von H. Seifers und der Vorschlag zur Systematik der Schlaginstrumente von E. Karkoschka. Die Typologie der Volksmusikinstrumente von O. Elschek und E. Stockmann versucht, Instrumente nach ihrem Gebrauch einzuordnen. Ein „natürliches System" der Musikinstrumente, das „die Entwicklungsgeschichte des Instrumentariums aus dem systematischen Befund” darstellbar machen soll, legte H. Heyde vor. 1960 wurde der Conseil International des Musées et Collections d'Instruments de Musique (CIMCIM) im International Council of Museums (ICOM) gebildet, der sich außer der Herausgabe von Empfehlungen zur Restaurierung von Instrumenten besonders der Erfassung aller in Sammlungen vorhandenen Musikinstrumente widmet und dazu einen umfassenden, für alle Instrumente gleichermaßen anwendbaren Fragebogen erarbeitet. Lit.: S. VIRDUNG, Musica getutscht (Bas 1511), Faks.-Ausg. hrsg. v. R. EITNER (1882) (= PGfM 11); dass., Faks.-Ausg. hrsg. v. K.W. Niemöller (Kas 1970) (= DMI 1/31); M.AGRICOLA, Musica instrumental's deutsch (Wittenberg 1529, 2 1545), Nachdr. v. R. Eitner (1896) (= PGfM 20); H. GERLE, Musica Teusch ... (Nü 1532, 3 1546); M. PRAETORIUS, Syntagma musicum 11: De organographia (Wb 1618, 2 1619), Nachdr. v. R. Eitner (1884) (= PGÍM 12); dass., Faks.-Ausg. hsg. v. W. Gurlitt (Kas 1958-59) (= DMI 1/15); M. MERSENNE, L'harmonie universelle, 3 Bde. (P 1636-37), Faks.-Ausg. hrsg. v. F. Lesure (P 1963); P. TRICHET, Traité des instruments de musique, um 1640, hrsg. v. dems., in: Ann. Mus. 3-4 (1955-57), Ergänzungen dazu, in: GalpinJ 15-16 (1962-63); A. KIRCHER, Musurgia universalis, 2 Bde. (R 1650), Faks.-Ausg. in einem Bd. (Hil 1969); J. CH.WEIGEL, Musicalisches Theatrum ... (um 1722), Faks.-Ausg. hrsg. v. A. Berner (Kas 1961) (= DMI 1/21); F. BONANNI, Gabinetto armonico (R 1723), Nachdr. v. F. Harrison — J. Rimmer, in: Antique Musical Instruments and Their Players (NY 1964); J. F. B. K.

Instrumentensammlungen MAJER,

Museum musicum theoretico practicum (Schwäbisch Hall 1732), Faks.-Ausg. hrsg. v. H. Becker (Kas 1954); J. PH. EISEL, Musicus autodidactus ... (Erfurt 1738, Faks.-Ausg. L 1974). — E. VON HORNBOSTEL — C. SACHS, Systematik der Musikinstr., in: Zschr. für Ethnologie 46 (1914); C. SACHS, Hdb. der Musikinstrumentenkunde (L 1920, 2 1930 Nachdr. Wie 1971); DERS., Geist u. Werden der Musikinstr. (B 1929, Nachdr. Buren 1975); A. SCHAEFFNER, Origine des instruments de musique (P 1936, 2 1968); H.-H. DRÄGER, Prinzip einer Systematik der Musikinstr. (Kas 1948); K. REINHARD, Beitr. zu einer neuen Systematik der Musikinstr., in: Mf 13 (1960); Musical Instruments, hrsg. v. A. BAINES (Harmondsworth 1961), dt. Obers.: Musikinstr. (Mn 1962); R. BRAGARD — F. J. DE HEN, Les instruments de musique dans l'art et l'histoire (P 1967), dt. Übers.: Musikinstr. aus zwei Jahrtausenden (St 1968); H. SEIFERS, Systematik der Blasinstrumente (F 1967) (= Das Musikinstrument 7); O. ELSCHEK — E. STOCKMANN, Zur Typologie der Volksmusikinstr., in: Studia instrumentorum musicae popularis 1 (Sto 1969) (= Musikhistoriska museets skrifter 3); J. MATZNER, Zur Systematik der Borduninstrumente (Str—Baden-Baden 1970) (= Sig. musikwiss. Abh.en 53); E. HICKMANN, Musica instrumentalis. Stud. zur Klassifikation des Musikinstrumentariums im MA (Baden-Baden 1971) (= ebd. 55); A. BUCHNER, Musikinstr. v. den Anfängen bis zur Gegenwart (Pr 1972); E. KARKOSCHKA, Zu einer Systematik der Schlaginstrumente, in: Mf 25 (1972); W. STAUDER, Einführung in die 1. (Wilhelmshaven 1974) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 21); H. HEYDE, Grundlagen des natürlichen Systems der Musikinstr., in Beirr. z. musikwiss. Forsch. in der DDR 7 (L 1975); S. MARCUSE, A Survey of Musical Instruments (NY 1975); H. HEYDE, Eine indische Klassifikation der Musikinstrumente, in: AfMw 34 (1977); J. H. VAN DER MEER, Ältere u. neuere Lit. z. Musikinstrumentenkunde, in: AMI 51 (1979). M. BRČSCKER

Die Sammlungen alter Instrumente haben eine lange Geschichte, die zu den Kaisern des Fernen Ostens — China oder Japan — oder, in Europa, zu Herrschern wie König Heinrich VIII. von England, italienischen Fürsten wie Isabella d'Este oder Federico de Montefeltre, zu Erzherzog Ferdinand von Tirol (in Schloß Ambras) oder zu reichen Bürgern wie der Familie Fugger in Augsburg führt. Neben den im 18. Jh. zunehmenden Privatsammlungen gab es im 19. Jh. eine immer größere Zahl von öffentlichen Museen, wie die umfangreichen Sammlungen in Basel, Berlin, Kopenhagen, Den Haag, London, Moskau, Paris, Stockholm und Wien. Zahlreich sind auch die Sammlungen in Konservatorien, die ursprünglich zur Förderung der musikalischen Allgemeinbildung der Studierenden angelegt wurden, u. a. die Sammlungen des Musée Instrumental am Conservatoire Royal in Brüssel, am Royal College of Music in London, an der Faculty of Music in Oxford (Bate Collection), am Pariser Conservatoire, an der Yale University in New Haven/Conn. sowie aus jüngster Zeit in Jos in Nigeria und an der Universität von Legon in Ghana. Privatsammlungen, wie sie in Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz zu finden sind, wurden oft von Musikliebhabern eingerichtet, die dem zunehmenden Verlust bestimmter Arten von Instrumenten entgegentreten wollten und noch

INSTRUMENTENSAMMLUNGEN. Bereits im vergangenen Jahrhundert gab es eine beträchtliche Zahl von Museen und Sammlungen mit Musikinstrumenten. Es ging dabei jedoch vor allem darum, die Instrumente, ihre Formen und Familien vorzustellen, d. h. das Interesse der Besucher mehr auf seltene und kostbare Objekte zu richten als Studien- und Forschungsgegenstände vorzustellen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Zielvorstellungen der Museen und Sammlungen stark gewandelt. Die zunächst kaum realisierbar erscheinende Idee, für Aufführungszwecke Originalinstrumente aus der Entstehungszeit der jeweiligen Kompositionen zu verwenden, blieb anfangs nur einigen Pionieren wie A. Dolmetsch vorbehalten. Die meisten Musiker gaben für die Darbietung von Werken des 16.-18. Jh. einwandfreien, modernen Instrumenten den Vorzug vor älteren, sog. authentischen, die erst restauriert und in einen spielbaren Zustand gebracht werden mußten. Erst als Musikinstrumente vergangener Jahrhunderte für den ständigen Gebrauch als geeignet erschienen, als Rundfunk, Fernsehen und Schallplatte einer derartigen Aufführungspraxis älterer Musik weitere Verbreitung sicherten, nahm das praktische Interesse für die bisher nur als bewundernswerte Zeugen der Vergangenheit beachteten Instrumente stetig zu.

rechtzeitig einige Exemplare zu bewahren suchten. Die meisten dieser Sammlungen sind nach dem Tod ihrer Eigentümer öffentlichen Museen übereignet worden. — Auch in Ländern wie Ghana, Marokko, Nigeria, Uganda und Zaire wurden in jüngster Zeit Museen gegründet. Bestimmte Sammlungen sind ganz spezialisiert auf typische überkommene oder neu hergestellte Instrumente einer begrenzten Region (z. B. die mährische Sammlung in Brünn) oder auf eine bestimmte Instrumentengattung, wie z. B. auf die Northumbrian pipes (Society of Antiquaries of Newcastleon-Tyne, Großbritannien) oder auf die Drehleier (Musée Municipal du Vieux-Château de Montluçon, Frankreich). Alle diese Museen weisen technische und wissenschaftliche Einrichtungen auf, wie sie das 19. Jh. nicht kannte. Heute ist den meisten großen Museen eine Werkstatt angeschlossen, wo die Instrumente mit Hilfe von Röntgenstrahlen, infrarotem oder ultraviolettem Licht geprüft werden können. Mit der Restaurierung wird erst nach eingehenden Untersuchungen und einer genauen Feststellung der vorausgegangenen Reparaturen begonnen. Jedes Instrument wird auf diese Weise inventarisiert, mit Photographien und Unterlagen, aus denen alle Veränderungen, denen es unterworfen war, her187

Instrumentensammlungen vorgehen. Dem ursprünglichen Zustand der Instrumente mit Sorgfalt nachzugehen ist besonders wegen der unzähligen Restaurierungen des 19. Jh. erforderlich, bei denen eine Fülle von Fehlern unterlief. Neben den Restaurierungswerkstätten wurden auf Anregung von Georges-Henri Rivière in Frankreich auch Werkstattmuseen geschaffen (z. B. 1965 am Musée des Arts et Traditions Populaires in Paris). Ein Museum ist jedoch nicht ausschließlich ein Zentrum des Forschens, sondern auch ein Medium, gerade auch mit starker pädagogischer Funktion. Dessen ist man sich in den letzten Jahren besonders bewußt geworden. Bis 1960 gab es keine offiziellen Kontakte zwischen den verschiedenen Instrumentensammlungen. Erst 1960 konstituierte sich eine spezielle Abteilung des International Council of Museums (ICOM) für Museen und Sammlungen mit Musikinstrumenten, das Conseil International des Musées et Collections d'Instruments de Musique (CIMCIM), durch dessen Gründung ein gemeinsamer Arbeitsplan aufgestellt werden konnte: auf Verwaltungsebene die Ausarbeitung eines internationalen Verzeichnisses der Museen und Sammlungen mit Musikinstrumenten (mehrals 800), das 1977 in den Niederlanden erschien; in technischer Hinsicht die Erstellung eines Handbuchs mit vorläufigen Empfehlungen für die Erhaltung und Restaurierung von Musikinstrumenten; für wissenschaftliche Aufgaben die Ausarbeitung von Richtlinien zur Katalogisierung, vervollständigt von einer kritischen Darlegung der wichtigsten Systeme zur Klassifizierung von Musikinstrumenten. In den Katalogisierungsrichtlinien des ICOM wird für alle Instrumente nur ein bestimmter Klassifizierungstitel verwendet. Der Gruppe von rund 30 Spezialisten, die dem CIMCIM angehören, hat sich 1971 eine weiter gestreute Vereinigung angeschlossen, die International Association of Musical Instrumental Collections (IAMIC) mit etwa 140 Mitgliedern, u. a. Konservatoren, Restauratoren u. a. Wissenschaftler aus etwa 40 Ländern, die seitdem an den Jahresversammlungen des CIMCIM wie an den laufenden Arbeiten teilnehmen. Liste der wichtigsten europ. Museen (das Wort Museum u. dessen fremdsprachl. Formen werden im folgenden mit M. abgekürzt): Belgien: Antwerpen: Etnografisch M., M. Vleeshuis, Volkskunde M.; Brüssel: M. Instrumental. M.s Royaux d'Art et d'Histoire; Tervuren: M. Royal de l'Afrique Centrale. - Dänemark: Kopenhagen: Musikhistorisk M., C. Claudius, Musikhistorisk Samling. Deutschland: DDR: Halle: Händel-Haus; Leipzig: Musikinstr.M. der K.-Marx-Univ. - Bundesrepublik Deutschland: Berlin: M. für Völkerkunde, Musikinstr.-M. des Staatl. Inst. für Musikforsch.; Frankfurt: Hist. M., Städtisches M. für Völkerkunde; Hamburg: M. für Hamburgische Gesch.; München: Bayerisches National-M., Städtische Musikinstr.-SIg., Deutsches M.; Nürnberg: Germanisches National-M. - Finnland: Helsinki: Natio-

188

nal-M. - Frankreich: Paris: M. des Arts et Traditions Populaires (Abt. Ethnomusicologie), M. de Cluny, M. de l'Homme, M. Instrumental du Conservatoire National de Musique, M. National des Techniques; Straßburg: M. des Arts Décoratifs; Toulouse: M. Paul-Dupuy. - Großbritannien: Edinburgh: Royal Scottish M., Russel, Collection of Harpsichords and Clavichords; London: British M., Horniman M. and Library, Royal College of Music, Victoria and Albert M.; Oxford: Ashmolean M., The Bate Collection of Historical Wind Instruments, Pitt Rivers M. - Irland: Dublin: National M. of Ireland. - Italie.: Bologna: M. Civico (Abt. MA); Cremona: M. d'Organologia A. Stradivari; Florenz: M. degli Strumenti Musicali del Conservatorio L. Cherubini; Mailand: M. degli Strumenti Musicali; Modena: M. Civico di Storia e di Arte Medievale e Moderna; Rom: M. Nazionale delle Arti e delle Tradizioni Popolari, M. Strumentale Antico e Moderno (Accad. Nazionale di S. Cecilia), Raccolta Statale di Strumenti Musicali; Verona: Bibl. della Accademia Filarmonica di Verona. - Jugoslawien: Belgrad: Etnografski M.; Zagreb: Etnografski M. - Niederlande: Amsterdam: Tropens M.; Den Haag: Haags Gemeente M.; Rotterdam: M. voor Land- en Volkenkunde; Utrecht: National M. van Spieldoos tot Pierement. - Üsterreicr: Salzburg: Salzburger M. Carolino Augusteum, Mozart-M.; Wien: Kunsthist. M., M. für Völkerkunde, Ostr. M. für Volkskunde. - Polen: Krakau: M. Etnograficzne; Posen: M. Narodovego u Poznaniu; Warschau: Pahstwowe M. Etnograficzne. - Portugal: Lissabon: M. Instrumental do Conservatorio Nacional. - Rumänien: Bukarest: M. de Arte Populará al R. S. România; Cluj: M. Etnografic al Transilvaniei. - Schweden: Stockholm: Etnografiska M., Musikhistoriska M. - Schweiz: Basel: Hist. M. (Sig. alter Musikinstr.), M. für Völkerkunde u. Schweizerisches M. für Volkskunde; Genf: M. et Inst. d'Ethnographie, M. des Instruments Anciens de Musique; Neuchâtel: M. Ethnographique; Zürich: Völkerkunde-M. der Univ. Zürich. - Spanien: Barcelona: M. Municipal de Musica; Madrid: M. de Medallas y Música. - Tschechoslowakei: Bratislava: Slowakisches National-M.; Brünn: Ethnographisches Inst. des Mährischen M.s; Prag: Abt. Musik des National-M.s - UdSSR: Moskau: Glinka-M. Ungarn, Budapest: Néprajzi M., Zenetörteneti M., Magyar Nemzeti M. Lit.: F. DENSMORE, Handbook of the Collection of Musical Instruments in the United States National Museum (Washington 1927, Nachdr. NY 1973); C. SACHS, La signification, la tâche et la technique muséographique des collections d'instruments, in: Mouseion 27 (1934, Teildruck P 1935); A. BERNER, Die Berliner Musikinstr.-Slg. (B 1952); W. SERAUKY, Ausgew. instrumentenkundliche Probleme in einem Musikinstr.-M., in: Kg.Ber. Bamberg 1953 (Kas 1954); G. THIBAULT, Les collections privées de livres et d'instruments de musique ..., in: Music Libraries and Instruments (Lo - NY 1961); K. SASSE, Kat. zu den Slgen. des Händel-Hauses in Halle, 6 Bde. (HI 1961-72); A. BERNER - J. H. VAN DER MEER - G. THIBAULT. Preservation and Restauration of Musical Instruments (Lo 1967); Ethnic Musical Instruments, hrsg. v. J. JENKINS (Lo 1970); J.H. VAN DER MEER, Wegweiser durch die Sig. hist. Musikinstr. (Nürnberg, Germanisches National -M.) (Nu 1971); W. LICHTENwANGER u. a., A Survey of Musical Instrument Collections in the United States and Canada (Ann Arbor 1974); Intern. Direx tory of Musical Instrument Collections, hrsg v. J. JENKINS (Buren 1977). G. THIBAULT

INTAVOLIEREN (von it. intavolare = absetzen), vom 14. bis 17. Jh. Bz. für die Übertragung einer mensural notierten Vokalkomposition (Bsp. 1) in eine Griffschrift (řTabulatur) für Tasten- oder Zupfinstrumente (Bsp. 2). Dabei kann die vokale Vorlage oft derart verändert werden, daß der intavolierte Satz einer instrumentalen Bearbeitung

Interludium gleicht. Im weiteren Sinne heißt auch die Zusammenziehung sämtlicher Stimmen einer Komposition auf 2 Liniensysteme, wie etwa bei G. Fresco-

eine halbe Wellenlänge gegeneinander verschoben, so löschen sie sich aus. In der Akustik tritt I. häufig auf zwischen den von einer Schallquelle ausgehenbaldi, „Intavolatura". den und auf direktem und indirektem Wege (über Reflexion) zum Ohr gelangenden Schallwellen. Deren unterschiedliche Laufzeit bewirkt frequenzabhängige Phasenunterschiede, wodurch das /'Frequenzspektrum z. B. eines Instrumentenklanges verfärbt wird: einzelne /Teiltöne werden verstärkt, andere abgeschwächt oder ausgelöscht. (Reflektierende Flächen sollten sich daher nicht zu nahe an einer Schallquelle befinden.) Geringe Frequenzunterschiede (bis etwa 7 Hz) führen (bei annähernd gleicher Amplitude) durch I. zu řSchwebungen, wobei die Schwebungsfrequenz gleich der ✓ Frequenzdifferenz der Ursprungstöne ist. Bei größerer Frequenzdifferenz werden diese wieder als Einzeltöne hörbar; ihr Zusammenklang wird jedoch als rauh empfunden, solange sie nicht in einem ganzzahligen Frequenzverhältnis zueinander steBsp. 1: Chorbuchnotation hen — ein einfacheres Zahlenverhältnis entspricht einem höheren, ein komplizierteres einem niedri'~I' }t 11 • ' f_Li NAi geren Konsonanzgrad (řKonsonanz und Dissow _ , ~I ' nanz). Ist i größer als 16 Hz, ., I . I I..' I I I• ~r I I. so entstehtdieeinFrequenzdifferenz der Schwebungsfrequenz entsprea ~e , e chender Differenzton (/Kombinationstöne), desi-c e J rift I• r1 e ~ _~ar1i1t r cšr sfe r s ř f 9 ř4 g q ic ~ ~ 9 sen Intervallverhältnis zu den Ausgangstönen aus deren Frequenzverhältnis und deren Position in der ~~ N rl l r r c1 bac jr i'Obertonreihe resultiert; z. B. ergibt das Frequenzč a 1 f g 1 .f11 č }_t rfa verhältnis f 1 : f2 = 4: 5 (große Terz) einen 2 Oktaven Bsp. 2: Ältere deutsche Orgeltabulatur unter f 1 liegenden Differenzton. ~

_

; cl

S. Virdung, Musics getutscht (Bas 1511) (O heylige, onbeflecte, zart iunckfrawschaft marie)

INTEGER VALOR NOTARUM (lat., = unveränderter Wert der Noten), in der Mensuralnotation des 15. und 16. Jh. Maßeinheit für die normale Dauer der Notenwerte, die durch Vorschrift einer /Diminution oder /Augmentation mittels eines Mensurzeichens oder Angabe einer 'Proportion verändert werden kann. Im I. v. n. ist die Semibrevis die Bezugseinheit des Tactus, die in der Musiktheorie anderen Bewegungseinheiten gleichgesetzt wird, z. B. dem Pulsschlag (Fr. Gaffori, 1496), dem Gang einer Uhr (St. Vanneo, 1533) oder einem menschlichen Schritt (H. Buchner, vor 1538). Der proportionalen Starrheit steht das seit dem 16. Jh. vorbereitete Taktsystem gegenüber, dessen Temporelationen nicht mehr auf Zahlenverhältnissen beruhen müssen. INTERFERENZ, die Überlagerungmehrerer Wellen in einem Raumpunkt. Besitzen diese die gleiche Wellenlänge, Amplitude und Phasenlage, so verstärken sie sich (Interferenzmaximum), sind sie um

INTERLUDIUM (lat., = Zwischenspiel; engl. und frz.: interlude; it. und span.: interludio). —1) Bz. für ein in Oper, Ballett oder einem anderen Bühnenwerk zwischen zwei Akte, Szenen oder Bilder eingeschobenes Zwischenspiel, in der Regel instrumental (z. B. Cl. Debussy, Pelléas et Mclisande),gelegentlich auch chorisch (M. Ravel, Daphnis et Chloé; A. Schönberg, Moses und Aron). Eigene Gattungen bilden die szenischen Zwischenspiele 7Intermedium und Intermezzo. Eine klare terminologische Abgrenzung gegenüber 'Intermezzo 1) ist nicht möglich. — 2) In mehrsätzigen Instrumentalwerken ein meist kurzer, zwischen einzelne Sätze eingeschobener Satz oder Abschnitt (z. B. Th. Mace, Musick's Monument, oder P. Hindemith, Ludus tonalis). — 3) Ein Orgelzwischenspiel, das zwischen Strophen von Chorälen, Hymnen oder Sequenzen oder zwischen den Versen eines Psalms zu improvisieren ist. Seit dem 18. Jh. wurden Interludiensammlungen gedruckt, als eine der ersten 1718 von D. Purcell The Psalms Set Full for the Organ or Harpsichord ... as also with Their Interludes of Great Variety. 189

Intermedio INTERMEDIO >'Intermezzo.

INTERMEDIUM, Einschub unterhaltender Art, ursprünglich mit trennender Funktion (als Instrumentalstück, als Solo- oder Chorgesang, als pantomimische, gesprochene oder gesungene Szene, als Ballett), zwischen den Akten eines Theaterstücks, meist einer Komödie. Die anfängliche Vielzahl von Begriffen (intromessa, introdutto, tramessa, tramezzo) wurde bald auf die Termini Intermedium und Intermezzo reduziert, letztere finden sich im 16. und 17. Jh. in synonymer Verwendung und erfuhren erst später eine begriffliche Trennung: Seit dem 18. Jh. werden mit /Intermezzo komische musikalische Auftritte zwischen den Akten einer Opera seria bezeichnet. — In Renaissance und Barock war das I. fester Bestandteil zeremonieller und theatralischer Veranstaltungen (Bankette, Fürsteneinzüge, Wettkämpfe, Turniere, Komödienaufführungen), oft überlagerten sie als Selbstzweck das eigentliche Theaterstück. Die ursprüngliche Bindung an Aufführungen klassischer Stücke — insbesondere an Komödien von Plautus und Terenz — wurde bald gelockert; schon 1487 ist bei der Aufführung der mythologischen Fabel Cefalo von Nicoló da Correggio in Ferrara die Einfügung von Intermedien belegt. In der 2. Hälfte des 16. Jh. hatten die Intermedien (trotz zahlreicher Einwände der Theoretiker) in nahezu allen Bühnengattungen, in Stücken mit Wundermaschinerien, Pastoralen, Tragödien und Rappresentazioni sacre einen Platz gefunden, wobei ihre Funktion vom bloßen Übertönen der Bühnenmaschinerie bis zum eigenen Bühnenspektakel zwischen zwei Akten reichte. In Italien wurden rein musikalische Intermedien (Intermedi non apparenti) und szenische Intermedien (Intermedi apparenti) unterschieden. Die ersteren waren im einfachsten Falle Madrigale, die zwischen den Akten gesungen wurden; mehrstimmige Lieder, solistisch oder mit wechselnder Begleitung, belegen, daß in den vokalen wie in den rein instrumentalen Intermedien auf größte Mannigfaltigkeit Wert gelegt wurde. Bekannte Beispiele sind die Danae von B. Taccone (1496), die Intermedien, die 1499 zu klassischen Komödien in Ferrara aufgeführt wurden, die Suppositi (1519) von L. Ariosto und II commodo, ein Stück mit Intermedien von Giovanbattista Strozzi und Musik von Fr. Corteccia und C. Festa, das Antonio Landi 1539 für die Hochzeit von Cosimo I. dei Medici mit Eleonora von Toledo schrieb, sowie die Intermedien zu der Komödie La pellegrina von G. Bargagli mit der Musik von Cr. Malvezzi, L. Marenzio, E. de' Cavalieri, G. Bardi und J. Peri für die Hochzeit von Ferdinando I. dei Medici mit Christina von Lothringen 190

(1589). Für den deutschen Bereich beschrieb M. Praetorius in Syntagma musicum diesen Intermedientypus als „liebliche Musica Instrumentalis", die gespielt wurde, um den Schauspielern Zeit zum Umkleiden und zur Vorbereitung auf den folgenden Akt zu geben. Das szenische Geschehen in den Intermedi apparenti steht meist in losem Zusammenhang mit der Haupthandlung oder ist gänzlich davon gelöst. Vom Tanz (/Moresca) mythologischer Figuren, der Gelegenheit gab, bizarre Verkleidungen (/Mascherata) einzuführen, bis zur kurzen, selbständigen

Posse wurde alles akzeptiert, was einen ungewöhnlichen Effekt versprach. Die überragende Bedeutung des tänzerischen Elementes als Hauptkennzeichen der Intermedien bleibt in der Geschichte der Gattung unangefochten. 1661 bezeichnete Molière, auf die nach Frankreich hereinwirkende italienische Mode eingehend, im Vorwort zu Les fâcheux seine Comédies-ballets (von J.-B. Lully vertont) ausdrücklich als „manières d'intermèdes". Es war die Oper, in der die Intermedien zunächst einen bleibenden Platz fanden. 1600 regte E. de' Cavalieri an, seine Rappresentazione di Anima e di Corpo durch „intermedii" zu gliedern, und auch Cl. Monteverdi zollte mit einer Moresca im Schlußballett seines Orfeo der Intermedienpraxis seinen Tribut. Während die Opernreform von A. Zeno und P. Metastasio im deutschen Raum die Intermedien aus der Opera seria verdrängen konnte, wurde diese Praxis in England, Frankreich und Italien beibehalten; im 18. Jh. entwickelte sich daraus die /Opera buffa. Ihre Geschichte beginnt mit La serva padrona von G. B. Pergolesi, die ursprünglich zwischen den Akten seiner Opera seria II prigionier superbo (1733) eingeschoben wurde. Pergolesis erste Buffa löste dann in Frankreich die Entstehung der /Opéra-comique aus. Das erste Werk der neuen Gattung, J.-J. Rousseaus Le devindu village (1752), trug ebenfalls noch den Titel Intermède, bedeutete aber gleichzeitig das Ende der Entwicklung des I.s im eigentlichen Sinne. Vereinzelt findet sich die Bezeichnung I. auch ohne Bezug zu Bühnenwerken, so in der Weihnachtshistorie von H. Schütz (1664). Hier sind die Intermedien die im Unterschied zur Evangelistenpartie im konzertierenden Stil komponierten Sätze, denen die direkten Reden (Engel, Hirten usw.) der biblischen Weihnachtserzählung zugrunde liegen. Lit.: A. INGEGNERI, Discorso della poesia rappresentativa (Ferrara 1598); M. PRAETORIUS, Syntagma musicum III (Wittenberg 1619, Faks. Kas 1959) (= DMI / 21); N. SABBATINI, Pratica di fabricar scene e macchine ne'teatri, 2 Bde. (Ravenna 1638, NA R 1955); H. GOLDSCHMIDT, Stud. zur Gesch. der it. Oper im 17. ih., 2 Bde. (L 1901, Nachdruck Hil 1967).

Internationale Ferienkurse A. SOLERTI, Musica, ballo e drammatica alla corte medicea dal 1600 al 1637 (Fi 1905, Faks. Bol 1969) (= Bibl. musica Bononiensis 1I1/4); R. ROLLAND, L'opéra avant l'opéra, in: Musiciens d'autrefois (P 1908, 18 1947, dt. Mn 1925); .1. PULVER, The Intermezzi of the Opera, in: Proc. Mus. Assoc. 43 (1916/17); O. G. SONNECK, A Description of A. Striggio's and F. Corteccia's Intermedi „Psyche and Amor" 1565, in: Miscellaneous Studies in the History of Music (NY 1921, Nachdr. 1968); F. GHISI, Le feste musicali della Firenze Medicea 1480-1589 (Fi 1939, Nachdr. Bol 1969); L. SCHRADE, L'Edipo tiranno d'A. Gabrieli, in: Musique et poésie au XVI' siècle (P 1954); S. T. WORSTHORNE, Venetian Opera in the 17th Century (0 1954); H. ENGEL, Nochmals die Intermedien v. Florenz 1589, in: FS M. Schneider (L 1955); Les fêtes de la Renaissance 1, hrsg. v. J. JACQUOT (P 1956); D. P. WALKER, Les fêtes du mariage de Ferdinand de Medicis et de Christine de Lorraine, Florenz 1589, I: Musique des intermèdes de „La Pellegrina" (P 1963); W. OSTHOFF, Theatergesang u. darstellende Musik in der it. Renaissance, 2 Bde. (Tutzing 1969) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 14); CH. E. TROY, The Comic Intermezzo in 18th Century Italian Opera Seria (1971) (= Diss. Harvard Univ./Mass.); G. LAZAREVICH, The Neapolitan Intermezzo and Its Influence on the Symphonic Idiom, in: MQ 57 (1971); I. MAMcZARZ, Les intermèdes comiques italiens au XVIII'siècle en France et en Italie (P 1972); O. LANDMANN, Quellenstud. zum Intermezzo comico per musica u. seine Gesch. in Dresden (Diss. Rostock 1972).

INTERMEZZO. — 1) In einer Oper oder einem anderen Bühnenwerk Bz. für ein zwischen zwei Akten, Szenen oder Bildern eingeschobenes Zwischenspiel, entweder szenisch (OEIntermedium) oder instrumental (z. B. die Intermezzi in den Opern Cavalleria rusticana von P. Mascagni, Notre Dame von Fr. Schmidt oder Lulu von A. Berg). Eine klare terminologische Abgrenzung gegenüber /Interludium ist nicht möglich. — 2) Bz. für einen Zwischensatz in einem längeren Instrumentalwerk (z. B. im Faschingsschwank aus Wien, op. 26 und im Klavierkonzert a-moll, op. 54 von R. Schumann, in der Sonate f -moll, op. 5 und in den Balladen op. 10 von J. Brahms oder der 4. Satz des Konzerts für Orchester, ein I. interrotto, von B. Bartók) bzw. für ein selbständiges /Charakterstück, im allgemeinen für Klavier (hierher gehören die 6 Intermezzi op. 4 von R. Schumann, die Intermezzi in den Klavierstücken op. 76 und 118 und den Fantasien op. 116 sowie die 3 Intermezzi op. 117 von J. Brahms, die umfangreichen Sammlungen op. 65 und 72 von Chr. Sinding oder die 6 Intermezzi op. 45 von M. Reger). INTERMEZZO, bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen in zwei Aufzügen von Richard Strauss (1864-1949), op. 72, Text vom Komponisten. Die Handlung spielt teils am Grundlsee, teils in Wien. Gegenwart. UA 4. 11. 1924 Dresden (Sächsisches Staatstheater). Dirigent: Fritz Busch. (Christine: Lotte Lehmann; Hofkapellmeister Robert Storch: Fritz Sonntag.) Strauss wollte im Intermezzo einen musikalischen

Dialog ohne Kantilene schaffen, eine Art musikalischen Konversationsstil. Die Sänger sollen überwiegend in der Mezza voce vortragen. Das symphonische Element ist bis zur bloßen Andeutung reduziert und entfaltet sich dafür bildhaft in den orchestralen Zwischenspielen. Mit der Hinwendung zur Sachlichkeit suchte Strauss „einen neuen Weg": eine Oper ohne Opernhelden; eine banale Alltagsgeschichte; keine Dichtung, sondern Umgangssprache. Der Mann ist außer Haus; die Frau lernt einen jungen Baron kennen, der sie anpumpt; der Briefträger bringt einen falsch adressierten Brief; die Frau glaubt an die Untreue ihres Mannes; als sich der Irrtum aufklärt, kommt alles wieder ins Lot. Der Alltag im Hause Strauss mit Rodelpartie, Skatrunde, Telephongespräch, Dienstbotengezeter und Ehedialogen zwischen Tür und Angel: die Geschichte ist wirklich passiert und rückte den Haussegen vorübergehend ein wenig schief. Strauss komponiert eine Selbstpersiflage: „Der berühmte Komponist", die „schwierige" Frau, die das häusliche Dasein beherrscht: unwidersprechlich. — Strauss hatte eine Art Reformoper im Sinn. In zwei Vorworten, auch das ist dafür kennzeichnend, formulierte er sein ästhetisches Prinzip. Der Versuch schlug fehl. I. zählt zu den wenig erfolgreichen Werken des Erfolgskomponisten Strauss. Die priH. BECKER vate Geschichte interessierte nicht.

INTERNATIONALE FERIENKURSE FUR NEUE MUSIK, Darmstädter Ferienkurse, eine Einrichtung des Internationalen (früher Kranichsteiner) Musikinstituts Darmstadt, gegr. 1946 und bis zu seinem Tode geleitet von Wolfgang Steinecke (1910-61), dem damaligen Kulturreferenten der Stadt Darmstadt und Leiter des Darmstadt-Kranichsteiner Musikinstituts. Die allsommerlich stattfindenden 2-3 Arbeitswochen, ein Begegnungsund Informationszentrum der deutschen und zunehmend auch einer internationalen Musikavantgarde, stehen seit 1962 unter der Direktion von Ernst Thomas, dem Leiter des Internationalen Musikinstituts und seiner weiteren Einrichtungen (Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, Dokumentationen der Ferienkurse, seit 1958, bis 1978 17 Hefte; Kranichsteiner Musikpreis, seit 1952 als Wettbewerbspreise, seit 1972 als Förderprämien für Komponisten und Interpreten Neuer Musik, seit 1976 zweijährig; Bibliothek mit internationaler Ausleihe von Noten und Büchern; Darmstädter Enzyklopädie zur Neuen Musik seit 1945, in Vorbereitung). Anfangs „Nachholkurse" der Auseinandersetzung mit dem 1933-45 verfemten Spätwerk A. Schönbergs, verlagerten sich die Schwerpunkte der Darmstädter Ferienkurse seit 1950 auf 191

Interpretation die nachschönbergsche Generation (A. Webern, O. Messiaen, E. Krenek u. a.), von der die serielle Musik ihren Ausgangspunkt nahm, gefolgt von elektronischer Musik und Aleatorik (K. Stockhausen, P. Boulez, L. Nono). In den 50er Jahren erfuhren in Klausur, Studio und Konzert weit über 100 junge Komponisten einer 3. Generation Neuer Musik Kritik und Zuspruch (unter den deutschen Teilnehmern u. a. H. W. Henze, G. Klebe und B. A. Zimmermann), wobei W. Fortner, R. Leibowitz, Th. W. Adorno, H. Heiß und H. Scherchen zu ihren engagiertesten Lehrern „vor Ort" zählten. Die 60er Jahre brachten Modifikationen insbesondere für die Interpretations- und Analysekurse (Chr. Caskel, S. Gawriloff, V. Globokar, H. Holliger, Aloys und Alfons Kontarsky, S. Palm u. a. als Interpreten; M. Kagel, G. Ligeti, K. Stockhausen u. a. als Komponisten), die 70er Jahre konsolidierten sich, nach von anfänglichen Ideologisierungsversuchen außen, auf Kurse nach dem Marlboro-Modell (Seniors mit mehreren Arbeitsgruppen). Postserielle Musik, Tendenzen einer Rückkehr zur Tonalität und Musikautonomie bestimmten seither die Thematik der Darmstädter Ferienkurse. Hans-Jürgen von Bose, T. Medek, W. Rihm, W. von Schweinitz u. a. signalisieren die jüngste kompositorische Entwicklung, C. Dahlhaus, R. Stephan u. a. neue ästhetisch-theoretische Standorte. Medienpublizität und Zuwendung der öffentlichen Hand blieben den Darmstädter Ferienkursen auch im 4. Jahrzehnt ihres Bestehens und ihrer internationalen Ausstrahlung erhalten. Lit.: Zahlr. Art. u. Aufsätze in der Reihe: Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 1-3, hrsg. v. W.STEINECKE u. 4ff., hrsg. v. E. THOMAS (Mz 1958 ff.). H. LINDLAR

INTERPRETATION (von lat. interpretatio = Auslegung; it.: interpretazione; span. interpretación), im allgemeinen Sinne die klangliche Verwirklichung (Reproduktion) eines vorgedachten, meist in /Notenschrift aufgezeichneten musikalischen Ablaufs. In der Kommunikationskette Komposition — I. — Rezeption bildet die I. die Brücke von Autor zum Hörer. Die I. im Sinne von Reproduktion umfaßt sämtliche Aspekte der Verklanglichung von Musik: die exakte Befolgung der Anweisungen in der Niederschrift des Komponisten, die darüber hinausgehende Anwendung aller für das Werk relevanten Regeln der /Aufführungspraxis, die persönliche Auslegung dieser Gegebenheiten durch den Interpreten und schließlich auch die äußeren Bestimmungsmomente der Darstellung, etwa hinsichtlich der Raumakustik, der Plazierung des Aufführungsapparates, der Gestik der Interpreten oder des spezifischen Fluidums der Aufführung insgesamt. 192

In einem speziellen Sinn bedeutet I. den besonderen, individuellen Anteil des Ausführenden an der jeweiligen Klangwiedergabe von Musik, jenen Bereich, der dem Interpreten vom Komponisten als Freiraum zugestanden wird. Viele für die Ausführung wichtige Fakten entziehen sich einer exakten Fixierung, auch liegt eine allzu genaue Festlegung der Klangrealisation häufig gar nicht in der Intention des Autors. Die Entwicklung der musikalischen Notenschrift zeigt, daß sich das komplementäre Verhältnis von Komposition und I. im Verlauf der Geschichte mehrfach erheblich verschoben hat. Bis zum Ende des 16. Jh. verzichteten die Komponisten auf Angaben, die über die eigentliche Res facta, das Satzgefüge, hinausgingen. Es gilt für diese Zeit allgemein als Tatsache, daß die dem Ausführenden übertragene Gestaltung des realen Klangbildes in bezug auf Zeitmaße, Lautstärke und Klangfarbe durch Aufführungskonventionen geregelt worden sei, daß im übrigen aber keine nennenswerten Differenzierungsmöglichkeiten bekannt gewesen seien. Dies sind allerdings nicht dokumentarisch belegte, sondern lediglich aus dem Fehlen solcher Informationen erschlossene Annahmen. Es ist vorstellbar und sogar wahrscheinlich, daß es auch zu jener Zeit persönlichkeitsgeprägtes, ausdrucksvolles Musizieren gab, das sich auf den Sinngehalt dieser durchweg wortgebundenen Musik stützen konnte. Im Verlaufe des ab etwa 1600 sich vollziehenden Stilwandels entdeckten die Komponisten die strukturbildenden Möglichkeiten der „sekundären" Elemente der Musik: die gliedernde, aber auch die expressive Wirkung bei Kontrastierung oder Differenzierung von Lautstärke, Zeitmaß und Klangfarbe. Trotz der beständigen Zunahme von Vortragsbezeichnungen, die allmählich standardisiert wurden, nahm im 17. und frühen 18. Jh. die I. im Sinne selbständigen Gestaltens des Ausführenden einen breiten Raum ein, einerseits in der Wahrnehmung der diesem ausdrücklich übertragenen Praktiken (2'Generalbaß, /Verzierungen, 'Improvisation), andererseits in der Verpflichtung, den Grundaffekt der darzustellenden Musik zu erspüren und deutlich zum Ausdruck zu bringen. Aber erst gegen Mitte des 18. Jh. trat die I. als Problem ins Bewußtsein und wurde Gegenstand der Reflexion. Aufführungspraktische Lehrschriften dieser Zeit (J. Mattheson, J. J. Quantz, C. Ph. E. Bach) sehen die Aufgabe des ausführenden Musikers — ähnlich wie in der Redekunst — im guten und richtigen „Vortrag" des Werkes. Die beiden Bereiche der Reproduktion, die genaue Wiedergabe der vom Komponisten geforderten Anweisungen und die individuelle, vom Werk ausgelöste Darstellungsweise werden nun als Ausführung (exécu-

Interpretation ,

tion) und Ausdruck (expression) bezeichnet. Ersteres heißt ein Musikstück so wiederzugeben, wie es in der Partitur notiert ist („telle qu'elle est notée dans la partition", J.-J. Rousseau, 1767), letzteres bezieht sich dagegen auf den nachschöpferischen Aspekt der Reproduktion und wird in J. G. Sulzers Allgemeine Theorie der Schönen Künste (1771 bis 1774) als „die vollkommene Darstellung des Charakters und Ausdrucks des Stückes" definiert. Mit der vom Beginn des 19. Jh. an aufkomménden Auffassung vom autonomen musikalischen Kunstwerk erfährt auch dessen Wiedergabe eine neue Bestimmung. Das Musikwerk als einmaliger, bis ins Letzte von seinem Autor durchdachter und in der Partitur nach seinen Vorstellungen endgültig fixierter Zusammenhang bedarf zu seiner Realisierung eines ebenbürtigen Sachwalters. Damit erhält der Begriff der I. seine auch heute noch aktuelle besondere Bedeutung im Sinne eines Qualitätsprädikats: als gleichrangiges Mitgestalten, das die selbstverständliche Beherrschung aller musikalisch-technischen Anforderungen ebenso voraussetzt wie die enge Vertrautheit mit dem Notentext und die Einfühlung in den Geist des Werkes. (Äußeres, wenn auch nicht untrügliches Zeichen dafür ist das Auswendigspielen und -singen.) Die Höhe dieses Anspruchs erfordert den Idealtypus des Interpreten, der sowohl Virtuose als auch historisch-theoretisch gebildeter Musiker ist. Als Kriterium für die Beurteilung einer I. gilt das Maß an Übereinstimmung mit den Intentionen des Komponisten. Die Anweisungen, durch die dieser seinen Willen kundgibt, lassen aber auch bei weitgehender Festlegung aller musikalischen Parameter in der Partitur und bei aufrichtigster Bereitschaft des Interpreten zur „Werktreue” im einzelnen unterschiedliche Ausführungsmöglichkeiten zu. Eine allein gültige, „authentische" I. durch einen Nachschaffenden ist daher eine Fiktion, auch wenn der Komponist selbst ausübend oder beratend an der Aufführung beteiligt ist. Die Vielfalt der durch die subjektiven Voraussetzungen des Ausführenden geprägten Interpretationen ermöglicht es, den Werken — ohne ihren Wesenskern zu verändern — immer wieder neue Seiten abzugewinnen und ihre Erscheinungsform vor stereotyper Wiederholung zu bewahren. Demgemäß ist die I. ein entscheidender Faktor für die Wirkungsgeschichte der Musik. Seit Ende des 19. Jh. verstärkte sich das Bestreben, immer mehr Einzelheiten eines Musikwerks immer genauer festzulegen (bis hin zu Temponuancierung, Klangbalance, Bogenstrich und Fingersatz). Einen weiteren Anstoß in dieser Richtung gab I. Strawinsky mit seiner Anregung, die vom Komponisten autorisierte Schallaufzeichnung als zu-

sätzliche Ausführungsanweisung zu verwenden. Die Endstufe einer solchen fortschreitenden Determinierung des Musikwerks stellt die ."elektronische Musik dar. Das musikalische Kunstwerk ist hier identisch mit dem vom Autor produzierten, in allen Details festgelegten Magnettonband. Seine Verklanglichung wird von einer Maschine ausgeführt, der Interpret ist aus der Kommunikationskette ausgeschaltet. Es scheint aber bezeichnend für die konstitutive Bedeutung der I. innerhalb der Musik, daß unmittelbar darauf, Mitte des 20. Jh., im kompositorischen Denken wieder ein Umschwung erfolgte. In der /Aleatorik erhält der Interpret wiederum ein so hohes Maß an Eigenständigkeit eingeräumt, daß er in den Rang eines mitschaffenden Partners des Komponisten rückt. Die Vervollkommnung der elektroakustischen Schallaufzeichnungsverfahren hat entscheidenden Einfluß auf die I. ausgeübt. Die technischen Mittel erlauben durch Klangausgleich unterschiedlich lauter Schallquellen und durch Korrektur fehlerhafter oder unbefriedigender Einzelheiten eine vokal- und instrumentaltechnisch vollendete Wiedergabe eines Werkes. Zugleich ist damit auch eine neue Darbietungsform entstanden, die die Musikrezeption aus dem gesellschaftlichen in den privaten Bereich verlegt und dem Musikhörer einen großen Teil der Literatur in technisch perfekten und interpretatorisch bedeutsamen Wiedergaben verfügbar macht. Die unbestreitbaren Qualitäten einer technisch-manipulierten Studioreproduktion haben die anfälligere, aber lebendigere Darbietungsform einer Konzertaufführung jedoch nicht verdrängen können. Beide Bereiche bestehen im heutigen Musikleben nebeneinander und haben ihre eigene Bedeutung. Schließlich heißt I. als Teilbereich der Musikästhetik auch Sinndeutung. Sie gründet sich auf die Tatsache, daß Musik über sich selbst hinaus Bedeutung hat, und sucht diese „zur Sprache zu bringen". Stellt die praktische I. den sinnlich wahrnehmbaren Vordergrund des Musikwerks her, so bemüht sich die gedankliche I. dessen geistigen Hintergrund zu erkennen und zu vermitteln. Ausgangspunkt solcher Überlegungen sind Analogien zwischen rein musikalischen und allgemeinen Sachverhalten. Eine I. kann durch triftige, vom Komponisten gegebene Anhaltspunkte (etwa ein Motto oder Programm) gut begründet sein. Die Mehrzahl der Deutungen ist jedoch durch die Denkweise der Interpreten stark subjektiv gefärbt, so daß es — vor allem bei bedeutenden Musikwerken — zu einer Vielzahl von I.en kommt. Im Verlauf der Geschichte der Deutung von Musik haben gewisse Perspektiven als Auswirkung bestimmter Zeitoder Geistesströmungen die Bedeutung von Me193

Intervall thoden erlangt (etwa die 'Affektenlehre, /Hermeneutik, Musikenergetik, /Musiksoziologie oder /Intonation) und als solche die I. von Musik wesentlich bestimmt. Lit.: F. KULLAK, Der Vortrag in der Musik am Ende des 19. Jh. (L 1898); TH. G. GEORGIADES, Die musikal. I., in: Studium generale 7 (1954), Wiederabdruck, in: Kleine Schriften (Tutzing 1977) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 26); TH. W. ADORNO, Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikal. Praxis (F 1963, NA 1976); R. HAMMERSTEIN, Musik als Komposition u. I., in: DVfLG 40 (1966); J. DEMUS, Abenteuer der I. (Wie 1967); H. ENGEL, I. u. Aufführungspraxis, in: Mozart-Jb. 1968; E. RATZ, Analyse u. Hermeneutik in ihrer Bedeutung für die I. Beethovens, in: 'MZ 25 (1970); R. LEIBOWITZ, Le compositeur et son double. Essais sur l'interprétation musicale (P 1971); J. A. WESTRUP, Musical I. (Lo 1971); A. BRENDEL, Musical Thoughts and Afterthoughts (Lo 1976),dt. Übers.: Nachdenken über Musik (Mn 1977); S. BIMBERG, Die Einheit von Produktion, I. u. Rezeption auf musikal. Gebiet, in: Hdb. der Musikästhetik (L 1979); K. WOLFF, I. auf dem KIv. Was wir v. A. Schnabel lernen (Mn — Z 1979). — ."Aufführungspraxis. E. PLATEN

INTERVALL (von lat. intervallum, = Zwischenraum), Höhenunterschied zwischen 2 Tönen, die entweder gleichzeitig (harmonisches I.) oder nacheinander (melodisches I.) erklingen. Die Benennung der I.e geschieht numerisch, bezogen auf die siebenstufige (heptatonische) diatonische Tonleiter. Dem Grundton mit der Zahl 1 und den folgenden, aufwärts gezählten einzelnen Stufen werden Namen zugeordnet, die den lateinischen Ordnungszahlen entlehnt sind. Man erhält: 1 _ Prime, 2_ Sekunde, 3_ Terz, 4 Quarte, 5 Quinte, .% OE Sexte, 7_ Septime, 8_ Oktave. Die Namen stehen dabei, von einem Bezugston aus, sowohl für den einzelnen Ton (z. B. 3. Stufe = Terz) wie auch für das I.-Verhältnis (z. B. c—e = Terz). I.e, die über die Oktave hinausgehen, sind als zusammengesetzte I.e zu verstehen: None, Dezime, Undezime und Duodezime ergeben sich aus Oktave plus Sekunde bzw. plus Terz, plus Quarte oder plus Quinte. Die Verlagerung des tieferen I.-Tons in seine obere Oktave ergibt die Umkehrung oder das Komplement-I. dieses Intervalls. So ist z. B. c-e die Umkehrung von e-c; entsprechend: Prime— Oktave, Sekunde—Septime, Terz—Sexte, Quarte— Quinte. Die Summe der Komplementär-I.e ergibt stets die Zahl 9, z. B. Prime (1) + Oktave (8). Zur genaueren Kennzeichnung der I.-Größe dienen verschiedene Zusätze. Prime, Quarte, Quinte und Oktave gelten als reine Intervalle. Die anderen I.e haben zwei Grundformen: sie können groß oder klein sein. Das kleine I. (z. B. c—es = kleine Terz) ist um einen Halbton kleiner als das entsprechende große I. (c—e = große Terz). Die Erhöhung eines reinen oder eines großen I.s um einen Halbton führt zu übermäßigen I.en (z. B. c—gis = übermäßige Quinte, c—eis = übermäßige Terz). Die Erniedri194

gung eines reinen oder kleinen I. um einen Halbton führt zu verminderten I.en (z. B. c—ges = verminderte Quinte, c—eses = verminderte Terz). Aus der /Obertonreihe, die zugleich die Naturtonreihe (/Naturton) ergibt, resultieren im akustischen Sinne die natürlichen oder reinen Intervalle. Auf ihr beruhen die Versuche, I.e rein zu intonieren. Neben dieser 'reinen Stimmung gab es seit der Antike zahlreiche unterschiedliche Stimmungen. Die bedeutendste, in der Musiktheorie bis in die Neuzeit vertretene war die auf reinen Quinten aufbauende sog. /pythagoreische Stimmung. Die heute für die abendländische Musik weitgehend gültige ist die gleichschwebend temperierte. I.e lassen sich nach ihrer jeweiligen Distanz quantitativ messen oder je nach ihrem Grad an Konsonanz oder Dissonanz (/Konsonanz und Dissonanz) beschreiben. Im antiken Griechenland und im Mittelalter benutzte man zur quantitativen Messung der I.e die Saitenteilung, vor allem am /Monochord. Seit dem 17. Jh. zog man die Erfassung durch die Schwingungsverhältnisse (Frequenzen) vor, die im umgekehrten Verhältnis zum Verhältnis der Saitenlängen stehen (Quinte 2/3 bzw. 3/2). Heute ist neben den Angaben der einfachen Schwingungsverhältnisse die /Cent-Rechnung allgemein gebräuchlich, bei der jeder temperierte Halbton 100 C (= Cent) zählt. Die Oktave (griech. diapason) hat in allen Systemen den gleichen Wert. Sie gilt aufgrund ihres Zahlenverhältnisses 2/1 als das konsonanteste Intervall. Die reine Quinte (griech. diapente), grundlegendes I. des pythagoreischen Systems, mit dem Verhältnis 3/2 (702 C) ist in der temperierten Stimmung um 2 C verkleinert (700 C). Die große Terz (griech. ditonos) geht aus der /harmonischen Teilung der Quinte hervor. Sie ist im System von Pythagoras spürbar größer, da sie aus der Addition von 4 reinen Quinten und anschließender Subtraktion von 2 Oktaven hervorgeht oder auch aus der Addition zweier großer Ganztonschritte: 9/8 (204 C) X 9 / 8 = 81/64 (408 C). Daher kommt der Name Ditonus (= zwei ganze Töne), mit dem im Mittelalter üblicherweise die große pythagoreische Terz bezeichnet wurde. Die Differenz zwischen der pythagoreischen Terz und der reinen, aus der Obertonreihe resultierenden Terz mit dem Verhältnis 5/4 (386,3 C) heiBt syntonisches Komma; es mißt 81/64 (408 C): 5/4 (386 C) = 81/80 (22 C). Die Terz der temperierten Stimmung liegt mit 400 C zwischen den beiden. Die Naturseptime ist deutlich kleiner als die kleine Septime (mit gleichem Wert) von Pythagoras. Dieser Unterschied wird gegenüber der kleinen Septime in temperierter Stimmung noch größer.

Intervall Die übermäßige Quarte — gewöhnlich Tritonus genannt (er besteht aus 3 Ganztönen) — hat ihre Sonderstellung daher, daß sie innerhalb der heptatonischen Tonleiter das einzige Intervall seiner Art ist. In temperierter Stimmung teilt der Tritonus die Oktave in zwei exakt gleiche Teilintervalle. Dieses Intervall besitzt als einziges der heptatonisch-diatonischen Tonleiter eine anziehende wie auch explosive Kraft; deswegen wird es das wesentliche Element der Erscheinungen der harmonischen Spannungen vom 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Mittelalter war der Tritonus verboten, und seine Vermeidung brachte schwierige Probleme mit sich; daher trug er die Bezeichnung „diabolus in musica". Die große Sekunde oder großer Ganzton kommt wieder im pythagoreischen System vor. Aufgrund der Verhältnisse der Obertonreihe unterscheidet man in reiner Stimmung zwei Arten des Ganztons: den großen oder pythagoreischen (9/8 = 204 C) und den kleinen (10/9 = 182 C) Ganzton. Die Differenz zwischen beiden ergibt das syntonische Komma. Für die Theoretiker der griechischen Antike und des Mittelalters war der große Ganzton die Differenz zwischen der Quinte und der Quarte, also 3/2 x 3/4 = 9/8. Der diatonische Halbton (kleine Sekunde) ergibt sich als Unterschied zwischen reiner Quarte und reiner großer Terz. Der pythagoreische Halbton ist spürbar kleiner; er liegt zwischen reiner Quarte und Ditonus (großer pythagoreischer Terz) und heißt Limma (= Rest): 4/3 (498 C) x 64/81 (408 C) = 256/243 (90 C). Der temperierte Halbton liegt im Wert zwischen beiden. Der chromatische Halbton als Unterschied zwischen dem großen Ganzton (große Sekunde) und dem diatonischen Halbton (kleine Sekunde) erscheint in der Obertonreihe nicht. Im pythagoreischen System erhält man ihn, indem man das Limma (pythagoreischer Halbton) vom großen Ganzton abzieht: 9/8 (204 C) X 243/256 (90 C) = 2187/2048 (114 C). Er ist spürbar größer als das Limma und erhält den Namen Apotome (= Abschnitt). Der Unterschied zwischen Apotome und Limma heiBt pythagoreisches Komma; er wird durch das Verhältnis 531 441 /524 288 oder 23,5 C ausgedrückt, d. i. ungefähr ein Neuntel des großen Ganztones. Die pythagoreische Teilung des Ganztones, ausgedrückt in Cents (abgerundet), sieht so aus: Limma

Apotome 90

11.4

204 d

dés ~= Limma

Komma

Apotome

Infolge der Unterscheidung von großem und kleinem Ganzton treten in reiner Stimmung neben den natürlichen Halbton (15/16) zwei weitere Arten: 1. Ganzton (groß) — diatonischer Halbton bzw. 9/8 x 15/16 = 135/128; 2. Ganzton (klein) — diatonischer Halbton bzw. 10/9 x 15/16 = 150/144 = 25/24. Der letztere Wert ist der häufigste; er wird als normaler chromatischer Halbton dieses Systems angesehen, denn er ergibt sich ebenfalls aus dem Unterschied zwischen natürlicher großer und kleiner Terz: 5/4 x 5/6 = 25/24. Hier noch einmal die verschiedenen Werte, ausgedrückt in Cents (d 1 = kleiner Ganzton, d2 = großer Ganzton): 134=27/25

o

70...

112

182

204

cis 25 24..

des 16 15

d, 10 9

d2 9 8

92=135/128

Das Differenzintervall cis—d2 = 134 C (Verhältnis 27/25) ist größer als der natürliche diatonische Halbton. Es darf daher mit ihm nicht verwechselt werden. Man bemerkt in allen Fällen, daß der chromatische Halbton kleiner als der diatonische Halbton ist, genau die Umkehrung der Verhältnisse im System von Pythagoras. Lit.: A. SCHEIBE, Abh. v. den musikal. I.en u. Geschlechtern (H 1739); G. A. SORGE, Genealogia allegorica intervallorum ... (Hof 1741); F. W. RIEDT, Versuch über die musikal. I.e (B 1753); C. L. ROLLIG, Versuch einer musikal. Intervallenlehre (L 1789); F. VON DRIEBERG, Die mathematische Intervallenlehre der Griechen (B 1818); M.W. DROBISCH, Über die mathematische Bestimmung der musikalischen I.e (L 1846); M. HAUPTMANN, Die Natur der Harmonik und der Metrik (L 1853, 2 1873); M. W. DROBISCH, Nachträge zur Theorie der musikal. Tonverhältnisse (L 1855); H. VON HELMHOLTZ, Die Lehre von den Tonempfindungen... (Brau 1863, 6 1913, Nachdr. Da 1968); J. G. BELLERMANN, Die GröBe der musikal. I.e als Grundlage der Harmonie (B 1873); H. RIEMANN, Allgemeine Musiklehre (B 6 1918); W. FREUDENBERG, Die Lehre von den I.en (B 1902); G. CAPELLEN, Die Freiheit oder Unfreiheit der Töne und I.e (L 1904); R. P. WINNINGTONINGRAM, Aristoxenos and the Intervals, in: Classics Quarterly 26 (1932) H. HUSMANN, Einführung in die Musikwissenschaft (Hei 1958, Nachdr. Wilhelmshaven 1975) (= Taschenbücher zur Musikwiss. 40); H.-G. LICHTHORN, Zur Psychologie des Intervallhörens (Diss. H 1962); L. S. LLOYD — H. BOYLE, Intervals, Scales and Temperaments (NY — Lo 1963); A.G. PICKLER, History of Experiments on the Musical Interval Sense, in: JMTh 10 (1966); W. DAENICKE, Bewertung v. Intervallbeobachtungen an Hand der Frequenzdistanz. Ein Versuch zur Rangordnung musikal. I.e (Dias. H 1967); J.P. FRICKE, Die Relativität optimaler IntervallgröBen, in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1971); H. REICHARDT, I.-MaBsysteme u. deren Berechnung. Einführung in die Cent-Rechnung, in: Das Musikinstrument 20 (1971); R. FULLER, A Study of Interval and Trichord Progressions, in: JMTh 16 (1972); A. FORTE, The Basic Intervall Patterns, in: ebd. 17 (1973); R. HAASE, Musik mit neuen Pro-

195

Intonation Tafel der Intervalle der heptatonisch-diatonischen Tonleiter in den verschiedenen Stimmungen. (Die Werte sind jeweils als Schwingungsverhältnis und darunter in Cents angegeben. Die Werte in temperierter Stimmung sind irrational und hier auf 4 Dezimalstellen abgerundet.) INTERVALL

kleine Sekunde großer große 1 Ganzton Sekunde kleiner Ganzton kleine Terz große Terz reine Quarte übermäßige Quarte verminderte Quinte reine Quinte kleine Sexte große Sexte kleine Septime große Septime Oktave

Pythagoras

Zarlino

256/243 90 9/8 204

16/15 112 9/8 204 10/9 182 6/5 316 5/4 386 4/3 498 45/32 590 64/45 610 3/2 702 8/5 814 5/3 884 16/9 996 15/8 1088 2 1200

32/27 294 81/64 408 4/3 498 729/512 612 1024/729 588 3/2 702 128/81 792 27/16 906 16/9 996 243/128 1110 2/1 1200

temperierte reine Stimmung Stimmung

1,0594 100 1,1224 200 1,1892 300 1,2599 400 1,3348 500 1,4142 600 1,4142 600 1,4983 700 1,5874 800 1,6818 900 1,7818 1000 1,8877 1100 2 1200

16/15 112 9/8 204 10/9 182 6/5 316 5/4 386 4/3 498 10/7 617 7/5 583 3/2 702 8/5 814 5/3 884 7/4 969 15/8 1088 2 1200

portionen, in: ÚMZ 29 (1974); DERS., Die Herkunft musikal. Grundlagen aus dem Gehör. Eine Morphologie der I.e, in: Musik u. Zahl (Bonn 1976) (= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 17). S. GUT

INTONATION (engl.: intonation [im Sinne von 3): voicing]; frz.: intonation [im Sinne von 3): harmonisation]; it.: intonazione; span.: entonación). — 1) Das richtige Treffen eines bestimmten Tones und Einhalten einer bestimmten Tonhöhe beim Gesang und beim Instrumentenspiel (Blas- und Streichinstrumente) mit vom Spieler zu fixierender Tonhöhe. — 2) Beim Gregorianischen Gesang das vom Priester oder Kantor solistisch vorgetragene Anstimmen mancher Teile des Ordinarium (Gloria, Credo) oder Proprium missae sowie von Psalmen oder Cantica. — 3) Teilvorgang der Herstellung von Musikinstrumenten, bei dem am fertig gebauten Instrument Veränderungen vorgenommen werden, durch die der Klangcharakter (Ansprache, Lautstärke, Obertonaufbau) beeinflußt wird. Von besonderer Bedeutung ist die I. beim Klavier (Behandlung wie Stechen oder Abfeilen des Hammer196

kopfes oder des Hammerstils) und bei der Orgel. Der hierauf spezialisierte Orgelbauer, der Intonateur, kennt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten der Pfeifen: Bei Labialpfeifen sind Veränderungen am Fußloch, am Kern („Kernstiche"), am Labium und an den Bärten möglich, bei Zungenpfeifen werden die Zungenkrümmung oder die Becheröffnung verändert. Die I. der Pfeifen geschieht zunächst in der Werkstatt (Vorintonation), im wesentlichen aber im Aufstellungsraum unter Berücksichtigung der akustischen Verhältnisse. — 4) In die marxistische Musikästhetik hat B. Assafjew den Begriff I. 1947 eingeführt, durch den in Anlehnung an die Sprach-„Intonation” musikalische Stilmerkmale bezeichnet werden, die in Verbindung mit musikalischen Traditionen, etwa der Volksmusik, zu bestimmten Inhalts- und Ausdrucksmustern geworden sind. — řIntonationstheorie. — 5) Gelegentlich wird umgangssprachlich unter I. auch das den Gemeindegesang oder die I. von Priester bzw. Kantor (s. o. 2) vorbereitende Orgelspiel verstanden. — /Intonazione. Lit.: Zu 3): F. R. DIETz, Das Intonieren von Flügeln (F 1967); J. GOEBEL, Theorie und Praxis des Orgelpfeifenklanges. Intonieren und Stimmen (F 1967, 2 1975); O. FUNKE, Das Intonieren von Pianos und Flügeln (F 1977). H. J. BUSCH

INTONATIONSTHEORIE, Bz. für die musiksemantische Lehre von B. Assafjew, die die Sprachmelodik A. Dargomyschkis und M. Mussorgskis sowie die sensualistische Musikauffassung von W. Stassow verwertet (was in der großen Bedeutung von Begriffen wie „Versinnlichung", „Gehör", „Atem" zum Ausdruck kommt). In Anknüpfung an Boleslaw Jaworski entwickelte Assafjew unter dem Einfluß Henri Bergsons einen intuitiven Sprachstil der Musikanalyse, die den Energetismus Wilhelm Ostwalds und seine tiefenpsychologische Ausdeutung bei E. Kurth appliziert. Seit 1922 benutzte Assafjew den Terminus „Intonation" in einem immer breiteren Spektrum von Kontexten: als Umsetzen in Musik" (omusykalenije) der Sprachintonation; als „Klangprozeß", in dem sich die „Lebensenergie" öffne; als „Atmen” der Musik, ihre „Lebensspannung"; als „liedhafte Energie" im Melos, das einem „intonierten Gedanken" gleiche: als „Kondensation von Emotionswellen", bedeutsam für psychologische Empirie; als Bewegung von „versinnlichten Tönen", die das Bezugsfeld der Musik bildeten usw. Bei Kurth, den Assafjew den „Hegel in der Musiktheorie" nannte, fand er eine Bestätigung seiner psychologisch-prozessuellen wie urtypisch-anthropologischen Auffassung des „Intonierens". Seit 1928 verstärkte Assafjew die soziologische und ikonische Komponente (Einfluß

Introduktion des „Abbildes" in der Widerspiegelungslehre des sowjetischen Marxismus): Im Intonieren einer Epoche sammle sich ein Vorrat von Bedeutungseinheiten, in den Zeiten des sozialen Umbruchs komme es zu „Intonationskrisen". Assafjew schuf kein System und gab somit keine verbindliche Definition; die I. muß selber prozessuell gesehen werden. Sie ist eine historisch offene Betrachtung der semantischen Potentialitäten der Musik, in der die ausdrucks- und bildhafte Komponente energetisch aufgefaßt werden; die Komponente des Symbols wurde bisher wenig herangezogen. Lit.: R. KLUGE, Definition der Begriffe Gestalt u. Intonation als Beirr. z. Mathematisierung der Musikwiss., in: BzMw 6 (1964); Intonation u. Gestalt in der Musik, hrsg. v. B. M. JARUST0WSKI (Mos 1965) (dt.); J. JIRÁNEK, Assafjews I., ihre Genesis und Bedeutung (Pr 1967) (tschechisch, mit dt. u. eng). Zusammenfassung); A. SYCHRA, A. Dvorák. Zur Ästhetik seines sinfonischen Schaffens (L 1972); V. KARBUSICKY, Ein Ende der System -Ästhetiken? Zum Widerspiegelungsmodell der Musik ..., in: Kölner Zschr. für Soziologie u. Sozialpsychologie, Sonderheft 17 (1974); B. V. ASSAFJEW, Die musikal. Form als ProzeB, hrsg. v. D. Lehmann—E. Lippold (B 1976); A. RIETI-IMULLER, Die Musik als Abbild der Realität (Wie 1976). V. KARBUSICKY

INTONAZIONE (it., = Intonation), in der italienischen Orgelmusik des 16. Jh. Bz. für ein kurzes, auf dem Prinzip des Variierens beruhendes Vorspiel, häufig mit Akkordzerlegungen oder figuralen Passagen (A. und G. Gabrieli, Intonationi d'organo... composte sopra tutti li dodici toni, 1593). Lit.: W. APEL, Gesch. der Orgel- u. Klaviermusik bis 1700 (Kö 1967).

INTRADA (von it. entrata = Eintreten; engl.: entry; frz.: entrée; span.: entrada) ist im 17. Jh. ein in der Regel kurzes Instrumentalstück, das, ursprünglich zur Begleitung eines Ein- oder Aufzugs hochgestellter Persönlichkeiten bestimmt, vor allem in Deutschland verbreitet war. Den Prototyp dieser auch mit Titeln wie „Aufzug" oder „Signal" versehenen Gattung, die meist von Trompeten (z. B. als Tusch) gespielt wurde, charakterisieren sehr einfache Motive, geradtaktiger Rhythmus und häufige Tonwiederholungen. Diese Merkmale übernahmen die ersten mehrstimmigen (4-6st.) Intraden seit dem Ende des 16. Jh., die, vorwiegend homophon gehalten, für variable Instrumentalbesetzungen bestimmt und auch zum häuslichen Gebrauch geeignet waren. Es entstanden nunmehr auch andere Typen: neben dem einfachen, geradtaktigen Aufzugstypus im Marschrhythmus mit Signalmotivik und Tonwiederholung ein ebenfalls geradtaktiger Pavanentypus in langsamem Tempo mit mehr kontrapunktischer Satztechnik sowie ein ungeradtaktiger, belebterer Tanztypus und ein homophoner Liedtypus. Zu den wichtigsten I.-Kom-

ponisten gehören A. Orologio (Intradae 5 et 6 v., 1597), H. L. Haßler (Lustgarten neuer teutscher Gesäng, 1601), M. Franck (4 Sammlungen zw. 1603 und 1627) und V. Haussmann (Neue Intrade für 5-6 St. und Violinen, 1604). Intrada à

5

d''Kirchentöne die herkömmlichen 8 Töne auf 12 erweiterte, nannte er den 11. Ton (c'—c2 mit c' als Finalis) ionisch. Der 12. Ton (g—g' mit c' als Finalis) hieß hypoionisch. Der ionischen Tonleiter entspricht somit im späte200

ren Dur-Moll-System die C-Dur-Tonleiter. Bekannte Beispiele für eine ionische Melodie sind die Choräle Vom Himmel hoch, da komm ich her und Ein feste Burg ist unser Gott; hypoionisch ist die Melodie zu Nun freut euch, lieben Christen gmein. IPHIGENIE AUF TAURIS (Iphigénie en Tauride), Tragédie in 4 Akten von Christoph Willibald Gluck (1714-87); Text von Nicolas François Guillard nach der Tragödie von Guymond de la Touche. Ort und Zeit der Handlung: Tauris, 5 Jahre nach Beendigung des Trojanischen Krieges. UA: 18.5. 1779 in Paris; EA in dt. Sprache: 23.10.1781 in Wien (Übers. von J. B. Alxinger in Zusammenarbeit mit Gluck); dt. EA: 24.2.1795 in Berlin. Iphigenie, als Hohepriesterin verurteilt, auf Geheiß des durch einen Orakelspruch geängstigten Skythenkönigs Thoas alle ins Land gekommenen

Fremdlinge zu töten, trifft dabei auf ihren Bruder Orest, ohne ihn zunächst zu erkennen. Dem Komponisten gelingt mit seiner vorletzten Oper die Synthese aller seiner ethischen, musikdramatischen und musikalischen Bestrebungen: Die seelischen Konflikte der Protagonisten stehen im Mittelpunkt der mit der Befreiung der Griechen endenden Handlung, deren Bühnenwirksamkeit durch die Kontrastierung von Griechen und Skythen noch erhöht wird. Gluck, der auf die Gestaltung des Textes großen Einfluß ausübte, war besonders an der musikalischen Zeichnung der handelnden Personen als wandelbare menschliche Charaktere gelegen. Dabei kommt dem Orchester eine herausragende Bedeutung zu: In der berühmten Arie des Orest Le calme rentre dans mon cæur wird es zum Träger einer dem Textgehalt entgegengesetzten Information, was häufig als Darstellung des Unterbewußtseins Orests apostrophiert wird. Glucks Meisterschaft äußert sich auch in der souveränen Gestaltung der Formen; auf die klar abgegrenzte Folge von Rezitativen und Arien wird zugunsten einer Einteilung in Szenen verzichtet, der Schluß des 4. Aktes ist so als zusammenhängender musikalisch-dramatischer Komplex anzusehen. Der Erfolg der Iphigenie auf Tauris übertraf den aller übrigen Bühnenwerke Glucks; als eine der wenigen französischen Opern wurde sie sogar ins Italienische übersetzt. TH. MENGER IPHIGENIE IN AULIS (Iphigénie en Aulide), Tragédie in 3 Akten von Christoph Willibald Gluck (1714-1787); Text von François Louis du Roullet nach der Tragödie von J. B. Racine. Ort und Zeit der Handlung: Aulis (Griechenland) kurz vor Ausbruch des Kriegs um Troja. UA: 19.4. 1774 in Paris; dt. EA: 1790 in Magdeburg.

Iran Du Roullet läßt in seinem Libretto die Haupthandlung von Racines Tragödie nahezu unverändert. Im Mittelpunkt steht der Führer des griechischen Heeres, Agamemnon, der sich im Konflikt zwischen Vaterliebe und königlichem Pflichtgefühl gegen seine Tochter Iphigenie entscheidet. Diese ist in heroischem Entschluß bereit, sich für ihr Volk opfern zu lassen, um die Gefangenschaft in Aulis zu beenden. Diana selbst verhindert den Vollzug des Opfers durch die Entführung Iphigenies in ein fernes Land. Die Disposition der Hauptfiguren gibt dem Komponisten Gelegenheit, gegensätzliche Seelenzustände in dramatischen Monologen pointiert musikalisch darzustellen. Der allgemein menschliche Gehalt bestimmt alle Bereiche der Komposition: die Ouvertüre stimmt programmatisch auf den Gefühlsgehalt ein; der formale Aufbau offenbart sich als Folge von dramatischen Szenen, in denen sich Arien unmittelbar aus den Rezitativen ergeben und ebenso in den Handlungsablauf einbezogen sind wie die Divertissements, denen als Ruhepunkten unmittelbare dramatische Funktion zukommt. Mit dieser ersten für Paris komponierten Oper erzielte Gluck trotz aller vorherigen Widerstände einen triumphalen Erfolg. In Deutschland bekannt war das Werk für lange Zeit durch die von R. Wagner vorgenommene Umarbeitung, die zum ersten. Mal am 24.2. 1847 in Dresden aufgeführt und sofort von zahlreichen deutschen Bühnen übernommen wurde. Erst in jüngster Zeit wird die Originalversion mit einem 1775 von Gluck geänderten Schluß wieder häufiger gegeben. TH. MENGER

IPPOLITOW-IWANOW (eig. Iwanow), Michail Michailowitsch, * 7. (19.) 11. 1859 Gattschina bei St. Petersburg, t 28.1.1935 Moskau; sowjetrussischer Komponist. Er war zunächst Chorknabe an der Isaak -Kathedrale in St. Petersburg, 1875-82 Kompositionsschüler von N. Rimski-Korsakow am dortigen Konservatorium. Nach Beendigung seines Studiums wurde er 1883 zum Direktor der Musikschule und Dirigent der Symphoniekonzerte der Kaiserlich Russischen Musikgesellschaft, 1884 zum Dirigenten des Kaiserlichen Theaters in Tiflis, 1893 zum Professor am Moskauer Konservatorium ernannt, dessen Direktion er 1906-22 innehatte. Außerdem war er Dirigent 1895-1901 der Russischen Chorgesellschaft, 1899-1906 der Moskauer Privatoper und seit 1925 des Bolschoi-Theaters. Seine besonders an P. Tschaikowsky und Rimski-Korsakow orientierten Kompositionen verwenden häufig russische sowie auch georgische und armenische Volksliedmelodien und sind effektvoll in der Instrumentierung.

WW: Für Orch.: Ouvertüre lar-Chmel (1883); Sinfonietta (1902); Symphonien e-moll (1907) u. Karelia (1935); symphonische Dichtungen 1917 god (um 1919) u. Mzyri (1924). — Opern: Ruf (Ruth), UA: Tiflis 1887; Asra, UA: ebd. 1890; Asja, UA: Moskau 1900; Ismena (Der Verrat), UA: ebd. 1910; Ole is Norlanda, UA: ebd. 1916; Poslednjaja barrikada (Die letzte Barrikade), UA: ebd. 1933. — Ferner die Schrift Utschenije ob akkordach (Mos 1897). Lit.: S. A. BUGOSLAWSKI, M. M. I.-I. (Mos 1936); L. P. PODSEMSKAJA, M. M. I.-I. i grusinskaja musykalnaja kultura (Tiflis 1963).

IRADIER (Yradier), Sebastián de, * 20.1.1809 Sauciego (Alava), t 6.12.1865 Vitoria; span. Komponist. Er wurde 1851 Gesangslehrer der Kaiserin Eugénie und war in dieser Funktion auch am Madrider Konservatorium tätig. I. schrieb zahlreiche Chansons und Tänze, die auch außerhalb Spaniens sehr populär wurden, besonders La palomita (La paloma) und Ay Chiquita! Bizet verwendete I.s Habanera El arreglito in Carmen (L'amour est un oiseau rebelle). Maria Malibran, Adelina Patti und Pauline Viardot-García waren die Interpretinnen seiner Chansons. IRAN (Persien). Geschichte. Die Kenntnis der Geschichte der persischen Musik bereitet aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten, die u. a. aus dem Fehlen notierter Musik und der Zerstörung wichtiger Dokumente im Verlauf der griechischen (300 v. Chr.), arabischen (Mitte des 7. Jh. n. Chr.) und mongolischen (13.-15. Jh.) Invasionen resultieren. Zeugnisse, die die große Bedeutung der Instrumental- und Vokalmusik im gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Leben des alten Persien vermitteln, sind uns nur durch die Schriften von Herodot und Xenophon überliefert. Die Musik aus der Zeit der Sassaniden-Dynastie (3.-7. Jh. n. Chr.) gehört zu den frühesten bekannten Beispielen und bildet die Grundlage für die spätere Musik Persiens und für andere Stilrichtungen der /arabisch-islamischen Musik. Die Eroberung Persiens durch die Araber und andere Völkerschaften änderte nichts an der kulturellen Bedeutung und dem Einfluß Persiens, der sich u. a. in der Übernahme der persischen Musiktheorie und Praxis in anderen Ländern, aber auch zahlreicher Instrumente dokumentiert. Die Verbreitung persischer Musik wurde insofern gefördert, als Musiker und Sänger an den Höfen der neuen Herrscher großes Ansehen genossen: so verdankte Bagdad zur Zeit der Abbasiden seinen Ruhm als kulturelles Zentrum u. a. den persischen Künstlern Ibrahim emusseli, seinem Sohn Ishägh und seinem Enkel Hämid. Das Werk Moroudj-ezzahab (Die goldenen Fluren) von Mas'oudi, das 2lbändige Werk Kitáb al agháni (Das Buch der Lieder) von Abu'l-Farag esfahäni (t 967) und an201

Iran

dere persische und arabische Prosa- bzw. Versdichtungen enthalten Namen und Biographien persischer Künstler, die zur Entwicklung der islamischen Musik und zur Schaffung der islamischen Kultur entscheidend beigetragen haben. — Die Künste, insbesondere die Musik, fanden im Islam nicht die Förderung wie vergleichsweise im Abendland die Malerei, Bildhauerei und Musik innerhalb der christlichen Kirche. Aufgrund der strengen Überwachung der Koranregeln durch die Mollah-s waren musikalische Darbietungen weitgehend auf bestimmte Gelegenheiten beschränkt: auf den Gebetsruf des Múazzen (Azän) von der Spitze des Minaretts (5mal zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang), auf die Rezitation des Koran, auf Zeremonien, Prozessionen und Hochzeitsfeste. Die eigentliche Pflege der Musik und Dichtung blieb auf den abgeschlossenen Bereich der fürstlichen Hofhaltungen bzw. der gebildeten Oberschicht beschränkt. Gerade an den weit vom politischen Zentrum entfernt liegenden und z. T. nach Unabhängigkeit strebenden Höfen fanden zahlreiche Dichter wohlwollende Aufnahme. Die meisten von ihnen waren zugleich Sänger und Instrumentalisten. Charakteristisch für die Musikpraxis war vor allem die Vorliebe für leise Instrumente, etwa die "Setär, und die immer stärkere Differenzierung und Verfeinerung der melodischen Formeln, die sich auch in der Musiktheorie entsprechend niederschlug. Die Gesangskunst bevorzugte Dichtungen von Hafiz, Mowlavi, Sa'adi; die in ihnen ausgedrückten philosophischen Ideen prägten den metaphysischen Charakter auch der persischen Musik. Philosophische Traktate enthielten wichtige Kapitel der Musiktheorie. Die Musik wurde mit den Wissenschaften in Verbindung gebracht. Seit dem 10. Jh. studierten Al-Färäbi und Avicenna akustische Erscheinungen und schufen damit die Grundlage für die islamische Musiktheorie. In der Folgezeit kodifizierten sie Gelehrte wie Safi-adDin (t 1294) in arabischer, Qutb ad-Din aš-Siräzi (t 1311) und 'Abd-al-Qádir (t 1435) in persischer Sprache. Zu Beginn des 19. Jh. wurde die persische Musik, die während des 18. Jh. bereits an Bedeutung zu verlieren drohte, vollständig umgeformt. Von den alten Systemen, die in die arabisch-türkische Musik übergegangen waren, blieben nur die Namen übrig, die aber meist neue Tonarten bezeichneten. Damit erfuhr die persische Musik einen neuen Aufschwung und löste sich deutlich von der arabisch-türkischen Musik, besonders hinsichtlich der Intervalle, Tonarten, musikalischen Formen und Instrumente.

Tonsystem. Das persische Tonsystem beruht auf einer Teilung der Oktave in 17 Töne, aus denen je202

weils 7 für eine Skala ausgewählt werden. Dabei wird der Ganzton (entspricht 200 bzw. 204 Cents) nicht in zwei, sondern in drei Stufen geteilt, über deren Größe unter den heutigen Theoretikern keine Einigkeit besteht: einige gehen von einer Teilung in gleichgroße Mikrointervalle von je 67 Cents aus, andere kommen zu unterschiedlich großen Stufen von 24,9 oder 114 Cents. In der musikalischen Praxis werden die exakten theoretischen Werte jedoch immer nur annäherungsweise erreicht. Grundlage der Musiktheorie bildet ein System aus 7 Dastgah und 5 von diesen abgeleiteten Avaz oder Nagmeh: Shur c d - es f g as b c' Abu-Ata c d - es f g as b c' Dashti cdefgahc' Afshari c d e- f g a b c' Bayat-e Tork c d e f g a h - c' Mahur cdefgahc' Homayun c d- e f g as b c' Esfahän c d es f g a - h c' Sehgah cde- fga - bc' Chahargah c d - e f g a - h c' Navá cdesfga- bc' Rast Panjgah cdefgahc' (- = Erniedrigung des betreffenden Tones um ein Mikrointervall) Nicht die abstrakte Skala verleiht dem Dastgah seinen spezifischen Charakter, sondern einzelne, musikalisch besonders herausgehobene Stufen: der Initialton Aqaz, die Finalis Ist, ein Hauptton Shahed sowie ein weiterer Ton Moteghayer, der im Unterschied zu den zuvor genannten in der Regel während einer Darbietung um ein Mikrointervall alteriert wird. Jeder der 12 Dastgah-s bzw. Avaz-s bildet einen autonomen Modus, der zwischen 15 und 50 Tonfolgen umfaßt, die Gusheh-s genannt werden; einige von ihnen sind sehr kurz, andere sehr umfangreich, wieder andere bilden fast einen eigenen Modus. In den Einleitungs-Gusheh-s legt der Musiker die Art des Modus, seine Skala und seinen Aufbau fest; in den folgenden Gusheh-s entwickelt er gewisse Merkmale des Dastgah, indem er andere Stufen in meist aufsteigender Linie verwertet. Häufig werden Modulationen eingeführt, die die Ausgangstonleiter verändern. So geht man etwa im Mahur-Modus zur Shur- und dann zur Homayun-Skala über, bevor man wieder zur Ausgangstonleiter zurückkehrt. Die Gesamtheit der Dastgah-s und ihrer Gusheh-s ist nach alten, strengen Regeln geordnet; sie bilden das Radif-System, die Grundlage der Kunstmusik. Die Radif-s wurden im 19. Jh. aus dem tradierten

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Vorrat entwickelt. Die geordneten Gusheh-s wurden häufig auf ein bestimmtes Instrument abgestimmt; der traditionsgebundenste Radif wurde der řTár und der Se-tár zugeordnet. Jeder bedeutende Musiker hatte seine ganz persönliche Art, den Radif zu spielen; er gab ihn seinen Schülern mündlich weiter. Heute existieren noch drei oder vier ursprüngliche Radif-s und einige von zeitgenössischen Musikern vereinfachte Bearbeitungen. Musikalische Gattungen. Im Zusammenhang mit dem Radif-System entstand ein umfangreiches Liedrepertoire. Einige Lieder waren ursprünglich Tanzlieder mit lebhaften Rhythmen im 6 /8- oder 3 /4-Takt (reng, shahr-ashub), andere waren langsame Vorspiele im 4 /4- oder 2/4-Takt (pish-daramad). Es gibt auch gesungene Versdichtungen (tasnif), die von einem oder mehreren Instrumenten in meist langsamem Rhythmus im 3 /2- oder 6 /4-Takt begleitet werden. Die Chahar-mezrab in sehr schnellem 6/8-Takt sind für ein Soloinstrument bestimmt. Die Zarbi im 2 /4-Takt werden solistisch oder auch im Ensemble zur rhythmischen Begleitung der /Zarb ausgeführt. Diese Stücke stehen meist vor oder nach frei rhythmisierten Passagen. Aufführungspraxis. Die traditionelle persische Musik wird häufig in Form eines Zyklus von Pish-daramad (Ensemble), Radif (Solo, freierGesang,dervon einem Instrument begleitet wird), Tasnif (Gesang mit Ensemble) und Reng (Instrumentalensemble) dargeboten. Die einzelnen Teile stehen meist im selben Dastgah und weisen gewisse musikalische Ähnlichkeiten auf. Obgleich dieser Zyklus keinen besonderen Namen trägt, erfreute er sich zweifellos relativ früh allgemeiner Beliebtheit der besonderen Eignung für öffentliche Darbietungen wegen. Eine wichtige Rolle innerhalb der Aufführungspraxis nehmen das Instrumentalsolo und der Gesang ein. Die Ausführung eines Ensemblestückes dauert je nach Modus zwischen 15 und 40 Minuten, während das Instrumentalsolo, wegen der erforderlichen Konzentrationsfähigkeit, selten länger als eine halbe Stunde dauert. Die solistische Musik folgt den Regeln des Radif und läßt dem Musiker im Rahmen bestimmter Regeln und Modelle einen Spielraum für Improvisation. Auch die Auswahl der Gusheh-s liegt in seinem persönlichen Ermessen; die Gusheh-s können leicht verändert, verkürzt, verlängert, rhythmisiert und auf verschiedene Weise verziert werden; auch ihre Verschmelzung durch kurze Bindungen ist möglich. Der Interpret erfindet spontan eine Melodie zu einem genau festgelegten, schnellen Rhythmus (Chahar-mezrab oder Zarbi); schwieriger wird dies bei Tanzliedern wie Rengoder Pish-daramad. Auch die Erfindung von Gusheh-s in freiem Rhythmus setzt große Begabung und Er-

fahrung voraus. Eine weitere Besonderheit der Aufführungspraxis stellt die frei rhythmische Begleitung eines Gesangsstückes durch ein Soloinstrument dar. Dabei wiederholt der Sänger während der häufigen Pausen den vorangegangenen Melodieabschnitt mit äußerster Genauigkeit und leitet den darauf folgenden Instrumentalabschnitt ein. Dadurch entstehen kurze mehrstimmige Passagen, die jedoch mehr zufälliger Art sind. — Die Beherrschung des Radif setzt einen bestimmten Stil und eine Technik voraus, die durch eine komplizierte, schwer erlernbare und auszuführende Verzierungskunst gekennzeichnet sind. Die Verzierungen werden nicht der Melodie hinzugefügt, sondern gelten als integraler Bestandteil. Häufig entsteht die Melodie aus einem kunstvollen Anschlag, einem knappen rhythmischen Grundmuster oder einer Anspielung, die vom Interpreten beliebig wiederholt, entwickelt und verziert werden können. Die traditionelle persische Musik ist durch eine Vielzahl von Verzierungen in einer an sich einfachen Melodie charakterisiert; diese weist häufig nur einen kleinen Tonumfang auf, gewinnt jedoch dafür an Intensität und Spannung durch die Nutzung hoher Tonbereiche. Die zunächst im Vokalen verfeinerte Verzierungskunst war schließlich Vorbild für die instrumentale. Der Gesang gilt durch die enge Verbindung von Dichtung und Musik jedenfalls als die vollkommenste künstlerische Ausdrucksform. Instrumente. Zu den wichtigsten Saiteninstrumenten der persischen Kunstmusik zählt die Langhalslaute /Tár, die >'Se-tár („Dreisaiter"), ein heute meist 4saitiges Chordophon, und das dem balkanischen /Hackbrett ähnelnde 2'Santúr. Das einzige Streichinstrument der persischen Kunstmusik, die 4saitige Spießlaute 7Kamángé, gleicht den entsprechenden arabischen Instrumenten, wird aber heute zunehmend durch die Violine ersetzt. Eine besondere Rolle innerhalb der Kunstmusik kommt der Längsflöte řNáy zu. An Membranophonen kennt die heutige Musizierpraxis die einfellige, becherförmige Trommel >'Zarb oder Tombak. Volksmusik. Kunst- und Volksmusik sind in der persischen Kultur stark miteinander verknüpft. Die Volksmusik entwickelte sich in den verschiedenen Landesteilen auf unterschiedliche Weise und wurde dabei von der persischen, der türkischen, afghanischen und kurdischen Kultur beeinflußt. Aus dem daraus resultierenden großen Formenreichtum ragen 4 Musikstile heraus: Motrebi, Zurkhaneh, Tazieh und die eigentliche Folklore. Die Motrebi-Musik entspricht der städtischen Unterhaltungsmusik. Sie unterscheidet sich in Rhythmus und Charakter von der Kunstmusik, mit der sie jedoch häufig ver203

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wechselt wird, da sie die in der Kunstmusik üblichen Instrumente (mit Ausnahme der Se-tár) verwendet und in vereinfachter Weise dem Radif-System folgt. Der Untermalung von gymnastischen Übungen dient die Zurkhaneh-Musik. Sie wird auf einer großen, vollklingenden Zarb aus Ton ausgeführt, zu der die Morshed-s epische oder religiöse Gesänge, meist im Dastgah Shur oder Chahargah, vortragen. Die Tazieh-Musik steht in der religiösen Tradition des 19. Jh. und entspricht den Mysterienspielen des abendländischen Mittelalters. Der Gesang spielt dabei eine bedeutende Rolle; er wird von Trommeln, Zimbeln, Klarinetten und Trompeten (Karna) begleitet. In der Folklore finden außer Setár und Santúr alle Instrumente der Kunstmusik Verwendung. Die vorherrschenden Modi sind Segah, Shur, Homayun und Dashti; einige Skalen, die in der Kunstmusik unbekannt sind, wurden allerdings der türkischen oder afghanischen Musik entliehen. Darüber hinaus besitzt jeder Landesteil seine eigenen, spezifischen Instrumente: der Norden die Querflöte, der Westen die OETanbür mit 3 dreifachen Saiten, die Balaban, eine Doppelschalmei mit großem Mundstück und tiefem Ton, sowie die 11saitige, kaukasische Tár. In Belutschistan spielt man die Qeitchak, ein einfaches Streichinstrument mit bizarr geformtem Korpus und die ?Rabáb, eine Laute mit überlangem Resonanzkörper, kurzem Hals und einer Felldecke (wie bei der Qeitchak). In Khorassan ist die Dotar oder Tanbür mit 2 oder 3 gezupften Saiten das verbreitetste Instrument. Im ganzen Land spielt man die Oboe Surná, die immer von der Doppelfelltrommel Dohol begleitet wird, und die Rahmentrommel Daireh. Der Gesang nimmt in der Volksmusik einen wichtigen Platz ein, vor allem in Form von Liedern oder langen Balladen (zuweilen in freiem Rhythmus), begleitet von der Laute Chogur. Die Tänze haben häufig einen schnellen Rhythmus (3/8oder 6/8-Takt). Die Volksmusik nimmt im Alltagsleben, bei Familien- oder jahreszeitlich bedingten Festen eine bedeutende Rolle ein. Lit.: H. G. FARMER, An Outline History of Persian Music and Musical Theory, in: A Survey of Persian Art 3, hrsg. v. A. U. POPE (Lo NY 1939); E. GERSON-KIwt, The Persian Doctrine of

Dastgah-Composition (Tel-Aviv 1963); K. KHATSCHI, Der Dastgah (Rb 1965); B. NETTL, Attitudes Towards Persian Music in Teheran 1969, in: MQ 56 (1970); DERS. — B. FOLTIN, Darâmad of Chahargah. A Study in the Performance Practice of Persian Music (Detroit 1972); I.TSCHAKERT, Wandlungen persischer Tanzmusikgattungen unter westlichem Einfluß (H 1972) (= Beitr. z. Ethnomusikologie 2); E. ZONIS, Classical Persian Music. An Introduction (C/M 1973); A.A. KACHANI, Musik, Tanz u. Musikinstrumente im Alten I. (Diss. W 1973); M.T. MASSOUDIEH, Die Musikforschung in I., in: AMI 48 (1976).

CH. AHRENS — M. BARKECHLI

IRELAND, John Nicholson,* 13.8.1879 Bowdon 204

(Cheshire), t 12.6. 1962 Washington (Kent); engl.

Komponist. I. studierte 1893-1901 u. a. als Schüler von Ch. Stanford (Komposition) am Royal College of Music in London. 1904-26 war er Organist der Lukaskirche in Chelsea, außerdem lange Zeit Kompositionslehrer am Royal College of Music. Zu

seinen Schülern gehörten B. Britten, E. J. Moeran, A. Bush, H. Searle und R. Arnell. I. stand zunächst unter dem Einfluß von J. Brahms und A. Dvořák, später auch der französischen Impressionisten, übernahm aber vor allem Elemente der englischen Folklore und der Kirchenmusik der Tudorzeit. WW (alle in London erschienen): 1) Iastr.-WW: Für Klv.: Suite Decorations (1915); 4 Praeludien (1918); Sonate (1920); Sonatine (1928); 2 Sonaten für V. u. Klv. (1917, 1917); Sonate für Vc. u. Klv. (1924); 3 Klv.-Trios, I (unveröft.), II u. III (1918, 1938). — Für Orch.: Praeludium Forgotten Rite (1918); Rhapsodie MaiDun (1923); A London Overture (1937); Concertino pastorale für Streichorch. (1938); A Maritime Overture für Blasorch. (1946); Ouvertüre Satyricon (nach Petronius 1946); Klv.-Konzert (1932); Legend für Klv. u. Orch. (1933). — 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder u. Chöre, u. a. Songs of the Wayfarer(1905); These Things Shall be für Bar. (oder Tenor), Chor u. Orch. (1937). Lit.: J. 1. A Catalogue of Published Works ..., hrsg. von E. CHAPMAN (Lo 1968). — E. EVANS, J. I., in: MQ 5 (1919); A. E. F. DICKINSON, The Progress of J. I., in: MR 1 (1940); N. TOWNSEND, The Achievement of J. I., in: ML 24 (1943); C. SCOTT-SUTHERLAND, Nationalism and J. I., in: MR 22 (1961); H. RUTLAND, J. I. (Lo—NY 1965); J. LONGMIRE, J. I. (L 1969); W. D. RANKIN, The Solo Piano Music of J. I. (1970) (= Diss. Boston Univ.).

IRIARTE (Yriarte), Tombs de, * 18. 9. 1750 Puerto de la Cruz (Teneriffa), t 17.9. 1791 Madrid; span. Dichter und Komponist. I. war ein Schüler von A. Rodriguez de Hita. 1779 veröffentlichte er in Madrid La Música, Lehrgedicht in 5 Gesängen, das auch in französischer, englischer, deutscher und italienischer Sprache erschien und I.s zeitgenössischen Ruhm begründete, 1791 wurde in Madrid sein Melodram Guzmán el Bueno aufgeführt, das neben einem 3st. Kanon sein einziges erhaltenes Werk ist. Lit.: J. SUBIRA, El

compositor I., 2 Bde. (Ba 1949-50).

IRISCHE HARFE řHarfe, irische. IRLAND (Eire). Die Musiktradition I.s ist bis ins 19. Jh. vorwiegend als Pflege der Volksmusik zu verstehen. Seit dem Mittelalter erfuhr sie eine Blütezeit, die wesentlich von der Entwicklung der gleichsam nationalen Instrumente Dudelsack und irische .'Harfe bestimmt wurde. Die Kenntnis dieser zunächst nicht in Notation überlieferten Musik verdanken wir einer reichen Sammlung von Melodien, die erst seit 1780 (vor allem von Edward Bunting und George Petrie) zusammengetragen wurden; die einzelnen Weisen stammen aus verschiedensten Epochen und sind zeitlich nur schwer

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einzuordnen. Es handelt sich im wesentlichen um einstimmige Gesänge, denn von der Entwicklung der abendländischen Mehrstimmigkeit blieb I. vorerst unberührt. — Das gälische, mündlich tradierte Volksliedgut blieb trotz tiefgreifender Umformungen im wesentlichen bis heute erhalten. Die einstimmigen Lieder bzw. die solistisch vorgetragene Instrumentalmusik ist hinsichtlich der melodischen Gestaltung durch reiche Verzierungen charakterisiert und insbesondere in den Strophenliedern rhythmisch bzw. metrisch von der — typisch irischen — akzentuierenden Assonanzendichtung bestimmt. Der Liedvorrat umfaßt: Liebes-, Kriegs-, Klage-, Trink- und Hochzeitslieder. Die traditionelle Tanzmusik I.s, die z. T. auch englische und schottische Einflüsse aufnahm, ist durch klare und gleichmäßig wiederkehrende Taktschwerpunkte und einfache Harmonik gekennzeichnet. Typisch sind auch die irischen Tonleitersysteme, die vom Tonsystem oder -umfang der jeweiligen Instrumente (Harfe oder Dudelsack) abhängen und in denen bestimmte Intervalle wie Quarte und Septime entfallen können. Neben den vorherrschenden Instrumenten Harfe und Dudelsack (mit verschiedenen Varianten) wurden — zumindest aus Funden bekannt — verschiedene Streichinstrumente (Timpán und Fidil) und Trompeten bzw. Horninstrumente (Stoc, Sturgan bzw. Corn) verwendet. Durch die Ausweitung des englischen Einflusses im politischen, aber auch im kulturellen Bereich gegen Ende des 17. Jh. konnte auch die englische bzw. kontinentale Musiktradition in I. Fuß fassen. Dublin wurde im 18. Jh. zu einem wichtigen Zentrum der Kunstmusikpflege, das berühmte ausländische Musiker wie etwa Fr. Geminiani anzog, aber auch einheimische Künstler hervorbrachte. Zur Aufführung kamen vor allem Opern, aber auch andere Werke des instrumentalen und vokalen Bereichs; u. a. fand hier 1742 die Uraufführung von G. Fr. Händels Messiah statt. Die Aufhebung des unabhängigen irischen Parlamentes um 1800 bewirkte jedoch einen gewissen Rückschritt des kulturellen Lebens in Dublin — und damit auch des musikalischen in Irland. Erst wieder Ende des 19. Jh. trat I. mit Komponisten wie Ch. V. Stanford und H. H. Harty hervor, die in ihren Werken irisches Lokalkolorit mit zeitgenössischen, an den Komponisten des Kontinents orientierten Stil- und Formelementen zu verbinden versuchten. Seit der Unabhängigkeit I.s 1922 erfuhr die Musikpflege weitere entscheidende Impulse durch Komponisten wie Sean O'Riada, Br. P. Boydell, Aloys Fleischmann, John Kinsella, James Wilson, Archibald Potter und Gerard Victory, die z. T. über die Grenzen I.s hinaus bekannt wurden.

Zu den bedeutendsten Musikinstitutionen I.s zählen heute das bereits 1926 gegründete Symphonieorchester und der Chor des Radio Eireann (RTE) sowie das New Irish Chamber Orchestra. Eine wichtige Rolle spielen auch die im Musikleben I.s inzwischen zur festen Einrichtung gewordenen Kunst- und Theaterfestspiele in Dublin, die Opernfestspiele in Wexford, bei denen auch spezifisch irische Opern aufgeführt werden, und das Internationale Chor- und Volkstanzfestival in Cork. Musikwissenschaftliche Seminare befinden sich an den großen Universitäten in Dublin (Trinity College und University College) und in Cork (University College). Instrumentalisten und Sänger werden in Dublin an der Royal Irish Academy of Music und am Dublin College of Music ausgebildet, in der Provinz an den Musikschulen in Cork und Limerick. Lit.: W. H. GRATTAN FLOOD, A History of Irish Music (Dublin 1895, '1913, Nachdr. Shannon 1973); A.G. FLEISCHMANN, Music in Ireland (Cork 1952); S. O'BOYLE, Irische Musik, in: MGG VI; D. J. O'SULLIVAN, Songs of the Irish (Dublin 1960); DERS., Irish Folk Music and Song (ebd. 1961); H. CASTEIN, Die anglo-irische Straßenballade (Mn 1971); J.C. WALKER, Historical Memoirs of the Irish Bards (NY 1971); B. BREATHNACH, Folk Music and Dances of Ireland (Dublin 1971); E. M. DEALE, A Catalogue of Contemporary Irish Composers (ebd. 2 1973); B. MUNXELHAUS, Der Beitrag I.s zur Musik des frühen MA, in: Kgr.-Ber. Tübingen „Die Iren im frühen MA" (Tü 1979). G. VICTORY

IRMA LA DOUCE, frz. Musical in 22 Szenen von Marguérite Monnot (1903-1961), Buch und Liedertexte von Alexandre Breffort. Ort und Zeit der Handlung: Paris, Frz.-Guayana und Edinburgh, zu Beginn der 30er Jahre. UA: 12. 11. 1956 in Paris (Théâtre Gramont); dt. EA (in dt. Sprache): 24. 1. 1961 in Baden-Baden. Verfilmt 1963. • Im Mittelpunkt der Verwicklungen stehen das Pariser Freudenmädchen Irma und ihr Freund Nestor. Dieser gibt sich als reicher Freier aus, wird auf sich selbst eifersüchtig und bringt sein „zweites Ich" scheinbar um. Aus den daraus folgenden Schwierigkeiten rettet ihn letztlich Irma. Zu den bekanntesten Gesangsnummern gehört das freche Chanson Ah, dis, donc. Irma la Douce ist das einzige französische Musical, das international bekannt und erfolgreich wurde. In Paris lief es drei Jahre, in London wurden 1512 Aufführungen en suite gespielt, in New York 524. R.-M. SIMON — S. SIMON ISAAC (Isaak, Yzac, Ysac), Heinrich (Henricus, Arrigo), * um 1450 in Flandern, t 26. 3. 1517 Florenz; ndl. Komponist. Ober I.s Jugend und Ausbildung ist nichts bekannt. 1484 folgte er einem Ruf Lorenzos de' Medici nach Florenz, wo er seit 1485 Sänger am Dom, am Baptisterium, sicher seit 1491 auch an S. Annunziata war. Vermutlich war I. auch 205

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Musiklehrer der Kinder Lorenzos. Nach der Vertreibung der Medici aus Florenz fand I. 1496 eine neue Stellung als habsburgischer Hofkomponist, scheint aber nicht sehr eng an den Aufenthaltsort der habsburgischen Kapelle gebunden gewesen zu sein, da er 1497 und 1499 am kursächsischen Hof in Torgau und 1499 und 1502 in Florenz und kurz in Ferrara nachweisbar ist. 1500 und danach hielt er sich in Innsbruck, in Augsburg und Nürnberg auf, 1507-08 auch in Konstanz, wo er im April 1508 vom Domkapitel den Auftrag zur Komposition des 2. Bandes des Choralis Constantinus erhielt. 1512 ist er erneut in Florenz bezeugt, wo er sich, möglicherweise auch in diplomatischer Funktion für Kaiser Maximilian, von 1514 bis zum Ende seines Lebens aufhielt. Die Medici waren inzwischen wieder an die Macht gekommen; der Medici-Papst Leo X. setzte sich in Florenz erfolgreich für eine Pension an den nun alt gewordenen Musiker ein. 1516 erkrankte I., und 1517 starb der auch seiner Wesensart nach geschätzte Musiker. WW: Nahezu 40 Messen für 4, 5 u. 6 St., davon 5 gedruckt als Misse henrici Isac (V 1506); Choralis Constantinus, 3 Teile: I (Nü 1550), II u. III (Nü 1555) (ca. 100 Zyklen von Propriumsvertonungen für 4 St.); weitere ca. 50 Motetten für 3-6 St. sowie zahlr. dt. Lieder, frz. Chancons u. it. Frottolen in Sammeldrucken 1501 bis 1589 u. hsl.; mehrere Gesänge sind auch in gedruckten u. hsl. Lauten- u. Org.-Tabulaturen überliefert. — Umfassende Verzeichnisse zu den einzelnen Gattungen bringen die Arbeiten von (s. u. Lit.): M. STAEHELIN (Messen), G. R. PATZIG (Propriumskomp.), M. JUST (freie Motetten) u. J. WOLF (weltliche Werke. in: DTO 28 u. 32).

I. war neben Josquin, J. Obrecht, P. de la Rue u. a. einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Sein Werk ist ebenso vielfältig wie umfangreich. Seine Messen gehören, zu etwa gleichen Hälften, bis etwa 1505 zum Typus der Messe nach ein- und mehrstimmigen Fremdvorlagen choraler und weltlicher Herkunft und seit etwa 1496/97 zum Typus der alternierenden Messe nach Eigenvorlagen, also choralen Ordinariumsmelodien. Die Stücke der ersten Gruppe vertreten den von den Niederländern damals bevorzugten Typus, der sich die musikalische Zusammenfassung und Vereinheitlichung der fünf Messensätze in einem Zyklus zur künstlerischen Aufgabe macht, während die zweite Gruppe — nach Vorlagenwahl und der zwischen Mehrstimmigkeit und Orgel alternierenden Anlage an durchaus deutsche Musikübung anknüpfend — sich durch eine besondere Vielfalt der Cantus firmus-Behandlung auszeichnet. Kontrapunkttechnik von höchster Qualität gilt allerdings für beide Typen und ebenso für die zahlreichen Zyklen von liturgischen Propriumsstücken aus I.s deutscher Zeit, die im Choralis Constantinus und gesondert erhalten geblieben sind. Auch die freien Motetten zeigen diese satztechnische Qualität: im Gegensatz zu den Pro206

prien verteilt sich ihre Entstehung über I.sganze Lebenszeit, und neben mehr deutsch geprägten Stükken finden sich auch große repräsentative Werke oder isorhythmische Spätformen durchaus niederländischen Zuschnitts. Die Leichtigkeit I.s, sich an bestehende regional gebundene Musiktraditionen anzuschließen, wird schließlich an seinen weltlichen Werken besonders deutlich: hier sind insgesamt über 100 französische Chansons, z. T. noch burgundischen Typs, Instrumentalcarmina, italienische Frottola -Sätze und deutsche Lieder in reicher Vielfalt und durchweg glücklicher Gestaltung vertreten. — Die Einflüsse kompositorischer Vorbilder sind bei I. schwer greifbar; gelegentlich wird man an Josquin oder Obrecht denken wollen, aber über I.s grundsätzliche künstlerische Selbständigkeit nicht hinwegsehen können. Deutlich und für I. fundamental wichtig wird indessen seine Bereitschaft zur Anlehnung an regional bestimmte Gattungstraditionen, doch gilt hier, daß er, sosehr er sich auch immer von ihnen bestimmen läßt, alle diese vorgegebenen Formen in seinen Werken mit eigenem genialem niederländischem Geist erfüllt. Durch einige Schüler, von denen L. Senfl der mit Abstand bedeutendste gewesen ist, übte I. namentlich in deutschem Bereich und auch als Lehrer eine ansehnliche Wirkung aus; zugleich verhalf er den bis dahin eher abseits stehenden deutschen Landen zum Anschluß an die große Musikübung der Zeit. Seit I. nimmt auch Deutschland mit wesentlichen Komponisten und wesentlichen kompositorischen Beiträgen an der europäischen Musikgeschichte teil. Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. E. R. LERNER, bisher 7 Bde. (1974, St 1977 ff.) (— CMM 65). — Missa Carminum, hrsg. v. R. HEYDEN (Wb 1930) (— Chw 7); 4 Messen u. ein Credo sowie 4 Messen, hrsg. v. M. STAEHELIN (Mz 1971, 1973) (= Musikal. Denkmäler 7 u. 8); Choralis Constantinus, Teil I, hrsg. v. E. BEZECNY — W. RABL (1898) (= DTO 10), Teil II, hrsg. v. A. V. WEBERN (1909) (= DTO 32), Teil III, hrsg. v. L.CuYLER (Ann Arbor 1950); 6 Introiten I, hrsg. v. M. JUST (Wb 196(1) (= Chw 81), dass. I1, hrsg. v. GEMS. (Wb 1976) (= Chw 119); Weltliche Werke, hrsg. v. J. WOLF (1909) (= DTO 28 u. 32). Lit.: J. WOLF, Zur I. -Forschung, in: ZIMG 8 (1906/07); O. ZUR NEDDEN, Zur Musikgesch. v. Konstanz, in: ZfMw 12 (1929/30); F. GHISI, 1 canti carnascialeschi nelle fonti musicali del XV e XVI secolo (Fi 1937); H. OSTHOFF, Die Niederländer u. das dt. Lied (B 1938, Tutzing 2 1967); R. WAGNER, Die Choralverarbeitung in H. 1.s Offizienwerk „Choralis Constantinus" (Diss. Mn 1950); R. MACHOLD, H. 1. Darstellung seiner Kompositionstechnik an Hand der choral. -polyphon alternierenden Messen (Diss. Mn 1954); G. R. PATZIG, Liturg. Grundlagen u. hsl. Überlieferung von H. I.s „Choralis Constantinus", 2 Bde. (Diss. Tü 1956); F. FELDMANN, Divergierende Überlieferungen in I.s „Petrucci Messen", in: Collectanea Historiae Musicae 2 (1957); M. JUST. Stud. zu H. I.s Motetten, 2 Bde. (Diss. Tü 1960); DERS., H. l.s Motetten in it. Quellen, in: Stud. zur it.-dt. Musikgesch. 1 (1963) (= Anal. Mus. 1); F. A. GALLONE. H. I. in Florence, in: MQ 49 (1963); H. OSTHOFF, Fin Josquin -Zitat bei H. I. in: Liber amicorum. FS Ch. v. d. Borren (An 1963); W. P. MAHRT. The ..Missae ad organum" of H. I. (Diss. Stanford Univ. 1969):

Isorhythmie M. STAEHELIN, Die Messen H. I.s, 3 Bde. (Be — St 1977); M. SCHULER, Zur Überlieferung des „Choralis Constantinus" v. H.I., in: AfMw 36 (1979). M.

STAEHELIN

ISIDOR VON SEVILLA (Isidorus Hispalensis), * um 560 Cartagena, t 636 Sevilla; span. Gelehrter und Theologe. I. gehörte einer Adelsfamilie an und wurde Anfang des 7. Jh. als Nachfolger seines Bruders, des heiligen Leander, Erzbischof von Sevilla. I. gehörte zu den großen Universalgelehrten seiner Zeit und war — auch auf dem Gebiet der Musiktheorie — während des ganzen Mittelalters eine der maBgeblichen Autoritäten. Von seinen Schriften widmet besonders das in zahlreichen Hs. überlieferte Hauptwerk, Originum sive etymologiarum libri XX, der Musik mehrere Kapitel, die deutlich Einflüsse von Cassiodorus und Augustinus erkennen lassen. Ausg.: Etymologiarum... libri XX, hrsg. v. W. M. LINDSAY, 2 Bde. (0 1911, Nachdr. 1957); Auszüge aus Buch III, als: Sententiae de musica, in: GERBERT Scr. 1. Lit.: G. PIETZSCH, Die Klassifikation der Musik v. Boetius bis Vgolino von Orvieto (Hl 1929, Nachdr. Da 1968); H. B. BROWN, The Printed Works of I. of S. (Lexington/KY. 1949); W. GURLITT, Zur Bedeutungsgesch. v. musicus u. cantor bei I. von S. (Mz 1950) (= Akad. der Wiss. u. der Lit., Abh. der geistes- u. sozialwiss. Klasse Nr. 7); H. HUSCHEN, Der Einfluß I.s von S. auf die Musikanschauung des MAs, in: FS H. Anglés (Ba 1958); J. FONTAINE, I. de S. et la culture classique dans l'Espagne wisigothique, 2 Bde. (P 1959); H. A VENARY, Musica Analecta aus I.s „Etymologiae". Campana, Tubae ductiles, Puncti, in: Mf 21 (1968); B. MUNXELHAUS, Pythagoras musicus (Bonn 1976) (= Orpheus Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 19).

ISNARDI, Paolo, * 1536 Ferrara, t 1596 ebd.; it. Komponist. I. war zwischen 1573 und 1590 Domkapellmeister in Ferrara und stand außerdem im Dienst des Herzogs Alphons II. in Este. WW: 3 Bücher Madrigale für 5 St. (V 1568, 1577, 1581); Madrigale für 6 St. (1589); Messen für 4 St. (V 1573); 2 Bücher Messen für 5 St. (V 1568, 1581); Messen für 6 St. (V 1590); Missa et motetae cum 8 v. (V 1594); 2 Bücher Psalmen I: für 4 St. (V 1569), II: für 5 St. (V 1579); Lamentationes cum psalmis, Benedictus et Miserere für 5 St. (V 1572); Magnificat omnitoni für 4-6 St. (V 1582); weitere Werke in Sammeldrucken der Zeit. Ausg.: Missa Angelus Domini, hrsg. v. C. MACCLINTOCK (Cincinnati/O. 1959).

ISOIR, André, * 20.7.1935 St-Dizier; frz. Organist. I. war Schüler der École C. Franck (Orgel bei E. Souberbielle) und des Conservatoire in Paris. 1966-68 gewann er dreimal hintereinander den Internationalen Orgelimprovisations-Wettbewerb in Haarlem. 1972-78 war er Professor für Orgel am Conservatoire in Angers und ist seit 1978 in gleicher Funktion in Orsay tätig. Seit 1972 ist er auch Organist von St-Germain-des-Prés in Paris. I. gehört in Frankreich zu den führenden Organisten der jüngeren Generation. Er hat das gesamte Orgelwerk Bachs sowie die Serie des Livre d'or de l'orgue français auf Platten eingespielt.

ISOMETRISCH (von griech. isos = gleich und griech.-lat. metrum = Maß), gelegentlich synonym verwendet mit isorhythmisch. — řIsorhythmie. • ISOPERIODIK OEIsorhythmie. ISORHYTHMIE (von griech. isos = gleich), von Fr. Ludwig eingeführte Bz. für ein Kompositionsverfahren, vor allem in der Motette des 14.-15. Jahrhunderts, das auf der melodischen (řColor) und davon unabhängigen rhythmischen Wiederholung (řTalea) eines Tenors bzw. von Tenorabschnitten beruht. Die Länge von Color und Talea braucht nicht übereinzustimmen. Die Taleae bestimmen maßgebend den Großaufbau der Motette und korrespondieren in den Werken G. de Machauts, aber auch Ph. de Vitrys mit der Strophenform des Textes in den Oberstimmen. Ist nur der Tenor (in 4st. Werken auch der Contratenor) mit Color/Talea durchstrukturiert, spricht man in relativer Abgrenzung zur integralen I. (W. Apel: panisorhythmic motet) von Isoperiodik (H. Besseler, J. Handschin). In isorhythmisch gebauten Kompositionen entsprechen sich rhythmisch auch die Oberstimmen der einzelnen Talea-Abschnitte. Die Talea-Ordnung und der Strophen-Großaufbau wird in den Werken G. de Machauts und seiner Nachfolger der /Ars subtilior, aber auch schon in den isoperiodischen Werken Ph. de Vitrys vor allem durch 2'Hoquetus-Technik, Tenordiminution und Periodengliederung, im frühen 15. Jh. (u. a. J. Dunstables Venisancte) auch durch Mensurwechsel und Wechsel der Stimmenzahl hervorgehoben. Die I. ist als Entwicklungsprozeß zu verstehen, der mit den isoperiodisch angelegten Motetten der ausgehenden ."Ars antiqua beginnt und über die eigentliche Ausbildung der I. bei G. de Machaut zu den Kompositionen der Ars subtilior bis zu G. Dufay, vereinzelt noch bis ins 16. Jh. (A. Willaert) führt. — Isorythmische Strukturen finden sich auch in Kompositionen des 20. Jh., so im Spätwerk A. Weberns und bei W. Lutoslawski. Lit.: F. LUDWIG, Besprechung v. J. Wolf, Gesch. der Mensuralnotation, in: SIMG 6 (1904/05); DERS., Die isorhythmische Motette, in: G. Adler, Hdb. der Musikgesch. (B 1924, 21930, Nachdr. Mn 1975); H. BESSELER, Die Motette v. Franko von Köln bis Ph. de Vitry, in: AfMw 8 (1926); J. HANDSCHIN, Musikgesch. im Überblick (Luzern 1948, 21964); R. DAMMANN, Spätformen der isorhythmischen Motette im 16. Jh., in: AfMw 10 (1953); W. APEL, Remarks About the Isorhythmic Motet, in: Les colloques de Wégimont 2 (P 1959); G. REICHERT, Das Verhältnis zw. musikal. u. textlicher Struktur der Motetten Machauts, in: AfMw 13 (1956); U. GÜNTHER, The 14th Century Motet and its Development, in: MD 12 (1958); E. APFEL, Stud. zur Satztechnik der ma. engl. Musik, 2 Bde. (Hei 1959); DERS., Zur Entstehung des realen 4st. Satzes in England, in: AfMw 19/20 (1962/63): H. H. EGGEBRECHT, Machauts Motette Nr. 9, in: ebd., u. in: ebd. 25 (1968); D. HARBINSON,

207

Isouard Isorhythmic Technique in the Early Motet, in: ML 47 (1966); K. E. MIXTER, Isorhythmic Design in the Motets of J. Brassart, in: Studies in Musicology (Chapel Hill 1969); W. DOMLING, I. u. Variation. Uber Kompositionstechniken in der Messe G. de Machauts, in: AfMw 28 (1971); H.OESCH, Isorhythmische Strukturen im Orient u. Abendland, in: Musik u. Bildung 5 (1973); S. THIELE, Zeitstrukturen in den Motetten des Ph. de Vitry u. ihre Bedeutung für zeitgen. Komponieren, in: NZfM 135 (1974); DERS., I. bei Philippe de Vitry und in der neuen Musik, in: AfMw 31 (1974).

ISOUARD, Nicolas (Nicole) Isoiar oder Niccolò de Malta), * 6. 12. 1775 Malta, t 23.3. 1818 Paris; frz. Komponist. I. war Schüler von P. A. Guglielmi und N. Sala in Neapel. 1794 brachte er in Florenz seine erste Oper, L'Avviso ai maritati, zur Aufführung. 1795 wurde er Organist an St. Johannes von Jerusalem in La Valetta und später Kapellmeister des Malteserordens. Nach Auflösung des Ordens ging er 1799 nach Paris, wo er von R. Kreutzer gefördert wurde und sich nach seinem ersten durchgreifenden Erfolg, Michel-Ange (1802), rasch als Komponist von Opéras-comiques einen Namen machte. Er konnte sich auch mit weiteren Werken, darunter besonders Cendrillon (1810), eine Zeitlang gegenüber Fr. A. Boieldieu behaupten, der ihm allerdings 1817 bei einer Bewerbung um die Mitgliedschaft beim Institut de France vorgezogen wurde. WW: Duos; 5 Messen, Motetten u.a. geistliche Werke; Romanzen u. Kantaten. — Über 40 Opern, darunter (UA in Paris): Le tonnelier, UA: 1801; Michel-Ange, UA: 1802; Léonce ou Le fils adoptif, UA: 1805; Les rendez-vous u. Les créancies, UA: 1807; Cendrillon, UA: 1810; Le billet de loterie, UA: 1811; Lulli et Quinault, UA: 1812; Les Français à Venise, UA: 1813; Joconde, UA: 1814; !eannot et Colin, UA: 1814; L'une pour l'autre, UA: 1816; Aladin, UA: 1822. Lit.: E. WAHL, N. I., sein Leben u. sein Schaffen auf dem Gebiet der Opéra-comique (Diss. Mn 1905); M. BRIQUET, I., in: MGG VI.

ISRAEL. Biblische Zeit. Anders als die chinesische, indische oder griechische Musik des Altertums ist israelische Musik weder in theoretischen Abhandlungen noch in Notation überliefert; auch bildliche Quellen fehlen. Einen wesentlichen Beitrag leistete indes die moderne Archäologie durch die Entdeckung einer Anzahl antiker Musikinstrumente wie etwa: die Lyren von Ur, die Trompeten aus dem Grab Tutanchamuns, die griechischen Auloi und einige wichtige, im alten Palästina verwendete Schallwerkzeuge (Schnarren, Glocken, Knochenflöten, ein Elfenbeinhorn und ein Muschelhorn). Auch die Musikethnologie konnte inzwischen bestimmte Beziehungen zwischen der Musiktradition und der antiken Musikpraxis aufdecken. Früheste schriftliche Zeugnisse über hebräische Musik finden sich im Alten Testament. Dort werden — allerdings ohne zeitlich und mor208

phologisch genaue Anhaltspunkte zu bieten — eine größere Anzahl von (noch nicht endgültig definierten) Musikinstrumenten, einige Kultformen, liturgische Gesänge und rituelle Tänze erwähnt. Auch einige Liedtexte finden sich in den Büchern des Alten Testaments: der Lamech-Gesang (Gen 4, 23-24), das Brunnenlied (Num 21, 17-18), das Lied vom Roten Meer (Ex 15, 2-18), das Lied der Debora (Richter 5) und das Klagelied des David (2 Sam 1,19-27). An Musikinstrumenten werden in der Genesis (4, 21) bereits Saiten- und (Bambus-)Blasinstrumente unterschieden. Sie sind Jubal zugeordnet, der als Vater all jener genannt wird, die den Kinnor (Saiten- bzw. Zupfinstrument vom Lyratypus) und den Ugab (ein schalmeiartiges Rohrblasinstrument) spielen. Darüber hinaus scheint der Eigenname Jubal eine dritte Instrumentenkategorie symbolisch zu bezeichnen: Tier-, insbesondere Widderhörner (Yobel oder Jubal, .7Schofar, Keren oder Sachar). In den Königsbüchern des Alten Testaments entsprechen die drei Gruppen drei Lebensbereichen: 1. Die Tempelpriester (Cohanim), die das Recht des Horn- oder Trompetenblasens hatten; 2. Die Tempelmusiker (Leviten), die die Lyra und Harfe spielten (Kinnor, /Nebel); 3. Das Volk Israel, das die Schalmeien und Flöten spielte (`Ugab, Chalil). Diese drei ständisch gebundenen Instrumentengruppen wurden durch Gongs, Bronzezimbeln (Zilzal) und durch Glocken (Pa'amon) ergänzt — Instrumente, denen magische Kräfte zugeschrieben wurden und deren Gebrauch den höchsten Tempelwürdenträgern vorbehalten blieb (Ex 28,33-35; 1 Chr 16, 5). Die biblische Rahmentrommel (Toph), die in der Genesis erwähnt ist, wird oft mit den Frauenbünden und ihren rituellen Tänzen (Ri 11,34) in Verbindung gebracht. Vermutlich wurden auch eigene Formen des antiphonalen Gesanges von Frauen ausgeführt (Ri 5,11; 11,40). Von allen Instrumenten der jüdischen Antike überdauerte bis in die heutige Zeit nur der kultische Schofar (Neujahr und Versöhnungsfest). Sein kultischer Ursprung hängt wahrscheinlich mit der Opferung Isaaks und dem Erscheinen eines Widders als Opfertier zusammen (Gen 22,13). Damit ist das Widdergehörn späterhin als Klangsymbol festgelegt: Die magische Kraft des Schofar ist der Hintergrund der Ereignisse am Berg Sinai (Ex 19,6-19), des Falles der Mauern von Jericho (Jos 6, 4-20), der Schlacht des Gideon (Ri 7,16) und bei der Prozession der Bundeslade (2 Sam 6). Im Gegensatz zum Widderhorn erscheint in Num 10,1-10 ein Paar Silbertrompeten (Chazozrah), die im festlichen Tempelkult der Königszeit Bedeutung gewinnen (2 Chr 5,12-13). Saiteninstrumente. Der biblische Kinnor, das In-

Israel

strument des jungen David, war weder eine Harfe noch eine Geige, sondern eine unregelmäßig trapezförmig gebaute Leier assyrischen Ursprungs. Zur Zeit der Könige wurde der Kinnor zum Hauptinstrument des Tempels in Jerusalem und fand in der Folge Verbreitung nach Norden in den syrischen Provinzen. Das ihm verwandte Instrument, die eigentliche orientalische Bogenharfe Nebel, erlangte nicht dieselbe Bedeutung wie die Leier. Sie findet sich vielmehr im Süden, in Ägypten, und im Osten, in Ostasien, insbesondere in Burma. Eine Assor (= Zehn) genannte Lyra, die in Pss 33,2; 92,4 und 144,9 erwähnt wird, ist wahrscheinlich das Psalterium decacordum. Blasinstrumente. Die Flöten und Schalmeien aus Bambus oder Schilfrohr haben ihren Ursprung in den bäuerlichen und Nomadenzivilisationen Westasiens, wo sie auch heute noch ohne wesentliche Veränderungen der Form und des Materials verwendet werden. Genannt werden sie: `Ugab in der frühen nomadischen Periode, Chalil in der Zeit der Könige und Propheten und Abuv in der nachbiblischen talmudischen Periode. Ihre genauere Klassifikation (etwa Flöte, Schalmei oder Dudelsack) ist nicht möglich, bezeugt sind indes der ununterbrochene Gebrauch und ihre Funktion. Knochen- und Toninstrumente. Knochen oder Ton sind die Grundmaterialien einer großen Zahl von Pfeifen und Rasseln. Ausgegrabene Tonpfeifen, z. T. /Gefäßflöten, lassen erkennen, daß die ältesten Typen mit einem Anblasloch, spätere Pfeifen mit zwei oder mehreren Grifflöchern versehen sind. Einige Details wie die konische oder zylindrische Form des Pfeifenrohrs, die Kerben- oder Kugelform am Pfeifenende, die Verteilung der Grifflöcher und die daraus resultierende Anordnung der Intervalle und Tonreihen sind Gemeinsamkeiten, die ausgegrabene und spätere, sogar heutige Instrumente aufweisen. In der nachbiblischen Zeit hat sich häufig nur die Benennung geändert, wie z. B. die der Orgel: Magrepha oder Hydraulis nach dem Talmud -Traktat `Arakhin oder die Sumponjah (Dudelsack oder Panflöte?) des Buches Daniel. Tempelmusik. Dem Zeugnis von 1 Sam 10,5f. zufolge waren während der vorköniglichen Zeit die Kultstätten mit zahlreichen Buß- und Opferaltären ausgestattet. Diese waren auf den Berggipfeln errichtet und wurden von volkstämmigen Propheten betreut. Der Gebrauch von Musikinstrumenten (Harfe, Trommel, Lyra und Flöte) galt nach jüdischer Auffassung als Mittel prophetischer Vision. Eine bedeutsame Umschichtung erfuhr die liturgische Musik I.s durch die Vereinheitlichung des Kultes im Salomontempel in Jerusalem (um 962-922 v. Chr.). Diese erforderte eine genaue Ordnung des von den

Priestern geleiteten Gottesdienstes und auch des musikalischen Ablaufes durch die Tempelmusiker (Leviten). Ein neues und wichtiges Element ergab sich aus der berufsmäßigen Stellung der Musiker, die eine grundlegende musikalische Ausbildung in speziellen Ausbildungsstätten, die sich innerhalb des Tempels befanden, voraussetzte. Der biblischen Vorstellung vom Königtum Gottes entsprechend, war die hebräische Tempelmusik als Chor- und Instrumentalmusik auf Prachtentfaltung ausgerichtet und erreichte einen künstlerischen Hochstand, der in der Folge im Judentum und später im Christentum nachwirkte. Mit dem Niedergang des salomonischen Tempelgottesdienstes ging auch die Instrumentaltradition zurück und wurde schließlich durch die menschliche Stimme, das einzig wirkliche „Instrument" des Gebetes ersetzt. Eine Wendung bewirkten schließlich das Babylonische Exil (587 bis 538 v. Chr.) und die darauffolgende zweite Tempelperiode (Tempelzerstörung 70 n. Chr.). Durch Ezechiel, Nehemia und den Schriftgelehrten 'Ezra traten neue geistige Kräfte auf; die Bibel und das heilige Wort trat an die Stelle der älteren Tieropfer. Das Gebet, das Studium und die Meditation des geschriebenen und unwandelbaren Wortes zog Textkommentare und Textanalysen nach sich. Auf 'Ezra geht auch die Einführung öffentlicher Lesungen aus der Heiligen Schrift zurück. Die Lesung bzw. das Vorlesen vor zahlreichen Zuhörern führte zu einer melodischen Rezitation des Schriftsatzes in Form einer fortlaufenden Kantillation, die den Ursprung der mittelalterlichen masoretischen Akzentnotation darstellt und sich zwischen 500-900 n. Chr. in einigen rabbinischen Schulen in Palästina, vor allem in Bagdad und Tiberias entwickelte. Die biblische Kantillation mit ihrer Notation in ekphonetischen Zeichen und Neumen war sicherlich die wesentlichste musikalische Erbschaft, die das Judentum, sogar nach seiner Zerstreuung, dem Christentum vermachte. Der liturgische Gesang entwickelte sich jedoch nicht im Innern des Tempeldienstes, sondern fernab von ihm und gegen seinen theokratischen Geist in den kleinen Versammlungsstätten (hebräisch: Beit ha-knesseth; griech.: Synagoga), die die neuen Kultzentren der vergeistigten Form des Judentums werden sollten. In diesen Synagogen vollzog sich der endgültige Wandel des Opfers zum Gebet, das sich bald danach zum Offizium umgestaltete, d. h. zu den alle drei Stunden zelebrierten Gebetsstunden, mit ihren Psalmlesungen, Textkommentierungen, Gebeten und Dankeshymnen. Dieser Gebetsgrundriß blieb für lange Zeit die gemeinsame Basis sowohl des jüdischen als auch des christlichen Kultes (/Horen). Im Mittelpunkt stand zweifellos das alle Anwesenden umfassende Psal209

Israel

mensingen im antiphonalen bzw. responsorialen Stil. Die litaneiartige Psalmodie ist als Angleichung an die poetische Form vieler Psalmverse zu verstehen, d. h. als zwei Halbverse (Hemistichera), die einen Gedanken als Variationen eines dichterischen Themas in Parallelismus ausdrücken. Die melodische Anlage folgte den Halbversen als Rezitationston-Linie (Tuba; Tonus currens), die jedoch an den wichtigsten Interpunktionsstellen (Anfang, Mitte und Ende der Zeile) kleine Verzierungen (Interpunktionsmelismatik) gestattete und durch drei ekphonetische Zeichen angezeigt wurde: an- und absteigende und vorwärts laufende Bewegung. Dieses psalmodische System setzte sich im ?Byzantinischen und /Gregorianischen Gesang fort, ebenso auch in den meisten Kirchen und Sekten des Orients (Kopten, Armenier, Maroniten usw.). Das Lesen aus den Prosabüchern der Bibel mit ihrem unregelmäßigen freien Satzbau machte ein ausgearbeitetes System von melodischen Leseakzenten notwendig, das fähig war, die syntaktische Interpunktion mit einer bestimmten Melodieformel zu vereinigen. Die Leseakzente sind jedoch keine Notenschrift, eher eine mnemotechnische Hilfe für das Absingen der 24 Bücher der Bibel. Als Folge der Zerstreuung der Juden in Asien (Jemen, Irak, Iran, Syrien, Türkei), im Mittelmeerraum (sephardische Juden des Orients), in Ost- und Westeuropa (aschkenasische Juden) entwickelten sich auch entsprechende melodische Varianten. Eine Kanonisation der unzähligen Varianten der biblischen Kantillation sowie eine einheitliche Gebetsordnung waren damit ausgeschlossen. Die mündliche Überlieferung der regionalen Stile bedingte vielmehr eine eigene Art der Erziehung: das Erlernen der Neumenfolgen (oberund unterhalb des Bibeltextes notiert) mit ihren Eigennamen. Sie wurden in einer geschlossenen Kette gesungen und erst später dem jeweiligen BiInitium 1

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begründet, trotz fremder Einflüsse, Verfolgungen und Abwanderungen über Länder und Kontinente. Allerdings trat mit dem wachsenden Streben nach einem Kunstgesang der Chasan (Vorsänger, Kantor) als Solist, der reich verzierte Melodien ausführte und sie mit Improvisationen ekstatischen Charakters als Erbe des Orients vermischte, stärker in den Vordergrund. E. GERSON-KIWI Israel in der Diaspora. Die Musik I.s in der Diaspora unterscheidet sich in Form und Stil wesentlich von derjenigen im judäischen Staat und in seinem Zentralheiligtum. Die Umstellung vom Opferkult auf das Gebet hatte das Instrumentenspiel gänzlich aus der Liturgie verbannt. Der Gesang wurde zum alleinigen Ausdruck der religiösen Musik und gründet sich auf einfache, zur kollektiven Ausführung geeignete Formen. Die eigentliche künstlerische Ent-, wicklung beschränkte sich auf den Sologesang auf der Grundlage orientalischer Melodiestrukturen und wurde, wie diese, nicht schriftlich fixiert. In einer späteren Phase traten Formen und Ausdrucksmittel der östlichen oder westlichen Kulturen hinzu und wurden hauptsächlich im Hymnengesang, aber auch in der volkstümlichen, außersynagogalen Musik, die sich auch der Instrumente bediente, übernommen. Einige Urstile des religiösen Gesanges haben sich in rein mündlicher Überlieferung durch die Jahrtausende erhalten. Die erste dieser elementaren Gesangsformen ist die Psalmodie, die sich eng an die Struktur des Psalmverses anschließt: Initium 1, Leseton (Tenor 1), Mediatio, Initium 2, Leseton (Tenor 2) und Finalis (vgl. Bsp. 1). Dieses Gestaltungsprinzip ist, zusammen mit dem Buch der Psalmen selbst, von allen Kirchen übernommen worden. Die Melodie des ersten Verses wiederholt sich während des ganzen Psalms. Im synagogalen Gebrauch wird die starre Struktur zumeist durch Variation,

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Bsp.1: 1. Psalm, nach A. Z. Idelsohn, Hebräisch-orientalischer Melodienschatz, Ill (B 1922) Nr.112

beltext der Melodielinie angepaßt. Die Lesungen der Bibel und der Gebete waren gewöhnlich nicht einem berufsmäßigen Vorsänger vorbehalten, sondern allgemein gekoppelt an die Kenntnis des weiten Melodienrepertoires aus Bibel, Mischna, Talmud und aus dem gesamten Gebetskodex. Hier lag auch das Geheimnis der liturgischen Kontinuität 210

Wechsel des Lesetones und andere Mittel aufgelokkert. Der zweite Grundstil findet sich in den Lektionstönen der 21 Prosabücher des Alten Testaments. In ihren Anfängen war die Lesemelodie, mit Zufügung von 1-2 Kadenzen, der Psalmodie ähnlich. In der Zeit der Mischna (2. Jh. n. Chr.) war sie bereits Gegenstand des Schulunterrichts und wurde

Israel bleiben, sind ihre Motive in der Pentateuch-, Propheten- und Hagiographen-Lesung verschieden; auch weichen die Melodien der Motive in den einzelnen Traditionskreisen stark voneinander ab (entsprechend der geographischen Streuung der Diaspora im 10. Jh.). In der Periode zwischen 500 und 1000 n. Chr. wurden auch umfangreiche Hymnenzyklen in die Gebetsordnung aufgenommen. Ihre offizielle Zulassung zur Liturgie wird mit der Einschränkung der religiösen Freiheit unter Kaiser Justinian I. (Erlaß von 553) in Verbindung gebracht. In den Hymnen dieser Periode wird der „freie Rhythmus" der biblischen Poesie fortgesetzt; dazu treten aber Assonanzreim, Akrostichon und

mit Hilfe von Handzeichen (2'Cheironomie) gelehrt; diese Methode und die psalmodieartige Lesung haben sich in den italienischen, jemenitischen und anderen Gemeinden erhalten. Der dritte Grundstil liegt in den charakteristischen Modi bestimmter Hauptgebete und ganzer Liturgieabschnit_te vor. Der synagogale Modus (nusah hat'fila; jiddisch: steiger) ist eine typische Tonskala, die einen Tetrachord, eine Kombination überlappender Tetrachorde oder eine Oktavskala oder mehr umfaßt; hinzu tritt ein Vorrat charakteristischer Motive (vgl. Bsp. 2). Beide Elemente verbinden sich oft mit bestimmten Inhalten: insofern ähnelt der synagogale Modus

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Bsp. 2: Nusah (sephardisch) des Fastenmonats, nach S. Foy,

dem Bau und Ethos von r'Magám und /Rága. Die drei Grundstile sind in allen, auch den entferntesten jüdischen Gemeinden nachweisbar und gehen, ebenso wie die Parallelerscheinungen im Gesang aller Kirchen, auf die ersten Jahrhunderte n. Chr. zurück. In der 2. Hälfte des 1. Jt. entwickelten sich Systeme schriftlicher Lektionszeichen (taàmey miqrá), die den Bibeltext in sinngemäße Wortgruppen aufteilen. Das allgemein übernommene „tiberianische" Akzentsystem (10. Jh.) wird musikalisch als eine Kette melodischer Motive wiedergegeben (vgl. Bsp. 3). Obwohl die etwa 25 Akzentzeichen stets dieselben

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Chants hébraiques (Bordeaux 1929)

strophische Gliederung. Von der heutigen Melodietradition aus gesehen, läßt sich daraus kein nachhaltiger Einfluß auf die musikalische Form ableiten. Diese beruht weiter auf der psalmodischen, fortlaufenden Variation der ersten Melodiezeile. Jedoch führte das Verlangen der Gemeinden nach einem ständig erneuerten Hymnenrepertoire und einer gesanglich anspruchsvollen Ausführung zur Bestallung des berufsmäßigen Synagogensängers (Chasan). Diese entwickelten den reich variierten und melismatischen Solostil des Synagogengesanges. Schon im 11. Jh. traten Vorsängerfamilien und -schulen hervor, die zur Festigung lokaler musikalischer Traditionen beitrugen.

Gen. 21,17

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Bsp. 3: Bibellektion im „tiberianischen" Akzentsystem, nach S. Naumbourg,

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Chants religieux (P 1847-57)

211

Israel

In der jüdischen Musikgeschichte brach eine neue Epoche in der Zeit von 950-1000 an. Die freie Teilnahme an der islamischen Kultur öffnete den Juden neue Wege der musikalischen Praxis. Eine einschneidende Neuerung war die Übernahme des quantitierenden Metrums in die hebräische Dichtung. In der im 11./12. Jh. zu Bedeutung gelangten jüdisch-andalusischen Dichterschule wurde schließlich zusammen mit den metrischen Texten

cher Bildung und Erziehung. 3. Die Bewertung des Singens als Auslöser mystischen Erlebens, als Ausdruck der Liebe zu Gott und Symbol verborgener Ideen. In diesem Zusammenhang wurden die langen Vokalisen in den synagogalen Sologesang eingeführt, die dazu dienten, mystische Ideenverbindungen mit bestimmten Worten (kawanot) auszudrücken und diese z. T. motivisch anzudeuten (vgl. Bsp. 4).

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Bsp.4: Sologesang: a) in der Tradition von Frankfurt am Main (Schofarimitation) b) in der Tradition von Jerusalem (Gesang über den Fall von Jericho)

auch die metrische, aus gleich langen Phrasen zyklisch gebaute Melodie (lahan) in den Synagogengesang aufgenommen. Der Gebrauch fremder Versformen und Strophenbildungen (wie des arabischen Muwašah und des spanischen Villancičo) brachte oft auch die Übernahme fremder Melodien mit sich. Damals begann der Dualismus von altüberlieferter und zeitgenössischer Musikform im Synagogengesang, der fortan zu seiner Bereicherung wie auch zu seinen Problemen beitragen sollte. Ein anderes Phänomen der Integration war das Studium der Musiktheorie (hochmat hamusiqa) durch jüdische Gelehrte, zuerst nach arabischen, später auch nach lateinischen und italienischen Quellen. Die fortgesetzten Krisen in der Diaspora verhinderten jedoch jede Kontinuität, und die Auseinandersetzung mit musiktheoretischen Fragen erfolgte daher in immer neuen Ansätzen. Im 12.-13. Jh. konsolidierten sich die ideologischen Grundlagen der jüdischen Musikübung in 3 bedeutenden und bis heute fortwirkenden Strömungen: 1. Eine rein ethisch ausgerichtete Musik, die Verinnerlichung über ästhetische Vollkommenheit stellt und religionsgesetzlichen Beschränkungen unterworfen ist. 2. Musik als ein wesentlicher Teil weltlio

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Der unablässige Druck auf die Juden in der Diaspora und ihre Vertreibung verstärkten die mystischen Strömungen und damit den Anteil der mystisch inspirierten Gesangsstile. Insbesondere übten die Kabbalisten von Safad in Galiläa seit dem 16.-17. Jh. einen starken Einfluß aus, der u. a. dazu führte, daß Instrumentalmusik zum Anbruch des Sabbat mancherorts üblich wurde. Sie verbreiteten auch zahlreiche volkstümliche Hymnen, die oft als Kontrafaktur altspanischer, türkischer, provenzalischer oder deutscher Lieder konzipiert sind. Im Gefolge der italienischen Renaissance wurde auch eine Integration des synagogalen Gesanges in die europäische Kunstmusik versucht (u. a. durch S. Rossi). Entsprechende Bestrebungen treffen auch für den Orient zu, wo das der jüdischen Tradition wesensverwandte Maqämät-System und dessen Ethoslehre in den Synagogengesang einbezogen wurde. Um 1700 wuchs die Tendenz zur Aufnahme europäischer Gesangsformen auf zunächst rein empirischer Grundlage. Die im Sologesang übliche Improvisation nahm bestimmte Ornamente und Wesenszüge der Musik des 18. Jh. auf und führte zu einer virtuos geprägten, stilistisch jedoch nicht ein -

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Bsp. 5: Sologesang im Stil des 18. Jahrhunderts von Aaron Dor Ber (1738-1821), nach A. Z. Idelsohn,Vl (L 1932) Nr. 377

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Israel

deutigen Formgebung. Ein gewisses Streben zur Dur-Moll-Melodik und zum gleichperiodischen Melodieaufbau drang allmählich durch und verband sich mit dem traditionellen Variationsprinzip. Die Vokalisen verloren dabei ihren mystischen Ideengrund und wurden zur Manier (vgl. Bsp. 5). Seit der Mitte des 18. Jh. empfing der jüdische Gesang neue Impulse aus zwei verschiedenen Richtungen, die auf eine Befreiung aus den unerträglich gewordenen Ghettobedingungen zielten. Weltabgewandt und ganz nach innen gerichtet war die neomystische Bewegung des Chassidismus in Osteuropa, die — wie die frühere Mystik — Gottesliebe, Freude und Begeisterung als Ausgang für Religiosität voraussetzte und musikalisch in einer textlosen — häufig tanzähnlichen — Gesangsmelodie ihren entsprechenden Ausdruck fand. Die Melodien sind als Symbol oder persönliche Aussprache zu verstehen, die nur das Erahnte, nicht in Worte Faßbare auszudrücken versuchen. Auf diesem Hintergrund und innerhalb eines gleichmäßigen periodischen Baues entwickelte sich eine überaus spannungsreiche Motivik und z. T. überschwengliche Melodik, deren Verlauf die psychische Bewegtheit spiegelt:

die extreme Reform auf wenige Gemeinden be-

schränkt blieb (heute hauptsächlich in den USA), wurde ein Ausgleich zwischen musikalischer Tradition und europäischer Form unter der Devise eines „geordneten Gottesdienstes" geschaffen. Die Führung übernahm die Gemeinde von Wien unter dem Chasan und Komponisten Salomon Sulzer (1804-91), dessen Werk SchirZion starken Einfluß ausübte. Im gleichen Sinne wirkte u. a. Samuel Naumbourg (1817-80) in Paris und Lazar-Louis Lewandowski (1823-94) in Berlin. Im Gegensatz zur Reform standen diese Kantoren-Komponisten positiv zu dem überlieferten Melodiengut und interpretierten es im Geist ihres Jahrhunderts: größtmögliche Annäherung an die Dur-Moll-Melodik, starke Reduktion der üppigen Melismatik und Einordnung in ein gleichmäßig fließendes Periodenund Taktsystem. Die Gesänge der Gemeinde und des Chores wurden weitgehend neu komponiert, fast ausschließlich im romantischen Zeitgeschmack und häufig in einem frömmelnden Andachtsstil. Gelegentlich wurde der ehemalige, improvisierte Dreiergesang (Chasan mit den Hilfssängern Singer und Baß) versuchsweise wieder eingeführt. ,.~ 1 1 1.1

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Bsp. 6: Chassidische Gesangsmelodie ohne Text von Ray Schneúr Salman (1745-1813)

Der chassidische Gesang beeinflußte insbesondere den synagogalen Sologesang Osteuropas. Die Juden Mittel- und Westeuropas hingegen schlossen sich der aufgeklärten Gesellschaft ihrer Zeit an und richteten auch ihre Musikpflege nach zeitgenössischen Vorbildern aus. Diese Bestrebungen waren zuerst auf die obere Gesellschaftsschicht beschränkt (u. a. die Familien Mendelssohn und Meyerbeer), wurden jedoch durch die „Konsistorial-Organisation" der jüdischen Gemeinden unter Napoleon in allen Kreisen üblich. Im Königreich Hannover begann eine „Reform" der Gottesdienstordnung und ihrer Musik mit Choralgesang in deutscher Sprache und Orgelbegleitung. In Paris wurde 1822 in der neuen (nicht reformierten) Synagoge der 4st. Chorgesang eingeführt. Während

In Osteuropa hatte sich der Sologesang (Chasanuth) zu einer virtuosen Kunst eigener Art entwickelt: improvisierend und traditionsgebunden, stark emotional und expressiv. Seine Kennzeichen sind der aus dem altjüdischen Gesang übernommene freie Rhythmus, eine variationsreiche Entwicklung und ein aus kleinen und stets abgewandelten Motivzellen zusammengesetzter Aufbau. Ein Knaben- und Männerchor führte dazu eine improvisierte Begleitung aus, übernahm z. T. Solopassagen und ahmte Instrumente nach. Gegen Ende des 19. Jh. traten auch westliche Einflüsse hinzu, wie z. B. S. Sulzers und des italienischen Belcanto. Die allgemeine Entwicklung zielte auf ein Virtuosentum ab, das in der Anwendung der Gesangsmittel nicht immer wählerisch war. Konzertreisen mach213

Israel ten den Chasan Osteuropas bis nach England und den USA, wo dieser Stil weiterhin gepflegt wird,

berühmt. Während des 19. Jh. setzte das Sammeln des überlieferten Melodiengutes ein, das in der Folge im Druck veröffentlicht wurde. Gegen Ende des Jahrhunderts schließlich begann die wissenschaftliche Erforschung der hebräischen Musik, die in das weite Feld der Musikforschung des 20. Jh. einmündete. H. AVENARY Das 20. Jahrhundert. Die Kunstmusik des heutigen I. entwickelte sich seit den 1930er Jahren im Zusammenhang mit der Neukultivierung und dem Wiederaufbau Israels. Mit dieser Entwicklung einher ging die Schaffung städtischer Kulturzentren, die Einrichtung von Musikschulen (1910-20), die Gründung der ersten Oper (1923), des Konservatoriums von Jerusalem (1933), einer Rundfunkanstalt mit einer Musikabteilung und eines Nationalorchesters (1936). Von zukunftsweisender Bedeutung war auch die Gründung des Palästina-Orchesters (heute Israel-Philharmonic-Orchestra) durch den Geiger Bronislav Huberman. Zum festen Bestandteil des Musiklebens I.s gehören das Festival von Ein-Gev, das Volkstanzfestival von Dalia, das israelische Sommer-Festival, die „Zimriya" (eine Begegnung internationaler Chöre, die alle drei Jahre stattfindet) und verschiedene internationale Wettbewerbe. Von großem Einfluß auf die Kunstmusikpflege ist u. a. auch das erste, 1950 gegründete Verlagshaus israelischer Musik, The Israel Music Publications (IMP), das sich 1961 mit dem Israel Music Institute verband. 1968 gründete der Rat für Kultur und Kunst in Tel Aviv das Zentrum für israelische Musik mit einem entsprechenden Archiv. Seit 1960 organisiert die israelische Komponistenvereinigung öffentliche Konzerte bzw. Übertragungen mit zeitgenössischer Musik, die auch in dem seit 1968 alljährlich stattfindenden „Composer-Workshop" einen wesentlichen Träger findet. Auf dieser Grundlage konnte sich das Musikleben stetig weiterentwickeln und auch Komponisten die Möglichkeit künstlerischer Entfaltung bieten. Die ersten israelischen Komponisten des 20. Jh. waren Einwanderer, die aus Europa nach I. gekommen waren. Kennzeichnend für ihren Kompositionsstil ist die Gegenüberstellung von verschiedenen europäischen Kunstrichtungen und der Vielschichtigkeit volkstümlicher Traditionen. Die inzwischen international beachtete Musik durchlief die unterschiedlichsten Entwicklungsphasen, die von der Spätromantik bis zu musikalischen Happenings reichen. Parallel dazu wurden zahlreiche Ver214

suche unternommen, eine typisch israelische Kunst durch die Rückkehr zur volkstümlichen Einstimmigkeit, zur erneuerten hebräischen Sprache und zu den biblischen Texten zu schaffen. In der ersten Phase versuchte eine Anzahl von Komponisten, die von der Begegnung mit der musikalischen Tradition des Orients beeindruckt waren, einen spezifischen Stil zu schaffen. Andere Komponisten blieben der jüdischen Kunstmusik Westeuropas verbunden und wurden von der Diaspora-Tradition beeinflußt (u. a. J. Stutschewsky, Joel Engel, J. Kaminsky). Komponisten wie P. Ben-Haim, A. U. Boskovitch, M. Avidom, K. Salomon und M. Lavry assimilierten und verarbeiteten die Einflüsse der Jemeniten, der Sepharden und der Araber. Spätimpressionistische Züge und ein an Orientalismen reicher Stil kennzeichnen die Kompositionen dieser Schule zwischen 1940 und 1950. In der zweiten Phase steht die Musik I.s unter dem Einfluß des Expressionismus; sie schöpft folkloristische Quellen aus, drückt sich aber durch Einbeziehung technischer Neuerungen nuancenreicher aus. Eine der markantesten Erscheinungen dieser Entwicklung ist Co. Partos, der, sich zunächst an Bartók und Kodály anlehnend, schließlich eine Synthese zwischen einem gemäßigten Zwölftonsystem und dem arabischen Magám schuf. Im Gegensatz dazu suchte M. Seter seine Stilmittel in der mittelalterlichen Polyphonie und im Imitationsstil. Zu den wenigen Komponisten der neuen Generation, die auch weiterhin auf die mündlich überlieferten Traditionen zurückgreifen, gehören u. a. Ben-Zion Orgad, Abel Ehrlich und Haim Alexander. Einige Komponisten wiederum versuchten eher durch die Themenwahl (Bibel, alte und neue jüdische Geschichte) als durch eine Synthese im Bereich der musikalischen Sprache eine eigene Richtung zu prägen. Zu ihnen gehören E. W. Sternberg, Abraham Daus (neoromantische Richtung), Hanoch Jacoby (ein Schüler P. Hindemiths) und J. Tal, der sich als erster in I. der elektronischen Musik zuwandte. Den verschiedenen Richtungen der experimentellen Musik zuzurechnen sind: Noam Sheriff, Yehoshuah Lakner, Jizhak Sada), Zvi Avni, Sergiu Natra, Ram Da-Oz, Yehuda Yannai, Asher Ben Yohanan und André Hajdu. Die Verschiedenheit der Stile und Schulen bleibt auch heute das charakteristische Merkmal israelischer Kunstmusik und spiegelt die ethnische Vielfalt der Nation wider. A. SHILOAH

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ISTESSO TEMPO, l'intesso tempo, lo stesso tempo (it., = das gleiche Zeitmaß), Tempovorschrift beim

Taktwechsel zur Angabe der gleichbleibenden Zeitdauer der Notenwerte (z. B. bei einem Taktwechsel von 2/4 zu 6 /8 J = J oder J = J., von 2/4 zu 3 /4 J = J ) oder des ganzen Taktes (4/4 0 = 3/4J.). ISTOMIN, Eugene, * 26. 11.1925 New York; amerik. Pianist. Er studierte am Curtis Institute of Music in Philadelphia und debütierte 1943 als Preisträger beim Philadelphia Orchestra Youth Contest unter Leitung E. Ormandys sowie als Preisträger des E. M. Leventritt Foundation Award mit dem New York Philharmonic Orchestra unter A. Rodzinski. Seit seinem Auftritt — seinem ersten europäischen — zusammen mit P. Casals bei den Festspielen in Prades (1950) konzertiert er in allen Erdteilen. 1961 gründete er mit I. Stern und L. Rose ein Klaviertrio. ITALIEN. Antike. Von der antiken römischen Musik sind weder musikalische Primärquellen noch theoretische Schriften erhalten; zahlreiche literarische Zeugnisse und bildliche Darstellungen berichten jedoch von der Bedeutung der Musik im Alltagsleben. Sie war auch fester Bestandteil religiöser Feiern, etwa in Form des uralten Carmen fratrum Arvalium und des fast ebenso alten rituellen Tanzes, den die Salier (= Tanzpriester) zu Klängen der Tibia im März bei einer Prozession durch die Stadt aufführten. Diese Carmina sind Ausdruck einer eigenständigen römischen Musik; zu ihnen zählen auch die Grabgesänge der Klageweiber, die Volkslieder, von deren großer Zahl und Lebendigkeit noch an manchen Stellen der Dichtung die Rede ist (Vergil, Georgica I, 293; Horaz, Satiren I, 5,15), und die Tischlieder, die nach dem Zeugnis von Cato dem Älteren (Cicero, Tusculanes IV, 3) angestimmt wurden, um die Taten berühmter Männer zu feiern. Die römische Militärmusik wird besonders durch den Einsatz von Blechblasinstrumenten charakterisiert: 2'Cornu (später auch im Amphitheater verwendet), 7Lituus, /Bucina, /Tuba. Vermittelt durch die griechischen Kolonien in Süditalien, übte die griechische Musik wohl von Anfang an einen starken Einfluß auf die weitgehend hellenisierte Kultur der Etrusker aus. Nach der Eroberung des Mittelmeerraums durch die Römer verstärkte sich der Hellenisierungsprozeß besonders auf dem Gebiet der Theatermusik. Die Einführung des griechischen Dramas in Rom durch Livius Andronicus (240 v. Chr.) hatte die Verdrängung einheimischer dichterischer Ausdrucksformen zur Folge, so z. B. der Feszennischen und der Saturnischen Verse. Wie in der Tragödie wechselten auch in der Palliata-Gattung der römischen Komödie Dialogpartien (diverbia) mit dem Gesang lyrischer 215

Italien Passagen (cantica) ab, die von der Tibia begleitet wurden. In der Kaiserzeit spielte die Musik in der Alltagsszenen imitierenden dialogischen Kunstgattung des Mimus und noch mehr in der Pantomime eine bedeutende Rolle; die musikalische Begleitung der getanzten Handlung bestand nicht mehr nur aus einem Sänger und einem Instrumentalisten, sondern aus einem großen Chor und einem vielfältig zusammengesetzten Instrumentalensemble von Tibiae, Cornua und Lyrae; das Scabillum gab den Rhythmus an. Mit der hellenistischen Kultur erschienen in Rom auch die aus dem Orient stammenden Mysterienreligionen. Bei ihren Zeremonien erklangen der phrygische Aulos und andere fremdländische Instrumente (ägyptische Sistren, Tympana, Klappern, Zimbeln). Die römische Musiktheorie hat im Vergleich zur griechischen offensichtlich keine Eigenständigkeit erlangt. Obwohl die Musik Bestandteil des Unterrichts und der allgemeinen Bildung war, entstanden die ersten wichtigen Beiträge lateinischer Schriftsteller zur Musiktheorie erst im 4. Jh. n. Chr.: De musica des hl. Augustinus, De nuptiis Mercuri et Philologiae von Martianus Capella und vor allem die einzigartige Zusammenfassung der antiken Musiklehre durch Boëthius. Mittelalter. Fast bis zum Ende des 13. Jh. fällt die Geschichte der italienischen Musik mit der des liturgischen Gesanges zusammen. Der Liber pontificalis und andere römische Quellen dokumentieren die Tätigkeit der Päpste, die von der 2. Hälfte des 4. Jh. bis zu Gregor I. dem Großen und dessen Nachfolgern an der Festlegung der römischen Liturgie arbeiteten (řAltrömischer Gesang, /Gregorianischer Gesang). Auch der Ursprung des mailändischen Kirchengesangs reicht wahrscheinlich bis in die 2. Hälfte des 4. Jh. zurück und ist eng verknüpft mit dem Werk des hl. Ambrosius, dem auch die Dichtung lateinischer christlicher Hymnen zugeschrieben wird (2'Ambrosianischer Gesang). Eine dritte Ausformung des Kirchengesangs war der Beneventanische Gesang. Ausdruck jener Spiritualität, die sich im Kloster von Montecassino entwickelt hatte. Nach Br. Stäblein ist es wegen der Ähnlichkeiten des Altrömischen, Ambrosianischen und Beneventanischen Gesangs gerechtfertigt, von einer stilistischen Einheit zu sprechen, mit ihrem Hauptmerkmal der reich ausgeschmückten, in kleinen Intervallen kontinuierlich fortschreitenden Melodie. Im 7. Jh. führte das intensivere Bemühen der Päpste um die liturgisch-musikalische Einheit der westlichen Kirche zu einer Reform, die etwa seit dem B. Jh. mit dem Namen des Papstes Gregor I. verbunden wurde; neueste Forschungen neigen jedoch immer mehr dazu, Gregor nicht als den allei216

nigen Urheber dieser Reform anzusehen. Der Gregorianische Gesang wurde in kurzer Zeit zur offiziellen Musiksprache der westlichen Kirche. Im 9.-11. Jh. war der Anteil I.s an der Entwicklung der Musik im Vergleich zu Frankreich und den deutschsprachigen Ländern gering. Im Bereich der Einstimmigkeit leistete I. erst spät seinen eigenen Beitrag zur Geschichte des /Tropus, der /Sequenz und des liturgischen Dramas: Das Dies irae, das Stabat mater, die Dramen aus Cividale del Friuli sind dafür berühmte Zeugnisse. Dagegen ist es schwer, die Geschichte der weltlichen Musik vor dem 13. Jh. zu rekonstruieren. Ihre Lebendigkeit erhielt sie durch die reichen geistigen Strömungen dieser Zeit: die Scholastik, die Kunst der Spielleute und die Volksmusik. Die wenigen erhaltenen Dokumente stammen ausschließlich aus dem Bereich der scholastischen Kultur (der sog. Canto delle scolte modenese, der Prozessionsgesang O Roma nobilis, der Planctus de obitu Karoli u. a.). Vom Repertoire der Spielleute und von den Volksliedern sind nur die Texte erhalten. Unter dem Einfluß der franziskanischen Frömmigkeitsbewegung, die Mittelitalien im Lauf der 2. Hälfte des 13. Jh. ergriff und zu einer geistigen Erneuerung führte, entstand die /Lauda, die als Endpunkt zahlreicher Entwicklungen in der geistlichen und weltlichen Musik angesehen werden kann. Mit dem Beginn der /Ars nova entwickelten sich nun auch übernommene oder eigenständige italienische Formen der Mehrstimmigkeit, die /Motette, die /Caccia, das /Madrigal. Zwar war die Praxis der Mehrstimmigkeit in I. bis dahin nicht unbekannt, wie dies einige wenige, meist indirekte Zeugnisse beweisen, doch beschränkte sie sich auf eine geringe Zahl von Zentren und kleinen Kreisen. Mehrstimmig gesungene lateinische Texte gab es auch im Bereich der Lauden, deren jüngste Teile eine deutliche Entwicklung vom ursprünglich syllabischen zum melismatischen Stil zeigen, der f ür die neue Mehrstimmigkeit charakteristisch ist. Die italienische Ars nova, die Musik des /Trecento, spiegelt den Geschmack und das Empfinden der Gesellschaftskreise wider, die eng mit der Kultur im Umkreis der Universitäten verbunden waren: In Padua wirkten die Theoretiker Marchettus de Padua und Antonio da Tempo; Bologna war die Heimat von Jacopo da Bologna, dem bekanntesten Komponisten der ersten Periode der italienischen Ars nova. Diese Stilepoche erreichte in der vielschichtigen Persönlichkeit Fr. Landinis, des blinden florentinischen Organisten und Meisters der mehrstimmigen /Ballata, ihren Höhepunkt, verlor dann aber bald ihre Bedeutung. Renaissance. Es zeigte sich jetzt, daß die Ars nova,

Italien getragen von einigen wenigen intellektuellen Zirkeln, in der Gesamtentwicklung der italienischen Musik eine Ausnahmeerscheinung war. Sie bedeutete (nach der Vorstellung N. Pirrottas) lediglich die Spitze eines Eisbergs, unter der sich gleichsam das Massiv der improvisierten und demnach nicht schriftlich tradierten Musik verbirgt. So gesehen ist es dann auch nicht erstaunlich, wenn nun, seit etwa 1430, während 50 Jahren die italienische Musik wieder im Dunkel liegt und kaum unmittelbar musikalische Quellen existieren. Es gibt aber viele Belege für ein blühendes Musikleben: Berichte über öffentliche Feste, über Feierlichkeiten in Städten und an den Höfen; groß ist die Zahl der improvisierenden Musiker, unter ihnen L. Giustiniani, der Schöpfer der nach ihm benannten poetisch-musikalischen Gattung der Giustiniana; unverkennbar schließlich ist der Einfluß des Italienaufenthaltes, den ausländische, vor allem franko-flämische Komponisten in ihren Werken spüren lassen. Zu nennen sind hier vor allem J. Ciconia, G. Dufay, Josquin des Prés, A. Willaert und H. Isaac. Wenn gegen Ende des 15. Jh. die italienische Musik in Handschriften und bald danach auch in Drucken wiederauftauchte, so geschah das nicht zuletzt deshalb, weil die Dichter nach der humanistischen Begeisterung zu Beginn des 15. Jh. zur Volkssprache und deren einfachen und prägnanten poetischen Formen zurückkehrten: Canti carnascialeschi, Barzelletta, FrottQla, Ballata, Strambotto, Rispetto. Mit diesen Formen arbeiteten Musiker wie B. Tromboncino, M. Cara und Francesco d'Ana; sie gewannen Bedeutung für das gesellschaftliche Leben an Höfen, vor allem am Hof der Gonzaga in Mantua, der von der Persönlichkeit der Isabella d'Este geprägt wurde, und bei den Medici in Florenz, wo A. Poliziano und Lorenzo dei Medici selbst zu den Liebhabern dieser volkstümlichen Kunst zählten; auch andere Zentren (Venedig, Rom, Neapel, Mailand, Urbino u. a.) hatten an dieser Entwicklung großen Anteil. Aber an den Höfen verloren dann diese volkstümlichen Formen immer mehr ihren elementaren und unmittelbaren Ausdruck, der stets der freien Phantasie und der Improvisation offen war. Ihr fortschreitendes Raffinement in Musik und Text führte um 1530 zur Entstehung des /Madrigals, in dem sich zwei bis dahin getrennte, ja sogar gegensätzliche Welten begegnen: der strenge Kontrapunkt des Nordens einerseits, die Weichheit der melodischen Linie, das klare Formgefühl und die Klangsinnlichkeit des Südens andererseits. Parallel zum Madrigal entstanden auch weiterhin volkstümliche Gesangsformen: die aus dem Süden stammende und bald in ganz I. verbreitete /Villanella, die 7Kanzonette, das "Balletto, die /Villota u. a.

Auch diese Formen unterlagen einem raschen Prozeß der Umformung; sie wurden das karikaturistische, aber nicht minder affektbetonte Gegenstück zum intellektualistischen Madrigal. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bilden die Madrigalkomödien von O. Vecchi und A. Banchieri. In der Krise der kontrapunktischen „Ars perfecta" und bei der Einführung einer neuen Klangsprache gegen Ende des 15. Jh., wie sie theoretisch untermauert wurde durch Fr. Gaffori und später durch G. Zarlino, spielten diese Formen eine bedeutende Rolle, denn sie hatten trotz zunehmender Stilisierung einige ihrer ursprünglichen Charakteristika bewahrt: Betonung der Klangvertikale (homophoner Satz), periodische Rhythmik, Symmetrie der melodischen Phrasen. Rom und Venedig waren im 16. Jh. die Hauptstädte des musikalischen Italiens. Die / Römische Schule besaß in C. Festa den ersten Komponisten, der sich mit den franko-flämischen Musikern messen konnte; aus ihr ging G. P. da Palestrina hervor, der größte italienische Komponist der Renaissance. Die Römische Schule war geprägt durch die Bindung an die Kirche und durch die Entscheidungen des Tridentiner Konzils. Dies führte dazu, daß die Entwicklung der Instrumentalmusik stark gehemmt, die der Vokalmusik dagegen begünstigt wurde. Diese war konzipiert nach dem Ideal einer würdigen Ausgeglichenheit der ruhig fortschreitenden Stimmen, der die tridentinischen Forderungen nach Textverständlichkeit in besonderer Weise entsprachen. Demgegenüber konnte die /Venezianische Schule ihren eigenen Stil in voller Freiheit ausformen. In den Werken ihrer größten Komponisten (A. Willaert, C. de Rore, A. und G. Gabrieli) markieren bestimmte Charakteristika — Chromatik, klangliche Farbigkeit, effektvolle vokal -instrumentale Stimmenkombination, Mehrchörigkeit, Kleingliedrigkeit des musikalischen Ablaufs — den Übergang von der klassischen Vokalpolyphonie zum konzertierenden Stil des Barockzeitalters. Neben Venedig, dem Vorposten musikalischen Experimentierens, war auch der Hof der Este in Ferrara ein wichtiger Treffpunkt von bedeutenden Musikern (G. de Wert, L. Luzzaschi) und Dichtern (T. Tasso), deren künstlerisches Wesen in seiner Expressivität und in seinem Raffinement weit von der ruhigen Ausgeglichenheit der Renaissance entfernt war. Die Kultur Ferraras beeinflußte auch andere Kunststätten I.s, so namentlich Mantua, wo seit 1590 Cl. Monteverdi wirkte; enge Verbindung zu Ferrara hatte ferner der bedeutendste neapolitanische Musiker dieser Zeit, C. Gesualdo da Venosa und sein Kreis. Eine besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang Florenz, nicht 217

Italien allein wegen seines Beitrags zur Geschichte des Madrigals, sondern auch deswegen, weil der lange und über ganz I. verteilte Vorgang der Entstehung der Oper zunächst hier, in der Stadt der Medici, den fruchtbarsten Boden fand. Dies geschah dank fürstlichen Mäzenatentums (vgl. die Intermedien für die Hochzeit Ferdinands I.) wie auch durch das Interesse, mit dem die Gelehrten und Künstler gemeinsam an die Lösung der brennenden musikalischen Probleme der Zeit herangingen: die Befreiung der musikalischen Sprache von den Zwängen der Polyphonie und die Suche nach einem lebendigeren musikalischen Ausdruck der menschlichen Leidenschaften. Es war nicht nur die 2'Camerata Fiorentina, die in dem Bemühen um eine Wiederbelebung der antiken griechischen Musik diese neue Sprache erfunden hat. Vielmehr lassen sich Vorformen der Monodie und der Oper während der gesamten Renaissance feststellen: die weitverbreitete Praxis der Bearbeitung mehrstimmiger Vokalsätze für eine Singstimme und Instrumente (/Intavolieren); die Einführung von Vokalmusik in die Komödien; die ständig wachsende Vorherrschaft der Intermedien in den Schauspielen; vor allem die reich mit Musik versehene Gattung der „Favola pastorale", die als die direkte Vorläuferin der Oper zu gelten hat. Die Entwicklung der Instrumentalmusik trug gleichermaßen zu der im 16. Jh. von Italien ausgehenden musikalischen Erneuerung bei. Nach und nach führte die Intavolierungspraxis für Laute und Tasteninstrumente zu einer eigenständigen Literatur. Ihre ersten großen Vertreter waren die Lautenisten Fr. Spinacino und Francesco da Milano sowie die Organisten M. A. und G. Cavazzoni, dann A. Padovano, Cl. Merulo und die beiden Gabrieli. Die instrumentalen Gattungen waren teilweise Tanzsätze (Pavane, Gagliarde, Saltarello, Passamezzo), teilweise waren sie entstanden in Anlehnung an vokale Formen (>'Kanzone) oder als schriftliche Fixierung instrumentaler Spieltechniken und Improvisationen (Fantasia, Toccata, Ricercar). Auch die instrumentale Ensemblemusik für Streicher und für Bläser erfuhr in der 2. Hälfte des 16. Jh. entscheidende Impulse, besonders in der Gegend von Venedig durch das Schaffen von A. Padovano, Fl. Maschera und vor allem von G. Gabrieli, der auch auf diesem Gebiet den Übergang von der Renaissance zum Barock repräsentiert. Der musikalischen Entwicklung entspricht die Entwicklung der Instrumente: Es entstanden die berühmten Dynastien von Orgelbauern (u. a. die Antegnati) und von Geigenbauern (Amati, Guarneri, Stradivari), die der Violine, dem führenden Instru218

ment des musikalischen Barock, ihre endgültige und vollendete Gestalt gaben. Barock. Die Oper, die Kantate, das Oratorium — das sind die Hauptgattungen, in denen nun die neue Sprache in Erscheinung tritt. Die Oper — ihren Beginn markiert die Aufführung der Euridice von O. Rinuccini und J. Corsi mit der Musik von J. Peri am 6.10.1600 im Palazzo Pitti in Florenz — fand jedoch in dieser Stadt keinen sonderlich günstigen Boden für weiteres Wachstum, sondern zunächst in Mantua. Hier steigerte Monteverdi in seinem Orfeo 1607 den Stile rappresentativo zu einer dramatischen Kraft, wie sie den Florentiner Musikern unbekannt war. Als Opernstädte kamen dann Rom und Venedig hinzu, die so auch im 17. Jh. ihre Bedeutung als Hauptzentren der Musik wahrten. In Rom war es vor allem die Familie Barberini, die als Mäzen die Oper förderte; nicht zuletzt mit der Absicht, die anstößigen Aufführungen der Commedia dell'arte zu verdrängen. Im weiteren Verlauf des 17. Jh. entwickelte sich die Oper nach mehreren Richtungen hin: Sie erschloß sich neue Themenkreise, neben den traditionellen mythologischen und pastoralen Intrigen wurden auch Sujets aus Epos und Heldensage beliebt; die Zahl der Mitwirkenden wurde größer, die Handlung komplexer, und es entstand eine musikalische Komödie, in der sich moralisierende und komische, literarische und volkstümliche, dichterische und realistische Elemente vermischten: In Venedig nahm die Oper einen ganz anderen Weg als in Rom. Opernaufführungen fanden hier nicht in aristokratischen Sälen, sondern in öffentlichen Theatern statt, die Gattung tendierte zum Wunderbaren und Phantastischen und wurde zu einer Art Konzertoper ohne dramatische Schlüssigkeit. Die Kantate, das Gegenstück der Oper im Bereich der Kammermusik, erfuhr eine entsprechende Entwicklung. Mit Wurzeln in der Florentiner Monodie (G. Caccini, Le nuove Musiche) und beeinflußt auch von Monteverdi, erhielt sie ihre gleichsam klassische Ausprägung in den Werken von L. Rossi, G. Carissimi, A. Cesti und A. Stradella. Das Oratorium kam erst später und in zweifacher Weise zur Entfaltung, als lateinisches Oratorium mit Carissimi als Hauptvertreter und als italienisches Oratorium, dessen Blüte bis weit ins 18. Jh. hinein reichte. Beide Typen standen in ihren Anfängen in enger Berührung mit den für die italienische Frömmigkeitsgeschichte bedeutsamen religiösen Erneuerungsbestrebungen der Bruderschaften in der Nachfolge F. Neris. Auf dem Gebiet der katholischen Kirchenmusik blieb I. auch im Barock führend und vorbildlich. Charakteristisch war seit Anfang des 17. Jh. das Nebeneinander und die

Italien mannigfachen Berührungen von a cappella- und konzertierendem Stil. Im späteren 17. und im 18. Jh. fanden vielerorts, namentlich bei den Meistern der /Neapolitanischen Schule, musikalische Satz- und Ausdruckselemente der Oper Eingang auch in die Kirchenmusik. In der Musik für Tasteninstrumente faßte G. Frescobaldi in seinem Schaffen noch einmal die stilistischen Errungenschaften der Renaissance zusammen. Die Musik für Streicher blieb dagegen lange in einem Stadium des Experimentierens. Erst während der 2. Hälfte des 17. Jh. kristallisierten sich die Gattungen der Sonata da chiesa, der Sonata da camera ("Sonate) und des instrumentalen /Concerto heraus. Zwei Städte spielten dabei eine entscheidende Rolle: Venedig mit B. Marini und G. Legrenzi und Bologna mit M. Cazzati, G. B. Vitali, G. Torelli und vor allem A. Corelli (/Bologneser Schule), der die Sonata und das Concerto (/Concerto grosso) zu ihrem Höhepunkt brachte. Im Laufe des 17. Jh. machte sich bei den italienischen Musikern ein immer strengeres Formgefühl bemerkbar und, parallel dazu, ein stärkeres TonalitätsbewuBtsein. Beispielhaft für diese Entwicklung ist das Schaffen von A. Scarlatti. Bei diesem erhielt die Vokalmusik — Oper, Oratorium, Kantate — sozusagen feste Formgerüste, die im Prinzip noch während des ganzén 18. Jh. unverändert beibehalten wurden (/Rezitativ, Arie, /Da capo-Arie). Eine Tendenz zur Typisierung zeigt sich deutlich auch in der Librettistik, wo vor allem A. Zeno eine konsequente Trennung des ernsten und heiteren Stils anstrebte. Die Eliminierung der komischen Episoden aus den historisch-mythologischen Opernhandlungen führte schließlich zur Entstehung der Opera buffa. Diese neue Gattung fand schnell Anklang bei einem breiten Publikum und auch über die Grenzen I. hinaus (/Opéra-comique, /Buffonistenstreit u. a.). Opera seria und Opera buffa wurden zudem Gegenstand philosophischer und ästhetischer Überlegungen, bei denen Begriffe wie Wahrheit, Natürlichkeit als Kriterien für die Beurteilung des Ausdrucks in der Oper bedeutsam wurden. Das Streben nach klarem und natürlichem Ausdruck verwirklichte sich vollendet im Schaffen der verschiedenen Generationen der /Neapolitanischen Schule (Fr. Provenzale, A. Scarlatti, L. Leo, L. Vinci, G. B. Pergolesi, J. A. Hasse, N. Jommelli, N. Porpora u. a.). Auch im Bereich der Instrumentalmusik zeigt sich jenes starke Tonalitätsbewußtsein und strenge Formgefühl. Hier ist vor allem A. Vivaldi zu nennen mit seiner für die Zukunft vorbildlichen Ausprägung der dreiteiligen Konzertform mit der Satzfolge Allegro — Adagio — Allegro.

Die Zeit der Wiener Klassik. Die Wiener /Klassik hatte starke Wurzeln in Italien. Die künstlerische Entwicklung von J. Haydn und besonders von W. A. Mozart ist wie die aller ihrer deutschen Zeitgenossen ohne die enge Berührung mit der italienischen Musik nicht denkbar, zumal ja Wien bis ins frühe 19. Jh. hinein geradezu eine Hochburg des Italianismus war. Hier und anderswo erlebte auch weiterhin die Oper (und parallel dazu das Oratorium) im neapolitanischen Stil eine Hochblüte mit den Werken von N. Piccinni, G. Paisiello, A. Sacchini, D. Cimarosa u. a. Beträchtlich war nach wie vor der Anteil italienischer Komponisten an der Instrumentalmusik dieser Zeit. Namentlich sind hier zu nennen G. B. Sammartini mit seinem Beitrag zur Entwicklung der Symphonie und G. B. Platti, G.M. Rutini und P. D. Paradisi mit ihren dem galanten Stil verpflichteten Sonaten. Gleichwohl erschienen in dieser Epoche, in der die größten italienischen Komponisten außerhalb ihrer Heimat lebten und wirkten, die ersten Zeichen eines Niedergangs, von dem die italienische Instrumentalmusik des folgenden Jahrhunderts betroffen wurde, nachdem sie mit L. Boccherini noch einmal einen letzten Höhepunkt erreicht hatte. 19. Jahrhundert. Die Gründe für die geradezu erdrückende Hegemonie der Oper im italienischen Musikleben der 1. Hälfte des 19. Jh. liegen sicher in der Eigenart einer italienischen Romantik, die nicht wie anderswo mit dem Rationalismus des 18. Jh. brach, sondern aus ihm positive Konsequenzen zog durch eine lebendige Beziehung zur Realität und sich so als wesenhaft demokratisch erwies. Es war die Oper, in der diese Geisteshaltung ihren besonderen Ausdruck fand und damit einem fundamentalen Bedürfnis gerecht wurde: die gerade in I. krasse Trennung zwischen der Kultur des Volkes und der der Eliten zu überwinden dank einer Kunstform, die breiten Bevölkerungsschichten die Teilnahme an den neuen Ideen gestattete, die damals ganz Europa beherrschten. Daß diese Ideen in I. populär wurden, daran sind nicht zuletzt die italienischen Opernlibretti des 19. Jh. beteiligt, in denen die Dramen von Fr. von Schiller, Lord Byron und V. Hugo allgemeinverständlich verbreitet wurden. Und in der Oper fand dann auch die kraftvolle italienische Einigungsbestrebung des Risorgimento ihren wichtigsten künstlerischen Ausdruck. Der Charakter der Oper als einer Kunstform für die Massen läßt sich an der großen Zahl der italienischen Opernkomponisten dieser Zeit messen. Neben den „großen Vier" — G. Rossini, V. Bellini, G. Donizetti und G. Verdi — steht eine Menge anderer Autoren wie G. Mercadante, G. Pacini, N. Vaccai, L. und F. Ricci, Alfredo Catalani, die 219

Italien unermüdlich arbeiten mußten, um die ständige Nachfrage des Opernbetriebs zu befriedigen. Von hier aus gesehen ist es nicht weiter erstaunlich, wenn in den 70er Jahren des 19. Jh., nachdem der Elan des Risorgimento sich erschöpft hatte, die italienische Musik in eine Krise geriet und kaum neue Wege finden konnte. Auch die Bemühungen einiger Komponisten, die sich programmatisch „Giovane Scuola Italiana" nannten und sich dem Naturalismus des ausgehenden 19. Jh. verpflichtet fühlten (U. Giordano, P. Mascagni, R. Leoncavallo, G. Puccini), bedeuteten keine wirkliche Erneuerung. Mit Ausnahme Puccinis blieben sie im wesentlichen auf den engen Bereich einer veristischen Oper beschränkt (řVerismo). Erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. vermochte sich das italienische Musikleben aus seiner Enge zu befreien. Nach der nationalen Einigung (1870) förderten die neuen sozialen Bedingungen in starkem Maße wieder den Sinn für die Instrumentalmusik. In vielen Städten entstanden Konzertgesellschaften, bildeten sich Kammermusikvereinigungen und Orchester, und Virtuosen-Komponisten wie G. Sgambati und G. Martucci machten das italienische Publikum mit den Werken der europäischen Musik von Mozart bis R. Wagner vertraut, während sie in ihren eigenen Werken den Anschluß an diese Tradition suchten. 20. Jahrhundert. Wenn auch diese Aktivitäten insgesamt in ihren schöpferischen Resultaten nur bescheiden blieben, hatten sie doch das große Verdienst, die inzwischen entstandene Kluft zwischen der italienischen und der übrigen europäischen Musikkultur beträchtlich zu verringern. Von nun an hatte Italien teil an der allgemeinen Erneuerung der musikalischen Sprache und des musikalischen Ausdrucks. Zudem begann die musikgeschichtliche Forschung in I., vollständig vergessene Bereiche der Musik der Vergangenheit neu zu entdecken — die Vokalpolyphonie der Renaissance, die Instrumentalmusik des 17. und 18. Jh. —, und erschloß damit den Komponisten der Gegenwart eine neue Inspirationsquelle. Die volle Teilhabe an den aktuellen musikalischen Strömungen und die Entdeckung der eigenen nationalen musikalischen Vergangenheit, dies sind sozusagen die beiden Seelen der italienischen musikalischen Erneuerung (M. Mila). Die Synthese dieser gegensätzlichen Elemente ist besonders evident im Schaffen von A. Casella, das große Affinität zu den objektivistischen und neoklassizistischen Strömungen in der übrigen europäischen Musik in der Zeit 1920-40 aufweist. Der Sinn für die Musik der Vergangenheit inspirierte auch den Stil der anderen um 1880 geborenen italienischen Komponisten, I. Pizzetti und G. Fr. Ma220

lipiero. Bei Pizzetti prägt der Gregorianische Gesang die strenge Vokalität, bei Malipiero der venezianische Barock die Phantasmagorien einer sehr persönlichen Musiksprache. Eine Sonderstellung nimmt der gleichaltrige O. Respighi ein; mit seinen symphonischen Dichtungen, die starke Einflüsse Debussys zeigen, errang er als einziger italienischer Komponist seiner Generation Weltruhm. Die Musik der nächsten Generation blieb bis zum 2. Weltkrieg grundsätzlich diatonisch. Als erster öffnete sich L. Dallapiccola nach und nach der Zwölftontechnik, bis er sie schließlich mit einer gegenüber der Wiener Schule ganz unterschiedlichen Ausdruckshaltung verwendete. In der Nachkriegszeit nach 1945 entstanden in I. intensive Bemühungen, die vom Faschismus verursachte künstlerische Stagnation zu überwinden. Dabei standen sich zwei Lager gegenüber: die Verfechter einer totalen Chromatik auf der einen Seite — diejenigen einer primär diatonischen Musik auf der anderen Seite. G. F. Ghedini und G. Petrassi sind deren bedeutendste Repräsentanten. Petrassi allerdings näherte sich in den 50er Jahren der Dodekaphonie: ein Zeichen für die Überwindung dieser Polarität zugunsten einer neuen Problematik, die viel tiefgreifender die musikalische Sprache verändern sollte. An dieser zweiten Phase des musikalischen Avantgardismus sind italienische Komponisten entscheidend beteiligt, u. a. R. Malipiero, Br. Maderna, L. Nono, L. Berio, Aldo Clementi, Fr. Evangelisti, Fr. Donatoni, Domenico Guaccero, S. Bussotti, Mario Bertoncini, Giovanni Carlo Ballola, N. Castiglioni, G. Manzoni und G. Sinopoli.

Volksmusik. Das Fehlen einer eigentlichen Massenkultur bis zum 19. Jh. und der hauptsächlich bäuerliche Charakter der italienischen Wirtschaft bis zum 2. Weltkrieg haben die Bewahrung eines alten, reichen und vielfältigen volksmusikalischen Erbes begünstigt, das jedoch in den letzten Dezennien durch die Einflüsse der industriellen Zivilisation ernstlich bedroht ist. Im italienischen Volksgesang lassen sich (nach einer älteren Theorie von Costantino Nigra) eine gallo-keltische Zone unterscheiden (die ehemalige „Gallia cisalpina"), für die das episch-lyrische Lied charakteristisch ist, und eine eigentliche mediterrane Zone, die Domäne des lyrisch-einstrophigen Gesangs (Strambotto, Rispetto, Stornello). Dieses keineswegs willkürliche, aber doch extrem simplifizierende Schema wurde nach und nach durch die Einbeziehung anderer poetisch-musikalischer Formen erweitert. Zu nennen sind hier vor allem die religiösen Gesänge der mittelitalienischen Regionen (Abruzzen und vor allem Umbrien), ferner die Refrainlieder, die Arbeitsgesänge, die Wiegenlieder, die Totenklagen,

Italien die Gesänge und Tänze zu Gebräuchen im Jahreslauf: Karneval, Frühling, Ernte usw. Unter diesen verdienen die mittelitalienischen „Maggi" (aus den toskanisch-emilianischen Apenninen) — teils als lyrische Sühnegesänge, teils als dramatische Darbietungen gestaltet — besonderes Interesse. Was den rein musikalischen Aspekt der Volksmusik angeht, herrscht solistischer Gesang mit durchdringend scharfer Tonbildung in den norditalienischen Ebenen vor, während in den Bergregionen (Apenninen und Alpen) chorischer Gesang weit verbreitet ist. Darüber hinaus haben sieh auch noch sehr komplexe Arten einer archaischen Mehrstimmigkeit erhalten: die Tasgia auf Sardinien (wo noch ein wahrscheinlich bereits im alten Ägypten verwendetes Doppelrohrblattinstrument als řLaunéddas existiert) und der Trallalero in Ligurien; beide sind 5stimmig. In den Marken und in Umbrien pflegt man dagegen einen 2st. Gesang, der auf dissonierenden Intervallen basiert, den Canto a vatoccu. Institutionen. Zu den wichtigsten Einrichtungen des italienischen Musiklebens zählen der Rundfunk (RAI) mit seinen Orchestern in Rom, Mailand, Turin und Neapel, die Opernhäuser der großen Städte (Teatro alla Scala in Mailand, Teatro San Carlo in Neapel, Teatro dell' Opera in Rom, Teatro La Fenice in Venedig, Teatro Massimo in Palermo, Teatro Comunale in Florenz, Teatro Comunale in Bologna) sowie die Accademia Nazionale in Rom. International bekannte Instrumentalensembles sind I Musici di Roma, I Virtuosi di Roma und das Quartetto Italiano. Neben den regelmäßigen Theater- und Konzertveranstaltungen gibt es bedeutende Festspielveranstaltungen, u. a. den Maggio Musicale in Florenz, den Autunno Musicale in Neapel, das Festival Sagra Musicale Umbra in Perugia und in anderen Städten Umbriens, die Settimane Musicalf in Siena, das Festival dei Due Mondi in Spoleto, die Biennale in Venedig und das Festival dell'Opera Lirica in Verona. Mit Ausnahme der Veranstaltungen des

Rundfunks werden diese Aktivitäten (auch diejenigen kleinerer Zentren) vom Staat subventioniert. Bekannte Konservatorien, deren ältestes, das Ospedale della Pietà in Venedig, bereits im 14. Jh. gegründet wurde und die in der Regel nach berühmten italienischen Komponisten benannt sind, bestehen heute in Bari (N. Piccinni), Bologna (G. B. Martini), Bozen (Cl. Monteverdi), Cagliari (P. L. da Palestrina), Florenz (L. Cherubini), Mailand (G. Verdi), Neapel (San Pietro a Maiella), Palermo (V. Bellini), Parma (A. Boito), Pesaro (G. Rossini), Rom (S. Cecilia), Turin (G. Verdi), Triest (G. Tartini) und Venedig (B. Marcello). Die meisten dieser Institutionen sind außerdem für ihre teilweise auch an älteren

musikalischen Quellen reichen Bibliotheken bekannt. Von Bedeutung sind als musikalische Ausbildungsstätten ferner das Pontificio Istituto di Musica Sacra in Rom und die private Accademia Musicale Chigiana in Siena. Die musikwissenschaftliche Forschung, die lange Zeit privater Initiative überlassen blieb, beginnt erst langsam an den Universitäten Fuß zu fassen. Der erste Lehrstuhl für Musikwissenschaft wurde 1957 an der Universität Rom eingerichtet; andere Lehrstühle für Musikwissenschaft bestehen an den Universitäten in Florenz, Palermo, Mailand und Turin. Für die Musikforschung hoch bedeutsame Bibliotheken befinden sich in Assisi, Bologna, Florenz, Genua, Mailand, Messina, Modena, Neapel, Padua, Rom, Turin und Venedig (/Musikbibliotheken). Hervorzuheben ist schließlich noch in diesem Zusammenhang die Musikabteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom, deren Hauptaufgabe die Erforschung der Beziehungen zwischen der italienischen und deutschen Musik der Vergangenheit und Gegenwart ist. Lit.: 1) Bibliographien: P. LICHTENTHAL, Dizionario e bibliografia della musica, 4 Bde. (Mi 1826); E. VOGEL, Bibliogr. der gedruckten weltlichen Vocalmusik I.s aus den Jahren 1500-1700, 2 Bde. (B 1892), teilweise revidiert v. A. Einstein (1945-48) (Nachdr. Hil 1962, NA Pomecia 1977), weitere Ergänzungen v. E. Hilmar, L. Bianconi bzw. I. Fenlon, in: Anal. Mus. 4 (1967), 5 (1968), 9 (1970), 12 (1973), 15 (1975) u. 17 (1976); G. u. C. SALVIOLI, Bibliogr. universale del teatro drammatico italiano I (V 1903); G. BusTlco, Bibliogr. delle storie e cronistorie dei teatri italiani (Domodossola 1913, Mi 21929); C. SARTORI, Bibliogr. della musica strumentale italiana stampata in Italia fino al 1700, 2 Bde. (Fi 1952-68); D. CARPITELLA, Rassegna bibliogr. degli studi di etnomusicologia in Italia dal 1945 a oggi, in: AMI 32 (1960); A. CIONI, Bibliogr. delle sacre rappresentazioni (Fi 1961); Bibliotheca musicae, hrsg. v. C. SARTORI (Mi 1962 ff.); P. TOSCHI, Guida allo studio delle tradizioni popolari (Tn 1962); Bibliogr. der Aufsätze zur Musik in außermusikal. it. Zschr.en, in: Anal. Mus. 1 u. ö. (1963 ff.); V. L. HAGOPIAN, Italian Ars Nova Music. A Bibliographical Guide to Modern Editions and Related Literature (Berkeley/Calif. — Los Angeles 1964); F. DEGRADA, Indici della RMI 36-57 (1929-1955) (Fi 1966); K.JEPPESEN, La frottola. Bemerkungen zur Bibliogr. der ältesten weltlichen Notendrucke in I. (Kop 1968). — 2) Denkmälersung.: Raccolta di musica sacra, 7 Bde. (R 1841-46); Biblioteca di rarità musicali, hrsg. v. 0. CHILESOTTI, 9 Bde. (Mi 1883-1915); L'arte musicale in Italia ... dal secolo XIV al XVIII, hrsg. v. L. TORCHI, 7 Bde. (Mi 1897-1907, 21968); I classici della musica italiana, hrsg. v. G. F. MALIPIERO — C. PERINELLO — I. PIz7_ETTI — F. B. PRATELLA, 36 Bde. (Mi 1919-21); Istituzioni et monumenti dell'arte musicale italiana, 1. Reihe, 6 Bde. (Mi 1931-39), 2. Reihe (1957 ff.); Capolavori polifonici del secolo XVI, hrsg. v. B. SOMMA (R 1939ff.); Polifonia vocale sacra e profana del secolo XVII, hrsg. v. DEMS. — L. BIANCHI (R 1940ff.); Musiche vocali e strumentali sacre e profane del secoli XVII—XIX, hrsg. v. DENS. (R 1941 ff.); I classici musicali italiani, hrsg. v. G. BENVENUTI, 15 Bde. (Mi 1941-43); Pubblicazioni dell'Istituto Italiano perla Storia della Musica (R 1941 ff.); Monumenta polyphoniae Sanctae Ecclesiae Romanae, hrsg. v. L. FEININGER (R 1947ff.); Monumenta liturgicae polychoralis Sanetae Ecclesiae Romanae, hrsg. v. DEMS. (R 1950ff.); Maestri bolognesi (Bol 1953ff.) (= Publicazioni della Bibl. del Conserva-

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ITALIENERIN IN ALGIER, DIE (L'Italiana in Algeri), Opera comica in 2 Akten von Gioacchino Rossini (1792-1868), Text von Angelo Anelli (1761-1820). Anelli schrieb den Text ursprünglich für ,Luigi Mosca, dessen Oper am 16.8. 1808 in Mailand (Scala) uraufgeführt wurde. Ort und Zeit der Handlung: Palast des Bey Mustapha von Algier und algerische Küste, im 17. Jahrhundert. UA: 22.5. 1813 in Venedig (Teatro San Benedetto), dt.

Ives EA (in ital. Sprache): 18.6. 1816 in München (erste Rossini -Oper in Deutschland); EA in dt. Sprache: 6.9. 1818 in Stuttgart, (Übers.: J. C. Grünbaum). Die Italienerin Isabella gerät bei dem Versuch, ihren Geliebten Lindoro aus der Hand des türkischen Bey Mustapha von Algerien zu befreien, selbst in dessen Gewalt. Durch eine List gelingt die Flucht der Gefangenen: Sie ernennen den Bey zum Mitglied des Ordens der „Pappataci" und verpflichten ihn zur Einhaltung der Ordensregeln (nichts zu se-

hen, nichts zu hören, sich fremden Glücks zu freuen). Es gelingt den Italienern, unbehelligt ein Schiff zu rüsten und zu fliehen. Die spritzige Buffo-Oper entstand, neben 3 weiteren Opern Rossinis, 1813. Als Konzertstück beliebt ist die Ouvertüre dieser nicht häufig gespielten, aber nie aus dem Repertoire ausgeschiedenen Oper. In neuerer Zeit waren ihre brillanten Koloraturarien Paradenummern der Mezzosopranistin Giulietta Simionato. R. QUANDT ITE MISSA EST (lat., = gehet, es ist die Entlassung), Entlassungsruf des Priesters am Ende der lateinischen OEMesse, dem die Gemeinde mit Deo gratias antwortet. (In der österlichen Zeit mit Alleluja nach Ruf und Antwort). In der Messe in dt. Sprache heißt der Dialog seit dem 2. Vatikanischen Konzil Gehet hin in Frieden - Dank sei Gott, dem Herrn. Das I. ist seit dem 7.-8. Jh im römischen Ritus bezeugt; im ambrosianischen, mozarabischen und gallikanischen waren andere Entlassungsformeln üblich (z. B. Missa acta est im gallikanischen Ritus, wo „Missa" bereits als Bz. für die gesamte Meßfeier steht). Das I. wurde vor allem an Festtagen gebraucht, an denen das Gloria gesungen wurde (also nicht in der Fastenzeit); es entfiel jedoch in Messen, in denen ein Entlassungsruf überflüssig war, bzw. es wurde durch die Formel Benedicamus Domino an Tagen ohne Gloria, in der Totenmesse durch Requiescant in pace - Amen ersetzt. In der Frühzeit der mehrstimmigen OEMesse wird das I. oft mitvertont, z. B. in der Messe von Tournai als Motette mit der choralen I.-Melodie in Tenor und den Texten Segrasse n'est a mon maintien contraire/Cum venerint miseri degentes in den anderen Stimmen. Die Messe de Nostre Dame von G. de Machaut enthält ebenfalls ein (isorhythmisch gestaltetes) Ite missa est. IVANOVS, Jänis Andrejewitsch, * 26.9. (9. 10.) 1906 Preili (Lettgallen), t 1983 Riga; lettischer Komponist. I. studierte bis 1931 in Riga Komposition bei J. Withol, Klavier bei N. Dauge und Dirigieren bei G. L. Schnéevoigt. 1931-61 war er Mitarbeiter beim lettischen Rundfunk und war seit 1949

Kompositionslehrer am lettischen Staatskonservatorium. I. gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Komponisten in Lettland. Er verwendet u. a. Dodekaphonie und aleatorische Techniken. WW: Klv.-Werke; 3 Streichquartette (1933-61); 16 Symphonien (1933-75); symphonische Dichtungen Varaviksne (1938) u. Láčplěsis (1957); Vc.-Konzert (1938); V.-Konzert (1961) u. Klv.-Konzert (1959); ferner Chöre u. Lieder. Lit.: N. GRÜNFELD, J. I. (Mos 1959).

IVES, Charles Edward, * 20. 10. 1874 Danbury (Connecticut), t 19. 5. 1954 New York; amerik. Komponist. Seine erste Ausbildung und seine Auf-

geschlossenheit für musikalische Neuerungen verdankte I. seinem Vater George I., der in Danbury eine Militärkapelle leitete und als AllroundMusiker das Musikleben des Städtchens beherrschte. Diese Aufgeschlossenheit bewahrte sich I. auch während der akademischen Ausbildung 1894-98 an der Yale University durch den angesehenen Komponisten Horatio Parker. 1889-1902 hatte I. mehrere Organistenstellen in Neu-England inne, zog sich aber dann aus dem öffentlichen Musikleben zurück und leitete gemeinsam mit einem Freund das erfolgreiche Versicherungsunternehmen I. & Myrick in New York, aus dem er 1930 ausschied. In den 20er Jahren gab I. das Komponieren auf. WW: 1) Iastr.-WW: a) für Klv.: Three-Page Sonata (1905); Some Southpaw Pitching (1908); The Anti-Abolitionist Riots (1908-09); 1. Sonate (1902-09); Three Protests (1914); 2. Sonate Concord, Mass., 1840-1860 (1909-15); Largo und Allegro (1923-24), Vierteltonmusik für 2 Klv. - b) für Org.: Variations on a National Hymn (America) (1891). - c) Kammermusik (auch für „theatre orchestra"): Marsch Intercollegiate (1895); 1. Streichquartett A Revival Service (1896); From the Steeples and the Mountains (1901); Allegro und Largo (Pre-First Violin Sonata) (1901-02) für V. u. Klv.; Trio für Klar., V. u. Klv. (1902-03); Autumn Landscape from Pine Mountain (1904); Over the Pavements (1906); Hallowe'en (1906); 1. V.-Sonate (1903-08); Set for String Quartet „Basso" and Piano (1914), mit den Sätzen: Hymne (1904), Scherzo (1903) u. The Innate (1908); für Klv. Quintett: In Re Con Moto (1908), Largo risoluto Nr. 1 (The Law of Diminishing Returns 1908) u. Nr. 2 (A Shadow Made, a Silhouette 1908); The Unanswered Question, A Cosmic Landscape (1908); 2. V.-Sonate (1903-09); The Gong on the Hook and Ladder, Firemen's Parade on Main Street (um 1910); Klv.-Trio (1904-11); Tone Roads Nr. 1 (1911); 3 Stücke für Kammerorch. (1906-13); Ragtime dances (1910-11); The Last Reader (1911); The Indians (1912); Aeschylus and Socrates (1922); The See'r (1913); 2. Streichquartett (1907-13); Chorale (1903-14), Vierteltonmusik für Str.; The Rainbow (1914); 4. V.-Sonate (1914-15); Tone Roads Nr. 3 (1915); At Sea (1917-18); On the Antipodes (1915-23). - d) für Orch.: 1., 2. u. 3. Symphonie (1896-98,1897-1901,1904); Central Park in the Dark Some 40 Years Ago (1898-1907); Cartoons or Take -offs (1898-1907); Symphonie Holidays (1904-13); First Orchestral Set: Three Places in New England (1903-14); Second Orchestral Set (1912-15); 4. Symphonie (1910-16); Third Orchestral Set (1919-26); Universe Symphony (ab 1915) (unvollendet). - 2) Vokal-WW: a) für SingSt u. Klv.: 114 Lieder (1888-1921). -b) für Chor: The Circus Band (1894) für gem. Chor u. Orch.; Psalm 14, 24, 25, 54, 67, 90,

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Ives 100, 135 u. 150 (1894-1901); Three Harvest Home Chorales (1899-1912); Kantate The Celestial Country (1898-99) für Soli, gem. Chor u. Kammerorch.; Processional: Let There Be Light (1901) für Männerchor, Str. u. Org.; The New River (1911) für Chor u. Kammerorch.; Lincoln the Great Commoner (1912) für Chor unisono, Klv. u. Orch.; Duty (1914) für Männerchor u. Orch.; General William Booth's Entrance into Heaven (1914) für Chor u. Blaskapelle; 2. December (1912-13) für Männerchor u. Blasorch.; „War Song March" They Are There! (1917) für Chor u. Orch.; Premonitions (1917) für Chor u. Kammerorch. — 3) Schriften: Essays Before a Sonata (NY 1920), NA zus. mit The Majority u.a. hrsg. v. H. Boatwright (NY 1961, 2 1962, Paperback 1964, Lo 1969, NA 1970); Memos, hrsg. v. J. Kirkpatrick (NY 1972, Paperback Lo 1973) (mit Werkverz.).

I. hat in seinen Kompositionen die unterschiedlichsten Innovationen, die für die Musik der europäischen Moderne bestimmend wurden, vorweggenommen oder zur gleichen Zeit selbständig entwickelt. Eine besondere Art von Polytonalität findet sich bereits 1891 in den Variations an a National Hymn (America), in denen I. - nach eigenen Angaben dem Vorbild des experimentierfreudigen Vaters folgend - die einzelnen Stimmen mit unterschiedlichen Vorzeichen versah. Bei I. sind harmonische Felder auf der Basis der /Ganztonleiter (Psalm 54, 1894) und Quartenakkorde (Processional: Let There Be Light, 1901) Vorstufen zur Atonalität. In Etudes benannten Kompositionen erprobte er die serielles Denken vorwegnehmende systematische Organisation unterschiedlicher „Parameter", wie Rhythmus (Harvest Home Chorales, 1899-1912), Diastematik (Soliloquy. A Study in 7ths and other things für SingSt u. Klavier, 1907) und Dynamik (Largo Risoluto, 1908). Neue Klangbereiche hat er durch die Verwendung von /Clusters (The Anti -Abolitionist Riots, 1908-09) und Vierteltonstimmung erschlossen (Chorale, 1903-14). I.' „Atonalität", wie sie sich etwa in The Unanswered Question von 1908 zeigt, unterscheidet sich von der A. Schönbergs dadurch, daß sie nicht zum Stilprinzip erhoben wird, das Tonalität ausschließt: atonale Partien stehen neben tonalen und werden von diesen durchkreuzt. I. intendierte vielmehr einen stilistischen Pluralismus, der Stil als ästhetische Kategorie letztlich aufhebt. In diesem Sinne benutzte er auch Zitat und Collage. Manche Kompositionen nähern sich dabei der Satire (Three-Page Sonata, 1905), andere entfalten ein musikalisches Panorama, in dem die diskursive Logik thematischer Prozesse aufgegeben ist zugunsten einer Vereinigung von klanglichen Ereignissen, die zeitlich und räumlich von verschiedenem Ursprung scheinen. Der stilistische Pluralismus von I.' Musik, ihre Illusion von Zeitlosigkeit und Raumhaftigkeit haben J. Cage beeinflußt. Obwohl I. keinen unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung in Europa hatte, da er hier erst nach dem 2. Weltkrieg bekannt 224

wurde, ist er nach der Auseinandersetzung zwischen Serialismus und Aleatorik in den späten 50er Jahren zu einer Integrationsfigur geworden. Lit.: A Temporary Mimeographed Catalogue of the Music Manuscripts and Related Materials of Ch. E. I., hrsg. v. J. KIRKPATRICK (New Haven/Conn. 1960, Nachdr. 1973); R. WARREN, Ch. E. I., Discography (ebd. 1972). — H. u. S. COwELL, Ch. I. and His Music (NY 1955, Paperback Lo 1969) (mit ausführlicher Bibliogr. der älteren amerik. Lit.); H. G. HELMS, Der Komponist Ch. I., in: NZfM 125 (1964); H. BOATWRIGHT, l.' QuarterTone Impressions, in: Perspectives of New Music 3 (1965); K. STONE, I.' Forth Symphony, in: MQ 52 (1966); H. ENKE, Ch. I.' „The Unanswered Question", in: Versuche musikal. Analysen (B 1967) (= Veröff. des Inst. für Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt 8); D. MARSHALL, Ch. I.' Quotations. Manner or Substance, in: Perspectives of New Music 6 (1967/68); E. BUDDE, Anmerkungen zum Streichquartett Nr. 2 v. Chi., in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); U. MASKE, Ch. I. in seiner Kammermusik für 3-6 Instr. (Rb 1971) (= Kölner Beitr. z. Musikwiss. 64); C. STERNE, The Quotations in Ch. I.' Second Symphony, in: ML 52 (1971); F. R. ROSSITER, Ch. 1. and American Culture (1972) (= Diss. Princeton Univ./ N.J.); H. KOLTER, Zur Kompositionstechnik von Ch. I., in: NZfM 133 (1972); TH. R. ALBERT, The Harmonic Language of Ch. I.' „Concord Sonata" (1974) (= Diss. Univ. of Illinois); S. R. CLARK, The Element of Choice in I.' Concord Sonata, in: MQ 60 (1974); N. S. JOSEPHSON, Zur formalen Struktur einiger später Orchesterwerke v. Ch. I., 1874-1954, in: Mf 27 (1974); V. PERLIS, Ch. I. Remembered (New Haven — Lo 1974); F. R. ROSSITER, Ch. I. and His America (NY 1975); C. KÜHN, Ch. I. Eine Bestandsaufnahme, in: Musik u. Bildung 8 (1976); H. WILEY HITCHCOCK, I. (Lo 1977); An I.-Celebration. Papers and Panels of the Ch. I. Centennial Festival Conference, hrsg. v. DEMS. — V. PERLIS (Urbana/Ill. 1977); E. KLEMM, Musikal. Neuerer u. Demokrat. Der Komponist Ch. I., in: MuGes 27 (1977); L. STARR. Style and Substance. „Ann Street" by Ch. I., in: Perspectives of New Music 15 (1977); CHR. BALLANTINE. Ch. I. and the Meaning of Quotation in Music, in: MQ 65 (1979). H. WEBER

IVOGÜN, Maria (eig. Maria Kempner; sie bildete 1915 ihren Künstlernamen nach dem Mädchennamen ihrer Mutter Ida von Günther), * 18.11. 1891 Budapest; ung. Sängerin (Sopran). Während ihrer Ausbildung bei I. Schlemmer-Ambros in Wien wurde sie von Bruno Walter entdeckt, der sie an die Münchner Hofoper verpflichtete. Dort debütierte sie 1913 als Mimi in G. Puccinis La Bohème und sang 1917 (u. a. mit Karl Erb) in der Uraufführung des Palestrina von H. Pfitzner. 1926-33 war sie Mitglied der Berliner Staatsoper. Sie gastierte an allen großen Opernbühnen Europas und galt als eine der bedeutendsten Sopranistinnen ihrer Zeit. Nach Beendigung ihrer Bühnenlaufbahn 1933 wurde sie Gesangspädagogin und lehrte 1948-50 an der Wiener Musikakademie und 1950-58 an der Musikhochschule in Berlin. M. I. war 1921-32 mit Karl Erb, danach mit dem Pianisten Michael Raucheisen verheiratet. Lit.: W. BOLLERT, in: Musica 15 (1961).

IWAN SUSSANIN, Oper von M. I. Glinka; dt. Titel: Ein /Leben für den Zaren.

J JACCHINI, Giuseppe Maria, * um 1670 Bologna, t nach dem 30.4. 1727 ebd.; it. Violoncellist und Komponist. I. wurde 1688 Mitglied der Accademia Filarmonica und 1689 Cellist an S. Petronio in Bologna. Er gehörte neben seinem Lehrer D. Gabrielli zu den ersten Komponisten, die Violoncello-Sonaten schrieben. WW: Im Druck erschienen: Sonate da camera für 3-4 Instr. u. obligates Vc. (Bol 1695); Concerti per camera für V. u. Vc. u. B.c., teilweise nur für Vc. u. B.c. (Modena 1697); Concerti per camera für 3-4 Instr. u. obligates Vc. (Bol 1701); Trattenimenti per camera für 3-6 Instr. con alcune a una, e due trombe (Bol 1703). Lit.: W. S. NEWMAN, The Sonata in the Baroque Era (Chapel Hill 1959, revidiert 1966).

JACHET "Berchem, Jachet de; řBuus, Jakob. JACHET VON MANTUA (Jacobus Collebaudi), * 1495 Vitré (Bretagne), t um 1559 Mantua; frz. Komponist. J. ist seit 1527 in Mantua nachweisbar, wo er 1534 Magister puerorum des Kardinals Ercole Gonzaga und 1539 Kapellmeister an der Kathedrale wurde. Die meisten der in zeitgenössischen Drucken unter den Namen Jachet, Jachetus Gallicus und Jacquet veröffentlichten, fast ausschließlich geistlichen Kompositionen können J., der früher oft mit dem Madrigalisten Jachet de Berchem verwechselt wurde, zugeschrieben werden. WW: Im Druck erschienen: J. chori sancti Petri urbis Mantuae magistri motecta 4 v.... liber 1. u. J. ... cardinalis Mantuae magistri motecta S v., liber 1. (V 1539); 1. liber di J. a 5 v. con la giunta di più motetti... (V 1540); J. ... cardinalis Mantuae magistri motecta S v. (V 1553); Missa cum 4 v. paribus... „Quarr pulchra es" (P 1554); Missa ... „Surge Petre" für 6 St. (P 1557); 2 Bücher Messen für S St. (V 1554,1555); 2 Bücher Misse del Fiore für 5 St. (V 1561); 2 Bücher Motetti di J. da Mantua für 5 St. (V 1565). 12 Messen, 136 Motetten, 7 Magnificat u. zahlr. andere geistliche Werke in den Sammeldrucken der Zeit u. hsl. Ausg.: Opera omnia, hrsg. v. PH. JACKSON - G. NUGENT (R 1971 ff.) (= CMM 54/1). - Passio die veneris, in: Oberit. Figuralpassionen des 16. Jh., hrsg. v. A. SCHMITZ (Mz 1955) (= Musikal. Denkmäler 1). Lit.: K. HUBER, Die Doppelmeister des 16. Jh., in: FS A. Sandberger (Mn 1918); A.-M. BAUTIER-REGNIER, J. de M., in: RBMie 6 (1952); K. WIDMAIER, J. von M. u. sein Motettenschaffen (Diss. Fr 1953); PH. T. JACKSON, The Masses of J. of

M., 2 Bde. (1968) (= Diss. Univ. of North Carolina); A. DUNNING, Die Staatsmotette 1480-1555 (Utrecht 1970); G. D. NUGENT, The Jacquet Motets and Their Authors (1973) (= Diss. Princeton Univ./Mass.).

JACHIMECKI, Zdzisiaw, *7. 7. 1882 Lemberg, t 27. 10. 1953 Krakau; poln. Musikforscher. J. studierte am Konservatorium in Lemberg, dann seit 1902 Musikwissenschaft bei G. Adler und Komposition bei H. Graedener und A. Schönberg in Wien, wo er 1906 promovierte. 1911 habilitierte er sich an der Universität Krakau, wurde 1917 außerordentlicher, 1921 ordentlicher Professor und lehrte zeitweilig auch Harmonie am Konservatorium. Außerdem trat er als Musikkritiker, Dirigent und Komponist hervor. J. war Mitglied der polnischen Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender von deren musikwissenschaftlicher Kommission. Er gehörte ferner der Kommission für die Herausgabe der Werke Palestrinas in Rom und der Chopin-Gesellschaft in Wien an. Schriften: W. Gomólka (Diss. W 1906); Wplywy wloskie w muzyce polskiej (Krakau 1911); R. Wagner (Lemberg 1911, War 2 1922, NA Krakau 1958); Historia muzyki polskiej wzarysie (War 1920); St. Moniuszko (War 1921, NA Krakau 1962); F. Chopin (War 1927, 21949, NA Krakau 1957, frz. P 1930, 1966); Muzyka polska w rozwoju historycznym I (Krakau 1948-51); Wagner, hrsg. v. A. Orman (postum ebd. 1973). Lit.: F. ZAGIBA, in: Chopin-Jb. 1 (W 1956).

JACK PUDDING, Ballett in 3 Teilen. Libretto und Musik: Hans Werner Henze (* 1926). UA: 30. 12. 1950 in Wiesbaden. Choreographie: Edgar von

Pelchrzim. Henzes Werk ist von Jean-Baptiste Molières (1622-73) Tragikomödie Georges Dandin (1668) angeregt. Handlungsgefüge und Personenkonstellation bezeugen die Nähe zur Commedia dell'arte: Von seiner Ehefrau Angélique betrogen, von den Mitmenschen verachtet und verspottet, erhängt sich die tragikomische Titelfigur. Die junge Schäferin Phoebe entdeckt den Erhängten, erlöst ihn und erweckt ihn zu neuem Leben. — Der Szenenfolge des Balletts sind 17 musikalische Einzel225

Jackson

nummern zugeordnet, in denen Chromatismen, prägnante Rhythmen und adaptierte Klangelemente des Jazz dominieren. Besondere Anerkennung fand vor allem die eigenwillige Neuinszenierung von Erich Walter (Jacques Pudding, Wuppertal 1954, Städt. Oper Berlin 1957). G. LUDIN JACKSON, Mahalia, * 26. 10. 1911 New Orleans, t 27. 1. 1972 Chicago; amerik. Spiritual- und Gospelsängerin. 1937 nahm sie ihre erste Schallplatte auf, wurde aber erst 1945 mit Move an up Little Higher und 1950 mit Silent Night berühmt. In den

50er Jahren folgten zahlreiche weitere Plattenaufnahmen und Konzerte in den USA und in Europa. 1957 und 1958 nahm sie am New Port-Jazzfestival teil, wobei sie 1958 vom Duke Ellington -Orchester begleitet wurde. M. J., in Stimmgebung und Vortragsweise vom Blues beeinflußt, gilt als die bedeutendste Sängerin der Negro Spirituals und Gospelsongs. Ihre Autobiographie erschien unter dem Titel Movin' an up (NY 1966) (zusammen mit E. McLeod Wylie; dt. Übers.: M. J. erzählt ... die Geschichte ihres Lebens, Z 1969). Lit.: E. KAYSER, M. J. (Wetzlar 1962) (= Jazz Bücherei 11); TH. LEHMANN, M.J. Gospelmusik ist mein Leben (B 1974); L. GOSEAU, Just M., Baby (Waco/Tex. 1975).

JACKSON, Milt (Milton), genannt „Bags", *1. 1. 1923 Detroit; amerik. Jazzmusiker (Vibraphon). J. wurde 1945 von Dizzy Gillespie entdeckt. Er spielte außerdem noch bei Tadd Dameron, Howard McGhee und Woody Herman. Aus dem von ihm gegründeten Milt Jackson Quartet entwickelte sich unter dem Einfluß des Pianisten John Lewis 1953 das řModern Jazz Quartet, das zum Inbegriff des Cool Jazz wurde und auch in Europa, u. a. 1957 bei den Donaueschinger Musiktagen, sehr erfolgreich war. J. interpretiert mit virtuoser Technik Balladen und Blues in besonders ausdrucksvoller Weise. Lit. M. J., in: Jazz erzählt, hrsg. v. N. SHAPIRO — N. HENTOFF (Mn 1962); J. E. BERENDT, Das Jazzbuch. Von Rag bis Rock (F 1973); DERS., Good bye, Modern Jazz Quartet, in: Ein Fenster aus Jazz (F 1977).

JACKSON, William, * 29.5. 1730 Exeter, t 5.7.

1803 ebd.; engl. Komponist. J. ging 1748 nach London und war dort Schüler von J. Travers. Nach Exeter zurückgekehrt, verdiente er zunächst als Musiklehrer seinen Lebensunterhalt und wurde dann 1777 Organist und Chorleiter der Kathedrale. J.s Vokalwerke waren im 18. und 19. Jh. sehr beliebt. Seine Schriften enthalten wichtige Einzelheiten über das Musikleben Englands im 18. Jh. WW: Klv.-Sonaten; Kirchenmusik; Madrigale; Lieder u. Kanzonetten. — Opern: Lycidas, UA: London 1767; The Lord of the Manor, UA: ebd. 1780; The Metamorphosis, UA: ebd. 1783. —

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Ferner die Schrift Observations on the Present State of Music in London (Lo 1791). Lit.: E. D. MACKERNESS, Fovargue and J., in: ML 31 (1950).

JACOB, Gordon, * 5.7. 1895 London, t 8.6. 1984 Saffron Walden; engl. Komponist. J. studierte am Dulwich College u. bei Ch. Stanford, R. Vaughan Williams u. H. Howells am Royal College of Music in London, wo er selbst 1926-54 Komposition und Instrumentation lehrte. Später war er Dirigent der Royal Amateur Orchestral Society. 1947 wurde J. Ehrenmitglied der Royal Academy of Music, 1968 Comander of the British Empire. Er schrieb hauptsächlich Instrumentalmusik. Sein großes in-

strumentatorisches Können trug ihm auch zahlreiche Kompositionsaufträge von namhaften Solisten ein. Er orchestrierte auch Werke von W. Byrd, Fr. Couperin, F. Mendelssohn Bartholdy, Fr. Chopin, R. Schuman und Fr. Liszt. WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Kammermusik, darunter Vc.-Sonate (1957) u. Klv.-Sonate (1956); für Orch.: 2 Symphonien (1929, 1944); Symphonie für Str. (1943); A York Symphony (1971) für Blechbläser; 3 Orch.-Suiten (1941, 1949, 1949) Sinfonietta (1942); Konzerte für: Va. (1925), Klv. (1927, 1956), Ob. (1933, 1956), je 1 für Fag. (1942), Horn (1951), V. (1954), Vc. (1955) u. Pos. (1955) sowie Concertino für Klv. (1956). — 2) Vokal- o. Bühnen-WW: The Nun's Priest's Tale (1954) u. Laudate Dominum (1954) für Chor u. Orch.; 2 Ballette The Jew in the Bush (1923); Uncle Remus (1930); ferner Bühnen- u. Filmmusik. — 3) Schriften: Orchestral Technique (Lo 1931); How to Read a Score (Lo 1944); The Composer and His Art (Lo 1956); The Elements of Orchestration (Lo 1962, NY 1969). Lit.: M. SCOTT, G. J., in: Monthly Musical Record 59 (1929).

JACOB, Maxime (Dom Clément Jacob), OSB, * 13.1. 1906 Bordeaux, t 26.2. 1977 Tarn ; frz. Komponist. Er war am Pariser Conservatoire Schüler von Ch. Koechlin (Harmonielehre), A. Gédalge (Komposition) und Yves Nat (Klavier). 1919 bildete erzusammen mit D. Milhaud, H. Sauget, R. Désormière und H. Cliquet-Pleyel die École d'Arcueil. 1929 zum Katholizismus konvertiert, trat er in das Benediktinerkloster in En-Calcat (Tarn) ein, wo er nach Orgelunterricht bei H. Cabié und M. Duruflé Organist der Abtei wurde. Sein kompositorischer Stil ist im wesentlichen melodisch orientiert und bleibt im Rahmen tonaler bzw. modaler Harmonik. WW: V.- u. Vc.-Sonaten; Klv.-Stücke, darunter Sonaten, 24 Feuillets d'album u. Triptyche (1965); 7 Streichquartette (1962-69); für Orch.: Ouverture (1923); Serenade (1928); Sinfonietta funèbre (1947); Klv.-Konzert (1961). — Zahlr. Lieder; Hymnes en français für 4 St. (1968); Chöre, u. a.: Quatre chansons entre l'âme et l'époux; Oratorium Le vitrail de Ste-Thérèse (1952); Cantate à St-Michel (1969). — Opéra-comique Blaise le savetier (1926); ferner Bühnenmusik. Lit.: M.-R. CLOUZOT, Souvenirs a deux voix. De M. J. à Dom C.J. (Toulouse 1969), G. W I:RKF R, in: Mens en melodic 26 (1971).

JACOB, Werner, *4. 3. 1938 Mengersgereuth

Jacobowsky und der Oberst

(Thüringer Wald); dt. Organist und Komponist. J. studierte bis 1961 Orgel (W. Kraft), Cembalo, Komposition (W. Fortner) und Dirigieren an der Musikhochschule Freiburg i. Br. und privat Orgel bei A. Nowakowski. Er wirkt seit 1969 an der St.Sebaldus-Kirche in Nürnberg und konzertiert in Europa, in den USA, in Kanada, Japan und in der UdSSR. 1971 wurde er Kirchenmusikdirektor, 1976 zugleich Professor für Orgel an der Musikhochschule in Stuttgart. WW: Zahlr. Orgelstücke; Quartett 1960 für Ob., Klar., Horn u. Fag.; Chorwerke, u. a.: De visione resurrectionis (1966) für gem. Chor, Bar. solo, 2 Schlagzeuggruppen u. Org.; Telos nomou fur Sprecher u. Instr.; biblische Szene Babel für Sprecher, 5 Soliloquenten u. gem. Chor.

JACOB DE SENLECHES (Jacquemin de Senle-

ches, Jacomi de Sentluch, Jacopinus Selesses). J. lebte zunächst in Aragón, wo er unter dem Beinamen „Lo Begue" bekannt war. 1378 reiste er als Musiker des Herzogs von Gerona nach Flandern, lebte 1379-82 am Hof von Kastilien und ging 1383 als Harfenist des Kardinals Pedro de Luna, des späteren Papstes Benedikt XIII. , an den Hof von Navarra. 1391, 1392 und 1395 ist er wieder am Hof des Königs von Aragón nachweisbar. J., dessen Werke sich durch besonders komplizierte Rhythmik und Notationsweise auszeichnen, gehört zu den wichtigsten Vertretern der /Ars subtilior. Ausg.: 1 Ballade in: Hist. Anthology of Music I, hrsg. v. A. TH. DAVISON — W. APEL (C/M 2 1949); 5 Stücke in: W. APEL, French Secular Music of the Late 14th Century (C/M 1950). Lit.: J. WOLF. Gesch. der Mcnsural-Notation (L 1904, Nachdr. Hil — Wie 1965); H. ANGLÉS, Cantors u. Ministrels in den Diensten der Könige Katalonien-Aragonien, in: Kgr.-Ber. Basel 1924 (L 1925); DERS., El músic Jacomí al servei de Joan 1. i Marti I. durant els anys 1372-1404 (Ba 1936); N. PIRROTTA, II codice Estense lat. 568 e la musica francese in Italia al principio del '400, in: Atti della Reale Accad. di Scienze, Lettere i Arti di Palermo 4, V;'2 (1945); G. REANEY, The Manuscript Chantilly, Musée Condé 1047, in: MD 8 (1954); U. GUNTHER, Datierbare Balladen des späten 14. Jh., in: MD 15 (1961); DIES., Zur Biogr. einiger Komponisten des Ars subtilior, in: AfMw 21 (1964); H. KÜHN, Das Problem der Harmonik in der Musik der Ars nova (Diss. Saarbrücken 1970).

JACOBI, Erwin Reuben, *21. 9. 1909 Straßburg, t 27.2. 1979 Zürich; Schweizer Musikforscher und

Cembalist dt. Herkunft. J. studierte Wirtschaftswissenschaften und erhielt 1933 in Berlin das Ingenieursdiplom. 1934 ging er nach Israel. 1951-52 nahm er dort bei Frank Pelleg Unterricht im Cembalospiel und bei Paul Ben Haim in Musiktheorie. 1952-53 setzte er seine Studien in den USA bei W. Landowska, P. Hindemith und C. Sachs fort. 1953 folgte er Hindemith nach Zürich. Dort hörte er Vorlesungen auch bei A.-É. Cherbuliez, und in Basel studierte er Alte Musik an der Schola Cantorum. 1957 promovierte er und wurde 1961 Lehrbeauf-

tragter für Musikwissenschaft an der Universität. Eine wichtige Leistung J.s ist die Gesamtausgabe der theoretischen Schriften Rameaus. Er gab auch den musikal. Nachlaß Albert Schweitzers heraus. 1) Schriften: Die Entwicklung der Musiktheorie in England nach (Str 1957-60, Nachdr. Baden-Baden 1971) (= Sig. musikwiss. Abh. 35 u. 39/39a); A. Schweitzer, der Musiker, in: Schweizer musikpädagogische Blätter 46 (1958); Das Autograph v. C. Ph. E. Bachs Doppelkonzert in Es-Dur fürCemb., Fortepiano u. Och., Wq 47 Hamburg 1788, in: Mf 12 (1959); Zur Frage der Angleichung nachschlagender Sechzehntel an Triolen, in: Mf 13 (1960); Neues zur Frage „Punktierte Rhythmen gegen Triolen" u. zur Transkriptionstechnik bei J. S. Bach, in: Bach -lb 49 (1962); Nouvelles lettres inédites de J. -Ph. Rameau, in: Rech. Mus. 3 (1963); Rameau and Padre Martini. New Letters and Documents, in: Rech. Mus. 3 (1963); Rameau and Padre Martini. New Letters and Documents, in: MQ 50 (1964); Vortrag u. Besetzung Bach'scher Cantaten- u. Oratorienmusik. Ein unbekannter Brief v. M. Hauptmann an J. Brahms, in: Bach-Jb. 55 (1969) u. 57 (1971). — 2) Editionen: J. -Ph. Rameau. Pièces de clavecin (Kas 1958, revidiert 4 1972); J. -Ph. Rameau. Pièces de clavecin en concerts avec un violon ou une fuite et une viole ou un deuxième violon (Kas 1961, revidiert 2 1970); J. B. de Boismortier, Quatre suites de pièces de clavecin, op. 59 (Mn 1960, revidiert 31971); G. Tartini. Traité des agréments de la musique (Celle 1961); J. F. Agricola. Anleitung zur Singkunst 1757 u. P. F. Tosi, Opinioni de' cantori antichi e moderni... 1723 (Celle 1966); J. -Ph. Rameau, Complete Theoretical Writings, 6 Bde. (1967-72) (= Miscellanea 3); J. C. Ritter, Drei Sonaten für Cemb. 1751 (L 1968). der Zeit v. J. -Ph. Rameau

JACOBOWSKY UND DER OBERST, Oper in 4 Akten von Giselher Klebe (* 1925), op. 49. Text vom Komponisten nach Franz Werfels gleichnamiger Komödie einer Tragödie (1941/43). Ort und Zeit der Handlung: Frankreich, 1940. UA: 2.11. 1965 in Hamburg unter Leopold Ludwig. Zwei gegensätzliche Charaktere, ein besonnener jüdischer Kaufmann und ein prinzipienreitender Militarist, fliehen gemeinsam vor den Deutschen. Die Dramatik des Zeitgeschehens wird in der Textvorlage häufig durch Situationen voller Komik überdeckt; vordergründige Symbolik vermittelt das gemeinsame Auftreten des Ewigen Juden und des Hl. Franz von Assisi, die auf einem Motorrad vorfahren. In der im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper entstandenen Komposition übersteigert Klebe die Situationskomik häufig zur Groteske, z. B. wenn bei der Erzählung des Jacobowsky, der nun schon zum fünften Male flieht, der StraußWalzer Mein Lebens Lauf ist Lieb und Lust erklingt. Durch das Verschmelzen der Zwölftontechnik mit tonalen Abschnitten zu einer neuen Harmonik werden satztechnisch die von Jacobowsky häufig angesprochenen „zwei Möglichkeiten" verdeutlicht; musikalischer Höhepunkt der in 31 Nummern gegliederten Oper ist das a cappellaQuartett, in welchem die von dem Juden erstmalig in Betracht gezogene dritte Möglichkeit — ohne alle Komplikationen weiterzuleben — aufgezeigt wird. K. LANGROCK

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Jacobsthal JACOBSTHAL, Gustav, * 14.3.1845 Pyritz (Pommern), t 9.11.1912 Berlin; dt. Musikforscher. J. studierte seit 1863 in Berlin Geschichte, außerdem Musik bei E. Grell und H. Bellermann und promovierte 1870 mit einer musikwissenschaftlichen Arbeit. 1872 habilitierte er sich an der Universität Straßburg und lehrte dort 1875-1905 als Professor. J. verfaßte für die damalige Zeit grundlegende Schriften über den Gregorianischen Choral und die frühe Mehrstimmigkeit. Zu seinen Schülern gehörten P. Wagner und Fr. Ludwig. Schriften: Die Mensura/notenschrift des 12. u. 13. Jh. (Diss. B 1870); Ober die musikal. Bildung der Meistersinger, in: Zschr. für dt. Altertum 20 (1876); Die chromatische Alteration im liturg. Gesang der abendländischen Kirche (B 1897, Nachdr. Hil 1970).

JACOBUS LEODIENSIS (Jacobus von Lüttich), * um 1260, t nach 1330; Musiktheoretiker. J. lebte in Lüttich, verbrachte aber mehrere Jahre auch in Paris, wo möglicherweise Petrus de Cruce sein Lehrer war. Sein teils in Paris (Buch I—V), teils in Lüttich (Buch VI—VII) entstandenes Speculum Musicae, das lange Zeit Johannes de Muris zugeschrieben wurde, ist der umfassendste Musiktraktat seiner Zeit. Er steht auf dem Boden der älteren spekulativen Musikauffassung und ist als Streitschrift gegen die 'Ars nova zu verstehen. Ausg.: J. L. Speculum musicae, 7 Bde., hrsg. v. R. BRAGARD (R 1955-73) (= CSM 3). Lit.: W. GROSSMANN, Die einleitenden Kapitel des Speculum musicae v. J. de Muris (L 1924) (= Sig. musikwiss. Einzeldarstellungen 3) (Darin Ausg. v. Buch 1, Kap. 1-19 des Speculum); H. BESSELER, Stud. zur Musik des MA, in: AfMw 7 (1925)-8 (1926); S. CLERCX, Jacques D'Audenaerde ou Jacques de Ličge?, in: RBMie 7 (1953); R. BRAGARD, Le Speculum Musicae ..., in: MD 7 (1953) — 8 (1954); F.-J. SMITH, Concepts Basic to Consonance in the Speculum musicae, Liber 1 (Diss. Fr 1960); DERS., J. L. Speculum musicae, 2 Bde. (Brooklyn / N.Y. 1966 bis 1970) (= Musicological Studies 13 u. 22); U. MICHELS, Die Musiktraktate des J. de Muris (Wie 1970) (= Beitr. zum AfMw 8).

JACOPO DA BOLOGNA (Jacobus de Bononia); it. Komponist des 14. Jahrhunderts. Texte und Widmungen seiner Kompositionen deuten auf Beziehungen zu den Höfen von Verona (um 1340-45) und Mailand (um 1345-55) hin. Zwei seiner Madrigale enthalten Anspielungen auf einen von F. Villani bezeugten Kompositionswettbewerb zwischen J. und Johannes de Florentia sowie dem von Villani nicht genannten Komponisten Piero, welcher zwischen 1349 und 1351 am Veroneser Hof der Scalas stattgefunden hatte. Der Traktat L'arte del biscanto misurato secondo el maestro Jacopo da Bologna weist darauf hin, daß J. zeitweilig an einet Universität unterrichtete. J. gehört zu den bedeutendsten Komponisten des Trecento und ist als Madrigalkomponist einer der wichtigsten Vorgänger Landinis. Er schrieb als einer der ersten 3st. 228

Madrigale, darunter eines mit 3 verschiedenen, gleichzeitig gesungenen Texten. WW (hsl. erhalten): 25 Madrigale für 2 u. 3 St.; 3 Madrigale überliefert für 2 u. 3 St.; eine Caccia für 3 St.; eine Motette für 3 St. u. eine Lauda für 2 u. 3 St. überliefert. Ausg.: GA, in: The Music of J. da B., hrsg. v. W. TH. MARROCCO (Berkeley—Los Angeles 1954); GA, in: The Music of 14th Century Italy IV, hrsg. v. N. PIRROrrA (R 1963) (= CMM 8/4). — L'arte del biscanto, hrsg. u. übers. v. J. WOLF, in: FS Th. Kroyer (Rb 1933); 14th Century Italian Cacce, hrsg. v. W. TH. MARROCCO (C/M 1942, 21961); Italian Secular Music by Magister Piero, Giovanni da Firenze, J. da B., hrsg. v. DEMS. (Monaco 1967). Lit.: D. PLAMENAC, Keyboard Music of the 14th Century, in: JAMS 4 (1951); K. VON FISCHER, Stud. zur it. Musik des Trecento (Be 1956) (= Publikationen der Schweizer musikforsch. Ges. 2/5); DERS., Drei unbekannte Werke v. J. da B. u. Bartolino da Padua, in: Miscellánea ... FS H. Anglčs I (Ba 1958).

JACOPONE DA TODI (Jacobus de Tuderto, Jacobus de Benedictis), OFM, * um 1230 Todi, t 25.12. 1306 Collazone; it. Dichter. Aus edlem Geschlecht der Benedetti stammend, soll er zunächst als Advokat tätig gewesen sein. Nach dem Tode seiner Frau Vanna dei Conti di Coldemezzo (1268) lebte er als Einsiedler, trat 1278 in den Franziskanerorden ein und wurde als Verfechter einer Kirchenreform 1298-1303 eingekerkert. Nach seiner Begnadigung (1303) lebte er im Franziskanerkloster in Collazone. J. gehört mit seinen geistlichen Dichtungen in der Volkssprache zu den wenigen dem Namen nach bekannten Laudendichtern ('Lauda). Er galt lange Zeit als der Verfasser des řStabat mater dolorosa. Aúsg.: Le laude, Nachdr. der Ausg. Florenz 1490, hrsg. v. G. PAPINI (Fi 1923); 6 Lauden mit Melodien, in: La lauda ..., hrsg. v. F. Liuzzi, 2 Bde. (R 1935). Lit.: F. Liuzzi, Profilo musicale di J. da T. con melodie inedite (R 1931); J. e il suo tempo (Todi 1959) (= Convegni del Centro di Studi sulla Spiritualità Medievale 1).

JACOTIN, franko-flämischer Komponist der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Er ist möglicherweise identisch mit dem 1516-19 als Sänger an der päpstlichen Kapelle nachgewiesenen Jacottin Level, vielleicht auch mit Jacques Le Bel, der als Sänger und Kanonikus in der französischen Hofkapelle tätig war. J. könnte allerdings auch das Pseudonym eines Musikers Jacob Godebrie sein, der 1479 bis zu seinem Tode am 24.3. 1529 Kapellsänger an der Kathedrale in Antwerpen war. Eine genaue Zuschreibung der etwa 50 unter dem Namen J. überlieferten Kompositionen ist daher kaum möglich. Es handelt sich bei ihnen um imitatorische 2-8st. Motetten und 4st. Magnificat im Stil von Josquin des Prés und um eine Reihe von 2-4st. Chansons, die z. T. in der Tradition von Cl. de Sermisy stehen. Ausg. u. Lit.: 6 Motetten, in: P. ATTAINGNANT, Treize livres

Jagdmusik de motets, hrsg. v. A. Smijers - A. T. Merritt (Monaco 1934-63); ein Satz, in: P. ATTAINGNANT, Transcription of Chansons for Keyboard, hrsg. v. A. Seay (An 1961) (= CMM 20); H.M. BROWN, Theatrical Chansons of the 15th and Early 16th Century (C/M 1963) (darin eine Chanson).

JACQUE-DUPONT (eig. Jacques Dupont), *7. 8. 1906 Paris; frz. Komponist und Pianist. Er studierte Klavier bei A. Cortot und L. Lévy sowie Komposition bei P. Vidal und H. Busser am Pariser Conservatoire und erhielt 1931 einen 1. Grand Prix de Rome. 1952 vernichtete er den größten Teil seiner bis dahin geschriebenen Kompositionen; während er neue musikalische Ausdrucksmöglichkeiten suchte, fand er in der Musik für die Bühne ein ihm Erfolg versprechendes Experimentierfeld. WW: Zahlr. Klv.-Werke; A ulos (1953) für FI. u. Klv.; Navarrianas (1943) für Vc. u. Orch. Concertino für Klv. u. Orch. (auch für 2 Klv.) (um 1961). - Oper Le roy fol (1959); Ballette, u. a.: Le bal du Pont du Nord (1951); Fait divers (1953) u. Selection-Beach (1953).

JACQUET DE LA GUERRE, Élisabeth-Claude, * um 1664 Paris, t 27.6.1729 ebd.; frz. Komponistin und Cembalistin. Sie lebte, engagiert durch Mme. de Montespan, 1682-84 am französischen Hof und wurde nach ihrer Heirat mit dem Organisten Marin de La Guerre eine angesehene Cembalistin und Cembalolehrerin in Paris. Nach dem Tode ihres Mannes (1704) gab sie regelmäßig

Konzerte. Ihr Schaffen ist durch die italienische Musik beeinflußt, deren charakteristische Formen Sonate und Kantate sie besonders pflegte. WW: Im Druck erschienen: Les pièces de clavessin... premier livre (P o.J.); Sonates pour le violon et pour le clavecin (P 1707); 2 Bücher geistlicher Cantates françoises (P 1708, 1711); ein Buch weltlicher Cantates françoises (P o. J.); ferner die Oper Céphale et Procris (P 1694). - 4 Triosonaten für 2 V. u. B.c. u. 2 V.-Sonaten sind hsl. erhalten (Paris, Bibl. Nat.). Ausg.: Pièces de clavecin..., hrsg. v. P. BRUNOLD (P 1938), 2., revidierte Aufl., hrsg. v. TH. DART (Monaco 1965); V.Sonate, hrsg. v. E. BORROFF (Pittsburgh/Pa. 1961). Lit.: E. BORROFF, An Introduction to E. -C. J. de La Guerre (Brooklyn/N.Y. 1966); H. BOL, in: Mens en melodie 23 (1968).

JADASSOHN, Salomon, * 13.8.1831 Breslau, t 1.2.1902 Leipzig; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Er studierte in Breslau und am Konservatorium in Leipzig und vervollständigte seine Studien 1849-51 in Weimar bei Fr. Liszt sowie seit 1853 in Leipzig bei M. Hauptmann. 1871 wurde er Lehrer für Harmonielehre, Komposition, Instrumentation und Klavier am Konservatorium in Leipzig. J. ist vor allem durch seine musiktheoretischen und pädagogischen Werke bekanntgeworden. WW: 1) Kompoaitbeen: Klv.-Stücke; Kammermusik; 4 Symphonien; 2 Klv.-Konzerte; Konzertstück für Fl. u. Orch.; 2 Orch.Serenaden (in Kanonform); ferner Gesangsduette u. Chorwerke. - 2) Scbriftee: Kompositionslehre, 1: Die Lehre vom reinen Satz, 1/1: Lehrbuch der Harmonie (L 1883, 23 1923), I/2:

Lehrbuch des einfachen, doppelten, drei- u. vierfachen Kontrapunkts (L 1884, '1926), I/3: Die Lehre vom Kanon u. v. der Fuge (L 1884, 4 1928); II: Die Lehre von der freien Komposition, I1/4: Die Formen in den Werken der Tonkunst (L 1889, 61923), II/5: Lehrbuch der Instrumentation (L 1889, 31924); Die Kunst zu modulieren und präludieren (1890); Elementar-Harmonielehre (L 1895); Methodik des musiktheoretischen Unterrichts (L 1896); Das Wesen der Melodie (L 1899); Das Tonbewusstsein. Die Lehre vom musikal. Hören (L 1899); Der Generalbass (L 1901).

JAGDHORN OEHifthorn. JAGDMUSIK. Bei der Jagd wurden seit jeher Rufe, Schreie und Signale, neben der menschlichen Stimme einfache Instrumente (Pfeifen, Knochenflöte, Tierhörner), als Verständigungsmittel verwendet. Auch bei Jagdfesten und -opfern, in der Antike z. B. beim Artemis- bzw. Diana-Kult, war die Musik von Bedeutung. Der älteste heute bekannte Bericht über Jagdrufe findet sich in Xenophons Kynegétikos. Im Mittelalter berichten über Jagdrufe und -signale Jagdlehrbücher aus Frankreich (Le dit de la chace du cerf, 13. Jh.; Gace de la Bigne, 1359; Roy Modus, 1379; Hardouin de Fontaine -Guérin, Trésor de vénerie, 1394) und England (Guillaume Twici, Mayster of the Game). Das wichtigste Lehrbuch, La vénerie (1561) von J. Du Fouilloux, notiert in der Pariser Ausgabe von 1573 bereits 14 Signale (dt. Übers. von Sigmund Feyerabend, in: Neuw Jag unnd Weydwerck Buch, 1582, mit Notenaufzeichnungen). Die damals benutzten Signalhörner (/Horn) wurden im Laufe des 17. Jh. in Mensur und Form verbessert, so daß melodisch reichere, auch mehrstimmige Sätze möglich wurden. Auf die in den Jagdbüchern beschriebenen Rufe, Signale und Handlungen griffen die musikalischen Jagddarstellungen im 16. und 17. Jh. zurück. Die lautmalenden Silben und Wörter in der weltlichen Vokalmusik der Renaissance, in Chace, Caccia, Frottola, Villotta, Canti carnascialeschi, Madrigal, Lied, sind vielfach den Lehrbüchern entnommen oder wurden in regional bedingten Abwandlungen weiterentwickelt. Im 15. und 16. Jahrhundert erschienen Jägerlieder auch in deutschen Liederbüchern (Glogauer Liederbuch, um 1480; A. von Aich, um 1520; Chr. Egenolf, 1535; G. Forster, 1540; H. Ott, 1544; C. Othmayr, 1549), doch verschob sich hier der inhaltliche Schwerpunkt: Die Jagdszene wurde zur Liebesszene, das gejagte Wild symbolisiert die Geliebte. Gegen Ende des 16. Jh. wurde dann der Jäger selbst der Gejagte, der den Pfeilen Cupidos oder Amors ausgesetzt ist. Diese inhaltliche Wandlung des Jägerliedes setzte sich bis ins 19. Jh. fort (z. B. Fr. Schubert, Die schöne Müllerin). — Das Sammeln von Jägerliedern begann bereits Ende des 18. Jh. im 229

Jagdmusik Zuge der mit J. G. Herder und J. W. von Goethe einsetzenden Rückbesinnung auf das Volksliedgut, die von den Romantikern fortgesetzt wurde (Karl Ludwig Eberhard von Wildungen, Lieder für Forstmänner und Jäger, 1788, vertont von J. Chr. Müller; Franz Graf Pocci und Franz Ritter von Kobell, Alte und neue Jägerlieder, 1843; H. Chr. Burckhardt, Jagd- und Waldlieder, 1866). Die Jägerlieder im Sololied des 19. Jh. (J. Fr. Reichardt, Fr. Schubert, J. Brahms, H. Wolf) sind Liebeslieder, für die Wald und Jagd nur den Hintergrund abgeben. Die Chorlieder dagegen bleiben stärker auf die Jagd fixiert (C. M. v. Weber, Lützows wilde Jagd; Schubert, op. 139, und R. Schumann, op. 137, beide für Männerchor und 4 Hörner). Dem Vorbild der szenisch-dramatischen Jagdchöre der Spätrenaissance (Cl. Janequin, L. Marenzio, O. Vecchi) folgten in der 1. Hälfte des 17. Jh. Jagdszenen der italienischen Oper (M. A. Rossi, Erminia sul Giordano, 1637; Fr. Cavalli, Le nozze di Teti e Peleo, 1639). Französische Jagdhörner wirken in J.-B. Lullys Comédie-ballet Plaisirs de l'ïle enchantée (1664) mit. H. Purcell verwendet in Dido und Aeneas ein französisches Jagdsignal aus La vénerie von Du Fouilloux. Hörnersätze finden sich in Opern von R. Keiser (Octavia, 1705; Diana, 1712; L'inganno fedele, 1714) und A. Caldara (Sirita, 1719). Die Verbreitung der mehrstimmigen Jagdmusik nach französischem Vorbild wurde durch den böhmischen Grafen Fr. A. von Sporck (1662-1738, Gründer des Hubertusordens) wesentlich gefördert. Das Musizieren auf böhmischen Schlössern fand in den benachbarten Ländern, insbesondere in Deutschland bis in die Zeit der Wiener Klassik vielfach Nachahmung. Auf böhmische Anregungen gehen auch die russischen Hornkapellen zurück, die noch im 19. Jh. wegen ihres mächtigen, orgelähnlichen Klanges berühmt waren (Bericht von J. Chr. Hinrichs, Entstehung, Fortgang und jetzige Beschaffenheit der russischen Jagdmusik). — Charakteristisch für das Jagdidiom in der Kunstmusik sind rascher 6 /8 -Takt, Dreiklangsthematik, scharf punktierte Rhythmen und spezifische Hörnertonarten (D-Dur, B-Dur, F-Dur, Es-Dur). Dem Typ der weltlichen Huldigungskantate entsprechen das Glückwünschende Jagd-Ballett zum Geburtstag Johann Friedrichs von BrandenburgAnsbach (1673, komponiert wahrscheinlich von J. W. Franck) und das Divertissement Chasse du cerf (1709) von J. B. Morin. Zur gleichen Gattung gehören J. S. Bachs Jagdkantate Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd, BWV 208 (um 1713), J.D. Heinichens Kantate Diana su'Elba (1719) sowie als Nachfahren solcher Jagdkantaten J. N. Hum mels Diana ed Endimione (1806) und J. Haydns Dar230

stellung einer Rebhuhnjagd in dem Oratorium Die Jahreszeiten (1801). — Die Jagddarstellung in der Oper führte zu einem Höhepunkt in C. M. v. Webers Der Freischütz (1821). Jagdszenen enthalten auch J. A. Hillers Singspiel Die Jagd (1770) sowie die Opern von J.-Fr. Le Sueur (Ossian ou Les bardes, 1798), H. Marschner (Hans Heiling, 1833), A. Lortzing (Der Wildschütz, 1842 und Undine, 1845), G. Rossini (Guillaume Tell, 1829), H. Berlioz (La damnation de Faust, 1846; Les Troyens à Carthage, 1863) und N. Rimski-Korsakow (Das

Mädchen von Pskow,

1873).

Im Laufe des 18. Jh. dokumentiert sich die Beliebtheit der Jagdthematik in zunehmendem Maße in der Instrumentalmusik, in Werken wie A. Vivaldis Caccia im Autunno (op. 8, Nr. 3, 1725), J.-M. Leclairs Violinsonate op. 5, Nr. 9 (Finale), J. Werners Oktober-Caccia im Musicalischen Instrumental-Calender (1748), L. Mozarts Sinfonia da caccia (1756), Beiträgen aus dem Umkreis der Wiener Klassik (C. Stamitz, I. v. Beecke, Fr. A. Roessler, Fr. A. Hoffmeister, P. Wranitzky), J. Haydns Symphonien Nr. 31, Auf dem Anstand [„Symphonie mit dem Hornsignal"], und Nr. 73, La chasse, sowie W. A. Mozarts Jagdquartett B-Dur, KV 458. Ein berühmtes Stück J. zur Zeit L. van Beethovens war É. N. Méhuls als Chasse betitelte Ouvertüre zu seiner Opéra-comique Le jeune Henri (1797). Nachklänge der Jagdleidenschaft begegnen im 19. Jh. in der symphonischen Dichtung (C. Franck, Le chas-

seur maudit, 1883; Fr. Smetana, Waldjagd in Die Moldau, 1874; A. Dvořák, Das goldene Spinnrad, 1896; J. Sibelius, La chasse in Scènes historiques, 1912), in der Symphonie (A. Bruckner, Scherzo der 4. Symphonie; G. Mahler, 1. Symphonie, 1. Satz, Wie ein Naturlaut), in Konzerten (P. de Sarasate) und in der Kammermusik (D. Milhaud). — Jagdstücke für Klavier finden sich bei den englischen Virginalisten (W. Byrd, The Hunt 's up; J. Bull, The King 's Hunt), den französischen Clavecinisten (J. Fr. d'Andrieu, Livre de pièces de clavecin,

contenant plusieurs divertissements ... ceux de la chasse. 1724; L. -Cl. Daquin, Les plaisirs de la chasse,

1735), im Umkreis der Wiener Klassik (L. Mozart, J. E. Eberlin; W. A. Mozart, Jagdsonate KV 576) und in größerer Zahl bei den deutschen u. a. Klavierkomponisten des 18. Jh. (L. A. Koželuch, M. Clementi, J.L. Dussek, A. Gyrowetz). Bei R. Schumann (Album für die Jugend, op. 68, Nr. 7, Waldszenen, op. 82, Nr. 2 und 8) und F. Mendelssohn Bartholdy (Lieder ohne Worte, op. 19) werden die jagdbezogenen Stücke zu kleinen stilisierten Charakterstücken, bei Fr. Liszt

(Konzertetüde Wilde Jagd) zum Virtuosenstück. — Auch in der Tanz- und Marschmusik hat die Liebe

Jahn

zur Jagd ihre Spuren hinterlassen (A. Wranitzky, Jägermärsche; Johann Strauß, Jägerpolka, Schnellpolka Auf der Jagd, Galopp Unter Freikugeln, Kaiser-Jäger-Marsch und Schützen -Quadrille). In den Bereich der J. gehören schließlich noch die verschiedenen Hubertus -Messen. Sie bestehen aus Signalen u. a. Stücken für Jagdhörner, die zu den einzelnen Ordinariumsteilen der katholischen Messe gespielt werden. Ausg.: Xenophon, Kynegétikos, hrsg. v. CH H. DORNER (St 1875 u. 8.) (= Langenscheidt-Bibi. 34/35); J. Du FOUILLOUX, La vénerie (Poitiers 1561, P 1573, St 1590); G. Phoebus de Foix, Le livre de chasse 1387, hrsg. v. J. LAVALLĚE (P 1854); Hardouin de Fontaine-Guérin, Trésor de vénerie 1394, hrsg. v. M. H. MICHELANT (Metz 1856); G. Forster, AuBzug guter alter und neuer teutscher Liedlein 1540, hrsg. v. R. EITNER (1905) (= PGfM 1-4); Ch. Egenolf, Gassenhauerlin und Reutterliedlin 1535, Faks. hrsg. v. H. J. MOSER (Au — Kö 1927); C. Othmayr, Reutterische u. Jegerische Liedlein 1549, hrsg. v. F. PIERSIG (Wb — B 1928); Le livre du Roy Modus 1379, hrsg. v. G. TILANDER, 2 Bde. (P 1932). Lit.: S. FEYERABEND, Neuw Jag unnd Weydwerck Buch (F 1562); J. M. SAHLENDER, Der Jagdtraktat Twicis, des Hofjägers bei Edward I1. von England (L 1894); U. WENDT, Kultur u. Jagd, 2 Bde. (B 1907-08); B. POMPECKI, Jagd- u. Waldhornschule nebst Jagdsignalbuch (Neudamm 2 1925); K. TAUT, Die Anfänge der J. (L 1927); C. CLEWING, Denkmäler dt. Jagdkultur, 3 Bde. (Neudamm — Kas 1937-38); W. FREVERT, Das jagdliche Brauchtum (H—B 6 1952, 6 1962); A. L. RINGER, The Chasse as a Musical Topic of the 18th Century, in: JAMS 6 (1953); DERS., The Chasse. Historical and Analytical Bibliogr. of a Musical Genre (1955) (= Diss. Columbia Univ.). L. HÜBSCH

JAGDSIGNALE bilden ein Mittel der Verständigung über weite Entfernungen während des Ablaufs einer Jagd. Das dafür verwendete Instrument ist das ventillose Fürst-Pleß-Horn in B mit einem Tonumfang von 5 Naturtönen (Länge 1,30 m), das wie das früher verwendete řHifthorn am Riemen getragen wird. Die Signale teilen sich in Allgemeine Signale (am bekanntesten Die Begrüßung und Halali), Jagdleitsignale für Treiber und Jäger und Totsignale, die das erlegte Wild anzeigen sollen und nach der Jagd von allen Jägern vor der ausgelegten Beute, der sog. Strecke, hintereinander geBegrüßung

blasen werden. Eine besondere Form des Jagens zu Pferde bildet die Parforcejagd; sie ist heute ein gesellschaftlich-sportliches Ereignis, wobei die Meute mit den uniformierten Reitern einem Fuchsbalg nachjagt, der von einem voraufreitenden Reiter gezogen wird. Das bei dieser Gelegenheit benutzte Parforcehorn ist wegen seiner Länge von 2,40 m bis 4,30 m musikalisch leistungsfähiger. Gemischte Vereinigungen mit Fürst-Pleß-, Parforce- und Ventil-Hörnern werden vom Deutschen JagdschutzVerband in ganz Deutschland gefördert. Lit.: B. POMPECKI, Jagd- und Waldhornschule ... nebst Jagdsignalbuch (Neudamm 2 1926); W. FREVERT, Die J. (H 1971); Jagdlieder, Fanfaren u. Jägermärsche, hrsg. v. G. KARSTADT (H 1972); R. STIEF, Die dt. J., in: Hdb. der Jagdmusik 1 (Mn 31978). G. KARSTADT

JAGDSTUCK /Chasse 2), řJagdmusik. JAEGERMEIER, Otto, *29. 10. 1870 München, t 22.11. 1933 Zürich; dt. Komponist. Er studierte in München u. a. bei J. Rheinberger und L. Thuille und ließ sich nach längeren Reisen durch viele europäische Länder um 1900 als freischaffender Komponist in Madagaskar nieder. In seinen Werken — fast ausschließlich symphonische Dichtungen — verbinden sich Einflüsse von R. Strauss mit Gestaltungselementen der Eingeborenenmusik zu einer durchaus persönlich geprägten musikalischen Sprache, die zunehmend das Interesse der musikhistorischen und ethnologischen Forschung findet. WW: Klv.-Lieder, darunter der Zyklus Canavalia (Text: E. F. Draecker); symphonische Dichtungen Psychosen (1900); Titanenschlacht (1901); Meerestiefe (1902); Im Urwald (1920); Diego Suarez (1926) mit Chor. Lit.: M. STEINITZER, Jägermeieriana. O. J. und sein Verhältnis zu R. Strauss, in: Straussiana u. Andres (St 1910); T. SAKARAHNIVE, L'influence madécasse sur la musique européenne (Diss. Tananarive 1964); Gradur ad Parnassum. FS E. Voss (o. O. 1978), dazu R. BRINKMANN, in: Mf 32 (1979).

JAHN, Otto, *16. 6. 1813 Kiel, t 9.9. 1869 Göttingen; dt. Musikforscher und Archäologe. Er studierte 1831-32 in Kiel, 1832-33 in Leipzig und

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Jahnn 1833-35 in Berlin, promovierte 1836 in Kiel und wurde später, nach Reisen durch Frankreich und Italien, zum Professor für Altphilologie und Archäologie 1840 nach Greifswald, 1847 nach Leipzig berufen. Aufgrund seiner liberalen Anschauungen wurde er 1850 dort vom Dienst suspendiert und lehrte seit 1855 an der Bonner Universität. J. gehörte zu den ersten Gelehrten seiner Zeit, die quellenkritische Methoden, wie sie für die Altphilologie entwickelt worden waren, für die Musikwissenschaft nutzbar machten. Das wichtigste Zeugnis dafür ist seine Mozart-Biographie, die für die Mozart -Forschung grundlegend wurde. Die Biographien L. van Beethovens und J. Haydns konnte er nicht mehr vollenden; sie dienten aber anderen Forschern als Ausgangsbasis: A. W. Thayer und H. Deiters für Beethoven und C. F. Pohl für Haydn. Schriften: W. A. Mozart, 4 Teile (L 1856-59, Nachdr. Hil — NY — Wie 1976), 2. Aufl. in 2 Teilen (1867), 3. u. 4. Aufl. bearb. v. H. Deiters (1889-91, 1905-07), gänzlich neu bearb. v. H. Abert (5 1919-21,6 1923-24), 7. Aufl. hrsg. u. erweitert v. A. A. Abert (1955-56), dazu ein Register -Bd., hrsg. v. E. Kapst (L 1966); Gesammelte Aufsätze über Musik (L 1866, 21867, Nachdr. Farnborough 1969), darin u. a.: Mendelssohns Paulus u. Elias, Berlioz' Verdammnis des Faust u. Beethoven u. die Ausg. seiner Werke. Lit.: J. VAHLEN, O. J. (W 1870); O.J. in seinen Briefen, hrsg. v. A. MICHAELIS — E. PETERSEN (L 1913); A. H. KING, J. and the Future of Mozart Biogr., in: Mozart in Retrospect (Lo 1955, 3 1970); W. KAHL, O. J. u. das Rheinland, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); K. STEPHENSON, O. J., in: Rheinische Musiker 4 (Kö 1966) (= Beitr. zur rheinischen Musikgeschichte 64).

JAHNN, Hans Henny, * 17. 12. 1894 Stellingen (Hamburg), t 29. 11. 1959 Hamburg; dt. Schriftsteller und Orgelbausachverständiger. J., der zu dieser Zeit schon mit einigen dem Expressionismus nahestehenden literarischen Werken hervorgetreten war, wurde um 1920 mit Unterstützung von G. Ramin einer der wichtigen Initiatoren der Orgelbewegung. Er baute selbst die große Orgel des Deutschlandsenders in Berlin und restaurierte eine Reihe älterer Instrumente, u. a. die A. SchnitgerOrgel an St. Jacobi in Hamburg. 1921 gründete er zusammen mit dem Musikschriftsteller Gottlieb Harms die Glaubensgemeinde Ugrino, aus der der Ugrino Verlag hervorging, der die Herausgabe von Werken von D. Buxtehude, G. Gesualdo, V. Lübeck, S. Scheidt u. a. besorgte. 1931-33 war J. Leiter der Experimentalabteilung des Deutschen Orgelrats und lebte 1933-45 im Exil in Bornholm. Während die Glaubensgemeinde Ugrino 1933 aufgelöst wurde, blieb der Verlag als Firma, eingetragen auf Sibylle Harms, bestehen, wurde ab 1945 wieder von J. geleitet (seit 1956 als alleinigem Inhaber) und nach dessen Tod von J.s Tochter Signe Trede weitergeführt. 1972 ging er an den Deutschen Verlag für Musik in Leipzig über. 232

Schriften: Das schriftliche Bild der Org., in: Abh. der Braunschweigischen Wiss. Ges. 7 (1955); Frühe Begegnung mil G. Ramin, in: Sinn u. Form 8 (1956); „Die Gärtnerin aus Liebe". Mozarts 2. Fassung, in: Jb. der Freien Akad. der Künste in Hamburg (1956); Der Schädel J. S. Bachs u. sein Bild, in: ebd. (1959). Lit.: R. WAGNER, Der Orgelreformer H. H. J. (St 1970) (= Veröff. der Walcker-Stiftung für orgelwiss. Forsch. 4) (mit Schriftenverz.); DERS., Der geistesgeschichtliche Hintergrund der Orgelreform H. H. J.s, in: NZfM 131 (1970); H. H. J., Schriftsteller, Orgelbauer 1894-1959, Ausstellungskat. (Mz — St — H 1973).

JAHRMARKT VON SOROTSCHINZY, DER (Sorotschinskaja jarmarka), Oper in 3 Akten von Modest Petrowitsch Mussorgski (1839-81), Text vom Komponisten nach einer Episode aus Gogols Abende auf dem Vorwerk bei Dikanka. Ort und Zeit der Handlung: Sorotschinzy, ein Dorf in der Ukraine, Mitte des 19. Jahrhunderts. UA: 16.3. 1911 (konzertant), UA als Bühnenwerk: 8.10. 1913 in Moskau (Freies Theater). Die Oper, die nach Mussorgskis eigener Bekundung einen schöpferischen Ausgleich zu den beiden „Riesengewichten" Boris Godunow und Chowanschtschina schaffen sollte, blieb unvollendet. Erhalten sind neben einem Entwurf des Szenariums die fast vollständige Musik zum 1. und 2. Akt sowie vom 3. Akt die Dumka der Parassja. Die konzertante UA dieser Fragmente erfolgte 1911 am 30. Todestag des Komponisten. Für die szenische UA 1913 ließ der Direktor des Moskauer Freien Theaters die Dialoge nach Gogols Text ergänzen. Die Oper wurde später von C. Cui musikalisch vervollständigt (UA: St. Petersburg 1917); eine weitere Bearbeitung von A. N. Tscherepnin ging 1923 in Monte Carlo in Szene. Seiner Idee, eine „von der menschlichen Rede geschaffene Melodie" (Brief v. 25.12. 1876), zu schaffen, das „Rezitativ in der Melodie zu verkörpern", kommt Mussorgski in dieser Oper einen bedeutenden Schritt näher. Leitmotivische Techniken finden in geringem Umfang Verwendung. Besonders in den großen Jahrmarktsszenen prägen zahlreiche ukrainische Volksliedmelodien und liedhaft gleichmäßiger Periodenbau das Bild der Oper. Die wohl gelungenste Buffo-Partie des Werkes schuf Mussorgski in der Rolle des Popensohns Afanassi Iwanowitsch. Die berühmte Orchesterphantasie Die Nacht auf dem Kahlen Berge plante der Komponist als Interludium zwischen dem 1. und 2. Akt; hier sollten die Hexen- und Geisterträume des betrunkenen Gryzko musikalisch zum Ausdruck kommen. R. QUANDT JAKOB LENZ, Kammeroper in 1 Akt von Wolfgang Rihm (* 1952), Text von Michael Fröhling frei nach der Erzählung Lenz (1839) von Georg Büchner. Ort und Zeit der Handlung: das Anwesen

Jammers Pfarrer Oberlins im Elsaß, 1778. UA: 8.3.1979 Hamburg (Opera stabile = Studio der Staatsoper) unter Klauspeter Seibel. In Büchners einzigem Prosa-Werk wird der historische Jakob Lenz, Dichter der Sturm-und-DrangEpoche, in seiner beginnenden Geisteskrankheit (Schizophrenie) gezeigt. Durch Hinzufügen von Material aus Briefen des Dichters stellen die Autoren der Oper diesen als Vertreter aller unangepaßten, von Realitätsverlust bedrohten Menschen der Gegenwart dar. Die Handlungsschichten im Bewußtsein des Kranken werden in der Vertonung dieses Psychogramms hörbar: Einfache Tanzrhythmen und Volksliedanklänge mit simpler DurMoll-Harmonik wechseln mit schrillen, expressiven Klangbildern höchster Intensität. Auch der ,Leitklang` der Oper deutet in seiner Zusammensetzung aus reiner Quinte und dem Tritonus mit gemeinsamem Grundton die Ambivalenz der Handlungsebenen an. In dieser seiner zweiten Kammeroper verzichtet Rihm auf hohe Streichinstrumente; neben Bläsern, dem Cembalo und großem Schlagzeug sind drei Violoncelli beteiligt. K. LANGROCK JAKOBY, Richard, * 11.9. 1929 Dreis (Kreis Wittlich); dt. Musikpädagoge. Er studierte 1949 bis 1954 Musikwissenschaft an der Universität Mainz sowie Schulmusik am dortigen Hochschulintitut für Musik, promovierte 1955 und wurde 1962 Dozent am Mainzer Hochschulinstitut für Musik, 1964 Professor und Abteilungsleiter an der Musikhochschule in Hannover, deren Leitung er 1969 übernahm. 1973 wurde er Präsident des Deutschen Musikrats. J. ist auch als Autor musikpädagogischer und kulturpolitischer Beiträge hervorgetreten. Schriften: Unters. über die Klausellehre in dt. Musiktraktaten des 17. Jh. (Diss. Mz 1955); Zur Frage der Akzidentien in Chorsätzen des 16. u. 17. Ih., in: NZfM 123 (1962); Zum heutigen Mendelssohn-Bild, Teilabdruck, in: Jb. der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 4 (1967); Die Kantate (Kö 1968) (= Das Musikwerk 32); Musikal. Begabung u. ihre Meßbarkeit, in: Musik im Unterricht 59, Ausg. B (1968); dass. in: Der Einfluß der technischen Mittler auf die Musikerziehung unserer Zeit, hrsg. v. E. Kraus (Mz 1968); Musikal. Begabung bei Kindern u. ihre Meßbarkeit (F 1968) ( _ Schriftenreihe z. Musikpädagogik 1); Neue Formen der Breitenarbeit und Auslese, in: Musik u. Bildung 2 (1979). — Ferner ist J. Hrsg. v. Schriftenreihe zur Musikpädagogik (F 1968ff.).

JALOUSIESCHWELLER OESchwellwerk. JALOWETZ, Heinrich, * 3. 12. 1882 Brünn, t 2.2. 1946 Black Mountain (North Carolina); östr. Dirigent. Er war Schüler von A. Schönberg in Wien und promovierte dort 1911 bei G. Adler mit einer Dissertation Über einige Besonderheiten der melodischen Technik Beethovens. Über Danzig und Stettin kam er 1916 als Kapellmeister an das deutsche

Landestheater in Prag (1921 Operndirektor), wechselte 1924 an die Volksoper Wien, 1925 an das Stadttheater Köln über und war 1933-36 in Reichenberg. 1936 emigrierte er in die USA, wo er u. a. am Black Mountain College tätig war. J. gehörte zum engen Schüler- und Freundeskreis von A. Schönberg, für den er 1924 auch einen 4händigen Klavierauszug von dessen Pelleas und Melisande herstellte. Schriften: Die Harmonielehre, in: A. Schönberg (Mn 1912) (mit Beitr. v. A. Berg u.a.); A. Zemlinsky, der Dirigent, in: Musikblätter des Anbruch 4 (1922); A. Schönbergs Gurrelieder, in: ebd. 5 (1923), dass. in: Pult u. Taktstock 4 (1927); Schönbergs Werk in der Zeit, in: FS. A. Schönberg (W 1934); On the Spontaneity of Schoenberg's Music, in: MQ 30 (1944).

JAMBE DE FER, Philibert, * um 1520 Champlitte (Haute-Saône), t um 1566 Lyon; frz. Komponist. Er lebte lange Zeit in Lyon, wo 1547 bei J. Moderne sein erstes Werk, ein 4st. Salve salutaris, in dem Sammelwerk Harmonidos Ariston erschien. 1564 erhielt er den Auftrag zur Komposition der Musik für die Thronbesteigung Karls IX. Als Hugenotte schrieb und arrangierte er Melodien zu zeitgenössischen Psalmdichtungen. Sein Traktat Épitome musical, eine der ältesten Flöten- und Violenschulen, erhellt die Musizierpraxis seiner Zeit. W W : 1m Druck erschienen u.a.: Psalmodie de quarante et un pseaumes royaux (Ly 1559); Les CL pseaumes de David, mis en rime françoise par C. Marot et Th. de Bèze (Ly 1564, 21564). — Lehrwerk Épitome musical des tons, sons et accordz ès voix humaines, fleustes d 'Alleman, fleustes à neuf trous, violes, et violons (hsl. in Paris, Bibl. du Conservatoire).

Ausg.: 5 Psalmen, in: Das Psalmenbuch, hrsg. v. H. HOLLIGER (Kas 1953); F. LESURE, L'épitome musical ....de Ph. J. de F. 1556, in: Ann. Mus. 6 (1958-63) (mit Faks.-Ausg.). Lit.: P.-A. GAILLARD, Die „Psalmodie de 41 pseaumes" v. Ph. J. de F., in: JbLH 2 (1956); P. PIDOUx, Le psautier huguenot du XVI' siècle, 2 Bde. (Bas 1962).

JAMES, Harry (Haagh), * 15.3.1916 Albany (Georgia), t 3.7. 1983 Las Vegas; amerik. Jazztrompeter und Bandleader. Er spielte 1935-36 bei Ben Pollack und dann bei B. Goodman. 1939 gründete er seine eigene Big Band, die zunächst mit Tanzmusik erfolgreich war, dann aber in den 50er Jahren sich wieder dem Jazz zuwandte und später als eine der besten Jazz-Big Bands angesehen wurde. James' schwungvolles Spiel war durch sein kräftiges Vibrato charakterisiert. Lit.: F. STACY, H. J.'s Pin-Up Life Story (NY 1944).

JAMMERS, Ewald, * 1. 1. 1897 Köln-Lindenthal, t 26.6. 1981 Heidelberg; dt. Musikforscher. Er studierte an der Universität Bonn, wo er 1924 mit Untersuchungen über die ... Melodien der Jenaer Liederhandschrift (gedruckt in: ZfMw 7, 1925) promovierte. Dann war er bis 1945 Biblio233

Jam Session

thekar an der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (seit 1931 Leiter der Musikabteilung), seit 1951 an der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf und 1952-62 an der Universitätsbibliothek Heidelberg (seit 1953 als Leiter der Handschriftenabteilung). 1953 erhielt er einen Lehrauftrag für musikalische Paläographie an der Universität Heidelberg; 1956 wurde er dort zum Honorarprofessor für ältere Musikgeschichte ernannt. Schriften: Der gregor. Rhythmus (Str 1937); Rhythmische u. tonale Stud. z. Musik der Antike u. des MA, in: AfMw 6 (1941) u. 8 (1943); Der ma. Choral (Mz 1954); Anfänge der abendländischen Musik (Str 1955); Minnesang u. Choral, in: FS H. Besseler (L 1961); Einige Anmerkungen zur Tonalität des gregor. Gesangs, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); Takt u. Motiv. Zur neuzeitlichen musikal. Rhythmik, in: AfMw 19 (1962) u. 20 (1963); Der Choral als Rezitativ, in: ebd. 22 (1965); Tafeln zur Neumenschrift (Tutzing 1965); Gedanken u. Beobachtungen z. Gesch. der Notenschriften, in: FS W. Wiora (Kas 1967); gesammelte Aufsätze zur älteren Musikgesch. erschienen als: Schrift, Ordnung, Gestalt, hrsg. v. R. Hammerstein (Mn 1969) (= Neue Heidelberger Stud. z. Musikwiss. 1) (mit Schriften-Verz.); Das Alleluia in der Gregor. Messe (Mr 1973) (= Liturgiewiss. Quellen u. Forsch. 55); Aufzeichnungsweisen dereinst. auůerliturg. Musik des MA (Kö 1975) (= Paläographie der Musik I/4).

JAM SESSION (engl.), Bz. für das improvisierte Zusammenspiel von Jazzmusikern. Sie wurde besonders während der Swing-Ära als Freiraum der Improvisation, ohne Stilzwänge und vorgegebene Arrangements, angesehen. Aus dem freien, experimentellen Musizieren in den Jam sessions entwickelte sich in den 40er Jahren der Bebop. Bei heutigen, konzertmäßig organisierten Jam sessions ist die ursprünglich improvisatorische Spontaneität

nicht immer gewährleistet. Lit.: R. RUSSEL, Bird Lives. The High Life and Hard Times of Ch. Parker (NY 1973).

JAN, Karl von, *22. 5. 1836 Schweinfurt, t 4.9. 1899 Adelboden (Schweiz); dt. Musikforscher und Philologe. Nach dem Studium der Altphilologie, Geschichte und Germanistik in Erlangen, Göttingen und Berlin promovierte er 1859 an der Berliner Universität mit der Dissertation De fidibus Graecorum. Er unterrichtete als Gymnasiallehrer zunächst am Grauen Kloster in Berlin, 1862-75 in Landsberg an der Warthe, 1875-82 in Saargemünd und seit 1883 in Straßburg. Seit 1896 widmete er sich ausschließlich der Erforschung der griechischen Musik. Grundlegend ist hier seine Edition Musici scriptores Graeci. Schriften: De fidibus Graecorum (Diss. B 1859); Die griech. Saiteninstr., in: Wiss. Beilage zum Jahres-Ber. des Gymnasiums zu Saargemünd (L 1882); zahlreiche Beiträge in Philologus, in Jahrbuch für Altertumskunde und in Pauly's Realenzyclopädie der classischen Alts rtumswissenschaft. - Er edierte Musici scriptores Graeci (L 1895), dazu Suppl.: Melodiarum reliquiae (1899), Nachdr. mit Suppl. (Hil 1962).

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Lit.: H. J. MOSER. Vom Wesen der Kirchenmusik. Ein Streitgespräch zw. H. von Herzogenberg u. K. von J., in: Der Kirchenmusiker 16 (1965).

JANACCONI, Giuseppe, OEJannacconi. JANÁČEK, Leoš, *3. 7. 1854 Hukváldy (Mähren), t 12.8. 1928 Mährisch-Ostrau; tschechischer Komponist. Er trat 1865 als Stipendiat in die alte Klosterschule in Brünn ein, wo er 1872 seine Studien als Volksschullehrer beendete und dann als Hilfs- und Musiklehrer arbeitete. Eine gründliche musikalische Ausbildung erhielt er bei František Blažek und František Zdeněk Skuherský an der Orgelschule in Prag (1874-75) sowie, nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Musiklehrer und Chorleiter in Brünn, am Konservatorium in St. Petersburg (1878), ferner bei L. Grill und Oskar Paul am Leipziger und bei Franz Krenn am Wiener Konservatorium (1879-80). Nach seiner Rückkehr nach Brünn wurde J. Musiklehrer des Lehrerseminars und unterrichtete dort 1880-1904; gleichzeitig war er Gesanglehrer am dortigen Gymnasium (1886-1902). 1881-1919 leitete er die von ihm gegründete Orgelschule in Brünn, 1876-88 dirigierte er auch die dortige philharmonische Gesellschaft „Beseda brněnská". Während dieser Jahre verfaßte er zahlreiche Kritiken und Berichte; 1884-88 war er Herausgeber der Zeitschrift Hudební listy. 1919 wurde er Kompositionslehrer an der Meisterschule des Prager Konservatoriums. WW: 1) Instr.-WW: 2 Konzertfantasien für Org. (1884); Národní tance na Moravě (1891) für Klv. zu 4 Händen; für Klv.: Tema con variazioni (1880); Hudba ke krouženi kuželi (1893); Po zarostlém chodníčku, 2 H.e (1901, 1908); Sonate 1. X. 1905, auch Z ulice genannt (o.O. 1924); 4 Stücke Vmlhách (1912); Pohádka (1910, 2. Fassung 1923) für Vc. u. Klv.; V. -Sonate (1913-21) (4 Fassungen); 2 V.-Stücke (1879-80); Streichquartett (1923); Streichquartett Listy důvěrné (1928); Bläsersextett Mládi (1924); Concertino für Klv. u. Kammerensemble (1925) u. Capriccio für Klv. (linkshändig) u. Kammerensemble (1926). - Für Orch.: Lašské tance (1890); Suite (auch Serenade genannt) (1891); Ballade Sumařovo dítě (1912) (nach einem Gedicht v. S. Čech); Rhapsodie Taras Bulba (1915-18) (nach N. Gogols Novelle); Balada blanická (1920); Sinfonietta (1926); Suite (1877) u. Idyll (1878) für Streichorch. - 2) Vokal-WW: Hospodinel (1896) für Soli, Doppelchor, Orgel, Harfe u. Blechbläser; Jarní píseň (1897); Kantate Amarus (1897); Otčenáš (1901) für Tenor, Chor, Klv. oder Harmonium, umgearbeitet für Harfe u. Org. (1906); Kantate Věčné evangelium (1914); Zápisnik zmizelého (1917-19) für Tenor, Alt, 3 Frauen -St. u. Klv.; Říkadla (1925-27) für Kammerchor u. lnstr.; Glagolská mše (1926); ferner zahlr. Chöre u. Bearbeitungen mährischer u. schlesischer Volkslieder. - 3) Biibnen-WW: Opern: Šárka (1887, revidiert 1888 u. 1918) (Libr.: J. Zeyer), UA: Brünn 1925 (orchestriert v. O. Chlubna); Počátek románu (Der Beginn eines Romans) (Libr.: J. Tichý), UA: ebd. 1894; Její pastorkyňa (Ihre Ziehtochter) (Libr.: J.), bekannt als Jenufa, UA: ebd. 1904; Osud (Schicksal) (1903-04) (Libr.: Fedora Barošová), UA: ebd. 1958; Výlet pana Broučka (Die Ausflüge des Herrn Broucek) (nach S. Čech), UA: Prag 1920; Kea Kabanová (Katja Kabanowa) (1919-21) (Libr.: J.), UA: Brünn 1921; Příhody lišky bystroušky (Das schlaue Fuchslein) (1921-23), UA: ebd.

Janacek -Quartett 1924; Véc Makropulos (Die Sache Makropulos) (Libr.: J.), UA: ebd. 1926; Z mrtvého domu (Aus einem Totenhaus) (Libr.: J.), UA: ebd. 1930; Ballett Rákos Rákoczy, UA: Prag 1891. 4) Scbriften: O skladbě souzvuk ův o jejích spojův (Pr 1897); O hudební stránce národních písní moravských (Pr 1901); Nápěvky dětské mluvy, in: Ceský lid 13 (1904) u. 15 (1906), NA hrsg. v. V. Stará (Ostrava 1959); Úplá nauka o harmonii (Brünn 1912, 2 1920).

J.s Theorie der „Sprachmelodie", die die Entstehung von Melodie und Rhythmus aus der Umgangssprache entwickelte, bildet den Angelpunkt seines musikdramatischen Schaffens und manifestiert sich schon in seiner ersten Oper Šárka. Intensive Beschäftigung und eingehendes Studium der mährischen Volksmusik führten zur Aufzeichnung von Volksliedmelodien, von denen J. 1892 und 1900-01 Bearbeitungen veröffentlichte. Unter dem Einfluß der mährischen Volksmusik entstanden die Lašské tance (Lachische Tänze) und das Ballett Rákos Rákoczy, vor allem auch J.s dritte Oper Její pastorkyňa (=Jenufa), sein wohl bekanntestes Werk. Um 1900 begeisterte sich J. für die russische und polnische Literatur und bereiste mehrmals Polen und Rußland. Sich deutlich der sozialen Probleme bewußt werdend, wurde er bald in das Lager der Gegner der Monarchie gezogen. So komponierte er eine Klaviersonate 1. X. 1905 (auch Z ulice, von der Straße, genannt) in Erinnerung an einen in Brünn getöteten Arbeiter und setzte einige sozialistische Gedichte von P. Bezruč in Musik. In der komischen Oper Výlet pana Broučka machte er das tschechische Spießbürgertum zur Zielscheibe seiner Ironie, in der Orchesterrhapsodie Taras Bulba besang er den Helden, der keine Angst kennt. Nach der Errichtung der tschechoslowakischen Republik (1918) entstand noch eine Reihe von Hauptwerken, u. a. die Opern Kát'á Kabanová, Příhody lišky bystroušky, Věc Makropulos und Z mrtvého domu, das Streichquartett Listy důvěrné (Intime Briefe), das Bläsersextett Mládi (Jugend), die häufig gespielte Sinfonietta und die Glagolská mše (Glagolitische Messe). Die Vitalität des Siebzigjährigen und die Neuartigkeit seiner Musik führten dazu, daß J. häufig als der Repräsentant der „jungen" tschechischen Musik angesehen wurde. Die Größe und Einzigartigkeit der Kunst J.s können in ihrer Ganzheit nur erfaßt werden, wenn die Kompositionen in der Originalsprache realisiert werden. Doch auch für denjenigen, der ihrer nicht mächtig ist, enthält J.s Musik eine Vielfalt an Neuem in bezug auf Melodiebildung, Harmonik, Rhythmik und Instrumentation, so daß dieser faszinierende Meister mit vollem Recht zu den hervorragenden Exponenten der Musik des 20. Jh. zu zählen ist, in seinem Rang und seiner nationalen Eigentümlichkeit vergleichbar mit Fr. Smetana.

Lit.: GA, hrsg. v. J. VYSLOUŽIL - C. KOHOUTEK - R. PEČMAN - TH. STRAKOVÁ - B. STĚDROŇ, 43 Bde. vorgesehen (Kas - Pr 1979ff.); B. ŠTĚDROŇ, Dílo L. Janáčka. Abecední seznam Janáčkových skladeb a úprav. Bibliogr. a diskografie (Pr 1959), revidiert u. dt. Übers.: Ven. der musikal. Werke J.s, in: BzMw 2 (1960) u. 3 (1961). - M. BROD, L. J. Leben u. Werk (W 1925, revidiert u. erweitert 1956); H. H. STUCKENSCHMIDTM. B ROD, L. J., in: Tschechische Komponisten, hrsg. v. H. Lindlar (Bonn 1954) (= Musik der Zeit 8); J. RACEK, Der Dramatiker J., in: DJbMw 5 (1960); P. MIES, Die glagolitische Messe, in: MS 80 (1960); J. RACEK, L. J. (L 1962, 21971) (= Reclams Universal-Bibi. 9043-45, 2. Aufl. Nr. 321); H. HOLLANDER, L. J. (Lo 1963, dt. Z 1964); J. VOGEL, L. J. (Lo 1963); H. H. STUCKENSCHMIDT, L. J.s Ästhetik u. seine Stellung in der Weltmusik, in: Sborník prací filosofické fakulty brněnské univ. 14 (1965); B. STĚDROŇ, Zu J.s Sprachmelodien, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kas 1970); M. BROD, Erinnerungen an J., in: Beitr. 1967, hrsg. v. K. Roschitz (Kas 1967); P. GULKE, Versuch z. Ästhetik der Musik L. J.s, in: DJbMw 12 (1967); B. ŠTĚDROŇ, Zur Genesis v. L. J.s Oper Jenufa (Brünn 1968); M. R. KADERAVEK, Stylistic Aspects of the Late Chamber Music of L. J. (1970) (= Diss. Univ. of Illinois); J. TYRRELL, J. and the Speech Melody Myth, in: MT 111 (1970); K. H. WORNER, Natur, Liebe u. Tod bei J., in: Die Musik in der Geistesgesch. (Bonn 1970) (= Abh. z. Kunst-, Musik- u. Literaturgesch. 92); R. GERLACH, L. J. u. die Erste u. Zweite Wiener Schule, in: Mf 24 (1971); J. RACEK, L.J. u. die musikal. Avantgarde des 20. Jh., in: SMZ 111 (1971); E. CHISHOLM, The Operas of L. J. (0 1971); P. GULKE, Protokolle des schöpferischen Prozesses. Zur Musik v. L. J., in: NZfM 134 (1973); T. KNEIF, Die Bühnenwerke v. L. J. (W 1974); A. GECK, Das Volksliedmaterial L. J.s (Rb 1975) (= Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 26); D. STROBEL, Motiv u. Figur in den Kompositionen der Jenufa-Werkgruppe L. J.s (M - Salzburg 1975) (= Freiburger Schriften z. Musikwiss. 6); D. MULLER, J. (P 1975); F. PULCINI, J. in Italia, in: NRMI 10 (1976); J. RACEK, L. J.s Kompositionsprinzip in seinen Spätwerken, in: Mf 29 (1976); B. ŠTĚDROŇ, Slavische Motive im Werk L. J.s, in: Musica Slavica. Beitr. z. Musikgesch. Osteuropas, hrsg. v. E. Arro (Wie 1977), dass., in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980). C. SCHOENBAUM

JANÁČEK-QUARTETT (Janáčkovo kvarteto), tschech. Streichquartett, gegr. 1947. Es debütierte 1947 in Brünn und ist seit 1956 ständiges Kammermusikensemble der Staatlichen Philharmonie Brünn. Seine Mitglieder, die zugleich als Dozenten an der Janáček-Musikakademie in Brünn wirken, waren bzw. sind: Jiří Trávnícek (* 1.12. 1925 Vlastovičky bei Opava, t 16.6.1973 Brünn), 1. Violine, jetzt Bohumil Smejkal; Miroslav Matyáš (* 7.7.1924 Brünn), 2. Violine, seit 1952 Adolf Sýkora (* 5.5.1931 Brünn); Jiří Kratochvíl (* 8.12. 1924 Ivančice), Viola; Karel Krafka (* 4.1.1921 Znojmo), Violoncello. Das Quartett widmet sich neben den Standardwerken der Klassik und Romantik besonders der tschechischen Musik des 19. und 20. Jahrhunderts. Konzertreisen und mehrfach mit Preisen bedachte Schallplatteneinspielungen machten das Quartett international bekannt. Die Musiker spielen auf Instrumenten von A. Stradivari (1695; 1. Violine), G. P. Maggini (1620; 2. Violine), Jakob Techler (1736; Viola) und Sanctus Seraphim (1707; Violoncello). 235

Janequin

JANEQUIN (Jannequin), Clément, * um 1485 Châtellerault bei Poitiers, t vermutlich Ende Januar 1558 Paris; frz. Komponist. Er war vielleicht Schüler der Maîtrise Notre-Dame in Châtellerault. Ein Vierteljahrhundert lang hielt er sich in der Gegend von Bordeaux auf, zunächst 1506-23 in der Umgebung des Humanisten Lancelot DuFau (t 1523), Generalvikar des Erzbistums, dann beim Erzbischof Jean de Foix, der ihm einige Pfründen zukommen ließ: J. wurde 1525 Domherr von StÉmilion, 1526 „Procureur des âmes", Geistlicher an St-Michel in Rieufret sowie 1530 Geistlicher an St-Jean-de-Mezos und Dekan von Garosse. Die Veröffentlichung seiner ersten Chansons machte ihn rasch berühmt; er gewann Anschluß an Musikliebhaber wie Eustorg de Beaulieu und den Kreis um den Advokaten Bernard de Lahet. Nach dem Tod seines Gönners (1530) wurden ihm die meisten Mittel seines Unterhaltes in dieser Gegend entzogen. Anläßlich der Durchreise König Franz I. durch Bordeaux (1530) nannte J. sich „chantre du roi", was aber eher als Ehrentitel anzusehen ist. Er ließ sich in Anjou nieder, wo sein Bruder wohnte und wo er seit 1526 Pfarrer von Brossay sowie seit 1527 Kaplan, seit 1534 Leiter der Maîtrise an der Kathedrale von Angers war. Es ist dies der fruchtbarste Abschnitt seines Lebens: Er veröffentlichte etwa 125 Chansons und dazu noch neue Fassungen seiner tonmalerischen Chansons von 1528. 1548 studierte er — mit über 60 Jahren — an der Universität Angers, wahrscheinlich in der Hoffnung, dadurch zu einträglicheren Pfründen zu kommen. Zwischen August und Oktober 1549 ging er endgültig nach Paris. Auch dort war er an der Universität eingeschrieben, wo er wohl den jungen Cl. Goudimel kennenlernte; er feierte in weiteren deskriptiven Chansons die militärischen Erfolge des Herzogs François de Guise bei Metz und Renty und durfte sich daraufhin sein „Chapelain" nennen. Zur selben Zeit, kurz vor 1555, gab er bei N. Du Chemin eine Anzahl seiner bedeutendsten Werke heraus, aufgrund deren er endlich in die Chapelle Royale als Chantre ordinaire aufgenommen wurde. Allerdings war er als nunmehr Siebzigjähriger den dort geforderten Leistungen kaum mehr gewachsen. In StGermain-des-Prés, wo er wohnte, übersetzte er von nun an erbauliche Texte, Psalmen und geistliche Chansons (erschienen zw. 1555 und 1558). Zwar erhielt er bis zum Ende seines Lebens keine materielle Unterstützung, aber er hatte wenigstens kurz vor seinem Tode die Genugtuung, den Titel eines Compositeur ordinaire du roi führen zu dürfen, den vor ihm im französischen Königreich nur Pierre Sandyin erhalten hatte. J. komponierte nun sein musikalisches Testament, die Octante deux pseaumes 236

de David „in ungewöhnlichen Klängen", mit einer Widmung in Versen an die Königin. Mit seiner Dienerin, die er nicht hatte entlohnen können, seit sie bei ihm in Dienst getreten war, zog er in die Rue de la Sorbonne, im Quartier Latin, um. Dort diktierte er im Winter 1558 einem Notar seinen letzten Willen und starb wenige Tage später. WW: 1) Weldkre Werke: Chansons für 4 St. (P um 1528); Les chansons de La guerre, La chasse, Le chant des oyseaux, La fouette, Le rossignol für 4 St. (P 1537), weitere Ausg. dieser Chansons, z.T. erweitert (V 1545 u. 1550, P 1551); 8° livre contenant XIX chansons für 4 St. (P 1546); 31• livre contenant XXX chansons für 4 St. (P 1549); 2 Bücher Inventions musicales (Programm-Chansons) für 5 St. (P 1555) (unvollständig erhalten); Le caquet des femmes für 5 St. (P 1555); Verger de musique für 4-5 St. (P 1559); Les difficiles des chansons für 4 St. (Ly o. J.) (unvollständig erhalten); zahlr. Chansons auch in mehr als 120 Sammeldrucken 1528-1605, auch in Bearb. für Laute (u. a. in den Tabulaturdrucken von Francesco da Milano, V. Bakfark, G. Morlaye, A. de Rippe) u. Org. (RISM 1583 23, 1605"• 19). 2) Geisdkre Werke (mit Ausnahme der Messe unvollständig erhalten): Chansons et cantiques spirituelles für 4 St. (P 1555); Chansons spirituelles (P 1556); Proverbes de Salomon für 4 St. (P 1558); 82 pseaumes de David für 4 St. (P 1559); Missa super La bataille (o. O. 1560 sowie in RISM 1540').

Die geistliche lateinischsprachige Musik J.s ist verloren (Motetten), oder seine Autorschaft ist umstritten (Messen); seine Psalmvertonungen und geistlichen Lieder sind nur unvollkommen erhalten (z. B. fehlen drei Teile der Octante deux pseaumes de David). Dennoch läßt sich feststellen, daß J. Melodien der calvinistischen Gemeinden in den Psalmen von 1549 und 1559 verwendet hat. Sein musikgeschichtlicher Rang beruht aber in erster Linie auf dem Gebiet der weltlichen Chanson: vor allem in den sog. deskriptiven oder Programm-Chansons (La guerre, Le chant des oyseaux, La chasse, Le caquet des femmes etc.), in der sich Quodlibetartiges mit Naturnachahmung und Szenisch-Bildhaftem verquickt, aber auch in allen anderen Arten der Chansons — der erzählenden, lyrischen, erotischen —, wobei er Texte von Cl. Marot, Mellin de Saint-Gelais, König Franz I., vielleicht auch eigene, und am Ende seines Lebens solche von P. de Ronsard verwendete. J. zeigt sich in ihnen unübertrefflich in Erfindungsreichtum, feinster rhythmischer und außerordentlich sensibler deklamatorischer Gestaltung. Einerseits entfaltet sich seine Virtuosität zu derben SpäBen, andererseits bleibt er in persönlich gefärbten Stücken poetisch und zart. Im Hinblick auf diese so unterschiedliche Satz- und Ausdruckskunst repräsentiert J. wie kein anderer Zeitgenosse die eigentümliche Welt der Pariser Chanson des 16. Jahrhunderts. Ausg.: GA der Chansons, hrsg. v. A. T. MERRITT - F. LESURE, 6 Bde. (Monaco 1965-69). - 10 Chansons für 4 St., hrsg. v. A. SEAY (Wb 1959) (= Chw 73); La bataille aus RISM 1545", in der Faks.-Ausg. dieses Sammeldrucks (Bru 1970) (= Corpus of Early Music in Facsimile I/11).

Janitscharenmusik Lit.: J. LEVRON, C.J. (P 1948); F. LESURE, C. J., Recherches sur sa vie et son ¢uvre, in: MD 5 (1951); DERS. — P. ROUDIE, La jeunesse bordelaise de C. J. 1505-31, in: RMie 49 (1963); A. T. MERRITT, J., Reworkings of Some Early Chansons, in: Aspects of Medieval and Renaissance Music. FS G. Reese (NY 1966); Y. F.-A. GIRAUD, Zu C. J.s „Chant de l'alouette", in: Mf 22 (1969).

F. LESURE

JANET & COTELLE, frz. Musikverlag, gegr. 1810 in Paris durch Pierre Honoré Janet und Alexandre

Cotelle. Die Übernahme verschiedener Verlage (Imbault, 1814; Decombe, 1822; Boieldieu le Jeune, 1824; Ozi & Co., 1825) machte aus dem Haus eine florierende Firma. Es spezialisierte sich auf die Edition modischer Romanzen, später auf Kammermusik (L. Boccherini, G. B. Viotti, J.-Fr. LeSueur, G. Rossini), Opéras-comiques (Fr.J. Gossec, F. Hérold, F. Paer, É. Méhul) und pädagogische Werke. Nach Ausscheiden von Janet (1838) führte Cotelle den Verlag bis zu seinem Tode (1858) allein weiter. Unter seiner Geschäftsführung erschien eine Ausgabe der Werke von Fr.-A. Boieldieu. J. & C. wurde 1892 durch die Firma Enoch Frères et Costallat aufgekauft. Lit.: C. HOPKINSON, A Dict. of Parisian Music Publishers 1700-1950 (Lo 1954).

JANIGRO, Antonio, *21. 1. 1918 Mailand; it. Violoncellist und Dirigent. Er studierte seit 1927 bei Gilberto Crepax am Mailänder Konservatorium und seit 1929 auf Empfehlung von P. Casals bei Diran Alexanian an der École Normale de Musique in Paris. Seit seinem Debüt 1934 machte er sich rasch als Violoncellovirtuose einen Namen und reiste, teilweise mit Pianisten wie C. Zecchi, P. Badura-Skoda und D. Lipatti durch Europa und nach Übersee. 1939 wurde er Professor für Violoncello und Kammermusik am Konservatorium in Zagreb. Seit 1947 tritt J. auch als Dirigent auf; er übernahm 1953 die Leitung des neu gegründeten Kammerorchesters von Radio Zagreb und des Kammerorchesters „Zagreber Solisten", leitete 1965-67 das Orchester des Angelicum Mailand und wurde 1968 Dirigent des Kammerorchesters des Saarländischen Rundfunks. 1965-74 leitete er eine Meisterklasse für Violoncello am Konservatorium in Düsseldorf. Lit.: B. GAVOTY, A. J. (G—F 1962) (= Die groBen Interpreten, o. Nr.).

JANITSCHARENMUSIK, Türkische Musik (engl.: janissary, janizary oder Turkish music; frz.: musique turque oder de janissaires; it.: banda oder musica turca; span.: música de jenizaros oder turca), Bz. für die in der Mitte des 18. Jh. in Europa aufkommenden Schlaginstrumente Triangel, Bek ken und große Trommel (auch: türkische Trommel), die den Musikkapellen der Elitetruppen des

türkischen Sultans — den sogenannten Janitscharen — eigen waren. Diese Instrumente wurden in Opern- und Symphonieorchestern zusammen oder auch einzeln verwendet (z. B.: Chr. W. Gluck, La rencontre imprévue, 1764; auch Chor der Taurier in Iphigénie en Tauride, 1779; W. A. Mozart, Die Entführung aus dem Serail, 1782; G. Spontini, La Vestale, 1807; J. Haydn, Symphonie Hob. I: 100, 1782; L. van Beethoven, Symphonie Nr. 9, 1824). Die Janitscharen hatten auf allen Gebieten die am besten ausgebildeten Soldaten der türkischen Truppen. Dazu wurden schon Kinder in besonderen Vorbereitungsanstalten durch drakonische Erziehung herangebildet. Die Musikkapellen der Janitscharen bestanden aus jeweils 9 Schalmeien, Naturtrompeten, groBen Trommeln, Becken, kleinen Pauken und Schellenbäumen. Der erste Schalmeispieler fungierte gleichzeitig als Kapellenleiter. In die preußische Militärmusik fand die J. nach 1806 Eingang mit den Instrumenten Triangel, Bekken, große Trommel und dem Schellenbaum, der schon bald nicht mehr nur als Instrument, sondern auch als Symbol und Wahrzeichen der preußischen Militärmusik benutzt wurde. König Friedrich Wilhelm III. verordnete durch Kabinettsordre vom 13.3. 1816 den preußischen Musikkorps offiziell die Einführung der Janitschareninstrumente, die „ohne besondere Kosten" von 12 Soldaten aus den Kompanien als Hilfsmusikern gespielt werden sollten. Wilhelm Wieprecht verwendete in seinem „Normal-Instrumental-Tableau" den Begriff J. für die Infanteriemusikkorps, weil hier die Besetzung mit Holz- und Blechblasinstrumenten sowie kleiner Trommel und Pauken durch die Schlaginstrumente Becken, große Trommel und Schellenbaum („Halbmond") erweitert ist. Die anfänglich bei den Klassikern nur sehr sensibel und zurückhaltend eingesetzten Instrumente der J. traten im 19. Jh. in den Orchestern wie auch in den Militärkapellen immer mehr in den Vordergrund, was die zeitgenössischen Musikkritiker zur Ablehnung der Janitschareninstrumente als „Lärminstrumente" führte. Ein Breslauer Musikkritiker urteilte im Jahre 1801: „Zur zweyten Klasse der hiesigen Musikliebhaber rechne ich diejenigen, die eben so wenig einen ganz schlechten als ganz geläuterten Geschmack besitzen. [...] Je bizarrer ein Tonstück ist, und besonders, je mehr Blasinstrumente und J. darin dominieren, desto reizender finden sie es.” Lit.: A. KALKBRENNER, W. Wieprecht (B 1882); H. G. FARMER, Turkish Instr. of Music in the 17th Century (Glasgow 1937); P. PANÓFF, Das musikal. Erbe der Janitscharen, in: Atlantis 20 (1938); C. M. ALTAR, W. A. Mozart im Lichte osmanisch-östr. Beziehungen, in: RBMie 10 (1956); G. ORANSAY, Von der Türken dölpischer Musik, in: Südosteuropa-Jb. 6 (1962). B. HOFELE

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Jankowski

JANKOWSKI, Horst, * 30. 1. 1936 Berlin; dt. Jazz- und Unterhaltungsmusiker (Pianist, Komponist, Arrangeur, Dirigent); er begleitete 1954-55 Caterina Valente und kam 1955 als Pianist zum Südfunk-Tanzorchester von Erwin Lehn, wo er bald als herausragender Solist angesehen war. J. spielte mit eigenen Combos, trat aber auch mit bekannten Jazzmusikern auf, u. a. 1957 mit Tony Scott und 1958 auf der Brüsseler Weltausstellung mit Benny Goodman. In Europa und den USA wurde er mit dem Schlager A Walk in the Black Forest (Schwarzwaldfahrt) bekannt. Heute leitet J. das RIAS-Tanzorchester in Berlin. JANNACCONI (Janaconi, Gianacconi), Giuseppe, * 1741 Rom, t 16.3. 1816 ebd.; it. Komponist. Vom 9. bis zum 20. Lebensjahr besuchte er in Rom das Seminar der Kleriker an St. Peter und studierte anschließend (zusammen mit M. Clementi) Komposition bei G. Carpani und später bei P. Pisari. Gleichzeitig war er Sänger (Tenor) in der Cappella Giulia. Er blieb in dieser Stellung, bis er erst 1811 als Vertreter des von den Franzosen inhaftierten G. Zingarelli Maestro di Cappella an St. Peter wurde. In seinem - fast ausschließlich geistlichen Schaffen zeigt er sich stärker als die anderen zeitgenössischen Kapellmeister von St. Peter an Palestrina orientiert. WW: Zahlr. kirchenmusikal. Werke, u.a.: Messen, Motetten, Psalmen; Dixit Dominus u. Tu es Petrus für 16 St.; Offertorien. — Streichquintette; Kanons; Oratorium L'agonia di Gesù Cristo.

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Lit.: J. KILLING, Kirchenmusikal. Schätze der Bibl. des Abbate F. Santini (Düsseldorf 1910) (darin eine 5st. Motette); L. M. KANTNER, „Aurea luce'. Musik an St. Peter in Rom 1790 bis 1850 (W 1979).

JANOWITZ, Gundula, * 2.8. 1937 Berlin; dt. Sängerin (Sopran). Sie wuchs in Graz auf, studierte an der dortigen Musikakademie bei Hubert Thöny und kam 1959 als Elevin an die Wiener Staatsoper, wo sie 1962 fest unter Vertrag genommen wurde. 1960 trat sie erstmals bei den Bayreuther Festspielen auf; Gastverträge banden sie vorübergehend auch an das Frankfurter Opernhaus, die Deutsche Oper in Berlin und die Metropolitan Opera in New York. Gastspiele führten sie regelmäßig in die großen Musikzentren Westeuropas und zu den Festspielen in Glyndebourne und Salzburg. G. J. begann als jugendlich-dramatischer Sopran, wechselte im Verlauf ihrer Karriere mehr und mehr in das dramatische Fach und gilt heute als eine der führenden Vertreterinnen der entsprechenden Sopranpartien in den Opern W. A. Mozarts, R. Wagners und R. Strauss'. Sie wird auch als Lied- und OratorienSängerin geschätzt. Anfang der 70er Jahre gründete sie in Graz einen Künstler-Förderungsfonds. 238

JAPAN. Geschichte. Die Musikgeschichte J.s läßt sich in 5 Epochen gliedern: 1. Aus der sog. Frühantike (bis zum 6. Jh. n. Chr.) sind nur wenige Zeugnisse überliefert. Abbildungen lassen den Schluß zu, daß neben der Wölbbrettzither ?Koto und Flöten vor allem Trommeln und Idiophone in Gebrauch waren. 2. Die sog. Spätantike (7. bis 10. Jh.) kennzeichnet ein tiefgreifender kultureller Einfluß Chinas und Koreas. Um 700 wurde die chinesische Hofmusik in J. übernommen und mit der rituellen Musik des Schintoismus verschmolzen. Aus jener Zeit datieren erste zuverlässige Belege für die Existenz größerer Orchester: anläßlich der Einweihung einer riesigen bronzenen Buddha -Statue im Tempel Tödaiji (725) spielte ein Orchester von 75 Musikern; unter den Instrumenten befanden sich 6 verschiedene Zither- und 2 Lauten-Typen, Harfen, Längs-, Quer- und Panflöten, 2 Typen von Mundorgeln sowie diverse Schlaginstrumente. 3. Im sog. Hochmittelalter (11. bis 16. Jh.) entwickelte sich eine von der Laute řBiwa begleitete Gesangsform (Heike-Biwa), die ursprünglich von fahrenden Sängern vorgetragen wurde, sowie das OENö-Spiel. 4. Während des sog. Spätmittelalters (bis 1868) bildeten sich feste Musiziertraditionen für das Koto, die Flöte řShakuhachi und die Spießlaute /Shamisen heraus. 5. Nach 1868 öffnete sich J. dem Westen, und die traditionelle Kultur wurde durch europäische Einflüsse weitgehend verdrängt. An den Schulen, Konservatorien und Universitäten lehrte man das Spiel auf europäischen Instrumenten und die abendländische Gesangskunst. Bis heute besteht nur an der Hochschule in Tokio eine Abteilung für traditionelle japanische Musikpraxis. In jüngster Zeit beginnt man jedoch, sich der eigenen Traditionen in stärkerem Maße zu besinnen und die alten Künste und Techniken wiederzubeleben. Mit Ausnahme der řGagaku-Musik, die auch früher lediglich einigen Eingeweihten verständlich war und heute nur noch von wenigen ausgebildeten Musikern gepflegt wird, erfreuen sich die übrigen Gattungen und Formen der traditionellen Musik größter Beliebtheit und des Interesses der Öffentlichkeit. In den Städten indessen stehen weite Bevölkerungsteile der nationalen Musik ablehnend gegenüber. Instrumente. Die Musikinstrumente J.s sind überwiegend aus Holz, bes. aus Bambus, gefertigt; Metall findet, außer bei Idiophonen, nur selten Verwendung. Die Saiten der Chordophone wurden früher ausnahmslos aus Seide hergestellt; der Klang der Instrumente war infolgedessen zart und wenig tragfähig, dafür aber in hohem Maße modulierbar. Feinste Nuancen im Bereich der Tonhöhe wie des Klanges kennzeichnen die Musizierpraxis.

Japan Chordophone. In J. finden verschiedene Typen von Wölbbrettzithern Verwendung, die nach konti-

nental-asiatischen Vorbildern entstanden. Als Resonanzkörper dient ein flacher, oben gewölbter Kasten, die Saiten laufen über hohe bewegliche Stege. Während man die 6 Saiten der Wagon in Quarten und Quinten stimmt und kaum im eigentlichen Sinne melodisch nutzt, ergeben die 13 Saiten des fast 2 m langen Koto eine aufsteigende (pentatonische) Skala. Aus der chinesischen Laute P'i-p'a entwickelten sich die verschiedenen Abarten der Biwa. Weitere wichtige Saiteninstrumente sind das Shamisen mit rechteckigem Korpus und seine Sonderform, das 3-4saitige Kokyu, Japans einziges originäres Streichinstrument, das zunehmend von der Violine verdrängt wird. Aerophone. Zu den wichtigsten Blasinstrumenten zählt die Shakuhachi, eine offene Längsflöte aus einem unten leicht aufwärts gebogenen Bambusrohr ohne eigentliches Mundstück. In den einzelnen musikalischen Gattungen finden jeweils spezielle Querflöten-Typen Verwendung (mit dem Suffix -bue bzw. -fue bezeichnet), die sich weniger hinsichtlich des Klanges als in ihrer äußeren Form und in der Tonhöhe unterscheiden. Schrill und durchdringend klingt die Hichiriki, die aus einem zylindrischen Bambusrohr mit 7 + 2 Grifflöchern besteht und mit einem übergroßen Doppelrohrblatt angeblasen wird. Wie die Hichiriki geht auch die aus 17 Bambuspfeifen bestehende Mundorgel řShö auf chinesische Vorbilder zurück. Diese Instrumente gelten als indirekte Vorläufer der europäischen 'Harmonika-Instrumente. Membranophone. Vergleichsweise vielgestaltig nimmt sich die Gruppe der Schlaginstrumente aus. Unter den großen, hängend angeordneten zweifelligen Trommeln (Taiko) fällt wegen ihres Durchmessers von mehr als 1 m und ihres prunkvollen Äußeren besonders die Dadaiko auf. Die Felle dieser Trommeln tragen, ebenso wie die Vorderseite des Gongs Shóko, Ornamente in leuchtenden Farben. Weniger auffällig sind die verschiedenen zweifelligen sanduhrförmigen Trommeln Kakko und "Tsuzumi, deren Fellspannung sich mittels Schnüren verändern läßt. Idiophone. In dieser Gruppe dominieren Gongs unterschiedlicher Größe und Formen sowie Glokken (darunter Typen ohne Klöppel, wie die Densho, die man mit einem Hammer anschlägt), Klappern und Schlagstöcke. Im /Kabuki-Theater findet gelegentlich das Xylophon Mokkin Verwendung und das aus kleinen, abgestimmten Glöckchen bestehende Orugoru. Tonsystem. Das japanische Tonsystem basiert im Prinzip auf einer 12stufigen Oktavteilung, doch

wählt man für den praktischen Gebrauch meist pentatonische Leitern aus, unter denen zwei als Grundskalen — und zugleich als Symbole des männlichen bzw. weiblichen Elementes — gelten: Ryo cdegac1 Ritsu cd f g a c1 Dominiert in der Gagaku-Musik die Ritsu-Skala mit ihren 3 Modi, so verdrängten in der übrigen Musik halbtönig-pentatonische Leitern (z. B. c des f g as c1) im Laufe der Edo -Zeit (1603-1868) weitgehend frühere halbtonlose Skalen. In der Gagaku-Musik wird das pentatonische System häufig durch zwei Zwischenstufen (Hennon) zur Heptatonik ergänzt, wobei die Hennon in ihrer Größe nicht eindeutig festliegen. Für die Notierung bediente man sich früher verschiedener Tabulaturen bzw. neumenartiger Zeichen, die nur den ungefähren Verlauf der Melodiebewegung, nicht aber ihre absolute Tonhöhe festlegten; heute findet überwiegend das abendländische Notationssystem Verwendung. Gattungen und Stile. Zu den bedeutendsten Musiziertraditionen zählt die heute noch gepflegte řGagaku-Musik. Diese Musik unterliegt strengen Regeln, die u. a. ihre vertikale Struktur bestimmen. Zwar führen alle Instrumente dieselbe Melodie aus, dennoch entstehen teils beabsichtigte, teils ungewollte Mehrklänge, die Beziehungen der einzelnen Melodielinien zueinander sind häufig sehr komplex. Dabei fungiert die Hichiriki als Melodieträger, vermutlich ihres relativ durchdringenden Klanges und des begrenzten Ambitus wegen. Tonhöhe, Dynamik und Klang lassen sich durch Veränderungen des Atemdrucks sowie der Lippenspannung in relativ weitem Umfang modifizieren. In der HichirikiMelodie überwiegen oszillierende Mikrotonbewegungen und feinste Klangschattierungen. Hingegen zeichnet sich der Flötenpart durch häufige Registerwechsel und dadurch bedingte große Sprünge aus. Der Biwa -Spieler trägt die Haupttöne der Melodie (gewissermaßen die Kernmelodie) in langen Notenwerten vor und versieht sie mit Vorschlägen. Demgegenüber besteht die KotoStimme fast ausschließlich aus arpeggierten Akkorden, deren oberster Ton jenem der Kernmelodie entspricht. Das klangliche Fundament bilden langgehaltene, 5-6stimmige Akkorde des Shó, in denen der jeweilige Melodieton zuunterst liegt. Darüber bauen sich, teilweise in Quarten bzw. Quinten übereinandergeschichtet, Sekundklänge auf. Trommeln und Gongs markieren bestimmte formale Abschnitte und gliedern somit den Gesamtablauf der Stücke. Die heterophone Struktur dieser Musik weist prinzipielle Ähnlichkeiten mit jener des indonesischen /Gamelan auf. Die Zahl der 239

Japan

Gagaku-Musiker (Gakunin), die seit 1874 auch je ein europäisches Instrument erlernen, nahm im Laufe der Zeit kontinuierlich ab, was nicht ohne Auswirkungen auf die Breite des Repertoires und die Qualität der Darbietungen blieb. Gegen Ende des 16. Jh. entstand das volkstümliche und besonders beliebte Kabuki-Theater, bei dem neben Schauspielern auch ein spezifisches Musikensemble mitwirkt. Vermutlich bereits im 14. Jh. entstand das Nó-Spiel, eine Synthese von Tanz, Musik, Theater und Literatur, das im Laufe der Zeit vielfach verändert und im ausgehenden 19. Jh. restauriert wurde. Ebenfalls bis ins 16. Jh. reicht die Tradition des Puppentheaters řBunraku zurück. Volksmusik. Neben der artifiziellen Musik gibt es in J. verschiedene Traditionen der Volksmusik, darunter auch Formen theatralischer Musik. Insbesondere schintoistische Feiertage bieten Anlässe für Umzüge sowie Maskentänze und Puppenspiele, die man, teilweise in prächtigen Kostümen, im Freien darbietet. Wichtigste Melodieinstrumente sind Flöten, darunter auch die Shakuhachi, und das Shamisen. Für die überwiegend symmetrisch gegliederte einfache rhythmische Begleitung stehen zahlreiche Schlaginstrumente zur Verfügung; überdies gibt es eine Reihe von teils solistisch vorgetragenen, teils von der Shakuhachi begleiteten rhythmischmetrisch freien Gesängen. Die Melodiebildung vollzieht sich auf der Basis halbtöniger bzw. halbtonloser Pentatonik. Musikleben. Das gegenwärtige Musikleben Japans kennzeichnet eine Vielfalt unterschiedlicher Stile, Formen und Gattungen; Elemente der asiatischen und der abendländischen Musik stehen teils unvermittelt nebeneinander, teils werden sie zu einer Synthese verschmolzen. Japanische Komponisten übernahmen bereitwillig Elemente der europäischen Moderne. Ichiyanagi Toshi, Hayashi Hikaru und andere zählen heute zur internationalen Avantgarde. Seit 1920 — und damit wesentlich länger als in anderen nichteuropäischen Ländern — bemühen sich namhafte Künstler (z. B. Miyagi Michio, Maki Ishii, Takemitsu Toru), Elemente ihrer traditionellen Musik mit jenen der europäischen zu verbinden. Dabei greifen sie nicht selten auf das überlieferte Instrumentarium zurück und stellen dieses dem Symphonieorchester gegenüber. In jüngster Zeit intensivieren japanische Musiker auch die Zusammenarbeit mit ihren Kollegen in China, Korea, Indochina und Indonesien. Lit.: F. T. PIGGOTT, The Music and Musical Instr. of J. (Lo 1893, '1970); W. P. MALM, Japanese Music and Musical Instr. (Rutland/Vt. 1959, 51970); S. KOJIMA, Tonale Strukturen u. ihr tonsystematischer Zusammenhang im japanischen Volkslied, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kas 1970); Musikleben in Japan, hrsg. v. S, BORRIS (Kas 1967); S. KISHIBE, The Traditional Music of J.

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(Tokio 1969); E. HARICH-SCHNEIDER, A History of Japanese Music (Lo 1973); R. GARFIAS, Music of a Thousand Autumns (Berkeley — Los Angeles 1975); W. GIESEN, Zur Gesch. des buddhistischen Ritualgesangs in J. (Kas 1977); 1. FRITSCH, Die Solo-Honkyoku der Tozan-Schule (Kas 1979). CH. AHRENS

JAQUES-DALCROZE, Émile, * 6.7.1865 Wien, t 1.7. 1950 Genf; Schweizer Musikpädagoge. J. studierte am Konservatorium in Genf, bei R. Fuchs und A. Bruckner am Konservatorium in Wien und bei L. Delibes und G. Fauré in Paris. Nach einer kurzen Kapellmeistertätigkeit in Algier kam er 1892 als Theorielehrer an das Genfer Konservatorium, wo er mit seinem Konzept für musikalische Früherziehung und rhythmische Gymnastik große Resonanz fand. 1911 wurde er an die Freie Schule nach Hellerau berufen und errichtete hier eine Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus. Zu Beginn des 1. Weltkrieges kehrte er in die Schweiz zurück und leitete in Genf das 1915 eigens für ihn gegründete Institut Jaques-Dalcroze. Seine Methode, die besonders auch in Deutschland die Entwicklung der Bewegungspädagogik, der Pantomimik und des Ausdruckstanzes im 20. Jh. nachhaltig beeinflußte, ist zum Teil als späte Wiederaufnahme und Umwandlung pädagogischer Zielsetzungen J.-J. Rousseaus und J. H. Pestalozzis zu sehen. Schriften: La rythmique, 2 Bde. (Lau 1907, auch dt.); Le rythme, la musique et l'éducation (Bas 1920, NA Lau 1965); Souvenirs (Neuchâtel 1942); La musique et nous (G 1945); grundlegende Schriften, in: Methode J.-D., hrsg. v. P. Boepple, 3 Bde. (P — L 1906-07). Lit.: W. DOHRN, Die Bildungsanstalt J.-D. (Dresden 1912); A. SEIDL, Die Hellerauer Schulfeste (Rb o. J.) (= Dt. Musikbücherei 2); H. BEUNET-LECOMTE, J.-D. (G 1950); É. J.-D., l'homme, le compositeur, le créateur de la rythmie, hrsg. . F. MARTIN (Neuchâtel 1965); C.-L. DUTOIT, J.-D. et la rythmique, in: SMZ 108 (1968). H. LINDLAR

JARABE (span.), mexikanischer Nationaltanz im wechselnden 6/8- und 3/4-Takt, der auf eine Form der andalusischen /Zapateado zurückgeht. Ende des 18. Jh. als unmoralisch verboten, wurde der J. während der Befreiungskriege von den Patrioten übernommen und zu einem — gegen die Spanier gerichteten — Tanzlied satirisch-politischen Inhalts umgewandelt. JARDÁNYI, Pál, * 30. 1. 1920 Budapest, t 27.7. 1966 ebd.; ungarischer Komponist. J. studierte bis 1942 an der Musikhochschule in Budapest bei Z. Kodály Komposition und Violine und promovierte 1943 an der Universität im Fach Volkskunde. 1946-59 lehrte er Volkskunde, Pädagogik und Komposition an der Musikhochschule und leitete seit 1960 die Musikabteilung an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er 1948 geworden war. Er gehörte außerdem der

Jarnowick Kommission zur Herausgabe des Corpus Musicae Popularis Hungaricae an. J.s rhythmisch meist außerordentlich komplizierte Kompositionen weisen Einflüsse B. Bartóks und Z. Kodálys und vor allem Elemente der ungarischen Folklore auf. WW: 1) Kospositionen: Sonate für 2 KIv. (1942); Sonate für V. u. KIv. (1944); 2 Streichquartette (1947, 1954): Fantasie u. Variationen über ein ungarisches Volkslied (1955) für Bläserquintett; Symphonietta (1940) für Streichorch.; für Orch.: Divertimento concertante (1949); Tisza mentén (1951), symphonische Dichtung nach Petöfi; Symphonie Vörösmarty (1952); Borsodi rapszodia (1953); Concertino für V. u. Streichorch. (1964); Vivente e moriente (1963) und Székely rapszódia (1965). — 2) Schriften: The Determining of Scales and Solmization in Hungarian Musical Folklore, in: Studia memoria B. Bartók sacra (Budapest 1956, 3 1959); Über Anordnung von Melodien und Formanalyse in der Gregorianik, in: Acta ethnographica 8 (1958); Die Volksmusik in Bartóks Kunst, in: FS W. Wiora (Kas 1967). Lit.: I. KECSKEMÉTI, J. P. (Budapest 1967); B. RAJECZKY, in: Dt. Jb. für Volksliedkunde 13 (1967).

JARECKI, poln. Musikerfamilie. - 1) Henryk, * 6.12. 1846 Warschau, t 18.12. 1918 Lemberg; Komponist. Er war Schüler von St. Moniuszko. 1872 wurde er Kapellmeister am polnischen Theater in Posen und 1873 Dirigent an der Lemberger Oper, die er 27 Jahre lang leitete. J. schrieb mehrere Opern auf historische Stoffe, die deutlich Einflüsse Moniuszkos und (vor allem in Mindowe) Wagners zeigen. Am erfolgreichsten war er mit der dramatischen Ballade Powrót taty (Papas Rückkehr, Text von A. Mickiewicz). WW: Kammermusik; Messen; Chöre mit u. ohne Orch.-Begleitung; Lieder; 7 Opern.

2) Tadeusz, Sohn von 1), *31. 12. 1888 Lemberg, t 29.4. 1955 New York; Dirigent und Komponist. Er studierte in Lemberg, später bei É. Jaques-Dalcroze in der Schweiz und zuletzt bei S. Tanejew in Moskau, wo er 1912-13 am Dalcroze-Institut lehrte. 1917-18 und seit 1920 lebte er in New York, wo er das New Yorker Kammermusikensemble und die Musikabteilung des NBC leitete. 1932-35 hielt er sich wieder in Polen auf und seit 1938 in Paris. 1946 kehrte er endgültig in die USA zurück. Von der deutschen Neoromantik ausgehend, verwendete J. später auch modernere Stilmittel, insbesondere Polyrhythmik und Polytonalität. WW: Klv.-Sonate, op. 19; Kammermusik; Orch.-Werke; Lieder mit KIv.- u. Triobegleitung.

JARNACH, Philipp, * 26.7. 1892 Noisy-le-Sec bei Paris, t 17. 12. 1982 Bornsen, Kreis Uelzen; dt. Komponist. J., ein Sohn des katalanischen Bildhauers Esteban J., studierte 1907-14 u. a. bei A. Lavignac (Theorie) in Paris und wurde auch von C. Debussy und M. Ravel gefördert. Anschließend lebte er als Pianist und Komponist in Zürich,

wo er mit F. Busoni zusammenarbeitete und 1918-21 am Konservatorium lehrte. 1927-49 war er Professor für Komposition an der Musikhochschule Köln, 1949-59 Direktor der Musikhochschule Hamburg. Wie Busoni, dessen Oper Doktor Faust er 1925 vollendete, vertrat J. eine formbewußte „Junge Klassizität" in der modernen Musik. Zu seinen Schülern gehörten K. Weill und W. Maler, der 1959 sein Nachfolger in Hamburg wurde. WW: Für Klv.: 3 Stücke (1924); Sonatine (1925); Das Amrumer Tagebuch (1947); Sonate (1952); Konzertstück für Org. (1930); Streichquintett (1920); Streichquartett (1924); 2 Sonaten u. 3 Rhapsodien für V. u. Klv.; 2 Sonaten für V. -solo. — Für Orch.: Sinfonia brevis (1923); Morgenklangspiel (1925); Vorspiel (1930); symphonische Variationen: Musik mit Mozart (1935); Concertino für Str. (1948) (nach Themen v. G. Platti). — 6 Volkslieder für Sopran u. Streichquartett (1937); Klv.-Lieder nach Baudelaire, Heine, Leconte de Lisle, Materlinck, Rilke u.a.; Ville morse für SingSt u. Klv.; 2 Lieder des Narren aus Shakespeares Was ihr wollt für SingSt u. Orch.; Prélude, Prière et Danse sacrée für Frauenchor u. Orch. (zu Busonis Das Wandbild). Lit.: H. M ERSMANN, Ph. J., in: Die Musik seit der Romantik (Pd 1932); DERS. — E. G. KLUSSMANN, in: FS Ph. J. (H 1952); L. LÖTZEN, Ph. J., in: Rheinische Musiker 6 (Kö 1969) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 83).

JARNO, Georg (György), *3. 6. 1868 Budapest, t 20.5. 1920 Breslau; ung. Komponist. Nach dem Musikstudium in Budapest war er Theaterkapellmeister u. a. in Stuttgart, Berlin, Liegnitz, Breslau und in Bad Kissingen, wo er sich auch als Opernregisseur betätigte. Später lebte er als freischaffender Komponist in Wien. J. schrieb zunächst Opern, wandte sich aber bald ganz dem Gebiet der Operette zu, wo er mit seinem Erstlingswerk, Die Försterchristl, seinen größten Erfolg erzielte. In seinen Operetten stellte J. häufig bekannte historische Persönlichkeiten in den Mittelpunkt der Handlung, z. B. J. Haydn in Das Musikantenmädel. Das ungarische Kolorit vieler Melodien läßt J. als Vorläufer E. Kálmáns erscheinen. WW: Operetten: Die Försterchristl, UA: Wien 1907; Der Goldfisch, UA: Breslau 1909; Das Musikantenmädel, UA: Wien 1910; Die Marine-Gusti, UA: ebd. 1912; Das Farmermädchen, UA: Berlin 1913; Mein Annerl, UA: Wien 1916; JungferSonnenschein, UA: ebd. 1918; Die Csikosbaroneß (1919). — Opern: Die schwarze Kaschka, UA: Breslau 1895; Der Richter von Zalamea (Libretto nach Calderon), UA: ebd. 1899; Der zerbrochene Krug (nach H. v. Kleist), UA: Hamburg 1902, Neufassung als: Johanniszauber (1911).

JARNOWICK (Jarnovié, Jarnovichi, Giornovichi), Ivan (Giovanni) Mane, * um 1740 oder 1745 Palermo oder Ragusa, t 11. oder 23.11. 1804 St. Petersburg; Violinist und Komponist vermutlich kroatisch-dalmatinischer Herkunft. J. war ein Schüler von A. Lolli. Zwischen 1770 und 1779 lebte er in Paris, 1779 in Frankfurt a. M. und 1779-1782 in Berlin, das er gegen Ende 1782 verließ, um Konzertreisen durch Deutschland, Österreich, Polen, 241

Jaroff Skandinavien und Rußland zu unternehmen. 1791-96 hielt er sich in England, vor allem in London auf. 1796-1802 in Hamburg, danach wieder in Berlin und zuletzt in St. Petersburg. J.s Violinkonzerte erregten in seiner Zeit viel Aufsehen. Sie sind dreisätzig und in Anlage, Stil, Harmonik und Melodik der Wiener Klassik verpflichtet.

WW: 1) 1 atr.-WW: FürOrch.: Mouvements en relief (1953) Passacaille â la mémoire d'A. Honegger (1956); Polyphonies concertantes (1959) für Klv., Trp., Schlagzeug u. Orch.; Mobiles (1961) für V. u. Orch. — 2) Bähtten-WW: Funkoper Ruisselle (1954); Opéra-ballet Armida (1954); Fernsehballett Les filles du feu; Ballette Fâcheuse rencontre (1958) u. Notre Dame de Paris (1966); Biihnenmusik; Filmmusik, u. a. zu: Mite] des Invalides (1952);

WW: 16 V.-Konzerte (alle in Paris erschienen): 1 (1773), 2 (1775), 3 (1776), 4 (1777), 5 (1777), 6 (1779), 7 (1783), 8 (o.J.), 9 (1783), 10 (1784), 11 (um 1783), 12 (1791-92), 13 (o.J.), 14 (1789), 15 (um 1790) u. 16 (1795-96); ferner Symphonien; 6 Streichquartette; V. -Duos; Klv.-Stücke.

Lit.: C. SAMUEL. Panorama de l'art musical contemporain (P 1962).

Ausg.: V.-Konzert Nr. 1 E-Dur, bearb. für Va., hrsg. v. F. HOFMEISTER (L 1955); dass., hrsg. v. W. LEBERMANN (Mz 1967); V. -Konzert Nr.4 A-Dur, hrsg. v. DEMS. (F 1968). Lit.: M. BRENET, Les concerts en France sous l'ancien régime (P 1900, Nachdr. NY 1970); R.-A. MOOSER, Violinistes-Compositeurs Italiens en Russie au XVIII. siècle. Giovanni Mane Giornovicchi, dit J., in: RMI 52 (1950); DERS., Annales de la musique et des musiciens en Russie au XVIII' siècle 2 (G 1951); A. WIR STA — H. HAASE, G. J., in: MGG VI; M. GRAF, Der Geiger u. Komponist I. M. J., in: Das Orchester 15 (1967); N.K. NUNAMAKER, The Virtuoso Violin Concerto Before Paganini (1968) (= Diss. Indiana Univ.); CH. WHITE, The Violin Concertos of Giornovichi, in: MQ 58 (1972). B. R. SUCHLA

JAROFF, Serge (Sergei Alexejewitsch), * 20.3. (1.4.) 1896 im Gouvernement Kostroma (DonTal), t 5. 10. 1985 Lakewood (N.J.); amerik. Chorleiter russ. Herkunft. J. studierte an der SynodalMusikschule in Moskau und war danach Gesanglehrer an einem Gymnasium. Im Bürgerkrieg kämpfte er auf der Seite der Weißen und floh nach deren Niederlage in die Türkei. Im Internierungslager Tschilingir bei Konstantinopel gründete er 1921 aus 25 Don-Kosaken einen Chor, mit dem er von Lager zu Lager reiste. Nach dreijähriger Flucht über den Balkan nach Wien trat der Chor dort erfolgreich auf und unternahm seitdem ausgedehnte Konzertreisen. 1939 ging J. in die USA, kehrte aber nach 1945 wieder nach Europa zurück. Der Don Kosaken-Chor S. J., wie er sich nennt, setzt sich aus 22 Tänzern und 22 Sängern, größtenteils Exilrussen oder Söhnen russischer Emigranten, zusammen und pflegt vor allem alt-russische Kirchenmusik und russische Volksweisen. Lit.: E. KLINSKY, Vierzig Donkosaken erobern die Welt (L 1933).

JARRE, Maurice, *13. 9. 1924 Lyon; frz. Komponist. J. studierte seit 1943 Komposition u. a. bei L. Aubert am Pariser Conservatoire, daneben auch bei A. Honegger. Später war er musikalischer Leiter und Komponist für Bühnenmusik bei der Schauspieltruppe Jean Louis Barrault — Madeleine Renaud und seit 1951 beim Théâtre National Populaire. J. wurde vor allem als Filmkomponist bekannt.

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The Longest Day (1962); Lawrence of Arabia (1962); The Collector (1965) u. Doctor Zhivago (1966).

JARRETT, Keith, * 8. 5. 1945 Allentown (Pennsylvania); amerik. Jazzmusiker (Piano, Orgel, Vibraphon und Sopransaxophon). Er spielte zunächst u. a. 1965 bei Art Blakey und wurde 1966 bei Charles Lloyd bekannt. 1968 gründete er zusammen mit Charlie Haden (Baß) und Paul Motian (Schlagzeug) ein eigenes Trio, das im Laufe der 70er Jahre zu einem Quintett erweitert wurde. 1970 trat er in die Miles Davis Group ein, verließ aber diese Jazzrock-Formation wieder, um sich seiner eigenen Gruppe und vor allem der akustischen Musik zu widmen. J. ist im Free-Jazz ein virtuoser Pianist und Meister in der Verarbeitung von Motiven. Berühmt sind sein „Köln Concert" und die „Solo Concerts Bremen Lausanne" von 1973. Lit.: J. E. BERENDT, K. E. Die Welt im Flügel, in: Ein Fenster aus Jazz (F 1977).

JARUSTOWSKI, Boris Michajlowitsch, * 2. (15.) 5. 1911 Moskau, t 12. 7. 1978 Moskau; sowjetischer Musikforscher. Er studierte am Moskauer Konservatorium und promovierte dort 1952 zum Doktor der Kunstwissenschaft. Seit 1948 war er Lehrer und seit 1956 Professor für Musikgeschichte am Konservatorium in Moskau. 1946-58 leitete er die Kulturabteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und war seit 1959 ständiger Mitarbeiter des Instituts für Kunstwissenschaft am Kultusministerium. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit bilden Fragen des klassischen und modernen Musiktheaters. Schriften: P. I. Cajkovskij. Žizn' i tvorčestvo (Mos 1940); Dramaturgija russkoj opernoj klassiki (Mos 1953, dt. B 1957); Simfonii Čajkovskogo (Mos 2 1961); 1. Stravinskij. Kratkij očerk žizni i tvorčestva (Mos 1963); Öcerki po dramaturgii operi XX veka (Mos 1971). —Ferner ist J. Hrsg. des Sammelbandes I. F. Stravinskij. Stat'i i materialy (Mos 1973).

JARY, Michael (eig. Maximilian Michael Andreas Jarczyk), * 24.9. 1906 Laurahütte (Oberschlesien); dt. Komponist. Er war 1928-29 Theaterkapellmeister in Neiße und Beuthen. 1930 begann er sein Musikstudium in Berlin, war danach als Kaffeehaus- und Kinopianist tätig und arbeitete seit 1935 als Komponist besonders für den Film. Außerdem war er Gründer und Leiter mehrerer deutscher

Jaufré Rudel

Tanzorchester und leitete in Hamburg nach dem Krieg einen eigenen Musikverlag und mehrere Filmproduktionen. Seit 1963 lebt er abwechselnd in Lugano und München. J. zählt zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Unterhaltungsmusik. Er schrieb zahlreiche Evergreens, darunter Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern; Sing, Nachtigall, sing; Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn; Wir wollen niemals auseinandergehn. WW: Operette Die Tänzerin von Moulin Rouge (1946); Musical Nicole, UA: Nürnberg 1963; Filmmusiken, u.a. zu: Die große und die kleine Welt (1936); Lauter Lügen (1938); Zwei Welten (1939); Paradies der Junggesellen (1939); Die große Liebe (1942); Karneval der Liebe (1943); Die dritte von rechts (1950); Keine Angst vor großen Tieren (1953); Das Herz von St. Pauli (1957); ferner zahlreiche Schlager.

JARZ% BSKI (Harzebsky, Zarzebski, Jarzemski u. ä.), Adam, * vor 1590 Warka, t 1648 Warschau (?); poln. Violinist, Komponist, Dichter und Architekt. Mit Ausnahme eines Italienaufenthalts 1615-16 war J. 1612-19 Violinist am Hof des Kurfürsten von Brandenburg in Berlin und spätestens seit 1621 Mitglied der königlichen Kapelle in Warschau. 1635 wurde er mit dem Bau des königlichen Schlosses von Ujazdów beauftragt. J.s hsl. erhaltene Sammlung Canzoni e concerti für 2-4 St. u. B.c. ist ein für Polen in seiner Zeit einzigartiges Zeugnis instrumentaler Ensemblemusik. Sie enthält freie Kompositionen und Übertragungen weltlicher und geistlicher Vokalwerke (u. a. von O. di Lasso, G. Gabrieli und Cl. Merulo). J. widmete sich auch dem Bau von Streichinstrumenten und veröffentlichte eine Beschreibung Warschaus in Versen (Warschau 1648). Ausg.: Concerto für 3 St., hrsg. v. M. SZCZENPAÓSKA (Krakau 1955, 2 1964); Canzoni für 4 St. mit B.c., hrsg. v. DERS. (ebd. 1958); Nova case für 3 St. mit B.c., hrsg. v. DERS. (ebd. 1962); Concerti für 2 St., hrsg. v. DERS. (ebd. 1964); Concerto Chromatico fur 3 St., hrsg. v. DERS. — K. SIKORSKI (ebd. 1950, 2 1964); Concerto Sentinella für 3 St., hrsg. v. DENS. (ebd. 1956); Concerti für 2 St., hrsg. v. Z. M. SZWEYKOWSKI (1965) (= WDMP 57). • Lit.: J. J. DUNICz, A. J. i jego „Canzoni e concerti" (Lemberg 1938); Z. M. SZWEYKOWSKI, Missa sub concerto A. Jarzebskiego, in: Muzyka 13 (1968).

JASON (Il Giasone), Dramma musicale in einem Prolog und 3 Akten von Pier-Francesco Cavalli (1602-76); Text von Giacinto Andrea Cicognini. Ort und Zeit der Handlung: Iberia und die Insel Kolchis in mythischer Vergangenheit. UA: (5. 1.) 1649 in Venedig (Teatro San Cassiano); dt. EA (in dt. Sprache unter dem Titel Jason und Medea): 5.6. 1974 in Karlsruhe. Das Libretto geht zurück auf die Argonautensage, die zu den meistbearbeiteten Stoffen der Literaturgeschichte zählt. Im Vordergrund steht jedoch nicht

die Erringung des goldenen Vlieses, sondern die bereits im Prolog angedeutete Beziehung Jasons zu seiner Gattin Isifile einerseits und seiner Geliebten Medea andererseits. Der Konflikt wird gelöst, indem Medea zu ihrem früheren Geliebten Egeo zurückfindet, nachdem dieser sie vor dem Ertrinken rettete. Die klare Trennung von ernsten und komischen Figuren hat der Komponist in den verschiedenen Gesangspartien differenziert nachvollzogen, wobei jedem Charakter möglichst eine eigene melodische Linie zugewiesen wird. Cavallis Vokalstil ist vom dramatisch belebten Rezitativ geprägt, in welches kurze ariose Abschnitte, die einer strengen Durchformung entbehren, eingewoben sind. Das Vorherrschen des Sologesangs unter weitgehendem Verzicht auf Chor- und Instrumentalsätze hat sicher den zeitgenössischen Erfolg des Werkes maßgeblich beeinflußt: noch im Jahr der UA erfolgte eine Aufführung in Paris, und bis 1654 wurde das Libretto fünfmal gedruckt. TH. MENGER JAUBERT, Maurice Jacques Joseph Eugène, *3. 1. 1900 Nizza, t 19.6. 1940 Azerailles-sur-Moselle (Meurthe-et-Moselle); frz. Komponist. J. wurde mit 19 Jahren der jüngste Anwalt Frankreichs. Neben seiner juristischen Ausbildung hatte er intensive Musikstudien betrieben und 1916 den 1. Preis für Klavierspiel am Konservatorium von Nizza erhalten. 1923 wurde er Kompositionsschüler von A. Groz in Paris, wo die Begegnung mit A. Honegger seinen Werdegang als Komponist maßgeblich beeinflußte. Als Komponist von Instrumentalmusik und Liedern bekanntgeworden, leitete er seit 1930 die Filmgesellschaft Pathé-Cinéma, für die er etwa 40 Filmmusiken schrieb. J.s Lieder und Chansons sind in Frankreich noch heute beliebt. WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik; Vokalwerke, u.a. Komp. für SingSt u. KIv. oder Orch., Chor a cap. u. Soli, Chor u. Orch. — Ferner 2 Opern; 3 Ballette, darunter Le jour (1931); Bühnenmusik und etwa 40 Filmmusiken. Lit.: Hommage à M. J. (Montreal 1967); F. PORCILE, M. J., musicien populaire ou maudit (P 1971).

JAUFRÉ RUDEL, * um 1120, t um 1147. Abgesehen von den unzuverlässigen Daten seiner Vida, gibt es nur wenige Hinweise auf seinen Lebenslauf: eines seiner Lieder ist an den Grafen von Toulouse, Alphonse Jordan, ein anderes an Hugues Bruno de Lusignan gerichtet. Marcabru spricht ihn in einem seiner Texte an und belegt J.s Teilnahme am Kreuzzug Ludwigs VII. 1147, von dem er möglicherweise nicht zurückkehrte. Seine Vida berichtet, er habe sich nach Erzählungen von Pilgern, die aus Antiochien kamen, in die Gräfin von Tripolis verliebt, ohne sie jemals gesehen zu haben. Für sie schrieb er Texte und Melodien, die wegen des Mo243

Java

tivs des amor de lonh, der „Fernliebe", zu einer idealen, im Traum gesehenen Frau, von seinen Zeitgenossen geschätzt wurden. Durch die Jahrhunderte hindurch hat dieses Motiv die Dichter inspiriert, so Petrarca, Uhland, Heine, Carducci, Browning und Rostand. Unter den modernen Interpreten deutet zweifellos Leo Spitzer dieses Motiv am überzeugendsten, wenn er in ihm „den bewegendsten Ausdruck dessen sieht", was er „das Paradox der Liebe" nennt, „das die Grundlage der gesamten Troubadourdichtung darstellt: eine Liebe, die nicht besitzen will, aber diesen Zustand des Nicht-Besitzens genießen möchte, eine Liebe, die in dem Maß Minne ist, in dem sie in sinnlicher Sehnsucht die ideale Frau wirklich als Frau berühren, in dem Maß jedoch christliche Liebe, in dem sie — auf den weltlichen Bereich übertragen — die keusche Ferne enthält, die haben und nicht haben möchte." Die literarische und musikalische Hinterlassenschaft J.s ist nicht sehr umfangreich. 11 Stücke sind überliefert, davon 7 mit sicherer Zuschreibung. Die 4 überlieferten Melodien kennzeichnet eine im zeitgenössischen Kontext erstaunliche Weichheit und Sensitivität, die dem Inhalt — so etwa in der Canso Lanquan Ji jorn son Jonc en mai — kongenial scheinen. Das gegen die Vertonung gerichtete Verdikt des „Romantizismus" beruht dagegen eher auf modernen Vorurteilen als auf Sachkenntnis. Lit.: G. CARDUCCI, J. R., poesia antica e moderna (Bol 1888); A. JEANROY, Les chansons de J. R., in: Classiques français du Moyen Age 15 (P 1915); L. ZADE, Der Troubadour J. R. u. das Motiv der Fernliebe in der Weltlit. (Greifswald 1920); L. SPITZER, L'amour lointain de J. R. et le sens de la poésie des troubadours in: Romanische Lit.-Stud. 1936-56 (Tü 1959); F. GENNRICH, Der musikal. NachlaB der Troubadours (Da 1958) (mit den Melodien); P. BEC, Petite anthologie de la lyrique occitane au Moyen Age (Avignon 1966); J. MAILLARD, Anthologie de chants de troubadours (Nizza 1967) (darin Lanquan li jorn); E. FRENZEL, Art. Fernidol, in: Motive der Weltlit. (St 1976). W.-D. LANGE

JAVA /Indonesien.

JAZZ (engl.-amerik.), Bz. für eine Musikart des 20. Jh., die dem afroamerikanischen Kulturkreis entstammt und globale Verbreitung gefunden hat. — J. war ursprünglich (und ist auch heute noch) ein musikalisch neutrales Wort der angloamerikanischen Umgangs- und Vulgärsprache (substantivisch: Koitus, zielgerichtete Kraft, Schnelligkeit, Begeisterung, Raserei), das um 1915 zum Etikett der seither so bezeichneten Musik wurde; seine Etymologie ist nicht voll aufgehellt. Grundlagen. Die Entstehung des J. hat Akkulturationsvorgänge zur Voraussetzung, d. h. kulturelle Vermischungsprozesse, wie sie sich aus dem Aufeinandertreffen afrikanischer und europäischer Kulturen auf nordamerikanischem Boden ergeben 244

haben. Sie waren aber nicht nur für die Entstehung des J. unabdingbar, sondern begleiteten und beeinflußten ihn während seiner Geschichte in ständig vergrößertem und verändertem Rahmen. Der Akkulturationsprozeß vollzieht sich aufgrund seines afrikanischen Anteils schrift- und theorielos. So erfüllen Notationshilfen beim Musizieren lediglich eine Stützfunktion, denn Komponieren und Interpretieren fallen im J. zusammen. Der afrikanische Anteil hat dem J. aber auch ein MaB an Emotionalität mitgegeben, das in der europäischen Musiktradition unbekannt ist. Das Ergebnis ist eine „magische Musik", die körperhaft in ihren Bann zieht. Solange der Akkulturationscharakter — mit der im Traditionsstrom aufgehobenen Erinnerung an die afroamerikanischen Ursprünge (/Afroamerikanische Musik) — sowie die Schriftlosigkeit und die Emotionalität erhalten bleiben, kann von J. gesprochen werden. Die sich aus diesen Phänomenen ergebenden musikalisch-strukturellen Eigentümlichkeiten des J. lassen sich nicht in starren Definitionsformeln, sondern — wie die Eigenarten eines jeden historischen Phänomens — nur fallweise fassen (und auch dies nur unter Berücksichtigung seiner Funktionen, wie sie sich im kulturellen Gesamtzusammenhang ergeben haben und immer neu ergeben). Musikalische Merkmale des frühen Jazz. 1. Rhythmus: Völlig regelmäßig wiederkehrende rhythmische Impulse (/Beat) werden überlagert von kleinsten Akzentverschiebungen (0Off-beat). So entsteht eine neue rhythmische Qualität (/Swing), deren Anteile europäisch und afrikanisch sind. Das Ergebnis ist notationstechnisch nicht faßbar. 2. Tonalität: Beim Aufeinandertreffen der europäischen, diatonischen und der afrikanischen, äquidistanten Achttonskala entsteht das Dilemma, daß diese Skalen sich auf der III. und VII. Stufe nicht zur Dekkung bringen lassen. Dadurch kommt es zu nichtnotierbaren „neutralen" Intonationen dieser Stufen (Blue notes; /Blues) und — durch den Leittonausfall — zur Störung dominantischer Funktionen mit entsprechenden Kompensationen, insgesamt also zu einer Tonalität eigener Prägung (Blues-Tonalität). 3. Intonation: Die Intonationseigenarten gehorchen dem Prinzip der notationstechnisch nicht faßbaren /Hot-Intonation, das im afrikanischen, perkussiven Intonationsideal wurzelt und zur Auswahl geeigneter europäischer Instrumente geführt hat. 4. Tektonik: J. ist gemäß afrikanischen Traditionen von Dialogstrukturen geprägte Ensemblemusik (/Call-and-Response-Pattern). Vollzieht sich das Musizieren aber schriftlos, dann werden Orientierungshilfen und Modelle benötigt, die den musikalischen Ablauf regeln (/Chorus 3). Stücke entstehen dadurch, daß improvisatorische

Jazz

Vergegenwärtigungen des Chorus-Modells gereiht werden, wobei Prinzipien afrikanischer Mehrstimmigkeit Symbiosen mit einem europäischen Harmoniegerüstsystem eingehen. Geschichte. Die Geschichte des J., die im Zusammenhang mit seiner Ausbreitung gesehen werden muß, ist durch häufige und bisweilen tiefgreifende Änderungen des klanglichen Erscheinungsbildes, aber auch durch Renaissancen und historische Synthesen gekennzeichnet. Daher schwankt der „musikalische Sinn" so sehr, daß der J. unterschiedlichen Deutungen (und Mißdeutungen) ausgesetzt gewesen ist — Trivialmusik, Volksmusik, experimentelle Musik — und entsprechend unterschiedliche Funktionen erfüllen konnte und kann. Seit den 80er Jahren flossen in mehreren Städten der USA — u. a. in Kansas City, St. Louis, Memphis und vor allem in New Orleans — verschiedene afroamerikanische Musizierpraktiken und euroamerikanische Gebrauchsmusik zu einer neuen Musik zusammen, die später J. heißt. Ihre Träger waren afroamerikanische Freizeitmusiker, deren Repertoire aus einem breiten musikalischen Fächer vom Marsch über den >'Ragtime bis zum Blues bestand. Nach dem wichtigsten Zentrum hat sich für den J. dieser frühen Phase die Bezeichnung /New Orleans Jazz eingebürgert. — New Orleans wurde 1917 durch den Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg Garnisonstadt. Das zog noch im gleichen Jahr die Schließung des Vergnügungsviertels Storyville — des Hauptschauplatzes afroamerikanischen Musizierens — nach sich. Durch diese Maßnahme, vor allem aber durch die anhaltende afroamerikanischen Binnenwanderung vom Süden in die Ballungszentren des industrialisierten Nordens verlagerte sich das weitere Geschehen, zunächst hauptsächlich nach Chicago. Hier erfuhr der New Orleans J. deutliche Veränderungen: Seine Repräsentanten wurden Berufsmusiker, die Musik erhielt solistisch-virtuose Züge, und zur Planung und sorgfältigen Strukturierung der Stücke wurden spezielle 'Arrangements entwickelt. Bereits in New Orleans konnte die euroamerikanische Bevölkerung Bekanntschaft mit dem J. machen. Das führte zu einer Reihe von Aneignungsversuchen, und zwar in zwei Phasen: in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1900 in New Orleans als /Dixieland-Jazz und in den 20er Jahren in Chicago als /Chicago-Stil. Der Dixieland-Jazz brachte dem J. erstmals Schlagzeilen ein. So stammen auch die frühesten Schallplattenaufnahmen (Original Dixieland Jazz Band) aus dem Jahre 1917, während die afroamerikanischen Musiker erst in den 20er Jahren folgten (in größerem Umfang ab 1923). Diese euroamerikanische J.-Version interpretierte den

Off-beat als Synkope und verlagerte den zweischlägigen Beat von den betonten auf die unbetonten Zählzeiten (bezogen auf den 4/4-Takt). Das Calland-Response-Pattern wurde auf einer harmonischen Grundlage polyphon umgesetzt. Eine Generation später versuchten junge Enthusiasten in Chicago — die Chicagoans —, sich den inzwischen „modernisierten" New Orleans J. anzueignen. Die Binnenwanderung der afroamerikanischen Bevölkerung in den industrialisierten Norden der USA, die Ausbreitung des J., sein Eindringen in euroamerikanische Bevölkerungsschichten, die damit verbundene Dialektik von Wirkung und Rückwirkung — all dies sind Komplementärerscheinungen, die die Akkulturation rasch voranschreiten ließen. So entstand Mitte der 20er Jahre mit der Big Band-Musik eine orchestrale Version des J., die ihn in den 30er und frühen 40er Jahren nahezu ausschließlich repräsentierte. Ein solches Musizieren wäre ohne die Organisationspraktiken europäischer Ensemblemusik nicht denkbar (Arrangement); und sie wiederum verhalfen der >'Funktionsharmonik zum Durchbruch. In rhythmischer Hinsicht führte die Entwicklung zu einem Ausgleich der Betonungsverhältnisse in einem gleichmäßig akzentuierten 4/4-Takt und damit zu einem „Schwingen", das der Musik dieser Phase den gleichen Namen eingebracht hat wie der rhythmischen Besonderheit des J.: Swing. Unter dieser Bezeichnung erzielte der J. eine ungeheure Breitenwirkung, freilich mit der zunehmend einseitigen Akzentuierung als Gebrauchsmusik. Neben die bisherigen Zentren traten New York und Kansas City. Der /Kansas City Jazz verarbeitete insbesondere die Musiktraditionen des amerikanischen Südwestens (Blues, >'Boogie-Woogie, /Riff). In dieser Zeit gewann die Jam session, die schon in New Orleans und Chicago als eine Möglichkeit besonders freizügigen Musizierens bekannt war, große Bedeutung — auch als Experimentierforum, weil sie jenseits beruflich-kommerzieller Rücksichtnahmen einen Freiraum schuf. In den frühen 40er Jahren erschien eine Musik, die sich vehement gegen die alte stellte. Sie erhielt den dadaistischen Namen /Bebop. Der kollektive Perfektionismus der Big Band und wirtschaftliche Zwänge in der Folge des 2. Weltkriegs stellten den orchestralen J. in Frage. Diese Gründe sowie die Anfänge eines schwarzen Nationalismus in den USA machen plausibel, wie junge afroamerikanische Big Band-Musiker in New York (Harlem) buchstäblich über Nacht auf Jam sessions und in Kleingruppen eine Musik erspielten, die sich gegen Imitation und Vermarktung sperrt: die Musik des modernen, intellektuellen Großstadtnegers. — In 245

Jazz den 50er Jahren, in denen Europa Anschluß an das J.-Geschehen gewann, fächerte sich die Szenerie auf. Der Bebop fand eine Fortsetzung mit härter akzentuierten Rhythmen und starken Blues-Ein-

schlägen als /Hardbop. Seine Repräsentanten waren afroamerikanische Musiker, die aus den Industriezentren (Detroit, Philadelphia) nach New York abwanderten. Bereits Ende der 40er Jahre kam es aber auch zu einem entgegengesetzten Pendelschlag durch den Cool Jazz. Stark beeinflußt von der europäischen Musiktradition (etwa durch Kompositionspraktiken des Barock), orientierte sich ein Teil der Musiker an der europäischen, harmonischen Tonalität des 18./19. Jh., während ein anderer die Tonalitätserweiterungen des Bebop aufzunehmen und weiterzuentwickeln versuchte. Ein Zentrum bildete sich an der amerikanischen Ostküste, ein anderes, das nahezu ausschließlich euroamerikanische Musiker repräsentierten, an der amerikanischen Westküste ("West Coast Jazz). Um 1960 kam es zu den bislang größten Umwälzungen im Jazz. Ursprünglich stark von afroamerikanischen Musikern geprägt, wurde aus den Neuansätzen rasch ein globales Phänomen mit pluralistischen Zügen. So erscheint die Leerformel /Free Jazz (O. Coleman), die sich zur Kennzeichnung dieser Musik durchgesetzt hat, durchaus sinnvoll: durch bewußte Avantgarde-Absichten, die vielfach mit politischen und religiösen Motiven verflochten sind, und durch das Infragestellen zahlreicher traditioneller Prinzipien (Beat, Chorus, Blues-/harmonische Tonalität) zugunsten neuer musikalischer Organisations- und Kommunikationsformen bis hin zur Verarbeitung von Geräuschen und Multimedia-Elementen. Doch flachten diese Ansätze in den 70er Jahren merklich ab zu einer erfolgsorientierten, stark elektrifizierten „Fusion Music", die die Grenzen zu Rock- und Trivialmusik streift. Der seit dem Bebop-zunehmend hermetische Charakter des J. und die Erforschung seiner Grundlagen und seiner Geschichte, die in den 40er Jahren konzentriert einsetzt, führten um 1940 zu einer Renaissance früher Musizierpraktiken (Dixieland Revival). Mit der fortschreitenden Geschichte, die beim Bebop keineswegs haltmachte, und dem Nebeneinander mehrerer Musikergenerationen bildete sich aber auch ein Mainstream J. (St. Dance), in dem Unterschiedliches profillos seinen Platz hat. Aus der Rückschau kam es ferner zu generalisierenden Bezeichnungen für größere Abschnitte der J.-Geschichte, so — unter rhythmischen Aspekten — zu Two-beat J. für die Frühphase (bis gegen Ende der 20er Jahre), so zu Traditional J. für die gesamte Zeit vor dem Bebop, so zu /Modern Jazz für die Musik nach dieser Zäsur. 246

Rezeption. Der J. verfügt seit nahezu 3 Generationen über eine starke Ausstrahlungskraft, so daß er seinen ursprünglichen, d. h. ethnischen, schichtenspezifischen und funktionalen Geltungsrahmen weltweit überschreiten konnte und zu einem allgegenwärtigen Phänomen der Zeitgeschichte geworden ist. Der Rezeptionsvorgang macht sich in den unterschiedlichsten Bereichen bemerkbar. So war und ist der J. eine Anregung für Literatur (René Schickele) und Bildende Kunst (Henri Matisse); ein seelsorgerisches Mittel im Gottesdienst der christlichen Konfessionen (J.-Messen, jazz-beeinflußte religiöse Schlager); eine politische Größe (ideologische und administrative Auseinandersetzungen in der Sowjetunion); ein Marktprodukt mit industriellem Fertigungscharakter (Schallplattenkonzerne); eine geradezu unerschöpfliche Quelle, der Trivialmusik neue Impulse zu geben (Tanz- und Schlagermoden). — Zu denjenigen, die als erste auf den J. bzw. bereits auf seine Vorboten aufmerksam gemacht haben, zählen Komponisten der europäischen Musiktradition. Die Motive für eine Auseinandersetzung wechseln, ebenso der Grad der kompositorischen Einschmelzung, der bis zu Versuchen reicht, in einer genuinen Synthese zu einem Third Stream (G. Schuller) zu kommen. Die Unterschiedlichen Ergebnisse — von Cl. Debussy und M. Ravel über I. Strawinsky und G. Gershwin bis zu B. A. Zimmermann und K. Penderecki — hängen stark vom jeweiligen Musik- und Kompositionsverständnis ab. Lit.: N. SHAPIRO - N. HENTOFF, Hear Me Talking to Ya. The Story of J. (NY 1955 u.ö.), dt. Übers.: J erzählt (Mn 1959, NA 1962); O. KEEPNEWS - B. GRAUER, A Pictorial History of J. People and Places from New Orleans to Modern J. (NY 1955, 2 1966); L. FEATHER, The Encyclopedia of J. (Lo 1955, 3 1978); A. HODEIR, J. Its Evolution and Essence (NY 1956); M. W. STEARNS, The Story of J. (NY 1956); A. M. DAUER, Der J. Seine Ursprünge und seine Entwicklung (Kas Eisenach 1958); F. NEWTON, The J. Scene (Lo 1959); A. M. DAUER, J. -die magische Musik (Bremen 1961); L. FEATHER, The Encyclopedia of J. in the Sixties (NY 1966); A. ASRIEL, J. Analysen u. Aspekte (B 1966, 21977); J. Aktuell, hrsg. v. C. SCHREINER (Mz 1968); G. SCHULLER, Early J. Its Roots and Musical Development (NY 1968); C.G. HERZOG ZU MECKLENBURG, International J. Bibliography. J. Books from 1919 to 1968 (Str - Baden-Baden 1969), Suppl., in: Beirr. z. Jazzforsch. (Gr 1971, 1975); A. M. DAUER, Improvisation. Zur Technik der spontanen Gestaltung im J., in: Jazzforsch. 1 (1970); H. RAUHE, Der J. als Objekt interdisziplinärer Forsch. Aufgaben u. Probleme einer systematischen Jazzwiss., in: ebd.; J. CHILTON, Who's Who of J. Storyville to Swing Street (Lo 1970); C. BONLÄNDER - K. H. HOLLER, Reclams Jazzführer (St 1970, 2 1977); B. RUST, J. Records 1897-1942, 2 Bde. (Lo 1970-72); E. SOUTHERN, The Music of Black Americans. A History (NY 1971); E. JOST, Zum Problem des politischen Engagements im J., in: Jazzforsch. 5 (1974); J. E. BERENDT, Das Jazzbuch (F 1953, '1973, oft nachgedruckt); L. FEATHER, The Encyclopedia of J. in the Seventies (NY 1976); J. E. BERENDT, Photo-Story des J. (F 1978); J. L. COLLIER, The Making of J. A Comprehensive

JehmGch History (Lo 1978); J. HUNKEMOLLER, Zur Gattungsfrage im J., in: AfMw 36 (1979); DERS., Die Rolle der Schallplatte im J., in: Jazzforsch. 12 (1980). — Jazzforschung, hrsg. v. F. KÖRNER — D. GLAwISCHNIG (W 1970ff.) (bisher 7 Bde.). J. HUNKEMOLLER

JAZZROCK /Electric Jazz. JEAN DE PARIS, Opéra-comique von Fr. A. Boieldieu; dt. Titel: /Johann von Paris.

JEANNE D'ARC AU BÛCHER, Szenisches Oratorium von A. Honegger; dt. Titel: /Johanna auf dem Scheiterhaufen. JEAN PAUL (eig. Johann Paul Friedrich Richter), * 21. 3. 1763 Wunsiedel (Fichtelgebirge), t 14. 11. 1825 Bayreuth; dt. Dichter. J. P. studierte Philosophie und Theologie in Leipzig, war kurze Zeit Privatlehrer und lebte dann in Schwarzenbach, Hof, Weimar, Berlin, Meiningen, Coburg und seit 1804 in Bayreuth. 1796 lernte er J. Fr. Reichardt kennen, 1810 E. T. A. Hoffmann. Wichtige musikalische

Reisen nach Frankreich und Italien. 1613-35 war er Kapellmeister am Hof von Weikersheim, 1637-40 Domkapellmeister und Organist in Frankfurt am Main und seit 1642 Kapellmeister in Hanau. J.s großes Ansehen als Komponist beruht in erster Linie auf seinem Studentengärtlein. Diese Sammlung mehrstimmiger, meist homorhythmisch gesetzter Strophenlieder in der Tradition der Kanzonetten H. L. Haßlers wurde ihrerseits Vorbild für ähnliche Schöpfungen von J. H. Schein, J. Rosenmüller u. a. deutscher Komponisten des 17. Jh. WW: Geistliche Psalmen u. Kirchengesäng für 4 St. (Nü 21609 u. ö.); Schöne auserlesene, liebliche Tricinia (Nü 1610); Geistliche Psalmen u. Kirchengesänge (Nü 1629 u. ö.) (= erw. Neuaufl. von E. Widmanns Geist'. Psalmen und Lieder, Nü 1604); Studentengärtlein, 2 Tle. (Nü 1614 u. 6.); Hymnus hymenaeus (Hanau 1640); ein 4st. Tanz, in: RISM 1611 23. Ausg.: Studentengärtlein, hrsg. v. R. GERBER (1958) (= EDM 29). Lit.: W. VETTER, Das frühdt. Lied, 2 Bde. (Mr 1928); G. GIESEKE, J. J. in: Zschr. der Ges. für niedersächsische Kirchengesch. 41 (1936); W. BRENNECKE, Die Leichenpredigt auf J. J., in: AfMw 15 (1958); DERS., Das Hohenlohesche Gesangbuch v. 1629 u. J.J., in: JbLH 4 (1959).

Eindrücke empfing er auch durch Die Schöpfung und mehrere Symphonien J. Haydns, ferner durch Werke von J. A. Hasse, C. H. Graun, G. Benda, C. Stamitz, Mozart, Gluck und E. N. Méhul. Ein Konzert von Stamitz im Jahr 1792 inspirierte ihn zu dem Roman Hesperus. J. P.s Anschauung von Musik, die er in einer idealen, transzendenten Sphäre angesiedelt sah, wie auch seine humoristisch-satiri-

schen, oft das Groteske streifenden, bildhaft-eindringlichen Werke, die als bevorzugte Themen die kleinbürgerliche Wirklichkeit und den Gegensatz von Idealität und Realität behandelte, beeinflußte zahlreiche Komponisten, darunter besonders R. Schumann, dessen musikalische Charakterzeichnungen seinem Vorbild folgen. Aus späterer Zeit ist G. Mahler zu nennen, der seine 1. Symphonie nach J. P.s Roman den Beinamen Titan gab. Seit 1980 gibt es in Bayreuth ein J. P.-Museum. Lit.: J.-P.-Bibliogr., hrsg. v. E. BEREND (B 1925), bearb. u. ergänzt v. J. KROGOLL (St 1963); W. SCHREIBER, J. P. u. die Musik (Diss. L 1929); J. KOTZ, Der EinfluB J. P.s auf R. Schumann (Wr 1933); G. SCHUNEMANN, J. P.s Gedanken zur Musik, in: ZfMw 16 (1934); G. JAGER, J. P. u. die Musik (Diss. Tü 1952); E. RAPPL, Die Musik im Prisma J. P.scher Erkenntnis (Tii 1955); J. MITTENZWEI, Die Beziehungen zw. Musik u. Empfindsamkeit in den Romanen J. P.s, in: Das Musikalische in der Lit. (Hl 1962); J. HERMAND, Der vertonte „Titan", in: Hesperus (1965) Nr. 29; PH. HAUSSER, J. P. und Bayreuth (Bayreuth 1969).

JEEP, Johann, * 1582 (1581?) Dransfeld bei Göttingen, t 19.11.1644 Hanau; dt. Komponist. J. war Chorknabe an der Hofkapelle von Celle, ging spä-

ter, vermutlich zur weiteren musikalischen Ausbildung, nach Nürnberg und Altdorf und unternahm

JEHAN BODEL (Jehans Bodeaus), *um 1165, t Februar oder März 1210 Beaurain; frz. Trouvère. J. lebte, zunächst als Jongleur, in Arras. 1194 wurde er dort Gerichtsdiener am Schöffenamt. Wegen einer Lepraerkrankung mußte er sich 1202 in die Aussätzigenanstalt von Beaurain zurückziehen. Zum Abschied schrieb er für seine Freunde berühmt gewordene Congés. Außerdem sind von ihm ein Jeu de saint Nicolas, die Chanson des Saisnes, 8 Fabliaux, La Chanson des deux chevaux und 5 Pastourellen (mit Musik) überliefert. Ausg. u. Lit.: Texte der Pastourellen, in: C. BARTSCH, Altfrz. Romanzen u. Pastorelle (L 1870); H. PETERSEN-DYGGVE, Onomastique des trouvères (He 1937); CH. FOULON, L'o:uvre de J. B. (P 1958); P. REULLE, Les Congés d'Arras (Bru — P 1965); J. MAILLARD, Anthologie de chants des trouvères (P 1967).

JEHMLICH, dt. Orgelbauerfamilie. Die Brüder Friedrich Gotthelf (1775-1827) und Johann Gotthold errichteten 1808 in Dresden eine Werkstatt. Ihr Bruder Karl Gottlieb (1786-1867) gründete 1839 in Zwickau eine eigene Firma. Beide Werkstätten wurden später von Karl Eduard (1824.-1889) und Wilhelm Friedrich (1826-1874) übernommen. Die Söhne Karl Eduards, Emil (1854-1940) und Bruno (1857-1940), führten die Dresdener Werkstatt als „Gebrüder J." weiter. Ihre Nachfolger waren Emils Söhne Rudolf (1908 bis 1970) und Otto (* 1903). 1972 wurde die seit Mitte des 19. Jh. im sächsischen Raum führende Werkstatt in die „VEB Orgelbau Dresden" umgewandelt. Die Firma baute u. a. die Orgeln von 247

Jelich St. Johannis in Zittau (1839; 3 Man., 55 Reg.), St. Pauli in Chemnitz (1880; 3 Man., 46 Reg.), St. Marien in Zwickau (1891; 3 Man., 76 Reg.), der Kreuzkirche in Dresden (1900; 4 Man., 88 Reg.; Neubau 1962; 4 Man., 76 Reg.), der Stadthalle in Karl-Marx-Stadt (1976; 4 Man., 67 Reg.) und der Konzerthalle in Magdeburg (1979; 4 Man., 63 Reg.). Lit.: F. OEHME, Hdb. über ältere, neuere u. neueste Orgelwerke im Königreiche Sachsen, hrsg. v. W. Hackel, 4 Bde. (L 1978). H. J. BUSCH

JELICH (Jelicich), Vincenz, * 1595/96 Fiume, t 1636 oder später; kroatischer Komponist. J. wurde 1606-09 als Kapellknabe der Grazer Hofkapelle Erzherzog Ferdinands durch M. Ferrabosco ausgebildet. 1610-16 studierte er an der Jesuitenuniversität in Graz. 1615 wurde er Instrumentalist der Grazer Hofkapelle und 1617 Tenorist an der Hofkapelle Erzherzog Leopolds in Zaberu (Elsaß). 1618 empfing er in Zaberu die Priesterweihe und ist als Hofkaplan, Vikar und zuletzt als Kanonikus noch bis 1636 dort nachweisbar. WW: Parnassia militia, op. 1 (Str 1622), darin 24 Concerti für 1-4 St. u. B.c. u. 4 Ricercari; Arion primus, op. 2 u. Arion secundus, op. 3 (Str 1628) (darin 34 Concerti für 1-4 St., Vesperpsalmen u. a.).

J.s geistliche Generalbaßkonzerte stehen in der Nachfolge der Concerti ecclesiastici von L. Viadana, nähern sich jedoch im op. 1, das — z. T. gattungsmäßig bedingt — modernere Züge als op. 2 und 3 aufweist, durch affektbestimmten Ausdruck, Tempokontraste und Chromatik den Gestaltungsprinzipien der Florentiner Camerata. Die 4 2st. Bläser-Ricercare setzen dagegen die niederländisch-deutsche Tradition der Motette fort und stehen den nahezu 100 Jahre älteren Bläser-Fugen J. Walters nahe. Lit. u. Ausg.: H. FEDERHOFER, V. J., in: AfMw 12 (1955); A. VIDAKOVIC, V. J. i njegova zbirka duhovnih koncerata i ricercara Parnassia militia (Zagreb 1957) (= JAZU. Odjel za muzičku um jetnost II/ 1) (darin vollständige Ausg. der Parnassia militia); DERS., 6 Motetten aus Arion 1 (Gr 1957) (= Musik alter Meister 5); 4 Ricercare, hrsg. v. W. EHMANN (Kas 1966); H. FEDERHOFER, Musikpflege u. Musiker am Grazer Habsburgerhof der Erzherzöge Karl u. Ferdinand v. Inneröstr. 1564 bis 1619 (Mz 1967); L. ŽuPANovIC, Osamnaest moteta iz zbirke „Anion primus 1628" (Zagreb 1974) (= Monuments de la musique Croate antique 5) (darin Ausg. v. Arion I); DERS., Arion secundus 1628 (ebd. 1977) (= ebd. Neue Reihe 8) (darin Ausg. v. Arion II).

H. FEDERHOFER

JELÍNEK /Gelinek. JELINEK, Hanns, * 5.12.1901 Wien, t 27.1.1969 ebd.; östr. Komponist und Musikpädagoge. J. studierte 1918-19 einige Monate bei A. Schönberg in Wien (Harmonielehre, Kontrapunkt) und anschlie248

Bend bei A. Berg sowie 1920-22 an der Wiener Musikakademie bei Fr. Schmidt Klavier, Harmonielehre und Kontrapunkt, war aber im wesentlichen Autodidakt. Seine profunden Kenntnisse der Zwölftontechnik eignete er sich Ende der 20er Jahre durch die Analyse der ersten dodekaphonischen Werke A. Schönbergs, A. von Weberns und A. Bergs an. Er erprobte das Verfahren später dann in eigenen Werken (erstmals in strenger Weise im 2. Streichquartett op. 13, 1934/35) und stellte es schließlich in dem Lehrbuch Anleitung zur Zwölftonkomposition (1952-58) systematisch dar. Um zu zeigen, wie man mit dieser Technik lebendige, gute Musik schreiben kann, aber auch um eine ideale Beispielsammlung für den Unterricht zur Hand zu haben, schuf er sein Zwölftonwerk op. 15 (1947-52), eine Gruppe von Klavier- und Kammermusikwerken, die sämtlich auf einer einzigen Zwölftonreihe basieren und typische Probleme des dodekaphonen Satzes exemplifizieren. Der Einführung von Klavierschülern in die Klangwelt der Dodekaphonie diente J. seine Zwölftonfibel op. 21 (1953-54). 1958 wurde er Kompositionslehrer an der Wiener Musikhochschule (1965 Professor). Sein umfangreiches kompositorisches Schaffen enthält neben dodekaphonischen Werken auch tonale Kompositionen, außerdem Schlager, Jazz, elektronische Musik und eine satirische Operette, Bubi Caligula. WW: 1) Kompositionen: Praeludium, Passacaglia u. Fuge (1922) für Nonett (oder Kammerorch.); 2 Streichquartette (1931, 1934/35); Suite für Streichernonett (oder Streichorch.) (1931); Zwölftonwerk, 9 Teile, 1-5: Klavierwerke (1947-49), 6: Vier Kanons für zwei Fl. (1950), 7: Sonatina a tre für Ob., Englischhorn u. Fag. (1951), 8: Divertimento für Es-Klar., B-Klar., Bassetthorn u. BaBklar. (1950-52), 9: Trio für V., Va. u. Vc. (1950); Zwölftonfibel für Klv., 6 Doppelh.e (1953/54); Sonate für V.solo (1957); 10 Zahme Xenien (1959) für V. u. Klv. - Für Orch.: 6 Symphonien, 1: D-Dur (1926-30, Neufassung 1945/46), 2: Sinfonia ritmica für Bigband u. groBes Orch. (1929, Neufassung 1949), 3: Heitere Symphonie für Blechblasinstr. u. Schlagzeug (1930/31), 4: Sinfonia concertante für Streichquartett u. groBes Orch. (1931, Neufassung 1953), 5: Symphonia brevis für groBes Orch. (1948), 6: Sinfonia concertante (1953, Neufassung 1957); Vorspiel zu einer Komödie (1928/29); Sonata ritmica (1928, Neufassung 1960) u. Rondo Rather Fast (1929) für Jazzband u. Orch.; Concertino für Solostreichquartett u. Streichorch. (1950/51); Phantasie für Klar., Klv. u. Orch. (1951); Preludio solenne (1956); Rai buba (1956-61) für Klv. u. Orch.; Parergon (1957) (Instrumentation v. 5 Klv.-Stücken aus dem Zwölftonwerk). - Vokalwerke, u. a.: 8 Lieder für mittlere St. u. Kammerorch. (1919-23); Ganymed (1927-29) (nach J. W. v. Goethe) für hohe St. u. Orch.; An Schwager Kronos (1927) u. Prometheus (1936) (beide nach dems.) für Bar. u. Orct. - Ferner die Operette Bubi Caligula (1947-53) u. das Ballett The Dances Around the Steel Blue Rose (1956-59). - 2) Schriften: Anleitung zur Zwölftonkomposition, 1: Allgemeines u. Vertikale Dodekaphonie (W 1952, 2 1967); 2: Horizontale Dodekaphonik, Kombinationen u. Ableitungen (W 1958, 21967); Die krebsgleichen Allintervallreihen, in: AfMw 18 (1962); Studienmaterial für den Zugang zur Zwölftonkomposition, in: OMZ 20 (1965).

Jenkins Lit.: F. WILDGANS, H. J., in: MGG VI; H.F. REDLICH, H. J., in: MR 21(1960); W. SZMOLYAN, Ostr. Staatspreisträger 1966. H.J., in: OMZ 22 (1967). W. SZMOLYAN

JEMNITZ, Sándor, * 9.8.1880 Budapest, t 8.8. 1963 Balatonföldvár; ung. Komponist, Musikschriftsteller und Dirigent. J. studierte 1912-18 an der Landes-Musikakademie in Budapest, später in Leipzig bei M. Reger und K. Straube. 1917-21 war er als Kapellmeister in mehreren Städten tätig und ging 1921 nach Berlin, wo er noch eine Meisterklasse A. Schönbergs besuchte. 1924 ließ er sich wieder in Budapest nieder und arbeitete als Musikkritiker für die Zeitung Népszava. J. schrieb wie Reger einen dichten, kontrapunktischen Satz, dessen lineare Ornamentik bisweilen Einflüsse von Zigeunermusik oder orientalischer Musik aufweist. Seine Harmonik, die in mancher Hinsicht an Schönbergs „expressionistische" Phase erinnert, erreicht die Grenzen der Tonalität, ohne sie jedoch wirklich aufzugeben. WW: 1) Kospositionen: Zahlr. KIv.-Stücke; Trp.-Quartett, op. 7 (1925); 3 V.-Sonaten, op. 10 (1920), op. 14 (1920) u. op. 22 (1923); Konzert für Kammerorch., op. 12 (1931); Praeludium u. Fuge, op. 13 (1933) für Orch.; Streichquartett, op. 55 (1950); Konzert für Streichorch., op 61 (1954); 2 Org.-Sonaten, op. 68 (1955) u. op. 72 (1957); Trio für FI., Ob. u. Klar., op. 70 (1956). — 2) Scbritten: Schumann élete leveleiben (Budapest 1957); F. Mendelssohn Bartholdy (ebd. 1958); F. Chopin (ebd. 1960); W. A. Mozart (ebd. 1961); Persönliches über B. Bartók (Gr 1963); ausgew. Musikkritiken erschienen als: J. S. válogatott zenekritikái, hrsg. v. V. Lampen (Budapest 1973).

JENAER LIEDERHANDSCHRIFT, ein in der Universitätsbibliothek Jena (Sigle J) aufbewahrter, heute 133 Blätter umfassender Pergamentkodex aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Als Auftraggeber kommen Rudolf I., Herzog von Sachsen -Wittenberg oder Landgraf Friedrich der Ernsthafte von Thüringen in Frage. Die J. L. enthält Lieder und Leiche von 28 namentlich genannten Autoren und den sog. „Wartburgkrieg". Die J. L. umfaßt in 3 Lagen: 1. kleinere Dichter des nieder- und mitteldeutschen Raumes; 2. Wizlaw von Rügen und 3. berühmte zeitgenössische Sangspruchdichter, darunter auch Oberdeutsche (u. a. Heinrich von MeiBen und Konrad von Würzburg). Die Anordnung erfolgt — wie bei allen großen mittelhochdeutschen Liederhandschriften — nach Tönen (insgesamt 102 Töne mit über 940 Strophen). Ein durchgehendes Ordnungsprinzip in der Tonfolge ist nicht auszumachen. Dafür liegt innerhalb der Töne eine Ordnung inhaltlicher Art vor: 1. religiöse Strophen, 2. allgemeine Themen der Spruchdichtung, 3. persönliche und politische Strophen. Die späthöfischen Sangsprüche, meist religiös-lehrhaften Inhalts, sind im späten 13. Jh., vereinzelt im frühen 14. Jh. entstanden. Ihre Sprachform ist

Schriftmitteldeutsch, das aber deutlich den niederdeutschen Schreiber verrät. Die musikhistorische Bedeutung der J. L. liegt in den 91 Melodien (davon 4 fragmentarische und 2 Leiche). Von einigen Fragmenten abgesehen, ist sie die früheste und bedeutendste deutschsprachige Quelle mittelalterlicher Liedkunst. Die Melodien sind in Quadratnoten (ohne Mensurbedeutung) von einem Notator aufgezeichnet, der auch korrigierend in die Texte eingegriffen hat. Die Töne weisen bis auf zwei Ausnahmen die Barform (7Bar) auf, z. T. in verschiedenen Ausprägungen und mit mannigfachen Übergängen. Die einfache Kanzone und die Rundkanzone auf der einen Seite und die Repetitionsformen auf der anderen bilden die Pole, zwischen denen sich das musikalische und metrische Geschehen vollzieht. Die formengeschichtliche Stellung der J. L. liegt also zwischen Minnesang — dessen Strophenbildung durch freie, aber in sich gegliederte Gestaltung charakteristisch ist — und dem Meistersang, in dem die musikalisch-metrischen und reimtechnischen Variationsmöglichkeiten durch eine schematische Addition von Bauteilen abgelöst wird. Ausg.: Die J. L. in Lichtdruck, Faks.-Ausg. hrsg. v. K. K. MOLLER (Jena 1896); G. HOLZ — F. SARAN — E. BERNOULLI, Die J. L., I: Getreuer Abdruck des Textes, II: Übertragung, Rhythmik u. Melodik (L 1901, Nachdr. Hil 1968); Die J. L., Faks.-Ausg. hrsg. v. F. GENNRICH (Langen 1963) (= Summa musicae medii aevi 11); Die J. L., hrsg. v. H. TERVOOREN — U. MÜLLER (Gö 1972). Lit.: Übersicht bei TERVOOREN — MÜLLER, s. o. Ausg.; E. PICKEROTH-UTHLEB, Die J. L. Metrische u. musikal. Unters. (Gö 1975); H. BRUNNER, Die alten Meister. Stud. zur Überlieferung u. Rezeption der mittelhochdt. Sangspruchdichter im Spätmittelalter u. in der frühen Neuzeit (Mn 1975). H. TERVOOREN

JENKINS, John, * 1592 Maidstone, t 27.10. 1678 Kimberley (Norfolk); engl. Lautenist, Violist und Komponist. J. wurde als Lauten- und Lyra-ViolVirtuose in Adelskreisen bekannt und besonders durch die Familien Dering und L'Estrange gefördert. 1625-40 war er Kammermusiker König Karls I. und lebte dann im Haus von Lord North in Kirtling, dessen Söhne er 1660-67 unterrichtete. Nach der Restauration wurde er Theorbist der Private Musick Karls II. Zuletzt fand er Aufnahme im Schloß von Sir Philip Wodehouse in Kimberley. WW: 1) lnstr.-WW: Hsl. erhalten: mehr als 100 Fancies für 2-6 Instr.; 2 In nomine für 6 Instr.; zahlr. Suiten und Consorts für 2-4 Instr.; in Sammeldrucken 1652-1682: zahlr. Lessons für LyraViol, Tanzsätze für 1-2 Instr. u. Laute od. Virginal, 1 Satz für Cister. — 2) Vokal-WW: in Sammeldrucken 1652-1678 erschienen einzelne Catches u. Rounds, Airs für 1-2 St. u. B.c. bzw. Violen, 1 Elegie auf den Tod von W. Lawes.

J. gehört zu den bedeutendsten Instrumentalkomponisten seiner Zeit in England. Am bekanntesten 249

Jenko wurde er durch seine zahlreichen Fancies für Violenensemble, meist Jugendwerke, die zu ihrer Zeit zum festen Repertoire der englischen Hausmusik gehörten, trotz ihrer Beliebtheit aber nicht gedruckt wurden. Sie sind überwiegend im dichten polyphonen Satz gehalten, während spätere Kompositionen für 2 Instrumente und Baß deutlich das Vorbild der italienischen Triosonate mit Basso continuo erkennen lassen. Einige Stücke weisen auch auf die Sonaten H. Purcells hin. Ausg.: Fantasy-Suiten Nr. 4 G-Dur u. Nr. 5 C-Dur, hrsg. v. C. ARNOLD (Lo 1957); 7 Fantasien für 3 St., hrsg. v. N. DOLMETSCH (Kas 1957) (= Hortus mus. 149); Consort Music of Four Parts, hrsg. v. A. ASHBEE (Lo 1969) (= Mus. Brit. 26); Consort Music of Six Parts, hrsg. v. D. DEART (Lo 1977) (= ebd. 39). Lit.: P. J. W ILLETTS, Sir N. Le Strange and J.J., in: ML 42 (1961); V. DUCKLES, J. J.'s Settings of Lyrics by G. Herberts, in: MQ 48 (1962); P. J. W ILLETTS, Autograph Music by J. J., in: ML 48 (1967); J.T. JOHNSON, How to „Humour" J.J.' Three-Part Dances, in: JAMS 20 (1967); R.A. WARNER, J.J.' Four-Part Fancy in C minor, in: MR 28 (1967); A. ASHBEE, The Four-Part Consort Music of J.J., in: Proc. R. Mus. Assoc. 46 (1969); A.C. COXON, A Handlist of the Sources of J. J.'s Vocal and Instr. Music, in: Royal Music Assoc. Research Chronicle (1971); A. ASHBEE, Towards the Chronology and Grouping of Some Airs by J. J., in: ML 55 (1974).

JENKO, Davorin, * 9. 11. 1835 Dvorje bei Cerklje, t 25. 11. 1914 Laibach; slowenischer Komponist. J. studierte Jura und gleichzeitig Musik am Konservatorium in Wien. 1863-65 war er Chordirigent in Pančevo, leitete 1865-77 den Belgrader Gesangverein und wirkte 1871-1902 als Kapellmeister am Nationaltheater in Belgrad. J. gehört zu den Wegbereitern der slowenischen und besonders der serbischen Musik, deren erster Bühnenkomponist er war. Von seinen Opern erzielte Vračara (Die Zauberin) den größten Erfolg. Lit.: D. CVETKO, D. J., Doba, življenje, delo (Ljubljana 1955) (mit frz. Zusammenfassung).

JENSEN, Adolf, * 12. 1. 1837 Königsberg, t 23. 1. 1879 Baden-Baden; dt. Komponist und Pianist. J. studierte bei Louis Ehlert, Fr. Marpurg und Fr. Liszt. Seit 1856 war er Musiklehrer in der russischen Stadt Grodno und 1857-58 Kapellmeister in Posen, Bromberg und Kopenhagen. Nach Konzertreisen durch Skandinavien kehrte er 1860 nach Königsberg zurück, wo er als Leiter der Musikalischen Akademie, Lehrer und Pianist das Musikleben der Stadt nachhaltig förderte. 1866-68 war er Klavierlehrer an C. Tausigs Berliner Akademie. WW: Zahlr. Klv.-Stücke, u.a.: Innere Stimmen, op. 2; Deutsche Suite, op. 36; Wanderbilder, op. 17 (darin Die Mühle); Hochzeitsmusik, op.45; Der Gang der Jünger nach Emmaus, op.27 für Orch.; 2 Chöre mit Hörnern u. Harfen, op. 10 u. Chorlieder, op. 28 u. 29; Liederzyklen, u. a.; Dolorosa (nach A. v. Chamissos Tränen), op. 30; Gaudeamus (12 Lieder v. V. von Scheffel), op. 40; 2

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Hefte aus E. Geibels u. P. Heyses Spanisches Liederbuch, op. 4 u. 21, ferner Romanzen u. Balladen, op.41; eine Oper Turandot.

Als Liedkomponist steht J. in der unmittelbaren Tradition R. Schumanns. Seine späten, oft durch die

nordische Musik inspirierten Liederzyklen zeigen in der selbständigen Behandlung des Klaviersatzes und in der Wahl durchkomponierter, teils rezitativisch gehaltener Formen dramatische Gestaltungskraft und innere Geschlossenheit. In seinen Klavierwerken, in denen er später auch Einflüsse Fr. Liszts und vor allem Fr. Chopins aufnahm, pflegte J. besonders die kleineren Gattungen. Einen besonderen Rang nehmen die Idyllen op. 43 ein. Lit.: A. NIGGLI, A. J. (B 1900); G. SCHWEIZER, A. J. als Liederkomponist (Diss. Gießen 1932); F. BASER, Der Nachlaß des Liedmeisters A. J., in: Musica 7 (1953); G. PUCHELT, Verlorene Klänge. Stud. z. dt. Klaviermusik 1830-80 (B 1969).

JENSEN, Ludvig Paul Irgens, *13. 4. 1894 Oslo, Piazza Armerina (Sizilien); norwegischer Komponist. Er studierte zunächst Philologie und Philosophie und bildete sich dann durch Studienaufenthalte in Deutschland und Paris in Komposition und Musiktheorie aus. Aufgrund staatlicher Zuwendungen konnte er sich später ganz der Komposition widmen. Seine stark von der norwegischen Volksmusik beeinflußten Werke weisen bei subtiler Behandlung der Form und Verwendung polyphoner Satztechniken einen differenzierten Sinn für Klanglichkeit auf.

t 11.4.1969

WW: Sonate für V. u. KIv. (1924); Quintett für Klv. u. Streichquartett (1931); für Orch.: Variationen u. Fuge (1925), umgearbeitet als: Tema con variazioni (Oslo 1949); Passacaglia (1926); Canto d'omaggio (1950). — Japanischer Frühling, op. 2 (1928), 9 Lieder für Sopran u. Orch., endgültige Fassung (1956); Oratorium Heimferd (1929) für Chor u. Orch., umgearbeitet als Oper (1947). — Bühnen-WW: Kinderstück Kong Baldvines arming (1937); Drama Driftekaren (1938) u. Schauspiel Robin Hood (1945). Lit.: B. KORTSEN, Noen modale saertrekk i L. I. J.s musikk, in: Norsk musikktidsskrift 2 (1967); DERS., Contemporary Norwegian Orchestral Music (B 1969).

JENUFA (urspr.: Její Pastorkyňa = Ihre Ziehtochter), Oper aus dem mährischen Bauernleben in 3 Akten von Leoš Janáček (1854-1928), Text vom Komponisten nach dem im Nov. 1890 aufgeführten Drama Ihre Ziehtochter von Gabriela Preissová (1862-1946). Ort und Zeit der Handlung: Ein Dorf in Mähren, im 19. Jahrhundert. UA: 21. 1. 1904 in Brno (Brünn) unter der Leitung von C. M. Hrazdira; EA in dt. Sprache: 16.2. 1918 in Wien; dt. EA: 16. 11. 1918 in Köln. Im Zentrum der Oper steht nicht, wie der von Max Brod gewählte Titel vermuten läßt, das Bauernmädchen Jenufa, sondern die Küsterin Buryja, deren Ziehtochter Jenufa ist. Die Küsterin ertränkt, um Jenufa die ehrenhafte Heirat mit Laca Kiemen

Jerger zu ermöglichen, deren aus einer Liebesbeziehung mit Lacas Stiefbruder Stewa hervorgegangenen unehelichen Sohn. Sogar die ,guten` Charaktere werden in diesem Drama schuldig; einen oberflächlichen Kontrast von Gut und Böse gibt es nicht. Jede der durch ihren unwandelbaren Charakter statischen Figuren handelt, wie es die gesellschaftlichen Normen und Vorurteile der Dorfgemeinschaft fordern. So kann Jenufa der Küsterin verzeihen, und es wird möglich, daß Jenufa und Laca, gereift durch eigene Schuld, vereint werden. Die eigentliche Dramatik spielt sich auf psychologischer Ebene, im Entscheidungsringen der Hauptpersonen ab. In den Monologszenen gelingt es Janáček, wie später z. B. Schönberg mit Erwartung, ein virtuoses musikalisches Psychogramm der mit Extremsituationen konfrontierten Individuen zu entwerfen — dies gilt insbesondere für die Monologe der Küsterin (II. Akt, 5. Szene) und Jenufas (II, 6), in denen das Ideal einer Melodie des gesprochenen Wortes musterhaft verwirklicht wurde. Der Komponist gestattete seinen Dirigenten zahlreiche Eingriffe in das Werk. Die meisten Korrekturen, die K. Kovařovic für die Prager EA vom 26.5. 1916 vornahm, wurden bis heute beibehalten. R. QUANDT JEPPESEN, Knud Christian, *15. 8. 1892 Kopenhagen, t 16.4. 1974 Aarhus; dänischer Musikforscher. J. studierte Komposition bei C. Nielsen und Musikwissenschaft bei Th. Laub sowie an der Universität Kopenhagen bei A. Hammerich. 1922 promovierte er bei G. Adler in Wien mit einer Schrift über den Palestrinastil. Nach Kopenhagen zurückgekehrt, lehrte er dort 1920-47 Musiktheorie am Konservatorium und seit 1923 als Privatdozent Musikwissenschaft an der Universität. Außerdem war er 1917-23 Organist an Sankt Stefans und 1932-47 an der Holmens Kirke. 1947 wurde er Professor für Musikwissenschaft an der Universität Aarhus und leitete dort 1950-57 das von ihm gegründete Musikwissenschaftliche Institut. 1949-52 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft, außerdem u. a. Mitglied der Königlich Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften. Zum 70. Geburtstag wurde ihm eine Festschrift gewidmet. J. gab 1931-53 die Acta musicologica heraus. Er war einer der bedeutendsten Palestrinaforscher. ww: 1) Schriften: Der Palestrinastil u. die Dissonanz (L 1925, engl. Kop. - Lo 1927, 21946, Nachdr. NY - Lo 1971); Kontrapunkt (Vokalpolyfoni) (Kop - L 1930), dt. v. J. Schultz (L 1935, 3 1962, Wie •1978); The Recently Discovered Mantova Masses of Palestrina, in: AMI 22 (1950); Ein altvenezianisches Tanzbuch, in: FS K. G. Fellerer (Rb 1962); La frottola, 3 Bde. (Kop 1968-70). 2) Editionen: Der Kopenhagener Chansonnier (Kop - L 1927) (zus. mit V. Brendal); Die it. Orgelmusik am Anfang des Cinque-

cento (Kop 1943, 21960); La Flora, 3 Bde. (Kop 1949) (darin it. Arien u. Duette); Antichi balli veneziani per cembalo (Kop 1962); Italia sacra musica, 3 Bde. (Kop 1962). Lit.: S. SORENSEN, K. J. zum 70. Geburtstag, in: AMI 34 (1962); H. GLAHN, K. J., in: AMI 47 (1975).

JEREMIÁŠ. — 1) Bohuslav, *1. 5. 1859 Řestoky (Böhmen), t 18. 1. 1918 Budweis; tschechischer Komponist. Er studierte 1882-85 an der Prager Orgelschule und war später als Musikpädagoge und Chorleiter in Pisek und in Budweis tätig, wo er eine Musikschule gründete. — 2) Jaroslav, Sohn von 1), *14. 8. 1889 Písek, t 16. 1. 1919 Budweis; tschechischer Pianist, Dirigent und Komponist. Er studierte Komposition bei V. Novák und am Prager Konservatorium, war kurze Zeit Lehrer an der Musikschule in Budweis, dann Kapellmeister in Laibach und lebte zuletzt seit 1915 als Musiklehrer und Pianist in Prag. WW: Klv.-Stücke; Va.- u. Vc.-Sonaten; Lieder u. Chöre; Oratorium Mistr Jan Hus (1915); Oper Stáry Král (1911-12) (nach R. de Gourmont), UA: Prag 1919.

3) Otakar, Bruder von 2); * 17. 10. 1892 Pisek,

t 5.3. 1962 Prag; tschechischer Cellist und Komponist. Er studierte bei V. Novák und am Konservatorium in Prag. 1911-13 war er Cellist der Tschechischen Philharmonie in Prag und anschließend Lehrer an der Musikschule in Budweis, die er 1918-28 leitete. 1929-45 dirigierte er das Orchester des Prager Rundfunks und war 1945-51 Direktor des Nationaltheaters in Prag. W W : Klv.-Stücke; Klv.-Trio (1910); Klv.-Quartett (1911) Streichquartett (1911); Streichquintett (1911); für Orch.: 2 Symphonien (1911, 1915): Jarní ouvertura (1912); Fantasie (1915). Opern: Bratři Karamázovi (1922-27), UA: Prag 1928; Enšpigl (1940-44) (nach de Coster), UA: ebd. 1949. - Ferner die Lehrwerke Praktické pokyny k instrumentaci symfonického orchestru (Pr 1942, .1959) u. Praktické pokyny k dirigování (Pr 1943, '1959).

Lit.: J. PLAVEC, O. J. (Pr 1934); H. HLAvsovA, O. Jeremiáše „Bratři Karamázovi" (Pr 1958); J. PLAVEC, Národní umělec O. J. (Pr 1964).

JERGER, Wilhelm Franz, *27. 9. 1902 Wien, t 24.4.1978 Linz; östr. Musikforscher. Er studierte 1916-22 an der Musikakademie sowie 1925-27 an der Universität in Wien und war seit 1922 Kontrabassist bei den Wiener Philharmonikern. 1948 nahm er an der Universität Freiburg in der Schweiz sein Studium wieder auf und promovierte dort 1954 mit einer Dissertation über C. Reindl. 1958-73 war J. Direktor des Bruckner-Konservatoriums in Linz. Zum 70. Geburtstag wurde er mit der Festschrift Ein Leben für die Wissenschaft (hrsg. v. E. Schenk, Linz 1972) geehrt. J. ist auch als Komponist hervorgetreten (u. a. mit einer aparten Salzburger Hof u. Barockmusik für Orchester, 1940). Schriften: Die Wiener Philharmoniker (W 1942, 21943); C. Reindl

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Jeritza 1738-1798 (Fribourg 1955) (= Veröff. des Musikwiss. Inst. der Univ. Freiburg/Schweiz 1I/6); Zur Musikgesch. der deutschsprachigen Schweiz im 18. Jh., in: Mf 14 (1961); Von der Musikvereinsschule zum Bruckner-Konservatorium 1823-1963 (Linz 1965); F. Liszts Klavierunterricht von 1884-1886 dargestellt an den Tagebuchaufzeichnungen v. A. Göllerich (Rb 1975) (= Stud. z. Musikgesch. des 19. Jh. 39). Lit.: E. POSCH. W.J., in: Jahresber. 1972/73 des Brucknerkonservatoriums (Linz 1974).

JERITZA, Maria (eig. Mimi Jedlitzka), * 6.10. 1887 Brünn, t 10.7. 1982 Orange (N.J.), tschech. Sängerin (Sopran). Nach ihrer Gesangsausbildung debütierte sie 1910 am Stadttheater von Olmütz als Elsa in R. Wagners Lohengrin. 1911 kam sie an die Wiener Volksoper und war 1912-35 und 1949-52 gefeiertes Mitglied der Wiener Staatsoper. 1921 bis 1932 und 1951 sang sie mit großem Erfolg auch an der Metropolitan Opera in New York und gastierte an vielen bedeutenden Bühnen Europas. Sie sang bei der Uraufführung der Oper Die Frau ohne Schatten von R. Strauss sowie bei der Erstaufführung von dessen neu bearbeiteter Oper Ariadne auf Naxos. Unter dem Titel Sunlight and Song (1924) veröffentlichte sie ihre Autobiographie. Lit.: W. WYMETAL, M.J. (W 1922); E. DECSEY, M.J. (W 1931).

JESSEL, Léon, * 21. 1.1871 Stettin, t 4.1. 1942 Berlin; dt. Komponist. J. erhielt seine musikalische Ausbildung in Stettin und begann seine Kapellmeisterlaufbahn 1891 am Stadttheater in Gelsenkirchen. Weitere Stationen waren Bielefeld, Stettin, Freiberg, Chemnitz, Lübeck, Bremen und Kiel. Dann lebte er als Komponist in Lübeck und seit 1911 in Berlin. J., der bereits 1894 in Celle sein erstes Bühnenwerk, die Oper Die Brautwerbung, aufgeführt hatte, erzielte 1917 in Berlin mit der Operette Schwarzwaldmädel seinen größten Erfolg, der ihn in ganz Europa bekannt machte. WW: Zahlr. Operetten, darunter: Die beiden Husaren (1913); Wer zuletzt lacht (1914); Schwarzwaldmädel (1917); Ohne Mann kein Vergnügen (1918); Verliebte Frauen (1920); Die Postmeisterin (1921); Des Königs Nachbarin (1923); Prinzessin Husch (1925); Die kleine Studentin (1926); Die Luxuskabine (1929); Junger Wein (1933); Die goldene Mühle (1936). Lit.: B. GRUN, Kulturgesch. der Operette (Mn 1961); S. CzECH, Das Operettenbuch (St 1960). R.-M. SIMON - S. SIMON

JESSONDA, Oper in 3 Akten von Louis Spohr (1784-1859), Text von Eduard Heinrich Gehe nach Lemierres Tragödie La Veuve de Malabar. Ort u. Zeit der Handlung: Goa/Indien, im 16. Jh.; UA: 28.7. 1823 in Kassel. Spohrs erfolgreichstes Bühnenwerk ist eine der ersten durchkomponierten romantischen Opern. Mit der Gestaltung langer Passagen im rezitativischariosen Sprechgesang zeigen sich in diesem Werk die 252

gleichen Elemente, auf denen später Wagners dramatisches Rezitativ fußt. Die kunstvolle Chromatik, mit der die frühromantische Melodik eingefärbt und bereichert wird, ist so dominant, daß dieser Oper bühnenwirksame musikalisch-dramatische Effekte fast völlig abgehen. Im Textbuch fand Spohr eine seltene Einheit des Affekts angelegt: Die Geschichte von der indischen Rajah-Witwe, die durch ihren früheren Geliebten vom Flammentod auf dem Scheiterhaufen errettet wird, vereint in einer glücklichen Mischung dramatische mit überwiegend zarten, lyrischen Zügen. Einheitliche musikalische Gestaltung und „moderne" durchkomponierte Form weisen J. eine Sonderstellung unter den frühromantischen deutschen Opern zu, doch nährte gerade die feine Detailzeichnung der musikalischen Charaktere die heftige Kritik an der „lyrischen Erweichung" der Melodielinie. — Enthusiastischen Beifall erzielte Spohr mit diesem Werk nach der UA (anläßlich des Geburtstages des hessischen Kurfürsten Wilhelm II.) auch in Leipzig (9.2. 1824) und Frankfurt am Main (14.6. 1824) sowie in anderen deutschen Städten. J. wurde zum Standardwerk des Opernrepertoires im 19. Jahrhundert, während es in neuerer Zeit nur noch im Spohr-Jubiläumsjahr 1959 in Braunschweig und Kassel gegeben wurde. J. SCHLÄDER JEU (frz.). — 1) In der Bedeutung von Spiel frz. Bz. für das mittelalterliche liturgische Drama — z. B. Jeu d'Adam et d'Ève oder Jeu de St.-Nicolas —, aber

auch für eine weltliche Gattung mit und ohne Musik wie etwa Jeu de la Feuillée und Jeu de Robin et Marion von Adam de la Halle. — 2) frz. Bz. für (Orgel-)Register bzw. Stimme (z. B. J. d'orgue oder J. de flûte) oder für ein ganzes Stimmwerk (Grand Jeu) JEU DE CARTES, Ballett von I. Strawinsky; dt.

Titel : ř Kartenspiel. JEU-PARTI (altfrz.; provenzalisch: partimen oder joc-partit), Bz. für ein Streitlied der Trouvères im

12. und 13. Jh., eine Sonderform der /Tenso. Provenzalisch „partir un joc" (= zur Wahl stellen) bedeutet konkret, daß die Beantwortung einer Streitfrage auf zwei Sänger verteilt wird; im Unterschied zur Tenso, bei der die Themen des Streitliedes aus verschiedenen Bereichen stammen, kreisen die Themen im J. fast ausschließlich um die höfische Liebe. In der Tenso entfaltet sich der Wettstreit frei; im J. dagegen stellt einer der Sänger eine zweideutige Frage, zu der sein Gegner mit der zur Auswahl verbleibenden Antwort Stellung nimmt; in der nächsten Strophe bringt der erste Sänger seine Gegenargumente vor.

Joachim In seiner ausgebildeten Form war der J. -p. ein Lied mit 6 Strophen, gefolgt von 2 Geleitstrophen; gesungen wurde er zu einer meist entliehenen Melodie; zahlreiche Jeux-partis wurden mit mehreren Melodien überliefert. Zwar wurde die These vertreten, daB der J. improvisiert wurde, wahrscheinlich ist jedoch, daB die Partner den Wettstreit als eine Art Disputatio vorbereiteten; dies bestätigt der komplizierte Aufbau einiger Jeux-partis. Nicht sicher ist auch, ob die in den Geleitstrophen genannten Schiedsrichter, darunter Könige und Herzöge, am Schluß wirklich ein Urteil gesprochen haben; es handelte sich dabei eher um eine Art Ehrerweisung gegenüber bedeutenden Persönlichkeiten. Meister des provenzalischen joc-partit waren u. a. Guiraut Riquier, Simon Doria, Aimeric de Peguilhan, Guionet, Lanfranc Cigala und Raimbaut de Vaqueiras. Ein Großteil der Jeux-partis wurde im Einflußbereich des „Puy d'Arras" (2'Puy) geschaffen. Zu den bekanntesten nordfranzösischen Vertretern des J. zählten Thibaut de Champagne, Jehan Bretel, Jehan de Grivelier, Lambert Ferri, Adam de la Halle, Guillaume le Vinier und Gillebert de Berneville.

JIG (engl.), lebhafter, in Irland, England und Schottland verbreiteter Tanzliedtyp, z. T. grotesken Charakters, aus dem sich im Laufe des 16. Jh. die /Gigue entwickelte. Daneben blieb die mitunter auch vulgäre J. in englischen Singspielen und in den /Ballad operas (z. B. The Beggar's Opera von J. Gay und J. Pepusch) bis ins 18. Jh. eine beliebte Tanzliedeinlage.

Ausg.: A. LANGFORS — A. JEANROY — L. BRANCHIN, Recueil général des jeux-partis (P 1926).

WW: Klv.-Stücke; Passacaglia u. Fuge (1971) für Org.; zahlr. Sonaten; Sonatine für BaBklar. u. Klv. (1968); Bläsertrio (1967); 7 Streichquartette (1915, 1927, 1940, 1949, 1951, 1958, 1960); Klv.-Quintett (1945). — Für Orch.: 6 Symphonien (1916, 1924, 1929-38, 1945, 1949, 1970); symphonische Variationen (1940); symphonische Ouvertüre Mládi (1941); Klv.-Konzert (1946) u. Concertino für V. u. kleines Orch. (1957). — Zahlr. Liederzyklen, u. a.: 7 bzw. 9 tschechische Volkslieder (1957, 1959); In Memoriam (1971) für Chor a cap.; Requiem für Soli, Chor u. Orch. (1952). — Oper Apollonius z Tyany (Apollonius v. Thyane) (1912-13), UA als: Žena a bůh, Brünn 1928. — Ferner die Schriften Naukao hudebmh formách (Pr 1922-23); A. Dvolák (NY 1961).

Lit.: F. FISET, Das altfrz. J.-p., in: Romanische Forsch. 19 (1905); H. SPANKE, Zur Gesch. des altfrz. J.-p., in: Zschr. für frz. Sprache u. Lit. 52 (1929); D.J. JONES, La tenson provençale (P 1934); S. NEUMEISTER, Das Spiel mit der höfischen Liebe (Mn 1969). W. -D. LANGE

JEUX, Poème dansé in einem Akt. Musik: Claude Debussy (1862-1918). UA: 15. 5. 1913 in Paris (Théâtre des Champs-Élysées). Choreographie: Wazlaw Nischinski (1888-1950). Dekoration: Léon Bakst (1866-1924). Als Mitglied von S. Diaghilews Ballets Russes entwarf Nischinski für dieses Ensemble die episodenhafte Geschehnisfolge der Spiele: Während einer Tennispartie im Park werden zwei junge Mädchen und ein junger Mann zu Koketterie und Flirt verleitet. Auf der Suche nach einem verlorengegangenen Tennisball inszenieren die drei ein amüsantes, von ihren Leidenschaften bestimmtes Versteckspiel. — Der tänzerischen Präsentation emotionaler Spannungen entspricht die Gestaltung der Komposition. Transparente Klangbilder, ihre dynamisch kontrastreiche Disposition und das instrumentatorische Raffinement intensivieren den impressionistisch-atmosphärischen Charakter des Balletts. Trotz der künstlerischen Einzelleistungen von V. Nischinski, Tamara Karsavina und Ludmilla Schollar vermochten weder das Werk noch S. Diaghilews Inszenierung bei der UA zu überzeugen. G. LUDIN

JIRÁK, Karel Boleslav, * 28.1.1891 Prag, t 30.1. 1972 Chicago; tschechischer Pianist und Komponist. J. promovierte 1913 an der Universität Prag zum Dr. jur., studierte auBerdem seit 1909 Komposition bei V. Novák und 1911-12 bei J. B. Foerster in Wien. 1915-18 war er Kapellmeister an der Oper in Hamburg, anschließend in Brünn und Mährisch-Ostrau und 1920-30 Lehrer für Komposition am Konservatorium in Prag (1922 Professor); 1923 Mitgründer der IGNM. 1930-45 war er musikalischer Direktor des Tschechischen Rundfunks. 1947 emigrierte er in die USA. Dort wurde er 1967 Kompositionslehrer am Chicago Conservatory College. Seine vorwiegend symphonischen und kammermusikalischen Kompositionen weisen teils neuromantische, teils neoklassizistische Züge auf.

Lit.: M. OČADLIK, K.B. J. (Pr 1941); H. TISCHLER, J.'s Fourth Quartett, in: MQ 37 (1951); Contemporary Czechoslovak Composers, hrsg. v. Č. GARDAVSKY (Pr 1965); H. TISCHLER, K. B. J. A Catalogue of His Works (Detroit 1975) (= Detroit Studies in Music Bibliogr. 32).

JITTERBUG (engl., = Zitterwanze), Bz. für einen in den 30er Jahren entstandenen afroamerikanischen Tanz, der zu verschiedenen Varianten des Swing (/Jump, /Kansas-City-Jazz) und zu instrumentierten Formen des ?Boogie-Woogie getanzt wurde. Der J., der als Gesellschaftstanz sehr beliebt wurde, übernahm zwar als Grundschritt den Kreuzchassé des Swing, blieb jedoch in seiner z. T. akrobatischen Ausführung weitgehend den Tänzern überlassen. Nach 1945 verbreitete er sich unter verschiedenen Namen in Europa (Boogie, /Bebop, Jive) und gilt als Vorläufer des /Rock and Roll. JIVE /Jitterbug. JOACHIM, Joseph, * 28.6.1831 Kitsee bei PreB253

Joachim a Burck burg, t 15.8. 1907 Berlin; dt. Violinist, Dirigent und Komponist. J. wurde in Wien 1839 Violinschüler von G. Hellmesberger d. Ä. und 1840 von J. Böhm und setzte 1843 seine Ausbildung bei F. David in Leipzig fort, wo er noch im selben Jahr erfolgreich am Gewandhaus debütierte. Außerdem studierte er Theorie bei M. Hauptmann. 1844 trat er in London und 1845 in Dresden auf und reiste 1846 nach Wien und Prag. 1847 unternahm er in

Begleitung F. Mendelssohn Bartholdys eine längere Konzertreise nach England. Nach Leipzig zurückgekehrt, wurde er dort Vizekonzertmeister am Gewandhaus. 1850 ging er als Konzertmeister nach Weimar und 1853 in gleicher Funktion nach Hannover, wo er 1859 zum Konzertdirektor ernannt wurde. 1866 übersiedelte er nach Berlin und übernahm die Leitung der neugegründeten „Lehranstalt für ausübende Tonkunst". Aus ihr ging 1869 die der Akademie der Künste angegliederte Hochschule für Musik hervor, der J. als Direktor der Abteilung für Orchesterinstrumente und als Direktoriumsmitglied angehörte. 1869-1907 war er Primarius des berühmten J.-Quartetts und unternahm mit diesem Ensemble und auch als Solist jährlich zahlreiche Konzertreisen. Bis zu seinem Tode entfaltete J. eine fruchtbare Lehrtätigkeit. Aus seiner Schule gingen etwa 400 Violinisten hervor. R. Schumann, M. Bruch, J. Brahms und A. Dvořák widmeten ihm ihre Violinkonzerte. WW: Kammermusik; zahlr. Orch.-Werke, u.a.: Ouvertüren u. Märsche; für V. u. Orch.: 3 V.-Konzerte, op. 3 (um 1853), op. 11 In ung. Weise (vor 1860) u. g-moll (vor 1865); Andantino u. Allegro, op. 1 (vor 1850) u. Variationen, op. 10 (um 1855). — Ferner eine V. -Schule, 3 Bde. (B 1902-05) (zus. mit A. Moser), NA hrsg. v. M. Jacobsen (H 1959). Lit.: J. A. FULLER-MAITLAND, J. J. (Lo — NY 1905); A. MOSER, J. J. (B 1898, '1904), erweitert, 2 Bde. (1908-10); J. Brahms im Briefwechsel mit J.J., 2 Bde., hrsg. v. DEMS., (B 1908, Nachdr. Tutzing 1974) (= Brahms-Briefwechsel 5-6); Briefe von u. an J. J., hrsg. v. J. JOACHIM — A. MOSER, 3 Bde. (B 1911-13); W. BOETTICHER, J., in: MGG VII; A. HOLDE, Suppressed Passages in the Brahms-J.-Correspondence, in: MQ 45 (1959); G. L. MAAS, The Instrumental Music of J. J. (1973) (= Diss. Univ. of North Carolina); G. WEISS-AIGNER, Komponist u. Geiger. J. J.s Mitarbeit am V.-Konzert v. J. Brahms, in: NZfM 135 (1974). W. PFANNKUCH

JOACHIM A BURCK (Burgk; eig. Joachim Moller), * 1546 Burg bei Magdeburg, t 24.5. 1610 Mühlhausen (Thüringen); dt. Komponist. Seine musikalische Ausbildung erhielt er vermutlich in Magdeburg. 1563 wurde er Kantor an der Lateinschule in Mühlhausen und dort spätestens 1566 Organist. Daneben versah er mehrere städtische Ämter. 1583 wurde er zum Rat ernannt. J.s Schaffen war anfänglich dem niederländischen Motettenstil in der Art C. de Rores und O. di Lassos verpflichtet. Um 1575 wandte er sich - namentlich in 254

den Oden- und Liedkompositionen - einer mehr homophonen Schreibweise zu und stellte sich damit betont in den Dienst der protestantischen Bemühungen um eine musikalisch schlichtere Wortverkündigung. Seine Johannes-Passion von 1568 ist das früheste Beispiel einer responsorialen Passion mit deutschem Text. WW: Harmoniae sacrae (Motetten für 5 St.) (Nü 1566); Die deutsche Passion... nach Johannes für 4St. (Wittenberg 1568, Mühlhausen 1578); 2 Bücher Odae sacrae L. Helmboldi für 4 St. (Erfurt 1572); Sacrae cantiones für 4-6 St. (Nü 1573); Passio Jesu Christi (Erfurt 1574); Zwantzig Deutsche Liedlein für 4St. (ebd. 1575); Lyrici L. Helmboldi für 4 St., 2 Bde. (Mühlhausen 1577); Officium sacrosanctae coenae Dominicae für 4 St. (Erfurt 1580); 2 Bücher Vom heiligen Ehestande (Lieder für 4 St.) (Mühlhausen 1583 u. 1596); Dreyssig geistliche Lieder auff die Fest durchs Jahr für 4 St. (ebd. 1594); Psalmi graduum für 4 St. (Erfurt 1595). Ausg.: Zwantzig Dt. Liedlein 1575, Die Dt. Passion 1568 u. Passio Jesu Christi 1574, hrsg. v. A. HALM — R. EITNER (L 1898) (= PGfM 22); Motette Ich will deinen Namen predigen, hrsg. v. G. BREMSTELLER (Kas 1959); Passio Jesu Christi u. Psalm 22, hrsg. v. H. HILDEBRANDT (St 1963) (= Geistliche Chormusik II/17). Lit.: PH. SPITTA, J. von B., in: MfM 2 (1870); H. BIRTNER, J. a B. als Motettenkomponist (Diss. L 1924); DERS., Ein Beitr. z. Gesch. der prot. Musik im 16.Jh., dargestellt an J. a B., in: ZfMw 10 (1927 / 28).

JOCHUM. - 1) Otto, *18. 3. 1898 Babenhausen (Bayern), t 24. 10. 1969 Bad Reichenhall; dt. Komponist. Nach der Lehrerausbildung studierte er 1922-28 am Augsburger Konservatorium und 1928-31 an der Akademie der Tonkunst in München Komposition (J. Haas), Dirigieren und Klavier. 1932 wurde er Leiter der Städtischen Singschule in Augsburg, an der er 1935 das erste deutsche Singschullehrerseminar gründete. Nach dem Krieg war er als Chorleiter und städtischer Musikdirektor in Augsburg tätig und lebte seit 1951 als freischaffender Komponist in Weißbach bei Bad Reichenhall. Er schrieb vor allem Chorwerke, darunter über 100 Motetten, 16 Messen, 4 Oratorien sowie Liederzyklen und Kantaten, außerdem Kammermusikwerke und Symphonien. Er gab auch Volksliedbearbeitungen heraus. 2) Eugen, Bruder von 1), *1. 11. 1902 Babenhausen, t 26.3. 1987 München; dt. Dirigent. Erstudierte Klavier und Orgel in Augsburg, dann 1922-25 Orgel und Dirigieren an der Akademie der Tonkunst in München. Anschließend wirkte er als Kapellmeister und Dirigent in Mönchengladbach, Kiel, Lübeck, Mannheim und Duisburg. 1932-34 war er Generalmusikdirektor an der Städtischen Oper und Dirigent der „Funkstunde" am Rundfunk in Berlin, 1933-49 Generalmusikdirektor an der Staatsoper und am Philharmonischen Staatsorchester in Hamburg und 1949-60 Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in München

Jodeln sowie Gastdirigent der Staatsopern in München und Wien und des Wiener Musikvereins. 1961-64 war er ständiger Dirigent des Concertgebouworkest in Amsterdam, 1969 auch der Bamberger Symphoniker, deren Chefdirigent er 1971-73 war. J., der 1953 erstmals bei den Bayreuther Festspielen und 1958 erstmals in den USA dirigiert, war ständiger Gast an der Deutschen Oper in Berlin sowie an den ersten Opernhäusern und Symphonieorchestern in den USA, in Japan und in Kanada. J. wurde 1950 Präsident der deutschen Sektion der Internationalen Bruckner-Gesellschaft und widmete sich auch als Dirigent besonders den Werken Bruckners, dessen Symphonien er erstmals vollständig auf Schallplatte einspielte. Schriften: Zur Interpretation des Finales der Vierten Symphonie von A. Bruckner, in: FS R. Guardini (Mn 1935); Die Originalfassungen der Brucknerschen Sinfonien, in: Bruckner-Fest Hamburg 1938 (Programm-H.); Zur Interpretation der Fünften Symphonie von A. Bruckner, in: FS L. Nowak (W 1964); An der Oper ist gerade das Improvisatorische reizvoll, in: Warum der Applaus. Berühmte Interpreten über ihre Musik, hrsg. v. E. Schwaiger (Mn 1968).

3) Georg Ludwig, Bruder von 2), * 10. 12. 1909 Babenhausen (Bayern), t 1. 11. 1970 Mülheim a. d. Ruhr; dt. Dirigent. Er studierte 1920-28 am Augsburger Konservatorium und anschließend bis 1932 an der Münchner Akademie der Tonkunst Klavier, Komposition und Dirigieren. 1932-34 war er Städtischer Musikdirektor in Münster, dann bis 1937 in Frankfurt a. Main 1. Kapellmeister der Oper und Leiter der Museumskonzerte. Nach Engagements in Plauen (Vogtland) und Linz (Donau) war er 1946 bis zu seinem Tod GMD und bis 1958 auch Leiter des Konservatoriums in Duisburg, 1948-50 außerdem Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. J. dirigierte regelmäßig auch in Japan, Südamerika sowie in europäischen Ländern. Lit.: L. BAND, E. J., in: Der Funk (B 1932); M. Flothuis, B. Haitink and E. J., in: Sonorum Speculum (1960) H. 4.

JODE, Fritz, * 25.8. 1887 Hamburg, t 19. 10. 1970 ebd.; dt. Musikpädagoge und Liededitor. J. studierte 1902-08 am Lehrerseminar in Hamburg und trat anschließend in den dortigen Schuldienst ein. 1920/21 wurde er zum musikwissenschaftlichen Studium an der Universität Leipzig bei H. Abert beurlaubt und 1923 zum Professor für Musikerziehung (Methodik) an der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Berlin berufen. Als Gründer und Leiter der ihr angeschlossenen ersten deutschen Jugendmusikschule (1923) und der ersten Volksmusikschule (1925) wurde J., der sich bereits in Hamburg tatkräftig in der Jugend-, Volksheim- und pädagogischen Reformbewegung (Hamburger „Wendekreis") engagiert hatte, zum

Initiator des deutschen Jugendmusikschulwesens. Aus politischen Gründen verlor er 1935 seine Professur, konnte aber u. a. 1940-43 am Salzburger Mozarteum und 1943/44 an der Staatsmusikschule Braunschweig tätig sein. Seit 1947 leitete er das Amt für Jugend- und Schulmusik in Hamburg, seit 1949 das Seminar für Privatmusiklehrer an der Musikschule und 1951-53 die musikpädagogische Abteilung der Musikhochschule. 1952-63 war er Leiter des Internationalen Instituts für Jugend- und Volksmusik in Trossingen, 1959-63 des Archivs der Jugendmusikbewegung Hamburg und schließlich des von ihm mitbegründeten internationalen Jugendmusikverbandes „Pro musica". J. widmete seine musikpädagogische und editorische Arbeit den Zielen der Jugendmusikbewegung, zu deren führenden Persönlichkeiten er gehörte. Er setzte sich insbesondere für eine durchgreifende Reform des schulischen Musikunterrichts sowie für eine fruchtbare Auseinandersetzung der Jugend mit dem Lied sowie mit Alter und Neuer Musik ein. WW: 1) Schriften: Jugendbewegung oder Jugendpflege (H 1917); R. Kothe u. das dt. Volkslied (Magdeburg 1917); Musik u. Erziehung (Wb 1919, 21924); Musikschulen für Jugend u. Volk (Wb 1924, NA 1954); Die Thematik der Klaviersonaten Mozarts, in: Mozart-Jb. 2 (Mn 1924); Unser Musikleben (Wb 1924, 21925); Die Kunst Bachs, dargestellt an seinen Inventionen (Wb 1926, 2 1957); Elementarlehre der Musik l (Wb 1927); Das schaffende Kind in der Musik, 2 Bde. (Wb 1928, NA 1962): Musik in der Volksschule (B 1928); Kind und Musik (B 1929), Neudruck in: Die Kunsterziehungsbewegung, hrsg. v. H. Lorenzen (Bad Heilbrunn 1966); Die Melodica (Trossingen 1965). - J. gab heraus: Die Laute (Wb 1918-22); Pädagogik deines Wesens (H 1919); Die Musikantengilde (Wb 1923-29); Handbücher für Musikerziehung (Wb 1926ff.); Musikdienst am Volk (Wb 1927); Der Kreis (Wb 1932ff.); Musik u. Gesellschaft 1 (Wb 1932) (zus. mit H. Boettcher); Zschr. für Spielmusik (Celle 1940-45); Junge Musik (Wb - Mz 1950-54); Bausteine für Musikerziehung u. Musikpflege (Mz 1951-57): Pro Musica (Trossingen - Wb 1953-66): Die Volksmusikinstr. u. die Jugend (Wb 1956). 2) Sammlungen: Etwa 60 Lied-, Chor- u. Instr.-Slgen, darunter: Der Musikant, 6 H.e (Wb 1923 ff.); Musikantenlieder (Wb 1925); Der Kanon, 3 Bde. (Wb 1925/26ff.), in einem Bd. (Wb 1929); Das Chorbuch, 6 Bde. (Wb 1927-31); Die Singstunde (Wb 1928-38, NA Mz 1949-51, Wb 1959); Die Musikantenfibel (Mz• 1952); Lieder der Deutschen in aller Welt (Wb 1954) (zus. m. E. Kraus); Der Fünfton (Mz 1955) (zus. mit dems.); F. Silcher in seinen Liedern (Wb 1960); Uns plattdütsch Singbook (H - Wb - Z 1970). Lit.: H. HOCKNER, Die Musik in der dt. Jugendbewegung (Wb 1927); E. KRAUS, F. J. zum 70. Geburtstag, in: Musik im Unterricht 48 (1957); F. J., Leben u. Werk, hrsg. v. R. STAPELBERG (Trossingen 1957) (Werk-Verz. relativ vollständig); G. TRAUTNER, Die Musikerziehung bei F. J. (Wb 1968); G. WALDMANN, F. J. 1887-1976, in: Musik u. Bildung 2 (1970); M. HARTING, F. J.s „Weg in die Musik", in: Über Musik u. Politik, hrsg. v. R. Stephan (Mz 1971); D. KOLLAND, Die Jugendmusikbewegung (St 1979). W. SCHEPPING

JODELN, Bz. für das volkstümliche textlose Singen auf Lautsilben mit oftmaligem, meist bruchlos gleitendem Registerwechsel zwischen Brust- und 255

Johanna auf dem Scheiterhaufen Kopfstimme (Fistel, Falsett), vorwiegend auf (großen) Intervallen der Naturtonreihe oder auf Akkordzerlegungen basierend und wohl daher zu primitiver Mehrstimmigkeit tendierend. Die ebenfalls textlosen Juchzer und Juchschreie unterscheiden sich — neben der Kürze — durch das Fehlen des Registerwechsels und durch die Unbestimmtheit der Tonstufen. Besonders verbreitet ist das J. in den Alpenländern. Ähnliche Erscheinungen finden sich auch in weiten Teilen Europas, im Kaukasus, bei den Pygmäen und Buschmännern, in MelanesienPolynesien, aber auch in China und Hinterindien. — Ursprung und Entwicklung des J.s sind noch nicht hinreichend geklärt. Fest steht jedoch, daß diese Praxis auf mutterrechtliche Pflanzerkulturen und mittelmeerische bzw. verwandte Rassen zurückgeht und daß bei der Ursprungsfrage die besondere Eignung der Jodelstimme als Verständigungsmittel über weite Entfernungen (günstiger Frequenzbereich, Teiltonspektrum) und die Jodelsilben als Intonationshilfe jeweils eine entscheidende Rolle spielen. Als gesichert gilt wohl auch, daß die Elemente durch Kulturwanderung, Übertragung, Struktur- und Funktionswandel nicht nur zu vielfachen Umbildungen und sogar scheinbaren Neubildungen geführt haben, sondern auch mannigfache (u. a. als Kehrreim) Verbindungen mit benachbarten Gattungen (wie OEVolkslied, OESchnaderhüpfl, OE'Ländler, řKuhreigen) eingegangen sind. Wieweit das bei den Kirchenvätern genannte „jubilare sine verbis" mit dem Jodler in Zusammenhang gebracht werden kann, ist indes noch offen. Ausg.: J. POMMER, Jodler u. Juchezer (W 1889, 1893, 1902, 1906); H. DERSCHMIDT, Unsere Jodler (Karlsbad 1934): M. HAAGER, Das Jodlerbuch (Gr 1936) (= Die dt. Bergbücherei 7); H. G1LGE, Klingende Berge (W 1937). Lit.: M. VON HORNBOSTEL, Die Entstehung des J.s, in: Kgr.Ber. Basel 1924 (L 1925); W. SICHARDT, Der alpenländische Jodler und der Ursprung des J.s (B 1939); W. WIORA, Zur Frühgesch. der Musik in den Alpenländern (Bas 1949); W. GRAF, Zu den Jodlertheorien, in: Journal of the International Folk Music Council 13 (1961); W. SENN, J., ein Beitr. zur Entstehung u. Verbreitung des Wortes, mundartliche Bezeichnungen, in: Jb. des östr. Volksliedwerkes 11 (1962); M. P. BAUMANN, Musikfolklore u. Musikfolklorismus. Eine ethnomusikologische Unters. zum Funktionswandel des J.s (Winterthur 1976).

JOHANNA AUF DEM SCHEITERHAUFEN (Jeanne d'Arc au bûcher), Dichtung von Paul Claudel (1868-1955), Musik von Arthur Honegger (1892-1955); Gattungsbezeichnung: „Szenisches Oratorium". Ort und Zeit der Handlung: Rouen (Frankreich), 30. 5. 1431. Konzertante UA (in frz. Sprache): 12. 5. 1938 in Basel; szenische UA (in dt. Sprache): 13. 6. 1942 in Zürich (Übertragung von Hans Reinhart); dt. EA (in dt. Sprache): 12. 12. 1947 in Berlin (Städtische Oper). Claudel 256

gestaltet die Geschichte von Verurteilung und Hinrichtung der französischen Nationalheldin Jeanne d'Arc nicht zu einem historischen Drama mit in sich geschlossener Handlung, sondern zu einer Folge von 11 Szenen, in denen die bereits auf dem Scheiterhaufen festgekettete Jeanne kurz vor ihrem Tode noch einmal einzelne Stationen ihres Lebens — verwoben mit Ereignissen der französischen Geschichte — nacherlebt. Hauptanliegen des Dichters ist dabei nicht der reale Ablauf äußerer Geschehnisse, sondern vielmehr deren Repräsentativität für moralische Ideale und Schwächen des Menschen: So werden unter Rückgriff auf verschieden literarische Formen und Darstellungstechniken — u. a. der Fabel und des Mysterienspiels — z. B. die Scheinheiligkeit von Kirchenfürsten angeprangert und die Idee des christlichen Opfertodes verherrlicht. Der Buntheit der Szenenfolge angepaßt sind Vielfalt und Kontrastreichtum von Honeggers Musik: Dem Charakter der Szenen entsprechend werden folkloristische und kirchenmusikalische Elemente sowie parodistische Anklänge an Jazz und Unterhaltungsmusik in die bei dramatischen wie lyrischen Abschnitten gleichermaßen meisterhafte musikalische Charakterisierung von Gefühlen, Stimmungen und Situationen einbezogen, wobei besonders Besetzung und Instrumentation — z. B. die Konzeption der beiden Hauptrollen der Jeanne und des Frère Dominique als reine Sprechrollen und der Einsatz der Ondes Martenot — wesentlich zum Farbenreichtum des Werkes beitragen. Den Prolog — eine patriotische Apotheose Frankreichs — setzten die Autoren den 11 Szenen erst für die Aufführung an der Pariser Oper am 18. 12. 1950 voran. Vereinigung von Originalität und Verständlichkeit sowie Kongenialität von Dichter und Musiker ließen die Johanna zu einem der bedeutendsten und populärsten musikalischen Bühnenwerke des 20. Jahrhunderts werden. W A. MAKUS JOHANNES AFFLIGEMENSIS (eig. John Cotton), * um 1065; engl. Musiktheoretiker. J. trat 1088/89 in das Kloster Canterbury-en-Bec (Normandie) ein und studierte bei Anselm von Canterbury, der 1078-93 dort Abt war. Er ist der Verfasser eines Traktates De arte musica. Die stark der Tradition verpflichtete Abhandlung enthält einen Prolog und 27 Kapitel. In den Kapiteln 1-23 werden Tonsilben, Tonbuchstaben, Tonabstände, Tonarten, Monochordteilung, das Tetrachordsystem, die Aufzeichnung der Melodien, organale Mehrstimmigkeit, der Ursprung und die Wirkung der Musik beschrieben. Die Kapitel 24-27 enthalten einen Tonarius, d. h. eine paarweise geordnete Zusammenstellung der 8 Kirchentöne. Kapitel 23 hehan-

Johannes de Grocheo delt anschaulich das zweistimmige Organum als einfachen Satz Note-gegen-Note, der durch wenige Zwischentöne in Gegenbewegung („ubi in recta modulatione est elevatio, ibi in organica fiat depositio et e converso") mit Stimmkreuzung in der organalen Stimme belebt werden kann. Gemeinsam mit dem sogenannten Mailänder Traktat und dem Organum -Traktat von Montpellier gehört dieses Kapitel zu den ältesten Zeugnissen der frühen Mehrstimmigkeit. Ausg.: Joannis Cottonis Musica (ohne den Tonarius), in: GERBERT Scr. II; De musica cum tonario, hrsg. v. J. SMITS VAN WAESBERGHE (R 1950) (= CSM 1). Lit.: O. KORNMÜLLER, Der Traktat des J. Cottonius über

Musik, in: KmJb 3 (1888); J. PULVER, English Theorists I: John Cotton, in: MT (1933); L. ELLINWOOD, John Cotton or John of Affligem (1951) (= Music Library Ass. Notes VIII); J. SMITS VAN WAESBERGHE, John of Affligem or John Cotton?, in: MD 6 (1952); H. HÜscHEN, J. von Affligem, in: MGG VII; TH. GÖLLNER, Formen früher Mehrstimmigkeit in dt. Hss. des

späten MA (Tutzing 1961) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 6); E. F. FLINDELL, J. Cottonis, in: MD 20 (1966), vgl. dazu: DERS., Corrigenda et addenda, in: MD 23 (1969); J. SMITS VAN WAESBERGHE, Einleitung zu einer Kausalitätserklärung der Evolution der Kirchenmusik im MA (von etwa 800 bis 1400), in: AfMw 26 (1969); H. H. EGGEBRECHT — F. ZAMINER, Ad organum faciendum. Lehrschriften der Mehrstimmigkeit in nachguidonischer Zeit (Mz 1970) (= Neue Stud. z. Musikwiss. 3). B. R. SUCHLA

JOHANNES DAMASCENUS (Johannes Chrysorrhoas [ = goldströmend]), * um 675 Damaskus, t um 749 Kloster Már Saba bei Jerusalem; byzantinischer Theologe, Heiliger. Er trat in das Kloster Már Saba ein und wurde dort zum Priester geweiht. J., der bedeutendste Dogmatiker der kirchengeschichtlichen Epoche des Bilderstreits, galt lange als Schöpfer der "Oktoechos, des byzantinischen Systems der 8 Modi und der mittelbyzantinischen, sog. damaszenischen Notation. Sein Nachruhm gründet auch auf die unter seinem Namen überlieferten Hymnen. JOHANNES DE BOSCO /Bosquet, JOHANNES DE FLORENTIA /Giovanni da Cascia. JOHANNES DE GARLANDIA (Gallandia), *um 1190 in England, t 1272 (?) Paris (?). Musiktheoretiker. Er kam um 1217 nach Paris, wo er bis 1229 im Clos de Galand lehrte. Von ihm sind (in komplizierter Quellenüberlieferung) die Traktate De mensurabili musica und De plana musica (in teilweise bearbeiteter Fassung auch mit dem Titel Introductio musicae) erhalten. Die erstgenannte Schrift stellt das System der modalen Notation dar, die in den musikalischen Quellen der Notre Dame-Epoche erscheint, und hat als unmittelbare

Vorstufe zur Notationslehre Francos von Köln zu gelten. Ausg.: E. REIMER, J. de G. De mensurabili musica. Kritische Edition mit Kommentar u. Interpretation der Notationslehre, 2 Teile (Wie 1972) (= Beihefte z. AfMw 10 u. 11); dieser Traktat sowie Introductio musicae, in: COUSSEMAKER Scr. I; De mensurabili musics in der Fassung des Hieronymus v. Moravia, in: S. M. CSERBA, H. de Moravia O.P., Tractatus de Musica (Rb 1935) (= Freiburger Stud. z. Musikwiss.2). Lit.: I. J. PAETOW, The Life and Works of John of G., in: Memoirs of the Univ. of California 4/2 (1927); G. REANEY, The Question of Authorship in the Medieval Treatises on Music, in: MD 18 (1964); F. A. GALLO, Fra G. di G. e Filippo da Vitry. Note sulla tradizione di alcuni testi teorici, in: MD 23 (1969); R. A. RASCH, J. de G. en de ontwikkeling van de voor-franconische notatie (Brooklyn/N.Y. 1969) (= Wiss. Abh. 20); E. REIMER, s. o. Ausg.; G. A. ANDERSON, J. de G. and the Simultaneous Use of Mixed Rhythmic Modes, in: MMASt 8 (1975).

JOHANNES DE GROCHEO (Grocheio, Jean de Grouchy); um 1300 in Paris wirkender Musiktheoretiker. Sein Traktat De musica nimmt Bezug auf die Musikpraxis seiner Zeit und lehnt die im Rahmen der Artes liberales übliche spekulative Betrachtungsweise der Musik explizit ab. Damit rückt erstmals die einstimmige weltliche Musik ins Blickfeld der Musiktheorie und wird in einen ständisch-gesellschaftlichen Bezug eingeordnet. J. gliedert die Musik in Musica vulgaris (simplex, civilis), Musica mensurata (composita, regularis, canonica) und Musica ecclesiastica. Die Musica vulgaris kann vokal und instrumental ausgeführt werden. Die vokalen Gattungen setzen sich aus den verschiedenen Ausprägungen des Cantus und der Cantilena zusammen. Die instrumentalen Gattungen entsprechen den vokalen, d. h. jede musikalische Form, also jeder Cantus und jede Cantilena kann grundsätzlich instrumental, und zwar bevorzugt durch die Vielle, ausgeführt werden. Singulär für mittelalterliche Traktate ist die Ordnung der einzelnen Gattungen zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Der Cantus gestualis ist für Angehörige der niederen Volksschichten bestimmt, der Cantus coronatus für Könige und Edle, der Cantus versualis, die Cantilena rotunda, die Cantilena stantipes und die Cantilena ductia für die Jugend. Als Gattungen der Musica mensurata werden das Organum duplum, triplum und quadruplum, der Conductus, der Motetus und der Hoquetus behandelt. Der Traktat schließt mit einer Beschreibung der verschiedenen Gattungen der Musica ecclesiastica. Ausg.: Der Musiktraktat des J. de G. Nach den Quellen neu hrsg. mit übers. ins Deutsche v. E. ROHLOFF (L 1943) (= Media Latinitas Musica 2); Die Quellen-Hss. zum Musiktraktat des J. de G. In Faks. hrsg. nebst Übertragung des Textes u. Übers. ins Deutsche v. DEMS. (L 1972). Lit.: H. MÜLLER, Zum Texte der Musiklehre des J. de G., in: SIMG 4 (1902/03); E. ROHLOFF, Stud. zum Musiktraktat des J. de G. (L. 1930, 21943) (= Media Latinitas Musica 1); H. BES-

257

Johannes de Limburgia SELER, Zur Ars Musicae des J. de G., in: Mf 2 (1949); G. REANEY, J. de G., in: MGG VII; J. E. MADDRELL, G. and the Measurability of Medieval Music. A Reply to H. Vanderwerf,

in: Current Musicology 11 (1971).

B. R. SUCHLA

JOHANNES DE LIMBURGIA, möglicherweise aus dem flämischen Ort Limburg stammender Komponist des 15. Jahrhunderts. J. wurde zu Beginn des 15. Jh. Kaplan an St-Jean-l'Évangeliste in Lüttich, war dort 1408-19 als Nachfolger J. Ciconias und seit 1411 auch an St-Paul „bastonardius". 1426 wird er als Succentor bezeichnet. 1436 wurde er Kanonikus an Notre-Dame de Huy, lebte aber vermutlich schon seit 1430 in Italien, wahrscheinlich in Venedig. Die von ihm bekannten 46 geistlichen Werke, die deutlich Einflüsse G. Dufays erkennen lassen, sind sämtlich in der Hs. Bologna Liceo mus. Q 15 enthalten. Es handelt sich u. a. um ein vollständiges MeB-Ordinarium, eine Antiphon, ein Alleluja, 16 Motetten, 5 Laudae, 5 Magnificat und 4 Hymnen. Ausg.: Eine Motette, in: Trienter Codices 1 (1900) (= DTÚ 14/15); eine Lauda, in: J. WOLF, Gesch. der Mensuralnotation 2-3 (L 1903), Nachdr. in einem Bd. (Hil — Wie 1965); eine Motette, in: G. Dufay, GA 1 (1947) (= CMM 1). Lit.: H. W. ROSEN, Die liturg. Werke des J. von L. (Diss. I 1923); G. DE VAN, Inventory of Manuscript Bologna, Liceo Mus. Q 15 (olim 37), in: MD 2 (1948); H. BESSELER, Bourdon u. Fauxbourdon (L 1950); G. REANEY, J. de L., in: MGG VII.

JOHANNES DE MURIS, * 1290 in der Diözese Lisieux (Normandie), t nach 1351; frz. Mathematiker, Astronom und Musiktheoretiker. J. erwarb den Grad eines Magister artium an der Sorbonne in Paris und ist dort seit 1321 als Lehrer nachweisbar. 1338-42 lebte er am Hof von Philipp d'Évreux, König von Navarra, hielt sich 1342-44 in Mézières-en-Brenne auf, wo er ein Kanonikat besaß, und wurde 1344 von Papst Clemens VI. wegen einer Kalenderreform nach Avignon berufen. Daneben behielt er seine Lehrtätigkeit an der Sorbonne bis gegen Ende seines Lebens bei. WW: Notitia artis musicae (1321), 1: Musica theories, 2. Teil erweitert als: Musica speculativa (1323), 2: Musica practice, Auszug daraus als: Compendium musicae practicae (vor 1324); ferner

Libellus cantus mensurabilis.

J. gehört neben Philipp de Vitry zu den wichtigsten Vertretern der /Ars nova, deren mathematisch fundierte Mensurierungs- und Notationsweise er insbesondere in seinem ersten und grundlegenden Traktat Notitia artis musicae darstellte. Außerdem behandelt er als erster die für'die Musik des 14. und 15. Jh. wichtigen, zentralen Begriffe der Isorhythmie: /Color und /Talea. J.' Schriften waren hauptsächlich in Frankreich als dem Zentrum der Ars nova verbreitet. Seine Musica speculativa, die ihn als einen der letzten Vertreter der quadrivialen 258

Musikanschauung ausweist, war dagegen auch eine

an den deutschen Artistenfakultäten bis ins 16. Jh. grundlegende Lehrschrift. Aus seiner Schule stammen ferner Ars contrapuncti secundum Johannem

de M. und Ars discantus secundum Johannem de M. (NA beider in: Coussemaker Ser. III). Ausg.: Musikal. Schriften u. Traktate, in: GERBERTScr. III u. in: COUSSEMAKER Scr. III; Notitia artis musicae u. Compendium musicae practicae, hrsg. v. U. MICHELS (R 1972) (= CSM 17). Lit.: L. GUSHEE, New Sources for the Biography of J. de M., in: JAMS 22 (1969); U. MICHELS, Die Musiktraktate des J. de M. (Wie 1970) (= Beih. z. AfMw 8); M. HAAS, Musik zw. Mathematik u. Physik. Zur Bedeutung der Notation in den „Notitia artis musicae" des J. de M. 1321, in: FS A. Volk (Kö 1974).

JOHANNES SCOTUS (Scottus, Scotigena) Eriugena (Erigena), * zwischen 810 und 815 Irland, t zwischen 881 und 885 Oxford; irischer Philosoph. J. kam um 850 auf das europäische Festland, ließ sich in Laon nieder und leitete unter Karl dem Kahlen die Schola des Hofes. In seiner Hauptschrift mit dem griechischen Titel Peri physeon (meist mit dem lateinischen Titel zitiert: De divisione naturae), entstanden um 870, ist die Rede von dem „organicum melos", das mit der Schönheit und Harmonie des Weltalls im Sinne der Musica mundana verglichen wird. Dieser Ausdruck bedeutet nicht, wie früher vielfach angenommen wurde, den „Organum genannten Gesang" (H. Riemann u. a.), also eine der frühesten Erwähnungen der Mehrstimmigkeit, sondern (nach W. Wiora) in der Tradition der Antike „Musik von Instrumenten". Lit.: J. HANDSCHIN, Die Musikanschauung des J. Sc. (Erigena), in: DVfLG 5 (1927); P. JONES, The Glosses de musica of J. Sc. Eriugena in the Ms. Lat. of the Bibl. Nat. (P 1957); M. CApPUYNS, Jean Scot Érigène (Bru 1964); W. WIORA, Das vermeintliche Zeugnis des J. Eriugena für die Anfänge der abendländischen Mehrstimmigkeit, in: AMI 43 (1971); B. M ÜNXELHAUS, Aspekte der musica disciplina bei Eriugena, in: J. Scot Érigène et l'histoire de la philosophie (P 1977) (= Colloques .. . du CNRS 561).

JOHANNES (Jan) VON LUBLIN, poln. Organist der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. J. verfaßte zwischen 1537 und 1548 die umfangreichste Orgeltabulatur des 16. Jh.: Tabulatura bannis de Lubliyn Canonic. Regularium de Crasnyc 1540 (hsl. in Krakau, Bibl. der Poln. Akad. der Wiss., Ms 1716). Sie enthält Werke polnischer Komponisten, u. a. von Nikolaus von Krakau, für den sie die einzige Quelle ist, ferner von niederländischen, deutschen, italienischen und französischen Komponisten. Neben zahlreichen geistlichen Werken sind auch Madrigale und 36 (darunter 9 polnische) Tänze überliefert. Der die Tabulatur einleitende Traktat, Ad faciendum Cantum Coralum, stammt vermutlich ebenfalls von ihm. Ausg.: Tabulatura organowa Jana z Lublina, hrsg. v. K. WILKOWSKA-CHOMIÓSKA (Krakau 1964) (= Monumenta musi-

Johnson cae in Polonia, Serie B 1/1); Tablature of Keyboard Music, hrsg. v. J. R. WHITE, 6 Bde. (R 1964-67) (= Corpus of Early Keyboard Music 6). Lit.: A. CHYBISISKI, Poln. Musik u. Musikkultur des 16. Jh. in deren Beziehungen zu Deutschland, in: SIMG 13 (1911/12); J. R. WHITE, The Tablature of J. of L., in: MD 17 (1963); PH. GOsSET, Techniques of Unification in Early Cyclic Masses and Mass Pairs, in: JAMS 19 (1966); J. R. WHITE, Original Compositions and Arrangements in the L. Keyboard Tablature, in: FS W. Apel (Bloomington/Ind. 1968).

JOHANN VON PARIS (Jean de Paris), Opéra-comique in 2 Akten von François Adrien Boieldieu (1775-1834), Text von Claude Godard d'Aucour de Saint-Just. Ort und Zeit der Handlung: Gasthof an der Straße nach Pamplona im Königreich Navarra, 14. Jahrhundert. UA: 4. 4. 1812 in Paris (Théâtre de l'Opéra-Comique), EA in dt. Sprache: 28. B. 1812 in Wien (Kärntnerthor-Theater), Übers.: I. F. Castelli; dt. EA: 11.11.1812 in Frankfurt am Main. Die heitere Komödie um den französischen Kronprinzen, der incognito seine künftige Gemahlin, die Prinzessin von Navarra, kennenlernen und auf die Probe stellen will, hielt sich in Paris 50 Jahre ohne Unterbrechung im Spielplan. Johann von Paris wurde eine der erfolgreichsten Opern Boieldieus, obwohl bereits Zeitgenossen auf überdeutliche Parallelen zwischen dem Libretto dieses Werkes und der älteren Erfolgsoper des Komponisten, Der Kalif von Bagdad, aufmerksam machten. 1856 kritisierte H. Berlioz die durchweg einfallslose Harmonik der Oper, zeigte sich aber begeistert von den zeitlos schönen Melodien. R. Schumann zählt Johann von Paris sogar neben der Hochzeit des Figaro und dem Barbier von Sevilla zu den 3 besten komischen Opern der Welt. Außer in den klaren melodischen Linien zeigt sich Boieldieus Meisterschaft besonders in den Ensembleszenen; als herausragendes Beispiel ist das Finale des 1. Aktes zu nennen. Als Muster stilreinen Koloraturgesangs gilt die Arie der Prinzessin Ah! quel plaisir d'être en voyage, eine Nummer, die der Komponist aus seiner in Rußland zur UA gelangten Oper Télémaque adaptierte.

R. QUANDT

JOHANSEN, David Monrad, *8. 11. 1888 Vefsn, t 20. 2. 1974 Sandvika; norweg. Pianist und Komponist. Er studierte am Konservatorium in Oslo, seit 1921 bei E. Humperdinck an der Hochschule für Musik in Berlin, 1927-28 in Paris und 1933-35 bei H. Grabner in Leipzig. 1910 debütierte er als Pianist und trat 1915 erstmals auch mit eigenen Werken auf. 1918/19 gab er das Norsk Musikerblad heraus, war 1916-18 Musikkritiker des Norsk Intelligensedler und 1925-45 des Aftenposten in Oslo. 1929-45 leitete er den norwegischen Verband

für musikalische Herstellungsrechte. J. ging als Komponist von der national gebundenen Musik E. Griegs und R. Nordraaks aus, in die er Elemente des französischen Impressionismus und der neueren russischen Musik aufnahm. Später wandte er sich einer mehr klassisch orientierten, polyphonen Schreibweise zu. WW: 1) Instr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke, darunter Nordlandske danser (1963); Sonate (1912-13) für V. u. KIv.; Klv.-Quartett (1947); Quintett für Fl. u. Str. (1967); Streichquartett (1969); für Orch.: Symphonische Fantasie (1936); symphonische Dichtung Pan (1939); Symphonische Variationen (1946); Klv.-Konzert (1955). — 2) Vokal-WW: Lieder, u. a. Syv sánge (1920) (über alte norwegische Texte); Nordlands Trompet (1925); 10 Norske barnerim (1926); 5 Bibeltekster (1947); zahlr. Männerchöre; für SingSt u. Orch.: Voluspâ (1923-26) (über einen alten norwegischen Text); Kantate Ignis ardens (1929-31); Sigval Ska/d (1928). — Ferner die Bühnenmusik zu T. Orjasaeter, Jo Gjende (1924) u. eine Schrift E. Grieg (Oslo 1934, 31956).

JOHANSON, Sven-Erie, * 10. 12. 1919 Västervik; schwedischer Komponist. J. studierte 1939-46 Komposition bei H. Melchers und H. Rosenberg am Konservatorium von Stockholm. 1944-50 war er Organist in Uppsala und später in Göteborg, wo er seit 1954 am Konservatorium lehrt. Sein umfangreiches und vielfältiges, moderne Kompositionstechniken einbeziehendes Werk umfaßt viele Gebrauchskompositionen, u. a. für Laienchöre und Laienorchester. WW: 1) Instr.-WW: Orgel-Stücke; 3 Klv.-Sonaten (1949, 1956, 1959); 5 Streichquartette (1947, 1948, 1950, 1961, 1964); Sonomobil (1967) für 2 Trp., Harfe u. Pos.; elektronische Musik Omaggio a Boccaccio (1972). — Für Orch.: Symphonie Nr. 1 Sinfonia ostinata (1949, revidiert 1954); Symphonie Nr. 3 (1956); Etemenanki (1965-68); Sinfonietta pastorella (1972); Klv.-Konzert (1970). — 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder u. Chorwerke; Symphonie Nr. 2 für Tenor u. Chor (1954) u. Symphonie Nr. 4 für Chor a cap. (1958). — 3) Bühnen-WW: Opern: Bortbytingarna (Die Wechselbälger), UA: Göteborg 1953; Kunskapens vin (Der Wein des Wissens), UA: Motala 1966; Microdrama per musica Rivalerna (Die Rivalen), UA: Stockholm 1968; Tjuvens pekfinger (Der Zeigefinger des Diebes) (1968); Sagan om ringen (Der Herr der Ringe) (nach J. R. Tolkien) (1973), unvollendet; Stoppnálen (Die Stopfnadel) (1973), Solo-Oper für Sopran, Bläserquintett u. Schlagzeug.

JOHNSON, Bunk (William Geary), * 27. 12. 1879 New Orleans, t 7.7. 1949 New Iberia (Louisiana); amerik. Jazzmusiker (Trompete, Kornett). Er spielte in New Orleans in verschiedenen Bands und kam um 1895 zu Buddy Bolden. Seit 1900 reiste er mit Wandershows und trat 1910-14 wieder in New Orleans auf. In den 20er Jahren bis 1932 spielte er mit der „Black Eagle Band" und mit der „Banner Band", geriet dann aber in Vergessenheit. Mit Unterstützung von Louis Armstrong und der Jazzautoren William Russel und Frederick Ramsey gelang ihm 1937 ein Comeback. In der nun entstehenden „New Orleans Renaissance" zählte man J. zu den bekanntesten Solisten. 259

Johnson JOHNSON, James P. (James Price), *1. 2. 1891 New Brunswick (New Jersey), t 17. 11. 1955 New York; amerik. Jazzmusiker (Pianist) und Komponist. J. trat seit 1904, vorwiegend als Solist, auf, entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Ragtime-Pianisten Harlems der 20er Jahre und war maßgeblich bei der Entstehung des Harlem-Stils beteiligt. Als Komponist schrieb er europäisch geprägte und von Jazz-Reminiszenzen durchsetzte Orchestermusik. Lit.: Jazz erzählt, hrsg. v. N. SHAPIRO — N. HENTOFF (Mn 1962).

JOHNSON, Jay Jay (Jay James Louis), * 22.1.1924 Indianapolis (Indiana); amerik. Jazzmusiker (Posaune) und Arrangeur. Er spielte bis Anfang der 50er Jahre u. a. bei Count Basie, Illinois Jacquet, Woody Herman, Dizzy Gillespie und Oscar Pettiford. Mit dem Posaunisten Kai Winding gründete J. das „Jay and Kai Quintet" das sehr bekannt wurde und bis 1956 bestand. 1962 spielte er bei Miles Davis, leitete eigene Combos und arbeitete als Arrangeur und trat erst in der zweiten Hälfte der 70er Jahre wieder als Jazzposaunist hervor. J. übertrug als erster den präzisen Bebop Charlie Parkers auf die Jazzposaune und überwand damit deren schwerfälliges Glissando. Lit.: K. GOODWIN, J.J. J., in: Jazz Journal 9 (1956); F. FRANCESCO, The J.J.J. Complete Discography (Imola 1962).

JOHNSON, 1) John, t 1594 London; engl. Lautenist. Er stand seit 1583 (1581?) bis zu seinem Tode als berühmter Lautenist im Dienst Königin Elisabeths I. Von ihm sind hsl. einige Lautenkompositionen erhalten (Cambridge, Universitäts-Bibliothek). — 2) Robert, Sohn von 1), * 1583 London, t 1633 ebd.; engl. Lautenist und Komponist. Er ist seit 1604 als Lautenist König Jakobs I. nachweisbar. Von 1607 bis zu seinem Tode war er einer der wichtigsten Komponisten für die „King's Men Players" und schrieb die Musik zu zahlreichen Masques und Bühnenwerken u. a. Shakespeares. Er komponierte auch Lauten- und Virginalstücke. WW: Bühnenmusik, u. a. zu: Th. Moddleton, The Witch (1610); B. Jonson, Masque of Oberon (1611) u. The Gypsies Metamorphosed (1621); Shakespeare, The Tempest (1612). — Instrumentalmusik, Lautenstücke, Lieder u. Gesänge sowie Virginalmusik, hsl. oder in Sammeldrucken der Zeit. Ausg.: 4 Stücke, in: Fitzwilliam Virginal Book, hrsg. v. J. A. FULLER-MAITLAND — W. BARCLAY SQUIRE (L 1899, L — Lo 2 1904, Nachdr. NY 1963); 2 Songs, in: 7 Songs by Elizabethan Composers, hrsg. v. D. DUPRÉ (Lo 1956); dies., hrsg. v. A. LEWIS, in: W. Shakespeare, Two Songs from „The Tempest"... (P 1936) (darin 2 weitere Ayres). Lit.: J. P. CUTTs, The Contribution of R. J. ... to Court and Theatrical Entertainments ... (Diss. Reading 1955); DERS., R.J. King's Musician, in: ML 36 (1955); V. DUCKLEs, J., in: MGG VII.

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JOLANTHE (lolanta), Oper in einem Akt von Peter Tschaikowsky (1840-93), op. 69, Text von Modest Tschaikowski nach dem lyrischen Drama Kong René's Datter (1845; König Renés Tochter) von Henrik Hertz. Ort u. Zeit der Handlung: Frankreich im 15. Jh.; UA: 6. (18.)12. 1892 in St. Petersburg (Mariinski-Theater) (zusammen mit der UA des Balletts Der NuBknacker); dt. EA (in dt. Sprache) : 3.1. 1893 in Hamburg. Tschaikowskys letzter Oper liegt die Idee von der Überwindung eines schweren Schicksals (Jolanthe ist blind geboren) durch Liebe und Glauben an die Lebenskraft zugrunde. Trotz Änderung einzelner Züge der symbolistischen literarischen Vorlage behielt M. Tschaikowski im Libretto die monodramatische Struktur des Werkes bei. Deshalb entfaltet sich die Musikdramaturgie der Oper nicht im leitmotivischen Geflecht, das weniger dicht gefügt ist als in anderen Werken Tschaikowskys, sondern im sublimen Einsatz von dunklen und helleren Klangfarben und der sorgfältigen kammermusikalischen Gestaltung der Partitur mit auffallend zahlreichen Instrumentalsoli. Das Werk gliedert sich in neun deutlich voneinander abgesetzte Nummern; die symphonische Struktur des Orchestersatzes ist werkkonstitutiv. Symbolisch gedeutetes Kernstück der musikdramatischen Anlage ist Vaudemonts Lichthymnus, der in der Peripetie der Handlung zum Liebesthema (als Violoncello-Kantilene) von Jolanthe und Vaudemont umgedeutet erklingt. J. SCHLÄDER

JOLIVET, André, * 8.8.1905 Paris, t 19.12.1974 ebd.; frz. Komponist. J. studierte bei P. de Flem und E. Varèse in Paris. 1936 gründete er mit O. Messiaen, Daniel-Lesur und Y. Baudrier die Gruppe der „Jeune France". 1945-59 war er musikalischer Leiter der Comédie-Française und 1959-62 Conseiller technique der Direction générale des arts et lettres. 1959 gründete er in Aix-en-Provence das Centre français d'humanisme musical. 1966 wurde er Professor für Komposition am Pariser Conservatoire und 1968 Präsident der Fédération nationale du spectacle. WW: 1) lastr.-WW: Mana (1935) für Klv.; 2 Klv.-Sonaten (1945, 1957); Hymne à l'univers (1961) u. Mandala (1969) für Org.; Suite en concert (1965) für FI. u. 4 Schlagzeuger; Arioso barocco (1968) für Trp. u. Org.; Heptade (1971) für Trp. u. Schlagzeug; Pipeaubec (1972) für Blockft. u. Schlagzeug; La flöche du temps (1973) für 12 Streichinstr. — Für Orch.: Symphonie de danses (1940); Suite aus dem Ballett Guignol... (1943); Psyché (1946); 3 Symphonien (1953, 1949, 1964) u. Symphonie für Str. (1961). — Konzerte für: Ondes Martenot (1947); 2 für Trp. (1948, 1954); FI. (1949); KIv. (1950); Harfe (1952); Fag. (1954); Schlagzeug (1958); 2 für Vc. (1962, 1966); V. (1972). — 2) Geistliche VokalWW: Messe für SingSt, Org. u. Tambourin (1940); Épithalame (1953) für 12st. Vokalorch.; Oratorium La vérité de Jeanne

Jommelli (1956); Messe Uxor tua (1962) für 5 St. u. 5 Instr. (oder Org.); Kantate Le cceur de la matičre (1965) (Text: Teilhard de Chardin) für Soli, Chor u. Orch. — 3) Bäbnen-WW (UA in Paris): Opérabuffa Dolores, UA: RTF 1947, szenisch: 1960; Ballette: Les quatres vérités, UA: 1941; Guignol et Pandore, UA: 1944; L'inconnu,UA: 1950; Concerto, UA: 1958; Marines, UA: 1961; Ariadne, UA: 1965; ferner Rundfunk- u. Bühnenmusik.

J.s Tonsprache wurzelt in den natürlichen Voraussetzungen der Musik. Das führte ihn dazu, daß er sich zwar von den tonalen Bindungen befreite, ohne allerdings die Zwölftontechnik zu verwenden. In den modalen wie in den atonalen Werken haben bestimmte Töne und Akkorde eine zentrale Funktion, sie werden gewissermaßen zu Gravitationszentren. Darüber hinaus gibt J.s Schaffen vielfältig Zeugnis für sein Interesse am Tonmaterial, sei es durch die Suche nach ungewöhnlichen Klängen oder durch die Einbeziehung von Geräuschen in musikalische Zusammenhänge, sei es durch die eigenwillige Behandlung instrumentaler (z. B. Konzert für Ondes Martenot) wie vokaler Klänge (z. B. Épithalame). Bei aller kompositorischen Gestaltungsfülle verfolgt J. unaufhörlich ein geistiges Ziel: „der Musik ihren ursprünglichen Sinn als magischen und beschwörenden Ausdruck der Religiosität menschlicher Gemeinschaften zurückzugewinnen". lit.: Werk-Verz., hrsg. v. V. FÉDORov — P.GUINARD (P 1969). — S. DEMARQUEZ, A. J. (P 1958); P. LE FLEM, A. J., in: Musica (1959) Nr. 69; A. GoLÉA, Die zwei Welten A. J.s, in: NZIM 126 (1965); H. SAUGUET — B. GAVOTY, A. J., in: Courrier musicale (1975) Nr.49. G. BRELET

JOMMELLI (Jomelli), Niccolb, * 10. 9. 1714 Aversa bei Neapel, t 25.8.1774 ebd.; it. Komponist. J. war seit 1725 Schüler von Fr. Feo und I. Prota am Conservatorio S. Onofrio und seit 1728 Schüler von N. Fago, Sarcuni und Basso am Conservatorio della Pietà dei Turchini in Neapel. Darüber hinaus beeinflußte ihn auch L. Leo. Vom Marchese del Vasto Avalos protegiert, trat er nach Abschluß seiner Studien 1737 im Teatro Nuovo in Neapel erfolgreich mit seinem ersten Bühnenwerk, der komischen Oper L'errore amoroso, hervor. Im nächsten Jahr kam mit gleichem Erfolg Odoardo zur Aufführung. 1740 brachte er in Rom Ricimero, seine erste Opera seria, heraus und 1741 in Bologna die Oper Ezio. Dort traf er mit Padre Martini zusammen und wurde Mitglied der Accademia Filarmonica. Durch Empfehlung J. A. Hasses erhielt er 1745 (vielleicht auch früher) mit dem Posten eines Maestro di cappella am Conservatorio degli Incurabili in Venedig seine erste feste Anstellung. Der mit Beifall aufgenommenen Aufführung seines Passions-Oratoriums in Rom 1749 verdankte er die Beziehung zu einfluBreichen vatikanischen Kreisen, auf deren Fürsprache hin er Vizekapellmeister an St. Peter wurde. Während eines Wien-Aufenthaltes 1749/50

lernte er Metastasio kennen, von dem er wichtige Anregungen für die später entstandenen Opern empfing. 1753 wurde er von Herzog Karl Eugen als Oberkapellmeister an den Württembergischen Hof zu Stuttgart berufen, wo er sich, unterstützt durch ein großes Aufgebot namhafter Sänger und Instrumentalisten sowie das von J. G. Noverre geleitete Ballett, hauptsächlich der Oper widmete. 1769 kehrte er in seine Heimat zurück, nachdem Zerwürfnisse und Intrigen seine Position in Stuttgart zuletzt unerfreulich gemacht hatten. In den letzten Jahren arbeitete er von Neapel aus für den Portugiesischen Hof, wo seine Opern trotz nachlassender Resonanz in Italien ungeteilten Beifall fanden. WW: 1) Instr.-WW: Trios, Sonaten u. Divertimenti sowie Orch.Werke. — 2) Vokal-WW: Zahlr. geistliche Vokalwerke, u.a. ein Requiem (Missa pro defunctis) für Soli, Chor, Str. u. B.c., UA: Stuttgart 1756; ferner Oratorien u. Kantaten, darunter Miserere „Pietà Signore", UA: Neapel 1774. — 3) Bióne.-WW: Opern: L'errore amoroso, UA: Neapel 1737; Odoardo, UA: ebd. 1738; Ricimero re de' Goti (Libr.: A. Zeno, P. Pariati), UA: Rom 1740; Ezio (Libr.: P. Metastasio), UA: Bologna 1741, 2. Fassung: Neapel 1748, 3. Fassung: Stuttgart 1758 u. 4. Fassung: Lissabon 1772; Merope (Libr.: A. Zeno), UA: Venedig 1741, 2. Fassung: Wien 1749; Eumene (Libr.: A. Salvi), UA: Bologna 1742; Demofoonte (Libr.: Metastasio), UA: Padua 1743, 2. Fassung: Stuttgart 1764, 3. Fassung: Neapel 1770; Ciro riconosciuto (Libr.: ders.), UA: Bologna 1744; Caio Mario, UA: Rom 1746; Demetrio (Libr.: ders.), UA: Parma 1749; Achille in Sciro(Libr.: ders.), UA: Wien 1749, 2. Fassung: Rom 1771; Armida abbandonata (Libr.: F. S. de Rogatis), UA: Rom 1750, 2. Fassung: Neapel 1770; Ifigenia in Aulide (Libr.: M. Verazi), UA: Rom 1751; Attilio Regolo (Libr.: ders.), UA: Rom 1753; Fetone (Libr.: L. de Villati), UA: Stuttgart 1753; 2. Fassung: Ludwigsburg 1768; Pelope (Libr.: M. Verazi), UA: Stuttgart 1755; Temistocle (Libr.: Metastasio), UA: Neapel 1757; Nitteti (Libr.: ders.), UA: Stuttgart 1759; Alessandro nell'Indie (Libr.: ders.), UA: ebd. 1760; L'Olimpiade (Libr.: ders.), UA: ebd. 1761; La clemenza di Tito (Libr.: ders.), UA: ebd. 1765, 2. Fassung: Lissabon 1771; Vologeso (Libr.: A. Zeno), UA: Ludwigsburg 1766; Ifigenia in Tauride (Libr.: M. Verazi), UA: Neapel 1771; Festa teatrale Cerere placata, UA: ebd. 1772; Il trionfo di Clelia (Libr.: Metastasio), UA: Lissabon 1774.

Obwohl seine Bühnenwerke, von der Entwicklung überholt, rasch in Vergessenheit gerieten, gehört J., dessen stilistisches Vorbild J. A. Hasse war, zu den bedeutendsten Vertretern der neapolitanischen Opera seria. Als Meisterwerke ihrer Art unter den zahlreichen Stücken dieser Epoche gelten die in Stuttgart entstandenen Opern L'Olimpiade, Vologeso und Fetone, in denen J. den Höhepunkt seiner musikdramatischen Kunst erreichte. In ihnen wird die ehemals schematische Formbehandlung der Arien zurückgedrängt, das Accompagnato-Rezitativ gewinnt an Bedeutung, die Orchesterschreibweise wird verfeinert, Chor und Ballett nehmen verstärkt am Geschehen teil. In dieser Herausarbeitung der dramatischen Wirkung kommt J. den Intentionen Glucks nahe. Von den Kirchenkompositionen J.s, die vor allem aus der Zeit seiner Tätigkeit als Vizekapellmeister an St. Peter in Rom 261

Jones datieren, wurden einige Werke noch im 19. Jh. gespielt. Neben Psalmen und Motetten im Stile antico steht eine Vielzahl geistlicher Kompositionen im konzertierenden Stil: sie gefallen durch geschmeidige Melodieführung der Solostimmen und wirkungsvolle Chorsätze ebenso wie durch ihre überlegte Formgebung bis ins Detail. Während seiner venezianischen Zeit schrieb J. mehrere Werke in der für venezianische Konservatorien typischen Frauenchor-Besetzung. Unter den in Stuttgart entstandenen Kirchenkompositionen hat besonders das Requiem größere Bedeutung erlangt. Am berühmtesten wurde die kurz vor seinem Tode komponierte Psalmkantate Pietà Signore (nach dem Psalm Miserere). Ausg.: Fetone 1768, hrsg. v. H. ABERT (1907) (= DDT 32, 33); „Mors et vita" aus Victimae paschali laudes, in: DAVISONAPEL Anth. II. Lit.: H. ABERT, N. J. als Opernkomponist (HI 1908, Nachdr. Tutzing 1969); H. HELL, Die neapolitanische Opernsinfonie in der 1. Hälfte des 18. Jh. (Tutzing 1971) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 19); R. R. PATTENGALE, The Cantatas of N. J. (1973) (= Diss. Univ. of Michigan); J. O. CARLSON, Selected Masses of N. J. (1974) (= Diss. Univ. of Illinois); A. L. TOLKOFF, The Stuttgart Operas of N. J. (1974) (= Diss. Yale Univ./ Conn.); M. MCCLYMONDS, N. J. The Last Years (1978) ( = Diss. Univ. of California); W. HOCHSTEIN, Die Kirchenmusik W. HOCHSTEIN von N.J., 2 Bde. (Hil—Z—NY 1984).

JONES, Edward, genannt Bardd y Brenin, * 29.3. 1752 Llanderfel (Wales), t 18.4. 1824 Marylebone bei London; walisischer Barde. 1775 kam er nach London, wo er bald zu den besten Harfenisten seiner Zeit zählte. 1783 wurde er Barde des Prinzen von Wales und nachmaligen Königs Georg IV. Seine Sammlung von 225 gälischen Weisen wurde in 3 Büchern veröffentlicht: Musical and Practical Relicks of the Welsh Bards (Lo 1784, '1794), The Bardic Museum (Lo 1802), The Cambro-British Melodies (Lo 1825, postum). Außerdem gab J. unter dem Titel Lyric Airs (Lo 1804) griechische, albanische, walachische und maurische Weisen sowie weitere Sammlungen französischer und italienischer Lieder heraus. Lit.: C. POLIN, Some Thoughts on the Musical Content of the „Welsh Bardic Relicks", in: The National Library of Wales Jour-

nal 16 (1969/ 70).

JONES, Elvin (Elvin Ray), * 9.9. 1927 Pontiac (Michigan); amerik. Jazzmusiker (Schlagzeug). Er spielte in den 50er Jahren vor allem in Hard-BopGruppen, u.a. 1956 im Bud-Powell-Trio, 1958-59 bei Thelonious Monk und 1960-65 im Quartett von John Coltrane. Mit Duke Ellington konzertierte er 1966 in Europa und leitete seit 1967 eigene Combos, mit denen er die Coltrane-Tradition fortsetzte. J., der sich immer mehr vom durchlaufenden Beat 262

löste und statt dessen ein rhythmisch pulsierendes Spiel entwickelte, zählt zu den Begründern des Free Jazz. JONES, Gwyneth, * 7.11.1936 Pontnewyndd (Wales); engl. Sängerin (Sopran). Sie studierte am Royal College of Music in London, an der Accademia Musicale Chigiana in Siena, am Internationalen Opernstudio in Zürich sowie bei M. Carpi in Genf. 1961 debütierte sie am Opernhaus Zürich als Czipra im Zigeunerbaron von J. Strauß, gastierte dann u. a. an der Wiener Staatsoper, an der Mailänder Scala, am Covent Garden in London, an der Metropolitan Opera in New York und bei den Bayreuther Festspielen. In den letzten Jahren war sie Mitglied der Wiener Staatsoper und des Covent Garden in London. Zu ihren Hauptpartien zählen die Leonora in 1l trovatore (G. Verdi), die Amelia in Un ballo in maschera (Verdi), die Lady Macbeth in Macbeth (Verdi), aber auch die Marschallin in Der Rosenkavalier (R. Strauss) sowie die Walküre in R. Wagners Ring des Nibelungen (so auch in der berühmten Chéreau-Inszenierung der Bayreuther Festspiele 1976-80). JONES, Quincy (Quincy Delight), * 14.3. 1933 Chicago; amerik. Jazzmusiker (Trompete). Er spielte 1951-53 bei Lionel Hampton, mit dessen Orchester er auch seine erste Europatournee unternahm. Nach 1953 arbeitete er als Arrangeur in New York und leitete seit 1956 die Big Band von Dizzy Gillespie. 1959 übernahm er das All Star Orchestra, mit dem er im selben Jahr das Jazzmusical Free and Easy von Harold Arlen in Amsterdam uraufführte. Nach Amerika zurückgekehrt, wurde J. 1964 Vizepräsident von Mercury Records, arbeitete daneben weiter als Arrangeur und Bandleader; trat auch als Film- und Fernsehkomponist hervor. JONES, Robert, * um 1577, t nach 1615; engl. Lautenist und Komponist. 1597 wurde er in Oxford Bachelor of Music. 1610 erhielt er zusammen mit Ph. Rosseter ein Privileg zur Gründung und Leitung einer Schule sowie 1615 für ein Jugendtheater, das jedoch nicht realisiert werden konnte. Die kompositorische Stärke von J., dessen Werke teilweise auffällig nachlässig gedruckt wurden, liegt in der Erfindung kurzer eingängiger Melodien für seine weltlichen Gesänge. WW: 5 Bücher Songs and Ayres (mit unterschiedl. Titeln) für 1-4 St. mit Laute bzw. BaB-Viole (Lo 1600, 1601, 1608, 1609, 1610); Madrigale für 3-8 St. (Lo 1607); einzelne Gesänge in Sammeldrucken (RISM 1601 16, 1614', 1662', 16663, 1682'). Ausg.: First Set of Madrigals 1607, hrsg. v. E. H. FELLOwES (Lo 1924), revidiert v. Th. Dart (Lo 1961) (= Engl. Madrigalists 35a); Airs mit Laute, hrsg. v. DEMS. (Lo 1925-27), revidierte Ausg. des

Jongleur 1. Buches 1600, hrsg. v. DEMS. (Lo 1959) (= The Engl. School of Lutenist Song-Writers 2); 13 Lieder, in: An Elizabethan Song Book, hrsg. v. N. GREENBERG — W. H. AUDEN — CH. KALLMAN (Lo 1957); A Musical] Dreame, or the Fourth Booke of Ayres, Faks. der Ausg. v. 1609, hrsg. v. D. GREER (Menston 1967) (= Engl. Lute Songs 29). Lit.: E. H. FELLOWES, The Engl. Madrigal Verse, 1588-1632 (Lo 1920, 21929), 3. Aufl. revidiert u. erweitert v. F. W. Sternfeld — D. Greer (0 1967); J. P. CU'rrs, A Reconsideration of the Willow Song, in: JAMS 10 (1957).

JONES, Sidney, *17. 6. 1861 London, t 29. 1. 1946 ebd.; engl. Komponist. J. begann seine Laufbahn als Orchestermusiker und Militärkapellmeister und leitete in jungen Jahren bereits eine Operntruppe. 1892 schrieb er im Auftrag des Londoner Theaterdirektors George Edwardes die Musik für die Burleske Don Juan, woraus das Couplet Linger Longer Loo ein weltbekannter Schlager wurde. 1896 erzielte er mit der Operette The Geisha einen großen Erfolg, der 1899 durch die Musical Comedy San Toy in Großbritannien und den USA noch übertroffen wurde. Nach 1916 lebte J. sehr zurückgezogen und veröffentlichte keine neuen Werke mehr. WW: The Gaiety Girl (1893); An Artist's Model (1895); The Geisha (1896); A Greek Slave (1899); San Toy (1899); My Lady Molly (1903); The King of Cadonia (1908); The Persian Princess (1909); Spring Maid (1911); The Girl from Utah (1913); The Happy Day (1916). Lit.: B. GRUN, Kulturgesch. der Operette (Mn 1961).

JONGEN. — 1) Joseph-Marie-Alphonse-Nicolas, * 14. 12. 1873 Lüttich, t 12.7. 1953 Sart-lez-Spa; belgischer Komponist. Er studierte am Conservatoire in Lüttich und erhielt 1897 mit der Kantate Comala den belgischen Prix de Rome. Nach den 4 Stipendienjahren, die er z.T. auch in Deutschland und Frankreich verbracht hatte, kehrte er nach Belgien zurück und wurde dort mit der Fantaisie sur deux Noéls wallons schlagartig bekannt. 1902 wurde er Professor für Harmonielehre am Lütticher Conservatoire und 1920 am Brüsseler Conservatoire, das er 1925-39 auch leitete. J. war zunächst von der Musikanschauung der Pariser Schola Cantorum und vorübergehend auch durch den Impressionismus geprägt, entwickelte jedoch bald einen eigenständigen Stil, der sich, ohne eigentlich experimentell zu sein, gelegentlich, wie in der Symphonie avec orgue, der Atonalität und anderen modernen Schreibweisen nähert. WW: Zahlr. Klv.- u. Orgelstücke; Kammermusik, darunter: Sonate für Klv. u. Vc. (P 1912); 2 Sonaten für KIv. u. V. (P 1903, 1909); Sonate duo für V. u. Vc. (Bru 1942); 2 Klv.-Trios (P 1897, 1907); Saxophonquartett (Bru 1921); 3 Streichquartette (Lüttich 1894, Lo 1916, P 1921); Klv.-Quartett (P 1902); 2 Bläserquintette (Cincinnati 1933, 1942); Concert à cinq für Fl., V., Va., Vc. u. Harfe (Bru 1923). — Für Orch.: Symphonie (Bru 1899); symphonische Dichtung Lalla-Roukh (Lo 1904); Impressions d'Ardennes (Lo 1913); Triptyque (Bru 1935); Bourrée (Bru

1942); Trois mouvements symphoniques (Bru 1951). — Konzerte für: V. (P 1900); Vc. (P 1900); Klv. (Bru 1943); Harfe (P 1944); ferner Suite en deux parties für Va. u. Orch. (P 1915); Pièce symphonique für Klv. u. Blasorch. (Bru 1928); Symphonie concertante für Org. u. Orch. (Bru 1926). — Zahlr. Lieder sowie weltliche u. geistliche Vokal-Werke. — Oper Félyane (1907) (unvollendet) u. ein Ballett S'Arka, UA: Brüssel 1912.

2) Léon Marie-Victor Justin, Bruder von 1), * 2.3. 1884 Lüttich, t 18.11. 1969 Brüssel; belgischer Komponist. Er studierte am Conservatoire in Lüttich und war 1898-1904 Organist an der Collegiatskirche St-Jacques. 1913 erhielt er mit seiner Kantate Les Fiancés de Noél den belgischen Prix de Rome. Später unternahm er als Pianist zahlreiche Konzertreisen nach Asien und Marokko und war 1927-29 musikalischer Leiter und 1. Dirigent an der französischen Oper in Hanoi. Nach Belgien zurückgekehrt, war er seit 1934 Lehrer für Fuge und 1939 Direktor des Conservatoire in Brüssel und leitete seit 1956 die Chapelle musicale de la Reine Elisabeth. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; Orchesterwerke, u. a. Malaisie (1935) u. ein V.-Konzert D-Dor (1962); Chöre u. Lieder. — Bühnen-WW: Oper L'Ardennaise (1909); Féerie Le rive d'une nuit de Noël, UA: Paris 1918; Oper Thomas l'agnelet, UA: Brüssel 1924; Operette Les cinq filles de Benjamin; Ballette: Les bals de Paris, UA: ebd. 1954; Le masque de la mort rouge (nach E. A. Poe), UA: ebd. 1956. Lit.: Zu 1): Werk-Verz. (Bru 1953) (= Catalogue des oeuvres de compositeurs belges 5). — Zu 2): A. VANDER LINDEN, In memoriam L. J., in: Bulletin de la Classe des Beaux Arts de l'Académie Royale de Belgique 51 (1969); P. TINEL, Notice sur L. J., in: Annuaire de l'Académie Royale de Belgique (1973).

JONGLEUR (frz.; von lat. joculator = Spieler, Spaßmacher; altfrz.: jogleor), dem deutschen Spielmann (/Spielleute) vergleichbare Bz. für berufsmäßige Musiker, Pantomimen, Schausteller und Rezitatoren, die besonders zwischen dem 11. und 14. Jh. auf Jahrmärkten und Festen auftraten. In der sozialen Rangordnung stand der J. unter dem Troubadour, der jedoch auch Aufgaben eines J. wahrnehmen konnte, wie dies u. a. von Cercamon, Marcabru oder Gaucelm Faidit belegt ist. Mittelalterlichen Berichten nach wurden z. B. die J.e vom Hofe König Philipps II. August wegen Ausgelassenheit und Indiskretionen verwiesen; Ludwig IX. dagegen gestattete ihnen wieder Aufenthalt in Paris. In einigen Städten, wie z. B. in Arras, genossen die J.e wirkliche Unabhängigkeit; häufig gehen die Bruderschaften (frz.: confréries), zu denen sie sich zusammenschlossen, auf besondere Feste zurück. Sie besaßen Ausbildungsstätten in Paris, Reims, Bourg-en-Bresse, Toulouse und Narbonne. Innerhalb ihrer Dichterzünfte (řPuys) wählten die J.e einen sog. „Prince". So ernannte Philipp der Schöne 1296 Jean Charmillon zum „Prince du Puy de Troyes". Die in lyrischen Texten des 14. und 15. Jh. 263

Jonny spielt auf (z. B. bei Fr. Villon) häufig anzutreffende Anrede „Prince" in der Geleitstrophe (řEnvoi) galt stets dem Vorsitzenden einer solchen Dichterzunft. Lit.: E. FARAL, Les jongleurs en France au Moyen Age (P 1909, 2 1964); A. MONCKEBERG, Die Stellung der Spielleute im MA (Diss. Fr 1910); R. MENÉNDEZ PIDAL, Poesia juglaresca y juglares (Ma 1924, 61957); J. MAILLARD, Coutumes musicales au Moyen Age ... , in: Cahiers de Civilisation Médiévale 2 (Poitiers 1959); W. SALMEN, Der fahrende Musiker im europäischen MA (Kas 1960) (= Die Musik im alten u. neuen Europa 4). W.-D. LANGE

JONNY SPIELT AUF, Oper in 2 Teilen von Ernst Krenek (* 1900), op. 45, Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: eine mitteleuropäische Hauptstadt, ein Alpengletscher und Paris, in der Gegenwart. UA: 10.2. 1927 in Leipzig. Seinem erklärten Ziel, durch „direkte Gestaltung des lebendigen Lebens" den Zuschauern ein Opernerlebnis zu vermitteln, versucht Krenek mit der Anhäufung bunter Gegensätze gerecht zu werden: In der verwirrenden Geschichte um eine gestohlene Geige und eine wiedergefundene Liebe werden nicht nur landschaftliche Kontraste (Gletscherregion — Großstadt), sondern auch die personelle Disposition (der schwarze Jazzgeiger und seine von ihm faszinierten europäischen Zuhörer) dramatisch genutzt. Am deutlichsten wird die Gegenüberstellung auf der musikalischen Ebene, Jazz-Elemente werden in die durch übersättigte Harmonik gekennzeichnete spätromantische Musiksprache integriert. Dabei strebt der Komponist weniger stilechten Jazz an, als vielmehr eine Synthese mit den Schlagern der 20er Jahre, was sich auch in den bewußt banal gehaltenen Texten äußert. Dies trug dem Werk zwar in Amerika vernichtende Kritiken ein, Krenek traf damit jedoch genau den europäischen Zeitgeschmack; schon bei der UA brachte ihm das Publikum stürmische Ovationen dar, und die Oper wurde zu einer der meistaufgeführten der 20er Jahre überhaupt. TH. MENGER JONSON, Ben (eig. Benjamin Johnson), * wahrsch. 11.6.1572 London, t 6.8.1637 ebd.; engl. Dichter und Dramatiker. Er wurde nach der Schulzeit an der Westminster School und nach Militärdienst in Flandern 1597 von Philippe Henslowe in dessen Theatertruppen engagiert und war später auch für verschiedene andere Schauspieltruppen tätig. 1616 erhielt er durch die Zuweisung einer Pension von König Jakob I. praktisch die Stellung eines Poet laureate, 1619 wurde er Magister artium der Universität Oxford, 1628 Chronologer of the City of London. Für die Musikgeschichte bedeutsam wurde J. durch seine řMasques, die seit 1605 bei Hofe gespielt wurden. J.s ständiger Mitarbeiter war der Ar264

chitekt und Bühnenbildner Inigo Jones (1573 bis 1652), der mit der Dekoration zu The Masque of Blacknesse (1605) die erste Bühnenausstattung in England schuf. WW (UA in London): The Masque of Blacknesse, (UA: 1605; Hymenaei, UA: 1606; The Masque of Beauty, UA: 1608; The Hue and Cry after Cupid, UA: 1608; The Masque of Queens, UA: 1909; Oberon, UA: 1611; Love Freed from Ignorance and Folly, UA: 1611; Love Restored, UA: 1612; The Irish Masque at Court, UA: 1613; Mercury Vindicated, UA: 1615; The Golden Age Restored, UA: 1616; Christmas, UA: 1616; The Vision of Delight, UA: 1617; Lovers Made Men, UA: 1617; Pleasure Reconciled to Virtue, UA: 1618; News from the New World, UA: 1620; The Gipsies, UA: 1621; The Masque of Augurs, UA: 1622; Time Vindicated, UA: 1623; The Fortunate Isles, UA: 1625; Love's Triumph Through Calliopolis, UA: 1631; Chloridia, UA: 1631. — Kompositionen nach B.J.: Volpone, or the Fox, UA: London 1606, danach: G. Antheil, Oper Volpone, UA: Los Angeles 1953, H. Eisler, Bühnenmusik, UA: Wien 1953, u. F. Burt, Oper Volpone, UA: Stuttgart 1960, Neufassung Oldenburg 1963; Epicoene, or the Silent Woman, UA: London 1609, danach: A. Salieri, Oper Angiolina o sia Il Matrimonio per susurro, UA: Wien 1800, M. Lothar, Oper Lord Spleen, UA: Dresden 1930 u. R. Strauss, Oper Die schweigsame Frau (Libr.: S. Zweig), UA: ebd. 1935; The Alchemist, UA: London 1610, danach: G. F. Händel, Bühnenmusik, UA: ebd. 1733. Lit.: W. M. EvANS, B. J. and Elizabethan Music (Lancaster/Pa. 1929, Nachdr. NY 1965); P. CUTTs, Jacobean Masque and Stage Music, in: ML 35 (1954); DERS., B. J.'s Masque „The Vision of Delight", in: Notes and Queries 101, N.S. 3 (1956); M.O. THOMPSON, Uses of Music and Reflections of Current Theories of the Psychology of Music in the Plays of Shakespeare, J. and Beaumont and Fletcher (1956) (= Diss. Univ. of Minnesota); A. J. SABOT, Two Unpublicated Stage Songs for the „Aery of Children", in: Renaissance News 13 (1960); S. O RGEL, The Jonsonian Masque (C/M 1965); E. DOUGHTIE, Ferrabosco and J.'s „The Houre-Glasse", in: Renaissance Quarterly 22 (1969); J. C. MEAGHER, Method and Meaning in J.'s Masque (Lo 1969); J. B. BAMBOROUGH, B. J. (Lo 1970) (mit Bibliogr.).

JOOSS, Kurt, * 12.1.1901 Wasseralfingen (Württemberg), t 22. 5. 1979 Heilbronn; dt. Choreograph. J. war ein Schüler R. von Labans. 1924 gründete er in Münster die „Neue Tanzbühne". 1927 wurde er Leiter der Tanzabteilung an der Folkwangschule Essen, der er ein Folkwang-Tanztheater angliederte, und 1929 auch Ballettmeister am Stadttheater von Essen. Einen sensationellen Erfolg hatte er 1932 mit dem anläßlich des Choreographie-Wettbewerbs der Archives de la Danse in Paris aufgeführten und mit dem 1. Preis ausgezeichneten pazifistischen Tanzdrama Der grüne Tisch. 1934 wurde ebenfalls in Paris seine für Ida Rubinstein bestimmte Choreographie zu I. Strawinskys Tanzmelodram Perséphone (Libretto: A. Gide) aufgeführt. Im selben Jahr emigrierte er nach London, von wo er mit seinen „Ballets Jooss" Westeuropa und Amerika bereiste. 1949-68 leitete er erneut die Tanzabteilung der Folkwangschule Essen und war zeitweilig auch als Ballettmeister an den Opern in Essen und Düsseldorf tätig. Beson-

Joseph I. ders seine für die Salzburger und Schwetzinger Festspiele entstandenen Choreographien gehören zu den späten Beispielen einer Verbindung von klassischem Ballett und Ausdruckstanz. — /Ballett. Lit.: A. V. COTON, K. J. and His Works (Lo 1949); O. F. REGNER, Das Ballettbuch (F 1950, 21954) (= Fischer-Bücherei 66). H. LINDLAR

JOPLIN, Janis * 19. 1. 1943 Port Arthur (Texas), t 4.10.1970 Los Angeles; amerik. Blues- und Rocksängerin. Sie kam 1966 nach San Francisco, wo sie sich der „Big Brother and Holding Company" anschloß. Mit dieser Formation wurde J. J. die bekannteste Rockinterpretin der späten 60er Jahre. 1968 gründete sie eine eigene Begleitband, mit der sie auch eine erfolgreiche Europatournee unternahm. J.J., die stark von Betty Smith beeinflußt war, galt als eine der wenigen weißen Sängerinnen, die den „echten schwarzen" Blues singen konnte. JORA, Mihail, * 2. (14.) B. 1891 Roman, t 10.5. 1971 Bukarest; rumänischer Komponist. Er studierte Jura an der Universität und 1909-11 am Konservatorium von Ia i. 1912-14 setzte er sein Musikstudium bei R. Teichmüller, St. Krehl und M. Reger am Konservatorium in Leipzig fort und bildete sich 1919/20 noch bei Fl. Schmitt in Paris weiter; 1928-33 war er Musikdirektor am Rumänischen Rundfunk sowie 1929-48 und 1957-62 Professor für Harmonielehre, Kontrapunkt, Fuge und Komposition am Bukarester Konservatorium, das er 1941-47 auch leitete. Zu seinen Schülern gehörte D. Lipatti. WW: 1) Instr.-WW: Für Klv.: Joujoux pourma dame (1925); Poze si pozn, 3 H.e (1948, 1959, 1963); 13 Praeludien (1960); Sonatine (1961); 2 Streichquartette (1926-1966); Sonate für Va. u. Klv. (1951); V.-Sonate (1962). —Für Orch.: Suite d-moll (1915); symphonische Dichtung Poveste indica (1920); Suite Privelisti moldovenesti (1924); Symphonie C-Dur (1937); Burlesca (1949). — 2) Vokal-WW: 22 Liederzyklen für SingSt u. Klv. sowie zahlr. Chöre. — 3) Bïiúnen-WW: Ballette: La pia'ä (Auf dem Markt, UA: Bukarest 1931; Cind strugurii se coc (Wenn die Trauben reifen), UA: ebd. 1957; Intoarcerea din adincuri (Rückkehr aus der Tiefe) UA: ebd. 1965; Hanul Dulcinea (Die Herberge Dulcinea), UA: ebd. 1967. Lit.: G. SBIRCEA, M. J. (Bukarest 1969) (mit Werk-Verz.); V. CosMA, Muzicieni români (ebd. 1970).

JOROPO, venezolanischer Volkstanz im raschen und wechselnden 6/8- und 3/4-Takt; weitere Kennzeichen sind kurze melodische Floskeln und stark betonte Rhythmik. Die Tanzfiguren lassen spanisch-kreolische und z.T. auch afrikanische Einflüsse erkennen. JOSEPH, Drame mêlé de chant (Drama mit Gesang) in 3 Akten von Étienne Nicolas Méhul (1763-1817), Text von Alexandre Duval. Ort und

Zeit der Handlung: Memphis (Ägypten), um 1715 v. Chr. UA: 17.2. 1807 in Paris (Théâtre de l'Opéra-Comique), dt. EA (in dt. Sprache): 6. 1. 1809 in München (Übers.: M. G. Lambrecht). Um zu beweisen, daß ein Bühnenwerk ohne Liebeshandlung vor dem Publikum bestehen könne, schufen Duval und Méhul in knapp 3 Monaten diese Oper, die streng der biblischen Erzählung folgt. Mängel im Libretto (die im dramatischen Verlauf zentrale Wiedererkennungsszene verbleibt im gesprochenen Dialog) schmälerten den Erfolg des Werks in Frankreich, dennoch erkannte man ihm 1808 den von Napoléon I. gestifteten, alle 10 Jahre verliehenen Staatspreis für das beste in der OpéraComique aufgeführte Werk zu. In Deutschland, wo die Oper auch unter den Titeln Joseph und seine Brüder und Joseph in Ägypten gespielt wurde, errang das mit sparsamsten musikalischen Mitteln vertonte Drama dagegen Popularität. Zu seinen Bewunderern zählte nicht zuletzt C. M. von Weber. Méhul wählte die Gattungsbezeichnung „Drama mit Gesang", um so zum Ausdruck zu bringen, daß die nach den Regeln der Opéra-comique (mit gesprochenen Dialogen) gestaltete Oper einen ernsten Stoff zur Grundlage hat. R. QUANDT JOSEPH, Georg, dt. Komponist des 17. Jahr-

hunderts. Von ihm ist lediglich bekannt, daß er Mitte des 17. Jh. im Dienst des Fürstbischofs von Breslau stand. Er komponierte für die Heilige Seelen-Lust oder Geistliche Hirten-Liedervon Angelus Silesius (Breslau 1657, 21668) 184 von insgesamt 205 Melodien. Viele von ihnen wurden im 17.-19. Jh. in katholische und evangelische Gesangbücher übernommen. Im katholischen Kirchengesang haben sich bis heute die Lieder Ich will dich lieben, meine Stärke und Morgenstern der finstern Nacht gehalten. Ausg.: 78 Lieder, in: J. ZAHN, Die Melodien der dt. ev. Kirchenlieder 1-5 (Gütersloh 1889-92, Nachdr. Hil 1963); 10 Lieder aus Heilige Seelen-Lust, hrsg. v. P. EPSTEIN (Breslau 1931) (= Alte Schlesische Musik 1).

JOSEPH I., * 26.7.1678 Wien, t 17.4.1711 ebd.; seit 1705 römisch-deutscher Kaiser. Er war ein großer Musikfreund, trat gelegentlich selbst als Tänzer, Sänger oder Schauspieler auf und schrieb auch einige Kompositionen (Regina coeli für Sopr. u. Str. und einzelne italienische Arien). Bedeutsam ist er als Widmungsträger und vor allem als Auftraggeber (u. a. für A. Ariosti, C. A. Badia, H. I. Fr. Biber, G. B. Bononcini, D. Buxtehude, A. Draghi und M. A. Ziani). Ausg.: Musikal. Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. u. J. I., 2 Bde., hrsg. v. G. ADLER (W 1892), Nachdr., 1 Bd. (Farnborough 1971).

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Josephslegende JOSEPHSLEGENDE (La Légende de Joseph), Handlung in einem Akt. Libretto: Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929). Musik: Richard Strauss (1864-1949), op. 63. UA: 14.5. 1914 in Paris (Théâtre National de l'Opéra). Choreographie: Michail Fokin (1880-1942). Im Libretto wird die biblische Geschichte vom Hirtenknaben Joseph zu einer eigenständigen Legende ausgestaltet. Joseph wird als Sklave von Potiphar, einem ägyptischen Hofbeamten, gekauft; als dessen Frau Joseph zu verführen sucht und er ihr widersteht, befiehlt sie, ihn zu foltern. In einer verklärenden Apotheose wird Joseph errettet, Potiphars Frau hingegen richtet sich selbst. — Die dramatische Spannung zwischen den Antagonisten suchte Strauss auch musikalisch zu präsentieren. Dabei war er bemüht, die Tendenzen der zeitgenössischen Ballettkunst zu fördern. Er ging davon aus, dâß der reine Besitz des wirklich Nurgraziösen nicht verlorengehen sollte, so wie in der Musik neben dem Charakteristischen, Programmatischen und dem Elementaren nie die Linie des absolut Lieblichen preisgegeben werden dürfte. — Der UA des Werks, die Strauss selbst dirigierte, war ein triumphaler Erfolg beschieden. Im Stil venezianischer Spätrenaissance inszeniert, wurde die J. von den Ballets Russes des S. Diaghilew dargeboten; in der Rolle des Joseph debütierte Leonide Massine (1896-1979). G.

LUDIN

JOSIF, Enriko, *1. 4. 1924 Belgrad, serbischer Komponist jüdischer Abstammung. Er studierte an der Musikhochschule Belgrad, wo er 1957 Professor für Komposition wurde. Das Werk J.s ist von traditionellen Konjpositionsverfahren geprägt, insbesondere durch alte Kirchentonarten und Formen barocker Polyphonie. Harmonisch wird die zugrunde liegende Dur-Moll-Tonalität gelegentlich durch impressionistische Passagen oder auch harte, dissonante Klangfolgen unterbrochen. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke, u.a. Sonata brevis (1949); Streichquartett (1948); Divertimento für Bläserquintett (1964); Epigram I für Kammerensemble u. II für Klv.-Trio (1967). — Für Orch.: Sinfonietta (1954); Sonata antica (1955); Lirska simfonija (1956) für 4 Fl., Harfe u. Streichorch.; Klv.-Konzert (1959); Simfonija u jednom stavu (1965). — 2) Vokal-WW: Oratorio profano da camera (1956) für Sopran, Rezitator, Celesta, Klv. u. Schlagzeug; Kantate Rustikon (1962) für Alt, gem. Chor u. Orch.; ferner Bühnen- u. Filmmusik.

JOSQUIN DES PRÉS, (Desprez, Jodocus Pratensis, Juschino, Josquin Dascanio, am häufigsten Josquin) * um 1440 in der Picardie (Beaurevoir?), t 27.8. 1521 (1524?) in Condé-sur-l'Escaut; Komponist. — Die Schreibweise „Desprez" findet sich in einem offiziellen Schreiben J.s und des Kapitels von Notre-Dame in Condé an Margarete von Oster266

reich 1507. Die Herkunft des Musikers läßt sich aus der Bezeichnung „picardus"` des Reisepasses des Sforza-Hofes vom 12.4. 1479 sowie den Hinweisen „belga veromanduus" in der St. Galler Hs. 463/64 und „hennuyer de nation" des Dichters F. Ronsard (1560) entnehmen. Das Todesdatum 27. B. 1521 geht auf die aus dem 17. Jh. stammende Hs. 389 der Bibl. Municipale in Lille zurück und ist durch eine Unterschrift Josquins in einem bisher allerdings noch nicht wieder aufgefundenen Exemplar von Erasmus' Exomologesis aus dem Jahre 1524 fraglich geworden. — Nach Cl. Hémeré (1633) erhielt Josquin seine musikalische Ausbildung als Sängerknabe an der Kollegiatskirche von St. Quentin (zeitgenössische Quellenhinweise fehlen). Die Déploration de Johan. Okeghem und zahlreiche musikalische Ockeghem-Zitate lassen auf eine Verbundenheit mit dem älteren Meister schlieBen; ein direktes Schülerverhältnis ist nicht nachweisbar. — Von Juli 1459 bis Dezember 1472 wird Josquin als „biscantor", d. h. ausgebildeter Sänger, in den Registern der Mailänder Domkantorei geführt. Neue Quellenfunde von E. E. Lowinsky belegen, daß Herzog Galeazzo Maria Sforza dem nunmehrigen Mitglied seiner Privatkapelle bereits vor dem 20. 9. 1473 eine hochdotierte Pfründe übertragen hatte, was auf eine besondere Wertschätzung schlieBen läßt. Den beiden Kapellen des 1476 ermordeten Herzogs gehörten zeitweilig G. van Weerbeke, A. Agricola, L. Compère und J. Martini an. Der Reisepaß von 1479 für eine Wallfahrt nach Vienne gilt als das letzte Mailänder Dokument für den „cantore et capellano". — Der Name „Josquin Dascanio" (d'Ascanio) belegt, daB der Komponist in den Diensten des Kardinals Ascanip Sforza (1455-1505) stand. Lowinskys hieran anknüpfende Überlegungen für die Jahre 1479-86 müssen allerdings erst noch durch eindeutige Quellennachweise gestützt werden. Von Oktober 1486 bis April 1495 gehörte J. mit Unterbrechungen der päpstlichen Kapelle in Rom an. 1501 wurde er im Auftrage Herzog Ercoles I. d'Este (1431 bis 1505) zur Auswahl von Sängern nach Flandern gesandt. Auf dieser Reise wurden vermutlich Verbindungen zum französischen König Ludwig XII. und Erzherzog Philipp dem Schönen geknüpft, der den Komponisten mit nach Spanien nehmen wollte. 1503/04 wirkte Josquin, der Heinrich Isaac vorgezogen wurde, als Kapellmeister am Hof in Ferrara. Seinen Lebensabend verbrachte er als Propst der Kollegiatskirche Notre-Dame in Condé-sur-l'Escaut. WW: Im Druck erschienen: 3 Bücher Misse Joaquin (V 1502, 1505, 1514 mit jeweils mehreren Nachdr.), Messen ferner in Sammeldrucken (1505', 1516', 1522, 1539" 1); Motetten, Psalmen,

Josquin des Prés Hymnen u. a. geistl. Werke sowie Chansons, Frottolen u. a. weltl. Werke in jeweils mehr als 30 Sammeldrucken 1501-1590; zahlr. geistl. u. weltl. Gesänge auch in Bearb. für u. mit Laute bzw. Vihuela (u. a. in den Tabulaturdrucken von Fr. Spinacino, Fr. da Milano, H. Neusidler. S. Gintzler, M. de Fuenllana, S. Ochsenkuhn, V. Bakfark, H. de Cabezón) u. für Org. (u. a. bei E. N. Ammerbach). Viele Beispiele aus J.s Werken finden sich auch in den Traktaten von H. Glareanus u. A. Gumpelzhaimer.

Das in seiner Zeit nur mit H. Isaacs Schaffen vergleichbare umfangreiche Opus J.s umfaßt 19 vollständige Messen, einige einzelne Ordinariumssätze, etwa 90 Motetten, 70 weltliche Werke und einige Instrumentalkompositionen. Bisherige Versuche einer Chronologisierung unter Berücksichtigung von Quellenlage, Textinterpretation und Stilanalyse gruppierten die Werke nach drei Schaffensperioden (Mailand — Rom/Ferrara — Condé). Neuere Analysen haben allerdings im Hinblick auf das Spätwerk bereits zur Revision dieser Ansätze geführt. — Bei den Messen L'ami Baudichon und Gaudeamus erinnern Kopfmotivtechnik, Ostinato- und C.f.-Prinzip an den älteren Stil G. Dufays und J. Ockeghems, während die Missa Pange lingua J.s Spätstil repräsentiert und als frühes Beispiel der vollständigen Durchimitation gilt. Die souveräne Beherrschung der kontrapunktischen Künste kommt auch in den Kanonmessen Ad fugam und Sine nomine zum Ausdruck. Choralzitate werden ebenso verwendet wie Chansonmelodien (L'homme armé), Solmisationsthemen (La sol fa re mi, Hercules Dux Ferrariae) und mehrstimmige Vorlagen (Di dadi). Am weitesten verbreitet war die Missa De Beata Virgine. Verdienten bei der Missa Pange lingua die „Verschmelzung von Ausdrucksintensität und Ausdrucksfülle, Durchsichtigkeit und Strenge der Konstruktion" (Finscher) höchste Bewunderung, waren es vor allem die Motetten über Bibeltexte wie Planxit autem David, De profundis, Miserere mei oder Memor esto tui, in denen J. mit den Mitteln der Bicinienbildung, Chorspaltung und Durchimitation (z. T. kombiniert mit den bekannten Kontrapunkttechniken) und mit dem Wechsel polyphoner und homophoner Abschnitte unter Berücksichtigung eines engen Wort-Ton-Verhältnisses, des Affektgehaltes des Textes und des Deklamationsprinzips den entscheidenden Impuls für ein neues ausdruckshaftes Klang- und Stilideal gab. Zu den Idealen Josquinscher Musik gehören die Ausgewogenheit des Satzes und des Klanges. Gegenüber der epochalen Bedeutung des kirchenmusikal. Schaffens treten die weltlichen Werke trotz nicht geringerer Meisterschaft in der Satzkunst in den Hintergrund. —J.s Werke waren — nicht zuletzt aufgrund der raschen Verbreitung infolge des aufstrebenden Notendrucks — in allen europäischen Mu-

sikländern bekannt und prägten die Schreibweise der folgenden Komponistengenerationen. Die Wertschätzung des bereits zu Lebzeiten hochgerühmten „princeps omnium" bestätigen die Misse Josquin von 1502 als erster Druck, der nur Werke eines einzigen Komponisten enthält. Zu dem Kreis der Bewunderer, zu denen Komponisten, Musiktheoretiker und Dichter ebenso zählen wie Kunstmäzene und Herrscher, gehörte auch Martin Luther. In J. fand „die entscheidende, mit der Bewegung des Humanismus zusammenhängende Tendenz zur Ausdrucksgestaltung und Symbolistik, die Überwindung des mittelalterlichen Rationalismus zugunsten einer Vermenschlichung der Musik ihren größten, bahnbrechenden Repräsentanten" (H. Osthoff). Damit markiert sein Schaffen in einer besonderen Weise den Beginn der musikalischen Neuzeit. Ausg.: GA, hrsg. v. A. SMUERS (1921-57), fortgesetzt v. M. ANTONOWYCZ u. (ab 1965 ff.) zus. mit W. ELDERS, 12 Bde., 55 Lieferungen (A 1922-69), davon I, III, V, X, XI, u. XV—XXI als Nachdr. (L 1969). — Missa Pange lingua, 6 Chansons, 4 Motetten, 3 Evangelienmotetten, 3 Pss. u. Missa De beata virgine, hrsg. v. F. BLUME (Wb 1929ff.) (= Chw 1, 3, 18, 23, 33 u. 42); 2 Vergil-Motetten u. 3 Motetten, hrsg. v. H. OSTHOFF (Wb 1956) (= ebd. 54 u. 57); Die 23 Chansons aus dem SusatoDruck RISM 154515 in der Faks.-Ausg. dieses Druckes (Bru 1970) (= Corpus of Early Music in Facs. I/8); weitere Werke, hrsg. v. H. OSTHOFF, in: Möseler-Chorreihe (Wb 1974ff.). Lit.: A. KRINGS, Unters. zu den Messen mit Choralthemen v. Ockeghem bis J. des Prez (Kö 1951); H. OSTHOFF, Zur Echtheitsfrage u. Chronologie bei J.s Werken, in: Kgr.-Ber. Utrecht 1952; H. REIFFENSTEIN, Die weltlichen Werke des J. des Prez (Diss. F 1952); C. DAHLHAUS, Stud. zu den Messen J.s des Prés (Diss. Gö 1953); W. WIORA, Der religiöse Grundzug im neuen Stil u. Weg J.s des Prez, in: Mf 6 (1953); H. OSTHOFF, J. D. Leben u. Werk, 2 Bde. (Kas 1962-65); L. FINSCHER, Zur C.f.-Behandlung in der Psalm-Motette der J.-Zeit, in: H. Albrecht in memoriam (Kas 1962); W. ELDERS, Das Symbol in der Musik v. J. des Prez, in: AMI 41 (1969); M. STAEHELIN, Zu einigen unter J.s Namen gehenden Ordinariumskompositionen, in: Mf 22 (1969); J. VAN BENTHEM, Zur Struktur u. Authentizität der Chansons ä 5 & 6 v. J. des Prez, in: TVer 21 (1970); W. KIRSCH, International J. Festival Conference New York, in: Mf 24 (1971); L. FINSCHER, J. D., in: Musics 25 (1971); H. BESSELER, Dt. Lieder v. R. Morton u. J., in: BzMw 13 (1971); E. STAM, Die 24st. kanonische Psalmmotette „Qui habitat in adiutorio altissimi" v. J. des Prez, in: TVer 22 (1971/72); J. VAN BENTHEM, Einige wiedererkannte J.-Chansons im Cod. 18746 der Östr. Nationalbibl., in: ebd.; M. C. THORBERG, Contrapunctal Style in the Motets of J. des Prez (1973) (= Diss. Washington American Univ.); F. BLUME, J. D., the Man, the Music, in: Syntagma musicologicum 2 (Kas 1973); B. J. BLACKBURN, J.'s Chansons. Ignored and Lost Sources, in: JAMS 29 (1976); J. VAN BENTHEM, Kompositorische Verfahren in J.s Proportionskanon „Agnus Dei", in: TVer 26 (1976); W. ELDERS, Short Report of the Third J. Meeting with a Proposal for an Ordering of the Works in the New J. Edition, in: ebd.; I. GODT, The Restoration of J.s „Ave mundi spes, Maria" and Some Observations on Restoration, in: ebd.; DERS., Motivic Integration in J.'s Motets, in: JMTh 21 (1977); J. des Prez, hrsg. v. E. E. LOWINSKY (Lo 1977); W. ELDERS, Short Report of the Fourth J. Meeting, in: TVer 28 (1978); M. ANTONOWYCZ, Criteria for the Determination of

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Jota Authenticity. A Contribution to the Study of Melodic Style in the Works of J. des Prez, in: ebd. F. BRUSNIAK

JOTA (span.), spanischer Volkstanz bzw. Tanzlied, landschaftlich unterschiedlich im schnellen oder langsameren (vom Gesang abhängigen) 3 /8- oder 3 /4-Takt. Sie wird — begleitet von Gitarre, Bandurria, Pfeife (oder Dudelsack) — paarweise, jedoch ohne daß die Tänzer sich berühren, und mit erhobenen Armen getanzt. Die J., die aus Aragón stammt und inzwischen in ganz Spanien verbreitet ist, läßt sich bereits im 18. Jh. nachweisen. Sie geht möglicherweise — wie der /Fandango — auf ältere Tänze zurück. Angeblich ist ihr Erfinder ein valencianischer Maure, Aben Jot, der im 12. Jh. als Flüchtling in Calatayud gelebt haben soll. Die bekanntesten Typen der J. sind die J. aragonesa pura, J. libre, J. de Utebo, J. del albaňil, J. de Cariňena, J. Fiera de Fuentes, J. de Aben Jot, J. de Aragón. J.-Sammlungen veröffentlichten u. a. Agustin Pérez Soriano und Santiago Lapuente. In der Kunstmusik schrieben viele spanische Komponisten J.s., u. a. R. Chapí, Cr. Oudrid, M. Fernández Caballero, T. Bretón, I. Albéniz, E. Granados, M. de Falla und C. del Campo, ferner auch M. Glinka, Fr. Liszt, Fr. Gevaert, E. Chabrier und R. Laparra. Lit.: M. SCHNEIDER, J., in: MGG VII; D. GALAN BERGUA, El libro de la j. aragonesa (Saragossa 1966); J. MENENDEZ DE ESTEBAN, Carácter y personalidad de la j. (Pamplona 1974).

JOUBERT, John Pierre Herman, * 20.3.1927 Kapstadt, südafrikanischer Komponist. J. studierte am South African College of Music in Kapstadt und 1946-50 bei Th. Holland und H. Ferguson (Komposition) an der Royal Academy of Music in London.1950 wurde er Bachelor of Music der Universität von Durham, lehrte dann bis 1962 an der Universität von Hull und anschließend an der Universität von Birmingham. WW: 1) llostr.-WW: Klv.-Stücke; Duo für V. u. Vc. (1969); Streichtrio (1959); Streichquartett (1950); Sinfonietta für Kammerorch. (1962). — Für Orch.: Ouvertüre (1953); Symphonisches Vorspiel (1954); North Country Overture (1958); In memoriam 1820 (1961); 2 Symphonien (1956, 1962): V.-Konzert (1954) u. Klv.-Konzert (1958). — 2) Vokal-WW: Chorsymphonie The Choir Invisible (1965) für Bar., Chor u. Orch.; zahlr. geistliche Werke, u.a.: Kantaten Urbus beata (1963) u. Martyrdom of St. Alban (1962); Missa Beati bannis (1969) u. Nunc dimittis (1964) für Chor u. Org.; Oratorium Lazarus für Mezzo-Sopran, Tenor u. Chor. — 3) ěiiWea-WW: Opern: Antigone, UA: BBC 1954; In the Drought, UA: Johannesburg 1956; Silas Manner, UA: Kapstadt 1961; The Quarry, UA: ebd. 1965; Under Western Eyes, UA: London 1969; ferner das Ballett The Legend of Princess Vlei, UA: Kapstadt 1952. Lit.: E. CHISHOLM, in: MT 102 (1961); W. MELLERS, in: MT 105 (1964); P. DICKINSON, in: MT 112 (1971).

JUBILEE (engl.), /Negro spiritual. 268

JUBILUS (von lat. iubilum, iubilatio = Jubel), Bz. für textlose Melismen, insbesondere für solche auf der SchluBvokalise des /Alleluia. Bereits im 1. Jh. v. Chr. verwendete Varro das Verb „iubilare" für das textlose Singen der Bauern, Hirten und Soldaten. Als Substantiv erscheint der Terminus indes erst im Latein der altchristlichen Liturgie: so etwa bei Vigilius von Trient und bei Hilarius im Kommentar zu den Psalmen 65,2 und 3. Auch in den Enarrationes in psalmos von Augustinus ist vom J. die Rede. Eine besondere Bedeutung erhielt der J. jedoch erst im Zusammenhang mit dem Alleluia der Messe: ausgeführt wurde er auf die Silbe ia ( = Jahwe) des 2. Alleluial vor dem Vers und des Alleluia nach dem Vers. In der mailändischen Liturgie wird der 2. J. auf eine neue und längere Melodie, die „melodiae secundae", gesungen. Diese entsprechen den „longissimae neumae" der Tropenhandschriften des 11. Jh., deren spätere neu textierte Fassungen „sequentiae" (Sequenz) bzw. „sequelae" genannt werden. Im Zusammenhang mit der Entstehung neuer Melodien und Texte wurde im Mittelalter also auch der Terminus J. durch neue Bezeichnungen „neuma", „sequentia" oder „finalis" ersetzt. Lit.: W. BLANKENBURG, Jubal, in: MGG VII; E. GERSONKIwI, Halleluia and J. in Hebrew Oriental Chant, in: FS H. Besseler (L 1961); W. WIORA, Jubilare sine verbis, in: In memoriam J. Handschin (Str 1962); D. SCHUBERTH, Schrei u. Jubel vor dem Herrn, in: MuK 50 (1980).

JUDENKUNIG, Hans, * um 1450 SchwäbischGmünd, t 4.3. 1526 Wien; dt. Lautenist. J. veröffentlichte nach S. Virdung (1511) und A. Schlick (1512) zwei der frühesten deutschen Lautentabulaturen. Die erste, Utilis et compendiaria introductio (zwischen 1515-19) enthält 19 3st. intavolierte Horaz-Oden von P. Tritonius, 2- und 3st deutsche Liedsätze (u. a. von P. Hofhaimer) und einen 2st. Hoftanz, die zweite, Ain schone Kunstliche underweisung (1523), Liedsätze und Tänze. WW: Utilis et compendiaria introductio, qua ut fundament° jactoque facillime musicum exercitium, instrumentorum et lutinae, et quot vulgo Geygen nominant, addiscitur... (W 1515-19), u. Ain schone Kunstliche underweisung ... den rechten Grund zu lernen auff der Lauten und Geygen (W 1523). Ausg.: 21 Stücke, in: ČSstr. Lautenmusik im 16. Jh., hrsg. v. A. KOCZIRZ (1911) (= DTO 37). Lit.: A. KoczIRz, Der Lautenist H.J., in: S1MG 6 (1904/05); O. GOMBOSI, Der Hoftanz, in: AMI 7 (1935); H. M. BROWN, Instrumental Music Printed Before 1600. A Bibliography (C/M 1965); M. BLACKMAN, A Translation of H. J.'s „Ain schone Kunstliche underweisung" 1523, in: Lute Society Journal 14 (1972); R. HENNING, H. J. ca. 1455/60-1526. Commemorating the 450th Anniversary of His Death, in: ebd. 16 (1974).

JÜDIN, DIE (La Juive), Oper in 5 Akten von Jacques Fromental Élie Halévy (1799-1862), Text von

Jugendbewegung Eugène Scribe (1791-1861). Ort und Zeit der Handlung: Konstanz; 1414, zur Zeit des Konzils. UA: 23.2. 1835 in Paris (Théâtre de l'Opéra), dt. EA (in dt. Sprache): 29. 12. 1835 in Leipzig. Die Jüdin ist Halévys erfolgreichste Oper. Bereits am 3. 6. 1840 fand an der Pariser Oper die 100. Aufführung statt. Bis 1893 wuchs die Aufführungszahl auf 550. Halévy schuf mit diesem Werk eines der neben Meyerbeers Robert le Diable, Les Huguenots, Le Prophète und L'Africaine glänzendsten Beispiele für den Typus der Grand opéra. — Eingebettet in einen historischen Stoff, entwickelt sich in der Handlung dieser Oper eine Liebesintrige zwischen dem Kronprinzen Leopold und der im jüdischen Glauben erzogenen Rachel. Der unvermeidbare Konflikt zwischen Christen und Juden kann nicht gelöst werden und mündet in die Katastrophe: Rachel und ihr Ziehvater Eleazar werden von Kardinal Brogni zum Tode verurteilt; sie sollen in siedendes Ö1 gestürzt werden. Brogni erkennt seinen tragischen Irrtum zu spät: mit Eleazars Ausruf „La voilà!" erhält er im Augenblick von Rachels Tod die Antwort auf die Frage nach seiner verlorenen Tochter. Dieser ,coup de théâtre', mit dem die Oper endet, sowie der historische Stoff mit den eingeflochtenen Liebes- und Verwechslungsmotiven gehören ebenso zu den Charakteristika der Grand opéra wie die Ausweitung der Arien zu Szenen, die Summierung von Handlung in prunkvollen Tableaux (Finale 3. Akt), das (hier jüdisch-nationale) Lokalkolorit, die dramaturgisch geschickt eingesetzte Gebetsszene (2. Akt: O Dieu de nos pères) und der verklingende Aktschluß (4. Akt mit Eleazars Arie Rachel! quand du Seigneur la grâce tutélaire). Die letztgenannte Szene ist zudem ein Beleg dafür, daß Halévys Stärke eher in der musikalischen Charakterzeichnung als in der Gestaltung von Ensembles liegt. R. QUANDT

JÜDISCHE MUSIK /Israel. JUDITH, Ernste Oper in 3 Akten und 5 Bildern von Arthur Honegger (1892-1955), Text von René

Morax. Ort und Zeit der Handlung: Bethulien (Judäa) im 6. Jh. v. Chr. Konzertante UA einer ersten Fassung (Gattungsbezeichnung „Biblisches Drama"): 13. 6. 1925 in Mézières (Schweiz); szenische UA der Opernfassung (im Unterschied zur oratorischen Fassung durchkomponiert): 13.2. 1926 in Monte Carlo; dt. EA (in dt. Sprache): 13. 1. 1927 in Köln. Mit der mehr auf eindringliche Bildhaftigkeit als auf differenzierte Psychologisierung angelegten Handlung wird eine Episode aus der Geschichte Israels präsentiert: Die Armee des assyrischen Feldherrn

Holofernes, die seit Monaten die judäische Festung

Bethulien belagert, kann vernichtend geschlagen werden, nachdem sich die schöne Judith ins feindliche Lager begeben, Holofernes betört, betrunken gemacht und geköpft hat. In origineller künstlerischer Gestaltung des Judith -Stoffes gelingt es Morax und Honegger, effektvoll-aktionistischen Theaterdonner wie subjektivistische Seelendramatik zu vermeiden. Ästhetisches und intellektuelles Zentrum des Werkes ist vielmehr die atmosphärisch treffende Darstellung alttestamentarischer Religiosität, in der die Gottheit nicht als bloßes Refugium der Verinnerlichung dient, sondern zum allgegenwärtigen Bestandteil eines kampfbetonten Lebens wird. Der überindividuell-gleichnishaften Plastizität der Dichtung entspricht Honeggers Musik: Zu seiner Zeit moderne kompositorische Mittel wie Bitonalität 'und impressionistische Klangreihung ausnutzend, ordnet der Komponist seine musikalische Sprache dem Ziel möglichst klarer Expressivität unter; der Ausdruck menschlicher Gefühle geschieht unmittelbar und direkt, ohne jegliche Sentimentalisierung. Besonders die gleichermaßen einfache wie klangschöne Melodik bestimmt die weniger reflektive als vielmehr gestische Funktion der Musik in diesem Werk. W. A.MAKUS JUGENDBEWEGUNG, Bz. für den um 1900 einerseits mit Wanderbewegungen, andererseits aufgrund religiösen und politischen Engagements eingeleiteten Zusammenschluß Jugendlicher zu Gruppen, Bünden und Organisationen. Aus einer Protesthaltung z. T. gegen die naturferne, mechanisierte großstädtische Zivilisation und das Bürgertum versuchten diese Jugendlichen, „aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben zu gestalten" (Meißnerformel 1913). Die J. gewann allmählich großen Einfluß auf Geistesleben, Schule, Kunst und Politik. Zu der um 1890 von Hermann HoffmannFölkersamb in Berlin-Steglitz begründeten Wandergruppe gehörte u. a. Hans Breuer, der Schöpfer des verbreitetsten Liederbuchs der J., des Zupfgeigenhansl (1909). Aus dieser Gruppe ging 1901 der „Wandervogel" (Gründer K. Fischer) hervor. In diesen und in den übrigen Jugendverbänden war die Musik — besonders das von der „Zupfgeige" ( _ Laute) begleitete Lied — ein konstitutiver Faktor des jugendlichen Gemeinschaftslebens in Runde, Fahrt und Lager. Auch in dem allmählichen Selbsterziehungs- u. Reifeprozeß der J., der von Protesthaltung und Kulturfeindlichkeit zu Reformgesinnung und Dienst an der Kultur bis hin zur Ausprägung einer eigenen „Jugendkultur" führte, stand die Musik an führender Stelle. Die daraus 269

Jugendmusik entstehende /Jugendmusik-Bewegung fand ihre stark musikbezogenen Parallelen u. a. in der pädagogischen Bewegung, der Laienspiel-, Volkstanzund Kunsterziehungsbewegung. — Während des Nationalsozialismus reagierte die J. auf entsprechende Verbote teils durch Übernahme der Ideologie oder durch Anpassung, z. T. aber auch durch aktiven und passiven Widerstand. — Im Nachkriegseuropa erlebte die J. zunächst eine erneute Blüte. Vor allem politisches Engagement führte aber zu einer neuen „Bewegung" der Jugend mit neuen Kommunikations-, Kooperation- und von aktueller Popularmusik und internationaler Folklore geprägten musikalischen Ausdrucksformen. — Die J.en sind inzwischen Gegenstand eines eigenen Forschungszweiges. Lit.: Jb. des Arch. der dt. J. (Burg Ludwigstein 1969ff.) (mit fortlaufender Bibliogr. der Neuerscheinungen); Schriftenreihe des Arch. der dt. J. (ebd. 1975 ff.). - H. BLUHER, Wandervogel. Gesch. einer J., 2 Bde. (Prien 1912); F. JODE, Musikal. Jugendkultur (H 1918); O. STÄHLIN, Die dt. J. (L 1922); V. ENGELHARDT, Die dt. J. als kulturhist. Phänomen (B 1923); H. HOCKHER, Die Musik in der dt. J. (Wb 1927); L. FICK, Die dt. J. (Jena 1939); W. VOGELS, Die dt. J. u. ihr Ertrag für Jugendleben u. Kultur (Diss. Tü 1949); A. KLONNE, Gegen den Strom (H 1958); H. ROTH, Kath. Jugend in der NS-Zeit (Düsseldorf 1959); M. PRIEPKE, Die ev. Jugend im Widerstand gegen das Dritte Reich (F 1960); W. Z. LAQUEUR, Die dt. J. Eine hist. Stud. (Kö 1962, 21978); E. KORN - O. SUPPERT - K. VOGT, Die J. Welt u. Wirkung (Düsseldorf - Kö 1963); B. SCHNEIDER, Daten z. Gesch. der J. (Bad Godesberg 1965); Dokumentation der J., hrsg. v. W. KINDT, 3 Bde. (Düsseldorf 1963-74); Namen u. Werke. Bibliogr. u. Beitr. z. Soziologie der J., hrsg. v. H. JANTZEN (F 1972ff.); H. ROSENBUSCH, Die dt. J. in ihren pädagogischen Formen u. Wirkungen (F 1973); J. KNEIP, Jugend der Weimarer Zeit. Hdb. der Jugendverbände 1919-38 (F 1974); B. SCHELLENBERGER, Kath. Jugend im Dritten Reich (Mz 1975); W. SCHEPPING, Das Lied als corpus delicti in der NSZeit (Kö 1977) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 118). W. SCHEPPING

JUGENDMUSIK, Bz. für die musikalische Eigenbzw. Gegenkultur der /Jugendbewegung, die sich besonders unter dem EinfluB von A. Halm, Fr. Jöde und W. Hensel ausprägte. J. war keine neue Musikgattung (obwohl sie mit Jugend- und Fahrtenlied, Schul- und Spielmusik neue Gattungen schuf); sie verstand sich als das auf kulturelle Erneuerung durch musikalische Aktivierung und Bildung breiter Volksschichten drängende „Gewissen" (Jöde) der bürgerlich-städtischen Musikkultur, die sie bekämpfte und z. T. wesentlich veränderte. — Die J. nahm ihren Ausgang von der Wiedererweckung des Volkslieds durch die Jugendbewegung und entwikkelte daraus eine „Volksliedkultur", die durch steigenden künstlerischen Anspruch an Liedauswahl, -begleitung (besonders Lautensatz) und vokalen Liedsatz zur tradierten wie zeitgenössischen Kunstmusik einen neuen Zugang fand. Die daraus entstehende intensive musikalische Volks- und Jugend270

bildungsarbeit weitete sich ab 1917 zur beträchtlich über die Jugendbewegung und die Landesgrenzen hinaus wirkenden Jugendmusikbewegung aus. Dieser gelangen bedeutende Reformen (u. a. von L. Kestenberg gefördert) im schulischen Raum (Einführung des künstlerischen Lehramts; Musikgymnasium und Musikheim, Schulmusikwochen; Konzepte der musischen Bildung und eines kindgemäßen Musikunterrichts) wie im auBerschulischen Sektor (Volks- und Jugendmusikschulen bzw. Seminare; Sing- und Musikwochen; Offenes Singen; Sing-, Spiel- und Hausmusikkreise; Volkstanz). Auch das neue Interesse von Musikpraxis und -forschung, Verlagswesen und Instrumentenbau an der älteren Musik und ihrer Interpretation auf historischen Instrumenten erwuchs wesentlich aus dieser Bewegung, die überregional besonders von 2 Kreisen getragen wurde: der mehr pädagogisch und künstlerisch orientierten „Musikantengilde" des Jödekreises und der Singbewegung W. Hensels und seines Finkensteiner Bundes. Von beiden gingen auch starke Impulse auf die Chor- und Orgelbewegung wie auf die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung (/Kirchenmusik) aus. Lit.: F. JODS, Musikal. Jugendkultur (H 1918); W. FLITNER, Musische Bildung (B 1931); F. JODE, Dt. J. (B 1934); DERS., Vom Wesen u. Werden der J. (Mz 1954); TH. W. ADORNO, Kritik des Musikanten, in: Dissonanzen (F 1956); F. JODE, Vom Wandervogel zur J., in: Wandervogel u. Freidt. Jugend, hrsg. v. G. Ziemer u. H. Wolf (Bad Godesberg 1961); U. GUNTHER, Die Schulmusikerziehung v. der Kestenbergreform bis zum Ende des 3. Reiches (Neuwied - B 1967); F. JODE, Die Anfänge der Jugendmusikbewegung, in: Die Wandervogelzeit, hrsg. v. W. Kinds (Düsseldorf 1968) (= Dokumentation der Jugendbewegung 2); U. JODE, Die Entwicklung des Liedsatzes in der dt. Jugendmusikbewegung (Wb - Z 1969); E. KLUSEN, Volkslied. Fund u. Erfindung (Kö 1969); H. JUST, Die Jugendmusikbewegung in der Zeit der Bündischen Jugend, in: Die dt. Jugendbewegung 1920-33, hrsg. v. W.Kindt (Düsseldorf 1974) (= Dokumentation der Jugendbewegung 3); J. PIERSIG, Das Fortschrittsproblem in der Musik um die Jahrhundertwende (Rb 1977); D. KOLLAND, Die Jugendmusikbewegung. „Gemeinschaftsmusik" - Theorie u. Praxis (St 1979). W SCHEPPING

JUGOSLAWIEN. Frühe Zeugnisse über die Musikpraxis auf dem Gebiet des heutigen J. fehlen. Erst seit dem 7. Jh. verdanken wir einige spärliche Hinweise byzantinischen und z. T. slawischen Schriftquellen. Serbien. Serbien erlangte seit dem 12. Jh. unter den Nemanjiden die Vormachtstellung im westlichen Balkanraum. Seit dieser Zeit wurde Musik am Hofe und in Adelskreisen gepflegt. Wenn auch musikalische Quellen nicht erhalten sind, so vermitteln literarische Texte und Illustrationen bestimmte Aufschlüsse über die benutzten Instrumente und einige Musiker wie z. B. Dragan von Prizren und Preda Svirec. Die serbisch-orthodoxen Kirchengesänge

Jugoslawien sind nur in byzantinischer Notation von Hilendare auf Athos überliefert. Von dem ersten bekannten Komponisten Kir Stefan Srbin (15. Jh.) ist ein Psaltikija erhalten, eine Sammlung von Kirchenliedern in kukuzelischer Notation. Mit der türkischen Besetzung im 15. Jh. erlosch das kulturelle Leben auf dem Gebiet der Kunstmusik und blieb auf die Musikpraxis der blinden Guslaren (7Gusla) beschränkt. Kroatien und Slowenien. Im Mittelalter waren Kroatien und Slowenien Lehen der Kirche oder der ungarischen Krone bzw. des Reiches. Aus dieser Zeit sind neben Gesängen für die Kirche auch solche in der Volkssprache bekannt. Mit dem Protestantismus erlebte Slowenien eine Blütezeit des Kirchenliedes mit slowenischen Texten und Melodien (Primož Trubar, 1508-1586, Eni psalmi, Tübingen 1567). Seit dem 16. Jh. sind Gesangsmeister, Stadtpfeifer und Landestrompeter belegt. Auch die bischöfliche Kapelle und das Jesuitenseminar (1598) in Laibach (Ljubljana) trugen zur Entwicklung des musikalischen Lebens bei. In den Adelspalais (Auersperg) fanden die ersten Opernaufführungen statt, die zunächst nur den Privilegierten vorbehalten blieben, allmählich jedoch der Öffentlichkeit zugänglich wurden (1740); in diese Zeit fällt auch der Bau des landständischen Theaters in Laibach (1765). Bereits 1701 wurde die Academia Philharmonicorum (Orchester und Chor) gegründet. Zu den bedeutendsten slowenischen Komponisten zählen Janez Berthold von Höffer (1667-1718), Janz Jurij Hočevar-Gottscheer (1657-1714), Michael Omerza (1679-1742), Jakob Zupan (1734-1810), Janez Krstnik Novak (1756-1833) und Francesco Pollini (1762-1846). Aus Kroatien sind nur die Namen einiger geistlicher Musiker überliefert sowie Sammlungen von Kirchenliedern, z. T. über kroatische Texte (Cithara octochorda, Wien 1701). Dalmatien. In den reichen Städten Dalmatiens nahm die Musik eine besondere Stellung ein: in der Kirche, bei Theateraufführungen, in Adelshäusern und bei verschiedensten festlichen Anlässen. Die von Italien beeinfluBte Musik erreichte ihren Höhepunkt im 17. Jh. mit Komponisten wie Andrija Petris aus Cres, Julius Schiavetto, Domenico Giovanni aus Šibenik und vor allem I. Lukačič aus Split. In Ragusa (Dubrovnik) wirkte im 18. Jh. L. Sorkočevič. Einige Künstler, u. a. B. Praspergius und J. Gallus aus Slowenien, V. Jelich, Stefano N. Spadina und I. M. Jarnowick aus Dalmatien wirkten im Ausland. Das 19. Jahrhundert. Das 19. Jh. ist in fast allen österreichischen Balkanländern durch die Übernahme aufklärerischer und romantischer Ideen und

durch das Erwachen nationalen Bewußtseins geprägt. Unter diesem Einfluß wurde bereits 1829 im serbischen Kragujevac das erste Berufsorchester, „Knjazevsko srbska banda", gegründet sowie das Orchester der Chorgesellschaften (Pančevo 1838, Belgrad 1853). Bühnen- und Vokalwerke über patriotische Themen erlangten in der Zeit der Unabhängigkeitsbestrebungen große Popularität u. a. durch Kornelije Stankovič (1831-1865), Aksentije Maksimovič (1844-1873), Jovan Paču (1847 bis 1902), Mita Topalovič (1849-1912), Isidor Bajié (1878-1915) und D. Jenko. Josif Marinkovič (1851-1931), ein Vertreter der Romantik und Stevan Mokranjac, der Schöpfer eines Nationalstils, schufen insbesondere Chormusik. Gegen Ende des 19. Jh. führten Komponisten der Belgrader Schule (Stanislav Binički, Petar Krstič, Vladimir Djordjevič, Božidar Joksimovič) diese Tradition weiter und bereicherten sie durch Instrumental- und Opernwerke. Durch die Komponisten P. Konjovič, M. Milojevič und S. Hristič wurde die serbische Musik international bekannt. Auch in Slowenien trugen verschiedene Gesellschaften durch nationale Ideen zur Entwicklung der Musikpflege bei: so etwa der „Slowenische Verein" (Laibach 1848), der die „Besede" — Konzerte nationalen Einschlags — organisierte und mehrere Liedersammlungen (Slovenska gerlica) herausgab. Eine gewisse Rolle spielten auch die „Čitalnice" (1861) mit ihren Chören und Gesangsschulen, ebenso die „Dramatische Gesellschaft" (1867), eine Vorstufe der späteren Oper von Ljubljana. Am bedeutendsten war jedoch die „Glazbena matica" (1872), die sich um die Aufzeichnung von Volksliedern, die Herausgabe slowenischer Kompositionen, die Organisation von Konzerten und 1882 um die Gründung einer Musikschule verdient machte. Die meisten Komponisten, wie Jurij Fleišman (1818-1874), Miroslav Vilhar (1818-1871), Kamilo Mašek (1831-1859), Benjamin Ipavec (1829-1908), Fran Gerbič (1840-1917) gehörten einer nationalen Bewegung an. Außerhalb dieser Richtung stand die Cäcilien-Gesellschaft (1877) mit ihrem Hauptvertreter, dem Tschechen Anton Foerster (1837-1926). Gojmir Krek (1875-1942) wandte sich als erster von der romantischen Tradition ab. Seit 1901 veröffentlichte er seine neueren Standpunkte in der Zeitschrift Novi akordi und machte auf die z. T. in spätromantischem und impressionistischem Stil komponierten Werke seiner Zeitgenossen B. Ipavec, R. Savin, Emil Adamič (1877-1936) und Anton Lajovic (1878-1960) aufmerksam. Zu Beginn des 19. Jh. hatte Dalmatien seine Vorherrschaft verloren. Nordkroatien mit der Haupt271

Jugoslawien stadt Zagreb wurde das Zentrum einer politischen und kulturellen Bewegung. 1827 wurde dort der „Musikverein" gegründet, 2 Jahre später eine Musikschule. Die politische und literarische Richtung der „Illyrischen Bewegung" beeinflußte auch viele Musiker, u. a. Vatroslav Lisinski, der patriotische Lieder, sog. „budnice" und „davorje" komponierte. Neben Franjo Kuhač (1834-1911), Nikola Faller (1862-1938), Blagoje Bersa (1873-1934), Franjo Dugan (1874-1948), Antun Dobronié (1878-1955), Josip Hatze (1879-1959), Ivan Matetié-Ronjgov (1880-1960), Fran Lhotka (1883 bis 1962) und Dora Pejačevié (1885-1923) gilt der seit 1870 in Zagreb wirkende I. Zajc als der bedeutendste Komponist dieser Zeit. Nach 1918 erfuhr das Musikleben der in einem Staat vereinigten slawischen Völker eine bedeutende Entwicklung, die sich in der Gründung von Musikschulen und -akademien (Zagreb 1921, Ljubljana 1926, Belgrad 1937), Opernhäusern (Ljubljana, 1918; Belgrad, 1020) und Philharmonischen Orchestern (Zagreb, 1921; Belgrad 1923) niederschlug. Zu den Vertretern eines ausgeprägten Nationalstiles zählen Komponisten wie B. Sirola, K. Odak, K. Baranovié, J. Gotovac, Rudolf Matz (* 1901), Milo Cipra (* 1906) und Natko Devčié (* 1914); einer gemäßigteren Richtung gehören Jovan Bandur (1889-1956), M. Tajčevié, Mihajlo Vukdragovié (* 1900). Milenko Živkovié (1901-1964), Svetomir Nastasijevié (* 1902) und Matija Bravničar (* 1897). J. Slavenski, Lj. Marié, Sl. Osterc, Marij Kogoj (1895-1956), Pavel Šivic (*1908) gelten als Vertreter der Avantgarde; der neoklassizistischen und neoromantischen Richtung gehören u. a. Božidar Kunc (* 1903), B. Bjelinski, S. Šulek, B. Papandopulo, Predrag Miloševic (* 1904), Mihovil Logar * 1902), Milan Ristié (* 1908), S. Rajičié, L. M. Škerjanc, Blaž Arnič (*1901), Marjan Kozina (* 1907) und Marijan Lipovšek (* 1910) an. Die kompositorische, musikwissenschaftliche und -krivon Vojislav Vučkovié tische Tätigkeit (1910-1942) und Pavao Markovac (1903-1941) stand unter dem Einfluß marxistischer Ideen. Entwicklung nach 1945. Nach 1945 wurde J. stark vom Sozialismus geprägt, der die gesamte kulturelle Entwicklung bestimmte: in dieser Zeit entstanden auch zwei neue Musikzentren: in Sarajevo und Skopje wurde 1946 bzw. 1948 eine Oper, 1953 bzw. 1950 eine Philharmonie und 1955 bzw. 1966 eine Musikakademie gegründet. Neben Komponisten wie S. Gadjov (*1905), Todor Skalovski (* 1909), Blagoje Ivanovski (* 1921), Vlastimir Nikolovski (* 1925), Toma Prošev (*1931), Tomislav Zografski (* 1934), die Elemente der Volksmusik in 272

ihre Werke einbezogen, trat u. a. mit Krešimir Fribec (* 1908), Branimir Sakač (* 1918), M. Kelemen, I. Malec und Ruben Radica (* 1931), Rudolf Bruči (* 1917), Vladan Radovanovié (*1932) und Zoran Hristié (* 1938) eine Gruppe gegenüber, die sich vorwiegend der experimentellen Musik widmete. Andere Komponisten wiederum versuchten ihre künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der europäischen Musik des 20. Jh. zu finden. Dazu gehören u.a. Vasilija Mokranjac (*1923), E. Josif, Vlastimir Peričié (*1927), Aleksandar Obradovié (*1927), D. Radié, Konstantin Babié (* 1927), Rajko Maksimovié (* 1935), Zlatko Pibernik (41 1926), Nikša Njirié (* 1927), Stanko Horvat (* 1930), Bogdan Gagié (*1931), Andjelko Klobučar (*1931), P. Ramovž, Uroš Krek (*1922), Pavle Merku (* 1927), Dane Škerl (*1931), Ivo Petrič (*1931), Alojz Srebotnjak (* 1931), Darjan Bočié (* 1933) und G. Globokar. Musikwissenschaft und besonders -ethnologie wird an den musikwissenschaftlichen Instituten der Universitäten von Belgrad (gegr. 1948) und Ljubljana (1962), am Folklore -Institut „Glazbena matica" in Ljubljana (1934), in Sarajevo (1947), in Zagreb (1948) und in Skopje (1950) gelehrt. Die Volksmusik. In der außerordentlich mannigfaltigen Volksmusik verschmelzen eigenständige Traditionen mit Einflüssen aus dem Orient, aus Byzanz, Italien, Tirol und Ungarn. Jede Region besitzt aber ihre spezifische Musik. Charakteristisch ist die Vielfalt der benutzten Tonleitern: Dur- und Molltonarten, Kirchentöne, orientalische, pentatonische und chromatische Leitern. Der Umfang der Melodien umfaßt eine reine Quarte im epischen, eine Oktave und mehr im lyrischen Gesang bzw. in der Tanzmusik. Das tradierte Volksliedgut ist meist durch eine konsonierende, heterophone Stimmenführung gekennzeichnet, die aber auch z.T. unabhängig, häufig dann in parallelen großen Sekunden abläuft. Der 3- und 4st. Gesang sowie die Austerzung gehen wohl auf spätere abendländische Einflüsse zurück. Die mazedonische und serbische Musik ist auch durch eine große rhythmische und metrische Vielfalt gekennzeichnet. Dazu zählen besonders asymmetrische Rhythmen und andere Bildungen von Zeitabläufen, die unserem üblichen Notationssystem fremd sind. Zu den zahlreich überlieferten volkstümlichen Instrumenten gehören u. a.: Schlag-, Saiten- (z. B. /Gusla und /Tanbura) und Blasinstrumente wie z. B. die Frula (eine Flöte), die Zurle, Sopile (Schalmei) und die Gajde (Sackpfeife). Die von folkloristischen Ensembles auch über die Grenzen J.s bekanntgemachten jugoslawischen Tänze werden von Solisten, Paaren und Gruppen (/Kolo) ausgeführt.

Junge Lord Ausg.. F. Š. KUHAC, Juino-slovjenske narodne popijevke 1-4 (Zagreb 1878-81), 5, hrsg. v. B. ŠIROLA (1941); D. u. L. S. JANKOVIC, Narodne igre, 7 Bde. (Belgrad 1934-52). Lit.: R. GALLOP, Folk Music of the Southern Slays, in: MQ 23 (1937); A.B. LORD, Yugoslav Epic Songs 1 (C/M 1954); D. CVETKO, The Problem of National Style in South Slavonic Music, in: Slavonic Review 34 (1955); V. ŽGANEC, The Tonal and Modal Structure of Yugoslav Folk Music, in: Journal of the International Folk Music Council 10 (1958); D. CVETKO, Les formes et les résultats des efforts musicologiques yougoslaves, in: AMI 31 (1959); J. ANDREIS — S. ZLATIC, Yugoslav Music (Belgrad 1959); L. S. JANKOVIC, La situation actuelle de l'ethnomusicologie en Yougoslavie, in: AMI 32 (1960); J. ANDREIS — D. CVETKO — S. DURIC-KLAJN, Historijski razvoj muzičke kulture u Jugoslaviji (Zagreb 1962); D. CVETKO, Die Situation u. Probleme der slowenischen, kroatischen u. serbischen Musik des 19. Jh., in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); V. ŽGANEC, La gamme istrienne dans la musique populaire yougoslave, in: Studia musicologica 4 (1963); E. HELM, Music in Yugoslavia, in: MQ 51 (1965); R. PETROVIC, The Oldest Notation of Folk Tunes in Yugoslavia, in: Studia musicologica 7 (1965); Yugoslav Composers and Music Writers. Members of the Union of Yugoslav Composers 1945-67. A Catalogue (Belgrad 1968); K. Kos, New Dimensions in Folk Music. A Contribution to the Study of Musical Taste in Contemporary Yugoslav Society, in: IRASM 3 (1972). P. JANKOVIČ

JUILLIARD STRING QUARTET, amerik. Streichquartett. Es wurde 1946 vom Präsidenten der Juilliard School of Music in New York, W. Schumann, gegründet und debütierte dort im selben Jahr in der Besetzung Robert N. Mann (* 1920), Robert Stoff, Raphael Hillyer und Arthur Winograd. Heute spielen R. N. Mann, Earl Carlyss (* 1941), Samuel Rhodes (* 1941) und Joel Krosnick. Das Quartett pflegt vor allem Werke der Wiener Klassik sowie Kompositionen der Wiener Schule, von B. Bartók, P. Hindemith und besonders von amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. 1962 wurde das Ensemble Quartet-inResidence der Library of Congress in Washington und spielt als solches die Stradivari -Instrumente dieser Sammlung. Außerdem besitzt N. Mann eine Stradivari (1718) von A. J. Rosé und E. Carlyss die P.-Guarneri-Geige von Fr. Kreisler. JUIVE, LA, Oper von J. Halévy; dt. Titel: Die

řJüdin. JULIAN VON SPEYER, OFM, t 1285 Paris, dt. Hymnendichter. J. war Vorsänger an der Kapelle von König Philipp II. August und später Chormeister in einem Franziskanerkloster. Er verfaßte eine Legenda Sancti Francisci (hrsg. von E. d'Alençon, R 1900) sowie Reimoffizien auf Franz von Assisi und Antonius von Padua (hrsg. von H. Felder, Fribourg 1901), zu denen er auch die Melodien beitrug. Lit.: J. E. WEIS, J. von S. (Mn 1900); DERS., Die Choräle v. J. von S. zu den Reimoffizien (Mn 1901); E. BRUNING, Giuliano da Spira, in: Note d'Archivio 4 (1927); H. DAUSEND, J. von S., in: Literaturwiss. Jb. der Görres-Ges. 3 (1928); E. JAMMERS,

Wort u. Ton bei J. von S., in: Der kultische Gesang ..., hrsg. v. F. Tack (Kö 1950).

JULIUS CÄSAR (Giulio Cesare hin Egitto j), Oper in 3 Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759); Text von Nicola Francesco Haym (1679-1729). Ort und Zeit der Handlung: Ägypten, 48 v. Chr. UA: 20.2. 1724 in London (King's Theatre am Haymarket); dt. EA (mit it. Arien): 21. 11. 1725 in Hamburg; EA in dt. Sprache: 5.7. 1922 in Göttingen. Die Handlung von Händels sechster für die Royal Academy of Music komponierten Oper, mit der er endgültig seinen Rivalen G. B. Bononcini in der Publikumsgunst übertraf, basiert auf einem historischen Ereignis: Bei der Verfolgung seines Feindes Pompejus landet Cäsar in Ägypten, wo ihn König Ptolemäus mit dem abgeschlagenen Haupt des Pompejus empfängt. Von der Grausamkeit abgestoßen und in Liebe zu Cleopatra entbrannt, die ihren jüngeren Bruder auf dem Königsthron abzulösen gedenkt, beschließt Cäsar, seine militärische Stärke gegen Ptolemäus einzusetzen. Dieser wird von Sextus, dem Sohn des Pompejus, getötet, und Cleopatra wird Herrscherin über Agypten. Bei allem Handlungsreichtum ist der Komponist dennoch bestrebt, die innere Haltung der handelnden Personen sichtbar zu machen. Das Werk wird dominiert von den wechselnden Stimmungen Cleopatras; ihre Verführungsarie im 2. Akt V'adoro, pupille gilt gleichzeitig als Beispiel für Händels subtile Orchestertechnik. In der engen Verknüpfung von Rezitativ und Arie — an einigen Stellen wird das Rezitativ innerhalb der Arie nochmals aufgegriffen — offenbart sich Händels Adaption des italienischen Operntyps, die konventionelle Elemente und eigene Erfindung zu neuer Einheit formt. TH. MENGER JUMP (engl., = Sprung). — 1) in den 30er Jahren Synonym für Swing-Musik sowie für deren Anhänger. — 2) Swing-Rhythmus mit charakteristischer Betonung der 2. und 4. Zählzeit im 4/4-Takt. Im Zusammenhang mit einer stilisierten Bluesform wurde J. im sog. Harlem-Jump als Stilbegriff gebraucht und gilt als Vorläufer des Rhythm and Blues und Rock and Roll. JUNGE LORD, DER, Komische Oper in 2 Akten von Hans Werner Henze (* 1926), Text von Ingeborg Bachmann (1926-1973) nach der Parabel Der Affe als Mensch aus Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (1826) von Wilhelm Hauff. Ort und Zeit der Handlung: die dt. Kleinstadt Hülsdorf-Gotha um 1830. UA: 7.4. 1965 Berlin (Dt. Oper) unter Christoph von Dohnányi. 273

Junta

In der Parabel wird gezeigt, wie ein exzentrischer Engländer die aufdringlichen Kleinbürger dadurch foppt, daß er ihnen als seinen Neffen einen Affen präsentiert und sie dessen unkontrollierbare Reaktionen als modisch nachäffen läßt. Die eingefügte Liebesgeschichte, als deren ,Held` der junge Lord in die Gesellschaft integriert scheint, dient dem Aufbau einer Konfliktspannung, deren tragische Lösung (die Entlarvung des Affen) zur geistigen Demaskierung der Bürger gerät. Die nur leicht verschlüsselte zeitkritische Ironie des Textes suchte Henze musikalischzuverdeutlichen. Zahlreiche Ensemble-Szenen weisen auf den Typus der Opera buffa; die Musik klingt heiter, doch mehren sich im zweiten Akt Elemente des Schmerzes. Henze selbst faßte den Aufbau seiner bislang erfolgreichsten Oper so zusammen: „In wenigen Takten, gleich zu Beginn, ist alles deponiert, was zwei Stunden lang kaleidoskopartig bewegt wird, in augenfälliger Leichtigkeit und Brillanz, unter der eben alle Schwierigkeiten und Emotionen verborgen sind." K. LANGROCK JUNTA, Luca Antonio, řGiunta.

JUON, Paul, * 23.2. (6.3.) 1872 Moskau, t 21.8. 1940 Vevey (Schweiz); russ. Komponist Schweizer Herkunft. Er war Schüler von J. Hřimaly (Violine), S. Arenski und S. Tanejew (Komposition) am Konservatorium in Moskau und später von W. Bargiel an der Hochschule für Musik in Berlin. 1896-97 unterrichtete er Violine und Musiktheorie am Konservatorium in Baku, kehrte dann nach Berlin zurück und war dort 1906-34 Kompositionslehrer an der Musikhochschule. 1919 wurde er Mitglied der Akademie der Künste. 1934 zog er sich nach Vevey zurück. J. genoß einen bedeutenden Rd'als Musikpädagoge. Zu seinen Schülern gehörten H. Chemin-Petit, Ph. Jarnach und H. Kaminski. Als Komponist war er der Tradition des 19. Jh. verpflichtet. Seines expressiven Stiles wegen wurde er der „russische Brahms" genannt. Andererseits weisen ihn Verwendung russischer und nordischer Folklore, modale Harmonik, teilweise formelhafte Melodik und differenzierte rhythmische Strukturen bereits als Meister des Übergangs zur Moderne aus. WW: 2 Vc.-Sonaten, op. 4 u. 54 (1913); 2 Streichquartette, op. 5 u. 29 (1898, 1905); 3 V.-Sonaten, op. 7, 69, 86 (1898, 1920, 1930); 5 Klv.-Trios, op. 17, 39, 60, 70, 83 (1901, 1908, 1915, 1920, 1930); 2 Klv.-Quintette, op. 33 u. 44 (1906, 1909); 3 KIv.Quartette, op. 37, 50, 67 (1907, 1912, 1920). - Für Orch.: Symphonie A-Dur, op. 23 (1903); Rhapsodische Symphonie, op. 95

274

(1939); Sinfonietta capricciosa, op. 98 (1940); Épisodes concertantes, op. 45 (1912) für KIv.-Trio u. Orch.; ferner 3 V.-Konzerte, op. 42, 49 u. 88 (1909, 1912, 1931).

JÜRGENS, Udo (eig. Udo Jürgen Bockelmann), * 30. 9. 1934 Schloß Ottmanach (Kärnten); östr. Sänger und Komponist. Er studierte am Klagenfurter Konservatorium. 1964 machte ihn der Song Walk away international bekannt. Mehrere seiner weiteren Welterfolge, darunter Warum nur, warum, Sag ihr, ich laß sie grüßen, Merci chérie, wurden mit der „Goldenen Schallplatte" ausgezeichnet. 1972 brachte er in Wien sein Musical Helden (nach G. B. Shaw) zur Aufführung. Seine weltweite Popularität verdankt J. bes. auch seinen Fernsehshows und Konzerttourneen (Udo '70; Udo '80). Lit.: J. BOBSIN, Alles über Udo (Mn 1969); A. EGGEBRECHT u. a., Warum nur, warum? Das Phänomen U.J. (W 1971).

JURGENSON, Pjotr Iwanowitsch, 5. (17.) 7. 1836 Reval, t 20. 12. 1903 (2. 1. 1904) Moskau; russ. Musikverleger. J. gründete 1861 in Moskau einen Musikverlag, zu dem er 1885 den St. Petersburger Musikverlag „Moritz Bernard" hinzuerwarb. Er verlegte Werke von P. Tschaikowsky, für die er auch einen Thematischen Werkkatalog erstellte (Mos 1897, Nachdruck Lo 1965), von M. Glinka, N. Rimski-Korsakow, A. Skrjabin sowie des frühen Strawinsky. Unter der Leitung seiner Söhne wurden die Verlagsrechte für den Westen 1917 an Robert Forberg in Leipzig (heute Bonn-Bad Godesberg) abgetreten. In Rußland wurde der Verlag 1918 verstaatlicht. Ausg.: P. I. Tschaikowsky, Perepiska s P. 1.1 om, hrsg. v. W. A. SCHIDANOW, 2 Bde. (Mos 1938-52); M. A. Balakirew, Perepiska s notoisdatelskoj firmoj J.a, hrsg. v. W. A. KISSEI_.low A. S. LJAPUNOWA (Mos 1958).

JURINAC, Sena (Srebrenka), *24. 10. 1921 Travnik (Bosnien); jugoslawische Sängerin (Sopran). Sie studierte bei M. Kostrencic am Konservatorium von Zagreb und debütierte dort am Opernhaus 1942 als Mimi in G. Puccinis La Bohéme. 1944 wurde sie Mitglied der Wiener Staatsoper. Sie gastierte in den Folgejahren an allen großen Opernbühnen Westeuropas, der Vereinigten Staaten und Südamerikas. Den Schwerpunkt ihres umfangreichen Repertoires bilden Opernpartien von Mozart und R. Strauss. J. ist seit 1953 mit dem italienischen Bariton Sesto Bruscantini verheiratet. Lit.: U. TAMUSSINO, in: Opera 17 (1966); DIES., S.J. (Au 1971).

K KABALEWSKI, Dmitri Borissowitsch, * 17. (30.) 12. 1904 St. Petersburg, t 17.2. 1987 Moskau ; russischer Komponist. K. studierte Komposition bei N. Mjaskowski und Klavier bei A. B. Goldenweiser am Moskauer Konservatorium, wo er 1932 Dozent und 1939 Professor für Komposition wurde. 1949-52 leitete er die Musikabteilung des Instituts für Kunstgeschichte der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften und wurde 1952 Vorstandssekretär des Sowjetischen Komponistenverbandes. Seine vorwiegend lyrische, in der Volksmusik wurzelnde Musiksprache ist von der Tradition der russischen Musik des 19. Jh. geprägt. WW: 1) Instr.-WW: 2 Streichquartette (1928, 1945); 3 KIv.Sonaten (1928, 1945, revidiert 1967, 1948); Suite für Jazzband (1940). — Für Orch.: Symphonische Dichtungen Romeo i Dschuljetta (1956) u. Wesna (1960); 4 Symphonien: 1: cis-moll (1932), 2: c-moll (1934), 3: b-moll (1933) u. 4: c-moll (1956); 3 Klv.Konzerte (1929, 1936, 1952); V.-Konzert (1949); 2 Vc.-Konzerte (1949, 1964). — 2) Vokal-WW: Kantaten; Requiem Tem, kto pogib v borb'e s fasizmom (1963). — 3) Bühnen-WW: Kola Brjun'on (Colas Breugnon), VA: Leningrad 1938, revidiert 1970; W ogne ili Pod Moskwoj (Im Feuer oder Bei Moskau), UA: Moskau 1943; Semja Tarama (Die Familie des Taras), UA: Leningrad 1947, 2. Fassung 1950; Nikita Werschinin, UA: Moskau 1955; Sjostry (Schwestern) (1967); Operette Wesna pojot (Der Frühling singt), VA: Moskau 1957; Ballett Zolotyje kolo'ja (Goldene Ähren) (1940). Lit.: D. K., Twortscheskie wstretschi, otscherki, pisma, hrsg. v. W. I. WIKTOROWA (Mos 1974). — M. SOKOLSKI, Auf den Schwingen der Musik. D. K.s Musik zu dem Film „Die Schwestern" in: Sowjetwiss., Kunst u. Lit. 6 (1958); L. W. DANILEVIC, Twortschestwo D. B. Kabalewskogo (Mos 1963); R. GLESER, D. K. (Mos 1969); P. NAZAREVSKI, D. B. K. (Mos 1969); S. D. KREBS, Soviet Composers and the Developmentof Soviet Music(Lo 1970); G. POSCHIDAJEW, D. B. K. Rasskasy o schisni i twortschestwe (Mos 1970); L. S. GINSBURG,, in: Issledowanija, statji, otscherki (Mos 1971); D. GOJowY, Moderne Musik in der Sowjetunion bis 1930 (Laaber 1979).

KABASSA, südamerikanisches Schüttelidiophon westafrikanischer Herkunft (bei den sudanesischen Ewe Axatse genannt). In ursprünglicher Form ist sie aus einer Kalebasse mit Netzwerkumspannung aus Holzperlen gefertigt. Die moderne Ausführung besteht aus einem kleinen metallbeschlagenen Holzkessel mit einer Umwicklung aus Schnüren mit

kleinen Metallkugeln. Die K. wird geschüttelt oder gerieben. Sie gehört zum Standardinstrumentarium südamerikanischer Perkussionsensembles und findet dort in allen Gattungen Verwendung. KABASTA, Oswald, * 29. 12. 1896 Mistelbach (Niederösterreich), t 6.2. 1946 Kufstein (Tirol); östr. Dirigent. Er studierte bis 1916 an der Akademie der Tonkunst in Wien und Klosterneuburg. Nach Kapellmeisterjahren in Wiener Neustadt und in Baden bei Wien wurde er 1926 Generalmusikdirektor in Graz sowie Gastdirigent der Gesellschaft der Musikfreunde Wien. 1931 übernahm er die musikalische Leitung des Wiener Rundfunks und die Leitung einer Dirigentenklasse an der Musikakademie in Wien und war seit 1935 auch ständiger Dirigent der Wiener Symphoniker und der Gesellschaft der Musikfreunde. 1938 wurde er Generalmusikdirektor der Münchener Philharmoniker, mit denen er zahlreiche Konzertreisen durch Europa unternahm. Schwerpunkt seines Repertoires waren Werke des 19. Jh., bes. die Symphonien Bruckners. Lit.: W. ZENTNER, In memoriam O.K., in: NZfM 3 (1949); J. HERRMANN, O. K., in: Musica 10 (1956).

KABELÁČ, Miloslav, * 1.8. 1908 Prag, t 17.9. 1979 ebd. ; tschechischer Dirigent und Komponist. Er studierte Komposition (K. B. Jirák) und Dirigieren am Konservatorium in Prag, wo er 1932-41 und 1945-54 das Radiosymphonieorchester leitete. 1958-62 war er Professor für Komposition am Prager Konservatorium. Als Komponist wurde er vor allem von L. Janáček und V. Novák beeinflußt. WW: Klv.- u. Orgelstücke; 8 Inventionen (1963) u. 8 Ricercari (1967) für Schlagzeug; Stücke für Vc u. Klv. (1941); Ballade für V. u. Klv. (1956); Bläsersextett (1940); Suite Dětem (1955) für Kammerorch. — Für Orch.: Sinfonietta (1931); Fantasie für Klv. u. Orch. (1934); 2 Ouvertüren (1939, 1947); 8 Symphonien. — Lieder u. Chöre; Eufemias mysterion (1965) für Sopran u. Kammerensemble.

KABUKI (von japanisch kabuku = Spiel in der Art und in den Kostümen des 15. und 16. Jh.), Bz. für ein in Japan gegen Ende des 16. Jh. entstandenes 275

Kabuki und auf die Tänzerin Okuni zurückgehendes Theaterspiel mit Gesang und Tanz. Ursprünglich nur von Frauen gespielt (On'na K. = Frauen-K.), wurde es nach einem Regierungsverbot durch das stilistisch reichere und vom ŘNó beeinflußte Wakashu K. (K. junger Männer) ersetzt, in dem junge Männer — ohne Masken, jedoch stark geschminkt — die Frauenrollen übernahmen. Seit dem 18. Jh. wurde das K. in zunehmendem Maße volkstümlich und besonders beliebt in Kaufmannskreisen der Städte Kamigata und Edo (Tokio). Das K.-Theater hat seine Tradition im wesentlichen bis heute bewahrt. Auch die Szenerie ist die gleiche geblieben: eine große Drehbühne in der Mitte, die von einer Vorbühne (hana-michi = Blumenweg) flankiert ist und von der aus ein Weg an der linken Wand ins Publikum führt (bei 2 Vorbühnen auf beiden Seiten). Die Schauspieler verkörpern Typen, wie sie aus der chinesischen Oper bekannt sind: Hauptrolle, männlich oder weiblich (tateyaku), 2. Rolle (waki-yaku), komische Rolle (döke-yaku), weibliche Rolle (on'na-gata) und die des Feindes (kataki-yaku). Nach dem Vorbild der Feudalgesellschaft gliedern sich die Schauspieler in Klassen, von der höchsten (tate-yaku) bis zur niedersten (hayaku); die Rollenverteilung vererbte sich über Generationen vom Vater auf den Sohn (z. B. in der Sippe der Ichikawa Danjüro I—XI, 1660-1965). Das Drama Kyögen, in dem das symbolische Element eine bestimmende Rolle spielt, war früher außerordentlich lang: Vorspiel (jomaku), 1. Akt (ichi-banme), Zwischenspiel (nakamaku), 2. Akt (ni-banme) und Schlußakt (ögiri). Die Vorstellung begann am Vormittag und endete bei Dunkelheit. Zahlreiche Schauspiele gingen aus dem Marionettentheater řBunraku hervor. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: 5aktige Stücke über historische Stoffe und 3aktige Volksstücke. Abwechslungshalber werden Tänze eingeschoben, die gewöhnlich in Beziehung zur Handlung stehen, aber auch längere Tanzstücke (henge-mono), die nicht mit dem Inhalt zusammenhängen. In diesen tritt ein bedeutender Tänzer auf jeweils einer der 5, 7 oder 9 Bühnen in einer anderen Rolle auf (z. B. stellte der Tänzer Nakamura Utaemon III im K. Osotezakura-tenihano-nanmoji, 1811, nacheinander eine Kurtisane, einen blinden Masseur, einen Gauner, einen Knaben, einen chinesischen Gott und eine Seiltänzerin dar). Die K.-Musik richtet sich danach, ob sie einen Tanz, eine Pantomime, Dialoge oder Monologe begleitet und kann in 4 Musikstile für das /Shamisen unterteilt werden: 1. Gidayú, rezitativische Vokalmusik im Bunraku; 2. Tokiwazu und Kiyomoto, rezitativische Vokalmusik aus Edo; 3. Nagauta, lyrischer Gesang, der vor allem Tanz276

schauspiele begleitet und bei dem das Hayashi-Ensemble des Nö-Theaters eingesetzt wird (Flöte Nókan oder Shinobue und die Trommeln Tsuzumi und Taiko); 4. Kagebayashi, Hintergrundmusik, die — ähnlich wie beim Nagauta — von Schlag- und Blasinstrumenten (verschiedene Trommeln, Gongs, Glocken, Klappern, Schrapinstrumente, Bambusflöten) ausgeführt wird. Die meist kurzen Stücke dienen der Untermalungbestimmter Szenen (Palast, Tempel, Laden, tiefes Tal, Berg usw.). Durch Klangfarben werden kunstvoll natürliche Geräusche imitiert: Wind, Regen, Donner, Wellen. Die Musik wird entweder auf der Bühne (debayashi) oder im Hintergrund (kagebayashi), z. T. durch eine Holzwand getrennt, ausgeführt. Die Musiker sind folgendermaßen auf der Bühne plaziert: hinten auf einem Podium mit rotem Teppich die Nagauta, vor ihnen das Hayashi-Ensemble. Die Gidayň-Spieler sitzen auf einer hohen Plattform rechts auf der Bühne, die Tokiwazu- und Kiyomoto-Musiker links oder in der Mitte hinter den Tänzern. Lit.: R. MAYBON, Le théâtre japonais (P 1925); E. ERNST, The K. Theatre (Lo 1956); P. ARNOLD. Le théâtre japonais (P 1957); W. P. MALM, Nagauta, the Heart of K. Music (Tokio — Rutland/Vt. 1963); B. ORTOLANI, Das K. Theater (Tokio 1964); Y. TOITA, K. (ebd. 1971). S. KISHIBE

KADE, Otto, * 6.5.1819 Dresden, t 19.7. 1900 Bad Doberan (Mecklenburg); dt. Musikforscher. K. gründete 1848 den Cäcilienverein in Dresden. 1853 wurde er Musikdirektor der Dreikönigskirche in Dresden-Neustadt und 1860 Großherzoglicher Musikdirektor am Hof von Schwerin. K. widmete seine Forschungen vor allem der evangelischen Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts. Schriften: Mattheus le Maistre (Mz 1862); Der neuaufgefundene Luther-Kodex vom Jahre 1530 (Dresden 1873); H. Isaac, in: Allgem. Dt. Biogr. 14 (L 1881); Die ältere Passionskomposition bis zum Jahre 1631 (Gütersloh 1893, Nachdr. 1971); Die Musikalien-Sig. des Großherzoglich Mecklenburg-Schweriner Fürstenhauses aus den letzten zwei Jahrhunderten, 2 Bde. (Schwerin 1893, Nachdr. 1974), dazu Nachtrag (ebd. 1899). — Ferner war K. Hrsg. u. a. v.: J. Watthers Wittenbergisch geist/ich Gesangbuch v. 1524 (1878) (= PGfM 7, Nachdr. Hil 1967); W. Ambros, Gesch. der Musik, 4 Bde. (L 21880-89), Bd. 5 von O. K. als Beispielsammlung zu Bd. IH (L 1882).

KADENZ (von lat. cadere = fallen; engl. und frz.: cadence; it.: cadenza). — 1) In der dur-moll-tonalen Musik des 17. bis 19. Jh. Bz. für die Abfolge der Hauptfunktionen /Tonika (T), /Subdominante (S) und /Dominante (D): in C-Dur:

TSDT

in a-moll :

s D t

Kadenz

Mit ihrem charakteristischen zweimaligen Quintfall -

ry ~`• '

im Baß

schließt sie die Entfernung

von der Tonika und die bestätigende Rückkehr zu ihr als dem tonalen Zentrum ein; durch Einschub von Nebendreiklängen oder Zwischendominanten kann diese einfache Grund-K. erweitert werden ( _ erweiterte K.). Im Unterschied zu den /Klauseln des 15. und 16. Jh., die primär als melodische Ereignisse zu betrachten sind, ist die K., verstanden als Gesamtheit der Stimmen, ein harmonischer Vorgang. So sind frühere SchluBwendungen oder



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sind

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D

Jeder Dur- und für die Sixte ajoutée auch jeder Moll-

s D' T

dreiklang erhält durch sie subdominantischen bzw. dominantischen Charakter, z. B -d von B-Dur

(OEDominantseptakkord). Die Quinte der Subdominante kann dabei auch fehlen (S6) - z. B. in CDur

, während die Dominante häufig als

scheint - in C-Dur:

{

D•

T



be-

i

T

DI I-

T

Das Auflösungsstreben der D in die T verbietet in der Regel die Umkehrung der Folge S-D zu D-S; als Ausnahmen finden sich bei Bach die Folgen D-S3 (= Sextakkord) und D3-S3; vereinzelte spätere Fälle haben oft bewußt archaisierenden Charakter.

#(``coeli etr ter %~- ~' ra 44'

~

1

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T

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r ~ T

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L. van Beethoven, Klaviersonate op. 10, Nr. 2,1. Satz

stimmt eine /Tonart eindeutig; als harmonisches Fundament wie als bekräftigende Schlußformel prägt sie die tonale ."Harmonik am deutlichsten aus.

t

T

„kadenzierender řQuartsextakkord" (D1) er-

r

zwar klanglich der Folge Dominante-Tonika verwandt, nicht aber ihrem Sinn nach; der /Akkord ist noch nicht, wie in der dur-moll-tonalen K., die unmittelbar gegebene klangliche Einheit, sondern sekundäres Ergebnis der Intervallfortschreitung: Der Schritt von der Sexte zur Oktave, der den zweistimmigen Rahmen abgibt, wird durch eine (mittlere oder untere) Zusatzstimme ausgefüllt. Die K., in der alle Töne der Dur- bzw. Mollskala enthalten

~-

_

i

~

L. van Beethoven, Klaviersonate op. 2,Nr. 2, Scherzo

Ist die Dominante dabei nicht nur durch /Leitton und Quintfall, sondern auch durch einen gemeinsamen Ton eng auf die Tonika bezogen (Quinte der T = Grundton der D), so schaffen andererseits Zusatztöne Verbindungen zur Subdominante: Die hinzugefügte große Sexte (sixte ajoutée) der Subdominante (= Quinte der D) - in C-Dur:

H. Berlioz, Requiem, Sanctus

Der Schritt zur T als dem eigentlichen Ziel der K. führt einen „Ganzschluß" herbei; die Folge D-T als schlußkräftigste Wendung ist der „authentische Ganzschluß" (auch „GanzschluB" oder „authentischer Schluß"), die Folge S-T ist der - tonal nicht derart eindeutige - „plagale Ganzschluß" (auch „PlagalschluB").

- und die kleine Septime der Dominante

——•~~ --~. (= Grundton der S) - in C-Dur: — S

.

- sind

„charakteristische Dissonanzen", die den Zusammenhalt und Fortgang der K. verstärken:

T

S_

T

G. Fr. Handel,Messiah, Chor Hoch tut euch auf

Der „Halbschluß" erreicht die D als kurzfristigen Ruhepunkt. 277

Kadenz

t=h-moll

D

J. S. Bach, Choral

Bei einem „Trugschluß" folgt der D eine andere Funktion als die erwartete T:

D'

S8

Tp

L. van Beethoven, Klaviersonate, op. 2, Nr. 3,1. Satz

2) Die solistische — improvisierte oder komponierte — K. am Schluß der Bravourarie und an Satzschlüssen des Instrumentalkonzerts gibt dem Interpreten Gelegenheit zu virtuoser Darstellung und zum Spiel mit Themen und Motiven des Satzes. Hervorgegangen aus dem früh einsetzenden Brauch, den Schlußklang oder die Paenultima der Klausel ornamental auszugestalten, ist die Solo-K. als verzögernder Einschub in die harmonische Schlußformel der K. zu verstehen; deutlich wird dies bei dem — seit der Mitte des 18. Jh. typischen — Beginn nach dem kadenzierenden Quartsextakkord (D4) und dem Abschluß auf der — die Tonika herbeiführenden — Dominante, z. B.:

os^

Orchester

;OEY

Orchester

Solo-Kadenz e.

I D~ t

LP D~

s

T

~

L. van Beethoven, Klavierkonzert Nr. 1, op. 15, 1. Satz

Ursprünglich improvisiert, wurden K.en allmählich von den Komponisten — in der Regel mit alternativen Versionen zur freien Auswahl des Interpreten — schriftlich fixiert; maßgeblich dafür waren sowohl der Mißbrauch, K.en ohne Rücksicht auf Stil und Proportion des Werkes zur puren Schaustellung veräußerlichter Virtuosität zu nutzen, wie auch der fortschreitende Verfall improvisatorischer Fertigkeit der Interpreten. Beethoven entzieht in seinem Klavierkonzert Nr. 5, op. 73 dem Interpreten jede Freiheit: wie später bei anderen Komponisten ist die auskomponierte K., als integraler Bestandteil des Werkes, verbindlich vorgeschrieben. Lit.: Zu 1): J.-PH. RAMEAU, Traité de l'harmonie ... (P 1722, Faks. NY 1965) (= MMMLF 1I/3); dass., in: Complete Theoreti-

278

cal Writings, hrsg. v. E. R. JACOBI (Dallas/Tex. 1967); J.-PH. RAMEAU, Nouveau système de musique théorique (P 1726, Faks. NY 1967) (= MMMLF I1/7); dass., in: Complete Theoretical Writings, hrsg. v. E. R. JACOBI (Dallas/Tex. 1967); H. RIEMANN, Musikal. Logik, in: Präludien u. Stud. 3 (L 1901, Nachdr. Hil 1967); M. FREY, Die Hauptk. im Wandel der Zeiten, in: Mk 13 (1913); H. J. MOSER, Die harmonischen Funktionen in der tonalen K., in: ZfMw 1 (1918); R. TENSCHERT, Die Kadenzbehandlung bei R. Strauss, in: ebd. 8 (1925/26); H. NAUMANN, Strukturk. bei Beethoven (L 1931); H. J. MOSER, Das Schicksal der Penultima, in: Jb.-Peters 41 (1934); D. SCHJELDERUPEBBE, Purcell's Cadences (Oslo 1962); S. H. HANSELL, The Cadence in the 18th Century Recitativa, in: MQ 54 (1968); G. KATZENBERGER, Improvisatorische Elemente in Mozarts K.en, in: Acta Mozartiana 20 (1973); F. OTTERBACH, Kadenzierung u. Tonalität im Kantilenensatz Dufays (Diss. Fr 1973); B. MEIER, Die Tonarten der klass. Vokalpolyphonie (Utrecht 1974); S. HERMELINK, Die innere Logik der Rezitativ -K., in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980). — Zu 2): H. KNODT, Zur Entwicklungsgesch. der K. im Instrumentalkonzert, in: SIMG 15 (1913/14); R. STOCKHAMMER, Die K. zu den Klavierkonzerten der Wiener Klassiker (Diss. W 1936); P. MIES, Die Krise der Konzertk. bei Beethoven (Bonn 1970) (= Abh. z. Kunst-, Musik u. Lit.-Wiss. 101); DERS., Das Konzert im 19. Jh. Stud. zu Formen u. K.en (ebd. 1972) (= ebd. 126); O. EDWARDS, The Cadenza in Eighteenth-Century English Concerto Fugues, in: MR 36 (1975). C. KÜHN

KADOSA, Pál, * 6.9. 1903 Léva (heute ČSSR),

t 30.3. 1982 Budapest; ungar. Komponist und Pianist. Er studierte 1921-27 in Budapest Klavier bei A. Székely und Komposition bei Z. Kodály. Anschließend war er als Klavierlehrer an verschiedenen Budapester Musikschulen tätig. 1945 wurde er Professor an der Musikhochschule Budapest und Vizepräsident des Ungarischen Kunstrates. 1948 organisierte er das 1. Internationale Béla-BartókFest. Seit 1967 ist er Mitglied der Royal Academy of Music in London und seit 1970 der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (-Ost). Als Pianist trat K. nachhaltig für die zeitgenössische Musik ein. Als Komponist schöpfte er wie sein Lehrer Kodály aus der Tradition der altungarischen Volksmusik. WW: Für Klv.: 3 Suiten (1921); 7 Bagatellen (1923); Etüden (1935); Préludes (1944); Stücke für 2 Klv.; 3 Streichquartette; Streichtrios u. -Duos; Solosonaten für V. u. Vc.; Suiten u. Sonaten für V. u. Klv.; 8 Symphonien (1942, 1948, 1957, 1959, 1961, 1966, 1967, 1968); 4 Klv.-Konzerte (1931, 1938, 1953, 1966); 2 V.-Konzerte (1932, 1941); Concertino für V. (1935). — Klv.-Lieder nach Petöfi (1952) u. N. Sachs (1970); Kantaten; ferner die Oper Huszti kaland, UA: Budapest 1951.

Lit.: J. S. WEISMAN, P. K., in: Ungar. Komponisten, hrsg. v. H. Lindlar (Bonn 1954) (= Musik der Zeit 9); F. BÓNIs, K.P. (Budapest 1965), gekürzt engl. in: New Hungarian Quarterly 5. (1964).

KAGEL, Mauricio Raúl, * 24. 12. 1931 Buenos Aires; argentinischer, seit 1980 deutscher Komponist. Er studierte teils privat, teils autodidaktisch Klavier, Violoncello, Orgel, Gesang, Dirigieren und Komposition sowie an der Universität von Buenos Aires Philosophie und Literatur. 1949

Kaegi wurde er künstlerischer Berater der „Agrupación Nueva Música" Buenos Aires, 1950 Mitbegründer der Cinémathèque Argentine, 1955 Studienleiter an der Kammeroper und Direktor am Teatro Colón in Buenos Aires. 1957 übersiedelte er nach Köln. Seit 1960 war er häufig Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, unternahm 1961-63 Vortrags- und Konzertreisen durch Amerika, war 1964-65 Professor für Komposition an der State University of New York in Buffalo und 1968 Leiter der Skandinavischen Kurse für Neue Musik in Göteborg. Seit 1967 lehrt er als Gastdozent an der Film- und Fernsehakademie Berlin und leitete 1969-75 die Kölner Kurse für Neue Musik. 1973-74 unternahm er mit dem Kölner Ensemble für Neue Musik Konzertreisen durch Asien, Südamerika, die USA und Kanada. Seit 1974 ist K. Professor für Neues Musiktheater an der Staatlichen Hochschule für Musik Rheinland in Köln. Er erhielt zahlreiche Preise, zuletzt für sein Hörspiel Der Tribun den Hörspielpreis der Kriegsblinden für 1979. WW: 1) Iestr.-WW: Streichsextett (1953, Neufassung 1957); Transiçión II (1959) für Klv., Schlagzeug u. Tonbänder; Transiçión 1 (1960) für elektronische Klänge; Sonant (1960) für Gitarre, Harfe, Kb. u. Fellinstr.; Mimetics (Metapiece) (1961) für Klv. bei gleichzeitiger Darbietung eines Werkes v. einem lebenden Komponisten; Heterophonie (1961) für Orch.; Match (1964) für 3 Spieler (2 Vc. u. Schlagzeug); Musik für Renaissance-Instr. (1966); Streichquartett (1967); Der Schall (1968) für 5 Spieler; Unter Strom (1969) für 3 Spieler; Tactil (1970) für drei; Programm. Gespräche mit Kammermusik (1972); Exotica (1972) für auBereuropäische l str.; Variationen ohne Fuge für großes Orch. über die „Variationen u. Fuge" über ein Thema v. Händel für Klv. op. 24 v. J. Brahms 1861/62 (1972); Klangwölfe (1979) für Geige u. Klv. — 2) Vokal-WW: Anagrams (1958) für Gesanpsoli, Sprecher u. Kammerensemble; Phonophonie (1963), 4 Melodramen für 2 St. u. andere Schallquellen; Diaphonie (1964) für Chor, Orch. u. Diapositivprojektoren (3 Fassungen); Hallelujah (1968) für St.; 1898 (1973) für Kinderst. u. Instr.; Kantrimiusik (1975), Pastorale für St. u. Instr.; Chorbuch (1978) für Vokalensemble u. Tasteninstr., Kantate Vox humane? (1979) für Solo-Lautsprecher, Frauenst. u. Orch. — 3) Bilden-WW: Sur scène (1960), kammermusikal. Theaterstück für Sprecher, Darsteller, Sänger u. 3 Instrumentalisten; Tremens (1965), szenische Montage eines Tests für 2 Darsteller u. elektrische Instr.; Pas de cinq (1965), Wandelszene für 5 Darsteller; Staatstheater, UA: Hamburg 1971, daraus szenisches Konzertstück, UA: Wuppertal 1971; Probe, Versuch für ein improvisiertes Kollektiv, UA: Oslo 1971; Mare nostrum. Entdekkung, Befriedung u. Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien, szenisches Spiel für Countertenor, Bar., Fl., Ob., Gitarre, Harfe, Vc. u. Schlagzeug, UA: Berlin 1975; Die Rhythmusmaschinen (1978), Aktion für Gymnasten, Rhythmusgeneratoren u. Schlagzeug; Die Erschöpfung der Welt (1978), szenische Illusion in einem Aufzug; Aus Deutschland. Eine Lieder-Oper (1980). — 4) Hörspiele: (Hörspiel) Ein Aufnahmezustand (1969); Guten Morgen! (1971); Soundtrack (1975); Die Umkehrung Amerikas (1976); Der Tribun (1979) für eine politische St., Lautsprecher u. Militärkapelle. — 5) Filme: Antithèse (1965); Match (1966); Solo (1967); Duo (1968); Hallelujah (1968); Ludwig van (1969); Zwei -Mann-Orchester (1973); Kantrimiusik (1976); Ex-Position (1978). —6) Schriften: Ton-Cluster,

Anschläge, Übergänge, in: Berichte/Analysen, hrsg. v. H. Eimert (W 1959) (= Die Reihe 5); Translation, Rotation, in: Form, Raum, hrsg. v. dems. (W 1960) (= ebd. 7); Komposition, Notation, Interpretation, in: Notation Neuer Musik, hrsg. v. E. Thomas (Mz 1965) (= Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 9); Tamtam. Monologe u. Dialoge zur Musik, hrsg. v. F. Schmidt (Mn 1975).

K.s erste in Europa entstandenen Kompositionen gehören der seriellen Musik an, von der er sich freilich bald abwandte, ohne deren Technik ganz aufzugeben. Mit Sur scène (1960) beginnt eine lange Reihe von Werken des „Instrumentalen Theaters", in denen K. nicht nur das Klangresultat, sondern auch szenische Dimensionen wie Bewegung, Licht oder Bühnenbild festlegt. Eine solche Aufhebung traditioneller Gattungsgrenzen, verbunden mit der Einbeziehung einer Fülle von Wirklichkeitsfragmenten, führte K. auch zu Film und Hörspiel. Daneben widmet er sich der Entdeckung neuer Klangbereiche, wobei häufig ungewohnte Instrumente und Klangerzeuger Verwendung finden. Seit Ludwig van (1969) gilt K.s Interesse in zunehmendem Maße der kompositorischen Umgestaltung älterer Musik (meist mittels Collage-Techniken) sowie politischen und theologischen Themen. Die in fast allen Werken anzutreffenden Verfremdungen und assoziativen Verknüpfungen wie auch K.s Absicht, aus eindeutigen Details vieldeutige Zusammenhänge herzustellen, zielen auf eine Intensivierung der Wahrnehmung, die indes nicht auf ästhetische Immanenz beschränkt bleiben soll. Wie im „Instrumentalen Theater" beides, Hören und Sehen, gefordert ist, so ist K. stets auch um eine Übereinstimmung von musikalischem Ausdruck und kommunizierbaren Gedanken bemüht; seine Musik soll zur Reflexion führen. Die vielfältigen, wenn auch vieldeutigen Bezüge der Werke K.s zur Geschichte und zur zeitgenössischen Gesellschaft sind die künstlerischen Reflexe einer Realität, deren Widersprüche und Bedrohungen K. aufzuzeigen sucht. Lit.: D. SCHNEBEL, M. K. Musik, Theater, Film (Kö 1970) (mit Werk-Verz. u. Bibliogr.); K. H. ZARIUS, Das Instr. als Symptom, in: Kat. z. Ausstellung M. K. Theatrum instrumentorum (Kö 1975); W. KLUPPELHOLZ, Sprache als Musik (Herrenberg 1976) (zu Anagrama); DERS., Musik als Theologie. Zu K.s Rezitativarie, in: Melos/NZ 3 (1977); R. FRISIUS, Musique pour la radio, radio pour la musique. Tendences de l'aeuvre de M. K., in: Musique en jeu 27 (1977); C. M. SCHMIDT, Brennpunkte der Neuen Musik (Kö 1977); K.H. ZARIUS, Staatstheater v. M. K. Grenze u. Übergang (W 1977); M. K., in: Musik u. Bildung 9 (1977) H. 11; W. KLUPPELHOLZ, M. K. u. die Tradition, in: Die neue Musik u. die Tradition, hrsg. v. R. Brinkmann (Mz 1978); DERS., M. K. 1970-1980 (Kö 1981). W. KLÜPPELHOLZ

KAEGI, Werner, *17. 6. 1926 Uznach (Kanton St. Gallen); Schweizer Komponist. Er studierte seit 1945 Musikwissenschaft und mathematische Logik an den Universitäten Heidelberg, Basel und Zürich, 279

Kaiser

wo er 1951 promovierte. Außerdem studierte er an den Konservatorien in Basel und Zürich und war Kompositionsschüler P. Hindemiths in Salzburg sowie A. Honeggers in Paris. Seit 1963 wirkt er beim Centre de Recherches Sonores de la Radio Suisse Romande in Genf. WW: Ariadne in Zürich (1957) für Klv. zu 4 Händen, Orch.-Fassung (1968); Concerto für Jazzquartett u. Str. (1964); Mystic Puzzle 1 (1968) für Cemb. u. Prepared Piano. — Elektronische Musik, u. a.: Suisse vigilante (1964); Eclipses (1964) für 4 Tonsäulen; Entretiens (1965); Mystic Puzzle 11 (1966) für Jazzensemble u. elektronische Klänge; Les vêtements de la demoiselle (1968) (Text: R.Sassi) für 2 Schauspieler, Sopran u. elektronische Klänge; Entretiens solitaires (1968) für einen Sprecher, 9 Instr. u. elektronische Klänge; Anima ou Les rêves de Damien (1968); ferner das Ballett De Bach chunnt, UA: Zürich 1959. — Schriften: Die simultane Denkweise in J. S. Bachs Inventionen, Sinfonien u. Fugen (Diss. Z 1951); Was ist elektronische Musik? (Z 1967).

KAISER, Joachim, *18. 12. 1928 Milken (Ostpreußen); dt. Literatur- und Musikkritiker. Er studierte in Göttingen, Frankfurt a. M. und in Tübingen, wo er 1958 promovierte. Seit 1951 war er Mitarbeiter bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und bei den Frankfurter Heften, 1954-58 Redakteur beim Hessischen Rundfunk und anschlieBend Feuilletonredakteur bei der Süddeutschen Zeitung. 1977 erhielt er den Lehrstuhl für Theorie des Theaters an der Musikhochschule in Stuttgart. Schriften: GroBe Pianisten unserer Zeit (Mn 1965, 21972); Theater-Tagebuch (H 1965); Zur Praxis der Musikkritik, in: Symposium für Musikkritik (Gr 1968); Beethovens 32 Klv.-Sonaten u. ihre Interpreten (F 1975); Erlebte Musik von Bach bis Strawinsky (H 1977).

KAISERLICHEN ABENTEUER DES HÁRY JÁNOS, DIE, Singspiel in 4 Akten mit Prolog und Epilog von Zoltán Kodály (1882-1967), Text von Béla Paulini mit Versen von Zsolt Harsányi nach der erzählenden Dichtung Az obsitos (Der Veteran) von János Garay. Ort und Zeit der Handlung: Rahmenhandlung in der Schenke zu Nagyabony um 1845, die Abenteuer: an der galizisch-russischen Grenze, auf dem Schlachtfeld vor Mailand und in der Wiener Hofburg, zwischen 1800 und 1812. UA: 16. 10. 1926 in Budapest, dt. EA (in dt. Sprache): 26.9. 1931 in Köln. Erzählungen des Veteranen Háry, der kein Aufschneider wie Münchhausen, sondern ein Träumer, „Sinnbild des unverwüstlichen, ewig magyarischen Optimismus" (Kodály) ist, bilden den Inhalt dieses ersten auf originalen ungarischen Volksliedern basierenden Singspiels. Nach der UA erweiterte Kodály die Partitur um eine Theater-Ouvertüre und um einige Lieder, wogegen er ein fünftes Abenteuer, die Szene vom Ende der Welt, strich. Eine letzte Umarbeitung des Singspiels durch den Komponisten erfolgte 1948, nachdem er bereits 280

1927 einige der wirkungsvollsten Instrumentalstücke zu der häufig gespielten Háry-János-Suite zusammengestellt hatte. Mit der volkstümlichen Musik zu diesem Singspiel gelang Kodály, was Bartók mit Herzog Blaubarts Burg nicht erreicht hatte: dem ungarischen Volk dessen eigene musikalische Sprache bewußt zu machen und damit zum Begründer der nationalen ungarischen Oper zu werden. K. LANGROCK KAJANUS, Robert, * 2. 12. 1856 Helsinki, t 6.7. 1933 ebd.; finnischer Dirigent und Komponist. K. studierte in Helsinki, anschließend am Leipziger Konservatorium, in Paris und in Dresden. Nach Helsinki zurückgekehrt, gründete er dort 1882 ein Symphonieorchester, das er bis 1932 leitete, sowie 1885 eine Orchesterschule. Außerdem lehrte er 1897-1926 Musik an der Universität von Helsinki. K. hat das Musikleben Finnlands nachhaltig beeinflußt. Als Dirigent setzte er sich besonders für J. Sibelius ein. In seinen eigenen Kompositionen suchte er einen nationalen Stil zu entwickeln. WW: Klv.- u. Harfenstücke; Orch.-Werke, u. a.: Der Tod Kullervos für Orch. (1881) (Episode aus dem finnischen Volksepos Kalevala); 2 finnische Rhapsodien (1882, 1889); Symphonie mit Schluachor Aino (1885) (zur 50jährigen Feier des Epos Kalevala); Lieder, Chöre u. Chorwerke mit Orch. Lit.: Y. SUOMALAINEN, R.K. (He 1952); O. ANDERSON, Sibelius och K., in: Studier i musik och folklore (Abo 1964).

KALICHSTEIN, Joseph, * 15. 1. 1946 Tel Aviv; amerik. Pianist israelischer Herkunft. K. studierte 1962-69 Klavier (I. Kabos, E. Steuermann) in der Juilliard School of Music in New York und bei Wl. Ashkenazy. Seit seinem Debüt 1967 in der Carnegie Hall in New York konzertiert er in allen bedeutenden Musikzentren der Welt. KALIF VON BAGDAD, DER (Le Calife de Bagdad), Opéra-comique in 1 Akt von François Adrien Boieldieu (1775-1834), Text von Claude Godard d'Aucour de Saint-Just. Ort und Zeit der Handlung: Bagdad, in der märchenhaften Zeit von 1001 Nacht. UA: 16.9. 1800 in Paris (Théâtre Favart), dt. EA (in dt. Sprache): 14. 5. 1802 in Hamburg. Mit dieser Oper gelang Boieldieu der Durchbruch zum internationalen Erfolg: Die Komödie um den Kalifen Isauun, der sich in wechselnden Verkleidungen in den Straßen Bagdads sehen läßt und bei einer dieser Gelegenheiten die junge Zétulbé rettet, die er schließlich zur Frau nimmt, konnte sich in den Aufführungsziffern sogar mit den großen Bühnenwerken Cherubinis messen. Paradoxerweise war es gerade der Erfolg dieser Oper, der Boieldieu veranlaßte, bei Cherubini musikdramatischen Unterricht zu nehmen. Zeitgenössische Kritiker bemän-

Kalliwoda gelu zwar die „manieristische Sprachpräzision" in den Dialogen und die wenig orientalische couleur locale, betonen aber, daß diese Schwächen bei weitem von den Vorzügen der Oper ausgeglichen würden: Reichtum der Bilder, sprachlicher Esprit, entwaffnender Witz und schließlich eine Fülle melodischer Ideen in den wenigen, unkompliziertschönen Musiknummern. Die Ouvertüre wurde zu einem beliebten Konzertstück. R. QUANDT KAELIN, Pierre, *12. 5. 1913 Estavayer-le-Lac; Schweizer Chorleiter und Komponist. Nach der Priesterweihe 1937 studierte er in Paris an der École César Franck und am Institut grégorien. 1949 wurde er als Nachfolger von J. Bovet Kapellmeister an der Kathedrale Saint-Nicolas in Fribourg, wo er außerdem als Musiklehrer an der École Normale und am Konservatorium wirkte. 1952 gründete er die Chorvereinigung „La Chanson de Fribourg", 1957 den „Choeur symphonique de Fribourg" und 1971 die „Petits Chanteurs de Fribourg". Als Komponist volkstümlicher Lieder und Chöre führt er weitgehend die Linie von Bovet fort. WW: 1) Kompositionen: Le jeu du noir et du blanc (1955); Terre de Gruyére (1963); La symphonie des deux mondes (1980); ferner Lieder, Chöre; Messen, Motetten u. a. kirchenmusikal. Werke. - 2) Schriften: Le livre du chef de choeur (G 1949), 2. erweiterte Aufl. als: L'art choral (P 1974); Pratique grégorienne (Fribourg 1961).

KALKANT, ältere Form Calcant (von lat. calcare = treten), in Deutschland Bz. für den Bälgetreter (2'Balg), wie er bis zum Beginn des 20. Jh. für die Versorgung einer Orgel mit Wind notwendig war (frz. Bz.: souffleur). K. oder Kalkantenruf bzw. Kalkantenzug hieß auch die Vorrichtung am Spieltisch, mit der der Organist dem K.en das Zeichen für den Einsatz seiner Tätigkeit gab. KALKBRENNER. — 1) Christian, *22. 9. 1755 Minden, t 10.8. 1806 Paris; dt. Kapellmeister. Er war 1772-85 Chorsänger und Violinist am Hofe in Kassel und 1790-96 Kapellmeister des Prinzen

Heinrich in Rheinsberg. Seit 1799 wirkte er als Korrepetitor an der Großen Oper in Paris. WW: 1) Kompositionen: Im Druck erschienen: Sonaten für Cemb. od. Klv.; mehrere Sign. Sonaten für Cemb. od. Klv. mit V. bzw. mit V. u. Vc.; ferner Lieder, Arien u. Romanzen für SingSt. u. Klv. - 2) Schriften: Theorie der Tonsetzkunst, 2 Tle. (B 1789); Kurzer Abriss der Gesch. der Tonkunst (B 1792). K. übers. u. bearb. auch Fr. X. Richters hsl. überlieferten Harmonischen Belehrungen ... als Traité d'harmonie et de composition (P 1804).

2) Friedrich Wilhelm Michael, Sohn von 1), * zwischen 2. und 8.11. 1785 bei Kassel, t 10.6. 1849 Enghien-les-Bains; dt. Pianist und Komponist. Er war zunächst Schüler seines Vaters, seit 1799 Klavierschüler von L. Adam und später Theorieschüler

von Ch. S. Catel am Pariser Conservatoire. 1803 ging er nach Wien, wo er von Beethoven, Haydn und J.G. Albrechtsberger gefördert wurde. 1805 unternahm er eine außerordentlich erfolgreiche Konzertreise nach München und Stuttgart und kehrte 1806 nach Paris zurück, wo er bald ein gesuchter Pianist und Klavierlehrer wurde, der die Entwicklung der Klavierspieltechnik maßgeblich beeinflußte. 1814-23 lebte er in London, ließ sich dann aber endgültig in Paris nieder. Dort galt er bis zum Auftreten Fr. Liszts als einer der bedeutendsten Pianisten. Zu seinen Schülern gehörte kurze Zeit auch Fr. Chopin, der ihm sein 1. Klavierkonzert widmete. Von seinen Klavierkompositionen sind die Etüden, die R. Schumann als „Meisterstücke en miniature" bezeichnete, sowie die auf Chopin vorausweisenden Préludes op. 88 hervorzuheben. WW: Sonaten für Klv. zu 2 u. 4 Händen; zahlr. Fantasien u. Variationen, meist über Opernmelodien, Rondos, Valses u. Charakterstücke für KIv. (mehr als 120 Opuszahlen); 24 Préludes, op. 88 u. 5 Sign. Études für KIv. - Lehrwerke: Anweisung das Pianoforte mit Hilfe des Handleiters spielen zu lernen, op. 108 (L o.J., frz. P 1830); Harmonielehre... als Anleitung zum Präludieren u. Improvisieren, op. 109 (L o. J., frz. P 1849). Lit.: W. C. M. KLOPPENBURG, De Ontwikkelingsgang van de Pianomethoden (Utrecht 1951); R. SIETZ, K., in: MGG VII.

KALLER, Ernst, *27. 3. 1898 Beuthen (Oberschlesien), t 1. 11.1961 Essen; dt. Organist. Er studierte seit 1921 Musikwissenschaft an den Universitäten in Freiburg im Breisgau (W. Gurlitt) und 1922-26 in Leipzig (H. Abert, Th. Kroyer), gleichzeitig Orgel (K. Straube) am dortigen Landeskonservatorium. 1927-34 war K. Leiter der Orgelklasse des von ihm mitbegründeten Musikseminars in Freiburg im Breisgau. 1934 wurde er Leiter der Abteilung Katholische Kirchenmusik an der Folkwangschule in Essen (1948 Professor). Neben einer Orgelschule in 2 Bden. gab er Liber organi (12 Bde., Mz 1931 ff.) heraus, eine wichtige Edition älterer Orgelmusik. KALLIWODA, Johann Baptist Wenzeslaus, *21.2. 1801 Prag, t 3.12. 1866 Karlsruhe; böhmischer Violinist und Komponist. K. studierte bei D. Weber und F. W. Pixis am Prager Konservatorium. 1821 unternahm er eine Konzertreise nach Deutschland, in die Schweiz und nach Holland. 1822-66 war er Kapellmeister des Fürsten von Fürstenberg in Donaueschingen, dessen Orchester er zu hohem Ansehen führte. K.s Werke gehörten bis zur Jahrhundertmitte zum festen Repertoire des deutschen Konzertwesens. Seine Unterrichtswerke (Etüden, Duos) werden noch heute benutzt. K.s Sohn Wilhelm, *19. 7. 1827 Donaueschingen, t 8.9. 1893 Karlsruhe, war Pianist und Dirigent und wirkte 281

Kallmeyer 1853-75 als Hofkapellmeister in Karlsruhe. Er schrieb Lied- und Klavierkompositionen. WW: KIv.-Stücke zu 2 u. 4 Händen; 3 Streichquartette; zahlr. Orch.-Werke, u. a. 7 Symphonien (1825, 1829, 1830, 1835, 1840, 1841, 1843); 10 Messen, Lieder u. Chöre, ferner Unterrichtswerke für V. — Opern: Prinzessin Christine von Wolfenburg, UA: Prag 1829; Blanda, die silberne Birke (Libr.: F. Kind), UA: ebd. 1847. Ausg.: Concertino für Ob. u. Orch., op. 110, hrsg. v. H. DE VRIES (Lo 1974). Lit.: K. STRUNZ, J. W. K.... (W 1910); H. KALLER, in: Musica 5 (1951); W. KRAMOLISCH, K., in: MGG VII.

KALLMEYER 7Möseler-Verlag. KÁLMÁN, Emmerich (Imre), * 24.10.1882 Siófok (Ungarn), t 30.10. 1953 Paris; ung. Komponist. K. wollte zunächst Konzertpianist werden, mußte diesen Plan wegen einer Erkrankung der rechten Hand aber aufgeben und studierte zusammen mit B. Bartók und Z. Kodály Komposition bei H. Kößler an der Landesakademie für Musik in Budapest. 1904-08 war er Musikkritiker an der Zeitung Pesti Napló. 1906 wurde sein erstes Bühnenwerk, das Lustspiel Das Erbe von Pereszlény, uraufgeführt. 1907 erhielt er den Franz-JosephPreis der Stadt Budapest. Ende 1908 siedelte er nach Wien über, wo noch im selben Jahr in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Karl von Bakonyi die Operette Tatárjárás (Ein Herbstmanöver) entstand. Sie kam auch in London, Stockholm, Kopenhagen und New York zur Aufführung. Mit dem Zigeunerprimas (1912) schuf K. einen eigenen Typ der Ungarn-Operette, der in der Folgezeit neben der Berliner und Wiener Operette überaus beliebt wurde. Die Csárdásfürstin (1915) machte ihn schließlich zu einem der bekanntesten Operettenkomponisten seiner Zeit. Weitere Publikumserfolge erzielte er u. a. mit Gräfin Mariza (Wien 1924). 1938 emigrierte er nach Zürich, Paris und schließlich nach New York. Die dort komponierten Operetten konnten sich aber in Europa nicht mehr durchsetzen. 1948/49 kehrte er nach Europa zurück, wo er wenige Jahre später in Paris verstarb. WW: Tatárjárás (1908); Der gute Kamerad (1911); Der Zigeunerprimas (1912); Der kleine König (1912); The Blue House (1912); Die Csárdásfürstin (1915); Die Faschingsfee (1917); Die Bajadere (1921); Gräfin Mariza (1924); Die Zirkusprinzessin (1926); Die Herzogin von Chicago (1928); Das Veilchen vom Montmartre (1930); Der Teufelsreiter (1932); Kaiserin Josephine (1936); Marinka (1945); Arizona-Lady (1954) (vollendet v. seinem Sohn Ch. K.). Lit.: J. BISTRON, E. K. (W 1932); R. OESTERREICHER, E. K. (W 1954); S. CzECH, Das Operettenbuch (St 1960); V. KALMAN, Grüß mir die süBen, die reizenden Frauen. Mein Leben mit E. K. (Bayreuth 1966). R.-M. SIMON — S. SIMON

KALOMIRIS, Manolis, * 14. (26.) 12. 1883 Smyrna, t 3.4. 1962 Athen; griech. Komponist. Er 282

studierte 1901-06 bei H. Grädener und E. Mandyczewski am Konservatorium in Wien. 1906-10 war er Klavierlehrer am Konservatorium in Charkow und anschließend bis 1919 am Konservatorium in Athen. 1919-26 war er dort Leiter des Hellenischen Konservatoriums und seit 1926 des von ihm gegründeten Nationalkonservatoriums. K.' Kompositionen weisen Einflüsse der griechischen Folklore und der orientalischen Musik auf, stehen jedoch in der Formgestaltung und harmonisch in der Tradition der mitteleuropäischen Musik. WW: Kammermusik u. Orch.-Werke, u.a. 3 Symphonien (1920, 1930) mit Chor u. (1955) mit Rezitator. — Opern (UA in Athen): O Protomastoras (Der Maurermeister), UA: 1916; To dachtilidi tis manas (Der Ring der Mutter), UA: 1917; Anatoli, UA: 1945; Ta sotika nera (Die schattigen Gewässer), UA: 1951; Konstantin Palaiologos, UA: 1962. Lit.: F. ANOYANAKIS, M. K. Werk-Verz. (Athen 1964); G. J. ZACK, The Music Dramas of M. K. (1972) (= Diss. Florida State Univ.).

KAMANCĚ, Kaman&e (von arabisch kamän = Bogen), weitverbreitete Spießlaute des Vorderen Orients (offenbar persischen Ursprungs) mit langem, rundem Hals. Der — kleine — Resonanzkörper kann halbkugelig bis viereckig geformt, ein ausgehöhltes Stück Holz oder aus Holz zusammengesetzt sein oder aus einer KokosnuBschale bestehen. Als Decke dient eine dünne Holzplatte oder eine Fellmembran. Der griffbrettlose Hals wird oft unter der Fellmembran durch das ganze Korpus gezogen und endet in einem Spieß; oder ein Spieß wird eigens angesetzt. Das Instrument kann mit 1-3, heute mitunter in Anlehnung an die europäische Violine auch mit 4 Saiten bespannt sein. Die K. wird vertikal gehalten, wobei der Spieß zum Aufstützen dient. Die Töne werden durch seitliches Abdrücken der gestrichenen Saite erzeugt. Heute wird die traditionelle K. zunehmend durch die Violine ersetzt, die, gleichfalls aufgestützt gespielt, auch die Bezeichnung K. trägt. Die Bezeichnung K. ist also sehr weit gefaßt, wird aber zur genaueren Charakterisierung einzelner Typen fast immer mit einem entsprechenden Adjektiv verbunden. Lit.: L. PICKEN, Folk Musical Instruments of Turkey (Lo 1975).

KAMBODSCHA (Musik der Khmer). An autochthone Traditionen anknüpfend, entwickelte sich in Südostasien unter indischem, chinesischem und indonesischem Einfluß eine relativ einheitliche Musikkultur. Aus prähistorischer Zeit haben sich in K. Bronzetrommeln und Lithophone (Steinspiele) erhalten; Abbildungen lassen erkennen, daß man in den mon-khmerischen Kulturen neben verschiedenen Blasinstrumenten vor allem Trommeln und Gongs verwendete. Nachdem im 6. Jh. n. Chr. die

Kambodscha Khmer das Land eroberten, erlebte es einen raschen kulturellen und wirtschaftlichen Aufstieg. In der Blütezeit des Khmer-Reiches (10.-13 Jh.), das sich von Birma bis nach Malaysia erstreckte, nahm die Musik einen bedeutenden Rang ein: Steininschriften bezeugen, daß die Fürsten in den Tempeln ganze Orchester sowie zahlreiche Tänzerinnen als Opfergaben darbrachten. Basreliefs zeigen Schlaginstrumente (Gongs, Trommeln, Becken), die bei Militärparaden und religiösen Zeremonien vorherrschten (kultische Tänze wurden von Streichinstrumenten begleitet). Das horizontal auf kreisförmigem Rahmen angeordnete Gongspiel ist bereits auf einem Relief aus dem 12. Jh. dargestellt, dürfte jedoch schon früher in Gebrauch gewesen sein. Seit dem 15. Jh. wurde auch malaysischer Einfluß in K. bestimmend. Musikinstrumente. Viele Instrumente wurden aus Ost- und Zentralasien übernommen (u. a. verschiedene Lauten-Typen), andere gehen auf indische Vorbilder zurück; einige Trommel-Typen sowie die Schalmei Sralay entstammen offenbar der malaiischen Kultursphäre. 1. Chordophone. Zu den ältesten Instrumenten gehört das Stab-Monochord Sadev. Als Resonator dient eine unten offene Kalebasse, die der Musiker während des Spiels gegen die Brust drückt. In Anlehnung an die chinesische Mondgitarre entstand die Chapey, ein Instrument mit flachem, leicht ovalem Korpus sowie einem langen, am oberen Ende nach hinten gebogenen Hals mit hohen Stegen (Bünden). Zwei einfache bzw. gedoppelte Saiten sind an langen seitenständigen Wirbeln befestigt. Zum Typus der Kastenzither gehört die Takkhé, deren 3 Saiten über hohe Stege laufen. Neben der 3saitigen, gestrichenen Spießlaute Tro khmer mit flachem, meist ovalem und fellbespanntem Schallkörper, finden Streichinstrumente mit zylindrischem, bauchigem oder schalenförmigem Resonator Verwendung. Bei allen Instrumenten dieses Typus liegen die Saiten sehr hoch über dem nach hinten gebogenen Hals und sind an hinterständigen Wirbeln befestigt. 2. Aerophone. Unter den Flöten dominieren längs gehaltene Typen aus Bambus (Khloy) mit 3-7 Grifflöchern. Daneben sind 3 verschiedene SchalmeiTypen bekannt: die voll- und etwas schnarrend klingende Pey ár aus einem zylindrischen Bambusrohr mit 6 Grifflöchern und breitem Mundstück; die ebenfalls zylindrische Sralay mit faßförmig gedrechseltem Tubus aus Holz und 6 Grifflöchern; und schließlich die relativ schrill klingende Sralay khlang khék, die mit einem leicht aufgeworfenen Schallbecher versehen ist. Das Mundstück der Sralay besteht aus 4 zusammengebundenen Palmblatt-

segmenten, die durch Zungendruck einzeln ausgeschaltet werden können, so daß sich der Klang verändert. Vermutlich in Anlehnung an ostasiatische Vorbilder entstanden Mundorgeln mit 6-16 Pfeifen, doch finden auch einzeln geblasene Instrumente mit durchschlagender Zunge und Grifflöchern Verwendung. 3. Membranophone. Von Bedeutung für das Pinpeat-Orchester sind die paarweise angeordneten Trommeln Skor thom, auf denen die Spieler mit Schlegeln die Hauptakzente markieren. Die 2 Felle der walzenförmigen Sampho hingegen werden mit den Händen geschlagen. Einige der zahlreichen Trommel-Typen tragen die Musiker an einem um den Hals geschlungenen Riemen. 4. Idiophone. Instrumente dieser Gruppe nehmen zwar einen bedeutenden Platz ein, gleichwohl ist ihre Typenzahl im Vergleich zu jener anderer Länder Südostasiens begrenzt. Als Material für die 21 bzw. 17 Lamellen der Roneat ek bzw. Roneat thung dient Bambus, der Klang ist zarter als der von Holzlamellen. Wie die Xylophone schlägt man auch das Metallophon Roneat dek (21 Platten) mit 2 Schlegeln, mit denen sich schnelle Tonrepetitionen und Wirbel ausführen lassen. Kong touch und Kong thom bestehen aus 17 bzw. 16 Buckelgongs, die hängend in halbkreisförmigen Gestellen angeordnet sind und jeweils von einem Musiker gespielt werden. Orchester. Die Khmer bilden verschieden große Ensembles, darunter einige mit weitgehend fester Besetzung. Solche Formationen aus Laien-Musikern, die sich spontan aus Neigung zum gemeinsamen Musizieren zusammenfanden, gab es früher in vielen Dörfern, lediglich die berühmten Orchester des königlichen Hofes in Phnom Penh bestanden aus Berufsmusikern. Das große Orchester Pinpeat, das zeremonielle Tänze begleitet, besteht aus je 2 Xylophonen und Gongspielen, einer Sralay, 2 großen Trommeln und einer kleinen Trommel sowie den Becken Chhing; gelegentlich treten Bambusflöten hinzu. Zur allgemeinen Unterhaltung spielt das Orchester Mohori (Xylophon, gestrichene Spießlauten, Kastenzither, Trommeln, Becken, z. T. Flöten), während das Ensemble Phleng khmer bestimmten Trauerriten und dem Hochzeitszeremoniell vorbehalten bleibt. Es unterscheidet sich von den anderen Ensembles durch das Fehlen melodiefähiger Idiophone; die Melodie wird von der Pey ár sowie Chordophonen vorgetragen. Tonsystem und musikalische Struktur. Das Tonsystem der Khmer ist im Prinzip 7stufig, die Musiker wählen jedoch in der Regel pentatonische Gebrauchsleitern aus; die beiden restlichen Stufen finden meist Verwendung nur als eingeschobene Zwi283

Kamiefiski schentöne oder Verzierungsnoten ohne großes musikalisches Gewicht. In den Ensembles ohne melodiefähige Idiophone kommt der exakten Einhaltung theoretisch ermittelter Tonstufen ohnehin geringere Bedeutung zu, die Musiker nutzen die größeren Differenzierungsmöglichkeiten im Bereich der Tonhöhe konsequent aus. Sind mehrere Musiker an der Ausführung beteiligt, so entstehen Formen der /Heterophonie. Strengen Regeln unterliegt die musikalische Struktur der Orchesterstücke: jeder Instrumentalist variiert die Hauptmelodie nach feststehenden Normen und entsprechend den technischen Gegebenheiten seines Instrumentes. Aus der Überlagerung sehr differenzierter rhythmischer und melodischer Varianten entsteht ein komplexes Klanggebilde. Die Musik ist rhythmisch und melodisch weniger statisch als die ostasiatische und — infolge des Übergewichtes von Saiten- und Blasinstrumenten gegenüber den Idiophonen — im Vergleich zur indonesischen klanglich variabler. Hinsichtlich des Klangideals der menschlichen Stimme orientieren sich die Khmer an ostasiatischen Vorbildern und bevorzugen eine flache, gepreßte Stimmgebung mit relativ starker Verfärbung. Lit.: G. DE GIRONCOURT, Motifs de chants cambodgiens (Saigon 1941); A. DANIÉLOU, La musique du Cambodge et du Laos (Pondichéry 1957); B. P. GROSTIER, Danses et musiques sous les rois d'Angkor, in: Journal of Siam Soc. 2 (1965); Musique et danse au Cambodge (P 1969); DERS., Nang Sbek. Getanztes Schattentheater aus K. (B 1969); D. JAHN, Die Praxis des Instrumentalspiels des kambodschanischen Orchesters „young Phleng Kar", erläutert an 10 Stücken der Hochzeitsmusik der Khmer, 2 Bde. (Diss. Hl 1973). CH. AHRENS

KAMIEIVSKI, Maciej, *13. 10. 1734 Odenburg (Ungarn), t 25.1. 1821 Warschau; poln. Komponist. Er studierte in Odenburg und Wien und kam 1760 nach Warschau, wo er Kapellmeister und Privatmusiklehrer war. K. ist mit der 1778 im Warschauer Nationaltheater uraufgeführten Oper Nçdza uszczçšliwiona (Glück im Unglück) der Schöpfer der ersten polnischen Oper. Hier wie in seinen weiteren polnischen Opern verwendete er auch polnische Volkslieder und Tänze. K. schrieb außerdem auch 2 deutsche Opern und eine Kantate zur Enthüllung des Sobieski-Denkmals. WW: Zahlr. Opern, u.a.: Nçdza uszczçíliwiona (Glück im Unglück), UA: Warschau 1778; Zoska (Dorfliebe) (1779); Prostota cnotliwa (Der gerade Weg der Tugend) (1779); Ralikgospodarski (Der Bürgerball) (1780); Tradycja dowcipem zalatwiona (Die mit Scharfsinn erfüllte Tradition) (1789); Slowik (Die Nachtigall) (1790). Lit.: H. HARLEY, M. K. i pierwsza polska opera, in: Pozadnik muzyczny (1964).

KAMINSKI, Heinrich, *4.7. 1886 Tiengen (Baden); t 21.6. 1946 Ried (Bayern); dt. Komponist. 284

Er studierte seit 1909 evangelische Kirchenmusik bei Ph. Wolfrum in Heidelberg und Komposition bei P. Juon in Berlin. 1920 übersiedelte er nach Ried in die Wohnung seines gefallenen Freundes, des Malers Franz Marc. 1930 übernahm er als Nachfolger von H. Pfitzner eine Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin und war in Bielefeld als Konzertdirigent tätig. 1933 legte er beide Ämter nieder. 1937 wurden seine Werke mit Aufführungsverbot belegt. C. Orff, R. Schwarz-Schilling und E. Doflein gehörten zu seinen Schülern. In seinen Kompositionen suchte K. die alte niederländische Polyphonie mit rhythmisch-klanglichen Ausdrucksmitteln der Moderne zu verbinden. Sein überwiegend geistliches Vokalwerk ist von mystischer Empfindung geprägt. WW: 1) lrtr.-WW: Toccata Wie schön leucht' uns der Morgenstern (1923) u. Choralsonate (1926) für Org.; Klv.-Buch, 3 H.e (1934); Streichquintett fis-moll (1916), bearb. für Orch. (1927); Musik zu einem Passionsspiel (1920); Concerto grosso für 2 Orch. (1922); Quintett für Klar. Horn u. Streichtrio (1924); Musik für Orch. (1933) u. Tanzdrama für Orch. (1942). — 2) Vokal-WW: Motetten: O Herre Gott (1918) für 8st. Doppelchor u. Org.; Der Mensch (1926) für Alt, 6st. Chor u. Orch. u. Die Erde (1926) für 6st. Chor; Magnificat (1925) für Sopran, Va., Chor u. Orch.; Die deutsche Messe (1934) (2 Sätze) für 5st. Chor. — 3) Biihaen-WW: Das Spiel vom König Aphelius (1946), UA: Göppingen 1950; Birg knatsch (1926) (nach C. F. Meyer). Lit.: K. SCHAFER — E. DOFLEIN, Erinnerungen an K. in: Musica 1 (1947); A. VON RECK, Mystik u. Form im Magnificat v. H. K., in: SMZ 46 (1956); I. SAMSON, Das Vokalschaffen v. H. K. (Diss. F 1956); O. SOHNGEN, H. K. in Leben u. Werk, in: Württembergische Blätter für Kirchenmusik 38 (197 1); W. ABEGG, Persönliche Erinnerungen an H. K., in: SMZ i 17 (1977).

H. LINDLAR

KAMMEL (Kammell, Kamel), Anton (Antonín, Antoine, Antonio), * 21.4. 1730 Běleč, t vor 1788 London; tschechischer Violinist und Komponist. Er war Schüler von G. Tartini in Padua. Nach seiner Ausbildung feierte er als Violinist große Erfolge in Prag, wandte sich aber bald nach London, wo er seit 1768 ebenfalls als Violin- und Violaspieler zu hohem Ansehen gelangte und Anschluß an den Künstlerkreis um J. Chr. Bach und K. Fr. Abel fand. K., der vor allem unter dem Einfluß der Mannheimer Schule stand, komponierte zahlreiche Kammermusikwerke, die zwar melodisch flüssig und formal ansprechend sind, aber wenig Originalität aufweisen. Sie waren zu seiner Zeit sehr beliebt und weit verbreitet. WW: Im Druck erschienen: Duos für 2 V. sowie für V. u. Va.; Sonaten für V. u. B.c.; Streichquartette; FL-Quartette; Streichtrios; Klv.-Trios; Notturnos für 2 V. u. B.c.; V.-Konzert; Overtures (Symphonien). Ausg.: Serenata G-Dur für 2 V. u. B.c., in: Serenate boheme, partite e notturni, hrsg. v. J. RACEK — V. BĚLSKÝ (Pr 1958) (= MAB 35).

Kammermusik Lit.: CH.L. CUDWORTH, K, in: MGG VII; H. UNVERRICHT, Gesch. des Streichtrios (Tutzing 1969) (= Mainzer Stud. z. Musikwiss. 2 ). B. R. SUCHLA

KAMMERMUSIK (engl.: chamber music; frz.: musique de chambre; it.: musica da camera). Unter K. werden heute alle solistisch besetzten Instrumentalwerke bis zum /Nonett oder /Dezett zusammengefaßt. Diese Bedeutung hat sich erst seit etwa 1830 im allgemeinen durchgesetzt. Ursprünglich wurden zur K. alle Kompositionen gezählt, die in der höfischen Kammer solistisch oder mehrfach besetzt und rein instrumental oder unter Beteiligung von Singstimmen aufgeführt wurden. Eine Differenzierung von Musica da camera und Musica da chiesa in kompositorischer Hinsicht erscheint erstmals in N. Vicentinos L 'an tica musica ridotta alla moderna prattica von 1555, die Kirchenmusik wurde dabei als die lautere, die K. als die leisere angesehen. Im 18. Jh. traf u. a. J. Mattheson eine Einteilung nach „musicalischen SchreibArten" für die Kirche, die Kammer und das Theater. Diese drei Klassifikationen blieben bis um 1800 gültig, allerdings wurde ab etwa 1750 die „musica da camera" zur Konzert- und K. erweitert. Die zwischen 1810 und 1830 üblich gewordenen öffentlichen Konzertaufführungen mit ausschließlich solistisch besetzter Instrumentalmusik bedingten schließlich die Trennung von Orchester- und Kammermusik. Gattungen. Zur K. in der ursprünglichen, umfassenderen Bedeutung, wie sie u. a. A. Schering verwendete und der ebenso der französische und z.T. der englische Sprachgebrauch zuneigt, gehören auch die /Kantate, /Suite, /Symphonie und das /Concerto. Bereits in der Vorklassik wurde die solistische Besetzung bestimmter Instrumentalgattungen die Regel; allerdings war es um die Mitte des 18. Jh. noch möglich, Trios und Quartette (Quadros) sowohl orchestral als auch solistisch vorzutragen. In den Drucken wurden deshalb mitunter Besetzungshinweise wie etwa „tutti" und „solo" hinzugefügt; auch Bezeichnungen wie Orchestertrio und Orchesterquartett (z. B. bei J. Stamitz) waren üblich. Das Generalbaßspiel gehörte zwar in solistisch besetzter Instrumentalmusik dieser Zeit noch zur allgemein gültigen Aufführungspraxis, doch war es etwa im Divertimento bereits möglich, die Baßstimme von Violoncello und Kontrabaß allein ausführen zu lassen. Entscheidend war noch nicht die Besetzung als /Duo oder /Trio, sondern die Zählung der komponierten, niedergeschriebenen Stimmen. Erst seit der Wiener Klassik wurde K. in der engeren Bedeutung formal nach der vom Komponisten nun genau festgelegten Besetzung untergliedert: Duo (oder Duett), Trio (oder Ter-

zett), /Quartett, /Quintett, /Sextett, /Septett, /Oktett (gelegentlich auch Doppelquartett), Nonett und Dezett. Durch diese Begriffseinengung konnten auch /Tafelmusik und /Harmoniemusik zur K. zählen, so weit dort solistische Besetzung üblich war. Dagegen wurde Klaviermusik ( /Klavier) nicht zur K. gerechnet. Die Besetzungsangaben enthaltenden Gattungsbezeichnungen richten sich im allgemeinen — insbesondere in gemischten Ensembles — nach der instrumentalen Hauptstimme: z. B. beim Flötentrio oder Klaviertrio. Daneben kommen auch zusammenfassende Bezeichnungen wie Bläsertrio, Bläserquartett, Bläserquintett sowie Streichtrio, /Streichquartett und Streichquintett vor. Feste Besetzungen gelten für das Streichquartett (2 V., Va., Vc.) und das Bläserquintett (Fl., Ob., Klar., Horn und Fag.). Im 20. Jh. gesellte sich in Frankreich seit 1938 das Trio d'anches mit Ob., Klar. und Fag. dazu. Anfang des 20. Jh. wurde gelegentlich auf kleinere Orchesterbesetzungen des 18. Jh. zurückgegriffen und dies im Titel kenntlich gemacht, so etwa bei der Kammersymphonie (A. Schönberg op. 9, 1906) und Kammeroper, die trotz des Namens nicht zur K. (im engeren Sinne) gehören. Auch die Aufführungen der „Donaueschinger Kammermusiktage" der 1920er Jahre, bei denen unbedenklich Werke der verschiedensten solistischen und kammerorchestralen, sogar vokalen Besetzungen vorgestellt wurden, sind ein Beleg für die allmähliche Auflösung der festgefügten kammermusikalischen Gattungen. Seit P. Hindemiths Kammermusik No. 1 wurde der Begriff auch als Titel von Kompositionen verwendet (so etwa von H. W. Henze, M. Kagel und R. Kelterborn). Die entsprechenden Werke sind zumindest solistisch oder in kammermusikalischer (kleiner) Besetzung aufzuführen. Innerhalb der neuesten Musik zwischen 1950 und 1970 ist ein deutliches Zurücktreten der traditionellen K. mit ihren Gattungen gegenüber der Ensemblemusik festzustellen. In den letzten Jahren dagegen änderte sich der Bestand zugunsten der traditionellen K.Gattungen. Bedeutungswandel des Begriffs. Bereits J. Mattheson umschrieb die Grundlagen der K. in folgender Weise (Kern melodischer Wissenschaft, 1737, II 47): „Es erfordert sonst dieser Styl in der Kammer weit mehr Arbeitsamkeit, als sonst, und will künstliche Mittel-Partien haben, die um den Vorzug mit den Ober-Stimmen gleichsam beständig, und auf eine angenehme Art, Streit führen. Bindungen, Rückungen, gebrochne Harmonien, Abwechselungen mit tutti und solo, mit adagio und allegro &c. sind ihm lauter wesentliche Dinge." Obwohl Mat285

Kammermusik theson hier noch die kontrapunktische gebundene Schreibweise vorschwebte, galt mindestens seit dieser Zeit die K. als die intime Kunst für den Kenner. In der K. ziehe der Komponist sorgsamere, feinere, genauer notierte Einfälle vor. In der Symphonie sei mehr eine gewisse „al fresco-Manier" angebracht. So bemerkte auch Quantz 1752 in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (XVIII § 27): der Kammerstil pflegt „sowohl vom Kirchen- als vom Theaterstyle unterschieden zu werden. Der Unterschied besteht darinne, daß der Kammerstyl mehr Lebhaftigkeit und Freyheit der Gedanken erfodert, als der Kirchenstyl; und weil keine Action dabey statt findet, mehr Ausarbeitung und Kunst erlaubet, als der Theaterstyl." Die Kammerkompositionen, zu denen er ebenso die Serenata oder Cantate, also Vokalwerke zählte, sind „ausdrücklich für die Kenner gesetzt". J. Haydn hat seinen „neuen Stil" zum erstenmal in den Streichquartetten op. 33 (1781) realisiert. Mit Haydn, Mozart und Beethoven fanden die einzelnen kammermusikalischen Gattungen durch Ausnutzung der instrumententypischen Eigenheiten und durch bevorzugte Selbständigkeit und Gleichgewichtung der einzelnen Stimmen (obligater Stil) ihre eigene Prägung. Beethoven hat sich ausdrücklich zu der Verschiedenheit der kammermusikalischen Gattungen bekannt: ein K.-Werk könne nicht einfach umgeschrieben werden, es seien dann schwerwiegende Eingriffe vonnöten. Im 19. Jh. wurden das Streichquartett und gelegentlich auch K.-Werke mit Klavier das Experimentierfeld für besondere Satztechniken und Klangvorstellungen (als bezeichnend hierfür können die letzten Streichquartette Beethovens genannt werden.); seit etwa 1800 gehörten sie zu jenen bevorzugten Gattungen, die im Gesamtoeuvre der meisten Komponisten dieser Zeit einen besonderen Platz einnahmen. Adornos Auffassung von der K., sie beruhe auf der durchbrochenen und motivischthematischen Arbeit, z. T. auch auf dem Klavierklang, ist — allerdings einseitiger — Ausdruck dieser bis in die Spätromantik hinein gültigen Praxis. Eine inhaltliche Erweiterung erfuhr der K.-Begriff erst in den letzten Jahrzehnten, nicht zuletzt durch die Einbeziehung der zur K. rechnenden Werke des 17. und 18. Jahrhunderts. Historische Entwicklung. Im Zusammenhang mit der Entstehung des /Concerto grosso im 17. Jh. wurde in dem sich vom Ripieno absetzenden solistischen Concertino (häufig Triobesetzung) die Grundlage geschaffen, auf der im 18. Jh. und später die K. in moderner Bedeutung aufbauen konnte. Ebenso brachte die strenge Trennung von Sonata da chiesa und Sonata da camera (Kirchen- und 286

Kammersonate; Sonate) bei A. Corelli eine klare gattungsmäßige Unterscheidung. Um 1750 gestattete die Ad libitum-Praxis mehrere Besetzungsmöglichkeiten: ein Trio konnte z. B. auch als Sonate für ein Tasten- und ein Melodieinstrument gespielt werden (/Triosonate), bzw. es wurden solistische oder orchestrale Besetzungen freigestellt; auch konnten z. B. bei einer Besetzung aus 4 Streichern und 2 Hörnern noch bis etwa 1800 die beiden harmoniefüllenden Blasinstrumente wegfallen. Ab etwa 1780 wurde die Führung aller Stimmen so gewichtet, daß alle Partien unbedingt zur Vollständigkeit des musikalischen Satzes gehörten und die Besetzung festlag. Aus dem Divertimento mit seiner typischen zyklischen und Einzelsatzgestaltung ging bei Haydn das Streichquartett hervor. Es verdrängte die bis dahin bevorzugte Triobesetzung und wurde schließlich die wichtigste Gattung der K., in der viele Komponisten zugleich auch eine kompositionstechnische Vorstudie für Orchesterwerke (z. B. die Symphonie) sahen. Die satztechnischen Besonderheiten der verschiedenen kammermusikalischen Gattungen hatten bereits J. Haydn und W. A. Mozart entwickelt und eingehalten, auf denen L. van Beethoven und spätere Komponisten aufbauen konnten. Während Haydns und größtenteils auch Mozarts K. noch für den Künstler, Kenner und Liebhaber gedacht ist, trat seit Haydns op. 64 (1790) und der vornehmlich französischen oder französisch beeinflußten brillanten K., die sich in Paris seit 1800 aus der konzertanten Setzweise entwickelte, immer stärker der Virtuose in den Vordergrund. Diese Werke entzogen sich damit dem häuslichen Kreis und fordern das öffentliche Konzert oder die große Privatgesellschaft im Salon. Bei der konzertanten Art erhalten alle Instrumente abwechselnd und hintereinander in freier Folge die Melodien bzw. die verschiedenen Themen, während die anderen schlicht begleiten. Unmittelbare Wiederholungen von Themen oder Motiven werden dabei vermieden. Beim Quatuor brillant (oder Trio brillant) wird in der Melodiestimme allein ein Virtuose gefordert, der lebhafte große Sprünge, schwierige Bogenstriche und komplizierte Doppelgriffe zu spielen hat, während in den anderen Stimmen nur stützende Akkorde dazukommen. In Wien und Süddeutschland wurde dagegen die durchbrochene und motivisch-thematische Arbeit in der K. gepflegt und die brillante Schreibweise abgelehnt. Neben diesen anspruchsvollen Werken entstanden in dieser Zeit jedoch auch besondere K.-Kompositionen für das häusliche Musizieren (/Hausmusik; /Salonmusik). — Zu den beliebten kammermusikalischen Genres der Kompo-

Kammermusik nisten des 19. Jh. gehörten das Streichquartett, z. T. auch das Klaviertrio und die Sonate für ein Streichoder Blasinstrument und Klavier. Insbesondere der Horn-, Violoncello- und Klarinettenklang rückte in der K. des 19. Jh. in den Vordergrund des Interesses, aber auch größere bzw. gemischte Besetzungen (Klavierquintett, Sextett bzw. Septett oder Oktett) entsprachen der allgemeinen klanglichen, harmonischen und satztechnischen Entwicklung dieser Zeit. Beispielhaft dafür stehen insbesondere K.-Werke von Fr. Schubert, F. Mendelssohn Bartholdy, R. Schumann und in exzeptioneller Weise von J. Brahms. Dieser Tradition folgten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. Komponisten wie Fr. Smetana, A. Dvořák, M. Reger, z. T. auch Cl. Debussy und M. Ravel. Zu Beginn des 20. Jh. erfuhr vor allem die K. des 17. und 18. Jh. eine Wiederbelebung und mit ihr auch die alten Musikinstrumente (u. a. /Blockflöte, /Viola da Gamba). Sie brachte als Sonderentwicklung eine für den Laien spielbare Hausmusik und erweiterte damit das K.-Repertoire. Das Streichquartett besitzt bei A. Schönberg, P. Hindemith, B. Bartók, D. Schostakowitsch, W. Lutoslawski u. a. noch die alte Bedeutung, bei anderen Komponisten des 20. Jh. trat es aber bereits z. T. zurück. Das Streichtrio erfährt seit M. Reger eine gewisse Neuentdeckung. Bereits im 19. Jh trat neben die zur Norm gewordene 3- bzw. 4sätzige zyklische Anlage das einsätzige, liedhafte (mitunter poetische) K.-Stück. Im 20. Jh. wurde schließlich seit 1950 die „offene Form" eingebracht. Programmusikalische Neigungen in zyklischen K.-Werken blieben mehr auf das 19. Jh. beschränkt und sind als Ausnahmen zu werten. Die Ensemblemusik mit ihren Klangexperimenten der letzten 25 Jahre hat mit der K. des 19. Jh. nichts mehr gemeinsam, höchstens noch die rein äußerliche solistische Besetzung. — Zur K. einzelner Komponisten vgl. die betreffenden Artikel. Lit.: 1) Kataloge u. Bibliograprien: M. GRÜNBERG, Führer durch die Lit. der Streichinstr. (L 1913) (= Hdb. der Musiklehre 10); W. ALTMANN, K.-Kat. (L °1945); E. FICKERT, Thematisch-analytische Bibliogr. der praktischen und theoretischen Original-K.-Werke v. Trio mit StreichbaB bis zum Dezett, 1950-65(?) (hsl. Nationalbibl. Wien); J. F. RICHTER, K.-Kat. Verz. der v. 1944 bis 1958 veröff. Werke für K. (L 1960). — 2) Gesamtdarstellungen: H. MERSMANN, Die K., 4 Bde. (L 1930, 1933); O. VETTER, Warum u. wie spielen wir K.? Fragen und Antworten eines Dilettanten (W 1938); A. H. KING, Chamber Music (NY 1948); R.H. ROWEN, Early Chamber Music (NY 1949); A. CcUROY — CL. ROSTAND, Les chefs-d'aeuvre de la musique de chambre (P 1952); O. SCHUMANN, Schumanns K. (Wil 21956); H. RENNER — A. WURTZ — S. GRIES, Reclams Kammermusikführer (St 31959); K. A. BRUUN, K. 1: Fra Haydn til den unge Beethoven (Kop 1960), 2: Fra Beethoven til Schubert (ebd. 1962); V. VAN HEMEL, De Kamermuziek (An 21960); TH. W. ADORNO, Einleitung in die Musiksoziologie 6 (F 1962);

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KAMMERMUSIKER (it.: musico bzw. musicista da camera). Die Bezeichnung K. tritt erstmals in Italien mit der Stilwende um 1600 in Erscheinung, als sich die für den Gebrauch in der Kirche, in der Oper und in der höfischen Kammer (camera) komponierte Musik satztechnisch zu unterscheiden beginnt. Der K. in Deutschland ist im 18. Jh. der mehr oder weniger fest angestellte und aus der herrschaftlichen Kammerkasse (Hofstaatskasse) bezahlte Hofmusiker, der sich damit in seinem sozialen Status deutlich von dem Stadtmusiker und dem Militärhautboisten abhebt. Mit dem Bedeutungswandel des Begriffes /Kammermusik im späten 18. Jh. (zu einer eigenen Gattung innerhalb der Instrumentalmusik seit der Wiener Klassik) änderte sich auch der Inhalt der Bezeichnung K.: Aus dem Gros der Hofmusiker hoben sich nun einige wenige heraus, die diesen Titel aufgrund besonderer Leistungen erhielten. In der Regel war damit eine finanzielle Höherstufung, bisweilen auch die Verleihung eines Patents, d. h. eine Anstellung auf Lebenszeit, verbunden. Innerhalb der Hofstaatshierarchie zählten solche mit dem „Charakter eines Cammermusicus" ausgezeichneten Hofkapellisten zu den „Ober-Offizianten". Die Bezeichnung K. (oder später Kammervirtuose) war also im 19. Jh. — im Gegensatz zur Funktionsbezeichnung /Konzertmeister — ein reines Leistungsprädikat. Nach Auflösung aller Hofkapellen im Jahre 1918 ist der K.-Titel, der heute für langjährige Zugehörigkeit zu einem staatlichen oder städtischen Orchester vergeben wird (und damit oft den Status der Unkündbarkeit beinhaltet), fast zu einer Routinebezeichnung geworden, der weder soziale noch finanzielle Bedeutung besitzt. Seitdem es üblich geworden ist, Musikern Planstellen mit Pensionsberechtigung zu garantieren sowie den Vertretern der ersten Pulte Stellenzulagen zu gewähren, ist der Prozeß einer Art äußerer Emanzipation des Instrumentalmusikers weitgehend abgeschlossen. Die innere Emanzipation, erkennbar an der Tatsache, daß auch ein „Tuttist" jederzeit kammermusikalische Werke ausführen kann, hat sich durch die heute selbstverständliche hohe Ausbildungsqualität des Orchestermusikers ohnehin längst vollzogen. 288

Lit.: O. SCHREIBER, Orch. u. Orchesterpraxis in Deutschland zw. 1780 u. 1850 (B 1938, Nachdr. Hil 1978); Der Sozialstatus des Berufsmusikers v. 17. bis 19..1h., hrsg. v. W. SALMEN (Kas 1971); R. MÜLLER-DOMBOIS, Die Fürstlich Lippische Hofkapelle (Rb 1972).

KAMMERSÄNGER, ein Ehrentitel, der an besonders verdiente, an größeren Opernhäusern in Deutschland und Österreich engagierte Gesangssolisten verliehen wird. Früher wurde er von Fürsten, heute wird er von staatlichen oder städtischen Institutionen gewährt. KAMMERTON /Stimmton. KÄMPER, Dietrich, * 29. 6. 1936 Melle bei Osnabrück; dt. Musikforscher. Er studierte Schulmusik und Musikwissenschaft in Zürich und Köln. wo er 1963 promovierte und sich 1967 mit Studien zur instrumentalen Ensemblemusik im 16. Jh. habilitierte. 1969 wurde er an der Universität Köln Professor; seit 1985 lehrt er hauptamtlich an der dortigen Musikhochschule. Schriften: F. Wüllner. Leben, Wirken u. kompositorisches Schaffen (Kö 1963) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 55); Stud. z. instr. Ensemblemusik des 16Ih. in Italien (Kö - W 1970); ( = Anal. Mus. 10); Das Lehr- und Instrumentalduo um 1500 in Italien, in: Mt 18 (1965); Instrumentale Stilelemente bei A. Agricola, in: TVer 28 (1978); Gefangenschaft u. Freiheit. Leben u. Werk des Komponisten L Dallapiaaola (Kö 1984). - K. war Hrsg. von: Rheinische Musiker 6-9 (Kb 1969-80) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 80, 97, 111 u. 125); G. B. Conforti, Ricercare (1558) u. Madrigale (1567) (Kö 1978) (= Concentus Musicus 4).

KAEMPFERT, Bert, * 16. 10.1923 Hamburg, t 22.6.1980 Cala Brava (Mallorca); dt. Orchesterleiter, Komponist und Arrangeur. Er studierte 1937-39 Klavier, Klarinette, Saxophon und Akkordeon an der Musikhochschule Hamburg und wurde danach Mitglied des Orchesters Hans Busch. In dänischer Kriegsgefangenschaft gründete er 1945 eine eigene Band, aus der später das Sextett Pik As wurde. Seit 1947 spielte K. in Hamburg zunächst für den britischen Soldatensender BFN und arbeitete dann als Komponist, Arrangeur und Dirigent für den NWDR und für die Plattenfirma „Polydor". Mit Freddy Quinn als Sänger und seinem eigenen Orchester wurde seine Produktion von L. Olias' Die Gitarre und das Meer Mitte der 50er Jahre sein erster großer Erfolg. Weltruhm errang er durch die Plattenaufnahme von G. Neumanns Wonderland by Night (1961) sowie vor allem auch mit seinen eigenen Kompositionen Strangers in the Night (gesungen von Frank Sinatra), Spanish Eyes und Blue Midnight. Seit 1976 machte er mit dem Orchester B. K. auch Fernsehshows und unternahm Deutschland -Tourneen zusammen mit Freddy Quinn.

Kanada KANADA. Die erste Entwicklungsphase eines Musiklebens in Kanada (und besonders in der Provinz Quebec) ist durch die Volksmusik geprägt. Die Einwanderer, die in der 2. Hälfte des 17. Jh. in großer Zahl ins Land kamen und die in der Mehrzahl aus der Normandie und der Bretagne stammten, brachten ein Repertoire französischer Lieder mit und leiteten damit eine Volksmusikentwicklung ein, die zur Entstehung eigener frankokanadischer Volkslieder (z. B. 'Alouette, Vive la Canadienne oder Un Canadien errant) führte. Seit der endgültigen Zugehörigkeit K.s zu Großbritannien (1763) siedelten sich dann weitere Einwanderer aus fast allen europäischen Staaten auf dem gesamten kanadischen Territorium an. In Ontario, dessen Bevölkerung überwiegend britischer Herkunft war, wurde als Hymne The Maple Leaf Forever (1867) eingeführt, das die Bevölkerung von Quebec zugunsten von O Canada (1880) von C. Lavallée ablehnte. In Neuschottland mit seiner schottischstämmigen Bevölkerung wurden traditionelle schottische Lieder gesungen und der Dudelsack gespielt. In den Prärien des Westens standen die widrigen Lebensbedingungen aus geographischen und ethnischen Gründen einer Entwicklung der Volksmusik im Wege. — Obwohl es ein wichtiger Bestandteil der kanadischen Kultur war, wurde das Volkslied als Inspirationsquelle lange von den Komponisten ignoriert. Es fand Interesse erst, nachdem im 19. Jh. Alexandre Hubert La Rue und E. Gagnon und im 20. Jh. M. Barbeau u. a. ausgedehnte Forschungen betrieben hatten. Vorher stand das gesamte Musikschaffen unter europäischem Einfluß. Nunmehr aber suchten die Komponisten eine typisch kanadische Musik zu entwickeln. Zwei in dieser Hinsicht bezeichnende Werke erschienen 1928; die 2 Sketches von Sir Ernest MacMillan und die Suite canadienne von Cl. Champagne. Dieses Datum markiert zugleich den Beginn der Entwicklung einer kompositorisch anspruchsvolleren Musik, auch wenn sich erste Ansätze dazu bereits in früheren Werken, wie in der Kantate David's Lament (1903) von Angelo Read oder in dem Oratorium Jean le Précurseur (1914) von Guil= laume Couture beobachten lassen; jedoch erst um 1930 erschien eine autochthone Musik, die in die Zukunft führen sollte. Champagne und MacMillan, ihre Initiatoren, begründeten gemeinsam eine Komponistenschule, aus der die heutige Komponistengeneration hervorgegangen ist. Unter den Schülern Champagnes ist R. Matton mit dem Konzert für 2 Klaviere (1964) und der Symphonie Te Deum (1967) wegen seiner Ausdruckskraft und kompositorischen Souveränität hervorzuheben. Zu nennen sind ferner Jean Vallerand, J. Papineau-

Couture, Lorne Betts, Harry Freedman, Harry Somers, Fr. Morel und Cl. Pépin. Unter den Schülern MacMillans ragt John Weinzweig durch die Qualität seiner Erfindung und seiner Orchestration

hervor. Die meisten jüngeren zeitgenössischen Komponisten betätigen sich im Bereich der experimentellen Musik. Institutionen. Zu Beginn des 20. Jh. wurden das Royal Conservatory of Music in Toronto (gegr. 1886) und das McGill Conservatorium in Montreal (gegr. 1904) die wichtigsten musikalischen Ausbildungsstätten. Nach dem 1. Weltkrieg entstanden die Musikfakultäten an den verschiedenen kanadischen Universitäten; die wichtigsten sind die der University of Toronto (eingerichtet 1918), die sich unter Sir Ernest MacMillan rasch entwickelte, und die der McGill University in Montreal (eingerichtet 1920). Das Conservatoire de la musique et de l'art dramatique der Provinz Quebec (gegr. 1942 von Cl. Champagne) spielt eine beherrschende Rolle im Musikleben. Daneben gibt es auch eine 1922 gegründete École de musique an der Universität Laval sowie eine 1952 eingerichtete Musikfakultät an der Universität Montreal. Die École de Musique V. d'Indy (Quebec) und die Musikfakultät der University of British Columbia in Vancouver, an der die Komponistin Barbara Pentland (* 2.1.1912) lehrte, sind weitere bedeutende musikalische Lehrinstitute. — Eine andere musikalische Einrichtung, deren Wertschätzung und Popularität ständig wächst und internationalen Ruf besitzt, ist das allsommerliche Camp der Jeunesses Musicales in Orford /Quebec (gegr. 1949). In besonderer Weise sind auch die Berufsorchester (u. a. in Montreal, Toronto und Vancouver), die Opernensembles (in Vancouver, Toronto und Quebec), die hervorragenden Konzertsäle und die Organe zur finanziellen Förderung der Kunst (vor allem die Bundesregierung und die Provinzialregierungen) wichtige Träger des kanadischen Musiklebens. Lit.: 1) Bibliographien: J. R. MACMILLAN, Music in Canada. A Short Bibliogr., in: Ontario Library Review 24 (1940); L. MAY, Music and Composers of Canada, in: ebd. 33 (1949); N.J. WILLIAMSON, Canadian Music and Composers Since 1949, in: ebd. 38 (1954); A Bio-Bibliographical Finding List of Canadian Musicians ... (Ottawa 1960-61); A Basic Bibliogr. of Musical Canadiana, hrsg. v. F. A. HALL (Toronto 1970); M.-F. GUÉDON, Canadian Indian Ethnomusicology. Selected Bibliogr. and Discography, in: Ethnomusicology 16 (1972); G.A. PROCTOR, Sources in Canadian Music. A Bibliogr. of Bibliographies (Sackville 1975). - 2) Studien: Music in Canada, hrsg. v. E. MACMILLAN (Toronto 1955); W. AMTMANN, La vie musicale dans la Nouvelle France (Diss. Str 1956); M. u. R. BÉCLARD D'HARCOURT, Chansons folkloriques françaises du Canada. Leur langue musicale (P - Quebec 1956); H. KALLMANN, Historical Background, in: Music in Canada, hrsg. v. E. MacMillan (Toronto 1955); DERS., K., in: MGG VII; DERS., A History of Music in Canada 1534-1914 (Toronto 1960); A. LASALLE-

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Kander LEDUC, La vie musicale au Canada français (Quebec 1964); Aspects of Music in Canada, hrsg. v. H. WALTER (ebd. 1969); R. L. Y. DUQUAY, Musiques du Kébèk (Montreal 1971); Catalogue of Canadian Composers, hrsg. v. H. KALLMANN (St. Clair-Shores 1972); L. HEPNER, An Analytical Study of Selected Canadian Orchestral Compositions at the Mid-Twentieth Century (1972) (= Diss. New York Univ.); W. AMTMANN, Music in Canada 1600-1800 (Montreal 1975); I. JARMAN, Canadian Music. A Selected Checklist 1950-1973 (Toronto 1976).

G. PILOTE

KANDER, John Harold, * 18.3.1927 Kansas City (Missouri); amerik. Komponist. Nach dem Musikstudium am Oberlin College/O. und an der Columbia University in New York war K. seit 1953 als Pianist tätig und schrieb Ballettarrangements, u. a. für Gipsy und Irma la Douce. 1962 machte er mit A Family Affair erstmals als Broadway-Komponist auf sich aufmerksam, im selben Jahr begann seine Zusammenarbeit mit dem Songtexter Fred Ebb (* 8.4. 1932 New York). In ihrem ersten Musical Flora, the Red Menace trat Liza Minelli zum ersten Mal am Broadway auf. Mit Cabaret, ihrem zweiten gemeinsamen Bühnenwerk, schufen sie einen Welterfolg. WW: A Family Affair (1962) (zus. mit J. u. W. Goldman); Flora, the Red Menace, UA: New York 1965 (mit F. Ebb wie die folgenden); Cabaret, UA: ebd. 1966; The Happy Time (1968); Zorbá (1968); 70 Girls, 70 (1971); Chicago (1975). Lit.: S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 3 1974).

KANGEN / Gagaku. KANON (von griech. kanón bzw. lat. canon = Maß, Maßstab, Regel). — 1) In der Antike Bz. für die Meßleiste zur Messung der Schwingungsverhältnisse von Saitenlängen (seit dem 2. Jh. n. Chr. „Monochord" genannt) bzw. für die Länge der schwingenden Saitenlänge im Verhältnis zur ganzen Saite. — 2) In der byzantinischen Kirche Bz. für die neben dem /Kontakion zweite bedeutende Form in Dichtung und Musik, die gegen Ende des 7. Jh. das bis dahin vorherrschende Kontakion verdrängte und sich als Hauptgattung der byzantinischen Hymnodie durchsetzte. Theoretisch besteht der K. aus 9, in der Praxis jedoch meist aus 8, manchmal 2, 3 oder 4 als Oden bezeichneten Teilen, die jeweils aus mehreren Strophen zusammengesetzt sind (/Troparion). Jeder Ode liegt eine Musterstrophe zugrunde (2'Hirmos), nach der die verschiedenen Troparien gesungen werden. Hinsichtlich des Metrums und der Melodik ist der K. vielgestaltiger als das Kontakion. Er enthält 9 Strophen, während im Kontakion nur 2 verwendet werden, eine für das Prooimion und eine für die Oikoi. Textlich beziehen sich die 9 Oden des K.s auf die insgesamt 9 Cantica, die der byzantinische Psalter enthält. Der K. erlebte vor allem im B. und 290

9. Jh. eine Blütezeit. Die bedeutendsten K.-Dichter waren Andreas von Kreta (um 660 — um 740), dessen Hauptwerk ein großer K. mit 250 Strophen ist, Johannes Damascenus (ý um 749), Kosmas von Jerusalem (8. Jh.) und Theodoros Studites (759-826), das geistige Haupt der Orthodoxie während des Bilderstreits. C. FLOROS 3) In mehrstimmiger Musik versteht man unter K. primär das strikteste Verfahren der 'Imitation, bei dem aus einer gegebenen melodischen Linie (Guida) durch deren genaue Nachahmung in einer oder mehreren anderen Stimmen (Conseguentes) ein mehrstimmiges Satzgefüge entwickelt wird. Der Begriff bezeichnet sowohl die strenge Imitationstechnik („im Kanon") als auch den aus solcher Setzweise entstandenen musikalischen Ablauf („den Kanon"). Häufig wird ein solcher K. so dargestellt, daß nur eine Stimme in Noten ausgeschrieben ist und das Prinzip der imitierenden Entfaltung dieser Melodielinie zum mehrstimmigen Satz einer vorangestellten verbalen Anweisung entnommen werden muß. Eine solche Vorschrift wurde im Mittelalter gemäß der Wortbedeutung (s. o.) Canon genannt. Richtlinien dieser Art bezogen sich ursprünglich jedoch nicht ausschließlich auf das Prinzip der Nachahmung. In der Vokalpolyphonie des 15.-16. Jh. forderten sie auch etwa die vollstimmige Ausführung eines nur 2st. notierten řFauxbourdon-Satzes oder die Ableitung von Varianten eines Cantus firmus aus der gegebenen Grundform (z. B. seine Fortführung im Krebsgang oder seine Wiederholung unter Nichtbeachtung aller Pausen). Die vorangestellten Richtlinien waren — vor allem zur Zeit der franko-flämischen Vokalmusik — häufig nicht eindeutig und direkt formuliert, sondern wurden unter Verwendung symbolhafter oder poetischer Bezüge geistreich umschrieben. So konnte der K. entsprechend seiner sprachlichen Form als Konstruktionsplan, Symbolspruch, Widmung, scherzhafte Anspielung oder als Aufforderung zu satztechnischer Entzifferung verstanden werden. Typen des Kanons. Die einfachste Art kanonischer Stimmführung ist die phasenverschobene Nachahmung einer Melodie durch eine oder mehrere Folgestimmen von der gleichen Tonstufe (bzw. von deren Oktave) aus. Die Mehrzahl solcher „natürlicher" K.-Formen ist harmonisch konzipiert: die Elemente eines kurzen mehrstimmigen Satzmoc

dells, etwa b, werden zu einer melodischen Folge a (a b c) aneinandergereiht und in sukzessiven Einsätzen der Stimmen wieder zum vollstimmigen Satz

Kanon a a b (usw.). K.s dieser Art abc münden in der Regel wieder in ihren Anfang und

zusammengefügt:

können beliebig wiederholt werden (Zirkel- oder Kreis-K., auch Canon perpetuus oder infinitus), wodurch der weitere Verlauf aus beständigem Stimmtausch (Permutation) des Satzmodells bea bca

steht: b c a b (usw.). Demgegenüber hat der cabc

polyphon konzipierte K. eine eindeutig lineare Struktur und ermöglicht eine Vielfalt unterschiedlicher Imitationstechniken. Zu seinen Wesensmerkmalen gehören: a) die Zahl der Stimmen, b) deren Einsatzabstand, c) das jeweilige Einsatzintervall und d) das von dem Guida abzuleitende Gestaltungsgesetz der Folgestimmen. a) Die Zahl der Stimmen beträgt meist 2 bis 4, doch wird gelegentlich der vielstimmige K. als satztechnisches Sonderproblem gepflegt (K. zu 96 Stimmen von P. F. Valentini, 1631). Im MehrfachK. (Doppel-, Tripel-K. usw.) sind 2, 3 oder mehr K.s ineinander verschränkt:

Einsatz durch die Tonarten schreitet (Canon per tonos). d) Bei komplizierteren Formen wird die Gestalt der Folgestimmen nach bestimmten Prinzipien abgewandelt: Im Augmentations- bzw. im Diminutions-K. werden die Tondauern der Conseguentes verdoppelt bzw. halbiert; im Umkehrungs-K. (per motum contrarium) erfolgt die Imitation in tonräumlicher Spiegelung, so daß ursprünglich Steigendes abwärts geführt wird und umgekehrt. Beim Krebs-K. (Canon cancrizans) beantwortet der 2. Einsatz die Führungsstimme, indem er sie rückläufig vorträgt (.2'Cancricans). Im Spiegelkrebs-K. (per motum retrogradum et inversum) wird die krebsgängige Stimmführung gleichzeitig umgekehrt:

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r i• r r

a

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b ---Schema eines Doppelkanons Der Gruppen-K. erzielt Vielstimmigkeit, indem er ganze Satzkomplexe imitierend durchführt:

Chor I, 4st. Chor II, 4st. Chor III, 4st.

A A A

b) Der Einsatzabstand, der beim harmonischen K. mit den Formzäsuren zusammenfällt, ist beim polyphonen K. wesentlich kürzer; als Sonderfall gilt die

Imitation im geringstmöglichen Abstand (einer einzigen Zählzeit), der Canon ad minimam. c) Beginnen die Conseguentes ihre Nachahmung auf anderen Tonleiterstufen als die Guida, so liegt ein Intervall-K. vor. Dabei erfahren die Folgestimmen geringfügige Abwandlungen der realen Intervallverhältnisse; besonders bei Imitationen in der Sekunde, Terz, Sexte oder Septime kommt es zum Austausch gewisser Halb- und Ganztonschritte. Bei Intervall-K.s mit mehr als zwei Stimmen wechseln in der Regel die stufenversetzten Einsätze mit solchen auf dem Grundton ab, um die Tonart zu wahren, z. B.: Grundton — Unterquinte — Grundton — Unterquinte. Dagegen moduliert beim Spiral-K. die führende Stimme zum folgenden Stimmeintritt auf anderer Stufe hin, so daß der K. von Einsatz zu

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J. ~

J. Ph. Kirnberger, Spiegelkrebskanon, nach: F. W. Marpurg, Abhandlung von der fuge, Teil 2 (131754, Nachdr. Hil 1970) Tav. XXII

Bei Krebs- und Spiegelkrebs-K.s setzen die beteiligten Stimmen häufig gleichzeitig ein, es handelt sich dann also nicht um eigentliche Imitations-Formen. Der Ausdruck K. bezieht sich hier auf die Nebenbedeutung des Begriffs und meint einen musikalischen Ablauf, der durch ein in der K.-Anweisung formuliertes Strukturprinzip vollständig vorausbestimmt ist. Zu diesem Typus zählen der Proportions-, der Reservat-, der Linear- und der Formal-K. Im Proportions-K. wird ein melodisches Grundmodell gleichzeitig in verschiedenen Zeitmaßen (z. B. 2/2-, 3/4-, 2/4- und 6 /g-Takt) durchgeführt, eine nurdurchdie Eigenart der Mensuralnotation ermöglichte Technik. Unter dem Begriff des Reservat- oder Aussparungs-K.s werden diejenigen Formen zusammengefaßt, deren Folgestimmen durch Wegfall bestimmter Notenwerte oder durch Umstellung der Melodietöne nach gewissen rationalen Prinzipien (etwa in der Reihenfolge der Töne nach ihrer Dauer) umgestaltet werden. Linear-K. ist der moderne Ausdruck für die mehrfache systematische Ableitung einer Tenorstimme aus einem einfach notierten Melodiemodell, als Formal-K. bezeichnet man die Verteilung eines auf solche Art 291

Kanon gewonnenen Cantus firmus auf mehrere Stimmen. Einen Sonderfall stellt der polymorphe K. dar, der verschiedene Ausführungsmöglichkeiten zuläßt. Zur Geschichte des Kanons. Die Doppelnatur des K.s, der einerseits durch die zeitliche Verschiebung gleichartiger Linien die natürlichste und einleuchtendste Erscheinungsform stimmlicher Gleichberechtigung darstellt und andererseits ein Satzgefüge ist, das in jedem Takt durch ein einheitliches Gestaltungsgesetz determiniert ist, läßt sich an zwei verschiedenen Entwicklungszügen der Musikgeschichte verfolgen. Der einfache imitatorische Typus reicht wohl bis zu den Anfängen volkstümlichmehrstimmigen Musizierens zurück. Ein erstes Zeugnis dafür ist der englische Sommerkanon (um 1300 aufgezeichnet). Formen dieser Art hießen im Mittelalter /Rota, Round bzw. Radel. In der Kunstmusik des 14. Jh. wurde die Imitationstechnik als Fuga bezeichnet, als besondere Typen entwickelten sich in Italien die /Caccia und in Frankreich die Chace oder /Chasse. Spätere Erscheinungsformen des volkstümlichen Genres sind die englischen /Catches des 17. und die Gesellschaftsund Scherzkanons des 18. Jahrhunderts. Im 20. Jh. gewann nach dem 1. Weltkrieg das umgangsmäßige K.-Singen wieder verstärkte Bedeutung in der musikalischen /Jugendbewegung. Zu allen Zeiten nutzten Komponisten die knappe und prägnante Form des K.s als Ausdrucksmittel einer musikalischen „Aphoristik". Der andere — abstraktere — Wesenszug des K.s, seine gesetzmäßige Struktur, wurde nach vereinzelten Ansätzen im 13. Jh. und wichtigen Beiträgen von G. de Machaut vor allem von den Meistern der Franko-flämischen Schule (15./16. Jh.) systematisch entwickelt. In den Messen und Motetten von J. Ockeghem, Josquin des Prés, Pierre de la Rue u. a. erreichte die Kunst des K.s eine erste Hochblüte. Der K. galt als Nachweis besonderer satztechnischer Meisterschaft, zugleich boten seine gesetzmäßige Anlage, seine komprimierte Notierungsform sowie die oft bildlich interpretierbaren Strukturprinzipien Anlaß für symbolische Anspielungen. Bei den „Künsten der Niederländer" war der K. primär ein satztechnisches Problem. Dies gilt auch noch für die Nachblüte der K.-Kunst im 16./17. Jh. in Italien (G. M. Artusi, L. Zacconi, G. B. Vitali, A. Caldara) und in Deutschland (S. Scheidt, A. Gumpelzhaimer, J. Theile u. a.). Das Problem, in kanonischer Technik eine geschlossene Form zu gestalten, wurde erst durch J. S. Bach überzeugend gelöst, dessen Spätwerk einen zweiten Höhepunkt in der Entwicklung des K.s bedeutet. Es war vor allem der Rückbezug auf Bachs Schaffen, der im 20. Jh. noch einmal zu einer Wiederbelebung 292

der K.-Technik geführt hat (besonders bei M. Reger, P. Hindemith, J. N. David, und im Spätwerk von I. Strawinsky). In die Zwölftontechnik und die Serielle Musik sind — trotz erheblicher Verschiedenheit des musikalischen Materials — zahlreiche Grundprinzipien der K.-Technik eingegangen. E. PLATEN

Lit.: Zu 2): E. WELLESZ, A History of Byzantine Music and Hymnography (0 1949, '1963); H.W. TILLYARD, Twenty Canons from the Trinity Hirmologium (Boston 1952); E. JAMMERS, Der K. des J. Damascenes für den Ostersonntag, in: Polychronion (Hei 1966); J. VAN BIEZEN, The Middle Byzantine Kanonnotation of Manuscript H (Bilthoven 1968); R. VON BUSCH, Unters. zum byzantinischen Heirmologion. Der Echos Deuteros (H 1971) — Zu 3): O. A. KLAUWELL, Die bist. Entwicklung des musikal. Canons (Dias. L 1874), gedruckt als: Der Canon in seiner geschichtlichen Entwicklung (L 1876); F. JODE, Der K., 3 Teile (Wb 1925); DERS., Vom Geist z. Gesicht des K.s, in: Die Kunst Bachs (Wb 1926); L. FEININGER, Die Frühgesch. des K.s bis Josquin des Prez (Emsdetten 1937); J. HANDSCHIN, The Summer Canon and Its Background, in: MD 3 (1949) u. 5 (1951); W. WIORA, Der ma. Liedkanon, in: Kgr.-Ber. Lüttich 1950; W. BLANKENBURG, Die Bedeutung des K.s in Bachs Werk, in: Bachtagung Leipzig 1950 (L 1951); R. LEIBOWITZ, Le canon (Lüttich 1952); J. J. A VAN DER WALT, Die K.Gestaltung im Werk Palestrinas (Dias. Kö 1956); A. DUNNING, Mozarts K.s. Eine Stud., in: Mozart-Jb. 1971/72; R. FALCK, Rondellus, Canon, and Related Types Before 1300, in: JAMS 25 (1972); H. HUSCHEN, Bemerkungen z. Satzstruktur der „missa canonica" zu 4 (8) St. v. J. Gallus, in: FS W. Boetticher (B 1974); N. S. JOSEPHSON, K. u. Parodie. Zu einigen Josquin-Nachahmungen, in: TVer 25 (1975); H. REICHENBACH, Modern Canons (NY o.J.).

KANSAS CITY JAZZ, Jazzstil der 30er Jahre, der im Umfeld des Big Band-Jazz der Swing-Ara anzusiedeln ist (Charlie Parker, Lester Young, Bennie Moten, Count Basie). Einfache Formen, Riff-Technik, Orientierung am Blues in Intonation, Tongebung und Struktur der Soli verhalfen ihm zu Popularität. Durch die Jam sessions bereitete der K. teilweise die Entwicklung zum Bebop und Modern Jazz vor. Lit.: R. HORRICKS, Count Basie and His Orchestra. Its Music and Musicians (Lo 1957, Nachdr. Westport/Conn. 1971) (mit Discographie); R. RUSSEL, Bird Lives. The High Life and Hard Times of Ch. Parker (NY 1973).

KANT, Immanuel, * 22.4. 1724 Königsberg, t 12. 2. 1804 ebd.; dt. Philosoph. Er studierte Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Königsberg, wo er 1770 den Lehrstuhl für Logik und Metaphysik erhielt. Die Frage nach dem Musikalisch-Schönen ist bei ihm peripher, doch in der radikalen Weise gestellt, die sich nur aus seinen erkenntniskritischen Trennungen ergeben konnte. Die Trennungen — zwischen apriorischer Form und sinnlichem Stoff der Erfahrung sowie zwischen den Gebieten des Naturbegriffs (der „reinen" Vernunft) und des Freiheits-

Kantate begriffs (der „praktischen" Vernunft) — verlangen nach einer Vermittlung, für die sich die Erfahrung von Ganzheit in der ästhetischen Anschauung anbietet. Das Schöne präsentiert sich als Einheit für die Anschauung vor allen Begriffen, so daß Form und Stoff hier immer schon vermittelt sind, und es präsentiert sich darüber hinaus als „Ausdruck ästhetischer Ideen", die auf eine „übersinnliche" Einheit des theoretischen und praktischen Vermögens hinweisen. Im Gegensatz zur Nachahmungstheorie ergibt sich aus K.s Kritik, daß die schöne Kunst nur insofern Nachahmung der Natur ist, als ihr „die Natur durch ein Genie die Regel gab". Gerade darum kann die Kunst eine Wirklichkeit schaffen, „für die sich in der Natur kein Beispiel findet" (Kritik der Urteilskraft, B 1790, § 49). Das Spiel der Tonempfindungen erhebt sich nur dann vom „Angenehmen" zum „Schönen", wenn die Tonempfindungen nicht nur „Reiz und Rührung" hervorbringen, sondern einer „Form" fähig sind, „welche für die Beobachtung und Beurteilung zweckmäßig ist" (§ 52). Die mathematische Form der Tonbeziehungen, die K. hierfür ins Auge faßt, geht als „transitorische" allzu leicht in der Gefühlswirkung unter. Wenn Musik daher nur bedingt eine „schöne Kunst" genannt werden kann, so kann sie nur durch ihre Beziehung zur Poesie zum Ausdruck ästhetischer Ideen werden. Durch Analogie zu affektuosem Tonfall der Sprache vermag sie „die ästhetische Idee eines zusammenhängenden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfülle, einem gewissen Thema gemäß, welches den in dem Stücke herrschenden Affekt ausmacht, auszudrücken" (§ 53). Die systematische Geltung der K.schen Kriterien „Form" und „ästhetische Idee" regte dazu an, die Art und Weise, wie K. diese Geltung in Musik verwirklicht sah, in Frage zu stellen. Insofern wurde K.s Kritik der Urteilskraft auch in bezug auf Musik „Ausgangspunkt für das wahre Begreifen des Kunstschönen" (G. W. Fr. Hegel). Die im Spiel der Tonempfindungen vermißte Form haben J. G. Herder, Fr. von Schiller, Chr. G. Körner und Fr. W. J. von Schelling deutlicher herausgearbeitet. Die ästhetische Idee, die „viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein kann" (§ 49), lieferte eine formale Vorgabe für die kontemplative Haltung zur absoluten Musik. Daß Kant ausführlich die ästhetische Erfahrung analysiert, das ästhetische Objekt aber weitgehend unbestimmt läßt, hat neuerdings die These veranlaßt, daß K.s Ästhetik gerade nach der Krise des Werkbegriffs besondere Aktualität zukomme (Bubner). Lit.: K. MEYER, K.s Stellung z. Musikästhetik, in: ZfMw 3 (1920/21); G. WIENINGER, K.s Musikästhetik (Diss. Mn 1929);

C. DAHLHAUS, Zu K.s Musikästhetik, in: AfMw 10 (1953); D. HENRICH, K., in: MGG VII; G. FREUDENBERG, Die Rolle von Schönheit u. Kunst im System der Transzendentalphilosophie (Meisenheim 1960); W. SEIFERT, Ch. G. Körner. Ein Musikästhetiker der dt. Klassik (Rb 1960); C. DAHLHAUS, Musikästhetik, in: Theoretica 8 (Kö 1967); D. ZOLTAI, Ethos u. Affekt. Gesch. der philosophischen Musikästhetik v. den Anfängen bis zu Hegel (Budapest 1970), R. BUBNER, Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik, in: Ist eine philos. Ästhetik möglich? (Gö 1973) (= neue hefte z. philosophie 5); G. SCHUBERT, Zur Musikästhetik in K.s „Kritik der Urteilskraft", in: AfMw 32 (1975); R. CADENBACH, Das musikal. Kunstwerk (Rb 1978). A. NOWAK

KANTATE, bis zum 19. Jh. meist Cantate (von lat. cantare = singen; engl., it.: cantata; frz.: cantate). Die italienische Kantate im 17. 18. Jahrhundert. Der Terminus K. erscheint zum ersten Mal im Titel einer Sammlung weltlicher Monodien von A. Grandi (Cantade ed Arie, 1620). Wohl als Analogon zu dem älteren Terminus Sonata (>'Sonate) gebildet, ist die Bz. K. hier solchen Gesängen zugeordnet, in denen das Prinzip der durchkomponierten strophischen Variation der Singstimme über einen gleichbleibenden Baß vorherrscht ("Ostinato), während die Arie Grandis Strophenlieder sind. Gesänge wie diese Cantade gab es freilich schon vorher, so vor allem bei G. Caccini (Nuove musiche, 1601). D. h., die Anfänge der K. fallen zusammen mit der Spätphase des /Madrigals und dessen „Monodisierung" im Umkreis der Camerata Fiorentina. Mehr und mehr hat in den ersten Dezennien des 17. Jh. die K. das Madrigal abgelöst in seiner Bedeutung als wichtigste Gattung der weltlichen vokalen Kammermusik. Ihre schnell wachsende Beliebtheit ist dabei ein Indiz für die allgemeine Wertschätzung des Sologesangs in dieser Zeit. Terminologisch ist zu beachten, daß mit K. im 17. Jh. allgemein die Solokantate mit B.c. (Cantata a voce sola; meist für Sopran oder, oktavierend, für Tenor) gemeint ist, daß vereinzelt aber auch 2- und 3st. Gesänge als K.n bezeichnet sind (/Duett, "Terzett). Entscheidende Stationen in der Geschichte der italienischen K. sind in der ersten Hälfte des 17. Jh. die Werke von St. Landi (4 Bücher Arie bzw. Arie da cantarsi, 1620-38), B. Ferrari (3 Bücher Musiche varie, 1630-41) und vor allem von L. Rossi (mehrere hundert K.n, meist hsl.). In den K.n dieser und vieler anderer Komponisten läßt sich als wichtigstes Charakteristikum der Wechsel von rezitativischen und ariosen Abschnitten feststellen, dem im Text der Wechsel von verschiedenartigen Affekten und Sinneinheiten oder auch von Erzählung und Betrachtung vorgegeben ist. Die Sujets sind oft der Hirten- bzw. Schäferdichtung entnommen. An Rossi vor allem lehnt sich in unmittelbarer Tradition G. Carissimi an, der mit

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Kantate seinen zahlreichen hsl. überlieferten K.n schon zu Lebzeiten als der bedeutendste Meister der Gattung, im 18. Jh. sogar als ihr Erfinder galt. Bei Carissimi verbirgt sich unter der Bezeichnung K. (die sich nun endgültig durchgesetzt hat) eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten. Meist handelt es sich um eine freie Folge von rezitativischen und ariosen Teilen mit häufiger Da Capo-, Rondo- und Strophenbildung, seltener um K.n in Form einer Arie, einer strophischen Variation oder eines Arioso. Bei Carissimi erhalten viele K.n starken musikalischen bildhaften und Affekt-Ausdruck und eine neue Art von Kantabilität und können so als frühe Zeugnisse des >'Bel canto gelten. In dieser Zeit war die K.n-Dichtung zu einer eigenen hochangesehenen literarischen Gattung geworden. Mit Carissimi geht in der Geschichte der K. eine Entwicklung zu Ende: die strikte Monodie, der nur vom GeneralbaB begleitete Sologesang, erlebt ihren letzten Höhepunkt; schon sind jetzt, besonders von der Oper her kommend, Kräfte am Werk, die der K. durch den Zuwachs reicher instrumentaler Begleitung neue Farbe und neuen Reiz verleihen, freilich teilweise unter Verlust jener Vielfalt in Form, Melos und Ausdruck, durch die sich die K. Carissimis und seiner Zeitgenossen auszeichnen. Begünstigt durch die konsequente Trennung von /Rezitativ und 'Arie und durch die Vorherrschaft der >'Da capo-Arie wird die K. nun mehr und mehr von einer schematisch starren Bauweise bestimmt, die ihr Kennzeichen am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jh. ist. Die großen musikalischen Zentren in Italien sind auch die Pflegestätten der K. dieser Zeit: Rom (mit A. Cesti, C. Caprioli, A. Melani, A. Fr. Tenaglia, M. Savioni), Venedig (vor allem mit G. Legrenzi und seinen Schülern C. Fr. Pollarolo, A. Caldara und Fr. Gasparini), Bologna (mit G. B. Bassani, M. Cazzati, G. M. Bononcini, Fr. Gasparini u. G. A. Perti) und Neapel (vor allem mit A. Stradella und A. Scarlatti, der über 700 K.n schrieb und der letzte große Meister der Gattung war). Zumal bei den Komponisten der Neapolitanischen Schule wird die K. oft zu einer Art Opernszene en miniature mit der Opera seria als Vorbild. Bezeichnenderweise waren bedeutende Opern-Librettisten des frühen 18. Jh. (wie etwa P. Metastasio) auch berühmt als Kantatendichter. In Anbetracht der Beliebtheit der Opera seria als Mittel und Ausdruck höfischer Repräsentation im ganzen 18. Jh. ist es nicht erstaunlich, daß auch die italienischen K.n in diesem Jahrhundert vor allem als Huldigungsmusik in beschränktem Ausmaß weitergepflegt wurden, gleichzeitig aber den Rahmen der Kammermusik sprengen. In diesen Zusammenhang gehören — trotz des deutschen Textes — noch 294

die Kantaten L. van Beethovens (K. auf den Tod Kaiser Josephs II. u. K. zur Kaiserkrönung Leopolds II., beide 1790; Der glorreiche Augenblick, op. 136, 1814). In Beethovens op. 136, zur Verherrlichung des Wiener Kongresses geschrieben, kündet sich eine neue Phase in der Geschichte der weltlichen K. an, die nun im 19. Jh. in den groBen europäischen Ländern teilnimmt an dem Aufschwung des bürgerlichen Konzertwesens (s. u.). Die französische Kantate. Die starke Anlehnung an italienische Vorbilder, die in vielen Bereichen des französischen Musiklebens seit der 2. Hälfte des 17. Jh. zu beobachten ist (/Frankreich), führte zu Beginn des 18. Jh. auch zu einer Übernahme der italienischen K. und zu ihrer Anpassung an die Gegebenheiten der französischen Sprache. Die ersten ausdrücklich als solche bezeichneten K.n stammen von M. A. Charpentier (Cantate françoise: Coulez charmans ruisseaux, um 1683) und S. de Brossard (6 Cantates, um 1700). Es war dann namentlich in der Umgebung des späteren französischen Regenten Philipp von Orléans, wo die K. einen großen Aufschwung nahm. Die Werke von J. B. Morin (3 Bücher K.n, 1706-12) markieren die erste Blüte dieser Cantate françoise, wie die Gattung jetzt hieß. Morins K.n enthalten Gesänge mit GeneralbaB mit und ohne weitere Instrumente. Ihre Texte sind zumeist der Hirten- und Schäferpoesie entnommen. K.n dieser Art schrieben in der Folgezeit u. a. J. B. Stuck (4 Bücher, 1706-14), A. Campra (3 Bücher, 1708-28), N. Bernier (8 Bücher, 1703?-23), L. N. Clérambault (5 Bücher, 1710-26), dessen Orphée, Médée und Léandre et Héro einen außergewöhnlichen Erfolg hatten. Neben Th. L. J. Bourgeois, Colin de Blamont, J. Bodin de Boismortier, A. C. Destouches, J.-J. Mouret, A. de Villeneuve ist hier besonders auch J.-Ph. Rameau mit seinen zwischen 1710 und 1730 geschriebenen 7 K.n zu nennen. Sie weisen sowohl idyllische (Thétis, Le berger fidèle) als auch komische (Les amants trahis) und dramatische Züge (Orphée) auf. Anders als in Italien galt in dieser Zeit in Frankreich die Bezeichnung K. nicht ausschließlich für Werke mit weltlichem, sondern auch für solche mit geistlichem Text. Solche Cantates spirituelles schrieben E. Jacquet de La Guerre (2 Bücher Cantates ...sur des sujets tirez de l'Écriture, 1708 u. 1711) und R. Drouart de Bousset (2 Bücher Cantates ... tirées des Psaumes, 1735 u. 1740). Eine Sonderform der französischen K. im 18. Jh. stellt die Cantatille dar. Nachdem die K. in Frankreich nach der Jahrhundertmitte stark an Beliebtheit verloren hatte, erlebte sie während der Französischen Revolution eine neue Blüte. Ohne klare terminologische Unterscheidung zu Hymne, Ode, Chant patriotique

Kantate gehörte sie zu den charakteristischen Gattungen der Revolutionsmusik. K.n dieser Art in verschiedener Besetzung und formaler Anlage, oft mit Verwendung des Volksgesangs schrieben Fr. J. Gossec, É. N. Méhul, L. Cherubini, J.-Fr. Le Sueur. Die große Wertschätzung der K. um 1800 schlägt sich nicht zuletzt auch darin nieder, daß sie im offiziellen französischen Musikstudium zum Prüfstein für kompositorisches Können wurde. Am Pariser Conservatoire war 1803-1969 eine Kantate für 3 Singstimmen und Orchester berühmt-berüchtigtes Wettbewerbstück für den Prix de Rome. G. MASSENKEIL

Die deutsche (Kirchen-)Kantate. Die deutschsprachige K. als Gattung der evangelischen Kirchenmusik ist in der 2. Hälfte des 17. Jh. aus dem /Geistlichen Konzert hervorgegangen und allmählich an dessen Stelle getreten. Da der Begriff K. damals jedoch nur vereinzelt üblich war, bedarf es einer terminologischen Abgrenzung zwischen Geistlichem Konzert und Kantate. Die evangelische K. ist nach heutigem wissenschaftlichem Sprachgebrauch ein mehrteiliges Werk instrumental-vokaler Besetzung, dessen Glieder musikalisch und oft, mit der Zeit sogar in der Regel, auch textlich verschiedenartig sind. Aus dem ursprünglich einsätzigen Geistlichen Konzert der 1. Hälfte des 17. Jh. hatte sich noch zu Lebzeiten von H. Schütz eine mehrgliedrige Gestalt mit Wechsel in der Besetzung, des Takts und der musikalischen Form — diese kann abschnittsweise mehr konzertant oder mehr liedhaft und schließlich rezitativisch sein — entwickelt. Das instrumentale Ritornell kam mit gliedernder Funktion häufig hinzu. Von einer K. kann erst gesprochen werden, wenn die vorhergenannten Merkmale sämtlich vorhanden sind. Auch in liturgischer Hinsicht löste sie das Geistliche Konzert ab. War dieses vordem an die Stelle der Evangelienmotette in Verbindung mit der gottesdienstlichen Lesung getreten — bereits im 2. und 3. Teil der Neuen geistlichen Konzerte von S. Scheidt (1634/35) steht eine Anordnung „auf alle Fest- und Sonntage durchs ganze Jahr" —, so liegt darin bereits die Wurzel für die K.n-Jahrgänge späterer Zeit. Auch für die K. ist der unmittelbare Anschluß an die Lesung des /Evangeliums in der lutherischen Messe der feste liturgische Platz. Daneben spielte noch die Wiedergabe (des 2. Teils bei zweiteiligen K.n) nach der Predigt eine gewisse Rolle. Bestand die gottesdienstliche Aufgabe der Evangelienmotette um 1600 und danach des Geistlichen Konzerts lediglich in der musikalischen Darbietung eines Teils oder der vollständigen Lesung, um die Verkündigung zu erhöhen, so führt die K. mit Hilfe von Textkombinationen, denen bestimmte musika-

lische Formen entsprechen, darüber hinaus zu deren predigthafter Erläuterung. Dafür sind die häufig verwendeten Werktitel „Musikalische Andachten" und „Musikalische Gespräche" oder auch, wie schon beim Geistlichen Konzert, „Dialoge" von programmatischer Bedeutung. In der Regel stellten die Komponisten selbst die textlichen Vorwürfe, oft mit viel theologischem Verstand, zusammen. Es waren vor allem A. Hammerschmidt um die Mitte des 17. Jh. und wenig später W. C. Briegel, mit deren Schaffen die eigentliche Geschichte der K. beginnt. Briegels K. Fahre auf die Höhe kann als Musterbeispiel einer predigthaft gegliederten K. in deren frühestem Stadium gelten. Jedoch gibt es keinen protestantischen Komponisten in der Generation der zwischen 1610-30 Geborenen, der nicht mehr oder weniger an dieser Entwicklung Anteil hatte. Zu nennen sind Fr. Tunder, J. Rosenmüller, Th. Strutius, J. R. Ahle, Chr. Dedekind und S. Capricornus, ferner die Schütz-Schüler M. Weckmann und Chr. Bernhard. In der folgenden Generation bildeten sich gewisse landschaftliche Gruppen von K.n-Schöpfern heraus, zwischen denen freilich mancherlei Verbindungen bestanden und auch verschiedentlich Austausch erfolgte. Zu der Nürnberger Gruppe gehören P. Hainlein, H. Schwemmer, G. K. Wecker, die beiden Brüder J. Ph. und J. Krieger sowie J. Pachelbel. In Mitteldeutschland wirkten u. a. J. G. Ahle, Ph. H. Erlebach und Fr. W. Zachow sowie die drei Leipziger Thomaskantoren S. Knüpfer, J. Schelle und J. Kuhnau. Besonders groß ist die nord- und ostdeutsche Gruppe mit G. Böhm, A. Pfleger, Chr. Geist, J. Gerstenbüttel, J. V. Meder, J. Ph. Förtsch, V. Lübeck, N. Bruha und J. N. Hauff; sie alle werden überragt von D. Buxtehude, in dessen K.n-Werk sämtliche bis dahin entwickelten Typen vereinigt sind. Aus diesen heben sich vornehmlich die 4 folgenden hervor: Die Lied-K. (zugrunde liegt eine „Aria" aus dem Bereich des frühpietistischen Andachtsliedes), die Choral-K. (unter ihnen manche in der schlichten Form der Kantional-K.), die Concerto-Aria-K. (mit Verknüpfung eines biblischen Textes und einer Aria) und die gemischte K. mit Konzertsatz, Rezitativ, Arioso, Aria und Choralbearbeitung (Typisierung nach M. Geck). In der 2. Gruppe herrscht die reine per omnes versus-K. vor (alle Strophen eines Chorals werden vertont), die J. S. Bach noch vereinzelt gepflegt hat, oft verbunden mit einem ausgedehnten Amen- oder Hallelujaschluß, wie ihn bereits H. Schütz in den Symphoniae sacrae III (1650; bei Feget den alten Sauerteig aus) und noch J. S. Bach in der frühen K. BWV 106 bringt. Vor allem in der 4. Gruppe ist die K. zu einem Gottesdienst sui generis innerhalb der lutherischen Messe 295

Kantate

ausgereift. Es war daher von hier nur ein kleiner Schritt zur Bereitstellung von K.n-Libretti, wie es zuerst durch E. Neumeister 1700 geschah. Dies fiel zeitlich zusammen mit der Aufnahme des Seccorezitativs und der Da capo-Arie aus der Oper in die Kirchenmusik, gemäß Neumeisters klassischer Formulierung: „So siehet eine Cantata nicht anders aus als ein Stück aus einer Opera von Stylo recitativo und Arien zusammengesetzt." Der Begriff „Cantata" erscheint aber auch jetzt nur vereinzelt; statt dessen ist in der Regel von der „Hauptmusik" oder gar nur von der (gottesdienstlichen) „Musik" schlechthin die Rede. Neumeister schuf 6 Jahrgänge von K.n-Dichtungen, den 1., 5. und 6. für J. Ph. Krieger in Weißenfels (1700, 1716 und 1719), den 2. für Ph. H. Erlebach in Rudolstadt (1708), den 3. und 4. für G. Ph. Telemann in Eisenach (1711 und 1714). Während er anfangs ausschließlich freie, „madrigalische" Dichtungen bietet, nimmt er vom 3. Jahrgang an wieder Bibelwort und Liedstrophen auf. Danach beginnt die klassische Form der protestantischen Kantate des Hochbarocks mit einem Eingangschor über das de tempore-bezogene Dictum, d. h. ein das zuvor verlesene Evangelium interpretierendes Bibelwort, während die folgenden Rezitative und Arien der Explicatio (d. h. der gedanklichen Entfaltung) und der Applicatio (d. h. der existentiellen Aneignung) des Dictum dienen. Ein Choral bildet als Gebet oder Lobpreis den Schluß. In der Solo-K. schließen die solistischen Stücke unmittelbar an die Lesung an. Auch die Choral-K. besteht daneben weiterhin; jedoch wird auch sie zumeist mit K.n-Dichtung durchsetzt. Neumeister wurde das Vorbild für zahlreiche weitere K.n-Dichter, u. a. B. H. Brockes, J. K. Lichtenberg, S. Chr. Lehens und vor allem S. Franck, F. Hunold, M. von Ziegler und Chr. F. Henrici (genannt Picander), deren Texte Bach verwendete. Die Zahl der K.n stieg in der 1. Hälfte des 18. Jh. ins Unermeßliche. Allein G. Ph. Telemann schuf etwa 23 Jahrgänge. Außer den erwähnten Namen sind für diese Zeit noch Chr. Graupner, G. H. Stölzel und G. Gebel d. J. zu nennen. Von den K.n aller dieser Komponisten konnte naturgemäß zu ihrer Zeit nur ein verschwindend kleiner Teil gedruckt werden; vieles ist daher verlorengegangen. Erhalten blieben jedoch zahlreiche der oft in Jahrgängen oder für bestimmte Zeiten des Kirchenjahres zusammengefaßten gedruckten Textbücher. In der folgenden Zeit hielt das K.n-Schaffen zwar weiter an, und es gab auch nach wie vor zahlreiche, weniger bedeutende Komponisten, die sich ihm widmeten. Jedoch verlor es mit dem nun mehr und mehr einsetzenden Verfall der alten liturgischen 296

Ordnungen im Zeitalter der Aufklärung und des Rationalismus ihre bisherige gottesdienstliche Bedeutung. Zur Zeit der Empfindsamkeit diente die K. fast nur noch dem bloßen Gefühlsausdruck und wurde dann schließlich bald ganz aufgegeben. Nur wenige Namen ragen in dieser Zeit noch hervor, so C. H. Graun, W. Fr. Bach, G. A. Homilius, G. Benda, Fr. W. Rust, J. G. Vierling und G. R. Zumsteeg. Auf das Ganze gesehen hat die K. in diesem Zeitabschnitt nur noch eine periphere Bedeutung. Daran änderte sich auch nichts, als C. Loewe und F. Mendelssohn Bartholdy und um die letzte Jahrhundertwende M. Reger sie wieder aufgriffen. Auch die kirchenmusikalische Erneuerung seit etwa 1930 hat zwar mancherlei K.n hervorgebracht, ohne jedoch ihre Geschichte neu zu begründen. W. BLANKENBURG

Die weltliche (Solo-)Kantate in Deutschland. Ge-

messen an dem Umfang des überlieferten Repertoires und im Bewußtsein der Nachwelt ist die geschichtliche Bedeutung der weltlichen deutschen K. geringer als die der Kirchen-K. Bereits in der 1. Hälfte des 17. Jh. finden wir vereinzelt auch in Deutschland Anlehnungen an die charakteristischen Form- und Ausdrucksprinzipien der italienischen K. Der deutsche Terminus K. erscheint (vermutlich erstmals) bei C. Kittel (Arien und Cantaten für 1-4 St. u. B. c., 1638) und ist dort bezogen auf Übungsstücke für den Sologesang nach italienischer Manier. Insgesamt vollzieht sich Angleichung deutscher weltlicher Gesänge mit pastoralen Inhalten an den italienischen monodischen Stil hauptsächlich innerhalb der Gattung der OEArie. Typisch in dieser Hinsicht sind vor allem die an der K.n-Kunst L. Rossis und G. Carissimis unmittelbar orientierten Arien von A. Krieger (1667) und Ph. H. Erlebach (1697). Neue Impulse gingen erst Anfang des 18. Jh. von dem Dichter und Librettisten Menantes (= Chr. Fr. Hunold) aus, der unter dem Einfluß der geistlichen K.n-Dichtungen E. Neumeisters einen neuen weltlichen K.n-Typus schuf und auch theoretisch begründete. Texte von Menantes komponierte u. a. R. Keiser. In der Folge schufen J. Gottsched, J. A. Scheibe und J. Mattheson eine spezielle Theorie der deutschen K. und ihrer Haupttypen der „moralischen", „verliebten" und „komischen" Kantate. Gleichwohl setzte sich die K. mit deutschem Text nur langsam gegen die auch von deutschen Komponisten reichlich gepflegte K. mit italienischem Text durch. Für beide Arten — durchweg übereinstimmend mehrteilige Gebilde mit Rezitativ und Arie — können die gleichen Namen von Komponisten genannt werden: u. a. die Brüder Graun, G. Ph. Telemann, J. H. Rolle. Auch J. S. Bach gehört in diese Reihe (K.n BWV 203 Amore

Kantele traditore; 209 Non sa che sia dolore, beide nicht einwandfrei als echt geltend — 202 Weichet nur, betrübte Schatten; 204 Ich bin in mir vergnügt). Wichtig als Komponist italienischer K.n ist ferner G.H. Stölzel. In den 60er Jahren des 18. Jh. setzte dann eine neue Welle in der K.n-Produktion ein, die — nach Dichtungen vor allem von J. E. Schlegel, K. W. Ramler und K. W. v. Gerstenberg — als eigenen Typus die sogenannte ernste K., meist mit mythologischen Stoffen, entstehen ließ. Als Komponisten dieser „Singgedichte", wie man die K. in Deutschland oft bezeichnete, kommen u. a. J. A. Scheibe, J. Chr. Fr. Bach und G. J. Vogler in Betracht. Ihr Hauptkennzeichen ist die ausgiebige Verwendung des Akkompagnato-Rezitativs. Was die instrumentale Besetzung angeht, so begegnen sowohl K.n mit Cembalo bzw. Pianoforte als auch solche mit zusätzlichen Instrumenten. Um die Wende des 18./19. Jh. ist die Geschichte der deutschen Solo-K. im wesentlichen beendet. Es scheint, daß sie einmündet in die sich abzeichnende großartige Entwicklung des Sololieds. Zeugnisse für die vielfältigen Berührungen von Lied und K. in dieser Zeit — man unterscheidet bezeichnenderweise im musikwissenschaftlichen Schrifttum gelegentlich zwischen der „Liedkantate" und dem „Kantatenlied" — bieten die Werke von R. Zumsteeg, J. Fr. Reichardt u. a. Und noch in manchen Liedern Fr. Schuberts (etwa im Prometheus) ist die Tradition der älteren K. deutlich spürbar. Die Kantate im 19.-20. Jahrhundert. Im 19. Jh. gibt es, namentlich in Deutschland, neben K.n mit geistlichem auch solche mit weltlichem Text. Es sind oratorienähnliche Stücke für Soli bzw. Chor oder Soli und Chor und Orchester mit patriotischem, lyrischem, balladeskem, märchenhaftem u. a. Charakter; eine klare Abgrenzung gegenüber dem weltlichen Oratorium der Zeit ist nicht möglich. Zu nennen sind hier Werke von L. v. Beethoven (s. o.), C. M. von Weber (Kampf und Sieg, 1815), R. Schumann (Das Paradies und die Peri, 1843), M. Bruch (Szenen aus der Frithjofsage, 1864), J. Brahms (Rinaldo, 1868; Schicksalslied, 1871), R. Strauss (Wanderers Sturmlied), auch wenn sie nicht, immer eigens als K. bezeichnet sind. Noch in unserem Jh. stehen H. Pfitzners K. Von deutscher Seele (1921 nach J. von Eichendorff) und B. Bartóks Cantata profana, Die Zauberhirsche (1930) in dieser Tradition. Zur gleichen Zeit spielte die K. auch im Bereich der neuentstehenden lGebrauchsmusik eine eigene Rolle als besondere Form des gemeinschaftlichen (auch Laien-)Musizierens. Beispiele hierfür bieten auf unterschiedlichen stilistischen Ebenen Werke von P. Hindemith, P. Höffer, J. Haas,

H. Bergese, H. Bräutigam. In nicht unerheblichem Maße schrieben schließlich auch die Komponisten der Neuen Musik und der Avantgarde Kantaten in verschiedenster Besetzung und formaler Gestaltung: A. v. Webern (K. op. 29, 1938/39), W. Fortner (Grenzen der Menschheit, 1930; An die Nachgeborenen, 1947, Chant de naissance, 1958; usw.), P. Boulez (Le soleil des eaux, 1948), I. Strawinsky (Cantata, 1951-52), B.A. Zimmermann (Omnia tempus habent, 1957), H. W. Henze (Novae de infinito laudes, 1962). Ausg. (nur Sammelausg. it. K.n des 17. Jh.): Kantaten-Frühling, hrsg. v. H. RIEMANN (L 1909-13); Ausgew. Kammerkantaten, hrsg. v. DEMS., 6 H.e (L o. J.); Alte Meister des Bel canto, hrsg. v. L. LANDSHOFF, 3 Bde. (L 1912-15); La Flora, hrsg. v. K JEPPESEN, 3 Bde. (Kop 1949); The Italian Cantata in the Seventeenth Century ... presented in Facsimile, hrsg. v. C. GIANTURCo, 16 Bde. (NY 1986ff.). — Thematische Ven. von K.n einzelner Komponisten des 17.-18. Jh., in: The Wellesly Cantata Index Series (Wellesley/Mass. 1963 ff.), bisher 1: A. Cesti; 2: M. Savioni; 3: L Rossi; 4: A. Stradella; 5: G. Carissimi. Lit.: H. LEICHTENTRITT, Der monodische Kammermusikstil in Italien, in: A. W. Ambros, Gesch. der Musik IV (L 1909, Nachdr. Hil 1968); E. J. DENT, The Italian Chamber Cantatas, in: The Musical Antiquary II (1910/11, Nachdr. Lo 1968); A. SCHERING, Über die Kirchenk. vorbachischer Thomaskantoren, in: Bach-Jb. 9 (1912); E. SCHMITZ, Gesch. der K. u. des geistlichen Konzertes, I: Gesch. der weltlichen Solo-K. (L 1914, 2 1955, Nachdr. Hil 1965); K. F. RIEBER, Die Entwicklung der dt. geistlichen Solok. im 17. Jh. (Diss. Fr 1932); U. LEUPOLD, Die liturg. Gesänge der ev. Kirche im Zeitalter der Aufklärung u. der Romantik (Kas 1933); F. TREIBER, Die thüringisch-sächsische Kirchenk. zur Zeit des jungen J. S. Bach (etwa 1700-23), in: AfMf 2 (1937); W. LANGE, Die Anfänge der K. (Dresden 1938); G. SCHWANBECK, Die dramatische Chork. der Romantik in Deutschland (Diss. B 1938); A. DÜRR, Über Kantatenformen in den geistlichen Dichtungen S. Francks, in: Mf 3 (1950); E. T. FERAND, Embellished „Parody Cantatas" in the Early 18thCentury, in: MQ 44 (1958); G. ROSE, The Cantatas of Carissimi, in: MQ 58 (1962); W. BRAUN, Material zu W. F. Bachs Kantatenaufführungen in Halle 1746-1764, in: Mf 18 (1965); F. KRUMMACHER, Die Überlieferung der Choralbearb. in den frühen ev. K.n (B 1965) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 10); R. JAKOBY, Die K. (Köln 1968) (= Das Musikwerk 32); S. DAHMS, Opern und Festk. des Salzburger Hochbarocks, in: OMZ 25 (1970); J. BIRKE, Die Poetik der dt. K. zu Beginn des 18. Jh., in: FS H. Husmann (Mn 1970); A. DÜRR, Zur Textvorlage der Choralk.n J. S. Bachs, in: FS Ch. Mahrenholz (Kas 1970); DERS., Die K.n v. J.S. Bach, 2 Bde. (Kas 1971); E. BROCKHOFF, Die Paderborner Kalender-K.n v. 1764 u. 1766, in: Mf 24 (1971); H. STRECK, Die Verskunst in den poetischen Texten zu den K.n J. S. Bachs (H 1971) (= Hamburger Beitr. z. Musikwiss. 5); K. MARSONER, Stud. z. Gesch. der geistlichen fn. K. (Diss. Gr 1971); K. KOHLER, Unters. z. deutschsprachigen szenischen K. für Kinder u. Jugendliche in dem Zeitraum v. 1945-1966, 2 Bde. (Diss. Greifswald 1971); G. KARSTADT, Der Lübecker Kantatenband D. Buxtehudes (Lübeck 1971); G. ROSE, The Italian Cantata of the Baroque Period, in: Gattungen der Musik. Gedenkschrift L. Schrade I (Be 1973); D. TUNLEY, The Eighteenth-Century French Cantata (Lo 1974).

KANTELE (estnisch: kannel; lettisch: kuokle; litauisch: kankles), eine früher in allen baltischen Ländern verbreitete Zither ohne Griffbrett, vor al297

Kantilene lem bekannt als finnisches Nationalinstrument, das bereits im Kalevala -Epos erwähnt wird. Sie ist ein Psalterium mit einem unregelmäßig trapezförmigen oder dreieckigen Resonanzkasten, der ursprünglich mit 5 in g1, a', b', c2 und d2 gestimmten Roßhaarsaiten bezogen war, heute bis zu 30 Saiten (gewöhnlich aus Metall) haben kann. Die K. wird horizontal auf einen Tisch oder die Knie gelegt und mit den bloßen Fingern gezupft. Sie findet bis heute Verwendung zur Gesangsbegleitung, als Tanzinstrument und solistisch zu frei improvisatorischem Spiel. Lit.: T. NORLIND, Systematik der Saiteninstr. I: Gesch. der Zither (Sto 1936, Hannover 2 1941); F. BOSE, Die finnische K., die älteste Zither Europas, in: Atlantis 24 (1952).

KANTILENE (von lat. cantilena = Lied, Melodie, Gesang; engl. und span.: cantilena; frz.: cantilène), im französischen, englischen und deutschen (nicht aber im italienischen) Sprachgebrauch des 19. und 20. Jh. (im Anschluß an die lateinische Grundbedeutung /Cantilena) Bz. für eine getragene, gesangsartige, dominierende Melodie in einem mehrstimmigen Vokal- oder Instrumentalwerk. In diesem Sinn wird Cantilena auch als Bezeichnung von Kompositionen oder einzelnen Sätzen gebraucht (z. B.: I. Strawinsky, 1. Satz des Duo concertant pour violon et piano, 1932; B. Bartolozzi: Cantilena per flauto, 1970). KANTILENENSATZ, auch Diskantlied, Balladenform, Balladenstil, Bz. für den Typ des Liedsatzes des 14. und 15. Jh., der einen textierten, d. h. solistisch gesungenen Cantus und 1-3 nicht textierte, instrumental auszuführende Stimmen besitzt. Die Struktur des K.es weist einen 2st. Gerüstsatz aus Cantus und Tenor auf, der durch Hinzufügung eines Contratenors oder Triplums drei-, eines Contratenors und Triplums vierstimmig gesetzt werden konnte. Der K. entstand in Frankreich zur Zeit der Ars nova und wurde von dem Dichterkomponisten

allem im Zuge des Einflusses englischer Komponisten auf dem Kontinent der K. abgelöst durch einen Satz, in dem alle Stimmen vokal ausgeführt und aufgrund einer sich festigenden tonalen Harmonik über der tiefsten Stimme unentbehrlich wurden. Lit.: A. SCHERING, Stud. z. Musikgesch. der Frührenaissance (L 1914) (= Stud. z. Musikgesch. 2); F. LUDWIG, Die geistliche nichtliturg. u. weltliche einst. u. die mehrst. Musik des MA bis zum Anfang des 15. Jh., in: Hdb. der Musikgesch., hrsg. v. G. Adler, 2 Bde. (B 2 1930, Nachdr. Tutzing 1961), Taschenbuchausg., 3 Bde. (Mn 1975); J. HANDSCHIN, Musikgesch. im Überblick (Luzern 1948, 2 1964); H. BESSELER, Bourdon u. Fauxbourdon (L 1950, 2 1974); J. HANDSCHIN, Réflexions sur la terminologie, in: RBMie 6 (1952); G. REANEY, Fourteenth Century Harmony and the Ballades, Rondeaux and Virelais of G. de Machaut, in: MD 7 (1953); U. GÜNTHER, Der musikal. Stilwandel der fn. Liedkunst in der 2. Hälfte des 14. Jh.... (Diss. H 1957); E. APFEL, Beirr. zu einer Gesch. d. Satztechnik v. der frühen Motette bis Bach 1 (Mn 1964). B. R. SUCHLA

KANTILLATION (von vulgärlat. cantillare = trällern; engl. und frz. cantillation), im englischen Sprachraum entstandene Bz. für den Sprechgesang in der jüdischen Musik zum Unterschied von der andersartigen, mit der Musik des Barocks beginnenden Tradition des /Rezitativs der abendländischen Musik. Die Choralforschung und die Musikethnologie des englischen und französischen Sprachgebiets haben den Begriff übernommen. Im deutschen Sprachraum wurde er im Gefolge der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils aufgegriffen und ist bislang vor allem in der katholischen Kirchenmusik gebräuchlich. Dabei soll gegenüber dem Begriff Rezitativ insbesondere die Vortragsweise und die Freiheit des Sängers bei der Ausführung der Formeln und Modelle des liturgischen Rezitativs zum Ausdruck gebracht werden. Lit.: R. LACHMANN, Jewish Cantillation and Song in the Isle of Djerba (Jerusalem 1940); S. ROSOwSKY, The Cantillation of the Bible (NY 1957); S. CORBIN, La cantillation des rituels chrétiens, in RMie 47 (1961); T. VAN KHE, Aspects de la cantillation. Technique du Viět-nam, in: ebd.; E. GERSON-KIWI, The

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8 G. de Machaut, Ballade Nr. 40

G. de Machaut in den Refrainformen Ballade, Rondeau und Virelai voll ausgeprägt. Zur Zeit des Niederländers J. Ockeghem wurde vor 298

Legacy of Jewish Music Through the Ages (Tel Aviv 1963); H. HUCKE, Le récitatif liturgique en langue moderne, in: Musique sacrée et langues modernes (P 1964). H. HUCKE

Kantor

KANTIONAL, Kanzional, /Cantional. KANTIONALSATZ, Bz. für den 4stimmig-homophonen Kirchenliedsatz mit Diskant-Cantus firmus, wie ihn L. Osiander in den Fünftzig geistliche Lieder und Psalmen (Nü 1586) mit der Zweckbestimmung „auff Contrapunctsweise ... also gesetzt/das ein gantz Christliche Gemein durchauß mit singen kan" eingeführt hat. Dabei war nicht an eine Begleitfunktion des Chores gedacht, sondern an ein Zusammenwirken mit der Gemeinde, um den Gemeindegesang neben der Figuralmusik nicht zu kurz kommen zu lassen. Vorbild für den K. waren zum einen verschiedene homophone Ausgaben des Genfer Psalters, die jedoch fast ausnahmslos den Tenor als Melodiestimme beibehalten hatten, weil sie für häusliche Verwendung bestimmt waren. Zu nennen sind die Ausgaben von P. Certon (1546), L. Bourgeois (1547), D. Lupi Second (1548), Cl. Janequin (1558 u. 1559, mit OberstimmenCantus firmus!), Ph. Jambe de Fer (1559-64), Cl. Goudimel (1562-64) und Cl. Le Jeune (1601). Zum andern wirkten bei der Schaffung des K.es die humanistischen Odenkompositionen mit, die seit dem frühen 16. Jh. in den Lateinschulen vielfältig gebraucht wurden. Im Anschluß an Osiander entstand eine große Reihe von Kantionalliedsammlungen mit oft wörtlicher Anlehnung an dessen Titel; die bekanntesten sind die von R. Michael (1593), A. Raselius (1595, 5st.), J. Eccard (1597, 5st.), S. Calvisius (1597), B. Gesius (1601), M. Vulpius (1604); M. Praetorius (1605 ff.), H. L. Haßler (1608), J. H. Schein (1627), M. Franck (1631) und J. Crüger (1640). Bedeutungslos wurde der K. vom späteren 17. Jh. an durch die allmähliche Einführung der Gemeindegesangbegleitung durch die Orgel. Dafür entstanden seit 1692 untextierte Choralbücher mit Melodie- und Generalbaßnotierung. Jedoch blieb der K. noch über J. S. BachsTod hinaus in den zeitgenössischen Kantaten vor allem als (die Stimme der Gemeinde vertretender) Schlußchoral und an markanten Stellen der Oratorien erhalten. Wahrscheinlich haben die Gemeinden hier und da in die Melodie solcher Choralsätze mit eingestimmt. Allerdings hat dieser spätere K. vielfach nicht mehr die ehemalige strenge Form; vor allem zeigen Bachs Choralsätze zumeist eine kunstvollere Satzweise mit (z. T. sogar chromatischen) Durchgängen in affektbetonter Textbezogenheit. Lit.: F. BLUME, Die ev. Kirchenmusik (Pd 1931), neubearb. v. L. FINSCHER — G. FEDER — A. ADRIG — W. BLANKENBURG als: Gesch. der ev. Kirchenmusik (Kas 1965); W. RECKZIEGEL, Das Cantional v. J. H. Schein (B 1963) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 5);J. WOLF, Der vierst. homophone Satz. Die stilistischen Merkmale des K. zw. 1590 u. 1630 (Wie 1965); M. HONEGGER, Les chansons spirituelles de D. Lupi et les dé-

buts de la musique protestante en France au XVI' siècle (Lille 1971). W. BLANKENBURG

KANTOR, Cantor (lat., = Sänger), seit dem Mittelalter vorwiegend in eingeengter Bedeutung gebraucht als Bz. für den Sänger der Liturgie bzw. den Leiter der Kirchenmusik, fand etwa seit dem 6. Jh. in seiner lateinischen Sprachform Eingang in den kirchlichen Sprachgebrauch. Die zuerst wohl bei Isidor von Sevilla begegnende Unterscheidung zwischen Musicus (der sich mit der Musik als Wissenschaft beschäftigt) und Cantor (der die Musik praktisch betreibt) blieb das ganze Mittelalter über in Geltung. Die zunehmende kunstvolle Entwicklung des liturgischen Gesanges brachte ein hohes Ansehen der Cantores mit sich, die als Mitglieder von Kathedral-, Dom- und Stiftschören geschulte Sänger waren und in der Regel dem geistlichen Stande angehörten. Während z. B. Thomas von Aquin den Leiter eines gottesdienstlichen Chores als Praecantor bezeichnet hat, ist nach dem Ordo Officiorum Ecclesiae Senensis (1213) der Cantor bereits der intonierende Vorsänger. In den spätmittelalterlichen deutschen Hofkapellen heißt der Leiter „Sangmeister". Nachdem am Vorabend der Reformation J. Tinctoris in seinem Terminorum musicae diffinitorium (um 1473/74) den Unterschied zwischen Musicus und Cantor noch einmal klassisch formuliert hat („Musicorum et cantorum magna est differentia, illi sciunt, ipsi dicunt, quae componit musica"), wurde er durch einen schwerwiegenden Bedeutungswandel des Begriffs K. in der Reformation hinfällig. Indem J. Walter sich als „der Cantorey zu Torgaw Cantor" nannte, trat die Bezeichnung K. an die Stelle von vormals Praecantor oder Sangmeister. Zugleich aber schloß sie die mittelalterliche Vorstellung vom Musicus eruditus mit ein; der lutherische K. war grundsätzlich ein akademisch gebildeter K., wie es Walter gewesen ist. Der K. im reformatorischen Verständnis hatte es neben der Praxis stets auch mit der Ars musica, d. h. mit der Musik als wissenschaftlich begründeter Kunst, die zu den Septem artes liberales gehörte, zu tun. Gleichzeitig bekam der Begriff K. aber auch einen eigentümlichen theologisch eschatologischen Sinn, weil die Musik als einzige der Künste Ewigkeitscharakter habe („Die Music mit Gott ewig bleibt, / die andern Künst sie all vertreibt", J. Walter). In seiner gesellschaftlichen Stellung trat der K. aus dem geistlichen Stand, zu dem die vorreformatorischen „Sangmeister" gehörten, heraus; Walter selbst hat mit seinem Amt als stadtbürgerlicher Schul-K. das für Jahrhunderte gültige Vorbild für die neue eigentümliche Stellung des lutherischen K.s im städtischen Gemeinwesen neben Pfarrer und 299

Kantor Rektor der Schule gegeben. Dieser wurde für die gesamte gottesdienstliche Musik, insonderheit für die Leitung der Figuralmusik, verantwortlich. Im Schulverband war er nach dem Rektor und Konrektor in der Regel der „Tertius", als der er den gesamten theoretischen und praktischen Musikunterricht der örtlichen Lateinschule, oft noch neben dem einen oder anderen Fach, zu erteilen hatte. Die beispiellose Entwicklung der evangelischen Kirchenmusik vom 16.-18. Jh. war untrennbar mit der Stellung und Bedeutung des lutherischen K.s verbunden. Zwar sah dieser nicht selten sein Amt als Zwischenstufe zwischen Universitätsstudium und Pfarramt an (so G. Dreßler, M. Altenburg, E. Bodenschatz u. a.), in der Regel fand er in seinem Beruf jedoch eine angesehene Lebensaufgabe. Nach 1600 weitete sich zudem seine Tätigkeit in größeren Städten zu dem eines Director musices, der für das gesamte städtische Musikleben zuständig war, aus. Die öffentliche Geltung des K.s erlitt vom 17. Jh. an mancherorts freilich eine allmähliche Beeinträchtigung, einerseits durch die zunehmende Bedeutung des Hofkapellmeisteramts im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus, deren Zahl bei der wachsenden territorialen Zersplitterung ungewöhnlich anwuchs, und zum andern durch die zunehmende Bedeutung der Orgelmusik bzw. der Organisten. Zwar hatte auch der Hofkapellmeister bis in das 17. Jh. zumeist gottesdienstliche Musik zu verrichten; mehr und mehr traten jedoch die Aufgaben der fürstlichen Repräsentation hinzu — so z. B. bei H. Schütz als sächsischem Hofkapellmeister; dadurch aber wurde das Ansehen des K.s gegenüber dem Hofkapellmeister zwangsläufig geschmälert. Kennzeichnend ist J. S. Bachs Äußerung in seinem Brief vom 28.10. 1730 an G. Erdmann, daß es ihm „anfänglich (gemeint ist nach seiner Übersiedlung von Köthen nach Leipzig) gar nicht anständig seyn wolte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden" (Bach-Dokumente I, Kas 1963, S. 67). Aber auch von seiten der Organisten, die, aus der handwerklichen Musikerzunft kommend, zunächst dem Kantor unterstanden, erwuchs diesem allmählich ein Nebenbuhler. In Halle/Saale unterstanden bereits zur Zeit S. Scheidts die K.en den Organisten. Auch das Aufkommen des Geistlichen Konzerts spielte bei dieser Entwicklung mit, da dessen Musizieren häufig nicht in der Hand des im Altarraum amtierenden K.s, sondern des auf der Orgelempore wirkenden Organisten lag. So gab es in Lübeck zu D. Buxtehudes Zeiten sowohl eine K.en- wie eine Organistenmusik. Als der K. nicht mehr akademisch gebildet sein mußte, wie z. B. im Falle J. S. Bachs, verwischten sich die Standesgrenzen zwischen K. und Organist. 300

Der Niedergang der Kirchenmusik im Zeitalter der Aufklärung seit dem späteren 18. Jh. hatte das Ende des altlutherischen Kantorenamtes zur Folge. Kantoren- und Organistenamt lagen nunmehr fast immer in einer Hand und zwar in der von Volksschullehrern. In den seit Ausgang des 18. Jh. entstehenden Lehrerseminaren wurden nun die angehenden Lehrer, zu deren Pflichten die Übernahme des Organistendienstes gehörte, zugleich als Organisten ausgebildet. Der Titel K. wurde zum Ehrentitel für verdiente Organisten, obwohl diese keineswegs in jedem Fall auch gottesdienstliche Figuralmusik betrieben. Das kirchliche Chorwesen gestaltete sich, wenn überhaupt, ausschließlich auf freiwilliger Basis und wurde zwar weithin von oft sehr verdienten Lehrerorganisten, häufig aber auch von interessierten Laien getragen. Erst im 20. Jh. ist es durch den Wegfall der zwangsläufigen Verbindung von Lehrerberuf und Organistenamt nach 1918 und vor allem durch die kirchenmusikalische Erneuerung zu einer Wiedergewinnung des K.en-Amts gekommen als eines Hauptberufs ohne Verbindung mit Schultätigkeit, jedoch unter Einbeziehung des Orgeldienstes. Der K.-Titel ist heute in den evangelischen Gebieten die Berufsbezeichnung für hauptberufliche Kirchenmusiker und wird nicht mehr als Ehrentitel verliehen. In der DDR gibt es, um die Einkommensbasis der Kirchenmusiker zu vergrößern, den „K.-Katecheten", der zusätzlich noch Religionsunterricht erteilt. Bei der katholischen Kirche blieb in der Neuzeit an den Bischofskirchen in der Regel das geistliche Amt des Domkapellmeisters, der auch heute noch häufig geweihter Priester ist, und somit die Trennung zwischen K. und Organist erhalten. Im übrigen wurde der kirchenmusikalische Dienst zumeist nebenamtlich versehen. Erst in jüngster Zeit gewinnt auch hier der hauptberufliche K. allgemeinere Bedeutung. Lit.: A. WERNER, Vier Jahrhunderte im Dienst der Kirchenmusik. (L 1902); G. PIETZSCH, Bildung u. Aufgaben des K.s im MA u. Frühprotestantismus, in: Die Musikpflege 4 (1933/34); W. GURLITT, Geleitwort zur Facsimile-Ausg. v. J. Walters „Lob und Preis der löblichen Kunst Musica" (Kas 1938); W. M. LUTHER, Die gesellschaftliche u. wirtschaftliche Stellung des prot. K., in: MuK 29 (1949); K.F. MÜLLER, Der K. Sein Amt u. seine Dienste (Gütersloh 1964); D. KRICKEBERG, Das prot. Kantorat im 17. Jh. (B 1965) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 6); M. SCHULER, Zur Gesch. des K.s im MA, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kas 1970); K. W. NIEMOLLER, Unters. zu Musikpflege u. Musikunterricht an den dt. Lateinschulen vom ausgehenden MA bis um 1600 (Rb 1969); W. BLANKENBURG, K. in: MGG XVI; E. REIMER, Musicus u. Cantor..., in: AfMw 35 (1978). W. BLANKENBURG

KANTOREI, seit der Reformation Bz. für die aus einer Auswahl von musikbegabten Schülern und aus freiwillig mitsingenden Bürgern gebildeten gottesdienstlichen Sängerchöre. Wie weit der Name

Kanzone bereits in vorreformatorischer Zeit in Verbindung mit den damals vorhandenen Berufschören in Gebrauch war, konnte bisher nicht festgestellt werden; er kam aber sicherlich nicht selten vor, da die reformatorischen Chöre in den mittelalterlichen Bruderschaften wie Kalande, Constabler und Stabulisten Vorläufer hatten. In der bildlichen Darstellung „Kaiser Maximilians I. Triumph" von Hans Burgkmair u. a. (um 1515) erscheint eine „Musica Canterey". Zur Einführung des Namens K. als offizielle Bezeichnung gaben möglicherweise die Torgauer Visitationsakten von 1534, in denen für die Wirkungsstätte J. Walters eine „herrliche Musica und Cantorey" festgestellt wurde, den Anstoß. Jedenfalls wird die Torgauer K. fortan als solche bezeichnet, deren Vorbild als Schulchöre mit Ergänzung durch Bürger der Stadt danach viele Chöre folgten. Die — vor allem in den lutherischen Kernlanden Sachsen und Thüringen — im 16. und 17. Jh. in groBer Zahl gegründeten K.en, die sich zuweilen auch für die dazugehörigen Erwachsenen als K. -Gesellschaften bezeichneten, hatten streng eingehaltene Satzungen, die ihre freiwilligen Mitglieder zu genau bestimmten Dienstleistungen, insbesondere zum regelmäßigen Chorsingen im Gottesdienst, verpflichteten. Jedoch pflegten die K.en auch Geselligkeit; das zumeist jährlich stattfindende, manchmal mehrtägige „Convivium" gehörte als traditionelle Festlichkeit zu einer festen Einrichtung. Die Bezeichnung „Adiuvantenchor" wie auch der Name „Adstanten" deckten sich mit dem Begriff der Kantorei. Diese Bezeichnungen, Ausdruck des Freiwilligkeitscharakters der beteiligten Erwachsenen, waren wohl vorzugsweise in ausgesprochenen Kleinstädten und auch in Dörfern, vor allem Thüringens, üblich. Wie stark das K.-Wesen in Mitteldeutschland bis in das 18. Jh. geblüht hat, zeigt J. S. Bachs Äußerung in seinem Mühlhäuser Entlassungsgesuch vom 25.6. 1708, in dem er von „der fast auf allen Dorfschafften anwachsenden kirchenmusic" spricht. Mit dem Niedergang der Kirchenmusik seit der 2. Hälfte des 18. Jh. verloren auch die K.en an Bedeutung, falls sie überhaupt noch bestehen blieben; bei nur wenigen, besonders namhaften, wie z. B. den Kruzianern in Dresden und den Thomanern in Leipzig, wirkten die alten Traditionen über die sich ändernden Zeiten weiter. An die Stelle der alten Schul-K.en traten jedoch im allgemeinen im Laufe des 19. Jh. vereinsmäßig organisierte, gemischte Erwachsenenchöre. Erst im Zusammenhang mit der kirchenmusikalischen Erneuerung wurde seit etwa 1925 als Gegenströmung zum kirchlichen Vereinswesen vor allem von leistungsfähigen städtischen Chören mit zumeist starker kirchlicher Bindung die Bezeichnung K. wieder

aufgegriffen. Jedoch auch übergemeindliche Chöre übernahmen zuweilen diese Bezeichnung, von denen verschiedene in letzter Zeit besonders, z. T. sogar international bekannt geworden sind. Genannt seien die Gächinger K., Laubacher K., Spandauer K. und Westfälische K. sowie die Ev. Jugendkantorei der Pfalz. Vor allem von der Westfälischen K. ging unter dessen Leiter W. Ehmann die Anregung zur sog. K.-Praxis aus, die anstelle reiner a cappella-Besetzung ein vielfältiges, an M. Praetorius anknüpfendes vokal-instrumentales Musizieren betreibt. Im Hinblick auf diese Praxis hat Helmut Bornefeld seine Kantoreisätze (6 Bde., Kas 1930 bis 1952) geschaffen. Lit.: A. WERNER, Gesch. der K.-Gesellschaften im Gebiet des ehemaligen Kurfürstentums Sachsen (L 1902, Nachdr. Wie 1969) (= BIMG 1/9); J. RAUTENSTRAUCH, Luther u. die Pflege der kirchlichen Musik in Sachsen ... Ein Beitr. z. Gesch. der sächsischen K. (L 1907, Nachdr. Hil 1970); P. GRAFF, Gesch. der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der ev. Kirche Deutschlands, 2 Bde. (Gö 21937, 1939); W. ERMANN, Das Musizierbild der dt. K. im 16. Jh., in: Musik u. Bild. FS M. Seiffert (Kas 1938); DERS., Ev. Kantoreibuch (Gütersloh 1954, 31957); R. SCHAAL, K., in: MGG VII; M. RUHNKE, Beitr. zu einer Gesch. der dt. Hofmusikkollegien im 16. Jh. (B 1963). W. BLANKENBURG

KANZELLE /Orgel. KANZONE, Canzone (von lat. cantio = Gesang; engl.: canzona; frz.: canzone; it.: canzone, canzona), Name einer literarisch-musikalischen Form provenzalischen Ursprungs (7Canso). — 1) Die Canzone ist in der italienischen Lyrik des 13. Jh. (Patecchio, Guittone d'Arezzo, Dante, Cino da Pistoia) ein mehrstrophiges Gedicht, dessen Verse (Elfsilbler oder Wechsel von Elf- und Siebensilblern) nach unterschiedlichen Reimschemata angeordnet sind und das in der Regel durch einen „commiato" (= Geleit, meist aus einer Halbstrophe bestehend) beschlossen wird. — 2) Als Bz. für eine Komposition ist der Terminus Canzone seit dem 15. Jh. nachweisbar. Anfangs auf Stücke beschränkt, denen ein Text in Canzonenform zugrunde liegt, wird er seit etwa 1450 auch auf andere Formen weltlicher Vokalmusik ausgedehnt (u. a. /Frottola, řStrambotto). Instrumentale Bearbeitungen französischer 'Chansons (u. a. von Josquin des Prés, H. Isaac, A. Agricola) sowie die Übertragung solcher Chansons auf Laute oder Tasteninstrument (Fr. Spinacino 1507, M. A. Cavazzoni 1523) haben die Weiterentwicklung der K. zu einem Gattungsnamen der Instrumentalmusik vorbereitet. Im 16. Jh. weisen Titel wie Canzon villanesche, Canzon alla napolitana, Canzon alla padoana (u. a. bei A. Willaert, O. di Lasso) noch auf diese Tradition hin, während seit etwa 1580 der Name řKanzo301

Kanzone nette das anspruchslos-heitere Gegenstück zur ernsteren, gehobenen Gattung Madrigal bezeichnet. Entscheidend für die Entstehung der K. als einer der wichtigsten instrumentalen Gattungen des 16.-17. Jh. ist die Blüte der Pariser Chanson um 1520-30 (Cl. de Sermisy, Cl. Janequin). In der Regel 4st., ist ihr Beginn imitatorisch gehalten, während die Fortführung zwischen homophonen Abschnitten mit Parlando-Deklamation und Aufspaltung in Duos verschiedener Stimmenpaare wechselt. Das Vordringen dieser neuen Chanson in ganz Europa führt besonders in Italien zu zahlreichen instrumentalen Übertragungen. Eine herausragende Rolle spielt dabei Janequins Programmchanson La guerre, deren Instrumentalbearbeitungen (von einzelnen Vorläufern im 15. Jh. abgesehen) die Gattung der instrumentalen /Battaglia begründen (A. Gabrieli und A. Padovano). Unter Beibehaltung der für die französische Chanson charakteristischen Satztechnik entstehen ab etwa 1570 die ersten eigenständigen Instrumental-K., die als Canzoni alla francese bzw. Canzoni francesi, später einfach als Canzoni da sonar bezeichnet werden (N. Vicentino 1572, M.A. Ingegneri 1579, Fl. Maschera 1584). Im ausgehenden 16. Jh. gerät die K. zunehmend unter den Einfluß der mehrchörigen Schreibweise, die sich in der Vokal- u. Instrumentalmusik von San Marco in Venedig herausbildet (G. Gabrieli, Sacrae symphoniae I, 1597). Nach 1600, mit Beginn des Generalbaßzeitalters, tritt neben die Canzon à 4 und die mehrchörige K. der neue Typ der monodischen K. für 1-3 Soloinstrumente mit B.c. In Gabrielis Sacrae symphoniae, noch deutlicher in dessen Canzoni e sonate von 1615, zeigt sich die enge Nachbarschaft der Gattungen K. und /Sonate. Für M. Praetorius (Syntagma musicum III, 1619) reduziert sich der Unterschied auf die Tatsache, „daß die Sonaten gar gravitetisch und prächtig uff Motetten Art gesetzt seynd, die Canzonen aber mit vielen schwartzen Notten frisch, frölich und geschwinde hindurch passiren". Der für die Form der K. charakteristische Mensurwechsel führt schon früh zu einer mehrteiligen Anlage, die sich allmählich zu echter Mehrsätzigkeit weiterentwickelt. Das Herauswachsen der Sonate aus der K., das sich in der Instrumentalmusik des frühen 16. Jh. anbahnt (G. Gabrieli, G. P. Cima, B. Marini), findet um die Mitte des 17. Jh. seinen Abschluß (letzte Beispiele für das Nebeneinander beider Termini: T. Merula 1637, M. Neri 1644). — Während in der Ensemblemusik die K. in der Sonate aufgeht, lebt sie in der Musik für Tasteninstrumente bis ins 18. Jh. als selbständige Gattung fort. Schon G. Cavazzoni (1543) hatte sich keineswegs auf eine bloße Übertragung der vokalen Vor-

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lagen beschränkt, sondern sich der Technik paraphrasierender Umgestaltung bedient, die bald darauf auch A. Gabrieli aufgriff (Canzoni alla francese et ricercari ariosi, V 1605). Eine Mischform sind seine Ricercare über Chansonthemen (z. B. Ricercarsopra Martin menoit). Die K.n Cl. Merulos tragen oft Überschriften, in denen sich Widmungen an eine Familie oder Einzelperson verbergen (z. B. La Zanbeccara). Eine wichtige Rolle spielt die K. in der Frühgeschichte der Fuge. Schon B. Schmid d. J. (Tabulaturbuch, 1607) verwendete beide Namen völlig gleichbedeutend: „Fugen (oder wie es die Italiener nennen) Canzoni alla Francese". Als knappe Imitationsform mit nur einem Thema wurde die K. als eine Vorform der Instrumentalfuge insbesondere von süddeutschen Komponisten gepflegt. Die K. beeinflußte auch die Kirchensonate des 17. Jh., vor allem das an zweiter Stelle stehende fugierte Allegro. Nach 1600 zeichnet sich verstärkt die Bestimmung der K. für die Orgel ab. Schon A. Banchieri (L'Organo Suonarino, 1605) veröffentlichte eine Reihe von K.n als Gebrauchsmusik für die Kirche; noch deutlicher wird diese Entwicklung bei G. Frescobaldi, der den 5 K.n seiner Fiori musicali (1635) einen festen Platz in der Meßliturgie zuwies: nach der Epistel und nach der Communio. Frescobaldi begründete schon in seinen frühen K.n (1615, 1624) nach dem Vorbild der neapolitanischen K. (G. M. Trabaci 1603) den neuen Typus der Variations-K., deren Abschnitte untereinander in variativem Zusammenhang stehen, und wandte sich damit vom älteren Typus der Kontrast-K. ab. Die gelegentliche Einfügung freier Überleitungspassagen führte zur Annäherung an die Form der Toccata (z. B. abrupte Tempowechsel in den Kanzonen der Fiori musicali durch Vorschriften wie Adagio und Allegro), die nun ihrerseits die fugierten Abschnitte nach dem Variationsprinzip miteinander verband. Die süddeutschen Komponisten J. J. Froberger und J. K. Kerll knüpften in ihren K.n an das Formschema ihres Lehrers Frescobaldi an (3teilige Variations-K. mit Mensurwechsel C — 3/2 —C), das durch H. Scheidemann und M. Weckmann auch im norddeutschen Raum nachwirkte. Bei D. Buxtehude trat neben die Canzona mit dem 3teiligen Formschema C — 6/8 — C die wesentlich kürzere, einteilige Canzonetta ohne Mensurwechsel. Charakteristisch für die K. Buxtehudes ist die Ausprägung eines eigenen, von der Fuge deutlich unterschiedenen Thementyps, der durch ununterbrochen fortlaufende Sechzehntelbewegung oder durch ausgedehnte Tonrepetitionen im Themenkopf gekennzeichnet ist (oft sind beide Merkmale miteinander verbunden). Von J. S. Bach, der 1714 —vermutlich zu Studienzwecken — eine Kopie der

Kapelle Fiori musicali Frescobaldis erwarb, stammt eine Canzona in D, die ebenfalls Mensurwechsel und Themenvariation aufweist, allerdings reduziert auf die 2teilige Anlage C — 3 / 2. Wichtiger jedoch erscheint der Einflug der K. auf eine bestimmte Fugengattung in Bachs Wohltemperiertem Clavier, die als Gegenpol zur sog. Ricercarfuge zu gelten hat. — Im 20. Jh. begegnet die K. gelegentlich in der an historischen Vorbildern orientierten Instrumentalmusik, so z. B. bei E. Pepping (2. Klaviersonate, 1937, 2.Orgelkonzert, 1942) und H. Schroeder (Präludium, K. und Rondo für V. und Org., 1939). Lit.: A. HEUSS, Ein Beitr. z. Klärung der K.n- u. Sonaten-Form, in: SIMG 4 (1902/03); H. KLOTZ, Über die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance u. des Barock (Kas 1934, 2 1975); J. M. KNAPP, The Canzon Francese and Its Vocal Models (1941) (= Diss. Columbia Univ.); E. CROCKER, An Introductory Study of the Italian Canzona for Instrumental Ensembles (1943) (= Diss. Radcliff College); B. DISERTORI, Le canzoni strumentali da sonar a quattro di C. Merulo, in: RIMus 47 (1943); S. KUNZE, Die Instrumentalmusik G. Gabrielis (Tutzing 1963) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 8); J. MÜLLER-BLATTAU, Gesch. der Fuge (Kas '1963); H.-J. PAULY, Die Fuge in den Orgelwerken D. Buxtehudes (Rb 1964) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 31); W. APEL, Gesch. der Orgel- u. Klaviermusik bis 1700 (Kas 1967); D. KÄMPER, Stud. z. instr. Ensemblemusik des 16. Jh. in Italien (Kö — W 1970) (= Anal. Mus. 10). D. KÄMPER

KANZONETTE (von it. canzonetta, Diminutiv von canzona; engl.: canzonet; frz.: canzonette), Bz. für eine weltliche Vokalkomposition in strophischer Liedform, deren Blütezeit in Italien in das späte 16. Jh. fällt. Die K. stellt die letzte Stufe innerhalb der von der geistlichen Musik und vom Madrigal unabhängigen Entwicklung des volkstümlichen italienischen Liedes dar. Der Text der K. ist an keine bestimmte Form gebunden, während der musikalische Aufbau stets eine dreiteilige Form aufweist (aabcc). Diese aus der instrumentalen Tanzmusik (/Basse danse) stammende Form ist eines der beiden Schemata, die für sämtliche italienische Lieder des 16. Jh. charakteristisch sind, für die OEVillanella, die Villanesca und die vokale řKanzone. In der K. durchdringen sich die volkstümlichen Tanzliedformen und die aristokratische Kunst des Madrigals. Während dieses jedoch zunehmend homophon wurde, übernahm die K. vom Madrigal die verfeinerten Techniken, den imitatorischen Aufbau und teilweise die syllabisch deklamierende Motivik des Madrigals, allerdings nicht mehr als konstituierende, sondern als rein dekorative Elemente. Die Annäherung der beiden Gattungen ging so weit, daß Th. Morley die K. als „counterfeit of the Madrigal" nannte. Das musikalische Geschehen der K. wird von den Außenstimmen, namentlich von einem tanzartigen, ostinaten Baß, der auch die harmonischen Funktionen festlegt, bestimmt. Be-

zeichnenderweise sind die von S. Verovio zwischen 1586 und 1595 herausgegebenen Sammlungen von K.n bereits mit Tabulaturen für Laute und Cembalo versehen. Der Prozeß der gegenseitigen Angleichung der Gattungen mündete schließlich in die generalbaßbegleiteten Liedtypen des 17. Jahrhunderts. Zunächst überwiegend 3-4st. geschrieben, reduziert sich die K. mehr und mehr auf die Besetzung Solostimme und B.c., die erstmals bei D. M. Melli 1602 nachweisbar ist. Im Barock wurde die K. weiterhin gepflegt, hauptsächlich in der Oper. Sie ist hier durch strophische Anlage und periodische, volksliednahe Melodik charakterisiert (vgl. auch Francesco Saverio Quadrio, Della storia e della ragione d'ogni poesia, 7 Bde., Bol 1739-52, wo die Unterscheidung zwischen Arie und K. getroffen wird und K. jede Art von Strophenlied ist). Die dreiteilige Form, die bereits unter dem Einflug des Madrigals modifiziert wurde, war im 17. Jh. nicht mehr die Regel; statt dessen findet sich jetzt eine Reprise der ersten melodischen Phrase (1. Vers) am Schluß des Stückes. Diese Form beschreibt auch noch Walther (Musicalisches Lexicon, 1732). Die Bz. K. wurde noch im späten 18. und bis ins 19. Jh. verwendet, war jedoch nicht mehr an eine bestimmte musikalische Form oder Gattung gebunden. Lit.: F. VATIELLI, Canzonieri musicali del Cinquecento, in: RMI 28 (1921); H. J. MOSER, Das dt. Chorlied zw. Senfl u. HaBler, in: Jb. Peters 35 (1928); W. DURR, Die it. Canzonette u. das dt. Lied im Ausgang des 16. Jh., in: FS L. Bianchi (Bol 1960); E. GERSON-KIWI, Sulla genesi delle canzoni populari nell '500, in: Gedenkschrift J. Handschin (Str 1962); C. MORRICONE — A. SALOTTOLO, V. Haussmann trascrittore e le canzonette italiane in Germania, in: RIMus 5 (1970). R. DI

BENEDETTO

KAPELLE (von mittellat. cappa = Mantel; engl.: chapel; frz.: chapelle; it.: cappella; span.: capilla). Das Wort K. wird in der heutigen deutschen Umgangssprache in zwei verschiedenen Bedeutungen benutzt, zwischen denen keine Verbindung mehr empfunden wird. Es ist einerseits Bz. für eine kleine Kirche oder einen abgegrenzten Teil einer größeren Kirche, andererseits Bz. für ein auf bestimmte Gattungen der Instrumentalmusik spezialisiertes Ensemble von Musikern, an das nicht die höchsten künstlerischen Ansprüche gestellt werden (Stadt-, Dorf-, Vereins-, Kur-, Militär-, Blas-, Tanz-K.). Im Verlauf der Musikgeschichte verstand man ursprünglich unter einer K. die Körperschaft der Personen, denen die Durchführung der Gottesdienste in einer Kirche oder Kapelle anvertraut war; der K. gehörten Geistliche und Sänger an. Seit dem 16. Jh. ist das Wort im deutschsprachigen Raum auch in anderen Bedeutungen verwendet worden. An einigen Orten zählte man zur K. nur noch diejenigen, 303

Kapelle denen die Ausführung der Musik im Gottesdienst im 15. und 16. Jh. an vielen größeren Kirchen einübertragen war, nicht aber die Geistlichen. Oder es gerichtet wurden, behauptete die Cappella Sistina wurden alle, die an der gottesdienstlichen Musik eine Sonderstellung insofern, als keine Instrumente mitwirkten, zur K. gerechnet, d. h. auch die Instru- zur Kirchenmusik herangezogen wurden und man mentisten, die bis dahin organisatorisch nicht zur K. auch, von kurzen Ausnahmen abgesehen, keine gehört hatten. Schließlich sprach man auch dann 2'Kapellknaben einsetzte. noch von einer Hof -K., wenn die Hofmusiker kaum Zahlreiche neue Hof-K.n wurden im 15. Jh. vor alnoch bei der Kirchenmusik mitzuwirken hatten; lem in Italien gegründet. In den wichtigsten euroeine K. war nur noch eine Gemeinschaft von Musi- päischen Musikzentren sorgten Agenten für die zierenden. Parallel zur Entwicklung des modernen Verpflichtung von Sängern. Häufig wurden auch höfischen und städtischen Orchesters erfolgte die Mitglieder der K.n in die Niederlande oder nach Abwertung des Begriffs. — In der Musikgeschichts- Frankreich geschickt, um qualifizierte Sänger und schreibung hat man häufig auch solche Körper- Sängerknaben zu gewinnen. In einem musikgeschaften K.n genannt, die zu ihrer Zeit in betonter schichtlichen Rückblick hob Tinctoris (ProportioAbgrenzung gegenüber einer wirklichen K. als nale musices) hervor, daß viele Fürsten im BestreSchola cantorum, Kantorei, Maîtrise, Hofmusici, ben, die Gottesdienste prächtiger gestalten zu Ratsmusici oder auch als Hoftrompeter bezeichnet können, nach dem Vorbild König Davids K.n geworden waren. gründet und unter großem Kostenaufwand hervorCapella hieß im 7. Jh. am Hof der Merowinger die ragende Sänger angestellt hätten; da man als Sänger Reliquie des Mantels des Hl. Martin von Tours. Sie einer Hof -K. Ruhm ernten und reich werden ging im B. Jh. in den Besitz der Karolinger über. Die könne, seien viele zum Studium der Musik angeregt Hofgeistlichen, die diese und andere Reliquien zu worden, und darauf gründe sich der Aufschwung, hüten und die Gottesdienste durchzuführen hatten, den die Musik um 1430 genommen habe. Die Anwurden Capellani genannt. Beginnend mit der stellung in einer Hof -K. bot allerdings weniger SiReichsteilung bildeten sich auch an anderen Höfen. cherheit als die in einer kirchlichen K., da nach dem capellae. Zunächst bezog man die Bezeichnung nur Tode eines adligen Dienstherrn alle Verträge nichauf die Körperschaft der Hofgeistlichen. Mit dem tig bzw. die K.n häufig aufgelöst oder reduziert Aufkommen des kunstvollen mehrstimmigen litur- wurden. gischen Gesangs wurden die K.n erweitert und setz- Die offizielle Rechtfertigung für die Einrichtung eiten sich nun zusammen aus Geistlichen und aus ner Hof -K. bot das Wirken im Gottesdienst. Hier Sängern. wurden die K.n-Sänger von den nicht zur K. gehöAuf K.n dieses Typs stießen die Päpste, als sie am renden Instrumentisten unterstützt. Daneben haAnfang des 14. Jh. ins Exil nach Avignon gingen. ben alle Hofmusiker auch die weltliche Musik Johannes XXII. hat in der Bulle Docta sanctorum gepflegt. Einige besonders kunstliebende Fürsten nicht nur die moderne französische Kirchenmusik unterhielten neben ihren K.n private Musikkolleals unkirchlich abgelehnt, sondern auch Haltung gien (Galeazzo Maria Sforza in Mailand, Franz I. und Geist der Sänger kritisiert. Trotzdem paßte von Frankreich, aber auch Papst Leo X.). Im 15. Jh. man sich schon in Avignon den neuen Gegebenhei- betrug die Zahl der K.n-Mitglieder an größeren ten an und stellte französische Sänger ein, die die Höfen (wie z. B. in Burgund, Sainte-Chapelle Paris, neue Kunst beherrschten. Nach dem Konzil von Chapel royal London, Savoyen, Kastilien, Aragón, Konstanz (1414-18) wurden in die päpstliche K., Mailand und Ferrara) etwa 20-30. Wenn 75% der wie sie jetzt im Gegensatz zur alten klösterlichen Mitglieder Sänger waren, konnte also jede der 3 řSchola cantorum genannt wurde, ausgebildete Männerstimmen einer 4st. Komposition von 5-6 Sänger und Komponisten aus dem niederländisch- Sängern (und einigen Instrumentisten) ausgeführt französischen Raum aufgenommen. Um sie zu ge- werden. winnen und zu halten, mußten Sonderregelungen In den meisten Ländern behielten die K.n im 16. über die Vergabe von Benefizien und Pfründen er- und 17. Jh. ihre Struktur. An der Spitze der Saintelassen werden. Nicht anders als in Hof-K.n sorgten Chapelle in Paris stand ein Bischof; die leitenden Strafbestimmungen für die Wahrung der nötigen Musiker führten den Titel Sous-maître; die InstruDisziplin und für das Einhalten der Dienstpflichten. mentalensembles (Grande und Petite bande) bilUm 1450 gehörten der päpstlichen K. 16-18 Sän- deten eigene Körperschaften. Ebenso unterhielt ger an. Nach dem Bau der Cappella Sistina (1483), der englische König neben der im 16. Jh. vorüberderen Bezeichnung nun auch auf die Körperschaft gehend auf 114 Mitglieder angewachsenen Chapel übertragen wurde, stieg die Zahl auf 24, in der Mitte royal in London ein Instrumentistenensemble. Im 16. Jh. erreichten auch einige deutsche Höfe des 16. Jh. auf 33. Im Vergleich zu anderen K.n, die 304

Kapellmeister durch den Ausbau oder die Neugründung von Hof-K.n den Anschlug an die führenden Musiknationen. Man stellte zahlreiche niederländische Sänger an und brachte sie in die führenden Positionen; die Instrumentalensembles vieler Höfe rekrutierten sich aus italienischen Musikern. Unter Kaiser Maximilian I. wurde die Hof -K. vom Bischof Slatkonia geleitet; die Kapellsänger und die Instrumentisten wurden zusammen auch als Kantorei bezeichnet. An den meisten evangelischen Höfen, aber auch an einigen katholischen wie München, bildeten sich Kantoreien, denen Sänger und Instrumentisten angehörten; der leitende Musiker führte den Titel /Kapellmeister. An anderen Höfen hielt sich der Typ der älteren Hof -K.; die Instrumentisten standen hier auf einer niedrigeren Rangstufe, wirkten aber bei der Kirchenmusik mit den Sängern zusammen. Angestrebt wurde für die Kirchenmusik eine gemischt vokal-instrumentale Maximalbesetzung. In der /Mehrchörigkeit und im großbesetzten /geistlichen Konzert seit etwa 1600 wurden die Chöre, die die obligaten Favoritchöre fakultativ ergänzten, Capellae genannt. Sie konnten rein vokal, rein instrumental oder gemischt besetzt werden. Wenn solche Capellae auch der Klangausweitung dienten, mußten die höchsten und die tiefsten Stimmen instrumental ausgeführt werden. Aus der gleichen Zeit stammt auch die Bezeichnung /a cappella für eine bestimmte musikalische Satzweise in der Tradition des vor allem an Palestrina orientierten strengen Kontrapunkts. Der Terminus deutet wohl darauf hin, daß man sich dabei der kirchlichen K.n des 16.-17. Jh. als der Hauptpflegestätten dieses Stils bewußt blieb. Erst im 19. Jh. wurde a cappella umgedeutet zur Bezeichnung einer bestimmten, rein vokalen Aufführungsweise. Nachdem sich im 17. Jh. das Schwergewicht der höfischen Musik mehr und mehr auf den weltlichen Bereich einschließlich der Opernpflege verlagert hatte, wurde in Deutschland die Gesamtheit der Hofmusiker als K. bezeichnet. Der Begriff verlor damit seinen Zusammenhang mit dem Gebäude, in dem die K. ursprünglich gewirkt hatte. Nach der Auflösung zahlreicher Hof-K.n und der Neugründung moderner Hoforchester verstand man unter einer K. nur noch ein zweitrangiges Ensemble. Lit.: W. LUDERS, Capella, in: Arch. für Urkundenforschung 2 (1909); J. FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle der dt. Könige I (St 1959); (= Schriften der Monumenta Germaniae Historiae XVI/ 1). — F. X. HABERL, Die römische Schola cantorum u. die päpstlichen Kapellsänger bis z. Mitte des 16. Jh., in: VfMw 3 (1887); M. BRENET, Les musiciens de la Ste-Chapelle du Palais (P 1910); J. MARIX, Histoire de la musique et des musiciens de la cour de Bourgogne (Str 1939); M. RUHNKE, Beitr. zu einer Gesch. der dt. Hofmusikkollegien im 16. Jh. (B 1963); M. TH. BOUQUET, La cappella musicale dei duchi di Savoia, in: RIMus 3 (1968) u. 5 (1970). M. RUHNKE

KAPELLKNABEN, Bz. für junge Sänger in kirchlichen oder höfischen >'Kapellen, denen in mehrstimmigen Gesängen die Ausführung der Oberstimmen übertragen war, auch für die Chorknaben oder -schüler, die nur zum Choralgesang herangezogen wurden. An größeren Kirchen wurden schon im Mittelalter Scholae cantorum eingerichtet, an denen K. neben ihrer musikalischen Ausbildung auch allgemeinen Unterricht erhielten. Der Musikunterricht erstreckte sich auf die Grundelemente des Choral- und Figuralgesangs; in den bedeutenderen Singschulen wurden auch Kontrapunkt und Kompositionstechnik mit einbezogen. In kleineren kirchlichen Kapellen wirkten 4-6 K. mit; an größeren Kirchen waren es 12 (14. Jh. Lüttich; 1550 Paris, Notre-Dame). In Singschulen für Choralsänger konnten 30 Knaben ausgebildet werden (1436 Florenz). Die Cappella Sistina nahm eine Sonderstellung ein. Nach zwei kurzen Versuchen (1425-27 und 1437-42), K. einzusetzen, blieb man dabei, die Soprane von falsettierenden (/Falsett) Männerstimmen singen zu lassen; erst im 17. Jh. wurden auch /Kastraten in die Cappella Sistina aufgenommen. In den Hofkapellen des 15.-17. Jh. waren Ausbildung und Unterhalt der K. dem leitenden Musiker übertragen. Für den allgemeinen Unterricht konnte ein Knabenpräzeptor angestellt werden. An kleineren Höfen begnügte man sich mit 2-4 K., an den größeren konnte man für die Oberstimmen weitaus mehr K. einsetzen, als für jede andere Stimme an Sängern zur Verfügung stand. Zur englischen Chapel royal gehörten 1465 10 K.; während der 2. Hälfte des 16. Jh. waren es in München und Stuttgart 10, in Wien bzw. Prag 16-24. Viele bedeutende Komponisten von Dufay über Palestrina und Schütz bis zu Haydn, Schubert und Bruckner sind in ihrer Jugend K. gewesen und haben hier die Grundlage ihrer musikalischen Ausbildung erhalten und das zeitgenössische Repertoire kennengelernt. M. RUHNKE KAPELLMEISTER (engl.: master of the chapel; frz.: maître de chapelle; it.: maestro di cappella; span.: maestro de capilla), entsprechend dem Bedeutungswandel des Wortes /Kapelle unterschiedlich verwendete Bz. für den Leiter einer Kapelle. Bis zum 16. Jh. (in Frankreich und Italien auch darüber hinaus) wurde der für die Gottesdienste verantwortliche oberste Geistliche eines Hofes, in vielen Fällen ein Bischof, K. genannt. Der ihm unterstehenden Kapelle gehörten neben Sängern und Organisten auch die Geistlichen an, denen keine musikalischen Aufgaben übertragen waren. Diese Bz. trugen auch der Leiter einer nach dem 305

Kapodaster Vorbild der Hofkapellen eingerichteten kirchlichen Kapelle, die ebenfalls aus Geistlichen und Sängern bestand, oder der leitende Musiker innerhalb einer Kapelle und damit der Vorgesetzte eines Teils der Kapellmitglieder sowie der řKapellknaben. Unter seiner Leitung wirkten Instrumentisten bei der Kirchenmusik mit, ohne der Kapelle anzugehören. Diese neue Bedeutung des Wortes K. kommt im 16. Jh. auf, setzte sich aber nicht sofort überall durch. In der musikwissenschaftlichen Literatur bezeichnet man häufig als K. auch solche Musiker, die die Titel Musikmeister, Maître bzw. Sousmaître des enfants (Knaben-K.) oder auch Hofkomponist u. ä. geführt haben. Mit K. wurde gleichfalls der Leiter einer aus Sängern und Instrumentisten bestehenden Kantorei oder Hofkapelle neuen Typs bezeichnet. Auch Instrumentisten konnten jetzt K. werden. — Im 19. und 20. Jh. wurde die Bz. K. für den Leiter eines beliebigen Instrumentalensembles, auch eines Blasorchesters oder eines Tanzmusikensembles üblich; insbesondere der dem Chefdirigenten oder GMD nachgeordnete 2. oder 3. Dirigent eines größeren Orchesters (auch Opernensembles) wird heute noch K. genannt. Bis heute hat sich die Bezeichnung K. auch im Titel Dom-K. für den Leiter der Kirchenmusik an einer Bischofskirche erhalten. Gelegentlich wurde die Figur des K.s auch musikalisch charakterisiert, so von D. Cimarosa in der Kantate II maestro di cappella. M. RUHNKE KAPODASTER >'Capotasto. KAPR, Jan, *12. 3. 1914 Prag; tschechischer Komponist. K. studierte 1933-38 Klavier und Komposition bei J. Řídký am Prager Konservatorium sowie bis 1940 in der Meisterklasse von J. Křička. 1939-46 war er Redakteur am Prager Rundfunk und 1950-53 Chefredakteur des Staatlichen Musikverlages Orbis in Prag. 1961-70 lehrte er Komposition an der Janáček-Musikakademie in Brünn. K. nimmt im tschechischen Komponisten-

verband leitende Aufgaben wahr. Er trat auch als Musikkritiker hervor. WW: 7 Streichquartette (1938-72); Rotace 9 (1967) für Klv.Quartett; Svědectví (1969) für Vc., BaBklar., Klv. u. Lichtregie; Anachron (1974) für Kammerorch. - Für Orch.: 8 Symphonien: 1 (1942), 2 (1946), 3 (1956, umgearbeitet 1974), 4 (1956, 2. Fassung 1958), 5: Olimpica (1959-63), 6 (1960-64), 7: Rikadla (1969), 8: Campanae Pragenses (1977) für gem. Chor u. Orch.; symphonische Dichtung Zítra (1953); Oscilace (1965) für V. u. Kammerensemble; Šifry (1965) für Klv., Schlagzeug u. elektronische Klänge; Omaggio alla tromba (1967) für Trp. u. Kammerensemble. - Stínohra (1968) für Sopran, Alt-Fl. u. Harfe; „Guten Morgen, Stern" (Text: Ch. Morgenstern) für gem. Chor (Kas 1974); Vendanges (1974) (Text: P. Verlaine) für Singst. u. Klv. Oper Muzikantská pohádka (Musikantenmärchen) (1962).

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KAPRÁL. —1) Václav, * 26.3. 1889 Určice (Mähren), t 6.4. 1947 Brünn; tschechischer Komponist und Klavierpädagoge. Er studierte 1907-10 Komposition bei L. Janáček in Brünn und 1919-20 bei V. Novák in Prag und war 1923-24 noch Klavierschüler von A. Cortot in Paris. Bereits 1911 hatte er in Brünn eine Musikschule gegründet, an der er Klavier lehrte. 1936 wurde er Theorielehrer am Konservatorium in Brünn. Während der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei war er 3 Jahre im Konzentrationslager Svatobořic interniert. Nach seiner Entlassung nahm er sein früheres Amt wieder auf und lehrte seit 1946 an der neugegründeten Musikakademie in Brünn. K., dessen Werke zunächst den Einfluß von R. Schumann und J. Brahms, später von V. Novák und L. Janáček zeigen, gehört zu den wichtigsten modernen tschechischen Komponisten in der 1. Hälfte des 20. Jh. WW: Für Klv.: 4 Sonaten (1918, 1921, 1924, 1940); Sonatine (1930); Fantasie (1934); Sonatina bucolica (1936); 2 Streichquartette (1925, 1927); Pro ni (1927) für SingSt u. Klv.-Quartett; Pízerj podzimu (1929) für SingSt u. Streichquartett; Messe (1943); ferner Lieder, Chöre u. Volksliedbearb.

2) Vítězslava Kaprelová, Tochter von 1), * 24.1. 1915 Brünn, t 16. 6. 1940 Montpellier; tschechische Komponistin. Sie studierte 1930-35 am Konservatorium in Brünn, 1935-37 Komposition bei V. Novák und Dirigieren bei V. Talich am Konservatorium in Prag und anschließend bei B. Martinů und Ch. Münch in Paris. K.s frühe Kompositionen sind, besonders auch in der Melodiebildung, durch die Romantik geprägt. Ihre späteren, in Paris entstandenen polytonalen und polyrhythmischen

Werke deuten auf Einflüsse Martini's hin. WW: Klv.-Stücke; Streichquartett (1936); Partita (1938) für Str. u. Klv.; Sinfonietta (1937) u. Suita rustica (1938) für Orch.; Klv.Konzert (1935). Lit.: Zu 1): L. KUNDERA, V. K. (Brünn 1968). - Zo 2): J. MACEK, V. Kaprálová (Pr 1958).

KAPSBERGER, Johannes Hieronymus (in Italien bekannt als Giovanni Geronimo Girolamo Tedesco della Tiorba), * um 1575, t um 1661 Rom; dt. Theorbist, Lautenist und Komponist. K. kam kurz nach 1600 nach Venedig und um 1609 nach Rom, wo er als Virtuose auf Theorbe und Chitarrone zu großem Ansehen gelangte und am Hof Papst Urbans VIII. lebte. A. Kircher, der ihn in Rom kennenlernte, bringt in seiner Musurgia universalis (1650) mehrere Werke von K. als Beispiel für den Tanzstil in der Ensemblemusik und rühmt ihn als vollkommensten Theorbisten seiner Zeit. WW: 4 Bücher Intavolatura di chitarrone, 1 (V 1604), 2-4 (R 1616-40); Madrigale für 5 St. (R 1609); 6 Bücher Villanellezu 1-3 St. für Chitarrone u. Chitarra spagnola (R 1610-32); 2 Bücher Intavolatura di lauto (R 1611, 1623); Libro primo di sinfonie a

Karbusický quattro mit B.c. (R 1615); Capricci a due stromenti tiorba e tiorbino (o.O. 1617); Cantiones sacrae für 3 St. u. B.c. (R 1628); Modulatus sacri diminutis voculis concinnati... (R 1630); Missa Urbanae für 4-8 St. (R 1631). Ausg.: Libro primo d'intavolatura di lauto 1611 (Faks.-Ausg. Bol 1970) (= Bibl. musica Bononiensis IV/41); dass. (G 1980). Lit.: P. KAST, Biographische Notizen über J. H. K. aus den Vorreden zu seinen Werken, in: Quellen u. Forsch. aus it. Arch. u. Bibl. 40 (1960); DERS., Traccie monteverdiane e influssi romani nella musica sacra del K., in: RIMus 2 (1967).

KARAJAN, Herbert von, * 5.4. 1908 Salzburg; östr. Dirigent. Er studierte am Salzburger Mozarteum und an der Wiener Musikakademie (Klavier, Dirigieren). 1927-34 war er Theaterkapellmeister in Ulm, 1934-41 GMD in Aachen. Seit 1937 leitete er in Berlin auch Konzerte der Staatsoper und der Philharmoniker und wurde 1941 Leiter der Staatskapelle. Nach dem 2. Weltkrieg ging er nach Wien, wo er 1949 Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde Wien wurde. Mit den Wiener Philharmonikern und dem Philharmonia Orchestra London unternahm er Konzertreisen durch die ganze Welt und wirkte als Dirigent, später auch als Regisseur, bei Festspielen in Salzburg, München, Berlin, Edinburgh und Luzern sowie an der Mailänder Scala. 1954 wurde er als Nachfolger Wilhelm Furtwänglers bei den Berliner Philharmonikern Dirigent „auf Lebenszeit". 1956-64 leitete er außerdem die Wiener Staatsoper, wo er vor allem Wagner-, Verdi- und Strauss-Opern aufführte. In den 60er Jahren trat K. als Dirigent und Regisseur besonders bei den Salzburger Festspielen hervor, deren künstlerischer Leiter er ist. Prominente Aufführungen waren dort Don Giovanni von W. A. Mozart (1961; 1968), Elektra von R. Strauss, Boris Godunow von M. Mussorgski, Carmen von G. Bizet (1964-66), Otello und Don Carlos von G. Verdi (1970; 1976). Seit 1967 veranstaltet K. mit den Berliner Philharmonikern in Salzburg auch Osterund Pfingstfestspiele. 1969 gründete er eine Herbert von K.-Stiftung zur Förderung des internationalen Dirigenten-Nachwuchses, des Welt-Jugendorchesters und der Forschung (Akustik, Interpretations- und Rezeptionsgeschichte u. a.). In K. vereinen sich geniale Dirigierbegabung und überragendes Organisationstalent (Medien-Management) auf einzigartige Weise. Dies bezeugen auch die beispielhaften Fernsehaufnahmen berühmter Repertoire-Opern (z. B. Carmen von Bizet). Lit.: B. GAVOTY — R. HADERT, K. (G — Monaco 1954, dt. F 1956); K. LOBL, Das Wunder K. (Bayreuth 1965, F 2 1978); P. DE RAEDT, H. von K. (Gent 1965); H. HÄUSSERMANN, H. von K. (Gütersloh 1968, NA W 1978); P. ROBINSON, K. (Toronto 1975) (mit Diskographie); R. C. BACHMANN, Große Interpreten im Gespräch (Be 1976); R. KLEIN, H. von K. zum 70. Geburtstag, in: OMZ 33 (1978).

KARAJEW, Kara Abulfas-ogly, * 5. 2. 1918 Baku; aserbeidschanischer Komponist. K. studierte 1935-38 am Konservatorium in Baku und später bis 1946 am Moskauer Konservatorium, wo er Schüler von Dm. Schostakowitsch war. 1941-42 dirigierte er die Philharmonie in Baku, leitete dort 1949-53 das Konservatorium und 1949-50 auch das Kunstgeschichtliche Institut der Akademie der Wissenschaften der Aserbeidschanischen SSR. Außerdem war er 1944-49 stellvertretender Vorsitzender und seit 1956 1. Sekretär des Komponistenverbandes der Aserbeidschanischen SSR. In K.s Kompositionen, die Einflüsse Schostakowitschs und S. Prokofjews aufweisen, verbinden sich folkloristische Elemente mit zeitgen. Satztechniken. WW: 2 Streichquartette (1942, 1947); 3 Symphonien, h-moll (1944), c-moll (1946) u. (1964); symphonische Dichtungen. — Kantaten Pesnja serdza (1938) für Chor u. Orch. mit Tänzen u. Pesnja stschastja (1947) für Soli, Chor u. Orch. — Opern: Anja (1941) (zus. mit A. D. Gadschiew); Wjetjen (Heimat) (zus. mit dems.), UA: Baku 1945; Neschnost (Zärtlichkeit) (1972); Ballette: Sem krasaviz (Die sieben Schönen), UA: ebd. 1952, daraus eine Orch.-Suite (1949); Tropoju groma (Auf dem Pfade des Donners), UA: ebd. 1958; Musical Neistowy gaskonjez (Der ungestüme Gascogner, nach E. Rostand, Cyrano de Bergerac) (1972). Lit.: L. V. KARAGITSCHEWA, K. K. (Baku 1956, NA Mos 1968); M. J. TARAKANOWA, Neue Gestalten u. neue Mittel in der Musik, in: BzMw 10 (1965).

KARBUSICKÝ, Vladimír, * 9. 4. 1925 Velim (Böhmen); dt. Musikforscher tschech. Herkunft. K. studierte an der Technischen Hochschule, danach Musikwissenschaft an der Karls-Universität in Prag, wo er 1953 promovierte. Zwischen 1954 und 1968 arbeitete er zunächst am Ethnographischen und dann am Musikwissenschaftlichen Institut der Akademie der Wissenschaften in Prag, war außerdem Vorsitzender der Beethoven-Gesellschaft in der Tschechoslowakei und sei 1965 Lehrbeauftragter für Kunstsoziologie und Musikwissenschaft an der Prager Universität. 1968 übersiedelte er nach Deutschland, wo er 1973 die Staatsangehörigkeit erhielt und bis 1976 als Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen tätig war. 1976 wurde er Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg. K. beschäftigt sich vor allem mit musiksoziologischen Problemen. Schriften: Geschichtl. Übersicht unserer Arbeitslieder (Diss. Pr 1952) (tschech.); Widerspiegelungstheorie u. Strukturalismus (Mn 1973) (= Kritische Information 3); Ideologie im Lied, Lied in der Ideologie. Kulturanthropologische Strukturanalysen (Kö 1973); Soziologische Aspekte der Volksliedforsch., in: Hdb. des Volksliedes II, hrsg. v. R. W. Brednich — L. Röhrich — W. Suppan (Mn 1975); Beethovens Brief „An die unsterbliche Geliebte". Ein Beitr. zur vergleichenden textologischen u. musiksemantischen Analyse (NA Wie 1977); G. Mahler u. seine Umwelt (Da 1978); Systematische Musikwissenschaft (Mn 1979); Anfänge der hist. Überlieferung in Böhmen. Ein Beitr. zum vergleichenden Stud. der ma. Sängerepen (Kö 1980).

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Karel KAREL, Rudolf, * 9. 11. 1880 Pilsen, t 6.3. 1945 Konzentrationslager Theresienstadt; tschechischer Komponist. K. studierte in Prag Jura an der Universität und am Konservatorium Musik u. a. bei A. Dvořák, dessen letzter Schüler er war. 1918 trat er in die tschechische Legion ein und leitete dort seit 1919 das von ihm gegründete Militär-Symphonieorchester. Nach Prag zurückgekehrt, war er 1923-41 Lehrer für Komposition und Orchestrierung am Konservatorium. 1943 wurde er wegen seiner ehemaligen Zugehörigkeit zur tschechischen Legion von der Gestapo verhaftet. K. gehört neben V. Novák und J. Suk zu den wichtigsten Komponisten in der Tradition A. Dvořáks.

wo er nach seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg 1919 als Nachfolger M. Regers Lehrer für Theorie, Komposition und Klavier wurde. Sein kompositorisches Werk war zuerst von Schönberg, Debussy und Skrjabin beeinflußt, lehnte sich jedoch später, vor allem in der dichten Kontrapunktik, an den Stil Regers an. Am bedeutendsten sind seine Kompositionen für Orgel und Harmonium, die vor allem in den angelsächsischen Ländern seinen Ruhm begründeten. K.s Schriften beruhen weitgehend auf der Lehre A. von Oettingens und weisen K. als konsequenten Vertreter des harmonischen Dualismus aus. Zu seinem 100. Geburtstag erschien eine FS, hrsg. v. V. Hempfling (o. O. 1977).

WW: Klv.-Stücke u. Kammermusik, u, a. 3 Streichquartette (1903, 1910, 1936); Sonate für V. u. Klv. (1912); Klv.-Quartett (1916); zahlr. Orch.-Werke, darunter 2 Symphonien (1911, 1938); symphonische Dichtungen Ideály (1909) u. Démon (1920); Orch.Ouvertüre (1941); Lieder u. Chöre. — Opern: Ilseino srdce (Das Herz Ilseins), UA: Prag 1924; Smrt kmotřička (Gevatterin Tod), UA: Brünn 1933; 3 Vlasy děda Vševěda (Drei Haare des allwissenden Greises), UA: Prag 1948; Zkrocení zlé ženy (Der Widerspenstigen Zähmung) (1943) (unvollendet). Lit.: R. K. Werk-Verz. (Pr 1958) (tschechisch). — O. ŠOUREK, R. K. (Pr 1947); J. BAJER, in: Hudební věda 2 (1967).

WW: 1) Kompositionen: Für V. solo: Sonate e -moll op. 88 (1911); Partita, op. 89 (1912); zahlr. Werke für Orgel u. für Harmonium, darunter 66 Choralimprovisationen, op. 65 (1910); 20 Prae- und Postludien, op. 78 (1912); 3 Sinfonische Choräle, op. 87 (1911); Kathedralfenster, op. 106 (1923); WW für u. mit Klv.; Lieder mit Klv. u. mit Org.; Chorwerke a tapp. u. mit Org. bzw. Orch. (1923); — Lehrwerke: Die hohe Schule des Legatospiels, op. 94

KARGEL, Sixt, dt. Lautenist und Komponist Ende des 16. Jahrhunderts. Er lebte zunächst vermutlich in Mainz und stand dann 1569-1607 im Dienst der Fürstbischöfe von Straßburg in Zaberu. Neben M. Neusidler ist K. in seiner Zeit der bedeutendste deutsche Vermittler von Lautenmusik. Seine Tabulaturen (darunter auch zwei der wenigen gedruckten Sammlungen für Cister) enthalten Fantasien (u. a. von Fr. da Milano und von K. selbst), Tanzsätze (Passamezzi, Gagliarden, Saltarelli, Deutsche Tänze) und zahlreiche Intavolierungen von Chansons, Madrigalen, deutschen Liedern und Motetten, vor allem aber von Chansons von O. di Lasso.

Lit.: P. SCHENK, S. K. (B 1927); G. SCEATS, The Organ Works of K. (Lo 1949, 21950); P. SCHENK, K.s polaristische Harmonielehre, in: Beitr. z. Musiktheorie des 19. Jh. (Rb 1966); S. E. YOUNG, The Organ Works of S. K. (1968) (= Diss. Univ. of North Carolina); W. KWASNIK, S. K. Sein Leben u. Werk in heutiger Sicht (Niger 1971); G. HARTMANN, Die Orgelwerke v. S. K. (Diss. Bonn 1985).

WW: Theatrum musicum ... cui carmina selectissima sunt inserta (Löwen 1571); Novae, elegantissimae... cantilenae (Str 1574); Toppel Cythar... von etlichen ... Lidern und Tänzen (Str 1575, Renovata Cythara ... Neugestalt Cytharbuch (Str 1578, 2 1580); Lautenbuch... (Str 1586). 2 1578);

Ausg.: 4 Stücke, hrsg. v. J. WOLF, in: Hdb. der Notationskunde 2 (L 1919, Nachdr. Hil — Wie 1963); Novae... cantilenae, Faks.Ausg. (G 1980). Lit.: W. BOETTICHER, Stud. z. solistischen Lautenpraxis ... (B 1943); H. M. BROWN, Instrumental Music Printed Before 1600. A Bibliography (C/M 1965).

KARG-ELERT, Sigfrid, * 21. 11. 1877 Oberndorf am Neckar, t 9.4.1933 Leipzig; dt. Komponist und Musiktheoretiker. K. war am Leipziger Konservatorium Schüler von S. Jadassohn, C. Reinecke und R. Teichmüller und wurde u. a. von E. Grieg gefördert. Seit 1902 lehrte er am Konservatorium in Magdeburg, kehrte aber 1904 nach Leipzig zurück, 308

(1913); Die Harmoniumtechnik (Gradas ad parnassum), op. 95 (1913/14); Die Kunst des Registrieren, 3 Bde., op. 91 (1911-14). — 2) Schriften: Die Grundlagen der Musiktheorie, 2 Bde. (L 1922); Akustische Ton-, Klang- u. Funktionsbestimmung (L 1930); Polaristische Klang- u. Tonalitätslehre (L 1931).

KARKOSCHKA, Erhard, * 6.3. 1923 MährischOstrau; dt. Komponist. Er studierte seit 1946 an der Komposition Stuttgarter Musikhochschule (K. Marx) und Dirigieren (G. Koslik) sowie Musikwissenschaft (W. Gerstenberg, G. Reichert) an der Universität in Tübingen. Dort promovierte er 1959 mit Studien zur Entwicklung der Kompositionstechnik im Frühwerk Anton Weberns. 1948-68 leitete er Chor und Orchester der Hochschule in Hohenheim bei Stuttgart und lehrt seit 1958 Komposition an der Musikhochschule Stuttgart (1964 Professor). 1963 gründete er dort das Ensemble für neue Musik und leitet seit 1973 das Studio für Elektronische Musik. In seinen Kompositionen und Schriften widmete er sich besonders Problemen musikalischer Zeit- und Formgestaltung sowie neuen Notationsformen. WW: 1) Kompositionen: Bewegungsstrukturen (1960) für 2 Klv.; desideratio (1963) u. triptychon über B-A-C-H (1966) für Org.; Streichquartett quattrologe (1966); antinomie (1968) für Bläserquintett; szene für zwei celli (1968); Mit/gegen sich selbst (1970) für einen Pianisten, der 2 Flügel, Celesta, Cemb., Tamtam u. Tonband zu bedienen hat; Szene im Schlagzeug (1970) für einen Schlagzeuger; 4 Aufgaben für 5 Spieler (1971); Tempora mutantur (1971) für Streichquartett; Horkov (1977) für BaBklar. u.

Kartenspiel KIv. - Elektronische Komposition Drei Bilder aus der Offenbarung des Johannes (1960). - Für Orch.: polyphone studie in 2 stufen (1957); undarum continuum (1960); vier stufen (1966). Eine Suite vom Wind (1955) (nach verschiedenen engl. Dichtern) für Solo-Sopran u. gem. Chor; koordinaten (1959) für Sopran u. Streichquartett; sechs konstcllationen nach E. Gomringer (1962) für Sopran u. 4 Instr.; omnia ad maiorem Dei gloriam (1963) für Tenor u. 12 Instr.; psylex (1968) für Mezzo-Sopran, Fl. u. Tonband; homo sapiens 1968 (1968) für Solostimme. - 2) Schriften: Das Schriftbild der Neuen Musik (Celle 1966); Neue Methoden der musikal. Analyse..., in: FS K. Marx (St 1967); Aspekte der Gruppenimprovisation, in: Melos 38 (1971); Neue Musik. Analyse, Text und Graphik (Herrenberg 1976). Lit.: C. DAHLHAUS, E. K. u. die Dialektik der musikal. Form, in: Melos 50 (1973).

KARL V., Bühnenwerk mit Musik in 2 Teilen von Ernst Krenek (* 1900), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: Kloster San Geronimo de Yuste in Estremadura, im Jahre 1558. UA: 15.6. 1938 in Prag; dt. EA (in dt. Sprache): März 1950 in Essen; EA der 1954 entstandenen Neufassung: 11.5. 1958 in Düsseldorf. Die Beichte des todkranken, gerade abgedankten Kaisers fungiert als Rahmen für das in zahlreiche Rückblenden im Bewußtsein des Herrschers aufgefächerte Geschehen. Durch diese psychologische Brechung entfällt die Notwendigkeit historischer Authentizität. So kann die Handlung verstanden werden als politisches Gleichnis vom Scheitern eines universalen christlichen Herrschers und seiner Reichsidee aufgrund von Nationalismen und religiösen Spaltungen. Das Konzept der Handlung und der musikalischen Idee bildet eine untrennbare Einheit, das Werk steht als musikdramatischer Typus P. Claudels „Welttheater" näher als traditionell verstandener Oper. Folgerichtig hat Musik hier die Aufgabe einer „Trägerin der Reflexion, als umrahmende Aura, durch die hindurch der geschichtliche Vorgang deutend betrachtet wird" (Krenek). Als spürbaren Ausdruck der historischen Distanz verwendet der Komponist die Zwölftontechnik, die er so umsetzt, daß eine flexible Anpassung an dramatische Notwendigkeiten gelingt. Die Aufführungsgeschichte dieses Werkes spiegelt die historischpolitischen Verhältnisse der Entstehungszeit (1931-33) wider: die für 1934 in Wien geplante UA (die Komposition ist der Wiener Staatsoper und ihrem Direktor Clemens Krauss gewidmet) wurde verhindert; erst 3 Jahre nach der Fertigstellung konnten Fragmente zur Aufführung gelangen (1936 in Barcelona und Winterthur, 1937 in St. Gallen), und nach der Prager UA finden erst seit 1950 wieder Aufführungen statt (zuletzt bei den Salzburger Festspielen 1980 in konzertanter Form). TH. MENGER

KARLOWICZ, Mieczyslaw, * 11. 12. 1876 Wisz-

niewo (Litauen), t B. 2. 1909 Zakopane; poln. Komponist. K. war ein Sohn des polnischen Historikers, Ethnographen und Musikers Jan K. (1836-1903). Er studierte 1890-95 Violine, Komposition und Musiktheorie in Warschau, war seit 1896 Kompositionsschüler von H. Urban in Berlin und hörte außerdem Philosophie sowie Musikwissenschaft bei O. Fleischer an der Universität. Nach Warschau zurückgekehrt, arbeitete er seit 1903 mit der Musikalischen Gesellschaft zusammen, deren Direktor er 1904-06 war. 1906 schloß er sich der von L. Rózycki und G. Fitelberg gegründeten Komponistengruppe Mloda Polska an, deren Vorbild R. Strauss war. 1906-07 studierte er Dirigieren bei A. Nikisch in Dresden, lebte dann als Komponist in Warschau, seit 1908 in Zakopane. WW: Symphonie Odrodzenie, op. 7 (1902); V.-Konzert A-Dur, op. 8 (1902); symphonische Dichtungen: Powracaj4ce fale, op. 9 (1904); Odwieczne piešni, op. 10 (1906) (symphonische Trilogie); Rapsodia litewska, op. 11 (1906); Stanislaw i Anna Oswiecimowie, op. 12 (1907); Smutna opowiešc, op. 13 (1908).

K. gehört zu den wichtigsten Vertretern eines neuromantischen Stils in Polen. In der Harmonik lehnt er sich an R. Wagner an, in der Orchestrierung an R. Strauss und z. T. auch an P. Tschaikowsky. Den Schwerpunkt seines Schaffens bilden die symphonischen Dichtungen, in denen auch seine philosophisch-pantheistische Grundhaltung ihren Niederschlag fand. Das gesangliche Melos ist von typisch slawischem Charakter, obwohl K. außer in der Rapsodia litewska (Litauische Rhapsodie) keine Elemente der Volksmusik einbezog. Lit.: M. K. w listach i wspomnieniach, hrsg. v. H. ANDERS (Krakau 1960): - F. KECKI, A Catalogue of Musical Works of M. K. and S. Moniuszko (War 1936); A. CHYBINSKI, K. (Krakau 1947); 1. F. BELZA, M. Karlovič (Mos - Leningrad 1951); Z. Zycia tworczosci M. Karloviča hrsg. v. E. DzIEBOwSKA (Krakau 1970).

KÁROLYI, Julian Julius von (Gyula), * 31.1.1914 Losonc (Ungarn; heute CSSR); dt. Pianist ung. Herkunft. K. studierte seit 1926 Klavier in München (J. Pembaur), Leipzig (M. v. Pauer) und Paris (A. Cortot) sowie 1932-34 in Budapest (E. von Dohnányi). Anschließend unternahm er Konzertreisen durch ganz Europa, seit 1951 auch nach Nordamerika, Südamerika sowie in den Nahen und Fernen Osten. K., der seit 1956 deutscher Staatsbürger ist, lehrt seit 1972 Klavier am Würzburger Konservatorium. Er gilt als prominenter ChopinInterpret. KARTENSPIEL, DAS (Jeu de cartes), Ballett in 3 Spielrunden von Igor Strawinsky (1882-1971). Libretto vom Komponisten. UA: 27.4. 1937 in New York (Metropolitan Opera House), Choreogra309

Kašlík phie: Georges Balanchine (* 1904); dt. EA: Oktober 1937 in Dresden (Staatsoper), Choreographie: Valeria Kratina (* 1892). In Strawinskys Ballett-Euvre bietet das neoklassizistische Spätwerk Das Kartenspiel die wohl originellste Handlung: Spielkarten präsentieren drei Runden einer Poker-Partie. Allein der Joker vermag das Spiel zu beeinflussen; er kann sich in jede beliebige Karte verwandeln und die vorgegebene Gruppierung der Karten verändern. Mit dem ,Royal flush', der höchstmöglichen Kombination des Spiels, endet die Partie. Den spielerisch-heiteren Charakter des Balletts suchte der Komponist mit Parodien u. a. aus Werken von Tschaikowsky (Dornröschen), Ravel (La Valse) und Rossini (Der Barbier von Sevilla) zu illustrieren. Ritornelle grenzen die einzelnen Spielrunden, in denen rhythmisch-agogische sowie tänzerisch-mimetische Elemente eine überzeugende Synthese eingehen, gegeneinander ab. Schon unmittelbar nach der erfolgreichen UA durch das American Ballet wurde das Werk als Inkarnation moderner Ballettkunst apostrophiert. Internationale Anerkennung erlangte als beste neuere Inszenierung J. Crankos humoristische Version (Stuttgart 1965). G. LUDIN

KAŠLÍK, Václav, * 28.9. 1917 Poličná (Nordmähren); tschech. Dirigent, Komponist und Opernregisseur. Er studierte in Prag an der Universität sowie 1936-39 Komposition (A. Hába, R. Karel) und bis 1941 Dirigieren (V. Talich) am Konservatorium. 1942 debütierte er als Regisseur am Nationaltheater in Prag und wurde 1943 1. Kapellmeister in Brünn. 1945-48 leitete er dort das von ihm gegründete und später mit dem Nationaltheater zum Smetana-Theater vereinigte Velká opera Divadla 5. května (Große Oper des Theaters des 5. Mai). Anschließend wurde er Chefdirigent und Chefregisseur des Prager Nationaltheaters. Im Westen trat er besonders als Gastregisseur an den großen Opernhäusern auf. Außerdem arbeitet er für den Film, für das Fernsehen und für das Prager Theater Laterna Magica, mit dem er auch häufig Tourneen unternahm. WW: 1) Kompositionen: Opern: Zbojnická balada (Räuberballade), UA: Prag 1948; Krakatit, UA: Mährisch-Ostrau 1961. — Ballette: Don Juan, UA: Prag 1939; J.inošík, UA: ebd. 1953; Pražský karneval (1959). — 2) Schriften: Operninterpretation in Film u. Fernsehen u. ihre Rückwirkung auf die Bühne, in: Jb. der Komischen Oper Berlin 6 (1966).

KASSATION, Cassation (von it. cassatione = Entlassung), neben /Divertimento, /Serenade und /Notturno eine der im 18. Jh. (oft synonym) verwendeten Bezeichnungen für instrumentale 310

Freiluftmusiken höfischer und bürgerlicher Unterhaltung, wie sie vor allem in Böhmen und Österreich üblich waren. Die Bz. K. erscheint allerdings relativ selten, z. B. bei M. Haydn (2 K.n), W. A. Mozart (K. n KV 62, 63 u. 63 a) und J. Haydn (ursprünglich für die Streichquartette Hob. I: 1-12, die später in Divertimenti umbenannt wurden). Diese K.en unterscheiden sich hinsichtlich Besetzung (Streicher und Bläser) und Satzfolge (4-7 Sätze, meist mit Marsch als Anfangssatz und mit 2 Menuetten) nicht wesentlich von den anderen genannten Gattungen. Lit.: G. HAUSSWALD, Mozarts Serenaden (L 1951); H. ENGEL, Divertimento, Cassation, Serenade, in: MGG III; R. HESS, Serenade, C., Notturno u. Divertimento bei M. Haydn (Diss. Mz 1963); G. HAUSSWALD, Die Orchesterserenade (Kö 1970) (= Das Musikwerk 34).

KASTAGNETTEN (engl.: castanets; frz.: castagnettes; it.: castagnette, castagnole; span.: castaňuelas), ein einhändig spielbares Klapperinstrument, das aus zwei muschelförmigen, (der Resonanzverstärkung wegen) ausgehöhlten Holzschalen besteht, die mit einer an den Ansätzen der Muscheln durchgezogenen Schnur verbunden sind. Der Spieler hängt die Schnur über den Daumen, so daß er mit den anderen Fingern die Schalen gegeneinander schlagen kann. Die K. werden paarweise von Tänzern gespielt, wobei in der linken Hand das tiefer klingende Paar, in der rechten das höher klingende gehalten wird. Instrumente dieser Art waren bereits in der Antike in Ägypten und in Griechenland (/Crotales) bekannt. Sie sind heute vor allem in Südspanien (Andalusien, Balearen) und in Unteritalien verbreitet. Die im Orchester zur Charakterisierung spanischer oder neapolitanischer Musik (G. Bizet, Carmen; R. Wagner, Tannhäuser) verwendeten K. sind Stiel-K., deren Schalenpaare an einem oder an beiden Enden eines Griffes so befestigt sind, daß sie durch Schütteln erklingen.

KASTAGNETTEN 16. Jh.

Kastraten KASTNER, Johann Georg, * 9.3.1810 Straßburg, t 19. 12. 1867 Paris; elsässischer Komponist und Musiktheoretiker. Er studierte in Straßburg protestantische Theologie, wandte sich aber dann der Musik zu. Seine 1835 in Straßburg aufgeführte Oper Die Königin der Sarmaten brachte ihm ein Stipendium der Stadt ein, das ihm eine weitere Ausbildung bei H.-M. Berton und A. Reicha in Paris ermöglichte. 1867 gehörte er zu den Gründern der Association des artistes musiciens für hilfsbedürftige Musiker, deren Vizepräsident er später wurde. Von K.s Kompositionen nehmen die symphonischen Dichtungen in ihrer originellen Konzeption einen besonderen Rang ein. Sie bilden • jeweils den musikalischen Teil eines größeren Ganzen, das K. als „Livre-partition"bezeichnet, und das außerdem eine ausführliche Abhandlung zum Thema des betreffenden Werkes enthält. Unter K.s musikpädagogischen Werken befindet sich auch ein Traité général d'instrumentation, der die erste Instrumentationslehre in Frankreich darstellt. — K.s Sohn, der Physiker Georg Friedrich Eugen, *10. 8. 1852 Straßburg, t 6.4. 1882 Bonn, ist der Erfinder der durch brennendes Gas betriebenen sog. „Flammenorgel" (Pyrophon), die er in Le pyrophone. Flammes chantantes (P 1875) beschrieb. WW: 1) „Livres-partitions": Les danses des morts, darin die symph. Dichtung La danse macabre (P 1852); La Harpe d'Éole et la musique dramatique (darin Stephen ou la harpe d'Éole) (P 1855); Les voix de Paris (darin Les cris de Paris) (P 1857); Les Sirènes (darin La rive d'Oswald ou les sirènes) (P 1858); Parémiologic musicale de la langue française (darin La Saint-Julien des ménétriers) (P 1866). — 2) Opern: Béatrice (1839); La Maschera, UA: Paris 1841; Le dernier roi de Juda (1844); Les nonnes de Robert-le-Diable (1846). — 3) Lehrwerke: Traité général d'instrumentation (P 1837); Méthodes élémentaires de chant, piano, violon, fhite, flageolet, cornet à pistons... (P 1838); Cours d'instrumentation considéré sous les rapports poétiques et philosophiques de l'art (P 1839, Suppl. 1844); Grammaire musicale (P 1840); Théorie abrégée du contrepoint et de la fugue (P 1840); Méthode complète et raisonnée de Saxophone (P 1845). Lit.: H. LUDWIG, J. G. K., ein elsässischer Tondichter, Theoretiker u. Musikforscher, 3 Bde. (L 1886); H. KRETZSCHMAR, J. G. K., in: Gesammelte Aufsätze (L 1910); H. BARTENSTEIN, Die frühen Instrumentationslehren bis zu Berlioz, in: AfMw 28 (1971).

KASTNER, Macario Santiago, * 15. 10. 1908 London; engl. Cembalist und Musikforscher. Er studierte in Amsterdam, Leipzig und Barcelona, wo er Schüler von H. Anglès (Musikwissenschaft) war. Nach zahlreichen Konzertreisen als Cembalist und Clavichordspieler folgte er 1947 einem Ruf als Professor für Cembalo, Clavichord und Interpretation älterer Musik an die Musikhochschule in Lissabon. Außerdem war er ständiger Mitarbeiter des spanischen Instituts für Musikwissenschaft in Barcelona. K. hat sich besonders der Erforschung und Edition span. Klaviermusik des 16. und 17. Jh. gewidmet.

WW: 1) Schriften: Música hispánica (Lis 1936); Contribución al estudio de la música espaňola y portuguesa (Lis 1941); C. Seixas (Coimbra 1947); Port. u. span. Clavichorde des 18..117. (Kop 1952); Parallels and Discrepancies Between English and Spanish Keyboard Music of the 16th and 17th Century (Ba 1952); Relations entre la musique instrumentale française et espagnole au XVI' siècle, 2 Teile (Ba 1955-56); Veinte aňos de musicología en Portugal (1940-60), in: AMI 32 (1960). — 2) Editionen: P. A. Soler, 6 conciertos para dos instr. de teda, Nr. 1-3 (Ba 1952), Nr. 4-6 (Ba 1958-62), NA, 2 Bde. (Mz 1972); Antologia de organistas do s. XVI (Lis 1969) (zus. mit C. Rosado Fernandes).

KASTRATEN (von lat. castrare = verschneiden, entmannen; engl.: castrati, frz.: castrats, it.: castrati, span.: castrados), Bz. für männliche Sänger, denen vor dem Stimmbruch die Keimdrüsen entfernt wurden. Dadurch wurde der Kehlkopf mit den Stimmlippen im Wachstum gehemmt, und es blieb die hohe Lage der Knabenstimme (Sopran oder Alt) erhalten, während Brustkorb und Lungen mit dem normalen Körperwachstum das Volumen und die Kraft der Männerstimme erreichten. Die Kastration war in Italien weit verbreitet; K. sind dort wie auch auf der Iberischen Halbinsel seit der Antike bezeugt. Sie fanden — wohl im Zusammenhang mit dem Verbot des kirchlichen Frauengesangs — im 16. Jh. Eingang in die italienischen Kapellen. Obwohl die katholische Kirche die Kastration verboten hatte, nahm sogar die päpstliche Kapelle in Rom 1588 einen spanischen K. auf. Seit der Mitte des 17. bis weit ins 18. Jh. hinein war das eigentliche Wirkungsfeld der K. die Opernbühne, wo sie triumphale Erfolge nicht nur in Frauenrollen, sondern mehr und mehr in Männerrollen errangen. Sie waren die „Primuomini" des Theaters. Die außergewöhnliche Virtuosität der K., die den Glanz der italienischen Gesangskunst widerspiegelt, stand in enger Wechselwirkung mit der Entwicklung der Opern-Arie, speziell im Bereich der neapolitanischen Opera seria. Ein Indiz dafür sind in diesen Arien die zahlreichen und ausgedehnten Koloraturen. Auch an der Entwicklung des Bel canto hatten die K. einen nicht unerheblichen Anteil. Lange Zeit hindurch waren die männlichen Hauptrollen der neapolitanischen Oper (als deren Vertreter auch G. F. Händel zu gelten hat) für K. bestimmt. Das gleiche gilt auch für die Titel-Partie des Orfeo von Gluck und für die Partie des Idamante in Mozarts Idomeneo. Die heutige Besetzung solcher Rollen ist ein schwieriges aufführungspraktisches Problem. Die bedeutendsten italienischen K. des 18. Jh., die auch außerhalb ihres Landes (mit Ausnahme von Frankreich) gefeiert wurden, waren C. Farinelli, Caffarelli, Gioacchino Conti (genannt Gizziello) und G. F. Tenducci (genannt Senesino). Zu den letzten K., die auf der Bühne sangen, gehören G. Crescentini, der seine Karriere 1812 in Paris beendete, 311

Katchen und G. B. Velluti, den G. Rossini schätzte und der bis 1829 wirkte. In der Cappella Sistina sang noch ein Kastrat zu Beginn des 20. Jh. (A. Moreschi). Lit.: F. HABOCK, Die K. u. ihre Gesangskunst (B —L 1927); H. B. BOWMAN, A Study of the Castrati Singers and Their Music (1952) (= Diss. Indiana Univ.); A. HERIOT, The Castrati in Opera (Lo 1956); H. HucKE, Die Besetzung v. Sopran u. Alt in der Sixtinischen Kapelle, in: Miscelánea ... FS H. Anglés I (Ba 1958); W. RuTI.1, Die K. u. ihre Gesangskunst, in: Bühnengenossenschaft 15 (1963).

KATCHEN, Julius, *15. 8. 1926 Long Branch (New Jersey), t 29.4. 1969 Paris; amerik. Pianist. Er trat bereits 1937 öffentlich auf. 1946 debütierte er in Paris, wo er seither seinen Wohnsitz hatte. 1968 gründete er mit dem Violinisten J. Suk ein Duo. K. ist besonders als Beethoven- und BrahmsSpieler bekannt geworden. KATERINA ISMAILOWA, Oper von D. Schostakowitsch; dt. Titel: /Lady Macbeth von Mzensk. KATINKA UND DER TEUFEL, Oper von A. Dvořák; řTeufelskäthe. KATJA KABANOWA (K;ít'a Kabanová), Oper in 3 Akten von Leoš Janáček (1854-1928), Text vom Komponisten nach Vincenc Červinkas Übersetzung von A. N. Ostrowskis (1823-86) Drama Groza (Das Gewitter). Ort und Zeit der Handlung: die russ. Kleinstadt Kalinow an der Wolga, in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. UA: 23.11. 1921 in Brünn; dt. EA (in dt. Sprache): 8.12.1922 in Köln, Leitung Otto Klemperer. Katja Kabanowa ist nach Jenufa die bedeutendste Oper des mährischen Komponisten. „Das Werk wird eine der zartesten von meinen Arbeiten sein", schrieb Janáček bereits zu Beginn der Kompositionsarbeit. In der Tat gelang es ihm weitgehend, diese Absicht zu realisieren. Weiche, lyrische Themen, deren oft (nicht prinzipiell) leitmotivische Funktion allerdings an Wirksamkeit verliert, weil sie untereinander nicht sehr differenziert werden, unterliegen einem fortwährenden melodischen und rhythmischen Umwandlungsprozeß; über weite Strecken wirkt das Werk geradezu monothematisch. Wie in Jenufa, so liegt auch hier die Stärke der Oper in der psychologischen Zeichnung der Charaktere; monologische Partien sind schon aus diesem Grund Kulminationspunkte im dramatischen Geschehen (herausragendes Beispiel: Katjas seelisches Ringen, bevor sie sich für das ,Verbrechen` entscheidet), zeichnen sich aber auch musikalisch durch filigrane, gelegentlich „impressionistische" motivische Arbeit und hohe Expressivität aus. — Auffällige Übereinstimmungen in der Werkstruktur 312

sind zwischen Katja Kabanowa und Jenufa zu bemerken: In beiden Opern ist es die herrische Mutter, welche die dramatische Entwicklung vorantreibt, in beiden steht ihr eine junge Frau gegenüber, die von den Normen des Kollektivs abweicht und daran zerbricht. Zwischen den Frauen steht jeweils der gutmütige, willensschwache Mann, dessen Versagen die Abwendung der Katastrophe verhindert. R. QUANDT

Kontski). —1) Antoni, * 27. 10. 1817 Krakau, t 7. 12. 1889 Iwanowitschi (RuBland); poln. Pianist und Komponist. Er trat bereits 1825 öffentlich auf, bildete sich 1829/30 bei J. Field in Moskau weiter und nahm später noch Kompositionsunterricht bei S. Sechter in Wien. 1736-51 lebte er in Paris, wo er auch zusammen mit Fr. Liszt konzertierte, 1851-53 als Hofpianist in Berlin, 1853-67 in St. Petersburg, anschließend in London und zuletzt in den Vereinigten Staaten. K. schrieb effektvolle, brillante Salonstücke für Klavier, darunter Le Réveil du lion, das mehr als 100 Auflagen erlebte. — 2) Apolinary, Bruder von 1), * 23.10. 1825 Krakau, t 29.6. 1879 Warschau; poln. Violinist und Komponist. Er trat bereits mit 7 Jahren am Kaiserlichen Hof in Wien auf. 1838 war er vermutlich zeitweilig Schüler von Paganini in Paris, wo er bis 1845 lebte. Anschließend ging er nach Warschau und war dort seit 1850 Konzertmeister an der Oper. 1853-61 lebte er als Kaiserlicher Soloviolinist in St. Petersburg, anschließend wieder in Warschau, wo er das von ihm 20 Jahre lang geleitete Musikalische Institut gründete, aus dem später das Konservatorium hervorging. KÁ

TSKI (de

KATTNIGG, Rudolf, *9. 4. 1895 Oberdorf bei Treffen (Kärnten), t 2.9. 1955 Klagenfurt; östr. Komponist. K. studierte 1918-22 bei J. Marx und F. Löwe an der Staatlichen Musikakademie in Wien, wo er seit 1922 selbst lehrte (seit 1926 als Professor). 1928-34 leitete er die Innsbrucker Musikschule, ging anschließend nach Berlin und dann wieder nach Wien. Seit 1938 war er dort Dirigent der Wiener Symphoniker und des Opernhauses. K. wurde berühmt als Operettenkomponist, dessen Werke die Tradition Fr. Lehárs fortführen. Besonderen Erfolg hatte er mit Balkanliebe. WW: Kammermusik; Konzerte u. Symphonien. — Oper Donna Miranda, UA: Graz 1953. — Operetten: Prinz von ' hule, UA: Basel 1936; Balkanliebe, UA: Leipzig 1937; Mädels vom Rhein, UA: Bremen 1938; Bel Ami, UA: Wien 1948; ferner Filmmusik.

KAUER, Ferdinand, *8. oder 18. 1. 1751 KleinThajax (Mähren), t 13.4. 1831 Wien; östr. Komponist. Nach nicht abgeschlossenem Jura- und Medizinstudium in Tirnau kam K. um 1780 nach Wien.

Kavatine Hier wandte er sich ganz der Musik zu, betrieb Kompositions- und Kontrapunktstudien und arbeitete als Zensor, Übersetzer und Korrektor für den Verlag Artaria & Co., bei dem er auch musikpädagogische Schriften veröffentlichte. 1789 wurde er 1. Violinist und Orchesterdirektor am Leopoldstädter Theater in Wien, ging nach ersten Kompositionserfolgen 1810 als Theaterkapellmeister an das Grazer Theater und kehrte 1811 an das Leopoldstädter Theater zurück. 1814-18 war er Kapellmeister am Josefstädter Theater und seit 1822 zweiter Violinist im Orchester des Leopoldstädter Theaters. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Kammermusik; 30 Symphonien; Klv.-Konzerte. - 2) Vokal-WW: Motetten; 200 Solfeggien; Arietten mit Klv.- u. Gitarrebegleitung; zahlr. geistliche Werke, u.a. Oratorien u. Kantaten, 17 Messen, 4 Requiems u. 3 Vespern. - 3) Bëhnen-WW: 154 Bühnen-Werke, u.a. Das Donauweibchen, UA: Wien 1798; Das Sternenmädchen im Meidlinger Walde, UA: ebd. 1801; Die Zauberlaterne (1809). -4) Schritten: Unterrichtswerke: KurzgefaBte Anweisungen die Fl. zu spielen (W 1788); KurzgefaBte Clavierschule für Anfänger (W 1790); Singschule nach dem neuesten System der Tonkunst u. KurzgefaBte Generalbafschule für Anfänger (W o. J.).

K.s Singspiel-Kompositionen waren zu seiner Zeit weit verbreitet und sehr beliebt. Neben Wenzel Müller gilt er als Hauptvertreter der Gattung Zauberposse, die zwar Komponisten wie Fachkritikern als minderwertig galt, sich aber wegen origineller Einfälle in der Inszenierung und eingängiger Melodik in den Einlage-Liedern als sehr publikumswirksam erwies. Sein erfolgreichstes Werk, Das Donauweibchen, nahm Einfluß auf die Entwicklung der deutschen romantischen Oper. Ausg.: Gesangsnummern aus Das Donauweibchen u. Das Sternenmädchen in: Komödienlieder aus 3 Jahrhunderten, hrsg. v. B. GLossY - R. HAAS (W 1925); Sonata militare, in: W. STOCKMEIER, Die Programmusik (Kö 1970) (= Das Musikwerk 36). Lit.: TH. HAAS, F. K. 1751-1831. Ein Künstlerschicksal, in: NMZ 46 (1925); K. MANSCHINGER, F. K. Ein Beitr. z. Gesch. des Wiener Singspiels um die Wende des 18. Jh. (Diss. W 1929); R. M. LONGYEAR, F. K's Percussion Enterprises, in: GalpinJ 27 (1974); J. SCHLÄDER, Undine auf dem Musiktheater. Zur Entwicklungsgesch. der dt. Spieloper (zum „Donauweibchen") (Bonn 1979).

J. SCHLÄDER

KAUFFMANN, Leo Justinus, *20. 9. 1901 Dammerkirch (Elsaß), t 15.9. 1944 Straßburg; elsässischer Komponist. Er studierte am Konservatorium in StraBburg, bei H. Abendroth und Ph. Jarnach an der Musikhochschule in Köln und später noch als Privatschüler bei Fl. Schmitt. Nach Tätigkeiten als Organist in Dornach und Repetitor am Stadttheater von Mülhausen kam er 1926 wieder nach Köln, wo er 1929 Professor an der Rheinischen Musikschule wurde. Nach einer Aufführung seiner Alemannischen Suite 1933 in Amsterdam, die ihn bei den Nationalsozialisten in den Ruf eines Neutöners

brachte, wurde er seines Amtes enthoben. Unter einem Pseudonym schrieb er Unterhaltungsmusik für den Kölner Rundfunk und konnte erst wieder seit 1937, gefördert u. a. durch Hans Rosbaud, unter seinem eigenen Namen komponieren. 1940 wurde er als Lehrer für Komposition an das Konservatorium Straßburg berufen. Er starb bei einem Luftangriff, noch ehe sich seine Werke, die zu ihrer Zeit sehr geschätzt wurden, durchsetzen konnten. WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, u.a.: V. -Sonate (1922); Klv.u. Streichtrio; 4 Streichquartette (1922-42); Bläserquintett (1943); Orch.-Werke, u.a. eine Symphonie (1942); zahlr. Lieder u. Chöre; Messe (1935); Kantaten: Mainacht (1932); Heimatkantate (1933); Frühlingskantate (1940) u. Abendkantate (1943). Opern: Märchenoper Abenteuer in Kaschgar (1924); Singspiel Die nie gesehene Braut (1934); Funkoper Die Serenade (1939) u. die Kammeroper Das Perlenhemd (1944). Lit.: H.-J. SEYDEL, L. J. K., in: Musica 5 (1951); H. VON RADZIBOR, in: Rheinische Musiker 4 (Kö 1966) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 64).

KAUN, Hugo, *21. 3. 1863 Berlin, t 2.4. 1932 ebd.; dt. Komponist. Er studierte Komposition an der Hochschule für Musik und an der Akademie der Künste (Fr. Kiel) in Berlin. 1887-1901 lebte er als Dirigent und Lehrer in Milwaukee (USA), danach wieder in Berlin, wo er seit 1922 am KlindworthScharwenka-Konservatorium unterrichtete. K.s Bedeutung liegt vor allem in seinen Werken für Männerchor, mit denen er einer Verflachung und Trivialisierung in diesem Bereich entgegenzuwirken versuchte. WW: 3 Symphonien: An mein Vaterland D-Dur (1898), c-moll (1910) u. c-moll (1914). - Normannenabschied (1898); 126. Psalm (1910) u. Zigeunertreiben (1911) für Soli, Chor u. Orch.; Requiem für Alt, Männerchor u. Orch. (1921); 100. Psalm für 8st. Männerchor a cap. (1925); Mutter Erde (1926) für Soli, Chor u. Orch.; Ballade Die wandernde Menschheit (1927) für Männerchor u. Orch.; Orch.-Suite mit Männerchor Alt-Heidelberg (1930). - Ferner seine Erinnerungen Aus meinem Leben (B 1932). Lit.: R. SCHAAL, H. K. (Diss. Marburg 1944).

KAVATINE, Cavatine (von lat. cavare = herausziehen; frz.: cavatine; it.: cavatina, Diminutiv von cavata), Bz. für ein kürzeres, instrumentalbegleitetes solistisches Gesangstück im 18.-19. Jh., das sprachlich und wohl auch in der Sache auf die ältere 7Cavata verweist. Von der Arie unterscheidet sich die K. meist durch einfachere und kurzgliedrige Melodik, durch den Verzicht auf zahlreichere Textwiederholungen und Koloraturen sowie durch die in der Regel ein- oder zweiteilige Form. Damit ist sie das bündige Gegenstück zur Da capo-Arie, ohne daß freilich eine generelle Unterscheidung zwischen Arie und K. möglich wäre. Bekannte K.n im Bereich der Oper sind Se vuol ballare, Porgi amor und L'ho perduto in W. A. Mozarts Figaro, Largo al factotum und Una voce poco fa in G. Rossinis 313

Kawal Barbier, Salut, demeure chaste et pure in Ch. Gounods Faust (Margarethe). Auch in Oratorien finden sich gelegentlich K.n, so etwa bei J. Haydn (Dem Druck erlieget die Natur, in Die Jahreszeiten). Im Bereich der Instrumentalmusik schrieb L. v. Beethoven eine Cavatina als 5. Satz des Streichquartetts op. 130. Aus späterer Zeit wurde besonders die K. für Orchester op. 85, Nr. 3 von J. J. Raff bekannt. Lit.: N. PIRROTTA, Falsirena e la più antica delle cavatine, in: Collectanea historiae musicae 2 (1957); W. OSTHOFF, Mozarts Cavatinen u. ihre Tradition, in: FS H. Osthoff (Tutzing 1969).

KAWAL (türkisch), eine in Jugoslawien, Albanien, Rumänien, der Türkei und vor allem in Bulgarien verbreitete randgeblasene, zylindrisch gebohrte Längsflöte. Der K. hat meistens 7 vorderständige Grifflöcher, ein hinterständiges Griffloch und 4 Schallöcher. Der Klang des virtuos geblasenen K. ist weich, in der unteren Lage geräuschhaft, in der Höhe voll und rund. KAYSER, Johann Melchior, 7Caesar.

KAYSER, Philipp Christoph, *10. 3. 1755 Frankf urt a. M., t 24.12. 1822 Zürich; dt. Komponist. Er war Schüler seines Vaters, des Frankfurter Organisten Matthäus K., und seit 1770 Klavierlehrer in Frankfurt. 1775 ging er nach Zürich, wo er bald ein angesehener Musikpädagoge wurde. K. hatte sich in Frankfurt mit Goethe befreundet, der für ihn die Singspiele Jery und Bäteli (1779) und Scherz, List und Rache (1785-87) schrieb. K. komponierte auch eine Musik zu Goethes Egmont und vertonte viele Gedichte Goethes. WW: Sonates en symphonie für Klv. u. 2 Hörner (Z 1784); Vermischte Lieder für SingSt u. Klv. (Winterthur—L 1775); Gesänge mit Begleitung des Claviers (ebd. 1777); Weyhnachts-Cantate für 2 Sopr. u. Streichquartett (Z 1780). — Singspiele Jery und Bätely (1779, unvollendet) (Libr.: J. W. v. Goethe) u. Scherz, List und Rache (1785-87) (Libr.: ders.). Lit.: C. A. H. BURKHARDT, Goethe u. der Komponist Ph. Ch. K. (L 1879); W. SCHUH, Ph. Ch. K.s Kompositionen für den Freundeskreis im „Schönenhof", in: 138. Neujahrsblatt der AMG (Z 1950).

KEGEL, Herbert, * 29.7.1920 Zschachwitz bei Dresden; dt. Dirigent. Er studierte 1935-40 Dirigieren (K. Böhm) und Komposition (B. Blacher) am Dresdner Konservatorium. 1946 wurde er Kapellmeister am Theater in Rostock, 1949 in Leipzig Leiter des Rundfunkchores und des Großen Rundfunkorchesters. 1953 übernahm er das RundfunkSymphonie-Orchester in Leipzig (1958 GMD) und war 1960-78 Chefdirigent dieses Orchesters sowie des Rundfunkchores. Seit 1975 ist er auch Professor für Dirigieren an der Musikhochschule Leipzig. 1976 wurde er Chefdirigent der Dresdner Philhar314

monie. K. gastierte in zahlreichen europäischen Ländern sowie in Mittel- und Südamerika und trat besonders mit Ur- und Erstaufführungen von Komponisten der DDR hervor. KEHLKOPF /Stimme. KEHR, Günter, * 16.3.1920 Darmstadt; dt. Violinist und Dirigent. Er studierte Violine (Alma Moodie, H. Zitzmann) an den Musikhochschulen Frankfurt a. M. und Köln, außerdem Musikwissenschaft (1941 Dr. phil. mit Untersuchungen zur Violintechnik um die Wende des 18. Jahrhunderts). 1949 gründete er zusammen mit Georg Schmid (Viola) und Hans Münch-Holland (Violoncello) ein nach ihm benanntes Streichtrio. Seit 1949 unterrichtete er am Staatl. Hochschulinstitut für Musik in Mainz und leitete 1953-61 auch das Konservatorium in Mainz. 1955 gründete er das Mainzer Kammerorchester, mit dem er als Dirigent zahlreiche Konzertreisen unternahm sowie Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen einspielte. Seit 1959 lehrt er Kammermusik an der Kölner Musikhochschule (1961 Professor). K. gab zahlreiche Neuausgaben von Violin- und Orchesterwerken heraus und veröffentlichte viele Zeitschriftenaufsätze. KEHRREIM /Refrain. KEIL, Alfredo, * 3.7.1850 Lissabon, t 4.10. 1907 Hamburg; port. Komponist, Dichter und Maler. K., über dessen Leben nichts Näheres bekannt ist, schrieb mit A Serrana die erste portugiesische Nationaloper. Sein Lied A Portugueza wurde 1911 zur portugiesischen Nationalhymne erklärt. WW: Tondichtungen für Orch.; Kanuten. — Opern: Don Branca, UA: Lissabon 1888; Irene, UA: Turin 1893; A Serrana, UA: Turin u. Lissabon 1899.

KEILBERTH, Joseph, *19. 4. 1908 Karlsruhe, t 20.7. 1968 München; dt. Dirigent. K. studierte Klavier, Cello und Komposition am Konservatorium in Karlsruhe, wurde dort 1925 Korrepetitor und 1935 GMD am Badischen Staatstheater. 1940-45 leitete er das Deutsche Philharmonische Orchester in Prag, war dann bis 1951 GMD der Sächsischen Staatskapelle und der Staatsoper in Dresden sowie ständiger Gast der Staatsoper in Berlin. 1951-59 dirigierte er das Philharmonische Orchester in Hamburg, war 1952-56 Gast bei den Bayreuther Festspielen und seit 1951 bis zu seinem Tod Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, mit denen er häufig Auslandsreisen unternahm. 1959 wurde er GMD der Bayerischen Staatsoper in München. K. starb am Pult während des 2. Aufzugs einer Aufführung von Wagners

Keiser

Tristan und Isolde. In seinem umfassenden Repertoire hatte das Werk von H. Pfitzner eine besondere Bedeutung. Schriften: Begegnungen mit H. Pfitzner und seinem Werk, in: Mitt. der H. Pfitzner-Ges. (1966) Nr. 18; Proben sind keine Schulstunden, in: E. Schwaiger, Warum der Applaus? Berühmte Interpreten über ihre Musik (Mn 1968). Lit.: W. E. V. LEWINSKI, J. K. (B 1968).

KEISER, Reinhard, getauft 12. 1. 1674 Teuchern bei Weißenfels, t 12.9. 1739 Hamburg; dt. Komponist. K. bezog 1685 die Leipziger Thomasschule, wo er Schüler von J. Schelle und möglicherweise von J. Kuhnau war. 1694 brachte er in Braunschweig seine erste Oper, Procris und Cephalus, und anschließend in Hamburg Basilius zur Aufführung und wurde noch im selben Jahr in Braunschweig zum „Cammer-Componist" ernannt. 1697 übersiedelte er nach Hamburg, wo er als Kapellmeister der Oper rasch zu hohem Ansehen gelangte. Spätestens seit der Oper Der bey dem allgemeinen Welt-Friede ... geschlossene Tempel des Janus (1698), zu der G. Ph. Telemann noch 1729 Einlagearien schrieb, gehörte K. für fast zwei Jahrzehnte zu den führenden Komponisten des Hamburger Unternehmens. Daneben leitete er 1700-01 die Winterkonzerte im Hause des kaiserlichen Gesandten Graf von Eckh und erhielt wohl zur selben Zeit von Herzog Wilhelm von Mecklenburg Schwerin den weder mit Dienstleistung noch Gehalt verbundenen Titel eines Oberkapellmeisters. 1703 pachtete er zusammen mit dem Dramaturgen Drüsicke das Opernhaus, trat jedoch nach einer Reise nach Weißenfels (1706) 1707 aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Vertrag zurück. Zwischen 1707 und 1717 schrieb er noch etwa 20 Werke für die Hamburger Bühne. 1716 veranstaltete er mit J. Mattheson, den er 1712 kennengelernt hatte, öffentliche Konzerte. Etwa zur selben Zeit wandte er sich zunehmend auch der Kirchenmusik zu, schrieb aber— möglicherweise für holsteinische Adelsfamilien — auch weltliche Kantaten. Vermutlich 1718 verließ er Hamburg und lebte 1719-20 am Hof in Stuttgart, wo er einige Konzerte leitete, sich aber vergeblich um die Position des Hofkapellmeisters bemühte. 1721 kehrte er nach Hamburg zurück, doch hatte dort gerade Telemann das führende Kirchenmusikeramt der Stadt übernommen. So reiste K. Ende 1721 nach Kopenhagen weiter. Hier erhielt er den Titel eines Königlich-Dänischen Kapellmeisters und brachte 1721/22 fünf Opern heraus. 1723 ließ er sich endgültig wieder in Hamburg nieder; seine Bemühungen, wieder enger mit der Oper zusammenzuarbeiten, blieben allerdings erfolglos. Ende 1728 übernahm er als Nachfolger Telemanns

das Kantorenamt am Hamburger Dom und komponierte seitdem überwiegend Kirchenmusik. WW: 1) lestr.-WW: 3 Triosonaten; Concerto für Fl., V. u. Instr. — 2) Vokal-WW: a) Weltliche Kantatensammlungen: GemüthsErgötzung(H 1698); Divertimenti serenissimi (H 1713); Musical. Land-Lust ... Moralische Cantaten (H 1714); Kayserliche Friedenspost (H 1715). — b) Geistliche WW: 9 Oratorien, darunter Der für die Sünde der Welt gemarterte u. sterbende Heiland (1712), daraus gedruckt: Auserlesene Soliloquia (H 1714), Der zum Tode verurtheilte u. gekreuzigte Jesus (1715), daraus gedruckt: Seelige Erlösungs-Gedancken (H 1715); 20 Kantaten, 3 Psalmkompositionen, 2 Sanctus, 1 „Concert", Te Deum u. Missa brevis. — 3) Biibaen-WW: Die Libretti sämtlicher Opern sind im Druck erhalten. Hsl. vollständig erhaltene Partituren (Jahr der UA — stets Hamburg — in Klammern; Titel z. T. abgekürzt): Adonis (1697); Janus (1698); La forza della Virtù (1700), daraus gedruckt Die auserlesensten Arien (H 1701); Pomona (1702); Claudius Caesar(1703); Nebucadnezar(1704);Masagniellofurioso(1706); Arsinoe (1710); Fredegunda (1715); Tomyris u. Trajanus (1717); Ulysses (1722); Cupido (1724); Jodelet (1726); Circe (1734). Jeweils mehrere Arien sind hsl. erhalten von Procris u. Cephalus (1694); Psyche (1701); Octavia (1705), einzelnes daraus gedruckt in Componimenti musicali (H 1706); Carneval v. Venedig (1707); Heliates u. Olympia (1709); Aurora (1710); Croesus (1711); Carolus u. Diana (1712); Heraclius (1712); Jobates u. Bellerophon (1717).

Mit insgesamt 69 Opern, von denen 53 allein in Hamburg uraufgeführt wurden, sowie mit etlichen szenischen Gelegenheitswerken erweist sich K. als eine der schöpferischen Zentralgestalten der frühdeutschen Oper in Hamburg. Seinen Bühnenwerken liegen überwiegend Stoffe der antiken Mythologie und Geschichte zugrunde; lokalbezogene populär-realistische Sujets (Störtebeker und Jödge Michels I u. II, 1701; Der Hamburger Jahrmarkt und Das Hamburger Schlachtfest, 1725) und andere Konzessionen an das örtliche Publikum (plattdeutsche Gesänge in Der angenehme Betrug oder der Carneval in Venedig, 1707) finden sich dagegen nur vereinzelt. Als Komponist von J. B. Lully und A. Steffani beeinflußt, ragt K. aus der Schar seiner komponierenden Zeitgenossen weit heraus. Besonderen Ruhm erwarb er sich als Komponist lyrischer Partien und als Instrumentator. Vor allem seine hochexpressiven Rezitative sind Meisterleistungen auf dramatischem Gebiet. Welche innere Entwicklung K. hier im Hinblick auf formale Weitungen, auf wirkungsvolles Koloraturenwesen, auf dramatisch-effektive Instrumentation und auf dramaturgische Ökonomie im ganzen durchlaufen hat, belegt u. a. die Zweitfassung der Oper Croesus (1730). Besonders erfolgreich war Fredegunda (1715), das sechs Spielzeiten lang im Hamburger Repertoire blieb. Claudius (1703), Nebucadnezar (1704) und Masagniello furioso (1706) kamen — die letztgenannten mit Einlagearien von Telemann — nach etwa 2 Jahrzehnten wieder auf den Spielplan. Ausg.: 1) lustr.-WW: Triosonaten, hrsg. v. E. SCHENK (Hannover 1930-37) (= Nagels MA 68, 114, 132). — 2) Vokal-WW:

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Keldysch Passion nach dem Evangelisten Markus, hrsg. v. F. SCHROEDER (St 1963) (= Geistliche Chormusik X/152); De profundis clamavi, hrsg. v. H. KÜMMERLING (Kö 1964). - 3) Bühnen-WW: Der lächerliche Printz Jodelet, hrsg. v. F. ZELLE (1892) (= PGfM 17); Octavia, hrsg. v. M. SEIFFERT, in: Händel-GA, Suppl. 6 (L 1902); Croesus u. Erlesene Sätze aus ... L'Inganno fedele, hrsg. v. M. SCHNEIDER (L 1912) (= DDT 37/38); Masa niello, für die Bühne bearb. v. J. RUDOLPH (L 1967); Die GroBmütige Tomyris, hrsg. v. K. ZELM (Mn 1975) (= Die Oper 1). Lit.: H. LEICHTENTRITT, R. K. in seinen Opern (Diss. B 1901); P. MERBACH, Das Repertoire der Hamburger Oper 1718-50, in: AfMw 6 (1924); T. KROGH, R. K. in Kopenhagen, in: FS J. Wolf (B 1929); R. PETZOLD, Die Kirchenkomp. u. weltlichen Kantaten R. K.s (Düsseldorf 1935); G. F. SCHMIDT, Die frühdeutsche Oper I/2 (Rb 1933); W. SCHULZE, Die Quellen der Hamburger Oper (H 1938); H. KÜMMERLING, Fünf unbe-

kannte Kantaten in R. K.s Autograph, in: FS M. Schneider (L 1955); H. C. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg I/2 (Wb 1957); H. BECKER, R. K., in: MGG VII; J. RUDOLPH, R. K. u. „Masaniello", in: MuGes 17 (1967); DIES., Musikal. Probleme der Hamburger dt. Frühoper, in: Händel-Jb. 15/16 (1969/70); R. BRENNER, The Operas of R. K. in their Relationship to the „Affektenlehre" (1968) (= Diss. Brandeis Univ.); D. G. MOE, The „St. Mark Passion" of R. K. (1968) (= Diss. Univ. of Iowa); G. J. BUELOW, Die schöne u. getreue Ariadne (H 1691). A Lost Opera by J. G. Conradi Rediscovered, in: AMI 44 (1972); B. DEAM, R. K. An Interim Assessment, in: Soundings 4 (1974); K. ZELM, Die Opern R. K.s (Mn 1975) (= Musikwiss. Schriften 8); H. FREDERICHS, Das Verhältnis v. Text u. Musik in den Brockespassionen K.s, Händels, Telemanns u. Matthesons (Mn 1975) (= ebd. 9); H.-J. THEIL, R. K., Masaniello furioso, in: Publikationen der Schweizerischen Musikforsch. Ges. II1/3 (Be 1978) (= Schweizer Beitr. z. Musikwiss. 3). W

PFANNKUCH

KELDYSCH, Juri (Georgi) Wsewolodowitsch, * 16. (29.) B. 1907 St. Petersburg; Sowjet. Musikforscher. K. studierte am Moskauer Konservatorium, an dem er seit 1930 Musikgeschichte lehrte. 1947 promovierte er zum Doktor der Kunstwissenschaft, wurde 1948 Professor und leitete 1950-57 das Forschungsinstitut für Musik und Theater in Leningrad. Anschließend war er bis 1960 Chefredakteur der Zeitschrift Sovjetskaja muzyka und 1961-74 Leiter der Abteilung „Musik der SowjetVölker" am Institut für Kunstgeschichte in Moskau. Schriften: Zahlr. Arbeiten über M. Mussorgski, W. W. Stassow, A. K. Glasunow u. S. W. Rachmaninow, u. a. Romansowaja linka Mussorgskowo (Mos 1933); Istorija russkoj musyki 1-III (Mos 1947-54), Bd. I erschien auch dt. (L 1956); Kritika ischurnalistika. Isbrannyje stati (Mos 1963); Russkaja musyka XVIII wjeka (Mos 1965), Kap. 4 als Fomin u. das russ. Musiktheater des 18. Jh., in: BzMw 9 (1967). - K. ist Hrsg. von Musykalnaja enziklopedija; Pamjatniki russkowo musykalnowo iskusstwa u. Istoria musyki narodow SSSR, 4 Bde. (Mos 2 1970-73).

KELEMEN, Milko, * 30.3.1924 Podrawska Slatina (Kroatien); jugoslawischer Komponist. K. war 1945-52 Kompositionsschüler von St. Šulek an der Musikakademie Zagreb, wo er 1953 einen Lehrauftrag für Komposition übernahm. 1954 studierte er noch als Stipendiat bei O. Messiaen und T. Aubin in Paris und 1958-60 bei W. Fortner in Freiburg im

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Breisgau. 1961 gründete er die Musikbiennale Zagreb als Internationales Festival für Neue Musik. 1966 gab er seine Lehrtätigkeit in Zagreb auf und ließ sich in der Bundesrepublik Deutschland nieder, wo er als Stipendiat der Humboldt-Stiftung bis 1968 im elektronischen Studio Siemens in München arbeitete. Anschließend wurde er Composer-InResidence in Berlin und 1970 Professor für Komposition am Konservatorium Düsseldorf. 1973 wechselte er an die Musikhochschule Stuttgart. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-Stücke; Kammermusik, u. a.: Musik für V. (1957); Studie für Fl. (1959); Études contrapunctiques (1959)

für Bläserquintett; Entrances f. Bläserquintett; Motion (1968) für Streichquartett; Fabliau (1972) für Org. u. Mikrophon, auch für einen Flötisten; Varia melodia (1972) u. Splintery (1978) f. Streichquartett; Rontondo (1978) für Ob., Klar. u. Fag.; Zehn Fabeln (1978) für 2 Blockfl. - Für Orch.: Konzertante Improvisationen (1955) für Str.; Konzert für Fag. u. Str. (1956); Sinfonische Musik (1957); Skolion (1959); Transfigurationen (1960) für Klv. u. Orch.; Équilibres (1961) für 2 Orch.; Musik für „Judith" (1966) für elektr. verarbeitete u. unverarbeitete Instrumentalklänge; Changeant (1969) für Vc. u. Orch.; Floreal (1970); Olifant (1972) für Trombita, Bali-F1., Zurla, Alphorn, Büchel, Pos. (1 Spieler) u. Kammerorch.; Abecedarium (1973) für Str.; Mirabilia (1974) für Klv., Ringmodulator u. 2 Orch.-Gruppen; Tantana (1974), Improvisation f. 10-20 Spieler; Mageia (1978); Infinity (1979). 2) Vokal-WW: Inserate - Personal column (1958) für 6st. Chor a cap.; Hommage à Heinrich Schütz (1964) für gem. Chor u. Solost. a cap.; Kantate O primavera (1965) für Tenor u. Str.; Die Wörter 1(1965) (nach J.-P. Sartre), Szenische Kantate mit Fernsehapparaten im Publikum, konzertante Fassung als Die Wörter II; Passionato (1972) für 1 Flötisten u. 3 Chorgruppen; Gassho (1973) für 4 Chorgruppen; Monogatari (1973) für 12 Gesangssolisten; Drei irische Volkslieder (1980) für gem. Chor. - 3) Bühnen-WW: Ballette: Der Spiegel (Le héros et son miroir) (1960); Abbandonate (1964); Yebell (1972). - Opern: Der neue Mieter (Libr.: E. Ionesco), UA: Münster 1964; Der Belagerungszustand (nach A. Camus), UA: Hamburg 1970; Multimedia-Ballett -Oper Apocalyptica (1974) (zus. mit F. Arrabal u. E. Kieselbach), UA: Graz 1979, daraus auch einzeln: Die Sprichwörter (1976) für Sopr., Kammerensemble u. Tonband, Die Richter (1976) für Doppelchor, Die 7Plagen (1977) für Sopransolo, Apocalypse (1977) für Chor u. Orch. - 4) Schriften: Aufsätze in Melos u. Novi Zvuk; Klanglabyrinthe (Mn 1980).

In K.s kompositorischem Schaffen lassen sich drei Stilperioden unterscheiden: die frühen Werke (bis etwa 1959) sind — mit klarem formalem Aufbau — der Folklore verpflichtet. In der Folgezeit wandte er sich seriellen Techniken zu, stellte organisiertes und amorphes Tonmaterial nebeneinander und nahm Anregungen aus der elektronischen Musik auf — wobei er nach Meinung einiger Kritiker das Experiment über die Musikalität stellte. Seit 1967 strebt K. die Synthese aller bisherigen Möglichkeiten an; er versucht, die unbewußte und die bewußte Sphäre von Musik aufzuspüren, indem er während des kompositorischen Schaffensprozesses als musikalische Erscheinungselemente Imagination, Archetyp, Form, Struktur und Sprache gleichermaßen berücksichtigt. Dabei folgt er dem Postulat der Originalität: eine Komposition, die gut sein soll, muB

Kellner

substantiell neu sein. Als sein Hauptwerk bezeichnet K. selbst die Multimedia-Ballett-Oper Apocalyptica, das komplexe Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem Absurden und dem Totalen (Musik-)Theater. Lit.: U. DIBELIUS, Moderne Musik 1945-65 (Mn 1966, 21972); J. HAUSLER, Musik im 20. Jh. (Bremen 1969); H. KRELLMANN, Plädoyer für kurze Musik oder: gestaltete Verwirrung, in: Musica 23 (1969); E. SEDÁK, M. K. oder das Spiel der Flucht vor alten u. neuen Dogmen in d. Musik, in: Novi Zvuk, Sammelbd. (1972); F. PRIEBERG, 20 Fragen an M. K., in: Melos 41 (1974); N. GLIGO, M. K. „Passionato". Voraussetzungen für eine mögliche Analyse, in: ZfMth (1975); S. ERDING, Apocalyptica, eine multimediale Ballettoper (Rohrdorf 1979). K.

LANGROCK

KELEMEN, Zoltán, * 1926 Budapest, t 9.5. 1979 Rüschlikon bei Zürich; ung. Sänger (Baß). Er studierte Gesang in Budapest sowie bei M. T. Pediconi in Rom und sang nach seinem Debüt am Stadttheater in Augsburg dort 1959-62. Anschließend wurde er an die Kölner Oper verpflichtet. Seit 1964 wirkte er regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen mit und gastierte mit großem Erfolg auch an anderen bedeutenden Opernbühnen Europas und an der Metropolitan Opera in New York. Zu seinen Glanzrollen gehörte der Alberich in R. Wagners Ring des Nibelungen. KÉLER, Béla (Adalbert von Kéler; ung. Schreib-. weise: Kéler Béla), * 13.2. 1820 Bártfa (Ungarn; heute Bardejov/ČSSR), t 20.11. 1882 Wiesbaden; ung. Komponist. K. studierte zunächst Jura und Landwirtschaft, wandte sich aber 1845 ganz der Musik zu, war in Wien Schüler von Schlesinger und S. Sechter und trat als Violinist in das Orchester am Theater an der Wien ein. Daneben machte er sich als Komponist von Tänzen und Märschen einen Namen. 1854 leitete er kurze Zeit die Kapelle Gungl in Berlin, kehrte dann nach Wien zurück und war dort 1856-63 Militärkapellmeister. 1863 wurde er Hof-Musikdirektor in Wiesbaden und 1870 Musikdirektor in Bad Spa. Nach 1872 unternahm er noch einige Konzertreisen durch Europa und zog sich dann ins Privatleben zurück. Von seinen Werken gehören einige noch heute zum festen Bestand der orchestralen Unterhaltungsmusik. WW: 27 Walzer, darunter Am schönen Rhein, op. 83; 12 Ouvertüren, u. a. die Lustspiel-Ouvertüre, op. 73 u. die Ungarische Lustspiel-Ouvertüre, op. 108; ferner Märsche, Polkas, Mazurkas, Quadrillen u. einige Vokalwerke sowie das Ballett Die Schmetterlingsjagd. Lit.: Z. SZTEHLO, K. B. (Budapest 1930).

KELKEL, Manfred, *15. 1. 1929 Siersburg an der Saar; dt. Komponist. K. studierte bei P. Auclert und E. P. Stekel am Konservatorium in Saarbrücken und anschließend bis 1956 am Pariser Conserva-

wire bei D. Milhaud, O. Messiaen und J. Rivier und erhielt dort als erster Deutscher den 1. Preis für Komposition sowie den 1. Preis beim Internationalen Kompositionswettbewerb in Lüttich. 1954 war er auch Preisträger der Copley Foundation in Chicago. Seit 1956 ist er Directeur musical des Musikverlags Heugel et Cie. in Paris. In seinen Kompositionen ist K. der Tradition verpflichtet, bezieht jedoch Elemente des Jazz und modernes Instrumentarium mit ein. WW: 1) lustr.-WW; 2 Streichquartette (1955, 1956); Laterna magica (1966), 1. Fassung für Klar., Fag., Trp. u. V., 2. Fassung für Saxophon oder Ondes Martenot, Klv. u. Schlagzeug. — Für Orch.: Ostinato (1960); Trauermusik (1961); Ungarische Tanzsuite (1967) (Bearb. ungar. Volksthemen); Fag.-Konzert (1963); Zagreber Konzert für Gitarre u. Orch. (1971). — 2) Vokal-WW: 2 Herbstgesänge (1950) für SingSt u. Klv.; Trinklied (1961) für Männerchor. — 3) Bäknen-WW: Alraune (La Mandragore), UA: Paris ORTF 1966; Ballett Das kalte Herz, UA: Nizza 1965.

KELLER, Hermann, * 20.11. 1885 Stuttgart, t 17.8.1967 Freiburg i. Br.; dt. Musikschriftsteller. K. studierte zunächst Architektur, dann Musik an den Konservatorien in Leipzig, München und Stuttgart u. a. bei M. Pauer, M. Reger und K. Straube sowie Musikwissenschaft an den Universitäten Jena und Tübingen, wo er 1925 promovierte. 1920-50 lehrte er an der Württembergischen Hochschule für Musik in Stuttgart, die er 1945-50 auch leitete, war außerdem Dozent an der Technischen Hochschule und Organist an der Markuskirche. Schriften: Reger u. die Orgel (Mn 1923); Die musikal. Artikulation, insbesondere bei J. S. Bach (St 1925) (= Veröff. des Musikinst. der Univ. Tübingen 2); Schule des GeneralbaB-Spiels (Kas 1931 u.ö., engl. NY 1965, Lo 1966); Die Orgelwerke Bachs (L 1948, engl. NY 1967); Die Klavierwerke Bachs (L 1950); Phrasierung u. Artikulation (Kas 1955, engl. NY 1965, Lo 1966); D. Scarlatti (L 1957); Das Wohltemperierte Klavier v. J. S. Bach. Werk u. Wiedergabe (Kas 1965). Ferner zahlr. Neuausgaben älterer Orgelmusik.

KELLNER, David, * um 1670 Leipzig, t 6.4.1748 Stockholm; dt. Lautenist und Komponist. K. ist seit 1711 in Stockholm als Organist an St. Jakob und Glöckner der deutschen Kirche nachweisbar. Sein Traktat Treulicher Unterricht im General-Bass (H 1732), der in Deutschland und in Schweden weite Verbreitung fand, ist das erste Lehrbuch, das nur Dur- und Molltonarten zugrunde legt. Von K. wurden außerdem Auserlesene Lauten-Stücke (1747) veröffentlicht. Lit.: E. A. WIENANDT, D. K.'s „Lautenstücke", JAMS 10 (1957).

KELLNER. — 1) Johann Peter, * 28.9.1705 Gräfenroda (Thüringen), t 19.4. 1772 ebd.; dt. Komponist. K. studierte Orgel und Komposition in Grä317

Kelly fenroda, Zella und Suhl, war 1725-28 Kantor in Frankenhain und seit 1728 in Gräfenroda. Er war persönlich mit G. F. Händel und J. S. Bach bekannt. In seiner Handschrift sind zahlreiche Werke Bachs überliefert. K. komponierte Klaviersuiten (Certamen musicum, Arnstadt 1739-56, Manipulus musices, Arnstadt 1753-56), Orgelwerke und Kirchenkantaten. — 2) Johann Christoph, Sohn von 1), *15. 8. 1736 Gräfenroda, t 1805 Kassel; dt. Komponist. Er war Schüler seines Vaters, dann G. Bendas in Gotha. Er veröffentlichte eine Generalbaßschule (Kas 7 Aufl. 1783-96), Präludien, Fugen und Choralvorspiele für Orgel, Klaviersonaten, mehrere Klavierkonzerte, Kantaten und das Singspiel Die Schadenfreude. Ausg.: Zu l): 2 Choralvorspiele, in: Choralvorspiele alter Meister, hrsg. v. K. STRAUBE (L 1907); Ausgew. Orgelwerke, hrsg. v. Fuge; in: Cäcilia, hrsg. v. K. SCHWEICH (L 1954); 6 Choralvorspiele, hrsg. v. W. LOHOFF (Wilhelmshaven 1973); Werke für Org. zu vier Händen, hrsg. v. H.J. BUSCH (Bonn 1981). Lit.: Autobiogr., in: F. W. MARPURG, Hist.-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik 1 (L 1755, Nachdr. Hil 1970); R. SIETZ, Die Orgelkompositionen des Schülerkreises um J. S. Bach, in: Bach-Jb. 32 (1935); Gedenkschrift anläBlich der Kellner-Festwoche in Gräfenroda (Gräfenroda 1955). G. FEDER (Lippstadt 1958) (= Die Orgel II/7). — Zu 2): 1

KELLY (eig. O'Kelly), Michael (italienisiert: Michele Occhelly), * 25.12.1762 Dublin, t 9.10.1826 Margate; irischer Sänger und Komponist. K. studierte bei M. Arne (Klavier) in Dublin, bei Passerini und W. Rauzzini (Gesang) in London sowie seit 1779 bei F. Fenaroli und G. Aprile in Neapel. 1783-87 war er am Burgtheater in Wien tätig und befreundete sich mit W. A. Mozart, der ihm die Rollen des Don Curzio und des Basilio in der Uraufführung der Hochzeit des Figaro übertrug. 1787 ging er nach London zurück, wo er zunächst 1. Tenor am Drury Lane Theatre war. 1793 übernahm er die Leitung des King's Theatre. Zwischen 1797 und 1802 schrieb er 62 Werke für die Bühne sowie zahlreiche englische, französische und italienische Lieder. Berühmt wurde K. durch seine Reminiscences of M. Kelly (2 Bde. Lo 1826), die eine wichtige Quelle für das Musikleben seiner Zeit sind und insbesondere auch interessante Details über Haydn und Mozart enthalten. Aus.: Reminiscences, NA der 2. Aufl., neu eingeteilt u. hrsg. v. A. H. KING, 2 Bde. (NY 1968); Solo Recital. The Reminiscences of M. K., hrsg. v. H. VON THOL (Lo 1972). Lit.: S. M. ELLIS, The Life of M. K. (Lo 1930).

KELTERBORN, Rudolf, * 3.9.1931 Basel; Schweizer Komponist. K. studierte bis 1952 in Basel Komposition (W. Geiser) und Dirigieren an der Musikakademie und Musikwissenschaft bei J. Handschin an der Universität. Später bildete er 318

sich noch bei W. Burkhard und B. Blacher weiter und vervollständigte seine Studien 1955 bei W. Fortner und G. Bialas an der Musikakademie Detmold. 1955-60 war er Lehrer für Musiktheorie an der Musikakademie in Basel, wechselte dann nach Detmold, wurde 1963 Professor und folgte 1968 einem Ruf an die Musikhochschule in Zürich; 1969-74 war er außerdem Chefredakteur der SMZ. 1975-80 leitete er die Abteilung Musik beim Deutsch-schweizerischen und Rätoromanischen Radio in Basel und übernahm anschließend Lehrtätigkeiten in Karlsruhe und Zürich. K., dessen Ruf als Komponist mit Aufführungen beim Musikfest der IGNM in Stockholm 1956 begründet wurde, verdankt seine bedeutende Stellung innerhalb des Schweizer Musiklebens nicht zuletzt auch seinen ausgedehnten Aktivitäten als Dirigent und Vortragsredner. K. fordert die Durchsichtigkeit von Kompositionsprozessen, um die Verständlichkeit musikalischer Werke zu gewährleisten. In seinen Kompositionen, die von rationaler Durchdringung ästhetischer Zusammenhänge zeugen, erscheint der formale Aufbau als übergeordnet. Gliedernd wirkt dabei nicht das Prinzip der Wiederholung; die Struktur bildet sich vielmehr durch rhythmisch gegensätzliche Entwicklungen oder durch den Kontrast von melodisch und harmonisch bestimmten Abschnitten heraus. Die Fragen nach dem musikalischen Material, nach Kompositionstechniken und nach musiksprachlichen Prioritäten sind für K. nur zweitrangig. In dem Bemühen um größtmögliche Ausdruckskraft wählt er — ohne sich stilistisch festzulegen — als Basis die Dodekaphonie, nutzt aber auch andere serielle Techniken und Aleatorik. Durch differenzierte Verwendung des symphonischen Instrumentariums nutzt K. die Klangfarbe nahezu dramaturgisch als wichtigen Bereich des musikalischen Ausdrucks. WW: 1) l tr.-WW: Kammermusik: 4 Streichquartette (1954, 1956, 1962, 1968/70); Sonata für 2 Klv. (1955); 7 Bagatellen (1958) für Bläserquintett; SFantasien f. Fl., Vc. u. Cemb. (1958); Varianti (1959) für 6 Instr.; Lyrische Kammermusik (1959) für Klar., V. u. Va.; Fantasia à tre (1967) für Klv.-Trio; Inventionen u. Intermezzi (1969) für 2 Gamben u. Cemb.; Musik für Klv. u. 8 Bläser (1970); 4 Stücke für Klar. u. Klv. (1969/70); Monumenturn (1970) für Org.; Reaktionen (1974) für V. u. Klv.; Kammermusik für 5 Bläser (1974); Sevenminute-Play (1976) für Fl. u. Klv.; Monodie 1 für Fl. u. Harfe (1977). — Für Orch.: Kammersinfonie 1 (1960) für Solo-V., 10 Bläser, Schlagzeug, Harfe u. tiefe Str.; 3 Symphonien (1968, 1970, 1975); Changements (1972/73); Tableaux encadrés (1974) für 13 Solo-Str.; Szene (1977) für 12 Solo-Cellisten; Erinnerungen an Orpheus (1977/78); Visions sonores (1979) für 6 Schlagzeuggruppen u. 6 obligate Instr.; Canzoni per orchestra Chiaroscuro (1980). — 2) Vokal-WW: Elegie (1955) für Alt, Ob., Va., kleines Schlagzeug u. Cemb.; Missa (1958) für Soli, gem. Chor u. Orch.; Cantata profana (1959/60) für Bar., Chor u. 13 Instr.; Oratorium Die Flut (1963/64) für Sprecher, Soli, gem. Chor u. Orch.; Kana/Auferstehung (1964), 2 Gesänge für Bar., 2 V. u. Org.; Tres cantiones sacrae (1967) für gem. Chor;

Kempff 5 Madrigale für Orch. u. 2 Solost. (1967/68); Musica spei (1968) für Sopran, gem. Chor u. Org.; 3 Fragmente (1973) für gem. Chor, Gesänge zur Nacht (1978) für Sopran u. Kammerorch. 3) Binnen-WW: Die Errettung Thebens (Libr.: R. K.), UA: Zürich 1963; Kaiser Jovian (Libr.: H. Meier), UA: Karlsruhe 1967; Ein Engel kommt nach Babylon (Libr.: F. Dürrenmatt), UA: Zürich 1977. - Ballett: Relations, UA: Bern 1975. - 4) Schriften: Stilistisch gegensätzliche Entwicklungen auf der Basis der Zwölftontechnik, in: SMZ 96 (1956); Gegensätzliche Formprinzipien in der zeitgen. Musik, in: SMZ 97 (1957); Kriterien bei der Festlegung einer Zwölftonreihe, in: Musica 14 (1960); Die Problematik der Formbegriffe in der Neuen Musik, in: Terminologie der Neuen Musik, hrsg. v. R. Stephan (B 1965); Etüden zur Harmonielehre (Kas 1967) (zus. mit G. Guldenstein); Mozartsche Themen mit variabler formaler Funktion, in: Musik u. Verlag. FS K. Vötterle (Kas 1968); Die Bedeutung hist. Musik für den zeitgen. Komp., in: Musica 23 (1969); Funktion u. Wirkung des zeitgen. Musiktheaters, in: Melos 41 (1974). Lit.: E. MOHR, Über R. K., in: SMZ 100 (1960); DERS., Zur Kompositionstechnik R. K.s, in: Musica 14 (1960); DERS., Über einige neue Werke von R. K., in: SMZ 102 (1962); W.-E. V. LEWINSKI, Schwierige Musik zum Verstehen, in: Musica 24 (1970); D. LARESE - F. GOEBELS, R. K., eine Lebensskizze (Amriswil 1970); M. WEBER, Die Orchesterwerke R. K.s (Rb 1980) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 105). K. LANGROCK

KELTISCHE HARFE /Harfe, irische. KEMPE, Rudolf, *14. 6. 1910 Niederpoyritz bei Dresden, t 11. 5. 1976 Zürich; dt. Dirigent. Nach dem Studium 1924-28 in Dresden war er 1. Oboist im Duisburger Opernorchester und 1929-36 im Gewandhausorchester in Leipzig. Dort betätigte er sich mehr und mehr auch als Korrepetitor und dirigierte 1933 erstmals an der Städtischen Oper. 1942 begann er seine Kapellmeisterlaufbahn in • Chemnitz und kam über Weimar 1949 nach Dresden, war dort bis 1952 GMD der Staatskapelle und 1952-54 GMD der Bayerischen Staatsoper in München. Nach Gastverpflichtungen an der Metropolitan Opera in New York, an Covent Garden in London sowie bei den Festspielen in Edinburgh, Salzburg und Bayreuth leitete er 1961-75 das Royal Philharmonic Orchestra in London, außerdem 1965-72 das Tonhalle-Orchester in Zürich und war seit 1967 GMD der Münchner Philharmoniker. 1975 übernahm er zusätzlich das BBCSymphony Orchestra in London. K. bevorzugte Werke von A. Dvořák, P. Tschaikowsky und R. Strauss, die seiner Spontaneität und dramatisch-expressiven Musizierweise besonders entsprachen. Lit.: H. JACKEL - G. SCHMIEDEL, Bildnis des schaffenden Künstlers. Ein Dirigent bei der Arbeit (L 1954); R. CH. BACHMANN, GroBe Interpreten im Gespräch (Be - St 1976); R. K. Bilder eines Lebens, hrsg. v. C. KEMPE-OETTINGER (Mn 1977).

KEMPEN, Paul van, *16. 5. 1893 Zoeterwoude bei Leiden, t 8. 12. 1955 Amsterdam; ndl. Dirigent.

Er studierte Violine am Konservatorium in Amsterdam, wo er schon mit 17 Jahren Konzertmeister des Concertgebouworkest wurde. Weitere Stationen waren Dortmund, Posen und Bad Nauheim. 1932 begann er seine Dirigentenlaufbahn als Städtischer Musikdirektor in Oberhausen, war 1934-42 Leiter der Dresdner Philharmoniker und seit 1940 auch Dirigent an der Staatsoper in Berlin. 1942-44 war er als Nachfolger Karajans GMD in Aachen. Nach Holland zurückgekehrt, wurde er 1949 Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters von Radio Hilversum und hielt dort wie auch an der Accademia Chigiana in Siena Dirigier-Kurse ab. 1953 wurde er außerdem GMD von Bremen. K. genoß auch als Pädagoge einen bedeutenden Ruf. Lit.: D. HARTWIG, Die Dresdner Philharmonie (L 1970).

KEMPER, dt. Orgelbauwerkstatt mit Sitz in Lübeck. Sie wurde 1860 von Emanuel K. gegründet, der die Werkstatt der Firma Voigt in Lübeck übernommen hatte. Unter der Leitung seines Sohnes Karl K. (1880-1956) folgte die Werkstatt als eine der ersten den Tendenzen der Orgelbewegung und restaurierte u. a. 1926 mit H. H. Jahnn die Schnitger-Orgel der Jacobikirche in Hamburg. Seit 1956 wurde sie von Emanuel K. (1901-78) geleitet und firmiert heute als „E. Kemper Lübecker Orgelbau GmbH". Wichtige Instrumente befinden sich u. a. in Danzig, Marienkirche (1938; 5 Man., 88 Reg.), Hamburg, St. Jacobi, Zweitorgel (1960; 3 Man., 45 Reg.), Koblenz, Stadthalle (1964; 4 Man., 71 Reg.), Mainz, Dom (Umbau und Erweiterung der vorhandenen Orgeln 1966; 6 Man., 113 Reg.), Lübeck, St. Marien (1968; 5 Man., 101 Reg.). KEMPFF. — 1) Georg, * 22.10. 1893 Jüterbog, t 1. 9. 1975 Oberstdorf; dt. Organist. K. studierte Musik und Theologie in Berlin, wo er 1917 eine Pfarrstelle übernahm. 1923 wurde er Kapellmeister in Upsala und 1933 Universitätsmusikdirektor und Leiter des Instituts für Kirchenmusik der Universität Erlangen. Dort lehrte er bis 1959 (seit 1937 als Honorarprofessor), konzertierte vielerorts als Sänger, Organist, Pianist, Cembalist und Dirigent, komponierte und veröffentlichte Schriften zur Kirchenmusik. 1959-1962 war er an der Universität von Johannesburg (Südafrika) tätig. — 2) Wilhelm, Bruder von 1), * 25.11. 1895 Jüterbog; dt. Pianist und Komponist. Er studierte seit 1906 Komposition bei R. Kahn und Klavier bei H. Barth an der Hochschule für Musik in Berlin und Musikwissenschaft an der Universität. 1917 erhielt er den Mendelssohn-Preis für Klavier und Komposition, debütierte 1918 als Solist bei den Berliner Philharmonikern und unternahm seither Konzertreisen in die ganze 319

Kenner und Liebhaber Welt. 1924-29 leitete er die Musikhochschule in Stuttgart. Seit 1957 hält er jährlich Beethoven-Interpretationskurse in Positano (Kampanien) ab. K. der sich vor allem der Musik der Wiener Klassik und der Romantik widmet, zählt zu den bedeutendsten deutschen Pianisten seiner Generation. Er trat auch als Komponist und mit Klavierbearbeitungen (u. a. von Chorälen J. S. Bachs) hervor. Seine Autobiographie erschien mit dem Titel Unter dem Zimbelstem (St 1951, 21978). WW: Klv.- u. Orgelstücke; Kammermusik; 2. Symphonie (1923); Klv.-Konzert b-moll (1915); szenisches Mysterium Von der Geburt des Herrn (1925); Te Deum (1926); Klv.-Konzert mit Chor Totentanz(1931). —Opern: König Midas (nach Ch. M. Wieland), UA: Königsberg 1930; Familie Gozzi, UA: Stettin 1934; Die Fasnacht von Rottweil, UA: Hannover 1937. Lit.: B. GAvoTY — R. HAuERT, K. (Monaco 1954).

KENNER UND LIEBHABER, Bz. für die beiden wichtigsten Typen des musikliebenden Dilettanten in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Schon spätestens seit dem 4. Jh. v. Chr. trat der praktisch-technischen Musikausübung und ihrer sensuellen Rezeption seitens des Hörers eine auf ästhetischer Reflexion beruhende, auBerklanglich-spekulative Anschauung von dem, „was Musik sei", konkurrierend zur Seite. Während Aristoteles (Politika) noch zwischen beiden Haltungen zu vermitteln suchte, neigten die mittelalterlichen Theoretiker zu einer eindeutigen Abgrenzung der als höherstehend erachteten spekulativen Musikanschauung des gelehrten „musicus" gegenüber der praktisch vollzogenen Musik des „cantor", wobei der ungelehrte, durch die Lande ziehende Spielmann (ioculator, histrio) noch als auBer- und vor allem unterhalb dieser Klassifizierung stehend angenommen wurde (Isidor v. Sevilla, Etymologiae, 6./7. Jh.). — Der gebildete Aristokrat der Renaissance und des Barocks (uomo universale, honnête homme), für den die Kunst in erster Linie Ausdruck einer vornehmen Lebenshaltung war, betrieb die Musik zwar auch praktisch, behielt sich aber angesichts seiner humanistischen Bildung gegenüber dem Berufsmusiker das Recht vor, in Fragen des Geschmacks und des ästhetischen Urteils die entscheidende Instanz zu sein. In der Erziehung des jungen Adligen kam der Musik die Aufgabe zu, eine „edle und tugendhafte Haltung" („un habito buono e virtuoso") zu bewirken (G. Zarlino, Istitutioni harmoniche, 1573). Ihre Ausübung durch den adligen Dilettanten durfte dabei aber niemals den Eindruck des mühevoll Erarbeiteten erwecken, denn alles Handwerkliche — und dazu zählte zu jener Zeit auch die Tätigkeit des Berufsmusikers — galt als ungelehrt und eines freien Mannes unwürdig. Das vom Edelmann betriebene Spiel hatte vielmehr mit einer gewissen „vorneh320

men Leichtigkeit" („una nobile sprezzatura") zu geschehen (B. Castiglione, II libro del cortegiano, 1528; G. Caccini, Vorwort zu Le nuove Musiche, 1601). Als Folge der Aufklärung des 18. Jh. und bedingt durch die mit ihr ursächlich verbundene Bürgeremanzipation, kam seit etwa 1750 vor allem im Musikleben Deutschlands das Begriffspaar „Kenner und Liebhaber" auf zur Kennzeichnung zweier gleichsam an die Stelle des gebildeten Aristokraten des 17. und frühen 18.Jh. tretender Kulturträger. So wie der Adlige dem praktizierenden, vorwiegend am Handwerklich-Mechanischen orientierten Berufsmusiker gegenübergetreten war, so grenzten sich jetzt auch der „Kenner” und der „Liebhaber” gegen den professionellen Künstler ab, freilich auf eine jeweils spezifische Weise. Während der „Kenner" nunmehr die Urteilsfähigkeit des Aristokraten von einst für sich beanspruchte, übernahm der „Liebhaber" der Musik eher dessen Hang zur „nobile sprezzatura", also die Bereitschaft zum quasi mühelos zu genießenden Kunsterlebnis. Wenn C. Ph. E. Bach seine 1779-87 veröffentlichten 6 Sammlungen mit Klavierkompositionen ausdrücklich „für K. u. L." bestimmte, so wird damit deutlich, welch eine beherrschende Rolle diese neuartigen Varianten des musikalischen Dilettanten zu jener Zeit spielte. J. G. Sulzer gibt in seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste (21778/79) eine Definition dieser für das 18. und frühe 19. Jh. so charakteristischen Schichtung des Musikpublikums: „Der Kenner steht zwischen dem Künstler und dem Liebhaber in der Mitte. Jener [ _ der Künstler] muß das Mechanische der Kunst verstehen und auch die Ausübung derselben in seiner Gewalt haben; dieser [ = der Liebhaber] empfindet nur die Wirkung der Kunst, indem er Wohlgefallen an ihren Werken hat und nach dem Genuß derselben begierig ist ... Man ist ein Liebhaber, wenn man ein lebhaftes Gefühl für die Werke der Kunst hat, ein Kenner, wenn zu diesem Gefühl ein durch lange Übung und Erfahrung gereinigter Geschmack und Einsicht in die Natur und das Wesentliche der Kunst hinzukommt. Aber ein Künstler wird man allein durch Übung in der Kunst." — Jedem der drei Genannten kam im öffentlichen Musikleben des ausgehenden 18. Jh. eine bestimmte Funktion zu, wobei eine Rangordnung für jene Zeit grundsätzlich noch auszuschließen ist. Erst als im 19. Jh. das Dilettantenwesen zu einer bedrohlichen, wenngleich unqualifizierten Konkurrenz für den Künstler wurde und die Kunstentwicklung zu behindern trachtete, zerfiel die ideale Gemeinschaft von „Könnenden", „Wissenden" und (auf kultivierte Weise) „Genießenden" in getrennte und mehr und

Kerle mehr auseinanderstrebende Bereiche. Die hochstilisierte Kunst eines L. van Beethoven, Fr. Schubert und R. Schumann war nunmehr für den Liebhaber weder technisch noch geistig erreichbar, und auch der gelehrte Kenner wandte sich mehr und mehr von der Kunst der eigenen Zeit ab und begann statt dessen, den forschenden Blick auf die Vergangenheit zu richten. So war es vor allem der gebildete, nichtprofessionelle Musik-„Kenner” (z. B. G. van Swieten, J. N. Forkel oder A. Fr. J. Thibaut), der mit seinen historisierenden Bestrebungen den entscheidenden Anstoß gab für die Konstituierung der modernen Musikwissenschaft. Der Liebhaber hingegen wurde, sofern er nicht einem flachen Trivialismus verfiel, zum Vorläufer des heutigen Konzertbesuchers und Hausmusik-„Amateurs". Während die Bezeichnungen „Dilettant" und vor allem „dilettantisch” weiterhin in negativem Sinne verstanden werden, bezeichnet der Begriff des „Amateurs" heute neben dem Hausmusik treibenden Musikliebhaber auch den zwar nicht professionellen, aber künstlerisch gebildeten, zudem mit Geschmack und technischem Können ausgestatteten Musiker, dem im Musikleben vornehmlich kleinerer Städte (Kammerorchester!), in der Kirchenmusikpflege und in den Collegia musica der Hochschulen eine wichtige, z. T. unersetzbare Funktion zukommt. Lit.: A. SCHERING, Künstler, K. u. L. der Musik im Zeitalter Haydns u. Goethes, in: Jb. Peters 38 (1931); E. PREUSSNER, Die bürgerliche Musikkultur (H 1935, Kas '1950); H. CH. WoRBs, Komponist, Publikum u. Auftraggeber ... , in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr — Kö 1958); M. BRIGUET, Faire de la musique. L'amateur et ses problèmes (P 1960); C. DAHLHAUS, Der Dilettant u. der Banause in der Musikgesch., in: AfMw 25 (1968); E. REIMER, K.-L., Dilettant, in: HMT (1974). H. WOHLFARTH

KENTNER, Louis Philip, *19. 7. 1905 Karwin (östr. Schlesien, heute Karwina, Polen); brit. Pianist und Komponist ung. Herkunft. Er studierte 1911-22 an der Musikakademie in Budapest Klavier und Komposition (L. Weiner, Z. Kodály) und debütierte dort 1920. Konzertreisen führten ihn in der Folge durch Europa und nach Übersee. 1935 nahm er seinen ständigen Wohnsitz in London. K. wurde vor allem als Chopin- und Liszt-Interpret bekannt. 1933 spielte er in der Uraufführung B. Bartóks 2. Klavierkonzert, 1946 als europäische Erstaufführung dessen 3. Klavierkonzert. Er ist auch als Komponist von Kammermusik und Liedern hervorgetreten. Schriften: The Interpretation of Liszt's Piano Music u. Liszt and the RomanticAge, in: F. Liszt, hrsg. v. A. Walker (Lo — NY 1970); Das Klavier (Zug 1975).

KENTON, Stan (eig. Stanley Newcomb),

*19. 2. 1912 Wichita (Kansas), t 26.8.1979 Los Angeles; amerik. Jazzmusiker (Bandleader, Pianist, Arrangeur). Er war seit 1928 zuerst als Arrangeur, dann auch als Pianist tätig und gründete 1941 seine erste Band. Anfangs vom Swing-Stil beeinflußt, wandte er sich 1947 dem Afro-Cuban Jazz zu und interpretierte um 1950 mit einem 40Mann-Orchester symphonisch und lateinamerikanisch beeinflußte Musik. Seit den 50er Jahren musizierte er mit verschiedenen Gruppierungen, seit 1965 spielte er mit seinem Neophonic Orchestra in Los Angeles Synthesen aus Jazz und symphonischer Musik. K.s Bedeutung in der Geschichte des Jazz liegt nicht zuletzt in seinem ständigen Bemühen, dessen Grenzen nach verschiedenen Richtungen

hin zu überschreiten. Er selbst nannte dies „Progressive Jazz". Besonders in den 70er Jahren kümmerte sich K. auch intensiv um den Jazznachwuchs an amerikanischen Colleges. KERAS (griech.), Bz. für ein antikes Tierhorn, das als Trinkhorn, aber auch als Signalinstrument benutzt wurde. Die charakteristische Form konnte auch aus Metall oder Ton nachgebildet werden. Der Überlieferung nach ließ Alexander der Große ein K. von 2,40 m Durchmesser bauen, dessen Klang angeblich 18 km weit zu hören war. KERBFLÖTE, Bz. für eine kernlose Längsflöte mit 0-7 Grifflöchern, bei der auf der Vorderseite an der oberen Öffnung eine runde, drei- oder viereckige Kerbe eingeschnitten ist, die wie der Aufschnitt der Kernspaltflöte abgeflacht wird. Der Spieler bläst gegen die Kerbe, indem er mit der Unterlippe fast die ganze obere Öffnung bedeckt. Die K. ist als Volksmusikinstrument außerhalb Europas weit verbreitet; die heute wohl bekannteste K. ist die Kena (Qena) der südamerikanischen Indianer. KERCKHOVEN, belgische Musikerfamilie des 16.-18. Jh., aus der zahlreiche Mitglieder als Organisten oder Sänger in Brüssel und am königlichen Hof tätig waren. Von Abraham van den K., getauft 2.5.1627 Brüssel, t 9.1.1702 ebd., 1.Organist der königlichen Kapelle seit 1656, sind hsl. Werke für Orgel erhalten. Ausg.: A. van den K., Werken voor Org., hrsg. v. J. WATELET (An 1933) (= MMBeIg 2).

KERLE, Jacobus von, * 1531 oder 1532 Ypern, t 7. 1. 1591 Prag; frz.-ndl. Komponist. Er studierte bei Gilles Bracquet, vielleicht auch bei Clemens non Papa in Ypern und begab sich zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Italien, wo er wahrscheinlich die Priesterweihe empfing und seit 1555 Organist und Glockenspieler am Dom zu Orvieto war. 1562 321

Kerll wurde er Kapellmeister der Privatkapelle des Bischofs von Augsburg, des Kardinals Otto Truchseß von Waldburg, der sich seit 1559 in Rom aufhielt. Ihn begleitete K. 1563-64 auf einer Reise durch Norditalien nach Barcelona. Bei dieser Gelegenheit besuchte er auch Trient, wo in derselben Zeit das Konzil stattfand. Mit der Kapelle siedelte er dann nach Dillingen über, bis diese 1565 aufgelöst wurde. Im selben Jahr und 1567 ist er als Kapellmeister in Ypern bezeugt, und 1566 immatrikulierte er sich an der Universität Dillingen. In diese Zeit fällt auch eine gerichtliche Verurteilung und seine zeitweilige Exkommunikation. 1568 wurde er in das Domkapitel in Augsburg aufgenommen, zunächst als Chorvikar, dann als Organist. Dort entfaltete er bis 1575 eine fruchtbare künstlerische Tätigkeit. In der Folgezeit hielt er sich u. a. in Mons und in Köln auf, bis er 1582 Mitglied der Kaiserlichen Hofkapelle wurde. In dieser Stellung lebte er erst in Wien, dann (seit 1583) in Prag. WW: Geistliche WW: Messen für 4-5 St. (V 1562); Messen mit Te Deum für 4-5 St. (An 1582/83); mehrere Bücher Motetten bzw. Cantiones sacrae (Nü 1571, P 1572, Mn 1572, Mn 1573 [2 verschiedene Slgen.], Mn 1575, Pr 1585); Hymni totius anni für 4-5 St. (R 1560); Liber psalmorum ad vesperas u. Magnificat octo tonorum für 4 St. (V 1561); Preces speciales pro salubri generalis concilii successu für 4St. (V 1562); andere WW auch hsl. u. in Sammeldrucken der Zeit erhalten.

K.s Werke stehen einerseits in der Tradition der niederländischen Musik und verweisen auf das Vorbild Josquins des Prés. Andererseits nehmen seine liturgischen Kompositionen in vielen Einzelheiten der Satz- und Ausdruckskunst den Stil der Römischen Schule und Palestrinas vorweg. Dies gilt besonders auch für die Preces speciales (1562), die K. eigens für das Trienter Konzil geschrieben hat. Sie fanden dort großen Beifall und trugen bei den Konzilsvätern ähnlich entscheidend zu einer günstigen Beurteilung der mehrstimmigen Kirchenmusik bei wie die etwa gleichzeitig entstandene Missa Papae Marcelli von Palestrina. Ausg.: Ausgew. Werke I (Preces speciales), hrsg. v. O. URSPRUNG (Au 1926) (= DTB 34), NA revidiert u. hrsg. v. R. MACHOLD (Wie 1974). - Te Deum aus dem Motettenbuch 1571, in: R.J. VAN MALDEGHEM, Trésor musical. Musique religieuse 1 (Bru 1865); 5 Motetten, in: ebd. 17 (1881); je eine Messe v. 1562 in: ebd. 22 (1886) u. 28 (1892). Lit.: O. URSPRUNG, J. de K. (Diss. Mn 1913); F. HABERL, Die Kirchenmusik beim Konzil von Trient u. J. de K., in: MS 85 (1965); DERS., J. de K. e le sue „Preci speciali" per il Concilio di Trento, in: Quadrivium 7 (1966); G. HAYDON, The Hymns of J. de K. (NY 1966). M. HONEGGER

KERLL (Kerl, Kherl, Cheri), Johann Kaspar von, * 9.4. 1627 Adorf (Vogtland), t 13.2. 1693 München; dt. Komponist. Er war der Sohn eines protestantischen Organisten, trat aber später zum Katholizismus über. Nachdem er früh in den Dienst 322

des Erzherzogs Leopold Wilhelm, des Bruders von Kaiser Ferdinand III., getreten war, studierte er in Wien bei G. Valentini und in Rom bei G. Carissimi und vielleicht auch bei G. Frescobaldi. Er war Organist des Erzherzogs in Brüssel, Wien und Kremsier bei Olmütz und übernahm 1656 die Leitung der Münchner Hofkapelle. Hier wurde K. vor allem als Opernkomponist bekannt. 1673 gab er wegen Intrigen den Posten auf und ging nach Wien, wo er 1677 Organist der kaiserlichen Kapelle wurde. Aus dieser Zeit stammen seine Kompositionen für Tasteninstrumente. Nach der Belagerung Wiens durch die Türken (1683) kehrte K. nach München zurück, behielt aber den Organistenposten am kaiserlichen Hof bis 1692 bei. Als berühmter Orgelund Kompositionslehrer hatte er A. Steffani, Fr. X. Murschhauser und J. M. Gletle zu Schülern, ebenso seinen Sohn Johann Christoph (1669-1730), der später Hoforganist in München war. WW: 1) Iostr.-WW: Modulatio organica super Magnificat (Mn 1686); Toccates & suiffes pour le clavessin de Messieurs Pasquini, Poglietti & G. K. (A 1704), dazu A second collection ... (Lo um 1780); einzelne Canzonen und Sonaten für Instr. u. B.c. (hsl.). 2) Vokal-WW: Delectus sacrarum cantionum für 2-5 St. u. B.c. (Mn 1669); Messen für 4-6 St. u. Instr. mit Ripienochor (Mn 1689); weitere kirchenmusikal. WW (Messen für versch. Besetzungen, Motetten u. a.) sind hsl. erhalten; desgleichen ein musikal. Jesuitendrama Pia et fortis mulier in S. Natalia sowie eine dt. Kantate u. ein it. Duett. Von K.s Opern haben sich nur einzelne Textbücher erhalten.

K. ist einer der führenden deutschen Komponisten der 2. Hälfte des 17. Jh. vor allem auf dem Gebiet der Kirchen- und Instrumentalmusik. Sein Schaffen vermittelt zwischen den großen römischen Meistern des 17. Jh. (und insbesondere G. Carissimi und G. Frescobaldi) und den deutschen Komponisten des frühen und mittleren 18. Jh. Wie groß der Einfluß auf seine Nachwelt war, geht nicht zuletzt daraus hervor, daß J. S. Bach und G. F. Händel einige

seiner Werke für Tasteninstrumente bearbeitet bzw. Teile davon in eigene Kompositionen übernommen haben. Ausg.: Ausgew. Werke I (Werke für Org. u. Klv., geistl. Konzerte u. a.), hrsg. v. A. SANDBERGER (L 1901) (= DTB 2/2); 2 Messen, in: Messen v. H. I. F. Biber, J. H. Schmeltzer u. J. C. K., hrsg. v. G. ADLER (W 1918) (= DT0 49); 1 Missa pro defunctis, in: Drei Requiem ... aus dem 17. Jh., hrsg. v. DEMS. (W 1923) ( = ebd. 59); Canzonen u. Ricercata, in: Ricercare, Canzonen u. Fugen des 17. u. 18. Jh., hrsg. v. W. HILLEMANN (Kas 1956) ( _ Nagels MA 87); Modulatio organica, hrsg. v. R. WALTER (Altötting 1957, 2 1968) (= Süddt. Orgelmeister des Barock 2). Lit.: A. C. GIEBLER, The Masses of J. C. K., 2 Bde. (1957) ( = Diss. Univ. of Michigan) (darin Ausg. v. 2 Messen); F. W. RIEDEL, J. K. K., in: MGG VII; R. SCHAAL, Quellen zu J. K. K., in: Anzeiger der philosophisch-hist. Klasse der Ostr. Akad. der Wiss. 99 (1962); F. W. RIEDEL, Neue Mitteilungen z. Lebensgesch. v. A. Poglietti u. J. K. K., in: AfMw 19/20 (1962/63); L. F. TAGLIAVINI, Un'importante fonte per la musica cembalistica-organistica di J. K. K., in: Collectanea historiae musicae 4 (1966). F. W. RIEDEL

Kertész

KERMAN, Joseph Wilfred, * 3. 4. 1924 London; amerik. Musikforscher. Er studierte an der Princeton University (N. J.), an der er 1951 mit einer Dissertation über The Elizabethan Madrigal promovierte. 1951 wurde er an die University of California in Berkeley berufen, an der er seit 1958 als Professor of Music tätig ist. Schwerpunkte seiner Forschungen sind neben musikästhetischen Fragen die engl. Musik des 16. Jh. und L. van Beethoven. Schriften: Opera as Drama (NY 1956,1959, Lo 1958); The Elizabethan Madrigal. A Comparative Study (NY 1962) (= MSD 4); Byrd's Motets. Chronology and Canon, in: JAMS 14 (1961); The Beethoven Quartets (NY - Lo 1967); A History of Art and Music (Englewood Cliffs/N.J. - NY 1968); Beethovens Early Sketches, in: MQ 56 (1970); L. van Beethoven. Autograph Miscellany from ca. 1786 to 1799... (The „Kafka Sketchbook"), 2 Bde. (Lo 1970); Listen (NY 1972, 2 1977); „An die ferne Geliebte", in: Beethoven Studies (NY 1973). - K. ist Hrsg. (zus. mit D. K. Holoman u. R. Winter) v. 19th Century Music (Berkeley 1977 ff.).

KERN, Adele, * 25. 11. 1901 München, t Mai 1980 ebd.; dt. Sängerin (Sopran). Sie studierte in München, debütierte 1924 an der Staatsoper als Olympia in Hoffmanns Erzählungen von J. Offenbach und sang nach einem Engagement in Frankfurt am Main (1926/27) und einer Südamerikatournee (1927/28) 1928-34 wieder an der Bayerischen Staatsoper in München, 1935-37 an der Berliner Staatsoper und war für 1938-43 wieder in München engagiert; 1947 beendete sie ihre Bühnenlaufbahn. A. K. trat im Verlauf ihrer Karriere an allen großen Opernhäusern Europas und bei den Salzburger Festspielen auf. Ihre größten Erfolge hatte sie in Mozart- und Strauss-Partien, so als Susanna, Zerlina, Despina, Sophie und Zerbinetta.

KERN, Jerome David, * 27.1.1885 New York, t 11.11. 1945 ebd.; amerik. Komponist. Nach dem Klavier- und Theoriestudium ging er nach Europa, wo er in London erstmals mit dem Musiktheater in Berührung kam. Nach seiner Rückkehr in die USA trat er zunächst mit musikalischen Komödien hervor, die einen genuin amerikanischen Gegenpol zur europäischen bzw. europäisch beeinflußten Operette darstellten (Very Good, Eddie; Oh, Boy; Leave it to Jane). In den 20er Jahren schrieb er zwei außerordentlich erfolgreiche Shows für Marilyn Miller (Sally, Sunny) und brachte 1927 zusammen mit O. Hammerstein II Show Boat (mit dem weltberühmten Schlager OI' Man River) heraus. In den 30er Jahren wandte K. sich einer eigenen Form der modernen Operette zu (The Cat and the Fiddle, Music in the Air, Roberta) und war als Komponist für den Tonfilm erfolgreich (u. a. Swing Time mit Fred Astaire). Aus seinem letzten Broadway-Musical Very Warm for May stammt der Weltschlager All the Things you are. Vor allem mit Show Boat, einem der ersten typisch amerikanischen Musicals, hat K. die Entwicklung dieser Gattung nachhaltig beeinflußt. Dies zeigt sich u. a. in den Werken von G. Gershwin und R. Rodgers. WW: The Red Petticoat (1912); Very Good, Eddie (1915); Oh, Boy (1917); Leave it to Jane (1917); Sally (1920); Sunny(1925); Show Boat, UA: New York 1927, dt. EA: Freiburg 1970; The Cat and the Fiddle (1931); Music in the Air (1932); Roberta (1933); Three Sisters (1934), Very Warm for May (1939). Lit.: The J. K. Song Book, hrsg. v. O. HAMMERSTEIN - A. SIRMAY (NY 1955); D. EWEN, The World of J. K. (NY 1960); S. SCHMIDT-Joos, Das Musical (Mn 1965) (= dtv 319); S. GREEN, The World of Musical Comedy (NY 31974).

KERN, Alfred, *17. 2. 1910 Vendenheim (Elsaß); frz. Orgelbauer. Nachdem er bei den Werkstätten Roethinger (Straßburg), Haerpfer & Erman (Boulay), Walcker (Ludwigsburg) und Mühleisen (Straßburg) gearbeitet hatte, gründete er 1953 eine eigene Orgelbauwerkstatt in Straßburg, wo er ausschließlich Orgeln mit Schleifladen und rein mechanischer Traktur auf der Grundlage des französischen und insbesondere elsässischen Orgelbaus des 18. Jh. unter gelegentlicher Einbeziehung von Elementen des norddeutschen Barock baut. Er restaurierte zahlreiche Orgeln des 18. und 19. Jh., insbesondere im Elsaß, und baute u. a. neue Instrumente in Paris, St-Séverin (1964; 4 Man., 57 Reg.), Thionville (1969; 3 Man., 44 Reg.), Mülhausen, St-Jean (1972, Rekonstruktion einer SilbermannOrgel von 1764; 3 Man., 31 Reg.), Paris, St-Jacques-du-Haut-Pas (1971; 4 Man., 47 Reg.) und Notre-Dame-des-Victoires (1974; 4 Man., 49 Reg.) sowie Dallas Tex. (1978; 3 Man., 46 Reg.).

KERNSPALTFLÖTE řFloole. KERTÉSZ, István, * 28.8. 1929 Budapest, t 16.4. 1973 bei Kfar Saba (Israel); dt. Dirigent ung. Herkunft. Er studierte 1947-53 an der Musikhochschule Budapest Violine, Theorie (L. Weiner), Komposition (Z. Kodály) und Dirigieren (L. Somogyi). 1953-56 war er Kapellmeister an der Staatsoper Budapest und ging 1957 über Wien und Rom nach Deutschland, wo er 1958-64 GMD an den Städtischen Bühnen Augsburg sowie seit 1964 GMD der Oper in Köln war. K. gehörte zu den meistbeschäftigten Opern- und Konzertdirigenten der 60er und frühen 70er Jahre an allen bedeutenden Festspielplätzen und mit den Spitzenorchestern Europas, der USA und Japans. Seine Frau Edith Kertész-Gabry gehört seit 1964 als lyrischer und Koloratursopran der Kölner Oper an und ist seit 1974 auch Professor für Gesang an der Musikhochschule Rheinland in Köln.

Lit.: Orgeln in Paris, hrsg. v. H. J. BUSCH (B 1977, 21979). H. J. BUSCH

Lit.: I. K., hrsg. v. K. RICHTER (Au 1974) (mit Diskographie u. Inszenierungskat.).

R.-M. SIMON - S. SIMON

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Kes KES, Willem, *16. 2. 1856 Dordrecht, t 21.2. 1934 München; ndl. Dirigent und Komponist. Er studierte Violine bei Ferdinand David, H. Wieniawski und J. Joachim sowie Komposition bei C. Reinecke. Seit 1877 als Dirigent tätig, gründete er 1888 das Concertgebouworkest in Amsterdam und leitete es bis 1895. 1896-98 war er Dirigent in Glasgow, 1898-1900 in Moskau und 1901-04 in Koblenz. Sein Repertoire war für seine Zeit sehr fortschrittlich (mit Werken von R. Strauss, A. Dvořák, E. Chabrier, E. Chausson, V. d'Indy); er war einer der ersten, die während der Konzerte Ruhe verlangten. Seine Kompositionen stehen unter dem Einflug von R. Wagner, M. Bruch und R. Strauss. WW: Klv.- u. V.-Stücke; Ouvertüren; eine Symphonie; V.- u. Vc.-Konzerte; Lieder u. die Ballade Der Taucher für Soli, Chor u. Orch. Lit.: S. A. M. BOTTENHEIM, Geschiedenis van het Concertgebouw I (A 1948); E. REESER, Een eeuw Nederlandse muziek (A 1950).

KESSELMUNDSTUCK /Mundstück. KESSELPAUKE /Pauke. KESTENBERG, Leo, * 27.11.1882 Rosenberg (Ungarn; heute Ruzomberk, Slowakei), t 14.1. 1962 Tel Aviv; israelischer Pianist und Musikpädagoge. Er studierte bei Fr. Kullak und F. Busoni (Klavier) sowie bei F. Draeseke (Komposition). Nach einer Lehrtätigkeit am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin wurde K. 1918 Referent für musikalische Angelegenheiten im preuBischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 1921 Professor. 1933 emigrierte er nach Prag, leitete dort ein Internationales Institut für Musikerziehung und ging 1939 nach Palästina, wo er zunächst mit der Leitung des Palästina-Orchesters betraut wurde. 1945 übernahm K. die Leitung eines Musiklehrerseminars in Tel Aviv, wo er seine musikerzieherische Tätigkeit wieder aufnahm. K. hatte 1920-30 wesentlichen Einfluß auf das musikalische Unterrichtswesen in Preußen. Schriften: Musikerziehung u. Musikpflege (L 1921, 21927); Bewegte Zeiten. Musisch-musikantische Lebenserinnerungen (Wb - Z 1961). Lit.: G. BRAUN, Die Schulmusikerziehung in Preußen (Kas 1957) (= Musikwiss. Arbeiten 11) (mit einem Aufsatz u. Erlassen v. K.); U. GÜNTHER, Die Schulmusikerziehung v. der K.Reform bis zum Ende des Dritten Reiches (Neuwied 1967) (= Aktuelle Pädagogik o. Nr.).

KEUSCHE SUSANNE, DIE, Operette in 3 Akten von Jean Gilbert (1879-1942), Text von Georg Okonkowski mit einigen Gesangstexten von Alfred Schönfeld nach dem Schwank Fils à Papa von Antony Mars und Maurice Desvallieres. Ort u. Zeit der 324

Handlung: Paris um 1910. UA: 26.2. 1910 in Magdeburg (Wilhelm-Theater). Verfilmt 1926, 1933 u. 1941. Die französische Verwechslungskomödie von den scheinbar tugendsamen Bürgern, die sich alle im „verruchten" Moulin Rouge treffen und schließlich (im 3. Akt) Mühe haben, sich gegenseitig von ihrer Respektabilität zu überzeugen, bildete für Gilbert die langgesuchte Vorlage, ein Bild bürgerlicher Gesellschaftsschichten persiflierend nachzuzeichnen. Er beließ die Handlung in Paris, in seiner Musik aber fühlt man sich trotz deutlicher Reminiszenzen an J. Offenbach (Susann, Susann und Can-CanBallett) in das Berlin Anfang des Jahrhunderts versetzt. In dem großen Duett Wenn der Vater mit dem Sohne oder dem im Werk mehrmals anklingenden Walzer Wenn die FüBchen sich heben wird das besonders lebendig. Die harmonische Einfachheit (fast jeder Refrain endet nach 16 Takten in der Dominante) ermöglichte es dem Publikum, die geradezu banal klingenden Nummern begeistert aufzugreifen und zu bis heute bekannten Schlagern zu machen. Als Ganzes war dem Werk jedoch — trotz der Neubearbeitung durch Gilberts Sohn Robert 1953, der den Schauplatz von Paris nach Berlin verlegte und aus anderen Operetten seines Vaters beliebte Melodien (z. B. Puppchen, du bist mein Augenstern) einbezog — kein dauerhafter Erfolg beschieden. B. DELCKER KEUSSLER (eig. KeuBler), Gerhard von, * 23.6. (5. 7.) 1874 Schwanenberg (Livland), t 21.8. 1949 Niederwartha bei Dresden; dt. Komponist und Musikforscher. Er studierte zunächst Biologie, wandte sich dann der Musik zu und studierte seit 1900 in Leipzig am Konservatorium (J. Klengel, C. Reinecke, S. Jadassohn) und an der Universität (H. Kretzschmar, H. Riemann), an der er 1920 mit einer Dissertation über Die Grenzen der Ästhetik promovierte. 1906 ließ er sich in Prag nieder, wo er die Choral- und Orchestergesellschaft leitete und am Athenaeum Vorlesungen über Musikgeschichte und -ästhetik hielt. 1918-21 leitete er in Hamburg die Singakademie und die Philharmonischen Konzerte, konzertierte dann vorwiegend mit eigenen Kompositionen und lebte 1932-35 in Melbourne. 1936 übernahm er die Kompositionsklasse der PreuBischen Akademie der Künste in Berlin. WW: 1) Instr.-WW: 2 Symphonien (1925, 1928); zahlr. symphonische Dichtungen; Auferstehung und Jüngstes Gericht für Sprecher u. Orch. (L 1905); An den Tod (1922). - 2) Vokal- a. Bëkoen-WW: Lieder, 4 Bde. (L 1902-17); Oratorien Jesus aus Nazareth (L 1921) u. Zebaoth (L 1924); Dramen Gefängnisse, UA: 1914 u. Die Geisselfahrt, UA: 1923. - 3) Schriften: Das dt. Volkslied u. Herder (Pr 1915); Händels Kulturdienst u. unsere Zeit (H 1919); Zur Tonsymbolik in den Messen Beethovens, in:

Kienzl Jb. Peters 27 (1920); Zu Bachs Choraltechnik, in: Bach-Jb. 24 (1927). Lit.: E. SIEMENS, G. von K., in: Musica 4 (1950); E. JANETSCHEK, Musik u. Nationalität. Aus dem Nachlaß v. G. von K., nach seinen Aufzeichnungen bearb., in: ZIM 114 (1953); P. NETTL, in: Musik des Ostens 2 (Kas 1963).

KIEL /Cembalo. KIEL, Friedrich, *8. 10. 1821 Puderbach/Wittgenstein, t 13.9. 1885 Berlin; dt. Komponist und Pädagoge. Er wurde 1840 Konzertmeister an der Kapelle des Fürsten Albrecht I. zu WittgensteinBerleburg, studierte dann in Berlin bei S. Dehn und wurde selbst ein begehrter Lehrer, zuerst am Sternschen Konservatorium, später an der Musikhochschule (1870), wo er seit 1882 eine Meisterklasse leitete. 1865 wurde er Mitglied der Akademie der Künste. K. war zu seiner Zeit vor allem seiner geistlichen Vokalwerke wegen berühmt. In dem Oratorium Christus wird das biblische Geschehen (Einzug in Jerusalem, Passion und Auferstehung) wie in F. Mendelssohn Bartholdys Elias ohne erzählenden Text quasi dramatisch dargestellt. Die musikalische Gestaltung lehnt sich ebenfalls stark an Mendelssohns Oratorienstil an, zeigt aber auch direkte Anlehnungen (besonders in den Partien Christi, der anderen handelnden Personen und der Turbae) an die Passionen J. S. Bachs. — 1979 wurde eine Fr.-K.-Gesellschaft gegründet (Sitz Coppenbrügge). WW: 7 Klv.-Trios (1850-71); 2 Streichquartette (1868); 3 Klv.Quartette (1866, 1867); 2 Klv.-Quintette (beide 1874); Klv.Konzert. - 2 Requiem, f-moll (1860, revidiert 1878), A-Dur (1881); Missa solemnis (1865); Te Deum (1866); Oratorien Christus (1872) u. Der Stern von Bethlehem (1884). Lit.: E. REINECKE, F. K. (Diss. Kö 1937); P. PFEIL, Die Hss. des Komponisten F. K. in der Stadt- u. Landesbibl. Dortmund, in: Zschr. Wittgenstein 51 (1963); G. PUCHELT, Verlorene Klänge. Stud. z. dt. Klv.-Musik 1830-80 (B 1969); R. SIETZ, in: Rheinische Musiker 6, hrsg. v. D. Kämper (Kö 1969) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 83); P. PFEIL. Briefe des Komponisten F. K., in: Zschr. Wittgenstein 59 (1971); W. SCHNEIDER, Irrtümer in F.K.s Selbstbiogr., in: ebd. 63 (1975).

KIELFLUGEL /Cembalo. KIEM, Paul (genannt der Kiem Pauli), * 25.10. 1882 München, t 10.9. 1960 Kreuth bei Tegernsee; dt. Volksliedforscher und -sammler. Bereits in seiner Jugend zog er als Wandermusikant durch die Lande. 1910 gründete er mit Hansl Reither und Karl Holl das Tegernseer Trio, das zusammen mit dem Dengg'schen Bauerntheater auf Reisen ging. Durch die Bekanntschaft mit Herzog Ludwig Wilhelm von Bayern und Ludwig Thoma erhielt K. Kenntnis von den Bemühungen um die Wiederbelebung des österreichischen Volkslieds. Seit 1924 lebte er in Bad Kreuth und widmete sich ganz der

Volksliedarbeit in enger Zusammenarbeit mit K. Huber (seit 1925). Beide veröffentlichten die Liederbücher Oberbayerische Volkslieder mit Bildern und Weisen (Mn 1930, 31937) und Altbayerische Volkslieder (Mz o. J.). Seit 1930 veranstaltete K. sog. Preissingen, die als der eigentliche Beginn der Wiederbelebung und Pflege bayerischer Volksmusik gelten. Lit.: Das Volkslied in Altbayern u. seine Sänger. Ein Geburtstagsbuch für den K. P., hrsg. v. A. THOMA (Mn 1952); Beitr. zum 75. Geburtstag, zum Tode, zum 80. Geburtstag u. zum 10jährigen Todestag, in: Schönere Heimat. Erbe u. Gegenwart 46 (1957), 49 (1960), 51 (1962) u. 59 (1970); dass., in: Volksmusik in Bayern. Aufsätze z. Volksmusikforsch. u. -pflege 1912-1977 (Mn 1978); A. W URZ, in: Unser Bayern 9 (1970).

KIENZL, Wilhelm, * 17.1. 1857 Weizenkirchen (Steiermark), t 19.10. 1941 Wien; östr. Komponist. Er erhielt eine musikalische Ausbildung bei dem Fr. Liszt-Schüler Mortier de Fontaine, studierte 1874-79 in Wien Komposition bei Wilhelm Mayer, einem seinerzeit berühmten Wiener Lehrer, zu dessen Schülern auch F. von Weingartner und F. Busoni zählten, und promovierte 1878 bei E. Hanslick mit einer Dissertation über Die musikalische Deklamation (L 1880). Nach einem Aufenthalt in Bayreuth (1879), wo er Aufnahme in R. Wagners engsten Freundeskreis fand, reiste K. als konzertierender Pianist, war zeitweilig als Kapellmeister in Amsterdam, Hamburg und München tätig, wurde 1897 in Graz seßhaft und übersiedelte 1917 nach Wien, wo er, durch den großen Erfolg des Evangelimann (vollendet 1894) zu internationalem Ruhm gelangt, als vielfach geehrter Komponist und Musikschriftsteller wirkte. WW: 1) Kompositionen: Klv.-Stücke u. Kammermusik, darunter 3 Streichquartette; Orch.-Werke; Lieder. - Bühnen-WW: Opern Urvasi, UA: Dresden 1886 u. Heilmar der Narr, UA: München 1892; Schauspiel Der Evangelimann, UA: Berlin 1895; Tragikomödie Don Quixote, UA: Berlin 1898; Weihnachtsmärchenspiel In Knecht Ruprechts Werkstatt, UA: Graz 1907; Schauspiel Der Kuhreigen, UA: Wien 1911; Mus. Komödie Das Testament, UA: Wien 1916; Oper Hassan der Schwärmer, UA: Chemnitz 1925; Melodramatische Allegorie Sanctissimum, UA: Wien 1925; Singspiel Hans Kipfel, UA: Wien 1926. - 2) Schritten: Miszellen (Gesammelte Aufsätze) (L 1886); R. Wagner. Die Gesamtkunst des 19.16. (Mn 1904); Aus Kunst und Leben (Gesammelte Aufsätze (B 21904); Meine Lebenswanderung (St 1926).

Weniger zu dramatisch-expressiven als zu lyrischverhaltenen Ausdrucksnuancen neigend, entwikkelte K. eine sensible musikalische Poetik, die das Klangbild der instrumentalen Kleinformen, Lieder und Bühnenwerke gleichermaßen beherrschte. Seine musikalischen Schauspiele, wohl den historisch und künstlerisch bedeutendsten Teil seines Gesamtwerks ausmachend, bestechen durch die ästhetisch stets treffsichere und sorgfältig differenzierte Zuordnung von Klangsprache und Situa325

Kiepura tionsatmosphäre, wobei die Vorliebe für realistische und volkstümliche Elemente veristischen Tendenzen im zeitgenössischen Opernschaffen entspricht. Ernsthafte gedankliche Arbeit in ansprechender Form sicherte auch K.s Schriften große Beachtung und Popularität. Lit.: M. MOROLD, Monographien moderner Musiker 3 (L 1909); H. SITFNER, K., Rosegger, eine Künstlerfreundschaft Z 1953); DERS., W.K., in: Große Österreicher 10 (Z 1957); K. TRAMBAUER, W. Kienzls Opernstoffe (Diss. W 1950); C. OTTNER, Das Wort-Tonproblem in den Klavierliedern W. K.s (Diss. W 1974). W. A. MAKUS

KIEPURA, Jan, *16. 5. 1902 Sosnowiece (Polen), t 15.8.1966 Harrison (New York); amerik. Sänger poln. Herkunft (Tenor). Er wurde in Warschau ausgebildet und debütierte 1924 in Lemberg in der Titelrolle von Ch. Gounods Faust. Nach Engagements in Warschau und Posen sang er 1926-28 an der Wiener Staatsoper, danach u. a. an der Mailänder Scala, der Pariser Opéra-Comique, der Berliner Staatsoper sowie am Teatro Colón in Buenos Aires und war 1938-41 Mitglied der Metropolitan Opera in New York. 1944 ließ er sich in den USA nieder und wurde nach dem Kriege amerikanischer Staatsbürger. Sein Repertoire umfaßte vor allem das italienische Fach, aber auch Operettenpartien und Schlager. Seine Popularität beruhte vor allem darauf, daß er — seit den 30er Jahren oft zusammen mit seiner Frau, der Sopranistin Martha Eggerth — bei vielen Tonfilmen mitwirkte. Lit.: J. WALDORFF, J. K. (Krakau 1974).

KIESEWETTER, Raphael Georg, Edler von Wiesenborn, * 29.8. 1773 Holleschau (Mähren), t 1.1. 1850 Baden bei Wien; östr. Musikforscher. Nach einem Rechtsstudium in Wien wurde er Beamter im Hofkriegsrat und studierte später noch Generalbaß und Kontrapunkt bei J. G. Albrechtsberger. Er war auch als Sänger ausgebildet. Neben seiner beruflichen Tätigkeit widmete er sich wie viele andere „Dilettanten" seiner Zeit intensiv der Musik. In seiner Wohnung in Wien veranstaltete er 1816-45 mit professionellen und Amateur-Musikern „historische Konzerte", bei denen Vokalwerke des 16.-18. Jh. aufgeführt wurden. Seine für diesen Zweck angelegte umfangreiche Musikaliensammlung (heute in der östr. Nationalbibl.), aus der er eine Auswahl als Galerie alter Kontrapunktisten veröffentlichte (W 1847), bildete später eine wichtige Grundlage auch für die Geschichte der Musik seines Neffen A. W. Ambros (1862ff.). Mit seinen musikalischen Aktivitäten und mit seinen zahlreichen Schriften ist K. ähnlich wie A. F. J. Thibaut, G. Baini, C. v. Winterfeld und K. Proske ein bedeutender Repräsentant des musikalischen Historis326

mus in der 1. Hälfte des 19. Jh. und zugleich ein Wegbereiter der neuzeitlichen Musikforschung. Geschichte gemacht hat namentlich seine Abhandlung Die Verdienste der Niederländer um die Tonkunst, die im Zusammenhang mit einer Preisfrage der Niederländischen Akademie 1826 ebenso wie eine Arbeit von Fr.-J. Fétis über dasselbe Thema prämiert wurde (beide gedruckt 1829). K. hat damit erstmals die Aufmerksamkeit der musikalischen Praxis und Forschung auf die eigentümliche Kunst der Niederländer gelenkt. Schriften: Gesch. der europäisch-abendländischen oder unserer heutigen Musik (L 1834, =1846 Nachdr.); Ober die Musik der neueren Griechen, nebst freien Gedanken über altegyptische u. altgriech. Musik (L 1838); Guido von Arezzo (L 1840); Schicksale u. Beschaffenheit des weltlichen Gesanges vom frühen MA bis zu der Erfindung des dramatischen Styles u. den Anfängen der Oper (L 1841, Nachdr. Osnabrück 1970); Die Musik der Araber (L 1842, Nachdr. Den Haag 1967, Wie 1968); Der neuen Aristoxenerzerstreute Aufsätze (L 1846); Ober die Octave des Pythagoras (W 1848); Galerie alter Kontrapunktisten (W 1847). Lit.: Aufsätze: O. WESSELY, R. G. K., in: MGG VII; E. RIEGER, Zwei Briefe O. Nicolais an R. G. K., in: StMw 24 (1962); H. KIER, K.s Hist. Hauskonzerte. Zur Gesch. der kirchenmusikal. Restauration in Wien, in: KmJb 52 (1968); DERS., R. G. K. Wegbereiter des musikal. Historismus (Rb 1968) (= Stud. z. Musikgesch. des 19.1h. 13); B. MEIER, Zur Musikhistoriographie des 19. Jh., in: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik, hrsg. v. W. Wiora (Rb 1969) (= ebd. 14); W. PAss, Beethoven u. der Historismus, in: Beethoven-Stud. (W 1970) (= Sb. Wien 270. Veröff. der Kommission für Musikforsch. 11).

KIESSLING, Heinz (Pseudonym: Christian Mondstein), *11. 3. 1926 Nürnberg; dt. Komponist. Nach seinem Studium am Nürnberger Konservatorium (1946-49) arbeitete er als Konzertpianist. Seit 1950 ist er als Komponist und Arrangeur von Unterhaltungsmusik tätig. Er machte sich besonders durch zahlreiche Produktionen für Funk und Fernsehen einen Namen. WW: Spanische Impressionen (1953) für 2 Klv. u. Orch.; 3 Skizzen (1968) für V. u. Streichorch.; Pariser Bilderbogen für Orch. Zahlr. Schlager, u. a. In the Shadow of the Moon (1969) (Schallplatteneinspielung mit F. Sinatra). - Filmmusik zu: Casino de Paris (1957); Das Mädchen u. der Staatsanwalt (1962); Bel Ami 2000 (1966); Romeo und Julia 70 (1960).

KILLMAYER, Wilhelm, * 21.8. 1927 München; dt. Komponist. Er studierte in München 1945-55 bei H. v. Waltershausen (Komposition und Dirigieren), R. von Ficker (Musikwissenschaft) und C. Orff (Komposition) und war 1955-56 zunächst Theorielehrer am Trappschen Konservatorium, dann Ballettkapellmeister an der Staatsoper in München. Nach freischaffender Tätigkeit wurde er 1974 Professor für Komposition an der Musikhochschule München. K. ist vielfacher Preisträger (München, Stuttgart, Rom, Chicago) und seit 1972 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Sein Kompositionsstil, ur-

Kind sprünglich von Orffs Elementarrhythmik mitgeprägt, trägt stark gestische und rhetorische Züge. Klangphantasie und Formenreichtum sind charakteristisch für das breite Spektrum seines Gesamtwerkes. WW: 1) litr.-WW: Kammermusik für Jazzinstr. (1958); Tre danze (1959) für Ob. u. Schlagzeug; Streichquartett (1969); The Woods so Wilde (1970) für Schlagzeug, Xylorimba, Vibraphon, Fl., Va. u. Gitarre; Schumann in Endenich (1972) für Schlagzeugensemble; Paradies (1972) für Klv.; Kindertage (1973) für Schlagzeug, Va. u. Klv.; Klv.-Quartett (1975); An John Field (1978) für Klv. - Für Orch.: Klv.-Konzert (1955); Final puncto (1970) für Streichorch.; Nachtgedanken (1973); 3 Symphonien, 1: Fogli (1968), 2: Ricordance (1969), 3: Menschen-Los (1974); Trp.-Konzert The Broken Farewell (1977); 2 symphonische Dichtungen Jugendzeit (1978) u. Überstehen u. Hoffen (1978). 2) Vokal-WW: Sappho (1960) für Sopran u. kleines Orch.; Tre canti di Leopardi (1965) für Bar. u. Orch.; Tamquam sponsus (1974) für Sopran u. 7 Instr.; Laudate (1973) für Chor a cap. 3) Bïlmeo-WW: Ballettoper La buffonata, UA: Heidelberg 1961; Musikal. Posse Yolimba oder Die Grenzen der Magie, UA: Wiesbaden 1964, Neufassung München 1970; Der weiße Hut, UA: Stuttgart 1966. - Ballette: La tragedia di Orfeo, UA: München 1961; Pas de deux classique, UA: München 1965; Encores, UA: ebd. 1970. - Er schrieb Sprache als Musik, in: Melos 39 (1972). Lit.: W.-E. VON LEWINSKI, W. K. Vorwort zum Werk-Verz. (Mz 1971); H. VOGT, W. K., in: Neue Musik seit 1945 (St 1972). H. LINDLAR

KILPINEN, Yrjö, * 4.2. 1892 Helsinki, t 2.3. 1959 ebd.; finnischer Komponist. Er studierte in Helsinki, Wien und Berlin, war dann als Lehrer und Musikkritiker tätig und widmete sich seit 1925 ganz der Komposition. K. ist vor allem als Komponist von Liedern und Liederzyklen nach finnischen (L. Kyösti, E. Leino, V.A. Koskenniemi), schwedischen (P. Lagerkvist, A. Österling) und deutschen (Chr. Morgenstern, H. Löns, R. M. Rilke) Gedichten bekannt geworden. Der Tradition von J. Brahms und H. Wolf ebenso wie der Volksmusik seines Landes verpflichtet, gelang K. in diesen Werken ein origineller Beitrag zur Entwicklung des Sololieds in unserem Jahrhundert. WW: 2 Klv.-Sonaten u. Klv.-Suiten (L 1943); Suite für Viola da Gamba u. Klv. (L 1939); Sonate für Vc. u. Klv. (L 1951); etwa 600 Lieder auf finnische, schwedische u. dt. Gedichte, darunter die Sig. Kanteletar-lauluja (mit 64 Liedern) (He 1953-54). Lit.: Verz. der gedruckten Kompositionen, hrsg. v. M. PULKKINEN (He 1960). - A. O. A. VÄISÄNEN, Y. K.s KanteletarLieder, in: Kgr.-Ber. Hamburg 1958; G. KRAUSE, in: Musica 13 (1959); F. L. PULLANO. A Study of the Published German Songs of Y. K. (1970) (= Diss. Univ. of Illinois).

K'IN, Ch'in, Tjin (chinesisch), chinesische Zither mit gewölbter Decke und flachem Boden, sog. Wölbbrettzither. Von den heute 7 Saiten aus Seide sind 4 umsponnen. Sie werden von einer Befestigung an zwei FüBen unter dem Boden des Instruments ohne Steg über die Decke geführt und laufen am anderen Ende der Decke über einen Steg. Hinter diesem sind sieben Löcher durch Decke und Bo-

den gebohrt, durch die die Saiten zu den ebenfalls unter dem Boden angebrachten Stimmvorrichtungen gezogen werden. Das Instrument ruht beim Spielen auf einem Tisch, der oft an derjenigen Stelle ein Loch hat, an der der Spieler die Stimmvorrichtungen unterhalb des Bodens bedienen muß. Das K. hat verschiedene, den jeweiligen Musikstücken angepaßte Stimmungen. Der Spieler zupft die Saiten mit der rechten Hand, während die Finger der linken Hand die Saiten verkürzen. Geringe Tonhöhenänderungen werden durch seitliches Verschieben der angerissenen Saite auf der Decke erzeugt, klangliche Färbungen z. B. durch das Spielen des gleichen Tones auf verschiedenen Saiten. Auf der Decke unter der dicksten Saite sind 13 Markierungen angebracht, die die Lage der Naturtöne anzeigen. Sie erleichtern das Auffinden der Druckpunkte für die Spieltöne, sind mit diesen aber nicht identisch. Der Klang des Instruments ist sehr leise. Das K. scheint ein hohes Alter zu haben, der Name wird erstmals erwähnt im Shi-King(Buch der Lieder) aus dem 9.-6. Jh. v. Chr. Es galt als angesehenstes Instrument Chinas und wurde als sakrales Instrument besonders des Taoismus zur theoretischen Darstellung von Tonverhältnissen herangezogen. Eine besondere Blüte erlebte das K.-Spiel während der Ming-Dynastie (um 1368-1644). Die bedeutendste Schrift dieser Epoche verfaßte Leng Chien (um 1375) K'in shen shih liu fa (16 Regeln für die Töne des K.). Lit.: R. H. VAN GULIK, The Lore of the Chinese Lute. An Essay in Ch'in Ideology (Tokio 1940); H. TREFZGER, Über das K., seine Gesch., seine Technik, seine Notation u. seine Philosophie, in: SMZ 88 (1948); K. REINHARD, Chinesische Musik (Kas 2 1956); K. ROBINSON - H. ECKARDT, Chinesische Musik, in: MGG II; D. MING-YUEH LIANG, The Chinese Ch'in. Its History and Music (San Francisco 1972). M. BROCKER

KIND, Johann Friedrich, * 4.3.1768 Leipzig, t 25.6.1843 Dresden; dt. Schriftsteller und Librettist. Er studierte 1786-90 Jura in Leipzig und war 1792-1816 in Dresden als Advokat tätig. 1814 wurde er Mitglied des Literaturkreises „DichterThee" (später „Liederkreis"). Er schrieb Gedichte, Erzählungen und Dramen, die an August Wilhelm Iffland und A. Fr. Kotzebue orientiert sind. K. wurde bekannt vor allem als der Verfasser des Textbuches zu C. M. von Webers Der Freischütz oder Die Rosen des Eremiten nach der Erzählung Der Freischütz. Eine Volkssage (in: Gespensterbuch, hrsg. v. J. A. Apel u. Fr. Laun, L 1811). Weitere Libretti K.s wurden u. a. von H. Marschner (Der Holzdieb, UA: Dresden 1825), C. Kreutzer (Das Nachtlager von Granada, UA: Wien 1834) und J. W. Kalliwoda (Blanda oder Die silberne Birke, UA: ebd. 1847) vertont. In seiner Schrift Der Freischütz, Volksoper 327

Kinderlied in drei Aufzügen, Ausgabe letzter Hand (L 1843) veröffentlichte er u. a. eine kleine Autobiographie und Briefe von C. M. von Weber. Lit.: H. A. KRÜGER, Pseudoromantik. Fr. K. u. der Dresdner Liederkreis (L 1904); G. MAYERHOFER, „Abermals vom Freischützen", Der Münchener „Freischütze" v. 1812 (Rb 1959) ( = Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 7).

KINDERLIED umfaßt sowohl das von Erwachsenen für Kinder — improvisierend oder kunstgemäß — geschaffene als auch das von Kindern selbst geprägte und tradierte Singgut. Neben dem Lied ist auch der Reim bzw. Spruch zur Gattung zu rechnen — insofern zu Recht, als hier die Grenzen zwischen Musik und Sprache besonders fließend sind und für viele nur textlich tradierte K.er die ursprüngliche Funktion als Lied oder Spruch nicht mehr zu ergründen ist. — Das K. ist seit dem 13. Jh. belegt. Altersbestimmungen tradierter K.er durch Typenvergleich oder aufgrund inhaltlicher (mythischer, historischer, volkskundlicher) Details bleiben aber meist Spekulation, auch wenn z. T. Anhaltspunkte für hohes Alter vorhanden sind (archaische Tonalität und Sprache, stichische Reihung, Zeilenmelodik, Zauberformelnähe) und bestimmte frühe Tänze und Spiele sogar nur im K. tradiert wurden. — Das bis zum 19. Jh. zunächst nur sporadische Interesse am K. wuchs seit Des Knaben Wunderhorn (1806-08) erheblich und führte einerseits zu intensiver Sammlung und Erforschung, andererseits zur Popularisierung durch Editionen und zahlreiche Neuschöpfungen. Der Erwachsenenanteil am K. spiegelt sich besonders in der pädagogischen Intention (Kose-, Trost-, Zucht-, Zähl-, Buchstabier- und „Pflege"-Reime; religiöses K.), in der unterhaltenden Funktion (Schaukel-, Kniereiter-, Neck-, Scherz- und Erzähllied), in brauchtümlicher Bindung sowie in elaborierter Sprache und Struktur. Der eigenschöpferische Anteil von Kindern ist demgegenüber relativ gering. Seine Merkmale sind eine Melodik, in der das sog. K.Ternar (sol-mi-la) bzw. einfache Durwendungen, Sprach- und Bewegungsrhythmus, Analogie und Wiederholung dominieren, und ein Text, den Klangsilben, Lautimitation, Ruf, Wortverfremdung, Paarreim mit weitgehenden Freiheiten und häufigem Kadenzwechsel, Kettenbildung, formelhafter Eingang und Ablauf charakterisieren. Auch Übernahme bzw. Transformation aus dem Erwachsenenrepertoire, besonders aus Ballade, Moritat, Spott-, Scherz- und Lügenlied, Handwerks- und Ammenlied, Gassenhauer, Schlager und Werbespot sind typisch. Das von Kindern aller Zeiten improvisierend auf Grund bestimmter Impulse (Situations-, Kommunikations-, Unterhaltungs-, Bewegungsimpuls) praktizierte Singen, das den 328

größten Sektor kindlicher musikalischer Eigenaktivität ausmacht, entzieht sich dagegen weitgehend der Tradierung. Erst durch die neuen Möglichkeiten akustischer Aufzeichnung wurde dieser Bereich systematisch erforschbar. Weitere Felder kindlicher Singaktivität sind heute das umgangsmäßige Singen (Kinderspiel, -tanz, -fest), dessen Repertoire altersund schichtenspezifisch stark differiert, das „institutionalisierte" Singen in Kindergarten, Schule und Kirche und das Singen zu medialer Musikdarbietung. Lit.: 1) Stadien: K. WEHRHAN, K. u. Kinderspiel (L 1909) (= Hdb. der Volkskunde); J. LEWALTER — G. SCHLAGER, Dt. K. u. Kinderspiel (Kas 1911); K. AMELN — H. HETZER, Lied u. Musik im Kinderleben (Kas 1933); A. GÖPEL, Der Wandel des K.s im 18. Jh. (Diss. Kiel 1935); B. KURTH, Das dt. K. des 19. Jh. (Diss. Hl 1955); E. GERSTNER-HIRZEL, Entwurf einer Typologie des dt. Wiegenreims (Diss. Bas 1967); R. LORBE, Die Welt des K.es (Weinheim 1971); E. GERSTNER-HIRZEL, Das K., in: Hdb. des Volkslieds I (Mn 1973). — 2) Saau laaea: A. VON ARNIM — C. BRENTANO, Des Knaben Wunderhorn, 3 Bde. (Hei 1806-08), kritische Studienausg., 9 Bde., hrsg. v. H. ROLLEKE (St 1979); F. Pocci — K. VON RAUMER, Alte u. neue K.er mit Bildern u. Singweisen (L 1852); C. REINECKE, K.er (L 1877); A. H. HOFFMANN VON FALLERSLEBEN, K.er, hrsg. v. L. von Donop (B 1877, Nachdr. Hit 1976); F. M. BÖHME, Dt. K. u. Kinderspiel (L 1897, Nachdr. 1967); O. NOTHOLZ, Wegenlieder un Kinnerreime (Bückeburg 1901); Macht auf das Tor. Alte dt. K.er, Reime, Scherze u. Singspiele, hrsg. v. M. KÜHN (Düsseldorf — L 3 1904); F. JODE, Ringel Rangel Rosen. 150 Singspiele u. 100 Abzählreime, nach mündlicher Überlieferung (L 1913, '1928); G. ZURICHER, K.er der dt. Schweiz (Bas 1926); K. WEHRHAN, Frankfurter Kinderleben in Sitte u. Brauch, K. u. Kinderspiel (Wie 1929); O. STUCKRATH, Nassauisches Kinderleben in Sitte u. Brauch, K. u. Kinderspiel, 3 Lieferungen (Wie 1931, 1932, Kas 1938); K. HENNINGER, Ringel Rangel Reihe. 100 Kinderspiele mit Singweisen gesammelt (Kö =1948); R. R. KLEIN, Willkommen, lieber Tag. Alte u. neue Lieder (F 2 1965); W. DEUTSCH, Sing mit uns. Lieder, Reime und Spiele für Kinder im Vorschulalter (W 1971); H. LEMMERMANN, 150 der schönsten dt. K.er aus alter u. neuer Zeit (Mn 1971); E. BORNEMANN, Stud. z. Befreiung des Kindes, 4 Bde. (Fr—Olten 1973-79). W. SCHEPPING

KINDERMANN, Johann Erasmus, * 29.3.1616 Nürnberg, t 14.4.1655 ebd.; dt. Komponist. Er erhielt eine umfassende musikalische Ausbildung durch J. Staden in seiner Heimatstadt und war dort auch schon früh als Organist tätig. 1634-35 hielt er sich in Italien auf; möglicherweise lernte er in Rom auch G. Frescobaldi und G. Carissimi kennen. Nach kurzer Tätigkeit in Schwäbisch Hall wurde er 1640 in Nürnberg Organist an der St.-Egidien-Kirche, wo er bis an sein Lebensende blieb. Über seine Schüler wirkte er auch in die Musikgeschichte Nürnbergs der 2. Hälfte des 17. Jh. hinein (J. Krieger, J. Pachelbel). WW (alle in Nürnberg erschienen): 1) Vokal-WW: Musicalfische Friedensfreud für 1-2 St., 3 Violen ad lib. u. B.c. (1630); Cantiones Pathetikai (Passionsgesänge) für 3-4 St. u. B.c. (1639); Opitianischer Orpheus für 1-3 St., 3 Violen ad lib. u. B.c., 2 Tle. (1642); Dialogus. Mosis Plag, ... für 1-6 St. u. B.c. (1642); Con-

King and I centus Salomons ... Geist!. Concerten, auB dem Hohen Lied für 2 St., 3 Violen u. B.c., 2 Tle. (1642); DeB Erlösers Christi u. sündigen Menschen heylsames Gespräch für 7 St. u. B.c. (1643); Musica Catechetica für 5 St. u. B.c. (1643); Intermedium musicopoliticum für 4 u. 6 St. u. B.c. (1643); Herrn Dilherrns Evangelische SchluBreimen für 3 St. u. B.c., 3 Tle. (1652); ferner einzelne Gelegenheitsgesänge. — 2) lrtr.-WW: Deliciae studiosorum, 4 Teile (Suitensätze für verschiedene Instr. mit B.c.), unvollst. erhalten nur Teil 1(1640) u. 3 (1643); Canzoni. Sonatae für 1-4 Violen u. B.c. (1653). — Vokal- u. Instr.-WW auch hsl. erhalten.

K.s Schaffen, das in der Tradition J. Stadens steht und durch italienische Gestaltungselemente bereichert ist, umfaßt sowohl Instrumental- als auch — in zahlenmäßig größerem Umfang — Vokalmusik. Im Zentrum stehen die geistlichen Werke, die eine ähnliche Vielfalt in der Besetzung aufweisen wie die gleichzeitigen Werke von H. Schütz. Mannigfaltig ist auch der stilistische Befund: a cappella-Satzweise, solistisch, geringstimmig und vielstimmig konzertierender Stil mit und ohne Instrumente und mit Tutti-Solo-Wirkungen. Ausg.: Ausgew. Werke I, hrsg. v. F. SCHREIBER (L 1913) (= DTB 24); Ausgew. Werke II, hrsg. nach dem NachlaB Schreibers v. B. A. WALLNER (Au 1924) (= DTB 32). — 1) Vokal-WW: Ein Lied, in: H.J. MOSER, Corydon 2 (Brau 1933); ein Gesang aus Mosis Plag, in: R. MITJANA — A. DAVIDSON, Catalogue .. . des imprimés de musique ... d'Uppsala 2 (Uppsala 1951); ein Gelegenheitsgesang in: Begräbnisgesänge Nürnberger Meister für Exulanten aus der Steiermark, hrsg. v. H. FEDERHOFER (Gr 1955) (= Musik alter Meister 3). — 2) Iastr.-WW: Orgelwerke, in: Hirschberger Orgelbuch II, hrsg. v. F.REUSCH (Breslau 1936); Tanzstücke für Klv., hrsg. v. R. BAUM (Kas — Bas 31950); Sarabande, Sonata u. Symphonia, in: Dreistimmiges Spiel. 16 Stücke alter Meister, hrsg. v. W. HILLEMANN (Mz 1950); Festlicher Aufzug, in: 15 Aufzugsmusiken alter Meister, hrsg. v. A. HOFFMANN (Wb 1951); 3 Stücke in: Orgelwerke alter Meisteraus Süddeutschland, hrsg. v. H. METZGER (Tü 1953). Lit.: F. SCHREIBER, Der Nürnberger Organist J. E. K. (Diss. Mn 1913); H. H. EGGEBRECHT, Zwei Nürnberger Orgel-Allegorien des 17. Jh., in: MuK 27 (1957).

KIND!, Abi Yusif Ya`qiib Ibn Ishaq al-K., * um 790 Basra (Irak), t 874 Bagdad; arabischer Philosoph und Musiktheoretiker. Er war ein Günstling des Kalifen al-Ma`mun (813-33), eines Anhängers griechischer Wissenschaften und Philosophie. Seine zahlreichen Werke, in denen er alle Wissenszweige behandelt, enthalten 8 Musiktraktate (teilweise verloren), in denen er sich mit Komposition, Melodik und Rhythmik befaßt und die griechische Musiktheorie auf die arabische Musik überträgt. K. übte einen beträchtlichen Einfluß auf seine Zeitgenossen und die nachfolgenden Generationen aus. lit.: H. G. FARMER, Historical Facts of the Arabian Musical Influences (Lo 1930, Nachdr. 1964); C. COWL, The Risala Fi Hubr Ta Lif al-'Alhan of Ja'Qub Ibn Ishaq Al-K., in: The Consort 23 (1966).

KING, Tjing (chinesisch), Bz. für ein chinesisches Instrument aus der Gruppe der /Lithophone, das aus einer einzelnen Steinplatte (tö-tjing) oder aus

einer Reihung von verschieden großen, d. h. verschieden gestimmten Steinplatten (biän-tjing) bestehen kann. Die einzelne Steinplatte hat die Form eines stumpfen Winkels mit ungleich langen Schenkeln und wird mit Klöppeln angeschlagen. Früher bestand ein Spiel aus 12, 14 oder 24 Klingsteinen, heute sind es meist 16. Je 8 Klingsteine werden an 2 Querleisten eines Gestells aufgehängt, derart, daß jede Reihe eine Folge von Ganztönen ergibt, wobei in der oberen Reihe die „weiblichen"(yin liu), in der unteren Reihe die „männlichen Töne" (yangliu)des 12stufigen Tonsystems (řChina) erklingen. fis gis ais/b c d e fis gis f g h cis dis f g a Das Instrument wurde vor allem in der Tempelmusik und im Hoforchester verwendet. Lit.: CH. MENG, Remarks an Chinese Music and Instruments (NY 1932); K. ROBINSON — H. ECKARDT, Chinesische Musik, in: MGG II; K. REINHARD, Chinesische Musik (Kas 21956).

KING, James, * 22.5.1928 Dodge City (Kansas); amerik. Sänger (Tenor). Nach einem Musikstudium an der Louisiana State University in Baton Rouge und der University of Kansas City war er 1952-61 Professor für Musik an der University of Kentucky in Lexington. 1962 wurde er an die Deutsche Oper Berlin engagiert und sang im selben Jahr erstmals bei den Salzburger Festspielen; 1965 debütierte er bei den Bayreuther Festspielen, 1966 wurde er an die Metropolitan Opera in New. York verpflichtet. Als einer der namhaftesten Heldentenöre der Gegenwart, besonders in Wagner-Partien, ist er ständiger Gast an den Opernhäusern in Mailand, Wien, London und München. KING AND I, THE (Der König und ich), amerik. Musical in 2 Akten von Richard Rodgers (1902-79), Buch und Song-Texte von Oscar Hammerstein II nach dem Roman Anna and the King of Siam von Margaret Landon. Ort und Zeit der Handlung: am siamesischen Königshof zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts. UA: 29.3. 1951 in New York (St. James Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 17.4. 1966 in München (Staatstheater am Gärtnerplatz). Verfilmt 1956. Die Konfrontation östlicher und westlicher Welt und Weltanschauung steht im Mittelpunkt des Werkes. Anna Leonowens, eine englische Lady des „Viktorianischen Zeitalters", kommt als Erzieherin an den Hof von Siam. Obwohl der König und Anna sich zueinander hingezogen fühlen, können sie die kulturellen Schranken nicht überwinden. Als der König stirbt, bleibt Anna in Siam, um den Thronfolger in westlichem Sinn zu beeinflussen. Rodgers unternahm nicht den Versuch, „echte" orientali329

Kinkel sche Musik zu schreiben, sondern komponierte ein Musical, das durch melodische, rhythmische und vor allem instrumentatorische Wendungen fernöstliche Eindrücke schafft. Eines der gelungensten . Beispiele dafür ist The March of the Siamese Children im 1. Akt, während das balladeske Hello, young Lovers oder das polka-ähnliche Duett Shall we dance? ganz und gar westliche Musik bleiben. Mit 1246 Vorstellungen en suite wurde The King and I ein außergewöhnlicher Publikumserfolg. Es wurde 1952 mit dem Antoinette Perry Award als bestes Musical der Saison ausgezeichnet. The King and I entwickelte sich zu einem „Klassiker" des amerik. Theaters; dies beweisen nicht zuletzt die ungewöhnlich vielen, erfolgreichen Neuproduktionen. R.-M. SIMON — S. SIMON

KINKEL (geborene Mockel, geschiedene Mathieux), Johanna, * 8.7. 1810 Bonn, t 15.11. 1858 London; dt. Schriftstellerin, Musikpädagogin und Komponistin. Sie studierte in Bonn bei Fr. A. Ries sowie in Berlin bei Karl Böhmer (Theorie) und Wilhelm Taubert (Klavier). 1840 gründete sie mit ihrem Mann Gottfried K. die literarische Vereinigung „Der Maikäferbund". Nach einer geglückten Flucht ihres Mannes aus dem Spandauer Gefängnis (1850), wo er wegen Beteiligung am badischen Aufstand festgehalten war, folgte sie ihm mit den vier Kindern nach London. Wie in Bonn arbeitete sie dort als Gesangslehrerin für Kinder, leitete einen Chor, gab Klavierunterricht und hielt später auch öffentliche Vorträge über Komponisten und über Musiktheorie.

lichen Vorstellungen (Gleichberechtigung der Frau bei Berufswahl, Bezahlung, Heirat usw.). Lit.: G. KINKEL JR., Drei Jahre aus dem Leben eines dt. Dichterpaares, in: Der Zeitgeist (1887), Beiblatt Nr. 13-17; A. N. HARZEN-MÜLLER, J. K. als Musikerin, in: NZ(M 13/14 (1910); J. F. SCHULTE, J. K. Nach ihren Briefen und Erinnerungs-Blättern (Mr 1908); K. STEPHENSON, J. K., in: Rheinische Musiker 4 (Kö 1966) (= Beitr. z. rheinischen Musikgeschichte 64); M. BROCKER, J. K.s schriftstellerische und musikpädagogische Tätigkeit, in: Stud. z. Bonner Musikgeschichte des 18. u. 19. Jh. (Kö 1978) (= ebd. 116). M. BROCKER

KINKELDEY, Otto, * 27.11. 1878 New York, t 19.9.1966 Orange (New Jersey); amerik. Musikforscher. Er studierte am College of the City of New York und an der New York University sowie 1900-02 bei E. MacDowell an der Columbia University in New York und danach bei M. Friedländer und H. Kretzschmar an der Berliner Universität, an der er 1909 mit einer Dissertation über Orgel und Klavier in der Musik des 16. Ih. promovierte. 1909-14 lehrte er Orgel und Musikwissenschaft an der Universität Breslau und kehrte bei Kriegsausbruch in die USA zurück; er war 1915-23 und 1927-30 Bibliothekar an der New York Public Library und lehrte 1923-27 an der Cornell University in Ithaca/N.Y., wo er 1930 den ersten musikwissenschaftlichen Lehrstuhl in den USA erhielt. Schriften: Orgel u. Klv. in der Musik des 16. Jh. (L 1910, Nachdr. Hil — Wie 1968); L. Luzzaschi's Solo-Madrigale, in: SIMG 9

WW: Unterrichtswerke, darunter Acht Briefe an eine Freundin über Clavier-Unterricht (St—Tü 1852). — Zahlr. Vokal-Werke, u. a. Duette, schottische Lieder, Liederfür SingSt u. Klv; ferner die Vogelkantate, op. 1 u. weitere Kantaten.

(1907/08); A Jewish Dancing Master of the Renaissance, Guglielmo Ebreo, in: A.S. Freidus Memorial Volume (NY 1929, Nachdr. Brooklyn 1966); Music and Music Printing in Incunabula, in: Papers of the Bibliographical Society of America 26 (1932); Equal Voices in the „A cappella" Period, in: Essays on Music. FS A. Th. Davison (C/M 1957); Dance Tunes of the 15th Century, in: Instrumental Music, hrsg. v. D. G. Hughes (C/M 1959) (= 'sham Library Papers 1); Kinnor, Nebel — Cithärä, Psalterium, in: The J. Bloch Memorial Volume (NY 1960). Lit.: P. H. LANG, in: MQ 45 (1959) u. 53 (1967); D. J. GROUT, in: AMI 39 (1967); J. LARVE, in: Mf 20 (1967).

J. K. war eine vielseitig begabte, umfassend gebildete Frau. Sie war literarisch tätig, verfaßte mu sikpädagogische Schriften und Aufsätze über Musik und Musiker, war selbst Pianistin und Komponistin, vor allem von Liedern, die bereits früh Anerkennung fanden (u. a. bei R. Schumann), und leistete als Musikpädagogin Hervorragendes. Bereits als junges Mädchen hatte sie einen eigenen, für das damalige Bonner Musikleben außergewöhnlichen Musikkreis aufgebaut, mit dem sie seit 1840 große Chorwerke und konzertante Opernaufführungen erarbeitete. Unter ihren musikalischen Schriften ist besonders die geistreiche Studie Fr. Chopin als Komponist zu nennen; ihre Novellen und ihr Roman (Hans Ibeles in London) zeigen nicht nur Autobiographisches, sondern vor allem auch den Niederschlag ihrer politischen und gesellschaft-

KINOKÖNIGIN, DIE, Operette in 2 Teilen von Jean Gilbert (d. i. Max Winterfeld) (1879-1942), Text von Georg Okonkowski, dramaturgische Bearbeitung von Julius Freund. Ort u. Zeit der Handlung: Berlin um 1910. UA: 8.3. 1913 in Berlin (Metropol-Theater). Vorlage für die Kinokönigin war eine am 23.11. 1912 in Hamburg uraufgeführte Operette Gilberts (Elfte Muse). Als „Terpsichore der Flimmerleinwand" bezeichnete Robert Gilbert (Jeans Sohn) diese Erfindung einer eigenen Filmmuse. Gilbert, der „König der modernen Operette" (E. Urban), stellt in seiner musikalischen Posse die Welt des Films wie auch die Gegner dieses neuen Mediums vor. Die Rolle des stotternden Filmregisseurs Josef Grampietro garantierte ebenso wie die an Berliner Gassenhauern orientierten Melodien den Erfolg

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Kirchenlied des Werkes im Wilhelminischen Deutschland. Beliebtester Schlager der Kinokönigin war das Chanson In der Nacht, in der Nacht, wenn die Liebe erwacht. In die Neufassung der Operette durch Robert Gilbert und Per Schwenzen (UA: 21.10. 1961 in Nürnberg) wurden Grundzüge der Handlung übernommen, Gesangstexte zeitgemäß umgedichtet und Erfolgsmelodien anderen Gilbert-Operetten (z. B. das Duett In Berlin an der Ecke von der Kaiserallee aus Kleine Sünderin) übernommen. B. DELCKER

KINSKY, Georg Ludwig, * 29.9.1882 Marienwerder (Westpreußen), Ť 7.4. 1951 Berlin; dt. Musikforscher. Als Autodidakt kam er 1909 als Konservator an das Musikhistorische Museum von W. Heyer, dessen Bestände er durch einen bibliographisch und instrumentenkundlich grundlegenden Katalog erschloß und dessen Direktor er später wurde. 1921 erhielt er einen Lehrauftrag am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln und promovierte dort 1925 mit einer Arbeit über Doppelrohrblatt-Instrumente mit Windkapsel (gedruckt in: AfMw 7, 1925). Seit 1925 widmete er sich ausschließlich der Forschung; u. a. arbeitete er mehr als ein Jahrzehnt an dem thematischen Verzeichnis der Werke Beethovens, dessen Fertigstellung er jedoch nicht mehr erlebte. Schriften: Musikhist. Museum v. W. Heyer, 3 Bde. I: Besaitete Tasteninstr. (L 1910), II: Zupf- u. Streichinstr. (L 1912), III: Musik-Autographen (L 1916); Gesch. der Musik in Bildern (L 1929, engl. 1930, Nachdr. 1951); Pedalkiv. oder Orgel bei Bach?, in: AMI 8 (1936); Die Originalausg. der Werke 1. S. Bachs (W 1937, Nachdr. Hilversum 1968); Das Werk Beethovens. Thematisch-bibliographisches Verz. seiner sämtlichen vollendeten Kompositionen, abgeschlossen u. hrsg. v. H. Halm (Mn 1955). Lit.: E. H. MÜLLER VON Asow, G. K., in: Mf 4 (1951) (mit Schriftenverz.); K. DREIMÜLLER, K., in: MGG VII.

KIRCHENCHOR, seit dem 19. Jh. übliche und in engem und ursächlichem Zusammenhang mit der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung, besonders dem řCäcilianismus, stehende Bz. für einen /Chor von Sängern aller Stimmgattungen zu ein- bis vielstimmiger Ausführung von Vokalkompositionen, auch zusammen mit Instrumenten, hauptsächlich für den gottesdienstlichen (liturgischen) Gebrauch der christlichen Kirchen, wobei in der evangelischen Kirche vielfach die Bezeichnung /Kantorei üblich ist. Die Besetzung ist im allgemeinen die des gemischten Chores (Sopran, Alt, Tenor, BaB) neben Männerchor, /Frauenchor und Jugendchor; die Anzahl der Sänger kann von 4-8 bis zur sog. Oratorienstärke (80-100) reichen bei einem Mittelwert von 30-50 Mitgliedern. Geleitet wird der K. von dem jeweiligen haupt- oder nebenamtlichen Kirchenmusiker der betreffenden

Kirche. — Auf die Komposition von /Kirchenmusik hat das Aufblühen der Kirchenchöre im 19. Jh. großen Einfluß genommen, woraus einerseits bedeutende Werke (A. Bruckner), andererseits Gebrauchsmusik resultierte, die aber auch unter der Beachtung der Leistungsfähigkeit der Kirchenchöre entstand. Die interpretierten Kompositionen sind heute besonders bunt gemischt, wobei Musikverständnis und Leistungsfähigkeit der Kirchenchöre vielfach traditionell tonal gebundener Musik vor „neueren" Klängen den Vorzug geben, was der Notwendigkeit der Allgemeinverständlichkeit der in der Liturgie zu verwendenden Musik Rechnung trägt. Da die Kirchenchöre freiwillig und ehrenamtlich zusammenkommen, ist der gesellschaftlichen Seite dieser Vereinigungen besondere Bedeutung beizumessen, wenn sie zum kulturellen Leben nicht nur der Pfarr-, sondern auch der politischen Gemeinde wesentlich beitragen. Besondere Bedeutung kommt dem Kirchenchor seit dem 2. Vatikanischen Konzil und seiner Liturgiereform zu, die auch neuen Formen, vor allem im Wechsel von Vorsänger, Schola, Chor und Gemeinde, Geltung verschafft, wobei auch die Kantoren und die Schola meist aus dem Kirchenchor herauswachsen. Lit.: vgl. die versch. einschlägigen Zeitschriften, u. a. Kath. Kirchenmusik (Einsiedeln —Schwyz —St. Gallen 1876ff.); Musica sacra (Rb — Kö — Rb 1889ff.); Der Ev. Kirchenchor (Z 1897ff.); Musik u. Kirche (Kas 1929 ff.); Musik u. Altar (Fr 1948-72); Der Kirchenchor (Kas 1949ff.); Singende Kirche (W 1953ff.); Der Chorwächter (1960ff.). F. A. STEIN

KIRCHENLIED, allgemeinem Sprachgebrauch entsprechend im weiteren Sinne das nationalsprachige Gemeindelied der christlichen Konfessionen, im engeren Sinne das Gemeindelied, wie es vorrangig im deutschsprachigen Raum gepflegt wird und in übrigen europäischen Ländern keine direkte Entsprechung in der Sache und im Begriff hat. Das K. des Mittelalters. Seine Entstehung verdankt das K. dem pastoralen Bestreben der deutschen Kirche im Mittelalter, das Volk trotz der lateinischen Klerikerliturgie und neben ihr am Gottesdienst zu beteiligen. Das geschah vereinzelt in der /Messe und im Stundengebet (?Horen) an hohen Feiertagen, wenn viel Volk anwesend war, vor allem aber am Ende der lateinischen liturgischen Spiele zu Ostern und Weihnachten, in Prozessionen, am Ende der Predigten, bei Wallfahrten sowie bei außerordentlichen Ereignissen. Weil diese keineswegs als geringerwertige Paraliturgie gegenüber der fixierten römischen Liturgie abgestuft waren, wird man auch diese Gesänge als K.er mit liturgischem Rang ansprechen dürfen. Nicht zum K. gehören die ältesten volkssprachlichen Rufe, die sich meist in Verbindung mit dem 331

Kirchenlied Kyrie eleison erhalten haben. Ein liedmäßiger Ruf dagegen ist der seit dem 13. Jh. belegte Marienruf Sant Maria muoter und meit. Die Christusepen der Karolingerzeit mit Akzentsetzungen und Neumen über einzelnen Modellstrophen weisen auf den kirchlichen Traditions- und Funktionszusammenhang hin. Aus dem 9. Jh. ist ein strophischer Lobgesang auf den hl. Gallus — ursprünglich deutsch abgefaßt, später ins Lateinische übertragen — überliefert. Das älteste Zeugnis für ein echtes deutsches K. ist die Aufzeichnung im bayrischen Dialekt des sog. Freisinger Petrusliedes aus der Zeit um 900; die 3 Strophen schließen mit Kirie eleison und tragen alle linienlose Neumierung. Daneben existieren K.er aus dem späten 11. Jh. ohne Neumierung, wie etwa ein Marienlied und das 7strophige, auf die Wunder Christi gedichtete Ezzolied. Aus der 2. Hälfte des 12. Jh. stammen die ältesten Übersetzungen lateinischer Sequenzen: 2 Mariensequenzen, die nach der Sequenz Ave praeclara maris stella gedichtet und nach deren Melodie beide zu singen sind, wie dies aus den Neumen der Engelberger Fassung hervorgeht. Im 12.-15. Jh. läßt sich eine immer stärkere Verbreitung deutscher K.er in fast allen deutschsprachigen Diözesen feststellen. Sie finden sich (mit Angabe des řInitium) in folgenden Quellengruppen: in OAntiphonaren, Prozessionalen, >'Brevieren, >'Ordinarien, Lektionarien, řCantionalien, Liedersammlungen, Orationalien. Auch Verbote einzelner Bischöfe vor allem im Zusammenhang mit den Hussitenkriegen änderten nichts an der Tatsache der offiziellen Duldung und Pflege. Landschaftlich besonders ergiebig für deutsche K.er waren im 14. Jh. Medingen im Bistum Verden, vermutlich unter Magdeburger Einflug, die Steiermark, schon im 12. Jh. Salzburg, im 15. Jh. Wien (der Hof) und unter dem Einflug der Mystik: Schwaben, ElsaB, Schweiz und der Niederrhein (Köln, Amsterdam, Utrecht), auch Trier. Die Entfaltung des Liedrepertoires vollzog sich in folgenden Gruppen: 1. Hymnensammlungen in deutscher Sprache. Hierzu zählen die sog. „Murbacher Hymnen" (Version des altbenediktinischen Hymnars der Reichenau), die wegen ihrer Notation für den Gesang bestimmten Hymnen- und SequenzenÜbersetzungen des Mönchs von Salzburg um 1100 und die Hymnen der Liederhandschrift des Heinrich von Laufenberg; von besonderem Wert ist die aus dem Jahre 1477 stammende deutsche Hymnensammlung Kaiser Friedrichs III., ein vollständiges Hymnar für die ferialen Tagzeiten und die Festzeiten mit Notation zu allen Strophen. Ohne Noten, 332

aber durchaus singbar sind u. a. der Kölner Hymnar (1460) und die gedruckten Hymnare ohne Noten (Heidelberg, 1494, und Sigmundslust in Tirol, 1524). 2. Rufe. Wichtigste Quellen für die seit dem 13. Jh. nachweisbaren, bei Prozessionen und Wallfahrten beliebten Ruflieder (doppelzeilig, z. T. mit Binnenund Endrefrain) sind die Sammlungen der 7GeiBlerlieder und das Repertoire des Hohenfurter Liederbuchs. 3. Leisen. Schon das Freisinger Petruslied war eine >'Leise, da alle drei Strophen mit Kyrieleison abschlossen. Die eigentliche Blütezeit der Leisen beginnt im 12. Jh.; sie entstanden meist als Interpolationen zu den Sequenzen und umfassen meist nur 4 Zeilen mit anschließendem Kyrieleison: z. B. Christ ist erstanden (zuerst 1160 in Salzburg), Nun bitten wir den hl. Geist, Gott sei gelobet und gebenedeiet (Medingen um 1350), Nun sei willekommen, Herre Christ und Gelobet seist du Jesu Christ (seit 1380 in Medingen). Aus den Kreuzzügen stammen Leisen zu Feiern am hl. Grab und zur Kreuzverehrung (In Gottes namen varen wir, schon um 1215 zitiert in Gottfrieds Tristan). Die Beliebtheit dieser Leisen zeigt sich nicht nur in mehrstimmigen Bearbeitungen des 15. Jh., sondern auch im Fortleben von Text und Melodie bis in die katholischen und evangelischen Gesangbücher unserer Tage. Ein Lied wie Christ ist erstanden, das in fast 300 Quellen über ganz Deutschland verbreitet war, verdankt seine Verbreitung vor allem den lateinischen und deutschen Osterspielen. Es wurde auch während der Messe und in der Vesper gesungen. Übersetzungen in das Tschechische und Polnische sorgten für die Verbreitung in den östlichen Nachbarländern. 4. Lateinische Cantiones (7Cantio) und Rondelli waren seit 1200 in ganz Europa beliebt. Trotz der meist weltlichen (Tanz-)Melodien stand ihrer liturgischen Verwendung vor allem als BenedicamusTropus und als Interpolation in den Cantica von Vesper und Komplet nichts entgegen. Lieder wie Surrexit Christus hodie, Puer natus in Bethlehem und Quem pastores laudavere erhielten meist schon im Mittelalter eine deutsche oder tschechische Übersetzung oder wurden wie In dulci jubilo von vornherein in lateinisch-deutscher Mischpoesie gesungen. Sammlungen dieser Cantiones aus Prag, Moosburg, Seckau, St. Gallen, Jistebnicz, Wien, Neustift, Benediktbeuren und Hohenfurt gehören daher unmittelbar zur Vorgeschichte. S. Kontrafakturen weltlicher Herkunft. Das Einströmen weltlichen Melodiegutes verbindet die Gruppe der Cantiones mit den ?Kontrafakturen der deutschen Mystik und der niederländischen Devotio moderna. In der mystischen Prosa der

Kirchenlied Mechthild von Magdeburg (13. Jh.) gibt es kleinere strophische Gebilde, die vermutlich zum Singen bestimmt waren, wenn auch die Neumen dazu fehlen. Im Zisterzienserinnenkloster Medingen haben sich solche mystischen Strophen mit Neumen (um 1330) erhalten. Für diese Strophen wird man weltliche Melodien annehmen dürfen. Die eng an den weltlichen Text anschließende parodierende Kontrafaktur, die bewußt das Original durchblicken läßt, ist vor allem eine Schöpfung der deutschen Mystik. Man findet diese zuerst am Oberrhein (Basel, 14. Jh.; Straßburg), in Handschriften aus Utrecht (um 1500) und Amsterdam (um 1480) sowie im Liederbuch der Anna von Köln (um 1500) und dem der Nonne Katharina Tirs (1588). 6. Antiphonenlieder. Aus Benediktinerklöstern der Salzburger Diözese, die der Melker Reform angehörten, St. Peter in Salzburg, Ebersberg, Tegernsee, Mondsee, Michaelbeuren, stammt die vorletzte Schicht deutscher K.er des Mittelalters, die dem melodischen Duktus und dem Text der kirchlichen řAntiphonen angepaßt sind. In den Mittelpunkt traten jetzt Antiphonen wie das Media vita = Mitten wir im Leben in Salzburg (St. Peter) und Ebersberg seit 1456; die marianischen Antiphonen Regina caeli = Königin in dem Himmel (15. Jh.), das Salve Regina = Fraw von hertzen (Salzburg, Tegernsee und Ebersberg um 1480, die Prosa-Antiphon Veni sancte Spiritus = Kum heiliger geist, herre got (St. Peter, Ebersberg, Tegernsee um 1480). Diese Gesänge gingen fast lückenlos in die gedruckten katholischen Gesangbücher des 16. Jh. und zum Teil auch in die evangelischen Gesangbücher über. 7. Spruchdichtung und řMeistersang. Die Liedschöpfungen der späten Minnesänger und Meistersinger können trotz des geistlichen Inhalts nur selten dem K. zugerechnet werden, darunter allerdings einige freie Liedschöpfungen des Mönchs von Salzburg. Weite Verbreitung fand jedoch schon vor der Reformation durch Liedblätter: Maria zart von edler Art (um 1490), Dich Fraw vom Himmel ruff ich an (um 1510), der Marienpsalter von Sixt Buchsbaum (1420-1500) und das Tagelied Frölich so wil ich singen. Das katholische K. seit dem 16. Jahrhundert. Nach der Reformation ist das katholische K. einerseits eine Fortsetzung des mittelalterlichen deutschen K.es, andererseits ein Mittel, um dem lutherischen und calvinischen K. entgegenzuwirken. Wie im Mittelalter und in der Frühzeit des lutherischen K.es war nicht daran gedacht, den lateinischen liturgischen Gesang der römischen Kirche durch das K. zu ersetzen, aber die substitutive Verwendung, wie sie die Lutheraner übten, kam für die katholi-

schen Gemeinden nicht in Frage. Bis zur Aufklärung konnte das K. in der Liturgie an einzelnen Stellen der Messe und des Stundengebets nur additiv verwendet werden. Diese sekundäre Stellung in der Liturgie aber wurde ausgeglichen durch die mannigfaltige Verwendung im kirchlichen Brauchtum, u. a. bei Prozessionen, Wallfahrten, Andachten, Veranstaltungen der Bruderschaften. So ist es nicht verwunderlich, daß der Umfang der offiziellen katholischen Gesangbücher (řGesangbuch) nicht geringer war und daß diese bei den Katholiken ebenso geschätzt wurden wie bei den Protestanten. Die frühesten katholischen Gesangbücher waren private Sammlungen, so etwa das Gesangbuch von Michael Vehe (1537) mit den ersten katholischen Psalmliedern in Anlehnung an Luthers Psalmdichtungen (Weisen von Wolfgang Heintz). Ähnliche Sammlungen sind u. a. der vollständige katholische Lied-Psalter von Caspar Ulenberg (Köln 1580) mit eigenen Melodien (gegen das Eindringen Genfer Psalmlieder) und verschiedene süddeutsche und böhmische Gesang- und Rufbücher, in denen erstmals auch mittelalterliche Rufe mündlicher Überlieferung aufgezeichnet wurden (u. a. das Grazer Gesangbuch von Nikolaus Beuttner, das in der Steiermark 1602-1718 13 Aufl. erlebte). Es wurde 1625, 1631 und 1649 durch das Groß Catholisch Gesangbuch des Benediktinerabtes David Gregor Corner zu einem Gesangbuch für ganz Österreich erweitert. Das katholische K. des 17. Jh. wurde wesentlich bestimmt durch die Jesuiten. Diese wollten K.er, die in der Tradition des Mittelalters standen, aber sprachlich und metrisch modernen Vorstellungen entsprachen, lehrhaft, leicht zu singen und so im Unterricht zu verwenden waren. Den Anstoß dazu gab Petrus Canisius; das erste Beispiel war das Konstanzer Gesangbuch von 1594 (erste Melodienausgabe Konstanz 1600 mit 78 Melodien). Unter dem Einfluß seines Repertoires standen auch verschiedene Diözesan-Gesangbücher, u. a. das Speyrische Gesangbuch (Alte Catholische Geistliche Kirchen Gesäng, Kö 1599-1625, Mz 1631), das Catholisch Cantual (Mz 1605; mit Katechismus, Evangelien, Episteln, Gebeten; 1628 durch die Himmliche Harmony ersetzt; mit dem Würzburger Gesangbuch von 1627 das erste Beispiel eines deutschen GeneralbaBgesangbuchs). Besondere Bedeutung kommt der 3. Auflage des Jesuitengesangbuches der Kölner Diözese (1623) zu mit der Neuaufnahme von K.ern, in denen das Hebungsprinzip für deutsche Verse voll verwirklicht ist und die Friedrich Spee zugeschrieben werden. Sein großer Erfolg begründet auch den weiteren Ruhm der ab 1637 Kleines Psälterlein genannten zahlreichen Auflagen. 333

Kirchenlied

Die Geschichte des katholischen K.es im 17. Jh. hängt eng mit der Entwicklung des geistlichen Sololieds mit B. c. zusammen, in dem — wie beim evangelischen K. — die schöpferischen Kräfte einer ganzen Zeit besonders produktiv wurden. Die Bezeichnung K. rechtfertigt jedenfalls die häufige Aufnahme beliebter Sololieder in die Gesangbücher. Vielfältige Funktionen kamen dem geistlichen Sololied zu. Es war zunächst eine Art geistlicher Hausmusik, das vor allem bei Treffen der Bruderschaften und für Wallfahrten als geistliches Konzert beliebt war. Vor allem die Spiritualität der einzelnen Orden und die Begabung ihrer Ordensdichter und Musiker kam hier zur Geltung. Näher bekannt aus dieser Literatur sind die Trutznachtigall von Fr. Spee (Melodien mit B. c. von Jakob Gippenbusch, Kö 1649) und die Heilige Seelen-Lust von Angelus Silesius (Melodien u. a. von Georg Joseph, Breslau 1657). Im süddeutschen Raum waren es vor allem Jesuiten (u. a. Albert Curtz mit seinem Liedspalter Harpfen Davids von 1659 und 1669), Kapuziner (u. a. Laurentius Schnüffis mit seinen mystischen Liederzyklen und Liedromanen von 1665-1698), Benediktiner, aber auch Zisterzienser und AugustinerChorherren, die Andachtsbücher mit Sololiedern (mit B.c.) verfaßten. Fast ebenso umfangreich wie das Schaffen der Ordensmänner auf diesem Gebiet ist das einzelner Pfarrer und Laien, vor allem der Berufsmusiker. Auch die größte Sammlung an Wallfahrtsliedern, die Mariazeller Lieder (von 1640-1760 fast jährlich mit neuen Texten und Melodien), gehört diesem Typus an. Ein großer Zyklus von Sololiedern über die Evangelien erschien 1653 in Würzburg, die 2. Auflage (F 1656) fügte noch einen Zyklus von Epistelliedern hinzu (ähnliche Unternehmen auf evangelischer Seite 1561 von Nikolaus Herman, auf katholischer Seite 1569 vom Grazer Pfarrer Andreas Gigler). Der anonyme Autor war Johann Philipp von Schönborn, Erzbischof von Mainz, als Komponist gilt sein Hofkapellmeister Ph. Fr. Buchner. 1658 folgte als neue Sammlung Der schöne Psalmbrunn in der gleichen Art. Viele deutsche Diözesen behielten in der ersten Hälfte des 18. Jh. noch die bewährten Gesangbücher des 17. Jh. bei. Aber die Kritik an der Sprache der alten K.er und an ihrer musikalischen Gestalt ließ bald eine Reihe von Gesangbüchern aufkommen, die in Sprache, Form und Musik nur den Zeitstil des jeweiligen Verfassers und Musikers wiedergaben und eine Verarmung im Repertoire darstellten. Vielleicht waren auch hier die Jesuiten die ersten, die für ihre Volksmissionen 1717-1718 an den verschiedenen Orten ihre Missionsbüchlein mit

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einer völlig neuen Art von Liedern, die nüchtern und einfach waren, hervortraten. Die Wiener Jesuiten machten daraus größere Gesangbücher (1727, 1733, 1736, 1750), die der Katechese dienen sollten. Auffällig ist auch der Reformeifer der großen Benediktinerabteien, die sich für ihre Territorien verantwortlich fühlten (z. B. Weingarten und St. Blasien, wo der Fürstabt M. Gerbert für sein Gebiet die Christliche Lehre in Liedern 1773 herausgab). Unter Joseph II. wurden alle Mittel eingesetzt, um in den österreichischen Erblanden die alten Gesangbücher durch solche der Aufklärung zu ersetzen. So erschien 1776 „auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia" mit Melodien das neue offizielle Gesangbuch Österreichs, noch heute bekannt durch das deutsche Te Deum: Großer Gott wir loben dich. 1777 kam in Bayern Der heilige Gesang im Gottesdienst heraus, das den letzten Versuch für ein überdiözesanes Gesangbuch darstellt. 1781 wurde es Gesangbuch der Salzburger Diözese (die Auflage von 1790 nennt M. Haydn als Herausgeber) und 1786 auch von Trier übernommen. Die Lieder der Aufklärung mit ihrem primitiven Rationalismus bestimmten lange den Geschmack des Volkes. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis von der Verarmung der Gesangbücher durch ihre Einschichtigkeit durch. Durch Germanisten, Hymnologen und Dichter wurde seit dem frühen 19. Jh. der Wunsch nach einer geschichtsbewuBten Rezeption des wertvollen alten Kirchenliedes neu geweckt. Besonderen Anteil an dieser Entwicklung hatten u. a. Cl. Brentano, A. von Arnim und A. H. Hoffmann von Fallersleben. Einfluß auf eine Neugestaltung der Gesangbücher nahmen auch 1845 bis 1847 die Cantica spiritualia. 1847 hatte man sich um eine Vereinheitlichung aller deutschen katholischen Gesangbücher auf einer Bischofssynode in Würzburg bemüht. Dazu hatte Heinrich Bone mit seinem Liederbuch Cantate (1847) den Weg gewiesen. Es blieb jedoch weiterhin so, daß jede Diözese ihr eigenes Gesangbuch hatte (in der Regel kombiniert mit einem Gebetbuch für Messe und Andachten), ohne daß allerdings zu jedem Lied auch immer die entsprechende Melodie eigens verzeichnet war. Das Liedgut war auf diese Weise von Diözese zu Diözese in seinem Bestand und in Textund Melodiefassungen stark unterschiedlich. Erst seit den 30er Jahren des 20. Jh. verstärkten sich wieder die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der deutschen K.er. Eine wichtige Rolle spielte hier das Kirchenlied (Fr 1938 u. ö.), das vor allem in Kreisen der katholischen Jugend weit verbreitet war. In seiner Gestaltung griffen die Herausgeber (A. Lohmann, G. Thurmair, J. Diewald) entschie-

Kirchenlied den auf die alten Quellen zurück und bezogen in größerem Umfang auch Lieder aus dem evangelischen Bereich mit ein. Lohmann selbst steuerte eine beträchtliche Zahl neuer Melodien bei, von denen einige in der Folge allgemein bekannt wurden. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil kam es dann zu einer definitiven Vereinheitlichung der Kirchenlieder im deutschsprachigen Raum durch die Veröffentlichung des Gotteslob (1975), eines Gebet- und Gesangbuches, dessen allgemeiner Teil für alle Diözesen gemeinsam vorgeschrieben ist, während ein eigener Liedteil für jede Diözese hinzugefügt ist, der einen Teil der regionalen Überlieferung enthält. — /Gesangbuch; /Kirchenmusik. W.

LIPPHARDT

Das lutherische Kirchenlied. Seine Entstehung entspringt der Absicht des Reformators, im Wissen um die Einprägsamkeit gesungener Texte, das Volk am Gottesdienst aktiv zu beteiligen. Luther hat dies in einem an G. Spalatin (1523/24) geschriebenen Brief programmatisch formuliert. Mit der Bestimmung des Gemeindeliedes zum liturgischen Gesang wurde zur Zeit der Reformation ein Grundstock von Liedern geschaffen, die gesungenes Evangelium darstellen sollten und sich vornehmlich in folgende Sachgruppen ordnen lassen: Psalm-, Festund Katechismuslieder sowie Lieder zum /Ordinarium missae. Das reformatorische Lied ist daher häufig mehr hymnisches oder auch lehrhaftes Aussagelied als Gebetslied, wenngleich sich beides, besonders beim Psalmlied, keineswegs ausschließt. Den Hauptanteil an der Bereitstellung der frühesten K.er haben außer Luther Johann Agricola, Erasmus Alber, Elisabeth Cruciger, N. Decius, Johann Gramann, Nikolaus Herman, S. Heyden, Justus Jonas, Lazarus Spengler, Paul Speratus und J. Walter geleistet. Diese Dichter knüpften bewußt an volkstümliche Formen an, im geistlichen Bereich vor allem an /Hymnus und /Leise des Mittelalters, im weltlichen an die durch den /Minnesang begründete strophische /Bar-Form. Weithin wurde dabei die silbenzählende Reimstrophe ohne feststehendes Versmaß angewandt. Das K. konnte als gottesdienstliche Zweckdichtung seine Aufgabe jedoch nur erfüllen, wenn dessen Schöpfer in Art der zeitgenössischen Meistersinger (/Meistersang) zugleich Melodien bereitstellten. In der Regel erfolgte dies auch hier, wenn möglich, durch Anknüpfung an überkommene, vor allem mittelalterliche geistliche Weisen, die jedoch unter Umständen gemeindegemäß, z. B. durch Ausmerzen von Ligaturen besonders bei Hymnenmelodien, umgeformt wurden (z. B. Luthers Komm Gott, Schöpfer, heiliger Geist nach dem Hymnus Veni Creator Spiritus).

Bei der strophischen Barform kamen jedoch nur Anlehnungen an das aus der spätmittelalterlichen Hofweise hervorgegangene bürgerliche /Gesellschaftslied sowie an Meistersingerweisen in Betracht. Die Schöpfer des K.es fallen daher nach der Terminologie von Glareanus' Dodekachordon (1547) nicht unter den Begriff „componista", sondern unter den des „phonascus" oder „inventor". Über den reformatorischen Weisen liegt z. T. der Schleier der Anonymität. Daß Luther im besagten Sinn selbst „phonascus" gewesen ist, steht außer Zweifel; offen jedoch ist die Frage, in welchem Umfang er es war. Sicher ist, daß u. a. auch J. Walter an der Beschaffung von Liedweisen beteiligt gewesen ist. Verbreitet wurden die K.er durch /Gesangbuch-Drucke (die frühesten sind das sog. Achtliederbuch aus Nürnberg, die sog. Erfurter Enchiridien und das 3-5st. Geystliche gesangk Buchleyn J. Walters; alle 1524). Das zwischen 1529 und 1543 in vier Auflagen in Wittenberg erschienene Klug'sche Gesangbuch spiegelt am deutlichsten Luthers Einfluß und seine musikalischen Vorstellungen von der Gemeindeliedweise wider. Das letzte zu seinen Lebzeiten herausgegebene und von ihm (wie bei einigen früheren) mit einer Vorrede versehene Gesangbuch war das von Valentin Babst (L 1545). Weitere wichtige Erscheinungsorte von Gesangbüchern der Reformationszeit waren Rostock, Königsberg, Konstanz, Straßburg und Bonn. Die Lieder Nikolaus Hermans aus Joachimsthal (Böhmen) erschienen gesondert meist in Wittenberg (u. a. Die Sontags Evangelia über das gantze Jar). Bis zur Mitte des 16. Jh. war der Grundstock des lutherischen K.es geschaffen und dessen liturgische Verwendung im wesentlichen geordnet, und zwar: Innerhalb des /Proprium (de tempore) zwischen den Lesungen von Epistel und Evangelium, innerhalb des Ordinarium vor allem zum Gloria (Allein Gott in der Höh sei Ehr von N. Decius), Credo ( Wir glauben all an einen Gott von Luther), Sanctus (Jesaja dem Propheten das geschah von Luther) und Agnus Dei (Christe, du Lamm Gottes von Luther oder O Lamm Gottes, unschuldig von N. Decius), ferner als Kommunionslied und schließlich als Gesang vor und nach der Predigt sowie als Gesang zum Ausgang anstelle des Da pacem (Verleih uns Frieden gnädiglich von Luther). Noch nicht fest hatte sich um diese Zeit das Eingangslied eingebürgert. — Die folgenden 50 Jahre, in die auch der Beginn der Gegenreformation fiel, bildeten in der Gesaňgbuchgeschichte eine Epoche des Übergangs, die der Festigung und Sicherung des lutherischen K.es diente. Vereinzelte Neuaufnahmen sind z. B. von P. Eber und N. Selnecker bekannt. Gegen Ende des 16. Jh. erwachte jedoch als Folge der zeitbeding335

Kirchenlied ten Nöte (z. B. Seuchen) und als Reaktion auf die konfessionellen Streitigkeiten eine neue Frömmigkeit, in der häufig die mittelalterliche Mystik wieder auflebte. Während die Nöte den Grundtenor vor allem im Liedschaffen von Ludwig Heimbold bilden, fand die mystische Frömmigkeit in den Dichtungen von Bartholomäus Ringwaldt und besonders von Martin Moller, Valerius Herberger und Melchior Teschner ihren Niederschlag. Die wohl bedeutendsten Lieder dieses Zeitabschnitts Wie schön leuchtet der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme (1599) stammen in Text und Weise von Ph. Nicolai. Während die kunstvolle Strophenform beider Lieder und die als Reprisenbar mit 3zeiligen Stollen gestalteten Weisen auf eine ältere Straßburger Tradition zurückgehen, weist das jeweils an die erste Strophe gebundene enge Wort-Ton-Verhältnis auf eine neue Melodiengestaltung hin; diese fand ihre Hauptvertreter in M. Vulpius, Ein schön geistlich Gesangbuch (4-5st., Jena 1609) und M. Franck, Rosetulum musicum (4-8st., Coburg 1627-28). Ihre Weisen erschienen nicht mehr einstimmig, sondern als harmoniebezogene Oberstimmen von vier- und mehrstimmigen homophonen Kantionalsätzen. Die Kirchentöne verloren ihre Bedeutung zugunsten der Dur-Moll-Tonalität. Zugleich trat auch eine feste Mensurbindung an die Stelle des früher häufigen Schweberhythmus. Die Bindung der Melodie an die jeweils erste Strophe, die auch Tonmalerei einschloß, setzte sich allgemein durch. — In die Zeit des 30jährigen Krieges fällt mit den Schlesiern Johann Heermann, Matthäus Apelles von Löwenstern, Johann Franck und Andreas Gryphius, den Mitteldeutschen Martin Rinckart, Paul Flemming, Johann Olearius, Michael Franck, Johann Matthäus Meyfart und G. Neumark, den OstpreuBen Georg Weißel, Simon Dach, H. Albert und Valentin Thilo, den Niederdeutschen Josua Stegmann, Justus Gesenius, David Denicke und J. Rist sowie schließlich den Brandenburgern Michael Schirmer und vor allem P. Gerhardt eine neue Blüte der K.-Dichtung. Nicht der gottesdienstliche Zweck gab nunmehr den AnstoB zum dichterischen Schaffen, sondern das oft aus der Not der Kriegszeit hervorgerufene Bedürfnis, persönliche Anliegen im Lied zum Ausdruck zu bringen; es war daher in erster Linie für die Hausandacht bestimmt. So erklären sich die zahlreichen Morgen- und Abendlieder und vor allem die Vertrauens-, Kreuz-, Trost- und Ewigkeitslieder dieser Epoche. Große Bedeutung kam auch dem Passionslied als BuBlied zu. Am bekanntesten sind J. Heermanns Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen und P. Gerhardts OHaupt voll Blut und Wunden und O Welt, sieh hier dein Leben. — Von

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der dichterischen Gestaltung her steht das umfang-

reiche Liedschaffen dieser Zeit im Zusammenhang mit der Reform von M. Opitz, der in dem Buch von der deutschen Poeterey (1624) die unbedingte Einheit von Sprachbetonung und Versmaß zur unumstöBlichen Regel machte. Um die Vertonung von Liedtexten dieser Dichter des 17. Jh. machten sich u. a. namhafte Komponisten verdient: J. Crüger und J. Ebeling vertonten u. a. Texte von Paul Gerhardt sowie Th. Selle und J. Schop Texte von J. Rist. In der Melodiebehandlung folgten sie M. Vulpius und M. Franck; wie bei diesen waren aber auch das italienische /Balletto (so verwendete J. Lindemann G. Gastoldis A lieta vita in dem Lied In dir ist Freude, 1598) und bei J. Crüger der řHugenottenpsalter von Einfluß. Beiden ist eine strenge homorhythmische Struktur eigen, die als musikalisches Korrelat zur Opitzschen Reform zu verstehen ist. Enges, jeweils auf die erste Strophe des betreffenden Liedes appliziertes Wort-Ton-Verhältnis und Harmoniebezogenheit sind auch jetzt charakteristische Merkmale der Melodiebildung. Gleichzeitig erfolgt der Obergang vom /Cantional als Chorbuch mit homophonen Liedsätzen zu Gesangbuchausgaben für Kirchen- und Hausgebrauch, in denen lediglich Melodie und GeneralbaB notiert sind. Belege dafür sind J. Crügers Neues vollkömmliches Gesangbuch (B 1640), das den Vorläufer der in vielen Ausgaben bis 1736 erschienenen Praxis pietatis melica darstellt, und Johann Rists Himmlische Lieder mit Melodien von Johann Schop (Luneburg 1641 bis 1642).

Etwa das letzte Drittel des 17. Jh. ist als Übergangszeit in der Geschichte des lutherischen K. zu verstehen, die in der ersten Hälfte des 18. Jh. zum Pietismus führt und selbst schon vielfach frühpietistische Züge trägt. Zu den wenigen bekannten Dichtern dieser Zeit gehören u. a. Samuel Rodigast (z. B. Was Gott tut, das ist wohlgetan) und Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt (u. a. mit Wer weiB, wie nahe mir mein Ende). Eine bedeutende Veränderung vollzog sich im Kompositorischen. Die stärkere Hervorkehrung von Gefühlsausdruck, die im geistlichen Sololied, der Aria, ihren stärksten künstlerischen Niederschlag erfuhr, wirkte sich in den Gemeindeliedweisen in einer nun konsequent erstrebten Isometrik aus, die auch zur Angleichung der ursprünglich rhythmisch bewegten älteren Weisen führte. Die zahlreichen isometrischen Melodien aus der Zeit zwischen etwa 1660 und 1760 haben zusammen mit den umgebildeten älteren Weisen bis in das frühe 20. Jh. den evangelischen Gemeindegesang geprägt. Eine besonders charakteristische Melodie ist die von S. Gastorius zu Was Gott tut,

Kirchenlied das ist wohlgetan. Zu den Gesangbüchern dieser Zeit gehören das von W. Weßnitzer (1661 bis 1696) aus Celle und vor-allem das einflußreichste pietistische Gesangbuch von Á. Freylinghausen. In ihm kommt zum isometrischen Melodietypus noch ein rhythmisch bewegter im tänzerisch-daktylischen Dreiertakt hinzu, dem auch der Versfug der betreffenden Dichtungen genau entspricht. Ein besonders charakteristisches Beispiel für diesen Typus, den 1716 ein Gutachten der Wittenberger Theologischen Fakultät als „üppig" und gegen die „Gravität der hohen Geheimnisse" verstoßend bezeichnete, ist Christian Friedrich Richters Es glänzet der Christen inwendiges Leben (1704). Die große Liedproduktion dieser Zeit ist durch eine Reihe bedeutender Namen belegt wie Johann Jakob Schütz, Heinrich Georg NeuB, Gottfried Arnold (sein O Durchbrecher aller Bande ist ein Musterbeispiel pietistischer Lebensbetrachtung) und Ph. Fr. Hiller. Auch die Dichtungen strenger Lutheraner wie S. Franck, E. Neumeister (beide auch Schöpfer von Kantatentexten), Valentin Ernst Löscher und Benjamin Schmolck zeigen Spuren pietistischer Frömmigkeit. Im Zusammenhang mit dem großen Dichterkreis steht eine Vielzahl neuer Melodien, über denen jedoch der Schleier der Anonymität liegt. Notiert wurden sie, wie seit J. Crüger, bis etwa gegen Mitte des 18. Jh. generell mit B.c. (z. B. das Schemellische Gesangbuch von 1736, bei dem J. S. Bach beteiligt war). Aus den im öffentlichen Gottesdienst gebrauchten Gesangbüchern verschwanden jedoch (im Unterschied zu den in den Hausandachten benutzten pietistischen Gesangbüchern) allmählich die Noten. Die Choralbücher für die jetzt erst stärker aufkommende Orgelbegleitung traten an ihre Stelle. Der Pietismus brachte die letzte schöpferische Epoche der Gesangbuchgeschichte. Was im Bereich des Luthertums in der Folgezeit bis zur Gegenwart an neuen Liedern entsteht, ist nicht speziell lutherisch, sondern allgemein protestantisch, wenn nicht gar, wie in allerjüngster Zeit, überkonfessionell. In der Epoche des Rationalismus erfuhr das lutherische K. etwa seit 1760 eine oft so weitgehende, dem Zeitgeschmack Rechnung tragende textliche Neubearbeitung, daß vom ursprünglichen Wortlaut nahezu nichts übrigblieb. Von neu entstandenen Liedern haben nur einige von Chr. F. Gellert ihre Zeit überdauert. In den Melodien des späten 18. Jh., wie im Kirchengesang überhaupt, fand die Zeit der Empfindsamkeit in schleppender Sentimentalität ihren Niederschlag. Von den Melodien dieser Zeit werden heute nur noch einige wenige gesungen, u. a. die streng isometrischen der Herrnhuter Brüdergemeine (z. B. Herz und

Herz vereint zusammen) und J. A. P. Schulz' Der Mond ist aufgegangen (Text von M. Claudius, 1779; Melodie 1790). Im 19. Jh. erfolgte die Restauration des lutherischen K.es (wichtigster Anstoß durch E. M. Arndts Von dem Wort und dem Kirchenliede, 1819), zunächst der Texte, später allmählich auch der Weisen. Dieser Prozeß kam erst im 20. Jh. zum Abschlug. Durch die kirchenmusikalische Erneuerung erfuhr das K. des 16. und 17. Jh. eine einzigartige Wiederbelebung, aus deren Geist auch neue Lieder entstanden (z. B. von J. Klepper und R. A. Schröder, Melodien u. a. von H. Fr. Micheelsen und G. Schwarz) und das Evangelische Kirchengesangbuch als erstes Gesangbuch sämtlicher Deutschen Landeskirchen 1949 hervorgegangen ist. Seit 1960 ist eine ungewöhnlich große Menge von neuem geistlichen Liedgut entstanden, bei dem häufig eine bewußte Anknüpfung an vulgäre Gesangsformen (z. B. Verwendung von JazzElementen) erfolgte. Das Ergebnis ökumenischer Bestrebungen waren 1973 Gemeinsame Kirchenlieder (hrsg. im Auftrag der christlichen Kirchen im deutschen Sprachraum von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut). — /Gesangbuch. W.

BLANKENBURG

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Kirchenmusik KIRCHENMUSIK. Dem Wortsinn nach die in einer Kirche (als Gebäude) gebrauchte Musik oder die spezifische Musik der sich als Kirche verstehenden Gemeinschaften, im allgemeinen aber die gottesdienstliche Musik der großen christlichen Kirchen. Die Kirchenmusik im Mittelalter. Zu Beginn der abendländischen Musikgeschichte war K. identisch mit dem Gregorianischen Gesang, den man nicht als Repertoire, sondern als eine Tradition verstand, die je nach den Gegebenheiten auf unterschiedliche Weise realisiert, auch mehrstimmig vorgetragen (/Organum), ergänzt und durch neue Formen (OETropus, /Sequenz) bereichert wurde. Umfang und Bedeutung des volkssprachlichen Kirchengesangs dieser Zeit sind schwer abzuschätzen, da Volksgesänge in der Regel nicht Gegenstand schriftlicher Überlieferung waren. Parallel zur Entwicklung der Notenschrift vom didaktischen Hilfsmittel zur verbindlichen Gesangsvorlage wurden die Choralbücher immer mehr als Sammlungen verbindlicher Melodien verstanden; doch dieses Repertoire stellte eine musikalische Aufgabe dar, die selbst an größeren Kirchen kaum regelmäßig zu bewältigen war. Andererseits brachte die Entwicklung der Mehrstimmigkeit von einer Vortragsweise zu einer Kompositionstechnik (Notre-Dame-Schule) neue musikalische Gattungen hervor: Die Ordnung der liturgischen Bücher und die kirchenmusikalische Realität klafften immer weiter auseinander. Das Problem wurde seit dem 13. Jh. durch die Vorschrift gelöst, daß der Priester sämtliche liturgischen Texte sprechen muß, gleichgültig, ob sie zugleich gesungen werden. Damit war der Vollzug dieser Texte gesichert, auch wenn der Chor etwas anderes sang. Von da an bis zum II. Vaticanum war die kath. K. von der Liturgie abgetrennt: Musik und Liturgie brauchten nicht übereinzustimmen. Zur Normalform der gesungenen Meßfeier — der Missa cantata — wurde die „Begleitung" der Messe des Priesters durch den Vortrag einer Vertonung des /Ordinarium missae, die sich seit dem 14./ 15. Jh. als musikalische Gattung /Messe konstituiert hatte. Dazwischen waren die Amtsgebete des Priesters und die Lesungen laut vorzutragen; daraus ergaben sich Beschränkungen für die Dauer insbesondere von Gloria und Credo. Aber auch diese Beschränkungen wurden umgangen, etwa indem der Priester zum gesungenen Ordinarium eine „stille Messe" hielt oder indem der Vortrag des Ordinariums durch den Chor nur von Evangelium und Elevation unterbrochen wurde. Um 1300 findet sich bei Johannes de Grocheo zum ersten Mal das Wort „Kirchenmusik" („Musica ecclesiastica"). Gemeint ist damit der Gregorianische

Gesang im Gegensatz zu den neuen mehrstimmigen Gattungen und der Anspruch, daß auch die kirchliche Einstimmigkeit kunstgerechte „Musica” sei. Die Entwicklung der >'Motette, in der der gregorianische /Cantus firmus mit seinem liturgischen Text vom Thema der Komposition zum mehr oder weniger beziehungsreich ausgewählten Motto eines Stücks mit ganz anderem, geistlichem oder weltlichem Text wurde, führte zur Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Ars musica. Wahrscheinlich auf Betreiben der Dominikaner gelangte das Verbot der Motette auf das Programm des 15. allgemeinen Konzils in Vienne (1311-12). In Abwicklung der vom Konzil nicht mehr behandelten Programmpunkte erließ Papst Johannes XXII. 1324/25 ein Dekret Docta sanctorum Patrum über die K., in dem aber statt der Motette „gewisse Neuerer" angesprochen werden und versucht wird, das Problem durch das Verbot bestimmter Satztechniken zu lösen. Das Dekret hatte zwar keinen Einfluß auf die allgemeine Entwicklung der musikalischen Komposition selbst, bewirkte aber, daß man sich mancherorts und insbesondere in den strengen Orden von dieser Entwicklung abschloß. Deren Schwerpunkte lagen im 14. Jh. in Frankreich (/Ars nova; G. de Machaut) und in Italien (/Trecento), zu Beginn des 15. Jh. vorübergehend in England (J. Dunstable). Aus Zeugnissen des 14. Jh. gewinnen wir auch erstmals eine Vorstellung von der Verwendung der Orgel im Gottesdienst: Sie tritt an die Stelle von Gesang bzw. eines Partners im Wechselgesang; die Verse bzw. Abschnitte der liturgischen Gesänge können abwechselnd gesungen und von der Orgel vorgetragen werden. Diese /Alternatim-Praxis blieb bis ins 17. Jh., in Frankreich noch länger geläufig. Über die Verwendung anderer Instrumente läßt sich aus den Quellen kein eindeutiges Bild gewinnen; sie waren offenbar an bestimmte Musizierweisen und Arten der Mehrstimmigkeit gebunden. Im Laufe des 15. Jh. vollzog sich, ausgelöst insbesondere durch die musikalische Repräsentation einiger Fürsten auf dem Konzil von Konstanz (1414-18), die Wende von mehr oder weniger lokalen Praktiken der Ars musica zur gemeineuropäischen Musikkultur. Die mittelalterlichen Hofkapellen erhielten nun allenthalben die Funktion musikalischer Institutionen. Seit der 2. Hälfte des 15. Jh. begann man, auch an Kathedralen, Stiftskirchen und Stadtkirchen Kapellen zu gründen. Die bedeutendsten Komponisten sind bis ins 16. Jh. Niederländer (7Franko-flämische Schule). Neben einzelnen mehrstimmigen Ordinariumsätzen und Kyrie-Gloria- bzw. Sanctus-Agnus-Satzpaaren sind bereits aus dem 14. Jh. die ersten mehrstimmigen 339

Kirchenmusik Ordinarien überliefert; durch G. Dufay wird dann das Meßordinarium als die erste große zyklische Form der Musikgeschichte geschaffen. Die Einheit des Zyklus beruht auf der Verwendung von gregorianischen Melodien, Chansons, später auch von Liedern und Madrigalen als Cantus firmus oder melodisches Material (OEParodiemesse). Die Motette entwickelt sich zu einem einheitlichen Satztypus mit meist kirchlichem, aber nicht liturgischem Text. Daneben stehen eher lokale Traditionen der Hymnen-, Antiphonen- und Propriensatzvertonung. Der auf Bestellung des Konstanzer Domkapitels entstandene vollständige Proprienzyklus H. Isaacs (Choralis Constantinus) ist ein Sonderfall. Im Werk Josquin des Prés' wird die Musik in einem neuen Sinne Vertonung des Wortes; er ist zugleich der eigentliche Schöpfer der „klassischen Vokalpolyphonie". Damit ist eine Homogenisierung der Stimmen gemeint, die später als Vokalisierung gedeutet wurde. Tatsächlich aber war auch im 16. Jh. die Mitwirkung von Instrumenten die Regel. Zu Ende des 15. Jh. treten auch deutsche Komponisten hervor. Seit dem Ende des 15. Jh. wurde aus Kreisen der Humanisten Kritik am Zustand der K. laut, und es vollzog sich ein bezeichnender Wandel in der Wahl der Motettentechnik: Um 1500 entsteht die motettische Psalmen- und Evangelienvertonung, seit etwa 1530 tritt die Motette mit liturgischer Bestimmung in den Vordergrund; der Text wird entweder aus dem Proprium oder dem Offizium des Tages gewählt. Die katholische Kirchenmusik. 16. Jahrhundert. Vor dem Konzil von Trient, das 1545 zusammentrat, standen sich zwei Auffassungen über die Reform der K. gegenüber: Die einen suchten die Tradition von Messe und Motette gegenüber der neuen Gattung des /Madrigals abzugrenzen, die anderen sahen gerade im engen Wort-Ton-Verhältnis des Madrigals das Vorbild einer neuen, wortgezeugten Kirchenmusik. Das Konzil behandelte die K. schließlich in der 22. Sitzung im Herbst 1562 im Zusammenhang mit den Mißbräuchen bei der Feier der Messe. Die offenbar unter Schwierigkeiten zustande gekommene Kommissionsvorlage fordert Verständlichkeit des Texts und Abgrenzung gegenüber dem „profanum"; das Konzil einigte sich aber lediglich auf ein Verbot, anstößige Melodien zu verarbeiten. Mit dem Gregorianischen Gesang hat sich das Konzil nicht im Zusammenhang mit der K., sondern mit der Ausbildung der Kleriker beschäftigt. Im Zuge der Reform der päpstlichen Kapelle griff der Mailänder Kardinal C. Borromeo die Frage der Textverständlichkeit noch einmal auf. Auf seine Initiative geht die Entwicklung eines 340

schlichten akkordisch-deklamierenden Satzstils insbesondere durch den Mailänder Domkapellmeister V. Ruffo zurück, der sich jedoch nicht als entwicklungsfähig erwies. Daß G. P. da Palestrina auf dem Konzil die K. gerettet habe, ist Legende. Seine Leistung ist vielmehr die Fortentwicklung der klassischen Vokalpolyphonie zu einem Stil vollkommener Ausgeglichenheit auf der Grundlage niederländischer Kontrapunktkunst und italienischer Klanglichkeit. Mit ihm beginnt die Vorherrschaft der italienischen Musik. Er ist zunächst vor allem in Rom als Schulhaupt verehrt worden. Der bedeutendste musikalische Repräsentant der kath. Reform ist O. di Lasso. Die eigentliche Bedeutung des Konzils von Trient für die K. liegt darin, daß es die Kodifizierung der Liturgie und der liturgischen Texte in lateinischer Sprache vollendete und die K. als Vertonung dieser Texte und Schmuck der Liturgie betrachtete. Weil die K. die Liturgie nur begleitete, waren Lieder in der Volkssprache an sich nicht ausgeschlossen, aufgrund ihrer Bedeutung im evangelischen Gottesdienst wurden sie jedoch zum Teil als Merkmal für die Unterscheidung der Konfessionen betrachtet. Die Rolle der Orgel wird im Caeremoniale Episcoporum von 1600 umschrieben: Sie darf beim Meßordinarium und im Offizium mit dem Chor alternieren und Stücke nach der Epistel, zum Offertorium und zur Communio vortragen. In der Adventsund Fastenzeit ist die Verwendung der Orgel und anderer Instrumente jedoch nicht gestattet. 17.-18. Jahrhundert. Im Umkreis der Katholischen Reform taucht der Begriff „K.", den weder die Humanisten noch das Konzil von Trient gebraucht hatten, mit neuer Bedeutung wieder auf: Er meint jetzt die Musik der Messen und Motetten im Gegensatz zu der des Madrigals; da das Madrigal auch eine literarische Gattung ist, kann es keine Madrigale mit liturgischem Text, sondern nur als „geistliche Musik" geben. Doch bereits in der 1. Hälfte des 17. Jh. kam das Wort „K." wieder außer Gebrauch: der Barock schuf sich noch einmal ein geschlossenes Weltbild und eine einzige, ungeteilte Musica. Von der venezianischen K. des ausgehenden 16. Jh. (A. Willaert, A. Gabrieli, G. Gabrieli) ging die Entwicklung des konzertierenden Stils aus, der für die Musik des Barock konstitutiv wurde. Im Zusammenhang mit der Generalbaßpraxis wurde die Orgel zum Begleitinstrument. Durch Reduktion des mehrstimmigen Chorsatzes schuf L. Viadana einen „Kirchenstil" für Solostimmen und eine unter beinahe allen Verhältnissen und bei allen Gelegenheiten ausführbare Kirchenmusik. Dagegen war der neue monodische Stil nicht unmittelbar auf die K. übertragbar, weil

Kirchenmusik die liturgischen Gesangstexte unter den Gesichtspunkten und mit den Regeln der Opernästhetik nicht zu fassen waren. Die Tradition des vollstimmigen Satzes wurde in der Musik des Barock als „alter Stil" weitergeführt (7a cappella), und zwar unter zwei verschiedenen Aspekten: einerseits als Vorbild und Grundlage der musikalischen Satztechnik, insbesondere des Kontrapunkts, andererseits als getragener, ohne Solostimmen und Instrumente ausführbarer Kirchenstil „a cappella"; das Instrumentenverbot des Caeremoniale Episcoporum für Buß- und Trauerzeiten lief praktisch auf ein Gebot des a cappella -Stils hinaus. Zentren der katholischen K. des Barock waren die weltlichen und geistlichen Fürstenhöfe; sie war Teil ihrer musikalischen Repräsentation, und die unterschiedlichen kirchenmusikalischen Stile (Gregorianischer Gesang, a cappella-Musik, konzertierende K.) wurden Stufen höfischen Gottesdienstzeremoniells. Daneben haben insbesondere Jesuiten und Franziskaner die K. bewußt als Mittel der Volksmission und Anreiz zum Besuch des Gottesdienstes gepflegt. Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt nach 1600 zunächst auf der Vesper- und Vesperpsalmenvertonung; die nachmittägliche Vesper spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung des öffentlichen Konzertwesens. Die Messenvertonung trägt demgegenüber zunächst konservative Züge und tritt erst im 18. Jh. wieder in den Vordergrund. Medium kirchenmusikalischer Prachtentfaltung ist im 17. Jh. die Mehrchörigkeit; bis zu 12 vokale und instrumentale, chorische und solistische Chöre füllen den ganzen Raum mit Klang. Im 18. Jh. wird dann der mehrchörige Satz zum akademischen Kunststück; die allgemeine Tendenz geht nunmehr zu breitangelegten Messensätzen und Psalmenvertonungen, in denen abgeschlossene Chor- und (zum Unterschied von der weltlichen Arie stets zweiteilige) Solonummern abwechseln. In Neapel wird dabei nach 1720 das Meßordinarium sogar auf die umfangreiche Vertonung von Kyrie und Gloria „verkürzt". Das Rezitativ wird bei liturgischen Texten nur ausnahmsweise verwendet. Zugleich ist mit dem Beginn des 18. Jh., offenbar von Rom ausgehend, ein neues Interesse am kontrapunktischen Satz zu beobachten, als dessen Vorbild Palestrina gilt (J. J. Fux, G. B. Martini) und das sich sowohl auf die a cappella-Komposition wie auf die Chorsätze der konzertierenden K. auswirkt. Von regional und lokal unterschiedlicher Bedeutung ist die Vertonung von Responsorien und Lektionen des Triduum sacrum und der Matutin von Weihnachten, die mancherorts Höhepunkte sängerischer Virtuosität werden, von Offizien lokaler Patrone, Litaneien, bestimmten Antiphonen usw.

Mit dem Namen „Motette" werden nunmehr zwei ganz verschiedene Gattungen bezeichnet: Chorstücke a cappella, meist auf liturgische Texte aus dem Proprium missae oder dem Offizium, und Kompositionen mit Chorsätzen, Arien und Rezitativen auf nichtliturgische geistliche Texte; mit volkssprachlichem Text heißen solche Kompositionen /Kantate. Diese Gattung steht ebenso wie das /Oratorium (G. Carissimi) in der Tradition der /geistlichen Musik, die sich im Anschluß an die liturgische Kodifizierung des Konzils von Trient, beispielsweise vom Oratorium des Filippo Neri in Rom ausgehend, herausbildete. Die katholische Orgelmusik nimmt aufgrund ihrer liturgischen Bindung nicht an der Entwicklung großer freier Gattungen teil. Nach dem Tode G. Frescobaldis verlagert sich ihr Schwerpunkt aber nach Frankreich (Fr. Couperin). Vor allem in Oberitalien gewinnt dagegen die Kirchensonate große Bedeutung; S. Petronio in Bologna und S. Antonio in Padua wurden zu weitberühmten Zentren der Instrumentalmusik. Kirchensonaten wurden insbesondere nach der Epistel gespielt; im übrigen ist der Umfang ihrer Verwendung in der Liturgie weithin ungeklärt. Die K. des 17.-18. Jh. wurde im allgemeinenfürden Tagesbedarf komponiert und die Überlieferung ist unübersehbar. So hat beispielsweise G. O. Pitoni, der namhafteste Vertreter der römischen K. in der 1. Hälfte des 18. Jh., mehrere hundert Messen für bis zu 12 Chöre und jeweils Hunderte von Psalmen, Magnificat und Motetten komponiert; allein das Archiv der Kapelle von St. Peter besitzt von ihm 184 Vertonungen des Psalms Dixit Dominus. Die beiden herausragenden Komponisten katholischer K. des Barock aber sind Cl. Monteverdi und A. Scarlatti. In seiner Papst Paul V. gewidmeten und der „allerseligsten Jungfrau Maria" zugeeigneten Messe und Vesper (1610) unternimmt Monteverdi den programmatischen Versuch, in der Messe („für die Kirchenchöre") den „alten Stil" weiterzuentwickeln und in der Vesper („für die Hofkapellen”) den neuen Stil in die K. zu integrieren. A. Scarlatti setzt sich in seinen a cappella-Messen mit dem Kontrapunkt Palestrinas und dem Problem des „Kirchenstils” auseinander und entwickelt in seiner Messa di S. Cecilia einen von der (offenbar als „neutral" empfundenen) Instrumentalmusik abgeleiteten, eigentümlichen konzertierenden Vokalstil. Die Päpste des 17. und 18. Jh. haben sich wiederholt zu Fragen der K. geäußert, doch bezogen sich ihre Anweisungen nur auf Rom selbst. K. wurde als lokaler Usus, nicht als allgemeines Repertoire betrachtet. Die bedeutendste Verlautbarung und die erste grundsätzliche Auseinandersetzung mit

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Kirchenmusik der K. überhaupt ist das Rundschreiben Annus qui, das Benedikt XIV. 1749 anläBlich des bevorstehenden Heiligen Jahres an die Bischöfe des Kirchenstaats richtete. Es weist dem „cantus ecclesiasticus" (dem Gregorianischen Gesang), der sorgfältiger ausgeführt werden soll, den ersten Platz zu. Aber auch der „cantus musicus" (die mehrstimmige Musik) ist gestattet. Hauptsorge des Dokuments ist die Unterscheidung der Musik in der Kirche von der profanen Musik, deren Inbegriff die Musik des Theaters (die Oper) ist. Die instrumentale K. (die Kirchensonate) wird toleriert. In der 2. Hälfte des 18. Jh. wächst eine bürgerliche Musikkultur heran. Im Stabat mater G. B. Pergolesis, einem der bezeichnenden Werke eines „empfindsamen Stils", fand diese Musikkultur ihr kirchenmusikalisches Ideal; kein musikalisches Werk ist im 18. Jh. so häufig gedruckt worden. Das neue K.-Ideal war überkonfessionell. Die Salzburger K. W. A. Mozarts gehört freilich noch zur höfischen Repräsentationsmusik, die bis zu den Dresdener Messen C. M. von Webers nachlebt. Der Bruch vollzieht sich mit Mozarts c-moll-Messe und dem Requiem, den späten „Hochämtern" J. Haydns und den beiden Messen L. van Beethovens. Auch die K. sieht sich nunmehr einer Musikästhetik gegenüber, deren Kategorien nicht mehr Stile und Gattungen sind, sondern das einmalige und einzigartige musikalische Werk. Die späten kirchenmusikalischen Werke Haydns und Mozarts, Beethovens und Fr. Schuberts werden zum Repertoire nicht mehr der Kirchenchöre, sondern der Chorvereinigungen und des öffentlichen Musiklebens. Das Repertoire der Kirchenchöre, die im Zusammenhang mit der Entwicklung des bürgerlichen Chorwesens im 19. Jh. stehen, knüpfte an die einfacheren Messen der Wiener Klassik und deren Nachahmung in den „Landmessen" an. 19.-20. Jahrhundert. In der Literatur der deutschen Frühromantik taucht der Begriff „K." zum dritten Mal und mit neuer Bedeutung wieder auf. J. G. Herder, W. Wackenroder, L. Tieck entdeckten im „nur in feierlichen Akkorden einherschreitenden" vollstimmigen Kirchenstil „a cappella``, der nunmehr als „reiner" Vokalstil ohne Instrumente verstanden wurde, das Ideal einer „Heiligen Tonkunst", einer „Musica sacra", die sich von aller weltlichen Musik abhebt und aller Tagesdiskussion über Musik und Musikästhetik entzogen ist. Diese Musica sacra wurde mit der Legende von der Rettung der K. durch Palestrina in Trient in Verbindung gebracht. „Heilig" ist sie aber nicht aufgrund ihres Bezugs zum „sacrum", zum Gottesdienst, sondern weil sie selber „das Herz unmittelbar zu Gott erhebt". Dieses literarische Kirchenmusikideal wurde vor 342

allem durch den Dichtermusiker E. Th. A. Hoffmann in die Musik übertragen. C. von Winterfeld (Der evangelische Kirchengesang, 1843-47) entdeckte J. Eccard als den „protestantischen Palestrina". Die Übernahme des Stilideals der Musica sacra durch die K. beider Konfessionen hängt mit der Entwicklung der Kirchenchöre eng zusammen, die in dieser Chormusik ein geeignetes Repertoire fanden. Während auf evangelischer Seite das Palestrinaideal seit der Mitte des 19. Jh. durch die Wiederentdeckung von J. S. Bach und H. Schütz abgelöst wurde, setzte sich auf der katholischen der 1868 von F. X. Witt gegründete Allgemeine Cäcilien-Verein (ACV) das Ziel, den „Palestrinastil" als „wahre kath. K." verbindlich zu machen und das kirchliche Chorwesen zu fördern (řCäcilianismus). Dadurch kam Witt mit den musikalischen Volksbildungsideen Fr. Liszts in Berührung, der in einer Reihe von Kompositionen eine neue K. zu entwickeln suchte, die jedoch nicht den Beifall des ACV fand. Gegen die Musik der Wiener Klassik polemisierte Witt als „Musik der Hure Babylon". 1870 erlangte der ACV die päpstliche Approbation und verstand sich hinfort als kirchenamtliche Institution mit der Aufgabe, die Einhaltung der „kirchenmusikalischen Gesetzgebung" zu überwachen. Im Cäcilien-Vereins-Katalog veröffentlichte er ein Verzeichnis der „für den Gebrauch im Gottesdienst geeigneten Kompositionen". Das Komponieren kath. K. wurde zur Spezialdisziplin von Kirchenmusikern. Von den namhaften Komponisten des ausgehenden 19. Jh. haben nur wenige Musik für den kath. Gottesdienst komponiert (Liszt, A. Bruckner, J. Rheinberger, C. Franck), aber ihre Werke entsprachen nicht den Anforderungen des ACV. Einige kirchenmusikalische Gattungen, insbesondere Messe und Requiem, führten ein von der K. unabhängiges Eigenleben als Gattungen des öffentlichen Konzertwesens. So entstanden z. B. die Requiemvertonungen von H. Berlioz und G. Verdi. Zu einer schöpferischen Blüte kam es hingegen am Ende des 19. Jh. in der französischen Orgelmusik (Ch.-M. Widor, F. A. Guilmant, Ch. Tournemire, L. Vierne).

Im Gegensatz zu den Idealen des Cäcilianismus entwickelte sich in der von Frankreich ausgehenden Choralrestauration die Vorstellung vom Gregorianischen Gesang als dem eigentlichen „liturgischen" Gesang und kirchenmusikalischen Idealtypus. Das Motu proprio Papst Pius' X. über die Kirchenmusik von 1903 verknüpft Ideen der Choralrestauration und des Cäcilianismus vor dem Hintergrund der spezifischen kirchenmusikalischen Situation in Italien (L. Perosi). Es identifiziert K. und Musica

Kirchenmusik sacra und fordert von ihr „Heiligkeit", „Güte der Form" und „Universalität". Diese Qualitäten seien insbesondere dem Gregorianischen Gesang eigen, der der eigentliche Gesang der römischen Kirche und das Vorbild aller K. sei. Sie fänden sich aber „in höchstem Maße" auch in der „klassischen Vokalpolyphonie", namentlich der Palestrinas. Die „moderne" K. wird zugelassen, wenn sie sich von profaner Musik unterscheidet. Der Kirchenchor versieht eigentlich Kleriker-Chordienst, deshalb dürfen Frauen nicht mitwirken. Musikinstrumente sind — mit Ausnahme der Orgel — nur in Sonderfällen und mit besonderer Erlaubnis gestattet. Unter K. versteht das Motu proprio nur die Musica sacra des Chors. Volksgesang kommt nur als Beteiligung des Volkes am Gregorianischen Gesang vor. Jeglicher Gesang in der Volkssprache bei „feierlichen liturgischen Handlungen" ist streng verboten. Das Motu proprio war ursprünglich nur für die Diözese Rom gedacht, wurde dann aber als „kirchenmusikalisches Gesetzbuch für die ganze Kirche" publiziert. Trotz der Autorität des Motu proprio kam die Choral- und Volkschoralbewegung nur zu lokalen und vorübergehenden Erfolgen. Für die mehrstimmige Musik der Kirchenchöre hatte der einstimmige Gregorianische Gesang kaum Bedeutung; hier blieb es beim Vorbild des „Palestrinastils", und damit war kath. K. auch auf dessen Gattungen, Messe und Motette, und deren Satztypen — auf dem historischen Stand des 16. Jh. — festgelegt. Zwar gewann sie vor allem im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit der Eingliederung der K. in die Musikhochschulen nach dem Ersten Weltkrieg allmählich wieder Anschluß an die Entwicklung der musikalischen Satztechnik (J. Haas, H. Schroeder, G. Trexler, M. Baumann); aber soweit die Komponisten dem klassischen Formenkanon nicht in Oratorium, Singmesse u. ä. (Haas) auszuweichen suchten, standen sie in der ständigen Gefahr einer bloBen Neustilisierung der liturgischen Gesangstexte. Andererseits entstanden infolge des Eigenlebens, das einige traditionelle Gattungen der K. entwickelt hatten, auch außerhalb des eigentlichen kirchenmusikalischen Bereichs gelegentlich Messen und Motetten (L. Jamiček, I. Strawinsky, Z. Kod:íly, P. Hindemith, Fr. Poulenc, E. Krenek). Von den kirchenmusikalischen und liturgischen Auseinandersetzungen weithin unabhängig entwikkelte sich die Orgelmusik; zum ersten Mal geht nunmehr im deutschen Sprachraum ein bedeutsamer Teil der Orgelmusik aus der kath. K. hervor. Dabei spielte die Auseinandersetzung zwischen der durch J. S. Bach und die deutsche Orgelmusik des Barock geprägten Tradition und der neueren französischen Orgelmusik eine besondere Rolle (J. Ah-

rens, A. Heiller, Fr. Haselböck, J. Fr. Doppelbauer). Durch J. Langlais, J. Alain u. a. wurde die französische Tradition weitergetragen, mit O. Messiaen mündet sie in die musikalische Avantgarde. Erstmals rückt so kath. K. wieder ins Zentrum der zeitgenössischen musikalischen Entwicklung. Gegenüber der Liturgischen Bewegung, die einerseits einen liturgischen Gesang in deutscher Sprache, also sogenannte „Deutsche Gregorianik", zu schaffen und andererseits die Tradition des deutschen Kirchenliedes weiterzuentwickeln suchte, verwies der ACV stets auf das absolute Verbot der Volkssprache bei „feierlichen liturgischen Handlungen". Ober die Jugendbewegung wirkte die Liturgische Bewegung gleichwohl in die K. hinein (H. Rohr, E. Quack, Fr. Schieri, H. Schubert, B. Hummel). Die zuletzt immer schneller aufeinander folgenden römischen Verordnungen über die K. versuchten, die kirchenmusikalische Gesetzgebung des Motu proprio auf die neuen Fragestellungen anzuwenden. In der Enzyklika Musicae sacrae disciplina Pius' XII. von 1955 ist erstmals auch der Gesang des Priesters und der Gemeinde, in der Instruktion Über die Kirchenmusik und die hl. Liturgie von 1958 auch die „Musica sacra pro organo" und die „Musica religiosa" in die Musica sacra einbezogen. Mit Musica sacra aber wird nun nicht mehr ein Stilideal bezeichnet, sondern man versucht alle K. und religiöse Musik einschließlich „geistlicher Hausmusik" zu erfassen. Seit dem II. Vaticanum. Die am 4.12. 1963 verabschiedete Liturgiekonstitution des 2. Vatikanischen Konzils bezeichnet die überlieferte K. als einen wertvollen Schatz, den es zu pflegen und zu mehren gilt; die Kirchenchöre sollen auch fortan nachdrückliche Förderung erfahren. Aber sie stellt die kath. K. auf neue Grundlagen: Die K. selbst und nicht mehr das Sprechen der Gesangstexte durch den Priester ist liturgischer Vollzug; sie ist nicht mehr Musica sacra in StellvertretungeinesKlerikerchors, sondern Ausdrucksform der Gemeinde im Gottesdienst, und Chor und Musiker sind Teil der Gemeinde. Richtschnur der K. ist nicht mehr ein historischer Stil, sondern ihre jeweilige liturgische Funktion. Mit der Einbeziehung der Volkssprache in die Liturgie ist diese dann nicht nur für die Gattungen des Volksgesangs geöffnet worden, sondern auch für evangelische K. und zeitgenöss. Musik. Die Liturgiereform ist von den Kirchenmusikern nicht überall begrüßt worden. Hinzu kamen tiefgreifende Wandlungen der Musikkultur. Von den USA her breitete sich im Anschluß an das Erwekkungslied freikirchlicher Gemeinschaften seit der Mitte der 50er Jahre auch in den europäischen Län343

Kirchenmusik dern ein neuer Typus des geistlichen Lieds aus, der in den 60er Jahren über die Jugendgottesdienste in die Liturgiefeier gelangte und die Diskussion um die Zukunft der K. noch verschärfte. Das Phänomen ist vielfältig: religiöse Schnulzen und Nachahmungen des Negro Spirituals, geistliche Folksongs und Lieder der jugendlichen Protestbewegung. Sie wurden stilbildend für Kirchenlieder, die textlich und musikalisch einen neuen Ansatz suchten und für „Messen" unterschiedlicher Art. Das alles wird heute mit dem Verlegenheitsbegriff „Rhythmische K." umschrieben. Auf der anderen Seite gewannen religiöse Themen in der zeitgenössischen musikalischen Kunst große Bedeutung; die musikalische Avantgarde erhob den Anspruch einer „neuen Musica sacra" (Schnebel). Und als neue musikalische Form entwickelte sich der durchkomponierte oder jedenfalls musikalisch durchgestaltete „musikalische Gottesdienst". Das 1975 vorgelegte neue Gesangbuch Gotteslob und die daraus sich ergebende, über den Gemeindegesang hinausreichende kirchenmusikalische Kodifizierung bedeuten eine Zäsur. Aber die K. hat die liturgische Reform noch nicht bewältigt, und die Liturgik hat die Bedeutung der K. für ihre Erneuerung noch zuwenig erkannt. H. HUCKE Die evangelische Kirchenmusik wurde begründet durch M. Luther und den protestantischen Kantor J. Walter. Beiden ging es um die Musik als Schöpfergabe und deren rechten, d. h. gottesdienstlichen Gebrauch: Das Wort K. verwendeten sie nicht. Die Wirkung der Musik hatte auch Calvin für den Gottesdienst erkannt, jedoch um der Gefahr des ästhetischen Genusses willen nur den einstimmigen Gemeindegesang gelten lassen. Zwingli hat die Musik aus diesem Grunde aus dem Gottesdienst völlig verbannt. Die Eigenständigkeit der ev. K. entfaltete sich an dem weithin an mittelalterliche Formen anknüpfenden lutherischen /Kirchenlied (ab 1523) und an dessen mehrstimmiger Bearbeitung in der zeitgenössischen Gestalt des Tenor-Liedsatzes. Im übrigen bestand Literaturgemeinschaft mit dem überkommenen lateinischen Repertoire. Deutsche Motetten entstanden nach vereinzelten Vorläufern in Sammlungen erst seit etwa 1550 (u. a. von J. Reusch, D. Köler, G. Dreßler), auf die um 1600 vollständige Jahrgänge von Evangeliensprüchen als typisch protestantische Lesungsmusik mit liturgischer Einordnung folgten (u. a. von A. Raselius, Chr. Demantius, M. Vulpius und M. Franck). Der polyphone Tenor-Liedsatz hatte sich inzwischen bei zunehmender Textbezogenheit einerseits zum homophonen Kantionalsatz mit Diskant-Cantus firmus (erstmals 1586 bei L. Osiander, danach 344

zahlreiche Ausgaben bis zu J. H. Scheins Cantional von 1627) und andererseits zur textdarstellenden Liedmotette u. a. bei J. Eccard, L. Lechner, M. Franck, H. L. Haßler, M. Praetorius entwickelt. Die nur für den häuslichen Gebrauch bestimmten mehrstimmigen Bearbeitungen des řHugenottenpsalters hatten bereits 1547 durch L. Bourgeois in Genf zum homophonen Satz geführt und vor allem durch Cl. Goudimel weiteste Verbreitung erlangt (deutsche Übersetzung von A. Lobwasser, 1573). Goudimel schuf jedoch auch motettische Bearbeitungen wie später noch J. P. Sweelinck, während zahlreiche andere Meister Zwischenformen pflegten. Um 1600 ist im lutherischen Bereich der Höhepunkt des motettischen Schaffens erreicht, der am stärksten bei L. Lechner durch subjektive Durchdringung und affektbetonte Textvertonung gekennzeichnet ist. Danach findet diese Gattung noch einzigartige Ausprägungen in J. H. Scheins geistlichen Madrigalen, dem Israelsbrünnlein (1623), und in H. Schütz' Geistlicher Chormusik (1648). Um diese Zeit überschneiden sich die endende Epoche der Motette und die der neuen Gattung 7geistliches Konzert. Die von Italien übernommene /Generalbaß-Praxis, die 7Mehrchörigkeit, der affektbetonte Sologesang mit oder ohne obligate Instrumente und vor allem der Stile oratorio der /Seconda prattica sind die neuen Elemente, die insbesondere in Werken von Schein und Schütz ihre bedeutendste Verwirklichung fanden. Das geistliche Konzert bestimmte aber auch das Schaffen zahlreicher anderer Komponisten wie etwa M. Weckmann, Chr. Bernhard, A. Hammerschmidt, J. Rosenmüller, W. C. Briegel, G. W. Wecker, J. Pachelbel, S. Knüpfer, J. Schelle, J. Kuhnau, Fr. Tunder, N. Bruhns und D. Buxtehude. Dabei wandelte sich die Gestalt dieser Gattung aus der ursprünglichen Einsätzigkeit in ein durch verschiedene Satzarten gegliedertes Werk, nach und nach auch verbunden mit Textkombinationen von Bibelversen, Gesangbuchstrophen und affektbetonten Arien. Damit ist der Übergang zur /Kantate, deren Begriffsanwendung bis heute schwankt, erreicht. Sie bedeutet jedenfalls ein mehrsätziges Werk mit wechselnden Satzarten und zumeist textlicher Mehrschichtigkeit. Einzuschieben ist hier die Kompositionsgattung der biblischen Historien (2'Historia) von Weihnachten, Ostern und vor allem der /Passion. Die letztere hat sich seit der Reformation von der an eine ältere Vorform anknüpfenden responsorialen Passion J. Walters mit choralen Soliloquenten-Partien und chorischen Turbae in 2'Falsobordone-Satz allmählich zur ausdrucksvollen Monodie und chorischer

Kirchenmusik Dramatik der 3 Schütz-Passionen entwickelt. Von besonderer Bedeutung sind auch einige motettisch durchkomponierte Passionen (Joachim a Burck, L. Lechner, J. Herold und Chr. Demantius). In verschiedenen Weihnachts- und Osterhistorien wurde nach dem Vorbild von Schütz' Auferstehungshistorie bereits frühzeitig der Anschluß an das Generalbaßzeitalter vollzogen, in Hamburg durch Th. Selle bereits seit 1641 auch bei Passionen. Alle Historienkompositionen gehören in den Bereich der Evangelienvertonungen. Eindeutig wird der Begriff Kantate seit 1700 durch die zuerst von E. Neumeister erfolgte, jahrgangsweise Bereitstellung von Kantatendichtungen. Ihrer liturgischen Funktion gemäß, nach der Evangelienlesung (z. T. auch nach der Predigt) eine Predigt eigener Art zu bieten, war sie Hauptgattung der evangelischen K. bis etwa 1750. Eine entsprechende Entwicklung vollzog sich von der Historienkomposition zum (spezifisch deutschen) ."Oratorium, das in J. S. Bachs Passionen und dem Weihnachtsoratorium gipfelte. Um dieselbe Zeit erreichte auch die protestantische Orgelmusik, die seit S. Scheidts Tabulatura nova (1624) wie die Instrumentalmusik allgemein als eigenständiger Kunstzweig ständig wachsende Bedeutung erlangte, einen Höhepunkt. Bis etwa 1750 meint der von M. Praetorius (Syntagma musicum I) eingeführte Begriff K. lediglich die Funktion (nicht etwa einen besonderen Stil) jener Musik, „die sich schicket in der Kirche executiert zu werden" (J. G. Walther, Musicalisches Lexikon, 1732). Jedoch im ausschließlich aus madrigalischer Dichtung bestehenden Passionsoratorium entstand seit Chr. F. Hunolds Der blutige und sterbende Jesus (1704) eine zum Kirchenkonzert in oder außerhalb der Kirche tendierende Kompositionsgattung, wodurch die K. als gottesdienstliche Musik ihre Eindeutigkeit verlor. Das Zeitalter der Aufklärung war für die ev. K. infolge des Verfalls der alten gottesdienstlichen Formen, der „Modernisierung" der alten Kirchenlieder, der Verlagerung der musikalischen Auslegekunst auf die Darstellung religiöser Seelenzustände (Prototyp ist C. H. Grauns Der Tod Jesu, 1755) wie allgemein der Emanzipation des Geisteslebens (insbesondere der Schulbildung gegenüber der kirchlichen Inanspruchnahme) eine Epoche des Niedergangs. Ihr folgte im 19. Jh. mit der romantischen Restauration eine Rückkehr zur Überlieferung, freilich mit dem illusionistischen Versuch, Vergangenes wiederherzustellen. Demzufolge stand die K. nunmehr gewollt abseits von der allgemeinen Entwicklung. Zudem stellte sie das altprotestantische 7a cappella-Ideal als Inbegriff

„heiliger Tonkunst" in grundsätzlichen Gegensatz zur weltlichen Musik. Nur wenige Komponisten von Rang haben daher in dieser Epoche K. komponiert (u. a. F. Mendelssohn Bartholdy und J. Brahms). Bedeutendes wurde indes in der historischen Forschung und Quellenerschließung u. a. durch C. von Winterfeld, Ph. Wackernagel, G. Rietschel und R. von Liliencron geleistet. Erst gegen Ende des Jahrhunderts kündigte sich in M. Regers Choralvorspielen op. 67, 79 b und 135 a und den 4 Choralkantaten mit Gemeindegesang ad. lib. (1903-05) eine Wende an. Programmatische Bedeutung gewann seit 1896 die von Fr. Spitta und J. Smend herausgegebene Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst. Die gottesdienstliche Gebrauchsmusik erlangte zunehmend Beachtung. Eine völlig andere Situation entstand seit etwa 1925 durch die Erneuerung der K. aus dem Geist der Sing- und der Orgelbewegung. Beide fanden seit 1929 in der Zeitschrift Musik und Kirche ihr Organ. Verbunden mit der liturgischen Erneuerung, wurde K. wieder gleichbedeutend mit gottesdienstlicher Musik, wobei man sich vor allem an der Reformation und an Schütz orientierte. Trotz erneuter Bevorzugung von a cappella-Musik handelte es sich nicht abermals um Restauration; dies beweisen Werke u. a. von K. Thomas, H. Distler, E. Pepping, J. N. David, W. Burkhard, C. Gerhardt, E. Wenzel, G. Schwarz, H. Bornefeld und S. Reda. Für die außerordentliche Entfaltung der K. vor allem seit 1945 schuf die Wiederherstellung eines hauptberuflichen Kantorenstands die Voraussetzung. War bis nach 1950 die K. keine periphere Erscheinung des allgemeinen Musiklebens mehr, so führte die Komplizierung der modernen Kompositionsverfahren (Zwölfton- und serielle Musik) zu einem neuen Gegensatz zwischen musikalischer Moderne und gottesdienstlicher Gebrauchsmusik. W. Fortner postulierte 1957 die Unterscheidung von gottesdienstlicher und geistlicher Musik und ihre Berechtigung; beides sei K., auch jene, die nur im Kirchenkonzert dargeboten werden könne. W. BLANKENBURG Lit.: Periodica (Aufsätze hieraus werden nicht eigens angegeben): a) Katholische K.: Katholische Kirchenmusik; Kirchenmusikalisches Jahrbuch; Musica sacra. Cäcilien-Verbands-Organ; Musik und Altar; Singende Kirche. — b) Evangelische K.: Gottesdienst

und Kirchenmusik; Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst; Musik und Gottesdienst; Musik und Kirche; Zeitschrift für evangelische Kirchenmusik. — Monographien und Aufsätze: C. VON WINTERFELD, Der ev. Kirchengesang und sein Verhältnis zur Kunst des Tonsatzes 1-3 (L 1843-47, Nachdr. Hil 1966); K. WEINMANN, Das Konzil v. Trient u. die K. (L 1919); K. G. FELLERER, Der Palestrinastil u. seine Bedeutung in der vokalen K. des 18. Jh. (Au 1929); O. URSPRUNG, Die kath. K. (Pd 1931); F. BLUME, Die ev. K. (Pd 1931), neu bearb. unter Mitwirkung v. L. FINSCHER—G. FEDER—A. ADRIO— W. BLANKENBURG

345

Kirchentöne als Gesch. der ev. K. (Kas 1965); H. DISTLER, Vom Geist der neuen ev. K., in: ZfM 102 (1935); P. GRAFF, Gesch. der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der ev. Kirche Deutschlands, 2 Bde. (Gö 1937-39); W. LIPPHARDT, Die Gesch. des mehrst. Proprium missae (Hei 1950); H. J. MOSER, Die ev. K. in Deutschland (B 1953);TH. GEORGIADES, Sakral u. Profan in der Musik, in: Münchner Universitätsreden N. F. 28 (Mn 1960); dass., in: Th. Georgiades, Kleine Schriften (Tutzing 1977) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 26); Der Allgemeine Cäcilienverband für die Länder der dt. Sprache. Gestalt u. Aufgabe, hrsg. v. J. OVERATH (Kö 1961); Die Musik des ev. Gottesdienstes, in: Leiturgia 4, hrsg. v. K. F. M OLLER — W. BLANKENBURG (Kas 1961); J. GELINEAU, Die Musik im christlichen Gottesdienst (Rb 1965); O. SOHNGEN, Theologie der Musik (Kas 1967); K. nach dem Konzil, hrsg. v. H. HUCKE (Fr 1967); L. LOCKWOOD, The Counter-Reformation and the Masses of Vincenzo Ruffo (V 1967); Die ev. Kirchenmusik. Hdb. für Studium und Praxis, hrsg. v. E. VALENTIN — F. HOFMANN (Rb 1968); K. im Spannungsfeld der Gegenwart, hrsg. v. W. BLANKENBURG (Kas 1968); H. HUCKE, Jazz und FolkMusic in der Liturgie, in: Concilium 5 (1969); DERS., Palestrina als Autorität und Stilvorbild im 17. Jh., in: C. Monteverdi e il suo tempo (Cremona 1969); W. KURZSCHENKEL, Die theologische Bestimmung der Musik (Trier 1971); K. G. FELLERER, Gesch. der kath. K., 2 Bde. (Kas 1972-76); Traditionen u. Reformen in der K., in: FS K. Ameln (Kas 1974); Musik in der feiernden Gemeinde, hrsg. v. H. HUCKE — E. QUACK — H. RENNINGS (Fr 1974); K. ROHRING, Neue Musik in der Welt des Christentums (Mn 1975); R. PACIK, Volksgesang im Gottesdienst, in: Schriften des P.-Parsch-Inst. 2 (Klosterneuburg 1977); F. W. RIEDEL, K. am Hofe Karls VI. (1711-1740) (Mn—Salzburg 1977); W. BLANKENBURG, Kirche u. Musik (Gö 1979); H. HUCKE, Über Herkunft und Abgrenzung des Begriffs „K". (Tutzing 1979) (= Frankfurter Beitr. z. Musikwiss. 2); Universa Laus — Dokument '80. Über die Musik im Gottesdienst, in: Gottesdienst 15 (1980); A. SCHARNAGL, Einführung in die kath. K. Ein Überblick über die Gesch. (Wilhelmshaven 1980); CH. BERNSDORFF-ENGELBRECHT, Einführung in die ev. K. (ebd. 1980). W. BLANKENBURG — H. HUCKE

KIRCHENTONE, Kirchentonarten (lat.: tropi, toni, modi) bilden das Tonsystem der Musik vom frühen Mittelalter bis ins 17. Jh. und mit unmittelbaren Nachwirkungen bis ins 18. Jahrhundert. Üblicherweise werden 8 K. (4 authentische und 4 plagale) unterschieden, von denen die 4 plagalen jeweils eine Quarte unter (griech.: hypo) den 4 authentischen liegen. Einige Musiktheoretiker des Mittelalters, wie z. B. Guido von Arezzo, unterscheiden nur 4 K., indem sie je einen Tonus authentus und den zu ihm gehörigen Tonus plagalis zu einem /Modus zusammenfassen. Das System der 8 K. hat seinen Ursprung in der Antike und weist nach Alexandrien, Byzanz, Antiochia und Jerusalem. Die Analogie der lateinisch-mittelalterlichen K. zu den byzantinischen Echoi (řOktoechos) liegt in der Anzahl und Benennung (protus, deuterus, tritus, tetrardus), der Unterscheidung von authentischen und plagalen K.n und ihrer paarweisen Anordnung. Der älteste bisher bekannte theoretische Beleg für das System der 8 K. findet sich bei Aurelianus Reomensis. In der Absicht, die bereits vor346

handenen Melodien des liturgischen Repertoires systematisch zu ordnen, teilte er diese aufgrund ihrer formelhaften Wendungen, ihres Tonraumes und möglicher SchluBbildungen in 8 Tonarten ein: in die 4 authentischen Protos, Deuteros, Tritos und Tetrardos mit dem Schlußton als Ausgangspunkt und ihre 4 plagalen K. mit dem SchluBton als Zentrum des Tonraumes, so daß jeweils 2 K., also ein authentischer und ein plagaler, an einen SchluBton (řFinalis) gebunden sind. Nach Odo von St. Maur wird die Zugehörigkeit eines Gesanges zu einem der K. durch die Finalis allein bestimmt: der Gesang soll mit der Finalis oder einem ihm verwandten Ton beginnen, und die einzelnen Abschnitte (distinctiones) dieses Gesangs sollen wiederum mit dem Ton enden, auf dem der Gesang beginnt. Diese Definition blieb das ganze Mittelalter hindurch gültig. Aufgrund von Fehlinterpretationen, die indes bis in die Antike selbst zum Kommentar des Porphyrios zur Harmonika des Ptolemaios zurückreichen, wurde seit dem 9. Jh. das System der K. aus der antiken griechischen Musiktheorie hergeleitet. Im Anschluß daran erklärte Berno von Reichenau die K. als Zusammensetzung verschiedener Quart- und Quintgattungen: authentische und plagale K. besitzen gemeinsam jeweils die gleiche Quintgattung, aber sie unterscheiden sich durch die Stellung der gleichen Quartgattung über oder unter der Quinte. Spätestens seit dem 11. Jh. ist das System der K. primär heptatonisch. Die K. werden nun durch die Aufeinanderfolge von Ganz- und Halbtönen (tonus und semitonium) über und unter der Finalis bestimmt. Daneben gelten als weitere Charakteristika der Tenor und der Ambitus: Der Tenor ist der bevorzugt angestrebte Ton einer Melodie oder sein Rezitationston. Der Ambitus, d. h. der Tonumfang der einzelnen K. umfaßte ursprünglich eine Oktave, doch sah sich bereits Marchettus de Padua (um 1317/18) gezwungen, die Erweiterung des Ambitus weit über eine Oktave hinaus theoretisch festzulegen. Die K. sind auf jede beliebige Tonstufe des heptatonischen Systems transponierbar. Dabei bewahren sie ihre Charakteristik durch die ihnen eigene Intervallfolge von Tonus und Semitonium. Seit Glareanus (1547) werden die Hochtranspositionen des 1. Kirchentons von d nach a und des 5. von f nach et (z. T. auch mit b -Vorzeichnung vor h) als eigene Skalen dem mittelalterlichen System der K. als 9. äolischer und 11. ionischer Kirchenton hinzugefügt und jeweils mit einem plagalen als 10. und 12. Kirchenton versehen. Nach Glareanus setzte sich auch G. Zarlino für die Annahme des erweiterten Systems der K. ein: 1571 führte er sogar eine neue Zählung durch, die mit ionisch und hypoionisch als 1. und 2. Kirchenton beginnt. Bald galt

Kircher

neben der Quinte vor allem die Terz als konstitutives Intervall der K. Demzufolge teilte J. Lippius (1612) die K. nach dem Dreiklang über ihrer jeweiligen Finalis in naturaliores (durus, große Terz unten) und molliores (mollis, kleine Terz unten) ein. Ein Gesang wurde nach dem Kirchenton, in dem er steht, Cantus durus (naturalior; major) oder mollis (minor) bezeichnet. Zu Beginn des 18. Jh. waren von den K.n nur noch der dorische, äolische und ionische im Gebrauch (nach J. G. Walther). Die K. mit Durcharakter waren demnach auf eine Tonart, die mit Mollcharakter auf zwei Tonarten zusammengeschrumpft. Bald galten der ionische Kirchenton als Dur -Tongeschlecht (C-Dur), der äolische als Moll-Tongeschlecht (a -moll; J.-Ph. Rameau, 1737). 9'Dur und /Moll können seit dem 18. Jahrhundert auf sämtliche Tonstufen des Quintenzirkels transponiert werden: sie ergeben unser /Tonsystem = Finalis o = Tenor * = Semitonium

Einordnung nach Lippius:

mollis

1. Ton (Protus authentus) dorisch e

r

mollis

~

-. -

2. Ton (Protus plagalis) hypodorisch



+~

3. Ton (Deuterus authentus) phrygisch

+~ f ,•ac=

M -•

4. Ton (Deuterus plagalis) hypophrygisch durus

~

.



* M =. -

8. Ton(Tritus plagali s) hypolydisch

•~

durus

7. Ton (Tetrardus authentus) mixolydisch

~,- `

+~

f-

~►

• •

8. Ton (Tetrardus plagalis) hypomixolydisch

mollis

9.Ton äolisch

10. Ton hypoäolisch

durus

11. Ton ionisch

• i=i

f

5. Ton (Tritus authentus) lydisch



e~ .

12. Ton hypoionisch

Lit.: W. BRAMBACH, Das Tonsystem u. die Tonarten des Abendlandes im MA (L 1881); H. GEHRMANN, J.G. Walther als Theoretiker, in: VfMw 7 (L 1891); G. JACOBSTHAL, Die chromatische Alteration im liturg. Gesang der abendländischen Kirche (B 1897); U. BOMM, Der Wechsel der Modalitätsbestimmung in der Tradition der McBgesänge im 9. bis 13. Jh. (Einsiedeln

1929); A. GASTOUÉ, Über die 8 „Töne", die authentischen u. die plagalen, in: KmJb 25 (1930); O. GoMBost, Stud. z. Tonartenlehre des frühen MA, in: AMI 10 (1938) u. 12 (1940); E. JAMMERS, Der ma. Choral. Art u. Herkunft (Mz 1954) (= Neue Stud. z. Musikwiss. 2); K.W. NIEMOLLER, Zur Tonus-Lehre der it. Musiktheorie des ausgehenden MA, in: KmJb 40 (1956); S. HERMELINK, Dispositiones modorum (Tutzing 1960) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 4); H. HUSCHEN, Art. Modus, in: MGG IX; H. OESCH, Berno u. Hermann von Reichenau als Musiktheoretiker (Be 1961); C. DAHLHAUS, Art. Tonsysteme, in: MGG XIII; DERS., Unters. über die Entstehung der harmonischen Tonalität (Kas 1968); R. L. CROCKER, P. Zarlino diede una nuova numerazione ai modi?, in: RIMus 3 (1968); M. VOGEL, Zur Entstehung der Kirchentonarten, in: Mf 21 (1968); B. MEIER, Die Tonarten der klassischen Vokalpolyphonie, nach den Quellen dargestellt (Utrecht 1974); C. DAHLHAUS, Zur Tonartenlehre des 16. Jahrhunderts. Eine Duplik, in: Mf 29 (1976); J. LESTER, Major-Minor Concepts and Modal Theory in Germany, 1592-1680, in: JAMS 30 (1977). B. R. SUCHLA

KIRCHER, Athanasius, SJ, * 2.5.1601 Geisa

(Rhön), t 27.11. 1680 Rom; dt. Gelehrter. K. war 1612-16 Schüler des Jesuitengymnasiums in Fulda und trat 1618 in den Jesuitenorden ein. Er erhielt eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung und erlernte u. a. auch orientalische Sprachen. 1623/24 war er Lehrer für Griechisch im Eichsfeld, studierte dann in Mainz Theologie und wurde dort 1628 zum Priester geweiht. 1629-31 lehrte er Mathematik, Philosophie und orientalische Sprachen an der Universität Würzburg und wurde nach kurzer Lehrtätigkeit in Avignon 1633 als Professor an das Collegium Romanum in Rom berufen, das eines der bedeutendsten Ausbildungsstätten der katholischen Welt im 17. Jh. war. Hier konnte sich K., nachdem er bald von seinen Lehrverpflichtungen entbunden worden war, ausschließlich seinen Forschungen widmen. K. war einer der großen Universalgelehrten seiner Zeit, vergleichbar etwa mit M. Mersenne und R. Fludd. Von seinen mehr als 30 Büchern ist die Musurgia universalis in ihrer umfassenden Darstellung des Stoffes von einzigartiger musikgeschichtlicher Bedeutung. Sie beruht wesentlich auf der mittelalterlichen Auffassung der Musik als einer theologisch zu begründenden mathematischen Disziplin. Hauptthemen dieses Werkes sirld: die Klassifikation der Musik, die Sphärenharmonie, die Zahlenverhältnisse in der Musik, die musikalische Komposition, Instrumentenkunde, musikalische Akustik, die Affektenlehre und die Lehre von den musikalisch-rhetorischen Figuren. Musiktheoretische Schriften: Musurgia universalis, 2 Bde. (R 1650, 21690), dt. Auszug v. A. Hirsch (Schwäbisch Hall 1662); Phonurgia nova (Kempten 1673), dt. Obers. v. A. Cario: Neue Hall- u. Thonkunst (Nördlingen 1684). Ausg.: Musurgia universalis, Faks. der Ausg. R 1650, hrsg. v. U. SCHARLAU (Hil 1970); Phonurgia nova, Faks.-Ausg. (NY 1966) (= MMMLF I1/44).

347

Kirchgessner Lit.: J. GUTMANN, A. K. u. das Schöpfungs- u. Entwicklungsproblem (Diss. Wü 1938); W. KRUGER, Ein neunchöriger Sanctus-Kanon v. M. Romanus in A. K.s „Musurgia" 1650, in: MuK 25 (1955); B. HUYs, Catalogue des imprimés musicales des XV XVI' et XVII' siècles de la Bibl. Royale de Belgique (Bru 1965); U. SCHARLAU, A. K.... als Musikschriftsteller (Marburg 1969) (= Stud. z. hessischen Musikgesch.2).

KIRCHGESSNER (eig. Kirchgeßner), Mariane, *5. 6. 1769 Bruchsal, t 9.12. 1808 Schaffhausen; dt. Glasharmonikaspielerin. Mit 4 Jahren erblindet, zeigte sie bald groBes Talent im Klavierspiel. Joseph Anton Reichsherr von Beroldingen ermöglichte ihr im Alter von 10 Jahren eine Ausbildung auf der Glasharmonika bei J. A. Schmittbauer in Karlsruhe und ließ ihr von diesem eine Glasharmonika bauen. 1791 reiste sie nach Wien, wo W. A. Mozart für sie ein Quintett für Glasharmonika, Fl., Ob., Va. und Vc. (KV 617) sowie ein Adagio C-Dur für Glasharmonika (KV 617a) schrieb. M. K. war eine der ersten reisenden Virtuosen der Musikgeschichte und erzielte große Erfolge in zahlreichen europäischen Städten. 1799 ließ sie sich in Leipzig nieder. Lit.: H. ULLRICH, Die blinde Glasharmonikavirtuosin M. K. u. Wien. Eine empfindsame Künstlerin der empfindsamen Zeit (Tutzing 1971).

KIRCHNER, Leon, *24. 1. 1919 Brooklyn (New York); amerik. Komponist. Er studierte bei A. Schönberg an der University of California in Los Angeles und dann bei E. Bloch in Berkeley. 1942 erhielt er den George Ladd-Preis, der es ihm ermöglichte, bei R. Sessions in New York zu studieren. Nach Lehrtätigkeit an der University of Southern California in Berkeley und am Mills College in Oakland/Calif. wurde er 1961 Professor für Komposition an der Harvard University in Cambridge/Mass. K.s Schaffen wurzelt in der mitteleuropäischen Musik und ist besonders beeinflußt von G. Mahler, A. Schönberg und B. Bartók. Wie dieser verwendet K. Elemente der Volksmusik und verarbeitet sie in einer chromatischen, dissonanzreichen Schreibweise. WW: Ičlv.-Stücke; Klv.-Trio (1954); 3 Streichquartette (1949, 1958, 1967); Konzert für V., Vc., 10 Bläser u. Schlagzeug (1960); Sinfonia (1951); Music for Orchestra (1969); 2 Klv.-Konzerte (1953, 1962); Of Obedience (1950) u. The Runner (1950) für Sopran u. Klv.; Lily (1973) für V., Va., Vc., Holzbläserquintett, Klv. u. Schlagzeug, daraus Material für die Oper Lily, UA: New York 1977. Lit.: A. L. RINGER, L. K., in: MQ 43 (1957); E. W. SCHWEITZER, Generation in String Quartets of Carter, Sessions, K. and Schuller (1966) (= Diss. Univ. of Rochester/N.Y.).

KIRCHNER, Theodor Fürchtegott, * 10.12.1823 Neukirchen bei Chemnitz, t 18.9.1903 Hamburg; dt. Komponist. Auf den Rat F. Mendelssohn Bar348

tholdys hin studierte er seit 1838 in Leipzig bei J. Knorr (Klavier) und C. F. Becker (Orgel und Theorie). 1843 begann seine Laufbahn als Konzertorganist. H. von Bülow, Fr. Liszt und R. Wagner gehörten zu seinen Bewunderern. 1862 ließ er sich in Zürich nieder und arbeitete dort als Chordirigent, Musiklehrer, Organist und Liedbegleiter. Danach war er Lehrer der Prinzessin Amalia in Meiningen (1872-73), Leiter der Königlichen Musikschule in Würzburg (bis 1876) sowie Musiklehrer in Leipzig (1876-83) und Dresden (bis 1890). Aus seinem umfangreichen Werk kommt vor allem den Liedern und den lyrischen Klavierstücken Bedeutung zu, bei denen K. in Form und Harmonik die Tradition R. Schumanns und Mendelssohn Bartholdys aufgreift und auf seine Weise fortbildet. W W : Klv.-Stücke, u. a.:

Neue Davidsbündlertänze, op. 17; Nachtbilder, op. 25; Florestan und Eusebius, op. 53; Erinnerungsblätter, op. 101; Orgelstücke, Kammermusik; Lieder; Chöre. Lit.: R. SIETZ, J. Brahms u. Th. K. Mit ungedruckten Briefen Th. K.s, in: Mf 13 (1960); J. BITTNER, Die Klaviersonaten E. Francks 1817-93 u. anderer Kleinmeister seiner Zeit, 2 Bde. (Diss. H 1968); G. PUCHELT, Verlorene Klänge. Stud. z. dt. Klaviermusik 1830-80 (B 1969); R. SIETZ, Th. K., ein Klaviermeister der dt. Romantik (Rb 1971) (= Stud. z. Musikgesch. des 19.Jh. 21).

KIRCHNER, Volker David, * 25.6.1942 Mainz; dt. Komponist und Bratschist. Er erhielt seine musikalische Ausbildung zunächst am Konservatorium in Mainz und studierte 1959-63 an der Musikhochschule Köln Violine, Viola und Kammermusik bei G. Kehr und T. Varga und Komposition bei G. Raphael. 1963 wurde er Solobratschist im Rheinischen Kammerorchester und ist seit 1966 Mitglied des Sinfonie-Orchesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main. WW: Fragmente (1966) für Orch.; Riten (1970) für Sängerin, Tänzerin, Licht, Schlagzeug, Klv., Vc. u. Dirigent; 2 Streichsextette (1976), das erste mit dem Titel Orphischer Gesang; 3 Gesänge für tiefe St. u. Orch. (1976); Lamento (1976) für Chor a capp.; Requiem für Sopr., Baß, Sprecher, 2 Chöre u. Orch. (1979, revidiert 1980). — Opern: Die Trauung (nach W. Gombrowicz), UA: Wiesbaden 1975; Szenisches Requiem Die fünf Minuten des Isaak Babel, UA: Wuppertal 1980; Ballade für Musik Das kalte Herz (1980).

KIRK, Roland Rahsan (Ronald T. K.), *7. 8. 1936 Columbus (Ohio), t 5. 12. 1977 Bloomington (Indiana); amerik. Jazzmusiker (Saxophon, Flöte, Klarinette, Manzello, Stritch). Er gehörte seit 1961 zur Gruppe von Charles Mingus, hatte im selben Jahr einen großen Erfolg bei den Essener Jazztagen, war 1963 in England und bei den Berliner Jazztagen und trat 1968 beim New Port-Festival auf. K., der blind und später auch halbseitig gelähmt war, trat meist mit eigener Rhythmusgruppe und

Kismet

kurz vor seinem Tode im Orchester Gil Evans auf. Er spielte einen expressiven, emotionalen Modern Jazz mit starken Blues-Elementen. Als Flötist bediente er sich häufig der Überblastechnik, bei der während des Blasens zugleich auch in das Instrument hineingesungen wird. Er spielte auch zwei selbstkonstruierte Blasinstrumente (Manzello und Stritch), meist kombiniert, oft auch - über ein Mundstück - gleichzeitig mit dem Tenorsaxophon. KIRKPATRICK, Ralph, * 10.6.1911 Leominster (Mass.), t 13. 4. 1984 Guilford (Conn.); amerik. Cembalist. Er studierte an der Harvard University in Cambridge/Mass. u. 1931-33 als deren Stipendiat in Paris (bei W. Landowska, N. Boulanger), danach in England (bei A. Dolmetsch), in Leipzig (bei G. Ramin) und in Berlin (bei H. Tiessen). 1940 wurde er Dozent an der Yale University in New Haven/Conn. Aufgrund einer Arbeit über D. Scarlatti erhielt er 1956 den Titel eines Associate Professor; 1965 wurde er Professor of Music an der Yale University. K., der seit 1947 auch in Europa konzertiert, gilt als einer der bedeutendsten Cernbalisten seiner Generation. Schriften: D. Scarlatti (Princeton/N.J. 1953, Nachdr. NY 1968), dt. erweitert u. übers. v. H. Leuchtmann, 2 Bde. (Mn 1972); D. Scarlatti's Choral Music, in: Essays on Music. FS A. Th. Davison (C/M 1957); Scarlatti Revisited in Parme and Venice, in: Notes II/28 (1971/72). — Er gab heraus: Scarlatti, Complete Keyboard Works, 18 Bde. (NY 1971).

KIRNBERGER (Kernberg), Johann Philipp, getauft 24. 4.1721 Saalfeld (Thüringen), t 26./27.7. 1783 Berlin; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Er nahm nach Musikstudien bei J. P. Kellner, H. N. Gerber, und J. S. Bach 1741-50 Stellungen als Musiklehrer und Kapellmeister in polnischen Adelsfamilien und am Nonnenkloster in Lemberg wahr. 1751 nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er nach weiteren Studien in Dresden Violinist an der Hofkapelle in Berlin. 1754 ernannte ihn Prinzessin Anna Amalie, deren berühmte Blibliothek mit Handschriften von Werken J. S. Bachs und anderer Meister er zusammenstellte, zum Kapellmeister. C. Ph. E. Bach und J. Chr. Bach, die Bach-Schüler J. Fr. Agricola und Ch. Nichelmann sowie C. H. Graun, von dem er auch Kompositionsunterricht erhielt, zählten zu seinem näheren Bekanntenkreis. Bedeutender als seine Kompositionen, unter denen Lieder und Klavierstücke überwiegen, sind seine musiktheoretischen Werke, denen er sich in den beiden letzten Lebensjahrzehnten hauptsächlich widmete. Als sein Hauptwerk gilt Die Kunst des reinen Satzes in der Musik. Im Unterschied zu J. J. Fux geht K. nicht vom 2-, sondern vom 4st. Satz aus und versteht ihn als Akkordfolge. Auch führt er

die Unterscheidung von Akkord- und Intervalldissonanz in die GeneralbaBlehre ein. Obwohl er sich auf den Unterricht bei J. S. Bach beruft und gegen J:-Ph. Rameau Stellung bezieht, was ihm u.a. die Gegnerschaft W. Fr. Marpurgs einbrachte, lassen sich seine musiktheoretischen Ansichten nur bedingt für J. S. Bach in Anspruch nehmen und verraten eklektischen Charakter. Anteil an der schriftlichen Fixierung seines Lehrsystems hatte J. G. Sulzer, für dessen Allgemeine Theorie der schönen Künste er einen Teil der musikalischen Artikel bearbeitete (Buchstaben A-I; die folgenden stammen von K.s Schüler J. A. P. Schulz). WW: 1) Kompositionen: Übungen; Sonaten; Fugen; Allegro (1759); Klv.- u. Orgelstücke; Triosonaten; Orch.-Menuette; Symphonien; Orch.-Suiten; Motetten; Kantate Ino u. Lieder. — 2) Schriften: Der allezeit fertige Polonoisen- u. Menuettencomponist (B 1757); Construktion der gleichschwebenden Temperatur (B um 1760), Nachdr. zus. mit J. A. P. Schulz, Die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie (B — Königsberg 1773), jedoch unter K.s Namen, Nachdr. (Hil 1970); Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, 2 Bde. (B 1771-79, Nachdr. Hil 1968); Grundsätze des Generalbasses als erste Linien zur Composition (B 1781 u. ö., Nachdr. Hil 1974); Anleitungzur Singecomposition mit Oden in verschiedenen Sylbenmaden (B 1782); Gedanken über die verschiedenen Lehrarten in der Komposition als Vorbereitung zur Fugenkenntnis (B 1782, W 1793), Nachdr. zus. mit Grundsätze des Generalbasses (Hil 1974). — Ferner war K. an der Ausg. der 4st. Choral -Gesänge C. Ph. E. Bachs beteiligt (L 1784-87). Ausg.: Orgelstücke, u.a. Orgelchoräle, hrsg. v. F. W. RIEDEL (Lippstadt 1960) (= Die Orgel 11/ 14); 6 Motetten, u. a. An den Flüssen Babylons (Ps. 137) für 4 St. mit Instr., in: Motetten der Bachschule, hrsg. v. G. FEDER (Wb 1963) (= Chw 89); 2 Symphonien, 2 Ouvertüren, Kammermusik, u. a. Sonate G-Dur für Querfl. u. B.c., hrsg. v. W. WEIGART (Mz 1967); Lieder, Kanons, Klv.-Stücke, u. a. Tanzstücke für Klv., hrsg. v. K. HERRMANN (Mz 1935); 8 Fugen für Cemb. oder Org., hrsg. v. H. RUF — H. BEMANN (Mz 1973). Lit.: A. SCHERING, J. Ph. K. als Hrsg. Bachscher Choräle, in: Bach-Jb. 15 (1918); S. BORRIS, K.s Leben u. Werk (Kas 1933); R. SIETZ, Die Orgelkompositionen des Schülerkreises um J. S. Bach, in: Bach-Jb. 32 (1935); M.MEKEEL, The Harmonic Theories of K. and Marpurg, in: JMTh 4 (1960); H. SERWER, Marpurg versus K.: Theories of Fugal Composition, in: ebd. 14 (1970); P. ALDRICH, „Rhythmic harmony" as Taught by J. Ph. K., in: Studies in Eighteenth Century Music. FS K. Geiringer (Lo 1970); D. W. BEACH, The Harmonic Theories of J. Ph. K. (1975) (= Diss. Yale Univ.). H. FEDERHOFER

KIRSCHSTEIN, Leonore, * 29.3.1935 Stettin; dt. Sängerin (Sopran). Nach ihrer Gesangsausbildung bei Franziska Martienssen-Lohmann in Düsseldorf debütierte sie 1958 an der Städtischen Oper Berlin und kam über Kiel (1960-63), Augsburg (1963 bis 1965) und Köln (1965-68) an die Bayerische Staatsoper in München, der sie seither angehört. Sie trat bei den Festspielen in Salzburg, Edinburgh und Montreux sowie an den Opernbühnen Hamburgs, Zürichs und Wiens auf; Konzertreisen führten sie auch in die USA. KISMET, amerik. Musical in 2 Akten von Robert 349

Kiss me, Kate Wright (* 1914) und George Forrest (* 1915), die zusammen die Song-Texte und die Musik, nach Themen von Alexander Borodin (1833-87), schrieben, Buch von Charles Lederer und Luther Davis nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Edward Knoblock. Ort und Zeit der Handlung: Bagdad in der Zeit von „1001 Nacht". UA: 3.12. 1953 in New York (Ziegfeld Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 22. 1.1977 in Koblenz (Stadttheater). Verfilmt 1955. Die Handlung dieses Märchen-Musicals mit dem originalen Untertitel „a musical arabian night" spielt sich an einem einzigen Tag ab; im Mittelpunkt steht der verkleidete Poet Hajj, dessen schöne Tochter Marsinah zum Schluß den Kalifen heiratet. Das Autorenteam Wright/Forrest adaptierte die Musik Borodins so geschickt, daß einerseits charakteristische musikalische Züge der Kompositionen gewahrt blieben, andererseits die Themen problemlos dem Medium des populären Schlagers angepaßt wurden. Stranger in Paradise, basierend auf einem Thema der Polowezer Tänze (aus Borodins Oper Fürst Igor), wurde zum Weltschlager. Kismet war beim Publikum ähnlich erfolgreich (583 Aufführungen en suite in New York, 648 in London) wie bei der Kritik (Antoinette Perry Award 1954 für das beste Musical der Saison). R.-M. SIMON — S. SIMON

KISS ME, KATE, amerik. Musical in 2 Akten von Cole Porter (1893-1964), der die Musik sowie die Song-Texte schrieb, Buch von Samuel und Bella Spewack nach der Komödie The Taming of the Shrew (Der Widerspenstigen Zähmung) von William Shakespeare. Ort und Zeit der Handlung: Baltimore (USA) in der Gegenwart. UA: 30. 12. 1948 in New York (New Century Theater); dt. EA (in dt. Sprache): 22.11. 1955 in Frankfurt am Main (Städt. Bühnen). Verfilmt 1953. Die Handlung des Musicals, eines der erfolgreichsten überhaupt, läuft auf zwei Ebenen ab: Eine Schauspielgruppe inszeniert die ShakespeareKomödie; parallel dazu wird die Hauptdarstellerin Lilii Vanessi von ihrem früheren Ehemann Fred Graham, dem Darsteller des Petruchio, ebenfalls „gezähmt". Mit 1.077 Broadway-Vorstellungen en suite war Kiss me, Kate beim Publikum ebenso erfolgreich wie bei der Kritik, die dem Werk den Antoinette Perry Award 1949 als bestem Musical des Jahres verlieh. Die seltene Ausgewogenheit von Buch und Choreographie (Hanya Holm) und Porters Musik bzw. Song-Texten ließ das Musical zu einem geradezu sensationellen Erfolg werden, nicht nur in Deutschland, wo es als eines der ersten Musicals nach dem 2. Weltkrieg zur Aufführung kam, 350

sondern auch in Wien, wo es der bisher größte Erfolg in der Geschichte der Volksoper (EA: 14.2. 1956) wurde, und in Polen, wo es als erstes amerikanisches Musical überhaupt gezeigt wurde. Fast alle Songs wurden zu populären Schlagern. Besonders bekannt wurden das Duett So in Love, der parodistische Walzer Wunderbar, der jazz-beeinflußte Song Too darn hot und das komische Gaunerduett Brush up your Shakespeare (Schlag nach bei Shakespeare), in dem Porter die Titel mehrerer Shakespeare-Stücke in einen Song-Text einbindet. R.-M. SIMON — S. SIMON

KISTNER & SIEGEL, dt. Musikverlag. — Friedrich Kistner, * 3.3. 1797 Leipzig, t 21. 12. 1844 ebd., übernahm 1831 eine 1823 von Heinrich Albert Probst gegründete Musikalienhandlung. Zunächst unter dem Firmennamen Probst-Kistner, seit 1836 nur noch unter seinem Namen, brachte Kistner Werke von M. Hauptmann, Ferdinand David, F. Hiller, J. Rieti, J. Moscheles, F. Mendelssohn Bartholdy, Fr. Chopin und R. Schumann heraus. Seine Nachfolger veröffentlichten auch Kompositionen von Fr. Liszt, N. Gade, Fr. Smetana, A. Rubinstein u.a. 1919 ging das Haus in den Besitz der Gebrüder Carl und Richard Linnemann über und wurde 1923 mit dem Verlag Siegel (gegr. 1846 in Leipzig) unter der Firmierung „Fr. Kistner & C. F. W. Siegel" zusammengeschlossen. Wichtige musikwissenschaftliche Publikationen sind die Veröffentlichungen des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung in Bückeburg, die 1924 gegründete Reihe Organum mit praktischen Neuausgaben älterer Musik sowie die Zeitschriften Archiv für Musikwissenschaft (AfMw; 1919-26) und Die Musikpflege (1933-45). Seit 1948 wird die Leipziger Filiale der Firma von Friedrich Linnemann, Sohn von Richard Linnemann, geleitet. Im selben Jahr wurde in Lippstadt (Westfalen) der Verlag K. & S. gegründet, dessen Eigentümer Rudolf Lott war. 1965 wurde der Firmensitz nach Köln verlegt und die Geschäftsführung zuerst von Georg Feder, seit 1982 von Marianne Feder, geb. Lott, übernommen. Lit.: R. LINNEEMANN, F.K. 1823-1923... (L 1923): H. -M. PI_ESSKE, in: Beitr. z. Gesch. des Buchwesens 3, hrsg. v. K. -H. Kalhöfer — H. Riitz.sch (I. 1968).

KITHARA (griech.), neben der /Lyra das wichtigste und angesehenste Saiteninstrument der griechischen Antike. Die K. hatte einen großen, kastenförmigen Resonanzkörper aus Holz, der in breite Jocharme ohne Absatz überging. Manchmal läßt sich auch eine Einfügungsnaht erkennen. In den antiken Darstellungen sind diese Jocharme so breit, daß angenommen wird, sie seien ausgehöhlt gewe-

Kittel sen, um die Resonanz noch zu verstärken. Das Korpus hatte eine flache, oft mit reichen Verzierungen versehene Decke und schloß unten gerade ab. Der Boden scheint nach späteren plastischen Darstellungen nicht immer flach, sondern auch gewölbt gewesen zu sein. Die Jocharme waren — je nach Darstellung — an unterschiedlichen Stellen durch ein Querholz, das Joch, verbunden, an dem die Saiten oben befestigt sind. Sie wurden offenbar um das Joch gewickelt und mit Hilfe von verdickten Wülsten (Schwarte) festgehalten. Die meist 7, später bis zu 12 gleich langen Saiten verliefen von der Jochstange über einen sehr breiten, dachförmigen Steg auf der Decke zu einem Saitenhalter, der unterhalb der Decke befestigt gewesen zu sein scheint. Der Spieler hielt das Instrument so, daß sich die Decke im rechten Winkel zum Körper befand, der rechte Arm sich also parallel zur Decke frei bewegen konnte. Er zupfte die Saiten mit den Fingern der rechten Hand oder benutzte dazu ein Plektron, während die gespreizten Finger der linken Hand immer von hinten gegen die Saiten gehalten wurden, wobei unklar bleibt, ob die Finger einzelne Saiten verkürzten oder nur abdämpften. Da alle Saiten gleich lang sind, konnten, wenn man eine Verkürzung durch die Finger ausschließt, nur durch unterschiedliche Dicke und Spannung der Saiten verschiedene Tonhöhen erreicht worden sein. Eine besondere Art der K. ist die sog. Wiegen-K., die nur für das 5. Jh. v. Chr. belegt ist. Auch sie hatte meist 7 Saiten. Ihr Name rührt daher, daß bei ihr das Korpus unten nicht gerade abschließt, sondern abgerundet ist. Erstaunlich hoch ist bei Instrumenten dieses Typs die Querstange mit den Saiten angesetzt. Insbesondere die Korpusform der Wiegen-K. macht es wahrscheinlich, daß die K. überhaupt aus der älteren /Phorminx entstanden ist. Erstmals erscheint eine K. im 3. Viertel des 7. Jh. v. Chr. auf einem Bronzepanzer in Olympia. Belegt ist die Bezeichnung K. erst für das 5. Jh. (u. a. bei Herodot, Historiai I, 24, 5). Die K. war, nach den Darstellungen zu schließen, das klangstärkste Saiteninstrument der Antike. Es wurde zuerst nur zur Begleitung des Gesangs benutzt. Diese Kitharodie gelangte im 7. Jh. auf Lesbos zu besonderer Blüte. Von dort scheint die K. in veränderter Gestalt auf das griechische Festland gelangt zu sein, die man dem Kepion zuschreibt. Dieser war ein Schüler des Terpandros, des Erfinders kitharodischer Nomoi (/Nomos). Auf dem Festland scheint das Instrument dann schnell große Verbreitung gefunden zu haben. Zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. wurden bei den Pythischen Spielen in Delphi Wettbewerbe in der Kitharodie ausgetragen, kurze Zeit später auch in der Kitharistik, d. h. im K.-Spiel ohne Gesang

(Pausanias X, 4 und 7). Als Virtuoseninstrument erhielt die K. dann gegen Ende des 5. Jh. v. Chr. auch 11 bis 12 Saiten. Die hohe Wertschätzung der K. zeigt sich daran, daß man sie, wie die Lyra, dem Gott Apollon zuordnete. Sie wurde stets von Männern gespielt, während die Wiegen-K. sich überwiegend in den Händen von Frauen befand (u. a. wurden Musen damit dargestellt). Die Verwendung der K. (lat. cithara) erstreckte sich bis in die römische Spätantike; in der Folgezeit kam sie jedoch außer Gebrauch; nicht so der Name, der weite Verbreitung fand und auf zahlreiche Saiteninstrumente übertragen wurde (vgl. das hebr. Kinnor, ferner die Cister, die Gitarre, die Zither u. ä., aber auch die sudanesische Kissar, ein der antiken Lyra ähnliches Instrument). — >'Leier. Lit.: H. HUCHZERMEYER, Aulos u. K. in der griech. Musik bis zum Anfang der klass. Zeit (Emsdetten 1931); J. W. SCHOTTLÄNDER, Die K. (Diss. B 1933); T. NORLIND, Lyra u. K. in der Antike, in: STMf 16 (1934); W. STAUDER, Die Harfen u. Leiern der Sumerer (F 1957); DERS., Die Harfen u. Leiern Vorderasiens in babylonischer u. assyrischer Zeit (F 1961); L. VORREITER, Musikinstr. als antike Münzbilder (Mn 1973); DERS., in: Arch. für Musikorganologie 1 u. 2 (1976 u. 1977); A. J. NEUKECKER, Altgriech. Musik. Eine Einführung (Da 1977); M. VOGEL, Chiron, der Kentaur mit der K., 2 Bde. (Bonn 1978) (= OrpheusSchriftenreihe zu Grundfragen der Musik Band 25/26); H. THIEMER, Der Einfluß der Phryger auf die altgriech. Musik (Bonn 1979) (= ebd. 29). M. BROCKER

KITTEL, Johann Christian, getauft 18.2. 1732 Erfurt, t 17.4. 1809 ebd.; dt. Organist und Komponist. Er war Schüler von J. Adlung in Erfurt und 1748-50 von J. S. Bach in Leipzig, der ihn sehr schätzte. Nach 5jährigem Wirken in Langensalza wurde er 1756 Organist in Erfurt, zunächst an der Barfüßerkirche, dann an der Predigerkirche. K. war als Organist ebenso bedeutend wie als Orgellehrer. Goethe, Herder und Wieland besuchten seine Abendmusiken; zu seinen Schülern zählen J. W. Häßler und Chr. H. Rinck. Seine Kompositionen (fast ausschließlich für Orgel) stehen in der Tradition der großen Bachschen freien und choralgebundenen Orgelwerke, lassen aber auch die zeitüblichen Elemente des galanten Stils erkennen. K.s Angehender praktischer Organist, eine Lehre des Orgelspiels und der -komposition, die in ihrer Bedeutung mit den bekannten Instrumentallehren des 18. Jh. (J. J. Quantz, L. Mozart, C. Ph. E. Bach) vergleichbar ist, ist ausdrücklich „nach Bachischen Grundsätzen" konzipiert. WW: Für Org.: GroBe Präludien, 2 Tle. (L o. J.); 24 Choräle mit acht verschiedenen Bässen über eine Melodie von J. Ch. Kittel, postum hrsg. v. Ch. H. Rinck (Offenbach 1811); teilweise postum erschienen ferner mehrere Sign. Choräle, Choralvorspiele u. -variationen. — Lehrwerk Der angehende praktische Organist, 3 Tle. (Erfurt 1801, 1803 u. 1808, 31831). — Für Klv.: Klv-Sonaten (Gera 1789); Veränderungen über... Nicht so traurig, nicht so sehr (St. Petersburg o. J.).

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Kittel Lit.: A. DREETz, J. Ch. K. (L 1932); G. FOCK, Zur Biogr. des Bach-Schülers J. Ch. K., in: Bach-Jb. 49 (1962); CH. S. BROWN, The Art of Chorale Preluding and Chorale Accompaniment as Presented in K.'s „Der angehende praktische Organist" (1970)

(= Diss. Eastman School of Music).

KITTEL, dt. Musikerfamilie des 17. Jahrhunderts. — 1) Kaspar, * 1603 Lauenstein, t 9. 10. 1639 Dresden; Komponist und Theorbist. Er wurde um 1620 Mitglied der Dresdner Hofkapelle und war Schüler von H. Schütz. 1624-28 lebte er in Italien. Seine Arien und Cantaten zu 1-4 St. mit Gb. (Dresden 1638) sind frühe Belege des neuen italienischen Stils und waren für die Entwicklung der Kantate in Deutschland von Bedeutung. — 2) Christoph, Sohn von 1) (?), t nach 1680; Organist. Er ist 1642-63 als Mitglied der Dresdner Hofkapelle nachweisbar. Er wurde von H. Schütz mit der Herausgabe von dessen 12 Geistlichen Gesängen op. 13 (1657) betraut. — 3) Johann Heinrich, Sohn von 2), * 13. 10. 1652 Dresden, t 17.7. 1682 ebd. Er war seit 1666 wie sein Vater Hoforganist in Dresden. 1669 war J. Kuhnau einige Monate sein Schüler. Lit.: I. BECKER-GLAUCH, Die Bedeutung der Musik für die Dresdener Hoffeste bis in die Zeit Augusts des Starken (Kas 1951) (= Musikwiss. Arbeiten 6). — Zu 3): J. H. BARON, A 17th Century Keyboard Tablature in Brasov, in: JAMS 20 (1967).

KJERULF, Halfdan, * 17.9. 1815 Oslo, t 11.8. 1868 ebd.; norwegischer Komponist. Er studierte 1847 bei Karl Arnold in Oslo und 1850-51 bei E. Fr. Richter am Leipziger Konservatorium. 1857-59 dirigierte er zusammen mit Johan Conradi 'das Orchester der Abonnementskonzerte in Oslo. K. wurde zum Wegbereiter der Romantik in Norwegen; seine etwa 100 Lieder (u. a. auf Texte von J. S. Welhaven, Bj. Bjornson und V. Hugo) und 30 Männerchöre nehmen in der norwegischen Musik einen wichtigen Platz ein. Er schrieb auch zahlreiche Klavierstücke, darunter ein sehr bekanntes Wiegenlied. Ausg.: Sanger och visor, GA der Lieder, 3 Bde. (Sto—L 1877-84). Lit.: N. GRINDE, En H. K.-bibliogr., in: Norsk musikkgransknings Arbok 1954-55 (Oslo 1956); DERS., H. K.s klaviermusikk, in: ebd. 1959-61; H. WENDELBORG, H . K.s mannskorsanger med hovedvekten pa et systematiseringsforsok av harmonikken (Diss. Oslo 1971).

KLAIS, dt. Orgelbaufirma mit Sitz in Bonn, gegr. 1882 von Johannes K. sen. (1852-1925), der sie um 1900 zu einer der führenden deutschen Werkstätten entwickelte. Unter seiner Leitung wurden etwa 650 Orgeln im spätromantischen, hochtechnisierten Stil gebaut, u. a.: Erfurt, Dom (1906; 4 Man., 93 Reg.); Bonn, St. Elisabeth (1910; 4 Man., 46 Reg., erhalten); Limburg, Dom (1912; 3 Man., 50 Reg.); Beckum, St. Stephan (1913; 3 Man., 55 Reg., erhalten); Köln, Messehallen (1924; 352

5 Man., 130 Reg.). 1925-65 stand das Haus unter der Leitung von Johannes K. jun. (1890-1965), der eine Synthese des spätromantischen und des neobarocken Orgelbaus anstrebte. Wichtige Orgeln aus dieser Zeit sind u. a.: Gent, Kathedrale (1936; 5 Man., 92 Reg.); Aachen, Dom (1939; 4 Man., 64 Reg.); Köln, Dom (1948-56; 4 Man., 90 Reg.); Münster (Westf.), Dom (1957; 4 Man. 76 Reg.); Frankfurt am Main, Dom (1957; 4 Man., 72 Reg.); Bonn, Beethovenhalle (1959; 4 Man., 68 Reg.). Seit 1965 wird die Firma von Hans Gerd K. (* 2. 12. 1930) geleitet. Es wurden nunmehr ausschließlich mechanische Schleifladenorgeln gebaut, u. a. die Domorgeln in Würzburg (1970; 5 Man., 86 Reg.), Trier (1974; 4 Man., 67 Reg.), Ost-Berlin (1976/77; 3 Man., 67 Reg.) und Limburg (1978; 4 Man., 60 Reg.). Seit 1970 widmet sich das Unternehmen auch der denkmalgerechten Restaurierung historischer Orgeln. Schriften von H. G. K.: Gedanken über die Neuplanung von Orgeln, in: Acta organologica 3 (1969); Die Würzburger Domorgeln (F 1970); Überlegungen zur Orgeldisposition (F 1973); The Bamboo Organ in the Catholic Parish Church of St. Joseph at Las Pinas (Delaware 1977) (zus. mit H. Steinhaus); War die Kegellade ein Irrtum? in: FS W. Supper (B 1978); Philippinische Orgeln aus dem 18. u. 19. Jh., in: Acta organologica 13 (1979). Lit.: J. KLANS, J. K. der Ältere u. J. K., in: Rheinische Musiker 2 (KO 1962) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 53); H. J. BUSCH, Die Orgeln des Limburger Doms (Limburg 1978); Beitr. zur Gesch. u. Ästhetik der Orgel. Aus AnlaB der EinhundertjahrH. J. BUSCH feier ..., hrsg. v. H. G. KI.AIS (Bonn 1983).

KLAMPFE lGitarre. KLANG, Bz. für akustische Erscheinungen im Bereich zwischen Ton und Geräusch, in der Umgangssprache häufig allgemein zur Charakterisierung akustischer Eindrücke verwandt. Daneben hat sich in der musikalischen Fachsprache die Verwendung des Wortes K. für das gleichzeitige Erklingen von Tönen eingebürgert, die — z. B. aus terminologischer Vorsicht — nicht als Akkord bezeichnet werden sollen (z. B. Zweiklang, Mehrklang). Da Musik als historisches Objekt nur aufgrund ihrer Schriftlichkeit existiert, der Bereich der Klangfärbung der notierten Tonrelationen sich aber bis etwa 1600 gänzlich und auch später noch z.T. der schriftlichen Fixierung entzog, zählte der K. traditionsgemäß zu den sekundären Eigenschaften des musikalischen Satzes. Während die Verwendung der einzelnen Instrumente in der Musik des 17. und 18. Jh. vornehmlich durch Regeln determiniert war, die sich auf die Funktion dieser Instrumente in der Lebenswelt oder auf eine musikalisch-satztechnische Funktionalisierung der Instrumente im Orchesterverband gründeten, entstand im Gefolge der romantischen Dichtung eine Neubewertung der

Klang Instrumentalklänge, die den K. als ästhetisches Objekt zu fassen vermochte, ohne auf eine musikalische Struktur rekurrieren zu müssen (u. a. Wakkenroder, Tieck, E. Th. A. Hoffmann, Eichendorff). Bevorzugte Objekte romantischer Klangpoesie wie Flöten- und Hörnerklang oder Naturgeräusche wurden mit einem Assoziationshorizont von Verzauberung umgeben, der Rückwirkungen auf die Kompositionstechnik des 19. Jh. hatte. Die außerordentliche Entwicklung der Orchester- wie der Klaviertechnik im 19. Jh. schuf die Möglichkeit neuer Klangerfahrungen, die sich — wie das Beispiel der Entwicklung des Klaviersatzes bis hin zu Cl. Debussy und M. Ravel zeigt — durchaus nicht auf eine Bereicherung des orchestralen Klangfarbenreichtums beschränkten, sondern alle Bereiche der Musik durch eine neue ästhetische Bewertung des Erklingenden relativ zum musikalischen Satz tangierten. Die schrittweise Verschmelzung des Orchesterapparates zu einem homogenen Klangkörper von beliebiger Verfügbarkeit begünstigte die Erschließung neuer Klänge, gewonnen zumeist aus der Verschmelzung mehrerer Instrumentalfarben. Als universale Kategorie zur Beschreibung des Instrumentationsideales im 19. Jh. erscheint der Begriff „Verschmelzungsklang" (A. Schering) dagegen wenig tauglich; im Orchestersatz des späten 19. Jh. traten nämlich die solistischen Farben vor dem Hintergrund des universalen Mischklanges um so reiner hervor und entwickelten eine besondere Intensität. Dem Ideal des homogenen Wohlklanges im Orchestersatz des 19. Jh. widersprach eine schon zu Beginn dieses Jahrhunderts in Erscheinung tretende Unterströmung verzerrter und „beschädigter" Klanglichkeit, die die allmähliche Aufnahme der Geräusche in den Kreis musikalisch-ästhetischer Objekte förderte. Die „Emanzipation" des Geräuschs, die sich in der kompositorischen Praxis bereits vollzogen hatte, als das „Futuristische Manifest" sie zu verordnen suchte, wurde anfangs kompositorisch legitimiert durch musikalisch traditionellere Umfelder und durch strukturelle Absicherung auf der Ebene der Tonhöhenkonstruktion; sie gipfelte in reinen Schlagzeugkompositionen — wie etwa Ionisation von E. Varèse. Während die Komponisten der Wiener Schule in ihrer frei atonalen Phase wesentlich zur Emanzipation des Geräuschs im Orchestersatz beigetragen hatten, reduzierte die Verwendung der Zwölftontechnik die Bereitschaft zu Klangexperimenten — bildete doch das reine Geräusch im Rahmen einer zwölftönigen Komposition einen nicht-organisierbaren Fremdkörper. Obwohl A. Schönberg in seiner Harmonielehre (1911) durch den Begriff der Klangfarbenmelodie das Problem klangfarbenimmanenter

Strukturen aufgeworfen hatte, wurde die Beziehung von K. und musikalischer Struktur in der ersten Hälfte des 20. Jh. zumeist als Dichotomie verstanden: Konzentration auf die klanglichen Valeurs bedeutete ein Nachlassen an struktureller Stringenz, Klangflächenkomposition bedeutete im Regelfall, daß das Interesse für die übrigen Faktoren des musikalischen Satzes bewußt gering gehalten wurde. Daher bezeichnet man im Gefolge der Wiener Schule als „strukturelle Instrumentation" eine Instrumentationstechnik, die die Verteilung der Instrumentalfarben vollständig von der Tonhöhenkonstruktion abhängig werden ließ; ein extremes Beispiel bietet die Symphonie op. 21 von A. von Webern. Diese Kompositionstechnik, verstehbar als Reaktion auf das Nachlassen konstruktiver Kontrolle im übersteigerten Orchestersatz des Fin de siècle sowie auf die strukturell irrelevante Verwendung ausgefallener Schlaginstrumente in Kompositionen des französischen Neoklassizismus, bereitete den Weg für die nach /Parametern gegliederte Durchorganisation des musikalischen Materials in der /seriellen Musik, bremste aber die Entwicklung der autonomen Klangkomposition. Im Rahmen der seriellen Musik widersetzte sich der Parameter Klangfarbe einer quantitativen Organisation nach dem Vorbild der Tonhöhen, Dauern und Lautstärken, da die einzelnen Instrumentalklangfarben als gegebene Qualitäten menschlicher Erfahrung nebeneinander existieren; zwar lassen sich Ähnlichkeitsrelationen aufstellen, doch mißlingt innerhalb einer seriellen Instrumentalkomposition jeder Versuch, Ordnungen durch Klangfarbentransformation zu etablieren. Zu Beginn der /elektronischen Musik wurde versucht, diesen „Mangel" der natürlichen Klangfarben zu korrigieren; in der strengen Form seriell-elektronischen Komponierens erzeugte der Komponist Klänge mit künstlichem Obertonspektrum, das gemäß der Konstruktion aller übrigen Parameter organisiert wurde (z. B. K. Stockhausen, Studie II). Da diese Kompositionstechnik für den Hörer nicht sinnfällig wird, weil Obertonspektrum und Höreindruck einander nicht entsprechen, bediente Stockhausen sich in einer späteren Komposition der Klangfarben verschiedener Schlagzeugfamilien, um die elektronisch erzeugten Klänge nach dem Modell vertrauter Klangfarben zu organisieren (Kontakte, 1960). In den „kontinuierlichen Kompositionen" von G. Ligeti, W. Lutoslawski und Krz. Penderecki entwickelte sich um 1965 eine Konzeption von musikalischem Denken, die Klangidee und Werkstruktur miteinander verschmelzen ließ; die — entweder nur grob fixierte oder in eine Vielzahl von Einzelparten zerfaserte — Satzstruktur wurde zum 353

Klang Mittel der Erzeugung eines bestimmten Klanges. Unter dem Vorbild der kontinuierlichen Klangtransformation der elektronischen Musik, das auf die Instrumentalmusik zurückprojiziert wurde, realisierte sich die Idee autonomer Klangkomposition; bei scheinbarem Stillstand der diastematischen Struktur entwickeln sich Klangfarbenfelder mit Innenbewegung, deren Umwandlung autonome Klangstrukturen erzeugt. — /Klangfarbe, /Instrumentation. Lit.: H. VON HELMHOLTZ, Über die physiologischen Ursachen der musikal. Harmonien (1857), NA hrsg. v. F. Krafft (Mn 1971); E. BERNOULLI, H. Berlioz als Aesthetiker der Klangfarben (Z 1909); A. SCHONBERG, Harmonielehre (L -W 1911, 3 1922, '1966, engl. NY 1947); A. SCHERING, Hist. u. nationale Klangstile, in: Jb. Peters 34 (1927); R. VON FICKER, Primäre Klangformen, in: ebd. 36 (1929); G. ALBERSHEIM, Zur Psychologie der Ton- u. Klangeigenschaften (Str 1935); H. FEIERTAG, Das orchestrale Klangbild in Brahms' Orchesterwerken (Diss. W 1938); F.OESER, Die Klangstruktur der BrucknerSymphonie (L 1939); G. RÉvÉsz, Einführung in die Musikpsychologie (Be 1946); J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); F. WINCKEL, Über das Farbenspektrum der Musik, in Melos 19 (1952); H.-J. ZINGEL, Spaltklang, das neue Ideal, in: ebd.; H.-P. REINECKE, Über den doppelten Sinn des Lautheitsbegriffs beim musikal. Hören (Diss. H 1953); TH. W. ADORNO, Zur Partitur des Parsifal, in: R. Wagner u. das neue Bayreuth, hrsg. v. W. Wagner (Mn 1962); P. FUHRMANN, Unters. z. Klangdifferenzierung im modernen Orch. (Rb 1966); V. RAHLFS, Psychometrische Unters. z. Wahrnehmung musikal. Klänge (Diss. H 1966); K. G. FELLERER, Klang u. Struktur in der abendländischen Musik (Kö - Opladen 1967); H. ROsING, Zur Analyse v. Instrumenten- u. Orchesterklängen, in: ÖMZ 22 (1967); G. SCHULTE, Unters. zum Phänomen des Tonhöheneindrucks bei versch. Vokalfarben (Rb 1967); R. COGAN, Toward a Theory of Timbre. Verbal Timbre and Music Line in Purcell, Sessions and Strawinsky, in: Perspectives of New Music 8 (1969); W.GRAF, Musikal. Klangforsch. Wege z. Erforsch. der musikal. Bedeutung der Klangfarbe (Karlsruhe 1969); W. H. HERKNER, Der Ausdruck der Klangfarben von Musikinstr. (Diss. W 1969); H. KAUFMANN, Orchesterfarben als Dimension des Komponierens. Zur „Walküre", in: Spurlinien. Analytische Aufsätze über Sprache u. Musik (W 1969); V. RAHLFS, Der Begriff der Kanalkapazität u. seine Anwendung auf das Musikhören, in: Mf 22 (1969); C. DAHLHAUS, Ästhetische Probleme der elektronischen Musik, in: Experimentelle Musik, hrsg. v. F. Winckel (B 1970); DERS., Schönbergs Orchesterstück op. 16,3 u. der Begriff der „Klangfarbenmelodie", in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); M. GUIOMAR, Le masque et le phantasme. L'imagination de la matière sonore dans la pensée musicale de H. Berlioz (P 1970); W.-E. VON LEWINSKI, Die Rolle der Klangfarbe bei Strauss u. Debussy, in: SMZ 110 (1970); M. LICHTENFELD, Zur Technik der Klangflächenkomposition bei Wagner, in: Das Drama R. Wagners als musikal. Kunstwerk, hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1970); I. LUDWIG, Die Klanggestaltung in R. Wagners „Parsifal". Ein Beitr. z. Erhellung v. Idee u. Materie des Gesamtkunstwerkes (Diss. H 1970); P. NITsCHE, Zur Wahrnehmung der Klangfarbe I, in: ZfMth 1 (1970) u. II in: ebd. 3 (1972); H. ROSING, Probleme u. neue Wege der Analyse v. Instrumentenu. Orchesterklängen (W 1970); TH. W. ADORNO, Die musikal. Monographien, in: Gesammelte Schriften 13, hrsg. v. R. Tiedemann (F 1971); H.-P. HESSE, Die Tonhöhenwahrnehmung u. die neurophysiologischen Bedingungen des Gehörsinnes, in: Jb. des Staatlichen Inst. für Musikforsch. Preußischer Kulturbesitz 1970 (B 1971); DERS., Die Wahrnehmung v. Tonhöhe u. Klangfarbe als Problem der Hörtheorie (Kö 1972); J. MEYER, Akustik

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KLANGFARBE, eine Eigenschaft des /Klangs, die seit H. von Helmholtz auf die Zusammensetzung der Obertöne zurückgeführt wird, nachdem zuvor G. S. Ohm den Zusammenhang zwischen dem Obertongehalt und der Schwingungsform der Schallvorgänge geklärt hatte. K.n bilden eine mehrdimensionale Mannigfaltigkeit. Im Gegensatz zu den anderen Ton- bzw. Klangeigenschaften Tonhöhe und Tondauer ist die K., wie die Lautstärke, nicht systemfähig: Die Möglichkeit zur Bildung redundanzerhöhender höherer Einheiten ist nicht gegeben. Es gibt zwar Klangkombinationen, die einen hohen Grad von Verschmelzung aufweisen bzw. neue Farben hervorbringen. In den Instrumentationslehren finden sich auch Hinweise für die erfahrungsmäßige Berücksichtigung klanglicher Wirkungen. Klangstrukturverhältnisse, die wie die Frequenzverhältnisse (transponierbare) Intervalle bilden, die sich ihrerseits in einem Beziehungssystem zu höheren Einheiten zusammenfügen lassen, sind jedoch nicht vorstellbar. Serielle Anordnungen von K.n, wie sie in der Musik der letzten Jahrzehnte ebraucht werden, führen daher sehr leicht zur Überschreitung der möglichen Informationsaufnahme.

Klangfarbe C. Stumpf stellt der K. im engeren Sinne eine K. im weiteren Sinne gegenüber. Er bezieht damit alle mit

dem zeitlichen Ablauf im musikalischen Kontext gehörsmäßig feststellbaren klanglichen Merkmale ein. Sie beruhen auf der besonderen Art der /Einschwing-, Übergangs- und Ausklingvorgänge (OEAusgleichsvorgänge), auf typischen Geräuschbeimischungen und feinmodulatorischen Vorgängen, nicht zuletzt auf der charakteristischen Modulationsfähigkeit des Tones eines Instruments. Die „Momente" bzw. „Qualitäten" oder „Dimensionen" der K. wurden von C. Stumpf, E. M. v. Hornbostel und A. Wellek mit zunehmendem Differenzierungsgrad klassifiziert, z. B. als weich, hart,

rauh, voll, leer, dunkel, hell. Dabei wurde betont, daß die K. zunächst als etwas Einheitliches wahrgenommen wird. Der Begriff K. ist seit Helmholtz, C. Stumpf und E. Schumann mit dem 2'Formant-Begriff fest verbunden. Es stellte sich die Frage nach den physikalischen Ursachen und den Reizgrundlagen für das Charakteristische, Gleichbleibende der K. trotz verschiedener Tonhöhe und Lautstärke. Für die Vokale hatte Helmholtz dieses Merkmal in den Formanten und der von der Tonhöhe unabhängigen Formantstruktur des Spektrums gefunden; für die Instrumentalklänge suchte er es in der konstanten Schwingungsform. Dies impliziert jedoch parallel mit der Tonhöhe wandernde Spektralstrukturen. Demgegenüber konnte Schumann auch bei Musikinstrumenten feste Formanten nachweisen, die in zahlreichen nachfolgenden Untersuchungen bestätigt wurden. Diese Formanten lassen im Rahmen bestimmter Gesetzmäßigkeiten auch gehörsmäßig nachzuweisende Variationen zu, die in den sog. Schumannschen Klangfarbengesetzen beschrieben werden. Die für die einzelnen Musikinstrumente typischen Klänge stellen eine unter dem Gesichtspunkt der Idealisierung vorgenommene Auswahl dar, die ihrerseits auf psychologischen, am Zeitgeschmack orientierten Selektionsprozessen basiert. Die Gültigkeit der Schumannschen Gesetze gerade für diese typischen Klänge weist auf die psychologische Komponente in ihnen hin. So lassen sich die Klangerscheinungen nach gehörsmäßigen Prinzipien in 2 Kategorien teilen; in diejenigen, die bestimmte Hörbedingungen einhalten, und in diejenigen, die es nicht oder nur unvollkommen tun. Zur 1. Kategorie gehören die Vokale und die meisten hochentwickelten, melodiefähigen Musikinstrumente. Die von den Vokalen her bekannten Prinzipien der K.n-Konstanz wurden allein durch Hörerfahrung auf das Instrumentarium

übertragen. Sie lassen sich in gewissem Grade an einfachen physiologischen Vorgängen aufzeigen. G. v. Békésys Untersuchungen zufolge bilden sich die Formantstrukturen in groben Umrissen als Erregungsmuster mit bestimmten Erregungszonen und -schwerpunkten auf der Basilarmembran des Innenohres (/Gehör) ab. So lassen sich schon von den physiologischen Bedingungen her gesehen aus der unendlichen Menge der K.n diejenigen K.n herausheben, die die von den Vokalen her bekannten physiologischen Bedingungen erfüllen. Das Attribut der Vokalähnlichkeit im Sinne einer Vokalqualität (Vokalität) kann von Instrumentalklängen jedoch nicht in jedem Falle gefordert werden, da die Instrumentalklänge Formantkonstellationen und innerhalb dieser Konstellationen Relationen aufweisen können, die den Vokalklängen von ihren Entstehungsbedingungen her nicht möglich sind, Erfahrungsvoraussetzungen also dafür nicht vorhanden sind. Es ist eine der wesentlichen Konsequenzen der Schumannschen K.n-Gesetze, daß dynamische Änderungen auch K.n-Änderungen zur Folge haben. Spektrale Änderungen durch verstärktes Anblasen, Streichen, allgemein durch verstärkte Klangerzeugung korrelieren mit einer Steigerungsempfindung in Richtung einer erhöhten „Eindringlichkeit der Klangfarbe". Die mit der musikalischen Dynamik einhergehende K.n-Änderung erwies sich für den Hörer inzwischen sogar als wirkungsvoller zur Vermittlung des Eindrucks der Intensität der Klangerzeugung als die Lautstärkeänderung. Dieser Sachverhalt berechtigt geradezu dazu, von einer K.n-Dynamik neben der Lautstärkedynamik zu sprechen. Die Möglichkeiten elektronischer Verstärkung machen für jedermann offensichtlich, daß es neben einem leisen p auch ein lautes p und neben einem lauten f ein leises f gibt. Es müssen also Lautstärkebzw. Lautheitsdynamik und Pegeldynamik einerseits und Klangfarbendynamik und Spektraldynamik andererseits unterschieden werden. Lit.: G. S. OHM, Über die Definition des Tones, nebst daran geknüpfter Theorie der Sirene u. ähnlicher tonbildender Vorrichtungen, in: Annalen der Physik u. Chemie 59 (1843); H. VON HELMHOLTZ, Die Lehre von den Tonempfindungen (Brau 1863, 61913, Nachdr. Da 1968); C. STUMPF, Die Sprachlaute (B 1926); E. M. VON HORNBOSTEL, Psychologie der Gehörserscheinungen, in: Hdb. der normalen u. pathologischen Physiologie XI (B 1926); E. SCHUMANN, Physik der K.n (Habil.-Schr. B 1929); A. WELLEK, Die Mehrseitigkeit der „Tonhöhe" als Schlüssel zur Systematik der musikal. Erscheinungen, in: Zschr. f. Psychologie 134 (1935); G. VON BÉKÉSY, Über die Resonanzkurve u. die Abklingzeit der verschiedenen Stellen der Schneckentrennwand, in: Akustische Zschr. 8 (1943); H.-P. REINECKE, Über den doppelten Sinn des Lautheitsbegriffes beim musikal. Hören (Diss. H 1953); G. VON BÉKÉSY, Experiments in Hearing (NY 1960); A. WELLEK, Musikpsychologie u. Musik -

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Klangfarbenmelodie ästhetik (F 1963); V. RAHLFS, Psychometrische Unters. z. Wahrnehmung musikal. Klänge (Diss. H 1966); H.-P. REINECKE, Experimentelle Beiträge z. Psychologie des musikal. Hörens (H 1964); D.A. LUCE — M. CLARK JR., Physical Correlates of Brass-Instrument Tones, in: Journ. Acoustical Soc. of America 42 (1967); U. MÜLLER, Unters. zu den Strukturen von Klängen der Clarin- u. Ventiltrompete (Rb 1971) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 60); G. VON BISMARCK, Extraktion u. Messung von Merkmalen der K.nwahrnehmung stationärer Schalle (Diss. Mn 1972); H.-P. HESSE, Die Wahrnehmung von Tonhöhe u. K. als Problem der Hörtheorie (Kö 1972); H. ROSING, Die Bedeutung der K. in traditioneller und elektronischer Musik (Mn 1972); E. SCHUMANN, Zur Physik der Vokalklangfarben, in: Musicae Scientiae Collectanea. FS K. G. Fellerer (Kö 1973); U. SIRKER, Strukturelle GesetzmäBigkeiten in den Spektren v. Blasinstrumentenklängen, in: Acustica 30 (1974); D. A. LUCE, Dynamic Spectrum Changes of Orchestral Instruments, in: Journ. Audio Engineering Soc. 23 (1975); P.-H. MERTENS, Die Schumannschen K.ngesetze u. ihre Bedeutung für die Übertragung von Sprache u. Musik (F 1975); W. VOIGT, Unters. z. Formantbildung in Klängen von Fagott u. Dulzianen (Rb 1975) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 80); P. NITSCHE, K. u. Schwingungsform (Mn — Salzburg 1978) (= Berliner musikwiss. Arbeiten 13). J. P. FRICKE

KLANGFARBENMELODIE, Terminus von A. Schönberg (1911) — schon H. von Helmholtz und F. Busoni sahen in der Klangfarbe ein neues und zukunftsträchtiges Kunstmittel —, der besagt, daß die Klangfarbe als eigenständiges Qualitätsmoment des Tones begriffen werden kann und als Strukturfaktor verwendbar wird. Eine K. entsteht in der Praxis als Folge von Veränderungen der Instrumentation und der dynamischen Intensität. Schönberg hat dieses Verfahren, das sich bei R. Wagner, G. Mahler und vor allem Cl. Debussy vorgebildet findet, beispielhaft im 3. der Orchesterstücke op. 16 (1909) demonstriert; es trägt den Titel Farben (ursprünglich Der wechselnde Akkord). Klangfarbmelodische Konstruktionen hat Schönberg darüber hinaus nicht mehr verfolgt, obwohl in seiner Theorie, die er freilich eine „Zukunftsphantasie" nannte, prinzipiell bereits die Farbe des Tons als eine der Höhe, der Dauer und der Lautstärke gleichwertige Eigenschaft begriffen ist, was später in der /seriellen Musik Bedeutung erlangte. Im Unterschied zu Schönberg begreift A. von Webern die Klangfarbe als ein Merkmal der Tonhöhe. Wechselnde Tonhöhen bedingen demnach einen Wechsel der Klangfarbe; eine zusammenhängende, melodische Tonfolge stellt zugleich eine Folge von Klangdispositionen dar, bildet eine Farbstruktur. Die Idee der K. wurde vor allem durch H. Eimert in der elektronischen Musik weiterverfolgt und realisiert. Mittels bestimmter Verfahren kann eine Tonfolge als Folge von Klangfarben eingerichtet werden, wobei die Tonursprünge nicht mehr erkennbar sind. Die Titel Klangfarbenstudie, Klangstudie I, Klangstudie II belegen diese Bedeutung. Eimerts Bezugnahme auf Schönberg dient dabei 356

auch dazu, die elektronische Musik im musikgeschichtlichen Entwicklungszusammenhang zu sehen und zugleich dadurch zu legitimieren, daß durch sie der geschichtliche Prozeß der „Emanzipation" der Klangfarbe zum Abschluß gebracht sei. Lit.: C. DAHLHAUS, Schönbergs Orchesterstück op. 16, 3 u. der Begriff der K. in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973). D. REXROTH

KLANGVERTRETUNG bildet in H. Riemanns Funktionstheorie (řFunktionsbezeichnung) die Grundposition, bei der ein Ton als Vertreter eines Akkords aufgefaßt wird. Aufgrund der K. kann ein einzelner Ton unterschiedliche Funktion annehmen: Als Grundton, Terz oder Quinte eines Duroder Molldreiklangs kann er 6 verschiedene Bedeutungen haben. Für die funktionalen Zusammenhänge und Akkordverbindungen eines Tonsatzes, für die implizite Harmonik dur-moll-tonaler Melodien sowie für die Modulation mit Hilfe der Umdeutung von Tönen und Akkorden ist das Prinzip der K. von zentraler Bedeutung. KLAPPE (engl.: key; frz.: clef; it.: chiave; span.: llave), Bz. für die seit dem 16. Jh. bekannten, mit weichem Leder gepolsterten VerschluBdeckel für Grifflöcher, die schwer oder nur ungenau von den Fingern zu schließen sind. Sie wurden zuerst nur auf Holzblasinstrumenten angebracht und erst zu Beginn des 19. Jh. auch auf Blechblasinstrumenten (/Klappenhorn), konnten sich jedoch bei diesen gegen die um die gleiche Zeit entwickelten 7Ventile nicht durchsetzen. Es gibt offene und geschlossene K.n, je nachdem ob sie erst durch das Niederdrücken ihres Hebels das Griffloch verschließen, oder ob sie das Loch in Ruhestellung decken. Zunächst waren nur wenige K.n an Holzblasinstrumenten angebracht, ihre Anzahl wuchs jedoch während des 18. Jh., bis zu Beginn des 19. Jh. Karl Almenräder (Abhandlung über die Verbesserung des Fagotts, Mz um 1820) für das Fagott und Theobald Böhm (seit 1832) für die Querflöte (Über den Flötenbau, Mz 1847) die Anzahl der K.n erhöhten. Dadurch konnten auf der Querflöte die Grifflöcher in der richtigen Größe und an den akustisch richtigen Stellen des Rohres gebohrt werden. Weitere K.n sollten die Intonation verbessern oder die Applikatur erleichtern. Der von Böhm entwickelte K.n-Mechanismus erwies sich als so leistungsfähig, daß er auch auf andere Holzblasinstrumente (u. a. auf Klarinette, Oboe und Saxophon) übertragen wurde. Spätere technische Verbesserungen sind u. a. die Dreh-K., bei der die Hebelbewegung über eine Welle auf die K. wirkt, und die Ring-K. (nach C. Sachs bereits von Fred Nolan 1808 erfunden), bei der ein Ring über

Klarinette einem offenen Griffloch liegt und beim Decken dieses Loches über einen Hebel eine andere K. mitbewegt. M. BROCKER KLAPPENHORN (engl.: key[ed] bugle; frz.: bugle à clefs; it.: cornetta a chiavi; span.: bugle de llaves), Bz. für ein von Joseph Halliday (Patent von 1810) in Dublin erfundenes Blechblasinstrument (řBügelhorn) mit geschlossenen Klappen. Zunächst mit 5, später mit 6 oder 7 Klappen (eine davon offen) ausgestattet, wurde es vor allem in Militärkapellen verwendet. Schon 1816 gelangte es in die USA, wo es wie in Deutschland bis in die 2. Hälfte des 19. Jh. sehr beliebt war. Klappenhörner wurde in C oder B (Diskant) und in F oder Es (Alt) gebaut. J. Halary, der das K. bereits 1815 kopiert hatte, baute es zu einer ganzen Familie mit der Bezeichnung .Ophikleide aus. KLAPPER, ein weltweit verbreitetes Schlaginstrument, das in seiner einfachsten Form aus zwei Knochen- oder Holzstücken besteht, die zwischen den Fingern gehalten und zusammengeschlagen werden. In anderer Form sind es zwei bewegliche Teile, die an einer Stelle grifförmig zusammengefügt oder durch Scharniere verbunden sind. Besonders ausgeprägte K.n sind die /Krotala, die /Crotales und die "Kastagnetten. KLARINETTE (engl.: clarinet; frz.: clarinette; it.: clarinetto; span.: clarinete),1) Bz. für ein überwiegend zylindrisch gebohrtes Holzblasinstrument (auch aus Metall und anderen Materialien), das am unteren Ende parabolisch verläuft, und aus Mundstück (Schnabel), Birne, oberem und unterem Mittelstück und Schallbecher besteht. Auf der geschliffenen Bahn des Mundstücks wird eine einfache, aufschlagende Zunge (aus Bambus) durch Fadenwicklung oder eine Metallschnalle als Schwingungserreger befestigt. Beim Überblasen schlägt die K. in die Duodezime (= 3. Partialton) um, so daß für die entsprechenden einzelnen Register (Chalumeau-, Mittel-, Nadelregister) je nach Oktavlage unterschiedliche Griffe erforderlich sind. Mundstück und Korpus bilden mit dem Bläser ein Koppelsystem. Die auffälligen Abweichungen in den Grifftabellen des 18. Jh., als die Herstellung der Instrumente noch wenig genormt war, finden hierin ihre Erklärung. Je nach Individualität des Bläsers und seinen Fähigkeiten können somit Intonation, Ambitus (nach oben) und Klangfarbe deutlich voneinander abweichen. Ob wirklich J. Chr. Denner der Erfinder der K. gewesen ist, wie nach J. G. Doppelmayrs Angaben (1730) angenommen wird, oder ob er nicht viel-

mehr der Erfinder des /Chalumeaus war, ist strittig. Tatsächlich hat sich von Denner keine Klarinette erhalten. Die frühesten, typologisch einwandfrei identifizierten K.n stammen von Denners Sohn Jakob Denner. Die klangliche Überlegenheit der K. macht es auch verständlich, weshalb dem instrumententypologisch angeähnelten Chalumeau nur eine kurze Lebensdauer beschieden war. Obwohl schon 1710 die Lieferung von K.n durch J. Denner belegt ist, tritt die K. im Gegensatz zu der sich schnell und reichlich entwickelnden Chalumeauliteratur in den Kompositionen zunächst nicht in Erscheinung. Die frühesten K.n-Konzerte von V. Rathgeber (?) und J. M. Molter (um 1745), der auch noch das Chalumeau verwendete, lassen erkennen, daß das Instrument als Ersatz für die hohe Trompete gedacht war: unterhalb des c2 begegnet nur Dreiklangsthematik, erst darüber setzt diatonisches Spiel ein, während in der Chalumeauliteratur schon frühzeitig ausgesprochene chromatische Passagen nachweisbar sind (G. Ph. Telemann). In dem etwa gleichzeitig entstandenen K.n-Konzert von J. Stamitz tritt weder die Trompetenthematik hervor, noch ist das Chalumeauregister berücksichtigt. Bis in das 19. Jh. hinein spielten die Klarinettisten mit dem zur Oberlippe gewendeten Blatt (maxillarer Ansatz; früher „ Ubersichblasen" genannt). Erst mit der Ausnutzung tieferer Lagen wurde das Blatt entsprechend der heutigen Spielpraxis zur Unterlippe gewendet (mandibularer Ansatz; früher „Untersichblasen"). A. Vanderhagen lehrt in seiner offiziellen K.n-Schule für das Pariser Conservatoire (1785) ausschließlich den maxillaren Ansatz. J. G. H. Backofen (1824) berichtet, daß noch etwa die Hälfte aller Spieler aus praktischen Gründen den alten Ansatz benutzten, er selber bildet die K. mit nach oben gewendetem Rohrblatt ab. Der älteste K.n-Typus mit 2 diametral gelagerten geschlossenen Klappen (a', b' [h']) wurde bald durch Hochlagerung der b'-Klappe verbessert, die offensichtlich gleichzeitig als Duodezklappe fungierte. Dieser Typus mit 2 oblique gelagerten Klappen, den auch J. Fr. B.C. Majer (1732) abbildet, dominierte bis um die Mitte des 18. Jh. Wann die 3. (Langstiel-) Klappe für das h (= e) und die 4. (cis2)-Klappe hinzutraten, ist ungeklärt. Bertold Fritz (t 1766), soll die 5. (es2)-Klappe angebracht, J. X. Lefèvre die 6. Klappe (cis'/gis2) hinzugefügt haben. Tatsächlich ist die Chronologie der Erweiterung des Klappenmechanismus schwer zu bestimmen, da es regionale Sonderentwicklungen gab und die chromatischen Töne durch Labialkorrektur und Hilfsgriffe von den Bläsern individuell produziert wurden. Vanderhagen stellt für das d3 noch 4 unterschiedliche Griffe 357

Klarinette zur Wahl und betont, daß es dem Spieler obliege, die erforderlichen Griffabweichungen auf seinem Instrument jeweils empirisch zu finden. Lefèvre (1802) demonstrierte sein Applikatursystem an einer K. mit 6 Klappen. In der ersten Hälfte des 18. Jh. läßt sich die Ausbreitung der K. nur durch einzelne Belege verfolgen (Nachrichten über das Auftreten reisender Virtuosen oder den Ankauf von Instrumenten). J.-Ph. Rameau führte die K. in das französische Opernorchester ein. Von Einzelfällen abgesehen (A. Vivaldi, Molter) scheint die K. konzeptionell zunächst in Mannheim als Orchesterinstrument verwendet worden zu sein. Während von J. Stamitz, der die K. vermutlich auch schon während seiner Paris-Aufenthalte (1751, 1754) einsetzte, nur ein einziges K.n-Konzert nachgewiesen ist, komponierte sein Sohn C. Stamitz nicht weniger als 11 K.n-Konzerte. Fr. X. Pokorny, Schüler von I. Holzbauer, schrieb um 1765 2 Konzerte, in denen die tiefe Lage des Instruments erstmals kenntnisreich ausgenutzt wird. W. A. Mozart äußert sich 1778 begeistert über den Zusammenklang von Flöten, Oboen und K.n im Mannheimer Orchester, er liebte und schätzte die Wärme und Ausgewogenheit des K.n-Klangs und schenkte 1791 der K. mit dem Quintett KV 581 und dem Konzert A-Dur, KV 622 (für das A. Stadler den Tonumfang seines Instruments in der Tiefe erweitern mußte) die unbestrittenen Spitzenwerke der solistischen K.n-Literatur. Entscheidend zur raschen Verbreitung der K. trug ihre Aufnahme in die französischen Militärkapellen bei. Über die Ausbreitung der K. im französischen Bereich fehlen noch fundierte Untersuchungen. In den Privatkapellen von A. de La Pouplinière und des Prinzen von Conti zu Chantilly war die K. um 1755 fest etabliert. Mit der Umwandlung der Pariser Gesangschule zum Institut National de Musique, dem heutigen Conservatoire (1793), erhielt das K.n-Spiel einen didaktisch geordneten Ausbildungsgang. Am Conservatoire waren mehrere K.n-Lehrer zugleich tätig. Die Gründung der wohl frühesten deutschen Ausbildungsstätte für Klarinettisten ist das Verdienst von Franz Tausch, einst Zögling der Mannheimer Tonschule, der 1805 im Dienste des Königs von Preußen in Potsdam eine spezielle „Pflanzschule" für Klarinettisten ins Leben rief, aus der u. a. H.J. Bärmann hervorging. Sieht man von den Grifftabellen bei J. Fr. B.C. Majer (1732) und J. Ph. Eisel (1732) ab, so stammen die frühesten Lehranweisungen für K. aus England und Frankreich; während die englischen Schulen zunächst ausnahmslos anonym erschienen, was auf spezielle verlegerische Initiativen schließen läßt, präsentieren sich in den Autoren der französischen 358

Handleitungen hervorragende Virtuosen des Instruments: Valentin Roeser (1764), Amand van der Hagen (Vanderhagen) (1785), Chef des Gardemusik-Korps, und J. X. Lefèvre, seit 1795 Professor für K. am Pariser Conservatoire, der 1802 die offizielle K.n-Schule dieses Instituts verfaßte. Einen wichtigen Versuch, die tonlichen Ungleichheiten zwischen den natürlich gegriffenen, durch Klappen gewonnenen und mit Hilfe von Gabelgriffen erzeugten Töne zu beseitigen, stellt die sogenannte Inventions-K. von Iwan Müller dar, der um 1812 die Tonlochbohrung nach akustischen Prinzipien durchführte und die so entstehenden Schwierigkeiten in der Applikatur durch Ansatzstücke ausglich. Seine 13-Klappen-K. wurde zwar von der Kommission des Pariser Conservatoire verworfen, setzte sich aber dennoch bei der Militärmusik durch. Die weitere Verfeinerung des Klappenmechanismus machte nun rasche Fortschritte. Zu den wichtigsten Instrumentenbauern, die in dieser Hinsicht tätig wurden, zählen E. Kruspe in Erfurt, C. G. Geisler in Amsterdam, E. Wünnenberg in Köln und J.H.G. Streitwolf in Göttingen. Die Erfindung des Ringklappenmechanismus durch Th. Böhm, die H. Klosé in Zusammenarbeit mit A. Buffet in Paris auf das Klappensystem der K. übertrug und 1844 als „clarinette à anneaux mobiles" patentieren ließ, gab der Entwicklung der K. die vielleicht entscheidende Wende. Diese im populären Sprachgebrauch sogenannte Böhm-K. setzte sich mit ihrer leichteren Applikatur, die vor allem das Gleiten der Kleinfinger von Klappengriff zu Klappengriff erübrigte, besonders in den romanischen Ländern durch, so daß heute beide Systeme, das deutsche (oder Wiener) System und das Böhm-System gleichberechtigt nebeneinander bestehen. Die Varianten, die sich in der Bauweise und der Applikatur der K. bei den zahlreichen, schier unübersehbaren Museumsstücken darstellen, lassen sich kaum systematisch ordnen. Es gehörte ebenso zur Eigenart hervorragender Klarinettisten, daß sie sich nach eigenen Angaben und Wünschen von Instrumentenbauern Sonderformen anfertigen ließen, wie es Usus wurde, daß die Komponisten bei den Virtuosen, für die sie ihre Werke schrieben, Rat suchten. Die wachsende Beliebtheit der K., die sich nach 1800 recht eigentlich als das Soloblasinstrument der Romantik durchsetzte, führte zu Beginn des 19. Jh. zu einer wahren Flut an virtuoser K.n-Musik. Zu den bevorzugten Werken gehören die K.n-Konzerte von C. M. v. Weber, die für den Münchner Bärmann geschrieben wurden, die K.n-Konzerte von L. Spohr für den Sondershäuser Johann Simon Hermstedt, ferner Konzerte von Tausch, Fr. Berr, B. Crusell, Fr. A. Rößler, J. Pleyel, S. Mercadante

Klarinette u. a. 1828 sind im Handbuch der musikalischen Literatur von K. Fr. Whistling schon über 25 Lehrwerke für K. und mehr als 120 K.n-Konzerte unter vielem anderen angezeigt. Daß sich unter diesen Bergen an K.n-Literatur viel Alltagsware befindet, die die reisenden Virtuosen oft zu eigenem Gebrauch fertigten, versteht sich von selbst. Die K. erfreute sich zu dieser Zeit so allgemeiner Beliebtheit, daß nahezu jeder renommierte Komponist das Instrument kompositorisch bedachte, u. a. auch L. van Beethoven, Fr. Schubert, R. Schumann und F. Mendelssohn Bartholdy. Nach 1850 büßte die K. ihre Sonderstellung als Soloinstrument jedoch ein. 1866 mokierte sich E. Hanslick, daß die Zeit, wo die Klarinettisten scharenweise gereist kamen „und Concerte auf ihrem langweiligen Einzelrohr abbliesen" vorüber sei. Deutlicher als zuvor trat dafür nun die K. in der Kammermusik in Erscheinung und regte hier viele Komponisten zu Werken an, u. a. J. Brahms, C. Saint-Saëns, Cl. Debussy, R. Strauss, M. Reger, A. Schönberg, I. Strawinsky, A. von Webern, A. Berg, A. Honegger, D. Milhaud, P. Hindemith und Fr. Poulenc. Die technische Weiterentwicklung des Klappenmechanismus richtete sich in der neueren Zeit darauf, alle unerreichbaren und schwierigen Tonverbindungen im Applikatursystem durch Hinzufügung sinnreicher Spielhilfen (Doppelhebel, Trillerklappen) spielbar zu machen und matte Töne durch ergänzende Korrekturbohrungen klanglich zu verbessern. Zu den bekannteren Instrumentenbauern, die zur Verbesserung oder Erleichterung der Applikatur beitrugen, zählen Robert Stark (ais-h-Trillerklappe), O. Oehler (System Oehler), G. Mollenhauer, A. Uebel, P. Pupeschi (cis-gisBindung). W. Heckel (Patent-K. mit doppelter Duodezklappe), C. G. Conn u. a. In der zeitgenössischen Musik zeichnet sich das Bestreben ab, das herkömmliche Klangbild der K. in seiner Ausgewogenheit zu verändern und ein bisher nicht genutztes Klangreservoir konzeptionell einzubeziehen. Sc) werden durch Änderung des Lippen- und Blasdrucks, durch Abweichungen der Lippenstellung auf dem Rohrblatt in Verbindung mit bestimmten, empirisch gefundenen Griffstellungen künstliche Obertöne, Flageolettöne und sogar vierstimmige Mehrklänge erzeugt, die auch das gewohnte klangfarbliche Spektrum des Instruments grundlegend verändern und eine neue Individualität der K. postulieren. Mit der Negierung der im 19. Jahrhundert gefertigten klangästhetischen Normen sind die Wege frei für völlig neue und ungeahnte Hörerfahrungen. Im Gegensatz zum Chalumeau, das von Anfang an als Familie, d. h. in unterschiedlichen Klanglagen

gebaut wurde, wurde die K. zunächst nur als Sopraninstrument entwickelt. Die frühesten K.nKonzerte sind für die hohe D-K. geschrieben, die in ihrem Nadelregister noch nicht das typische Klangtimbre der K. aufweist, dagegen einer Trompete ähnlich klingt, wie schon J. Walther (1732) bemerkte. Da die durch Hilfsgriffe gewonnenen chromatischen Zwischentöne gegenüber den natürlichen Griffen der Skala klangliche Unreinheiten aufwiesen, ging man bald dazu über, Instrumente in unterschiedlichen Stimmungen zu bauen. V. Roeser (1764) kennt bereits K.n in A, B, C, D und E. Im ausgehenden 18. Jh. traten dann, namentlich durch die Anforderungen in der Militärmusik, noch Esund As-K.n hinzu. Schon um 1740 stellte J. G. Eisenmenger in Mannheim Versuche an, eine AltK. zu konstruieren; erst Anton (sen. u. jun.) und Michael Mayrhofer in Passau gelang es nach 1760, mit dem řBassetthorn ein Alt-Instrument zu entwickeln, das umfangmäßig (F—f 3) und klanglich allen Erfordernissen entsprach. Die sog. Alt-K. in F, deren Entwicklungsgang noch im Dunkel liegt und die nicht mit dem Bassetthorn identisch ist, vor allem sich von diesem hinsichtlich der Bohrung deutlich unterscheidet, vermochte sich nicht durchzusetzen. 1792 versuchte G. Lot in Paris eine K. in Baßlage zu bauen („Bass tube"), jedoch ohne sichtbaren Erfolg. Eine günstigere Lösung fand H. Grenser in Dresden mit dem „Klarinettenbaß", von H—f 3 reichend. 1833 gelang G. Streitwolf in Göttingen ein in Fagottform gehaltenes 19-Klappen-Instrument (As 1 42), aber erst A. Sax stellte 1836 in Paris die erste wirklich brauchbare klangliche Lösung einer Baß-K. vor. G. Meyerbeer verwandte die fabrikneue Erfindung im 5. Akt von Les Huguenots und ebnete somit der Baß-K. den Weg ins moderne Orchester. Die moderne KontrabaßK., zu der seit 1808 Vorformen konstruiert wurden, kam 1889 von der Firma Evette & Schaeffer in Paris auf den Markt, ein Jahr darauf trat die Firma Fontaine-Besson in Paris mit einem ähnlichen Instrument hervor: B-Stimmung, Umfang klingend A2 bis f 1 . 1897 modernisierte W. Heckel in Biebrich das Modell und erweiterte den Umfang bis zum Kontra-D. Die Applikatur entspricht der normalen Klarinette. 1930 entwickelte Charles Houvenaghel eine Kontrabaß-K., die das klingende Subkontra-B erreicht. Die ebenfalls von Houvenaghel konstruierte Octobaß-K. in B, noch eine Oktave tiefer stehend, gelangte nicht in die Praxis. Die Entwicklung der Liebes-K. (Clarinetto d'amore), die J. Chr. Bach in seiner Oper Lucio Silla vorschreibt, liegt noch völlig im Dunkeln. — 2) Orgelregister des Zungenchors in der 8'- Lage mit durchschlagender Zunge und breitem zylindrischem Schallbecher 359

Klarwein (Aufsatz). Mit seinem obertonarmen Klang schon

in der 2. Hälfte des 18. Jh. als Orgelstimme bekannt, wird dieses inzwischen seltene Register heute mit aufschlagender Zunge gebaut. Lit.: Zu 1): 1) Lehranweiseesen: J. G. DOPPELMAYR, Hist. Nachricht v. den Nürnbergischen Mathematicis u. Künstlern (Nü 1730); J. F. B. C. MAJER, Museum musicum (Schwäbisch Hall 1732), Faks.-Ausg., hrsg. v. H. Becker (1954) (= DM1 1/8); ABRAHAM, Méthode pour la clarinette (P 1780); V. ROESER, Essai d'instruction i l'usage de ceux qui composent pour la clarinette et le cor (P 1764, Nachdr. G 1972); A. VANDERHAGEN, Méthode nouvelle et raisonnée pour la clarinette (P 1785, Nachdr. G 1972); J.J. GELIOT, The Complete Instructor for the Clarinet (Lo 1790); M. F. BLASIUS, Méthode de clarinette (P um 1795); M. WOLDEMAR, Méthode de clarinette (P 1801); J. X. LEFÈVRE, Méthode de clarinette (P 1802, 21830); J.G.H. BACKOFEN, Anweisung zur K. nebst einer kurzen Anweisung über das Bassetthorn (L 1803, 21824); V. GAMBARO, Méthode facile de clarinette i six clefs (o. 0. 1825); I. MÜLLER, Anweisung zu der neuen Clarinette u. der Clarinetto Alto (L 1825); F. T. BLATT, Die Kunst des Clarinettblasens, 3 Teile (Mz 1828); F. BERR, Traité complet de la clarinette i quatorze clefs (P 1836); H. E. KLOSE, Méthode pour servir i l'enseignement de la clarinette i anneaux mobiles (P um 1843); C. BAERMANN, Vollständige Clarinett-Schule, 5 Teile (Offenbach 1864); R. STARK, Grosse theoretisch praktische Klarinett-Schule ..., 2 Teile (Heilbronn 1892); DERS., Die hohe Schule des Clarinett-Spiels (ebd. um 1900). — 2) Studien: W. ALTENBURG, Die K. (Heilbronn 1904); 0. W. STREET, The Clarinet and its Music, in: Proc. Mus. Assoc. 42 (1915/16); P. GRADENWITZ, The Beginnings of Clarinet Literature, in: ML 17 (1936); H. BOESE, Die K. als Soloinstr. in der Musik der Mannheimer Schule (Diss. B 1940); F.-G. RENDALL, The Clarinet (Lo 1954, 31971) (weitere Lit.); H. BECKER, Zur Gesch. der K. im 18. Jh., in: Mf 8 (1955); R. W. YOUNG — J. C. WEBSTER, Die Innenstimmung v. Musikinstr., III: Die K., in: Gravesaner Blätter 4 (1958/60); H. HICKMANN — H. BECKER, K., in: MGG VII; K. OPPERMAN, Repertory of the Clarinet (NY— Lo 1960); 0. KROLL, Die K., bearb. von D. Riehm (Kas 1965) (weitere Lit.); E. JOST, Akustische und psychometrische Unters. an Klarinettenklängen (Kö 1967); J. MEYER, Über die Intonation bei der K., in: Instrumentenbau-Zschr. 23 (1969); J. SAAM, Das Bassetthorn (Mz 1971); L. G. LANGWILL, An Index of Musical Wind-Instrument Makers (Edinburgh'1974); A. HEINE, Akustische Phänomene. Unters. u. Experimente mit der K. u. Einführung in die Ansatztechniken ... (Mn 1978); E. BRIXEL, K.-Bibliogr. I (Wilhelmshaven 1978); J. BRYMER, Die K. (Zug 1978); H. BECKER, Die Aufschlagzunge als instrumentenhistorisches Problem, in: Tibia 1 (1980). H. BECKER

KLARWEIN, Franz, *8. 3. 1914 Garmisch; dt. Sänger (Tenor). Nach seiner Ausbildung in Frankfurt am Main und Berlin war er 1937-42 als lyrischer Tenor an der Berliner Volksoper engagiert und wurde danach Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München, wo er 1942 bei der Uraufführung des Capriccio von R. Strauss und bei der deutschen Erstaufführung von H. Sutermeisters Raskolnikoff mitwirkte. In den 40er und 50er Jahren trat er — nunmehr ins Heldenfach übergewechselt — bei den Salzburger Festspielen, an der Covent Garden Opera in London und beim Maggio Musicale Fiorentino auf. K. ist mit der Sopranistin Sari Barabas verheiratet. 360

KLASSIK (von griech. klěó, klěsis = Herbeirufung, herbeigerufene, versammelte Menge) und das davon abgeleitete Adjektiv klassisch leiten sich in ihrer Bedeutung im Kern vom römischen Staatsdenken her (lat. classis = Volksklasse, classicus = Bürger der ersten gegenüber dem der untersten Klasse, dem proletarius). Im Bereich der Literatur (seit Ende des 2. Jh. n. Chr. in Ansätzen schon bei Cicero) sind die Classici scriptores die vorbildlichen Schriftsteller. Gemäß der klassizistischen Einstellung, die zu dem Begriff führte, ist dieser Kanon der Schulschriftsteller zwar in der Vergangenheit angesiedelt, fällt jedoch nicht mit bestimmten Epochen und Stilen zusammen. Seitdem gilt das „Klassische" als der Inbegriff von Vollendung, Vorbildlichkeit und höchstem Rang. Es war damit eine Grundkategorie des ästhetischen Urteils gegeben, die formale und inhaltliche Kriterien umfaßte, vor allem aber wertend gemeint war. Die deskriptive Komponente gewann erst Bedeutung, als im Anschlug an J. J. Winckelmann (1755), sodann an G. Fr. W. Hegel die Umdeutung des „Klassischen" zu einem Epochen- und Stilbegriff, somit eine gewisse historische Relativierung der absoluten Wertungskategorie erfolgte. Der normative Gehalt — nach Hegel bringt die klassische Kunst zur Ausführung, „was die wahrhafte Kunst ihrem Begriff nach ist" — und die Auffassung einer dauernden Gegenwart und Aktualität klassischer Werke blieb trotz des Konflikts mit der streng historischen Auffassung grundsätzlich gleichwertiger Kunstepochen bis heute lebendig. Der Begriff des „Klassischen" widersetzte sich der im entfalteten historischen Bewußtsein des 19. Jh. eigentlich unausweichlichen Konsequenz, „daß alle normative Bedeutung der Vergangenheit schließlich von der souverän gewordenen historischen Vernunft zersetzt wird" (H.-G. Gadamer). Der eher einschränkende Gebrauch der Bezeichnung „klassisch" im Sinne von Stilvollendung (z. B. „klassische Vokalpolyphonie" G. P. da Palestrinas oder Fr. Schubert als „Klassiker des Lieds") bis hin zur bloß rühmenden Kennzeichnung einzelner in ihrer Art exemplarischer und vollkommener Werke aus Vergangenheit und Gegenwart vermochte den Widerspruch nicht zu lösen. Noch im umgangssprachlichen Gebrauch (z. B. „Album klassischer Stücke" oder „klassische Musik", auch einfach „Klassik", pauschal für die Kunstmusik der Vergangenheit beziehungsweise die Kunstmusik überhaupt) ist das Bewußtsein für die absolut normsetzenden Eigenschaften des Klassischen nicht geschwunden. Die Bezeichnung „Wiener Klassik" für die Musik der „Wiener Klassiker" J. Haydn, W. A. Mozart und L. van Beethoven setzte sich seit dem Ende des

Klassik 19. Jh. als Epoche und als Stil in der Musik in Analogie zur „Klassik" der Hochrenaissance (J. Burckhardt, H. Wölfflin) und zur „Weimarer Klassik" J. W. von Goethes und Fr. von Schillers sowie in Abhebung gegen die „romantische" Epoche allgemein durch. Die Auffassung der Wiener klassischen Musik als einer höchsten, zeitlos gültigen und schlechthin vorbildlichen Stufe der Musik, in der die Idee des Werkhaften zu allseitig vollendeter Ausprägung gelangt war, bahnte sich aber bereits zu Lebzeiten Beethovens an. Vereinzelt sprach man sogar von der „classischen Periode" der Musik (A. Wendt, 1836). Als die eigentliche Domäne der Wiener Klassiker galt bei Zeitgenossen und Nachlebenden die autonome Instrumentalmusik der Symphonien, Konzerte und der Kammermusik. Mozarts Opern dagegen wurden zwar von Kennern als Ausnahmewerke beurteilt, doch hat man sie zu ihrer Zeit vornehmlich an der beherrschenden italienischen Tradition gemessen. Das Bild der Wiener Klassik als Geistesgemeinschaft und als Musik unüberschreitbaren Ranges ist seit dem frühen 19. Jh., ungeachtet des Wandels der Interpretation und trotz unleugbarer Verständnisschwankungen und exemplarischer Mißdeutungen bemerkenswert stabil geblieben. Dreimal in verschiedener Gestalt ist die Wiener Klassik zur Vollendung gelangt. Die Ansicht, es habe Mozart Haydn vollendet und Beethoven Mozart fortgesetzt, ist irrig, trotz des geistigen Austausches, der sich in ihrem Werk dokumentiert und der engen persönlichen Beziehung zwischen Haydn und Mozart sowie Haydn und Beethoven. Die innere Zusammengehörigkeit der Wiener klassischen Musik über die Generationsgrenzen, die je eigene Individualität und den epochalen Wandel hinweg (Französische Revolution, 1789; Napoleonische Ära; Heraufkommen des bürgerlichen Zeitalters) ist zum einen bedingt durch das Wirken in den besonderen Kultur- und Lebensformen ihrer gemeinsamen Wahlheimat Wien, zum andern durch persönlichen Umgang, vor allem aber durch eine aus äußeren Umständen nicht ableitbare Geistesgemeinschaft. Die Musik Haydns und Mozarts trat etwa gleichzeitig um 1780 in die klassische Phase; das Ende dieser Ära ist gegeben durch die Todesjahre Beethovens (1827) und Fr. Schuberts (1828). Die historischen Voraussetzungen der Wiener Klassik sind indessen in der europäischen Musik seit etwa 1730 greifbar. Insbesondere in der neuen Gattung der italienischen Opera buffa, die um 1730 feste Gestalt annahm und die Opera seria an Aktualität bald weit überflügelte, trat ein neuer beweglicher, aktionshaltiger musikalischer Satz in Erscheinung, der eine radikale Abkehr vom episch-ablei-

tenden Prinzip des Generalbaßkomponierens, somit vom Generalbaßzeitalter, bedeutete. Steter Wechsel im Motivisch-Melodischen, Kleingliedrigkeit, formelhafte Agilität, neue Kantabilität und melodisch geschlossene Formung sowie feste, überschaubare Architektur durch rationale metrische Verhältnisse und meist regelmäßige, symmetrisch angeordnete Taktgruppierungen (2 + 2, 4 + 4 usw.) kennzeichnen den Umbruch des musikalischen Denkens, das von der italienischen Opernsinfonia auf die Instrumentalmusik, mit ihren Zentren um 1750 in Mannheim, Paris, Wien und London, übergriff. Die alten, vom Generalbaßkomponieren geprägten Gattungen Triosonate und Concerto grosso wurden abgelöst durch den zunächst (als italienische Opernsinfonia) 3sätzigen, nach Einführung des Menuetts 4sätzigen Zyklus von Symphonie, Streichquartett, Klaviersonate und verwandten Gattungen. Diese neue Instrumentalmusik, der sich partiell die Begriffe „galanter Stil", „Empfindsamkeit", „Sturm und Drang" und „Aufklärung" zuordnen lassen, wurde repräsentiert u. a. durch J. Stamitz (Mannheim), J. Chr. Bach (London), N. Jommelli (Stuttgart), J. Schobert (Paris), G. Chr. Wagenseil (Wien) und G. B. Sammartini (Mailand). Die gegenüber den „Mannheimern" im Ansatz konservativere Berliner Schule wurde um so bedeutender vertreten durch C. Ph. E. Bach, der vor allem durch seine Klaviermusik gewirkt hat. Die Wirkung seiner Musik auf Haydn war beträchtlich. In der Oper (Opera buffa und Opera seria) waren bis ins 19. Jh. italienische Komponisten führend (B. Galuppi, P. Anfossi, G. Paisiello, D. Cimarosa u. a.). So sehr die Wiener Klassiker vornehmlich in ihrer Jugend von der Musik der Zeitgenossen angeregt wurden (Mozart insbesondere durch J. Chr. Bach, durch die „Mannheimer" Komponisten der 2. Generation und durch die italienische Oper), die Tradition der „vorklassischen" Musik hielt und wandelte sich, von der Wiener Klassik nur oberflächlich berührt, in ihren eigenen Bahnen und ging später auf in der neuen „romantischen" Musik. Es ist historisch ebenso irreführend, die Klassik als gereifte, veredelte „Vorklassik" zu verstehen, wie die Generationsgenossen Mozarts und Beethovens der Klassik zuzurechnen. Durch die nach 1780 einsetzende europäische Wirkung der Wiener klassischen Instrumentalmusik ergab sich allerdings insofern eine neue Situation, als der höchste Kunst- und Werkanspruch in der Komposition nunmehr unverzichtbar geworden, eine unverrückbare Norm des Kunstcharakters gegeben war, ohne daß eine Fortsetzung oder Nachfolge im Sinne des Vorbilds denkbar gewesen wäre. Im Zeichen dieses Zwiespalts, von dem nur die Oper ausgenommen blieb, 361

Klassik steht in verschiedener Weise die gesamte Musik des 19. Jahrhunderts. Die Wiener Klassiker sind keine Wiener gewesen: Haydn stammte aus dem niederösterreichischen Rohrau, Mozart war süddeutsch-österreichischer Herkunft (Augsburg, Salzburg), Beethoven gebürtiger Rheinländer (Bonn) mit Vorfahren aus dem flämischen Brabant. Wesentliche Bedingung ihres Wirkens in Wien war indessen die einzigartige Stellung Wiens als Kaiserstadt und als Schnittpunkt der Kulturen (Süden, Osten, Westen). Das Europäische verband sich mit der noch vom Barock geprägten bodenständigen und stabilen Lebensform, die auch die gesellschaftlichen Gegensätze ausglich. Nur in abgeschwächter Form fanden die neuen Ideen des Zeitalters (z. B. die Aufklärung) Eingang. So erklärt sich, daß Beethoven in Wien keine wesentlich veränderten Existenz- und Schaffensbedingungen vorfand als Haydn und Mozart. Es war dieselbe, vielfach bürgerlich gesinnte, geistig hochsensible, der Kunst besonders aufgeschlossene, in Anspruch und Geltung ungebrochen aristokratische Schicht des höheren und mittleren Adels (nicht des Kaiserhauses!), bei der die drei Wiener Klassiker Förderung, Umgang, vor allem Verständnis fanden. Namentlich die Konzerte in den Adelspalästen mit ihrem zugleich repräsentativ-öffentlichen, doch von persönlich-privater Kennerschaft geprägten Charakter, wurden eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung der Wiener klassischen Musik. Im Musikleben kam es zu einer Trennung von professionellem Konzertwesen und privater Musikausübung erst nach Beethovens Tod. Der Wiener Klassik entspricht somit eine gesellschaftliche Ausnahmesituation im damaligen Europa. Mozart und Beethoven lösten sich ausdrücklich vom fürstlich-höfischen Dienst, ohne jedoch in gesellschaftliche Isolierung zu geraten, obwohl sich in den letzten Lebensjahren Mozarts und beim späten Beethoven die für das 19. Jh. typische innere Vereinsamung des Künstlers zeichenhaft andeutete. Haydn, der die längste Zeit seines Lebens im Dienst der Fürsten Esterházy stand, begann seine Komponistenlaufbahn zu einer Zeit (um 1750), da die neuen Gattungen (Symphonie, Sonate, Streichquartett) im österreichisch-süddeutschen Raum noch nicht konsolidiert waren. In den 70er Jahren setzte sein europäischer Ruhm ein. Haydn legte in seinen etwa 83 (bzw. 68) Streichquartetten (zw. 1755 und 1803) und 104 Symphonien (zw. etwa 1755 und 1795) den Grund der Wiener klassischen Musik. Durch Haydn wurde das Streichquartett zum Idealfall der Kammermusik, die Symphonie zum Idealfall großer orchestraler Musik höchsten Kunstanspruchs. Die exemplari362

sche und normsetzende Vierstimmigkeit des Streichquartetts, in das im Frühwerk Haydns auch die bodenständige Serenadentradition einfloß, wurde darüber hinaus zum Inbegriff des in strengster Weise durchgeformten und zugleich freien Satzes. In keiner anderen Gattung stehen Haydn, Mozart und Beethoven einander so nahe. Die unerhörte Folgerichtigkeit, die Universalität, der prinzipielle Charakter, die geistige Intensität und Luzidität, die vornehmlich in Haydns Streichquartetten und Symphonien walten, lassen sich allenfalls mit der denkerischen Tat in Kants drei „Kritiken" vergleichen (Kritik der reinen Vernunft, 1781). Schon in den frühesten Werken Haydns machte sich unüberhörbar Originalität und Freiheit im Umgang mit den Elementen des musikalischen Satzes bemerkbar. Insbesondere die Konstruktion kommt stets auf neue, unerwartete Weise zustande. Das gegenüber der zeitgenössischen Musik Neuartige besteht im eigenwilligen Zugriff bei der Herstellung der Werkeinheit, die nicht mehr als präformierte erscheint. Seine klassische Reife erreichte Haydn in den 6 auf „gantz neue besondere art" komponierten „Russischen" Quartetten, op. 33 (1781). Die Vielfalt der motivisch-thematischen Gebilde wird restlos durch einen neuen tektonischen Geist erfaßt, eine neue Freiheit durch Strenge gewonnen. Die Summe seiner symphonischen Konzeption, die in ihren Anfängen auch auf Elemente des Solokonzerts, des Concerto grosso und auf polyphone Gattungen zurückgreift, zieht Haydn in den 6 Pariser Symphonien Nr. 82-87 (1785 bis 1786), den Symphonien Nr. 88-92 (1787-88) und schließlich in den 12 Londoner Symphonien Nr. 93 bis 98 (1791-92) und Nr. 99-104 (1793-95). Die beiden Oratorien Die Schöpfung (1798) und Die Jahreszeiten (1801) besiegeln sein Lebenswerk monumental. Den menschheitsverbindenden Ton gerade dieser Werke hat Beethoven später aufgenommen. Mit unerschöpflicher Vielseitigkeit widmete sich Haydn auch anderen Gattungen (Oper, Divertimento, Konzert, Sonate, Klaviertrio u. a.). In den kirchenmusikalischen Werken Haydns und Mozarts zeigt sich am deutlichsten die Verwurzelung der Wiener Klassik im katholisch-süddeutschen Kulturraum. Die Kirchenmusik Haydns (vorab die späten Messen) und Mozarts (vor allem die beiden Fragmente des Requiems und der cmoll-Messe) übersteigen diese Tradition, ohne sie jedoch zu durchbrechen. Die innere und äußere Universalität ist bei Mozart anders begründet. Auf den Reisen als Wunderkind durch Europa lernte er die Musik seiner Zeit an ihrer Quelle kennen, nahm alle Traditionen auf: in Italien die der Oper, in London, Mannheim und Pa-

Klassik ris die der Instrumentalmusik. Bereits in den frühesten Kompositionen ist indessen ein Ton der Ursprünglichkeit vernehmbar, der über die Aneignung der bestehenden Gattungen hinausgeht, die Konvention in ihrem Kern verwandelt, die kompositorischen Mittel und die Gattungsvorstellung gleichsam neu konstituiert. Nur scheinbar betritt Mozart die Bahnen des Vorgefundenen. Von Kantabilität durchwirkte Beseelung und Spontaneität, gepaart mit tektonischem Geist, kennzeichnen schon das Frühwerk Mozarts, das in mehreren Phasen bis in die späten 70er Jahre reicht. Im Unterschied zu Haydn stand bei Mozart von Anfang an die Oper gleichgewichtig neben der Instrumentalmusik, bis 1780 vor allem die Opera seria, später die Opera buffa und das deutsche Singspiel. Am Ende der Jugendperiode in Schaffen und Biographie — 1781 ließ sich Mozart in Wien nieder — entstand als Werk von ungeahnter Glut und Fülle die Opera seria Idomeneo (1780/81), die den Maßstab der zeitgenössischen Opernproduktion sprengte. Der musikalische Gehalt durchdringt jedoch noch nicht restlos auch die Bühnenaktion. Der Gleichklang von Musik und dramatischem Geschehen ist erst erreicht in der Entführung aus dem Serail (1781/82), in den großen Buffaopern Le nozze di Figaro (1786), Don Giovanni (1787), Cosi fan tutte (1790) sowie mit letzter Vergeistigung in der Zauberflöte (1791). In diesen Werken, von denen jedes der klassischen Werkidee entsprechend eine Welt für sich ist, trat die Wiener Klassik als musikalisches Theater, und zwar als Komödie in Erscheinung. (In der späten Opera seria La clemenza di Tito, 1791, fand eine letzte Auseinandersetzung mit dem ernsten Operngenre statt.) Darüber hinaus verknüpfte sich mit Mozarts Opern die Vorstellung des Idealfalls von musikalischem Theater. Mit seinen Klavierkonzerten der Wiener Jahre wurde Mozart der Schöpfer des klassischen Konzerts, das durch Beethovens 5 Klavierkonzerte nochmals ein neues, unverwechselbares Gesicht erhielt. In Mozarts und Beethovens Konzerten ging das Prinzip des aufeinander bezogenen Wechsels von Tutti und Solo eine enge Verbindung mit der klassischen orchestralen Architektur ein. Den Weg zur Mozartschen Klassik in Symphonie und Streichquartett wies Haydn. Dies dokumentieren die „Linzer" Symphonie, KV 425 (1783) und die 6 Haydn gewidmeten Streichquartette (1782-85), die Mozart in der Vorrede Frucht einer „lunga e laboriosa fatica" nennt. Hingegen dürfte der Vorgang Mozarts mit der „Prager" Symphonic, KV 503 (1786) und mit der Trias der Symphonien Es-Dur, KV 543, g -moll, KV 550 und C-Dur, KV 551 (1788) für die Konzeption von Haydns „Londoner" Symphonien von Bedeutung

gewesen sein. Mozarts Musik ist die Mitte der Klassik: Hier zeigte sich klassische Vollendung als Eigenschaft jedes Teilgebildes, als die vollkommene Durchdringung von komplexer Konstruktion und Beseelung. Wie Mozart durch seinen Vater Leopold genoB auch Beethoven seit früher Jugend eine strenge Schule. Der geplante Unterricht bei Mozart (1787) kam nicht zustande. Als Beethoven 1792 nach Wien reiste, um bei Haydn Unterricht zu nehmen, begleitete den 22jährigen die prophetische Stammbucheintragung des befreundeten Grafen Waldstein. Sie schließt mit den Worten: „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts Geist aus Haydens Händen." In Beethovens 16 Streichquartetten, 9 Symphonien und den Konzerten kam es nochmals (um mit Hegel zu sprechen) zur „Phänomenologie" des klassischen Geistes in der Musik. Mit dem Korpus der 32 Klaviersonaten trat auch diese Gattung ins Zentrum der klassischen Musik. Klassische Struktur und Werkkonzeption nehmen bei Beethoven, dessen Persönlichkeit das Bild von Genie und Größe bis heute bestimmt, einen unerbittlichen, willens- und ethosgeprägten, gewaltig anrufenden Ton an. Eher an Haydn als an Mozart anknüpfend, läßt Beethoven das Werkganze aus dichtester thematisch-motivischer Arbeit in allen Stimmen (obligates Accompagnement) entstehen. Die für das musikalische Denken der Wiener Klassiker prinzipielle Freiheit und Vielfalt in der Disposition der Gebilde ist dadurch nicht im geringsten beeinträchtigt. Ebensowenig verlieren das Kadenzgefüge und das taktmetrische Bezugssystem ihre Festigkeit. Die Großräumigkeit und Gedrängtheit der musikalischen Architektur, deren allgemeine Anlage wie bei Haydn und Mozart aus der Abfolge eines tonal aufstellenden Teils (Exposition: T—D), eines auf der elementaren Vorstellung des Ganges beruhenden labilen Mittelteils (Durchführung) und eines die endgültige Fügung der Gebilde herstellenden Teils (Reprise: T—T) steht, nimmt bei Beethoven eher noch zu. Stärker wird auch das Verfahren der Variation einbezogen. Mit neuer Ausdrücklichkeit kommt die Werkindividualität zur Geltung. So gelangt Beethoven in den Symphonien seit der „Dritten", der „Eroica", op. 55 (1803) zu je einmaligen Lösungen. Bestimmende „poetische Ideen" sind (z. B. in der „Sinfonia eroica" oder in der „Sechsten", der „Pastorale") so sehr im autonomen Gefüge verankert, daß sich jede Parallele zur meist literarisch vermittelten späteren Programmusik oder symphonischen Dichtung verbietet. Auch im Spätwerk (seit etwa 1816: die 5 letzten Klaviersonaten, die 5 letzten Quartette, 9. Symphonie, Missa solemnis) dokumentiert sich weniger 363

Klassik Annäherung an die „romantische" Musik als schroffe Abgrenzung. Unter den größten Belastungen, denen Beethoven die musikalischen Elemente aussetzt, bewährt sich Schlüssigkeit, Autonomie und innere Festigkeit der klassischen Bauweise. Die Spätwerke sind Beethovens letztes Wort, ein letztes Wort der Musik im allgemeinen und der Wiener Klassik im besonderen, insofern als in ihnen die extreme Vielschichtigkeit, der unerhörte Anspruch und die geistige Dichte der Wiener klassischen Musik unüberhörbar zutage tritt. Beethovens Spätwerk ist daher nicht Auflösung, sondern Besiegelung der Wiener Klassik. Die Wiener Klassik ist streng genommen weder Stil noch Epoche der Musik, da sie sich ausschließlich im Sinngefüge der Werke Haydns, Mozarts und Beethovens verwirklicht. Nur Schuberts Welt des Lieds steht der Wiener Klassik an Gewicht und Universalität der Aussage nahe. Schuberts Gesamtwerk hebt sich außerdem ebenso entschieden von der späteren Musik ab. Der Werkbegriff der Wiener Klassik ist begründet in einer neuen Bewußtheit des Komponierens, die sich vor allem im Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen bekundet. In jedem Augenblick des musikalischen Prozesses ist das Ganze gegenwärtig. Musik wurde ausdrücklich als Bleibendes, Dauerhaftes konzipiert. Mit der neuen Bewußtheit des kompositorischen Aktes ist die Geistigkeit des musikalischen Sinns gegeben. Die Vergeistigung aber ist restlos durchtränkt von Empfindung. So tritt in dieser Musik die Idee des seiner selbst bewußten Subjekts (nicht das Subjektive) hervor. Strenge der Tektonik, der Konstruktion erscheint als Freiheit, als freies spielerisch überlegenes Walten der Phantasie. Darin zeigt sich die Wiener Klassik den Kantschen Denkpositionen nahe (Auflösung des Widerspruchs zwischen Freiheit und Notwendigkeit), und deshalb spricht aus ihr der höchste denkbare Begriff von Menschenwürde. Die im Werk zutage tretende Notwendigkeit des So-und-nicht-Anders erscheint als Spontaneität, Willkür, Freiheit des Zu- und Eingriffs. Der zutiefst humane Gehalt im Sinne Schillers ist in der Wiener klassischen Musik wesentlich bedingt durch das befreiende Spiel, dessen deutlichstes Indiz die stets von innerer Wachheit bewegte, nie formelhaft mechanisierte und poetisch (romantisch) verklärte Figuration ist. In der Wiener Klassik scheint außerdem die Antinomie zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen aufgehoben. Das Allgemeine kommt im Gewande des Besonderen (der besonderen Werkstruktur) zum Vorschein. Dies bedeutet: Die Elemente des Komponierens behalten ihr allgemein Verbindliches und bilden einen sinnvollen Zusammenhang doch nur durch ihre besondere Fü364

gung im einzelnen Werk. Wie früher Gattung und Satzverfahren das einzelne Werk legitimierten, so legitimiert nunmehr die besondere Werkstruktur die Gattung. Die Auflösung der Gattungsvorstellung und eines gesicherten kompositorischen Handwerks zu Beginn des 19. Jh. ist nicht zuletzt eine Auswirkung der Wiener Klassik gewesen. Zum letzten Mal in der europäischen Geschichte erfüllte die Musik die Aufgabe der Herstellung einer als allgemein gültig empfundenen objektiven Ordnung, und zwar im Sinne des im frühen Mittelalter für die Mehrstimmigkeit formulierten Prinzips der Concordia discors. Der Bau eines harmonisch gefügten Ganzen aus heterogenen Elementen wird in der Wiener klassischen Musik als „antagonistische Struktur" ins kompositorische Bewußtsein gehoben. Mit dem restlosen Übereinkommen von rationaler, objektiv hergestellter Ordnung (auch Konstruktion) und Empfindung ist jedoch eine Grenzposition eingenommen, ein Endpunkt erreicht (wie aus dem Spätwerk Beethovens klar wird): Musik kommt als Kompositionsakt zum Bewußtsein ihrer selbst. Dies geschieht in erster Linie durch die kompositorisch auf allen Ebenen (vor allem der Takt- und Kadenzmetrik) bewältigte Zeit. Die in der Würde und Einmaligkeit des Augenblicks musikalisch bewußt gewordene Zeit verleiht den Tongebilden Dauer. Gedächtnis ist der Einheit stiftende Grundimpuls der Wiener klassischen Musik, Gedächtnis wird somit auch beim Hörer aktiviert. Die Entelechie und die Finalität, von denen die Werke und das Kompositionsverfahren Haydns, Mozarts und Beethovens geprägt sind, die Tatsache, daß eine letzte Autonomie der musikalischen Sinnbeziehungen, letzte Vollendung und Durchformung der Gebilde erreicht wurden, außerdem die immanente Universalität und allgemeine Verbindlichkeit der musikalischen Sprache (die nicht auf eine Synthese des Bestehenden zurückzuführen ist) bestimmen den geschichtlichen Ort der Wiener Klassik. Sie steht am Ende des aristokratisch-höfischen Zeitalters, setzte zwar eine Adelskultur voraus, löste sich jedoch gänzlich vom Boden der höf ischen Musik. Dem geschärften Blick mag die Wiener Klassik als die letzte, im kritischen Augenblick der Wende vernehmbare Bekundung einer Welt erscheinen, die in der Antike beginnt und bis zum Anbruch des bürgerlichen Zeitalters reicht. Lit.: 1) Allgemeine WW: H. WÖLFFLIN, Die klass. Kunst (Mn 1899); F. STICH, Dt. K. u. Romantik oder Vollendung u. Unendlichkeit (Mn 1922); H. ROSE, K. als künstlerische Denkform (Mn 1937); Concinnitas. Beitr. z. Problem des Klassischen. FS H. Wölfflin (Bas — St 1944); Das Problem des Klassischen u. die Antike. Acht Vorträge Naumburg 1930, hrsg. v. W. JAEGER (L 1933, Nachdr. St 1961); H.-G. GADAMER, Wahrheit u. Methode. Grundzüge einer philos. Hermeneutik (Tü 2 1965) (bes.

Klausel S. 269-275): R. WELLEK, Das Wort u. der Begriff „Klassizismus" in der Literaturgesch., in: Schweizer Monatshefte 45 (1965/66); H. WÖLFFLIN, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (Mn 1915, "1970); E. SCHMALZRIEDT, Inhumane K. Vorlesung wider ein Bildungsklischee (Mn 1971); Begriffsbestimmung der K. u. des Klassischen, hrsg. v. H. O. BURGER, in: Wiss. Buchges. (1972); TH. GELZER, K. u. Klassizismus, in: Gymnasium 82 (1975). — 2) WW über K. in der Musik: W. FISCHER, Zur Entwicklungsgesch. des Wiener klass. Stils, in: StMw 3 (1915); G. BECKING, K. u. Romantik, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1925 (L 1926); A. SCHMITZ, Das romantische Beethovenbild (B—Bonn 1927); E. BUCKEN, Die Musik des Rokoko und der K. (Pd 1927) (= Handbuch der Musikwiss., hrsg. v. dems., o. Nr.); P. MIES, Zur Musikauffassung u. Stil der K., in: ZfMw 13 (1930/31); K. WESTPHAL, Der Begriff der musikal. Form in der Wiener K. (L 1935); A. DAMERINI, Classicismo e romanticismo nella musica (Fi 1942); R. GERBER, Klass. Stil in der Musik, in: Die Sammlung 4 (1949); TH. G. GEORGIADES, Aus der Musiksprache des Mozart-Theaters, in: Mozart-Jb. 1950, u. Zur Musiksprache der Wiener Klassiker, in: ebd. 1951, Wiederabdruck in: Kleine Schriften (Tutzing 1977) (= Münchner Veröff. z Musikgesch. 26); H. TISCHLER, Classicism, Romanticism and Music, in: MR 14 (1953); J. C. SINGLETON, The Rationality of 18th Century Musical Classicism ... , 2 Bde. (NY 1954); F. BLUME, K., in: MGG VII; W. S. NEWMAN, The Sonata in the Classic Era (Chapel Hill/N.C. 1963); L. FINSCHER, Zum Begriff der K. in der Musik, in: DJbMw 11 (1966); TH. E. HEGER, Music of the Classic Period (Iowa City 1969); H. CH. R. LANDON, Essays on the Viennese Classical Style. Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven (Lo 1970); H. H. EGGEBRECHT, Versuch über die Wiener K. Die Tanzszene in Mozarts „Don Giovanni" (Wie 1972) (= Beih. z. AfMw 12); R. G. PAULY, Music in the Classic Period (Englewood Cliffs/N.J. 1973); E. H. MEYER, Musik der Renaissance, Aufklärung, K. (L 1973); A. FORCHERT, „Klassisch" u. „romantisch" in der Musikliteratur des frühen 19. Jh., in: Mf 31 (1978); S. KUNZE, Die Wiener K. u. ihre Epoche. Zur Situierung der Musik v. Haydn, Mozart u. Beethoven, in: Studi musicali 7 (1978); DERS., Mozarts Don Giovanni u. die Tanzszene im ersten Finale. Grenzen des klass. Komponierens, Exkurs 2: Über das Prinzip des klass. Komponierens, in: Anal. Mus. 18 (1978); G. PESTELLI, L'età di Mozart e di Beethoven, in: Storia della musica VI (Tn 1979). S. KUNZE

hervorging, heißen (nach Fr. Ludwig) Kl.n (/Organum). — 2) Mit den seit dem frühen 14. Jh. überlieferten Begriffen „apertum" und „clausum" wurden schon melodische Schlußformeln des Mittelalters unterschieden: clausum (= geschlossen) bezeichnet den Ganzschluß auf der Finalis, apertum (= offen) den Halbschluß auf einem anderen Ton. K. (Clausula, oft synonym dazu auch Cadentia, /Kadenz) ist dann in der mehrstimmigen Musik des 15.-16. Jh. die Bz. für bestimmte formelhafte melodische Schlußwendungen, die sich seit dem 15.Jh. in den einzelnen Stimmen ausprägten und — nach der charakteristischen Fortschreitung von der vorletzten Note (Paenultima) zur Finalis (Ultima) — als Tenor-, Diskant- oder Baß-K. bezeichnet werden;

die Baß-K. ausgenommen, sind die K.n zwischen den Stimmen austauschbar. Die Diskant-K. — der Sekundschritt von der Paenultima aufwärts zur Ultima mit vorangehender Vorhaltsbildung auf der Antepaenultima — kann als vereinfachte Form der 7Landino-Klausel angesehen werden: ~~

A

J. Ockeghem

G. Dufay

KLAUSEL (lat. clausula, von claudere = schließen). — 1) In der mittelalterlichen Musik Bz. für einen bestimmten musikalischen Abschnitt. Die mehrstimmige Musik der Notre-Dame-Zeit (um 1150-1250) ist stilistisch durch den satztechnischen Kontrast von organalen und Discantus-Partien gekennzeichnet: Organale Abschnitte zeigen im Tenor orgelpunktartig gedehnte Cantus firmus-Töne, während die Oberstimme(n) reich melismatisch geführt werden; Discantus-Partien dagegen weisen einen lebhafteren Tenor mit rhythmisch gestrafften Cantus firmus-Tönen auf, bei entsprechend kürzeren Melismen der Oberstimme(n). Galt Leoninus als der Meister des organalen, so Perotinus als der des Discantus-Stils: Das Hauptwerk von Leoninus, den Magnus liber organi, eine Sammlung 2st. Organa, arbeitete er um und ergänzte es in den Discantus-Partien durch eine Fülle von Neukompositionen. Diese von Perotinus neu komponierten Ersatzpartien, aus denen durch Textierung die /Motette

r r

Die Alt-K. zeigt Tonwiederholung (seit dem späten 15. Jh. auch einen Terzfall), die Tenor-K. einen (meist von der Terz als Antepaenultima ausgehenden) Ganztonschritt abwärts zur Finalis. Abweichend von dem früher auch gebräuchlichen Oktavsprung des Contratenors ist die Baß-K. durch einen

G. Dufay

Quintfall (oder einen Quartsprung aufwärts) bestimmt (vgl. das Beispiel von Ockeghem; /Kadenz). Die Kompositionslehre des 16.-18.Jh. unterschied je nach der Tonstufe einer Tonart (z. B. Modus major in F), auf der die K.n zu stehen kommen, zwi365

Klaviatur schen einer Clausula primaria (auf F), secundaria (auf C) und tertiaria (auf A) sowie peregrina (auf D und auf G). Es gab ferner außer den genannten regulären K.n zahlreiche irreguläre Wendungen und Kombinationen, die oft im Dienst eines bestimmten Wortausdrucks verwendet wurden und in den Bereich der musikalisch-rhetorischen /Figuren gehörten. Lit.: F. LUDWIG, Die liturg. Organa Leonins u. Perotins, in: FS H. Riemann (L 1909); H. BESSELER, Bourdon u. Fauxbourdon (L 1950, 21974); B. MEIER, Die Harmonik im c.-f.-haltigen Satz des 15. Jh., in: AfMw 9 (1952); M. BUKOFZER, Interrelations Between Conductus and Clausula, in: Ann. Mus. 1 (1953); A. SCHMITZ. Die Kadenz als Ornamentum musicae, in: Kgr.Ber. Bamberg 1953 (Kas 1954); R. JAKOBY, Unters. über die Klausellehre in dt. Musiktraktaten des 17. Jh. (Diss. Mz 1955); L. FINSCHER, Tonale Ordnungen am Beginn der Neuzeit, in: Musikal. Zeitfragen 10, hrsg. v. W. Wiora (Kas 1962); N.E. SMITH, The clausulae of the Notre-Dame School, 3 Bde. (1964) (= Diss. Yale Univ./Conn.); F. RECKOW, Der Musiktraktat des Anon. 4, Teil II: Interpretation der Organum purum Lehre (Wie 1967) (= Beih. z. AfMw 5); G. A. ANDERSON, Clausulae or Transcribed Motets in the Florence Manuscript?, in: AMI 42 (1970); J. STENZL, Die vierzig Clausulae der Hs. Paris Bibl. Nat. Lat. 15139 (Be 1970) (= Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Ges. II/22); B. MEIER, Die Tonarten der klass. Vokalpolyphonie (Utrecht 1974). C. KÜHN

KLAVIATUR (von lat. clavis = Schlüssel; engl.: keyboard; frz.: clavier; it.: tastiera; span.: teclado), Bz. für eine Reihe von Hebeln (Tasten), die, mit Händen (/Manual) oder Füßen (/Pedal) gespielt, eine Mechanik (Klavier, Cembalo, Clavichord, Spinett, Hammerklavier, Pianoforte, Glockenspiel, Celesta, Drehleier u. ä.) oder eine Traktur (Orgel) in Tätigkeit setzen, um Saiten bzw. Pfeifen bei

Tasteninstrumenten zum Erklingen zu bringen. Bei der Orgel hat die Manual-K. heute gewöhnlich einen Umfang von 4 1 /2 Oktaven (C—f 3), ausnahmsweise 5 Oktaven (C—c4), die der italienischen Orgel 4 Oktaven (G—f3), die Pedal-K. 2 1 /2 Oktaven (C—f 1 ). Die heutigen Klaviere und Flügel haben einen K.-Umfang von 7 1 /2 Oktaven (A2 —c5), es gibt aber auch Konzertflügel mit 8 Oktaven. Die Anzahl der K.en bei der Orgel kann bis zu 5 betragen (ausnahmsweise 7 wie bei der amerikanischen Riesenorgel in Atlantic City), das Cembalo hat in der Regel 2 Klaviaturen. KLAVIER, bis zum 19. Jh. Clavier (von lat. clavis = Schlüssel; engl. u. frz.: piano; it.: pianoforte). Begriff. Unter Claves (/Clavis) verstand man im späten Mittelalter sowohl die Tangenten der Radleier als auch die Tasten der Orgel. Zu welchem Zeitpunkt die Übertragung des Begriffs auf die besaiteten Tasteninstrumente vorgenommen wurde, läßt sich bei der gegenwärtigen Kenntnis der Quellenlage nicht exakt bestimmen. Bereits im 16. Jh. 366

wurden die Manuale und das Pedal der Orgel als Claviere bezeichnet. Das 18. Jh. verstand unter Clavier das besonders in Deutschland verbreitete /Clavichord. Das /Cembalo, dessen Saiten durch Kiele angerissen werden, wurde in Abgrenzung zum Clavier als /Flügel bezeichnet. Erst im 19. Jh. wurde der Begriff K. für besaitete Tasteninstrumente mit Hammermechanik allgemein angewendet. Geschichte. Die Geschichte des K.s beginnt mit der Konstruktion eines Gravecembalo col piano e forte, das 1709 durch B. Cristofori vorgestellt wurde. Die Hammermechanik dieses Instruments, bei der die Hammerköpfe aus Pergament gefertigt waren, ist nicht denkbar ohne vorausgegangene Arbeiten anderer Instrumentenbauer. Von der Mitte des 15. Jh. an lassen zahlreiche Berichte über Hammermechaniken und Instrumente mit Konstruktionen, die ein piano e forte-Spiel zuließen, deutlich werden, daß die Erfindung eines Tasteninstrumentes mit Hammermechanik nicht erst im 18. Jh. angesetzt werden kann. Bereits H. Arnault beschrieb in seinen detaillierte Angaben über den Instrumentenbau des 15. Jh. enthaltenden Traktaten u. a. eine Tangentenmechanik für ein K.-Instrument: ein auf dem hinteren Ende eines zweiarmigen Tastenhebels senkrecht stehendes Konstruktionselement wird von unten an die Saite geführt; eine Technik, die im 18. Jh. durch Chr. G. Schröter in Dresden und Späth & Schmahl in Regensburg in vervollkommneter Weise für den Tangentenflügel angewendet wurde. Als wichtige Quelle gilt auch A. Kirchers 1673 erschienene Phonurgia nova, in der ein von Michael Todini erbautes Universalinstrument (Klaviorganum) beschrieben wird, dessen drei „Clavicymbali" durch „marculi" (= Hämmerchen) angeschlagen wurden. Es liegt nahe, die Entwicklung der frühen Hammermechaniken in enger Verbindung zu dem seit dem Mittelalter bekannten /Hackbrett zu sehen. Aufsehen erregte auch ein von P. Hebenstreit erfundenes, tatsächlich aber nur umkonstruiertes Instrument, das „Pantaleon". Es war ein überdimensioniertes, mit Stahl- und umsponnenen Darmsaiten bespanntes Hackbrett, das, mit Klöppeln gespielt, ein dem frühen Hammerklavier vergleichbares Klangresultat bot; eine Dämpfung war nicht vorhanden. Der Orgel- und K.-Bauer G. Silbermann baute es in Hebenstreits Auftrag in seiner Freiberger Werkstatt und wurde so intensiv mit der Problematik der angeschlagenen Saite konfrontiert. 1705 führte Hebenstreit sein Instrument am Hofe Ludwigs XIV. mit großem Erfolg vor. Bereits 1716 konstruierte der französische Instrumentenmacher Jean Marius ein Clavecin à maillet, ein Modell mit aufwärts- und eines

Klavier

o HAMMERMECHANIK NACH CRISTOFORI

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mit abwärtsschlagender Hammermechanik. Ebenso wurde der Organist und Instrumentenmacher Chr. G. Schröter durch Hebenstreits Pantaleon zur Konstruktion einer entsprechenden Mechanik angeregt (1717). Jedenfalls war das Interesse für ein Tasteninstrument mit Hammermechanik zu Beginn des 18. Jh. bereits so groß, daß nach einem Bericht Schröters von 1721 in 20 Städten entsprechende Instrumente gebaut wurden. — Cristoforis Gravecembalo wurde 1711 von Marchese Maffei im Giornale dei Letterati di Venezia beschrieben, erst 1725 jedoch erschien eine Übersetzung (von Johann Ulrich König) des Berichtes von Maffei in J. Matthesons Critica musica. Von den bis 1725 zum Vergleich anstehenden Hammermechaniken war Cristoforis Konstruktion wohl die perfekteste. Dabei handelte es sich um eine Stoßmechanik mit Auslösung, bei der die auf einem Hammerstuhl befestigten Hämmer durch bewegliche Stoßzungen losgelöst wurden. Differenzierbare Tonstärke und hohe Repetitionsgeschwindigkeit waren weitere Merkmale. Für die Entwicklung des K.-Baues bis hin zum modernen Flügel blieb diese Mechanik richtungsweisend. G. Silbermann lernte die Schrift über Cristoforis Gravecembalo, samt einer Skizze der Mechanik,

1 Klaviaturrahmen; 2 Filz- oder Ledergarnierung; 3 Taste; 4 Tastenbelag u. Stirnplättchen; 5 Waagebalkenstift; 6 Hebegliedsattel; 7 Hebeglied; 8 Hebegliedachse; 9 Bleigewicht; 10 Stoßzunge; 11 Stoßzungenfeder; 12 Stoßzungenachse; 13 Seidenschnur; 14 Seidenschnurhalter; 15 Hammerleiste; 16 Hammergelenk; 17 Hammerachse; 18 Hammernua; 19 Hammerstiel; 20 Hammerkern; 21 Dämpferwinkelleiste; 22 Dämpferstößel; 23 Dämpferbelederung; 24 Saite; 25 Ledergarnierung

wohl durch den mit ihm befreundeten J. U. König kennen. Nach 1730 baute er jedenfalls — so vermeldete die Zeitung Curiosa Saxonica — ein „neuartiges" Instrument, das er Piano & forte nannte. Aber erst nach 1741, als auch der Straßburger Neffe J. H. Silbermann sich in der Freiberger Werkstatt aufhielt, entstanden Hammerflügel mit der Mechanik Cristoforis. Es kann mit Sicherheit angenommen werden, daß Silbermann ein Instrument Cristoforis zur Verfügung stand, was sich aus hoher Maßgenauigkeit der Mechanikteile im Vergleich zur Mechanik der Instrumente Cristoforis egibt. Auf die Kompositionspraxis der ersten Hälfte des 18. Jh. blieb jedoch Cristoforis Gravecembalo ohne Einfluß. Doch erschienen 1732 Sonate da Cimbalo di piano e forte... da D. Lodovico Giustini da Pistoia. Die erste deutsche Komposition, eine Sonate für Klavicymbel oder Hammer-K. von J. Chr. Fr. Bach entstand erst 1757. J. S. Bach wurde 1747 bei seinem Besuch am Hofe Friedrichs II. mehrere Hammerflügel von G. Silbermann vorgeführt, die von ihm gelobt wurden. Die große Zeit des Hammer-K.s begann jedoch erst nach 1770. Neue Impulse erhielt sein Bau durch den in Augsburg lebenden Orgel- und Klavierbauer J.A. Stein.

O HAMMERMECHANIK NACH STEIN

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1 Klaviaturrahmen; 2 Filz- oder Ledergarnierung; 3 Taste; 4 Tastenbelag; 5 Stirnplättchen; 6 Waagebalkenst ft; 7 Saite; 8 Dampferstuhl; 9 Dampferstößel; 10 Dampferkopf; 11 Dämpferbelederung; 12 Hammerruheleiste; 13 Hammerkopf; 14 Hammerstiel; 15 Hammerkapsel; 16 Hammerachse; 17 Schnabel; 18 Tastenhub-Begrenzungsleiste; 19 Auslösezunge; 20 Feder

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Klavier Im Unterschied zu den Instrumentenbauern der sächsischen Silbermann-Schule, die der Cristofori-Tradition und damit der Stoßmechanik verpflichtet waren, verfeinerte Stein die seit der ersten Hälfte des 18. Jh. bekannte Prellmechanik. Bei der einfachen Prellmechanik, bei der die in einer Kapsel gelagerten Hämmer auf der Taste befestigt sind, wird das mit Leder garnierte hintere Ende des Hammers (Schnabel) beim Niederdrücken der Taste unter eine feststehende, quer hinter der gesamten Mechanik liegende Prelleiste geführt. Dieses Prinzip neigt bei zu niedriger Regulierung zum Ausbleiben des Tones bei schwachem und zu unkontrollierbaren Mehrfachanschlägen bei starkem Anschlag. Die Hammerflügel Steins waren mit einer vervollkommneten Prellmechanik mit Auslösung ausgestattet. Hierbei ist es möglich, den ebenfalls auf dem Tastenhinterarm in einer Kapsel gelagerten Hammer wenige Millimeter vor dem Berühren der Saite von der nunmehr beweglichen Prellzunge zu lösen und den Hammer losgelöst von seinem Antriebsmechanismus an die Saite gelangen zu lassen. Nach erfolgtem Anschlag weicht die mit einer Feder ausgestattete Prellzunge dem Hammerschwanz (Schnabel) in der Weise aus, daß dieser für eine Wiederholung des Tones in seine Ausgangsposition gelangen kann. Bei den frühen Instrumenten Steins waren die Hammerköpfe, ähnlich denen bei Cristofori, ringförmig ausgeführt; Fänger waren nicht vorhanden. Nach dem Tode Steins wurde die Werkstatt von seiner Tochter Nanette — später Frau des Pianisten und Komponisten A. Streicher — und deren Bruder M. A. Stein nach Wien verlegt. Die Prellmechanik mit Auslösung, auch deutsche oder Wiener Mechanik genannt, prägte den Wiener Klavierbau das ganze 19. Jh. hindurch: sie wurde von verschiedenen Firmen bis ins 20. Jh., u. a. von Bösendorfer, verwendet. Zu Gunsten eines kraftvolleren Spieles wurde indes im Laufe der Zeit der etwa 6 mm tiefe Tastengang, der für das ausgehende 18. Jh. typisch ist, vergrößert. Die anfänglich bei der Prellmechanik üblichen Holzkapseln ersetzte man durch solche aus Messing (Wiener Kapseln) zusammen mit spitzengelagerten Hämmern. Fänger, durch Schrauben regulierbare Auslösezungen, verstärkte Hammerstiele und -köpfe waren weitere dem Wandel unterliegende technische Details. Die bei Stein noch durch Kniehebel zu betätigende Aufhebung der Dämpfung wurde nach 1800 zunehmend durch Pedale vorgenommen. Für eine Teilung der Dämpfung in Baß und Diskant, für die Verschiebung der Mechanik (una corda), für einen Pianozug ebenso wie für Fagott- und Janitscharenzug (eine Vorrichtung, durch die Instrumente der 7Janitscharenmusik — u. a. Glöckchen, Becken, 368

Pauke — nachgeahmt wurden) konnte die Zahl der Pedale sich auf 6-8 erhöhen. Zusammen mit einer Erweiterung des Klaviaturumfanges von 5 Oktaven bei J. Stein und einer Verstärkung des Saitenbezuges und den damit verbundenen Problemen der Statik, näherte sich der Wiener Klavierbau den Dimensionen der englischen und französischen Instrumente, jedoch nicht unter Aufgabe der für den Wiener Flügel typischen feinfühligen Spielart der Prellmechanik. Einen weiteren Weg zum Pianoforte versuchten in der 2. Hälfte des 18. Jh. die von Mozart, ebenso wie Stein hochgeschätzten Regensburger Klavierbauer Späth & Schmahl. Sie verwendeten die schon erwähnte Tangentenmechanik, die sie technisch perfektionierten. Der noch am Cembalo orientierte Klang dieser Instrumente konnte sich trotz mehrerer Veränderungen (una corda, Lauten- und Pianozug) gegenüber den Instrumenten mit Prellmechanik nach 1800 nicht mehr behaupten. Der englische Klavierbau erfuhr um 1760 durch Einwanderung mehrerer sächsischer, überwiegend aus der Silbermann-Schule stammender Klavierbauer eine Belebung. Hier war die Verbreitung des Pianoforte besonders durch die vom Clavichord übernommene, in der Herstellung preisgünstige rechteckige Form gekennzeichnet: das Instrument wurde Square piano genannt. Anfangs wurde eine Stoßmechanik mit starrem, später mit beweglichem Stößer verwendet. J. Chr. Bach spielte 1763 erstmals öffentlich auf einem solchen Instrument. Aus der schon um 1728 gegründeten Werkstatt des Schweizers Burkhardt Tschudi (anglisiert Burkat Shudi) entwickelte sich in Weiterführung durch seinen Schwiegersohn J. Broadwood das bedeutendste Klavierbau-Unternehmen in England. Nach dem Vorbild des in den Jahren nach 1760 bei Tschudi tätigen sächsischen K.-Bauers Zumpe, nahm Broadwood um 1771 die Herstellung der Square pianos auf, 1783 baute er seinen ersten Hammerflügel (in England Grand piano genannt). Das Wirken Broadwoods ist gekennzeichnet von ständigen Bemühungen um Verbesserungen technischer Einzelheiten seiner Instrumente. Um eine bessere Stimmhaltung der Instrumente zu erreichen, experimentierte man bei Broadwood frühzeitig mit zwischen Damm und Stimmstock angebrachten Metallspreizen. Die 1777 patentierte sog. englische (Stoß-)Mechanik, die ein Mitarbeiter Broadwoods, Robert Stodart, entwickelt hatte, war nicht nur für den englischen K. -Bau bestimmend. Sie war eine Modifikation der einfachen Stoßmechanik mit starrem Stößer; ihre bewegliche Stoßzunge erlaubte schnellere Tonrepetitionen bei gleichzeitig verfeinerten Anschlagseigenschaften.

Klavier Der französische Klavierbau wandte sich erst durch den Import englischer Grand und Square pianos dem Pianoforte zu. Der aus Straßburg stammende S. Érard verfertigte in einer von der Marquise von Villeroy eingerichteten Werkstatt 1777 sein erstes Tafelklavier (Piano carré) nach englischem Vorbild mit Stoßmechanik mit einem Umfang von 5 Oktaven und 2chörigem Bezug. Nach 1796 baute Erard seinen ersten Hammerflügel mit einer weiter verbesserten englischen Mechanik; einen 1803 erbauten Hammerflügel dieser Konstruktion schenkte er L. van Beethoven. Sein bedeutendster Beitrag ist aber neben der Einführung des 3chörigen Saitenbezuges die 1821 präsentierte K.-Mechanik mit doppelter Auslösung (double échappement). Diese Einrichtung erlaubte Tonrepetitionen bei noch nicht in die Ausgangsposition zurückgekehrter Taste: der Hammerkopf wird beim Rückfall vom Fänger so fixiert, daß eine geringe Rückbewegung der Taste bereits genügt, um die Stoßzunge für einen weiteren Anschlag unter das nahe dem Hammergelenk angebrachte Röllchen gleiten zu lassen. Diese Mechanik wurde um 1840 nach einer durch H. Herz vorgenommenen Veränderung Grundlage der modernen Flügelmechanik. Ebenfalls dem französischen Klavierbau ist die Einführung des Filzbezuges für die Hammerköpfe zu verdanken, die 1826 von J. H. Pape vorgenommen wurde. Gleichfalls bedeutend für den französischen Klavierbau in der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde I. Pleyel. Die Instrumente aus seiner 1809 gegründeten Fabrik haben zusammen mit denen von Erard und Pape die besondere Wertschätzung französischer Pianofortes bewirkt. Um die Wende vom 18. zum 19. Jh. entstanden in Philadelphia und Boston die Zentren des amerikanischen Klavierbaues. Die dort hergestellten Instrumente stehen in enger Beziehung zur englischen Tradition. Die wichtigste Erfindung war der von Babcock in Boston erstmals 1825 beim Tafel-K. verwendete Gußrahmen, die entscheidend auf die Entwicklung des Klavierbaues in Europa einwirkte. Die zögernde Einführung dieser Neuerung war von diversen Versuchen zur Verbesserung der Stimmhaltung begleitet: so etwa die Einführung des kreuzsaitigen Bezuges um 1830, durch den auch eine günstigere Resonanz der Saiten untereinander erreicht wurde. Nach 1850 ging die Produktion des Tafel-K.s allmählich zurück; an seine Stelle trat das mit einer stehenden Stoßmechanik ausgestattete Pianoforte, das nach 1850 im deutschen Sprachgebrauch einfach als K. bezeichnet wurde. Die im Gegensatz zum Flügel aufrecht stehende Mechanik des heutigen K.s hat ihre Vorläufer in dem Pyramidenflügel des Geraer Instrumentenmachers Chr. E.

Friederici (um 1745), in der um 1800 in Wien durch Matthias Müller gebauten Ditanaklasis (vertikales Hammer-K.) und in den von Robert Wornum 1828 in London vorgestellten Upright pianos. Die große Verbreitung der Instrumente mit stehender Mechanik ist auf den geringen Platzbedarf und die niedrigeren Herstellungskosten gegenüber dem Flügel zurückzuführen. Pyramiden-, Schrank-, Lyraflügel und "Giraffenklavier boten durch ihre aufrecht stehende Konstruktion im Vergleich zum 2'Pianino eine größere Saitenlänge und damit ein dem Flügel vergleichbares Klangresultat. J. H. Pape gab mit seinem Piano console das Vorbild des modernen Kleinklaviers. Generell wurde seit der Mitte des 19. Jh. das Ende der großen Entwicklung deutlich, die mit der Festlegung auf zwei Typen, auf Flügel und K., und deren industrielle Fertigung einen gewissen Abschluß fand. Als Neuerung kam u. a. das 1862 von Claude Montai eingeführte Tonhalte-Pedal hinzu, das das Aushalten von Einzeltönen gestattete; es findet sich auch heute noch als 3. Pedal am Konzertflügel verschiedener Firmen, seltener am Klavier. Klangliche Verbesserungen für den Diskant des Flügels versuchten Steinway und Blüthner durch unterschiedliche Techniken zu erreichen: Steinway setzte die Länge des hinter dem Steg liegenden Teils der Saite in gleiche Beziehung zum angeschlagenen, um durch ein Mitschwingen dieses Bereiches der Saite die Klangfarbe des Tones zu beeinflussen (DuplexSkala). Auf J. Blüthner geht das „Aliquot-System" zurück, bei dem eine 4. über dem sonst jeweils 3chörigen Bezug des Diskantes liegende Saite die Klangfarbe des Tones und seine Nachhallzeit beeinflußt. Versuchen, das K. mit mehreren Manualen auszustatten, war kein nachhaltiger Erfolg beschieden: Erwähnenswert sind hier die von Paul von Jankó mit 6 übereinander liegenden chromatischen Tastenreihen ausgestattete Klaviatur (1882) und die 2manualige Konstruktion von Pierre Hans, die das Spiel chromatischer Stücke erleichtern sollten. Bei dem 1876 patentierten Piano à claviers renversés der Brüder Mangeot aus Nancy waren beim oberen der zwei Manuale die tiefen Töne rechts und die hohen links angeordnet. Bogenförmige Klaviaturen, die von mehreren Klavierbauern hergestellt wurden, sollten das Spiel in den extremen Lagen begünstigen. Die hohen Herstellungskosten und viel mehr noch die dafür nötige Umstellung der Spieltechnik, verhinderten eine größere Verbreitung der von der Norm abweichenden Klaviaturen. Flügel und K. weisen seit etwa 1880, trotz gewandelten Klangideales, eine nahezu gleichbleibende Konstruktion auf. — Mit der Geschichte des Klavierbaues — insbesondere des deutschen — sind vor 369

Klavier allem neben den bereits genannten Firmen Namen wie Schiedmayer (Stuttgart), Ibach (Barmen), Bechstein (Berlin), Grotrian-Steinweg und Schimmel (Braunschweig) verbunden. Den größten Marktanteil an K.-Instrumenten hingegen hat heute Japan mit den Firmen Kawai, Yamaha und Nippon Gakki (letztere erzeugte allein 1970 257159 Instrumente). Bau und Funktion. 1. Mechanik. Der Umfang der Klaviatur des modernen Flügels und K.s reicht üblicherweise von A2—c5. Die ungleichschenkligen, aus Lindenholz hergestellten Tastenhebel erhalten ihre Führung durch am Waagebalken und unterhalb der Tastenbeläge angebrachte Stifte. Die Untertasten sind mit Elfenbein belegt, die Obertasten aus Ebenholz gefertigt. Beide Materialien werden heute z. T. durch entsprechende Kunststoffe ersetzt. Auf dem durch ein kleines Bleigewicht beschwerten Tastenhinterarm befindet sich eine verstellbare Pilotenschraube, die die Verbindung zur darüber liegenden Anschlagsmechanik herstellt. Die Konstruktion der Anschlagsmechanik des Flügels mit liegenden Hämmern und die des K.s mit stehenden geht auf Cristofori zurück. Die heute allgemein bei Flügel und K. verwendete Mechanik (Renner) basiert auf der von Érard und Herz entwickelten Repetitionsmechanik mit doppelter Auslösung. Bei der gegenüber dem Flügel um 90 Grad gedrehten, stehenden Klaviermechanik wird die Bewegung des beim Anschlag sich hebenden hinteren Endes der Taste mit seiner Pilotenschraube auf den Sattel des Hebegliedes übertragen, auf dem sich die Stoßzungenkapsel befindet. Die in der Kapsel eingeachste bewegliche Stoßzunge gibt die Bewegung an die Hammernuß weiter. Dadurch wird der Hammer bis etwa 2 mm an den Saitenbezug herangeführt, um diesen bei ausgewichener Stoßzunge, losgelöst von der Antriebsmechanik, zu erreichen. Das Ausweichen der Stoßzunge erlaubt eine Rückkehr des Hammers nahezu in seine Ausgangsposition. Um bei stärkerem Anschlagen ein Flattern des Hammers zu vermeiden, hindert der am Hebeglied montierte Fänger durch Fixieren des an der Hammernuß befindlichen Gegenfängers den Hammer an weiteren Bewegungen. Für eine schnelle Rückführung des Hammers nach erfolgtem Anschlag sorgt ein zwischen einem auf dem Hebeglied befindlichen Draht und ein zwischen Gegenfänger und Hebeglied befestigtes Bändchen. Zur Verringerung der Anschlagsintensität kann bei Betätigung des linken der beiden Pedale des K.s der Weg der Hämmer zum Saitenbezug verkürzt werden (Pianopedal). Die Bewegung des unterhalb des Hammers angeordneten Dämpfers, der beim Betätigen der Taste von der betreffenden Saite abgehoben 370

wird und nach Loslassen derselben die Saite am Weiterschwingen hindert, wird ebenfalls vom Hebeglied aus gesteuert. Durch Betätigung des rechten Pedals werden alle Dämpfer gemeinsam von den Saiten abgehoben. Ein bei neueren K.en häufiger anzutreffendes 3. Pedal erlaubt die Verringerung der Lautstärke des K. durch Einschieben eines Filzstreifens zwischen Hammer und Saitenbezug (Moderator). Beim Flügel bietet die horizontale Lage des Saitenbezuges und der Hämmer bei im Prinzip gleicher Konstruktion der Mechanik gegenüber dem K. erhebliche Vorteile. Die Bewegungen des nach dem Anschlag durch Eigengewicht zurückkehrenden Hammers sind technisch leichter kontrollierbar. Sie ermöglichen ein feinfühligeres Spiel und differenziertere Tonrepetitionen. Am Hebeglied ist die sog. Scherenkapsel eingeachst, sie wird mit Hebeglied und Stoßzunge beim Anschlag bis kurz vor dem Auslösen der Stoßzunge an der sog. Abknickschraube festgehalten. Die Stoßzunge übernimmt die Übertragung der letzten Bewegungsphase auf die Hammerrolle allein, um den Hammer etwa 2 mm vor Erreichen des Saitenbezuges freizugeben. Nach erfolgtem Anschlagwird die Bewegung des Hammers von einem auf dem Hinterende der Taste stehenden Fänger abgebremst. Der besondere Vorteil der beim Flügel verwendeten Repetitionsmechanik mit doppelter Auslösung zeigt sich beim geringfügigen Loslassen der Taste und noch nicht abgedämpfter Saite: Die Stoßzunge kommt durch die geringe Zurücknahme der Bewegung wieder unter die Hammerrolle zu liegen, so daß ein neuer Anschlag ermöglicht wird, ohne daß die Taste zuvor in ihre Ausgangsposition zurückgekehrt ist. Der Hebelmechanismus der von oben auf die Saiten (ausgenommen die höchsten) wirkenden Dämpfung wird vom hinteren Ende der Taste betätigt. Während das Abheben der Dämpfung vom rechten Pedal ausgelöst wird, bewirkt das Betätigen des linken Pedals bei Flügeln ein Verschieben der Mechanik nach rechts, so daß in jedem Saitenchor jeweils eine Saite vom Anschlag ausgenommen wird. Der Auswahl der Hammerstiele kommt beim Bau von Flügel und K. besondere Bedeutung zu. Das sog. „Abklingeln" weist den Hammerstielen nach ihrem Eigenklang eine bestimmte Position im Baß oder Diskant der Instrumente zu. Entscheidend für den Klang eines Flügels oder K.s ist die Qualität der Befilzung der Hammerköpfe. Sie kann im Baß bis zu 30 mm stark sein und sich im Verlauf der gesamten Tonskala im Diskant bis auf 3 mm reduzieren. Besondere Sorgfalt erfordert das Intonieren der Instrumente. Zu hart klingende Filze werden durch „Stechen" aufgelockert; zu matt klingende Töne durch „Abziehen" intensiviert. Ein Vergleich der

Klavier Gewichte der Hammerköpfe heutiger K.-Instrumente mit denen des 18. Jh. deutet die Tendenz einer Entwicklung zum kraftvollen Klavierklang an: Das Gewicht der Hammerköpfe von K. und Flügel liegt heute zwischen 4,2 und 8,4 g, das der Hammerköpfe Cristoforis zwischen 0,5 und 1 g. Die günstigste Anschlagstelle der Hämmer liegt bei Werten zwischen 1 /10 und 1 /g der Saitenlänge. Die Wahl der Anschlagstelle steht in engem Zusammenhang mit der Klangbildung der Instrumente, d. h. mit der Begünstigung oder Unterdrückung bestimmter Teiltöne. 2. Klangsystem. Als Material für die Besaitung von Flügel und K. wird heute ausschließlich Gußstahl verwendet, den Webster 1834 erstmalig benutzte. Davor waren Saitenbezüge aus kaltgezogenem Stahl und Messing, letzteres für den Baß der Instrumente, üblich. Das Gewicht des Saitenbezugs hat sich von etwa 4,5 bis 6 kg beim Hammerflügel auf ca. 75 kg bei modernen Instrumenten erhöht. Da sich die Saitenlänge von Oktave zu Oktave theoretisch zu verdoppeln hätte, müssen, um überdimensionale Ausmaße der Instrumente zu vermeiden, die Baßsaiten verkürzt und — um deren Gewicht zu erhöhen — umsponnen werden. Der Klavierbau des 18. Jh. konnte auf umsponnene Baßsaiten verzichten, da der Tonumfang der Instrumente im Baß durch das F1 als tiefsten Ton beschränkt war. Zur Aufnahme der heute zwischen 15 000 und 20000 kg liegenden Spannung des Saitenbezuges wird ein gegossener Eisenrahmen verwendet. Der kreuzsaitig angeordnete Bezug bedingt so eine bessere Stimmhaltung. Die Befestigung der Saiten erfolgt mittels einer Schlaufe oder Ose am Anhang des Gußrahmens und an den im meist gepanzerten Stimmstock angebrachten Stimmwirbeln. Die Schwingungen der klingenden Saite werden über den Steg auf den Resonanzbogen übertragen, der von entscheidender Bedeutung für die Tonbildung ist. Er ist aus 7 bis 9 mm starker astreiner, einjähriger Bergfichte hergestellt. Er hat die schwierige Aufgabe, die zwischen etwa 27 und 6000 Hz liegenden Schwingungen des Saitenbezuges zu verstärken und abzugeben, ohne selbst Eigenresonanz zu entwickeln. An seiner Unterseite bzw. Rückseite befindet sich beim K. eine Rastenkonstruktion, die im Vergleich zu den bescheidenen Berippungen der Hammerflügel des 18. Jh. sehr massiv ausgeführt ist; sie sorgt für die nötige Stabilität und Haltbarkeit des Resonanzbodens. Um diesem eine für die Tonbildung wesentliche Spannung zu verleihen, werden die einzelnen Rippen der Kastenkonstruktion leicht gewölbt. R. MENGER

Musik für Klavier. Im weitesten Sinne versteht man heute unter K.-Musik eine Musik für alle Tasteninstrumente mit Ausnahme der Orgel, im engeren jene für die neuen Instrumente mit Hammermechanik. C. Ph. E. Bach unterschied in seinem grundlegenden Lehrbuch Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen (B 1753, 41787) terminologisch das Clavier (= Clavichord), den Flügel (= Cembalo) und das Pianoforte (= Hammer-K.), wobei er dem erstgenannten seines „schmeichelnden Tones" wegen für das häusliche Spiel den Vorzug gab. Auch sein Rondo Abschied vom Silbermannschen Clavier (1781) ist noch für dieses Instrument komponiert. Mit den 2 Konzerten Concerto doppio a cembalo concertato, forte iano concerto beschritt er jedoch Neuland. Die Übergänge zwischen der Musik für Cembalo, Clavichord und Hammer-K. blieben bis 1770/80 weitgehend flieBend. Sicher ist jedoch, daß in Lodovico Giustinis Sonate da Cimbalo di piano e forte detto volgarmente di martellatti (Fi 1732) wohl nur aus Reklamegründen im Titel das Pianoforte erscheint, denn diese Musik ist ihrer Struktur nach noch ganz für das Cembalo eingerichtet. Zu den ersten Werken für das Hammer-K. gehören J. G. Eckards Sonaten op. 1 und 2 (P 1763 u. 1764), wie überhaupt die neben Eckard in Paris wirkenden deutschen K.-Spieler J. Schobert und L. Honauer nach 1760 das neue Instrument in Frankreich erfolgreich propagiert haben. In England hat J. Chr. Bach um 1770 mit Sonaten und Konzerten im gleichen Sinne gewirkt. Neben J. Haydn gab vor allem W. A. Mozart mit seinen Sonaten, Variationen und 23 K.-Konzerten der neuen K.-Musik entscheidende Impulse. Er spielte auf Hammer-K.en von Schmahl, Stein und seit 1781 von Walther (Wien). Die vorzüglichen Klangeigenschaften des Walther-K.s mit seiner „Wiener Mechanik" haben wesentlich Mozarts durchsichtige 2st. Satzweise und sein perlendes Lauf- und Passagenwerk mitbestimmt. In unermüdlicher Experimentierfreude wußte er in seinen K.-Konzerten, die er überwiegend für sich selbst als Virtuose schrieb, dem Wechselspiel zwischen K. und Orchester ständig neue Klangkombinationen abzugewinnen. Mozart war es auch, der erstmals und in größerem Umfang Werke für K. zu 4 Händen und für 2 K.e zu 4 Händen schrieb und damit einen eigenen Bereich der K.-Musik begründete, der dann im 19. Jh. zu großer Beliebtheit gelangte. Beethoven strebte in seinen Sonaten und in den 3 letzten K.-Konzerten nach vollgriffiger, geradezu orgelmäßiger Fülle des Klangs und erreichte in der Apassionata und „Waldstein"-Sonate wie im 5. K.Konzert einen pianistisch höchst wirkungsvollen und günstig liegenden K.-Satz. Er benutzte K.e mit 371

Klavier robuster englischer Mechanik und spielte seit 1818 einen großen 3chörigen Broadwood-Flügel, dessen Saiten jedoch noch immer in einen Holzrahmen gespannt waren. Erst der gußeiserne Rahmen der Folgezeit erlaubte einen stärkeren Saitenbezug und eine große Resonanz. Ein solch ausgestattetes Instrument konnte sich konzertierend gegenüber dem großen romantischen Orchester voll behaupten, zumal es später als Konzertflügel in einer Länge bis zu 280 cm gebaut wurde. Nach D. G. Türks Clavierschule (1789), die noch ein Universallehrbuch des angehenden Musikers sein wollte, begann ein neues Zeitalter der K.-Pädagogik, die den Schwerpunkt der Erziehung auf die Aneignung technischer Fertigkeiten und Brillanz legte. Erste Prototypen dahin zielender Lehrwerke sind Ph. J. Milchmeyers Die wahre Art das Pianoforte zu spielen (1797) und L. Adams Méthode nouvelle pour le piano (P 1802). Die zahlreichen neuen >'Etüden und Studienwerke, etwa M. Clementis Gradus ad Parnassum (1817) oder K. Czernys Schule der Geläufigkeit op. 299, förderten u. a. das Spiel schneller Läufe, Sprünge, Terzen- und Oktavpassagen und Staccati. Mit ihrer Hilfe erreichten schon zur Zeit Beethovens die Musikdilettanten ein technisches Niveau, das 30 Jahre zuvor bei Mozart noch als Spitzenleistung galt. Im freien Wettbewerb mit den Laien und auch untereinander mußten die professionellen Virtuosen deshalb ihre Technik ständig steigern, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können. Trotz gewisser Auswüchse im Virtuosenzeitalter um und nach Beethoven wurden auf diese Weise die klanglichen Möglichkeiten des K.s entscheidend erweitert und kulminierten im Schaffen Fr. Liszts. Neu ist bei ihm die häufige Verwendung z. B. von gehämmerten Oktaven, auf beide Hände verteilten Trillern, Tremoli, schnellen Sprüngen über die ganze Tastatur, Glissandi, Tonleitern in alternierenden Oktaven, vollgriffigen Themen. Liszt empfing für manche klavieristische Effekte auch Anregungen von der Violintechnik N. Paganinis. Wichtig wurde auch für seinen Stil das pathetische Rezitativ und das Arioso. Unter seinen Händen konnte das K. ein Orchester ersetzen. Dank seiner faszinierenden persönlichen Ausstrahlungskraft galt er unumstritten als der bedeutendste Virtuose seines Jahrhunderts, wurde viel kopiert, aber in seiner Art nie wieder erreicht. Aus seinem großen Schülerkreis sind vor allem H. v. Bülow, K. Tausig, E. d'Albert und, in direkter Fortsetzung, F. Busoni zu nennen. Auch die musikalische Romantik bereicherte die Ausdrucksmöglichkeiten des K.s um neue wesentliche Nuancen. Im Vordergrund der Musik stand das oft mit Überschriften versehene /Charakter372

stück, das häufig auch zu größeren Zyklen verbunden wurde, mit einer überwiegend in sonorer Mittellage erklingenden Melodie, die meist von einer rhythmisch gleichförmigen, ständig wiederkehrenden Spielfigur in dunklerer BaBlage begleitet wird und das gefühlshafte Element unterstreicht. Meister dieses neuen romantischen K.-Stücks war nach Fr. Schubert (u. a. Impromptus und Moments musicaux) vor allem Fr. Chopin. Seine Nocturnes (vorbereitet durch J. Field), Préludes und vor allem die Études op. 10 und 25, die nichts mehr mit Übungsstücken gemeinsam haben, sondern Kunstwerke sui generis sind, erweisen sich dem „einstimmenden" Prinzip zutiefst verpflichtet. Die phantasievoll, oft nach Belcanto-Manier ornamentierte tragende Melodie bettet Chopin nicht selten in berückenden Wohlklang. Seine Mazurkas und Polonaisen sind rhythmisch wie melodisch von der polnischen Folklore inspiriert. R. Schumanns häufig mit Titeln versehene K.-Stücke entspringen in ihrer Erfindung meist einer „poetischen Idee". Im inneren Kampf gegen das „Novellistische", gegen die kleine Form, vereinigte er sie oft zu Zyklen unter einer Grundidee (z. B. Papillons op. 2, Carnaval op. 9, Phantasiestücke op. 12 und 111, Kreisleriana op. 16, Album für die Jugend op. 68). Er verachtete das rein Virtuose und schrieb einen durch rhythmische Unruhe, kühne Harmonik und polyphone Satztechniken gekennzeichneten K. -Stil, bei dem auch Pedaleffekte eine wichtige Rolle spielen. F. Mendelssohn Bartholdys Stil hingegen ist wesenhaft klassizistisch. Seine Lieder ohne Worte mit übersteigert gefühlshaftem Einschlag wurden Modelle jener Richtung, die um und nach 1850 immer stärker in das verflachte, sentimentale Salonstück mündete (u. a. bei B. Godard, N.P. Jensen, J.J. Raff, Chr. Sinding, Ch. T. Brunner und F. Berger). Für diese Literatur ohne großen künstlerischen Anspruch, oft eklektisch und ältere Vorbilder paraphrasierend, bestand im 19. Jh. von seiten der sich ständig vergrößernden Zahl der bürgerlichen Dilettanten ein kaum zu deckender Bedarf, denn dank der beginnenden Industrialisierung und nunmehr kostengünstigen Fertigung wurde das K., vor allem in seiner Kleinform als Pianino, zum Standardinstrument des aufstrebenden Bürgertums. Dieser Sachverhalt schlägt sich nicht nur in der großen Zahl der original für und mit K. komponierten Musik nieder, sondern auch in der enormen Verbreitung des /Klavierauszugs im 19. Jahrhundert. Einen stärker von der Wiener Klassik her geprägten Gegenpol zur Neudeutschen Schule um Liszt bildet J. Brahms, der sich auch J. S. Bach und dem Volkslied verpflichtet fühlte. Sein vollgriffiger und polyphon strukturierter Klavierstil, der mitunter die ex-

Klavier tremen Lagen des Instruments gleichzeitig verwendet, vereinigt Spontaneität und verhaltene Leidenschaft mit Weichheit und Zartheit des Klangs. Seine zwei Konzerte, 4 große Variationszyklen sowie zahlreiche Einzelstücke, z. B. die Intermezzi und Balladen, gehören zu den beachtetsten Werken seiner Zeit. Im Streben nach Ausgleich und Ausdruck ist ihm C. Franck in Frankreich verwandt. In der Tradition von Brahms steht M. Reger unter starker Betonung des chromatischen Elements und, in neuerer Zeit, P. Hindemith, dessen 3 Sonaten und vor allem der Ludus tonalis den nachhaltigen Einfluß der Bach -Renaissance auf das Schaffen der Gegenwart widerspiegeln. Nach V. d'Indy und neben G. Fauré trat um 1900 in der Letztphase der Spätromantik noch einmal die französische K.-Musik mit Cl. Debussy und M. Ravel führend in Erscheinung. Eingebettet in die nationale Tradition, die das Malerische, Deskriptive seit Jahrhunderten schätzte und in Überschriften diskret Inhalte andeutete, suchten beide, in der poetischen Vorstellung nicht unbeeinflußt vom Impressionismus der Malerei und dem dichterischen Symbolismus, in übersteigerter Sensitivität Naturerleben und literarische Vorstellungen suggestiv und atmosphärisch in ihren Werken zu gestalten. Inspiriert auch von exotischer Musik (/Indonesien), der Folklore der Randgebiete Europas und der /Pentatonik, benutzten sie Parallelharmonik, Leerklänge und Terzenschichtungen und stellten die Klangfarbe unter Vernachlässigung von konturierter Themenbildung und der Rhythmik in den Vordergrund. In Ravels Jeux d'eaux und Debussys Estampes, besonders aber in seinen Préludes mit nachgestellten, oft Naturerscheinungen u. a. Vorstellungen visionär andeutenden Titeln steht die romantische Spannungsharmonik kurz vor ihrer Auflösung. Beide Musiker fanden in Frankreich, England und Deutschland zahlreiche Nachahmer. Seit der Mitte des 18. Jh. traten im Norden und Osten Europas, um und nach 1900 auch in Spanien (z. B. M. de Falla) und in den USA (u. a. Ch. Ives), Komponisten hervor, die nach dem Vorbild von Liszt, Chopin und Schumann durch Verwendung folkloristischer Elemente der Musik für K. ein betont nationales Gepräge zu geben versuchten. In Norwegen war es E. Grieg mit seinen Norwegischen Tänzen und dem K.-Konzert a -moll, in RuBland neben M. Balakirew, A. Borodin und N. RimskiKorsakow vor allem M. Mussorgski (Bilder einer Ausstellung), ferner P. Tschaikowsky mit seinen oft sentimentalen K. -Stücken und 3 noch heute beliebten Konzerten. Um 1900 entwickelte A. Skrjabin, dem Kreis der russischen Symbolisten nahestehend, vor allem in seinen 10 Sonaten einen harmonisch

und rhythmisch äußerst originellen Stil, der die Folklore jedoch ausklammerte. Im 20. Jh. schrieben u. a. S. Prokofjew, Dm. Schostakowitsch, A. Chatschaturjan einen teils spätromantisch inspirierten, teils gemäßigt modernen K.-Stil unter der ästhetischen Doktrin des „sozialistischen Realismus". Die antiromantische Stilwende um 1910 eröffnete der K.-Musik neue Wege. A. Hábas Versuchen mit einem Viertelton-K. mit 2 Manualen war kein dauerhafter Erfolg beschieden. A. Schönbergs Entwicklung zur Reihentechnik, die den spätromantischen Espressivostil bis zur Immaterialität vorantrieb, auf jeden Ton Gewicht legte und den tonalen Zusammenhang aufhob, läßt sich in der Gegenüberstellung seiner K.-Stücke op. 11 und op. 19 deutlich verfolgen. Unter Rückgriff auf alte kontrapunktische Techniken wird in ihnen bei aphoristischer Kürze der Komposition (im Extremfall 8-14 Takte) letztlich der spätromantische Spannungsakkord „festgeschrieben". Der stark auf isolierten Sprüngen und Griffen beruhende Satz macht das K. in der seriellen und postseriellen Musik zu einem Kurztoninstrument. Beispiele hierfür liefern neben Schönbergs op. 19 auch seine Suite op. 25, A. von Weberns Konzert op. 24 und die Variationen op. 27, O. Messiaens Modes de valeurs et d'intensités (1949), die Structures für 2 K.e von P. Boulez, K. Stockhausens K.-Stücke (seit 1957) sowie H. W. Henzes Sonata (1959). Bei B. Bartók (Allegro barbaro, 1911, und im 1. K.-Konzert, 1926), P. Hindemith (Suite 1922), I. Strawinsky (Capriccio für K. und Orch., 1929) z. B. diente während einer längeren Übergangsphase das Schlagzeug als Vorbild für einen K.-Stil betonter Motorik. Folgenreicher war das Ausspielen von schlagzeugähnlichen Klangfarben des K.s in Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug (1937), das eine Generation später zur /ClusterTechnik sowie zum direkten Anzupfen und Schlagen der Saiten und des Instrumentenkörpers führte. Auf diese Weise wurden die Klangfarben radikal erweitert, und es wurde versucht, die für das K. bislang charakteristischen festen Tonhöhen aufzugeben (z. B. A. Louviers, Études pour agresseurs, 1964, unter Benutzung von 10 Fingern, 2 Handflächen, 2 Fäusten und 2 Armen). Von solchen Experimenten war freilich Bartók noch weit entfernt. Charakteristisch für seine K.-Musik ist die latente Polyphonie und die enge Verbindung mit der rumänisch-ungarischen Folklore, die er nur selten original zitierte, vielmehr vollendet nachzugestalten verstand. Sein Stil erfuhr in seinem letzten Schaffensjahrzehnt eine fast klassizistisch zu nennende Abklärung. Beispiele hierfür sind das Schulwerk Mikrokosmos und das 3. K.-Konzert (1945). Hier 373

Klavier wie schon früher bei anderen Komponisten, z. B. Ravel, Hindemith, Strawinsky, haben gelegentlich auch Elemente des Jazz Eingang in die K.-Musik gefunden. Die K.-Musik nach 1950 ist weitgehend durch Experimente und durch die Suche nach neuen, teilweise extremen und schockierenden klanglichen Möglichkeiten gekennzeichnet. Zu nennen sind hier die K.-Werke der /Aleatorik, bei der der Spieler aus vorgegebenen Partikeln (Motiven, Akkorden, Rhythmen) spontan eine Auswahl zu treffen und sie improvisatorisch frei zu gestalten hat. Eine solche Musik bedingt ein völlig neues Schriftbild, das die Partikel auf große Blätter scheinbar willkürlich verteilt (K. Stockhausen, Klavierstück IX). Zu nennen sind ferner die Werke u. a. von J. Cage für /Prepared piano (Music for piano, 1952/53, 1955/56), bei denen das K. verstimmt wird und zwischen die Saiten Holz-, Metall- und Gummiteile gesteckt werden. Die Zeit solcher Experimente, die gleichermaßen Zustimmung und scharfe Ablehnung erfahren haben, scheint jedoch gegenwärtig zu Ende zu gehen. Vertreter der jüngsten Komponistengeneration fordern wieder eine stärker ausdrucksorientierte K.-Musik. L. HOFFMANN-ERBRECHT Lit.: Geschichte u. Technik des K.: C. PH. E. BACH, Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen, 2 Teile (B 1753, 1762, L 31787), Faks. der 1. Aufl., hrsg. v. L. Hoffmann-Erbrecht (Wie 1957); A. J. HIPKINS, A Description and History of the Pianoforte (Lo 1896, 21898); J. GOEBEL, Grundzüge des modernen Klavierbaues (L 1925); E. HERTZ, J. A. Stein. Ein Beitr. z. Gesch. des Klavierbaues (Wb—B 1937); E. HUTCHESON, The Literature of the Piano (NY 1948); W. PFEIFFER, Vom Hammer (B 1948); F. ERNST, Der Flügel J. S. Bachs. Ein Beitr. z. Gesch. des Instrumentenbaues im 18. Jh. (F 1955); F. J. HIRT, Meisterwerke des Klavierbaus. Gesch. der Saitenklaviere v. 1440 bis 1880 (Olten 1955); A. BAINES, Musikinstr. (Mn 1962); L. WEGELE, Der Augsburger Orgel- u. Klavierbauer J. A. Stein (Au 1966); H. GRUNDMANN, Per il clavicembalo o pianoforte, in: Colloquium amicorum. FS J. Schmidt-Görg (Bonn 1967); K. WOLTERS, Das K. (Be—St 1969); H. WALTER, Haydns K.e, in: Haydn-Stud. 2 (1970); W. S. NEWMAN, Beethoven's Pianos Versus His Piano Ideals, in: JAMS 23 (1970); H. C. SCHONBERG, Die großen Pianisten. Eine Gesch. des K.s u. der berühmtesten Interpreten v. den Anfängen bis zur Gegenwart (Mn 1972); G. CROLL, Ein Claviorganum aus der Salzburger „Kunstu. Wunderkammer", in: OMZ 31 (1976); C. EHRLICH, The Piano. A History (Lo 1976). — Musik für Klavier: F. COUPERIN, L' art de toucher le clavecin (P 1716, dt. NA L 1933, Faks.-Nachdruck NY 1969) (= MMMLF II/23); A. PROSNITZ, Hdb. der K.-Lit., 2 Bde. (W— L 9 1918); A. KULLAK, Ästhetik des K.spiels (L 9 1922); W. NIEMANN, Meister des K.s (B 1919); DERS., Das Klavierbuch. Gesch. der K.-Musik u. ihrer Meister (L "1922); R. HAFNER, Die Entwicklung der Spieltechnik u. der Schul- u. Lehrwerke für Klavierinstr. (1937) (= Schriftenreihe des Musikwiss. Seminars der Univ. München 2); G. SCHUNEMANN, Gesch. der Klaviermusik (B 1940), NA hrsg. v. H. Gerigk (Münchberg 1953, H 2 1956); L. HOFFMANN-ERBRECHT, Dt. u. it. Klaviermusik zur Bachzeit (L—Wie 1954) (= Jenaer Beitr. z. Musikforsch. 1); DERS., Sturm u. Drang in der dt. Klaviermusik v. 1753 bis 1763, in: Mf 10 (1957); W. GEORGII, Klaviermusik (Z—Fr 4 1965); H. GRUNDMANN —

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KLAVIERAUSZUG (engl.: piano score, vocal score, piano reduction; frz.: partition bzw. arrangement bzw. réduction pour piano; it.: estratto bzw. ridotta bzw. aggiustata per il pianoforte), heißt die Übertragung eines für andere Instrumente oder Singstimmen geschriebenen Werkes auf das Klavier. Im Gegensatz zu einer freien Umgestaltung (/Paraphrase) sucht diese Art der Bearbeitung das Original möglichst genau nachzuzeichnen. Der K. läßt sich als fixiertes Partiturspiel bezeichnen; er stellt das Gegenstück zur Orchestration einer Klavierkomposition dar. — Der K. entwickelte sich im 18. Jh. aus der Praxis des /Intavolierens und des /Generalbaß-Spiels. Schon 1786 wurde der Terminus in das Handwörterbuch von Wilke aufgenommen. J. A. Hiller und C. M. v. Weber bereiteten durch äußerst sorgfältige Klavierübertragungen die Entfaltung der verschiedenen Arten des K.s im 19. Jh. vor. Entweder wurde nun der gesamte musikalische Satz auf das Klavier übertragen oder — bei Opern, Oratorien, Instrumentalkonzerten u. ä. — neben den Vokal- bzw. Solostimmen nur der Orchesterpart dem Klavier zugeordnet. Beide Arten konnten für 2 oder 4 Hände oder für 2 Klaviere gesetzt werden. Die Gestaltung geschah unter Berücksichtigung der Funktion, denn der K. war unentbehrlich in allen Bereichen des Musiklebens, zum Kennenlernen und Studieren von Musik, zur Vorbereitung und Verwirklichung von Aufführungen. Die Schwierigkeit des Klaviersatzes zeigt, ob er dem Dilettanten oder dem Virtuosen zugedacht war. Dennoch blieb der K. — im Unterschied etwa zu Bearbeitungen der Musik des 17./18. Jh. — in erster Linie immer dem Original als einmaligem historischem Werk verpflichtet. Dies war nicht nur bei den philologisch genauen Klavierausziigen etwa von J. Brahms gegeben, sondern auch bei den die

Klebe orchestrale Klangwirkung klavieristisch übersetzenden Klavierpartituren Fr. Liszts. Der K. galt in der Auffassung des 19. Jh. weithin als angemessener Repräsentant des Originals, nicht etwa als eine Verstümmelung, sondern eher als eine Rückführung auf das Wesentliche der Komposition. Aus dieser Einschätzung erklärt sich die Ähnlichkeit vieler Kompositionsskizzen mit einem Klavierauszug. Viele Komponisten • von R. Schumann bis Cl. Debussy und A. Schönberg fertigten selbst Klavierauszüge von ihren Werken an. - Im 20. Jh. hat der K. an Bedeutung verloren. Die wachsende Kompliziertheit der Partituren, nicht so sehr ihre Farbigkeit, erschwerten die Übertragung; zudem übernahmen die technischen Mittler (Radio, Schallplatte) einen Teil der früheren Aufgaben des K.s; in der neuen Situation galt als Weiterentwicklung die /Particella. Lit.: K. GRUNSKY, Die Technik des K. Entwickelt am 3. Akt v. Wagners Tristan (L 1911); M. BROESIKE-SCHOEN, Der moderne K., in: Die Musikwelt 2 (1922); E. FRIEDLAENDER, Wagner, Liszt u. die Kunst der Klv.-Bearb. (Detmold 1922); M. HANSEMANN, Der K. v. den Anfängen bis Weber (BornaL 1943); R. SCHAAL, Zur Gesch. des K., in: Musica 15 (1961); H. GRUSS, Bearb., Arrangement, Instrumentation als Form der Aneignung musikal. Werke v. Beethoven bis Schönberg, in: Kgr.Ber. Berlin 1977 (L 1978); H. Loos, Zur Klavierübertragung v. Werken für u. mit Orch. des 19./20. Jh. Ein Beitr. z. Gesch. des K. (Diss. Bonn 1980). H. LOOS

KLEBE, Giselber Wolfgang, * 28.6. 1925 Mannheim; dt. Komponist. Er kam nach Zwischenstationen in München und Rostock mit seiner Familie 1937 nach Berlin, wo er 1940 am Konservatorium das Musikstudium in den Fächern Violine und Viola aufnahm; K. von Wolfurt wurde sein erster Kompositionslehrer. Nach kriegsbedingter Unterbrechung nahm er sein Studium am Internationalen Musikinstitut Berlin bei J. Rufer wieder auf. Im Herbst 1946 fand er eine Anstellung - zunächst im Bandarchiv, 1947-49 als Programmgestalter - bei der Musikabteilung des Berliner Rundfunks. Gleichzeitig wurde er Privatschüler von B. Blacher. Seinen ersten überregionalen Erfolg als Komponist errang er 1949 mit den von W. Fortner angeregten und auch aufgeführten Divertissements joyeux, weltweit bekannt wurde er 1950 durch die Uraufführung der Zwitschermaschine unter H. Rosbaud in Donaueschingen. 1957 wurde K. als Nachfolger von W. Fortner Dozent für Komposition und Musiktheorie an der Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold (1962 Professor). Er erhielt 1959 und 1962 Stipendien für die Villa Massimo in Rom; u. a. wurde ihm auch der Große Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1959) zuerkannt. K. ist seit 1963 Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg, seit 1964 Mitglied der Akademie

der Künste Berlin (West) und seit 1978 Mitglied der Bayer. Akademie der Schönen Künste, München. WW: 1) Iiatr.-WW: Für Orgel: Introitus, Aria ed Alleluja, op. 47 (1965); Passacaglia, op. 56 (1968); Fantasie und Lobpreisung, op. 58 (1970); Surge, aquilo, et veni, auster, op. 60 (1971), Paraphrase über ein Thema von I. Strawinsky; Missa Miserere nobis, op 63 (1971) (Neufassung der gleichnamigen Messe op. 45). - Kammermusik: Sonate für 2 Klv., op. 4 (1949); 2 Sonaten für V. solo, op. 8 (1952), op. 20 (1955); 2 Streichquartette, op. 9 (1951), op. 42 (1965); Wiegenlieder für Christinchen, op. 13, für Klv. (1953); Elegia appassionata, op. 22, für V., Vc. u. Klv. (1956); 7 Bagatellen, op. 35, für Bassetthorn, Pos., Harfe u. Röhrenglocken (1960); 9 Duettini, op. 39, für Fl. u. Klv. (1965); 3 Romanzen, op. 43, für Klv. (1963); Recitarivo, aria e duetto per flauto e chitarra, op. 44 (1967); Concerto a cinque, op. 50, für Klv., Harfe, Cemb., Schlagzeug u. Kb. (1965); Quasi una fantasia, op. 53, für Klv.-Quintett (1967); Variationen über ein Thema v. H. Berlioz, op. 59, für Org. u. Schlaginstr. (1972); Tennen no bi - Die Schönheit der Natur, op. 62, Betrachtung eines japanischen Liedes für Fl., Ob., Klar., Harfe, Klv., Vc. u. Kb. (1972); Sonate für Kb. u. Klv., op. 65 (1974); Al rovescio, op. 67, für Fl., Harfe, Klv. u. Metallidiophone (1973); Nenia, op. 70, für Vc. solo (1975); 9 Klv.-Stücke für Sonja, op. 76 (1978); Alborada, op. 77, für Harfe solo (1977); 5 chants sans paroles, op. 80, für Cemb. u. Schlagzeug (1978); Der dunkle Gedanke, op. 84, für Klar. (auch Bassetthorn) u. Klv. (1980). - Für Orch.: 5 Symphonien (1953, 1953, 1967, 1972, 1977); Rhapsodie, op. 17 (1954); Moments musicaux, op. 19 (1955); Vc.-Konzert, op. 29 (1958); Adagio u. Fuge (mit einem Motiv aus Wagners Walküre), op. 37 (1961); Missa Miserere nobis, op. 45, für 18 Bläser (1964), Neufassung für Org. (1971); Scene und Arie, op. 54, für 3 Trp., 3 Pos., 2 Klv. u. 8 Vc. (1967); Herzschläge (Furcht, Bitte und Hoffnung), op. 54, für Beatband u. Orch. (1970); Konzert für Cemb. mit elektrischen Klangveränderungen u. kleines Orch., op. 64 (1972); Orpheus, op. 73, dramatische Scenen für Orch. (1976); La tomba di Igor Strawinsky, op. 81, für Ob.-Solo, 14 Str. u. Klv. (1979); Org.-Konzert, op. 85.2) Vokal-WW: Kantate Ein lust'ger Musikante, op. 1, für Tenor, Chor u. Instr.-Quintett, (1949); dramatische Scene Raskolnikows Traum, op. 23, für Sopran, Klv.-Solo u. Orch. (1956); 5 Lieder, op. 38, für mittlere St. u. Orch. (1962); Stabat Mater, op. 46, für 3 Soli, Chor u. Orch. (1964); Messe Gebet einer armen Seele, op. 51, für gem. Chor u. obligater Org. (1966); Beuge dich, du Menschenseele, op. 71 (Text: S. Lagerlöf), für Bar. u. Org. (1975); 3 Lieder (F. Hölderlin), op. 74, für hohe St. u. Klv. (1977); Choral u. Te Deum, op. 79, für gem. Chor u. Orch. (1978); Römische Elegien, op. 15 (nach J. W. v. Goethe) für Sprecher, Klv. Cemb. u. Kb. (1953). - 3) Bühnen-WW: Ballette: Pas de trois, UA: Wiesbaden 1951; Signale, UA: Berlin 1955; Fleuronville, UA: ebd. 1956; Menagerie (nach F. Wedekind), UA: ebd. 1958; Das Testament (1971) (nach F. Villon), Orch.-Fassung als 4. Symphonie. Opern: Die Räuber (nach F. von Schiller), UA: Düsseldorf 1957; Die tödlichen Wünsche (nach H. Balzac), UA: ebd. 1959; Die Ermordung Caesars (nach W. Shakespeare), UA: Essen 1959; Alkmene (nach H. von Kleist), UA: Berlin 1961; Figaro läßt sich scheiden (nach O. von Horvath), UA: Hamburg 1963; Jacobowsky und der Oberst (nach F. Werfel), UA: ebd. 1965; Das Märchen von der schönen Lilie (nach J. W. von Goethe), UA: Schwetzingen 1969; Ein wahrer Held (nach J. M. Synge), UA: Zürich 1975; Das Mädchen aus Domremy (nach Schiller), UA: Stuttgart 1976; Das Rendezvous (nach M. Soschtschenko), UA: Hannover 1977; Der jüngste Tag (Libr.: L. Klebe nach O. v. Horvath), UA: Mannheim 1980.

In K.s frühen, von spielerischer Heiterkeit durchdrungenen Kompositionen ist der Einfluß Blachers deutlich spürbar. Dessen Technik der variablen Metren behielt K. bei, als er sich - mit gleichzeitig 375

Kleber wachsendem Interesse an mathematischen Problemen — zu der Zwölftontechnik A. Weberns bekannte. Bei der Arbeit an seinem 1. Streichquartett (1950) fand K., daß „die serielle Technik die von mir gesuchte Möglichkeit bietet, eine optimale Verbindung von Einfall, Ausdruck und Verbindlichkeit der Konstruktion herzustellen". Die Möglichkeiten einer präzisen, umfassenden Organisation des musikalischen Materials reizten K. im Frühjahr 1955 zu praktischer Beschäftigung mit elektronischer Musik; im Studio Köln entstand Interferenzen für 4 Lautsprecher. In seinen Instrumentalwerken gelangte er um diese Zeit zu einer dunkelgefärbten, ausdrucksstarken Musiksprache, in der die Zwölftontechnik nur noch als in sich gefestigtes Gestaltungsgerüst dient. Dieser expressive Stil bestimmt auch die Opernkompositionen, die in K.s Schaffen seit 1956 den Schwerpunkt bilden. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei der Führung der Singstimmen und erreicht Kantabilität bei Berücksichtigung der Prosodie, wodurch die Textverständlichkeit in seinen Literaturopern (fast alle Librettofassungen stammen von K. selbst) gewährleistet ist. Um 1967 gelang K. eine Neustrukturierung der Harmonik in dem Bestreben, „wieder eine absolute akkordische Dichte ohne irgendwelche kontrapunktische Abstützung zu erreichen, und zwar dergestalt, daß sie in den Bereich der Idee der ,Komposition mit den zwölf Tönen' gehört und diesen Bereich mit allen Möglichkeiten der funktionalen Harmonik verbindet, ohne indessen die Gesetze der Funktionalität auf Ereignisse zu übertragen, die ihrem Geiste nach nicht diesen Gesetzen gehorchen". Dieses Vermischen von Tonalität und Atonalität kann wie das Zitieren, Variieren und Paraphrasieren von Themen und Motiven anderer Komponisten (op. 16, 37, 59, 60) als Beleg dafür gelten, daß K. alle Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks nutzt. Lit.: W.-E. VON LEwINSKI, G. K., in: Junge Komponisten, hrsg. v. H. Eimert (W 1958) (= die Reihe 4); A. D. MCCREDIE, G. K., in: MR 26 (1965). K. LANGROCK

KLEBER, Leonhard, * um 1495 Wiesensteig bei Göppingen, t 4.3. 1556 Pforzheim; dt. Organist. Er studierte Theologie an der Universität Heidelberg (1512) und wurde 1516 Organist in Horb, 1517 in Esslingen am Neckar und 1521 an der St. -MichaelsKirche in Pforzheim. Von ihm ist eine in älterer deutscher Orgeltabulatur (Oberstimme in Noten auf Linien, übrige Stimmen in Tonbuchstaben) geschriebene Hs. überliefert (1524: Berlin, Deutsche Staatsbibl. Mus. ms. 40026). Von den 112 Stücken dieser Sammlung sind die ersten 50 nur manualiter, die folgenden auch mit Pedal zu spielen. Es handelt 376

sich um meist reich verzierte Intavolierungen von 87 geistlichen und weltlichen Vokalstücken (u. a. von Adam von Fulda, A. Brumel, H. Isaac, L. Senfl, J. Barbireau, H. Finck, Josquin des Prés) sowie um 19 freie Sätze (Praeludien und Fantasien), 5 Tänze und ein Lehrstück. Ausg.: Einige Stücke, in: H.J. MOSER, P. Hofhaimer (St — B 1929, Hil 2 1966); DERS. — F. HEITMANN, Frühmeister des Orgelspiels (L 1930, Wie 2 1954) 2 Praeambula, in: DAVISONAPEL Anth. 1. Lit.: H. K. LOEWENFELD, L. K. u. sein Orgeltabulaturbuch (Diss. B 1897, Nachdr. Hilversum 1968) (= Bibl. organologica 19); K. KOTTERBA, Die Orgeltabulatur des L. K. (Diss. Fr 1958).

KLECKI (Kletzki), Paul (Pawel), * 21.3. 1900 l ódí, t 5.3. 1973 Liverpool; Schweizer Dirigent poln. Herkunft. Er war 1914-19 Violinist im Philharmonischen Orchester von Lödí, lebte 1921-33 in Berlin, wirkte 1935-38 als Lehrer an der Scuola Superiore di Musica in Mailand und ließ sich 1938 in der Schweiz nieder, wo er während und nach dem Krieg bei den Internationalen Musikfestwochen in Luzern dirigierte. 1954 wurde K. Chefdirigent des Liverpool Philharmonic Orchestra, 1958 des Symphonieorchesters von Dallas (Tex.); 1964 übernahm er die Leitung des Berner Symphonieorchesters und dirigierte 1967-70 als Nachfolger von E. Ansermet das Orchestre de la Suisse Romande. K. setzte sich stark für zeitgenössische Musik ein. KLEE, Bernhard, *19. 4. 1936 Schleiz (Thüringen); dt. Dirigent. Er gehörte 1948-55 dem Leipziger Thomanerchor an, studierte danach in Köln Klavier und Dirigieren und kam anschließend als Solorepetitor und Kapellmeister an die Opernhäuser in Köln und Bern, 1962 als 1. Kapellmeister nach Salzburg, 1963 nach Oberhausen und 1965 nach Hannover. 1966-77 war er GMD der Stadt Lübeck und seither in Düsseldorf.

KLEIBER. — 1) Erich, * 5.8. 1890 Wien, t 27. 1. 1956 Zürich; östr. Dirigent. Er studierte in Prag am Konservatorium Klavier, Orgel, Schlagzeug und Dirigieren sowie an der Universität Philosophie und Geschichte und war dort 1911-12 am Landestheater tätig. 1912-19 war er Kapellmeister in Darmstadt, dann bis 1921 in Elberfeld-Barmen. Als Operndirektor in Düsseldorf und Mannheim (seit 1922) wurde K. 1923 GMD der Deutschen Staatsoper sowie der Staatskapelle in Berlin und erlangte während dieser Jahre Weltgeltung. 1935 legte er sein Amt aus politischen Gründen nieder. Bis 1949 wirkte er dann vorwiegend am Teatro Colón in Buenos Aires, außerdem in Havanna und New York. Danach trat er wieder in Europa auf, seit 1951 auch in Berlin. Ein Vertrag mit der Staatsoper

Kleinknecht Unter den Linden wurde von K. jedoch aus politischem Protest noch vor Beginn wieder gelöst. Neben zahlreichen Gastverpflichtungen dirigierte er in jenen Jahren regelmäßig an der Covent Garden Opera in London. K. zählt zu den bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit. Wichtige Ereignisse in seinem Wirken waren 1925 die Uraufführung von A. Bergs Oper Wozzeck, 1924 die deutsche Erstaufführung von L. Janáčeks Jenufa, 1930 die Uraufführung von D. Milhauds Christophe Colomb. — 2) Carlos, Sohn von 1), * 3. 7. 1930 Berlin; argentinischer Dirigent östr. Abstammung. Nach einem kurzen Chemiestudium in Zürich studierte er seit 1950 privat Musik in Buenos Aires. A. Toscanini, Fr. Busch und Br. Walter waren hier seine Mentoren. Seine Dirigentenlaufbahn begann er 1952 am Theater in La Plata. 1953 kam er nach München und wurde 1954 Kapellmeister am Theater in Potsdam, 1956 an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf -Duisburg sowie 1964 am Opernhaus in Zürich. Seit 1966 wirkte er an der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart sowie als Gastdirigent in Wien, Prag, München und bei den Bayreuther Festspielen. Lit.: Zu 1): J. RUSSELL, E. K. (Lo 1957), dt. v. A. Razumovsky (Mn 1958); W. REICH, E. K. u. A. Berg, in: SMZ 98 (1958) (mit unveröff. Briefen); U. ECKART-BÄCKER, K., in: Rheinische Musiker 4 (Kö 1966) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 64).

KLEIN, Bernhard Joseph, * 6.3. 1793 Köln, t 9.9. 1832 Berlin; dt. Komponist. Er erlernte die Musik als Autodidakt in Köln und ging 1812 zum Studium an das Pariser Conservatoire. Nach Köln zurückgekehrt, dirigierte er dort Liebhaberkonzerte und machte sich erstmals als Komponist einen Namen. 1818 übernahm er in Berlin die Leitung der Jüngeren Liedertafel und wurde 1820 Professor für Komposition an der neugegründeten Schule für Kirchenmusik sowie Universitätsmusikdirektor. K., der stark den historistischen Tendenzen seiner Zeit verpflichtet war, orientierte sich in seinen Chorwerken am Palestrinastil. Seine Oratorien zählen zu den beachtenswerten Werken dieser Gattung, deren Erfolg freilich durch die Oratorien Mendelssohn Bartholdys überstrahlt wurde. — Sein Halbbruder Joseph (*1802 Köln, t 10.2.1862 ebd.) war mit H. Heine befreundet und vertonte viele seiner Gedichte. WW: Klv.-Stücke; Lieder; 15 Variationen für Streichquartett 1832; Balladen; Kantate Worte des Glaubens (nach F. Schiller); Oratorien: Hiob (1822), Jephta (1828) u. David (1830); Messe; Magnificat (1825); Responsorien für 6 St. u. 8 H.e Psalmen, Hymnen u. Motetten für Männerstimmen. — Opern Dido (1823) u. Ariadne (1825). Lit.: C. KOCH, B. K. (L 1902); P. MIES, Ein Sinfonie -Fragment v. B. K., in: Stud. z. Musikgesch. des Rheinlandes 2. FS K. G. Fellerer (Kö 1962) (= Beitr. z. rheinischen Musikgesch. 52).

KLEINE HOFKONZERT, DAS, Musikalisches Lustspiel in 3 Akten von Edmund Nick (1891 bis 1974), Text von Paul Verhoeven und Toni Impekoven. Ort und Zeit der Handlung: eine kleine Residenz, um 1840. UA: 19.11. 1935 in München (Kammerspiele). Verfilmt: 1936 und 1944. In dieser Komödie mit dem Untertitel Aus der Welt Carl Spitzwegs wird die durch höfisches Reglement und Spießbürgermoral erschwerte Suche der unehelich geborenen Sängerin Christine Holm nach ihrem Vater geschildert. Die stille Kleinstadt, der im Dachstübchen hausende arme Poet, die Postkutsche und Liebespaare als „Versatzstücke" versinnbildlichen eine für den Menschen des 20. Jh. heil erscheinende Welt. Diese äußere Darstellung einer Idylle wird musikalisch nachvollzogen. Heitere Weisen wie die Walzermelodien Leben ohne Liebe und Nochmal jung sein, nochmal dumm sein, lyrische, in ihrem Duktus ganz dem Volkslied angenäherte Melodien wie die Vertonung des Heiderösleins (Goethe) oder Wenn des Abends dunkle Schleier sowie das Liebesduett Dich, nur dich hat das Schicksal mir auserwählt zeigen ebenso wie die instrumentale Begleitung durch ein Kammerorchester, daß Nick hier einen Weg einschlug, der von der revuehaften Operette wegführt. Das bekannte Walzerlied Wunderbar ist es, verliebt zu sein wurde von Nick für die Filmfassung von 1936 hinzukomponiert. B. DELCKER KLEINGEDACKT řGrobgedackt. KLEINKNECHT, dt. Musikerfamilie. — 1) Johann (Johannes), getauft 7. 12. 1676 Ulm, begraben 4.6. 1751 ebd.; Organist. Er war seit 1712 2. Organist am Ulmer Münster. — 2) Johann Wolfgang, Sohn von 1), getauft 22.4. 1715 Ulm, t 20.2. 1786 Ansbach; Violinist. Er trat 1733 in die Stuttgarter Hofkapelle ein. Nach mehreren Konzertreisen wurde er Mitglied der herzoglichen Kapelle in Eisenach und 1738 Konzertmeister der Hofkapelle in Bayreuth; später folgte er dem Hof nach Ansbach. Er schrieb Sonaten und Konzerte für sein Instrument. — 3) Jakob Friedrich, Bruder von 2), getauft 8.4. 1722 Ulm, t 11.8.1794 Ansbach; Flötist. Er trat 1743 in die Bayreuther Hofkapelle ein, wurde dort 1747 Violinist und 1756 Musikdirektor. 1769 folgte er der Kapelle nach Ansbach. Sein Euvre umfaßt Sonaten für Klavier, Violine, Violoncello oder Flöte, Flötentrios und ein Doppelkonzert für 2 Flöten. — 4) Johann Stephan, Bruder von 3), * 17.9. 1731 Ulm, t nach 1806 Ansbach (?); Flötist. Auch er war seit 1754 Mitglied der Bayreuther Hofkapelle, unternahm mehrere Konzertreisen und war als einer der besten Flötisten seiner Zeit bekannt. 377

Klemperer Ausg.: Zu 3): Sonate c-moll für Fl., Ob. (V.) u. B.c., hrsg. v. W. BERNSTEIN (L 1969) (= Bayreuth-Ansbacher Hofmusik o. Nr.). Lit.: J.W. K. u. J.S. K. Autobiogr. u. Biogr. mit Anhang „Ueber die Ansbacher Musik", hrsg. v. R. SCHAAL (Kas 1948).

KLEMPERER, Otto, * 14.4.1885 Breslau, t 6.7. 1973 Zürich; dt. Dirigent. Er studierte zunächst am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, dann am Sternschen Konservatorium in Berlin (Klavier bei J. Kwast, Tonsatz bei H. Pfitzner). 1907 debütierte er als Kapellmeister am Deutschen Landestheater in Prag und kam über Hamburg (1910), Barmen (1912), Straßburg (1914), Köln (1917; 1923 GMD) und Wiesbaden (1924) 1927 als Leiter der Kroll-Oper nach Berlin, wo er sich insbesondere für das zeitgenössische Schaffen einsetzte (P. Hindemith, I. Strawinsky). Nach Schließung der Kroll-Oper (1931) dirigierte er an der Berliner Staatsoper und leitete weiterhin als Nachfolger von S. Ochs den Philharmonischen Chor. 1933 als Jude seiner Ämter enthoben, emigrierte er in die USA, leitete bis 1940 das Philharmonic Orchestra Los Angeles, baute das Symphony Orchestra Pittsburgh auf und unternahm Konzertreisen durch Nord- und Südamerika, Kanada und die UdSSR. Nach dem 2. Weltkrieg übernahm er 1947 die Budapester Staatsoper, 1950-70 das (New) Philharmonia Orchestra London. 1970 übersiedelte er nach Jerusalem, nahm die israelische Staatsangehörigkeit an, bereiste jedoch weiterhin Europa, auch Deutschland, und lebte zuletzt in Zürich. Er war Träger der Goethe-Medaille (1932), Mitglied des Ordens Pour le mérite (seit 1967) und der Akademie der Künste Berlin sowie Ehrendoktor mehrerer amerikanischer Universitäten. K., bis ins hohe Alter tätig, ist einer der großen Dirigenten des 20. Jh., unter denen er als ein Wahrer der Aufführungstraditionen vor allem der Wiener Klassiker eine Sonderstellung einnahm, aber auch als MahlerDirigent hervorragte. Er ist auch als Komponist, u. a. mit einer Missa C-Dur und einer Vertonung des 42. Psalms für Baß und Orch., hervorgetreten und schrieb Erinnerungen an G. Mahler (Zürich 1960) sowie Beethoveniana (Moskau 1967). Lit.: S. STOMPOR, „Die Idee kann man nicht töten", O. K. u. dic Berliner Kroll-Oper 1927-31, in: Jb. der Komischen Oper Berlin 3 (B 1962/63); H.C. SCHONBERG, Die großen Dirigenten (Be 1970); Conversation With K., hrsg. v. P. HEYWORTH (Lo 1973, dt. F 1974) (mit Diskographie). H. LINDLAR

KLENGEL, Julius, * 24.9. 1859 Leipzig, t 27. 10. 1933 ebd.; dt. Violoncellist und Komponist. Er studierte bis zu seinem Abitur (1877) privat bei Emil Hegar (Violoncello) und S. Jadassohn (Theorie) und trat danach, auch auf Konzertreisen, als ge378

feierter Solist hervor. 1881-1924 war er Solovioloncellist des Leipziger Gewandhausorchesters, bis 1930 auch Mitglied des Gewandhausquartetts. Außerdem lehrte er bis zu seinem Tode (seit 1899 als Professor) am Sächsischen Landeskonservatorium. K. gilt als der bedeutendste Violoncellist seiner Zeit. Zu seinen Schülern zählen u. a. P. Grümmer und L. Hoelscher. Seine Kompositionen (Sonaten, Suiten, u. a. Stücke für Vc. solo und für 2-4 Vc., ein Klaviertrio, Serenaden für Streichorchester und 4 Violoncellokonzerte) sind heute nur noch von technisch-pädagogischem Interesse. KLIEN, Walter, * 27. 11. 1928 Graz; östr. Pianist. Er studierte 1946-49 am Konservatorium in Graz sowie danach bei Josef Dichler an der Wiener Musikakademie und bei A. Benedetti-Michelangeli und war auch Kompositionsschüler P. Hindemiths. Er war Preisträger mehrerer internationaler Wettbewerbe und bildet seit 1963 ein Duo mit dem Violinisten Wolfgang Schneiderhahn. KLINDWORTH, Karl, * 25.9.1830 Hannover, t 27.7. 1916 Stolpe bei Oranienburg; dt. Pianist und Dirigent. Er begann seine Dirigentenlaufbahn im Alter von 17 Jahren und war 1850-54 Klavierschüler von Fr. Liszt in Weimar. 1854-68 wirkte er als Pianist und Dirigent in London. Entscheidend war 1855 seine Begegnung mit R. Wagner, dem er seitdem persönlich und künstlerisch eng verbunden war. 1868 wurde er als Professor für Klavier an das Moskauer Konservatorium berufen und übersiedelte 1884 nach Berlin. Neben J. Joachim und Fr. Wüllner leitete er dort die Philharmonischen Konzerte und dirigierte auch Aufführungen des Wagner-Vereins in Berlin. Eine von ihm gegründete Klavierschule wurde 1893 mit dem Scharwenka-Konservatorium vereinigt. K. ist bis heute bekannt vor allem als Verfasser von Klavierauszügen sämtlicher Opern Wagners. Lit. Briefe H. von Bülows an K., in: H. von Biilow, Neue Briefe, hrsg. v. R. DU MOULIN -ECKART (Mn 1927); Unveröff. Briefe K. K.s an Tschaikowsky, in: MuGes 15 (1965).

KLINGLER, Karl, * 7.12.1879 Straßburg, t 18.3. 1971 München; dt. Violinist. Er studierte 1897-1900 Violine bei J. Joachim sowie Komposition bei M. Bruch und Robert Kahn an der Hochschule für Musik in Berlin, an der er nach kurzer Tätigkeit als Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters 1903 selbst Lehrer (1910 Professor) wurde. 1905/06 gründete K. zusammen mit Richard Heber, Fridolin Klingler und Max Baldner ein Streichquartett, mit dem er auf zahlreichen Konzertreisen durch Europa und Amerika Weltruhm errang, wobei er besonders mit den späten

Klotz Beethoven-Quartetten hervortrat, aber auch die Werke A. Schönbergs pflegte. 1935 mußte K. aus politischen Gründen sein Lehramt und sein Quartett aufgeben; seit 1950 lebte er in München. Er schrieb Die Grundlagen des Violinspiels (L 1921) und ist auch als Komponist hervorgetreten (u. a. mit 3 Streichquartetten und einem Violinkonzert).

KLIRRFAKTOR /Verzerrung. KLOIBER, Rudolf Johann Nepomuk, * 14.11. 1899 München, + 12. 12.1973 ebd.; dt. Dirigent und Musikschriftsteller. Er studierte an der Münchener Akademie der Tonkunst Dirigieren (S. von Hausegger, Hugo Röhr), Klavier und Theorie sowie Musikwissenschaft (A. Sandberger) an der Universität, an der er 1927 mit einer Dissertation über Die dramatischen Ballette von Chr. Cannabich promovierte. 1928 übernahm er die musikalische Leitung der Münchener Musikbühne. Seit 1935 wirkte er am Stadttheater in Regensburg und dirigierte 1947-49 das Bayreuther Symphonieorchester. 1950-59 war K. Chefdirigent des Schwäbischen Symphonieorchesters in Reutlingen und trat seit 1960 als Gastdirigent im In- und Ausland auf. Er wurde vor allem bekannt durch seine populären Schriften über die Oper und die Orchestermusik. Schriften: Taschenbuch der Oper (Rb 1954, '1957), dann als: Handbuch der Oper (Rb 6 1961, Kas—Mn •1973), auch als: Das groBe Opernbuch (H 1958); Handbuch der klass. und romantischen Symphonic (Wie 1964, 2 1976); Hdb. der Symphonischen Dichtung (Wie 1967); Hdb. des Instrumentalkonzerts, 2 Bde. (Wie 1972-73, 11978).

KLOPSTOCK, Friedrich Gottlieb, * 2.7.1724 Quedlinburg, t 14.3. 1803 Hamburg; dt. Dichter. Mit seinem Messias (1748-73) und seinen weltlichen und geistlichen Oden und Liedern war er einer der einflußreichsten deutschen Literaten des 18. Jh. Von zeitgenössischen Komponisten schätzte er besonders C. Ph. E. Bach und Chr. W. Gluck, mit denen er auch freundschaftlich verbunden war. Glucks Vertonung einiger seiner Oden und Lieder (um 1770, u. a. Die frühen Gräber und Die Sommernacht) empfand er als ideal in der musikalischen Deklamation und im Ausdruck des Textes. Gedichte K.s vertonten in späterer Zeit G. Neefe, Abbé Stadler, J. R. Zumsteeg, Fr. Schubert (Dem Unendlichen), Chr. Stanford, G. Mahler (Auferstehung im 5. Satz der 2. Symphonie), R. Strauss und K. v. Wolfurt. Ausg.: K.s Oden u. Lieder beym Clavier zu singen, in Musik ge-

setzt v. Herrn Ritter Gluck. Wien 1785/86, hrsg. v. G. Beckmann (L 1917) (= Veröff. der Gluckges.). Lit.: M. FRIEDLÄNDER, Das dt. Lied im 18. Jh., 2 Bde. (St — B 1902, Nachdr. Hil 1962); L. PRINZ, K.s weltliche Oden in der Liedkomposition bis Schubert (Diss. Kiel 1925); G. ADLER, K.

u. die Musik (Diss. Pr 1935); G. BUSCH, C. Ph. E. Bach u. seine Lieder (Rb 1956) (= Kölner Beitr. zur Musikf. 12).

KLOSE, Friedrich, * 29.11.1862 Karlsruhe, t 24.12.1942 Ruvig,liana (Tessin); Schweizer Komponist dt. Herkunft. Er war zunächst Schüler von V. Lachner in Karlsruhe und von A. Ruthardt in Genf. Entscheidend für seine weitere künstlerische Entwicklung war dann sein Besuch der Uraufführung von R. Wagners Parsifal 1882 in Bayreuth. Er lernte dort auch A. Bruckner kennen und studierte bei ihm in Wien 1886-89. In der Folge lebte er eine Zeitlang als freischaffender Komponist. 1906 wurde er Kompositionslehrer am Konservatorium in Basel, 1907 als Nachfolger von L. Thuille an der Akademie der Tonkunst in München. K., dessen Bestreben es war, zu verschiedenartigen musikalischen Gattungen mit jeweils einem Werk einen bezeichnenden Beitrag zu leisten, stand stilistisch im Banne von Berlioz, Liszt und Wagner. WW: Klv.-Stücke; Streichquartett (1911); Orch.-Werke, darunter Tondichtungen Jeanne d'Arc (1882), Loreley (1884) u. Das Märchen (1893); Liederzyklen; Chorwerke, u.a. Die Wallfahrt nach Kevelaer (1911) (mit Sprecher; Text: H. Heine); Messe (1889) für Soli, Chor u. Orch.; Oratorium Der Sonne-Geist (1917); Oper llsebill (1902). — Er schrieb Meine Lehrjahre bei Bruckner (Rb 1927) (= Dt. Musikbücherei 61). Lit.: H. KNAPPE, F. K., in: Zeitgen. Komponisten III (Mn 1921); E. REFARDT, F. K.s kompositorischer Nachlaß, in: SMZ 93 (1953); W. ZENTNER, K., in: MGG VII.

KLOSE, Margarete, * 6.8. 1902 Berlin, t 14.12. 1968 ebd.; dt. Sängerin (Alt). Sie studierte am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin bei Franz Marschalk und debütierte in der Spielzeit 1926/27 in Ulm, wo sie sowohl Opern- als auch Operettenpartien sang. Über Mannheim (1929 bis 1932) kam sie an die Berliner Staatsoper, der sie 1932-49 und 1955-61 angehörte; daneben sang sie 1949-58 an der Städtischen Oper Berlin und gastierte an den großen Opernhäusern Europas und in Übersee. Sie sang regelmäßig auch bei den Bayreuther Festspielen und war eine der bedeutendsten Wagner- und Verdi-Interpretinnen ihrer Generation. Seit 1964 lehrte sie am Salzburger Mozarteum. KLOTZ, Hans, * 25. 10. 1900 Offenbach; dt. Organist und Musikforscher. Er studierte Kirchenmusik in Leipzig, war dort Orgelschüler von K. Straube, später in Paris von Ch.-M. Widor. 1927 promovierte er in Frankfurt am Main mit der Dissertation Über die Prägnanz akustischer Gestalten als Grundlage für die Theorie des Tonsystems. 1928-46 war er in Aachen Organist an der Christuskirche und Dirigent des Bachvereins, 1946-54 KMD in Flensburg, 1954-66 Professor für Orgel und Leiter der Abteilung für evangelische Kirchen379

Klotz musik an der Musikhochschule Köln. K., der auch als Komponist mit liturgischen Vokal- und Orgelwerken hervorgetreten ist, zählt zu den bedeutendsten deutschen Organisten der Nachkriegszeit und setzt sich besonders für die Interpretation der Orgelmusik M. Regers ein. Seine Forschungen zu Orgelspiel und Orgelbau des 15.-18. Jh. waren grundlegend für die Wiederbelebung älterer Orgelmusik im Zuge der OEOrgelbewegung. Schriften: Über die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance u. des Barock (Kas 1934, 21975); Das Buch v. der Orgel (Kas 1938, •1970); Die kirchliche Orgelkunst, in: Die Musik des ev. Gottesdienstes, hrsg. v. W. Blankenburg (Kas 1961) (= Leiturgia 4). K. war Hrsg. u. a. von: J. S. Bach, Die Orgelchoräle der Leipziger Originalhandschrift (Kas 1958) (= Neue Bach-Ausg., Serie IV/3); M. Reger, Orgelwerke, 4 Bde. (Wie 1957-66) (= RegerGA 15-18). Lit.: H. J. BUscs-i, H. K. 75 Jahre, in: Ars organi 23 (1975).

KLOTZ, dt. Geigenbauerfamilie, in mehr als 8 Generationen bis zur Gegenwart tätig. Von den über 20 Mitgliedern der Familie K. sind am bekanntesten: 1) Mathias (Matthias), *11. 6. 1653 Mittenwald, t 16.8.1743 ebd. Er lernte bei Giovanni Railich in Padua und vielleicht auch bei N. Amati in Cremona. 1683 ließ er sich in Mittenwald nieder, wo er eine eigene Werkstatt eröffnete. Er gilt als der Begründer der Mittenwalder Geigenbauschule. — 2) Georg, Sohn von 1), * 31.3.1687 Mittenwald, t 31.8.1737 ebd. Er lebte wiederholt in Italien; seine Instrumente besitzen ein größeres Klangvolumen als die seines Vaters. — 3) Sebastian, Bruder von 2), * 18.1.1696 Mittenwald, t 20.1.1775 ebd. Auch er hielt sich in Italien auf. — 4) Johann Karl, Bruder von 2), * 29.1.1709 Mittenwald, t 25.5. 1769 ebd. Seine Instrumente zeigen Einfluß von N. Amati. — 5) Ägidins Sebastian, Sohn von 3), * 1.9.1733 Mittenwald, t 8. 8.1805 ebd. Er arbeitete nach Modellen von Stainer und Amati. — 6) Josef Thomas, Bruder von 5), * 8.3.1743 Mittenwald, t nach 1809. — 7) Balthasar, Urenkel von 5), *7.3. 1854 Mittenwald, t 7.5.1936. Schüler von Andreas Tiefenbrunner, war er zunächst wie seine unmittelbaren Vorfahren als abhängiger „Geigenarbeiter" tätig und machte sich erst 1890 selbständig. Mit ihm und seinen Nachkommen nahm die Arbeit der Familie K. einen neuen Aufschwung. Lit.: Za 1): A. LAYER, M. K. von Mittenwald, ein berühmter Geigenbauer der Barockzeit (Feldafing 1959, 21965).

KLUGE, DIE (Die Geschichte von dem König und der klugen Frau), Dichtung und Musik von Carl Orff (* 1895). Ort und Zeit der Handlung: in märchenhafter Vergangenheit. UA: 28.2.1943 in Frankfurt am Main. In 12 stimmungsmäßig kontrastierenden, jedoch durch Dominanz zweier Handlungsstränge zu dra380

matisch-logischer Homogenität verbundenen Szenen gestaltete Orff den Märchenstoff von der klugen Frau zu einer Satire auf unverhohlene Rechtsbeugung durch absolute Potentaten und frohgemut-selbstbewußtes Gaunertum derjenigen Machtlosen, die — teils resignierend, teils phlegmatisch — herrschende Unmoral hinnehmen und durch geschicktes Taktieren ihren persönlichen Vorteil suchen. Theatralische Bühnenwirksamkeit der Aktionen und feinsinnig-hintergründiger Intellektualismus der Dialoge verhinderten die Entstehung eines „trockenen" Lehrstück-Charakters. Plakative Skizzierung ohne Sensibilitätsverlust und Ökonomie der klanglichen Mittel ohne Abgleiten in Primitivismus zeichnen die musikalische Arbeit des Komponisten aus; der häufig groteske Kontrast zwischen nahezu idyllischer Harmonie des Klangbildes und bewußt ordinär-brutalem Zynismus des Bühnengeschehens ist charakteristisch für das musikdramatische Konzept des Stückes. Die Kluge fand bei der UA begeisterte Aufnahme und wurde zu einem der international erfolgreichsten deutschen Bühnenwerke des 20. Jahrhunderts. Das Lied der Strolche beim Saufen Als die Treue ward geborn erlangte besondere Popularität. W. A. MAKUS KLUSÁK, Jan, *18. 4. 1934 Prag; tschechischer Komponist. Er studierte 1953-57 an der Akademie der Musischen Künste in Prag bei J. Řídký und P. Bořkovec. In seinem Schaffen orientiert er sich an der 2. Wiener Schule, insbesondere an A. Berg und A. Webern. WW: Contrapunto fiorito (1966) für 8 Inatr.; 2 Streichquartette (1956, 1962); Canzonetta (1965) für Fag. u. Celesta. - 3 Symphonien (1956,1959,1960); Ein friesischer Freitag (1970) für Orch.; Obrazy (1960) für 12 Instr.; Inventionen, I: für Kammerorch. (1961), III: für Str. (1962), V: für Bläserquintett (1965), VI: für Nonett (1969); elektronische Musik O sacrum convivium, UA: Rundfunk Prag 1968. - Cry!i malá hlasová cvičeni (1960) (Text: F. Kafka); Černé madrigaly (1961) (Text: F. Halas); 4 Fragmente aus Dantes Divina commedia (1962). - Ferner die Oper Proces (Der Prozeß) (1966) (nach F. Kafka).

KLUSEN, Ernst, * 20.2.1909 Düsseldorf; dt. Musikforscher. Er studierte an den Universitäten Köln und Bonn, wo er 1938 mit einer Dissertation über Das Volkslied im niederrheinischen Dorf promovierte, und war bis 1961 im Schuldienst tätig. 1961-76 war er Professor für Didaktik der Musik und Musikalische Volkskunde an der Pädagogischen Hochschule Neuß. Außerdem leitete er das 1938 von ihm gegründete Niederrheinische Volksliedarchiv in Viersen, das 1964 als Institut für Musikalische Volkskunde der Hochschule Neuß, jetzt Universität Düsseldorf, inkorporiert wurde, sowie 1952-62 das Rheinische Volksliedarchiv der Uni-

Knecht versität Bonn. Im Mittelpunkt seiner Forschungen steht das deutsche Volkslied unter besonderer Berücksichtigung seiner sozialen Implikationen und seiner Bedeutung für die Gegenwart. Schriften: Das Musikleben der Stadt Krefeld v. seinen Anfängen bis 1870 (Krefeld 1938, Nachdr. Kö 1979); Das Volkslied im Niederrheinischen Dorf (Pd 1941, NA Bad Godesberg 1970); Der Stammescharakter in den Weisen neuerer dt. Volkslieder (Bad Godesberg 1953); Volkslied. Fund u. Erfindung (Kö 1969); H. Heine u. der Volkston, in: Zschr. für Volkskunde (1973); Zur Situation des Singens in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde. (Kö 1974, 1975); Experimente zur mündlichen Tradition von Liedern, in: Jb. für Volksliedforsch. 23 (B 1978) (zus. mit H. Moog u. W. Piel); Singen als soziales Handeln, in: FS H. Häschen (Kb 1980); Elektronische Medien und musikal. Laienaktivität (Kö 1980). - Ferner gab K. heraus: Lieder zw. Maas u. Rhein (Krefeld 1967) (zus. mit J. Lennards); Volkslieder aus 500 Jahren (F 1978); Kritische Lieder der 70er Jahre (F 1978) (zus. mit W. Heimann); Dt. Lieder. Texte und Melodien (F 1980).

KMENTT, Waldemar, * 2.2. 1929 Wien; östr. Sänger (Tenor). Nach seinem Studium an der Wiener Musikakademie gab er 1950 sein Konzertdebüt bei einer Aufführung der 9. Symphonie von L. van Beethoven in Wien und ist seit 1951 Mitglied der Wiener Staatsoper; ein Gastvertrag bindet ihn seit 1958 zugleich an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf-Duisburg. Gastspiele führten ihn in die großen europäischen Musikzentren sowie zu den Salzburger und Bayreuther Festspielen. KNAB, Armin, *19. 2. 1881 Neu-Schleichach, t 23.6.1951 Bad Wörishofen; dt. Komponist. Nach frühen Anregungen durch den Vater, der Leiter eines Singknabenalumnats war, studierte er 1897 bis 1902 an der Musikschule in Würzburg Klavier bei M. Meyer-Olbersleben. Zur gleichen Zeit widmete er sich an den Universitäten Würzburg und München einem juristischen Studium (Dr. jur. 1904). Seine Laufbahn in diesem Beruf führte ihn über München (Landgericht, Justizministerium) und Vilshofen/Niederbayern (Amtsgericht) nach Rothenburg ob der Tauber, wo er 1913-26 amtierte, und 1927-34 nach Würzburg (Gerichtshof). 1934-43 war er Dozent (1935 Professor) für Theorie und Tonsatz an der Hochschule für Schulund Kirchenmusik in Berlin-Charlottenburg. Nach dem 2. Weltkrieg ließ er sich in Kitzingen nieder. K.s Bedeutung liegt in der melodisch und satztechnisch eigenständigen Erneuerung und Fortführung des deutschen Chor- und Klavierliedes sowie des Volksoratoriums aus dem Geiste der Jugendbewegung und der Wiederentdeckung der altdeutschen Liedkunst (Fr. Jöde, A. Halm). W W : Für KIv.: 5 Ländliche Tänze (1927) ; 5 Lindegger Ländler (1933); 8 Choräle (1934), davon 7 auch für Org. (1941); Kammermusik für V. solo, Streichtrio, Streichquartett, Block-Fl. u. Cemb. - Klv.-Liederzyklen: Wunderhorn- (1904-20), George(1904-21), Mombert- (1905-23), Dehmel- (1905-25), Eichen-

dorff- (1918-22), Goethe- (1945-46) und Kerner-Lieder (1944 bis 1948); Lautenlieder (1905-20); Knechtsballade (1940) (nach R. Billinger) für Tenor u. Streichquartett; Rosa mystica (1944) (nach A. Silesius) für Alt u. Va.; Liederzyklen für gem. Chor, Männerchor u. Frauenchor; Weihnachtskantate (1932, revidiert 1945); Oratorien Das gesegnete Jahr (1935-43) u. Till Eulenspiegel (1950). - Eine Slg. von Aufsätzen über Musik erschien postum unter dem Titel Denken und Tun (B 1959). Lit.: O. LANG, A. K. (Mn 1937); H. WEGENER, A. K., in: NMZ 2 (1948); H. LINDLAR, Der Lyriker A. K., in: ZIM 112 (1951); H. WERLÉ, A. K.s Weg zum Männerchor, in: Dt. Sängerbundeszeitung 43 (1954); F. KRAUTWURST, A. K., in: Fränkische Lebensbilder 5 (1973). H. LINDLAR

KNAPPERTSBUSCH, Hans, * 12.3.1888 Elberfeld, t 25.10. 1965 München; dt. Dirigent. Er studierte zunächst Philosophie und Musikwissenschaft in Bonn und München, dann seit 1908 Dirigieren bei Fr. Steinbach und Klavier bei L. Uzielli am Kölner Konservatorium. 1910-12 war er Theaterkapellmeister in Mülheim / Ruhr sowie 1909-12 Assistent H. Richters und S. Wagners bei den Bayreuther Festspielen. 1912 wurde K. Operndirektor in Elberfeld, 1918 1. Kapellmeister in Leipzig und 1919 Operndirektor in Dessau (1920 GMD). 1922 trat er die Nachfolge Br. Walters an der Bayerischen Staatsoper in München an (1923 Ernennung zum Professor). 1935 erhielt K. von den Nationalsozialisten Dirigierverbot und übernahm dann 1938 die kommissarische Leitung der Wiener Staatsoper. Nach 1945 wirkte er vor allem als Gastdirigent in Berlin, München, Wien und London sowie auch bei den Bayreuther Festspielen. Dort hatte der Parsifal, mit dem 1951 die Festspiele wiedereröffnet wurden und der unter K.s Leitung bis 1964 fast jährlich aufgeführt wurde, einen geradezu legendären Ruf. K. war eine der großen Dirigentenpersönlichkeiten unseres Jahrhunderts. Seine Interpretationen waren von weiträumigem, spannungsgeladenem Atem und von großer, sozusagen innerer Ruhe geprägt. Lit.: R. BETz - W. PANOFSKY, K. (Ingolstadt 1958).

KNECHT, Justin Heinrich, *30. 9. 1752 Biberach (Württemberg), t 1.12. 1817 ebd.; dt. Organist. Seit 1771 war er als Organist und Musiklehrer in Biberach tätig; 1807 wurde er zum 2. Hofkapellmeister in Stuttgart ernannt, aber bereits 1809 wieder entlassen und zog sich nach Biberach zurück. Er wurde bekannt als Organist und mit einer Reihe musikpädagogischer und -theoretischer Schriften. Von seinen Kompositionen ist die Symphonie Tongemälde der Natur als ein Vorläufer von L. van Beethovens Sinfonia pastorale von Interesse. WW: 1) Kompositionen: Orgelstücke; Klv.-Variationen und -Sonatinen; Fl.-Duette; Symphonie Tongemälde der Natur (um 1784); Arien u. Hymnen; Psalmen; Messen; ein Te Deum (1801); ferner Singspiele u. Opern. - 2) Sekritten: Erklärung einiger ... mißverstandenen Grundsätze aus der Voglerschen Theorie (Ulm

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Knef 1785); Gemeinnützliches Elementarwerk der Harmonie u. des Generalbasses, 4 Bde. (Au 1792-97, Mn 2 1814); Kleines alphabetisches Wörterbuch der... musikal. Theorie (Ulm 1795); Vollständige Orgelschule, 3 Bde. (L 1795-98); Theoretisch-praktische Generalbaßschule (Fr o. J.); Kleine Theoretische Klavierschule für die ersten Anfänger, 2 Bde. (Mn 1800-02), 2. Aufl. als: Bewährtes Methodenbuch (Fr. o. J.); Kleine praktische Klavierschule, 4 H.e (Mn o. J.); Allgemeiner musikal. Katechismus (Biberach 1803, Fr 5 1824); Luthers Verdienste um Musik und Poesie (Ulm 1817). Lit.: E. KAUFFMANN, J. H. K. (Tü 1892); M. SCHNEIDER, Die Orgelspieltechnik des frühen 19. Jh. in Deutschland dargestellt an den Orgelschulen der Zeit (Rb 1968).

KNEF, Hildegard (eig. Frieda Albertine), * 28.12. 1925 Ulm; dt. Schauspielerin und Chansonsängerin. Sie besuchte die Schauspielschule der Ufa und erwarb sich unmittelbar nach dem Krieg als Filmschauspielerin einen vielbeachteten Namen (u. a. mit Die Mörder sind unter uns, 1946, und Die Sünderin, 1951). In der Folge lebte sie mehrere Jahre in den USA. Großen Erfolg hatte sie als Ninotschka in C. Porters Musical Silk Stockings am Broadway (1955). Nach Deutschland zurückgekehrt, drehte sie später wieder mehrere Filme (u. a. Dreigroschenoper, 1963; Jeder stirbt für sich allein, 1976). 1963 gelang ihr der Durchbruch auch als Chansonsängerin mit ausgeprägtem individuellem Profil und mit starker Ausstrahlung. Von ihren Liedern (z. T. mit eigenen Texten und komponiert u. a. von Ch. Niessen) wurden besonders bekannt Eins und eins, das macht zwei und Für mich soll's rote Rosen regnen. Autobiographische Bücher sind Der geschenkte Gaul (W1970) und Das Urteil (W 1975). KNEIF, Tibor, * 9.10.1932 Preßburg; dt. Musikforscher. Er promovierte 1955 in Budapest zum Dr. jur. und studierte dann Musikwissenschaft in Göttingen, wo er 1963 promovierte. 1965 wurde er Assistent am Musikwissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin; dort habilitierte er sich 1971 und wurde 1973 zum Professor ernannt. Schwerpunkte seiner Forschungen bilden musikphilosophische und -soziologische Fragen. Schriften: Zur Entstehung der musikal. Mediävistik (Gd 1963); Die geschichtlichen u. sozialen Voraussetzungen des musikal. Kitsches, in: DVfLG 37 (1963); E. Bloch u. der musikal. Expressionismus, in: E. Bloch zu ehren. Beitr. zu seinem Werk (F 1965); Das triviale Bewußtsein in der Musik, in: Stud. z. Trivialmusik des 19. Jh., hrsg. v. C. Dahlhaus (Rb 1967) (= Stud. z. Musikgesch. des 19.Jh. 8); Historismus u. Gegenwartsbewußtsein, in: Die Ausbreitung des Historismus über die Musik, hrsg. v. W. Wiora (Rb 1969) (= ebd. 14); Ideen zu einer dualistischen Musikästhetik, in: Musik u. Bildung 2 (1970); Musiksoziologie (Kö 1971, 2 1975) (= Theoretica 9); Einführung in die systematische Musikwiss., hrsg. v. C. Dahlhaus (1971) (= ebd. 10) (zus. mit H. de la Motte -Haber u. H.-P. Reinecke); Die Bühnenwerke von L. Janáček (W 1974); Einführung in die Rockmusik (Wilhelmshaven — H — A 1979) (= Taschenbücher z. Musikwiss. 51). — Ferner veröff. K. das Sachlexikon der Rockmusik (Reinbek 1978).

KNEPLER, Georg, * 21. 12. 1906 Wien; östr. Mu382

sikforscher. Er studierte Klavier, Komposition und Dirigieren (bei E. Steuermann und Hans Gal) und Musikwissenschaft bei G. Adler an der Universität Wien, an der er 1930 mit einer Dissertation über Die Form in den Instrumentalwerken J. Brahms' promovierte. 1930-33 war er in Deutschland, nach seiner Emigration seit 1934 in England als Operndirigent tätig und leitete daneben auch Arbeiterchöre. 1949-59 war er Direktor der Hochschule für Musik in Ost-Berlin, 1959-69 Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts und Professor für Musikgeschichte an der Ost-Berliner Humboldt-Universität. Seit 1960 ist K. auch Chefredakteur der Beiträge zur Musikwissenschaft (BzMw) und seit 1964 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. K.s Schriften sind grundlegend für eine marxistische Musikgeschichtsschreibung. Schriften: Die Bestimmung des Begriffs „Romantik", in: Kgr.Ber. Warschau 1960; Musikgesch. des 19.1h., 2 Bde. (B 1961); Improvisation, Komposition. Überlegungen zu einem ungeklärten Problem der Musikgesch., in: Studia musicologica 11 (1969); Das Beethoven -Bild im Wandel der Gesch., in: MuGes 21 (1971);

Gesch. als Weg zum Musikverständnis (L 1977). Lit.: E. H. MEYER, in: MuGes 16 (1966); H. A. BROCKHAUS, G. K.s Konzeption der musikal. Historiographie, in: BzMw 9 (1967); J. LING — J. FORNÄS, G. K.s Gesch. als Weg z. Musikverständnis, in: STMf 60 (1978).

KNORR, Ernst-Lothar von, * 2.1.1896 Eitorf / Sieg, i 30.10.1973 Heidelberg; dt. Komponist, Violinist und Musikpädagoge. Er studierte seit 1907 am Kölner Konservatorium (Violine bei Br. Eldering, Tonsatz bei Fr. Boelsche und Dirigieren bei Fr. Steinbach) und wurde 1919 Violinlehrer an der Heidelberger Musikakademie. Zusammen mit P. Gies gründete er 1920 das Heidelberger Kammerorchester. 1924 baute K., in enger Verbindung mit Fr. Jöde, die Volks- und Jugendmusikschule in Berlin auf, an der auch P. Hindemith unterrichtete. 1937 ging er dann an die Musikhochschule in Berlin, wo er 1940 zum Professor ernannt wurde. 1941 übernahm er die stellvertretende Leitung der Musikhochschule in Frankfurt am Main. Bei einem Luftangriff 1944 wurden sämtliche Handschriften seiner bis dahin geschaffenen Kompositionen vernichtet. 1945 baute K. das Staatliche Hochschulinstitut für Musikerziehung in Trossingen auf, wurde 1952 Direktor der Akademie für Musik und Theater in Hannover und hatte 1961-69 die Leitung der Hochschule für Musik und Theater in Heidelberg inne. Zu seinem 75. Geburtstag erschien eine Festschrift, hrsg. v. O. Riemer (Kö 1971). WW: Kammermusikal. Werke für u. mit Klv., darunter Diaphonia, Sonata a due pianoforti (1971); Duo für Va. u. Vc. (1961); Streichquartett (1969); Kammermusik für 5 Blaser: Haus- und Jugendmusik fur versch. Besetzungen: Werke für u. mit Akkor-

Kochan deon; Serenade für Streichorch. (1947, revidiert 1973). — Werke für SingSt u. Klv. bzw. andere Instr.; Chorwerke a capp.; zahlr. Kantaten für Soli, Chor u. Orch. — Er gab heraus: Musik im Leben I (F. o. J.) sowie mehrere Liederslgen.

K.s kompositorisches Schaffen wurzelt in der musikalischen Jugendbewegung und zeigt in den Anfängen Einflüsse besonders von P. Hindemith. Nach dem 2. Weltkrieg verarbeitete er auch Stilelemente B. Bartóks und der Dodekaphonie, ohne das Musikantische seiner frühen Werke aufzugeben. Lit.: E.-L. von K. (autobiographisch), in: Rheinische Musiker 6 (Kö 1969) (= Beitr. z. Rheinischen Musikgesch. 80).

KNOTE, Heinrich, * 26. 11. 1870 München, t 12. 1. 1953 Garmisch-Partenkirchen; dt. Sänger (Tenor). Er studierte bei Emanuel Kirschner in München und debütierte 1892 an der dortigen Hofoper in der Rolle des Georg in A. Lortzings Der Waffenschmied. Zunächst nur in Bufforollen eingesetzt, wurde K., der später ins Heldentenorfach überwechselte, einer der namhaftesten WagnerSänger seiner Zeit. 1904-08 war er Mitglied der Metropolitan Opera in New York, kam danach nach Deutschland zurück, sang zunächst an der Hamburgischen Staatsoper, später in Wiesbaden und wieder an der Staatsoper in München, deren Mitglied er bis 1931 blieb. Danach wirkte er als Gesanglehrer in München. Lit.: J. H. WAGENMANN, Der sechzigjährige dt. Meistersänger H.K. (Mn 1930).

KNUPFER, Sebastian, getauft 6.9. 1633 Asch (Niederbayern), t 10. 10. 1676 Leipzig; dt. Komponist. Er besuchte das Gymnasium poeticum in Regensburg und ging 1654 nach Leipzig, wo ihm schon drei Jahre später die Nachfolge von T. Michael als Thomaskantor angetragen wurde. Es ist wesentlich auf sein Wirken zurückzuführen, daß sich der Ruf Leipzigs als Musikzentrum in Mitteldeutschland weit verbreitete. WW: Im Druck erschienen: Lustige Madrigalien und Canzonetten für 1-4 St., 2 Insu. u. B.c. (L 1663); ferner einige Gelegenheitsgesänge; Messenteile, Kantaten u. Motetten sind hsl. erhalten. Ausg.: 4 Choralkantaten, in: S. K., J. Schelle, J. Kuhnau. Ausgew. Kirchenkantaten, hrsg. v. A. SCHERING (L 1918) (= DDT 58/59) (mit Werk-Verz.); Motette Mein Gott, betrübt ist meine Seele für 6 St., hrsg. v. DEMS. (L 1923); Kantaten Ich will singen v. der Gnade u. Sende dein Licht, hrsg. v. D. KRÜGER (St 1960 u. 1964) (= Geistliche Chormusik X/81 u. 99). Lit.: F. KRUMMACHER, Die Überlieferung der Choralbearb. in der frühen ev. Kantate (B 1965) (= Berliner Stud. z. Musikwiss. 10); D.W. KRAUSE, The Latin Choral Music of S. K. With a Practical Edition of the Extant Works, 2 Bde. (1973) (= Diss.

Univ. of Iowa).

KOBZA /Bandura. KOCH, Heinrich Christoph, * 10.10. 1749 Rudol-

stadt, t 19.3.1816 ebd.; dt. Musiktheoretiker. Er war Kompositionsschüler von Chr. Gotthelf Scheinpflug, wurde um 1763/64 Violinist in der Hofkapelle Rudolstadt und wurde 1772 zum „Hofmusikus" sowie 1778 zum „Kammermusikus" ernannt. 1792 leitete er kurze Zeit die Kapelle. K.s Bedeutung als Musiktheoretiker liegt in seiner Melodielehre, die einen wesentlichen Teil des Versuchs einer Anleitung ... bildet. In der Betrachtung des musikalischen Rhythmus und Metrums an J. Riepel anknüpfend und auf H. Riemann vorausweisend, hat sie als eine der ersten >'Formenlehren zu gelten. K.s Musicalisches Lexikon gilt als ein Höhepunkt unter den musikalischen Sachlexika. Schriften: Versuch einer Anleitung zur Composition, 3 Teile (Rudolstadt — L 1782-1793), Nachdr., 3 Bde. mit Register (Hit 1969); Musicalisches Lexikon, 2 Bde. (F 1802, Hei 2 1817, Nachdruck Hil 1964); Kurzgefaßtes Handwörterbuch der Musik (L 1807); Handbuch bey dem Studium der Harmonie (L 1811); Versuch aus der harten u. weichen Tonart jeder Stufe ... vermittels des enharmonischen Tonwechsels ... auszuweichen (Rudolstadt 1812). Lit.: A. FEIL, Satztechnische Fragen in den Kompositionslehren v. F. E. Niedt, J. Riepel u. H. Ch. K. (Diss. Hei 1955); C. DAHLHAUS, Gefühlsästhetik u. musikal. Formenlehre, in: DVfLG 41 (1967); F. RITZEL, Die Entwicklung der „Sonatenform" im musiktheoretischen Schrifttum des 18. u. 19. Jh. (Wie 1968) (= Neue musikgesch. Forsch. 1); W. SEIDEL, H. Ch. K.s Begriff des musikal. Metrums, in: Kgr.-Ber. Bonn 1970 (Kas 1973); G. P. JONES, H. Ch. K.'s Description of the Symphony and a Comparison With Selected Symphonies of C. Ph. E. Bach and Haydn (1973) (= Diss. Univ. of California); W. SEIDEL, Über Rhythmustheorien der Neuzeit (Be 1975) (= Neue Heidetb. Stud. zur Musikw. 7); N. K. BAKER, From „Teil" to „Tonstück". The Significance of the „Versuch einer Anleitung zur Composition" by H. Ch. K. (1975) (= Diss. Yale Univ.); DIES., The Aesthetic Theories of H. Ch. K., in: IRASM 8 (1977); C. DAHLHAUS, Der rhetorische Formbegriff H. Ch. K.s u. die Theorie der Sonatenform, in: AfMw 35 (1978).

KOCH, Ulrich, *14. 3. 1921 Braunschweig; dt. Bratschist (spielt auch Viola d'amore und Viola pomposa). Er nahm 1936-41 in Berlin Privatunterricht, war 1945-48 am Staatstheater in Braunschweig tätig und wurde 1949 1. Solobratschist im Sinfonieorchester des SWF; 1946-48 spielte er auch im Bruinier-Quartett. 1955 übernahm er die Bratschenklasse an der Freiburger Musikhochschule (1967 Professor). Daneben gehört er seit 1954 der Capella Coloniensis des WDR an und bildet zusammen mit Susanne Lautenbacher, Violine, und Thomas Blees (seit 1976 Martin Ostertag), Violoncello, das Trio Bell'Arte. K. interpretiert die Bratschenliterátur vom Barock bis zur Avantgarde; so spielte er u. a. Uraufführungen von M. Seiber, J. N. David, K. Husa und T. Baird. Konzertreisen führten ihn durch Europa und nach Übersee. KOCHAN, Günter, * 2.10.1930 Luckau (Niederlausitz); dt. Komponist. Er studierte 1946-50 bei 383

Köchel B. Blacher an der Musikhochschule in Berlin-Charlottenburg und 1950-53 bei H. Eisler an der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost). Seit 1950 lehrt er an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin (Ost), seit 1967 als Professor für Komposition. 1959 und 1964 erhielt er den Nationalpreis der DDR für Komposition und ist seit 1965 Mitglied der Deutschen Akademie der Künste sowie Mitglied des Zentralvorstandes des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR. Anknüpfend an die rhythmisch-metrisch belebte Neoklassik Blachers, fand K. in seinen weiteren Kompositionen über die programmatisch bestimmte Gefolgschaft Eislers und Schostakowitschs zu einem rhythmisch-harmonisch freieren, spielerisch gelösten, gleichwohl formbewußten eigenen Instrumental- und Vokalstil. WW: 1) lastr.-WW: Für Klv.: Suite (1952); Trio (1953); Praeludien, Intermezzi u. Fugen (1954); Kleine Stücke (1958) für Klv. zu 4 Händen; Kindermusik (1960); 5 Klv.-Stücke u. 7 leichte Stücke (1971). - Sonate für V. u. Klv. (1966); Divertimento (1956) für Fl., Klar. u. Fag.; 5 Sätze für Streichquartett (1961); Kleines Streichquartett (1965); Streichquartett (1974). - Für Orch.: Kleine Suite (1956); Fröhliche Ouvertüre (1960); Divertimento (Weber-Variationen) (1964); 2. Symphonie (1968); Mendelssohn -Variationen (1972) für Klv. u. Orch. - Konzerte: 2 für Klv. (1951, 1957); Orch. (1960); 2 für Vc. (1967, 1976); Va. (1974); Bläserquintett (1977) u. ein Concertino für Fl. (1964). 2) Vokal-WW: 1. Symphonie (1963, revidiert 1964) mit Chor u. Orch.; 3 Shakespeare-Lieder (1964) für Alt, Fl. u. Str.; Kantate Asche von Birkenau (1965) (Text: S. Hermlin) für Alt u. Orch.; 3. Symphonie (1972) (Text: J. R. Becher) mit Sopran; Oratorium Das Friedensfest (1978/79) (Text: P. Wiens) für Sopran, Tenor, Bah, 2 Chöre u. Orch.; ferner Filmmusik. Lit.: E. KNEIPEL, Die Sinfonik G. K.s. Anmerkungen zum sozialistischen Realismus im Musikschaffen der DDR, in: Wiss. Zschr. der F.-Schiller-Univ. Jena 23 (1974); U. STURZBECHER, Komponisten in der DDR (Hil 1979). H. LINDLAR

KÖCHEL, Ludwig Alois Friedrich (nicht Ferdinand), Ritter von, * 14.1.1800 Stein an der Donau, t 3.6.1877 Wien; östr. Gelehrter. Seit 1816 in Wien ansässig, promovierte er 1827 an der dortigen Universität zum Dr. jur. Frühzeitig Waise, verdiente er sich ab 1823 seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer. In Anerkennung seiner Verdienste um die Erziehung der vier Söhne von Erzherzog Karl (1827-42) erfolgte 1842 seine Erhebung in den Ritterstand. Als Privatgelehrter lebte er 1843-47 in Wien, von wo aus er ausgedehnte botanische Studienreisen durch Europa unternahm. Seit 1848 in Teschen (Böhmen) wohnhaft, übersiedelte er bereits 1850 nach Salzburg. Dort verbrachte er zehn Jahre und traf 1856 mit W. A. Mozarts Sohn Karl zusammen. Seit 1863 wohnte er wieder in Wien. 1867 wurde er Ehrenmitglied des Salzburger Mozarteums und 1871 der Gesellschaft der Musikfreunde Wien. 384

Schriften: Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke W. A. Mozarts (L 1862), bearb. v. F. Giegling A. Weinmann - G. Sievers (Wie 6 1964); Der kleine Köchel, zusammengestellt v. H. von Hase (ebd. 1951, "1977); Die kaiserliche Hof-Musikkapelle in Wien von 154.3-1867 (W 1869, Nachdr. Hil 1976); J. J. Fux (W 1872, Nachdruck Hil 1974).

Als Universalgelehrten fesselte K. — neben Mineralogie, Botanik u. a. Naturwissenschaften — zunehmend die Musikgeschichte Österreichs. Durch sein Hauptwerk, das „Köchelverzeichnis", dessen Vorarbeiten in die Salzburger Zeit zurückreichen und durch das sein Name zum Begriff geworden ist, steht er mit dem ihm befreundeten O. Jahn am Beginn der modernen Mozart-Forschung. Die Herausgabe der Alten Mozart-Gesamtausgabe ermöglichte er durch ein Legat von 15 000 Gulden. Auch K.s grundlegendes Werk über J.J. Fux mit thematischem Werkverzeichnis hat bis zur Gegenwart an Gültigkeit nicht verloren. Lit.: O. E. DEUTSCH, Aus K.s Jugendtagen, in: FS H. Engel (Kas 1964); G. RECH, L. A. F. Ritter v. K., in: Symbolae historiae musicae. FS H. Federhofer (Mz 1971); O. BIBA, L. Ritter v. K. 1800-1877, in: ÖMZ 32 (1977). R.

FEDERHOFER-KÖNIGS

KOECHLIN, Charles, * 27. 11. 1867, t 31.12. 1950 Le Canadel (Var); frz. Komponist und Musiktheoretiker. 1887-89 besuchte er die École Polytechnique in Paris und war 1890-98 am Conservatoire Schüler von J. Massenet, A. Gédalge und G. Fauré. Mit diesem befreundet, orchestrierte er dessen Bühnenmusik zu M. Maeterlincks symbolistischem Drama Pelléas et Mélisande, das von Cl. Debussy zur selben Zeit als Drame lyrique (UA 1902) vertont wurde. Um 1900 beschäftigte sich K. mit Rudyard Kiplings Dschungelbüchern und ließ sich davon zu einer Reihe von (zu verschiedenen Zeiten geschriebenen) Werken anregen, die er später zu einer symphonischen Suite Livre de la jungle zusammenfaßte. 1913 orchestrierte er nach Debussys genauen Anweisungen dessen Ballett Khamma. Von 1911 bis in die 20er Jahre komponierte er vorwiegend Kammermusik. Um 1928 lehrte er an der University of California in Berkeley Harmonielehre und Kontrapunkt. In den letzten Jahren wandte er sich wieder größeren Kompositionen zu. WW: 1) 1astr.-WW: Quatre sonatines françaises (1919) u. Paysage et marines (1920) für Klv.; 3 Streichquartette (1911-13, 1915-16, 1921); Quintett Primavera (1936) für Fl., V., Va., Vc. u. Harfe; Bläserseptett (1937). - Für Orch.: L'Épopée de l'École polytechnique (1894); symphonische Suiten bzw. Dichtungen: L'automne (1909), Le printemps (um 1911), L'hiver (um 1916) u. L'été (1911); 2 Symphonien (1916, 1944); La course de printemps (1925-27); The Seven Stars-Symphony (1933); Symphonie d'hymnes (1936); La méditation de Purun Baghat (1936), La loi de la jungle (1939) u. Les bandar-log (1939), zus. mit La course de printemps (1927), La berceuse phoque (1899) u. La chanson de nuit dans la jungle (1899) als symphonische Suite Livre de la jungle mit Soli u. Chören (nach R. Kipling); Le buisson ardent

Kodály (1938-45); Offrande musicale sur le nom de Bach (1942). 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder; Chorwerke, u. a.: La vérandah (1893) für Sopran u. doppelten Frauenchor; La fin de l'homme (1895) für Tenor, Bar., Chor u. Orch.; Suite L'abbaye, 2 Teile, 1. Teil (1902) für Solost., Chor., Orch. u. Org., 2. Teil (1908) für Chor, Orch. u. Org.; libérons Thaelmann (1934) für Chor u. Klv. oder Orch. - 3) Bähaen-WW: Biblische Pastorale Jacob chez Laban (1908). - Ballette: La divine vesprée (1918); La forět paienne (1920) u. L'âme heureuse (1947). - 4) Schriften: Étude sur les notes de passage (1922); Debussy (1927, 2 1956); G. Fauré (1927, 21949); Précis des régies du contrepoint (1927); Traité de l'harmonie (1927-30); Étude sur l'écriture de la fugue d'école (1933); Traité de l'orchestration, 4 Bde. (1954-59).

K.s Musik ist stilistisch nicht leicht einzuordnen, vor allem auch weil nur wenig davon heute zugänglich und veröffentlicht ist. Seine Orchestrationen von G. Faurés Pelléas et Mélisande und Debussys Khamma zeigen schon früh die Fähigkeit, sich fremde Techniken zu eigen zu machen. Um 1920 griff er einerseits die neoklassizistische Schreibweise von E. Satie auf und experimentierte andererseits mit sehr dichten bitonalen Akkorden, über denen orientalisierende Hirtenmelodien erklingen. K. öffnete sich bereitwillig den in den 20er Jahren dominierenden neuen Strömungen, der Rückbesinnung P. Hindemiths auf J. S. Bach ebenso wie der Zwölftonmusik A. Schönbergs, die er als einer der ersten französischen Komponisten übernahm. Die symphonische Dichtung Les bandar-log — Kipling nennt mit diesem Namen die Affen des indischen Dschungels — „äfft" souverän alle diese Stile nach, ohne sie damit lächerlich machen zu wollen. Dazu nimmt K. im ersten und letzten Teil des Werkes noch die Klangflächenkomposition der 60er Jahre voraus. Er ist Eklektiker, in seinen weitgespannten Interessen, die allen Kulturen der Erde und jedem Zeitalter gelten, vergleichbar mit O. Messiaen. Lit.: Ch. K. Werk-Verz., hrsg. v. H. SAUGUET (P 1975). - J. ROY, Musique française, Satie, K., Roussel, Schmitt (P 1961, NA 1962); J. E. WOODWARD, The Theoretical Writings of Ch. K. (1974) (= Diss. Univ. of Rochester/N.Y.); TH. H. McGuIRE, The Piano Works of Ch. K. 1867-1950 (1975) (= Diss. Univ. of North Carolina); E. K. KIRK, K.'s Neglected „Le livre de la Jungle", in: MQ 64 (1978); P.-G. LANGEVIN, Ch. K., in: RM 324-326 (1979). TH HIRSBRUNNER

KOECKERT, Rudolf Josef, * 27.6.1913 Großpriesen (Böhmen); dt. Violinist. Er studierte bis 1938 in der Meisterklasse des Prager Konservatoriums und war dort 1939-45 Konzertmeister des Deutschen Philharmonischen Orchesters, 1946-47 Konzertmeister der Bamberger Symphoniker. Seit 1949 ist er 1. Konzertmeister des Symphonie-Orchesters des Bayerischen Rundfunks, seit 1952 außerdem Professor am L.-Mozart-Konservatorium in Augsburg. 1939 gründete er das Sudetendeutsche Streichquartett, das später in Prager Deutsches Streichquartett umbenannt wurde; seit

1947 tritt das Ensemble unter dem Namen K.Quartett auf und besteht aus den Mitgliedern: Willi Buchner ( 5 14. 10. 1910 Schwarzau/Niederösterreich), 2. Violine, seit 1965 K.s Sohn Rudolf Joachim K. (* 10.4. 1941 Prag); Oskar Riedl ( 5 4. 7. 1912 Graslitz/Böhmen), Viola; Josef Merz(* 20.8. 1911 Gumplitz/Böhmen), Violoncello. Das Ensemble trat auf zahlreichen Konzertreisen auch im europäischen und außereuropäischen Ausland auf und brachte Werke von zeitgenössischen Komponisten wie G. Bialas, A. Ginastera, P. Hindemith, E. Krenek und W. Zillig zur Uraufführung. Ein Quartett c-moll von A. Bruckner wurde 1950 von K. entdeckt und später ediert (W 1956). KOCZALSKI, Raoul Armand Georg, * 3.1.1884 Warschau, t 24.11.1948 Posen; poln. Pianist. Er studierte zunächst in Warschau, dann bei dem Chopin-Schüler Karol Mikuli in Lemberg, später u. a. bei Anton Rubinstein in St. Petersburg. Als Kind bereiste er bereits ganz Europa und erhielt in Frankreich, Spanien, Persien und der Türkei Auszeichnungen. An der Pariser Sorbonne studierte er auch einige Jahre Musikwissenschaft und Philosophie. Bis 1945 lebte er zwischen seinen häufigen Konzertreisen meist in Deutschland, danach als Professor an den Musikhochschulen in Posen und Warschau. K. erlangte als Chopin-Interpret große Berühmtheit. Er ist auch als Komponist von Opern, Kammermusik, Klavierwerken und Liedern hervorgetreten. KODÁLY, Zoltán, * 16. 12.1882 Kecskemét, t 6.3. 1967 Budapest; ung. Komponist, Musikforscher und Musikpädagoge. Er studierte seit 1900 in Budapest an der Universität deutsche und ungarische Literatur und Sprachwissenschaft sowie an der Musikakademie bei J. Koessler Komposition und promovierte 1906 mit. der Dissertation Der Strophenbau im ungarischen Volkslied (ung.), für die er etwa 150 Volkslieder aus der Umgebung von Galánta gesammelt hatte. Zu dieser Zeit begann K.s Zusammenarbeit mit B. Bartók mit dem Ziel, eine von Einflüssen der deutschen Romantik freie eigenständige ungarische Musik zu schaffen. 1907 nahm er eine Lehrtätigkeit an der Musikakademie in Budapest auf, die er mit einer politisch bedingten Unterbrechung 1919-21 bis 1940 ausübte. K.s Kompositionen stießen wie die Bartóks zunächst weitgehend auf das Unverständnis der Kritiker, denen als „ungarische Volkslieder" bislang nur städtische Neuschöpfungen des 18. und 19. Jh. bekannt waren. K. und Bartók widmeten sich daraufhin intensiv ihrer Sammeltätigkeit, unterstützt von K.s späterer Frau, der Komponistin Emma Schlesinger. 385

Kodály

Bis 1913 zeichneten sie etwa 3000 Melodien auf und legten einen Entwurf zur neuen allgemeinen Volksliedersammlung vor, doch fand ihr Plan zur Herausgabe der Lieder keine Unterstützung. Als durch den Krieg Reisen erschwert wurden, trat K. in stärkerem Maße als Komponist hervor und versuchte als Musikkritiker (1917-19), das Publikum zu einem neuen Musikverständnis heranzuführen. Bald darauf wurde er durch den Psalmus Hungaricus (1923) und durch das Singspiel Háry János (1925-27) weltweit bekannt. Um 1925 stellte er fest, daß in seinem Land „die Jugend in einer vollkommenen musikalischen Verwahrlosung lebt, schlimmer als Analphabetismus". Seine nun zahlreich entstehenden Chorwerke sollten daher „der breiten Masse des ungarischen Volkes ... Gelegenheit geben ... , hohe künstlerische Musik kennen und lieben zu lernen". Seit 1930 hielt er an der Universität Budapest Vorlesungen über Volksmusik und arbeitete an seinem bedeutendsten wissenschaftlichen Werk, A magyar népzene (Die ungarische Volksmusik). Etwa gleichzeitig ergriff er auch die Initiative zu einer Bewegung für richtiges Sprechen und zur Vervollkommnung der ungarischen Sprache. Praktisches Ergebnis dieser Bemühungen war eine 1944/45 gemeinsam mit J. Ádám herausgegebene Liedersammlung für die Schule. Seit 1940 bereitete K. die Veröffentlichung des Corpus Musicae Popularis Hungaricae vor (der erste Band erschien 1951). 1943 wurde er korrespondierendes Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, war seit 1945 — gleichzeitig mit seiner Berufung zum Vorsitzenden des Ungarischen Künstlerischen Rates — deren ordentliches Mitglied und 1946-49 deren Präsident. Als Abgeordneter der Nationalversammlung konnte K. sein Konzept zur Musikerziehung, die schon im Kindergarten durch eine auf der Solmisation beruhende Gesangsausbildung eingeleitet werden sollte, durchsetzen. Auf wissenschaftlichem Gebiet wirkte er seit 1961 bis zu seinem Tode als Chefredakteur der Studia musicologia. K. erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, u. a. dreimal den KossuthPreis, die Ehrendoktorwürde von vier Universitäten und zahlreiche Ehrenbürgerschaften. Festschriften erschienen zu seinem 60., 70., 75. und 80. Geburtstag. W W : 1) Instr.-WW: a) Für Klv.: Zongora muzsika (1905), auch als „9 Klv.-Stücke" (1909); Méditation sur un motif de C. Debussy (1907); 7 Stücke (1910-18); 12 Gyermektáncok (1945). — b) Kammermusik: 2 Streichquartette (1909, 1916-18); Serenade für 2 V. u. Va. (1920); Adagio für V. u. Klv. (1905), davon zahlr. Bearb.; Duo für V. u. Vc. (1914); Magyar rondo (1917), Orch.Fassung als: Régi magyar katonadalok; Sonatine (1966) für Vc. u. Klv. — c) Für Orch.: Nyári este (1906, Neufassung 1930); Marosszéki táncok (1930) (auch für Klv.); Galántai táncok (1933) (auch

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für Klv.); Variationen uberdas Volkslied Felszálotta páva (1939); Konzert (1939); Symphonie C-Dur (1961). — 2) Vokal-WW: Zahlr. Lieder für SingSt u. Klv. (auch mit Orch.). — A cap.-Chöre, für gem. Chor, darunter: Zrínyi szózata (1954) mit Bar.solo; Magyarország címere (1956); 1 Will Go Look for Death (1959); Sik Sándor Te Deuma u. Media vita in morte sumus (1961) (in memoriam M. Seiber); Veni, veni Emmanuel u. An Ode for Music (1963); A Song of Faith (1964); Mohács (1965); Nemzeti dal (1955) für Männerchor u. Hegyi éjszakák Nr. 1 (1923), Nr. 2-4 (1955-56), Nr. 5 (1962) für Frauenchor. — Chorwerke mit Orch. oder Orgel, u. a.: Psalmus Hungaricus (1923) für Tenor, Chor u. Oreb.; Pange lingua (1929) für gem. Chor (oder Kinderchor) u. Org.; Te Deum (1936) für Soli, Chor u. Orch.; Missa brevis (1944) für Chor u. Org. (oder Soli, gem. Chor u. Orch.); Kállai kettös (1950) für gem. Chor u. Volksorch.; An Ode. The Music Makers (1964) für gem. Chor, 2 Trp., 3 Pos. u. Str. — 3) Bihnea-WW: Singspiele: Háry János, UA: Budapest 1928, dazu Szinházy nyitány (1927) u. urspr. Ballettszene (1925); Székelyfonó, UA: ebd. 1932; Czinka Panna, UA: ebd. 1948, daraus Minuetto serio (1953) für Orch. — 4) Schriften: Gesammelte Aufsätze A zene mindenkié, hrsg. v. A. Szöllösy (Budapest 1954) u. Visszatekintés, hrsg. v. F. Bónis, 2 Bde. (ebd. 1964); A magyar népdal strófaszerkazete, in: Nyelvtudományi közlemények 36 (1906); Meine kompositorischen Absichten, in: Neues Pester Journal (1924); A magyar népzene (Budapest 1937, 2 1943, '1960), dt. Obers.: Die ungarische Volksmusik (ebd. 1956); Mein Weg zur Musik. Fünf Gespräche mit L. Besch (Z 1966).

„Seine Musik ist ein Glaubensbekenntnis an den ungarischen Geist. Eine äußere Erklärung dafür ist, daß die Tätigkeit K.s als Komponist ganz besonders im Nährboden der ungarischen Volksmusik verwurzelt ist, die innere Ursache aber ist K.s unerschütterlicher Glaube an die aufbauende schöpferische Kraft seines Volkes und sein Vertrauen auf die Zukunft" (Bartók). Die bei der Sammeltätigkeit festgestellten Grundzüge der Volksmusik griff K. in seinen Kompositionen zunächst quasi zitierend auf, doch wurden sie etwa seit dem 2. Streichquartett (1916-18) auch Bestandteil seines Stils: in der Vokalmusik stets textorientierte Melodien, im Instrumentalbereich eine freie, improvisatorische Melodieführung mit variierten Reprisen, dazu eine aus der Melodik abgeleitete Harmonik ohne stützende Funktion. Doch nahm K. auch Anregungen aus verschiedenen Epochen der Musikgeschichte auf (Gregorianik, Palestrina -Stil, barocke Wortsymbolik, klassische Formschemata, impressionistische Klangfarben) und gelangte in seinem Werk zu einer Synthese von westeuropäischer Kunst- mit ungarischer Volksmusik. K.s Schaffen läßt sich nach Gattungen in drei Perioden gliedern: 1905-20: Lieder und Kammermusik; 1923-39: symphonische Kompositionen, Chor- und Bühnenwerke; Hauptwerk der letzten Schaffensperiode ist die ChorSchule. Dieser nach pädagogischen Gesichtspunkten aufgebaute Lehrgang basiert auf der SolfeggioMethode, die die Fähigkeit zum Notenlesen und zu einer reinen Intonation fördern soll. K.s Schüler (u. a. Mátyás Seiber, István Szélényi) führen seinen Gedanken, die Jugend durch Musik zu erziehen,

Kol4da fort, so daß der anerkannte hohe Standard der heutigen Musikausbildung in Ungarn ohne K. nicht vorstellbar ist. Lit.: Z. K., Werk-Verz. (W 1967). — Sonderhefte: Magyar zene 3 (1962) u. 8 (1967); Tempo (1962/63) Nr. 63; Documenta Bartókiana (1946) H. 1; Kortárs 11 (1967); Muzsika 10 (1967). — B. SZABOLCSI, Die Instr. Musik Z. K.s, in: Musikblätter des Anbruch (W 1922); DERS., Die Lieder Z. K.s, in: ebd. (1927); DERS., Die Chöre Z. K.s, in: ebd. (1928); E. HARASZTI, Z. K. et la musique hongroise, in: RM (1947); L. EOSZE, K. Z. élete és munkássága (Budapest 1956), dt. Übers.: Z. K., sein Leben u. sein Werk (Bonn 1964); Z. VANCEA, Janáček und die führenden Komponisten der südost-europäischen Schulen. Bartók, Enescu, K., in: Kgr.-Ber. Brünn 1958; B. SZABOLCSI, Z. K., ein Erzieherzum hist. Bewußtsein, in: DJbMw 7 (1962); P. M. YOUNG, Z. K. (L—NY 1964, dt. Budapest 1964); B. SzABOLCSI,Gesch. der ung. Musik (Budapest 1964); E. KRAUS, Das musikerzieherische Vermächtnis Z. K.s, in: Musik im Unterricht (Ausg. B) 58 (1967): H. STEVENS, The Choral Music of Z. K., in: MO 54 (1968); G. FRISS, Musik u. Musikerziehung in Ungarn. Zu Z. K.s musikpádagogischer Reform u. ihren Auswirkungen, in: OrffInst. Jb. 3 (1964-68); H. SZABÓ, The K. -Concept of Music Education (L 1969); H. H. STUCKENSCHMIDT, Die großen Komponisten unseres Jh. 1 (Mn 1971); Ungarische Komponisten, hrsg. v. H. LINDLAR (Bonn o. J.) (= Musik der Zeit 9); Contemporary Hungarian Composers (Budapest 7 1973); L. CHOKSY, The K. Method (Englewood Cliffs / N. J. 1974); E. HALMOS, Die musikpädagogische Konzeption Z. K.s im Vergleich mit modernen curricularen Theorien (Wb— Z 1977) (= Schriften z. Musikpädagogik 4). K. LANGROCK

KOFFLER, Józef, * 28.11.1896 Stryj, t 1943 oder 1944 Wielicka bei Krakau (hingerichtet); poln. Musikforscher und Komponist. K. studierte in Wien 1914-16 bei H. Graedener, seit 1920 Komposition bei A. Schönberg und Musikwissenschaft bei G. Adler. 1923 promovierte er, war 1928-41 Professor für Harmonielehre und Komposition in Lemberg sowie 1930-37 Chefredakteur der Zeitschriften Orkiestra und Echo. K. war der erste polnische Komponist, der aus der Wiener Schule hervorging. WW: 1) Kompositionen: Zahlr. Klv.-Stücke; Streichtrio, op. 10; Streichquartett, op. 20; für Str.: 3 Symphonien; Suita polska, op. 24; Uwertura radosna; Wariacje szeregu 12 tonów; Kantate Míloš~ für SingSt, Va., Vc. u. Klar.; 4 Poèmes, op. 22 für SingSt u. Klv.; Ballett Alles durch M.O. W. für Tänzer, 2 SingSt, Chor u. Orch., op. 15. — 2) Schriften: Die orchestrale Koloristik in den symphonischen Werken v. Mendelssohn (Diss. W 1923); Modulacja diatoniczna. Nowa droga nauczania, in: Kwart. Muz. (1931); Problemy muzyczne w Radio, in: Muzyka (1932); Muzyka awangardowa z lotu ptaka, in: ebd. (1952). Lit.: J. FREIHEITER, J. K., in: Muzyka (1936) Nr. 7; M. PLUTA-KOTYÓSKA, J. K., in: Ruch muzyczny 9 (1965) Nr. 1.

KOGAN, Leonid Borissowitsch, * 14. 11. 1924 Jekaterinoslaw (heute Dnjepropetrowsk, Ukraine), t 17. 12. 1982 Moskau; sowjet. Violinist, K. wurde mit 10 Jahren Schüler von Aram Jampolski am Moskauer Konservatorium, wo er 1943-48 weiterhin studierte. Seit 1944 trat er als Solist der Moskauer Philharmonie auf und lehrte neben seiner

Konzerttätigkeit seit 1952 am dortigen Tschaikowsky-Konservatorium (1963 Professor). Er gehörte neben J. Heifetz und D. Oistrach zu den bedeutendsten russischen Geigern dieses Jahrhunderts. A. Chatschaturjan, T. Chrennikow, L. Nikolajew und M. Weinberg schrieben für ihn Violinkompositionen. K. spielte eine Geige von Guarneri del Gesù. Er war mit der Violinistin Jelisaweta Gilds (* 30.9. 1919 Odessa), einer Schwester des Pianisten Emil Gilels, verheiratet. Lit.: M. ZAZOVSKIJ, L. K. (Mos 1956); J. HARTNACK, Große Geiger unserer Zeit (Mn 1967).

KOEGLER, Horst, * 22.3.1927 Neuruppin; dt. Musikschriftsteller und Musikkritiker. K. studierte 1945-47 Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Kiel und 1947-49 Regie und Dramaturgie an der Theaterhochschule Halle an der Saale. 1949-51 war er Dramaturg und Opernregisseur am Gerhart Hauptmann-Theater in Görlitz und lebte anschließend als freischaffender Publizist für deutsche und ausländische Zeitungen und Fachzeitschriften (Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Opera News, New York, Opera, London, Les Saisons de la Danse, Paris) bis 1959 in Berlin (West) und 1959-77 in Köln. 1977 wurde er Musikredakteur der Stuttgarter Zeitung. Schriften: Ballett international (B 1960); Balanchine und das moderne Ballett (Velber 1964); Friedrichs Ballettlexikon von A—Z (ebd. 1972), engl. revidiert als: The Concise Oxford Dictionary of Ballett (Lo 1977). — Er ist Hrsg. des dt. Ballettjahrbuchs Ballett (Velber 1965ff.) (zus. mit H. Regitz 1977ff.).

KOHLER, Siegfried, * 30.7. 1923 Freiburg i. Br.; dt. Dirigent. K. studierte Harfe und Dirigieren an der Musikhochschule in Freiburg i. Br. und war 1941-42 Solorepetitor und Harfenist am Stadttheater in Heilbronn. 1946 wurde er Dirigent und 1952 1. Kapellmeister an den Städtischen Bühnen in Freiburg i. Br., 1954 an der Düsseldorfer Oper und 1957 in Köln, wo er seit 1962 Stellvertretender GMD und interimistischer Leiter der Oper war. Außerdem leitete er die Opernschule an der Hochschule für Musik in Köln. Seit 1964 war er Musikalischer Oberleiter und GMD der Stadt Saarbrücken und ist seit 1974 in gleicher Funktion am Staatstheater Wiesbaden tätig. WW: Orchesterwerke; Lieder. — Bühnen-WW: Musikal. Lustspiel Autofahrt ins Glück, UA: Freiburg 1947; Operette Alles Capriolen, UA: Koblenz 1952; musikal. Märchen Der gestiefelte Kater, UA: Düsseldorf 1958; Musical Sabine sei sittsam (nach Kotzebues Die deutschen Kleinstädter), UA: Saarbrücken 1967; musikal. Komödie Ladies and Gentleman, UA: ebd. 1970; ferner Bearb. v. Werken v. A. Thomas, F. A. Boieldieu u. J. A. Hiller.

KOLEDA (poln.; Plur. Kolçdy), Weihnachtslied der Slawen(Polen,Tschechen,Slowaken,Bulgaren), 387

Köler dem in Rumänien die řColindä entspricht. Man unterscheidet die K. für das Singen in der Kirche, für das Haus und mit Glückwunschfunktion zu Weihnachten und Neujahr. Die K. geht z. T. auf Sequenzen, Tropen und Hymnen des Mittelalters zurück, daneben wurden auch Volksweisen (vornehmlich mit Tanzrhythmen) übernommen oder neue Melodien geschaffen, deren Verfasser jedoch z.T. unbekannt sind. Die meisten für den kirchlichen Gebrauch geschaffenen Kolgdy tragen feierlichen Charakter, bei den weltlichen - die Pastoralki (Hirtenlieder) genannt werden - ist das Volksliedhafte vorherrschend. Die ersten K.-Aufzeichnungen stammen aus dem 12. Jh., bedeutende gedruckte Sammlungen aus dem 17. Jh.: z. B. von Jan Zabczyc, Simfonie anielskie (Engelssymphonie, Krakau 1630). Die K. wurde auch in der Kunstmusik verwertet, u. a. bei Fr. Chopin im Mittelteil seines Scherzos h-moll, op. 20, die K. Lulajie, Jezuniu. Lit.: S. DOBRZYCKI, O kolçdach (Posen 1923); L. ROMAN SKY, Die einfachen Koledo -Refrains der bulgarischen Weihnachtslieder (Diss. B 1942); J. KUCKERTZ, Gestaltvariation in den von Bartók gesammelten rumänischen Colinden (Rb 1963) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 23); A. PETNEKI, Die poln. Kolenda-Lieder im MA, in: Studia musicologica 15 (1973): D. DEvir, Melodien der K.-Lieder bei einigen Balkan -Völkern, in: Makedonski folklor / Le folklore macédonien 8 (1975). G. HABENICHT

KOLER (Colerus, Koler), David, * um 1532 Zwikkau, t 25.7.1565 ebd.; dt. Komponist. Er besuchte die Lateinschule in Zwickau und immatrikulierte sich 1551 an der Universität in Ingolstadt. 1554-55 hielt er sich in Schönfeld bei Schlaggenwald (Böhmen) auf, war 1556-57 Kantor in St. Joachimsthal und 1557-63 in Altenburg und 1563-65 Hofkapellmeister in Schwerin. Zuletzt lebte er als Kantor wieder in Zwickau. WW: Zehen Psalmen Davids für 4-6 St. (L 1554), daraus ein Ps. in Org.-Bearb. in RISM 15832'; weitere geistl. WW, darunter eine 5st. Missa super Benedicta Josquini hsl. erhalten. Ausg.: 3 dt. Psalmen, hrsg. v. L. HOFFMANN-ERBRECHT (Wb 1960) (= Chw 71).

KOLISCH, Rudolf, * 20.7.1896 Klamm (Niederösterreich), t 1.8.1978 Watertown (Massachusetts); amerik. Violinist. Er studierte an der Wiener Musikakademie Violine (O. Ševčík) und Komposition (Fr. Schreker) sowie Musikwissenschaft an der Universität (G. Adler); außerdem war er seit 1917 Privatschüler A. Schönbergs, der 1924 K.s Schwester heiratete. 1919-21 war K. Vortragsmeister in Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen" und gründete 1922 ein eigenes Streichquartett, das vor allem durch die Aufführungen zeitgenössischer Werke (Schönberg, A. Berg, A. 388

Webern, B. Bartók, E. Krenek) große Berühmtheit erlangte. 1940 übersiedelte K. in die USA und war 1944-67 als Leiter des Pro-Arte-Quartetts Lehrer für Violine und Kammermusik an der University of Wisconsin in Madison tätig. Seit 1967 leitete er die Kammermusikabteilung am New England Conservatory of Music in Boston, seit 1974 auch die praktischen Kurse der Mödlinger Interpretationsseminare der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. Seit 1953 konzertierte er wieder in Deutschland, wo er wiederholt auch bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt mitwirkte. Er schrieb: Tempo and Character in Beethoven's Musik (in: MQ 29, 1943) und Über die Krise der Streicher (in: Darmstädter Beiträge z. Neuen Musik 1, Mz 1958). Lit.: R. STEPHAN, Zum Tode v. R. K., in: OMZ 33 (1978); Beethoven. Das Problem der Interpretation (Mn 1979) (-. MusikKonzepte 8) (R. K. gewidmet). B. A. KOHL

KOLLEKTE (von lat. colligere = sammeln; lat.: collecta), deutsche Bz. für die erste von drei Orationen der Meßfeier im Missale Romanum von 1970. Der Name bringt zum Ausdruck, daß der Priester als Leiter der gottesdienstlichen Versammlung in der K. die Gebete aller Teilnehmer-zusammenfaßt. Das Deutsche Meßbuch verwendet für K. die Bz. Tagesgebet, da sie ebenso in anderen Teilen der Liturgie des Tages vorkommt; üblich ist ferner auch die Bz. Eröffnungsgebet, weil die K. Amtsgebet im Eröffnungsteil der Meßfeier ist. Unter K. in einem weiteren Sinn werden auch - vor allem im Sprachgebrauch der evangelischen Liturgie - verschiedenartige Orationen und orationsähnliche Gebete verstanden. Nach der Gebetseinladung Oremus (bzw. dt. Lasset uns beten) und einer Gebetsstille beginnt die K. mit einer Anrede an Gott den Vater (seltener an Christus); danach folgt eine - meist relativisch angeschlossene - Aussage über sein Handeln, die die nachfolgende Bitte motiviert. Eine trinitarische Schlußformel führt zum Amen der Gemeinde. Für die vom Stilmittel des Cursus geprägten Orationen gibt der Ordo Cantus Missae von 1972 (und entsprechend die nichtoffizielle Ausgabe des Graduale Romanum von 1974) nur noch zwei Orationstöne - gegenüber einer früher reicheren Auswahl - an. Für die muttersprachliche Kantillation der K., deren Melodien von den Bischofskonferenzen approbiert werden müssen, liegen im deutschen Regelbuch ebenfalls zwei Orationstöne vor. Lit.: H. RHEINFELDER, Zum Stil der lat. Orationen, in: Jb. fur Liturgiewiss. 11 (1931); H.-L. KULP, Das Gemeindegebet im christlichen Gottesdienst (Kas 1955) (= Leiturgia 2); J. A. JUNGMANN, Missarum Sollemnia I (W 5 1962); E. QUACK F. SCHIERI, Regelbuch fur dic Orations- und Lektionstöne in

Kollo dt. Sprache (Fr 1969); J. H. EMMINGHAUS, Die Messe (Klosterneuburg 21976). H. RENNINGS

KOLLER, Hans, * 12.2.1921 Wien; östr. Jazzmusiker (Saxophon, Klarinette). K. studierte 1935-39 an der Wiener Musikakademie. Seit 1947 leitete er eigene Gruppen, u. a. ein Quartett mit Jutta Hipp als Pianistin, das ihn auch unter amerikanischen Jazzmusikern bekannt machte. Außerdem spielte er in den 50er Jahren mit Albert Mangelsdorff zusammen und begleitete 1953 Dizzy Gillespie, 1954 Lee Konitz und Lars Guilin und 1956 Stan Kenton auf ihren Deutschland-Tourneen. 1954-56 leitete er mit dem Pianisten Roland Kovac eine Combo, war 1957-58 in Eddie Sauters Big Band beim Südwestfunk Baden-Baden, übernahm 1958 die Leitung des Jazz-Ensembles beim NDR in Hamburg und spielte 1959 u. a. mit Oscar Pettiford zusammen. K.s Hauptinstrument war bis in die 70er Jahre das Tenorsaxophon, als dessen führender Vertreter in Deutschland er lange Zeit galt. In den 50er Jahren stark vom Cool Jazz beeinflußt, wandte er sich in den 70er Jahren mehr dem Jazzrock und einem freien New Jazz zu und bevorzugte nun häufig das Sopransaxophon. Lit.: D. H. KRANER, Die H. K. Diskographie 1947-1966 (Gr 1967); K. SCHULZ, H. K. (Gr 1967).

KOLLMANN, August Friedrich Christoph, * 21.3. 1756 Engelbostel bei Hannover, t 21.3. 1829 London; dt. Musiktheoretiker und Komponist. Er war zunächst Organist in Luneburg und kam 1784 als Kantor der deutschen Kapelle von St. James nach London. Neben Klavierstücken und klavierpädagogischen Werken veröffentlichte er mehrere bedeutende theoretische und didaktische Schriften, durch die er eine wichtige Stellung im Musikleben Londons einnahm. Insbesondere gehört K. zu den ersten Theoretikern, die sich mit dem Werk Bachs beschäftigten. Er veröffentlichte auch eine englische Übersetzung der Bach-Biographie Forkels. Sein Sohn Georg August, * um 1780 London, t 19.3. 1845 ebd., war Organist und wurde 1829 Nachfolger seines Vaters an der deutschen Kapelle von St. James in London. Er schrieb Klaviersonaten und andere Klavierwerke. WW: 1) Kospositionen: Analysed Symphony (K1v.-Trio), op. 3; Symphonien für Klv.-Trio, op. 7; Klv.-Konzert, op. 8; The Melody of the 100th Psalm, With 100 Harmonies, op. 9; Twelve Analysed Fugues für Klv. zu 4 Händen, op. 10; Programm -Symphonie The Shipwreck. - 2) Schriften o. Lehrwerke: First Beginning on the Pianoforte (Lo 1796); Essay on Practical Harmony (Lo 1796): Essay on Practical Musical Composition (Lo 1799, 2 1812); Practical Guide to Thorough Bass (Lo 1801, dt. Offenbach o. J.); Vindication ... (Lo 1802); A New Theory of Musical Harmony (Lo 1806, 2 1823); A Second Practical Guide to Thorough Bass (Lo 1807); Remarks on what Mr. Logier Calls His „New System ... "

(Lo 1824); Über Logier's Musikunterrichtssystem (Mn o.J.) (zus. mit C. F. Müller). Lit.: E. R. JACOBI, A. F. K. als Theoretiker, in: AfMw 13 (1956); DERS., Die Entwicklung der Musiktheorie in England nach der Zeit v. J.-Ph. Rameau 1 (St 1957) (= Sig. musikwiss. Abh. 35).

KOLLO. — 1) Walter (eig. Elimar Walter Kollodziepski), * 28.1.1878 Neidenburg (Ostpreußen), t 30.9. 1940 Berlin; dt. Komponist. K. studierte in Sondershausen und Königsberg Musik und begann seine Laufbahn als Korrepetitor und Kapellmeister am Luisentheater in Königsberg. Anschließend wurde er Kapellmeister in Stettin und Berlin, wo er sich 1901 niederließ und zunächst Chansons und Couplets komponierte (Immer an der Wand lang). 1910-18 war er Hauskomponist am „Berliner Theater". 1913 erzielte er mit der Operette Wie einst im Mai seinen größten Erfolg. Nach Kriegsende leitete er mehrere Theater und komponierte seit 1923 Revuen für Hermann Haller (1871-1943). Daneben brachte er neue Operetten heraus, u. a. Marietta und Frau ohne Kuß und schrieb Couplets, Schlager und Tanzlieder. Die meisten seiner Operetten (zu mehreren schrieb Willi K. das Libretto) gerieten in Vergessenheit, doch sind einige Melodien wie Das war in Schöneberg im Monat Mai Evergreens geworden. WW: Zahlr. Operetten u. Revuen, darunter: Wie einst im Mai (1913); DerJuxbaron (1913); Die tolle KomteB (1917); Marietta (1923); Die Frau ohne Kuß (1924); Lieber reich, aber glücklich (1933). - Filmmusiken zu: Die schönsten Beine von Berlin (1927); Nur Du (1930); Kopfüber ins Glück (1931); Ein Mädel vom Ballett (1937); Symphonie einer Weltstadt (1938/39); Leichte Muse (1941); Frühling von Berlin (1956); Solang noch unter Linden (1958); Was eine Frau im Frühling träumt (1959).

2) Willi, Sohn von 1), * 28.4.1904 Königsberg; dt. Komponist und Librettist. Er studierte am Konservatorium Collini in Berlin und schrieb mit 17 Jahren erste Operettenlibretti und Chansontexte, u. a. zu Musik seines Vaters (Marietta). Seit 1925 trat er auch als Komponist von Operetten und Revue- und Filmmusiken hervor. Nach dem 2. Weltkrieg trat er in verschiedenen Hamburger Kabaretts auf. Seit 1960 leitet er die Verlag und Vertrieb GmbH & Co. KG Musikverlage und lebt heute in Berlin. Außer mit Schlagertexten (Was eine Frau im Frühling träumt; Warte, warte nur ein Weilchen) wurde K. auch durch eigene Lieder bekannt, darunter Zwei in einer großen Stadt und Lieber Leierkastenmann. WW: Zahlr. Lieder u. Chansons. - Revuen, darunter Von A-Z (1925) u. Traumkarussell (1936). - Operetten: Schminke (1935); Besuch am Abend (1938); Die hellgelben Handschuhe (1949). Filmmusik zu: Die blonde Nachtigall; Meine Frau, die Hochstaplerin; Krach im Vorderhaus u. a.

3) René, Sohn von 2), * 20.11. 1937 Berlin; dt. Sänger (Tenor). K. begann seine Musikerlaufbahn 389

Koellreutter zunächst als Schlagersänger. 1958-65 studierte er bei Elsa Varena in Berlin Gesang und debütierte 1965 am Stadttheater in Braunschweig. 1967-71 war er an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf -Duisburg verpflichtet. 1969 sang er erstmals bei den Bayreuther Festspielen, wurde weltweit als Wagner-Tenor bekannt und trat 1976 als Lohengrin in Wagners gleichnamiger Oper erstmals an der Metropolitan Opera in New York auf. Außerdem gastierte er an der Mailänder Scala, in Bologna und an der Wiener Staatsoper. Schwerpunkt seines Repertoires bilden Wagner-Partien (u. a. Lohengrin, Tannhäuser, Walther von Stolzing). K. erlangte aber auch als Operettentenor große Popularität. KOELLREUTTER, Hans Joachim, * 2.9.1915 Freiburg i. Br.; brasilianischer Komponist dt. Herkunft. K. studierte an der Berliner Musikhochschule u. a. Komposition bei P. Hindemith. 1937 bis 1952 war er Professor am Conservatório Brasileiro de Música in Rio de Janeiro und gründete 1939 mit jungen brasilianischen Komponisten die Gruppe „Música Viva". 1952-62 leitete er an der Universität Bahia die von ihm gegründete Musikabteilung, die sich zu einem der wichtigsten Musikzentren des Landes entwickelte. Außerdem war er 1950-63 und 1969-70 künstlerischer Leiter der Ferienkurse in Teresópolis und seit 1969 Direktor des Goethe-Instituts in Tokio. 1975 kehrte er nach Brasilien zurück. WW: Variationen (1941) u. Música (1947) für Streichquartett; Acht Haikai des Pedro Xisto (1963) für BaB, Fl., Gitarre, Klv. u. Schlagzeug; für Orch.: Quatro peças (1937); Concretion (1960); Constructio ad synesin (1962). - Kulka-Gesänge (1964) für Sopran u. Klv.; India Report (1969) für Sopran, Sprecher, Kammerchor, Sprechchor u. Kammerorch. (mit indischen Instr.). Lit.: F. C. LANGE, in: Musica 12 (1958).

KOLNEDER, Walter, * 1.7.1910 Wels (Oberösterreich); östr. Musiker u. Musikforscher. K. studierte bis 1936 am Mozarteum in Salzburg (Violine, Komposition, Dirigieren). 1936-39 lehrte er am Konservatorium in Graz und 1939-45 an der Hochschule für Musikerziehung Graz-Eggenberg. 1947-53 war er Bratschist im Städtischen Orchester Innsbruck; 1953-59 leitete er das Konservatorium Luxemburg, 1959-65 die Akademie der Tonkunst in Darmstadt und 1966-72 die Musikhochschule Karlsruhe. Neben dieser künstlerisch-praktischen Tätigkeit promovierte K. 1949 im Fach Musikwissenschaft an der Universität Innsbruck, habilitierte sich 1956 in Saarbrücken, lehrte dort bis 1965, dann bis 1975 an der Universität Karlsruhe (seit 1963 als Professor). Schriften: Die vokale Mehrstimmigkeit in der Volksmusik der östr. Alpenländer (Diss. I 1949, gedr. Winterthur 1977); A. Vivaldi.

390

Neue Stud. zur Biogr. u. Stilistik seiner Werke (Hab.schrift Saarbrücken 1956), Teildrucke als: Aufführungspraxis bei Vivaldi (L 1955, Adliswil - Z 2 1973) u. Die Solokonzertform bei Vivaldi (Str 1961) (= Slg. musikwiss. Abh.en 42); A. Webern (Rodenkirchen 1961) (= Kontrapunkte 5); A. Vivaldi (Wie 1965, engl. Lo -Berkeley 1970); Das Buch der Violine (Z-Fr 1972, 3 1978); Melodietypen bei Vivaldi (Adliswil - Z1973); Die Kunst der Fuge. Mythen des 20. Jh., 4 Bde. (Wilhelmshaven 1976); A. Vivaldi, Dokumente seines Lebens und Schaffens (ebd. 1979); Kleine Harmonielehre für Geiger und Spieler anderer Melodieinstrumente (1980). - K. besorgte auch zahlreiche Neuausg. älterer Musik, u. a. von T. Albinoni, M.-A. Charpentier, A. Corelli, G. F. Händel, F. M. Veracini und A. Vivaldi.

KOLO (serbokroatisch, = Rad), Sammelbezeichnung für verschiedene jugoslawische Kettentänze und Tanzlieder mit z. T. unterschiedlichen Tanzmustern und Tempi. KOLORATUR, Coloratur (von lat. color = Farbe; it. und frz.: coloratura), allgemein die Bz. für längere schnelle Passagen in der Gesangsstimme einer vokalsolistischen Komposition. K.en können aus Läufen (Tonleitern), Akkordbrechungen, Trillern und Sprüngen in mannigfacher Kombination und Ausdehnung bestehen. Nicht ohne gelegentliches Vorkommen von K.en in oberstimmenbetonten Vokalformen des 16. Jh beginnt die Geschichte der K. in der 1. Hälfte des 17. Jh. im Zusammenhang mit der Ausprägung der monodisch-ariosen Satzweise, und zwar zunächst gleichermaßen in weltlicher wie geistlicher Musik, in Oper, Kantate, Oratorium, Concerto. Im weiteren Verlauf des 17. Jh. wird die .2'Arie (speziell die /Da capo-Arie) die eigentliche Domäne der Koloraturen. Sie bestimmen ihrerseits weithin die Entwicklung der Arie und sind in diesem Bereich das offenkundigste Zeichen für die sich entfaltende sängerische Virtuosität (Gesang) und für das Frühstadium des "Bel canto. Am stärksten ausgebildet war das Koloraturenwesen in der Opera seria neapolitanischer Prägung vom späten 17. bis zum frühen 19. Jh., dann in der italienischen Oper des 19. Jh. (G. Rossini, V. Bellini, G. Donizetti). K.en bildeten nicht nur einen integrierenden Bestandteil der schriftlich fixierten Komposition, sondern wurden auch improvisiert (besonders in der Schlußkadenz einer Arie), was zeitweise in Italien geradezu zu einem K.-Unwesen führte, das von zahlreichen Komponisten scharf kritisiert wurde. Die K. hatte jedoch seit ihrer Frühzeit nicht nur einen virtuosen Aspekt, sondern konnte auch im Dienst des Ausdrucks von Sinn und Affekt einzelner Worte oder eines textlichen Zusammenhangs stehen. Mit zunehmender Typisierung der Opernarie entstand so etwas wie ein fester Vorrat von sozusagen koloraturauslösenden Worten und Sinnbereichen. Er umfaßte sowohl solche Worte, die

Kolorierung eine musikalische Umsetzung von Bewegungsvorgängen in melodisch bewegte K.en ermöglichen (Wellen, Meer, laufen, bewegen u. ä.) als auch vor allem stark affektbezogene Worte (Liebe, Haß, Rache, Zorn, Schmerz, Betrug, Mitleid, Herz u. v. a.). Kein Opernkomponist — mit Ausnahme französischer Meister, die dem Koloraturenwesen in der Oper kaum Raum gaben — von A. Stradella bis C. M. v. Weber, der nicht hiervon reichen Gebrauch gemacht hätte. Herausragende Beispiele für den affektbezogenen und gleichzeitig dramaturgisch begründeten Einsatz ausgedehnter K.en sind die Arien der Königin der Nacht in W. A. Mozarts Zauberflöte und die „Wahnsinnsarie" aus Donizettis Lucia di Lammermoor. Freilich ist die Oper nicht das einzige Gebiet, wo sich K.en finden. Wo immer vom 17. bis zum frühen 19. Jh. in anderen Gattungen Arien komponiert wurden, im italienischen und deutschen Oratorium, in der weltlichen Solokantate, in der deutschen evangelischen Kirchenkantate, in der Messe und in anderen liturgischen Gattungen, dort kommt auch die K. zur Geltung. Die Kantaten, Passionen und Messen J. S. Bachs, Mozarts c-moll-Messe, J. Haydns Schöpfung und Jahreszeiten bieten mannigfaltige Beispiele gerade für das Miteinander und den Ausgleich von Virtuosität und Wortausdruck von Koloraturen. Erst in der Mitte des 19. Jh. verliert die K. in allen Bereichen der Vokalmusik an Beliebtheit. Für G. Verdi wird sie zunehmend ein Mittel musikalisch-dramatischer Intensivierung. Für R. Wagner ist sie dagegen ein wesentliches Indiz für den Verfall und den Tiefstand der Oper und des Operngesangs der ihm unmittelbar vorausgehenden Zeit. Das einzige Werk, in dem er selbst K.en verwendet, sind die Meistersinger, und zwar parodistisch (und anspielend auch an die /Kolorierungs-Praxis der historischen Meistersinger) im Preislied des Beckmesser. In der Oper des 20. Jh. wurden K.en gelegentlich zur Charakterisierung bestimmter dramatischer Personen verwendet, so der Zerbinetta in Ariadne

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auf Naxos von R. Strauss und der Lulu in der gleichnamigen Oper von A. Berg. Lit.: H. GOLDSCHMIDT, Die Lehre v. der vokalen Ornamentik (B 1907); M. HOGG, Die Gesangskunst der F. Hasse u. das Sängerinnenwesen ihrer Zeit in Deutschland (Diss. B 1931); H. FALLER, Die Gesangskoloratur in Rossinis Opern u. ihre Ausführung (Diss. B 1935); L. MEDICUS, Die K. in der it. Oper des 19. Jh. (Diss. Z 1939); H. CH. WOLFF, Die Barockoper in Hamburg 1678-1738, 2 Bde. (Wb 1957); H. TRENNER, Zur Stilgesch. der K. v. Monteverdi bis Verdi (Dias. I 1968); D. GALLIVER, „Cantare con la gorga". The Coloratura Technique of the Renaissance Singer, in: Studies in Music 7 (1973).

KOLORATURSOPRAN, Bz. für die höchste und am hellsten timbrierte Gattung der Frauenstimme mit einem Umfang, der in der Höhe über c3 bis f3 und darüber hinaus reicht und eine besondere Affinität zum Gesang von /Koloraturen besitzt. Die Bezeichnung K. stammt aus dem 19. Jh.; die damit angesprochene stimmliche Disposition und Fähigkeit entwickelte sich namentlich in Verbindung mit dem Koloraturengesang in der italienischen Oper des 17.-18. Jh. Die K.-Sängerin galt in dieser Zeit uneingeschränkt als die Primadonna. In der heutigen Opernpraxis unterscheidet man den dramatischen K. (Königin der Nacht und Constanze in W. A. Mozarts Zauberflöte bzw. Entführung, Rosina in G. Rossinis Barbier) und die Koloratursoubrette (Blondchen in der Entführung, Adele in der Fledermaus von J. Strauß). KOLORIERUNG (von lat. colorare = färben, ausschmücken), als musikwissenschaftlicher Terminus des 19./ 20. Jh. Bz. für die mittelalterliche Praxis, einzelne Gerüsttöne oder Tonschritte in Gruppen von kleinen, schnelleren Noten zu zerlegen (řColor; /Diminution; /Flores, Fioriture; /Koloratur; /Verzierungen). Durch die K. werden jedoch Tonschritte verschiedener Intervallgröße melodisch ausgefüllt, während eine Verzierung einzelne Töne umspielt. Die melodische Vorlage wird demzufolge durch die K. in eine neue Melodiegestalt umgebildet.





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G. de Machaut, De toutes flours, Ballade 31 für 3 Stimmen; für 2 Stimmen umgeschrieben durch Auslassung des Contratenors im Codex Faënza (fol. 58 = 37"-fol. 59 = 38) mit reicher Kolorierung der Oberstimme. Die mit +~ versehenen Noten gehören zum Original von Machaut.

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Kolumbien In der musikwissenschaftlichen Literatur fand K. von der Sache her einen z. T. unterschiedlichen Nachweis: während die K. für A. Schering in den

melismenreichen Oberstimmen der Trecentomusik auftritt, ist sie für R. von Ficker und A. Orel ein allgemeines Kompositionsverfahren des 14. und 15. Jh.; demgegenüber differenziert J. Handschin zwischen Paraphrasierung, Variierung, Komprimierung und Kolorierung. Die Thesen Scherings, von Fickers und Orels fanden Widerspruch vor allem durch H. Besseler, W. Korte und Th. Kroyer. Doch gelten heute allgemein die Ordinariums- und Hymnenkompositionen des 14. und 15. Jh. als koloriert (E. H. Sparks). Unüblich ist es hingegen, die instrumentale Verzierung des 18. Jh. als K. zu bezeichnen (H. Lungershausen). In der Literatur wird gelegentlich — unter Hinweis auf die Verzierungspraxis deutscher Organisten und Lautenisten — von einer „Epoche der Koloristen" (etwa 1570-1620) gesprochen. Lit.: A. SCHERING, Das kolorierte Orgelmadrigal des Trecento, in: SIMG 13 (1911/12); DERS., Stud. z. Musikgesch. der Frührenaissance (L 1914) (= Stud. z. Musikgesch. 2); R. V. FICKER, Die Kolorierungstechnik der Trienter Messen, in: StMw 7 (1920): A. OREL, Einige Grundformen der Motettkomposition im 15. Jh., in: ebd.; TH. KROYER, Denkmäler der Tonkunst in Osterreich, in: ZfMw 5 (1922/23), dazu: R. V. FICKER — A. OREL, in: ebd.; R. V. FICKER, Die frühen Messenkompositionen der Trienter Codices, in: StMw 11 (1924); J. HANDSCHIN, Zur Frage der melodischen Paraphrasierung im MA, in: ZfMw 10 (1927/28); H. BESSELER, Von Dufay bis Josquin, in: ebd. 11 (1928/29); W. KORTE, Stud. z. Gesch. der Musik in Italien im ersten Viertel des 15. Jh. (Kas 1933) (= Münsterische Beitr. z. Musikwiss. 6); H. LUNGERSHAUSEN, Zur instr. Kolorierungspraxis des 18. Jh., in: ZfMw 16 (1934); E.T. FERAND, Die Improvisation in der Musik (Z 1939); DERS., Die Improvisation (Kö 1956, 2 1961) (= Das Musikwerk 12); E. H. SPARKS, Cantus firmus in Mass and Motet 1420-1920 (Berkeley 1963). B. R. SUCHLA

KOLUMBIEN. Die Musiktraditon K.s weist — bedingt durch die geschichtliche Entwicklung — mannigfache Züge auf, die indianische, spanische und afrikanische Einflüsse in sich vereinigen. Ein charakteristischer Tanz K.s ist der Bambuco, der sich zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges (1810-19) zum Nationaltanz entwickelte. Seine Choreographie ähnelt der der chilenischen /Cueca. Wie in anderen Staaten Süd- und Mittelamerikas beeinflußten die Jesuiten auch in K. die Musikentwicklung. Der Italiener José Dadey, der sich seit 1604 in K. aufhielt, macht sich in Bogotá als erster um die musikalische Unterweisung von Indianern und Missionaren verdient. Der Überlieferung nach baute er in Fontibón, wo der Jesuitenpater José Hurtado ebenfalls eine Schule gegründet hatte, eine einfache Orgel mit Bambuspfeifen. Juan de Herrera y Chumacero und Juan de Dios Torres waren am Beginn des 18. Jh. die ersten uns bekannten Kom392

ponisten; ihre Werke befinden sich in den Archiven der Basilika von Bogotá. Seit 1783 gab es in Bogotá auch ein Theater, das von der bürgerlichen Regierung trotz der kirchlichen Opposition eingerichtet wurde. In den adligen Salons entwickelte sich etwa um dieselbe Zeit eine besondere Musikpflege; u. a. wurden die damals populär gewordenen řTonadillas bevorzugt. Zur Zeit der Unabhängigkeitskämpfe trat z. B. Juan Antonio Velasco als Komponist patriotischer Lieder hervor, der schließlich zusammen mit Nicolas Quevedo Rachadell auch tatkräftig an dem Aufschwung des Musiklebens des neuen, 1819 von Simon Bolívar gegründeten Staates mitwirkte: u. a. wurden Orchesterkonzerte veranstaltet mit Symphonien von Haydn, Mozart und Beethoven. Ein traditionell jedes Jahr am 28. Oktober, dem Gedenktag Bolívars, von Quevedo gegebenes Konzert schloß gewöhnlich mit der Canción patriótica von Lino Gallardo. Velasco ist auch der Gründer des ersten kolumbianischen Konservatoriums, das damals im Kloster Chandeleur untergebracht war und in dem u. a. José Maria und Eladio Cancino und Mariano de la Hortua unterrichteten. Bedeutende Komponisten dieser Zeit waren vor allem Julio Quevedo Arvelo (1829-96), der auch als Theoretiker und Orgelbauer wirkte, und José Joaquin Guarin, der u. a. Kirchenmusik und Salonstücke für Klavier schrieb. Als wichtigste Persönlichkeit des Musiklebens in K. im 20. Jh. gilt Guillermo Uribe Holguín (1880 bis 1971), ein Schüler von V. d'Indy und der Pariser Schola cantorum, der sich als Leiter des Konservatoriums von Bogotá, aber auch als Komponist zahlreicher Werke, in denen er ein nationales Kolorit mit neueren Kompositionstechniken verbindet, einen Namen machte. Daneben zählen auch Antonio Maria Valencia (1904-52), Carlos Posada Amador (* 1908), Adolfo Mejía (* 1909), Roberto Pineda Duque (* 1910), Fabio Gonzáles-Zuleta (* 1920) und Luis Antonio Escobar (* 1925) zu den prominenten kolumbianischen Komponisten. Sie alle versuchen ebenfalls in jeweils unterschiedlicher Weise, die musikalische Tradition ihres Landes mit anderen modernen Stilmitteln zu vereinen. Von den Jüngeren sind Blas Emilio Atehortua (* 1933) und Jacqueline Nova (* 1937) erwähnenswert. Die Bedeutung K.s als Musikland kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, daß die Stadt Bogotá bereits 1938 aus Anlaß ihrer 400-Jahr-Feier ein iberoamerikanisches Musikfestival veranstaltete — in einer Zeit, in der es zwischen den Ländern Südamerikas kaum musikalische Beziehungen gab. Lit.: 1) Bibliographien: R. STEVENSON, The Bogota Music Archives, in: JAMS 15/3 (1962). — 2) Denkmäler: M. CARVAJAL, Romancero colonial de Santiago de Calí (Calí 1936). —

Komitas 3) Studien: E. DE LIMA, Folklore colombiano (Barranquilla 1942); A. PARDO TOVAR, A. M. Valencia, artista integral (Cali 1958); DERS., Los cantares tradicionales del Baudo (Bogotá 1960); DERS., Ritmica y melodica del folklore chocano (ebd. 1961); J. I. PERDOMO ESCOBAR, Histoire de la musique en Colombia (ebd. 1963); A. PARDO TOVAR, La cultura musical en Colombia (ebd. 1966); G. BEUTLER, Stud. zum span. Romancero in K. in seiner schriftlichen u. mündlichen Überlieferung v. der Zeit der Eroberung bis zur Gegenwart (Hei 1969); H. C. DAVIDSON, Diccionario folklórico de Colombia. Música, instrumentos y danzas, 3 Bde. (Bogotá 1970); J. PINZON URREA, La música vernacula del altiplano de Bogotá, in: Boletín interamericano de música 77 (1970). L. H. CORREA DE AZEVEDO

KOMBINATION, Bz. für eine Vorrichtung am Spieltisch der Orgel, mit der mehrere Register gleichzeitig durch einen Zug, Druckknopf oder Hebeltritt ein- und ausgeschaltet werden können. Bei der festen K. sind die Register festgelegt: z. B. als in der Lautstärke (p, mf, f, Tutti) oder Klangfarbe (Streicher, Zungen) fest disponierte Registergruppen. Feste K.en waren zwischen 1880 und 1930 im Orgelbau weit verbreitet, sind aber seither bis auf das Tutti aufgegeben worden. Als Registrierungshilfe wichtiger ist heute hingegen die freie K., durch die mehrere Registrierungen frei vorprogrammiert und während des Spiels nach Bedarf abgerufen werden können, und zwar auf mechanischem (schon im italienischen Orgelbau des 18. Jh.), pneumatischem, elektrischem oder elektro-

quenzen zweier Töne entsteht, die gleichzeitig erklingen. Man unterscheidet zwischen einem Differenzton, dessen Frequenz gleich der Differenz der Frequenzen der beiden erklingenden Töne ist, und dem Summationston, dessen Frequenz gleich der Summe der Frequenzen der beiden Töne ist. So beträgt z. B. für eine große Terz mit der Schwingungszahl 500/400 Hz der Differenzton 500 — 400 = 100 Hz, der Summationston 500+400 = 900 Hz. Die Differenztöne sind unter günstigen akustischen Bedingungen deutlich hörbar, insbesondere bei hohen Tönen der Orgel. Sie wurden, unabhängig voneinander, von G. A. Sorge (1740), J. B. Romieu (1743), J. A. Serre (1752) und G. Tartini (1754) erkannt. Man entdeckte auch, daß der Differenzton eines gegebenen Intervalls mit den Tönen dieses Intervalls erneut Differenztöne bildet, die ihrerseits weitere Kombinationstöne erzeugen. Diese Differenztöne 2. Ordnung (Differenz zwischen dem ersten Differenzton und dem stärksten Ton des Intervalls), von denen nur einige hörbar sind, wurden gelegentlich auch Gegenstand der Musiktheorie (u. a. in P. Hindemiths Unterweisung im Tonsatz). Darüber hinaus ist das Interesse eher spekulativ. Die Summationstöne, die H. von Helmholtz 1856 entdeckte, sind im allgemeinen dissonant und haben praktisch keine Bedeutung, da sie sehr schwach sind.

Intervalle

Differenztöne 00

Differenztöne:. =1. Ordnung, • = 2. Ordnung

nischem Wege. Dabei sind 2 Bedienungssysteme zu unterscheiden: bei dem deutschen System kann jedes Register durch eine den K.en entsprechende Anzahl von Zügen (meist 2-4) geschaltet und vorbereitet werden. Bei den amerikanischen „Setzer"-K.en (engl.: setter pistons), die inzwischen auch in Europa weit verbreitet sind, hat jedes Register nur einen Zug, mit dem vorab die verschiedenen Registerprogramme (8-60) gesetzt werden. Beim Abrufen der K. springen dann die Registerzüge automatisch entsprechend um. Lit.: H. M. BALZ, Zur Technik u. Gesch. der Registriervorrichtung, in: FS O. Heuß (1978); C. VON GLATTER-GÖTZ, Spielhilfen, in: Iso-Information 17 (1978), vgl. dazu: ebd. 19 (1979). H. J. BUSCH

KOMBINATIONSTON (engl.: combination tone, resultant tone; frz.: son résultant), Bz. für einen Zusatzton, der aus der Kombination der >Fre-

Lit.: H. VON HELMHOLTZ, Die Lehre von den Tonempfindungen ... (Brau 1863, erweitert 6 1913, Nachdruck Da 1968); C. STUMPF, Beobachtungen über subjektive Töne u. Doppelthören, in: Zschr. für Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane 21 (1899); F. KRUEGER, Zur Theorie der Combinationstöne, in: Philosophische Stud. 17 (1901); H. HUSMANN, Vom Wesen der Konsonanz (Hei 1953) (= Musikal. Gegenwartsfragen 3); J. P. FRICKE, Über subjektive Differenztöne höchster hörbarer Töne u. des angrenzenden Ultraschalls im musikal. Hören (Rb 1960) ( _ Kölner Beitr. z. Musikforsch. 16); F. TRENDELENBURG, Einführung in die Akustik (B 1961); H.-P. REINECKE. H. Riemanns Beobachtungen v. „Divisionstönen" ..., in: H. Albrecht in memoriam (Kas 1962); J. L. GOLDSTEIN, Aural Combination Tones, in: Frequency Analysis and Periodicity Detection in Hearing, hrsg. v. R. Plomp — G. F. Smoorenburg (Leiden 1970).

KOMITAS (eig. Ssogomonjan), Ssogomon Geworkowitsch, * 26.9. (8. 10.) 1869 Kutina (Türkei), t 22.10.1935 Paris; armenischer Komponist, Musikforscher und Dirigent. K. war seit 1881 Schüler der Geistlichen Akademie in Edschmiadzin und

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Komma setzte seine musikalische Ausbildung später in Berlin fort. Später lebte er wieder in Edschmiadzin, Konstantinopel und zuletzt in Paris. K. ist eine wertvolle Sammlung armenischer Volkslieder zu verdanken, über die er auch wichtige Arbeiten veröffentlichte. Als Komponist leitete er die Entwicklung einer national eigenständigen, armenischen Kunstmusik ein. WW: Zahlr. Lieder für SingSt u. Klv. sowie a cap. Chöre; Volksliedslg. Etnografitscheskij sbornik, 2 Bde. (Jerewan 1931, Armgis 1950); Chorslgen. (L 1913, Jerewan 1934, 1937, P 1937). —Ferner die Schriften Armeniens volkstümliche Reigentänze, in: Zschr. für armenische Philologie 1 (1901) u. Armjanskaja lira (P 1907). Lit.: R. SZESKUS, K. in Berlin, in: BzMw 12 (1970); DERS., K. Musikforscher u. Patriot, in: MuGes 20 (1970); S. POLADIAN, K. Verdapet and His Contribution to Ethnomusicology, in: Ethnomusicology 16 (1972).

KOMMA.- 1) (griech., = Abschnitt) Bz. für Verhältnisse annähernd gleicher Frequenzen. Das pythagoreische K., das in der lpythagoreischen Stimmung (7Intervall) auftritt, resultiert aus dem Verhältnis der Frequenzen f. und f, die sich durch Aneinanderreihung von 12 reinen Quinten bzw. 7 Oktaven auf die gleiche Grundfrequenz ergibt: f l : f 2 = (3/2)12 : ( 2/1)' = 1,0136 :1. Die Differenz, die 23,46 Cent beträgt, wird in der gleichschwebenden (temperierten) Stimmung ausZ ?° Cent vergeglichen, indem jede Quinte um = kleinert wird. - Das syntonische oder diatonische K. ergibt sich in einer Terz-Quint-Stimmung und resultiert aus dem Verhältnis zwischen großem und kleinem Ganzton: f l : f 2 = (9/8) : (10/9) = 81 : 80 = 1,0125 : 1. Der Frequenzunterschied beträgt 21,506 Cent. Das septimale K., die Differenz zwischen pythagoreischer und Naturseptime, beträgt 27,256 Cent und resultiert aus: f l : f 2 = (16/9) : (7/4) = 64 : 63 = 1,0158 : 1. Das Gehör nimmt diese Differenz bei bestimmten Intervallen in der nicht temperierten Stimmung als Verstimmung wahr. Andere Differenzbildungen sind rein spekulativer Art und für die Musikpraxis ohne Bedeutung. 2) (engl.: comma; frz.: virgule; it.: virgola, span.: coma) Artikulationszeichen, das in der Vokal und Blasmusik benutzt wird, um Stellen für das Atemholen anzuzeigen. In ähnlicher Bedeutung wird in der übrigen Instrumentalmusik das K. als Phrasierungszeichen gebraucht. KOMMERSBUCH /Studentenlied. KOMÖDIE AUF DER BRÜCKE (Veselohra na mostě), Funkoper in einem Akt von Bohuslav Martinů (1890-1959), Text vom Komponisten nach der gleichnamigen Komödie (1828) von Václav Kli394

ment Klicpera. Ort und Zeit der Handlung: Brücke über einen Fluß, der feindliche Armeen trennt; erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ursendung: 18.3.1937 Prager Rundfunk; szenische UA: 1951 Venedig; dt. EA (in dt. Sprache): 1952 Hagen. Die hübsche Popelka und der Bierbrauer aus ihrem Dorf dürfen kurz vor Beendigung eines Waffenstillstands die Brücke im Niemandsland nicht verlassen. Bei einem freundschaftlichen Kuß werden sie vom Bräutigam des Mädchens überrascht, welcher der ebenfalls erscheinenden Ehefrau des Brauers den Vorfall schildert. Die sich entwikkelnde Eifersuchtsszene wird von der wieder einsetzenden Kampfhandlung beendet: inmitten der kämpfenden Armeen versöhnen sich die Paare. Bei der Vertonung dieses Stoffes griff Martinů in parodistischer Absicht Stilelemente des Biedermeier auf und zeigte in der Vermeidung jeglicher Modernismen seine Bindung an die tschechische musikalische Tradition. Mit der oft volkstümlichen, der unbeschwerten Handlung entsprechenden Musik stellt sich dieses Werk (Aufführungsdauer 38 Minuten) als Rückgriff auf die Gattung des neapolitanischen Intermezzo buffo aus dem 19. Jh. dar. K. LANGROCK

KOMPLET (von lat. completorium), die letzte der Horen im Offizium der katholischen Kirche. Sie ist monastischen Ursprungs und hat heute den folgenden Aufbau, wobei die Texte dem Charakter der K. als eines liturgischen Nachtgebets entsprechen: Eröffnung und Bußgebet - Hymnus Te lucis ante terminum - Psalm mit Antiphonen (entweder Pss. 4 und 134 oder Ps. 91) - Lesung - Responsorium - Canticum Simeonis (/Canticum) - Oration und Segen (mit der Bitte um „eine gute Nacht und ein seliges Ende"). Die K. und damit das gesamte Offizium eines Tages schließt mit einer der vier řMarianischen Antiphonen. Für den Gesang der K. sind im Antiphonale die entsprechenden choralen Melodien vorgesehen, im Gebet- und Gesangbuch Gotteslob auch eine Adaption mit deutschem Text. Aus dem 16./17. Jh. existieren ähnlich wie in größerem Umfang für die /Vesperauch für die K. eigene mehrstimmige Vertonungen, deren Kern die Psalmen, das Canticum und die Marianischen Antiphonen sind. Gedruckt wurden Werke u. a. von G. G. Gastoldi, G. Finetti, L. Viadana, A. Agazzari, G. M. Sabino, G. M. Trabaci, D. Massenzio, N. Fontei, G. A. Rigatti. KOMPOSITION (von lat. componere = zusammensetzen bzw. compositio = die Zusammensetzung oder das Zusammengesetzte) bezeichnet heute allgemein das vom Komponisten geschaffene,

Komposition mittels einer Notation fixierte und somit auch unabhängig von seinem Schöpfer klanglich realisierbare musikalische Werk. Im erweiterten Sinne kann darüber hinaus auch eine zwar notationsfreie, aber eindeutig fixierte und reproduzierbare musikalische Ausarbeitung, etwa eine elektronische Tonbandmontage, als K. verstanden werden, doch bedarf es hierzu noch einer endgültigen Definition der Begriffe „Werk", „Fixierung" u. a. Unter der Voraussetzung einer schriftlich notierten Musik kann von K. bzw. „compositio" frühestens seit der Ausbildung der Neumennotation im 9. Jh. n. Chr. gesprochen werden und auch das zunächst nur im westeuropäischen Raum. Das schriftlose Musizieren nach festgelegten Modellen und Regeln, wie es z. B. die altgriechischen Nomoi oder noch heute die indischen Rägas oder die arabischen Maqämat darstellen, erfüllen auf Grund ihrer dem Improvisatorischen nahestehenden Realisierung und damit ihrer Unwiederholbarkeit nicht die Bedingungen einer Komposition. Nur im Abendland „kennt man die in der Schrift geborgene, durchrationalisierte K., kennt man ein ,Schrifttum` von musikalischen Kunstwerken" (R. Hammerstein, 1966). Erst die Verbindung von Musik und Notenschrift ermöglichte eine Kunst des Kontrapunkts und der Polyphonie, erst mit der Notenschrift wurden auch in der Musik die geistigen Phänomene „alt" und „neu", „Tradition" und „Fortschritt" möglich, sie erst schuf die Voraussetzung für die Entwicklung und die gedankliche Formulierung von Stilen und Epochen und damit auch für stilistische Rückorientierungen, wie sie uns seit dem frühen 17. Jh. begegnen (/a cappella) und im musikalischen Historismus des 19. und 20. Jh. ihre besondere Ausprägung erfuhren. Auf diese Weise ist eine K. auch immer eingebunden in das historische Feld ihrer Entstehungszeit und wird damit, anders als außereuropäische Musik, zugleich zu einem beredten Dokument für eine bestimmte geistesgeschichtliche, kulturelle und gelegentlich auch politische und gesellschaftliche Situation. Daneben folgt der Komponist bei der Herstellung einer K. aber selbstverständlich spezifisch musikalischen Gesetzen, wie sie in den verschiedenen K.s-Lehren (Kontrapunkt-, Harmonie-, Formen- und Instrumentationslehre, Zwölftonmusik usw.) zu erlernen oder an exemplarischen Meisterwerken (z. B. an J. S. Bachs Wohltemperiertem Clavier) ablesbar sind. Die an den Komponisten gestellte Forderung, ein „autonomes" oder gar „originales" Kunstwerk zu erschaffen, ist frühestens in der Renaissance anzutreffen. Das Verbum „componere" wird bei seinem ersten bekannten Auftreten im musikalischen Sinne zu-

nächst im reinen Wortsinne verwendet und bezieht sich anfangs noch auf die Ausformung einer Melodie (11./12. Jh.: Guido von Arezzo, Johannes Affligemensis), wobei eine Anlehnung an den „compositio"-Begriff der spätantiken Rhetorik angenommen werden muß: So wie der Redner die Wörter zu wohlgeordneten und gut klingenden Sätzen formt, so setzt der Musiker die Einzeltöne zu einem hinsichtlich seiner Tonbewegung (später auch bezüglich der rhythmischen Gliederung) wohlgeordneten Cantus zusammen. In der mehrstimmigen Musik, vor allem seit den Organa des 12. Jh., werden die Begriffe „componere" bzw. „compositio" dann mehr und mehr im Sinne von kontrapunktischem Satz benutzt und verschmelzen zeitweise geradezu ineinander. Allerdings erscheinen beide vor dem 16. Jh. noch nicht als eigenständige Begriffe, sondern stets in Verbindung mit einem musikalischen Gattungsnamen („compositio cantilenarum”, „compositio carminum"; auch „componere organum vel discantum" usw.). Seit dem 13. Jh. beziehen sich beide Begriffe ausschließlich auf mehrstimmige Musik. Vom 14. Jh. an rückt die individuelle Leistung des Komponisten ins Blickfeld. Damit büßt die Musik zwar ihre mittelalterliche Rolle als Spiegelung und mikrokosmisches Analogon der von Gott als dem „summus musicus" geschaffenen Universalharmonie ein, sie wird aber damit zugleich in den Rang eines autonomen Kunstwerks erhoben und als „opus" eines irdischen „Schöpfers" erkannt. Dieses Werk ist jetzt auf eine ganz neuartige Weise dem Gestaltungswillen seines Erschaffers unterworfen, der ihm nunmehr, besonders wenn es sich um eine cantus firmus-freie Musik handelt, seinen persönlichen Stil hinsichtlich des Text- und Affektausdrucks einprägen kann. Und so wie man jetzt die als „klassisch" empfundenen Komponisten mit den Dichtern der Antike vergleicht (so vergleicht Glareanus in seinem Dodekachordon 11547] Josquin des Prés mit Virgil, J. Obrecht mit Ovid und P. de La Rue mit Horaz), so gesteht man seit dem späten 15. Jh. auch dem musikalischen Kunstwerk einen den antiken Epen und Dramen entsprechenden Ewigkeitswert zu. „Compositio" erhält damit eine Bedeutung, die dem neuzeitlichen Begriff K. weitgehend gleichkommt: Nicht mehr der Vorgang des Herstellens von Musik, sondern das schriftlich ausgearbeitete autonome Kunstwerk ist jetzt gemeint, wenn von „compositio" gesprochen wird. J. Tinctoris grenzt den „compositus cantus" als eine „res facta" deutlich ab gegenüber dem nur improvisierten kontrapunktischen Singen und gesteht dem Komponisten die Fähigkeit (und Verpflichtung!) zu, Neues und Gültiges zu schaffen („compositor est alicuius novi cantus editor", in: Diffinitorium 395

Komposition Musicae, 1473/74). N. Wollick (Opus aureum, 1501) und N. Vincentino (L'antica musica ridotta alla moderna prattica, 1555) führen diese Gedanken weiter, indem sie die vollkommen ausgearbeitete Compositio, die durch einen kontrapunktisch voll durchstrukturierten Stimmenverband gekennzeichnet ist, über den nur praktisch und ex improviso realisierten Contrappunto alla mente (auch Sortisatio oder canere supra librum genannt) stellen, bei dem es nur darauf ankommt, daß das Verhältnis der Einzelstimme zum Tenor beachtet wird. Von hier aus ist es nur noch ein Schritt zur ersten wirklichen Kompositionslehre im neuzeitlichen Sinne: dem Traktat Musica des N. Listenius (Wittenberg 1537). Neben der rein spekulativen Musica theorica und der den Contrappunto alla mente repräsentierenden Musica practica führt Listenius erstmals die Musica poetica (von griech. poiein = machen) als dritte Musikart in die Musiklehre ein, womit nichts anderes gemeint ist als das moderne autonome musikalische Kunstwerk, das als „opus perfectum et absolutum" für alle Zeiten seine volle Gültigkeit bewahrt und somit auch seinen Schöpfer überleben und überdauern wird. Und ein solches Opus ist in sich so vollkommen, daß niemand zu keiner Zeit an ihm etwas ändern darf (H. Glareanus: ,,... una perfecta ars, cui nihil addi potest"). Die K. wird so zum „ewigen" Zeugnis ihres Erschaffers und von dessen „ingenium". Erst von dieser Zeit an findet sich auch das Wort „Komponist" als Berufsbezeichnung: Der in Diensten Maximilians I. stehende H. Isaac nennt sich 1497 einen „kuniglichen mayestat componisten"; G. P. da Palestrina wird 1555 zum „compositore della Cappella pontificia" berufen. Bei alldem darf freilich nicht übersehen werden, daß viele aufführungspraktische Einzelheiten auch weiterhin nicht schriftlich fixiert wurden und somit der /Interpretation durch den Ausführenden vorbehalten blieben. Auch kommt es in der Folgezeit im Rahmen der K. immer wieder zu direkten Berührungen zwischen den Bereichen der schriftlich fixierten Musik und der schriftlosen /Improvisation. Zu nennen wären hier z. B. die aus der Spielmannstradition hervorgegangenen Variationsformen, wie das freie Variieren über ostinaten Baßmodellen, ferner die vokale und instrumentale Kolorierungspraxis sowie der der Spielmannssphäre entwachsene Stilisierungsvorgang, der die Entwicklung von der Basse danse mit ihrer Paarigkeit von geradtaktigem Vortanz und ungeradtaktigem Nachtanz kennzeichnet bis hin zur Suite und Partita des 17. Jahrhunderts. Auch in der Generalbaßlehre des Barocks, die seit dem beginnenden 17. Jh. als gleichberechtigt neben die Kontrapunkt396

lehre tritt, finden wir noch einmal ein der Polarität von Sortisatio und Compositio entsprechendes Nebeneinander von improvisierter und geschriebener Musik wieder. Autoren wichtiger GeneralbaBlehren sind u. a. L. Viadana (1602), A. Agazzari (1607), M. Praetorius (1619), F. E. Niedt (1700), J.D. Heinichen (1711 und 1728), J. Mattheson (1719), J.J. Quantz (1752), C. Ph. E. Bach (1753) und J. Ph. Kirnberger (1781). Der stilistische Wechsel, der die Musik des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jh. kennzeichnet und der sich kompositorisch vornehmlich im Zurückdrängen der polyphonen Satzweise und im Vordringen der generalbaßbegleiteten Monodie äußerte, ist auch an den theoretischen Abhandlungen jener Zeit deutlich abzulesen. War es G. Zarlino (Istitutioni harmoniche, 1558) zunächst noch gelungen, den Musica practica-Begriff neu zu formulieren und für die Zukunft wirksam werden zu lassen, so wurden seine Thesen bereits durch Mitglieder der Camerata Fiorentina (G. Mei, 1572; V. Galilei, 1581; G. Caccini, 1601) wieder in Frage gestellt und als überholt erklärt. In nahezu allen damaligen theoretischen Schriften steht das Problem des Affektausdrucks mit Hilfe melodischer und harmonischer Mittel (Konsonanz und Dissonanz, Chromatik) im Zentrum der Erörterungen. Dieses Problem findet denn auch seinen Niederschlag in den meisten und wichtigsten Kompositionsgattungen: im Madrigal, in der mehrchörigen Motette (/Coro spezzato), vor allem aber in der Monodie und der von ihr bestimmten Oper und dem Oratorium. Mit dem gleichzeitigen Entstehen einer selbständigen Instrumentalmusik (Concerto, Sonata, Ricercar, Toccata, Liedvariation u. a.) prägt sich in zunehmendem Maße das Bewußtsein für verschiedene Stile (im Sinne von „Schreibarten") aus. Stellte schon Monteverdi in der berühmten Vorrede zu seinem 5. Madrigalbuch (1605) der „Prima pratica" der Vergangenheit eine „Seconda pratica" gegenüber, so stellt uns A. Kircher mit einer neunteiligen Stiltabelle (Musurgia universalis, 1650) einen kompletten Überblick über die K.s-Praktiken und die von ihnen bestimmten K.s-Gattungen in der Mitte des 17. Jh. vor: Zu den alten K.s-Techniken des Stylus ecclesiasticus, des Stylus canonicus, des Stylus motecticus und des Stylus madrigalescus gesellen sich die neuen „Stile": der Stylus phantasticus (die cantus firmus-freie Musik für ein Einzelinstrument, z. B. Praeambulum, Toccata, Ricercar), der Stylus melismaticus (der einfache Liedstil, z. B. Villanella, Canzonetta oder die deutsche „Aria"), der Stylus choraicus (Tanzstil, Suite), der Stylus symphoniacus (die stark besetzte Instrumentalmusik, z. B. Intrada, Sinfonia, Ritornello) und endlich

Komposition der Stylus dramaticus sive recitativus (der monodische Stil, wie er u. a. die Oper, die Kantate und das Oratorium kennzeichnet). Neben den an der Vokalmusik ausgerichteten K.sLehren begegnen uns seit dem 16. Jh. auch vereinzelte Lehrwerke für ein bestimmtes Instrument, so die Fundamentbücher und Spiellehren für den Organisten und Spieler anderer Tasteninstrumente (z. B. A. Schlick, 1511; S. Virdung, 1511; M. Agricola, 1529), die Lehrschriften für die Laute (H. Judenkönig, 1515; H. Neusidler, 1536) und für die Viola da gamba (S. Ganassi, 1542/43; D. Ortiz, 1553) sowie für die Blockflöte (S. Ganassi, 1535). Die K.s-Lehre des 18. Jh. ist neben den bereits genannten Generalbaßlehrschriften einerseits durch ein Weiterwirken der am „alten Stil" orientierten Kontrapunktlehre bestimmt (J. G. Walther, 1708; J. J. Fux, 1725), andererseits aber ist sie auch von dem Bestreben gekennzeichnet, die Generalbaßlehre zu einer spezifischen Harmonielehre auszuweiten (J.-Ph. Rameau, 1722). Die Verbindung von GeneralbaB und Harmonielehre wirkt sich hie und da noch auf den heutigen Tonsatzunterricht aus. J. S. Bachs Kompositionslehre ging von E. Niedts Generalbaßlehre aus und führte über den vierstimmigen Choralsatz zur hochstilisierten Polyphonie, die er in den gewaltigen Lehrexempla der Inventionen und Sinfonien, im Wohitemperierten Clavier und in der Kunst der Fuge für die Mit- und Nachwelt bereitstellte. Anders als der von Fux gelehrte Kontrapunkt war Bachs Kontrapunkt also zunächst weniger am vokal-linearen Palestrina -Stil orientiert als am Kantionalsatz und seiner figuralen Ausformung. Ähnlich wie die Vertreter der Camerata um 1600 wandten sich die Komponisten und Theoretiker der dem Barock folgenden Zeit gegen die strenge kontrapunktische Satzart zugunsten eines harmonisch vereinfachten, oberstimmenbetonten „natürlichen" Musizierstils. Wenn J. Riepel in seiner K.sLehre (Anfangsgründe zur musicalischen Setzkunst, 1752) vermerkt: „Man könnte dem Basse unterweilen wohl etwas zu Gefallen tun, allein ein Zuhörer bekümmert sich wenig darum; er merkt nur auf den Gesang", dann wird die Abkehr vom GeneralbaBdenken und die Hinwendung zur Oberstimmenmelodik nachdrücklich unterstrichen. Der neue Musizierstil äußerte sich in all seinen Ausprägungen (galanter Stil, Buffo-Stil, empfindsamer Stil) in Form eines periodisierten, auf den Prinzipien von Wiederholung, Kontrast- und Korrespondenzmotivik beruhenden Melodieverlaufs, der seinerseits in ein festes Kadenzschema eingebunden war, dessen formale Ausweitung in der sog. „klassischen Sonatensatzform" Ziel und Erfüllung

finden sollte. Dieser für die Musikgeschichte des 18. Jh. zentrale Vorgang wird freilich in den K.sLehren der Zeit nur äußerst unzureichend berücksichtigt. Riepel, dessen Lehrwerk (s. o.) immerhin als der wichtigste formtheoretische Beitrag der vorklassischen Zeit genannt werden muß, führt seine Thesen zur musikalischen Form fast ausnahmslos am Beispiel des Menuetts aus, und zwar auf eine sehr vordergründige Weise. Und noch zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der neue K.s-Stil bereits aus innermusikalischer Logik heraus weitgehend konsolidiert hatte, wird das Unwägbare der neuen K.s-Technik spürbar, wenn es bei Abbé Vogler heißt: „Fortführen heißt, zu einem Satze andere Sätze beifügen" („Sätze” sind hier im Sinne von Themen oder Motiven bzw. thematisch-periodisierten Abschnitten zu verstehen). Und weiter vermerkt Vogler: „Wiederholen, versetzen, fortführen, ausführen unterscheiden sich. ,Fortführen` im besonderen Verstande heißt: Sätze wissen zu wählen, die auf das Vorhergehende Anspielungen sind, Ideen schreiben, die relativ und bezugsvoll aufs Vorhergehende eine mannigfaltige Einheit zustande bringen" (Betrachtungen der Mannheimer Tonschule, 1778). Wollte der Komponist all dieses kompositorisch verwirklichen, dann war er auf sich allein angewiesen; die Lehrwerke schweigen letztlich zu der angedeuteten Problematik: „Wie es aber der Tonsetzer anzufangen habe, daß in seiner Seele schöne Melodie entstehe, dazu wird nie die Theorie ächte Hülfsmittel erfinden können", schreibt H. Chr. Koch (Anleitung zur Composition, 1782). Der Künstler war genötigt, „original" zu werden, wenn er als Komponist mit der Situation fertig werden wollte. J. Haydns autobiographische Worte hierzu verdeutlichen die Sachlage: ,,... ich war von der Welt abgesondert. Niemand konnte mich quälen und an mir irremachen, und so mußte ich original werden." Vom letzten Drittel des 18. Jh. an kam es aus den genannten Gründen zu einer nicht nur graduellen, sondern vor allem wesensmäßigen Unterscheidung von schöpferischem „Genie" und epigonalem „Kleinmeister". Und das wiederum hatte zur Folge, daß mit den Begriffen „Klassik" und „Klassiker" maßstabsetzende Qualitäten aufgestellt wurden, die vornehmlich in die Zukunft wirkten: Die Komponisten des 19. Jh. schrieben ihre Werke in steter unangefochtener Auseinandersetzung mit den musikalischen Kunstwerken der Vergangenheit, wobei diese Vergangenheit neben den Klassikern J. Haydn, W. A. Mozart und L. van Beethoven in zunehmendem Maße auch die Großmeister weiter zurückliegender Epochen (Bach, Palestrina) ins Bewußtsein rückte, deren Schaffen jetzt in einer bis dahin nicht 397

Komposition gekannten Weise sowohl ideell als auch real (Konzertwesen!) präsent blieb. Diese Auseinandersetzung konnte sich in einem bewußten Anknüpfen an die Tradition äußern (so bei F. Mendelssohn Bartholdy, R. Schumann, J. Brahms und M. Reger) bis hin zur gewollten Nachahmung alter Stile und Techniken (Historismus, Cäcilianismus) oder in einer energischen Abkehr von ihr und in dem Willen, Neues zu schaffen (H. Berlioz, Fr. Liszt, R. Wagner, G. Mahler). Die hier zum Ausdruck kommende Polarität prägt sich auch in anderer Hinsicht aus: Dem kleinen und klanglich intimen Charakterstück und dem klavierbegleiteten Sololied steht die Großform der Oper gegenüber, und in der Gattung der symphonischen Dichtung trifft sich die Befreiung von Sonatensatzform, Periodik und Kadenzzwang mit der gewollten Bindung an ein außermusikalisches Programm. Die Musik des 20. Jh. versteht trotz unterschiedlichster Ausformungen im einzelnen K. wieder in einem ursprünglichen, „gereinigten" Sinne: als ein allein am Materialcharakter der Musik orientiertes Zusammensetzen von Tönen zu einem autonomen musikalischen Kunstwerk (A. Schönberg, A. Webern, I. Strawinsky, B. Bartók, P. Hindemith u. a.). Dem könnte allerdings entgegengehalten werden, daß die vor allem die serielle Musik seit 1950 kennzeichnende Prädetermination all ihrer Bauelemente (z. B. der Qualität, Höhe und Klangfarbe des Tons, der rhythmischen Formung, ferner der Dichte und des Gefüges des Satzes usw.) neue Bindungen hervorrief, die letztlich nicht „in" der Musik beheimatet sind und zudem einer gehörsmäßig nachvollziehbaren künstlerischen Aussage entbehren. Als Reaktion auf das rechnerisch-mechanistisch vollständig prädeterminierte K.s-Verfahren der seriellen Musik sind seit der Mitte der 1950er Jahre (J. Cage, Musicfor prepared pianos, 1954) die Versuche anzusprechen, die die irrationalen Momente des Zufalls und des spontanen Impulses in den K.s-Prozeß einbeziehen bzw. sie zum alleinigen schöpferischen Faktor erklären. Zu nennen sind hier die Aleatorik, das musikalische Experiment sowie Begriffe wie „Teamwork", „Workshop" u. a. Ausgehend von der Überzeugung, daß es eine absolute Werkfixierung und interpretatorische Werktreue nicht geben könne (schon Brahms lehnte einst den Verlegerwunsch, seine Klavierwerke mit Metronomangaben zu versehen, mit der Begründung ab, er selbst spiele seine Stücke „jeden Tag anders"), wurde die „offene Form" propagiert, was wiederum die traditionellen Grenzen der Musik und ihrer Interpretation sprengte. Die Aktivierung neuer Klangquellen, die totale Entgrenzung der Bereiche Musik, Literatur, Theater, Tanz, bildende 398

Kunst, Religion und Philosophie, die Einbeziehung fernöstlicher Meditationsexerzitien zwecks Erzeugung eines für die kreative Aktion unabdingbaren geistig-seelischen Erlebnisses, das als integraler Bestandteil des künstlerischen Produktes verstanden wird (und das weder von einer - wie auch immer gearteten - Notation noch vom Tonband festgehalten werden kann) - all das läßt eine Neuformulierung des K.s-Begriffs als notwendig erscheinen. Lit.: H. RIEMANN, Gesch. der Musiktheorie (B 2 1921); H. ERPF, Stud. z. Harmonie- und Klangtechnik der neueren Musik (L 1927); J. HANDSCHIN, Musikgesch. im Überblick (Luzern 1948); E. T. FERAND, „Zufallsmusik" und „Komposition" in der Musiklehre der Renaissance, in: Kgr.-Ber. Basel 1949 (Kas 1951); A. FEIL, Satztechnische Fragen in den Kompositionslehren v. F. E. Niedt, J. Riepel u. H. Ch. Koch (Diss. Hei 1955); W. MEYER-EPPLER, Statistische u. psychologische Klangprobleme, in: die reihe 1 (W 1955); C. DAHLHAUS, Eine dt. Kompositionslehre des frühen 16. Jh., in: KmJb 40 (1956); P. BOULEZ, „Alea", in: Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 1 (Mz 1958); E. T. FERAND, K., in: MGG VII; K. V. FISCHER, Der Begriff des „Neuen" in der Musik v. der ars nova bis z. Gegenwart, in: Kgr.-Ber. NY 1961; P. BENARY, Die dt. Kompositionslehre des 18. Jh. (L 1961) (= Jenaer Beitr. z. Musikforschung 3); TH. G. GEORGIADES, Musik u. Schrift (Mn 1962), Wiederabdruck in: Kleine Schriften (Tutzing 1977) (= Münchner Veröff. z. Musikgesch. 26); P. BOULEZ, Musikdenken heute, in: Darmstädter Beitr. z. Neuen Musik 5 (Mz 1963); G. VON DADELSEN, Über das Wechselspiel v. Musik u. Notation, in: FS W. Gerstenberg (Wb— Z 1964); C. DAHLHAUS, Musica poetica u. musikalische Poesie, in: AfMw 23 (1966); W. GURLITT,Musik u. Rhetorik, in: Musikgesch. u. Gegenwart 1 (Wie 1966) (= Beih. z. AfMw 1); DERS., Der Begriff der Sortisatio in der Kompositionslehre des 16. Jh., in: ebd.; R. HAMMERSTEIN, Musik als Komposition u. Interpretation, in: DVfLG 40 (1966); H. H. EGGEBRECHT, K., in: RIEMANN ML, Sachteil (Mz 1967); J. HÄUSLER, Musik im 20. Jh. Von Schönberg bis Penderecki (Bremen 2 1969); H. VOGT, Neue Musik (St 1972). H. WOHLFARTH

KOMZÁK, Karl (Karel, senior), * B. 11. 1850 Prag, t 23.4. 1905 Baden bei Wien; tschechischer Komponist. Er studierte am Prager Konservatorium und war danach in erster Linie als Militärkapellmeister tätig, zuletzt in Baden bei Wien. K. komponierte besonders Märsche und Tänze, von denen sich einige heute noch großer Beliebtheit erfreuen, z. B. der Erzherzog Albrecht -Marsch und der Walzer Bad'ner Mad'In. Daneben wurden seine Operette Edelweiß und das Salonstück Volkslied und Märchen für Streichquintett und Harfe bekannt. KONDRASCHIN, Kirill Petrowitsch, *21. 2. (6. 3.) 1914 Moskau, t B. 3. 1981 Amsterdam; sowjetruss. Dirigent. Er studierte 1931-36 Dirigieren am Moskauer Konservatorium u. debütierte bereits 1934 am Newirowitsch-Dantschenko-Musiktheater in Moskau. 1937-42 war er Dirigent am MaliOperntheater in Leningrad u. 1943-56 am Bolschoi-Theater in Moskau. Danach war er nur noch

König als Konzertdirigent tätig. 1960-77 leitete er als Chefdirigent das Staatliche Philharmonische Symphonieorchester Moskau, wurde 1975 außerdem Gastdirigent des Concertgebouworkest in Amsterdam, wo er seit seiner Obersiedlung nach Holland 1978 einen festen Vertrag hatte. 1980 wurde er als Nachfolger R. Kubeliks (ab 1982) zum Dirigenten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks ernannt. K. machte sich im Westen vor allem durch mehrere Uraufführungen von Werken Dm. Schostakowitschs einen Namen, galt aber auch als hervorragender Dirigent der Symphonien G. Mahlers sowie von Werken russischer Komponisten des 19. Jahrhunderts. KONETZNI. — 1) Anni, * 12.2. 1902 UngarischWeißkirchen, t 6.9.1968 Wien; östr. Sängerin (Sopran). Sie studierte am Wiener Konservatorium und in Berlin bei J. Stückgold und debütierte 1927 als Altistin an der Wiener Volksoper. Danach sang sie in Augsburg und Elberfeld, seit 1929 am Stadttheater in Chemnitz und 1931-34 an der Berliner Staatsoper. Seit 1934 bis zum Ende ihrer Laufbahn 1954 war sie — inzwischen in das Fach des dramatischen Soprans übergewechselt — Mitglied der Wiener Staatsoper. Mit großem Erfolg gastierte sie am Covent Garden in London, in Rom, Mailand, an der Metropolitan Opera in New York (1934/35) und bei den Salzburger Festspielen, wo sie 1935 unter A. Toscanini die Isolde in Wagners Tristan und Isolde sang. Nach 1954 lehrte sie Gesang an der Wiener Musikakademie. — 2) Hilde, Schwester von 1), * 21.3.1905 Wien, t 20. 4.1980 ebd.; östr. Sängerin .(Sopran). Sie studierte Gesang bei Heß und R. Nillius in Wien und debütierte 1929 in Chemnitz als Sieglinde in Wagners Walküre. 1931/32 sang sie in Gablonz und 1932-35 am Deutschen Theater in Prag. 1936-55 war sie Mitglied der Wiener Staatsoper und lehrte seit den 50er Jahren Gesang an der Wiener Musikakademie. Sie gastierte auch bei den Salzburger Festspielen, in Mailand, Rom und 1937 und 1939 auch in den USA. Ihr Repertoire umfaßte u. a. die Rolle der Donna Elvira in Mozarts Don Giovanni, der Leonore in Beethovens Fidelio, der Elisabeth im Tannhäuser und andere Wagner-Partien sowie der Marschallin im Rosenkavalier von R. Strauss. Nach dem Ende ihrer Karriere war H. K. auch als Komikerin und in Sprechrollen erfolgreich. KÖNIG, dt. Orgelbauerfamilie des 18. Jahrhunderts. Die wichtigsten Vertreter der seit 1711 in Münstereifel und seit 1735 in Köln ansässigen Familie waren Balthasar (um 1685 — um 1756) und seine Söhne Christian Ludwig (1717-1789) und

Johann Kaspar Joseph (1726-1763). Aus ihrer Werkstatt gingen zahlreiche große Orgeln für den Raum Düsseldorf — Köln — Aachen und für die Niederlande hervor. Erhalten sind u. a. die Orgeln in Steinfeld (1727; 3 Man., 35 Reg.), Schleiden (um 1770; 2 Man., 27 Reg.) und Nijmegen, Groote Kerk (1773-76; 3 Man., 54 Reg.). Lit.: C. REUTER, Der Orgelbau in kath. Kirchen des Rheinlandes von 1700 bis 1900, in: Acta organologica 2 (1970).

KOENIG, Gottfried Michael, * 5.10. 1926 Magdeburg; dt. Komponist. Er studierte seit 1946 an der Staatsmusikschule in Braunschweig, 1947-50 Komposition bei W. Maler und G. Bialas und elektronische Aufnahmetechnik bei E. Thienhaus an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold sowie 1953-54 an der Musikhochschule Köln. 1954-64 war er ständiger Mitarbeiter am Elektronischen Studio des WDR in Köln und 1954-64 Assistent und Lehrbeauftragter an der dortigen Musikhochschule. Seit 1964 leitet K. das Elektronische Studio der Universität Utrecht. Außerdem hielt er Kurse für elektronische Musik ab in Stockholm, Bilthoven, Essen und bei den Darmstädter Ferienkursen. Er realisierte auch Werke u. a. von B. Hambraeus, H. Heiß, M. Kagel, G. Ligeti, B. Nilsson und K. Stockhausen. WW: 1) Kompositionen: Streichquartett 1959 (1962); 2 Gläserquintette (1959, 1965); Projekt 1/Version 1 (1966); Projekt 1/Version 3 (1967); Orchesterstück 1 (1961), 2 (1962) u. 3 (1963). — Elektronische Musik: Klangfiguren 1 (1955) u. 2 (1956); Essay (1960); Ma terialien zu einem Ballett (1961), daraus Suite (1965); Terminus 1(1963),11(1967) u. X(1967); Funktion Grün (1968), Gelb (1968), Orange (1968), Rot (1968). — 2) Schriften: Studium im Studio, in: Berichte/Analysen, hrsg. v. H. Eimert (W 1959) (= die reihe 5), dass., in: Kommentare zur Neuen Musik I (Kö 1963); Computer-Verwendung in Kompositionsprozessen, in: Musik auf der Flucht vor sich selbst, hrsg. v. U. Dibelius (Mn 1969) (= Reihe Hanser 38). Lit.: U. STÜRZBECHER, G. M. K., in: Werkstattgespräche mit Komponisten (Kö 1971).

KÖNIG, Johann Balthasar, getauft 28.1.1691 Waltershausen bei Gotha, beerdigt 2.4.1758 Frankfurt am Main; dt. Kirchenmusiker. K. wurde in Frankfurt a. M. 1703 Chorknabe der Stadtkapelle, 1721 Musikdirektor an St. Katharinen und 1727 städtischer Kapellmeister. 1738 veröffentlichte er in Frankfurt den Harmonischen Lieder-Schatz, die bedeutendste und umfangreichste Choralsammlung aus der Zeit des Pietismus, von dessen 1913 Melodien etwa 300 vermutlich von K. selbst stammen. Davon finden sich noch heute die Melodien von O daß ich tausend Zungen hätte und Ich will dich lieben, meine Stärke im evangelischen Kirchengesangbuch. Ausg.: Kantate Ach, Jesus geht zu seiner Pein, hrsg. v. A. ADRIO (B 1947).

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König als Hirte KÖNIG ALS HIRTE, DER, Oper von W. A. Mozart; Originaltitel: Il 2'Rè pastore. KÖNIG DAVID (Le Roi David), Dramatischer Psalm in 2 Teilen von Arthur Honegger (1892-1955), Text von René Morax. Ort und Zeit der Handlung: Israel im 10. Jh. v. Chr.; UA (szenisch): 11. 6. 1921 in Mézières; konzertante EA (in dt. Sprache; als Symphonischer Psalm in 3 Teilen): 2. 12. 1923 in Winterthur. Äquivalenz von situationsgebundenem Spontanaffekt und überpersönlich verallgemeinernder Typisierung einander kontrastierender Emotionen kennzeichnen in diesem Werk die Gestaltung sowohl der Einzelrollen als auch des Chores. Unter Verzicht auf jeglichen Schematismus wird die Individualfigur in gleichem Maße zum Träger symbolisch-distanzierend dargestellter Affekte wie der Chor zur agierenden und spontan reagierenden Kollektivfigur. Diese dramaturgische Doppelfunktion von Solopart und Ensemble entspricht der von Dichter und Komponist gleichermaßen präzise erfaßten Atmosphäre der alttestamentarischen Erzählungen um David, dessen bewegtes Leben zum Spiegel des Gegensatzes von banaler menschlicher Schwäche und monumentaler Bedeutsamkeit wird. Das aus dem Spannungsverhältnis von spontaner Expressivität und überpersonaler Empfindungscharakterisierung resultierende kompositorische Problem löste Honegger, indem er bei der Vertonung der originalen Psalmtexte wie der erzählenden Zwischentexte kirchenmusikalische Elemente und orientalisches Kolorit zu zentralen Determinanten des thematischen Materials erhob, Instrumentierung, Harmonisierung und Detailgestaltung des melodischen Duktus jedoch flexibel dem häufigen Affektwechsel des Textes anpaßte. Freie Tonalität, Vorliebe für ostinate Rhythmen und Dominanz des Bläserchores kennzeichnen die musikalische Sprache des Werkes, das Honegger nach erfolgreicher szenischer UA zu einem konzertanten „Symphonischen Psalm" umarbeitete, in dem die handlungstragenden Partien einer gesprochenen Erzählerrolle übertragen wurden. König David begründete Honeggers internationale Anerkennung als hervorragender Vertreter gemäßigt moderner Kompositionsweise. W. A. MAKUS KÖNIG FUR EINEN TAG, Operette von R. Friml; Originaltitel: The /Vagabond King. KÖNIG HAT'S GESAGT, DER (Le Roi l'a dit), Opéra-comique in 3 Akten von Léo Delibes (1836-91), Text von Edmond Gondinet. Ort und Zeit der Handlung: Versailles, 1688. UA: 24.5. 400

1873 in Paris (Opéra-Comique) unter J. M. Danbé, EA in dt. Sprache: 20.4. 1874 in Wien, dt. EA: 9.9. 1874 in Karlsruhe. Mit dieser Verwechslungs- und Verkleidungskomödie, in der es an Liebesintrigen und anderen typischen Ingredienzen der Opéra-comique (z. B. Entführung aus dem Kloster) nicht fehlt, gelang Delibes sein erfolgreichstes Werk dieser Gattung. Der Komponist zeigt sich in Le Roi l'a dit von Offenbach beeinflußt, mit dem er bei der Produktion mehrerer Operetten zusammenarbeitete. Das Werk steht stilistisch zwischen den großen Opéras-comiques Aubers und Boieldieus und der Operette des 19. Jahrhunderts; es wird dem ausgeprägten Unterhaltungsanspruch besonders durch eingängige Melodien gerecht. Neben tradierten musikalischen Formen, insbesondere Tanzsätzen, wie sie für die Comique des 18. Jahrhunderts charakteristisch sind, greift Delibes auch auf kontrapunktische Techniken (Fuge) zurück, wenn es z. B. darum geht, das Spiel im Spiel (Aufführung einer griechischen Tragödie) musikalisch abzugrenzen. Das Libretto ist wenig originell, aber in der Intrige gut gestaltet: Der Marquis Othon de Moncontour präsentiert dem König (Ludwig XIV.) einen falschen Sohn und wird den teuren Parasiten erst durch ein Duell zwischen Baron de Merlussac und „Sohn" Benoit wieder los, nach welchem der junge Mann sich totstellt und vom König für tot erklärt wird. R. QUANDT KÖNIGIN VON SABA, DIE, Oper in 4 Akten von Karl Goldmark (1830-1915), Text von Salomon Hermann Mosenthal. Ort und Zeit der Handlung: Am Hofe Salomons und in der Umgebung Jerusalems, im 10. Jh. v. Chr. UA: 10.3. 1875 in Wien (Hofoper); dt. EA: 17.3. 1877 in Hamburg. Das Schicksal des Feldherrn Assad, der — von Salomon in die Wüste verbannt, weil er seine Braut Sulamith zugunsten einer spontan entflammten Leidenschaft zur Königin von Saba verstoßen hatte — am Ende nach innerer Wandlung reuig in den Armen seiner Verlobten stirbt, wird hier zum Gegenstand eines dramatischen Werkes, in dem subtiler Psychologismus in der Gestaltung der Einzelfiguren und drastische Expressivität der Massenszenen einander die Waage halten. In Harmonik und ansatzweise polyrhythmischer Struktur der ariosen Partien an den Stil R. Wagners erinnernd, deuten die Integration orientalischen und sakralen Kolorits in die hochromantische Klangsprache sowie die dramatische Konzeption mit ihrer Gleichgewichtigkeit von lyrischer Situationscharakteristik und pathetisch-bewegter Affektdarstellung eher auf Orientierung an der Großen Oper G. Meyerbeers. Die

Königskinder Königin von Saba, Goldmarks erstes Bühnenwerk, gilt als bedeutendste Leistung des Komponisten. W. A.

MAKUS

KÖNIGIN VON ZYPERN, DIE (La Reine de Chypre), Oper in 5 Akten von Jacques Fromental Élie Halévy (1799-1862), Text von J. H. Vernoy de Saint-Georges. Ort und Zeit der Handlung: Venedig und Zypern, 1441. UA: 22. 12. 1841 in Paris (Théâtre de l'Opéra); dt. EA (in dt. Sprache): 19.9. 1842 in Leipzig. Das Libretto zu dieser Oper verkaufte Saint-Georges gleich an zwei namhafte Komponisten: an Halévy und F. Lachner. Beide vertonten das Buch und brachten im Dezember 1841 ihre Werke auf die Bühne — Lachner am 3. 12. in München (unter dem Titel Catarina Coronaro) und Halévy am 22. 12. in Paris. Der Anlage des Librettos gemäß, schufen beide Komponisten eine Grand Opéra; Lachners Oper kann sogar als die wohl einzige reine Ausprägung dieses Operntyps in Deutschland angesehen werden. — Der Erfolg, den Halévy mit seiner Version in Frankreich hatte, steht zwar deutlich hinter dem seiner Jüdin zurück, doch sind sich beide Opern ebenbürtig. Im Drama um die Heirat aus Staatsraison — Catarinas Ehe mit Lusignan, dem König von Zypern, soll Frieden zwischen Venedig und Zypern stiften — prallen die Gegensätze in der für die Grand Opéra typischen Weise hart aufeinander: Catarinas Entschluß, ihre Verlobung zu lösen und ihre Liebe zu dem Edelmann Gérard zu verleugnen, erfolgt in einer großangelegten, den gedanklichen Wendungen exakt folgenden Arie; die Entscheidung zum Vergehen gegen Liebe und Treue fällt in einem Gebet, ebenso wie später Gérards eifersüchtiger Racheplan (Mord an Lusignan) betend geschmiedet wird. Markante Rhythmen, eingängige Melodik, treffsichere psychologische Zeichnung in den Rezitativen, Lokalkolorit durch Tänze (z. B. Zypriotischer Tanz im Ballett des 4. Akts) und farbige Tableaux mit bis zu vier kontrastiven Chören sind die wesentlichen musikalischen und dramatischen Elemente des Werkes. R.

QUANDT

KÖNIG ÖDIPUS (Oedipus Rex), Opern-Oratorium in zwei Akten von Igor Strawinsky (1882-1971); Text (frz. Original) von Jean Cocteau nach Sophokles, ins Lateinische übersetzt von J. Daniélou. UA (konzertant): 30. 5. 1927 in Paris (Théâtre Sarah Bernhardt), szenische UA: 23.2. 1928 in Wien; dt. EA (Bühnenversion): 25.2. 1928 in Berlin (Kroll-Oper). In dieser modernen Adaptation des antiken Mythos führt der thebanische König ebenso wie im Drama des Sophokles einen aktiven Kampf um die Rettung

seiner Existenz. Das scharf profilierte Rededuell, an dessen Ende der tragische Held die ganze Wahrheit schaut, zeichnet durchaus die Grundstruktur der Vorlage nach. Unter dieser Voraussetzung kann die theatralische Handlung — trotz der von Strawinsky gewählten Gattungsbestimmung „OpernOratorium" — nicht als „undramatisch" oder gar „statisch" gekennzeichnet werden. Die monumentalisierende Kraft der lateinischen Sprache und das Stilrepertoire des Neoklassizismus sollen wohl die dargestellte Wirklichkeit gegenüber der Erfahrungswelt abgrenzen, zerstören aber weder die Möglichkeit einer engen Wort-Ton-Bindung noch die spezifischen Sprechhaltungen agierender Figuren. Aus dem dialektischen Wechsel von Angriff und Verteidigung, dem eine Folge in sich geschlossener musikalischer Formen entspricht, resultiert vielmehr eine zielgerichtet-intensive Spannung, die zudem durch die Chor-Partien eher gesteigert denn gemindert wird. Auch der zwischen den Szenen auftretende ‚Speaker' hebt diese immanente Konzentration und Dynamik keineswegs auf, weil er lediglich den äußeren Geschehensverlauf in der jeweiligen Landessprache referiert, ohne selbst im Sinne eines „epischen" Erzählers für das Werkgefüge konstitutiv zu sein. E. FISCHER KÖNIGSKINDER, Märchenoper in 3 Akten von Engelbert Humperdinck (1854-1921), Text von Ernst Rosmer (d. i. Elsa Bernstein-Porges), Ort der Handlung: 1. u. 3. Akt vor der Hexenhütte im Hellawald, 2. Akt auf dem Stadtanger vor Hellabrunn. UA: 28. 12. 1910 in New York (Metropolitan Opera); dt. EA: 14. 1. 1911 in Berlin. Die von tiefsinniger Symbolik gefärbte Märchendichtung ist in ihrer Ereignisfolge von Rosmer frei erfunden, doch ordnet sie Motive aus dem Schweinehirten (Andersen) und der Gänsemagd (Brüder Grimm) dem Personal aus bekannten deutschen Märchen zu. Geplant waren zunächst nur Zwischenaktmusiken, Lieder und Tänze zu diesem Märchendrama, doch begeisterte sich Humperdinck bald so sehr für den Stoff, daß er ihn als „gebundenes Melodram" vertonte, bei dem Rhythmus und Tonhöhe des Sprechvortrags durch „Sprechnoten" (von Humperdinck eingeführte Sternchen anstelle der Notenköpfe) genau festgelegt ist. Weil der melodramatische Stil erstmals zum tragenden künstlerischen Prinzip für ein Drama wurde, stellten Königskinder in dieser Form eine Neuerung dar. Humperdinck realisierte auf diese Weise seine Vorstellung von der Entwicklung der Gattung Oper: „Unsere moderne Oper geht einen Weg, der zum Melodram führen muß." Die melodramatische Fassung wurde am 23. 1. 1897 in München unter 401

König und ich großem Beifall uraufgeführt. — 1908 begann der Komponist mit der Umarbeitung zur durchkomponierten Oper, weil ausführungstechnische Probleme einer Verbreitung des Melodrams im Wege standen. Die bruchlose Verknüpfung von rezitativisch-deklamatorischem und ariosem Gesangsstil und das sehr dichte, semantisch mehrfach besetzte leitmotivische Geflecht im Orchesterpart weisen Humperdinck als Wagner-Nachfolger aus. In seiner Klangsprache nähert er sich Färbungen, wie sie aus Debussys Werken bekannt sind, während die melodische Erfindung (oftmals textgezeugt am Volksliedton orientiert) im Gegensatz zu Wagners Werken stets von bezwingender Überzeugungskraft ist. Die Kritiker priesen das Werk bei der UA als „bedeutendste Oper seit Wagners Parsifal" und „die Krone des deutschen nachwagnerischen Opernschaffens". Mit der Wuppertaler Aufführung 1973 setzte eine Wiederentdeckung der Königskinder ein. J. SCHLÄDER KÖNIG UND ICH, DER, Musical von R. Rodgers; Originaltitel: The /King and I. KÖNIG WIDER WILLEN (Le Roi malgré lui), Opéra-comique in 3 Akten von Alexis Emmanuel Chabrier (1841-94), Text von Émile de Najac und Paul Burani (d. i. Urbain Roucoux) nach der gleichnamigen Komödie (1836) von Ancelot. Ort und Zeit der Handlung: Krakau, 1574. UA: 18.5. 1887 in Paris (Opéra-Comique); dt. EA (in dt. Sprache): 2. 3. 1890 in Karlsruhe (Großherzogl. Theater). König wider Willen ist Chabriers bekannteste Oper; sie stand bis 1941 in den Spielplänen und hatte, trotz niederschmetternder Kritik nach der Dresdner EA im April 1890 (bezeugt in einem Brief Cosima Wagners), vor allem in Deutschland Erfolg, wo sich besonders F. Mottl für die Musik Chabriers einsetzte. Die in ihrer Nummern-Struktur durchaus konventionelle Oper zeichnet sich vor anderen Opéras-comiques der Zeit durch gemäßigt progressive Harmonik aus, was Ravel zu der Behauptung veranlaßte: „La première du Roi malgré lui a changé l'orientation de l'harmonie française." Kompositionstechniken, die von Satie, Debussy und Ravel weitergeführt wurden, Arbeit mit unvorbereiteten und nicht aufgelösten Sept- und Nonenakkorden, prägen vor allem das Klangbild der instrumentalen Partien. — Trotz zahlreicher Verbesserungen, die Chabrier am Libretto vornahm, gelang es nicht, die Textvorlage auf eine der Musik adäquate Ebene zu heben. In einer unglaubwürdigen Erzählung um die historische Figur Henri de Valois (später König Heinrich III. von Frankreich) wird geschildert, wie der heimwehkranke König 402

von Polen auf Mittel sinnt, nach Frankreich zurückzukehren, wie er als Höfling verkleidet an einer Verschwörung gegen sich selbst teilnimmt und wie er sich schweren Herzens (und mit der Gewißheit, in der Frau seines Hofkämmerers eine Jugendliebe wiedergefunden zu haben) dazu durchringt, König wider Willen zu bleiben. R. QUANDT KONITZ, Lee, * 13. 10. 1927 Chicago; amerik. Jazzmusiker (Alt- und Tenorsaxophon). K. spielte 1947 im Orchester Claude Thornhill, war 1948-50 Mitglied in der Band von Miles Davis und arbeitete außerdem eng mit dem Pianisten Lennie Tristano zusammen, dessen Konzept eines harmonisch komplexen Cool-Jazz er entschieden vertrat. 1952-53 spielte K. bei Stan Kenton, 1959 und 1964 nochmals mit Tristano und leitete außerdem eigene Gruppen. K., der seit 1951 häufig Europa-Tourneen unternimmt, hat mit seinem vibratoarmen Ton, seiner lyrischen und komplexen Spielweise den Cool-Jazz bis zur Mitte der 50er Jahre maßgebend beeinflußt. Lit.: J. E. BERENDT, Das Jazzbuch, Von Rag bis Rock (F 1973); A. PoLILLo, L. Tristano, in: Jazz, Gesch. u. Persönlichkeit der afro-amerik. Musik (Mn 1978).

KONJOVIČ, Petar, * 5. 5. 1883 Čurug (Wojwodina), t 1. 10. 1970 Belgrad; serbischer Komponist und Musikforscher. Er studierte Komposition bei V. Novák am Konservatorium in Prag. 1906 in seine Heimat zurückgekehrt, leitete er 1921-26 die Oper in Zagreb, 1927-33 die Theater von Osijek, Split und Novi Sad und 1933-39 das Nationaltheater in Zagreb. 1939-50 war er Professor für Komposition an der Musikakademie von Belgrad und 1948-54 Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Musikwissenschaft an der Serbischen Akademie der Wissenschaften. K. pflegte nach dem Vorbild von S. Mokranjac einen national eigenständigen Musikstil. Seine Opern lassen Einflüsse M. Mussorgskis und L. Janáčeks erkennen. WW: 1) Instr.-WW: Klv.-, V.- u. Vc.-Stücke; Suiten für Gläserquintett San letnje noci (1940, 1945); Symphonie c-moll (1907); symphonisches Triptychon Koštana (1935); 3 Psalmen für Streichorch. (1963); V.-Konzert Jadranski capriccio (1933). — 2) Vokal-WW: Jugoslawische Volkslieder Moja zemlja (1921-55) fur SingSt u. KIv. — 3) Bühnen-WW: Opern: Ženidba Miloševa (Die Hochzeit des Milos), UA: Zagreb 1917; Knez od Zete (Der Fürst v. Zeta), UA: Belgrad 1929; Koštana, UA: Zagreb 1931; Seljaci (Die Bauern), UA: ebd. 1952; Otadžbina (Das Vaterland) (1960); Pop eira i Pop Spira (Vater Cira u. Vater Spira) (1965). — 4) Schriften: Ličnosti (Zagreb 1920); Knjiga o muzici srpskoj i slovenskoj (Novi Sad 1947); M. Milojevié (Belgrad 1954); S. S. Mokranjac (ebd. 1956); Ogledi o muzici (ebd. 1965). Lit.: I.JAMPOLSKIJ, in: Sowjetskaja musyka 34 (1970); P. MILoŠEvIČ, in: Zvuk (1970) Nr. 108.

Konservatorium — Musikhochschule KONSERVATORIUM — MUSIKHOCHSCHULE (engl.: conservatory; frz. conservatoire; it.: conservatorio), öffentliche Einrichtung zur teil- bzw. vollberuflichen künstlerischen, pädagogischen und theoretischen Musikausbildung. Die historische, weltweit verbreitete Bz. K. wurde, weil nur begrenzt berufsbezogen, in Deutschland (Preußen) seit 1869 erstmals durch die Bz. Königliche Hochschule für Musik (Berlin), sodann seit 1925 in Köln durch die Bz. Staatliche Hochschule für Musik ersetzt. K. (von lat. conservare = bewahren) bezeichnete seit dem 16. Jh., zunächst in Italien, eine „Bewahranstalt" für musikbegabte Waisenkinder. Solche geistlich geführte Waisenhäuser, die auch um die gesangliche und instrumentale Ausbildung ihrer Zöglinge bemüht waren, waren u. a. das seit 1517 in Venedig als Mädcheninternat geführte Ospedale San Salvadore degl'Incurabili und in Neapel das Conservatorio Santa Maria di Loreto (seit 1537) für Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts. Ursprünglich zielte die Ausbildung dahin, für den steigenden Bedarf der Kirchen an Sänger- und Instrumentalistennachwuchs zu sorgen, seit dem 17. Jh. auch für den Nachwuchs der aufkommenden höfischen Orchester, Opern- und Ballettensembles, seit dem 18./19. Jh. auch für den der kommunalen Vereinigungen zur Pflege von Oratorien- und Symphoniekonzerten, Singspiel und Oper, aber auch Tanzund Militärmusik. Bereits im Italien des 17./18. Jh., seither auch in Deutschland (Stuttgart 1775, Theater- und Musikabteilung der Hohen Carls-Schule) und in Frankreich (Paris 1784, École Royale de Chant et de Déclamation), standen die Konservatorien unter der Leitung namhafter Musiker; sie wurden zu Ausbildungsstätten des Musikerstandes. Die bürgerliche Musikkultur des späten 18., 19. und 20. Jh. bemühte sich einerseits um die Verbreiterung der Laienausbildung, andererseits förderte sie die Heranbildung virtuoser Berufsspezialisten. Demzufolge zeichnete sich in Deutschland seit der mit Beginn des 20. Jh. einsetzenden ."Jugendbewegung (A. Halm, W. Hensel, F. Jöde) eine Neuformierung auch des Ausbildungswesens im Sinne von Musikschulen für Jugend und Volk ab und seit den Erlassen aus dem Preußischen Kultusministerium (L. Kestenberg) eine Neuordnung der bedeutendsten Konservatorien im Sinne von Staatlichen Hochschulen für Musik oder Hochschulen für Schul- und Kirchenmusik (Berlin-Charlottenburg) bzw. Hochschulen für Musik und Darstellende Kunst (Folkwanghochschule Essen). Unter dem Nationalsozialismus führte die Entwicklung zu Gesamtschulen für Musik (auch vereinzel-

ter Musikgymnasien mit Internat, u. a. in Frankfurt am Main). Ähnliche Tendenzen zeigen die Staatsmusikschulen in der UdSSR mit durchlässigem Unter-, Mittel- und einem dem K. entsprechenden Oberbau. Auch das System an den Colleges of Music in den USA bildet studentische Laienmusiker neben Berufsmusikern (und Musikologen) aus. Nach 1945 führten in der Bundesrepublik Deutschland zunächst mehrere Städte ihre Hochschulen, Akademien oder Konservatorien für Musik mit Laien- und Berufsausbildung weiter (u. a. Köln mit der Rheinischen Musikschule als zahlenmäßig stärkster Institution). Auf Empfehlungen des Deutschen Musikrates und Vorschläge des Deutschen Städtetages wurden jedoch ab 1972 die berufsbildenden Zweige, also Orchester- und Opern- (Chor-)schulen, Musiklehrerseminare, Kirchenmusikabteilungen, von den Ländern als Hochschulinstitute übernommen, in NRW regional an Hochschulen angeschlossen (z. B. Staatliche Hochschule für Musik Rheinland mit der zentralen Musikhochschule Köln und den vormaligen Konservatorien der Städte Düsseldorf, Aachen, Wuppertal als Außeninstituten). Augsburg, Bremen, Darmstadt u. a. behielten indessen ihre Städtischen Konservatorien oder Landes-Akademien der Tonkunst mit Laien- und Berufsausbildung bei. Auch Köln (Rheinische Musikschule), Mainz (P. Cornelius-K.) und München (R. Strauss-K.) unterhalten neben den jeweiligen Staatlichen Hochschulen weiterhin ihre Konservatorien mit vor- und teilberuflicher Ausbildung. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es gegenwärtig (1980/81) 16 z. T. aus städtischen oder staatlichen Konservatorien hervorgegangene Staatliche Hochschulen der 11 Bundesländer: Berlin (neuerdings im Verbund mit weiteren Kunsthochschulen), Detmold (mit Münster und Dortmund), Essen (mit Duisburg), Frankfurt, Freiburg i. Br., Hamburg, Hannover, Heidelberg / Mannheirp, Karlsruhe, Köln (mit Düsseldorf, Aachen, Wuppertal), Lübeck, München, Saarbrücken, Stuttgart, Trossingen, Würzburg. — Die DDR unterhält seit 1949 ihre wichtigsten Hochschulen für Musik an den traditionsreichen Plätzen Berlin (Hanns Eisler-Hochschule), Leipzig (Mendelssohn-Akademie), Dresden (C. M. von WeberHochschule), Weimar (Fr. Liszt-Hochschule), Halle (G. Fr. Händel-Hochschule). — Auch Österreich und die deutschsprachige Schweiz wandelten ihre altüberlieferten Landes- bzw. Kantons-Konservatorien seit 1970 in Staatliche Hochschulen für Musik um: in Wien, wo bereits 1817 ein K. der Gesellschaft der Musikfreunde ins Leben gerufen wurde; in Salzburg, wo 1856 (anläßlich des 403

Konservatorium — Musikhochschule 100. Geburtstages von W. A. Mozart) das Mozarteum als Musik-Akademie gegründet wurde, in Graz, Basel, Zürich und Bern. Das Ausbildungsangebot einer Musikhochschule in der Bundesrepublik umfaßt heute: Meisterklassen für Komposition; Kapellmeisterklassen; Soloklassen für Gesang, Orgel, Klavier und alle Orchesterinstrumente, ferner für Cembalo und andere historische Instrumente; für Jazz, Unterhaltungs- und Militärmusik; Orchester-, Opern- und Chorschule; Institute für Bühnentanz, Pantomime, Schauspiel; Seminare für Musikpädagogik einschließlich Rhythmische Erziehung; Schulmusikabteilung; Kirchenmusik-Institut (ev., kath.); Seminare für Tonmeister/Toningenieure, für experimentelle und elektronische Musik und für Medienpraxis; Gruppenunterricht ist obligatorisch für Studenten aller Abteilungen in: Gehörbildung, Harmonielehre, Kontrapunkt und neueren Satztechniken; musikwissenschaftliche Vorlesungen und Übungen werden wahlweise in Musikgeschichte, Stilkunde und Ästhetik, in Instrumentenkunde, Akustik und Ethnologie, ferner u. a. in Philosophie, Psychologie, Geschichte der Musikerziehung angeboten. — Die Zulassung zum Studium (8-12 Semester) erfolgt über fachspezifische Aufnahmeprüfungen, gefolgt von Zwischenprüfungen. Das Abitur wird vorausgesetzt für Schul- und Kirchenmusiker und Toningenieure, die Mittlere Reife für Musikschullehrer. Die Abschlußprüfungen fächern sich in Künstlerische Reifeprüfungen, Konzert- bzw. Solistenprüfung (Gesang und Instrumente), staatliche Prüfungen (Musikschul- u. Rhythmiklehrer); Staatsexamen (Höheres Lehramt für Schulmusik; Kirchenmusik); Diplom-Prüfungen für alle anderen Disziplinen. Die Staatlichen Musikhochschulen in der Bundesrepublik gehören, wie die Pädagogischen Hochschulen, seit 1980 dem Bereich der „Wissenschaf t lichen Hochschulen" an, haben überwiegend Direktorialverfassung (in Bayern Präsidialverfassung mit abwechselbarem Dreierdirektorium), einen Senat (mit stimmberechtigter studentischer Vertretung), einen Lehrkörper mit beamteten und nichtbeamteten Professoren, Dozenten im Angestelltenverhältnis und Lehrbeauftragten auf Zeit. — Seit 1956 gibt es eine „Association Européenne des Académies, Conservatoires et Musikhochschulen" mit Sitz in Genf. Sie erörtert und vertritt in Jahreskonferenzen der Direktoren, an wechselnden Orten in Westeuropa (einschließlich Österreich) mit K.oder Hochschulsitz, ihre Belange untereinander, gegenüber der öffentlichen Hand und solche der Musikpflege allgemein. Lit.: K. SCHAAL, K. U. M. in: MGG VII; K. HAHN, Musikstu-

404

dium in der Bundesrepublik Deutschland (Mz 3 1973); E. KRAUS, Musikal. Berufsausbildung, in: Musik u. Bildung 9 (1977). H. LINDLAR

KONSONANZ UND DISSONANZ, Consonantia und Dissonantia (von lat. consonare = zusammenklingen und dissonare = verworren, abweichend klingen). Diese Begriffe dienen der qualitativen Einschätzung und Klassifizierung von řIntervallen und /Akkorden; als dissonant gelten Intervalle und Klänge, die nach Auflösung in eine K. verlangen. Die Definition von K. und D. erfolgt nach mathematischen (Grad der Komplexität der Zahlenverhältnisse), physikalischen (Phänomen der /Obertöne, řSchwebungen, ŘKombinationstöne), physiologischen (subjektive Obertöne, Erfahrungen mit binauralem Hören) und psychologischen Gesichtspunkten (Grad der Tonverschmelzung, Wohlklang). Darüber hinaus spielen Tradition und Gewohnheit eine große Rolle. Daraus ergibt sich, daß die Grenzen zwischen K. und D. ungenau und veränderlich sind. Der Begriff der K. ist von dem der D. nicht zu trennen. Ist die D. einerseits das Gegenteil einer K., so ist sie andererseits von ihr abgeleitet. Aus mathematischer und physikalischer Sicht gibt es zwischen K. und D. nur einen graduellen Unterschied, keine feste Grenze. Nur das übliche Musiksystem — als Produkt von Tradition und Geschichte — macht zwischen ihnen einen Unterschied. Geschichte. Die griechische Antike. In der griechischen Antike wurde zum ersten Mal eine Erklärung der K. versucht. Dazu benutzte man die einfachsten mathematischen Zahlenverhältnisse, die innerhalb des „Tetraktys", der Zahlen 1-4, von Pythagoras liegen. Diese Zahlenverhältnisse mußten entweder vielfache (1:2 = Oktave, 1:3 = Duodezime, 1:4 = Doppeloktave) oder überteilige Proportionen (2:3 = Quint, 3:4 = Quart) sein. Die so erhaltenen Intervalle hießen „Symphoniae" und erhielten im 12. Jh. die Bz. perfekte Konsonanz. Das für die Errechnung verwandte Instrument war das /Monochord. Die Griechen bemerkten auch, daß Quinte und Quarte die Oktave teilen und suchten für diese Teilung Formeln; dieses Problem nimmt einen wichtigen Teil im Timaios von Platon ein. Die griech. Hauptoktave e'—e konnte demnach in e'—hem oder in e'—a—e unterteilt werden. Die Griechen machten zwischen dieser harmonischen bzw. arithmetischen Teilung keinen Unterschied und stellten infolgedessen die Quinte und die Quarte, die beide von einer übergeordneten K., der Oktave, umfaßt werden, auf eine Stufe. Berücksichtigt werden muß, daß die antiken K.en — durch das Zusammentreffen von sinnlicher Wahrnehmung und einleuchtender mathematischer Proportion verifiziert — sich nicht

Konsonanz und Dissonanz Tafel zur Klassifizierung von Konsonanz und Dissonanz vom 10. bis 16. Jh. K. = Konsonanz; D. = Dissonanz; p. = perfekt; i. = imperfekt

Jahrhundert

Autor oder Traktat

Prim oder

Oktav Anfang 10. Anfang 10. Anfang 11. Ende 11. Anfang 12. Anfang 12. Ende 12. Ende 12. Ende 12. 13. 13. 13. 13. 13. 13. 13.

Ende 13. Ende 13. Anfang 14. Anfang 14. Anfang 14. 14. 14. 14. 14.

Ende 14. Anfang 15. 15. 15. 15. 15.

16.

Musica enchiriadis De Organo Guido v. Arezzo Traktat v. Mailand Traktat v. Montpellier Johannes Affligemensis Theinred v. Dover puiconques veut déchanter Discantus positio vulgaris Guido v. Chalis Johannes de Garlandia Anonymus I Anonymus II Anonymus XIII Franco v. Köln Anonymus IV

K. K. K. p. K. p. K.

Quarte

Quinte

K. K. K.

K.

p. K.

kleine Sext

große Sext

i. K. i. K.

p.K.

p. K. p. K.

•i. K.

i. K.

i. K.

p. K.

p. K.

i. K.

i. K.

i. D. K.

K. K. K.

K./D.

i. D. i. D. i. D. i. D. i. D. D. i. K.

K. p. K.

K. K. K. p. p. p. p. p. p.

Compendium Discantus Johannes de Grocheo Garlandia d. J. Odington Marchettus de Padua Ph. de Vitry Johannes de Muris Jacobus Leodiensis Tunstede Anonymus V Beldemandis Tinctoris Ramos de Pareja Adam v. Fulda Gaffori

p. p. p. p. p. p. p. p.

K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K. K.

i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K.

K./D. K./D. K./ D. D. K. /D.

K./D. K./D. K./D. p. K.

K./D.

K./D. K./D.

p. K.

p. K. p. K.

p. K. p. K. D.

p. K. p. K. p. K.

p. K. p. K.

p. K.

i. K.

i. K.

p. K.

p. p. p. p.

p. K. p. K.

i. D. K. D. K. und D. D. i. D. p. K.

i. K.

p. K.

Aaron

P. K .

16.

Fogliano

K.

Glareanus

16. 16. 16.

Vicentino

P. p. p. p.

K. K. K. K.

auf polyphone Musik bezogen; sie dienten als Intervalle und Strukturen zur Organisation ihres Klangsystems. Quinte und Quarte im Mittelalter. Das Mittelalter übernahm das Wesentliche dieser Konzeption, die Boëthius im 6. Jh. übermittelt hatte. Später behielt der Traktat Musica enchiriadis (9. Jh.) die drei Hauptkonsonanzen der griech. Antike - Oktave, Quinte und Quarte - bei. Die Oktave war die privilegierte K., die Quarte aber hatte bis zum Ende des 11. Jh. gegenüber der Quinte den Vorrang, obwohl die Scholiae (Ergänzung der Musica enchiriadis) die Quinte vorzogen. Das 2'Organum des 9.-11. Jh. bestand aus Quint- oder Quartparallelen, Guido von Arezzo (11. Jh.) ließ jedoch nur letztere zu. Vom 11.-12. Jh. wurden Quarten und Quinten als gleichwertige K. betrachtet und entweder einzeln

D. i. D. p. D. D. p. D.

i. D. i. D. i. K. i. K. i. K. K. i. K. i. K.

p. K. p. K. p. K.

K./D.

K.

p. D.

i. K. D. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. i. K. K. i. K. i. K.

i. K. i. K. i. K. i. K. K. i. K. i. K.

p. p. p. p.

16.

Zarlino Salinas

große/ kleine Terz

K. K. K. K.

K.

i. K. i. K. i. K.

K.

K.

K.

K.

K.

i. K.

D.

p. K.

i. K.

i. K.

i. K. i. K. i. K.

p. K. p. K.

p. K. p. K.

p. K.

p. K.

i. K. i. K. i. K.

i. D. i. K. i. K.

oder nacheinander benutzt. Ende des 12. Jh. rechnet der Traktat Discantus positio vulgaris die Quarte zu den D.en, doch verbreitete sich diese Ansicht erst im 14. Jahrhundert. Gleichzeitig formulierte der Anonymus XIII das erste bis heute im strengen Satz gültige Verbot der Quint- und Oktavparallelen (13. Jh.) mit der Begründung, daß diese Intervalle perfekt seien. Wegen ihrer Degradierung zur D. entging die Quarte diesem Verbot. Obgleich theoretisch eine K. (Verhältnis 3:4), wird sie im kontrapunktischen Satz als auflösungsbedürftige D. behandelt. Terzen und Sexten im Mittelalter. Seit dem 13. Jh. werden Terzen regelmäßig als imperfekte K.en, ohne Unterscheidung zwischen großer und kleiner Terz betrachtet. Der Traktat von Montpellier (12. Jh.) zeigt als erster die Möglichkeit auf, mit ei405

Konsonanz and Dissonanz ner Terz oder Sext zu beginnen, und Anonymus XI erlaubt zum ersten Mal den Gebrauch von Terzfolgen (13. Jh.), die nach Anonymus IV in England schon häufig waren. Adam von Fulda (15. Jh.) gestattete beliebig viele sukzessive Terzen. Aber unabhängig von der Klassifizierung erschwert ein akustisches Problem die theoretischen Überlegungen. Das von der griech. Antike übernommene pythagoreische System ist das einzige, das im Mittelalter benutzt wurde. Diesem — auf der Quinte basierenden — System folgend entspricht die große Terz dem Verhältnis 64:81 (8:9 x 8:9 = 64:81) und nicht dem einfachen Schwingungsverhältnis 4:5, der natürlichen Terz, die einen großen (8:9) und einen kleinen Ganzton (9:10) einschließt. Die entstehende Differenz von (64:81 und 4:5 = ) 80:81, das syntonische Komma, hinderte die Theoretiker daran, die Terz als vollkommene K. zu betrachten. Theinred von Dover folgerte Ende des 12. Jh. daraus: „quod auditu percipere difficile est". W. Odington beschrieb Anfang des 14. Jh. detailliert die Verwandtschaft der beiden Verhältnisse und schloß daraus, es sei eine Frage der Geschicklichkeit von seiten der Sänger, den Unterschied zu verschleiern. B. Ramos de Pareja (Musica practica, 1482) benutzte als erster die einfachen Zahlenverhältnisse 4:5 (große Terz) und 5:6 (kleine Terz), die mit G. Zarlino (1558) endgültig übernommen wurden. Die musikalische Praxis bestätigt die Aussagen der Theoretiker. Verkettungen von sukzessiven Terzen kamen schon zu Ende des 12. Jh. auf dem Kontinent vor (St. Martial in Limoges), so daß entgegen einer weitverbreiteten Annahme England nicht das Ursprungsland zu sein scheint. Über das Problem, ob Terzen in Schlußakkorden auftreten dürfen, schweigen die Traktate im allgemeinen. Nur der Anonymus IV (13. Jh.) sagt, daß einige Komponisten unpassenderweise mit einer großen oder kleinen Terz abschließen. J. Tinctoris schreibt, beim Singen „super librum" (7Contrappunto alla mente) sei eine große oder kleine Terz am Schluß nicht schlecht. In der musikalischen Praxis kommt die Schlußterz mit Ausnahme eines einzigen Beispiels im 13. Jh. (kleine Schlußterz im Conductus Quis imponet terminum) erst seit dem Ende des 14. Jh. vor (Hs. Apt) und wird um die Mitte des 16. Jh. üblich. Seit der Mitte des 16. Jh. wird für mehr als ein Jahrhundert am Schluß nur die Durterz benutzt, also wird sie in Stücken in Moll erhöht (Picardische Terz). Seit dem 16. Jh. (Zarlino) wird die Terz, nun der Quinte ebenbürtig, als grundlegendes Intervall des Tonsystems anerkannt; auf J. -Ph. Rameau (1722) geht die Lehre vom Terzaufbau der Akkorde zurück. Die Klassifizierung der Sexte ist schwieriger. Viele 406

Theoretiker unterscheiden zwischen großer und kleiner Sext (vgl. Tafel) und schreiben der kleinen Sext den geringeren Perfektionsgrad zu. Sie müßte aber als Umkehrung der großen Terz — aus physikalischer Sicht, die sich auf die Obertonreihe gründet — vor der großen Sext eingestuft werden, die wiederum eine Umkehrung der Mollterz ist. Eine Erklärung könnten lineare Gesichtspunkte liefern: die große Sext geht in der Oktave auf, die kleine Sexte in der Quinte. In der musikalischen Praxis werden dagegen nur Terzen einerseits und Sexten andererseits sorgfältig unterschieden: die Intervalle mit überteiliger Proportion (4 :5 und 5 :6) werden den anderen (3:5 und 5:8) vorgezogen. Seit dem 15. Jh. haben Terzen und Sexten denselben K.-Grad aber mit der Einschränkung, daß man mit einer Sext nicht abschließen kann, weil sie eine Umkehrung der Terz ist. Der Dissonanzbegriff in der Mehrstimmigkeit bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Das frühe Organum kannte keine eigentlichen D.en, sondern nur Abweichungen von dem allgemein üblichen Abstand (Quinte oder Quarte). Mit dem Prinzip der Gegenbewegung (12. Jh.) taucht der D.-Begriff auf: Die Schwerpunkte müssen konsonant sein, D.en als /Durchgang zwischen ihnen sind erlaubt. Manchmal finden sich Vorschlagsnoten. Im allgemeinen sind Sekund- oder Septparallelen, undiatonische Durchgänge, 7 Wechselnoten, /harmoniefremde Töne zusammen mit dem Hauptton usw. bis zum Ende des 14. Jh. sehr häufig. Im 15. und 16. Jh. werden die Freiheiten beschränkt, als die Terzen und Sexten als übliche K.en anerkannt werden. Auf betonter Taktzeit muß die D. vorbereitet werden (Prinzip des Vorhalts mit Synkopenrhythmus) und verlangt eine Auflösung durch einen absteigenden Sekundschritt (/Suspensio); auf der schwachen Taktzeit ist sie ein Durchgang zwischen zwei K.en (transitus). Ausnahmen von dieser Doppelregel sind selten, abgesehen von der oft benutzten /Cambiata. Vorhalt

Durchgang

4 4 '7" ni J 1.

1

Die Dissonanz als Ausdrucksmittel. Ein von den

Regeln des strengen Satzes abweichender kunstvoller Einsatz dissonanter Klänge und Intervalle konnte besonders in der Vokalmusik des 16.-18. Jh. auch zum Ausdruck bestimmter Worte dienen und wurde in der Lehre von den musikalisch-rhetorischen /Figuren theoretisch fundiert (besonders exponiert bei Chr. Bernhard, um 1660). Von der Intervall- zur Akkordkonsonanz. Bis zum 16. Jh. werden Akkorde als gleichzeitig erklingende

Konsonanz und Dissonanz Intervalle, nicht als Klangeinheiten aufgefaßt. Die Satztechnik bestand darin, daß einem vorgegebenen Gesang (/Cantus prius factus, auch /Cantus firmus oder Tenor genannt), der als Ausgangspunkt diente, sukzessiv Stimmen hinzugefügt wurden. Dies erklärt es, daß im 13. Jh. Franco von Köln gestattete, daß zwei zum Tenor konsonante Stimmen zueinander dissonant sein konnten, und daß Anonymus I die doppelte Quint zur K. erklärte: Sie wurden als Überlagerung zweier perfekter K.en über und unter dem Tenor angesehen. Aus denselben Gründen finden sich Doppelquarten. Im 14. Jh. lenkt Johannes de Muris zum ersten Mal die Aufmerksamkeit auf das Differenzintervall, das zwischen zwei K.en zum Tenor entsteht, und fordert, daß es keine D. sein darf. Dies Prinzip setzt sich im 15. Jh. durch. P. Aaron betrachtet zwar die sukzessive Komposition als überholt (1523), aber der Tenor verliert sein altes Privileg zugunsten des Basses erst in der Mitte des 16. Jh. (A. Petit Coclico, 1552, und vor allem G. Zarlino, 1558). Zarlino begründet als erster die konstitutiven Proportionen des Durakkords (der der /harmonischen Teilung 15:12:10 der Quinte entspricht) und des Mollakkords (der ihrer arithmetischen Teilung 6 :5 :4 entspricht). Die Vorstellung vom Akkord als klanglicher Einheit wird im Laufe des 17. Jh. betont, vor allem durch die Praxis des /Generalbasses, hauptsächlich in Italien. Erst am Anfang des 18. Jh. aber hat sich die Auffassung des Akkordes als einheitliche Ganzheit durchgesetzt. Die Akkorddissonanz. Seit Anfang des 17. Jh. ändern sich die K.- und D.-Begriffe, weil man von einem Intervall- zu einem Akkordbewußtsein überging. Trotzdem hat sich die Klassifikation der K., wie sie im 16. Jh. entwickelt wurde, bis heute in der Praxis erhalten: perfekte K.en (Oktave, Quinte und Quart), unvollkommene K.en (Terzen und Sexten), D.en (alle anderen Intervalle). Infolgedessen ist der einzige konsonante Akkord der Dur- oder Mollakkord mit seinen Umkehrungen. Nach der Funktionstheorie (H. Riemann) sind jedoch nur die Hauptfunktionen /Tonika, /Subdominante und /Dominante K.en (řHarmonielehre); daß die Dreiklänge der anderen Stufen aus Tönen bestehen, die verschiedenen /Funktionen zugehören, macht sie zu Auffassungsdissonanzen bzw. Scheinkonsonanzen. Dissonante Akkorde, wie z. B. den řDominantseptakkord, erklärt die Stufentheorie mit dem gesetzmäßigen Terzenaufbau der Akkorde. Die Funktionstheorie dagegen, die den Terzenaufbau als „unfruchtbaren Schematismus" (Riemann) verwirft, versteht sie als Verbindung von gegebenen Dreiklängen und Zusatztönen: Die Septime des Dominantseptakkordes und

die hinzugefügte große Sexte (sixte ajoutée) der Subdominante sind „charakteristische" D.en, welche die funktionale Bedeutung anzeigen und die Beziehung zur Tonika hervorkehren; die erst dadurch zwischen Dominante und Subdominante gegebenen gemeinsamen Töne treiben die Entwicklung in der /Kadenz weiter. Von diesen „wesentlichen" D.en sind die harmoniefremden Töne als „zufällige" D.en zu unterscheiden, die als harmonisch einflußlose Töne einem Satz lineare Bewegtheit verleihen. (řDurchgang, /Vorhalt, /Antizipation, "Nebennote, /Wechselnote). Konsonanz und Dissonanz im 20. Jahrhundert. Mit der Auflösung der /Funktionsharmonik verwischt sich seit Ende des 19. Jh. mehr und mehr der spezifische Unterschied zwischen K. und D.; vormals dissonante, also auflösungsbedürftige Akkorde, wie der Dominantseptakkord, werden häufig zum Ziel dissonanterer Klangbildungen: Ihr D.-Wert hat sich zum Farbwert gewandelt. Mit A. Schönbergs Postulat der „Emanzipation der Dissonanz" — dem Verzicht auf deren Auflösungsbedürftigkeit — wird die Unterscheidung von K. und D. gegenstandslos. Die Konsonanztheorien. Theorie der einfachen mathematischen Proportionen. Sie folgt der von den Griechen übernommenen Erkenntnis, daß ein Intervall um so konsonanter ist, je mehr es einer einfachen Proportion entspricht. Dieses Prinzip ist bis heute eine der solidesten Grundlagen zur Bestimmung der Konsonanz. Die Griechen begrenzten die Unterteilung mit der Ziffer 4 (Tetraktys). Im 16. Jh. erweiterte G. Zarlino sie bis zur Zahl 6 (senarius), um die harmonische und arithmetische Division der Quint zu erhalten, mit der er die schon benutzten Dur- und Mollakkorde erklärte. Ungeklärt ist, warum das Divisionsprinzip auf 4 oder später auf 6 beschränkt und entschieden werden soll, daß ab dort der Dissonanzbereich beginnt. Es dürfte allein eine musikalische — und damit eine ästhetische und subjektive — Einschätzung sein, die uns signalisiert, daß mit der Ziffer 7 ein völlig neues Element auftritt. Theorie der Obertöne. Das Phänomen der /Obertöne, die schon von R. Descartes und M. Mersenne beobachtet wurden, wurde zum ersten Mal von J. Sauveur (1701) deutlich dargestellt. Er bestätigte die von den älteren Theoretikern praktizierte harmonische Teilung, die nun physikalisch nachweisbar und damit „naturgegeben" war. Die daraus folgende Zweitrangigkeit der arithmetischen Teilung — die nicht von der „Natur" bestätigt wird — beraubte die Theoretiker ihrer einzigen befriedigenden Erklärung des Mollakkords und stellte sie vor ein ungelöstes Problem. Die Theorie von den Schwebungen. Nach H. von 407

Konsonanz und Dissonanz Helmholtz ist dic D. ein Resultat von Störungen zwischen zwei Schwingungen in sehr ähnlichem, aber nicht identischem Frequenzverhältnis, die zu 7Schwebungen zwischen den Ausgangstönen und ihren Obertönen führen; K.en dagegen sind durch das Fehlen solcher Schwebungen zwischen Grund-, Teil- und Differenzfrequenzen ausgezeichnet. Seitdem C. Stumpf gezeigt hat, daß es Schwebungen ohne D.en und D.en ohne Schwebungen geben kann, hat diese Theorie viel von ihrer Wichtigkeit verloren. Theorie der Verschmelzung. C. Stumpf wies die physikalischen Theorien zurück und versuchte, mit Hilfe psychophysiologischer Tests zu demonstrieren, daß die K. eine Folge der Verschmelzung zweier Töne ist, die den Eindruck erwecken, nur einen einzigen zu bilden. Der Grad der Verschmelzung zeige den Grad der K. an; die Oktave z. B., oft als Einklang gehört, weist den höchsten Verschmelzungsgrad auf. Theorie der Kombinationstöne. Felix Krueger erklärt die K. und die D. durch die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit der řKombinationstöne, die beim gleichzeitigen Erklingen zweier Töne entstehen: bei der K. entsteht ein der Obertonreihe entsprechender Differenztonunterbau, während bei der D. dieser Unterbau zu Störungen und Verzerrungen führt, die der Wahrnehmung des Klanges schaden und das Intervall instabil werden lassen. Experimente mit binauralem Hören. Albert Wellek (1934), H. Sandig (1939), H. Husmann (1952) und Raoul Husson (1953) experimentierten mit binauralem Hören von Sinustönen: ein Intervallton wird zum einen, der zweite zum anderen Ohr geleitet. Selbst hochmusikalische Personen konnten die entsprechenden Intervalle nicht beurteilen. Bei Wiederholung des Experiments mit obertonhaltigen Tönen wurden dagegen die Intervalle leicht erkannt. Koinzidenztheorie. Die Theorie der Verwandtschaft von Tönen mit gemeinschaftlichen Obertönen (Helmholtz) führte H. Husmann weiter und fügte sie in seine Koinzidenztheorie, der Theorie vom „Zusammenfallen gemeinsamer Obertöne", ein. Es sind die Gemeinsamkeiten (Koinzidenzen) von „objektiven Obertönen" mit „subjektiven Obertönen" (die neu entdeckt wurden und als sog. „Ohrobertöne" im Ohr selbst entstehen) zweier oder mehrerer gleichzeitig erklingender Töne, die das Erkennen der Intervalle ermöglichen. Der Grad von K. und D. jedes Intervalls (oder Akkords) wird bestimmt von der Einfachheit oder Komplexität dieser Koinzidenzen. Nach Husmann haben die Verhältnisse 6:7 und 7:8 schon ebenso viele dissonante wie konsonante Koinzidenzen: sie stehen also 408

an der Grenze zwischen K. und D. Beim Verhältnis 8:9 (Ganzton) überwiegen die dissonanten Koinzi-

denzen. Die Multiplizitätstheorie. Aus der Tatsache, daß es viele und verschiedene Theorien zur K. und D. gibt und daß mehrere von ihnen eine befriedigende Erklärung nur für Teilaspekte geben können, schloß Albert Wellek, daß eine Synthese aller dieser Theorien gefunden werden müsse. Er nannte sie Multiplizitätstheorie. In der Tat sind die Probleme, die das Phänomen der K. und der D. stellt, unendlich komplex und weit davon entfernt, völlig oder auch nur annähernd gelöst zu sein. Lit.: H. VON HELMHOLTZ. Die Lehre v. den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik (Brau 1863, 6 1913, Nachdr. Da 1968); C. STUMPF, Tonpsychologie, 2 Bde. (L 1883-90, Nachdr. Hilversum 1965); DERS., Gesch. des Consonanzbegriffs 1, in: Abh.en der Königlich Bayerischen Akad. der Wiss., Philosophisch-philologische-hist. Klasse 21 (Mn 1897); DERS., K. u. D. (L 1898) (= Beitr. z. Akustik u. Musikwiss. 1); H. RIEMANN, Zur Theorie der K. u. D., in: Präludien u. Stud. Ill (L 1901, Nachdr. Hil 1967); F. KRUEGER, Differenztöne u. K., in: Arch. für die gesamte Psychologie 1/2, Bd. 1 u. 2 (1903); K. JEPPESEN, Palestrinastil ... (Kop 1923),dt. Übers.: Der Palestrinastil u. die D. (L 1925); E. M. VON HORNBOSTEL, Psychologie der Gehörerscheinungen, in: Hdb. der normalen u. pathologischen Physiologie XI, hrsg. v. H. Geiger — K. Scheel (B 1927); A. WELLEK, Die Aufspaltung der „Tonhöhe" ... u. die Konsonanztheorien v. Hornbostel und Krueger, in: ZfMw 16 (1934); J. HANDSCHIN, Der Toncharakter (Z 1948); H. HUSMANN, Eine neue Konsonanztheorie, in: AfMw 9 (1952); DERS., Vom Wesen der K. (Hei 1953) (= Musikal. Gegenwartsfragen 3); DERS., Verschmelzung u. K., in: DJbMw 1 (1956); B. STOCKMANN, Uber das D.-Verständnis Bachs, in: Bach Jb. 47 (1960); C. DAHLHAUS, Intervalldissonanz u. Akkorddissonanz, in: Kgr.Ber. Kassel 1962 (Kas 1963); H.-P. REINECKE, Experimentelle Beitr. z. Psychologie des musikal. Hörens (H 1964) (= Schriftenreihe des Musikwiss. Inst. der Univ. Hamburg 3); C. DAHLHAUS, Emanzipation der D., in: FS H. H. Stuckenschmidt (Kas 1968); J. W. BUTLER — P. G. DASTON, Musical Consonance as Musical Preference. A Cross-Cultural Study, in: The Journal of General Psychology 79 (1968); K. SCHUGERL, On the Perception of Concords, in: Frequency Analysis and Periodicity Detection in Hearing, hrsg. v. R. Plomp — G. F. Smoorenburg (Leiden 1970); A. COHEN, „La Supposition" and the Changing Concept of D. in Baroque Theory, in: JAMS 24 (1971); N. CAZDEN, The Systemic Reference of Musical Consonance Response, in: IRASM 3 (1972); H. DE LA MOTTE-HABER, Musikpsychologie. Eine Einführung (Kb 1972) (= Theoretica 14); S. GUT, La notion de consonance chez les théoriciens du Moyen Age, in: AMI 48 (1976). S. GUT

KONSUL, DER (The Consul), Musical Drama in 3 Akten von Gian Carlo Menotti (* 1911), Text vom Komponisten. Ort und Zeit der Handlung: irgendwo in Europa, Gegenwart. UA: 1.3. 1950 in Philadelphia (Schubert Theater) unter der Regie des Komponisten; dt. EA (in dt. Sprache): 13.1.1951 in Hamburg. Mit dieser Oper begründete Menotti seinen Weltruhm als Opernkomponist: bereits zwei Wochen nach der UA, am 15. 3. 1950, ging das Drama am

Kontrabaß Ethel Barrymore Theater am Broadway in Szene und lief dort 269mal en suite — ein für eine Oper nie gekannter Sensationserfolg. Auszeichnungen wie der New York Drama Critics Award und der Pulitzer Prize unterstreichen die Bedeutung, die dieses Werk in kurzer Zeit erlangte. Das Drama, mit Motiven, die an Kafkas Schilderung der Behördenwillkür erinnern, durchsetzt, spielt in einem totalitären Staat. Geschildert wird der vergebliche Versuch einer jungen Frau, ein Einreisevisum in einen freien Staat zu erhalten, um mit ihrer Familie dem vor der Geheimpolizei geflohenen Ehemann ins Ausland zu folgen. — Der häufig auch als Regis-

seur tätige Komponist zeigt sich bereits im Konsul als Meister der bühnenwirksamen Gestaltung, so gleich zu Beginn des 1. Aktes, wenn die Schlagerwelt eines französischen Cafés in die ärmliche Wohnung der Familie hereinklingt und der verletzte Flüchtling John plötzlich ins Zimmer stürzt. Menottis Musik schließt sich über weite Strecken dem veristischen Stil Puccinis an, doch greift der Komponist auch auf andere stilistische Vorbilder zurück, wenn ihm dies erforderlich scheint. So findet man Reminiszenzen an I. Strawinskys Sacre du Printemps und R. Strauss' Till Eulenspiegel neben einem Wiegenlied im Stile Mussorgskis. Die kantablen, sehr differenziert instrumentierten Rezitative werden in ständigem Fluß gehalten und sichern so die Stringenz der musikdramatischen Linie. R. QUANDT

KONTAKION (griech., wahrscheinlich = Stäbchen), Bz. für eine der bedeutendsten Großformen byzantinischer Hymnographie und Musik. Es hat sich aus der poetischen Homilie entwickelt, einer Art rezitierenden Festpredigt, die ursprünglich im Morgengottesdienst der Lesung des Evangeliums folgte, und besteht aus einer Reihe von 20 bis 30 Strophen, den sog. Oikoi (Häuser), die untereinander strukturell gleich sind (Übereinstimmung von Melodie, Silbenzahl, Akzent und syntaktischer Gliederung). Den Oikoi insgesamt wird eine kürzere allometrische Strophe, das sogenannte Prooimion oder Kukulion vorangestellt; Prooimion und Oikoi sind durch den gleichen Refrain miteinander verbunden. Das Vorhandensein des Refrains am Ende jeder Strophe läßt auf eine responsoriale Vortragsweise schließen: Vortrag der Strophen vom Solisten, des Refrains vom Chor. Ein weiteres Kennzeichen des K.s sind die Akrosticha. Als Vorläufer des K.s gelten drei syrische Poesieformen des 4. und 5. Jh., die Memra, die Madraša und die Sogitha. Das K. erlebte seine erste Blüte im 6. Jh. unter seinem prominentesten Vertreter, dem Syrer Romanos, von dem mindestens 85 Kontakia mit Si-

cherheit stammen. Neben ihm sind Anastasios, Kyriakos, Georgios, Dometios und Elias als Kontakiendichter bekannt. Eine zweite Blüte läßt sich für den Beginn des 9. Jh. im Studios-Kloster zu Konstantinopel feststellen. Die ältesten Aufzeichnungen von Kontakienmelodien finden sich in Handschriften des 12. und 13. Jh. mit altslawischer Kondakarien- bzw. mittelbyzantinischer Notation. Sie enthalten in der Regel nur das Prooimion und den ersten Oikos. Die Melodien weisen den hochmelismatischen Stil des Asmatikon bzw. des Psaltikon auf. Lit.: P. MAAS, Das K., in: Byzantinische Zschr. 19 (1910); C. FLOROS, Das K., in: DVfLG 34 (1960); DERS., Fragen zum musikal. u. metrischen Aufbau der Kontakien, in: Actes du XIIe Congrès International des Études Byzantines III (Belgrad 1964); DERS., Die Entzifferung der Kondakarien-Notation, in: Musik des Ostens 3-4 (Kas 1965-67); J. GROSDIDIER DE MATONS, Le k., in: Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen. Gedenkschrift L. Schrade I (Be — Mn 1973). C. FLOROS

KONTARSKY, 1) Aloys, * 14.5. 1931 Iserlohn, und 2) Alfons, Bruder von 1), * 9. 10. 1932 ebd.; dt. Pianisten. Sie studierten beide an den Musikhochschulen Köln (1951-55: Klavier bei Else Schmitz-Gohr, Kammermusik bei M. Frank) und Hamburg (1955-57: Klavier bei E. Erdmann) und gewannen 1955 den 1. Preis für Klavierduo beim Internationalen Wettbewerb der Rundfunkanstalten Deutschlands in München. In kurzer Zeit errangen sie beispiellosen Weltruf vor allem durch ihre Interpretationen moderner Musik, die im Duospiel neue Maßstäbe setzten. Die Brüder K. waren in den 60er Jahren führend auch bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt. 1967 wurden sie Professoren für Klavier und für Klavierduo an der Musikhochschule Köln. Aloys K. ist auch solistisch ein bedeutender Interpret zeitgenössischer und avantgardistischer Kompositionen und hat zahlreiche Werke von K. Stockhausen, B. A. Zimmermann, M. Kagel, M. Kelemen u. a. uraufgeführt. Alfons K. wurde 1979 an die Musikhochschule München berufen. KONTRABASS (engl.: double bass, contrabass; frz.: basse double, contrebasse; it.: violone, contrabasso; span.: contrabajo). — 1) K. bedeutet, einem Instrumentennamen vorangestellt, im allgemeinen das 16'-Instrument einer Instrumentenfamilie; im besonderen bezeichnet K. das größte und tiefste Streichinstrument, das — allerdings als „Mischling" — zur Viola da braccio-Familie gehört. Der K., auch Baßgeige genannt, ging aus dem tiefsten Instrument der Viola da gamba-Familie hervor und hat bis heute noch wichtige Merkmale dieser Familie beibehalten, so den flachen, nach oben abge409

KontrabaB schrägten Boden, die hohen Zargen, die spitz zulaufenden Schultern und einen im Verhältnis zum Korpus kurzen Hals, der bis um 1800 noch mit Bünden ausgestattet war. Von der Viola da braccio-Familie wurden nur die F-Löcher statt der CLöcher und die Schnecke statt eines Zierkopfes übernommen. Die Anzahl der Saiten und die Stimmung des K.es waren im 17.-19. Jh. unterschiedlich. Es gab Instrumente mit 3, 4, 5, sogar 6 Saiten. Die Normalform war aber und ist bis heute der 4saitige K. in der Stimmung E, Al D G. Er klingt eine Oktave tiefer als notiert, ist also das einzige transponierende Streichinstrument. Der Tonumfang reicht in der Höhe bis mindestens g', bei Flageolett-Tönen bis g3. In Partien, die tiefere Töne als E, enthalten, wird auf dem 4saitigen K. in der Regel in die höhere Oktave „ausgewichen". Bereits im frühen 19. Jh. ist dafür auch das Herunterstimmen der E-Saite bis zum C, bezeugt. Zu diesem Zweck gab es seit etwa 1880 mechanische Umstimmsysteme (sog. CMaschinen), die sich aber auf die Dauer nicht durchsetzen konnten, nachdem seit R. Wagner K.Partien in der Regel bis zum C, reichen. Heute verfügen alle professionellen Orchester gleichermaßen über 4saitige wie über 5saitige Kontrabässe (mit der Stimmung Cl E, Al D G). Nicht nur Form und Besaitung des K.es waren lange Zeit unterschiedlich, sondern auch die Bogenhaltung ist bis heute nicht einheitlich. Seit Franz Simandl, der als K.-Virtuose bekannt und seit 1863 als Lehrer tätig war, benutzen die Spieler den modernen konkaven Bogen, in Deutschland mit Untergriff, in Frankreich vorwiegend mit Obergriff (wie beim Violoncello). Bereits im 17. Jh. wurden zur Erleichterung des Stimmens Eisenwirbel und Zahnräder (M. Praetorius, Syntagma musicum I1, 1619) verwendet, die sich aber nicht recht durchsetzen konnten. K. L. Bachmann erfand die Schraubenmechanik (Berlin 1772), d. h. für jeden Wirbel die Verbindung eines Zahnrades mit einer Schnecke, die seitdem allgemein benutzt wird, da durch sie jede Tonhöhe genau eingestimmt werden kann. Vom 17.-19. Jh. wurden sowohl kleinere als auch sehr viel größere Kontrabässe gebaut, darunter der kleine 3saitige, vorwiegend in Süddeutschland und Österreich verbreitete K. (/Bassett) oder der 1849-51 von J. B. Vuillaume gebaute, 4 m hohe /Octobasse. Streichinstrumente in K.-Lage hießen im 17.-18. Jh. manchmal allgemein i'Violone, in Deutschland auch Groß-Contra-Bas-Geig (M. Praetorius, Syntagma musicum II, 1619). Der K. wurde vermutlich in der 2. Hälfte des 16. Jh. in Streicherensembles üblich; seit 1663 ist er bei den 24 Violons du Roi nachgewiesen, seit 1701 in der 410

kaiserlichen Kapelle in Wien, seit 1706/07 im Opernorchester der Pariser Opéra (M. Marais, Alcyone). Im klassischen Orchester wurde der K. meist oktavierend mit dem Violoncello verwendet, d. h., für beide Instrumente galt die gleiche Stimme. Seit der 2. Hälfte des 18. Jh. wird der K. gelegentlich auch selbständig geführt, und seit dem frühen 19. Jh. ist die getrennte Notierung in Partitur und Stimmen üblich. M. BROCKER Musik für KontrabaB. Die Anfänge einer Musik für K. kann man in dem Repertoire für Gamben/Consort sehen, der auch einen Violone umfaßte. Seit dem frühen 17. Jh. gehörte dieses Instrument zu den /Fundamentinstrumenten der Generalbaßpraxis. Die ersten Werke für Violone stammen vom Ende des 17. Jh. (G. B. Vitali und Giovannini del Violone). Auch im 18. Jh. repräsentierte der K. die Fundamentstimme, dies sogar in bestimmten Bereichen oft ausschließlich (d. h. ohne Violoncello), so vor allem in der süddeutsch-österreichischen katholischen Kirchenmusik im Verband des sog. Kirchentrios (2 Violinen u. K.) und in der Serenadenmusik. Von hier aus entwickelte sich kurz nach der Mitte des 18. Jh. im Wiener Raum ein reicher Bestand von Werken für und mit solistischem K. innerhalb der Kammermusik, der Symphonik (J. Haydn, Symphonien Nr. 6, 7, 8, 31, 45 und 72), der konzertanten Symphonie (K. D. von Dittersdorf, Sperger), als Arie mit obligatem K. (J. M. Sperger; Mozart, KV 612). Vor allem sind hier zu nennen die K.Konzerte von Dittersdorf, J. B. Vanhal, V. Pichl, A. Zimmermann, Fr. A. Hoffmeister, Sperger (von dem 18 Konzerte überliefert sind). Konzertierende Wiener Kontrabassisten des späten 18. Jh. waren u. a. Pichelberger, Kämpfer, Mannl, Lasser, Dietzl und Sperger. Auch wegen der Besonderheit des Wiener K.-Baus mit der Stimmung F1 Ai D Fis A kann von einer eigenen Wiener K.-Schule gesprochen werden. Besonders weit war hier die Lagenund Flageolettechnik entwickelt. Sperger wandte erstmals den Daumenaufsatz an. Fast gleichzeitig traten die Italiener G. A. Capuzzi und Cimador mit ihren K.-Konzerten hervor. Die kompositorisch, spieltechnisch und auch als Lehrer überragenden Virtuosen und Komponisten waren jedoch D. Dragonetti und Giovanni Bottesini. Beide spielten die für Italien typischen Dreisaiter in der Stimmung Al D G. Im 19. Jh. wurden an allen wichtigen Konservatorien Europas Lehrerstellen für K.-Spiel eingerichtet, so in Mailand 1808, Prag 1811, Wien 1817, Paris 1827. Mit der gleichzeitig intendierten Normierung im Instrumenten- und Bogenbau wurde eine

Kontrafagott vereinheitlichende Spieltechnik erstrebt. Exzellente Pädagogen, die fast alle auch für ihr Instrument komponierten, waren Wenzel Hause, Franz Simandl, Achille Gouffé, Lajos Montag und Ludwig Streicher. Dem solistischen K.-Spiel stehen neben einer Fülle von Transkriptionen in zunehmendem Maße Originalkompositionen zur Verfügung (so u. a. von Bottesini, Dragonetti, Otto Findeisen, Gouffé, S. Kussewitzky, Láska und Simandl; vgl. das Verzeichnis bei A. Planyavsky, s. u. Lit.). Gleichzeitig erfuhr die Spieltechnik im Laufe des 19. Jh. starke Anregungen durch die enorme Entwicklung der /Instrumentation.

Die Neue Musik des 20. Jh. erschloß dem Kontrabassisten neue Spieltechniken (besonders im bogentechnischen und klanglichen Bereich); dies belegen die Originalkompositionen von P. Hindemith, H. W. Henze, S. Borris, F. Farkas, Ladislav Cerný, Fritz Leitermeyer, Montag, E. Nanny, Fritz Skorzeny, J.-Fr. Zbinden u. a. Noch extremere technische Ansprüche fordern Komponisten, die seriellen und experimentellen Techniken verpflichtet sind (Charles Whittenberg, Kr. Penderecki, Otto J. M. Zykan, G. Ligeti 1958 und 1961). M. Kagel verlangt in seiner Komposition Tremens einen elektrischen Kontrabaß. In den USA wird neuerdings ein „Ampeg Electric Bass" aus Kunststoff hergestellt. Das K.-Spiel in Kammer- und Orchestermusik in unserem Jh. wurde auch durch den Jazz angeregt, wo vor allem das Pizzicato -Spiel verwendet wird (Schlagbaß). Innerhalb der Popmusik wurde der K. durch die elektrisch verstärkte Baßgitarre ("Elektrobad) verdrängt. A. MEIER

KONTRABASS 20. Jh.

2) Im Orgelbau Bz. für ein offenes Labialregister in 32'- oder 16'-Lage im Pedal, meist von enger Mensur und streichendem Klang. Lit.: Zu 1): F. WARNECKE, Ad infinitum. Der K., seine Gesch. u. seine Zukunft (H 1909); A. M. KLAFSKY, M. Haydn als Kirchenkomponist, in: StMw 3 (1915); W.JERGER, Der K., in: Hohe Schule der Musik Ill (Pd 1935); C. BAR, Zum Begriff des „Basso" in Mozarts Serenaden, in: Mozart-Jb. 1960/61 (1961); H. KUNITZ, Die Instrumentation, XIII: Violoncello, K. (L1961); H. KÜMMERLING, Entdeckung u. Verwendung der Subbaßlage, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kas 1970); A. MEIER, Konzertante Musik für K. in der Wiener Klassik (Giebing 1969, Mn 2 1979); A. PLANYAVSKY, Gesch. des K. (Tutzing 1970); B. M. FINK, Die Gesch. des K. u. seine Trennung vom Violoncello in der orchestralen Instrumentation (Rb 1974) (= Forschungsbeitr. z. Musikwiss. 24); F. BAINES, What Exactly is a Violone? A Note Towards a Solution, in: Early Music 5 (1977).

KONTRAFAGOTT (engl.: double bassoon, contrabassoon; frz.: contrebasson; it.: contrafagotto; span.: contrafagot), Doppelrohrblattinstrument mit enger, konisch gebohrter, mehrfach umgelegter Röhre (Länge des Rohres ca. 593 cm), verlängert durch ein S-förmiges Anblasrohr, auf welches das Doppelrohrblatt aufgesteckt wird, sowie nach unten gerichteter Metallstürze und einem Stachel zum Aufstützen des Instruments. Es erklingt eine Oktave tiefer als das řFagott (Notierung 1 Oktave höher) und hat mit C-Stürze einen Tonumfang von C1—g, bei Verwendung der A-Stürze von A 1 —g (a). Die tiefen Töne haben einen vollen warmen Klang, während die hohen Töne leise sind. Die Entwicklung, die zum K. führte, setzte bereits um 1620 ein; nach M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) habe der Berliner Musiker Hans Schreiber ein solches Instrument (Fagot contra) bauen wollen. Das älteste erhaltene Exemplar stammt von Andreas Eichentopf aus Leipzig (1714). 1727 wurde ein K. von Thomas Stanesby (London) bei Aufführungen Händelscher Werke verwendet. Im Laufe des 18. Jh. wurde das Instrument besonders in Österreich vorrangig für die Militärmusik gebaut, aus der es im 19. Jh. durch die Entwicklung von klangvolleren tiefen Blechblasinstrumenten (Tuba) verdrängt wurde. Der Bedarf an Kontrabaßinstrumenten in der Militärmusik führte zu zahlreichen Experimenten, um die Klangqualität und vor allem die Lautstärke des Instruments zu verbessern, u. a. zum Universalkontrabaß oder Tritonikon (1839) von Schöllnast & Sohn (Preßburg), einem KupferK. mit großen geschlossenen Klappen, die ein klaviermäßiges Spiel erlaubten. C. W. Moritz (Berlin) benutzte diesen Mechanismus sogar dazu, auf seinem Klaviatur-K. eine Klaviertastatur mit weißen und schwarzen Unter- und Obertasten anzubringen (Patent 1856). Für die musikalische Verwendbarkeit des K. wichtiger war jedoch das Kontrabasso411

Kontrafaktur phon (1850) von H. J. Haseneir (Koblenz) mit einer Drehklappenanlage. Endgültig durchsetzen konnte sich das K. aber erst mit dem von W. Heckel (Biebrich) entwickelten Typ (1876), der heute allgemein benutzt wird. Partien für K. finden sich u. a. bei G. Fr. Händel (Alexander's Feast), J. Haydn (Die Schöpfung; hier auch tonmalerisch bei den Worten Vor Freude brüllend steht der Löwe da), W. A. Mozart (Maurerfische Trauermusik, KV 477), L. van Beethoven (5. und 9. Symphonie; Fidelio, 2. Akt, Kerkerszene), J. Brahms (1. und 4. Symphonie; Haydn-Variationen), A. Bruckner (9. Symphonie), H. Pfitzner (Palestrina), R. Strauss (Salome; Eine Alpensinfonie), G. Puccini (Tosca, 1. Akt, Finale), A. Schönberg (Gurre-Lieder), I. Strawinsky (Le sacre du printemps), Cl. Debussy (La mer), G. Mahler (8. Symphonie), M. Ravel (Daphnis et Chloé; Suiten Nr. 1 und 2), G. Holst (The Planets), O. Respighi (I pini di Roma), Dm. Schostakowitsch (7. Symphonie, „Leningrad") und B. Bartók (Konzert für Orchester).

Lit.: L. G. LANGWILL, The Double-Bassoon, in: Proc. Mus. Assoc. 69 (1942); M. PIARD, Enseignement du contrebasson (P 1952); L. G. LANGWILL, The Bassoon and Contrabassoon (Lo — NY 1965); K. BISSAK, Die Holzblasinstrumente im Salzburger Museum Carolino Augusteum (Salzburg 1973); A. BAINES, Woodwind Instruments and Their History (Lo 31977). M. BRČSCKER

KONTRAFAKTUR (von mittellat. contrafacere = dagegen machen, nachmachen), allgemein Bz. für das Abfassen eines neuen Liedtextes zu einer vorhandenen, meist einstimmigen Melodie. Der historische Kernbereich der K., die über ganz Europa 412

verbreitet war, liegt im Mittelalter, mit dessen Kunstanschauung, das Neue als eine Erweiterung und Bereicherung des anerkannten Bestandes anzusehen, sich das Verfahren der K. besonders gut deckt. So gehört die K. neben Tropierung, Mehrstimmigkeit usw. zu den häufig angewandten Möglichkeiten der Bereicherung des Gregorianischen Gesangs. Schwer durchschaubar sind die Gründe für die K. im Troubadour-, Trouvère- und Minnesang (Betonung des Zusammenhangs, Stileinübung, Gewinnung von Repertoire). Der Umstand, daß sich bei der K. das Interesse auf einen neuen Text richtete und die Melodien immer wieder verwendet wurden, eröffnet der Erforschung mittelalterlicher Musik manche Zugänge. Eine andere Konsequenz besteht darin, daß die Bedeutung von KontrafaktaVerfassern eher im Dichterischen als im Musikalischen liegt (z. B. Heinrich Laufenberg, 15. Jh.). Zu einer speziellen semantischen Aussage verhalf die K. bei der Transposition der weltlichen in die geistliche Sphäre. Immer wieder wurden mit voller Absicht weltliche, oft ausgesprochen erotische Lieder sozusagen sakralisiert (O admirabile Veneris idolum, O Roma nobilis orbis et domina); die entsprechenden Melodien, die auch unter neuem Text leicht wiederzuerkennen waren, bildeten nicht nur sozusagen eine technische Brücke, sondern auch ein Bindeglied für die beabsichtigte inhaltliche Assoziation und Transposition. Eine derart ausgerichtete K. spielte eine auffällige Rolle in der volksliturgischen Bewegung Süddeutschlands im 15. Jh. und dann im /Kirchenlied der Reformation. Im 16. Jh. nahm auch die K. mehrstimmiger Stücke zu (z. B. wurde J. Regnarts Venus, du und dein Kind zum protestantischen Auf meinen lieben Gott und zum katholischen Magnificat anima mea Dominum). Seit der Mitte des 17. Jh. verlor die K. an Bedeutung. Vom historischen Wortgebrauch her (seit dem 15. Jh.) ist der Begriff „K." von der OE'Parodie nicht scharf getrennt. Lit.: K. HENNIG, Die geistliche K. im Jh. der Reformation (HI 1909); J. A. HUISMAN, Neue Wege zur dichterischen u. musikal. Technik Walthers von der Vogelweide (Utrecht 1950); H. ALBRECHT, Zur Rolle der K. in Rhaus „Bicinia" v. 1545, in: FS M. Schneider (L 1955); S. W. KENNEY, Contrafacta in the Works of W. Frye, in: JAMS 8 (1955); U. HARBURG, Melodien zum frühen dt. Minnesang. Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Zschr. für dt. Altertum 87 (1956/57), Neudr. in: Der dt. Minnesang, hrsg. v. H. Fromm (Da 1961) (= Wege der Forsch. 15); K. VON FISCHER, K. u. Parodien it. Werke des Trecento u. frühen Quattrocento, in: Ann. Mus. 5 (1957); E. JAMMERS, Der Vers der Trobadors u. Trouvères u. die dt. K., in: FS W. Bulst (Hei 1960); J. MCLLER-BLATTAU, K. im älteren geistlichen Volkslied, in: FS K.G. Fellerer (Rb 1962); F. GENNRICH, Die K. im Liedschaffen des MA (Langen 1965) (= Summa musicae medii aevi 12); J. AENGENVOORT, Die K. in der Gesch. des geistlichen Liedes, in: MuA 18 (1966); W. BRAUN, Die ev. K., in: JbLH 12 (1966); W. LIPPHARDT, Zur geistlichen K., in: FS W.

Kontrapunkt Wiora (Kas 1967); CH. PETZSCH, K. u. Melodietypus, in: Mf 21 (1968); M. HONEGGER, Les chansons spirituelles de D. Lupi et les débuts de la musique protestante en France au XVIe siècle, 2 Bde. (Lille 1971). G. GRUBER

KONTRAPUNKT (engl.: counterpoint; frz.: contrepoint; it.: contrappunto; span.: contrapunto), allgemein die Bz. für die Technik der Komposition mehrstimmiger Musik, die mehrere selbständige,

jedoch aufeinander bezogene melodische Ereignisse unter Beachtung von vorgegebenen Grundbedingungen zu einem sinnvollen Satz zusammenfügt. Die Aufeinander-Bezogenheit, die vorgegebenen Grundbedingungen und die Formulierung dessen, was „sinnvoller Satz" bedeutet, unterliegen historischem Wandel. Daher stellt sich K., speziell als Theorie des polyphonen Satzes verstanden, zu verschiedenen Zeiten verschieden dar. Die jeweilige Ausprägung von K. als K. -Lehre hat also die Definition der Grundbedingungen zum Inhalt. Unter K. im engsten Sinne ist die Satztechnik zu verstehen, die die mehrstimmige Musik — mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der geistlichen Vokalmusik — etwa zwischen 1450 und 1650 bestimmt hat („klassische Vokalpolyphonie"). Häufig wird K. in einen gewissen Gegensatz zur /Harmonielehre gebracht, durch die die entsprechenden Grundbedingungen für homophonen Satz formuliert werden. Dieser Gegensatz ist nur insoweit richtig, als harmonisches Denken kontrapunktisches Denken historisch abgelöst hat. Jedoch ist nicht zu übersehen, daß der Übergang zu einer die simultanen Zusammenklänge in den Vordergrund stellenden Betrachtungsweise latent in der K.Lehre der oben genannten Zeit angelegt ist, deren zentrales Thema das Verhältnis von /Konsonanz und Dissonanz darstellt; dieses jedoch ist ein Zusammenklangsproblem. Vorläufer des K.s sind /Organum- und ."Discantus-Technik. Der Begriff K. (Contrapunctus) tritt — als Ableitung aus punctus contra punctum, d. h. Note gegen Note — erstmals nach 1300 in Traktaten über den Discantus auf. Er wird zunächst — dem Wortsinn entsprechend — nur für den Satz Note gegen Note verwendet, jedoch dann auf alle Satztechniken ausgeweitet, die eine (oder mehrere) Stimme(n) zu einem C. f. erklingen lassen. Als die „Geburtsurkunde" des K.s kann der Traktat Musica enchiriadis (früher Hucbald zugeschrieben) um 900 mit seinen Organumbeispielen angesehen werden. Diese frühen Organa beruhen auf Note gegen Note gesetzten Unterquarten zum C.f. (Die oft angeführten Quint- und Oktavparallelfortschreitungen entstanden wohl sekundär durch Oktavierungen der Hauptstimmen.) Zur Vermeidung von Tritonusbildungen wird — bei absteigendem C.f. —

die Organalstimme auf einem unteren Grenzton angehalten. Erst wenn der C. f. wieder ansteigt und das Quartintervall erreicht hat, setzt die Organalstimme die Quartparallelen wieder fort. Im 11. Jh. wurde für das Organum das Prinzip der Gegenbewegung konstitutiv, wobei nunmehr die

Organalstimme als Discantus über dem C.f. läuft (Mailänder Traktat, um 1100). Der Satz bleibt jedoch zunächst syrrhythmisch. Als Zusammenklangskonsonanzen werden nur Einklänge, Quarten, Quinten und Oktaven zugelassen. Für Anfänge und Schlüsse wird die Einklangs- oder Oktavkonsonanz zwingend vorgeschrieben. Erst um die Mitte des 12. Jh. werden Organum und Discantus zunehmend voneinander unterschieden. In der 1. Hälfte des 13. Jh. wurden Franco von Köln und Johannes de Garlandia die maßgebenden Theoretiker des K.s, der jetzt durch den Verzicht auf die Syrrhythmik gekennzeichnet ist, wobei die Terz den Rang einer Konsonanz erobert hat. Zwischen zwei Konsonanzen kann der Discantus nunmehr Verzierungen (colores) anbringen. Damit war es jedoch notwendig geworden, auch die Dissonanzen zu definieren: Dissonanzen (discordantiae) sind Halbton, Tritonus und große Septime (als vollkommene Dissonanzen), Ganzton und kleine Sexte (!) (als „mittlere” Dissonanzen) sowie große Sexte (!) und kleine Septime (als unvollkommene Dissonanzen); Konsonanzen (concordantiae) sind dagegen Einklang und Oktave (als vollkommene Konsonanzen), Quarte und Quinte (als mittlere Konsonanzen) sowie kleine und große Terz (unvollkommene Konsonanzen). Dissonanzen dürfen nur als color auftreten (auf unbetontem Taktteil), während für die betonten Mensurzeiten Konsonanzen gefordert werden. Somit läßt sich für das 13. Jh. bereits ein Grundbestand an kontrapunktischen Verfahrensweisen feststellen, der von da an zum ständigen Repertoire gehören sollte: die Verwendung von Dissonanzen auf unbetonten Mensurzeiten als Durchgangsnote und (seltener) als Wechselnote. Johannes de Garlandia, Franco von Köln u. a. beschreiben auch den mehr als zweistimmigen Satz, wobei sie im wesentlichen nur verlangen, daß auf schweren Mensurzeiten alle Stimmen miteinander konsonieren, während (so Franco von Köln) auf den leichten Zeiten das Triplum (die 3. Stimme neben /Duplum und /Tenor) entweder mit dem Tenor oder mit dem Discantus konsonieren soll. Die Unterscheidung von schweren und leichten Mensurzeiten macht deutlich, daß die Organisation von Konsonanz-Dissonanz-Verhältnissen von nun an eng mit der Entwicklung einer geregelten Mensur- und Metrumlehre (der Mensuralnotation; /Notenschrift) verbunden ist. Auch für diesen Be413

Kontrapunkt reich sind Franco von Köln und Johannes de Garlandia die herausragenden Theoretiker. Das 14. Jh., dessen musiktheoretische Zentralgestalt Johannes de Muris in Paris gewesen sein dürfte, lehnt zunehmend die Quarte als Konsonanz ab und toleriert aber die Sexte als imperfekte Konsonanz. Der Traktat Ars nova (um 1320) des Komponisten Ph. de Vitry hat im nachhinein der Epoche den Namen gegeben. Zu Beginn des 15. Jh. hat der Begriff K. in vollem Umfang die Bedeutung gewonnen, die er heute hat, d. h. über den Satz Note gegen Note hinaus beschreibt er die Möglichkeit, viele Noten gegen eine Note des C.f. zu setzen. Einige anonyme Autoren formulieren jetzt (ähnlich wie Prosdocimus de Beldemandis 1412 in seinem Traktat Contrapunctus)Generalregeln, die nun wesentlicher Inhalt der K.-Lehre bleiben: 1. Gegenbewegungsgebot („quando tenor ascendit, contrapunctus debet descendere et e converso"). 2. Gebot der perfekten Konsonanz am Anfang und Schluß (während die Paenultima eine imperfekte Konsonanz [kleine Terz oder große Sexte] enthalten soll; in dieser Zeit finden sich im Zusammenhang mit der /Musica ficta auch Anweisungen, auf der Paenultima Leittöne zu verwenden: kleine Terz vor dem Einklang, große Sexte vor der Oktave, große Terz [Dezime] vor der Quinte [Duodezime]). 3. Quint- und Oktavparallelenverbot. 4. Gebot der Abwechslung zwischen perfekten und imperfekten Konsonanzen. 5. Möglichkeit der Folge mehrerer unvollkommener Konsonanzen, wenn eine vollkommene Konsonanz anschließt. Wichtig scheint aber zu sein, daß diese und alle weitergehenden Regeln (z. B. diejenigen, die sich auf Dissonanzbehandlung bei diminuierender Figuration beziehen) weniger für die aufgeschriebene Komposition (res facta) gelten. Sie verstanden sich wahrscheinlich mehr als Anleitung zur Improvisation. — Bei Guilielmus Monachus (um 1450) endlich findet sich erstmals die Beschreibung der Vorhaltssynkope (Sekunde vor Terz, Septime vor Sexte, Quarte vor Terz) als Errungenschaft der zeitgenössischen Komponisten („... secundum usum modernorum"). Auch führt Guilielmus Monachus die Möglichkeit einer unter dem Tenor liegenden Baßstimme ein, wobei er für die Schlußbildungen bereits die spätere Baßklausel fordert. J. Tinctoris bringt in seinem Liber de arte contrapuncti (1477) die Entwicklung der K.-Lehre zu einem vorläufigen Abschluß. In 8 Generalregeln faßt er die Errungenschaften eines halben Jahrtausends zusammen: 1. Anfang und Schluß sollen perfekte Konsonanzen bilden (Ausnahmen: Bei auftaktigem Anfang können auch imperfekte Konsonanzen auf414

treten, und bei vielstimmigen Schlüssen darf auch die Terz vorhanden sein). 2. Terz- und Sextparallelen sind erlaubt, Quint- und Oktavparallelen dagegen verboten. 3. Bei liegendem Tenor können gleiche Konsonanzen wiederholt werden. 4. Der K. soll eine geschlossene melodische Linie darstellen. 5. Die Tonart des C.f. darf nicht durch falsche Klauseln gestört werden. 6. Tonwiederholungen (redictae) darf der K. nicht haben, vor allem nicht, wenn sie im C.f. schon auftreten, es sei denn aus klangnachahmenden Gründen (,,... aliquando tamen sonum campanarum auf tubarum imitando ubique tolerantur"). 7. Zwei Schlußklauseln sollen nicht unmittelbar hintereinander stehen. B. Überhaupt soll der K. Mannigfaltigkeit (varietas) aufweisen. Contrapunctus simplex und Contrapunctus diminutus (oder floridus) sind nun gleichberechtigte Gattungen. — Tinctoris ist der Theoretiker für die Satztechnik der franko-flämischen Schule, die mit G. Binchois, G. Dufay, J. Ockeghem und J. Obrecht einen Höhepunkt der Vokalpolyphonie markiert. Die Theoretiker der Zeit von G. P. da Palestrina, dessen Name und Werk (bis zu beinahe legendärer Überhöhung) als Erfüllung des kontrapunktischen Vokalstils gilt, sind Glareanus (1547), N. Vicentino (1555) und G. Zarlino (1558). Während bei Glareanus die Formulierung eines modalen Skalensystems im Vordergrund steht, bemüht sich Vicentino (wie Zarlino ein Schüler A. Willaerts) um genaue Untersuchung der Dissonanzbehandlung. Vorhaltsdissonanz (sincopa), Durchgangsdissonanz (dissonanza sciolta) und Klauseln (cadentie) erfahren später kaum noch Formulierungsänderungen. Auch finden die Imitationstechnik und der doppelte K. (bei dem die Gegenstimme so angelegt ist, daß sie sowohl über als auch unter ihrer Bezugsstimme liegen kann) erstmals hier ausführliche Beschreibung. Zarlinos Fassung der K.-Lehre endlich stellt wohl die deutlichste Fassung des Regelbestandes des strengen Satzes dar (Istitutioni harmoniche, 1558). Dabei ist nicht zu verkennen, daß Zarlino im Kontrapunktteil der Istitutioni harmoniche bereits als „Konservativer" angesprochen werden muß. Zukunftsträchtiger wird seine Feststellung, daß Dur- und Molldreiklänge die einzigen Grundharmonien des Tonsatzes seien. Mit einigem Recht darf hier der Beginn der Harmonielehre im eigentlichen Sinne angesetzt werden. Die Entwicklung von Monodie und Generalbaß verlagerte im 17. Jh. sehr deutlich das Schwergewicht theoretischer Untersuchungen weg vom Kontrapunkt. Dieser wurde zunehmend Übungsdisziplin für angehende Komponisten. Interessant sind hier vor allem noch deutsche Autoren, u. a. J. Burmeister (Musica poetica, 1606) und Chr.

Kontrapunkt Bernhard (Tractatus compositionis augmentatus, um 1660), bei denen die Lehre von den musika-

lisch-rhetorischen /Figuren als zusätzlicher Aspekt auftritt. K. als Kompositionsmittel steht hier sehr deutlich im Dienst des Wortausdrucks, wobei bemerkenswert ist, daß die Figuren weitgehend als Abweichung vom normierten Regelsatz, als „vitium artificale" verstanden werden. Im 18. Jh. war der „strenge Satz" bereits historisch. J. J. Fux bezieht sich in seinem Gradus ad Parnassum (1725) ganz auf Palestrina. Sein Lehrbuch, in lateinischer Dialogform abgefaßt, stellt gewissermaßen ein „Lehrprogramm" dar, das den Schüler in kleinen Lernschritten voranführt und ihm sofort die „Erfolgskontrolle" ermöglicht. J. G. Albrechtsberger (1790), Fr.-J. Fétis (1825), L. Cherubini (1835) und H. Bellermann (1862) setzten diese Tradition im 19. Jh. fort. Strenger Satz im Sinne einer sich auf Palestrina berufenden a cappella-Technik gewann jetzt mehr und mehr den Sinn einer akademischen Unterweisung für angehende Komponisten, ein Fortschritt der K.-Theorie war jedoch nicht mehr zu verzeichnen. K. Jeppesens Kontrapunkt (1931), auf einer gründlichen Analyse der Werke Palestrinas beruhend, brachte diese Entwicklung gewissermaßen zum Abschluß. Ein wichtiger Seitenzweig der K. -Lehre begann allerdings noch 1779 mit J. Ph. Kirnberger (Die Kunst des reinen Satzes). Seine Lehrweise (auf J. S. Bach fußend) beruht auf der Grundannahme, daß alle Stimmfortschreitungen auf Akkordfortschreitungen beruhen. Folgerichtig ist für ihn der vierstimmige Satz Ausgangspunkt und der zweistimmige Satz eine Art Reduktion aus dem vierstimmigen. Hier wurden - wie später bei A. Reicha (1824) - Erkenntnisse J.-Ph. Rameaus auf den K. angewandt. Diese Linie fand ihre Fortsetzung etwa bei E. Fr. Richter (1872) und S. Jadassohn (1883). In gewisser Weise verkörpert hier P. Hindemiths Unterweisung im Tonsatz (1939) den Endpunkt dieser Entwicklung: Komposition ist stets gleichzeitig ein Problem der Akkordfortschreitung wie der melodischen Erfindung. Auffällig ist, daß in der rückschauenden Betrachtung, insbesondere auch im 20. Jh., die vertikale Komponente oft übersehen wird und manchmal K. auf das Gegeneinander von rein melodischen Phänomenen oder rhythmischen Vorgängen oder gar auf „Vorgang gegen (und mit) Vorgang" (D. de la Motte, 1965) reduziert wird. E. Krenek (1940, 1952) endlich hält es deshalb für „angemessen, Atonalität und die Zwölftontechnik vom K. her zu erarbeiten", weil „Atonalität offenkundig melodische Phänomene in den Vordergrund" stelle. Eine Weiterentwicklung der Theorie und Lehre

vom K. hätte sich auch in der heutigen Zeit durchaus wieder der Aufgabe zu unterziehen, „Grundbedingungen" zu formulieren, die melodisches und vertikales Komponieren in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen vermögen. Dann wäre der Begriff K. auch in der zeitgenössischen Musik weiter verwendbar. Lit. 1) Kontrapunktlehren u. -lehrbücher: P. AARON, Thoscanello de la musica (V 1523, '1562), Faks. der 3. Aufl. 1539, hrsg. v. G. Frey (Kas 1970) (= DMI I/29); H. GLAREANUS, Dodekachordon (Bas 1547, Faks.-Nachdr. NY 1967, Hil 1969), dt. Obers. v. P. Bohn (L 1888-90) (= PGfM 16); N. VICENTINO, L'antica musica ridotta alla moderna prattica (R 1555), Faks. hrsg. v. E. Lowinsky (Kas 1959, Nachdr. 1969) (= DMI I/17); G.ZARLINO, lstitutioni harmoniche (V 1558, '1573, 1593), Faks. der 1. Aufl. (NY 1965) (= MMMLF 11/ 1), Faks. der 3. Aufl. (Ridgewood/N.J. 1966); G. M. ARTUSI, L'arte del contrapuncto, 2 Teile (V 1586-98, 21598, Faks. Hil 1969); V. GALILEI, Il primo libro della prattica del contrapunto ... (hsl. 1588-91); TH. MORLEY, A Plaine and Easie Introduction to Practicall Musicke ... (Lo 1597), Faks. hrsg. v. E. H. Fellowes (Lo 1937, NA 1952); J. P. SWEELINCK, Compositions-Regeln ... (um 1600), hrsg. v. H. Gehrmann (s'-Gravenhage - L 1903) (= Sweelinck-GA 10); CH. BERNHARD, Tractatus compositionis augmentatus (hsl. um 1660), in: Die Kompositionslehre H. Schützens ..., hrsg. v. J. MÜLLER-BLATTAU (L 1926, Kas 2 1963); J. G. WALTHER, Praecepta der Musicalischen Composition (hsl. Wr 1708), hrsg. v. P. Benary (L 1955) (= Jenaer Beitr. z. Musikforsch. 2); J.-PH. RAMEAU, Traité de l'harmonie ... (P 1722, Faks.-Ausg. (NY 1965) (= MMMLF II/3); dass. in: J.-Ph. Rameau, Complete Theoretical Writings, hrsg. v. R. JACOBI (Dallas/Tex. 1967); J.J. Fux, Gradus ad Parnassum (W 1725), dt. v. L. Ch. Mizler (L 1742, Faks. NY 1966) (= MMMLF II/24); J. PH. KIRNBERGER, Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, 2 Bde. (B - Königsberg 1771-79, Nachdr. Hil 1968); G. B. MARTINI, Esemplare ossia saggio fondamentale pratico di contrapunto ..., 2 Bde. (Bol 1773-75, Faks. Ridgewood/N.J. 1965); J. PH. KIRNBERGER, Gedanken über die verschiedenen Lehrarten in der Composition ... (B 1782, Nachdr. Hil 1973); L. CHERUBINI, Cours de contrepoint et de fugue (P 1835), dt. Übers. v. F. Stölpel als: Theorie des K. u. der Fuge (L 1836), u. v. G. Jansen (Kö 1896, NA L 1911); S. DEHN, Lehre vom Contrapunkt, dem Canon u. der Fuge (B 1859); H. BELLERMANN, Der Contrapunkt (B 1862, '1901); H. RIEMANN, Lehrbuch des einfachen, doppelten u. imitierenden K. (L 1888, 4-61921); F. DRAESEKE, Der gebundene Styl, 2 Bde. (Hannover 1902); S. KREHL, K. (B 1908, 31920); P. HINDEMITH, Unterweisung im Tonsatz 1(Mz 1937, 2 1940); E. KRENEK, Studies in Counterpoint (NY 1940), dt. Übers.: Zwölfton-K.-Stud. (Mz 1952); E. PEPPING, Der polyphone Satz, 2 Bde. (B 1943, 21950); W. PISTON, Counterpoint (NY 1947); K. SIKORSKI, K., 3 Bde. (Krakau 1953-57); D. MANICKE, Der polyphone Satz, 2 Bde. (Kö 1965, 1979); A. SCHONBERG, Preliminary Exercises in Counterpoint, hrsg. v. L. Stein (Lo 1970). - 2) Studien: H. RIEMANN, Gesch. der Musiktheorie im 9.-19. Jh. (L 1898, 21921, Faks.-Nachdr. Hil 1961); R. O. MORRIS, Contrapuntal Technique in the 16th Century (0 1922); K. JEPPESEN, Der Palestrinastil u. die Dissonanz (dt. L 1925); DERS., K. (Vokalpolyfoni) (Kop - L 1930), dt. v. J. Schultz (L 1935,'1962, Wie 81978); R. H. ROBBINS, Beitr. z. Gesch. des K. von Zarlino bis Schütz (Diss. B 1938); A.T. MERRITT, Sixteenth Century Polyphony (C/M 1939); H. SEARLE, Twentieth Century Counterpoint (Lo 1954, 2 1955); J. HEIN, Die K.-Lehre bei den Musiktheoretikern im 17. Jh. (Diss. Kö 1954); J. M. CHOMINSKI, Hist. harmonii i kontrapunktu, 2 Bde. (Krakau 1958-62); TH. W. ADORNO, Die Funktion des K. in der neuen Musik, in: Klangfiguren (F 1959)

415

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KR ÜTZFELDT

KONTRASTE, Ballett von Bernd Alois Zimmermann (1918-70). UA: 24.4. 1954 in Bielefeld (Stadttheater). Choreographie: Peter Roleff (*1906). Die Gemälde wie auch die graphischen Skizzen des Malers Joan Miró (*1893) und die Zusammenarbeit mit dem „Schweizer abstrakten Puppenkabaret" von Fred Schneckenburger inspirierten Zimmermann, eine „Musik zu einem imaginären Ballett zu komponieren". Die 1953 entstandene konzertante Komposition Kontraste wurde ein Jahr später als Ballett unter gleichem Titel szenisch mit außergewöhnlichem Erfolg realisiert. Das Werk ist in sechs Sätze gegliedert, die mit erklärenden Überschriften versehen sind: 1. Introduktion, pas de couleur — Ensemble; 2. Moreske, rouge — Solo; 3. Tempo di valse, vert — pas de trois; 4. Phantasmagorie, blanc — pas de quatre; S. Tempo di marcia, noir — pas de quatre; 6. Epilog, pas de couleur — Ensemble. Absolute Musik und absoluter Tanz sind als eigenständige, künstlerische Ausdrucksformen gegeneinandergeführt, so daß — den Vorstellungen des Komponisten entsprechend — die Interpretation der einen durch die andere ausgeschlossen sein sollte. Tänzer, die als Farbenträger fungieren, sowie schwebende, sich drehende bunte Kreise, Linien und Dreiecke weisen das Bühnengeschehen als „Choreographie der farbigen Bewegung" (P. Roleff) aus. G. LUDIN KONTRASUBJEKT (von lat.: contrasubjectum = Gegenthema), auch /Gegensatz genannt, in der Lehre von der /Fuge Bz. für die Fortführung des ersten Themeneinsatzes (die als Gegenstimme zum Comes-Einsatz erklingt), sofern sie auch im weiteren Verlauf ständig oder doch oft als Begleitpartie des Themas auftritt (daher häufig auch die 416

Bz. beibehaltener oder obligater /Kontrapunkt). Einem Fugenthema können mehrere K.e zugeordnet werden. In der älteren Fugentheorie wird der Begriff meist wörtlich als Gegenthema jeglicher Art verstanden, jedoch empfiehlt sich die terminologische Unterscheidung zwischen K.en im Sinne von obligaten Nebenstimmen und den selbständigeren Supplementärthemen in Doppel- und Tripelfugen. KONTSKI, poln. Musikerfamilie, /K4tski. KONWITSCHNY, Franz, *14. 8. 1901 Fulnek (Nordmähren), t28.7. 1962 Belgrad; dt. Dirigent. Er studierte 1921-23 an der Deutschen Musikvereinsschule in Brünn und 1923-25 am Konservatorium in Leipzig, wo er als Violinist und Bratschist im Gewandhaus- und im Theaterorchester spielte. 1925-27 war er Bratschist im Fitzner-Quartett und Violinlehrer am Volkskonservatorium in Wien, schlug anschließend jedoch die Dirigenten-Laufbahn ein und wurde 1930 1. Kapellmeister an der Staatsoper Stuttgart. Seit 1933 war er GMD in Freiburg i. Br., seit 1938 in Frankfurt a. M. und seit 1945 in Hannover sowie gleichzeitig an der Staatsoper in Hamburg. 1949 wurde er GewandhausKapellmeister in Leipzig, war daneben 1953-55 auch GMD der Dresdner Staatsoper und seit 1955 der Deutschen Staatsoper in Berlin( -Ost). 1951 erhielt er den Professoren-Titel und 1960 die Ehrendoktorwürde. K. gehörte zu den namhaftesten Dirigenten der Deutschen Demokratischen Republik, unter dem das Leipziger Gewandhausorchester wieder Weltgeltung erlangte. Lit.: F. K. (B 1963) (Diskographie).

KÓNYA, Sándor, * 23.9.1923 Sarkád (Ungarn); dt. Sänger ung. Abstammung (Tenor). K. studierte an der Musikhochschule in Budapest, nach dem Krieg in Detmold, später in Rom und Mailand und debütierte 1951 am Stadttheater in Bielefeld als Turiddu in P. Mascagnis Cavalleria rusticana' Zwischen 1952 und 1955 sang er in Darmstadt, Stuttgart, Hamburg und wurde 1955 Mitglied der Städtischen Oper Berlin. 1956 gastierte er erstmals bei den Edinburgher Festspielen, 1958 als Lohengrin bei den Festspielen in Bayreuth und 1960 an der Mailänder Scala. 1961 wurde er an die Metropolitan Opera in New York verpflichtet. Sein Repertoire umfaßt außer Wagner-Rollen (u. a. den Lohengrin) auch dramatische Partien der italienischen und französischen Oper des 19. Jahrhunderts. KONZERT, Concert (von it. concerto = Übereinstimmung, Vereinigung, Einverständnis) bezeich-

Konzert net in einem Prozeß fortschreitender Ausdifferenzierung 1. ein Stilprinzip und später eine Werkgattung, 2. ein Ensemble der Ausführenden, 3. eine Veranstaltung, in der Musik dargeboten wird. 1) Concerto und Konzert als Stilprinzip und Werkgattung (/Concerto). Bereits im frühen 16. Jh. in Italien in der Bedeutung Zusammenklang und synonym mit Concento verwendet, ließ die Bz. zunächst keine nähere Spezifikation zu, diese mußte vielmehr durch Zusätze verdeutlicht werden (Concerto di voci, 1519; Concerto de gl'istrumenti, M. A. Ingegneri 1598). In dieser allgemeinen Form wurde sie bis Ende des 17. Jh. verwendet und blieb austauschbar mit ähnlich allgemeinen Bezeichnungen wie Concento und Sinfonia. Ende des 16. Jh. wurde der Terminus concertato zur Bezeichnung eines mit der Mehrchörigkeit zusammenhängenden Stilprinzips eingesetzt, das gekennzeichnet ist durch Auflösung des kontrapunktischen Satzverbunds, die Tendenz zu Rahmensatz-Anlage, veränderte Funktion des (instrumentalen) Basses und Kleingliedrigkeit der Motivik. Die Reduktionspraxis der Zeit ermöglichte die Wirksamkeit dieses Stilprinzips auch für kleine Besetzungen. Im Laufe des 16. Jh. verfestigte sich der Wortgebrauch daneben auch bereits zur Bezeichnung musikalischer Werke noch ohne Spezifikation auf vokale oder instrumentale Ensemblemusik (vgl. Concerti di Andrea, et di Gio. Gabrieli, 1587 u. a.), bei Cl. Monteverdi (7. Madrigalbuch) wird Concerto als Sammelbegriff für 6-16st. Besetzungen verwendet. Obwohl A. Banchieri 1595 8st. Stücke Concerti ecclesiastici nannte und der Wortgebrauch in Verbindung mit Mehrchörigkeit andauerte, begründete L. Viadana mit seinen Concerti ecclesiastici (1602ff.) zum ersten Mal K. als Gattungsbegriff für die geringstimmige generalbaßbegleitete /Motette. Er wurde als /geistliches Konzert (u. a. von H. Schütz) in Deutschland aufgenommen. Noch J. G. Walther (Musicalisches Lexicon, 1732) und J. Mattheson (Der Vollkommene Capellmeister, 1739) bezeichnen Viadana als den Erfinder des K.s schlechthin. In dieser Weise wirkt der Begriff bis ins 18. Jh. hinein: noch J. S. Bach verwendete Concerto als Gattungsbegriff für die Kirchen/Kantate. Daneben wurde K. zunehmend auf instrumentale Ensemble-Stücke angewendet, zunächst noch ohne Wechsel zwischen Solo und Tutti. Aus ihnen differenzierten sich zwei Gattungstypen heraus, die beide wohl durch die von M. Praetorius aufgebrachte Fehletymologie K. = Wettstreit (von vermeintlich lat. concertare = wettstreiten, kämpfen, Syntagma musicum III, 1619) beeinflußt wurden (vgl. etwa den Titel von Th. Selle, Concertatio Ca-

staldium h[oc] e[st] Musicalischer Streit, H 1624). 13ei dem einen Typus wurde ein solistischer, aber vollstimmiger (2 Violinen mit B.c.; Satz a due canti) Klangkörper (Concertino) einem mehrfach besetzten (Concerto grosso) gegenübergestellt, nach diesem wurde der Typus insgesamt bezeichnet (/Concerto grosso). Der andere K.-Typus experimentierte mit einem oder mehreren (Melodie-)Soloinstrumenten, die dem Tutti gegenübertraten. Nach unterschiedlichen genetischen Vorstufen, die z. T. zeitlich noch über die Hauptentwicklung hinausreichten (G. Torelli, E. F. dall'Abaco u. a.), bildete A. Vivaldi einen festen Gattungstypus des Solokonzerts aus. Konstitutiv für den Solokonzert-Typus Vivaldis ist das Tutti-Ritornell, das auf verschiedenen Tonstufen wiederkehrend, den Satz gliedert, während das Solo mit freien Spielfiguren von einem zum nächsten Ritornell moduliert, wobei seine unthematischen Figuren nicht weiterverarbeitet werden und bei jedem Einsatz des Solo wechseln. Dieses Modell (in der Formenlehre als „Modulationsrondo" bezeichnet), bei dem erstmals Tonalität formbildend wirkte, kam zunächst dem rationalistischen Formverständnis so sehr entgegen, daß es sich rasch ausbreitete. Als ästhetisch unbefriedigend wurde jedoch zunehmend empfunden, daß gerade das klanglich dominierende Solo an den formbildenden thematischen Vorgängen unbeteiligt blieb und die Spielfiguren zumeist ohne Rücksicht auf den Charakter des Solo-Instruments eingesetzt wurden. Die wohl auf T. Albinoni zurückgehende Technik der „Devisen"-Bildung, die das Solo wenigstens bei seinem ersten Auftreten mit dem Ritornell verknüpfte, oder G. Ph. Telemanns Experimente mit einer Art strophischer Variation vermochten diesem grundsätzlichen Mangel nicht abzuhelfen. — Während das Concerto grosso ohne eigenen Formtypus meist der viersätzigen Anlage der Sonata da chiesa folgt, bevorzugte das Solokonzert die dreisätzige Anlage, wobei der langsame Mittelsatz arienhaften Charakter hatte, während das Finale entweder ebenfalls als Modulationsrondo oder als zweiteiliger K. -Satz gestaltet wurde. Die Faszination des Vivaldischen K.-Typus endete um 1740 so abrupt, wie sie aufgetreten war. Albinonis op. 10, publiziert ungefähr zur gleichen Zeit, als Vivaldi selbst in Venedig aus der Mode kam, zeigt bereits deutlich die Tendenz der späteren Entwicklung. J.J. Quantz ( Versuch einer Anweisung ... , 1752), der in seiner Jugend auch im Banne Vivaldis gestanden hatte, sah diesen Vorgang bereits klar als historischen Prozeß. Nach Ablösung des Modulationsrondo-Konzerts geriet das K. rasch in den Sog der inzwischen ausgebildeten Symphonie. Wie sich 417

Konzert dieser Vorgang im einzelnen vollzog, ist noch unerforscht. Bei den Wiener Klassikern ist dieses symphonische K. bereits fertig ausgebildet; die anderen Komponisten in Wien folgten der Entwicklung allerdings in einigem zeitlichem Abstand. Die Dreisätzigkeit des älteren K. wirkte jedoch so stark nach, daß auch das symphonische K. diese beibehielt und nicht die viersätzige Anlage der Symphonie übernahm. Das Solo setzt in dem K. dieses Typs in der Regel erst ein, nachdem die gesamte Exposition des Sonatensatzes im Tutti abgelaufen ist; häufig erfüllt das Solo die Funktion der Wiederholung der Exposition, wie sie in der Symphonie üblich ist. Das Solo läuft jedoch nicht mehr wie beim älteren K. unbeteiligt neben der thematischen Entwicklung her, sondern ist voll in die thematischen Prozesse des klassisch-romantischen Sonatenprinzips integriert. Weniger selbständig ist die Funktion der meist wechselnden Soli in der "Sinfonia concertante, die sich um die Mitte des 18. Jh. als Sonderentwicklung von der Symphonie abspaltet. Die Bezeichnung K. wurde seit der Wiener Klassik beinahe zum Synonym für Solo-Konzert. Insgesamt entsteht nun ein reiches Repertoire von K.en, zunächst vorzugsweise für Klavier und für Violine, später zunehmend auch für nahczu alle gebräuchlichen Instrumente (vgl. die entsprechenden Artikel). Nur vereinzelt treten noch K. für mehrere Instrumente auf (L. van Beethoven, Tripelkonzert op. 56, J. Brahms, Doppelkonzert op. 102). In der Musik des 20. Jh. genügt die Beziehung von Solo und Tutti, um — unabhängig von Form und Kompositionstechnik — den Gattungsbegriff zu rechtfertigen. Auch Bezeichnungen wie /Concertino und Concerto grosso treten, meist historisierend, aber ohne direkten Bezug zur historischen Besetzung und Satztechnik, wieder auf. 2) Concert(o) als Ensemble. Der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes in Italien entsprechend, war Concert(o) zeitweise auch die Bezeichnung für das (Vokal- und Instrumental-)Ensemble der Aufführenden selbst und ist seit dem 16. Jh. häufig belegt, u. a. für die berühmten Madrigalsängerinnen des Hofes von Ferrara (Concerto di donne). Für Walther (Musicalfisches Lexicon, 1732), Mattheson (Das neu-eröffnete Orchestre, 1713) und J. A. Scheibe (Critischer Musicus, 1739) war auch dieser Wortgebrauch noch selbstverständlich. 3) Konzert als Veranstaltung. Wie weit die Verwendung von K. als Bezeichnung für Aufführungen zurückreicht, ist schwer bestimmbar, weil die Belege oft nicht zweifelsfrei erkennen lassen, ob die Ausführenden oder die Aufführung gemeint sind; 418

so etwa wenn 1565 vom „Concerto maggiore" des Herzogs von Ferrara berichtet wird. Seit dem 18. Jh. wurde dann die Verwendung von K. als Bezeichnung von Aufführungen allgemein: /Concert spirituel (Paris ab 1725), Castle Concerts (London ab 1724), Gentlemen's Concerts (Manchester ab 1774). Dieser Wortgebrauch ist eng verknüpft mit der sozialgeschichtlichen Wandlung des Musiklebens; ursprünglich bezeichnete wohl K. musikalische Aufführungen gegen Entgelt, die im allgemeinen der Öffentlichkeit zugänglich waren. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wurde bis heute an der Bezeichnung K. (Concert) nur für Ensemblemusik festgehalten, solistische Aufführungen heißen Recital. Von England drang wohl auch der Typus des Konzertunternehmers auf den Kontinent vor und ersetzte die Form des von ausübenden Künstlern auch wirtschaftlich selbst verantworteten Konzerts. Bekannte Beispiele aus dem 18. Jh. sind hier die sogenannten Bach-Abel-Konzerte und die Salomon-Konzerte in London. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist eine Bezeichnung wie „Professional Concerts" (London ab 1783). Seit Ende des 18. Jh. verdrängt der Begriff K. allgemein die (in Wien noch bis in die Beethoven-Zeit hinein) gängigeren Bezeichnungen wie /Akademie und /Recital. Lit.: A. SCHERING, Gesch. des Instrumentalk.s bis auf die Gegenwart (L 1905, 2 1927, Nachdr. Hil — Wie 1965, 21972); H. ENGEL, Das Instrumentalk. (L 1932) (= Führer durch den Konzertsaal, Die Orchestermusik III), revidiert, 2 Bde. (Wie 1971-74); F. GIEGLING, Concerto, in: MGG I1; H.H. EGGEBRECHT, Stud. z. musikal. Terminologie (Mz 1955); J. B. HUTCHINGS. The Baroque Concerto (Lo 1961); S. KUNZE, Die Entstehung des Concertoprinzips im Spätwerk G. Gabrielis, in: AfMw 21 (1964); H. ENGEL, Das Solok. (Kö 1964) (= Das Musikwerk 25); S. KROSS, Concerto, concertare u. conserere, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kas 1970); H. W. SCHWAB, K., Öffentliche Musikdarbietung v. 17. bis 19. Jh. (L 1971) (= Musikgesch. in Bildern IV/2); R. KLEIN, Das Symphoniek. Ein Stilführer durch das Konzertrepertoire (W—Mn 1971); R. U. RINGGER, Konzertpublikum u. Konzertprogramm, in: NZfM 133 (1972); P. MIES, Das K. im 19. Jh. Stud. zu Formen u. Kadenzen (Bonn 1972); R. KLOIBER, Hdb. des Instrumentalk.s I (Wie 1972); G. HELDT, Das dt. nach -romantische Violink. v. Brahms bis Pfitzner (Rb 1973) (= Kölner Beitr. z. Musikforsch. 76); J. VIN TON, The Concerto for Orchestra, in: Notes 30 (1973); L. HOFFMANN-ERBRECHT, Das Klavierk., in: Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen 1 (Be 1974); H.-W. HEISTER, Unters. zu Publikum, Rezeptionsweise u. ästhetisch-musikal. Gegenstand des K.s. Ein Beitr. z. Theorie des Konzertwesens (1977) (= Diss. 'FU Berlin); H.W. SCHWAB, K. u. Konzertpublikum im 19. Jh., in: Musica 31 (1977); W. BREIG, J. S. Bach u. die Entstehung des Klavierk.s, in: AfMw 36 (1979); C. M. SCHMIDT, Ober die Konzertform in späten Orgelkompositionen J. S. Bachs, in: Kgr.-Ber. Berlin 1974 (Kas 1980). S. KROSS

KONZERTIERENDER STIL /Stile concertato, /Concerto. KONZERTINA, ein /Harmonika -Instrument mit

Kopist 4- oder 6eckigem Querschnitt. Dieses im Unterschied zur gleichtönigen englischen /Concertina wechseltönige Instrument hatte statt der gekoppelten Bässe Einzeltöne auch für die linke Hand, die innerhalb des Tonumfangs akkordisches Spiel in jeder Lage erlaubten. Die K. wurde 1834 von dem Klarinettisten C. Fr. Uhlig (in Chemnitz) erstmals gebaut. Zunächst hatte das Instrument 5 Melodieund 5 Baßknöpfe, d. h. insgesamt 20 Töne. Die Anzahl der Töne wurde im Laufe des 19. Jh. immer weiter bis auf 128 (1924) erhöht. Die K., in der 2. Hälfte des 19. Jh. sehr verbreitet, wurde vom /Bandonion verdrängt. — /Akkordeon. KONZERTMEISTER (amerik.: concertmaster; engl.: leader; frz.: chef d'attaque, maître de concert; it.: primo violino), spätestens seit der Mitte des 17. Jh. bis heute übliche Bz. für den führenden 1. Violinisten einer Kapelle bzw. eines Orchesters. Im 17. und 18. Jh. hatte der K. in kleineren Kapellen, denen kein /Kapellmeister vorstand, leitende Funktion. Seine Pflichten reichten von der Auswahl der zu spielenden Kompositionen über deren Einstudierung bis zur Direktion der Aufführung (Violindirektion). In größeren Hofkapellen war er der nächst dem Cembalo postierte und stehend agierende Anführer der Instrumentisten, zumindest der Streicher, denen er die Anweisungen des ihm vorgeordneten Kapellmeisters übermittelte. Indem er sich um alle orchesterspezifischen Details, vom Einstimmen bis zur Überprüfung von Stricharten und Verzierungen usw. zu kümmern hatte, war sein Wirken entscheidend für die Qualität des Orchesters. Die eigentliche Leitung von Chor- und Opernaufführungen lag in der Hand des Kapellmeisters am Cembalo (Klavierdirektion). Die derart praktizierte sog. Doppeldirektion durch K. und Kapellmeister war für das 18. Jh. charakteristisch. In dieser Weise arbeiteten z. B. in Dresden J. G. Pisendel als K. und J. A. Hasse als Kapellmeister eng und erfolgreich zusammen, in entsprechender Weise A. Gyrowetz und G. Paisiello in Neapel. Die vom K. ausgeübte Violindirektion blieb in Deutschland bis in die Zeit Beethovens, in Frankreich bis in die Zeit Fr. Habenecks und in England bis in die 40er Jahre des 19. Jh. bzw. bei den sog. Stehgeigern einer Tanzkapelle bis in die 50er Jahre des 20. Jh. allgemein üblich. Heute wird sie — eher als Besonderheit — noch von einigen Kammerorchestern und in den Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker praktiziert. KONZERTSTUCK (frz.: morceau de concert), im 19. Jh. gelegentlich verwendeter Titel oder Untertitel von ein- und mehrsätzigen Werken für ein So-

loinstrument und Orchester, meist durch Virtuosität und Brillanz des Soloparts gekennzeichnet. Es gibt K.e unterschiedlicher Formgestaltung. Einige zeigen Sonatensatzform oder die Form eines ersten oder letzten Konzertsatzes mit und ohne langsame Einleitung (z. B. R. Schumann, K.e op. 86 für 4 Hörner und Orch. sowie op. 92 und 134 für Klavier und Orch.), andere sind eine Folge mehrerer Sätze unter einer programmatischen Überschrift (Fr. Liszt, Hexameron, Morceau de concert. Grandes variations ... sur la Marche des Puritains de Bellini mit Variationen auch von S. Thalberg, J. P. Pixis, H. Herz, C. Czerny und Fr. Chopin). Umgangssprachlich nennt man oft auch einsätzige Werke für Soloinstrumente und Orchester K.e, die im Titel nicht eigens als solche bezeichnet sind (z. B. Fr. Liszt, Totentanz für Klavier und Orch. und M. Ravel, Tzigane für Violine u. Orch.). Lit.: H. ENGEL, Die Entwicklung des dt. Klavierkonzerts von Mozart bis Liszt (L 1927, Nachdr. Hil 1970); P. MIES, Das Konzert im 19. Jh. Stud. zu Formen und Kadenzen (Bonn 1972) (= Abh. z. Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. 126).

KOPELENT, Marek, * 28.4. 1932 Prag; tschechischer Komponist. Er studierte 1951-55 an der Akademie der Musischen Künste in Prag Komposition bei J. Řídký. 1956 wurde er Redakteur für zeitgenössische Musik im Prager Staatsverlag, leitet seit 1965 außerdem das Ensemble „Musica Viva Pragensis" und ist Mitglied der Gruppe „Neue Musik" in Prag. WW: 4 Streichquartette (1954, 1955, 1963, 1968); Reflexe (1962) für Fl., V., Va. u. Vc.; Rozjímání (1966) für Kammerorch.; Bijoux de Bohème für Cemb., 2. Fassung für Fl., Cemb. u. Vibraphon (1967); Nonett Pocta VI. Holanovi (1967); Accords et désaccords (1968) für 12 Solisten u. Orch.; Zátiši (1968) für Va. u. Kammerensemble; A Few Minutes With an Oboist (1974) für Ob. u. Kammerensemble. — Kantate Chléb a ptáci (1964); Matka (1964) für Fl. u. gem. Chor; Snéháh (1967) für Sopran, Jazz-Alt, Kammerorch. u. Tonband; Modlitba kamene (1968) für Rezitator, 2 Chöre, 3 Gongs u. Tamtam; Žaloby (1969) für 2 Kammer- oder Knabenchöre, Trp., Schlagzeug u. Tonband ad lib.; Irrende Stimme für eine Schauspielerin, Kammerensemble, Tonband, Filmu. Licht ad lib. (1970).

KOPFSTIMME /Stimme. KOPIST, früher Bz. für einen professionellen Notenschreiber, der im Auftrag eines Bestellers Kopien (von lat. copia = Abschrift) von handschriftlichen oder gedruckten Vorlagen anfertigt. Innerhalb der Institutionen (Hofkapellen, Theaterorchester), für die er arbeitete, hatte der K. häufig auch die Funktion eines ausübenden Musikers. Bis zum Ausgang des 18. Jh. wurde der überwiegende Teil der europäischen Musik durch Abschriften verbreitet. Nach dem Aufschwung des Notendrucks im 19. Jh. schränkte sich die Tätigkeit des K.en auf das 419

Koppel

Duplieren von Chor- und Orchesterstimmen ein; in der 2. Hälfte des 20. Jh. wurde sie schließlich weitgehend durch fotomechanische Vervielfältigungsmöglichkeiten ersetzt. Für die modernen kritischen Ausgaben älterer Musik ist die Identifizierung einzelner K.en eine wesentliche Voraussetzung zur Ermittlung eines authentischen Notentextes. KOPPEL (engl.: coupler; frz.: accouplement, tirasse; it.: accoppiamento; span.: acoplar), bei Orgel und Cembalo Bz. für die Verbindung, d. h. Koppelung, der Manuale miteinander und der Manuale mit dem Pedal, die es ermöglicht, die auf einer Klaviatur disponierten Register auf einer anderen zu spielen. Bei der Orgel sind, neben den Pedal-K.n, die K.n am gebräuchlichsten, die die Nebenmanuale mit dem Hauptwerk zu Plenum und Tutti vereinigen. K.n der Nebenmanuale untereinander sind weniger häufig, sehr selten wird das Pedal ins Manual gekoppelt. Neben dieser Art von K.n gibt es sog. Oktav-K.n innerhalb eines Manuals (erstmals im italienischen Orgelbau des 18. Jahrhunderts). Dies ist eine mechanische Vorrichtung, durch welche die Oberoktaven der jeweils gegriffenen Tasten miterklingen. Im Orgelbau des späteren 19. Jh. wurden Unter- und Oberoktav-K.n innerhalb eines Manuals und zwischen den Manualen (auch ins Pedal) zur Erzielung besonderer Effekte oder größerer Klangfülle beliebt. In dieser Zeit wurde auch eine sog. Melodie-K. gebaut, durch welche nur die jeweils höchste gegriffene Taste in der Oberoktave verdoppelt oder durch Ankoppeln eines anderen Manuals verstärkt wird. Heute tritt gelegentlich an die Stelle der schaltbaren ManualK.n das K.-Manual, eine Klaviatur, die über keine eigenen Register verfügt, sondern nur über eine gemeinsame Traktur mit den übrigen Manualen. Lit.: H. J. BUSCH, Die Spieltraktur. Historie u. Aktualität, in: FS 0. HeuB (Lich 1978).

KOPPELFLÖTE (von lat. copula = Band, Verbindung), Bz. für ein labiales Orgelregister, dessen Pfeifen zu 2 /3 aus einem zylindrischen Teil und zu 1 /3 aus einem konischen Aufsatz bestehen. Der Klang der in 16'-, 8'-, 4'- und 2'-Lage gebauten K. ist obertönig. KOREA. Geschichte. Bildliche Darstellungen und schriftliche Quellen belegen, daß bereits im 3. Jh. n. Chr. chinesische Musikinstrumente in Korea verbreitet waren, darunter Panflöten und Trommeln. Im 6. Jh. entwickelte man aus der chinesischen Tscheng bzw. Chin die Wölbbrettzithern Kayagum und Komungo und übernahm vermutlich aus Zentralasien die Oboe Piri sowie ein Chordophon. Zur 420

gleichen Zeit gewann die koreanische Musik erheblichen Einfluß auf die japanische Hofmusik (koreanische Musiker unterrichteten z. B. Japaner im Spiel verschiedener Instrumente): koreanische Elemente sollen sich bis heute in den sog. Komagaku-Stücken (/Gagaku) erhalten haben. Zwischen dem 7. und 10. Jh. (Vereintes Silla-Reich) fand die chinesische Tang-Musik Eingang in Korea, seit jener Zeit unterschied man zwischen koreanischer und chinesischer Musik. Allerdings vermochten sich nur wenige charakteristische Elemente der Tang-Musik und kaum spezifische Instrumente in der koreanischen Musizierpraxis zu behaupten. Während der Koryo-Dynastie (10.-14. Jh.) gelangten weitere chinesische Instrumente (u. a. Klangsteine, Bronzeglocken, Okarina) nach K., zugleich vermischten sich jedoch Elemente der chinesischen Musik (Tang-ak) weitgehend mit jenen der koreanischen (Hyang-ak). Zu Beginn der YiDynastie (1392-1593 bzw. 1593-1910) bemühte man sich, die Kunstmusik von allen fremden Einflüssen zu reinigen und sie in ihrer ursprünglichen Form zu restaurieren. Zugleich gestaltete man sie weitgehend um, damit sie nicht nur angenehm klinge, sondern darüber hinaus den Geist beflügele. Nachdem 1443 das koreanische Alphabet erfunden worden war, entstand 1493 der erste Musiktraktat Akhak kwebom, der musiktheoretische Erörterungen enthält sowie Angaben über die Instrumente und die Musizierpraxis jener Zeit. Im 16. und 17. Jh. verwüsteten Invasionen der Japaner das Land, als deren Folge auch die Musik unter starken japanischen Einfluß geriet. Dank der Information aus dem genannten Traktat war es jedoch möglich, die koreanische Musik zu rekonstruieren. Während der Besetzung durch die Japaner 1910-1945 machte sich erneut japanischer Einfluß bemerkbar, der sich indessen im Bereich der traditionellen Musik weniger stark auswirkte als in der europäisch geprägten Musizierpraxis. Heute entwickeln sich in Nord- und Südkorea zunehmend unterschiedliche musikalische Traditionen. Tonsystem und Rhythmus. Grundlage der Musik K.s bildet ein aus China übernommenes 7stufiges Tonsystem mit insgesamt 12 Halbtönen. Aus diesen wählt man jeweils 5stufige Gebrauchsleitern aus; die koreanische Musik ist durchgehend pentatonisch. Im Prinzip lassen sich über jedem Ton entsprechende Skalen bilden, indessen bevorzugen koreanische Musiker die Modi Kyemyon-yo (c—es—f—g—b—c1 ), dem man einen pathetischen und klagenden Ausdruck zuschreibt, sowie Pyong-yo (c—d—f—g—a—c 1), der als heldenhaft gilt. Übergänge von einem zum anderen Modus sind durchaus üblich.

Korea Die Melodien sind überwiegend symmetrisch gegliedert, Schläge auf den Gong Jing oder die Klapper Pak bzw. Trommelwirbel markieren Beginn bzw. Ende einer Phrase. Die rhythmische Gliederung mancher Stücke (vornehmlich in der traditionellen Hofmusik) läßt sich wegen des relativ langsamen Tempos nur erahnen, dafür treten dynamische und klangfarbliche Schattierungen um so deutlicher hervor. In der Regel sind Tempo sowie rhythmische Intensität erheblich höher als in den chinesischen und japanischen Stücken, für die im übrigen ähnliche Struktur- und Formgesetze gelten. Auch die koreanische M. ist im wesentlichen einstimmig konzipiert, beim Zusammenspiel im Ensemble entstehen streng hierarchisch strukturierte Formen der /Heterophonie. Musikinstrumente. Die meisten koreanischen Musikinstrumente gehen auf chinesische, einige auch auf zentralasiatische Vorbilder zurück. Wichtigstes Baumaterial ist Holz (insbesondere Bambus). Chordophone: Unter den Chordophonen überwiegen Zithern; Lauten finden heute kaum noch Verwendung. Das Komungo ist eine etwa 1,5 m lange Wölbbrettzither mit 6 Saiten, deren 3 mittlere über 16 feste Bünde laufen, indessen die übrigen lediglich an ihren Endpunkten fixiert sind und mittels eines verschiebbaren Sattels gestimmt werden. Der Musiker spielt die Melodie auf den Mittelsaiten, die er in ihrer Länge verkürzt und mit einem hölzernen Plektrum anreißt. Auf den äußeren Saiten erklingen Borduntöne. Von der oben beschriebenen Zither unterscheidet sich das Kayagum in Form und Maßen kaum, doch werden alle 12 (skalenmäßig gestimmten) Saiten melodisch genutzt. Der Musiker greift die Saiten nicht ab, drückt sie jedoch mit den Fingern der linken Hand während des Spiels etwas nieder oder bewegt sie hin und her, wodurch u. a. Tonhöhen-Modifikationen und Vibrati entstehen, die den Klang beleben. Die Saiten des Kayagum werden mit den Fingern gezupft. Im Unterschied zu den beiden genannten Instrumenten werden die 7 Saiten der Ajaeng nicht gezupft, sondern mit einem Holzstäbchen gestrichen, das mit Harz eingerieben wird. Vermutlich erst im 18. Jh. fand die trapezförmige Zither Yanggum, die auf vorderasiatische bzw. europäische Vorbilder zurückgeht, Eingang in die koreanische Musik. Die 14 jeweils vierfach bezogenen Saiten werden mit nur einem Bambusstäbchen angeschlagen, mithin lassen sich ausschließlich einstimmige Melodien ausführen. Den zentralasiatischen Röhrengeigen verwandt ist die Haegum, deren mehr als 60 cm langer spießförmiger Hals durch einen zylindrischen Resonanzkörper von nur etwa 10 cm Durchmesser läuft. Die beiden Saiten liegen so hoch über dem Hals, daß der Spieler sie

nicht niederdrücken, sondern lediglich seine Finger auf die Saiten legen kann; der Ton des Instrumentes ist relativ schwach und obertonarm. Unter den Aerophonen nimmt die Bambus-Querflöte Taegum, die man in verschiedenen Größen baut, eine herausragende Stellung ein: nach ihr stimmt man im Ensemble die übrigen Instrumente ein. Die Flöte ist nur mit 6 Grifflöchern versehen, doch verstehen es die Musiker, durch spezielle Griff- und Anblastechniken den Tonraum auf fast 3 Oktaven auszudehnen und dabei auch kleinste Zwischenstufen zu nutzen. Unterhalb des Blasloches befindet sich eine kleine Öffnung, die mit einer Membran bedeckt ist. Diese gerät beim Spiel in Schwingungen und verleiht dem Ton der Taegum im Forte einen speziellen, leicht schnarrenden Klang. Im Gegensatz zur Taegum bläst man die Tanso in Längsrichtung an und hält sie wie eine Blockflöte. Es fehlt ihr indessen ein Block, mithin muß der Spieler mit den Lippen einen Anblaskanal formen (/Shakuhachi). Trotz der geringen Zahl von nur 5 Grifflöchern steht auch den Bläsern der besonders weich klingenden Tanso ein Tonraum von mehr als 2 Oktaven zur Verfügung. Von vollem, modulationsfähigem Ton ist die zylindrische Bambusoboe Piri, deren Tubus nur ca. 25 cm in der Länge mißt, mit 8 Grifflöchern versehen ist und mit einem breiten Doppelrohrblatt angeblasen wird. Sie findet bevorzugt als Begleitinstrument der Chordophone in der Kammermusik Verwendung. Die konische Oboe Taepyongso hingegen, deren gedrechselter Tubus in einen Schallbecher aus Messing mündet, dient mit ihrem schrillen Klang als Melodieträger in der Militärmusik und wird auch in dörflichen Musikgruppen gespielt. Auch die gerade, bis 2 m lange metallene Trompete Nabal gehört, zusammen mit der seitlich angeblasenen Muschel Nakak, zum Instrumentarium der Militärmusik. Membranophone: Die Janggo, als Rhythmusinstrument unentbehrlich für die Begleitung von Musik und Tanz, besteht aus einem in der Mitte eingebuchteten, sanduhrförmigen und meist leuchtend rot lackierten Korpus, über dessen Enden 2 Felle gespannt sind; die Stimmung läßt sich mittels Schnüren verändern. Korpus und Felle der Juago, die wegen ihrer Größe meist hängend in einem Gestell befestigt ist, sowie der Yonggo sind mit bunten Ornamenten bemalt. Für die Begleitung der Pansori-Gesänge bedient man sich einer speziellen, der Yonggo ähnlichen Trommel ohne Verzierungen; das eine Fell wird mit der Hand, das andere mit einem Schlegel geschlagen. Idiophone: Neben dem Gong Jing, dessen Schläge bestimmte Melodieabschnitte markieren, finden 421

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verschiedene Becken (Tanbal, Jabara) sowie die Klapper Pak Verwendung. Diese besteht aus 6 Holzplatten, die ähnlich einem Fächer an einem Ende durch Schnüre verbunden sind und mit den Händen gegeneinander geschlagen werden. Besonderes Interesse verdienen das Glockenspiel Pyongjong, dessen 16 Glocken in zwei Reihen übereinander in einem Gestell angeordnet und mit einem Hammer angeschlagen werden, sowie das Steinspiel Pyongyong mit 16 abgestimmten Steinplatten. Beide Instrumente entstammen einer sehr alten Traditionsschicht und wurden aus China importiert, sind indessen heute offenbar nur noch in K. in Gebrauch. Gattungen. In der Musik K.s lassen sich verschiedene Gattungen unterscheiden, denen in der Regel ein spezifisches Instrumentarium zugeordnet ist. 1. Die Hofmusik A-ak (elegante Musik) diente ursprünglich der Untermalung verschiedener Opferzeremonien. Heute erklingt sie nur noch anläßlich der Gedenkfeiern für Konfuzius, dabei alternieren 2 Ensembles, die überwiegend aus Membranophonen und Idiophonen, darunter Klangsteinen und Glockenspielen, bestehen. 2. Stärker melodisch orientiert ist die Musik Yollye-ak, welche man bei höfischen Festen, bei denen man auch tanzte, spielte. Das Instrumentarium umfaßt Aerophone (Piri, Taegum), Chordophone (Komungo, Haegum) ebenso wie Membranophone (Janggo, Juago). 3. Die Militärmusik Tae chwi ta wurde früher von 2 verschieden besetzten Gruppen ausgeführt. Die an der Spitze marschierende, heute noch übliche Gruppe musiziert auf Nabal, Nakak, Taepyongso sowie Schlaginstrumenten. Die zweite Gruppe spielte die leiser klingenden Instrumente Taegum, Haegum und Janggo. 4. Als Sanjo bezeichnet man solistische Instrumental-Improvisationen auf der Flöte Taegum oder der Röhrengeige Haegum, die von einer Trommel begleitet werden. Die meist 3teiligen Stücke bieten dem Solisten Gelegenheit, seine musikalische Gestaltungskraft und seine technische Virtuosität unter Beweis zu stellen. 5. Mit Begleitung von Instrumenten trägt man die langen, stark verzierten Melodien Kagok vor, in denen Text- und Melodiestruktur aufs engste miteinander verbunden sind. 6. Die Gattung Pansori, 1754 erstmals erwähnt, indessen mit Sicherheit schon früher vor allem im Süden des Landes verbreitet, läßt sich als rezitativisch-pantomimisch vorgetragenes Drama bezeichnen. Verbal sowie durch Gesten und Körperbewegungen gestaltet ein Sänger bzw. eine Sängerin, von einem Trommler begleitet, Handlung und Stimmung des Dramas, in dem nicht selten pathetische Elemente überwiegen. 422

Volksmusik. Die Volksmusik ist weniger statisch als die in hohem Maße stilisierte Kunstmusik. Überdies haben sich in der Volksmusik autochthone koreanische Elemente erhalten: rasches Tempo und hohe rhythmische Intensität, im rhythmischen Bereich dominieren die in China oder Japan seltenen Tripeltakte (3/4 oder 6/8). Während man es in der Kunstmusik vermeidet, Emotionen unmittelbar Ausdruck zu verleihen, spielen diese in der Volksmusik, insbesondere im volkstümlichen Drama Pansori, eine entscheidende Rolle. Für das dörfliche Musizieren bevorzugen die Koreaner als Melodieinstrument die Oboe Taepyongso wegen ihres durchdringenden Tones, der sich selbst gegenüber den vielen Schlaginstrumenten zu behaupten vermag. Lit.: A. ECKARDT, Koreanische Musik, in: Mitteilungen der dt. Ges. für Natur- u. Völkerkunde Ostasiens 24B (1930); CH. S. KEH, Die koreanische Musik (Str 1935) (= Sig. musikwiss. Abh.en 17); J. L. BOOTS, Korean Musical Instruments and an Introduction to Korean Music, in: Transaction of the Royal Asiatic Society, Korean Branch (1940); W. S. Lim, Present Status of Music in K., in: Kgr.-Ber. Wien 1956 (Gr— Kö 1958); J. G. Kim, Musikethnologische Stud. über das koreanische Volkslied (Diss. W 1964); A. ECKARDT, Musik, Lied, Tanz in K. (Bonn 1968); J. HOYT, Songs of the Dragons (Seoul 1971); B. SONG, An Annotated Bibiography of Korean Music (Providence 1971); C. ROCKWELL, Kagok. A Traditional Korean Vocal Form (ebd. 1972). CH. AHRENS

KORN, Peter Jona, * 30. 3. 1922 Berlin; dt. Komponist. 1933-36 studierte er in London Theorie und Tonsatz bei E. Rubbra, 1936-38 in Jerusalem bei St. Wolpe und 1941-47 an der University of California in Los Angeles Komposition bei A. Schönberg, E. Toch, H. Eisler und M. Rózsa (Filmmusik). 1948 gründete er das bis 1957 von ihm auch geleitete Studenten-Orchester „New Orchestra of Los Angeles". 1966 nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er 1967 Direktor des Konservatoriums in München und tritt seither auch als Gastdirigent deutscher (Rundfunk-)Orchester auf. Seine Kompositionen zeigen Witz und Schlagkraft. Mit seiner Streitschrift Musikalische Umweltverschmutzung (Wie 1975) polemisierte er gegen Esoterik, Kommerzialisierung und andere „unerquickliche Themen" des zeitgenössischen Musikbetriebs. WW: Klv.- u. Kammermusik; für Orch.: Bettleroper-Variationen (1955); 3 Symphonien (1946-56), Neufassung der 3. (1973); V.-Konzert (1974); Eine kleine Popmusik (1974); BeckmesserVariationen (1979); Trp.-Konzert (1980); ferner Lieder u. Chöre.

KORNAUTH, Egon, * 14.5.1891 Olmütz (Mähren), t 28.10.1959 Wien; östr. Pianist und Komponist. K. studierte Musiktheorie bei R. Fuchs und Fr. Schreker an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst und privat bei Fr. Schmidt sowie Musikwissenschaft bei G. Adler an der Uni-

Korngold versität (1915 Promotion). 1916 wurde er Solorepetitor an der Hofoper und lehrte 2 Jahre Musiktheorie am Musikhistorischen Institut der Universität. Anschließend unternahm er, auch als Interpret eigener Werke, ausgedehnte Konzertreisen bis nach Ostasien (1926-30) und Brasilien (1933-35). 1940 wurde er Lehrer an der Wiener Musikakademie und 1945 Professor am Mozarteum in Salzburg. K.s Kompositionen weisen eine tonal gebundene, spätromantische Tonsprache auf. WW: Sonaten für: Va. (Klar.), op. 3 (1912), Klar., op. 5 (1913), V., op. 9 (1913) u. op. 15 (1916), Vc., op. 28 (1922) u. Fl., op. 46a (1952) mit Klv.; Klv.-Quartett, op. 18 (1917); Streichsextett, op. 25 (1919); Streichquartett, op. 26 (1920); Streichquintett, op. 30 (1923) u. op. 40a (1938, revidiert 1947); Kammermusik, op. 31 (1924) für Fl., Ob., Klar., Horn u. Streichquintett, als Nonett (1932), als Dezett (1946); Klar.-Quintett, op. 35 a (1931); Oktett für Klar., Fag., Horn u. Streichquintett, op. 40b (1949); Quintett für Fl. u. Streichquartett, op. 46. - Für Orch.: Sinfonietta, op. 20 (1918), revidiert als Orch.-Suite (1922); symphonische Suiten. op. 35 (1926-31, revidiert 1937) u. op. 42 (1938); Romantische Suite, op. 40 (1932-36, revidiert 1940); Burleske, op. 11 (1914, revidiert 1931) für Fl. u. Orch.; Ballade, op. 17 (1917) mit obligatem Vc. - Gesang der späten Linden, op. 16 (1917) für Frauenchor mit Kammerorch. oder Klv.-Quintett; Der Abend, op. 34 b (1931) (Text: C. von Brentano) für Frauenchor, Fl., Klar. u. Streichquartett.

KORNETT. — 1) (engl.: cornet; frz.: cornet à pistons; it.: cornetta; span.: corneta, cornetín), ein Blechblasinstrument, das durch Anbringen von 2-3 Ventilen (Périnet-Ventile) am /Posthorn nach 1823 in Frankreich entstand (daher im Deutschen auch kurz Piston genannt). Es wurde in verschiedenen Formen gebaut, seit etwa 1920 meist in Anlehnung an die Trompete. Durch die zylindrisch-konische Mensur (weiter als die der /Trompete, enger als die des "Bügelhorns) und das Kesselmundstück (tiefer als das der Trompete) steht das K. in Bau und Klangcharakter zwischen Trompete und Bügelhorn (in der Höhe fehlt dem K. der glänzende Klang der Trompete, in der Tiefe der volle, runde des Bügelhorns). Bedingt durch Mensur und Mundstück spricht das K. jedoch sehr leicht an und kann mit virtuoser Beweglichkeit geblasen werden. Früher wurde es in vielen verschiedenen Tonlagen gebaut; am häufigsten verwendet blieben: das Sopran -K. in C (nicht transponierend, Tonumfang: fis—c3), in B (transponierend, eine große Sekunde tiefer als notiert klingend, Tonumfang: e—b2), in B mit AStimmbogen (es—a2) und das Pikkolo-K. in Es mit D-Stimmbogen (transponierend, eine kleine Terz höher als notiert klingend, Tonumfang: a—es3 bzw. mit Stimmbogen gis—d3), sowie das Alt-K. in Es, eine Oktave unter dem Pikkolo-K. in Es stehend. Das K. fand vor allem Eingang in die /Harmoniemusik und in die Militärorchester, seltener in die Symphonie- und Opernorchester, obwohl bereits

G. Rossini es erstmals 1829 (Guillaume Tell) vorschrieb. Ihm folgten andere Komponisten, u. a. H. Berlioz (z. B. in Symphonie fantastique, Harold en Italie), J. Meyerbeer (Les Huguenots), G. Bizet (L'Arlésienne, Carmen), P. Tschaikowsky (Francesca da Rimini, Schwanensee), G. Verdi (Don Carlos), C. Franck (Symphonie d-moll), Cl. Debussy (La Mer), I. Strawinsky (L'histoire du soldat, Rag-Time, Circus Polka), P. Hindemith (Kammermusik No. 4), Z. Kodály (Háry János -Suite), O. Messiaen (Turangalila-Symphonie). Heute werden die K.-Partien meistens von Trompeten übernommen. Das K. wurde auch anfangs im Jazz verwendet, später aber durch die Trompete ersetzt. M. BROCKER

2) Bz. für ein labiales Orgelregister, das als gemischte Stimme weiter Mensur in der Regel 5fach mit den Chören 8', 4', 2 2 /3', 2', 13/5' vorkommt. Gelegentlich entfällt die 8'- und 4'-Lage (Cornet tino), oder es werden entlegene Aliquoten hinzugefügt (Septimen-, Nonen-K.). Meist ist das K. nur im Diskant vorhanden (im 17./18. Jh. ab cl, neuerdings auch ab g, fis oder c) oder im Baß auf die Oktavchöre reduziert (K. 3-5fach). Allein registriert, dient das K. der Solostimmenführung, im Zungenplenum (Grand Jeu) verstärkt es den Diskant, wo die Klangstärke der Rohrwerke nachläßt. Die Registrierpraxis des späten 19. Jh. bezog das K. in das Tutti ein. — Als Zungenstimme wird das K. im Pedal in 4'- oder 2'-Lage gebaut, als Singend K. auch mit verkürzten Bechern. H.-J. BUSCH Lit.: Zu 1): M. RASMUSSEN, On the Modern Performance of Part Originally Written for the Cornett, in: Brass Quarterly 1 (1957); A. BAINES, Brass Instruments. Their History and Development (L 2 1978).

KORNGOLD, Erich Wolfgang, * 29.5.1897 Brünn, t 29. 11.1957 Hollywood; östr. Komponist. Er war seit 1907 in Wien Schüler von R. Fuchs und seit 1909 von A. von Zemlinsky und nahm zwischen 1911 und 1913 gelegentlich auch Unterricht bei H. Graedener. Schon 1910 erregte er Aufsehen mit seiner in der Wiener Hofoper aufgeführten Pantomime Der Schneemann. 1916 machten ihn in München die Einakter Der Ring des Polykrates und Violanta bekannt. Die tragische Oper Die tote Stadt (1920) schließlich wurde ein Welterfolg. 1920 debütierte K. in Wien als Konzertdirigent und war anschließend einige Monate Kapellmeister am Hamburger Stadttheater. Seit 1920/21 unternahm er von Wien aus Konzertreisen als Pianist und Dirigent. 1927 übernahm er eine Opernklasse an der Wiener Musikakademie. 1929 begann er die Zusammenarbeit mit M. Reinhardt, dem er 1934 in die USA folgte. Hier schrieb er mehrere Filmmusiken 423

Korrepetitor für die Warner Bros. Company, wandte sich seit 1940 aber wieder zunehmend der absoluten Musik zu. WW: 1) Iastr.-WW: Zahlr. Klv.-Stücke u. Kammermusik, darunter: 3 Klv.-Sonaten (1908,1910,1930); 3 Streichquartette (1922, 1935, 1945); Klv.-Quintett (1921); Streichsextett (1916). - Für Orch.: Schauspielouvertüre (1911); Sinfonietta B-Dur (1912); Ouvertüre Sursum Corda (1919); Babyserenade (1928); symphonische Serenade B-Dur (1947) für Streichorch.; Symphonie fis-moll (1950); Thema und Variationen (1953); Konzerte für: Klv. (für die linke Hand allein) (1926); Vc. (1946); V. D-Dur (1947). - 2) Vokal-WW: Psalm für Sopran, gem. Chor und Orchester (1941); symphonische Dichtung Tomorrow (1942) für Alt, Frauenchor und Orchester; zahlreiche KIv.Lieder. - 3) Bühnen-WW: Pantomime Der Schneemann, UA: Wien 1910; Opern: Der Ring des Polykrates, UA: München 1916; Violanta, UA: ebd. 1916; Die tote Stadt, UA: Hamburg u. Köln 1920; Das Wunder der Heliane, UA: Hamburg 1927; Die Kathrin, UA: Stockholm 1939; Komödie mit Musik Die stumme Serenade, UA: Dortmund 1954; fernér Film- u. Bühnenmusik sowie zahlr. Operettenbearb.

In einer spezifisch österreichischen Musiktradition verwurzelt, gehört K. zu den zwischen Spätromantik und Neoklassizismus vermittelnden Komponisten. Seine dramatischen Werke sind bühnenwirksame Schöpfungen eines mit großem Sinn für farbigen Klangreiz und blühendes Melos begabten Komponisten. Einige seiner Filmmusiken, entstanden „like writing an opera", enthalten auch Formen absoluter Musik. Lit.: R. S. HOFFMANN, E. W. K. (W 1922); R. SPECHT, E. W. K., in: Mk 19 (1926/27); K. R. BRACHTEL, E. W. K., in: Musica 12 (1958); W. PFANNKUCH, E. W. K., in: MGG VII; L. KORNGOLD, E. W. K. (W 1967); J. FREYENFELS, Abendglanz im Jugendstil. Anmerkungen, Gedanken u. Erinnerungen z. Biogr. E. W. K.s, in: NZfM 133 (1972). W. PFANNKUCH

KORREPETITOR (lat., = Mitwiederholer), Bz. für den Assistenten eines /Kapellmeisters, dessen Aufgabe darin besteht, mit den Opernsolisten die Gesangspartien am Klavier einzustudieren. Ist der K. für das Proben der Chöre zuständig, so heißt er Chordirektor. Die Funktion des K.s ist in der Regel die erste Stufe der Kapellmeisterlaufbahn. Lit.: R. HARTMANN, Hdb. des Korrepetierens (B 1926).

KORTHOLT (engl.: curtail; frz.: courtaud), ein Blasinstrument des 16./17. Jh. mit Doppelrohrblatt. In ein Holzstück wurde der doppelten Länge des Instruments entsprechend zwei abwärts bzw. aufwärts geführte zylindrische Kanäle gebohrt, so daß der Luftstrom aus dem obersten hinterständigen Loch austrat. Die genauere Abgrenzung zu anderen Instrumenten ähnlicher Bauart (7Dulzian, ."Fagott, /Sordun; z. B. bezeichnet engl. Single curtall das Quintfagott, Double curtall das Choristfagott) war bereits für die Zeitgenossen schwierig. M. Praetorius (Syntagma musicum II, 1619) er424

wähnt K., Kort-Instrument oder Kurtz-Pfeiff als Tenorinstrument der Sordune und bildet es sowohl mit als auch ohne Windkapsel ab (Tafel 10, 12), P. Trichet (Traité des instruments de musique, 1640) beschreibt das K. als Windkapselinstrument, während es bei M. Mersenne (Harmonie universelle III, 1636) nur als Instrument ohne Windkapsel erscheint. Für beide Autoren ist das K. jedoch ein Baßinstrument zur Begleitung der /Musette. M. BROCKER

KOSMA, Joseph, *22. 10. 1905 Budapest, t 7.8. 1969 La Roche-Guyon bei Paris; frz. Komponist ung. Herkunft. K. studierte an der Franz-LisztAkademie in Budapest und war 1926-28 Korrepetitor an der Staatsoper. 1929 ging er als Stipendiat nach Berlin, wo er B. Brecht, H. Eisler und H. Weigel kennenlernte. 1933 ließ er sich in Paris nieder. K. wurde als musikalischer Mitarbeiter französischer Regisseure vor allem durch seine Filmmusiken, u. a. zu Les enfants du paradis (Kinder des Olymps) bekannt. Zusammen mit dem Dichter J. Prévert trug er auch zur Erneuerung des französischen Chanson bei und war außerdem mit Balletten, Pantomimen (für Marcel Morceau) und Bühnenmusik (u. a. zu Schauspielen J.-P. Sartres) erfolgreich. WW: Kammermusik;Orch.-Werke; Vokal-Werke, u.a. Les ponts de Paris (1947) sowie weitere Chansons, Lieder u. Chöre. Opern: Les canuts, UA in Berlin als: Die Weber von Lyon, 1959; Un amour électronique, UA: Paris 1961; Les hussards, UA: Lyon 1969. - Ballette: Le rendez-vous, UA: Paris 1945; Baptiste, UA: ebd. 1949 u. L'écuyère, UA: ebd. 1949; Pantomimen u. Bühnenmusik; Filmmusik zu: J. Renoir, La grande illusion (1935), dem., La Marseillaise (1936), ders., La běte humaine (1937), M. Carnés, Les enfants du paradis (Kinder des Olymp) (1944) (zus. mit M. Thiriet). Lit.: W. NEEF, Bekanntschaft mit J. K. u. seinem szenischen Oratorium „Die Weber von Lyon", in: MuGes 8 (1958).

KOSTELANETZ, André, *22. 12. 1901 St. Petersburg, t 14. 1. 1980 Haiti; amerik. Dirigent russ. Herkunft. Er studierte am Konservatorium seiner Heimatstadt und ging 1922 in die USA, wo er das Orchester des Columbia Broadcasting System und zeitweise ein eigenes Unterhaltungsorchester dirigierte. 1928 wurde er amerikanischer Staatsbürger. 1945 übernahm er die Leitung des Konservatoriums in Cincinnati. K. dirigierte die großen Symphonieorchester der USA, insbesondere seit 1952 regelmäßig die New Yorker Philharmoniker und unternahm zahlreiche Konzertreisen nach Europa. Neben zahlreichen Filmmusiken schrieb er vor allem Arrangements von Werken der Klassik und Romantik, die in den USA zeitweise sehr populär waren.