Das Falksche Institut in Weimar: Fürsorge und Geschlecht im 19. Jahrhundert. Dissertationsschrift 9783412222857, 3412222852

Im Jahr 1813 gründete Johannes Daniel Falk die 'Gesellschaft der Freunde in der Not' als wohltätige Vereinigun

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Das Falksche Institut in Weimar: Fürsorge und Geschlecht im 19. Jahrhundert. Dissertationsschrift
 9783412222857, 3412222852

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Das Falksche Institut in Weimar

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 41

Christian Hain

Das Falksche Institut in Weimar Fürsorge und Geschlecht im 19. Jahrhundert

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Weimar, Lutherhof, Wohnhaus von Johannes Daniel Falk. Radierung. Klassik Stiftung Weimar, Direktion Museen, Inventar-Nr.: Gr-2005/317.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Charlotte Bensch Wissenschaftliche Redaktion: Falk Burkhardt Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22285-7

Inhalt

Vorwort I.

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Einleitung

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1. Forschungsstand und Fragestellung

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2. Untersuchungsgegenstand und Begriffsbestimmung . . . .

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3. Quellengrundlage

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5. Fürsorge für Heranwachsende in Sachsen-Weimar-Eisenach 5.1 Die ›bürgerliche Erfindung‹ der Jugend? . . . . . . . 5.2 Jugendfürsorge am Beginn des 19. Jahrhunderts . . . .

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II. Geschlecht als Vorbedingung in der Fürsorgekonzeption des Falkschen Instituts? . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Vorgehensweise

1. Die Gesellschaft(er) der Freunde in der Not . . . . . . . 55 1.1 Entstehungsgeschichte (eines männlichen Mythos) . . . 55 1.2 Falks Zielsetzung seiner karitativen Hilfe . . . . . . 66 1.2.1 Geschlecht als normative Größe? . . . . . . . . 66 1.2.2 Erziehung zum (Staats-)Bürger . . . . . . . . 74 1.2.3 Arbeitsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1.2.4 Religiosität und Werteerziehung . . . . . . . . 83 1.3 Freundinnen und Freunde . . . . . . . . . . . . . 88 1.3.1 Mitgliederstruktur einer gemischtgeschlechtlichen Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1.3.2 Finanzierung durch die Freundinnen und Freunde 95 1.3.3 Intentionen einer gesamtgesellschaftlichen Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1.3.4 Zwei ›Schirmherrinnen‹. Die Landesmutter Großherzogin Louise und die finanzkräftige Förderin Erbgroßherzogin Maria Pawlowna . . 111 1.4 Gegenbeispiel: Die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

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Inhalt

2. Die heterogene Perzipientenstruktur 2.1 Geschlecht . . . . . . . . . . 2.2 Alter . . . . . . . . . . . . 2.3 Regionale Herkunft . . . . . . 2.4 Konfession und Religion . . . 2.5 Herkunftsfamilien . . . . . .

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III. Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge im Falkschen Institut . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Zusammenfassung

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1. ›Versagende‹ Mütter und Väter – ein Anlass zur Hilfe . 1.1 Existenzielle Not und (fehlende) Erziehung vor dem Hintergrund eines bürgerlichen Familienbildes . . 1.2 Alkoholkranke und gewalttätige Mütter und Väter 1.3 Appell an den ›Vater‹ Falk – Anspruch auf Hilfe . 2. Die praktisch Helfenden – das Personal . . . . 2.1 Arbeitende Frauen und Männer im Falkschen 2.2 Seminaristen – Vertreter Falks und (s)eines Männlichkeitsideals . . . . . . . . . . . 2.2.1 Aufnahmeverfahren . . . . . . . . 2.2.2 Falks Erwartungen und seine eigene Vorbildhaftigkeit . . . . . . . . . . 2.2.3 Aufgaben der Seminaristen . . . . . 2.2.4 Das Scheitern an Falks Arbeitsethos .

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. . . . Institut

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3. Orte der Geschlechtertrennung im Falkschen Institut . . 3.1 Verortung: Das Falksche Institut oder das Institut der Freunde in der Not – Esplanade und Lutherhof . 3.2 Sonntagsschule . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Bibelstunde und Gottesdienst . . . . . . . . . . 3.4 Das Johanneum – »Die Verbindung unserer Anstalt, mit dem künftigen Seminarium, […] würde ein Triumph der Menschheit seyn.« . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Näh- und Spinnanstalt . . . . . . . . . . . . .

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4. Geschlechter (er)arbeiten – Tätigkeit, Arbeit und Beruf . 4.1 Heranwachsende Männer im Beruf . . . . . . . .

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7

Inhalt

4.1.1 Handwerk als männliche Domäne . . . . . . 4.1.2 Ökonomie. Professionalisierte Arbeit in der Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Intellektuelle Berufe . . . . . . . . . . . . 4.1.4 ›Unter die Soldaten‹. Das Militär als ›Schule der Männlichkeit‹? . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Schauspieler: August Kiesewetter »Ein […] völlig weibischer Junge«? . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Unqualifizierte Arbeiten, dienende Knechte, Tagelöhner und Hirten . . . . . . . . . . . 4.2 Weibliche Arbeit(en) . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 ›Weibliche Arbeiten‹: Zwischen bürgerlichem Ideal und Existenzsicherung . . . . . . . . . . . 4.2.2 Junge Frauen ›im Dienst‹: Mägde und Dienstmädchen . . . . . . . . . 4.2.3 Ammen und Gouvernanten. Die ›professionalisierte Mutterschaft‹ . . . . . 4.3 Berufswahl – Berufsqual . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Ökonomische Aspekte . . . . . . . . . . . 4.3.2 Beruf und moralische Entwicklung . . . . . . 4.3.3 ›Innere Neigung‹ als Legitimation für oder gegen einen Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 ›Innere Neigung‹ und männliche Vorbilder . . 4.3.5 ›Berufung‹ zum Mann und Vater: Arbeit für die Familie – Arbeit in der Familie .

231 240 245 253 264 274 283 284 302 316 321 322 324 326 334 339

5. Geschlechtergrenzen im Falkschen Institut . . . . . . 5.1 Diszipliniertes Geschlecht – Geschlecht diszipliniert . 5.2 Geschlecht(er) in Beziehung . . . . . . . . . . . 5.2.1 Bürgerliche Ehre und Sittlichkeit: Von ›Huren und Spitzbuben‹ . . . . . . . . 5.2.2 Feste und Tänze als Orte sexueller Begegnungen 5.2.3 Verbotene und erlaubte Kontakte: Moralische oder ökonomische Dimension? . .

341 341 346

6. Zusammenfassung

360

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348 354 356

8

Inhalt

IV. Falk als Grenzzieher – Ein personaler Erklärungsversuch für geschlechterspezifische Hilfe nach 1800 . . . . . . .

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1. Falks Aufwachsen im Umbruch traditioneller Wirtschaftszweige . . . . . . . . . . . . . . . . .

367

2. Erziehung als geschlechtersegregatorischer Prozess . . .

374

3. Falks Männlichkeitsentwurf zwischen Schriftsteller und ›Vater der Waisen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Zusammenfassung

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V. Die Wirkmächtigkeit und Durchlässigkeit von Geschlechtergrenzen: Zwei Lebenswege aus dem Falkschen Institut . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. »... als Kind hat er sie verlassen, und als ein so wohlgerathener Mann kehrt er zurück und predigt ihnen Gottes Wort von der Kanzel.« Der Pfarrer Johannes Denner . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. »... es wäre besser gewesen wenn der liebe Gott Dich statt einem Sohne zu sich genommen hätte.« Rosalie Falk – Erzieherin und Nachlassverwalterin des Falkschen Erbes

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3. Zusammenfassung

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VII. Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Quellen- und Literaturverzeichnis 2.1 Ungedruckte Quellen . . . . 2.2 Gedruckte Quellen . . . . . 2.3 Zeitschriften und Periodika . 2.4 Literatur . . . . . . . . .

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VI. Resümee

3. Ortsverzeichnis

4. Personenverzeichnis

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Vorwort

Die vorliegende Studie ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner im Wintersemester 2012/13 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommenen Dissertationsschrift. Sie entstand im Teilprojekt A4 »Geschlechterbeziehungen und Aufklärung« des Jenaer Sonderforschungsbereichs 482 »Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800«. An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Hans-Werner Hahn für das mir entgegengebrachte Vertrauen und die Bereitschaft, eine geschlechtergeschichtliche Arbeit zu betreuen. Sein sachkundiger Rat und seine pragmatische Sicht motivierten mich immer wieder, diese Studie zu einem Abschluss zu führen. Ich danke Sr. PD Dr. Nicole Grochowina, die mich für die Geschichte jenseits der »großen Männer« sensibilisiert hat. Prof. Dr. Gisela Mettele ist für die Erstellung des Zweitgutachtens zu danken. Der Historischen Kommission für Thüringen und ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. Werner Greiling, gilt mein Dank für die Aufnahme der Studie in die »Kleine Reihe« der »Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen« und den großzügig gewährten Druckkostenzuschuss. Darüberhinaus danke ich allen Kolleginnen und Kollegen für den anregenden Austausch im Sonderforschungsbereich, der – finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft – ideale Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten geboten hat. Mein Dank gilt ebenfalls den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar, namentlich Dr. Katja Deinhardt, dem Leiter des Weimarer Stadtarchivs Dr. Jens Riederer und meinem Kollegium im Goethe- und Schiller-Archiv. Meiner Kollegin Sabine Schäfer danke ich für die zahlreichen Gespräche, in denen sie mich mit ihrem Blick »von außen«, ihren kritischen Nachfragen, konkreten Hinweisen und dem Benennen sprachlicher Entgleisungen aus den »Gender-Höhen« auf den Boden der quellenbasierten Tatsachen geholt hat. Ihr verdanken viele in dieser Studie vorkommende Personen exakte Lebensdaten, vollständige Vornamen, markierte Rufnamen und richtige Identitäten. Dankenswerterweise half mir Dr. Manfred Koltes bei der Erstellung des druckfertigen Manuskripts mit dem Tübinger System von Textverarbeitungs-Programmen (TUSTEP).

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Vorwort

Für den fruchtbringenden Gedankenaustausch und die zahlreichen Hinweise zu Johannes Falk, zur Gesellschaft der Freunde in der Not und zum Falkschen Institut danke ich Ingrid Dietsch, die auch die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen hat, Sophia Großkopf, Gerhard Heufert und Nicole Kabisius. Zudem gilt Nicole Kabisius mein besonderer Dank nicht nur für die Zusammenstellung der Register, sondern ausdrücklich für ihre zuverlässige Unterstützung, die ich in allen Arbeitsphasen stets erfahren durfte. Weil sich Markus Baum als Erster ans Lesen des Manuskripts gewagt hat, bin ich ihm ebenso zu Dank verpflichtet wie Dr. Ariane Ludwig, die größere Textpassagen lektoriert hat. Unermüdlichen und wohltuenden Zuspruch habe ich von meinen Freunden und meiner Familie erhalten. Meiner Frau Judith danke ich für ihre über alle Maßen strapazierte Geduld und den mir zum Arbeiten gewährten Freiraum, den unsere Tochter Klara Pauline zu meinem Glück so manches Mal »ignorierte«, um mich an den wichtigen Dingen des Lebens teilhaben zu lassen. Meine Eltern Gudrun und Klaus-Ulrich Seifert ermöglichten mir nicht nur ein Studium, sondern standen mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Für die bedingungslose Unterstützung ihres Sohnes danke ich ihnen von ganzem Herzen.

Jena, im August 2014

Christian Hain

I. Einleitung

Am 27. November 1816 informierte die »National-Zeitung der Deutschen« zum wiederholten Mal über die seit 1813 in Weimar unter der Federführung Johannes Falks (1768–1826) karitativ wirkende Gesellschaft der Freunde in der Not.1 Der Korrespondent berichtete in seinem Beitrag über einen Spaziergang in der »Abenddämmerung durch die Esplanade«, bei dem er einen »Chor Jugendlicher Stimmen« aus »Falk’s Unterstube« singen hörte.2 An jenem 13. November 1816 trafen sich, wie jeden Mittwoch (und Sonnabend), Mädchen und junge Frauen in der Wohnung Falks zum Unterricht in den sogenannten ›weiblichen Arbeiten‹. Die Schülerinnen strickten und erheiterten sich »durch geselligen Gesang«, während gleichzeitig »eine verständige Lehrerin mitten unter den Kindern herumgeht und ihren Arbeiten unverdrossen nachhilft«.3 Beim Anblick dieses Unterrichts mutmaßte der Betrachter über die damit verfolgten Ziele: »Wie viel Segen wird durch eine solche Schule verbreitet; wie viel Seelen werden in ihr gerettet, wie viel gute Bürgerinnen und Mütter herangebildet und für ein häusliches Leben erzogen!«4 Einerseits wurde der Unterricht als eine Form von privater Fürsorge wahrgenommen. Andererseits beabsichtige die Unterweisung – so der Korrespondent – die Erziehung von jungen Frauen, die als Bürgerinnen und Mütter ihre zukünftigen Aufgaben im Haushalt erfüllen würden. Die Beobachtung, dass die Fürsorge für Heranwachsende auf das Engste mit Vorstellungen über die Rollen von Frauen und Männern verbunden war, bildet den Ausgangspunkt für die nachfolgende Untersuchung.

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Vgl. etwa die Artikel im 8. Stück der National-Zeitung der Deutschen vom 21.02.1816, Sp. 144–146 und im 41. Stück vom 09.10.1816, Sp. 781f. National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 27.11.1816, Sp. 909. Ebd., Sp. 910. Ebd.

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Einleitung

1. Forschungsstand und Fragestellung Noch 1998 konstatieren Christoph Sachße und Florian Tennstedt in der zweiten Ausgabe ihrer »Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland«, dass (Armen-)Fürsorge »bis heute wenig erforscht«5 sei. Daran hat sich zwar einiges geändert, da in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Geschichte der Fürsorge anhand zahlreicher Einzelfallstudien am Beispiel städtischer Regionen, Institutionen und Vereine untersucht wurde.6 In 5

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Sachsse, Christoph / Tennstedt, Florian: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Bd. 1. Vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg. Stuttgart, Berlin und Köln 1998, S. 13. Vgl. etwa Jütte, Robert: Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der Frühen Neuzeit. Köln 1984; Jakobi, Franz-Josef u. a. (Hrsg.): Stiftungen und Armenfürsorge in Münster vor 1800 (= Studien zur Geschichte der Armenfürsorge und der Sozialpolitik in Münster; 1). Münster 1996; Meumann, Markus: Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord. Unversorgte Kinder in der frühneuzeitlichen Gesellschaft (= Ancien re´gime, Aufklärung und Revolution; 29). München 1995; Sträter, Udo / Neumann, Josef N. (Hrsg.): Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit (= Hallesche Forschungen; 10). Tübingen 2003; Aderbauer, Herbert: Das landstädtische Spital in der frühen Neuzeit und die Entwicklung seiner sozialen Funktion am Beispiel Tübingen, in: Johanek, Peter (Hrsg.): Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800 (= Städteforschung; 50). Köln, Weimar und Wien 2000, S. 151–179; Reder, Dirk Alexander: Frauenbewegung und Nation. Patriotische Frauenvereine in Deutschland im Frühen 19. Jahrhundert (1813–1830) (= Kölner Beiträge zur Nationsforschung; 4). Köln 1998. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Stiftungen, vgl. dazu Kleinknecht, Thomas: Entstehung und Verwaltung von Stiftungen als Gegenstand historischer Forschung, in: Johanek, Peter (Hrsg.): Städtisches Gesundheitsund Fürsorgewesen vor 1800 (= Städteforschung; 50). Köln, Weimar und Wien 2000, S. 9–25; Hatje, Frank: »Dieser Stadt beste Maur vndt Wälle«. Frühneuzeitliche Armenfürsorge und Sozialbeziehungen in der Stadtrepublik am Beispiel Hamburgs, in: Schmidt, Sebastian / Aspelmeier, Jens (Hrsg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit (= VSWG; 189). Stuttgart 2006, S. 203–217; Kleinschmidt, Thomas: Private Stiftungen in der Stadt Münster. Zu sozialen Hilfeformen im traditionellen Milieu des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Wollasch, Andreas (Hrsg.): Wohlfahrtspflege in der Region. Westfalen-Lippe während des 19. und 20. Jahrhunderts im historischen Vergleich (= Forschungen zur Regionalgeschichte; 22). Paderborn 1997, S. 23–38; Frie, Ewald: Wohlfahrtsstaat und Provinz. Fürsorgepolitik des Provinzialverbandes Westfalen und des Landes Sachsen 1880–1930 (= Forschungen zur Regionalgeschichte; 8). Paderborn 1993; Baumer, Matthias: Private und nichtstaatliche Armenfürsorge in der Berner Landgemeinde Worb im 19. Jahrhundert (= BFR; 4).

Forschungsstand und Fragestellung

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der Gesamtschau liefert die Forschung aber bis heute nur ein fragmentarisches Bild, weil der Fokus bisher auf mittellose Erwachsene gerichtet war: »Besonderheiten der Fürsorge für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Kranke [...] werden bestenfalls am Rande berührt.«7 Ebenso selten wird das Thema aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive betrachtet. Ausgehend vom Forschungsstand zur Fürsorge im 18. und 19. Jahrhundert und ihrer Einordnung in den regionalgeschichtlichen Bezug wird die vorliegende Arbeit aufzeigen, dass gerade die Fürsorge für Heranwachsende als Untersuchungsgegenstand für die Geschlechterforschung besonders geeignet ist. Gerhard Oestreichs Konzept der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung8 dominiert die Forschung zur Fürsorge, weshalb die entsprechenden Studien zumeist eine auf Obrigkeitsstrukturen hin orientierte Perspektive einnahmen und nach staatlichen Kontrollmechanismen – wie der Erziehung zur Arbeit oder der Einübung eines bürgerlichen Verhaltenskodexes – fragten.9 Eine Geldspende, die Hilfe für Witwen, Kranke und Kinder oder die milde Gabe für Bettler waren demnach selten selbstlos, sondern wurden mit einer auf den Perzipienten gerichteten disziplinierenden Absicht gegeben.10 Jedoch galten bereits weit vor 1800 überkommene bür-

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Nordhausen 2004; Schläpfer, Rafael: Kantonale Armenreform und kommunale Fürsorgepolitik. Eine Untersuchung über Armenfürsorge im Kanton Bern im 19. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt der Einwohnergemeinde Worb (= BFR; 1). Nordhausen 2004; Koerrenz, Ralf / Bunk, Benjamin (Hrsg.): Armut und Armenfürsorge. Protestantische Perspektiven (= Kultur und Bildung; 5). Paderborn 2014. Sachsse / Tennstedt: Armenfürsorge, S. 13. Vgl. Oestreich, Gerhard: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Berlin 1969, S. 179–197. Vgl. Jütte, Robert: Disziplinierungsmechanismen in der städtischen Armenfürsorge der Frühen Neuzeit, in: Sachsse, Christoph / Tennstedt, Florian (Hrsg.): Soziale Sicherheit und Soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt am Main 1986, S. 101–118; Stekl, Hannes: »Labore et fame« – Sozialdisziplinierung in Zucht- und Arbeitshäusern des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Sachsse, Christoph / Tennstedt, Florian (Hrsg.): Soziale Sicherheit und Soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt am Main 1986, S. 119–147; Richter, Johannes: Frühneuzeitliche Armenfürsorge als Disziplinierung. Zur sozialpädagogischen Bedeutung eines Perspektivenwechsels (= Res Humanae. Arbeiten für die Pädagogik; 7). Frankfurt am Main u. a. 2001. Vgl. Kreiker, Sebastian: Armut, Schule, Obrigkeit. Armenversorgung und Schulwesen in den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (= Religion in der Geschichte; 5). Bielefeld 1997, S. 235f.

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Einleitung

gerliche Tugenden wie Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Ordnung als wichtige Garanten für die Gewährung von Fürsorgemaßnahmen.11 Begünstigt wurde diese einseitige Perspektivierung auf staatliche Strukturen durch die Überlieferungslage bzw. die Auswahl der Quellen. Die Mehrzahl der Arbeiten begnügt sich mit der Analyse von Dokumenten wie Kirchenordnungen und deren normativen, disziplinierenden Aspekten von Fürsorge. Folglich findet die Perspektive der Helfenden, Intervenierenden und Strafenden in der Forschung bisher große Beachtung und kommt viel stärker zur Geltung als die Sicht der Klienten.12 Gegen diesen einseitigen Blickwinkel polemisierend, wendet Martin Dinges ein, dass die Hilfe zur Selbsthilfe und das ›Aushandeln‹ von Anspruch und Gewährung von Unterstützung ein wesentliches Charakteristikum der Fürsorge bis 1800 gewesen sei.13 Es greife deshalb zu kurz, nur staatliche und kirchliche Institutionen oder ausschließlich die Sichtweise der Wohltäter in den Blick zu nehmen. Mit seiner Kritik moniert Dinges zu Recht die Einseitigkeit der Forschung, die bisher in erster Linie danach fragte, wer Anspruch auf Wohltaten hatte bzw. warum Armut in der frühen Neuzeit kriminalisiert wurde. Mit dem Anstieg der Anzahl der Fürsorgeempfänger im 15. und 16. Jahrhundert wurde in stärkerem Maße zwischen den unterstützenswürdigen Armen wie Kindern, Alten sowie Kranken und arbeitsfähigen Bettlern unterschieden, die der Unterstützung nicht wert waren. Vagabundierende arbeitsfähige Bettler wurden ohne Anspruch auf Fürsorge kriminalisiert und zunehmend disziplinierenden Maßnahmen ausgesetzt.14 Der Umstand, dass Arme häufiger kriminelle Handlungen begingen, lenkte die Aufmerksamkeit zudem auf das unmittelbare Wechselverhältnis von materieller Not und Delikten wie Prostitution oder Diebstahl. Solche Vergehen wurden zumeist nur vorübergehend von den Bedürftigen als eine Möglichkeit angesehen, ihrer Notlage zu entkommen. Das Diebesgut bestand in der Regel 11 12 13

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Vgl. Schläpfer: Armenreform, S. 190f. Vgl. Frie: Wohlfahrtsstaat, S. 24. Vgl. Dinges, Martin: Frühneuzeitliche Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung? Probleme mit einem Konzept, in: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 5–29. Vgl. in ähnlicher Weise die Diskussion über die Perspektive des Armen im Unterschied zum bürgerlichen Wohltäter, in: Kühberger, Christoph: Aktuelle Tendenzen der historischen Armutsforschung, in: Ders. / Sedmak, Clemens (Hrsg.): Aktuelle Tendenzen der historischen Armutsforschung (= Geschichte: Forschung und Wissenschaft; 10). Wien 2005, S. 3–11, hier S. 4f. Vgl. Jütte, Robert: Arme, Bettler, Beutelschneider. Eine Sozialgeschichte der Armut in der Frühen Neuzeit. Weimar 2000, S. 190–192.

Forschungsstand und Fragestellung

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aus Lebensmitteln, Brennmaterialien oder Kleidung, sodass sich die in den Gerichtsakten oder der zeitgenössischen Literatur beschriebene kriminelle Armut von der räuberischen Bandenkriminalität unterschied, vor der sich die Bevölkerung weitaus stärker fürchtete.15 Auch ohne eine dezidiert geschlechtergeschichtliche Perspektive einzunehmen,16 gewann die Forschung bezüglich der Armenfürsorge geschlechterspezifische Erkenntnisse. So hebt Rüdiger Nolte hervor, dass Almosen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Klöstern grundsätzlich planlos verteilt wurden, womit er indirekt belegt, dass Geschlecht vor 1800 kaum eine Rolle für karitative Hilfe spielte.17 Die Vorstellungen von Hilfe für das notleidende Individuum wurden vom Mittelalter über die frühe Neuzeit bis nach 1800 durch Subsidiarität und das strenge Herkunftsprinzip bzw. Heimatprinzip – das im 19. Jahrhundert abgeschafft wurde18 – bestimmt. Es verwundert dementsprechend auch nicht, wenn in Forschungsarbeiten aus der Sichtweise der Gebenden und der entsprechenden Institutionen die Schlussfolgerung gezogen wird, die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts seien lediglich als Vorgeschichte moderner Sozialstaatspolitik zu verstehen. Die Eigenständigkeit der Entwicklung öffentlicher Wohlfahrt zu dieser Zeit fand hingegen kaum Beachtung.19 Fürsorge zählte zu den Aufgaben der sich entwickelnden modernen Kommunen des 19. Jahrhunderts,20 während gleichzeitig »auf einer zweiten Ebene eine sozialpolitische Neuentwicklung in der Privatwohltätigkeit«21 einsetzte. Die Beziehungen zwischen sozialfürsorglichen Privatinitiativen und kommunalem Armenwesen bil15 16

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Vgl. ebd., S. 193–208. Vgl. etwa die sparsamen Ausführungen im 4. Kapitel in: Grindel, Susanne: Armenpolitik und Staatlichkeit. Das öffentliche Armenwesen im Kurfürstentum Hessen (1803–1866) (= Quellen und Forschungen zur Hessischen Geschichte; 124). Darmstadt und Marburg 2000. Vgl. Nolte, Rüdiger: Pietas und Pauperes. Klösterliche Armen-, Kranken- und Irrenpflege im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Köln, Weimar und Wien 1996, S. 222–228. Vgl. Sachsse; Tennstedt: Armenfürsorge, S. 195–205. Vgl. Grindel: Armenpolitik, S. 1. Vgl. Kick, Karl G.: Von der Armenpflege zur Sozialpolitik. Die Entwicklung des Fürsorgewesens im 19. Jahrhundert am Beispiel Regensburgs (= Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte; 3). Regensburg 1995, S. 13. Weinforth, Friedhelm: Armut im Rheinland. Dokumente zur Geschichte von Armut und Fürsorge im Rheinland vom Mittelalter bis heute (= Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen; 3). Kleve 1992, S. 158.

16

Einleitung

den demzufolge einen Schwerpunkt historischer Fragestellungen, wobei allerdings die Perspektive des modernen Wohlfahrtsstaates dominiert.22 Im Zuge der sich verändernden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts bestanden parallel ständische und progressive Fürsorgepraktiken bzw. dazwischen einzuordnende Mischformen. Jene älteren und neueren Strukturen der Armenpolitik existierten laut Susanne Grindel bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Kurfürstentum Hessen nebeneinander. Sie stellt dabei fest, dass dem neuen Phänomen des Pauperismus die politisch Verantwortlichen mit dem alten »Instrumentarium«23 zur Linderung vorindustrieller Armut begegneten. So blieben etwa hergebrachte Institutionen wie das Waisenhaus neben neuen Einrichtungen »für verwahrloste Kinder und Jugendliche«24 bestehen. Ein weiteres Phänomen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts ist die beginnende »Laisierung«25 der Fürsorge. Getragen von einer in der Aufklärung einsetzenden philanthropischen (und christlichen) Überzeugung ergänzten private Wohltätigkeitsinitiativen staatliche und kirchliche Hilfsangebote. Im Vergleich zu früheren Jahrhunderten kann folglich für die Zeit ab 1800 von einer institutionell stärkeren Ausdifferenzierung der Fürsorge gesprochen werden, die sich in der Ausrichtung auf spezielle Perzipientengruppen widerspiegelt. Gleichzeitig traten Formen der Hausarmenpflege eher in den Hintergrund.26 Diese Ausdifferenzierung, Institutionalisierung, Reglementierung sowie der disziplinierende Charakter der Fürsorgepraktiken, die zunehmende Kriminalisierung von Armut und ein verstärktes bürgerschaftliches Engagement bilden die wesentlichen Elemente des Forschungsfeldes Fürsorge am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Sie werden in den 22

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Vgl. Reulecke, Jürgen: Die Armenfürsorge als Teil der kommunalen Leistungsverwaltung und Daseinsvorsorge im 19. Jahrhundert, in: Blotevogel, Hans Heinrich (Hrsg.): Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vormärz bis zur Weimarer Republik (= Städteforschung; 30). Köln und Wien 1990, S. 71–80; Gründer, Horst: Kommunale Armenfürsorge im 19. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Münster, in: Blotevogel, Hans Heinrich (Hrsg.): Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vormärz bis zur Weimarer Republik (= Städteforschung; 30). Köln und Wien 1990, S. 59–70. Grindel: Armenpolitik, S. 412. Ebd., S. 415. Baumer: Armenfürsorge, S. 31. Vgl. Reiter, Ralf: Städtische Armenfürsorge im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Sozial-, wirtschafts- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchungen zur Sozialpolitik der Stadt Ravensburg und ihrer Einrichtungen 1755–1845 (= Konstanzer Dissertationen; 256). Konstanz 1989, S. 398f.

Forschungsstand und Fragestellung

17

wenigen Publikationen thematisiert, die sich dem Diskurs und der Praxis von Fürsorge in den thüringischen Kleinstaaten widmen.27 Suppenanstalt, Freischule, Arbeitshaus und Waisenanstalt gehörten in Weimar neben der 1783 gegründeten Witwen- und Waisensozietät zu den wichtigsten Einrichtungen zeitgenössischer öffentlicher Wohltätigkeit,28 die vom Gedanken der Armutsbekämpfung durch Arbeitsamkeit und vorbeugende Erziehung getragen war. Zudem existierte mit dem 1719 errichteten Zuchthaus eine sanktionierende Institution, deren Insassen zu entehrenden Arbeitseinsätzen abkommandiert wurden und zudem unter Platzmangel und Luftnot litten. Erst der 1824 neu eröffnete Zuchthausbau konnte diese Defizite beseitigen und führte darüber hinaus eine nach Geschlechtern getrennte Unterbringung der Häftlinge ein.29 27

28

Vgl. Wolter, Stefan: »Bedenket das Armuth«. Das Armenwesen der Stadt Eisenach im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert. Göttingen 2003; Ventzke, Marcus: Fürsorge und Kontrolle. Zur politischen Bedeutung sozialer Einrichtungen, in: Scheurmann, Konrad / Frank, Jördis (Hrsg.): Neu entdeckt: Thüringen – Land der Residenzen. Katalog 1. Mainz 2004, S. 316–319; Hellmann, Birgitt: Die Acchouchieranstalt in Jena, in: Scheurmann, Konrad / Frank, Jördis (Hrsg.): Neu endeckt: Thüringen – Land der Residenzen. Katalog 1. Mainz 2004, S. 320–326. Vergleichsweise umfangreiche Forschung für Sachsen-Gotha-Altenburg vgl. Kuhn, Wilfrid: Die Sozialfürsorge im Fürstentum Altenburg 1672–1796. Beitrag zu Sozialgeschichte des Territorialstaates im Zeitalter des Absolutismus. I. Teil. Das Waisenwesen. Coburg 1935; Wagner, Matthias: Das Zucht- und Waisenhaus in Gera, in: Scheurmann, Konrad / Frank, Jördis (Hrsg.): Neu endeckt: Thüringen – Land der Residenzen. Katalog 1. Mainz 2004, S. 327–329; Köhler, Christoph: Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, in: Greiling, Werner / Klinger, Andreas / Köhler, Christoph (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung (= VHKTh KR; 15). Köln, Wien und Weimar 2005, S. 111–127; Raschke, Helga: Von Waisen, Kranken und Bettlern. Gothaer Stadtarmut im 18. Jahrhundert, in: Greiling, Werner / Klinger, Andreas / Köhler, Christoph (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung (= VHKTh KR; 15). Köln, Wien und Weimar 2005, S. 129–142. Zu den älteren Arbeiten gehören die Ausführungen in Hartung, Fritz: Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl AugustS. 1775–1828, Weimar 1923, S. 96–104. Vgl. Hartung: Großherzogtum, S. 98. Zum Begriff »Wohltätigkeit« im 19. Jahrhundert vgl. Kuhn, Thomas K.: Armut und Armenfürsorge im Kontext von Pietismus und Aufklärung. Beispiele und semantische Transformationen, in: Koerrenz, Ralf / Bunk, Benjamin (Hrsg.): Armut und Armenfürsorge. Protestantische Perspektiven (= Kultur und Bildung; 5). Paderborn 2014, S. 75–92, hier S. 90–92.

18

Einleitung

Nachdem 1776 in den Städten Almosenkassen eingeführt wurden, sollte mit den seit 1784 publizierten Kassenabschlüssen deren Akzeptanz in der Bevölkerung gesteigert werden. Gleichzeitig versuchte auch SachsenWeimar-Eisenach den Zustrom ortsfremder Armer zu reglementieren, indem 1798 die Unterstützungspflicht für einheimische Arme geregelt wurde.30 Marcus Ventzke untersucht diese Aspekte der Wohlfahrtspflege im Zeitraum der frühen Regierungsjahre Carl Augusts und kommt zu dem Schluss, dass sich der Herzog weniger von humanistischen, sondern vielmehr von fiskalischen Überlegungen leiten ließ. Die Verweigerung einer anhaltenden Bezuschussung der Witwenkasse und die Schließung des Weimarer und des Jenaer Waisenhauses sowie die damit verbundene Unterbringung der Kinder in Pflegefamilien sollten in erster Linie finanzielle Erleichterungen für das Herzogtum bewirken.31 Die anhaltenden Sparmaßnahmen der Regierung verschärften die Bettelei und die Pflichtabgaben an die Almosenkasse stiegen. Obwohl Mitte der 1780er Jahre über die Finanzen der Almosenkasse öffentlich Rechenschaft abgelegt wurde, blieb das Misstrauen der Bevölkerung gegen diese Abgabe bestehen.32 Ventzkes diesbezügliche Erkenntnisse stützend und argumentativ erweiternd, stellt Sebastian Hunstock für die Stadt Weimar fest, dass diese – wie viele andere Residenzstädte auch – mit einem besonders starken Zustrom Unterstützungsbedürftiger bzw. Hilfesuchender konfrontiert war.33 Städtische Bürgerschaft und höfische Bedienstete wurden im Bereich der Almosenfinanzierung unterschiedlich herangezogen. Während erstere eine freiwillige Abgabe entrichtete, wurden letztere zur Abgabenleistung an die Almosenkasse verpflichtet.34 Katja Deinhardt zeigt in ihrer Studie zur benachbarten Universitätsstadt Jena ähnliche Tendenzen auf. Unter städtischer Aufsicht entwickelte sich die Almosenabgabe allmählich zu einer Pflichtabgabe, die im Gegensatz zur Residenzstadt Weimar aber zu einem Großteil von der Einwoh29

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34

Vgl. Frede, Lothar: Weimarer Gefängnisverhältnisse zur Zeit Goethes, in: Thüringen. Eine Monatsschrift für alte und neue Kultur 6 (1931). Heft 8, S. 154–158. Vgl. Hartung: Großherzogtum, S. 96–98. Vgl. Ventzke, Marcus: Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775–1783. Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft? (= VHKTh KR; 10). Köln, Weimar und Wien 2004, S. 356, 360 und 362–364. Vgl. ebd., S. 362–364. Vgl. Hunstock, Sebastian: Die (groß-)herzogliche Residenzstadt Weimar um 1800. Städtische Entwicklungen im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (1770–1830). Jena 2011, S. 460f. Vgl. edb., S. 515.

Forschungsstand und Fragestellung

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nerschaft Jenas geleistet wurde. Durch bürgerschaftliches Engagement entstand ferner eine Fürsorgeinstitution, die 1801 institutionell Armenanstalt, Krankenanstalt, Jansonsche Armen- und Industrieschule vereinte. Daneben etablierte sich in der Saale-Stadt mit der »Casse für arme Bürger«, dem lokalen Frauenverein oder der Bürgerlichen Versorgungs- und Bildungsanstalt Ferdinand Hands ein auf unterschiedliche Bedürfnisse ausgerichtetes und von privaten Spenden und Engagement getragenes Fürsorgewesen.35 Innerhalb biographisch angelegter Studien wird im Ereignisraum Weimar-Jena das karitative Wirken einzelner Persönlichkeiten untersucht. Julia A. Schmidt-Funke charakterisiert zum Beispiel den Weimarer Verleger Friedrich Justin Bertuch als einen »Spezialist[en] für Armenfürsorge«36, der aufgrund seiner ökonomischen Marktorientierung die Versorgung Armer effizienter gestalten wollte.37 Der Unternehmer Bertuch engagierte sich weniger in der praktischen Hilfe im (Groß-)Herzogtum, sondern beteiligte sich zum einen am Diskurs und zum anderen durch die Übernahme einzelner Ämter an der Armenversorgung.38 Dass die in Weimar um 1800 praktizierte karitative Fürsorge schwerlich das Projekt eines Einzelnen sein konnte, belegen die Untersuchungen zur Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not. Demnach zeichnete sie sich durch eine Struktur jenseits ständischer Schranken aus und bot über die Versorgung Heranwachsender hinaus vielfältigste Hilfsmaßnahmen an.39 Curt Elster betonte 1933 den Gegensatz zwischen dem privaten 35

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39

Vgl. Deinhardt, Katja: Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830 (= VHKTh KR; 20). Köln, Weimar und Wien 2007, S. 284–304. Schmidt-Funke, Julia Annette: Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft. Die politische Publizistik des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch (= VHKTh KR; 16). Köln, Weimar und Wien 2005, S. 133. Vgl. ebd., S. 431. Vgl. Bertuch, Friedrich Justin: Wie versorgt ein kleiner Staat am besten seine Armen und steuert der Bettelei? Nachdruck der 1782 anonym erschienenen Schrift. Hrsg. von Paul Kaiser (= Weimarer Schriften zur Heimatgeschichte und Naturkunde; 39). Weimar 1978. Vgl. dazu Macher, Heinrich: Friedrich Justin Bertuchs Armenschrift von 1782. Bürgerliches Reformdenken im Spannungsfeld von sozialer Praxis, aufgeklärter Humanität und ökonomischem Rationalismus, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 20, 2 (1995), S. 1–55; Schmidt-Funke: Bertuch, S. 133–140. Vgl. Hain, Christian: Sozialfürsorge in Sachsen-Weimar. »Die Gesellschaft der Freunde in der Not«. 1813–1829. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien im Fach Geschichte. Maschinenschriftl. Mskr. Jena 2007, S. 60–91.

20

Einleitung

Engagement Johannes Falks und der öffentlichen Armenfürsorge, ohne jedoch bei der Beurteilung die personellen Überschneidungen in ausreichendem Maße zu berücksichtigen.40 In einer der frühesten Studien zum Falkschen Institut untersuchte Trude Reis 1931 auf der Grundlage eines umfangreichen Quellenstudiums den Aufbau, die Finanzierung und die Arbeitsweise des Instituts sowie Falks persönliches Wirken und seinen Widerstand gegen staatliche und kirchliche Auflagen zur Einschränkung des Engagements. Reis schrieb damit im Wesentlichen eine Erfolgsgeschichte des falkschen Vorhabens und stilisierte Falk zum Vorgänger von Johann Hinrich Wicherns Innerer Mission.41 Gerhard Heufert räumt in seiner Arbeit von 2008 auch einzelnen Zöglingsschicksalen Platz ein, richtet aber den Fokus auf die Person Falks und dessen Verdienste »für die Welt«.42 Die zunehmende persönliche Anteilnahme einzelner Bürger Weimars an sozialen Missständen kam in Geheimbünden und patriotischen Vereinen zum Ausdruck, wobei Studien zur Vereins- und Sozietätenforschung für den Raum Weimar-Jena nicht primär nach deren gemeinnützigem Charakter fragen.43 Jens Riederer belegt, dass der um 1800 gegründete »Club(b)« schon vor den Befreiungskriegen private Wohltätigkeit in Weimar ausübte.44 Dirk Alexander Reder zeigt, wie unter dem Eindruck der Befreiungskriege und durch das persönliche Eintreten der Erbprinzessin Maria Pawlowna45 mit dem Patriotischen Institut der Frauenvereine in 40

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Vgl. etwa Elster, Curt: Fürsorgeerziehung im ehemaligen Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Untermaßfeld 1933, S. 103. Vgl. Reis, Trude: Johannes Falk als Erzieher verwahrloster Jugend (= Veröffentlichungen des Evangelischen Reichs-Erziehungs-Verbandes; 3). Berlin 1931, S. VI. Heufert, Gerhard: Johannes Daniel Falk. Satiriker, Diplomat und Sozialpädagoge. Weimar 2008, S. 19. In der zweiten Auflage seines Buches von 2013 betont Heufert die Traditionslinie zwischen Falk und Wichern; so auch Haspel, Michael: Der Protestantismus und die Soziale Frage. Die Geburt der Diakonie aus dem Geist der Sozialdisziplinierung, in: Koerrenz, Ralf / Bunk, Benjamin (Hrsg.): Armut und Armenfürsorge. Protestantische Perspektiven (= Kultur und Bildung; 5). Paderborn 2014, S. 119–134. Vgl. Marwinski, Felicitas: Von der ›Societas litteraria‹ zur Lesegesellschaft. Gesellschaftliches Lesen in Thüringen während des 18. und 19. Jahrhunderts. Maschinenschriftl. Mskr. Diss. Jena 1982; Riederer, Jens: Aufgeklärte Sozietäten und gesellige Vereine in Jena und Weimar zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit 1730–1830. Sozialstrukturelle Untersuchungen und ein Beitrag zur politischen Kultur eines Kleinstaates. Maschinenschriftl. Mskr. Diss. Jena 1993. Vgl. Riederer: Sozietäten, S. 392f.

Forschungsstand und Fragestellung

21

Weimar der »am besten organisierte überregionale Frauenverein Deutschlands«46 entstand. Um eventuellen Konflikten mit der öffentlichen Armenversorgung vorzubeugen, richtete der Verein sein karitatives Wirken auf die Erziehung von Mädchen.47 Ähnliche Formen weiblichen Engagements sind inzwischen auch für Sachsen-Weimar-Eisenach untersucht worden. Der Orden der Hoffnung, oder des deutschen Schwesternbundes wurde beispielsweise 1813 gegründet, um in der Zeit der größten Bedrängnis Wohltaten zu stiften und die patriotische Gesinnung im Freiheitskampf zu stärken.48 Am Beispiel des Patriotischen Instituts der Frauenvereine deutet sich ein weiterer Aspekt der sich ausdifferenzierenden fürsorglichen Hilfsangebote an. So verfolgten einige der im frühen 19. Jahrhundert entstehenden Wohltätigkeitsvereine geschlechterspezifische Fürsorgeaufträge.49 Die 1813 einsetzende patriotische Mobilmachung erfasste weite Teile der Bevölkerung. Das erwachende Nationalbewusstsein der von Bildungsbürgern getragenen Bewegung fand in Spendensammlungen und Vereinsgründungen seinen Ausdruck, wobei Frauen in den deutschlandweit entstehenden Frauenvereinen mit ihrem Einsatz etwa als Krankenpflegerinnen, Spendensammlerinnen oder Verwalterinnen karitativer Fürsorge einen erheblichen Anteil am patriotischen Aufbruch hatten.50 Aller45

46 47 48

49

Vgl. Schedewie, Franziska: Art. »Maria Pavlovna von Sachsen-Weimar-Eisenach (1786–1859)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten Weimar Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon (= Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen; 22). Heidelberg 2009, S. 287–292, hier S. 288; Bojanowski, Paul von: Großherzogin Maria Paulowna und die Tätigkeit der Frauen in der Wohlfahrtspflege, in: Deutsche Rundschau 31 (1904), S. 196–216. Reder: Frauenbewegung, S. 325. Vgl. ebd., S. 264. Vgl. Häfner, Claudia: »Ich finde wieder Freundes Blick«. Freundschaft in der literarischen Geselligkeit des Weimarer Musenvereins. In: Labouvie, Eva (Hrsg.): Schwestern und Freundinnen. Zur Kulturgeschichte weiblicher Kommunikation. Köln, Weimar und Wien 2009, S. 121–142, hier S. 128f. Vgl. Wissmann, Sylvelin: Wohltätigkeit im Verein. Zum Wahrnehmen und Lindern städtischer Armut durch die Bremer Bürgerelite im 19. Jahrhundert, insbesondere bis 1870, in: Kühberger, Christoph / Sedmak, Clemens (Hrsg.): Aktuelle Tendenzen der historischen Armutsforschung (= Geschichte. Forschung und Wissenschaft; 10). Wien 2005, S. 167–188, hier S. 175 und 186f. Wissmann untersucht die Wohltätigkeitsvereine Bremens im 19. Jahrhundert, ohne auf die geschlechterspezifische Konnotation näher einzugehen oder diese als Spezifikum des Untersuchungsgegenstandes herauszuarbeiten.

22

Einleitung

dings stellten nach 1815 viele weibliche Zusammenschlüsse ihre Arbeit wieder ein.51 Eine Erklärung für das zeitlich befristete weibliche Engagement liefert Karen Hagemann in ihren Forschungen zu den Jahren der antinapoleonischen Erhebung. Sie verweist auf die »Paradoxie zwischen der Entwicklung der Geschlechterbilder und den Handlungsspielräumen von Frauen in der modernen Kriegsgesellschaft«52. Einerseits nahmen Frauen in dieser Zeit etwa in Wohltätigkeitsvereinen oder auf höchster politischer Ebene in Abwesenheit männlicher Regenten öffentliche Aufgaben wahr. Andererseits verfestigten sich zeitgleich normative Geschlechtergrenzen. Hagemann interpretiert den hierarchisierenden Diskurs als eine Reaktion auf die in der Praxis aufgebrochenen Geschlechterbeziehungen.53 Eine Reihe von Studien thematisiert den Zusammenhang zwischen Armenpflege und dem Engagement von Frauen in Wohltätigkeitsvereinen.54 Während ihnen andere Vereine wegen normativer Geschlechtervorstellungen versperrt blieben, durften Frauen in Wohltätigkeitsvereinen agieren, weil Wohltätigkeit am besten mit dem Ideal der (bürgerlichen) Mutter in Einklang zu bringen war.55 Frauenvereine richteten die Fürsorge auf (kleine) Kinder und Frauen.56 Langfristig hat diese Entwicklung dazu beigetragen, dass Frauen nicht nur im öffentlichen Raum sichtbar wurden, sondern soziale Arbeiten sich als typisch weibliche Berufsfelder etablierten.57 50

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52

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55 56

Vgl. Hahn, Hans-Werner / Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte; 14). Stuttgart 2010, S. 121. Vgl. Wendt, Wolf Rainer: Geschichte der Sozialen Arbeit 1. Die Gesellschaft vor der sozialen Frage. Stuttgart 2008, S. 470. Hagemann, Karen: Heldenmütter, Kriegerbräute und Amazonen. Entwürfe »patriotischer« Weiblichkeit zur Zeit der Freiheitskriege, in: Frevert, Ute (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte; 58). Stuttgart 1997, S. 174–200, hier S. 200. Vgl. ebd. Vgl. Reder: Frauenbewegung; Blecher, Jens: »Der Beruf der Frauen ist allein das Werk der Liebe«. Weibliche Religiosität und Wohltätigkeit in Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Schötz, Susanne (Hrsg.): Frauenalltag in Leipzig. Weibliche Lebenszusammenhänge im 19. und 20. Jahrhundert (= Geschichte und Politik in Sachsen; 4). Weimar, Köln und Wien 1997, S. 181–206; Baumer: Armenfürsorge, S. 232–234. Vgl. Hahn / Berding: Reformen, S. 312f. Vgl. Baumer: Armenfürsorge, S. 233.

Forschungsstand und Fragestellung

23

Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Frauen getragenen Wohltätigkeitsvereine waren nur selten Orte, an denen sich ausschließlich Frauen versammelten. Die eingeschränkte weibliche Rechtsfähigkeit hatte zur Folge, dass maßgebliche Funktionen in der Leitungsebene von Männern besetzt wurden.58 Häufig übernahmen Männer die Positionen an der Vereinsspitze. Die Verwaltung lag auf unterer Ebene in weiblicher Hand.59 Dennoch blieb die karitative Hilfe der Bereich, in dem Frauen am ehesten eigenverantwortlich tätig werden konnten. Sie engagierten sich aber nicht nur als Akteurinnen karitativer Fürsorge, sondern waren in weitaus größerem Maß das Objekt von Hilfsmaßnahmen.60 Untersuchungen zur Armenfürsorge analysieren neben dem Alter und dem Familienstand der Bedürftigen die quantitativen Geschlechterverhältnisse. Demnach wurden um 1800 in karitativen Einrichtungen überproportional viele Frauen aufgefangen. Die Befunde werden mit dem höheren Armutsrisiko von Witwen und unversorgten Ledigen erklärt.61 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Armengesetzgebung und die Fürsorge vorwiegend von der Vorstellung geprägt, dass Frauen innerhalb des Hauses die Familie versorgten und Männer die materielle Absicherung erwirtschafteten.62 Geschlechtliche Differenzierungen zeigen sich auch in der Begründung, warum Bedürftigen geholfen werden sollte. So bot etwa Alkoholmissbrauch von Männern und Frauen einen Anlass zur Intervention. Dagegen resultierten für Frauen aufgrund legitimer und illegitimer Schwangerschaften voneinander abweichende wohltätige Hilfs- bzw. Repressionsmaßnahmen: Mütter unehelicher Kinder wurden im Arbeitshaus untergebracht, während von ihren Ehemän57

58 59

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Vgl. Hofmann, Wolfgang: Soziale Fürsorge und öffentliche Daseinsvorsorge in historischer Perspektive, in: Ders. / Hübener, Kristina / Meusinger, Paul (Hrsg.): Fürsorge in Brandenburg. Entwicklungen – Kontinuitäten – Umbrüche (= Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte; 15). Berlin 2007, S. 11–48, hier S. 12; Blecher: Religiosität, S. 184f. Vgl. Blecher: Religiosität, S. 185. Vgl. Sohn-Kronthaler, Michaela / Blinzer, Christian: »[...] ohne Unterschied der Religion und des Geschlechts.« Armenfürsorge am Beispiel katholischer Frauenvereine in Österreich, in: Schneider, Bernhard (Hrsg.): Konfessionelle Armutsdiskurse und Armenfürsorgepraktiken im langen 19. Jahrhundert (= Inklusion / Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart; 15). Frankfurt am Main u. a. 2009, S. 247–281, hier S. 255–258. Vgl. etwa Schläpfer: Armenreform, S. 185f. Vgl. Reiter: Armenfürsorge, S. 275–277. Vgl. Fuchs, Rachel G.: Gender and Poverty in Nineteenth-Century Europe. Cambridge 2005, S. 204.

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Einleitung

nern verlassene Mütter außerhalb institutioneller Zwänge ein Almosen als Hilfe erhielten.63 Zusammenfassend scheint Dietlind Hüchtkers Beobachtung einer zunehmenden geschlechterspezifischen Wohltätigkeit im 19. Jahrhundert zutreffend zu sein, die »sowohl in den Institutionen der Vereine als auch in der Ausrichtung auf eine männliche oder weibliche Klientel« sichtbar wurde und sich damit fundamental von »der älteren Bitt- und Bettelkultur«64 unterschied. In dem Maße, wie um 1800 Geschlechtervorstellungen immer mehr an Bedeutung gewannen, unterlagen Normen und Praktiken karitativer Fürsorge im 19. Jahrhundert viel stärker geschlechterspezifischen Zuschreibungen. Hüchtker verfolgt einen geschlechtergeschichtlichen Ansatz und untersucht Norm und Praxis der Berliner Armenpolitik zwischen 1750 und 1850. Sie unterstreicht nicht nur die Ausdifferenzierung der karitativen Institutionen, sondern benennt den Gegensatz zwischen den wohltätig helfenden Frauen und jenen Männern, die Normen festsetzten und Hilfe verwalteten.65 Allerdings fokussiert Hüchtker ihre Studie tendenziell auf erwachsene Frauen als Bedürftige und Akteurinnen karitativer Hilfe. Kaum Berücksichtigung finden geschlechterspezifische Fragestellungen im Bereich der Fürsorge hingegen bei Einrichtungen für Kinder und Heranwachsende. Neben der Frage, ab wann eine öffentliche Fürsorgeanstalt für die Unterstützung eines Kindes verantwortlich war, richtet sich der Fokus der genannten Arbeiten auf die Ursachen von individuellen Notlagen. Auch benennen die Studien zwar den Umgang mit unehelichen Kindern und Eltern, die ihre Kinder nicht erzogen. Sie ziehen jedoch keine Rückschlüsse über die damit transportierten Geschlechterbilder,66 die zudem auf völlig unterschiedliche Lebenswelten zwischen Wohltätern und Perzipienten hindeuten. Dieses Forschungsdesiderat aufgreifend, wird in der vorliegenden Studie nach dem Wechselverhältnis zwischen der auf Heranwachsende ausgerichteten Fürsorge und den zeitgenössischen Geschlechtervorstellungen gefragt. Zum einen gilt es zu untersuchen, wie Fürsorge(-praktiken) durch Geschlechtervorstellungen beeinflusst wurden. Zugleich stellt sich damit aber zum anderen auch die Frage, wie karitative Hilfe ihrerseits ein 63 64

65 66

Vgl. ebd. Hüchtker, Dietlind: »Elende Mütter« und »liederliche Weibspersonen«. Geschlechterverhältnisse und Armenpolitik in Berlin (1770–1850) (= Theorie und Gesellschaft der bürgerlichen Gesellschaft; 16). Münster 1999, S. 106. Vgl. ebd., S. 128–130 und 220f. Vgl. Reiter: Armenfürsorge, S. 369–371.

Forschungsstand und Fragestellung

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Instrumentarium darstellte, um die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewinnenden und die Gesellschaft strukturierenden Geschlechterbeziehungen zu formen.67 Ausgangspunkt bildet dazu die These, dass die Weimarer Fürsorge im Untersuchungszeitraum noch keineswegs so stark von Geschlechtervorstellungen normiert war wie in späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Deutlich wird dies am Beispiel der Gesellschaft der Freunde in der Not und des Falkschen Instituts, in deren Konzeption und Wirken sich zwar einerseits Fürsorgepraktiken widerspiegelten, die durch polare Geschlechtervorstellungen geprägt wurden, andererseits aber auch ökonomische Faktoren und ein noch fortwirkendes ständisches Bewusstsein in der Wohltätigkeit für Heranwachsende eine maßgebliche Rolle spielten. In dem Zeitfenster von 1750 bis 1830, das als eigene Figuration mit dem Begriff der »Neuständischen Gesellschaft«68 bezeichnet wird, setzte sich die Trennung zwischen Gesellschaft, Familie und Individuum noch nicht vollends durch.69 Die Forschung widerspricht den scheinbar klar konturierten Zuschreibungen einer weiblichen Sphäre innerhalb des Hauses und einem den Männern vorbehaltenen öffentlichen Raum. So konnten sich etwa Bäuerinnen, Spinnerinnen oder Handwerkerfrauen kaum eine ausgedehnte Stillzeit leisten; ebenso wenig stimmte die »Gleichsetzung von Mann / Erwerber und Frau / Erhalterin mit der ökonomischen Wirklichkeit in breiten ländlichen und städtischen Bevölkerungsschichten«70 überein. Polare Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert – so der berechtigte Einwand – müssen einerseits differenziert und als spezifisch bürgerliche Erscheinungsform betrachtet werden. Andererseits 67

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Zum Bedeutungsgewinn der Kategorie Geschlecht im 19. Jahrhundert vgl. exemplarisch den Lexikonartikel von Welcker / Rotteck: Art. »Geschlechtsverhältnisse«, in: Staats-Lexikon Bd. 6, S. 434–447. Zum Begriff der »Neuständischen Gesellschaft« vgl. den Sektionsbericht in: Jehne, Martin / Müller, Winfried / Fässler, Peter E. (Hrsg.): Ungleichheiten. 47. Deutscher Historikertag in Dresden 2008. Berichtsband. Göttingen 2009, S. 218–222. Vgl. Mettele, Gisela: »Die Ordnung der Geschlechter«. Bürgerinnen und weibliches Standesbewusstsein in der Sektion »Neuständische Gesellschaft« – Europäische Gesellschaft im globalen Kontext (1750–1830/40), in: Jehne, Martin / Müller, Winfried / Fässler, Peter E. (Hrsg.): Ungleichheiten. 47. Deutscher Historikertag in Dresden 2008. Berichtsband. Göttingen 2009, S. 219f., hier S. 220. Frevert, Ute: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 77). Göttingen 1988, S. 11–16, hier S. 12.

26

Einleitung

muss die historische Forschung »das 19. Jahrhundert als allgemeine[n] Bezugspunkt bei der Betrachtung der bürgerlichen Geschlechterverhältnisse um 1800«71 aufgeben, um einer teleologisch ausgerichteten (Geschlechter-)Geschichtsschreibung entgegenzuwirken. Laut Wolfgang Schmale wurde erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das Aufklärungskonzept auch in weiten Teilen der Bevölkerung realisiert, sodass erst ab diesem Zeitraum von einem in der Praxis verwirklichten hegemonialen Männlichkeitskonzept die Rede sein kann.72 Gerade weil die Strukturen der späteren modernen bürgerlichen Gesellschaft noch nicht existierten, experimentierten Frauen und Männer um 1800 mit Geschlechterbeziehungen, ohne es vermocht zu haben, ständische Denkmuster bereits vollständig zu überwinden. Vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Strukturen muss nicht nur danach gefragt werden, wozu die im Falkschen Institut gewährte Hilfe bedürftige junge Frauen und Männer befähigte und wie die Unterstützung im konkreten Einzelfall umgesetzt wurde. Ebenso ist von Interesse, von wem die Fürsorgemaßnahmen finanziert wurden. Wovon machten es Falk und die spendenden Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not abhängig, eine Hilfe bzw. Intervention zu rechtfertigen? Das Ideal bürgerlicher Familienverhältnisse und Produktionsformen kollidierte mit den Lebenswirklichkeiten der Bedürftigen, die noch lange beispielsweise den Beschränkungen der Zünfte unterlagen.

2. Untersuchungsgegenstand und Begriffsbestimmung Im Zentrum dieser Arbeit stehen mit der Gesellschaft der Freunde in der Not und dem Falkschen Institut zwei Untersuchungsgegenstände, die mit den Wohltätern und Perzipienten die beiden Pole einer Fürsorgeeinrichtung am Beginn des 19. Jahrhunderts in Weimar bildeten. Aus der 1813 in Weimar entstehenden Gesellschaft der Freunde in der Not, einer Vereinigung, die in den Kriegs- und Hungerszeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Abhilfe für unterschiedliche Notlagen zu bewirken versuchte, entwickelte sich allmählich das sogenannte Falksche Institut, dessen in71 72

Mettele: Ordnung, S. 219. Vgl. Schmale, Wolfgang: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000). Wien, Köln und Weimar 2003, S. 152. Zum Konzept der hegemonialen Männlichkeit vgl. Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden 2006.

Untersuchungsgegenstand und Begriffsbestimmung

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haltlicher Schwerpunkt auf der Unterstützung Heranwachsender lag. Während also die Gesellschaft jene Spender und Förderer umfasste, die mit Geld oder praktischer Unterstützung eine Hilfe leisteten, vereinte das Falksche Institut alle Formen von Hilfsangeboten für jugendliche Perzipienten. Die Arbeit der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not fand schnell Nachahmer im gesamten Großherzogtum. Etwa in Eisenach, Ilmenau und Jena entstanden eigene Zweigvereine, die mit der ›Mutteranstalt‹ in Weimar verbunden blieben.73 Keineswegs entwickelten sich die einzelnen Zweigvereine parallel zum Weimarer Institut, weshalb durchaus unterschiedliche Fürsorgeangebote unterbreitet wurden. Als Falk im Februar 1826 verstarb, befand sich der Mittelpunkt des Falkschen Instituts im Weimarer Lutherhof – in unmittelbarer Nähe zum großherzoglichen Marstall und in Sichtweite zum Residenzschloss. Gemäß Falks Vermächtnis übernahmen zunächst seine Frau und seine Tochter gemeinsam mit Johann Georg Rettner, einem ehemaligen Zögling des Instituts, die Leitung. Am 1. April 1829 wurde das Falksche Institut als Privatanstalt aufgelöst und als ›Nebenanstalt für verwilderte Kinder‹ dem großherzoglichen Waiseninstitut angegliedert. »Fürsorge« gehört zu jenen Begriffen »mit undeutlichen Rändern«74, die einer genaueren Einordnung bedürfen. Hans Scherpner definiert den Begriff als gesellschaftliche Hilfeleistung für all jene, die aus dem Gesellschaftsgefüge zu fallen drohen.75 Wenngleich das Wort, das erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verwendet wurde, in der vorliegenden Arbeit anachronistisch auf das frühe 19. Jahrhundert bezogen wird, beschreibt gerade dieser Terminus die umfassende Hilfeleistung durch die Gesellschaft der Freunde in der Not. Bewusst wird auf die Formulierung ›Armenfürsorge‹ verzichtet wird, weil sich das Hilfsangebot nicht nur an Arme oder Waisen richtete. Im Falkschen Institut wurde nicht nur Armenfürsorge im wörtlichen Sinne praktiziert. Vielmehr konnte gegen die Zahlung von Pensionsgeldern eine Unterstützung erkauft werden. Diese ›bezahlte‹ Hilfe wurde häufig von Eltern besonders talentierter Heranwachsender in Anspruch genommen. Der Umstand, dass Fürsorge hier also auch als Möglichkeit, die persönlichen Stärken zu entwickeln, verstanden wurde und dass die 73

74 75

Vgl. Manuskript Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 224r.–224v., hier Bl. 224r.; Brief der Gesellschaft der Freunde in der Not, Weimar 1. September 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 222r.–222v., hier Bl. 222r. Hofmann: Fürsorge, S. 15. Vgl. Scherpner, Hans: Geschichte der Jugendfürsorge. Bearb. von Hanna Scherpner. Göttingen 1979, S. 10.

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Förderung vorrangig von einer »privaten«76 Institution geleistet wurde, verdeutlicht ferner den Gegensatz zur rein staatlich organisierten Hilfe, die zumeist an klar definierten Kriterien der Bedürftigkeit und dem Maß der zustehenden Unterstützung als ›Sozialfürsorge‹ bezeichnet wird.77 Fürsorge beinhaltet in diesem Sinne viel stärker Prozesse des ›Aushandelns‹ von Hilfsangeboten und Interventionsanlässen, ohne eine einseitig obrigkeitsstaatliche Perspektive einzunehmen.78 Wenngleich die Inanspruchnahme von Fürsorge im Gegensatz zu modernen Instrumentarien der Daseinsvorsorge ohne vorherige Einzahlung möglich war,79 verbanden auch die Weimarer Wohltäter mit ihrer Hilfsleistung bestimmte Erwartungen an das zukünftige Verhalten der Unterstützten. Aus dem Falkschen Institut sollten im Idealfall junge Menschen entlassen werden, welche die Konventionen der Erwachsenenwelt über Arbeit, Moral und nicht zuletzt das adäquate Zusammenleben der Geschlechter verinnerlicht hatten. In den Fürsorgepraktiken des Falkschen Instituts interagierten heranwachsende und erwachsene Frauen und Männer miteinander, indem sie auf erlernte, erinnerte oder wahrgenommene hierarchische Geschlechterstrukturen reagierten, diesen entsprachen, sie austesteten oder – oft unbeabsichtigt – sogar veränderten. Von der Mitte des 18. bis etwa zur Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelten sich die Geschlechterbeziehungen grundlegend, nachdem in der Aufklärung »der Mensch auf den Plan« trat, unmittelbar darauf »das Weib« folgte, woraus »das vertrackte Problem mit dem Geschlecht« resultierte.80 Die Zeitgenossen setzten Mann und Mensch gleich. Die Sonderstellung der Frau wurde mit dem Hinweis auf die natürlich bedingten Geschlechtsunterschiede erklärt.81 Dieses Auf76 77

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Hofmann: Fürsorge, S. 12, vgl. dort auch S. 46. Vgl. Bartsch, Robert: Karitative und soziale Fürsorge, in: Polligkeit, Wilhelm / Scherpner, Hans / Webler, Heinrich (Hrsg.): Fürsorge als persönliche Hilfe. Festgabe für Prof. Dr. Christian Jasper Klumker zum 60. Geburtstag am 22. Dezember 1928. Berlin 1929, S. 25–31, hier S. 29f. Vgl. dazu Martin Dinges’ Kritik am frühneuzeitlichen Prinzip der Sozialdisziplinierung. Dinges: Sozialdisziplinierung, S. 5–29. Vgl. Hofmann: Fürsorge, S. 15. Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib. 1750–1850. Frankfurt am Main und New York 1991, S. 6. Vgl. ebd.; Paletschek, Sylvia: Adelige und bürgerliche Frauen (1770–1870), in: Fehrenbach, Elisabeth (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848 (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien; 31). München 1994, S. 159–185, hier S. 162.

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klärungsdenken über bipolar konstruierte Geschlechterverhältnisse pflanzte sich in späteren Jahrhunderten fort.82 Die Analyse der Geschlechterbeziehungen, wie sie im Falkschen Institut gelebt wurden, basiert auf drei Prämissen, aus denen sich Schlussfolgerungen dahingehend ziehen lassen, wo und in welcher Form Geschlechterpraktiken aufzuspüren sind. Erstens: Die Kategorie ›Geschlecht‹ ist zweidimensional in ihrem unauflöslichen Wechselverhältnis zwischen Körperlichkeit und sozialer Konstruktion zu begreifen. Seit den 1970er Jahren ist eine zunehmende Ausdifferenzierung des Geschlechterbegriffes zu beobachten. Die von der Sexualwissenschaft vorgeschlagene Trennung zwischen einem biologischen und einem sozialen Geschlecht griff Joan Kelly 1976 in ihrer Beschreibung der »social relations of the sexes«83 auf, was innerhalb der eigenen Forschungsrichtung schließlich in der Verwendung der beiden englischsprachigen Termini »sex« und »gender« – jeweils für die Bezeichnung des biologischen und des sozialen Geschlechts – begrifflich fixiert wurde. Die Konstruktion einzelner Geschlechtervorstellungen und die daraus abgeleiteten Beziehungen sind Gegenstand der vorliegenden Studie. Zweitens: Geschlechterbeziehungen sind als Ergebnis sozialer Interaktion allgegenwärtig, wobei sie keiner expliziten Verbalisierung bedürfen. Grundlegend ist dabei die Überzeugung, dass sich Individuen immer als einem der Geschlechter zugehörige Subjekte positionieren müssen, woraus sich dann für die Agierenden unterschiedliche Handlungsoptionen ergeben.84 Dies geschieht zumeist unspektakulär, ohne dass Konflikte zwischen Frauen und Männern immer ausdrücklich zu Tage treten. Da Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechterbeziehungen erst beim Aufeinandertreffen von Menschen relevant werden und sie das Individuum nicht allein hervorbringt, besteht zwischen dem Inszenieren der eigenen Geschlechtlichkeit und dem Erkennen dieser spezifischen Merkmale durch andere ein enger Zusammenhang.85 82

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Vgl. Felden, Heide von: Geschlechterkonstruktion und Bildungsvorstellungen aus Männer- und Frauensicht im 18. Jahrhundert, in: Behm, Britta L. / Heinrichs, Gesa / Tiedemann, Holger (Hrsg.): Das Geschlecht der Bildung – Bildung der Geschlechter. Opladen 1999, S. 31–46, hier S. 43f. Kelly, Joan: The Social Relation of the Sexes. Methodological Implications of Women’s History, in: Dies. (Hrsg.): Women, History and Theory. The Essays of Joan Kelly. Chicago 1984, S. 1–18. Vgl. West, Candace / Zimmerman, Don H.: Doing Gender, in: Gender Society 1 (1987), S. 125–151, hier S. 136f.

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Drittens: Geschlecht ist eine relationale Kategorie, die mit anderen Kategorien wie beispielsweise der sozialen Herkunft, Ethnie, Religionszugehörigkeit oder der sexuellen Orientierung korrespondiert. Frauen und Männer sind demnach nicht als zwei homogene Gruppen zu begreifen, die in der Analyse historischer Quellen sichtbar gemacht und über die jeweils generalisierende Aussagen getroffen werden können.86 Dem mit der Unterscheidung von »sex« und »gender« einhergehenden Problem, ein dualistisches, komplementäres Geschlechterkonzept des 20. Jahrhunderts auf frühere Epochen unreflektiert zu übertragen, wird mit der Hinzuziehung weiterer Differenzkategorien entgegengewirkt. Die mehrfache Relationalität der Kategorie ›Geschlecht‹ impliziert, dass Frauen und Männer nicht nur im Verhältnis zu anderen Differenzkriterien, sondern auch innerhalb des eigenen und des anderen Geschlechts zu untersuchen sind.87 Wenn Geschlecht unter der Berücksichtigung dieser Prämissen eine Kategorie ist, die alle menschlichen Beziehungen und Strukturen beeinflusst, so lassen sich im Fürsorgewesen, wie es im Falkschen Institut gelebt wurde, Geschlechterhierarchien und -beziehungen in den sozialen Praktiken erkennen bzw. Aussagen darüber treffen, welche Regeln das Verhalten der Geschlechter determinierten. Damit versucht die Analyse, den Grundannahmen der Geschlechtergeschichte gerecht zu werden: »Neither men or women, however, are treated as an unproblematic static category. Instead, the construction of gender identity is seen as being dependent upon variables such as social class, ethnicity and access to power.«88

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Vgl. Lindemann, Gesa: Wider die Verdrängung des Leibes aus der Geschlechtskonstruktion, in: Feministische Studien 11 (1993). Heft 2, S. 46–54, hier S. 46–49. Vgl. Opitz, Claudia: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte (= Historische Einführungen; 10). Tübingen 2005, S. 123. Vgl. Griesebner, Andrea: Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie. Methodologische Anmerkungen aus der Perspektive der Frühen Neuzeit, in: Aegerter, Veronika u. a. (Hrsg.): Geschlecht hat Methode. Ansätze und Perspektiven in der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Zürich 1998, S. 129–137, hier S. 134; West, Candace / Fenstermaker, Sarah: Doing Difference, in: Gender Society 9 (1995). Heft 1, S. 8–37, hier S. 9. Abrams, Lynn / Harvey, Elizabeth: Introduction. Gender and Gender Relations in German History, in: Dies. (Hrsg.): Gender Relations in German History. Power, Agency and Experience of the Sixteenth to the Twentieth Century. London 1996, S. 1–37, hier S. 2.

Quellengrundlage

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3. Quellengrundlage Im Laufe seiner 13-jährigen karitativen Arbeit sammelte Johannes Falk in 27 Bänden89 der Gesellschaft der Freunde in der Not unterschiedliche Schriftstücke, die das Institut, einzelne Zöglinge und besondere Ereignisse außerhalb des Instituts betrafen. Die in diesen Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not von Falk zusammengetragenen mannigfaltigen Quellen ermöglichen es, die Lebensbedingungen, Überzeugungen und Handlungsoptionen der Zöglinge zu rekonstruieren, »um genau zu sein: die Spuren, die ihre flüchtigen Existenzen in den Akten [...] hinterlassen haben«.90 Historiker, die diesen Darstellungen blind folgen, werden unweigerlich mit der Deutungshoheit der Schreiber konfrontiert.91 Und dennoch gilt: Obwohl Eltern, Lehrer oder Behördenvertreter in formelhaften Phrasen stilisierte oder überzeichnete Bilder entwarfen, um Falk von der Notwendigkeit zur Intervention zu überzeugen, »entdecken wir im archäologischen Gang durch das Untersuchungskorpus auch Bruchstücke jener anderen Wirklichkeit, aus der die Einzigartigkeit, die Fülle und Widersprüchlichkeit des Lebens noch nicht getilgt sind«.92 Diese Akten bilden die wichtigste Quellengrundlage für die nachfolgende Untersuchung und erlauben es im Vergleich zu den Quellen ähnlicher Fürsorgeeinrichtungen, Fürsorgepraktiken aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.93 Sogar auf das Selbstverständnis der aus dem Falkschen Institut entlassenen Zöglinge, sofern von ihnen Selbstzeugnisse überliefert sind, lassen sich Rückschlüsse ziehen. 89

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Vgl. Henke, Silke: Der Falk-Nachlass im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/07/08), S. 77–83, hier S. 80f. Döbler, Joachim: »Blutige Spuren von unzähligen Ruthenstreichen«. Kinderelend, Schulzucht und Strafgewalt im vormärzlichen Hamburg, in: Lindenberger, Thomas / Lüdtke, Alf (Hrsg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1190). Frankfurt am Main 1995, S. 303–336, hier S. 307. Vgl. zur Problematik der einseitigen Perspektivierung Maurer, Michael: Dienstmädchen in adligen und bürgerlichen Haushalten, in: Frühsorge, Gotthardt / Gruenter, Rainer / Wolff Metternich, Beatrix Freifrau (Hrsg.): Gesinde im 18. Jahrhundert (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 12). Hamburg 1995, S. 161–187, hier S. 161. Döbler: Blutige Spuren, S. 307. Vgl. etwa die Quellengrundlage Bettina Lindmeiers zur Untersuchung der Pädagogik im Rauhen Haus. Lindmeier, Bettina: Die Pädagogik des Rauhen Hauses. Zu den Anfängen der Erziehung schwieriger Kinder bei Johann Hinrich Wichern. Bad Heilbrunn 1998, S. 17–23.

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Teilweise sind die Unterlagen zu einzelnen Heranwachsenden gebündelt zu finden, teilweise liegen sie verstreut innerhalb eines oder mehrerer Bände. Charakteristisch sind jene ›Anamnesebögen‹,94 die Falk über Kinder und Jugendliche anfertigte, in denen er zumeist in knapper Form die wichtigsten Informationen, wie etwa das Alter, die familiäre Herkunft, persönliche Neigungen und die weiteren Hilfsmaßnahmen, festhielt. Die Genese der einzelnen Bände ist nur schwer zu rekonstruieren. Im Goethe- und Schiller-Archiv werden die Akten seit 1984 aufbewahrt, nachdem sie zuvor zum Bestand des heutigen Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar gehörten.95 Im Schnitt enthält ein Band 475 Blatt – alle 27 Bände, die sich über den Zeitraum von 1813 bis 1827 erstrecken, insgesamt 12.820 Blatt. Eine umfassende archivarische Aufarbeitung des Quellenbestandes steht noch aus. Seit 2012 ist jeder der 27 Bände mit einer eigenen Signatur versehen. Eine weitergehende Verzeichnung einzelner Briefe, Rechnungen, Verträge und anderer darin enthaltenen Dokumente ist noch nicht erfolgt. Einiges spricht dafür, dass Falk schon zu Lebzeiten die Flut an Briefen, Schreiben und Belegen in Foliobänden zusammengefasst und als tägliches Arbeitsmittel benutzt hatte.96 So legte Falk einen solchen Folioband 1819 der großherzoglichen Immediatkommission vor, die zur Aufklärung der Ermordung August von Kotzebues gebildet worden war. Am 31. März 1819 notierte der Protokollant, dass Falk »einen großen Folio-Band«97 präsentierte, der zahlreiche Notizen von und über Philipp Otto (1784–nach 1823) enthielt, der als Denunziant der »Unbedingten«98 in 94

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Vgl. zum Begriff der Anamnese im Zusammenhang mit den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not Dumath, Daniela: Resozialisierung von straffälligen Kindern und Jugendlichen im klassischen Weimar. Zur Sozialpädagogik von Johannes Daniel Falk (1768–1826), in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 6 (2000), S. 27–44, hier S. 30. Vgl. Findbuch des GSA, Bestand 15 Falk. Die gegenwärtige Bindung stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert. Vgl. Dumath: Resozialisierung, S. 29. Protokoll von Johannes Falks Vernehmung, Weimar am 31.03.1819, in: ThHStAW B 285618, Bl. 8r.–9v., hier Bl. 9r. Falk war indirekt an den Untersuchungen der Hintergründe der Ermordung August von Kotzebues (1761–1819) beteiligt. Mitglieder der ermittelnden Immediatkommission befragten ihn über einen aus Wiesbaden stammenden Chemiker und Apotheker Dr. Philipp Otto. Dieser soll sich als anfänglicher Anhänger und späterer Kritiker des radikalen Gießener Burschenschaftskreises der »Unbedingten« zum Zeitpunkt des Verbrechens in Jena und Weimar aufgehalten haben. Vgl. ThHStAW B 285618; Wit, Johannes: Fragmente aus meinem Leben

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den Weimarer Fokus der Ermittlungen geraten war. Falks Aufzeichnungen zu Otto, die einem solchen Folioband entnommen wurden, liegen in der entsprechenden Akte des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar und weisen – neben dem Format – auch die Vorgangsnummer auf, unter der sie im Folioband Falks abgelegt worden waren. Auf Grundlage der in den 27 Bänden gesammelten Schriftstücke verfasste Falk die jährlich erscheinenden Berichte der Gesellschaft der Freunde in der Not. Die für die Mitglieder, Freunde und Förderer der Vereinigung gedachten Berichte erschienen seit 1816 und wurden ab 1825/26 fortlaufend nummeriert.99 Der zehnte und letzte wurde 1829 veröffentlicht. Sämtliche Berichte sind zwar erhalten geblieben, werden aber nicht vollständig an einem Standort aufbewahrt. So ist der siebente Bericht für die Jahre 1823/24 beispielsweise bislang nur im Bestand Falks des Goetheund Schiller-Archivs nachgewiesen. Andere Jahrgänge sind in verschiedenen Bibliothekskatalogen gelistet.100 Neben den Zöglingslisten, in denen die Zöglinge mit ihren Lehrmeistern und den Spendern verzeichnet wurden, beinhalten die Jahresberichte Kassentabellen sowie Gedichte, Verse und Lieder, von denen einige den Wohltätern gewidmet waren.101 In angemessener Weise muss der appellierende Charakter der Berichte berücksichtigt werden, mit dem Falk neue Spender gewinnen, bereits geworbene zu weiteren Wohltaten ermuntern bzw. die Öffentlichkeit von der Wirksamkeit der Fürsorgeeinrichtung überzeugen wollte. Im Nachlass Falks sind außerdem Tagebuchaufzeichnungen über seine karitative Arbeit überliefert. Die im Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrten Niederschriften liegen nur abschriftlich und in Auszügen vor und enthalten Beschreibungen der Zeit von 1806 bis 1808.102 Das edierte

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und meiner Zeit. Bd. 1. Leipzig 1830, S. 24–26. Zur Bedeutung der »Unbedingten« für das Kotzebue-Attentat vgl. Hardtwig, Wolfgang: Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland. 1500–1914. Göttingen 1994, S. 132; Schröder, Willi: Burschenturner im Kampf um Einheit und Freiheit. Berlin 1967, S. 237–249. Eine Ausnahme bildet der zweite Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817), vgl. GSA 15/N 54, 91. Vgl. etwa die Kataloge der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar (auf deren Internetseite auch als Digitalisat abrufbar), der Tübinger Universitätsbibliothek, der Hallenser Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt und der Leipziger Universitätsbibliothek. Mehrere Berichte sind ebenfalls im Bestand des Goethe-Museums Düsseldorf der Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung nachgewiesen. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. Tagebuch Falks 1808, in: GSA 15/IX, 4.

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Tagebuch Johannes Falks umfasst den Zeitraum von Januar 1818 bis zum Tode Falks 1826. Erstmals wurde das heute im Goethe- und SchillerArchiv aufbewahrte Original teilweise 1898 und 1900 von Siegmar Schultze103 in zwei Bänden veröffentlicht und 1964 in überarbeiteter Fassung von Ernst Schering und Georg Mlynek publiziert.104 Außer im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar werden im Thüringischen Hauptstaatsarchiv und im Stadtarchiv Weimar sowie im GoetheMuseum Düsseldorf105 relevante Dokumente aufbewahrt. Weil das Institut als (über-)regionale Fürsorgeeinrichtung städtische und großherzogliche bzw. landesherrliche Kompetenzbereiche berührte, finden sich in den Kammer-, Landtags- oder Konsistorialakten Unterlagen das Falksche Institut betreffend. Im Vergleich mit anderen derartigen Institutionen ist die Wirkungsweise des Falkschen Instituts und der Gesellschaft der Freunde in der Not demnach sehr reichhaltig dokumentiert und aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt.

4. Vorgehensweise Die Studie versteht sich als ein geschlechterperspektivisch ausgerichteter Beitrag zur Geschichte der Fürsorge und der Jugend im frühen 19. Jahrhundert. »Eine Geschlechtergeschichte der Jugend stellt Fragen nach der Entwicklung von Geschlechtsidentität, der Veränderung von Geschlechterrollen, der Inszenierung von Männlichkeit und Weiblichkeit und der institutionellen Absicherung der Geschlechterdifferenz.«106 Dieser Ansatz verpflichtet dazu, nicht nur die männlichen Bedürftigen, sondern junge 103

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Vgl. Falk, Johannes: Geheimes Tagebuch von Johannes Falk oder Mein Leben vor Gott. Erster Teil 1818–1820. Hrsg. von Siegmar Schultze, Halle 1898; Falk, Johannes: Geheimes Tagebuch von Johannes Falk oder Mein Leben vor Gott. Zweiter Teil 1821–1822. Hrsg. von Siegmar Schultze, Halle 1900. Vgl. Falk, Johannes: Geheimes Tagebuch. 1818–1826. Hrsg. von Ernst Schering unter Mitwirkung von Georg Mlynek. Stuttgart 1964. An die im GMD untergebrachte Sammlung Kippenberg wurden 1946 aus dem Nachlass von Siegmar Schultze(-Galle´ra) vier Kästen Falkiana verkauft, vgl. Quittung vom 24.07.1946 im Kasten IV des dortigen Falk-Nachlasses. Benninghaus, Christiana: Verschlungene Pfade – Auf dem Weg zu einer Geschlechtergeschichte der Jugend, in: Dies. / Kohtz, Kerstin (Hrsg.): »Sag mir, wo die Mädchen sind...« Beiträge zur Geschlechtergeschichte der Jugend. Köln, Weimar und Wien 1999, S. 9–32, hier S. 22.

Vorgehensweise

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Frauen und Männer gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Selbiges gilt für die Spender in der Gesellschaft der Freunde in der Not. Auf diese Weise wird es möglich, auch unterschiedliche Ausprägungen von Weiblichkeiten und Männlichkeiten sichtbar zu machen, die (bürgerlichen) polaren Geschlechterbeziehungen widersprachen. Weil die untersuchten Fürsorgepraktiken speziell auf die Unterstützung Heranwachsender abzielten, folgt die Studie methodischen Überlegungen der historischen Sozialisationsforschung. Grundlegend sind dabei zwei Vorannahmen: Einerseits gilt die Herausbildung einer unveränderlichen Geschlechtsidentität als eine Grundvoraussetzung für die Integration in die menschliche Gesellschaft.107 Andererseits ist Geschlecht in einem geringeren Maße von angeborenen Geschlechtscharakteren als vielmehr durch gesellschaftliche Bedingungen beeinflusst.108 Aus soziologischer Sicht stehen daher soziale Mechanismen und Institutionen – wie die Fürsorgepraktiken im Falkschen Institut – an der Schnittstelle, an der eine Generation ihre Werte und Normen erfolgreich an die nächste Generation weitergibt.109 Daraus ergibt sich laut Andreas Gestrich als Aufgabe für die historische Sozialisationsforschung, »die Determinanten der Herausbildung von Geschlechtsidentität im jeweiligen kulturellen und sozialen Kontext historischer Gesellschaften herauszuarbeiten«.110 Da im Falkschen Institut nur wenige ›herausragende‹ Persönlichkeiten mit ihren in Archiven und Nachlässen gut dokumentierten Lebensläufen lebten, kann die Erschließung aller persönlichkeitsbildenden Faktoren der zum Falkschen Institut gehörenden Heranwachsenden nur bruchstückhaft geschehen.111 Einerseits sind von den Bewohnern selbst nur selten Quellen überliefert. Andererseits sind die vorhandenen Quellen aus der meist einseitigen Perspektive von Eltern, Pfarrern oder Lehrern geschrieben, die über die jungen Menschen Beobachtungen notierten oder urteilten.

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Vgl. Faulstich-Wieland, Hannelore: Sozialisation und Geschlecht, in: Hurrelmann, Klaus / Grundmann, Matthias / Walper, Sabine (Hrsg.): Handbuch Sozialisationsforschung. Weinheim und Basel 2008, S. 240–253, hier S. 241; Parsons, Talcott: Sozialstruktur und Persönlichkeit. Frankfurt 1968, S. 35–36. Vgl. Gestrich, Andreas: Vergesellschaftungen des Menschen. Einführung in die Historische Sozialforschung (= Historische Einführungen; 1). Tübingen 1999, S. 84. Vgl. Parsons: Sozialstruktur, S. 26–27; Gestrich: Vergesellschaftungen, S. 12–13. Gestrich: Vergesellschaftungen, S. 84. Vgl. ebd., S. 29.

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Konsens besteht inzwischen darüber, solche Erklärungsansätze abzulehnen, die lediglich mechanisch nach den Folgewirkungen von Vergesellschaftungen suchen und den Menschen mit einer beliebig formbaren tabula rasa gleichsetzen. Notwendig ist es, das Individuum konkret in seinem sozialen und gegenständlichen Kontext zu betrachten, individuelle und historisch sich durchaus zeitlich verschiebende Entwicklungsstufen zu berücksichtigen sowie nach den möglichen und letztlich gewählten Gestaltungsspielräumen für individuelle Deutungen und Verhaltensweisen zu fragen. Konkret bedeutet dies für die vorliegende Arbeit, zunächst die Träger des Fürsorgeangebotes im Falkschen Institut und die von dieser Hilfe Profitierenden in den Mittelpunkt zu stellen. Ausgangspunkt bilden die Gründung(sgeschichte) der Gesellschaft der Freunde in der Not, deren verklärender Mythos eines männlichen Hilfsvereins dekonstruiert wird, und jene normativen Vorgaben, die für das von Falk getragene Hilfswerk galten. Dies erlaubt schließlich Rückschlüsse auf das Selbstverständnis und die Motivation der Mitglieder jener karitativen Vereinigung. Bei der anschließenden Analyse der Perzipientenstruktur richtet sich der Blick auf die Profiteure der von der Gesellschaft der Freunde in der Not gewährten Unterstützung. Hier wird sich zeigen, ob Geschlecht neben dem Alter, der Religionszugehörigkeit sowie der regionalen und familiären Herkunft als Ausschlusskriterium von karitativer Fürsorge fungierte. Ausgehend von diesen äußeren Bedingungen der Fürsorge stehen im dritten Kapitel die konkreten Fürsorgemaßnahmen im Mittelpunkt und die Frage, inwieweit sich in ihnen Geschlechtervorstellungen widerspiegelten. Wann wurde eine Hilfe gewährt bzw. eine Intervention für notwendig erachtet? Welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Erwartungen an Mütter und Väter? Welche Aufgaben übernahmen dagegen die aktiv karitativ und erzieherisch im Falkschen Institut arbeitenden Frauen und Männer? Hinterfragt wird außerdem die räumliche Strukturierung des Instituts. Spiegelt sich in den Grundrissen der Wohnungen, also beispielsweise im Lutherhof, eine charakteristische Geschlechterhierarchie wider? Gab es spezielle Orte, an denen sich heranwachsende Frauen und Männer begegneten? Welche Erwachsenen hatten Zutritt und konnten aktiv auf Handlungs- und Denkmuster von Schülern, Lehrlingen und Zöglingen Einfluss nehmen? In einem größeren Abschnitt richtet sich der Fokus schließlich auf den Bereich der Arbeit als Ziel der Fürsorgemaßnahmen. In welchem Maße konstituierten spezifische Tätigkeiten bestimmte Geschlechtervorstellungen, sodass den jungen Frauen und Männern unterschiedliche Hilfsangebote unterbreitet wur-

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den? Womit wurde die Zuweisung einer Tätigkeit legitimiert? Das Kapitel untersucht abschließend die Überschreitungen von Geschlechtergrenzen und inwieweit diese Verstöße Sanktionen nach sich zogen. Im vierten Kapitel werden die im Falkschen Institut gelebten Geschlechterpraktiken zu Falks eigenen biographischen Erfahrungen in Beziehung gesetzt. Dabei stehen unterschiedliche Männlichkeitskonzepte im Mittelpunkt, die Falk kannte und nachweislich verwirklichen wollte, weshalb er in Weimar gerade jungen Männern ein vielfältiges Hilfsangebot unterbreitete. Vor dem abschließenden Resümee werden exemplarisch die Lebenswege zweier junger Menschen aus dem Falkschen Institut nachgezeichnet. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die im Falkschen Institut praktizierten Fürsorgeangebote Geschlechtervorstellungen langfristig prägten. Verknüpft werden die unterschiedlichen Perspektiven in der von Clifford Geertz vorgeschlagenen »dichten Beschreibung«112, die unterschiedliche Erfahrungs- und Handlungszusammenhänge bündelt und letztlich nur in mikrohistorischen Studien gewinnbringend zusammengeführt werden kann.113

5. Fürsorge für Heranwachsende in Sachsen-Weimar-Eisenach Wie die oben erörterten bisherigen Forschungen zu den Fürsorgepraktiken und den entsprechenden Einrichtungen in Sachsen-Weimar-Eisenach zeigen, fehlen umfangreiche Studien neueren Datums, die detailliert Kindheit und Jugend im (Groß-)Herzogtum beschreiben.114 Neben dem Aspekt des schulischen Unterrichts,115 sofern dieser im weitesten Sinne 112

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Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1987. Vgl. ebd., S. 35–48. Hans Henning etwa behandelt das Armenwesen Weimars auf zwei Seiten. Vgl. Henning, Hans: Die Entwicklung Weimars in der Zeit der Emanzipation des Bürgertums und im Jahrhundert Goethes 1750 bis 1830, in: Günther, Gitta / Wallraf, Lothar (Hrsg.): Geschichte der Stadt Weimar. Weimar 1976, S. 230–337, hier S. 333f. Das Schulwesen erfuhr in Sachsen-Weimar-Eisenach eine besondere Aufmerksamkeit mit der Durchsetzung der Schulpflicht und der Neuorganisation des Schulwesens, das ab 1815 dem 2. Departement des Staatsministeriums unterstellt war. Vgl. Krumbholz, Paul: Aus der Geschichte der Weimarischen Volksschule unter der Regierung des Großherzogs Karl August, in: Sonderdruck aus den

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als staatliche bzw. kirchliche Sorgfaltspflicht für die Entwicklung junger Menschen verstanden werden kann, wurde Jugendfürsorge nur selten zum Gegenstand der Weimarer Forschungsarbeiten. Nachdem Trude Reis 1931 den Aufbau des Falkschen Instituts untersucht hatte, versuchte Curt Elster zwei Jahre später, die Fürsorge »Minderjähriger«116 im Großherzogtum ausgehend von Bemühungen im 17. Jahrhundert bis in seine Gegenwart zu skizzieren. Das Institut wurde von ihm als »erste[s] Rettungshaus in Deutschland«117 tituliert. Hinter dieser Interpretation verbirgt sich die Vorstellung von einer ›verwahrlosten Jugend‹, der sich Falk angeblich angenommen habe, ohne dass Elster die Eigenständigkeit des Weimarer Instituts in ausreichendem Maße berücksichtigte.118 Dennoch ist am Beispiel dieser wenigen Studien zur Fürsorge und Jugend in Sachsen-Weimar-Eisenach das Wechselverhältnis zwischen Fürsorge und Jugendbegriff unverkennbar.

5.1 Die ›bürgerliche Erfindung‹ der Jugend? Ausgehend von Winfried Speitkamps These, dass »›Jugend‹ nach 1770 im Bürgertum, genau genommen im Bildungsbürgertum«119 erst entdeckt wurde, muss zunächst nach den normativen Ansichten über eine eigenständige Phase der Jugend in Weimar und deren Widerspiegelung im zeitgenössischen Fürsorgeangebot dieser Stadt gefragt werden. Erst mit dem Umbruch der ständischen Gesellschaft um 1800 entwickelte sich allmählich das Bewusstsein von einem Lebensabschnitt des Reifens in der Ado-

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Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 17 (1907), S. 1–25, hier S. 6–8. Elster: Fürsorgeerziehung, S. 1. Ebd., S. 12. Aktuelle Forschungen beleuchten die Armutsdiskurse und -praktiken des 18. und 19. Jahrhunderts viel stärker in ihren einzelnen Facetten und distanzieren sich von verallgemeinernden Aussagen einer teleologischen Entwicklungslinie von Franckes Hilfswerk über die süddeutsche bis zur norddeutschen Erweckungsbewegung. Vgl. Kuhn, Thomas K.: Armut und Protestantismus. Exemplarische Konzepte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, in: Schneider, Bernhard (Hrsg.): Konfessionelle Armutsdiskurse und Armenfürsorgepraktiken im langen 19. Jahrhundert (= Inklusion / Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart; 15). Frankfurt am Main u. a. 2009, S. 199–226, hier S. 200. Speitkamp, Winfried: Jugend in der Neuzeit. Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Göttingen 1998, S. 55.

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leszenz. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde ›Jugend‹ als Synonym für Kindheit verwendet, bezeichnete aber noch keine eigene Zeitspanne im Leben eines Heranwachsenden.120 Im 19. Jahrhundert beschrieb ›Jugend‹ keine gleichaltrige, homogene Sozialformation,121 denn die Lebenswelten und sozialen Wirklichkeiten junger Menschen unterschieden sich zum Teil erheblich voneinander. Dementsprechend existierten disparate Ansichten über die Lebensphase der Adoleszenz, die von Bürgerlichen funktionalisiert und idealisiert wurde.122 Um den Heranwachsenden die Möglichkeit zu bieten, durch Schule, Studium und Bildung einen zunehmend selbst gewählten Platz in der Gesellschaft zu finden, wurde die Jugendzeit in bürgerlichen Kreisen quasi künstlich verlängert. Damit ging gleichzeitig eine Ausweitung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Kindern und Eltern einher, die wiederum die Grundlage für die Vermittlung bürgerlicher Werte und Lebensentwürfe bildete.123 Während adoleszente Bürgerliche das Jungsein selbst als labile Phase in ihrem Leben wahrnahmen, weil sie in dieser Zeit nicht selten Konflikte und Orientierungslosigkeit erlebten, verklärte die ältere Generation jene Lebensphase. Diesen Vorstellungen entsprechend, sollten Heranwachsende Ideale ausbilden, sich der Schwärmerei hingeben, nach Höherem und nach der »Fülle des Herzens« streben und sich eine gute »Gesittung und Lebensart« aneignen.124 120

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Vgl. Art. »Unterweisung der Jugend«, in: Zedler Bd. 49, Sp. 2309–2315. Diese Verwendung hat zur Folge, dass der Begriff in wissenschaftlichen Darstellungen auch für das 19. Jahrhundert vermieden wird oder eine Reflexion darüber fehlt. Vgl. Schlumbohm, Jürgen (Hrsg.): Kinderstuben. Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden. 1700–1850. München 1983; Budde, Gunilla-Friederike: Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840–1914 (= Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte; 6). Göttingen 1994. Vgl. auch Caron, Jean-Claude: Jugend und Schule. Gymnasiasten in Frankreich und Europa (1780–1880), in: Levi, Giovanni / Schmitt, Jean-Claude (Hrsg.): Geschichte der Jugend. Bd. 2. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 1997, S. 167–238, hier S. 169. Vgl. Herrmann, Ulrich: Historische Bildungsforschung und Sozialgeschichte der Bildung. Programme – Analysen – Ergebnisse. Weinheim 1991, S. 156; Sieder, Reinhard: Der Jugendliche in der Familie, in: Mitterauer, Michael / Sieder, Reinhard (Hrsg.): Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie. München 1991, S. 126–148, hier S. 127–133. Zur Jugend in der Frühen Neuzeit vgl. Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. Bd. 1. Das Haus und seine Menschen. 16.–18. Jahrhundert. München 1999, S. 121–132. Vgl. Dülmen: Haus, S. 131f. Vgl. Herrmann: Bildungsforschung, S. 157f. u. 203.

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Ganz anders gestaltete sich etwa das Jugendalter von heranwachsenden Handwerkern, Arbeitern, Bauern oder Tagelöhnern. Sie waren zumeist aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus gezwungen, bereits von Kindheit an zu arbeiten und damit einen durchaus relevanten Beitrag zum finanziellen Auskommen der Familie zu leisten. Im Gegensatz zu Adoleszenten aus dem Bürgertum unterlagen sie geradezu einem Zwang des raschen Heranwachsens, ohne dass sie eine längere Phase der Ausbildung, des Selbstfindens oder der Orientierung durchlaufen konnten. Aus Sicht des Bürgertums erschienen diese jungen Erwachsenen deswegen als sexuell frühreif und unmoralisch,125 sodass die negative Zuschreibung des Wortes ›Jugendlicher‹ am Ende des 19. Jahrhunderts – insbesondere im Umfeld von Strafgesetztexten – kaum verwundert.126 Ausgehend von der Wahrnehmung anderer Lebensweisen jenseits des bürgerlichen Erfahrungshorizonts entwickelte sich ein negativ konnotiertes Jugendkonzept zur Beschreibung dieses Lebensabschnitts außerhalb des Bürgertums: »Der ›Jugendliche‹ ist also der sittlich Verwahrloste, der Bummelant, der Ungehorsame, der Brutale – der Auffällige, Abweichende, Kriminelle.«127 Vor dem Hintergrund der als krisenhaft wahrgenommenen Lebensphase ermahnte Johannes Falk 1819 die Mitglieder der Immediatkommission für das Erziehungs- und Unterrichtswesen, sich gerade der Jugend anzunehmen:128 »Durch und durch, nicht halb muß diese heilige Sache ergriffen, beherzigt und ausgeführet werden, soll die Jugend den Einwirkungen eines höchst gefährlichen, mit allen Künsten der Dialektik bewaffneten ZeitGeistes nicht länger blos gestellet bleiben.«129 Angehörige des (Bildungs-)Bürgertums – wie Johannes Falk – werteten die Jugend, das heißt den »so schädlichen Abschnitt, zwischen Schule und bürgerliche[m] Leben«130, mit dem gesteigerten Interesse an dieser 124 125 126

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Ebd., S. 158; vgl. auch ebd., S. 205. Vgl. ebd., S. 207. Vgl. Triest, L.: Art. »Jugendliche Verbrecher«, in: Staats-Lexikon Bd. 8, S. 675–688. Herrmann: Bildungsforschung, S. 208. 1815 nahm die bis 1837 existierende Immediatkommission für das Erziehungsund Unterrichtswesen ihre Arbeit auf. Zur Gründung der Immediatkommission 1815 vgl. Protokoll der Immediatkommission für das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Weimar 19.04.1826, in: ThHStAW B 4396, Bl. 219r.–230v., hier Bl. 219v.–221r. Vgl. Krumbholz: Volksschule, S. 6. Schreiben Johannes Falks an die Immediatikommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, [Weimar 1819], in: ThHStAW B 4396, Bl. 53v. Entwurf: Zweck der Gesellschaft der Freunde in der Noth zu Ilmenau, Ilmenau 31. August 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 200r.–201r., hier Bl. 200v.

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Entwicklungsphase auf. Schließlich hatten sie in ihrer eigenen Jugend erfahren, wie wichtig Erziehung, Schule, Berufsbildung, Studium und Selbstbildung waren, um eine berufliche Perspektive zu erhalten, am geselligen Leben teilhaben zu können oder wirtschaftliche Innovation voranzutreiben.131 Die in bürgerlichen Lebenskreisen ausgeprägte Jugendvorstellung als eine Art Moratorium132 konnte nicht auf die Lebensverhältnisse von heranwachsenden Handwerkern, Arbeitern, Tagelöhnern oder Bauern in Sachsen-Weimar-Eisenach übertragen werden. Trotzdem erkannte Johannes Falk, dass Heranwachsende aus allen gesellschaftlichen Gruppen durch ihre Neugier für alles Unbekannte leicht zu beeinflussen waren, wobei sie – je nach Standpunkt – nicht immer durch wünschenswerte Inhalte geprägt wurden.133 Deswegen hat Falk seine Arbeit auf die Lebensphase nach dem Schulaustritt und der Konfirmation konzentriert,134 »eh der leichtsinnige JugendFehler, durch Verhärtung zum strafbaren, oft todwürdigen Verbrechen ausartete!«135 131

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Vgl. Herrmann: Bildungsforschung, S. 203. Zu Johannes Falks eigener Kindheit und Jugend vgl. Kapitel IV.1. Vgl. Herrmann, Ulrich: Familie, Kindheit, Jugend, in: Berg, Christa (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 3. 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches. München 1987, S. 53–69. Vgl. Brief [Abschrift] Johannes Falks, Weimar 9. Juli 1818, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 6v.–9v., hier Bl. 9r. Dieser Zeitpunkt markiert für Falk den Beginn der Jugend. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 267. Falk sprach auch öffentlich die Jugend als zu warnende gemeinsame Gruppe an, indem er ihr falsche Verhaltensweisen ihrer Altersgenossen vor Augen führte. Vgl. NationalZeitung der Deutschen, 19. Stück vom 10.05.1820, Sp. 342–345. An anderer Stelle bemerkte Falk, dass »nach der Confirmation« der richtige »Zeitpunkt für solche Buben« sei »etwas zu thun«. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottfried Kranz, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 180r.–183r., hier Bl. 182v. Zur Bedeutung der Konfirmation im 19. Jahrhundert vgl. Gestrich, Andreas: Traditionelle Jugendkultur und Industrialisierung. Sozialgeschichte der Jugend in einer ländlichen Arbeitergemeinde Württembergs 1820–1920 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 69). Göttingen 1986, S. 74–77. Falk, 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I 205 Protokolle 1816, Bl. 129v.– 130r. Vgl. auch Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VIII. In den Augen der Zeitgenossen stellten Herumziehende eine besondere Gefahr dar, weil sie Jugendliche als faszinierendes, aber negatives Vorbild leicht beeinflussen konnten. Vgl. Aussage Franz Krippendorfs über den

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Für die weitere Entwicklung junger Menschen nach dem Ende der Schulzeit bestand – neben dem Phänomen des »jugendliche[n] Leichtsinn[s]«136 – in Falks Augen ein strukturelles Problem, blieben doch Heranwachsende am Übergang von der Schule in das Erwachsenenleben sich selbst überlassen. Außer für Gymnasiasten fiel für die Mehrzahl der 13und 14-Jährigen – abgesehen von familiären Interventionen – jegliche pädagogische Beaufsichtigung weg.137 »[D]ie trostlosen Abgründe, welche sich für die Jugend, durch das plötzliche Loslassen derselben von geistl[icher] Zucht und Aufsicht nach den Confirmationsjahren eröffnen«138, waren letztlich ein Ausdruck der ungeklärten Fürsorgefrage und -kompetenz. Der sich daran entzündende Streit prägte im gesamten 19. Jahrhundert die pädagogische Diskussion.139 Die Verantwortlichen des Instituts verbanden mit ihrer besonderen Aufmerksamkeit für Heranwachsende zwei unterschiedliche Zielsetzungen, die einander wechselseitig bedingten. Einerseits sollten junge Menschen in die sich wandelnde Gesellschaft des 19. Jahrhunderts integriert werden, um so deren Stabilität dauerhaft zu gewährleisten. Andererseits wollten sie jedem Einzelnen geeignete Möglichkeiten bieten, um die soziale Integration erfolgreich zu gestalten. Auf der Begleitung und Steuerung eben dieses Prozesses basierte das Fürsorgebestreben im Falkschen Institut.

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14-jährigen Georg Denner [Abschrift], [Apolda ] o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 468r.–469r., hier Bl. 468v.–469r. Brief des großherzoglich sächsischen Justizamtes Crayenberg an Johannes Falk, Tiefenort 19. November 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 595r.–597r., hier Bl. 595v. Vgl. auch die Adaption dieser Überzeugung in Falks literarischen Arbeiten: Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Friedrich Heerdegen, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 12r.–16r., hier Bl. 12v. Wenngleich das Gymnasium zu den wenigen Institutionen gehörte, die auch junge Menschen weiterbildete, kritisierte Falk, dass Gymnasiasten durch die vielen Feiertage und Ferien oft ohne Aufsicht blieben und in dieser Zeit keine eigenen oder von ihren Lehrern zusätzlich angebotenen Studien betrieben. Vgl. Falk, Johannes: Von dem einen, was unsern Gymnasien und Volksschulen in ihrem jetzigen Zustande Noth thut, in: Johannes Falk. Pädagogische Schriften. Bearb. von Ernst Schering (= Kleine Pädagogische Texte; 40). Weinheim und Berlin 1967, S. 11–60, hier S. 49f. Brief Johannes Falks an Großherzog Carl August, [Weimar] o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 354r.–355v., hier Bl. 355r. Vgl. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 37 vom 07.05.1819, S. 170. Vgl. Herrmann: Bildungsforschung, S. 231.

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Als Gegenbild zur erzogenen und in die Gesellschaft integrierten Jugend entwarf Falk das Schreckensszenario einer »verfallenen Jugend, die weit eher den Fall der Städte herbeyzuführen, als sie in Flor zu erhalten bestimmt schien«.140 Nur wenige Jahre zuvor hatte die von einer jungen Generation getragene und auf eine bessere Zukunft gerichtete Französische Revolution im Nachbarland des Alten Reiches ein jahrhundertealtes Herrschafts- und Gesellschaftsmodell gestürzt.141 Heranwachsenden wurde nach der Französischen Revolution und mit Herausbildung einer an politischem Einfluss gewinnenden öffentlichen Meinung eine besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht, der Rousseaus Gedanke zu Grunde lag, dass die »Transformation der Gesellschaft vorzugsweise über die Erziehung des aufgeklärten Staatsbürgers erfolge«.142 Aus Angst vor ähnlichen Entwicklungen wie im benachbarten Frankreich und angesichts der nach dem Ende der napoleonischen Fremdherrschaft einsetzenden, von Studenten der benachbarten Universitätsstadt Jena getragenen nationalen Bewegung folgte Falk dem Beispiel Rousseaus, sich ausdrücklich und längerfristig der Jugend anzunehmen.143 Letztlich versuchte Johannes Falk, nicht nur dem einzelnen jungen Menschen gerecht zu werden. Mit seinem Engagement verfolgte er einen darüber hinausreichenden und auf das gelingende gesellschaftliche Zusammenleben abzielenden Zweck, um zu verhindern, dass die »neuen Brutusse – aus Tertia mit Dolchen einander anfallen, und [mit] dem Untergang eines Wochenblattes oder Zeitung die Rettung Deutschlands suchen«.144 Längst nicht alle Verantwortlichen im Großherzogtum teilten Falks Position. Im Frühjahr 1817 wandte sich der Landtag mit der Bitte an Großherzog Carl August, einer weiteren Ausdehnung des Falkschen Instituts entgegenzuwirken und es unter staatliche Kontrolle zu stellen.145 140

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Brief Johannes Falks an Familie Andlaw-Birseck, Weimar 3. September 1824, in: GSA NZ 19/07,1, S. 721–723, hier S. 721. Ob Falk in Kontakt zu einem bestimmten Familienmitglied der in Freiburg im Breisgau ansässigen adligen Familie stand, konnte nicht ermittelt werden. Vgl. Wellmer, Martin: Art. »Andlaw-Birseck«, in: NDB Bd. 1, S. 272f. Vgl. Kruse, Wolfgang: Die Französische Revolution. Paderborn 2005, S. 7. Caron: Jugend und Schule, S. 172. Zur nationalen Jugendbewegung vgl. Speitkamp: Jugend, S. 66–71. Falk, 1819, in: ThHStAW B 4396, Bl. 53v. Vgl. Reskript Großherzog Carl Augusts an die Landesdirektion, Weimar 19. März 1817, in: ThHStAW B 4850aa, Bl. 1r.–3r., hier Bl. 1r.; vgl. auch die entsprechenden Quellen zur Landtagsverhandlung 1817, in: ThHStAW Bestand Landtag 67, Protokolle 1817.

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Der Landesdirektionsrat Johann Wilhelm Carl Ludecus brachte seinen, die Jugendproblematik banalisierenden Standpunkt zum Ausdruck: »[...] allein ich darf kühn behaupten, daß die Umstände der Jahre 1813 und 1814 ganz verschieden mit der gegenwärtigen Lage des Landes sind, daß daher der Nothstand, aus welchen der hohe Grad der Verwilderung der Jugend ausgegangen ist, nicht mehr existirt, und daß daher auch die damals nöthigen Maasregeln iezt keinesweges erförderlich sind, mithin das Falksche Institut, zumal in seiner ietzigen Ausdehnung, überflüssig erscheint.«146

Ludecus verwies in seiner Argumentation auf die Kriegsjahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Falks besondere Fürsorge für die Jugend legitimierten, und war überzeugt, dass mit dem Ende jener existentiellen Notlage keine spezielle Sorgfaltspflicht mehr geboten sei. Ihm war offenbar nicht bewusst, wem die Wohltaten der Gesellschaft der Freunde in der Not galten. Es gebe – so Ludecus – mit dem Waisenhaus und der Freischule genügend Einrichtungen, welche die Aufgaben des Falkschen Instituts kompensierten. Dass diese Institutionen allerdings in der Mehrzahl nur Kinder bis zum Schulaustritt unterstützten und damit den Bedürfnissen des vom Falkschen Institut in den Mittelpunkt gestellten Lebensabschnitts der Jugend nur ungenügend gerecht wurden, vergegenwärtigte er sich nicht. Verantwortungsträger des 19. Jahrhunderts, wie etwa Ludecus, beunruhigte in diesem Zusammenhang vielmehr, dass ein Zuviel an Unterricht im Volk zwangsläufig zu Unzufriedenheit führen könnte, weil einem Großteil trotz guter schulischer Kenntnisse ein sozialer Aufstieg versperrt bleibe.147 Andere Verantwortliche, wie die Regierung des Eisenacher Landesteils, erkannten dagegen sehr wohl, dass Falk mit seinem Institut in der Lage war, den »jugendl[ichen] noch unentwickelte[n] Charakter«148 positiv zu beeinflussen. Wie die Äußerung der Eisenacher Regierung bestätigt, bestand entgegen Ludecus’ Meinung im Großherzogtum sehr wohl ein Bedarf an der auf junge Menschen ausgerichteten fürsorglichen Hilfe durch das Falksche Institut. Wie bereits erläutert, existierten in der zeitgenössischen Wahrnehmung um 1800 unterschiedliche, standes- bzw. schichtabhängige Konzepte von Jugend. Demzufolge greift es zu kurz, das Falksche Institut lediglich mit dem im 19. Jahrhundert eine Hochkonjunktur erfahrenden Konzept des ›unerzogenen und verwahrlosten Jugendlichen‹ in Verbindung zu brin146 147 148

ThHStAW B 4850aa Acta der Landesdirection, Bl. 34r. Vgl. Caron: Jugend und Schule, S. 185. Schreiben der eisenachischen Regierung an Johannes Falk, Eisenach 7. November 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 478v.–480r., hier Bl. 478v.

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gen,149 beeinflusste doch die Bandbreite an Vorstellungen über Jugendliche die Fürsorgearbeit des Weimarer Instituts. Ungeachtet der verschiedenen Ausprägungen von Jugend lag allen Annahmen die Erwartung zu Grunde, Heranwachsende bzw. junge Erwachsene entsprechend den Bedürfnissen und ökonomischen Gegebenheiten der Gesellschaft erfolgreich in die Gruppe der Erwachsenen integrieren zu können. Angesichts sich verändernder gesellschaftlicher Strukturen und eines bereits in den vorangegangenen Jahrhunderten nicht mehr ausschließlich von der Kirche bestimmten und sich im Wandel befindlichen Wertesystems wurde die besondere Fürsorge für Heranwachsende immer bedeutsamer.150 In Sachsen-Weimar-Eisenach gab es erst im 19. Jahrhundert verschiedene Verordnungen, in denen Altersangaben die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter zumindest formal strukturierten. Sie stimmten mit den von Falk geäußerten Zäsuren im Wesentlichen überein: Nach der Revision des Schulwesens 1817 wurde das Ende der Schulpflicht für Mädchen auf das 13., für Jungen auf das 14. Lebensjahr festgesetzt,151 wobei eine flächendeckende allgemeine Schulpflicht im Großherzogtum erst ab 1821 mit dem Gesetz über Schulferien, Schulversäumnisse und deren Ahndung existierte.152 Aus dem 1821 in Kraft getretenen Gesetz über die Innungen und Zünfte geht hervor, dass die Lehrzeit nach dem 14. Lebensjahr beginnen sollte.153 1826 erließ der Großherzog ein Gesetz, mit dem die Volljährigkeit auf das vollendete 21. Lebensjahr festgesetzt wurde.154 Was Jugend bedeutet, wann sie beginnt oder endet bzw. welchen Zäsuren sie unterworfen ist, ist stets aus den spezifischen historischen Gegebenheiten zu ermitteln.155 Oft führen Daten wie Heiratsalter, Grün149 150

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Vgl. Roth, Lutz: Die Erfindung des Jugendlichen. München 1983, S. 109f. Vgl. Herrmann, Ulrich: Die Pädagogisierung des Kinder- und Jugendlebens in Deutschland seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Martin, Jochen / Nitschke, August (Hrsg.): Zur Sozialgeschichte der Kindheit (= Veröffentlichungen des »Instituts für Historische Anthropologie e.V.«; 4), Freiburg und München 1986, S. 661–683, hier S. 666–668. Vgl. Henning: Weimar, S. 331; Hartung: Großherzogtum, S. 398. Vgl. Krumbholz: Volksschule, S. 22. Vgl. Gesetz vom 15.05.1821 über die Innungen und Zünfte, in: Göckel Bd. 2.2, S. 872–927, hier S. 881. Vgl. Gesetz über die Volljährigkeit und Eidesmündigkeit vom 07.05.1826, in: Göckel Bd. 2.2, S. 1462f. Vgl. Kroll, Stefan: Bildung und Ausbildung Stralsunder Kinder und Jugendlicher zu Beginn des 18. Jahrhunderts – Ein Überblick, in: Buchholz, Werner

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dung eines Hausstandes, Aufnahme einer Arbeit oder das Verlassen der Herkunftsfamilie, die darüber hinaus zumeist an männlichen Biographien orientiert sind, zu falschen Annahmen über die jeweils festgelegte Dauer der Jugend.156 Deshalb erscheint es für die Argumentation der vorliegenden Arbeit sinnvoll, die von Falk selbst angeführten Kriterien als Eckpunkte anzuerkennen, welche die Jugendphase umschlossen, keinesfalls aber starr fixieren. Das Engagement der Gesellschaft der Freunde in der Not konzentrierte sich auf jenen Lebensabschnitt, der sich an die unter der unmittelbaren Obhut des Elternhauses stehende Kindheit anschloss und mit dem Abschluss einer über die Schulzeit hinausgehenden Ausbildung bzw. eines Studiums endete. Je nach persönlicher Lebenssituation konnten die Zeitspanne und der Beginn variieren, weshalb im weiteren Verlauf der Studie neben dem selten verwendeten und anachronistischen Begriff des ›Jugendlichen‹ sowohl von ›Heranwachsenden‹ als auch von ›jungen Frauen‹ und ›Männern‹ die Rede sein wird.157 Die Begriffe entsprechen – wenngleich nicht auf den ersten Blick – den häufig in den Quellen anzutreffenden Termini ›Mädchen‹ bzw. ›Junge‹ oder ›Knabe‹, die noch um 1800 nicht ausschließlich Töchter und Söhne im Kindesalter bezeichneten, sondern für unverheiratete, zum Teil in Dienstverhältnissen stehende junge Frauen und Männer verwendet wurden.158

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(Hrsg.): Kindheit und Jugend in der Neuzeit. 1500–1900. Stuttgart 2000, S. 177–189, hier S. 177. Vgl. Mitterauer, Michael: Sozialgeschichte der Jugend (= Neue Historische Bibliothek. Edition Suhrkamp. Neue Folge; 278). Frankfurt am Main 1986, S. 44–47. Michael Mitterauer selbst schlägt vor, das Heiratsalter als Endpunkt der Jugend anzunehmen. Vgl. ebd., S. 47f. Die ambivalente, aber häufig unreflektierte Verwendung der Begrifflichkeiten ist bei vielen Studien zu beobachten und zu kritisieren. So überschreibt Brigitte Streich ihre Arbeit mit »Kindheit und Jugend um 1900«, obwohl sie den Alltag von Kindern untersucht und nur einen sehr kleinen Abschnitt dem Erwachsenwerden widmet oder selten Begriffe wie ›junge Frauen‹ oder ›Männer‹ verwendet. Vgl. Streich, Brigitte: Wiesbaden. Kindheit und Jugend um 1900. Erfurt 2009, S. 42 und 89–95. Vgl. Mitterauer, Michael: Gesindedienst und Jugendphase im europäischen Vergleich, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 177–204, hier S. 177f.; Mitterauer, Michael: Familie und Arbeitsteilung. Historisch vergleichende Studien (= Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte; 26). Wien, Köln und Weimar 1992, S. 301f. Vgl. auch Art. »Knabe«, in: Zedler Bd. 15, Sp. 990f. Zur Verwendung der unterschiedlichen Geschlechtsbezeichnungen in Abhängigkeit von Alter und Stand vgl. Hardach-Pinke, Irene: Bleichsucht und Blütenträume. Junge Mädchen 1750–1850 (= Geschichte und Geschlechter; Sonderband). Frankfurt am Main 2000, S. 16–18.

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5.2 Jugendfürsorge am Beginn des 19. Jahrhunderts Die Fürsorgepraxis im (Groß-)Herzogtum Sachsen-Weimar(-Eisenach) war im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert auf Kinder oder Erwachsene ausgerichtet, ohne ein besonderes Augenmerk auf die Jugend zu lenken. Seit dem 17. Jahrhundert gehörten in den thüringischen Kleinstaaten Waisen-, Zucht- und Armenanstalten zum festen Bestandteil herrschaftlicher Repräsentation, wobei trotz der unterschiedlichen Bezeichnungen nur selten die Hilfe bzw. Intervention an den individuellen Bedürfnissen der Insassen ausgerichtet wurde. Arme, Waisen, Bettler, Kriminelle und Kranke wurden häufig nicht voneinander getrennt, sondern in einer gemeinsamen Institution untergebracht.159 In der Regierungszeit des Herzogs Wilhelm Ernst entstand 1712/13 ein Zucht- und Waisenhaus in der Residenzstadt an der Ilm. Für die Finanzierung dieser und anderer Einrichtungen waren die Insassen selbst verantwortlich; ein Leipziger Kaufmann übernahm den Vertrieb der in Weimar durch die Waisen und Gefangenen gesponnenen Wolle, während an das 1713 gegründete Zuchtund Waisenhaus eine Buchdruckerei angegliedert war.160 In der Regel verließen die Kinder das Waisenhaus im Alter von 12 bis 14 Jahren, womit auch die öffentliche Fürsorge endete:161 Die jungen Männer gingen zu Meistern in die Lehre und junge Frauen wurden als Haushaltshilfen an Familien vermittelt. Der im 18. Jahrhundert geführte Waisenhausstreit162 blieb für Weimar nicht folgenlos. Das städtische Waisenhaus war schon 13 Jahre vor Falks Ankunft in Weimar 1797 geschlossen worden. In Gera wurde die Anstaltserziehung erst 1824 zu Gunsten der Pflegefamilienerziehung eingestellt.163 Alle Waisen wurden ihren Familienangehörigen übergeben oder bei Pflegefamilien untergebracht.164 So entstand die Debatte, ob Waisenhäuser oder Pflegefamilien die bessere Unterbringung und Erziehung für Kinder gewährleisten konnten.165 Weil die Waisen dem Gemeinwesen 159 160 161

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Vgl. Ventzke: Fürsorge, S. 316f. Vgl. ebd., S. 318. Vgl. Günther, Wilhelm Christoph: Die Waisen im Großherzogthum SachsenWeimar. Geschichte der Versorgungsanstalt der Waisen durch Privaterziehung in Familien, nebst ihrem Erfolg binnen vierzig Jahren. Weimar 1825, S. 115. Vgl. Neumann, Josef N.: Der Waisenhausstreit, in: Sträter, Udo / Neumann, Josef N. (Hrsg.): Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit (= Hallesche Forschungen; 10). Tübingen 2003, S. 155–167. Vgl. Wagner: Zucht- und Waisenhaus, S. 329. Vgl. Günther: Waisen, S. 57. Vgl. Neumann: Waisenhausstreit, S. 156f.

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nicht mehr längerfristig zur Last fielen, sondern zu »Mägden, Knechten, Bauern und Handwerkern«166 erzogen werden sollten, erachteten Befürworter der Familienerziehung die Unterbringung in Bauern- oder Handwerkerfamilien auf dem Lande als adäquates Mittel zur Umsetzung ihrer Vorstellungen. Ihrer Ansicht nach wurden Kinder durch praktische Beschäftigung am besten auf eine spätere Erwerbstätigkeit vorbereitet.167 Fürsorgepraktiken unterschieden vor und um 1800 kaum zwischen Hilfebedürftigen und zu sanktionierenden Gruppen. Die fehlende Differenzierung spiegelt sich auch in den Strukturen von Fürsorge wider. Verantwortungsträger wie etwa der Oberkonsistorialrat und Waisenhausdirektor Wilhelm Christoph Günther standen in Personalunion sowohl sanktionierenden als auch karitativen Einrichtungen vor. Falk empörte es, »daß H[er]r Oberkonsistorial[rat] Günther zugleich die Oekonomieverwaltung in Oberweimar und die Konsistorialgeschäfte verwaltet, und abwechselnd also die Schule, das Waisenhaus, die Ställe, das Zuchthaus, die Kanzel, die Polizey und den Altar besucht«.168 Diese strukturellen und personellen, als defizitär empfundenen Verflechtungen der öffentlichen Fürsorge dürften Anlass genug dafür gewesen sein, dass um 1800 verstärkt auf Initiative einzelner Vereine oder Personen Institutionen entstanden, die auf unterschiedliche Weise den Prozess des Heranwachsens begleiteten. Es ist auffällig, dass dieses Engagement nicht einfach nur fortgesetzten Unterricht oder eine Unterstützung anbot, sondern geschlechterspezifisch ausgerichtet war. Denn abgesehen von der zunehmenden pädagogischen Bedeutung, die der Phase der Jugend im 19. Jahrhundert zugesprochen wurde, betonte die Forschung deren wachsende Funktion für die individuelle geschlechtliche Entwicklung: »Vor dem 19. Jahrhundert«, so beispielsweise John Gillis, »waren die Kinder wie kleine Erwachsene, ausgestattet mit allen äußerlichen Kennzeichen der Männlichkeit und Weiblichkeit. Da sie früher [...] auch den geschlechtlichen Umgang Erwachsener miterlebten, hatten sie viel weniger Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit den eigenen körperlichen Veränderungen.«169 166 167 168

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Ebd., S. 167. Vgl. Grindel: Armenpolitik, S. 330. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Karl Friedrich Horn, [Weimar] 24. Dezember 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 109r.–110r., hier Bl. 110r. Gillis, John R.: Geschichte der Jugend. Tradition und Wandel im Verhältnis der Altersgruppen und Generationen in Europa von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Weinheim und Basel 19842, S. 22.

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Das 1797 in Weimar von Jean Joseph Mounier, einem französischen Flüchtling und vormaligen Präsidenten der Nationalversammlung, gegründete Institut für »höhere Stände«170 beispielsweise fungierte weniger als Fürsorgeeinrichtung im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr als Bildungsanstalt für 14- bis 20-jährige junge Männer.171 Nicht nur das mouniersche Institut besaß eine dezidiert geschlechterspezifische Ausrichtung. Eines der ersten Weimarer Institute für die Erziehung und Bildung von Mädchen leitete seit 1771 Rosine Marie Meyer (1738–1834).172 Eine ähnliche Einrichtung zur weiblichen Erziehung wurde von Charlotte Hose (1793–1857) in Eisenach gegründet.173 Im Mai 1821 inserierte die Tochter des Bildhauers und Lehrers an der Zeichenschule Heinrich Hose (1765–1841) im »Eisenachischen Wochenblatt«, dass sie Mädchen und jungen Frauen neben Französisch- und Deutsch- auch Zeichen- und Handarbeitsunterricht erteile.174 In dieser von der großherzoglichen Familie unterstützten Privateinrichtung orientierte sich der Unterricht rasch an den Bedürfnissen der 6- bis 14-jährigen Schülerinnen, die als Pensionärinnen vermutlich mehrheitlich aus bürgerlichen Elternhäusern stammten. Die anfänglichen Unterrichtsinhalte erweiterte Charlotte Hose durch Religion, grammatische und rhetorische Stilübungen, Mythologie, Geschichte sowie Musik und Gesang.175 Private Institutionen wie Hoses 170

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Tümmler, Hans: Das klassische Weimar und das große Zeitgeschehen. Historische Studien. Köln und Weimar 1975, S. 44. Zum mounierschen Institut vgl. Pestel, Friedemann: Weimar als Exil. Erfahrungsräume französischer Revolutionsemigranten 1792–1803 (= Deutsch-französische Kulturbibliothek; 28). Leipzig 2009, S. 234–251; Schau, Reinhard: Das Weimarer Belvedere. Eine Bildungsstätte zwischen Goethezeit und Gegenwart. Köln 2006, S. 31f.; Bruford, Walter H.: Kultur und Gesellschaft im klassischen Weimar 1775–1806. Göttingen 1966, S. 366f. Vgl. Art. »Rosine Marie Meyer«, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 12 (1834). 2. Teil, S. 908–912. Auch für die anderen Landesteile des (Groß-)Herzogtums sind Gründungen von Erziehungs- und Ausbildungsinstituten für Mädchen und junge Frauen belegt. Wilhelmine Löbel gründete 1816 eine Schule für »Töchter der gebildeten Stände zu Jena«, die später nach Weimar übersiedelte und unter anderem von Charlotte Leidenfrost weitergeführt wurde. Vgl. ThHStAW B 4761a1; Löbels Anzeigen im Weimarischen Wochenblatt, Nr. 77 vom 25.09.1818, S. 340 und Nr. 97 vom 04.12.1818, S. 424. Ursprünglich hatte Caroline Wuttig die Gründung einer solchen Einrichtung in Weimar beabsichtigt. Wuttig realisierte nach dem Umzug des Löbelschen Instituts diesen Gedanken in Jena. Vgl. ThHStAW B 4761c. Vgl. Schmidt, Eva: Johann Heinrich Hose. Ein Bildhauer und Zeichner der Goethezeit in Eisenach. Maschinenschriftl. Mskr. Weimar 1974, S. 101f. Vgl. ebd., S. 104–108.

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Einleitung

Institut waren ganz auf ihre Leiterinnen ausgerichtet, die nicht nur als Pädagoginnen, sondern als Unternehmerinnen auf einem im Laufe des 19. Jahrhunderts immer härter umkämpften Bildungsmarkt agierten.176 Zu explizit geschlechterspezifisch ausgerichteten Fürsorgeinstitutionen zählte das 1795 von Herzog Carl August unterstützte Apoldaer Institut für die weibliche Jugend177. Johanna Wilhelmine Löwe, Frau des Perückenmachers Christian August Löwe, unterhielt dort eine Unterrichtsanstalt, in der Mädchen und jungen Frauen bis zum 20. Lebensjahr die verschiedensten Handarbeitstechniken gelehrt wurden. Für das Ehepaar Löwe war der Betrieb des Instituts eine wichtige Erwerbsquelle, weil Christian August Löwe mit Konkurrenz in seinem Handwerk und einem generellen Bedeutungsverlust der Perückenanfertigung zu kämpfen hatte.178 Obwohl sich die Landstände schon 1792 für die Errichtung eines Arbeitshauses in Apolda ausgesprochen und gewarnt hatten, dass das »Publicum nur von einer Branche der Bettelnden, von den Mägden, befreyet, das noch weit größere Heer der Jungen aber nach wie vor der Nachbarschaft und dem Lande eine fortdauernde drückende Last«179 bleibe, unterstützte Carl August den Plan zur Institutsgründung. Apolda hatte nach 1730 den Zenit als Zentrum der Strumpfwirkerei in SachsenWeimar-Eisenach überschritten und galt als ›Bettelfabrik‹ in der Residenz.180 Der spätere akademische Gerichtsdirektor Johann Christoph Hamisch hatte dem Herzog 1794 geklagt, dass die jungen Frauen Apoldas »von Jugend an weiter nichts lernen als Schaaf-Wolle abthun, spinnen 176

177 178

179

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Vgl. Glaser, Edith: Lehrerinnen als Unternehmerinnen, in: Baader, Meike Sophia / Kelle, Helga / Kleinau, Elke (Hrsg.): Bildungsgeschichten. Geschlecht, Religion und Pädagogik in der Moderne. Festschrift für Juliane Jacobi (= Beiträge zur Historischen Bildungsforschung; 32). Köln, Weimar und Wien, S. 179–193, hier S. 180. ThHStAW B 4757 und 4757a. Vgl. Schreiben Johann Christoph Hamischs an Herzog Carl August, Apolda 29. April 1794, in: ThHStAW B 4757, Bl. 1r.–4r., hier Bl. 2v. Bericht der Landstände an Herzog Carl August, Weimar 5. November 1795, in: ThHStAW B 4757a, Bl. 8r.–10r., hier Bl. 9v. Vgl. Reith, Reinhold: Lohn und Leistung. Lohnformen im Gewerbe 1450–1900 (= VSWG. Beihefte; 151). Stuttgart 1999, S. 155. Vgl. allgemein zu Apolda die biographische Einzelfallstudie zu Christian Zimmermann von Kaiser, Tobias: Vom Strumpfwirkermeister zum Unternehmer. Der Aufstieg des Christian Zimmermann und seine Bedeutung für die Stadt Apolda, in: Hahn, Hans-Werner / Greiling, Werner / Ries, Klaus (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert. Rudolstadt 2001, S. 253–280; Ventzke: Herzogtum, S. 193–195.

Fürsorge für Heranwachsende

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Würcker-Strümpfe zu sammen, nähen, walken«181 und »es das gewöhnliche Loss dieser in der Jugend versäumten Mädchen ist, daß selbige von andern gemeinen weiblichen Arbeiten, als Flachs- und Baumwolle-Spinnen, Stricken, Nähen, keine Kentniß erlangen«.182 Weil aber die heranwachsenden Frauen »bei dem immer höher steigenden Luxus, mehr Bedürfniße zu befriedigen haben«, finden sie kein Auskommen, weshalb sie auf »schädliche Nebenwege verleitet werden« oder »schon in früher Jugend den Bettelstaab ergreifen«.183 Obwohl die Aufnahme im Institut nicht an die soziale Herkunft geknüpft war und »die hiesige weibliche Jugend, sowohl aus der ärmeren, als wohlhabenden Claße«184 am Unterricht teilnahm, hatte Johanna Wilhelmine Löwe – so die öffentliche Meinung 1801 – entscheidenden Anteil daran, »daß unter der ärmeren VolksClaße das Baumwolle Spinnen und Krämpeln in Gang gekommen ist, wofür man sonst, zur Zeit des Fabrik Flors, keinen Sinn zu haben schien«.185 Bereits im Apoldaer Institut für die weibliche Jugend deutete sich an, dass dem Hilfsangebot unterschiedliche Formen von Weiblichkeitsentwürfen zu Grunde lagen. Einerseits sollte der Unterricht, in dem auch Ordnung, Sauberkeit, Fleiß und moralisches Verhalten vermittelt wurden, die Heranwachsenden zu »künftigen geschickten Haußmüttern«186 bilden. Als Hausmutter hätten die jungen Frauen mit dieser Tätigkeit etwas zum Haushaltseinkommen beitragen bzw. selbst Kleidungsstücke des Eigenbedarfs ausbessern oder herstellen können. Andererseits eröffnete die Ausbildung für ärmere Bevölkerungsgruppen Beschäftigungsmöglichkeiten, weil junge Frauen, »die in Nähen, Spinnen und Stricken geschickt sind, von Herrschaften zum Dienst gesucht und angenommen werden«.187 Nach dem Tode Johanna Wilhelmine Löwes führte 1811 Christiana Krause das Institut in Apolda weiter, dessen erfolgreichen Fortgang der Herzog nach 1816 jährlich mit 60 Talern fördern wollte.188 181

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Schreiben Johann Christoph Hamischs an Herzog Carl August, Apolda 29. April 1794, in: ThHStAW B 4757, Bl. 1r.–4r., hier Bl. 1r. Ebd., Bl. 1r.–1v. Ebd., Bl. 2r. Bericht Immanuel Ernst Friedrich Schneiders an die Regierung, Apolda 27. März 1801, in: ThHStAW B 4757, Bl. 73r.–74r., hier Bl. 73r. Ebd., Bl. 73v. Ebd., Bl. 74r. Bericht Johann Schmidts an Herzog Carl August, Apolda 25. Juli 1803, in: ThHStAW B 4757, Bl. 96r.–98r., hier Bl. 98r. Vgl. Schreiben [Entwurf] Großherzog Carl Augusts an die Landesdirektion, Weimar 15. März 1816, in: ThHStAW B 4757a, Bl. 68r.

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Einleitung

Die Auseinandersetzung Heranwachsender mit der geschlechtlichen Reifung und die Vermittlung von Geschlechteridentitäten spiegelten sich in Sachsen-Weimar-Eisenach etwa in der Entwicklung der Patriotischen Frauenvereine wider. Wie in anderen Orten bildeten sich ab 1813 im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach Frauenvereine, die als Reaktion auf das durch plündernde Truppen hervorgerufene Leid verletzten Soldaten und verwitweten Frauen rasche Hilfe bieten wollten. Neu war die Idee keineswegs, denn schon 1781 existierte in Weimar eine Näh- und Strickschule eigens für Soldatentöchter, deren Betrieb aber 1798 aus Mangel an Schülerinnen wieder eingestellt wurde.189 Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft setzten die Frauenvereine unter der Obervorsteherin und Erb(groß)herzogin Maria Pawlowna ihre Wohltätigkeitsarbeit fort. 1816 begann in den Räumlichkeiten der Freischule der vom Frauenverein Maria Pawlownas finanzierte Unterricht der »verlassenen weiblichen Jugend«190 im Stricken, Spinnen und Nähen. »So geht die zeitgemäße Bildung des Geschlechts durch den Eifer und Zusammentritt der Edeln und Edelsten einer immer höhern Vollkommenheit entgegen«191, kommentierte die »National-Zeitung der Deutschen« den Unterricht der Heranwachsenden. Einen inhaltlichen Schwerpunkt dieser Vereine stellte die Erziehung von Mädchen und jungen Frauen zur Arbeitsamkeit dar, die in den 1817 kodifizierten »Gesetzlichen Bestimmungen«192 ausdrücklich festgehalten wurde. In den eigens für Mädchen und junge Frauen eingerichteten Industrieschulen erlernten die Heranwachsenden weibliche Handarbeiten und hauswirtschaftliche Fähigkeiten wie Waschen, Bügeln oder Kochen, um »ihre[r] künftige[n] Bestimmung«193 gerecht zu werden. Ebenso achteten die Lehrerinnen auf die moralisch-sittliche Entwicklung der jungen Frauen. Aus Adam Henß’194 1837 vorgelegter Übersicht der verschiedenen städtischen Institutionen geht hervor, dass neben dem Siech- und Kran189 190

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Vgl. ThHStAW B 4758a. Gesetzliche Bestimmungen für das patriotische Institut der Frauenvereine in dem Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach. Weimar 1817, S. 10. National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 27.11.1816, Sp. 910. Vgl. § 16 e) in: Gesetzliche Bestimmungen für das patriotische Institut der Frauenvereine, S. 10. Ebd., S. 13. Zur Biographie Henß’ vgl. Hahn, Hans-Werner: »Selbst ist der Mann...« Aufstieg und Wirken des Weimarer Bürgers, Buchbinders, Publizisten und Politikers Adam Henß, in: Ders. / Greiling, Werner / Ries, Klaus (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert. Rudolstadt 2001, S. 281–301.

Fürsorge für Heranwachsende

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kenhaus zahlreiche mildtätige Stiftungen wie beispielsweise die Engelhardtsche oder die Meyer-Amalienstiftung sich des Problems der Armenfürsorge annahmen. Abgesehen von der Arbeitsschule des Frauenvereins, die Schülerinnen bis zum 17. Lebensjahr besuchten, und dem 1825 vom Stadtrat gestifteten Stipendium für Handwerkergesellen, wurden allerdings von städtischer Seite kaum Anstrengungen im Bereich der Jugendfürsorge unternommen.195 Das Falksche Institut füllte mit seinem karitativen Engagement eine bestehende Lücke im Fürsorgewesen der Residenzstadt an der Ilm und des Großherzogtums Sachsen-WeimarEisenach aus. Die Tendenz zunehmender (geschlechterspezifischer) Hilfe für Heranwachsende verstärkte sich erst in den nachfolgenden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, etwa mit der Gründung der Jungfrauenvereine und der evangelischen Männer- und Jünglingsvereine ab 1876.196 Im Großherzogtum wurden in Weimar und Eisenach seit dem 4. Oktober 1826 Zwangsarbeiteranstalten gegründet, wo jeweils junge Männer bzw. junge Frauen untergebracht wurden. Aufgrund der Vermischung pädagogischer und disziplinierender Methoden wurde diese Art Arbeitshaus als unehrenhaft betrachtet, sodass weder die Institution, noch die Untergebrachten großes Ansehen genossen.197 Die Ausdifferenzierung der wohltätigen, mitunter sanktionierenden staatlichen und kirchlichen Einrichtungen um 1800 führte in Sachsen-Weimar-Eisenach und der Residenzstadt Weimar nicht zwangsläufig zu einem Hilfsangebot für unterschiedliche Notlagen und Problemkonstellationen. Wenngleich um 1800 und in Folge der napoleonischen Kriege erste Ansätze geschlechterspezifischer Hilfe für Heranwachsende (zumeist weiblichen Geschlechts) durch Privatinitiativen oder Vereine realisiert wurden, fehlte dessen ungeachtet ein besonderes obrigkeitliches Augenmerk für Heranwachsende und deren erfolgreiche Integration in die Welt der Erwachsenen. Private Initiativen wie das Falksche Institut versuchten, dieses Defizit staatlicher Fürsorge zu kompensieren und waren dabei mitunter sehr erfolgreich.

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Vgl. Henss, Adam: Die Stadt Weimar, ihr Communenwesen und ihre städtischen Institute. Weimar 1837, S. 139–178. Vgl. Elster: Fürsorgeerziehung, S. 14f. Vgl. ebd., S. 136–142.

II. Geschlecht als Vorbedingung in der Fürsorgekonzeption des Falkschen Instituts?

1. Die Gesellschaft(er) der Freunde in der Not 1.1 Entstehungsgeschichte (eines männlichen Mythos) Die Gesellschaft der Freunde in der Not, aus der allmählich das Falksche Institut erwuchs, wurde im Jahr 1813 gegründet.1 Weder ist derzeit eine genauere zeitliche Datierung innerhalb dieses Jahres anhand der überlieferten Quellen zweifelsfrei möglich, noch wurden die Beweggründe des Zusammenschlusses bisher eingehender untersucht.2 Dennoch lässt sich mit Hilfe der Gründungsgeschichte und ihrer späteren Tradierung nachzeichnen, welche Aspekte des wohltätigen Engagements im kulturellen Gedächtnis langfristig verankert werden sollten. Im Folgenden wird danach gefragt, inwieweit bereits mit der Gründung über bestimmte Geschlechtervorstellungen oder -beziehungen reflektiert wurde. Die Entstehung der Gesellschaft der Freunde in der Not – so die These – war nicht nur das Ergebnis einer gesamtgesellschaftlichen Initiative, die weit über Falks persönliches Engagement hinausreichte, sondern auch das Resultat eines Zusammenschlusses von engagierten Frauen und Männern, die jungen Heranwachsenden beiderlei Geschlechts Unterstützung angedeihen ließen. Die kriegerischen Ereignisse in Sachsen-Weimar-Eisenach am Beginn des 19. Jahrhunderts, in deren Folge je nach militärischer Konstellation plündernde französische, preußische oder russische Truppen durch das Herzogtum zogen und daraufhin große Teile der Bevölkerung verelendeten,3 bildeten den Ausgangspunkt für die Gründung der Gesellschaft. 1 2

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Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Zu den wenigen Arbeiten, welche die Ursachen untersuchten, zählt die Studie von Katharina Stoodt-Neuschäfer: Das Garn des Versuchers und das Liebesnetz Petri. Von den wahren Gründen für die Gründung der »Gesellschaft der Freunde in der Noth«. Weimar 2005. Stoodt-Neuschäfer verweist erstmals auf Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Gründung der Gesellschaft anlässlich der vier verstorbenen Kinder der Falks im Jahr 1813. Vgl. Müller, Gerhard: Thüringische Kleinstaaten und rheinbündischer Reform-

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Geschlecht als Vorbedingung

Neben den unmittelbaren Kriegsfolgen waren die ersten Jahrzehnte durch zahlreiche Reformimpulse – etwa durch die Verfassung vom 5. Mai 1816 oder die veränderten Verwaltungsstrukturen des neuen Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach – geprägt, wobei die »staatliche Führungselite Weimars zunächst von den Ereignissen völlig überrollt«4 worden war. Im Herbst 1806 kompensierte Regierungsrat Friedrich Müller die wochenlange Abwesenheit Herzogs Carl August, indem er als Friedensunterhändler ins französische Hauptquartier gesandt wurde. In diesem Klima des politischen Umbruchs, in dem zunehmend »das Wohl und Wehe des Staates«5 vom Engagement seiner Bürger abhing, empfahl Wieland dem in Naumburg stationierten französischen Militär und Intendanten der Kriegsverwaltung Pierre Franc¸ois Villain (1763/69–nach 1843), Johannes Falk als Dolmetscher vorzuschlagen.6 Am 24. Februar 1807 wurde Falk in Anerkennung seiner Verdienste bei dieser Aufgabe der Titel des Legationsrats zuteil,7 mit dem zunächst eine jähr-

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impuls. Zu den Auswirkungen der Zäsur 1806 im »Ereignisraum«, in: Klinger, Andreas / Hahn, Hans-Werner / Schmidt, Georg (Hrsg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen. Köln, Weimar und Wien 2008, S. 265–274; Tümmler, Hans: Die Zeit Carl Augusts von Weimar. 1775–1828, in: Patze, Hans / Schlesinger, Walter (Hrsg.): Geschichte ThüringenS. 5. Bd. Politische Geschichte in der Neuzeit. Teil 1.2. Köln und Wien 1984, S. 615–779, hier S. 653–655; Hartung: Großherzogtum, S. 251–261. Müller, Gerhard: Das Jahr 1806 als Beginn der Reformpolitik in SachsenWeimar-Eisenach, in: Fesser, Gerd / Jonscher, Reinhard (Hrsg.): Umbruch im Schatten Napoleons. Die Schlachten von Jena und Auerstedt und ihre Folgen (= Jenaer Studien; 3). Jena 1998, S. 157–162, hier S. 157. Ebd., S. 160. Vgl. Saupe, Paul: Johannes Daniel Falk. 1768 bis 1826. Schriftsteller, tätig in gefährlichen Kriegsläuften, Pädagog verwilderter Kinder (= Weimar Tradition und Gegenwart; 31). Weimar 1979, S. 12; Saupe, Paul u. a.: Johannes Falk 1768–1826. Schriftsteller. Freund in der Not. Sozialpädagoge in Weimars klassischer Zeit (= Weimar Tradition und Gegenwart; 14). Weimar 1968, S. 12–14; Falk, Johannes: Erinnerungsblätter aus Briefen und Tagebüchern. Gesammelt von dessen Tochter Rosalie Falk. Weimar 1868, S. 33f.; Fink: Johannes Daniel Falk, S. 13–16. Es handelt sich nicht um den in der Goethe-Literatur angenommenen französischen Schriftsteller Charles Joseph Franc¸ois Vilain (1759–1808), sondern um Pierre Franc¸ois Villain (1763/69–nach 1843), Finanzbeamter im französischen Kriegsdepartement und Intendant des Ende Oktober 1806 eingerichteten ersten sächsischen Arrondissements mit Sitz in Naumburg. Vgl. Schnaubert, Guido: Das Lebenswerk von Johannes Falk. Ehrenbürger der Stadt Weimar. Ein geschichtlicher Beitrag zu der im Jahre 1913 stattfindenden

Die Gesellschaft(er) der Freunde in der Not

57

liche Besoldung in Höhe von 200, ab dem Jahr 1808 von 400 Reichstalern – lebenslang – verbunden war.8 Die direkten Kriegserfahrungen und die Besetzung des Herzogtums motivierten Johannes Falk, sich wiederum im Frühjahr 1813 hilfreich für seine Mitmenschen einzusetzen: »Wohl ist dieses ein Freund in der Noth gewesen, und also haben ihn auch die in Ossmannstedt und Wiegendorf erfunden und genannt.«9 Auch von offizieller Seite wurde Falk für sein Engagement in den Kriegswirren gedankt. Am 30. Januar 1816 ernannte ihn der Herzog für seinen patriotischen Einsatz zum Ritter der dritten Klasse des Ordens der Wachsamkeit oder vom weißen Falken, der ab 1815 alle – unabhängig von Stand und Titel – ehrte, die sich für das Herzogtum eingesetzt hatten.10 Von der Stadt Weimar bekam er am 4. Februar 1824 das Bürgerrecht verliehen.11 »In dankbarem Anerkenntniß der mannichfaltigen Verdienste des Herrn Legations-Raths Johannes Falk allhier, die Sich derselbe um die leidende Menschheit, insbesondere auch um die hiesige Stadt in den verfloßenen Kriegsjahren erworben hat, haben wir Demselben das hiesige Bürgerrecht gratis zu ertheilen beschloßen.«12 Mit dieser Begründung nahm der Magistrat direkten Bezug auf Falks Wirken während der Kriegszeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Hartnäckig ranken sich um die ›unspektakuläre‹ Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not zwei Mythen, welche die Wahrnehmung dieser Vereinigung und des Falkschen Instituts bis in die Gegenwart maß-

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hundertjährigen Jubelfeier des Falkschen Institutes zu Weimar. Weimar 1912, S. 8; Reis: Falk, S. 3; Dietsch, Ingrid: Da fühlst Du einmal meine Last. Vom Alltag der Caroline Falk in Weimar 1797–1841. Aufgeschrieben nach Briefen, täglichen Notizen, Wirtschaftsbüchern und anderen Schriftstücken. Weimar 2003, S. 81. Vgl. Bericht der großherzoglichen Kammer an das Staatsministerium vom 15. Januar 1823, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 79r.–81r., hier Bl. 81r.; Schnaubert: Falk, S. 8; Diplom [Kopie] Herzog Carl Augusts an die großherzogliche Kammer, Weimar 19. April 1808, in: GSA 15/V, 7, 7. Stück. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. Kästner, Henning: Der Weimarer Falkenorden und die Inszenierung des frühkonstitutionellen Staates, in: ZVThG(A) 63 (2009), S. 213–233, hier S. 226, 229 und 231; Kästner, Henning: Elitenintegration in Sachsen-Weimar-Eisenach. Die Verleihung des Falkenordens an Johannes Daniel Falk, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 45–59. Zur Praxis der Bürgerrechtsvergabe und Ehrenbürgerrechtsverleihung vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 50–60. Bürgerdiplom Johannes Falks vom 4. Februar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 487r.

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Geschlecht als Vorbedingung

geblich beeinflussen und somit den Blick auf die eigentlichen Intentionen des Rettungswerkes versperren. Das »Schicksalsjahr« 1813 Die Entstehung der Gesellschaft der Freunde in der Not wird in späteren Forschungsarbeiten mit Johannes Falks persönlich erlittenem Schicksal im Jahr 1813 erklärt.13 Der Ausgangspunkt dieser Fokussierung auf das Jahr 1813 ist bei Falk selbst, und zwar konkret im ersten Jahresbericht der Gesellschaft, zu suchen: »Und wie […] der mordschwere Arm des Krieges und der Seuchen durch die Landschaft immer heftiger gewuethet und auch den Helfer nicht verschont, sondern ihm ebenfalls vier bluehende Kinderlein in einem Monat hingestreckt, hat er […] das Vertrauen und die Freudigkeit zu seinem Gott nicht verloren.«14

Im Jahr 1813 verstarben nachweislich vier Kinder der Familie,15 wodurch in Falk – so die Ausführungen im Jahresbericht – der Wunsch aufkeimte, verwaisten und Not leidenden Kindern zu helfen. Dass es sich bei dieser Formulierung um eine Zuspitzung der tatsächlichen Begebenheiten handeln muss, belegen die widersprüchlichen Angaben in verschiedenen anderen Darstellungen, die Falk von den Ereignissen des Jahres 1813 gibt. In einer 1817 von Falk publizierten Schrift ist zu lesen, dass die vier Kinder in den Monaten September und Oktober 1813 verstorben sind.16 13

14

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Nagy, Sigrid: Wie Luther im 19. Jahrhundert zum Weihnachtsbaum kam, in: Jahrbuch für Volkskunde. Neue Folge 23 (2000), S. 11–50, hier S. 31; Einsiedel, Johannes: Kurzweiliger und lehrreicher Schulmeisterspiegel. Zum Nutzen und Vergnügen für Schullehrer in Stadt und Land, Professores und Inspektores, Schulräthe, Scholarchen und Cultusminister. München 1859, S. 31. Flaischlen, Marcus: Johannes Falk, der Kinderfreund (= Für Feste und Freunde der Inneren Mission; 6). Berlin 1897, S. 10. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. auch Danziger Kanzelabkündigung, 1826, in: GSA 15/V, 8b, unfol. Dementsprechend übernahmen nachfolgende Generationen die Behauptung, dass das Ableben von vier Kindern innerhalb eines (angeblich) einzigen Monats zur Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not geführt habe, ohne sie kritisch zu überprüfen. Vgl. etwa Herrmann, Rudolf: Thüringische Kirchengeschichte. Bd. 2. [Nachdruck der Ausgabe Weimar 1947]. Waltrop 2000, S. 459; Heinzelmann, Wilhelm: Johannes Falk und die Gesellschaft der Freunde in der Noth. Schmiedeberg 1879, S. 9. Vgl. Leistikow, Oskar: Johann Daniel Falk, seine Ahnen und Nachkommen, in: Familie und Volk. Zeitschrift für Genealogie und Bevölkerungskunde 6 (1952), S. 193–199, S. 199.

Die Gesellschaft(er) der Freunde in der Not

59

Nicht zufällig, so legt es Falks Schilderung nahe, überschneidet sich Falks persönliches Schicksal mit dem Sieg der verbündeten Truppen gegen die napoleonische Armee. Der individuelle Schicksalsschlag korrespondiert mit den politischen Ereignissen in Leipzig, wodurch Johannes Falk die Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not auf doppelte Weise – durch das eigne Unglück und das Schicksal Europas – legitimierte. Die Existenz der Gesellschaft kann allerdings schon für das Frühjahr 181317 nachgewiesen werden. Ebenso beschränkte sich deren Engagement anfänglich nicht nur auf (wenige) Kinder und mehrheitlich Heranwachsende, sodass Hermann Gieseckes Formulierung, Falk habe, »veranlaßt durch den Tod seiner eigenen vier Kinder, nach den Befreiungskriegen verwahrloste Kinder im Lutherhof in Weimar gesammelt und erzogen«18, irreführend ist. Die Aussagen des Jahresberichts stimmen weder mit den überlieferten Quellen im Goethe- und Schiller-Archiv noch mit den Eintragungen in den Weimarer Kirchenbüchern überein. Aus den Archivalien geht hervor, dass der Sohn Roderich bereits am 3. Mai 1813,19 drei weitere Kinder aber erst im Oktober und November desselben Jahres verstorben waren.20 Zwar verlor das Ehepaar Falk 1813 tatsächlich vier 16

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Vgl. Wagner, Adolph (Hrsg.): Johannes Falks Liebe, Leben und Leiden in Gott. Zu Luthers Gedächnis. Hrsg. von einem seiner Freunde und Verehrer im Jahre unseres Herrn 1817. Altenburg 1817, S. 51. In dem Gedicht Falks heißt es: »In einem Monath mußt’ ich euch verlieren; Das ist mein unversiegtes Jammerlied«, vgl. ebd., S. 55. Zu den frühesten Quellen der Gesellschaft vgl. Hain, Christian: Die Gesellschaft der Freunde in der Not. Strukturelle Offenheit als Potential einer wohltätigen Vereinigung im frühen 19. Jahrhundert, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 61–89, hier S. 65–67. Allerdings nahm der Autor fälschlicherweise an, dass der als Beleg angeführte Brief Johann Christian Wilhelm Faselius‘ an Falk gerichtet sei, obwohl er an den Legationsrat Friedrich Justin Bertuch adressiert war. Giesecke, Hermann: Die pädagogische Beziehung. Pädagogische Professionalität und Emanzipation des Kindes. Weinheim und München 1997, S. 77. Vgl. Stoodt-Neuschäfer: Das Garn des Versuchers, S. 3f. Stoodt-Neuschäfer notiert den 5. Mai 1813 als Sterbetag, obwohl es sich um das Datum des Begräbnisses handelt. Edmund Roderich Falk (10. Juli 1812–03. Mai 1813), vgl. Taufregistereintrag für Edmund Roderich Falk, in: KA WE TR HK 1812, Bl. 214r.; Sterberegistereintrag für Edmund Roderich Falk, in: KA WE SR SK 1813, Bl. 229r. Eugenie Falk (26. Oktober 1807–14. Oktober 1813), vgl. Taufregistereintrag für Eugenie Falk, in: KA WE TR HK 1807, Bl. 536rf.; Sterberegistereintrag für Eugenie Falk, in: KA WE SR SK 1813, Bl. 249r. Guido Adelbert Falk (9. Juni 1810–03. November 1813), vgl. Taufregistereintrag für Guido Adelbert Falk, in:

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Geschlecht als Vorbedingung

Kinder, jedoch nicht auf diese dramatisch zugespitzte Art, wie es der Jahresbericht mit dem Verweis auf einen einzigen »Schicksalsmonat« suggeriert.21 Da abgesehen von Roderich Falk alle anderen Kinder am Ende des Jahres 1813 und damit ein halbes Jahr nach der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not verstorben sind, war deren Tod nicht der Anlass für die Entstehung.22

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22

KA WE TR HK 1810, Bl. 82r.; Sterberegistereintrag für Guido Adelbert Falk, in: KA WE SR SK 1813, Bl. 251r. Adelaide Caecilie Rosamunde Falk (14. August 1813–9. Oktober 1813), vgl. Taufregistereintrag für Adelaide Caecilie Rosamunde Falk, in: KA WE TR HK 1813, Bl. 282r.; Sterberegistereintrag von Adelaide Caecilie Rosamunde Falk, in: KA WE SR SK 1813, Bl. 248v. Vgl. auch Leistikow: Falk, S. 199; Henze, Hannelore: Leben und Tod in der Familie Falk, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/07/08), S. 87–90, S. 87f. Für die Unsicherheit im Umgang mit den Lebens- und Sterbedaten der Kinder, die 1813 verstarben, vgl. exemplarisch Saupe, Paul: Pädagogische Signale aus und für Weimar, in: Schubert, Werner (Hrsg.): Weimar. Einblicke in die Geschichte einer europäischen Kulturstadt. Schkeuditz 1999, S. 114–127, S. 119. In der Forschung wird 1813 auch als Schicksalsjahr des Ehepaares Falk bezeichnet. Vgl. Horn, Katrin: Art. »Elisabeth Charlotte Caroline Falk, geb. Rosenfeld (1780–1841)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 125–128, hier S. 126; Benrath, Gustav Adolf: Mut zu Taten der Liebe! Johannes Daniel Falk (1768–1826) in Weimar. Weimar 2001, S. 6. Armin Stein lässt in seiner Darstellung den Tod der Kinder innerhalb weniger Tage aufeinanderfolgen, sodass die vier Leichen angeblich zusammen aufgebettet wurden. Vgl. Stein, Armin: Johannes Falk. Ein Bild aus der Zeit der deutschen Befreiungskriege (= Deutsche Geschichts- und Lebensbilder; 6). Halle 1912, S. 224. Vgl. auch Lauckhard, Carl Friedrich: Johannes Falk, in: Duller, Eduard (Hrsg.): Männer des Volks dargestellt von Freunden des Volks. Bd. 3 Frankfurt am Main 1847, S. 237–252, hier S. 246. Ohne dass es den Forschern bewusst ist, wirkt der Mythos vom vierfachen Tod der Kinder weiterhin fort. So kolportiert Ulrich Schwab, trotz Kenntnis der neuesten Forschung, weiterhin den vierfachen Tod der Kinder im Herbst 1813, um vermutlich das »schicksalhafte« Moment an Falks Engagement aufrechtzuerhalten: »Vom Schicksal der durch die Kriegsereignisse auf sich gestellten verwaisten Kinder berührt – und offensichtlich noch vor dem persönlichen Schicksalsschlag des Todes von vier eigenen Kindern im Herbst 1813 –, nimmt Falk einige Kinder 1813 in sein Haus auf.« Schwab, Ulrich: »Ein Glaube ohne Liebe ist ein liebloser Glaube« – Johannes Daniel Falk und die Anfänge evangelischer Jugendsozialarbeit, in: Bednorz, Lars / KühlFreudenstein, Olaf / Munzert, Magdalena (Hrsg.): Religion braucht Bildung – Bildung braucht Religion. Festschrift für Horst F. Rupp. Würzburg 2009, S. 337–343, hier S. 337f. Vgl. Reis: Falk, S. 3.; Oldenberg, F.: Das Leben des Johannes Falk (= Lebensbilder aus der Geschichte der inneren Mission; 7). Hamburg 1892, S. 39.

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Johannes Falk selbst funktionalisierte in seinen Darstellungen den Tod der eigenen Kinder, um die im Laufe der Zeit zunehmende inhaltliche Fokussierung seiner wohltätigen Arbeit zu legitimieren. »Aber das Hauptaugenmerk wurden und blieben bald die verwaiseten, umherschweifenden und verwilderten Kinder, unter denen die Not immer höher stieg. Die verwaiseten Kinder waren natürlich die ersten, für welche der Verein die Sorge übernahm«23,

resümierte dementsprechend auch Johann Hinrich Wichern im Jahre 1833. In Clara Ewalds Festgedicht anlässlich der Einhundertjahrfeier der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not ist zu lesen, dass Falk »[l]iebend an sein Herz die Kinder nahm« und »er die Kleinen all’ zusammen in sein eigen Haus mit treuer Hand«24 führte. Weil er seine eigenen Kinder verloren hatte, so das Lobgedicht weiter, habe er sich sorgend um fremde gekümmert. Der von Falk selbst kolportierte Mythos vom persönlichen Schicksalsschlag prägte die Erinnerung an ihn und das nach ihm benannte Institut tiefgreifend. Falk nutzte das dramatisch aufgeladene Schicksal seiner eigenen Familie in erster Linie ganz pragmatisch, um Spender und weitere Unterstützer zu gewinnen. Ein Blick auf die Altersstruktur25 der Versorgten verdeutlicht jedoch, dass nicht Kinder, sondern Heranwachsende im Zentrum der Gesellschaft der Freunde in der Not standen. Wenngleich bis in die Gegenwart Falks Engagement oft in unzulässiger Weise auf seine Hilfe für Kinder reduziert wird,26 bezeichneten Autoren Johannes Falk wenige Jahre nach dessen Tod als »Erzieher und Wohlthäter der dürftigen Jugend«27. Diese Autoren modifizierten den von Falk inszenierten Mythos insofern, als dass der Tod von vier erwachsenen Kindern Falks Engagement begründet habe,28 obwohl die 1813 verstorbenen Kinder der Familie Falk zwischen wenigen Monaten und sechs Jahren alt waren. Dieses Erklärungsmodell entsprach ebenso wenig den historischen Tatsachen, wie der vierfache Kindertod innerhalb eines einzigen Monats. 23

24 25 26 27

28

Wichern, Johann Hinrich: Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder (1833), in: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 4. Teil 1. Die Schriften zur Sozialpädagogik. Hrsg. von Peter Meinhold. Berlin 1958, S. 47–95, hier S. 59. Ewald, Clara: Johannes Falk. Zur Hundertjahr-Feier 1913. Weimar 1913. Vgl. Kapitel II.2.2. Vgl. Oldenberg: Falk, S. 39–42. Allgemeines Repertorium der neuesten in- und ausländischen Literatur für 1826. Bd. 1, S. 232. Vgl. Elbinger Anzeiger, Nr. 99 vom 13. Dezember 1837.

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Der Mythos vom vierfachen Todesfall innerhalb eines einzigen Monats versperrte den Blick auf die vielfältigen Angebote, die gerade in den ersten Jahren von der Gesellschaft der Freunde in der Not unterbreitet wurden.29 Angesichts der unmittelbaren Kriegsfolgen war die Intention des Zusammenschlusses auf eine umfassende Hilfeleistung ausgerichtet, sodass die Sozialisation Heranwachsender nur einen Aspekt im Fürsorgeprogramm darstellte. Nachdem zunächst eltern- oder mittellosen, durch den Krieg verarmten jungen Menschen geholfen wurde, konzentrierte sich das Falksche Institut in späteren Jahren in besonderem Maße auf Heranwachsende, deren dauerhafte Integration in die Gesellschaft auch außerhalb der Kriegsjahre zu scheitern drohte. Aus der durch die Folgen des Krieges bedingten Fürsorge um Notleidende, zu denen auch Kinder und Heranwachsende zählten, entwickelte sich allmählich eine Hilfe zur erfolgreichen Sozialisation junger Menschen. Diese unterstützenden Maßnahmen waren damals die einzigen Hilfestellungen dieser Art, da in Sachsen-Weimar-Eisenach noch keine Strukturen existierten, die den Übergang ins Erwachsenenleben begleiteten. Gründungsakt Der zweite Mythos basiert auf dem Versuch Johann Georg Rettners (um 1800–1867)30, mit dem 11. Mai 1813 ein konkretes Gründungsdatum anzugeben, um so Johannes Falk als Initiator eines hauptsächlich von Männern getragenen Wohltätigkeitszusammenschlusses zu stilisieren. Gemeinsam mit dem Stiftsprediger Karl Friedrich Horn soll Falk an jenem Frühlingstag einen Aufruf an die Bewohner Weimars gerichtet haben, der großen Not im Herzogtum zu begegnen.31 Die Überlieferungsgeschichte 29 30

31

Vgl. Hain: Sozialfürsorge, S. 60–91. Im Gegensatz zum Sterbejahr ist kein Geburtsjahr Rettners überliefert. Ein im Goethe- und Schiller-Archiv überliefertes Geburtstagsgedicht, dargebracht von Maria Nipperdey, für Johann Georg Rettner, lässt die Vermutung zu, dass Rettner an einem 4. August um das Jahr 1800 geboren wurde. Vgl. GSA 15/VIII, 10c. In den Quellen zur Grundsteinlegung für den Betsaal im Lutherhof ist Rettner 1823 als 26-jähriger Lehrer der Anstalt aufgeführt, sodass auch 1797 ein mögliches Geburtsjahr ist. Vgl. Grundsteinlegung am Betsaal, in: GSA NZ 19/07,1, S. 60–67, hier S. 61. Vgl. auch Falks Schreiben an die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, Weimar 13. November 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 387r.–388r., hier Bl. 387v. Vgl. Schnaubert: Lebenswerk, S. 26f.; Seifert, Siegfried: »Commißorischer Debit« statt »ewigem Verlagsrecht«. Die Hoffmannsche Buchhandlung in Weimar, in: Greiling, Werner / Seifert, Siegfried (Hrsg.): »Der entfesselte Markt«.

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dieses Datums ist mehr als fragwürdig, erwähnte doch nur Guido Schnaubert anlässlich der 100. Wiederkehr der Gründung den Termin, an dem der Appell verbreitet worden sein soll.32 »Das Original dieses Aufrufes ist nicht auffindbar, Lehrer Rettner, ein früherer Schüler Falks, der nach dessen Tode das Falksche Institut fortführte, nimmt in dem Jahresberichte von 1862 hierauf Bezug«33, lautete Schnauberts berechtigte, von der späteren Forschung völlig negierte quellenkritische Anmerkung.34 Einerseits hatte Rettner dem Gründungsakt vermutlich nicht selbst beigewohnt. Andererseits ist der von Schnaubert erwähnte Jahresbericht archivarisch nicht überliefert.35 Angesichts dieser Überlieferungsgeschichte

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33 34

35

Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800. Leipzig 2004, S. 59–106, hier S. 90. Vgl. Schnaubert: Lebenswerk, S. 26f. Vgl. auch Herrmann: Kirchengeschichte, S. 459. Schnaubert: Lebenswerk, S. 27. Für die Tradierung des 11. Mai 1813 innerhalb der Falk-Forschung vgl. beispielsweise Fink, Fritz: Johannes Daniel Falk. Der Begründer der Gesellschaft der Freunde in der Not. Weimar 1934, S. 16; Saupe: Johannes Falk, S. 18; Saupe: Johannes Daniel Falk, S. 20. Auch außerhalb der Falk-Forschung ist der 11. Mai 1813 als Gründungsdatum gegenwärtig. Vgl. Schmidt-Möbus, Friederike / Möbus, Frank: Kleine Kulturgeschichte Weimars. Unter Mitarbeit von Tobias Dünow. Köln, Weimar und Wien 1998, S. 171; Kühnlenz, Fritz: Weimarer Porträts. Bedeutende Frauen und Männer um Goethe und Schiller. Rudolstadt und Gipf-Oberfrick 1993, S. 303; Nailis, Anna: Zur Geschichte und Theorie der Verwahrlosung. Düsseldorf 1933, S. 6; Nagy: Luther, S. 31. Katja Weniger und Dirk Alexander Reder behaupten indes, die Gründung sei – so Weniger am 11. Mai 1814 bzw. Reder zufolge nur allgemein 1814 – vollzogen worden; führen aber keine Quellen für ihre Behauptungen an. Vgl. Weniger, Katja: Johannes Daniel Falk – der Gründer der »Gesellschaft der Freunde in der Noth«. Ein Lebensbild, in: Braune, Gudrun u. a. (Hrsg.): Zwischen Ausgrenzung und Fürsorge: Arme Leute in Thüringen. Begleitheft zur Kabinettausstellung im Museum für Thüringer Volkskunde Erfurt 26. Oktober 2000–31. Dezember 2000 (= Schriften der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen; 15). Jena 2000, S. 13–19, hier S. 16; Reder: Frauenbewegung, S. 254. Armin Stein nennt ebenfalls 1814 als Gründungsjahr, was als folgerichtige Konsequenz zu interpretieren ist, wenn das »Schicksalsjahr« 1813 die Ursache für die Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not darstellen soll. Vgl. Stein: Falk, S. 230. Die Berichte der Gesellschaft der Freunde in der Not enden 1829. Im 1863 erschienenen Rechenschaftsbericht der staatlichen Waisenversorgung heißt es: »Und 50 Jahre waren vergangen seit Johannes Falk in den Tagen des Elends und der Kriegsnoth [...] verlassene [...] Kinder in tiefer Liebe um sich sammelte und

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basiert jeder Gründungstermin auf Mutmaßungen. Dennoch wandte sich Guido Schnaubert im Juni 1913 an den Weimarer Gemeinderat, um Geld für eine mit dem 11. Mai 1813 als Gründungstag versehene Gedenktafel zu sammeln, die am ›Koch’schen Hause‹ am Markt Nr. 18 angebracht werden sollte. Der erste Textentwurf lautete: »In diesem Hause begann Johannes Falk gemeinsam mit Stiftprediger Dr. Horn am 11. Mai 1813 sein unvergeßliches Liebes- und Lebenswerk, die Fürsorgetätigkeit für arme und verwaiste Kinder.«36 Mit diesem Vorhaben bekräftigten Schnaubert und seine Kollegen den 11. Mai als Stiftungstag der Gesellschaft der Freunde in der Not. Warum Schnaubert trotz der unklaren Überlieferungsgeschichte das Datum, das im Übrigen auch Karl Friedrich Horns Grabstein ziert,37 in Marmor meißeln ließ, bleibt bislang ungeklärt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass im Mai 1813 ein Aufruf in der oben beschriebenen Form tatsächlich kursierte, sei es als Kanzelabkündigung, in schriftlicher Form oder mündlich tradiert. In einer Weise, die der für Falks Aufruf vermuteten vergleichbar ist, wandte sich beispielsweise die Landschaftsdeputation angesichts des drohenden Staatsbankrotts 1815 mit einer Proklamation an die Einwohner des Großherzogtums. Die von Haus zu Haus ziehende Sammelkommission befragte jeden Einzelnen, welchen Beitrag er zu dem Vorhaben leisten könne.38 Wenngleich Falk nicht über die Infrastrukturen einer landesherrlichen Behörde verfügte, dürfte auch er die persönliche Ansprache als wichtigstes Instrument der Spendeneinwerbung genutzt haben. Nicht allein der 11. Mai 1813 ruft als vermeintlicher Gründungstag Zweifel hervor. Ebenso ist das Haus am Markt 18 nicht der Ort, an dem die Gründung vollzogen wurde, da Falk zu diesem Zeitpunkt bereits ein anderes Domizil bezogen hatte.39 Schnaubert erinnerte mit der Gedenk-

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eine Reihe von Anstalten gründete.«, in: Rechenschafts-Bericht über die Wirksamkeit der Allgemeinen Waisen-Versorgungs-Anstalt des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach und des Falk’schen Instituts zu Weimar. Weimar 1863, S. 3. Schreiben Guido Schnauberts, Arno Werners, Max Bechers, Hermann Dierschs an den Weimarer Gemeindevorstand, Weimar 13. Juni 1913, in: GSA 15/N 58, Bl. 2r.–2v., hier Bl. 2r. Auf der ausgefertigten Tafel findet sich die Datumsangabe 1813 11 Mai 1913 (Unterstreichungen im Original). Vgl. Schreiben Guido Schnauberts, Weimar 28. Oktober 1913, in: GSA 15/N 58. Vgl. auch die entsprechenden Akten im StdAW NA II–11a–35. Vgl. Henze, Hannelore: Carl Friedrich Horn. Ein Freund Johannes Falks, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/07/08), S. 91f., hier S. 92. Vgl. Müller: Reformpolitik, S. 160.

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tafel weniger an Johannes Falk, dessen Büste am 21. Mai 1913 enthüllt worden war,40 oder an ein konkretes Gründungsdatum, sondern betonte den gemeinschaftlichen Beitrag Falks und des »Oberkonsistorialrat und 2. Diakonus Dr. Karl Friedrich Horn«41. Ungeachtet der Diskussion, an welchem Tag genau die Gesellschaft im Jahr 1813 ins Leben gerufen wurde, rücken alle Darstellungen die männlichen Akteure der Gründung in den Mittelpunkt.42 In dem heute nicht mehr auffindbaren Jahresbericht notierte Rettner: »Nächstes Jahr [1863] werden es fünfzig Jahre, daß Falk im Verein mit dem derzeitigen Stiftsprediger Herrn Dr. Horn die Anstalt gründete.«43 Ebenso verwies Falk auch in seinem »Kriegsbüchlein« auf sein eigenes und das Engagement Karl Friedrich Horns: »Ich verband mich mit dem hiesigen Stadtprediger zu St. Peter und Paul, Herrn Horn, einem allgemein wegen seiner Rechtschaffenheit, liebreichen Denkart und schönen Kanzelgaben geschätzten Geistlichen. Wir stifteten unter dem Namen: ›die Gesellschaft der Freunde in der Not‹ [...] einen unentgeltlichen Verein.«44

Letztlich blieb aber bis in die Gegenwart der Fokus einzig auf Johannes Falk gerichtet, sodass die Gründung der Gesellschaft als Einzelleistung eines einzelnen Mannes in die Geschichtsschreibung einging. Trude Reis hob zumindest auch die Beteiligung weiterer Männer hervor,45 sodass beispielsweise Dirk Alexander Reder den Zusammenschluss als »männliche Organisation[...]«46 apostrophierte. Aber an der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not waren Frauen und Männer beteiligt, sodass diese Forschungsmeinung nicht länger haltbar ist. Neben Karl Friedrich Horn konnte Falk einige »hohe Freundinnen«47 gewinnen, die 39

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Sowohl das fragliche Gründungsdatum als auch der falsche Gründungsort finden sich in: Günther, Gitta: Weimar. Eine Chronik. Leipzig 1996, S. 65. Vgl. Schreiben Guido Schnauberts, Arno Werners, Max Bechers, Hermann Dierschs an den Weimarer Gemeindevorstand, Weimar 13. Juni 1913, in: GSA 15/N 58, Bl. 2r.–2v., hier Bl. 2r. Ebd. (Unterstreichungen im Original). Vgl. Kühnlenz: Weimarer Porträts, S. 303. Vgl. Schnaubert: Lebenswerk, S. 27. Falk, Johannes: Kriegsbüchlein Nr. 1. Darstellung der Kriegsdrangsale Weimar’s in dem Zeitraum von 1806 bis 1813, nach den Schlachten von Jena, Lützen und Leipzig. Aus Actenstücken und Original Briefen einiger deutschen Männer an ihre Freunde in England gesammelt. Weimar 1815, S. 35. Vgl. auch Falk: Erinnerungsblätter, S. 46f. Vgl. Reis: Falk, S. 31. Vgl. auch Heinzelmann: Falk, S. 35. Reder: Frauenbewegung, S. 254. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. Kapitel II.1.3.1.

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von Anfang an zu wichtigen Trägerinnen des Zusammenschlusses wurden.48 Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Gesellschaft der Freunde in der Not als gemischtgeschlechtliche Vereinigung neben ihrer umfassenden Fürsorgepraxis – im Gegensatz zu den Frauenvereinen – keine geschlechterbedingten Ausschlusskriterien für Notleidende formulieren würde. Weil mit der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not ursprünglich ein weiter Fürsorgegedanke verbunden war, muss zunächst anhand der nach 1813 entstandenen normativen Schriften untersucht werden, inwieweit sich der Wandel von einer umfassenden Fürsorge zu einem auf Jugendliche beschränkten Hilfsangebot in diesen Texten niederschlug. Ferner ist herauszuarbeiten, ob die Protagonisten des Falkschen Instituts und die Förderer der Gesellschaft der Freunde in der Not der Vermittlung von gesellschaftlich anerkannten Geschlechteridentitäten und -beziehungen durch die Fokussierung auf heranwachsende junge Frauen und Männer deshalb womöglich doch eine gesteigerte Aufmerksamkeit entgegenbrachten.

1.2 Falks Zielsetzung seiner karitativen Hilfe 1.2.1 Geschlecht als normative Größe? Die Gesellschaft der Freunde in der Not besaß – durchaus nicht ungewöhnlich für die Wohltätigkeitsarbeit im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts49 – keine niedergeschriebenen Statuten, in denen die Rechte der Mitglieder oder die Pflichten der unterstützten Perzipienten festgehalten wurden. Die Grundlage der Wohltätigkeitsarbeit bildete das Vorwort im ›Haupt- und Monatsbuch‹, das von März 1816 bis Dezember 1826 durchgängig geführt wurde.50 Neben den Ausgaben der Gesellschaft wurden alle regelmäßigen Spender, aber auch außerordentliche Einnahmen verzeichnet. Am 1. März 1816 formulierten Johannes Falk und Karl Friedrich Horn die kurze Einleitung des später zwei Bände umfassenden Rechnungsbuches.51 Erst nach 1818 fügte Falk die Geschichte des Monatsbuches hinzu, in der er unterschiedliche Aspekte der karitativen Hilfeleistung benannte. Dabei handelt es sich auf den ersten Blick weniger um pädagogische Handlungsanweisungen, sondern vielmehr um Ausfüh48 49 50 51

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Flaischlen: Falk, S. 11. Baumer: Armenfürsorge, S. 101. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X. ebd., S. 1.

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rungen zum dreigliedrigen Kassensystem der Gesellschaft.52 Dennoch spiegeln sich darin wesentliche Grundsätze und gemeinsame Zielstellungen wider, die eine Grundlage für das Engagement der Gesellschaft der Freunde in der Not bildeten. Im Folgenden soll danach gefragt werden, inwieweit und welche konkreten normativen Geschlechtervorstellungen das sozialfürsorgliche Engagement beeinflussten und wie sich dies in den Grundsätzen der Gesellschaft niederschlug. Damit einher geht die Annahme, dass in den für die Gesellschaft konstitutiven Texten bestimmte Geschlechteridentitäten konstruiert wurden, die prägend auf Erziehungsziele und Hilfsangebote wirkten.53 Weil das Monatsbuch bei den jährlichen Stiftungstagen öffentlich auslag und monatlich unter den regelmäßigen Spendern rotierte, waren die Grundsätze allen Mitgliedern und Interessierten bekannt, sodass die darin enthaltenen normativen Geschlechtervorgaben vermutlich mit dem in Weimar geführten Geschlechterdiskurs korrespondierten, mit Sicherheit aber diesem nicht fundamental widersprachen.54 Johannes Falk formulierte die Grundsätze der Gesellschaft rückblickend auf das fünfjährige Bestehen der Vereinigung und berief sich auf die gesammelten Erfahrungen. Nicht auf utopischen Ideen sollte die Arbeit der Gesellschaft fußen, die »wir in der Folge doch nur genöthigt seyn würden, wieder zurückzunehmen«55. Stattdessen entsprachen die aufgestellten normativen Geschlechtervorstellungen nicht nur dem Weimarer Diskurs, sondern wurden an der sozialen Praxis überprüft und gegebenenfalls korrigiert, ehe sie abgefasst wurden.56 52 53

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55 56

Zum Aspekt des Kassensystems vgl. Hain: Sozialfürsorge, S. 50–53. Vgl. Hofmann, Sabine: Art. »Diskurs«, in: Kroll, Renate (Hrsg.): Metzler Lexikon Gender Studies Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart und Weimar 2002, S. 70–71. Vgl. etwa die Forschungsarbeiten aus dem Umfeld des Teilprojekts A4 »Geschlechterbeziehungen und Aufklärung« im SFB 482: Frindte, Julia: Handlungsspielräume von Frauen in Weimar-Jena um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer, Henriette von Egloffstein. Maschinenschriftl. Mskr. Diss. Jena 2007; Hammerstein, Katharina von / Horn, Katrin (Hrsg.): Sophie Mereau. Verbindungslinien in Zeit und Raum. Heidelberg 2008; Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. II. Zum Verhältnis von Norm und Praxis vgl. Kleinau, Elke: Diskurs und Realität. Zum Verhältnis von Sozialgeschichte und Diskursanalyse, in: Aegerter, Veronika u. a. (Hrsg.): Geschlecht hat Methode. Ansätze und Perspektiven in der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Beiträge der 9. Schweizerischen Historikerinnentagung 1998. Zürich 1999, S. 31–47, hier S. 33f.

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Verbreitet ist die Meinung, die Hilfe des Falkschen Instituts beschränkte sich auf die Vermittlung von Jungen zu Lehrmeistern, bei denen sie in einem Handwerk unterrichtet wurden.57 Die These scheint im Monatsbuch der Gesellschaft bestätigt zu werden, muss jedoch bei näherem Hinsehen konkretisiert und auch auf das andere Geschlecht erweitert werden. Erstes Ziel der Gesellschaft war es, regelmäßig einen »armen Knaben, bei einem nützlichen Handwerk aufdingen zu lassen«58. Mit dem Aufdingen wurde das Aufnahmeverfahren eines heranwachsenden Jungen bei Handwerksmeistern bezeichnet, welches gleichzeitig den Beginn der Lehrzeit markiert.59 Es bestand allerdings nur für Jungen die Möglichkeit, eine Unterstützung für die Ausbildung in einem Handwerk genießen zu dürfen. Die normativen Vorgaben der Gesellschaft der Freunde in der Not entsprachen dem Ergebnis einer über mehrere Jahrhunderte andauernden Entwicklung im Zunftwesen, Mädchen von Lehrberufen und Frauen aus den meisten Zünften auszuschließen. Seit dem 15. Jahrhundert war eine mehrjährige und von Beruf zu Beruf variierende Lehrzeit im deutschen Reich obligatorisch, die zunächst nicht allein jungen Männern vorbehalten war, denn einige Handwerke nahmen noch Lehrtöchter an, ehe Frauen in späteren Jahrhunderten sukzessive von Ausbildungsgängen ausgeschlossen und in die Familien- und Heimarbeit gedrängt wurden.60 57

58

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Vgl. Döring, Heinrich: Johann Daniel Falk, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 4 (1826), S. 40–80, hier S. 69; Bunners, Christian: Musik, in: Lehmann, Hartmut / Albrecht, Ruth / Brecht, Martin (Hrsg.): Geschichte des Pietismus. Bd. 4. Glaubenswelt und Lebenswelten. Göttingen 2004, S. 430–455, hier S. 448; Drolshagen, Markus: »Was mir fehlt, ist ein Zuhause.« Fehlplatzierung jüngerer Behinderter in hessischen Altenhilfe-Einrichtungen. Berlin 2006, S. 26. Andere Forschungsarbeiten sprechen von »Kindern«, die in handwerklichen Berufen untergebracht wurden. Vgl. Jähnichen, Traugott / Friedrich, Norbert: Geschichte der sozialen Ideen im deutschen Protestantismus, in: Euchner, Walter u. a. (Hrsg.): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. Sozialismus – Katholische Soziallehre – Protestantische Sozialethik. Ein Handbuch. Essen 2000, S. 867–1103, hier S. 887. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. I und 1. Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Erster Theil A – E, Wien 1808, Sp. 482; vgl. Kluge, Arnd: Die Zünfte. Stuttgart 2007, S. 155; Roeck, Bernd: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der frühen Neuzeit (= EDG; 9). München 1991, S. 32. Vgl. Reith, Reinhold: Einleitung, in: Ders. (Hrsg.): Lexikon des alten Handwerks. Vom späten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. München 1991, S. 7–15,

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In welcher Form jungen Männern durch das Falksche Institut und die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not geholfen wurde, regelten die Grundsätze des Monatsbuches auch in quantitativer Hinsicht. Unmittelbar nach der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not sollte monatlich ein neuer Lehrbursche unterstützt werden. Im Jahr 1818 war es ein formulierter Anspruch, jährlich 50 heranwachsende Männer bei Handwerksmeistern unterzubringen. In Anbetracht einer drei- bis vierjährigen Ausbildungsdauer wären auf diese Weise fortwährend etwa 200 Jungen durch die Gesellschaft versorgt worden.61 Von den Mitgliedern mussten Spendenbeiträge erbeten werden, die die 25 Taler Unkosten je Heranwachsender für Bett, Kleidungsstücke und die Aufnahme als Lehrling bei einem Handwerker decken sollten.62 Im Idealfall würden auf diese Weise jährlich wieder 50 Gesellen aus dem Falkschen Institut als »veredelte Sprößlinge«63 entlassen. In ähnlicher Weise überwiegen im Monatsbuch Beschreibungen, die Verhaltensauffälligkeiten bzw. das Fehlverhalten junger Männer thematisieren, woraus die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not offenbar einen besonderen Fürsorgeauftrag für männliche Heranwachsende ableiteten.64 Weder aus dem formalisierten Hilfsverfahren noch aus der quantitativen Zielvorgabe lässt sich jedoch eine Orientierung der Gesellschaft auf die Hilfe für junge Männer eindeutig ableiten. Der apodiktischen Zuschreibung widersprechen normative Ausführungen, die von der Forschung zumeist nur unzureichend berücksichtigt wurden. Die Unterstützung weiblicher Perzipienten war nicht explizit ausgeschlossen, sondern immer ein fester Bestandteil des karitativen Engagements der Wohltäter, obwohl im Vergleich zu den männlichen Perzipienten der Hilfsumfang deutlich eingeschränkt, allerdings – mit Blick auf den standardisierten Handwerkerkursus – weniger stark normiert war. Einerseits berichteten Falk und Horn im Vorwort zum Monatsbuch über heranwachsende junge Frauen, die durch ihr Verhalten in Weimar negativ aufgefallen waren und als gebürtige Stadtkinder eigentlich vom zuständigen

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hier S. 12; vgl. Kluge: Zünfte, S. 133; Lerche-Renn, Heidi: Mit Nadel, Faden und Fingerhut. Geschichte des Handarbeitsunterrichts im Rahmen der Mädchenerziehung (= Schul-Heft; 1). Bergisch Gladbach 1987, S. 22f. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XXI. Vgl. ebd., S. 1. Ebd. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XXII und XXIV.

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Almosenkollegium versorgt werden müssten.65 Andererseits waren junge Frauen durchaus in den Institutsalltag integriert.66 Ebenso wie für junge Männer sahen die Grundsätze des Falkschen Instituts für Wohltaten erhaltende junge Frauen eine fortgesetzte Wissensvermittlung im Lesen, Schreiben und der Bibelkunde vor.67 Das Falksche Institut hatte den festen Vorsatz, Heranwachsenden beiderlei Geschlechts zu helfen und sie mit dieser Unterstützung zu befähigen, Mitglieder in der bürgerlichen Gesellschaft zu werden. Explizit verweist der erste Jahresbericht der Gesellschaft der Freunde in der Not auf jene »100 weibliche[...] Zöglinge[...]«68, die in den Näh-, Spinn- und Strickschulen lernten.69 Dagegen wurden männliche Perzipienten zur »Erlernung von nützlichen Handierungen und Gewerben«70 angehalten. Damit unterschied sich das Falksche Institut von anderen karitativen oder schulischen Einrichtungen – wie beispielsweise den patriotischen Frauenvereinen –, die auf die Förderung eines der Geschlechter ausgerichtet waren. Gleichwohl spiegelte sich die in ähnlichen Einrichtungen noch viel stärker und fundamentaler ausgeprägte Geschlechtersegregation in den normativen Vorgaben des Falkschen Instituts wider. Neben der strikten Trennung beider Geschlechter in den Unterrichtsstunden verweist die Auflistung der zu mietenden Räumlichkeiten deutlich auf das quantitative Geschlechterverhältnis innerhalb des Falkschen Instituts: Einer größeren Gruppe an jungen Männern stand eine kleinere Gruppe heranwachsender Frauen gegenüber, die hier ebenfalls versorgt wurden. Zu den »nothwendigen Fundamentalbedürfnissen«71, die über die Spendenbeiträge realisiert werden sollten, zählte die Anmietung eines größeren und eines kleineren Saales, in welchen die männlichen bzw. weiblichen Perzipienten getrennt voneinander unterrichtet wurden. Nachdem in früheren Jahrhunderten aus pragmatischen Gründen Mädchen und Jungen unterer Bevölkerungsschichten in der Elementarschulen und Heranwach65

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70 71

Vgl. ebd., S. XVI. Vgl. auch die entsprechenden Beschreibungen in den Jahresberichten der Gesellschaft der Freunde in der Not (1816–1828/29). Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XVI. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. auch Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816); Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XI. Vgl. ebd., S. XVI.

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sende beiderlei Geschlecht gemeinsam in den entstehenden Industrieschulen unterrichtet wurden, während Geschlechtersegregation lediglich in höheren Bildungseinrichtungen existierte, hielten um 1800 separierende Unterrichtsformen allmählich auch in Institutionen ärmerer Bevölkerungsschichten Einzug.72 Der Tendenz, Ausbildungs- und Erziehungswege von Mädchen und Jungen zu separieren, folgte auch das Falksche Institut. Dahinter verbarg sich die Vorstellung, dass die Erziehung und Ausbildung von Kindern und Heranwachsenden am biologischen Geschlecht ausgerichtet werden müssen. Mit der Trennung der Geschlechter konnten unterschiedliche methodische Ansätze erprobt, vor allem aber verschiedene Werte und Inhalte vermittelt werden, sodass sich im Ergebnis des Erziehungsprozesses spezifisch weibliche bzw. männliche Geschlechteridentitäten herausbildeten, die explizit in der Abgrenzung zum jeweils anderen Geschlecht konstruiert wurden. Im Monatsbuch der Gesellschaft der Freunde in der Not dominierte die Idee von der Polarität der Geschlechter. Das Bewusstsein für die Diversität unterschiedlicher Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe fehlte – junge Männer wählten einen Handwerkerberuf; junge Frauen erlernten ›weibliche Arbeiten‹. Es ist davon auszugehen, dass die im Bürgertum verbreitete Vorstellung von getrennten Sphären des außerhalb des Hauses arbeitenden Mannes und der den Haushalt verrichtenden Ehefrau die normativen Vorgaben maßgeblich beeinflusst hatte, obwohl – wie sich zeigen wird – die vom Falkschen Institut Unterstützten diesem Anspruch kaum entsprechen konnten. Auf das Phänomen der Geschlechtersegregation verweisen auch andere schriftliche Ausführungen Johannes Falks. Insbesondere das Spinnen von Garn war eine Tätigkeit, die – zumindest auf diskursiver Ebene – ausschließlich von jungen Frauen ausgeführt werden sollte, die sich damit selbst Kleidungsstücke anfertigten.73 Zum anderen entwarf Falk beispielsweise in einem »Gespräch eines Hausvaters mit seinen Kindern« einen fiktiven Dialog zwischen einem Mann und ausschließlich heranwachsenden Jungen über Glaubensfragen.74 Die Geschlechtersegregation wurde 72

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Vgl. Mayer, Christine: Erziehung und Schulbildung für Mädchen, in: Hammerstein, Notker / Herrmann, Ulrich (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 2. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. München 2005, S. 188–211, hier S. 202–205. Vgl. Falk, Johannes: Das Spinnrad, ein Mittel zur Seelenrettung armer Mädchen, in: Johannes Falk. Pädagogische Schriften. Bearb. von Ernst Schering (= Kleine Pädagogische Texte; 40). Weinheim und Berlin 1967, S. 93f. Falk, Johannes: Gespräch eines Hausvaters mit seinen Kindern, in: Ders.: Er-

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auf diskursiver Ebene für die Erziehenden konsequent umgesetzt, indem Frauen Mädchen und heranwachsende Frauen unterwiesen und junge Männer von erwachsenen Geschlechtsgenossen unterrichtet werden sollten. Dem widerspricht allerdings die Beobachtung, dass ausschließlich Männer als Erzieher, Lehrer und Bezugspersonen in normativen Texten Falks und der Gesellschaft der Freunde in der Not aufgeführt wurden. Im Mittelpunkt der aktiven Fürsorge standen einerseits jene Handwerksmeister, die junge Männer in einem Handwerk unterweisen sollten. Andererseits oblag die schulische Vermittlung von Inhalten männlichen Seminaristen und Lehrern. Wie und von wem dagegen junge Frauen unterrichtet werden sollten bzw. welche Aufgaben zum Beispiel die Ehefrauen der Lehrmeister übernommen hatten, regelten die normativen Grundsätze hingegen nicht.75 Das quantitative Übergewicht männlicher Zöglingsschicksale, der detailliert ausformulierte Hilfsmechanismus für männliche Perzipienten, die räumliche Geschlechtersegregation, die sich im 19. Jahrhundert institutionell weiter verfestigte,76 sowie auch die knappen Hinweise über junge partizipierende Frauen und die praktischen Aufgaben von Frauen in der Wohltätigkeitsarbeit veranschaulichen die Sonderstellung des Falkschen Instituts in Weimar als einer Institution, die beide Geschlechter unterstützte. Vermutlich konnte sich Falk dem öffentlichen Diskurs und den gelebten Geschlechterpraktiken am Beginn des 19. Jahrhunderts in Weimar nicht völlig verschließen. Deshalb inszenierte er zumindest in den für Spender bestimmten Texten und den werbenden Jahresberichten das Falksche Institut als eine mehrheitlich männliche Bedürftige unterstützende Einrichtung. Die zeitgleiche Unterstützung junger Frauen und die vergleichsweise geringere Anzahl weiblicher Zöglinge wurden mit der strikten Trennung beider Geschlechter legitimiert. Mit dieser idealtypischen Schilderung des Instituts, die wohl kaum mit dem alltäglichen Umgang der Geschlechter korrespondierte, versuchte Falk, die finanzielle Unterstützung seiner Zeitgenossen zu gewinnen.

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ziehungsschriften. Hrsg. von Rudolf Eckart. Halle 1913, S. 162–192, hier S. 162 und 189. Erst im Jahresbericht werden auch Lehrerinnen der Mädchen namentlich erwähnt, vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 4 (1820). Vgl. Heindl, Waltraut: Zur Entwicklung des Frauenstudiums in Österreich, in: Dies. (Hrsg.): »Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück...« Frauen an der Universität Wien (ab 1897) (= Schriftenreihe des Universitätsarchivs; 5). Wien 1993, S. 17–26, hier S. 23.

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Nach dem Tode Falks im Februar 1826 und mit der Umwandlung des Falkschen Instituts in eine Nebenanstalt des großherzoglichen Waiseninstituts im April 1829 festigte sich die Tendenz zur Segregation der Geschlechter.77 Zwar war es angedacht, dass sowohl weibliche als auch männliche »verwilderte« Kinder im fortbestehenden, aber stark dezimierten Institut Aufnahme finden und in separierten Räumlichkeiten untergebracht werden sollten.78 Allerdings entwickelte sich das Institut allmählich zu einer Erziehungsanstalt, in der ausnahmslos Jungen lebten.79 In den normativen Quellen des Falkschen Instituts wird deutlich, dass Vorstellungen über die unterschiedlichen Fürsorgeangebote für junge Frauen und Männern existierten, so wie es in den Überlegungen der Geschlechtersegregation zum Ausdruck kam. Die Intention des Falkschen Instituts zielte aber über die bloße Entwicklung einer auf Geschlechterbipolarität fußenden Identitätsentwicklung hinaus. Da Geschlecht nur als mehrfach relationale Kategorie zu fassen ist, muss im Weiteren danach gefragt werden, mit welchen Sozialisationszielen die Herausbildung von Geschlechteridentität in Verbindung stand und wie sich dies in den normativen Schriften artikulierte.

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Zum Verstaatlichungsvorgang des Instituts vgl. Schwabe, Johann Friedrich Heinrich: Jahres-Bericht ueber den Zustand des Großherzoglichen Saechs. Waisen-Instituts und der damit verbundenen Erziehungsanstalt für verlassene und sittlich-verwahrloste Kinder ingleichen des Landschulfonds und der Versorgungs-Anstalten fuer Pfarr- und Schullehrer-Wittwen im Verwaltungsbereiche des Oberconsistoriums zu Weimar. Weimar 1829, 11f.; Schwabe, Johann Friedrich Heinrich: Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts sittlich verwahrloster und verlassener Kinder in Beschreibung einer diesem Zwecke gewidmeten Anstalt. Eisleben 1833, S. 73; Reskript Großherzog Carl Friedrichs an die großherzogliche Kammer, Weimar 3. Februar 1829, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 144r.; Landtagsprotokoll vom 23. März 1839, in: ThHStAW Bestand Landtag 142, Landtagsverhandlungen Bd. 2 1838–39, S. 786–787; ThHStAW Polizeisachen B 5499a; StdAW HA I–27–91; Reis: Falk, S. 76–79. Vgl. Bericht an Frau Staatsminister [Louise Armgard von Watzdorf], Weimar 10. Januar 1852, in: ThHStAW HA A XXV, Akten 608, Angelegenheiten des ehemaligen Falkschen Instituts 1852, Bl. 1r.–6v., hier Bl. 1v. Vgl. ebd., Bl. 2r. Zum weiteren Fortbestehen des Instituts bis in das 20. Jahrhundert vgl. ThHStAW Staatsministerium, Departement des Kultus Nr. 187.

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1.2.2 Erziehung zum (Staats-)Bürger Mit ihrem sozialfürsorglichen Engagement wollte die Gesellschaft der Freunde in der Not langfristig »veredelte Sprößlinge erziehn, von denen sich in der Folge die geseg[net]sten Früchte eines lachenden Gewerbefleißes erwarten lassen!«80 Die Fürsorge am Nächsten diente nicht nur dem einzelnen Individuum, sondern kam umgekehrt der Gemeinschaft insgesamt zugute. Sprachlich artikulierte sich dieser Wunsch in Formulierungen, die auf das Konzept des Bürgers rekurrierten. Ziel der Hilfsmaßnahmen im Falkschen Institut war eine Erziehung zum Bürger als Staatsuntertan einerseits und zum Menschen mit den spezifischen Charakteristika eines Bürgers andererseits.81 »Welcher Gedanke kann Herzerhebender seyn, als der, eine Anstalt, welche die Rettung der Seelen, junger fast verlornen Staatsbürger, sich zur heiligsten Pflicht macht?«82, funktionalisierten Karl Friedrich Horn und Johannes Falk die Erziehungsaufgabe, um so ihre Arbeit gegenüber ihren Kritikern zu legitimieren. So waren einige Mitglieder der Landesdirektion beispielsweise überzeugt, dass das Falksche Institut nur in den unmittelbaren Kriegsjahren eine Daseinsberechtigung besaß, da es sich dezidiert um die Folgen des Krieges bemüht hätte. Weil »die Umstände der Jahre 1813 und 1814 ganz verschieden mit der gegenwärtigen Lage des Landes sind«83, bedürfe es einer solchen Einrichtung 1818 nicht mehr, da andere Institutionen, wie das Waiseninstitut, ohne weiteres die Aufgabe vollends erfüllen.84 Andere staatliche Vertreter erkannten durchaus das Potential des Falkschen Instituts und baten nach eigenen fehlgeschlagenen Erziehungsmaßnahmen bei Falk um die »Umerziehung« der Heranwachsenden zu »brauchbaren Staatsbürger[n]«85. Im Gegensatz zu der seit dem Mittelal80 81

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Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 1. Vgl. Riedel, Manfred: Art. »Bürger, Staatsbürger, Bürgertum«, in: GG Bd. 1, S. 672–725, hier S. 681; Maurer, Michael: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815). Göttingen 1996, S. 37. Entwurf Karl Friedrich Horns und Johannes Falks an die großherzogliche Landesdirektion, in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 302r.–304r., hier Bl. 302v.; vgl. dazu auch ThHStAW B 4850aa. Pro Voto [Johann Wilhelm Carl] Ludecus’, [Weimar] 18. Januar 1818, in: ThHStAW B 4850aa, Bl. 30r.–39r., hier Bl. 33v. Vgl. Pro Voto [Heinrich Carl Ernst] Horns, [Weimar], in: ThHStAW B 4850aa, Bl. 20r.–24v., hier Bl. 23v. Auszug aus den Jahrbüchern der Anstalt der Freunde in der Noth zu Weimar, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 153r.–156r., hier Bl. 153r.

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ter virulenten Bezeichnung eines Stadtbewohners als Bürger (bourgeois) verwies der Begriff des Staatsbürgers allgemein auf das Mitglied eines Staates und lehnte sich eng an den bis dahin üblichen Ausdruck Untertan.86 Als in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die alte deutsche (bzw. europäische) Ordnung mit dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der Gründung des Rheinbundes, der Stärkung der deutschen Mittelstaaten und schließlich dem Zusammenschluss der deutschen Staaten im Deutschen Bund durcheinander geriet, galt es nicht nur das innen- und außenpolitische Gleichgewicht neu zu ordnen. Zeitgleich stand das Verhältnis zwischen Herrschenden und Regierten zur Disposition, wie es sich in den Auseinandersetzungen um die Einführung landständischer Verfassungen widerspiegelte und im Streit um ein zentrales übergeordnetes Bundesorganes gipfelte.87 Angesichts der politischen Umwälzungen sahen verschiedene weltliche und kirchliche Würdenträger des (Groß-)Herzogtums im Falkschen Institut die Möglichkeit, junge Menschen zu gehorsamen und obrigkeitstreuen Untertanen zu erziehen, die sich den jeweiligen Regel- und Gesetzen des Landes unterordneten. Diese Hoffnung entsprach durchaus den von Falk verfolgten Absichten. Das Institut hatte schließlich nicht das Ziel, »Thron und Volk voneinander abzusondern«88. Eine revolutionäre Veränderung der Ständegesellschaft sollte vermieden und die dem Institut überlassenen Heranwachsenden entsprechend erzogen werden, weil »unter 200.000 Menschen nicht gar 10.000 zu rechnen sind, die singen, dichten, Bücher schreiben, Thee trinken, usw., und dass der übrige Theil beten und arbeiten muß«89. Demgegenüber zielten andere Erziehungsabsichten auf die zweite semantische Bedeutungsebene des Bürgerbegriffs, der die spezifischen Charakteristika bürgerlicher Kultur beinhaltete. Der Jenaer Frauenverein dankte Falk im September 1815, »daß ein braver Mann es unternommen hat, ein armes verlornes Kind zu einem ordentlichen Bürger machen zu helfen«90. Für die Mitglieder im Jenaer Frauenverein – allen voran Johanna Frommann, Louise Marezoll91 und Friederike Juliane Gries86 87

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Vgl. Riedel: Bürger, S. 676 und 700–704. Vgl. Müller, Jürgen: Der deutsche Bund 1815–1866 (= EDG; 78). München 2006, S. 3–10. Brief [Abschrift] Johannes Falks an den Erbgroßherzog [Carl Friedrich], Weimar 6. August 1816, in: GSA 15/I, 2 a– z, Bl. 3r.–4v., hier Bl. 3v. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Schreiben des Jenaer Frauenvereins, Jena 26. September 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 339r.–340r., hier Bl. 339v.

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bach,92 die im universitären Milieu Jenas integriert waren – hatte das Falkschen Institut nicht vordergründig für die »Umerziehung« zum Untertanen, sondern für die Herausbildung bürgerlicher Eigenschaften zu sorgen. Mehrheitlich gehörten die Frauen zu jener Bevölkerungsgruppe, die durch Besitz und Bildung zum Bürgertum zählte und über ähnliche kulturelle Praktiken, gleiche Werte, Mentalitäten oder Handlungsmuster verfügte.93 Vor einem solchen bürgerlichen Erfahrungshorizont galt die oberste Priorität, Heranwachsende durch finanzielle und praktische Hilfe zur Aufnahme einer regelmäßigen Arbeit zu befähigen, sodass diese fortan ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten konnten. Nicht allein hoher Bildungsgrad, sondern der daraus resultierende materielle Besitz bzw. die wirtschaftliche Unabhängigkeit zählten zu den »wichtigsten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Bürgerleben«94. In ähnlicher Weise äußerten sich die Einwohner der Residenzstadt Weimar. Wie wichtig den Verantwortlichen im Magistrat die Erziehung zum Bürger war, zeigt das Votum des Weimarer Bürgermeisters Carl Lebrecht Schwabe in der Diskussion um die Einrichtung einer Handwerker- bzw. Sonntagsschule Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts. Weniger die handwerklichen Fähigkeiten wurden vom Magistrat als erstrebenswertes Ziel einer weiterführenden Ausbildung angesehen, sondern die Entwicklung bürgerlicher Tugenden,95 die ihrerseits die Basis eines selbstbestimmten bürgerlichen Lebens bildeten. 91

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Vgl. Ackermann, Astrid: Art. »Caroline Louise (Luise) Friederike Marezoll (1792–1867)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 234–238, hier S. 234–236. Zu Marezolls karitativem Engagement im Jenaer Frauenverein und in der Gesellschaft der Freunde in der Not vgl. Brief Louise Marezolls an Johannes Falk, Jena 15. Januar 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 9r.–9v.; Brief Louise Marezolls an Johannes Falk, Jena 16. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 481r.–482r. Vgl. zum Jenaer Frauenverein: Gräfe, Heinrich: Nachrichten von wohlthätigen Frauenvereinen in Deutschland. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts. Kassel 1844, S. 35; Häfner, Claudia: Art. »Friederike (Friederica) Juliane Griesbach, geb. Schütz (1755–1831)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 172–175, hier S. 173; Reder: Frauenbewegung, S. 259. Vgl. Budde: Bürgerleben, S. 12–20; Lepsius, M. Rainer: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Göttingen 1987, S. 79–101, hier S. 79–82 und 88–90. Schulz, Andreas: »Bürgerliche Werte«, in: Bueb, Bernhard u. a. (Hrsg.): Alte Werte – Neue Werte. Schlaglichter des Wertewandels. Göttingen 2008, S. 29–36, hier S. 32. Vgl. Votum Schwabes in der Plenarsitzung des Weimarer Stadtrates, 30. Dezem-

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Die Gefahr, der bürgerlichen Ordnung zu entgleiten, bestand für junge Frauen und Männer aus Falks Sicht gleichermaßen: »Ich müßte ein langes jammervolles Register anfüllen […], wenn ich Ihnen alle die Kindermädchen und Buben unseres Landes namhaft machen wollte, die ich so von den Landstraßen, aus den Bettelkörben […] herausgenommen, und mit Gottes erbarmungsreicher Hülfe, der über diese schuldlose Jugend wachte, und sie nicht in so traurigen Verirrungen wollte umkommen und verderben laßen dem Staat, der bürgerlichen Zucht und Ortnung glücklich wieder geschenckt habe.«96

Ursächlich dafür waren zwar die kriegerischen Auseinandersetzungen des frühen 19. Jahrhunderts, weshalb auch Töchter und Söhne bürgerlicher Eltern unter diesen Umständen in der Gefahr standen, als Bettler oder Vagabundierende umherziehen zu müssen. Das Falksche Institut wollte den Integrationsprozess langfristig fördern, indem die jungen Perzipienten mit Kleidung und Nahrung versorgt wurden, regelmäßig die Schule sowie den Gottesdienst besuchten und zusätzlich kostenlos Privatunterricht im Institut erhielten, »mit einem Wort in einen Menschen[,] in einen nützlichen Staatsbürger veredelt«97 wurden. Die im Falkschen Institut geführte Diskussion um das Erziehungsziel Bürger wurde einerseits von der Vorstellung vom Staatsbürger, andererseits von verbindenden bürgerlichen Werten bestimmt. Mit Blick auf die den Heranwachsenden unterbreiteten Unterstützungsangebote ist fraglich, ob mit diesen Vorschlägen junge Frauen und Männer den Erwartun-

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ber 1828, in: StdAW HA I–27–84, Bl. 44r.–47r. Eine ähnliche Position vertrat in dieser Frage auch die Landesdirektion. Vgl. Schreiben der Landesdirektion an den Stadtrat, Weimar 4. Dezember 1832, in: StdAW HA I–27–84, Bl. 109r.–114r. Vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 146f. Michael Maurer differenziert treffend zwischen dem antiquierten Begriff der »Tugend« als menschlicher Grundhaltung sittlicher Vollkommenheit, die historischen Veränderungen unterliegt, und »Werten« als (scheinbar) anthropologischen Konstanten. Die Wurzeln spezifisch bürgerlicher Tugenden (im Gegensatz zum universell-menschlichen Anspruch des Begriffs) reichen in die Haushaltslehre und Ökonomie der Frühen Neuzeit zurück: Fleiß, Reinlichkeit, Ordnung und Sparsamkeit erhielten eine spezifisch bürgerliche Komponente, da sie die Grundlage für ein wirtschaftlich (selbstständiges) Handeln des Bürgers bildeten. Diese Tugenden standen beispielsweise im Gegensatz zur adligen Großmut und Großzügigkeit. Vgl. Maurer: Biographie, S. 232f. und 234–236. Schreiben Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 18. Mai 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 100v.–105v., hier Bl. 101r. Ebd., Bl. 102r. Vgl. auch Predigt [Karl Friedrich Horns] zum 2. Stiftungstag, Weimar 30. Januar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 23r.–25v., hier Bl. 24r.

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gen an eine bürgerliche Frau bzw. einen bürgerlichen Mann entsprechen würden. Die Unterstützung mit Kleidung oder finanziellen Mitteln orientierte einen Großteil der jungen Frauen auf eine Zukunft außerhalb einer eigenen Familie, indem sie »als ordentliche Dienstmägde auf Pachthöfen, in Pfarren, in Bauerwirthschaften [...] ehrliche Dienste [v]errichten«98. Die Fürsorgeangebote junger Männer orientierten sich weitaus stärker an der Erziehung bürgerlicher Werte. In den normativen Texten und in der zeitgenössischen Wahrnehmung fehlen Hinweise, die explizit auf heranwachsende Männer als Knechte, Dienstboten oder gar Tagelöhner verweisen, wie es dem Hilfsangebot der weiblichen Zöglinge entsprochen hätte. Den jungen Männern wurde eine handwerkliche Lehre in Aussicht gestellt, indem sie in die Familie eines städtischen oder ländlichen Handwerkers aufgenommen wurden und wo sie neben den fachlichen Qualifikationen Werte internalisierten. Die vom Falkschen Institut angestrebten Zukunftspläne junger Männer waren dezidiert bürgerlich geprägt, wobei Falk unter Einbeziehung (städtischer und ländlicher) Handwerker auf Vertreter des älteren Stadtbürgertums bzw. des späteren Kleinbürgertum baute,99 die Selbstständigkeit und Ehrbarkeit verkörperten, ohne das Potential eines sich herausbildenden Wirtschafts- bzw. Bildungsbürgertums in entsprechender Weise zu berücksichtigen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts überlagerten sich ständische und bürgerliche Vorstellungen, sodass sich dies im Diskurs über die spezifischen Aufgaben von Frauen und Männern in der sich neu formierenden Gesellschaft widerspiegelte. Einerseits sollten die Heranwachsenden beiderlei Geschlechts bürgerlichen Idealen polarer Geschlechtscharaktere entsprechen. Andererseits konterkarierten die immer noch fortwirkenden ständischen Strukturen und die fehlenden ökonomischen Ressourcen diesen Anspruch. Auf diskursiver Ebene kam die daraus resultierende Geschlechterdiversität für weibliche Lebensentwürfe viel deutlicher zum Ausdruck, während Männlichkeitsentwürfe von einem bürgerlichen Er98 99

Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 262i. Vgl. Reininghaus, Wilfried: Handwerk, Bürgertum und Staat im 19. und 20. Jahrhundert. Essay zur Einführung in das zweite handwerksgeschichtliche Kolloquium auf Schloss Raesfeld, in: Ders. / Stremmel, Ralf (Hrsg.): Handwerk, Bürgertum und Staat. Beiträge des zweiten handwerksgeschichtlichen Kolloquiums auf Schloss Raesfeld, 12. bis 14. Januar 1995 (= Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte; 15). Dortmund 1997, S. 11–23, hier S. 15; Schulz, Andreas: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert (= EDG; 75). München 2005, S. 69.

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fahrungshorizont geprägt wurden. Darin manifestiert sich ein männlicher Hegemonieanspruch auf materielle Ressourcen, die mit der Aufnahme einer bestimmten Arbeit zugänglich wurden, sodass andere Männlichkeitsvorstellungen, die Heranwachsende beispielsweise in dienenden Positionen praktizierten, negiert wurden. Inwieweit sich die Gleichzeitigkeit von Diversität der Geschlechtervorstellungen und Fokussierung auf ein bürgerliches Männlichkeitsideal in der Praxis widerspiegelte, gilt es an anderer Stelle zu untersuchen.100 Im Folgenden gilt es danach zu fragen, welche Werte mit dem Erziehungsziel ›Bürger‹ verknüpft wurden. Dabei steht einerseits die bereits angedeutete besondere Fokussierung auf die »zentralen bürgerlichen Werte«101 wie Arbeitsamkeit und Selbstständigkeit im Mittelpunkt, weil sie als Kennzeichen des bürgerlichen Lebens das 19. Jahrhunderts prägten. Andererseits gilt es anschließend danach zu fragen, welche Bedeutung Falk der Religion beimaß, um dem »Verfall der Sitten« und »der Staaten«102 entgegenzuwirken. Nicht ein allgemein verbindlicher bürgerlicher Wertekanon, sondern die »prinzipielle Anerkennung von Werteorientierung«103 zeichnete das Bürgertum aus, das für diesen Prozess bewusst auf religiöse Symbole zurückgriff.

1.2.3 Arbeitsamkeit Am Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Arbeit als eine »Kraftanstrengung, die nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Erreichung eines Zwecks geübt wird«104, definiert. Trotz dieser nüchternen Zuschreibung entwickelte sich der Begriff gerade in jenem Jahrhundert zu einem der zentralen Fixpunkte am bürgerlichen ›Wertehimmel‹.105 Charakteristisch ist das Nebeneinander unterschiedlicher Arbeitsbegriffe, die immer wieder in vorangegangenen Jahrhunderten Wandlungen unterworfen waren: 100 101

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Vgl. Kapitel III.4.1 und besonders III.4.1.6. Hahn, Hans-Werner / Hein, Dieter: Bürgerliche Werte um 1800. Zur Einführung, in: Dies. (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption. Köln 2005, S. 9–27, hier S. 16. Falk: Von dem einen, S. 17. Schulz: Werte, S. 35. Friedländer, E. D.: Art. »Arbeit«, in: Staats-Lexikon Bd. 1, S. 644–651, hier S. 644. Vgl. Hein, Dieter: Arbeit, Fleiß und Ordnung, in: Hahn, Hans-Werner / Hein, Dieter (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption. Köln, Weimar und Wien 2005, 239–251, hier S. 239.

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So überlagerten sich säkularisierte Ansichten, die Arbeit ohne religiöse Rückbindung wertschätzten, mit christlichen Arbeitsauffassungen pietistischen und calvinistischen Ursprungs, die Arbeit als einer vor Gott zu rechtfertigenden Größe Bedeutung zumaßen, ohne ihr eine besonders herausgehobene Stellung zuzuweisen.106 Arbeit sollte nicht um ihrer selbst willen verrichtet werden, sondern integrativer Bestandteil einer religiösen Lebenseinstellung sein.107 Spätestens seit dem 18. Jahrhundert erfuhr der Begriff schließlich jene semantische Erweiterung, mit der Arbeit nicht mehr länger nur als eine von Gott auferlegte Plage verstanden, sondern als eine Möglichkeit begriffen wurde, mit der der arbeitende Mensch durch die eigene Leistung seine Stellung innerhalb der Gesellschaft festigen oder sogar verbessern konnte.108 Für Pädagogen der Zeit erwuchs daraus die Aufgabe, Kinder und Jugendliche nicht nur zur Arbeitsamkeit zu erziehen, sondern Arbeit als festen Bestandteil im Bewusstsein des heranwachsenden Menschen zu verankern.109 Arbeitsamkeit bot zudem einen nicht zu vernachlässigenden methodischen Vorteil, den Johann Gottfried Herder bereits im Jahr 1800 in seinen Ausführungen über die Zukunft der Weimarer Freischule formuliert hatte. Heranwachsende – insbesondere Kinder von Almosenempfängern oder Tagelöhnern, aber auch Waisen oder Halbwaisen – sollten in einer zusammengeschlossenen Frei- und Industrieschule unterrichtet werden, »weil eben diese Industrie das Prächtigste ist, ja vielleicht das einzige Mittel ist, sie zu fleißigen Schulgängern zu machen«110. Der im 18. Jahrhundert aus dem Lateinischen und Französischen entlehnte Begriff der »Indüstrie« bezeichnete zunächst ganz allgemein mit »Arbeitsamkeit, Arbeitstrieb, Betriebsamkeit, Emsigkeit [und] Gewerbsamkeit« Formen eines »betriebsamen«111 Fleißes. Schon 1783 hatte Friedrich Justin Bertuch Arbeitsamkeit als einen wichtigen Garanten identifiziert, um die materiellen Aufwendungen des Herzogtums Sachsen-Weimar und Eisenach möglichst gering zu halten.112 106 107 108 109 110

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Vgl. Maurer: Biographie, S. 381; Hein: Arbeit, 251. Conze, Werner: Art. »Arbeit«, in: GG Bd. 1, S. 154–215, hier S. 163. Vgl. ebd., S. 172. Vgl. ebd. Bericht Johann Gottfried Herders an [Herzog Carl August], [Weimar] 13. Februar 1800, in: ThHStAW B 44391, Bl. 1r.–2r., hier Bl. 1v. Art. »Indüstrie«, in: Krünitz, Johann Georg: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie. Band 29 (1783), S. 708–747, hier S. 709 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/). Vgl. Bertuch: Staat.

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Auch im Falkschen Institut bildete Arbeitsamkeit das zentrale Erziehungsziel für junge Frauen und Männer, obwohl nur wenige Quellen überliefert sind, in denen Falk reflektierend die Bedeutung von Arbeit erörtert hat. Ein Ziel der Gesellschaft der Freunde in der Not war es, »dem schlendernden Müßiggang an den Landstraßen zu wehren«113, wobei Müßiggang keineswegs nur ein Charakteristikum mittelloser Bevölkerungsschichten darstellte. In Abhängigkeit zu materiellen Ressourcen konnte jeder dem Müßiggang verfallen und entweder – wie beispielsweise Tagelöhner und Hirten – durch Diebstahl und Betrug oder – wie Besserbemittelte – durch exzessiven Konsummittelgenuss, Glücksspiel bzw. Faulenzerei auffallen.114 Besonders Kinder von Almosenempfängern sollten zur Arbeit angehalten werden, um die »hiesige Betteley und Faullenzerey, durch eingeführte Arbeitsamkeit […] in der Wurzel zu zerstöhren«115, sodass der Heranwachsende »von Jugend auf an Arbeit gewöhnet, und dabey den Vortheil, den man von der Arbeit hat […] begreifen lernet«.116 In der in Weimar geführten Diskussion um Almosen und deren rechtmäßige Zuteilung dominierte eine subsidiäre Auffassung, wonach unabhängig vom Alter oder Geschlecht jeder Einzelne seinen jeweiligen körperlichen und geistigen Möglichkeiten entsprechend einen Beitrag zum eigenen Lebensunterhalt zu leisten hatte.117 Johannes Falk wertete mit dem Motiv des Müßiggangs sowohl die handwerkliche Ausbildung junger Männer als auch alle Arbeiten junger Frauen auf, die – wie in anderen Einrichtungen üblich – ebenfalls vom Müßiggang abgehalten werden sollten.118 113

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Brief [Abschrift] Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, [Weimar] 26. Juli 1822, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 75r.–75v., hier Bl. 75r. Vgl. Brief [Konzept] Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 26. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 107r.–108r. Vgl. Art. »Müssiggang«, in: Zedler Bd. 22, Sp. 664–671, hier Sp. 665f. Brief [Entwurf] Johannes Falks an das großherzogliche Almosenkollegium, Weimar nach dem 24. Oktober 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 35v.–37v., hier Bl. 35v. Art. »Müssiggang«, Sp. 666. Vgl. etwa Schreiben der großherzoglichen Armendeputation an Johannes Falk, Weimar 22. Januar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 40r.–42v., hier Bl. 40r.–40v. Vgl. Brief [Abschrift] Johannes Falks an unbekannte Empfängerin, Weimar 27. Juli 1823, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 87r.–89v., hier Bl. 87v. Vgl. für den abzuwehrenden Müßiggang bei jungen Frauen beispielsweise Brief Johanna Wilhelmine Löwes an Herzog Carl August, Apolda 17. März 1800, in: ThHStAW B 4757, Bl. 57r.–61r., hier Bl. 57r. Vgl. Ausführungen zum Institut Johanna Wilhelmine Löwes in Kapitel I.5.2.

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Entsprechend dem bürgerlichen Leistungsprinzip sollten die Heranwachsenden im Falkschen Institut erkennen, dass sie mit ihrer Arbeit in der Lage waren, Erzeugnisse zu schaffen, die ihnen persönlich oder ihren Mitmenschen zugutekamen. Das Falksche Institut verpflichtete deshalb jeden Zögling, Produkte seiner Arbeit unentgeltlich anderen Kindern der Anstalt zur Verfügung zu stellen: »Es ist kontractmäßig, daß die Kinder für ein ander arbeiten, daß die Mädchen für die Lehrbursche[n] wollene Strümpfe stricken; daß die Leineweber für die Schneider Hemden; die Schneider für den Leineweber in den Nebenstunden Hosen machen.«119

Zwar prägte Arbeitsamkeit das Leben beider Geschlechter, allerdings in unterschiedlicher Qualität, wie der Eintrag im Monatsbuch verdeutlicht. Arbeitsamkeit konstituierte zwischen den Geschlechtern kein gleichberechtigtes Verhältnis. Lediglich junge Männer praktizierten das wechselseitige füreinander Arbeiten konsequent, indem jeder von den Produkten des anderen profitierte. Die Arbeitsprodukte der heranwachsenden Frauen sollten zwar ihren männlichen Kollegen im Falkschen Institut zugutekommen, inwieweit sie hingegen von der Arbeit männlicher Zöglinge profitieren konnten, bleibt fraglich. In den Jahresberichten fehlt zumindest jeder Hinweis, dass junge Frauen im Gegenzug für gestrickte Socken etwa mit Schuhen der Schuhmacherlehrlinge versorgt worden wären. Vermutlich deutete sich in der geschlechtersozialisatorischen Grundannahme bereits eine Zurückdrängung von Frauen aus den im 19. Jahrhundert immer wichtiger werdenden Produktionskreisläufen in die Familie an.120 Charakteristisch ist zudem die Verwendung von Berufsbezeichnungen für Tätigkeiten von Männern. Die fehlende sprachliche Ausdifferenzierung deutet auf eine geringere weibliche Wahlfreiheit für eine berufliche Tätigkeit hin. Als wichtigste Voraussetzung, um die von der Gesellschaft der Freunde in der Not angestrebte Männlichkeitsvorstellung bei den Heranwachsenden zu verinnerlichen, geht aus den Grundsätzen hervor, dass junge Männer nützliche Handwerke ergreifen und »in tüchtigen Werkstätten und bei braven Lehrmeistern«121 untergebracht werden sollten: »Denkt auch, ihr edlen Menschenfreunde, das schöne lachende Bild und führt es euern Gemüth vor, wie diese muntern, meist verwilderten, oder doch der Verwilderung bereits sehr nahe gekommenen Knaben, jetzt wieder für Zucht, Sitte 119 120 121

Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XVII. Vgl. Kapitel III.4.2. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VI.

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und bürgerliche Ordnung gewinnen, in einem belebten Vorgrund, als Tischler, Zimmerleute, Maurer, Schmiede, Leineweber, Schuster, Drechsler mit Hobel, Säge, Kelle, Winkelmaß, Hammer, Ambos, Schnitzeisen und Webeschiffen, bey nützlichen Gewerken angestellt, fleißig und geschäftig sind[.]«122

Auf normativer Ebene bestätigt sich für das Falksche Institut die von der historischen Bürgertumsforschung aufgestellte These, wonach Arbeit nicht nur eine besondere Bedeutung innerhalb des bürgerlichen Wertesystems innehatte, sondern eine wichtige sinnstiftende Funktion männlicher Identität besaß.123 Die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit (als Handwerker) hatte für junge Männer zwei Bedeutungsebenen: Einerseits integrierten sie sich arbeitend in die »bürgerliche Ordnung« der Gesellschaft, andererseits bestritten sie mit der Berufsausübung selbstständig ihren Lebensunterhalt, wodurch sie als tätige (Staats-)Bürger Teil der Erwachsenenwelt wurden. Für junge Frauen des Instituts kam Arbeit eine wichtige, wenngleich nicht ebenso starke Bedeutung zu. Denn obwohl auch sie arbeiteten, profitierten sie nicht in gleichem Maße von den im Institut angefertigten Produkten, wurden sie doch vor dem Hintergrund des Weiblichkeitsideals der Hausfrau, Gattin und Mutter auf den kleinen, häuslich-familiären Aktionsradius beschränkt, der sich ihnen mit den ›weiblichen Arbeiten‹ bot.

1.2.4 Religiosität und Werteerziehung Es mag aus Sicht des säkularen124 21. Jahrhundert verwundern, Religiosität und Werte(erziehung) innerhalb ein und desselben Kapitels zu behandeln. Als die Kirchen um 1800 die Deutungshoheit über das geschriebene Wort verloren, bemächtigten sich Dichter und Schriftsteller nicht nur der Sprache, sondern auch der über sie kommunizierten Werte.125 Im Gegensatz zu den klar strukturierten Erklärungsmustern konfessioneller Art, die beispielsweise zum Nachahmen einladen oder bewusst abschrecken sollten, eröffneten sich dem Individuum nun neue 122

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Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Friedrich Heerdegen, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 12r.–16r., hier Bl. 15v. Vgl. Habermas, Rebekka: Frauen und Männer des Bürgertums (= Bürgertum; 14). Göttingen 2000, S. 33. Zur im 21. Jahrhundert fortschreitenden Entkirchlichung in Deutschland und zur gleichzeitigen religiösen Pluralisierung vgl. Gabriel, Karl: Säkularisierung und Religiosität im 20. Jahrhundert, in: Bueb, Bernhard u. a. (Hrsg.): Alte Werte – Neue Werte. Schlaglichter des Wertewandels. Göttingen 2008, S. 97–106. Vgl. Hahn; Hein: Werte, S. 19.

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Handlungsspielräume. Wenngleich diese Werte ebenfalls die Grundlage für die Akzeptanz gesellschaftlich geforderter Verhaltensregeln bzw. Normen durch den Einzelnen bildeten,126 war das Individuum nach 1800 »von den ständischen Verhaltenszwängen emanzipiert«127, sodass die Aneignung bürgerlicher Werte auf freiwilliger Basis passierte und gleichzeitig zur obersten Bürgerpflicht wurde.128 Der Begriff des ›Wertes‹ ist ein Anachronismus, dem in zeitgenössischen Quellen zumeist die Verwendung von ›Gebot‹ oder ›Regel‹ entspricht.129 Die semantische Nähe zur christlichen Terminologie ist das Kennzeichen einer von der neueren Forschung hervorgehobenen »Bürgerreligion«130. Im 19. Jahrhundert verschmolzen auf Basis einer individuellen (protestantischen) Frömmigkeit Religion und Moral, weshalb nicht nur alle Lebensbereiche des Bürgertums religiös geprägt waren, sondern dieses religiöses Symbol- und Moralsystem die neuen gesellschaftlichen Strukturen stabilisierte und dem Bürgertum Orientierung stiftete.131 So bestand für Johannes Falk auf dem Gebiet der Pädagogik ein direkter Zusammenhang zwischen religiösen Praktiken und der Aneignung bürgerlicher Werte, wenn er zugespitzt formulierte: »Hier ist also das Fundament alles Unterrichts, Religion und Moral.«132 Neben den bereits beschriebenen Zielen der Arbeitsamkeit und des Bürgersinns bezweckte die Erziehung von Heranwachsenden am Beginn des 19. Jahrhunderts die Herausbildung einer Reihe von weiteren Werten, die in Abhängigkeit zur Religion und Konfession konstituiert wurden.133 Ziel ist es, die enge Wechselbeziehung zwischen Religion und Moral im bürger126 127 128 129

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133

Vgl. Frindte: Handlungsspielräume, S. 45f. Schulz: Werte, S. 31. Vgl. Hahn; Hein: Werte, S. 12. Vgl. Gestrich, Andreas: Ziele und Praktiken familialer Werteerziehung im 18. und 19. Jahrhundert in städtischen und ländlichen Kontexten, in: Holzem, Andreas / Weber, Ines (Hrsg.): Ehe – Familie – Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt. Paderborn u. a. 2008, S. 345–372, hier S. 346f. Hettling, Manfred / Hoffmann, Stefan-Ludwig: Einleitung. Zur Historisierung bürgerlicher Werte, in: Dies. (Hrsg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2000, S. 7–21, hier S. 9. Vgl. Staritz, Simone: Geschlecht, Religion und Nation. Genoveva-Literaturen 1775–1866 (= Mannheimer Studien zur Literatur und Kulturwissenschaft; 38). Mörlenbach 2005, S. 55–57. Auszug aus Falks Tagebuch 1820 [Abschrift], in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 47r.–50v., hier Bl. 47v. Vgl. Gestrich: Werteerziehung, S. 356.

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lichen Wertekonglomerat Falks herauszuarbeiten und die Frage zu beantworten, inwieweit bestimmte Werte Geschlechtervorstellungen prägten oder auch nur für eines der Geschlechter galten. Als in Folge des Wiener Kongresses nicht nur die Neuordnung Europas, sondern auch das Verhältnis der Stände, der Regierenden und Regierten zur Disposition stand, äußerte Falk seine feste Überzeugung, dass – ungeachtet der konkreten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen – ein tief verwurzelter christlicher Glaube das verbindende Element der widerstreitenden Parteien sein könnte, wenngleich die Reformation diesen »Kitt des ganzen alten europäischen Staatsgebäudes«134 hat brüchig werden lassen. Dem Vizepräsidenten des Landschaftskollegiums und einem der engsten Vertrauten Herzog Carl Augusts Carl von Müffling135 gegenüber äußerte Falk, dass die politischen Vertreter die »allgemeine christliche Erziehung und Verwaltung darnach zu regeln«136 haben. Religiosität stellte für Johannes Falk demzufolge nicht allein eine auf das Jenseits ausgerichtete Lebensform dar, sondern bildete – als Norm und Wert gleichermaßen – ein verbindendes Element moderner Gesellschaften. Ungeachtet aller Säkularisierungstendenzen im 19. Jahrhundert betonte Falk die Bedeutung des christlichen Glaubens, um (Staats-)Bürger zu erziehen. Aus dieser Einstellung resultierte auch Falks Toleranz gegenüber Heranwachsenden anderer Konfessionen, obwohl Falk selbst tief im protestantischen Luthertum verwurzelt war.137 Diese Haltung war insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. »Ein enges brüderliches Verhältnis der christlichen Konfessionen zueinander war schon damals das Bestreben.«138 So sah etwa auch das Allgemeine Preußische Landrecht vor, dass die Religionszugehörigkeit nicht zur Ausgrenzung führen durfte. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass Heranwachsende nicht am Religionsunterricht einer fremden Konfession teilnehmen mussten.139

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139

Brief Johannes Falks [Abschrift] an Carl von Müffling, o. O. u. o. D., in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 22v.–24r., hier Bl. 23r. Vgl. Tümmler: Klassisches Weimar, S. 194. Brief [Abschrift] Johannes Falks an Carl von Müffling, o. O. u. o. D., in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 22v.–24r., hier Bl. 23r. Vgl. Herrmann: Kirchengeschichte, S. 461. Sellmann, Martin: Zur Geschichte des Hagener Schulwesens von den ersten Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 67 (1974), S. 9–54, hier S. 49. Vgl. ebd., S. 49.

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Die Hilfe für Heranwachsende und die Pflicht, ihnen die Gebote der christlichen Religion zu vermitteln, verstand Falk als einen göttlichen Auftrag, der sich unmittelbar aus dem Matthäus-Evangelium ableitete und mit dem Spruch »Wer ein Kind aufnimmt in meinem Namen der nimmt mich auf«140 das auf den Jahresberichten abgedruckte Sinnbild der Gesellschaft der Freunde in der Not überschrieb. Die Befolgung Gott gegebener Gebote gehörte zur obersten Pflicht eines jeden jungen Heranwachsenden, der Unterstützung aus dem Falkschen Institut erhielt. In den mit den männlichen Zöglingen geschlossenen Verträgen verpflichteten sich die jungen Männer, dass sie »den durch diese fromme Gesellschaft in [die] Seele gepflanzten christlichen Grundsätzen, überall Genüge zu thun und denselben gemäß zu handeln, stets entschlossen«141 sind. Im alltäglichen Leben war damit die unbedingte Pflicht zum Besuch der wöchentlichen Sonntagsschule verbunden. Welche Werte im Rahmen dieser religiösen Praktiken vermittelt wurden, hing in erster Linie davon ab, an welche Adressaten sich Falk mit seinen Texten wandte, sodass insbesondere in der Auseinandersetzung mit Behörden oder weltlichen Würdenträgern – neben den christlichen Tugenden – auch auf weitere bürgerliche Werte verwiesen wurde. Der Großherzogin teilte Falk in aller Deutlichkeit mit, worin sich die Werteerziehung konkret manifestieren sollte. Einerseits verinnerlichten die jungen Frauen und Männer die »Furcht Gottes«142, andererseits brachten sie der (groß-)herzoglichen Familie besondere Liebe und Gehorsam entgegen. Religiosität und Obrigkeitstreue bildeten die beiden wichtigsten zu vermittelnden Werte, die Falk der Regentin gegenüber als Erziehungsziele garantierte. Dazu passt, dass er das Institut wenige Jahre nach dessen Gründung unter die Obhut der Landesmutter gestellt hat. Mit der institutionellen Nähe und der obrigkeitsanerkennenden Werteerziehung wollte Falk nicht nur die Nähe zum Herrscherhaus symbolisieren, sondern sich und dem ganzen Institut auf diese Weise die ideelle und finanzielle Unterstützung der herzoglichen Familie sichern.143 140 141 142

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Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Ebd. Brief [Abschrift] Johannes Falks an Großherzogin Louise, [Weimar o. D.], in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 64r.–65v., hier Bl. 65v. Vgl. Bericht Johannes Falks an Großherzogin Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach, Weimar 15. August 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 366v.–368r., hier Bl. 368r.; Brief [Abschrift] Johannes Falks an den Erbgroßherzog [Carl Friedrich], Weimar 6. August 1816, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 3r.–4v. An anderer Stelle verweist Falk auf die Zusammenarbeit zwischen Regierenden, Adligen und Bür-

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Im Falkschen Institut standen religiöse und weltliche Wertelegitimation in wechselseitiger Abhängigkeit nebeneinander. Die Erziehung zu bürgerlichen Tugenden legitimierte Johannes Falk aus seinem christlichen Verständnis von Nächstenliebe und dem göttlichen Auftrag, sich der Mitmenschen anzunehmen. »Dann ruft, o wolle Gott es geben, / Auch mir vielleicht ein Seel’ger zu: / Heil dir! Du hast mein höhers Leben / Die Seele mir errettet Du! / O Gott, wie muß das Glück erfreun / Der Retter einer Seele seyn!«144, zitierte Falk im Sinne dieser Überzeugung einen Vers Christian Fürchtegott Gellerts, um den Deputierten der Landstände 1816 seine Motive der bürgerlichen Werteerziehung zu rechtfertigen. Die Aneignung jener Werte folgte idealerweise nicht nur über religiöse Symbole und Praktiken, sondern über gleichgeschlechtliche Vorbilder. In der Praxis nahmen sich erfahrene Lehrerinnen der jungen Frauen an.145 Junge Männer sollten zur Verinnerlichung der angestrebten Werte nicht nur zu Handwerksmeistern geschickt werden, um dort eine Arbeit zu erlernen, sondern, »wenn auch nicht zu den höchsten, doch zu jenen unumgängl[ichen] bürgerl[ichen] Tugenden, ohne die es überhaupt keine Regierung, keine Städte, keine Civilisation gibt«146, erzogen werden. Ordnung im häuslichen wie im beruflichen Leben und ein gewissenhaft eingeteilter Tagesablauf waren Kennzeichen jener bürgerlichen Tugenden, die die Grundlage und den Zusammenhalt eines jeden Gemeinwesens stifteten, woraus ihre besondere Legitimation abgeleitet wurde. Säkulare und religiöse Motive standen gleichberechtigt nebeneinander, um anzustrebende bürgerliche Tugenden wie Arbeitsamkeit zu verinnerlichen.147 Es bleibt festzuhalten, dass sich am Beginn des 19. Jahrhunderts in der Werteerziehung des Falkschen Instituts einerseits die christlich-theologi-

144

145 146 147

gerlichen, die gemeinsam das Falksche Institut tragen. Vgl. beispielsweise Brief Johannes Falks an die Großherzogin Louise, o. O. u. o. D., in: GSA 161/145, S. 590f., hier S. 590. Schreiben Johannes Falks an die Landschaftliche Deputation der alt-weimarischen und eisenachischen Lande, Weimar 26. April 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I. 205, Bl. 129r.–134r., hier 131r. Der Vers entstammt aus Gellerts Gedicht »Trost des ewigen Lebens«. Vgl. National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 27.11.1816, Sp. 910. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 267. Vgl. Hein: Arbeit, S. 251. Vgl. die Äußerungen Falks, wonach die Werteerziehung Heranwachsender zu positiven Folgewirkungen in der zukünftigen Gesellschaft insgesamt führe. Schreiben Johannes Falks an die Landschaftliche Deputation der alt-weimarischen und eisenachischen Lande, Weimar 26. April 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I. 205, Bl. 129r.–134r., hier 130r.

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sche Auffassung, der Mensch sei als erlösungsbedürftiger Sünder geboren, und andererseits die aufklärerische Ansicht überlagerten, wonach die sittliche Erziehung des Einzelnen zur Verbesserung der Gesellschaft insgesamt beitrug.148 Diese Annahme lag allen Fürsorgeabsichten des Instituts zugrunde, wobei in der Praxis die Vermittlung einzelner Werte durchaus an polaren Geschlechterentwürfen ausgerichtet wurde, weshalb etwa in erster Linie junge Frauen die zeitgenössische Vorstellung von Sittlichkeit adaptieren sollten.149

1.3 Freundinnen und Freunde 1.3.1 Mitgliederstruktur einer gemischtgeschlechtlichen Vereinigung Die Gesellschaft der Freunde in der Not begann ihre Arbeit im 19. Jahrhundert auf dem »Höhepunkt« der großen »Welle privater Gesellschaftsgründungen, die mit dem 18. Jahrhundert einsetzt«150. Zuvor zwang der Geburtsstand den Menschen in eine seinen Aufgaben entsprechende Korporation oder Sozietät.151 Ab 1800 postulierten die sich neu formierenden Assoziationen, Vereine und Geselligkeitskreise den Vervollkommnungsanspruch des Individuums im geselligen Beisammensein.152 Im Zuge nationaler Bestrebungen wurde ein emotional aufgeladener Vereinsbegriff, in dem die freiwillige Bindung, die Individualität und die gleichzeitige Nähe der Mitglieder zum Ausdruck kamen, auf die politische Ebene übertragen, sodass der Gedanke der nationalen Einheit die Motivation und das Ziel vieler Vereine des frühen 19. Jahrhunderts darstellte.153 Innerhalb der Vereinsforschung sind diese Vorgänge Kennzeichen einer »idealen Organisationsform«154 der sich neu formierenden bürgerlichen 148 149 150

151 152 153 154

Vgl. Gestrich: Werteerziehung, S. 351. Vgl. Kapitel III.5.2. Dann, Otto: Vorwort des Herausgebers, in: Ders. (Hrsg.): Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland (= HZ. Beiheft; 9). München 1984, S. 5–9, hier S. 5. Vgl. Hardtwig, Wolfgang: Art. »Verein«, in: GG Bd. 6, S. 789–829, hier S. 791f. Vgl. ebd., S. 801f. Vgl. ebd., S. 802f. Grandner, Margarete / Saurer, Edith: Emanzipation und Religion in der jüdischen Frauenbewegung, in: Dies. (Hrsg.): Geschlecht, Religion und Engagement. Die jüdischen Frauenbewegungen im deutschsprachigen Raum (= L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft; 9). Köln, Weimar und Wien 2005, S. 7–23, hier S. 7.

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Gesellschaft. »Die Tatsache, daß längst nicht alle Zeitgenossen Zugang hatten zu diesen neuen Assoziationen, dämpft die Begeisterung der Vereinsforscher in der Regel kaum.«155 Ohne genau herauszuarbeiten, wem der Zutritt zu den neuen Vereinen offenstand oder nicht, konturierte die Vereinsforschung jene neuen Zusammenschlüsse als Form einer (fast) ausnahmslos männlichen Vergesellschaftung.156 Die aus der Analyse diskursiver Quellen gewonnene Vorstellung von der Trennung in eine private, Frauen zugewiesene und in eine öffentliche, Männern vorbehaltene Sphäre wurde »lange für eine adäquate Beschreibung sozialer Wirklichkeit«157 anerkannt. Dass Frauen als Vereinsmitglieder, Initiatorinnen oder Gastgeberinnen ebenfalls an der Vereinsbewegung partizipierten, trat erst in den letzten Jahrzehnten in den Fokus historischer Untersuchungen. Die Gesellschaft der Freunde in der Not ist ein Beispiel für einen Zusammenschluss, der den Zugang nicht qua Geschlecht reglementierte, aber dennoch von der Forschung als männliche Vereinigung158 wahrgenommen wurde.159 Im Folgenden wird anhand der Mitgliederstruktur danach gefragt, inwieweit die Gesellschaft der Freunde in der Not eine gemischtgeschlechtliche Anstrengung darstellte, in der sich Frauen und Männer engagierten, und ob im Gegensatz zu zeitgleich wirkenden Vereinigungen daraus besondere Vorteile erwuchsen. Obwohl sich in der Zeit der napoleonischen Befreiungskriege im Raum Sachsen-Weimar-Eisenach insbesondere adlige und bürgerliche Frauen in den Frauenvereinen des Patriotischen Instituts der Erbgroßherzogin Maria Pawlowna zur Organisation wohltätiger Hilfe zusammengefunden haben,160 greift es sowohl für diese Zusammenschlüsse als auch die Gesellschaft der Freunde in der Not zu kurz, jene als weibliche und diese als 155

156 157 158

159 160

Weckel, Ulrike: Der »mächtige Geist der Assoziation«. Ein- und Ausgrenzungen bei der Geselligkeit der Geschlechter im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 38 (1998), S. 57–77, S. 58. Vgl. ebd., S. 58. Ebd., S. 76. Der Begriff der Vereinigung unterstreicht die inhaltliche und formale Offenheit, während der Vereinsbegriff die gemeinsame (gleiche) Zielstellung der Mitglieder sowie einen gewissen formellen Rahmen suggeriert, der in der Gesellschaft der Freunde in der Not kaum gegeben war. In der neueren Forschung wird der Vereinsbegriff unreflektiert auf die Gesellschaft übertragen. Vgl. beispielsweise Schwab: Glaube ohne Liebe, S. 338. Vgl. Reder: Frauenbewegung, S. 254. Vgl. ebd., S. 248–258; Kreutzmann, Marko: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770 bis 1830 (= VHKTh KR; 23). Köln, Weimar und Wien 2008, S. 159.

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männliche Wohltätigkeitsinitiative zu bezeichnen. Mit Anton von Ziegesar fungierte etwa ein Mann im Direktorium des Patriotischen Instituts an der Ilm,161 während beispielsweise in München der dem bayerischen Hof sehr nahe stehende Friedrich Wilhelm von Thiersch162 einen Frauenverein gründen wollte und auch »Frauen und Männer«163 zur Leitung des 1816/17 entstandenen württembergischen Wohltätigkeitsvereins gehörten. Ebenso ist Dirk Alexander Reders Einschätzung, die Gesellschaft der Freunde in der Not sei ein von Männern getragener Zusammenschluss, zu revidieren.164 Die Mitgliederstruktur der Gesellschaft der Freunde in der Not lässt sich nur schwer untersuchen. Die Vereinigung zeichnete sich nicht nur in ihren Zielstellungen durch eine Offenheit aus, die unterschiedlichen Hilfegesuchen entgegenkam. Auch das Anwerben von Mitgliedern, deren Aufnahme oder der Austritt von Mitgliedern war nicht reglementiert und lässt sich nur anhand weniger schriftlicher Quellen rekonstruieren.165 Mitgliedschaft »Mitglied« in der Gesellschaft der Freunde in der Not, resümierte Johannes Falk, »wurde jeder, der sich zu einem monatlichen, oder jährlichen Beitrag verpflichtete«.166 Jene Verpflichtung ist eher als eine freiwillige Zusage einzelner Wohltäter und weniger als ein beiderseitiger Vertrag zu verstehen. Zum einen fehlen von den Wohltätern unterzeichnete Erklärungen,167 in denen die Spende regelmäßig zugesichert wurde. Allenfalls wurden die Wohltäter in den Kontrakten zwischen der Gesellschaft und den Lehrmeistern bzw. den Zöglingen genannt,168 ohne dass die Unter161 162 163

164 165 166 167

168

Vgl. ebd., S. 159f. Vgl. Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums, S. 217f. Schmierer, Wolfgang: Wohltätigkeit und Sozialpolitik in Württemberg im frühen 19. Jahrhundert. Gründung und Anfänge des Württembergischen Wohltätigkeitsvereins, in: Maurer, Hans-Martin (Hrsg.): Württemberg um 1840. Beiträge zum 150jährigen Bestehen des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins (= Lebendige Vergangenheit. Zeugnisse und Erinnerungen. Schriftenreihe des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins; 18). Stuttgart 1994, S. 71–83, hier S. 73. Vgl. Reder: Frauenbewegung, S. 254. Vgl. Hain: Gesellschaft, S. 74–76. Falk: Erinnerungsblätter, S. 47. Eine Ausnahme bildet der Vertrag vom 11. Juni 1813, auf dem zwei Spender unterzeichneten. GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. Bl. 220r.–220v. Vgl. beispielsweise Vertrag zwischen der Gesellschaft und Michael Rost, Weimar 19. November 1814, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 77r.–77a.

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stützten daraus Rechte ableiten konnten. Zum anderen konnte jeder, ohne sich zuerst um die Aufnahme in die Gesellschaft zu bemühen, mit einer Spende wohltätig helfen. Johannes Falk interpretierte diese regelmäßige oder einmalige Unterstützung als ein Engagement, wodurch der Spender per se zum Kreis der Mitglieder in der Gesellschaft gezählt wurde. Ebenso oblag es allein den Mitgliedern, über die Höhe und die Fortdauer ihrer Spenden zu entscheiden, sodass Mitglieder mit dem Ausbleiben ihrer Spende wieder aus den Verzeichnissen des Monatsbuchs gestrichen wurden.169 Gerade für die Anfangsjahre der Gesellschaft lassen sich Frauen als wichtige Mitstreiter in dem Rettungswerk nachweisen. Dies unterstreicht die Tendenz im ersten und zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, dass sich adlige und bürgerliche Frauen für wohltätige Initiativen vermehrt engagierten.170 Im Unterschied zu vielen zeitgleich – etwa in Preußen – entstehenden Wohltätigkeitsvereinen spiegelte sich in der Mitgliederstruktur der Gesellschaft die bislang von der Forschung konstatierte Geschlechtertrennung, die Frauen überhaupt erst ein öffentliches, gesellschaftliches Engagement ermöglicht habe, nicht wider.171 Im ersten Jahresbericht der Gesellschaft der Freunde in der Not sind jene »hohe[n] Freundinnen«172 erwähnt, die neben Karl Friedrich Horn und Johannes Falk zu den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft gehörten, ohne dass diese namentlich verzeichnet wurden, weshalb sie bis heute kaum von der Forschung beachtet wurden. Vermutlich zählte nicht nur Juliane von Bechtolsheim zu diesen Frauen, die etwa für die neu entstandene Wohltätigkeitsinitiative im März 1816 auf einer Hochzeitsfeier zu einer Spendensammlung aufrief.173 Andere Frauen, wie die mit der Familie Falk befreundete Christiane Henriette von Reitzenstein,174 sammelten gespendete Schmuckstücke von Freundinnen und Bekannten ein, um diese als finanziellen Beitrag der Gesellschaft zu übereignen.175 Wieder andere wie »Fr. Canzler von Müller«176 spendeten den Erlös aus dem Verkauf selbst angefertigter Handarbeiten für Zöglinge Falks. Ebenso engagierten sich 169 170 171 172 173 174 175 176

Vg. Hain: Gesellschaft, S. 76. Vgl. Paletschek: Frauen, S. 181. Vgl. Hüchtker: Mütter, S. 106. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. Hain: Gesellschaft, S. 71. Vgl. Dietsch: Last, S. 256. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Gemeint ist Wilhelmine Christiane von Müller (1782–1857).

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aber auch die Hofdamen Henriette von Pogwisch, Gräfin Friederike Caroline von Beust, die Prinzessinnenerzieherin Louise Martin und Louise Stichling, seit 1809 zweite Ehefrau des Weimarer Kammerrates Constantin Stichling, ohne deren Beiträge im Einzelnen konkretisieren zu können.177 Aus diesen ganz unterschiedlichen Anlässen, die zu einer Spende führten, lässt sich schlussfolgern, dass die Beiträge jener »hohen Freundinnen« spontane, unregelmäßige und in ihrer Höhe für Johannes Falk nicht absehbare, gleichwohl aber sehr wichtige Spenden darstellten. In den späteren Jahren erbat Falk ausdrücklich den »Beystand frommer Jungfrauen, Frauen und Hausmütter«178. Seine direkte Ansprache könnte als Reaktion auf die im Großherzogtum verfestigte Geschlechtertrennung auf Seite der Wohltäter interpretiert werden, weshalb er es für notwendig erachtete, Frauen ausdrücklich zur Hilfe zu ermutigen. Das Engagement von Frauen in der Gesellschaft der Freunde in der Not ging jedoch über die bloße Spende hinaus; gestalteten sie doch die Gründung aktiv mit. So zählt etwa die seit 1778 in Weimar lebende Schwägerin Charlotte von Steins, Sophie von Schardt, neben Falk und Horn als Mitstifterin zu den Mitgliedern der ersten Stunde. Schardt und Falk hatten einander in Weimar kennen gelernt,179 wobei Falk besonders Schardts »geistreiche«180 Art schätzte. Bevor Schardt dem Falkschen Institut monatlich einen Taler spendete, hatte sie 1797 Jean Joseph Mounier bei der Errichtung einer Erziehungsanstalt in Belvedere unterstützt.181 Auf einem an den Großherzog gerichteten Briefentwurf mit der Bitte um Unterstützung für die Gesellschaft der Freunde in der Not aus dem Jahr 1815 notierte Johannes Falk Sophie von Schardts Spende in Höhe von 50 Reichstalern, während sich der Großherzog nicht zu einem regelmäßigen Beitrag entschließen konnte.182 Wenngleich auch Friederike Caroline von Beusts Fürsprache beim Großherzog in derselben Angelegenheit erfolglos blieb,183 zeigt sich einmal mehr, wie sehr Falk insbesondere auf die 177 178 179 180

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Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 30.11.1820, Sp. 870. Vgl. Deutsche Revue, Bd. 12, S. 15. Brief Johannes Falks an Carl August Böttiger, Weimar 30. September 1805, Mscr. Dresd. h 37 Bd. 49, 28. Grochowina, Nicole: Art. »Friederike Sophie Eleonore von Schardt, geb. von Bernstorff (1755–1819)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 293–296. Vgl. Brief [Entwurf] Falks an Großherzog Carl August, Weimar 16. Oktober 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 440v. Vgl. ebd.

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Unterstützung adliger Frauen in der Gründungsphase der Gesellschaft angewiesen war. Mitgliederstruktur in den Einnahme- und Ausgabenbüchern Durch die Auswertung der beiden erhaltenen, zwischen 1816 und 1826 geführten ›Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts‹ lässt sich die Mitgliederstruktur fast für den gesamten Zeitraum des Bestehens der Gesellschaft der Freunde in der Not analysieren.184 In den Büchern wurden die monatlichen Einnahmen in der Höhe und der Name des jeweiligen Spenders notiert, sodass die Mitgliederentwicklung kontinuierlich nachvollzogen werden kann. Ebenso sind Namen durchgestrichen, wenn Mitglieder ihre Zahlungen einstellten. Von März bis Mai 1816 spendeten monatlich 41 Mitglieder regelmäßig an die Kasse der Gesellschaft. In diesem Zeitraum waren mehr als 25 Prozent der Mitglieder Frauen. Weil sich im Sommer 1816 die Zahl der spendenden Frauen und Männer verringerte, im Laufe des Jahres der Anteil der männlichen Mitglieder aber noch einmal erhöhte, sank der prozentuale Anteil von weiblichen Mitgliedern auf ein Achtel. Schon in der Gründungsphase kann die Gesellschaft der Freunde in der Not als ein gemischtgeschlechtlicher Zusammenschluss von Frauen und Männern betrachtet werden, wobei innerhalb der Gesellschaft die Gruppe der männlichen Mitglieder die Frauen quantitativ überragte. Im Laufe ihrer Geschichte blieb das Verhältnis von Frauen und Männern in etwa konstant. Positive und negative Veränderungen der Mitgliederzahlen spiegelten sich in beiden Gruppen wider. In den Jahren 1822 und 1823 fanden sich die meisten zahlenden Mitglieder in der Gesellschaft zusammen,185 bis die Zahl danach leicht sank. Möglicherweise stand der Rückgang im Zusammenhang mit den Veränderungen in der Finanzierung des Weimarer Armenwesens. Einerseits waren Hofbedienstete nicht mehr zu einer Zwangsabgabe verpflichtet, andererseits sollte die Bürgerschaft stärker in die Pflicht genommen werden,186 weshalb einzelne Mitglieder ihr Engagement in der Gesellschaft der Freunde in der Not eingestellt haben könnten. 184

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Lediglich für die frühen 20er Jahre fehlen die entsprechenden Eintragungen im Monatsbuch. Darunter auch namhafte Weimarer Größen wie ab September 1818 Johann Wolfgang von Goethe (vgl. 15/X, S. 474), Herzog Bernhard oder Gräfin von Egloffstein (vgl. jeweils 15/X, S. 267a). Vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 496–503.

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Ein ähnliches Bild boten die Pränumerandenverzeichnisse, in denen die Vorauszahlenden namentlich mit der jeweiligen Summe angegeben wurden.187 Bei den Beziehern der im Lutherhof entstehenden Schriften handelte es sich nicht ausnahmslos um Männer, enthalten die Listen doch ebenfalls eine Vielzahl weiblicher Pränumeranden. Für das 1822 erschienene »Vater unser« bezahlten in Weimar mit Johanna Goullon, Sophie von Baumbach, Josepha Horny, Charlotte von Stein und Caroline von Wolzogen mehr Frauen einen Beitrag für das Büchlein als Männer.188 Wenngleich dieses Geschlechterverhältnis nicht die Regel war, spiegelt sich in den Verzeichnissen die gemischtgeschlechtliche Unterstützung des Falkschen Instituts wider. Johannes Falk bedankte sich bei den »bekannten und unbekannten Freunde[n] und Freundinnen«189, denen er das »Vater unser« als Neujahrsgeschenk für Kinder aus allen Ständen empfahl. Literarisch verarbeitete Falk das charakteristische Zusammenspiel von Frauen und Männern in der Gesellschaft der Freunde in der Not in einem 1816 niedergeschriebenen Gedicht, das die Überschrift »Frauenverein oder die Freunde und die Freundinnen in der Noth«190 trägt. In den ersten fünf Strophen stellt Falk die jeweilige Leistung von Frauen und Männern in den Befreiungskriegen einander gegenüber. Während die patriotisch gesinnten und im Christentum gefestigten Männer treu für Vaterland und Fürst einstehen, wirken Frauen, vorbildhaft geleitet von der Großherzogin Louise, wohltätig für ihre Mitmenschen. Aber erst im Zusammenspiel beider Geschlechter ergänzen und verstärken sich diese von Falk positiv gewerteten Eigenschaften: »Freunde und Freundinnen in der Noth, / Vereiniget im Abendroth, / Das Loosungswort ist Christi Tod! / Wo edle Frauen im Verein / Mit Männern wollten thätig seyn. /Bestünde Satans Reich mit Spott; / Eine feste Burg ist unser Gott!«191

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Zur Unterscheidung zwischen Subskription und Pränumeration vgl. Art. »Subscription auf Bücher«, in: Zedler Bd. 40, Sp.1572f. Vgl. Falk, Johannes: Das Vater unser, in Begleitung von Evangelien und uralten christlichen Chorälen. Wie solches in der Weimarischen Sonntagsschule mit den Kindern gesungen wird, durchsprochen und gelebt wird. Im Anhange eine kurze Geschichte der Anstalt der Freunde in der Noth zu Weimar. Weimar 1822 S. XXVIII–XXIX. Ebd., S. XXX. Frauenverein oder die Freunde und die Freundinnen in der Noth, [Weimar um 1816], in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 421r. Ebd.

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In der Gesellschaft der Freunde in der Not zählten Frauen zu wichtigen Mitgliedern, die seit dem Zusammenschluss der Vereinigung im Jahr 1813 ideell und materiell unterstützend tätig waren. Nicht unbedingt nur die Ausweitung der Militärpflicht für alle Männer, die als Reaktion besonders in Preußen ein verstärktes wohltätiges Engagement von adligen und bürgerlichen Frauen hervorgerufen habe,192 sondern die unmittelbar erlebten Kriegsereignisse und deren Folgen für das Herzogtum SachsenWeimar-Eisenach motivierten den Einsatz der Frauen. Im Unterschied zu den in vielen deutschen Territorien existierenden und von Frauen geprägten, patriotischen Wohltätigkeitsvereinen ging das weibliche Engagement in der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not keinesfalls zurück. In Kriegszeiten wurde der patriotische Einsatz von Frauen noch als heroische, eine dem Einsatz der Soldaten auf dem Felde vergleichbare Tat gelobt. Rasch verebbte nach Kriegsende der Zuspruch. Im Zeitalter der Vereinsgründungen boten diese Zusammenschlüsse bürgerlichen und adligen Frauen jedoch die Möglichkeit, sich aus dem ihnen zugewiesenen häuslichen Bereich in die Öffentlichkeit zu begeben. Aber auch dort nahmen sie, wie in der Gesellschaft der Freunde in der Not, mit der Hilfe für Arme, Kranke, Verwundete, Verwitwete oder Waisen ähnliche fürsorgliche Aufgaben wahr, die der ihnen zugewiesenen Rolle als Hausfrau, Gattin und Mutter entsprach.193

1.3.2 Finanzierung durch die Freundinnen und Freunde Als karitative Unternehmung war die Gesellschaft der Freunde in der Not auf Spenden angewiesen, die eine Unterstützung der Perzipienten erst ermöglichten. Nur in den seltensten Fällen ist die materielle Zuwendung an die Gesellschaft als selbstlose Spende zu verstehen, weil der Gebende nicht nur die »Wohlfahrt des Einzelnen«, sondern »die der Gesellschaft«194 beabsichtigte. Die Entscheidungsgewalt über die Zuwendung von Spenden oder institutionellen Geldern lag in erster Linie in der Ver192

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Vgl. Hagemann, Karen: »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens (= Krieg in der Geschichte; 8). Paderborn u. a. 2002, S. 425. Vgl. Friedrich, Margret: Zur Tätigkeit und Bedeutung bürgerlicher Frauenvereine im 19. Jahrhundert in Peripherie und Zentrum, in: Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hrsg.): Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert (= L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft; 2). Wien, Köln und Weimar 1995, S. 125–173, hier S. 126–131. Rassem, Mohammed: Art. »Wohlfahrt«, in: GG Bd. 7, S. 595–636, hier S. 595.

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Geschlecht als Vorbedingung

antwortung von Männern.195 Gleichwohl trugen Frauen zu einem nicht unerheblichen Teil zum monatlichen Spendenaufkommen der Gesellschaft bei. Im Vergleich der Einnahmen des Weimarer Patriotischen Instituts von 1816 und des Zentral-Frauen-Vereins seit 1817 mit der Barschaft der Gesellschaft der Freunde in der Not – denn nur diese Summe stand abgesehen von den Zahlungen der herzoglichen Familie und der Kammer dem Institut direkt zur Verfügung – fällt das relativ hohe Finanzvolumen der Gesellschaft auf, zumal Maria Pawlowna die Frauenvereine sogar finanziell unterstützte.196 In seinem finanziell schwächsten Jahr 1821 nahm der Zentral-Frauen-Verein knapp 2000 Taler ein. Das entsprach nur der Hälfte der Barmittel der Gesellschaft der Freunde in der Not. Der Anteil regelmäßig spendender weiblicher Mitglieder in der Gesellschaft der Freunde in der Not betrug zeitweilig bis zu 25 Prozent. Die Auswertung der konkreten Höhe der Zuwendungen verdeutlicht die Be195

196

Vgl. neben den Entscheidungsprozessen der Deputierten bzw. später der Landstände die Verteilung der englischen Hilfsgelder. Die ›englischen‹ Hilfsgelder zählten in der Gründungszeit des Instituts zu wichtigen Einnahmequellen, die einerseits vom britischen Parlament, andererseits durch private Spenden eingeworben wurden. Angesichts der katastrophalen Nachrichten, die in England über das europäische Festland verbreitet wurden, versammelten sich ab dem Frühjahr 1814 engagierte Bürger in Hilfsvereinen wie etwa dem »City Commitee« zu London, um »beträchtliche Geldsummen zur Linderung der Not zu sammeln.« Rudolf Ackermann (1764–1834), einer der beiden Sekretäre des im März 1814 gegründeten Vereins zu Westminster, verantwortete den Geldtransfer. Ein Teil der Summe – 1650 Pfund Sterling bewilligte das Parlament; 200 Pfund stammten von privaten Spendern –, die für Sachsen-Weimar-Eisenach vorgesehen war, kam auch dem Falkschen Institut zugute. Das Weimarer Komitee, das die Gelder vor Ort verteilte und zu dem neben Falk auch Ernst August von Gersdorff, Johann Ludwig Gottfried Vogt, Wilhelm Christoph Günther, Friedrich Justin Bertuch und Bernhard Friedrich Rudolph Kuhn gehörten, wiesen dem Falksche Institut 1158 von den umgerechnet 3359 Talern zu, die innerhalb der Stadt Weimar verteilt wurden. Die finanziellen Zuwendungen blieben in den frühen 20er Jahren des 19. Jahrhunderts aus, weil die Engländer nach der Schlacht bei Belle-Alliance »selbst für Arme genug in ihrem eigenen Lande zu sorgen haben«. Ein an Georg IV. gerichtetes Bittgesuch Falks wurde von Ackermann, der es für ein aussichtloses Unterfangen hielt, sich an den britischen Herrscher zu wenden, vermutlich nicht weitergeleitet. Stattdessen sammelte Ackermann gemeinsam mit Carl Friedrich Steinkopf in Eigeninitiative Gelder, die er Falk und dem Institut weiterhin zukommen ließ. Vgl. zu den Hilfsgeldern ThHStAW B 3724. Vgl. Reder: Frauenbewegung, S. 257, 280 und 350.

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deutung der weiblichen Mitglieder. In den ersten Jahren – etwa bis 1820 – kamen Frauen für ca. 30 Prozent der monatlichen Spenden auf, während der Wert danach bis zum Tode Falks sank und mit der prozentualen Mitgliederverteilung korrespondierte.197 Von den monatlich spendenden Frauen gehörte eine Reihe wie Charitas Emilie Gräfin von Bernstorff zum Adel, die jährlich 45 Taler und 8 Groschen an die Gesellschaft zahlte. Die meisten von ihnen wie etwa Diana von Gersdorff waren zudem mit hochrangigen Beamten und Politikern des Großherzogtums verheiratet. Einerseits entsprach von Gersdorffs monatliche Spende von einem Taler dem ständischen Verständnis adliger Mildtätigkeit, andererseits erlaubten es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse. In den Spendenlisten der Gesellschaft der Freunde in der Not sind Diana von Gersdorff und ihr Ehemann mit je einem eigenen Beitrag verzeichnet, das Ehepaar Emilie und Carl Emil Spiegel von und zu Pickelsheim hingegen mit einer gemeinsamen regelmäßigen Spende. Andere Frauen wie Sophie von Schardt spendeten auch ohne die gleichzeitige Beteiligung ihrer Männer.198 Einen geringeren finanziellen Beitrag leisteten hingegen die Frauen, deren Familienangehörigen im Weimarer Handwerk oder in kommunalen, landesherrlichen bzw. kirchlichen Behörden beschäftigt waren. Die Gesellschaft der Freunde in der Not wurde seit ihrer Gründung durch unterschiedliche Förderer unterstützt. Die zur Verfügung stehenden Barmittel sammelte die Gesellschaft von einzelnen Mitgliedern ein, um die anfallenden Kosten zu decken. Die private Zuwendung wurde von Frauen und Männern getragen, wobei in den ersten Jahren ein überproportional großer Teil der monatlichen Spenden von Frauen ermöglicht wurde. Außer durch die privaten Spenden einzelner Mitglieder wurde das Institut durch die öffentliche Hand gefördert, wobei die Aushandlungsprozesse strukturell bedingt – etwa durch den Ausschluss von Frauen aus politischen Entscheidungsprozessen – von Männern bestimmt wurden.

1.3.3 Intentionen einer gesamtgesellschaftlichen Vereinigung Die Gesellschaft der Freunde in der Not unterschied sich durch ihre gemischtgeschlechtliche Struktur von anderen zeitgleich agierenden Hilfswerken. Ein weiteres charakteristisches Merkmal bildet die standes- und schichtenübergreifende Zusammensetzung der Vereinigung, in der sich – abgesehen von Bauern – fast alle gesellschaftlichen Gruppen engagierten.199 197 198

Vgl. Einnahme- und Ausnahmebuch des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X. Vgl. beispielsweise ebd., S. 3.

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Geschlecht als Vorbedingung

Wie heterogen sich die Gesellschaft zusammensetzte, zeigt eine Übersicht derjenigen Förderer, die von Anfang an eine Unterstützung leisteten. Mit Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, Großherzogin Louise, Erbgroßherzog Carl Friedrich, Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Herzog Carl Bernhard und Ida von Sachsen-Meiningen unterstützten die wichtigsten Mitglieder der herzoglichen Familien das Rettungswerk, wenngleich in unterschiedlichem Maße. Gleichzeitig beteiligten sich etwa mit Christian Gottlob von Voigt und Carl Leopold von Beust oder dem Hofmedikus Wilhelm Ernst Christian Huschke auch höhere Beamte und Bedienstete des Hofes an der Gesellschaft der Freunde in der Not.200 Die Vereinigung konnte mit dem Sekretär des Westminstervereins Rudolf Ackermann, dem Sekretär der Christentumsgesellschaft Carl Friedrich Adolf Steinkopf in London sowie Heinrich Döring in Danzig auch Mitglieder außerhalb des Herzogtums gewinnen.201 Nachdem die quantitative Analyse Aufschluss über die gemischtgeschlechtliche Mitgliederstruktur und den karitativen Einsatz von Frauen und Männern in der Gesellschaft der Freunde in der Not gab, interessiert im Folgenden, aufgrund welcher Motive oder mit welchen Absichten sich einzelne Wohltäter engagierten. Weil im Einnahme- und Ausgabenbuch mitunter für Spender auch Berufe bzw. die Funktionen innerhalb der Stadt, des Hofes oder einer Behörde erfasst wurden, lässt sich die soziale Schichtung der Mitglieder weiter ausdifferenzieren. Auf dieser Grundlage stellt sich die Frage, welche Intentionen mit der Mitgliedschaft verbunden wurden. Verknüpften die Spender mit ihrer Hilfe Erwartungen, die erfüllt werden sollten? Welche Vorteile oder Nachteile resultierten daraus? Existierten geschlechterspezifische Vorstellungen, welche Aufgaben die Gesellschaft zu erfüllen hatte?

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Vgl. zu städtischen Vereinen und Gesellschaften sowie der Tendenz überständischer Vergesellschaftung, etwa in der Stahl- und Armbrustschützengesellschaft oder in Formen häuslicher Geselligkeit Hunstock: Residenzstadt, S. 212–224 und 245f. Zur sozialen Schichtung der Beamtenschaft und der terminologischen Einteilung vgl. Huschke, Wolfgang: Die Beamtenschaft der Weimarischen Zentralbehörden beim Eintritt Goethes in den Weimarischen Staatsdienst, in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven. Zum 60. Geburtstag von Hellmut Kretzschmar. Hrsg. von der staatlichen Archivverwaltung im Staatssekretariat für innere Angelegenheiten (= Schriftenreihe der staatlichen Archivverwaltung; 3). Berlin 1953, S. 190–218, hier S. 190f. Vgl. Reis: Falk, S. 13 und 47.

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Im Jahr 1816 stellten höhere Verwaltungsbeamte und Bedienstete des Hofes, der Landesbehörden und der Stadt mit zwei Dritteln die größte Gruppe, während in diesem Zeitraum von der herzoglichen Familie keine Spende verzeichnet ist.202 Ernst August von Gersdorff aus dem Staatsministerium203 zahlte mit zwei Reichstalern je Monat den größten Beitrag der Aufgelisteten. Gersdorffs Kollegen Graf Albert Cajetan von Edling und Christian Gottlob von Voigt beteiligten sich ebenfalls mit einen Taler. Die Mitglieder der untergeordneten Landeskollegien wie der Präsident der Weimarer Landesdirektion Anton von Ziegesar, der Hauptmann Christoph Gottlob Vent, der Hofrat und Mediziner Wilhelm Ernst Huschke, Carl von Helldorff oder die Kammerräte Johann August Rühlmann und Cornelius Johann Rudolf Ridel wurden mit jeweils einem Taler im Verzeichnis aufgelistet.204 Mehr als 40 Prozent der monatlich spendenden Wohltäter können eindeutig als Angehörige oder Bedienstete der Weimarer Höfe identifiziert werden. Neben dem Hofmarschall Carl Emil Spiegel von und zu Pickelsheim spendeten der Hofrat Franz Kirms, der Kammerherr Hans von Könneritz, der Kammerherr Friedrich Hildebrandt von Einsiedel, der Hofapotheker Carl August Hoffmann, der Hoffleischer Johann Christian Weise sowie der Hofsänger Heinrich Strohmeyer einen monatlichen Beitrag zwischen 8 und 22 Groschen.205 Die Hofdame der Großherzogin Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach, Louise Adelaide von Waldner, und der ehemalige Mundkoch Anna Amalias, Rene´ Franc¸ois le Goullon, wurden ebenfalls verzeichnet.206 Warum besonders höhere Beamte und im Dienste des Hofes Stehende monatliche Beiträge an die Gesellschaft zahlten, kann aus den Quellen nicht rekonstruiert werden. Vermutlich wirkte die seit der Aufklärung verbreitete Vorstellung fort, wonach herrschaftliches Handeln eine durch die gehobene Stellung vorausgesetzte Gemeinnützigkeit beinhaltete.207 Die engen Kommunikationsnetzwerke der Eli202

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Dies bedeutet im Umkehrschluss keinesfalls, dass die (groß-)herzoglichen Familie zu diesem Zeitpunkt noch nichts spendete. Vgl. etwa die außerordentlichen und nicht immer regelmäßig monatlich eingehenden Spenden der Großherzogin und der Erbgroßherzogin. Vgl. Hess, Ulrich: Geschichte der Behördenorganisation der thüringischen Staaten und des Landes Thüringen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahr 1952 (= VHKTh KR; 1). Jena u. a. 1993, S. 95. Vgl. GSA 15/X, S. 3, 7 und 12. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 3f., 7f., und 12f. Vgl. ebd., S. 4, 8 und 13.

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ten in Weimar dürften zur Verbreitung dieses Gedankens und zur Erhöhung der Spendenbereitschaft beigetragen haben. Die den Weimarer Höfen nahestehenden Mitglieder leiteten ihr karitatives Engagement für die Gesellschaft aus einem ständischen bzw. ihrer Funktion entsprechenden Ehrgefühl her. Andere Spender besaßen ein weitergehendes Interesse an einer Mitgliedschaft. Durch die direkte Zugehörigkeit erhielten die Spender umfassende Einblicke in die Finanzstruktur der Gesellschaft, weil sie mit dem umlaufenden Einnahmen- und Ausgabenbuch über die finanzielle Lage der Gesellschaft informiert wurden. Die Grundsätze des Kassensystems räumten jedem Mitglied das Recht ein, pro Quartal eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben zu verlangen, aus der erkennbar wurde, »ob die Anstalt, oder ob sie nicht über ihre Kräfte herausgegangen sey?«208 Weil die Gesellschaft der Freunde in der Not sozialfürsorgliche Aufgaben erfüllte, die sich mit dem Kompetenz- oder Entscheidungsbereich großherzoglicher, städtischer bzw. kirchlicher Behörden, wie etwa dem Oberkonsistorium, der Landesdirektion oder der Weimarer Kammer,209 überlagerten, hatten besonders deren Vertreter ein verstärktes Interesse an einer Mitgliedschaft in der Vereinigung. Mit dem Kammerrat Friedrich Carl Büttner und dem Kammerkalkulator Friedrich Christian August Büttner gehörten ferner zwei Mitglieder der Weimarer Kammer zum engeren Kreis der monatlich spendenden Mitglieder. Angesichts der Tatsache, dass die von der Kammer ausgezahlten regelmäßigen Zuschüsse und Naturalien zu den wichtigsten Einnahmen gehörten, ist davon auszugehen, dass beide Kammermitglieder mit ihrem Wissen um die Entwicklung innerhalb der Gesellschaft die sich jährlich wiederholenden Entscheidungsprozesse für oder gegen eine Weiterförderung des Instituts beeinflusst haben. Denn obwohl die Kammer auf eine dauerhafte Hilfe insistierte, wurde über diese jährlich neu entschieden.210 Die von Falk eingereichten Bittgesuche211 fassten die Mitglie207

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Vgl. Dicke, Klaus: Residenz- und Hauptstadt des Staates Sachsen-Weimar und die Hofpolitologie des 16. und 18. Jahrhunderts, in: Ders. / Dreyer, Michael (Hrsg.): Weimar als politische Kulturstadt. Ein historisch-politischer Stadtführer. Weimar 2006, 54–64, hier S. 62; Müller, Winfried: Die Aufklärung (= EDG; 61). München 2002, S. 3f. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. IV. Vgl. Hess: Geschichte der Behördenorganisation, S. 95f. Vgl. ThHStAW B 4761a. Vgl. etwa die Schreiben Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 18. Mai 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 100v.–105v.; 22. Juni 1816, in:

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der der Kammer zusammen, um dem Großherzog und dem zuständigen Staatsministerium unter Berücksichtigung der aus dem Falkschen Institut für das Großherzogtum resultierenden Vorteile und der jeweiligen Kassenlage die Entscheidungsfindung zu erleichtern. Bestätigten die Kammermitglieder etwa 1818, »daß das Falkische Institut großes Verdienst um die Menschheit hat und daß jede demselben gewidmete Gabe und Geschenk für den Staat wuchert, ohne ihren wohlthätigen Folgen in der Berechnung nachkommen zu können«212, dürfte dies das positive Votum aus dem Staatsministerium befördert und zur Bewilligung von 100 Scheffeln Korn für das laufende Jahr geführt haben.213 Schließlich wurde Falks Hilfsgesuch auch für die Jahre 1818/19 positiv beschieden.214 Weil die Bediensteten jedoch gleichzeitig die Interessen der Weimarer Kammer vertraten, kam es mitunter zu Interessenskonflikten, die sich nachteilig auf die Gesellschaft der Freunde in der Not auswirkten. Als Falk nach 1822 durch den Kauf des Lutherhofes nicht mehr auf eine zusätzliche Unterstützung zum Mietzins hoffen konnte, da er nun Hauseigentümer war, unterrichtete die Kammer den Großherzog ausdrücklich über diesen Umstand: »Der Legationsrath Falk besitzt aber nun eine eigenthümliche Wohnung in welcher hinreichender Gelaß für sein Institut sich befindet, sondern von welchem er selbst noch einen Theil vermiethet hat. Derselbe braucht daher kein Mietzinß für ein Local zu selbigen mehr zu bezahlen, und mithin fällt der Grund weg, weshalb Ew. pp. ihn vom 1. April 1820 bis dahin 1824 jährlich 158r 8g Currentgeld gnädigst verwilligten.«215

Abgesehen von der veränderten räumlichen Unterbringung des Falkschen Instituts im Lutherhof bewog zudem die schwierige finanzielle Lage der

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ThHStAW B 4761a, Bl. 13r.–14r.; 7. Mai 1818, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 22r.– 23v.; 6. Juni 1821, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 58r.–59r.; 23. Juli 1822, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 71r.–72r.; Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 30. April 1824, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 92r.; [1825], in: ThHStAW B 4761a, Bl. 104r.–104v. Entwurf eines Berichts der großherzoglichen Kammer an das S. Departement im Staatsministerium, Weimar 9. Mai 1818, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 25r.–26v., hier Bl. 26v. Vgl. Schreiben des Staatsministeriums an die großherzogliche Kammer, Weimar 19. Mai 1818, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 27r. Vgl. Schreiben der großherzoglichen Kammer an Johannes Falk, Weimar [1819], in: GSA 15/N 55, Bd. 3, 136r. Bericht der großherzoglichen Kammer an das Staatsministerium, Weimar 7. März 1824, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 96r.–98v., hier Bl. 97v.

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Weimarer Kasse die Kammermitglieder zur Zahlungseinstellung. Diesem Wunsch entsprach der Großherzog, sodass dem Institut ab 1824 nur noch die ursprünglichen 100 Scheffel und ein zusätzliches »Gnadengeschenk«216 von 50 Scheffeln Korn zur Verfügung gestellt wurden. Andere Spender nutzten die den Mitgliedern gewährte Transparenz, um die Fortentwicklung der Gesellschaft zu kontrollieren. Die Landesdirektion, der die Bereiche des Inneren und der Polizei unterstellt waren und die demgemäß die Oberaufsicht über die Armenversorgung innehatte,217 wurde neben von Ziegesar durch Carl Friedrich Viktor Hufeland und Carl Kirms vertreten. Letzterer bekleidete schon zuvor das Amt des Geheimen Sekretärs der Generalpolizeidirektion.218 Das mit der Aufsicht der Schulen betraute Oberkonsistorium wurde durch den Oberkonsistorialdirektor und Geheimen Regierungsrat Friedrich Peucer sowie den Diakon Johann Gottfried Zunkel219 in den Reihen der zahlenden Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not vertreten.220 In den Anfangsjahren erhielt das Oberkonsistorium aufgrund dieser Mitgliedschaften durch seine Amtsträger Informationen über die Arbeit der Gesellschaft und die von ihr unterstützten Personenkreise. Erst 1820 stellte die Behörde offiziell die Anfrage auf Akteneinsicht in die Rechnungsbücher und forderte eine Beschränkung der karitativen Anstrengung.221 Dem waren im Oktober 1820 mehrere Gespräche mit Vertretern des Oberkonsistoriums vorausgegangen. Obwohl Zunkel zu den zahlenden Mitgliedern und Förderern der Gesellschaft der Freunde in der Not gehörte, musste er Falk die einschneidenden Pläne des Konsistoriums erläutern. Einerseits sollte das Institut keine neuen, vor allem keine ortsfremden Zöglinge mehr aufnehmen. Andererseits sah der Plan vor, dass die inhaltliche Ausrichtung des Instituts fortan unter Aufsicht des Oberkonsistoriums stand und die Landesdirektion unmittelbaren Einfluss auf die finanziellen Geschicke des Instituts nehmen sollte.222 Zusammen mit dem 216

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Reskript [?] Großherzog Carl Augusts an die großherzogliche Kammer, Weimar 21. Mai 1824, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 99r. Ebd. Vgl. Staatshandbuch 1787–1807. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. die Jahre 1816 bis 1826 in den Einnahme- und Ausgabenbücher des Falk‘schen Instituts, in: GSA 15/X. Vgl. Reis: Falk, S. 70–73. Problematik konkurrierender Hilfsmaßnahmen zwischen privater und öffentlicher Fürsorge vgl. Sachsse / Tennstedt: Armenfürsorge, S. 242. Vgl. Reis: Falk, S. 72.

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Vertreter der Landesdirektion Heinrich Karl Ernst Horn223 diskutierte Zunkel mit Falk in einem persönlichen Gespräch über die Zukunft des Instituts und unterstützte trotz seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft und Falks vehementer Gegenargumentation die Position des Oberkonsistoriums konsequent.224 Unter Umständen profitierte Falk umgekehrt von anderen Mitgliedern, die öffentliche Ämter bekleideten. Zu jenen Mitgliedern gehörte Johann Barthold Stiebritz (1759–1824)225, der ab 1791 als Subkonrektor des Weimarer Gymnasiums dem Oberkonsistorium unmittelbar unterstellt war.226 Seit 1816 spendete er monatlich fünf Groschen und acht Pfennige, bis er Ende 1823 nur wenige Monate vor seinem Tode am 6. April 1824 die Zahlungen einstellte.227 Über die bloße Geldspende hinaus konnte der Subkonrektor Stiebritz als Ansprechpartner Falks auch auf die Finanzierung und Entrichtung der Schulgelder Einfluss nehmen.228 Weil nicht alle durch das Falksche Institut unterstützten Gymnasiasten die Schule unentgeltlich besuchen oder wenigstens eine halbe Freistelle erhalten konnten, mussten die Schulgelder von der Gesellschaft der Freunde in der Not finanziert werden. Aus den Abrechnungen des Jahres 1818 geht hervor, dass dies nicht immer gelang, weshalb Falk die Mitgliedschaft des Subkonrektors Stiebritz nutzte, um die Schulgeldschulden auf unkonventionelle Art und Weise zu begleichen. Für die im ersten Quartal 1818 fällig gewordenen 25 Taler wollte Falk »die Frau Subconrectorin ersuchen, sich noch einige Waaren auszunehmen«229. Bereits in früheren Jahrhunderten war es in Weimar üblich geworden, Lehrer mit Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu unterstützen.230 Entsprechend der 223

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Es handelt sich nicht um den Mitgründer der Gesellschaft der Freunde in der Not Karl Friedrich Horn. Vgl. etwa die gegenteiligen Formulierungen bei Trude Reis, die beide Männer nicht konsequent voneinander unterschieden hat. Reis: Falk, S. 72 und 140. Vgl. Neueste Verhandlungen über das Institut, Weimar 23.10.1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 364r.–365v. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen 2 (1824). Heft 2, S. 1110f. Vgl. Staatshandbuch 1792. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 4364; Sterberegistereintrag von Johann Barthold Stiebritz, in: KA WE SR SK 1824, Bl. 60r., Nr. 51. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 251. Auflistung übereigneter Ausstellungsstücke, Weimar vom 10. April 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 51r. Vgl. Seifert, Kevin: Schulordnungen und Schulgesetzgebung in Sachsen-Wei-

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handwerklichen Ausrichtung des Falkschen Instituts bot die Gesellschaft handgefertigte Produkte an. Als Ausgleich für die Schulgeldrückstände erhielten der Subkonrektor und dessen Ehefrau Geschirr, Leinwand, Fässer und mit Blecheisen beschlagene Eimer, die von den Zöglingen des Instituts angefertigt und zur jährlichen Ausstellung an das Institut übergeben wurden.231 Weil im Herbst 1820 in einer neuen Verordnung festgelegt wurde, die gestiegenen Schulgelder nicht mehr direkt an die Lehrer oder Direktoren, sondern an das Oberkonsistorium zu zahlen,232 konnte Stiebritz lediglich anbieten, dem Oberkonsistorium die Namen der bedürftigen Schüler zu nennen, um so auf eine Senkung des Schulgeldes oder die Vermittlung einer Freistelle hinzuwirken.233 Ob diese für das Institut gleichermaßen positiv und negativ ausfallenden Interessensüberschneidungen auch auf die Inhaber städtischer Ämter zutraf, kann nur vermutet, nicht aber rekonstruiert werden. Der Viertelsmeister des Marktbezirks Wilhelm Andreas Franz Ortelli stiftete als Mitglied ebenfalls acht Groschen im Monat.234 Gleichzeitig führte er als vom Stadtrat gewählter Bezirksvorsteher nicht nur die Liste der Einwohner, sondern vermerkte auch die Almosenempfänger der Stadt.235 Ihre Scharnierstelle zwischen Einwohnerschaft und städtischem Almosenwesen nutzten einige Viertelsmeister als einträgliches Geschäft, »ihre Almosenattestate gegen eine entsprechende Bezahlung auszustellen«236. Welche Rolle Ortelli in diesem Geflecht aus Abhängigkeiten, Kontrolle und Fürsprache spielte, bleibt offen. Möglicherweise strich Ortelli Bedürftige von der Almosenliste, wenn diese als Perzipienten durch die Gesellschaft unterstützt wurden. Es verwundert nicht, dass von Ortelli keine schriftli-

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mar-Eisenach. Normative Strukturen und Reformtendenzen einer kleinstaatlichen Schullandschaft vom frühen 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien. Maschinenschriftl. Mskr. Jena 2008, S 47f. Vgl. Auflistung übereigneter Ausstellungsstücke, Weimar vom 10. April 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 51r. Vgl. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 14 vom 21.11.1820; Weimarisches Wochenblatt, Nr. 92 vom 17.11.1820. Vgl. Brief Johann Barthold Stiebritz’ an Johannes Falk, Weimar 2. Dezember 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 10, Bl. 169r. Zur Biographie Wilhelm Andreas Franz Ortelli und dessen Gewerbe- und Handelstätigkeit vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 174–178. Vgl. Eberhardt, Hans: Weimar zur Goethezeit. Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur (= Weimarer Schriften zur Heimatgeschichte und Naturkunde; 34). Weimar 1980, S. 61f.; Kraus: Unterschichten Hamburgs, S. 47. Hunstock: Residenzstadt, S. 479.

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chen Quellen an Falk überliefert sind, in denen er als Fürsprecher die Gesellschaft auf Hilfsbedürftige aus seinem Bezirk aufmerksam machte. »Der Marktbezirk was als Mittelpunkt des städtischen Lebens einer der prestigeträchtigsten Wohnorte innerhalb der Residenzstadt.«237 Neben Freiberuflern, Kaufleuten und Handwerkern wohnten hier Beamte der Landesbehörden, sodass im Marktbezirk allenfalls sogenannte ›verschämte Arme‹ anzutreffen waren. Unter den monatlichen Spendern finden sich auch die Besitzer der Gasthöfe Elephant und Erbprinz. Mit 12 Groschen trug Johann Carl Christoph Schwanitz nur unwesentlich mehr bei als Wilhelm Friedrich Hemleb, der elf Groschen und 4 Pfennige einzahlte.238 Im Gegensatz zu den Amtsträgern aus den verschiedenen Behörden verbanden diese Mitglieder kein über die karitative Intention hinausgehendes Interesse mit ihrer Spende. Sie verstanden ihre Gabe als einen wirkungsvoll eingesetzten Beitrag zum Almosenwesen der Residenzstadt, über den sie frei verfügen und dessen wirkungsvollen Einsatz sie nachvollziehen konnten. Obwohl etwa Schwanitz keinesfalls von der Effizienz der städtischen Almosenabgabe, »die auch nicht einmahl dem Zweck entspricht«, überzeugt war, stellte er als Reaktion auf die »Erhöhung [s]eines freywilligen jährlichen Beytrags zur hiesigen Armen Casse«239 seine Zahlungen an die Gesellschaft der Freunde in der Not ein. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die der Gesellschaft der Freunde in der Not angehörenden männlichen Mitglieder fast immer eine über die regelmäßige Geldspende hinausgehende Beziehung zu Falk und dessen Institut unterhielten. Inwieweit sie ein aufrichtiges Interesse an den von ihnen unterstützten Perzipienten hatten oder nicht, bleibt dahingestellt. Weil viele der männlichen Mitglieder Ämter in städtischen, kirchlichen oder großherzoglichen Institutionen innehatten, interagierten sie mit Falk auch in ihrer jeweiligen Funktion, woraus Vor- und Nachteile gleichermaßen erwuchsen. Da Frauen, abgesehen von ihren höfischen Aufgaben, qua Geschlecht von solchen Ämtern ausgeschlossen waren, kam es bei ihnen nicht zu einer derartigen Interessensüberschneidung. Von den im Einnahme- und Ausgabenbuch verzeichneten Frauen waren auffallend viele mit Männern verheiratet, die ihrerseits Mitglieder in der Gesellschaft der Freunde in der Not waren. Die spätere Ehefrau des 237 238

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Ebd., S. 137. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 3f., 7f. und 12f. Brief von Johann Carl Christoph Schwanitz an Johannes Falk, Weimar 30. Juni 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 57r.–58v., hier Bl. 57r.

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Staatsministers Ernst August von Gersdorff, Diana Waldner von Freundstein, spendete etwa einen Taler.240 Auch die Frau des Hofmarschalls Carl Emil Spiegel von und zu Pickelsheim, Emilie Spiegel von und zu Pickelsheim, beteiligte sich mit einer Spende.241 Neben dieser Gruppe spendeten auch solche Frauen, deren Männer zwar keine Mitglieder in der Gesellschaft waren, gleichwohl aber wichtige städtische oder höfische Ämter innehatten. Magdalena Exius, die Ehefrau des Kammerrevisors und Lehrers Samuel David Wendel Exius, spendete beispielsweise monatlich 11 Groschen und vier Pfennige.242 Offensichtlich versuchten sich Frauen, deren Ehemännern ein öffentliches Amt bekleideten, ihrerseits durch die Mitgliedschaft in der Gesellschaft der Freunde in der Not einen Raum zu erschließen, in dem sie ihr (wohltätiges) Engagement öffentlich demonstrieren konnten. Im Umfeld der Weimarer Höfe dürfte der adlige Wohltätigkeitsgedanke motivierend auf Bedienstete und Angehörige gewirkt haben, mit einem finanziellen Beitrag der Gesellschaft beizutreten. »Demoiselle Krakau« – eines der nicht eindeutig zu identifizierenden Mitglieder –, bei der es sich vermutlich um Caroline Krakow243 handelte, gehörte als Kinderfrau Maria Pawlownas zum engeren Kreis der Erbgroßherzogin.244 Das soziale Engagement der Obervorsteherin im Patriotischen Institut der Frauenvereine ermutigte vermutlich zur Spende für die Gesellschaft. Das Vorbild des adligen Wohltätigkeitsanspruchs könnte auch der Anlass zur Spende für die Ehefrau des Hofuhrmachers Friedrich Eberhardt,245 Anna Dorothea Friederica, und dessen Schwägerin Christiane Dorothea Wilhemine Heusinger246 gewesen sein, gemeinsam bis Juni 1816 monatlich elf Groschen und sechs Pfennige an die Gesellschaft zu übereignen.247 240

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Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 3. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. Müller-Harang, Ulrike: Das Kirms-Krackow-Haus in Weimar. Die Baugeschichte, die Geschichte des Gartens, die Hausbewohner, Freunde und Gäste. München und Wien 1999, S. 101. Vgl. Falk, Johannes (Hrsg.): Aufruf, zunächst an die Landstände des Großherzogthums Weimar und sodann an das ganze deutsche Volk und dessen Fürsten, über eine der schauderhaftesten Lücken unserer Gesetzgebungen, die durch die traurige Verwechselung von Volkserziehung mit Volksunterricht entstanden ist. Leipzig 1818, S. 56. Vgl. Heiratsregistereintrag für Anna Dorothea Friedrica Heusinger und Friedrich Eberhardt, KA WE HR SK 1809, fol. 270v., Nr. 2; Pöhnert, Katrin: Hofhandwerker in Weimar am Beginn des 19. Jahrhunderts (1800–1830), in: FalkJahrbuch 3 (2009), S. 91–104, hier S. 91.

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Aus der Analyse der Spenderverzeichnisse geht für die Gesellschaft der Freunde in der Not hervor, dass Frauen und Männer fast aller gesellschaftlicher Schichten aktiv das Hilfswerk unterstützten, wobei die Rückschlüsse auf die mit der Spende verbundenen Intention oft spekulativ bleiben müssen.248 Wenn im Folgenden danach gefragt wird, welche Absichten die Spenderinnen und Spender mit ihrer wohltätigen Gabe verfolgten, sind deren Selbstzeugnisse angemessen zu berücksichtigen. Im Unterschied zu Eltern und Lehrern, die ausdrücklich Entwicklungsziele formulierten, geben nur sehr wenige Quellen einen Einblick in die persönliche Intention der Spendenden. Inwieweit war die Sozialisation eines bestimmten Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsentwurf erklärtes Ziel der Wohltäter? Da sich »aus dem geschlossenen Bürgertum und dem gebildeten Mittelstand eine strengere Geschlechtsmoral zumindest für Frauen gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts und Anfang des neunzehnten in die nächsthöhere und -tiefere Schicht ausbreitete«249, müsste sich dies in den mit der Wohltat verbundenen Absichten widerspiegeln. Zunächst ist zwischen den Absichten der Wohltäter zu unterscheiden. Ein Teil der Spender erwartete von ihrer Zuwendung keinen direkten Nutzen. Dazu zählten zumeist Adlige, die mit ihrer Gabe einem Jahrhunderte alten adligen Wohltätigkeitsideal entsprachen. In erster Linie richtete sich diese Hilfe auf unverschuldete Arme oder Waisen, die sich dadurch einer Hilfe besonders wert erwiesen hatten. Vor diesem Hintergrund engagierte sich etwa die Oberhofmeisterin Caroline von Hopffgarten250 im Patriotischen Institut der Frauenvereine und im Falkschen Institut. Als Mitglied in der Gesellschaft der Freunde in der Not unterstützte sie mehrere Heranwachsende mit finanziellen Beiträgen, die ihr – wie beispielsweise der 10-jährige Carl Funke aus Jena – von Falk empfohlen wurden. Caroline von Hopffgarten verließ sich auf Falks Für246

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250

Zum Verwandtschaftsverhältnis vgl. Taufregistereintrag für Johanne Wilhelmine Pauline Eberhard, in: KA WE TR SK 1810 fol. 237r., Nr. 122. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbuch des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 4, 8, 13 und 20. Zur Problematik und der einseitigen Interpretation von Mitglieder- oder Subskriptionslisten vgl. Weckel: Assoziation, S. 63. Bruford, Walter H.: Die gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit (= Literatur und Leben. Lebensformen/ Menschengestaltung/Soziologie des Schrifttums; 9). Weimar 1936, S. 271. Vgl. Kreutzmann, Marko: Art. »Sophia Caroline von Hopffgarten, geb. Freiin von Fritsch (1770–1837)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 194–196, hier S. 194f.

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sprache, der besonders die unverschuldete Armut des Jungen, dessen Vater in Russland verstorben war,251 hervorgehoben hatte. Für die Adlige war es ein wichtiges Anliegen, ihr »Scherflein beyzutragen«252. Hopffgartens Interesse richtete sich abgesehen von der »anerkannten Bedürftigkeit« der Perzipienten nicht auf den einzelnen Hilfebedürftigen. Für sie war das Institut eine willkommene Gelegenheit, ihrer standesgemäßen Wohltätigkeit einen konkreten Ausdruck zu verleihen und Falks »Geschäft«253 zu unterstützen. Dagegen äußerte der andere Teil der Förderer und Wohltäter durchaus Erwartungen an die aus dem Falkschen Institut entlassenen jungen Frauen und Männer. Mit den Anforderungen galt es weniger, den (bürgerlichen) Vorstellungen eines bestimmten Weiblichkeits- oder Männlichkeitsideals zu entsprechen. In erster Linie verstanden die Spendenden ihre Hilfe als Garant für die Erziehung und Ausbildung junger Menschen, die sich in eine sich wandelnde Gesellschaft integrierten. Louise Marezoll, Mitglied im Jenaer Frauenverein, formulierte die Ansprüche an die Erziehung einer 15-jährigen Heranwachsenden, die ab dem Frühjahr 1822 vom Falkschen Institut unterstützt werden sollte. »Ich halte sie schon für sehr verdorben«, klagte Louise Marezoll, weil die Jugendliche nicht nur gern tanze, sondern die Schule vernachlässige, »listig« sei und jedem eine »Nase« drehe, »der es gut mit ihr«254 meine. Darum bedürfe die Jugendliche einer »sehr strengen Zucht u[nd] Aufsicht«255, die nun von Falk garantiert werden sollte. Louise Marezolls Äußerungen bezogen sich auf moralische Eigenschaften, mit denen die 15-Jährige nicht die Erwartungen der spendenden Theologentochter erfüllte. Zwar war Marezoll als Herausgeberin von Zeitschriften, in denen über die Stellung der Frau, die Neigungsehe und die Möglichkeit »ökonomischer Unabhängigkeit durch Erwerbstätigkeit«256 reflektiert wurde, mit unterschiedlichen und nicht nur geschlechterpolaren Weiblichkeitsentwürfen vertraut, aber diese Diskussion bestimmte ihre Erwartungen an die Erziehung im Falkschen Institut nicht vordergründig. Marezolls Engagement war von ökonomi251

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253 254

255 256

Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline von Hopffgarten, Weimar o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 386r. Brief Caroline von Hopffgartens an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 385r. Ebd. Brief Louise Marezolls an Johannes Falk, Jena 12. April 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 20, Bl. 539r.–539v., hier Bl. 539r. Ebd. Ackermann: Art. »Marezoll«, S. 235.

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schen Überlegungen motiviert, sodass die 15-Jährige nicht nur zukünftig, sondern schon in ihrer Ausbildung, ohne der Gesellschaft zur Last zu fallen, ihren Lebensunterhalt bestreiten würde. »Ich sollte daher meinen«, argumentierte Louise Marezoll, »da sie als eine Dienstmagd arbeiten kann, wenigstens die Kräfte dazu hat, könne sie ihr Kostgeld abarbeiten«257. Neben einer gewissen fachlichen Qualifikation sollten sich die aus dem Institut entlassenen jungen Frauen und Männer durch moralische Werte wie beispielsweise große Zuverlässigkeit und vorbildliche Arbeitsamkeit auszeichnen. Dies war immer dann besonders wichtig, wenn Förderer vom Institut gut ausgebildete und loyale Arbeitskräfte beziehen wollten. Die adlige Sophie von dem Busche hatte bei Falk um einen jungen Zögling gebeten, der nicht nur in der Lage war, die Aufgaben eines Verwalters zu übernehmen, sondern bei der Arbeit umsichtig »Ordnungsblicke« walten lasse, wie es bei Falks »Zöglingen wohl immer vorausgesetzt werden konnte«258. Auch von zukünftigen Lehrern, Kantoren, Erzieherinnen und sogar den Dienstmädchen und Mägden erwarteten die Förderer eine entsprechende Entwicklung. Über die weitere Motivation einzelner Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not kann in Ermangelung der entsprechenden Quellen nur wenig gesagt werden. Adlige Mitglieder verwirklichten mit der Spende vordergründig vor allem das ihrem Stand angemessene wohltätige Verhalten, ohne sich näher für Einzelschicksale oder die Entwicklung von Zöglingen konkret zu interessieren. Umgekehrt waren es in erster Linie bürgerliche Spenderinnen, die vom Institut eine werteorientierte Erziehung und Ausbildung der Heranwachsenden erwarteten. Insgesamt zielte die Unterstützung auf die Integration der Heranwachsenden in eine sich verändernde Gesellschaft – einerseits mit dem Ziel, den Lebensunterhalt ohne staatliche, kirchliche oder private Förderung zu verdienen, andererseits die Nachfrage des Adels und Bürgertums nach qualifizierten und loyalen Arbeitskräften zu befriedigen. Die Gesellschaft der Freunde in der Not zählt zu jenen Wohltätigkeitsinitiativen, die ein Beispiel dafür sind, dass die bürgerliche Gesellschaft keinesfalls allein das Produkt der von staatlicher Seite betriebenen Reformmaßnahmen ist.259 Die Entstehung der Gesellschaft der Freunde in 257

258

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Brief Louise Marezolls an Johannes Falk, Jena 12. April 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 20, Bl. 539r.–539v., hier Bl. 539v. Brief Sophie von dem Busche an Johannes Falk, Naumburg 19. Januar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 162r.–162v., hier Bl. 162r. Vgl. auch Kapitel III.4.1.2. Vgl. Gall, Lothar: Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (= EDG; 25). München 1993, S. 23.

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der Not war eine unmittelbare Reaktion auf die politischen und kriegerischen Ereignisse am Beginn des 19. Jahrhunderts, in deren Folge sich die Frauenvereine zuvor gegründet und 1815 die Burschenschaften zusammengeschlossen hatten.260 In dieser Entwicklungslinie sah auch Goethe die von Falk maßgeblich initiierte Vereinigung: »Die Frauen-Vereine bildeten sich zur Zeit der Noth, weil sonst niemand helfen konnte, die Noth ist vorüber und die Vereine verzweigen sich durch die Länder bis in Städtchen und Dörfer, als Erziehungs- und Unterrichts-Anstalten. Die Turn- und Burschenschaft gleichfalls ins Allgemeine wirkend, dann so manches Besondere, z. B. bey uns die Freunde in der Noth, durch Falk zusammen gerufen, alles Staaten im Staate, abgesonderte Kreise die sich berühren, durchschneiden, schätzbar durch allgemeinen guten Willen, gefährlich durch besondere Zwecke, unentbehrlich, weil jeder sich selbst zu helfen und zu schützen sucht.«261

Über die Zeit der größten Bedrängnis hinaus blieb das personelle Netzwerk der Gesellschaft der Freunde in der Not als ein »besonderer« Zusammenschluss bestehen. Jenseits hergebrachter Standesunterschiede versammelten sich Frauen und Männer aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, um gemeinsam karitative Hilfe zu leisten, ohne dass sich die Mitglieder selbst als in einem Verein verbundene Mitstreiter empfanden. Die Gesellschaft der Freunde in der Not agierte weder als staatliches Instrument noch als Vereinigung einer elitären bürgerlichen Gruppe, die sich etwa in anderen Städten wie beispielsweise Hamburg des Armenproblems annahm.262 Der Staatsminister Goethe unterstellte diesen »Staaten im Staate« eine Eigendynamik, deren Folgen nicht abzuschätzen seien. Vermutlich resultierte Goethes Urteil aus Unkenntnis der inneren Struktur der Gesellschaft der Freunde in der Not. Weil keinem Mitglied der Einblick in die Rechnungsbücher verweigert wurde und viele Mitglieder zeitgleich Funktionen in städtischen, kirchlichen oder landesherrlichen Institutionen ausfüllten, die mit ähnlichen oder gleichen Aufgaben wie die Gesellschaft betraut waren, konnte sich die Vereinigung nicht so stark nach außen abgrenzen, wie es Goethe unterstellt hatte. In den Verzeichnissen der Gesellschaft fehlt die wohl wichtigste Gruppe der Wohltäter – die Handwerker. Von ihnen finden sich in den Quel260

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262

Zur (politischen) Bedeutung der Burschenschaften im frühen 19. Jahrhundert vgl. Müller: Bund, S. 7–9. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Gottlob Friedrich (Fritz) Constantin von Stein, Weimar 11. März 1819, in: GSA 29/19, Bl. 10r.–12r., hier Bl. 10v. Ich danke Gerhard Müller für den Hinweis auf diesen Brief. Vgl. Gall: Gesellschaft, S. 93.

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len meist nur die Namen, Herkunftsorte und Berufe. Ohne ihren Einsatz, die Bereitschaft einen Heranwachsenden zu erziehen, wären »die Geldspenden zu einem bloßen Almosen«263 abgewertet.

1.3.4 Zwei ›Schirmherrinnen‹. Die Landesmutter Großherzogin Louise und die finanzkräftige Förderin Erbgroßherzogin Maria Pawlowna In den Jahresberichten der Gesellschaft der Freunde in der Not werden die Mitglieder der herzoglichen Familie als Förderer und Unterstützer des Falkschen Instituts erwähnt.264 Zwei herausragende Mitglieder in der Gesellschaft der Freunde in der Not waren Großherzogin Louise und Erbgroßherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach. Ausgehend von der Frage, welche Bedeutung beiden Frauen für das karitative Hilfswerk der Gesellschaft der Freunde in der Not zukam, zeigt sich, dass die Frau des regierenden und die des zukünftigen Großherzogs als Freundinnen in der Not unterschiedliche Funktionen im karitativen Hilfswerk übernahmen. Maria Pawlowna arbeitete als ›Wohltätigkeitsunternehmerin‹ mit der Gesellschaft aktiv zusammen, indem sie finanzielle und praktische Hilfe leistete und ihre Fürsorgepolitik teilweise vorbildhaft auf die Strukturen der Gesellschaft wirkte. Dagegen trug Falk die Rolle der fürsorglichen Landesmutter an Großherzogin Louise heran, unter deren Obhut das Falksche Institut fortbestehen sollte. Die Vereinnahmung als Landesmutter diente nicht in erster Linie der Sicherung großherzoglicher Zuwendungen, sondern vielmehr der Verankerung des Falkschen Instituts im sachsen-weimar-eisenachischen Fürsorgewesen und der Legitimation karitativer Hilfe für junge Frauen trotz des allgegenwärtigen Engagements der Patriotischen Frauenvereine. Der 30. Januar wurde vom Falkschen Institut seit 1816 jährlich als Stiftungstag begangen.265 Der in den Quellen verwendete Begriff des Stiftungstages ist irreführend, da der 30. Januar nicht als Gründungstag der Gesellschaft oder des Falkschen Instituts belegt ist. Falk wählte mit dem Datum keinen zufälligen Termin, sondern den Geburtstag der Großherzogin. Über den Zusammenhang zwischen dem Stiftungstag und den Geburtstag Louises notierte Franz David Gesky in seinen Erinnerungen: »Das Institut wurde I. Königl. Hoheit, der Frau Großherzogin, zum 263 264 265

Vgl. Hain: Gesellschaft, S. 85. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. Predigt zum 2ten Stiftungstag unserer Gesellschaft (den 30. Januar 1817), in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 23r.–25v., hier Bl. 23r.

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Schutz gewidmet. Zu dero hohem Geburtstage, dem 30. Januar, wurde das Fest gefeiert.«266 Fortan stand die Gesellschaft unter dem besonderen Schutz der Großherzogin, die schon in den ersten drei Jahren des Bestehens viel zur Entwicklung der Vereinigung beigetragen habe. Auch deshalb sei die Wahl des Geburtstages zum Stiftungstag folgerichtig, »weil die verehrte Landesmutter sich als die thätigste Freundin in der Noth erwiesen und für die guten Zwecke dieser Gesellschaft mit bewundernswürdiger Liebe und Güte gewirkt hat«267. Die geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt steht in der zweiten Reihe der Weimarer Persönlichkeiten, sodass bisher nur wenige biographische Arbeiten ihr Leben und Wirken zum Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung machten oder ihr karitatives Engagement näher beleuchteten. In älteren und neueren Forschungen wird der Mythos einer im Hintergrund stehenden Frau des Herzogs kolportiert.268 Neuere Untersuchungen unterstreichen durchaus die »Bedeutung«269 der Großherzogin innerhalb der Weimarer Klassik. Sie erfüllte nicht nur die ihr von ›Amts wegen‹ auferlegte Pflicht, den Fortbestand der dynastischen Linie mit der Geburt eines männlichen Thronfolgers zu sichern. Im Oktober 1806 hatte sie als einziges Mitglied aus dem engeren Zirkel der herzoglichen Familie Weimar nicht verlassen. Zwar hatte das Herzogtum seit der Vermählung Carl Friedrichs mit Maria Pawlowna, einer geborenen Großfürstin von Russland, an politischer Bedeutung gewonnen, aber das entschlossene Auftreten Louises gegenüber Napoleon dürfte darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zum Fortbestand des mitteldeutschen Kleinstaats geleistet haben, weshalb Carl August seine Frau fortan in die politische Entscheidungsfindung einbezog.270 Zudem förderte sie durch ihre Fürsprache die kulturelle Entwicklung Weimars, indem sie enge, zum 266

267 268

269

270

Gesky, Franz David: Weimar von unten betrachtet. Bruchstücke einer Chronik zwischen 1806 und 1835 aufgezeichnet von Franz David Gesky. Hrsg. von Hubert Erzmann und Rainer Wagner. Jena 1997, S. 130. National-Zeitung der Deutschen. 8. Stück vom 21.02.1816, Sp. 144. Hammerich, Louis L.: Zwei kleine Goethestudien (= Historisk-filosofiske Meddelelser; 39, Nr. 6). Kopenhagen 1962, S. 31; Jena, Detlef: Das Weimarer Quartett. Die Fürstinnen Anna Amalia, Louise, Maria Pawlowna, Sophie. Regensburg 2007, S. 72. Seifert, Rita: Großherzogin Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach – »eine Frau von Bedeutung«, in: Die Pforte 9 (2008), S. 179–216, hier S. 179. Vgl. Redslob, Edwin: Louise von Weimar und ihr Verhältnis zu Goethe. Zu ihrem 200. Geburtstag (30. Januar 1957), in: Goethe. N. F. des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 19 (1957), S. 110–121, S. 117f.

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Teil freundschaftliche Kontakte etwa zu Herder, Goethe, Charlotte von Stein, Jakob Michael Reinhold Lenz oder Germaine de Stae¨l-Holstein pflegte.271 Dass die Großherzogin das Falksche Institut ebenfalls förderte, wurde bislang völlig übersehen.272 Ganz allgemein wird von ihrer, oft anonym ausgeübten Wohltätigkeit gesprochen, die »bis zu den Grenzen ihrer Schatulle und darüber hinaus«273 gegangen sei. Allenfalls wird von den »Spenden« an den von »Johannes Falk ins Leben gerufenen ›Verein der Freunde in der Not‹«274 gesprochen, ohne das Wechselverhältnis zwischen der wohltätigen Landesmutter und dem karitativen Hilfswerk genauer zu untersuchen. Innerhalb der Gesellschaft der Freunde in der Not war die Großherzogin nicht nur ein Mitglied, das mit den regelmäßig gespendeten 25 Talern zum Erhalt des Falkschen Instituts beitrug bzw. Gelder einzelnen Bedürftigen zukommen ließ.275 Die Großherzogin informierte sich über das Falksche Institut und besuchte den Lutherhof, wo sie von den Zöglingen hergestellte Produkte begutachtete und sich mit den Bewohnern des Hauses »auf das Liebreicheste«276 unterhielt. Die auf gegenseitigem Interesse beruhende enge Verbundenheit zwischen der wohltätigen Institution und der Großherzogin untermauerte Falk mit der Wahl des Stiftungstages am Geburtstag Louises von Sachsen-Weimar-Eisenach. Ein halbes Jahr zuvor, im August 1815, hatte sich Falk vertrauensvoll an die »verehrungswürdigste Landesmutter«277 gewandt. Die auf so unterschiedliche Weise karitativ wirkende Gesellschaft und das Institut sollten nach 271 272

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Vgl. Seifert: Louise, S. 193–213. Vgl. neben der Arbeit von Seifert und Redslob etwa Walther, Victor: Goethe – Gestern und Morgen. Gedanken, Gedenken, Gedichte. Berlin und Weimar 1970, S. 77f. Hammerich: Goethestudien, S. 42. Vgl. auch Bojanowski, Eleonore von: Louise. Großherzogin von Sachsen-Weimar und ihre Beziehungen zu den Zeitgenossen. Nach grösstenteils unveröffentlichten Briefen und Niederschriften. Stuttgart und Berlin 1905, S. 337. Jena: Quartett, S. 124. Vgl. Brief Chr. Fr. Fiedeler an Johannes Falk, Weimar 8. Oktober 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 343r.–344r., hier Bl. 343r. Großherzogin Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach unterstützte etwa mit persönlichen Zuwendungen den alten Eremiten Gottlob Friedrich Menge aus Gerstungen. Vgl. die entsprechenden Aufzeichnungen in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 266r.–371v. Wie Johannes Falk den Grundstein zum Betsaal legt, in: GSA NZ 19/07,1, S. 60–67, hier S. 66. Bericht Johannes Falks an Großherzogin Louise, Weimar 15. August 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 366v.–368r., hier Bl. 366v.

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dem Willen Falks unter den Schutz der Großherzogin Louise gestellt werden, die auf diese Weise »ihrer eigenen Familie und der Nachwelt als ein Stern [...] leuchten«278 würde. Durch die enge Verbindung zwischen karitativer Hilfe und landesmütterlicher Obhut verbinde die öffentliche Meinung deutschlandweit die Weimarer Fürstenfamilie nicht mehr nur allein mit der intensiven Förderung von Kunst und Kultur, sondern auch von Fürsorge und Volksbildung. Die Verehrung der Großherzogin und die öffentliche und sich jährlich wiederholende Feier ihres Geburtstages gehen schon auf das Jahr 1777 zurück. Damals schuf Goethe eigens anlässlich Louises Geburtstags mit dem Feenspiel »Lila« eine literarische Arbeit, die am 30. Januar aufgeführt wurde.279 Ein zweiter Grund und damit ebenfalls vorbildhaft für die Verehrung Louises in Sachsen-Weimar-Eisenach ist in der Glorifizierung der Königin Luise von Preußen zu sehen. Nach deren Tod 1810 wurde sie in den napoleonischen Kriegen zur »Landesmutter« erhoben, die vorbildhaft die bürgerlichen Tugendideale einer Hausfrau, Gattin und Mutter verkörperte.280 In gewisser Weise stilisierte Johannes Falk so im Großherzogtum einen sachsen-weimar-eisenachischen Luisen-Kult,281 der an die 1810 verstorbene preußische Königin anknüpfte. Wie die sachsenweimar-eisenachische Herzogin war die Königin Napoleon persönlich 1807 in Tilsit begegnet;282 ein Ereignis, in dem Napoleon und seine Zeitgenossen einen nicht unerheblichen Anteil am Fortbestand der Dynastie sahen.283 Im Unterschied zu Friedrich Wilhelm III. von Preußen wurde Carl August nicht wie der preußische König komplementär zur Gattin 278 279 280

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Ebd., Bl. 368r. Vgl. Redslob: Louise, S. 113; Seifert: Louise, S. 194. Vgl. Hagemann: Heldenmütter, S. 187; Hagemann: Mannlicher Muth, S. 366–376. Vgl. Ventzke, Markus: Art. »Louise (Luise) Auguste Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach, geb. Prinzessin von Hessen-Darmstadt (1757–1830)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 282–287, hier S. 283; Ventzke, Markus: Kunstsinnigkeit als Problemverdrängung. Die Weimarer Hoffinanzen vom Ende des Alten Reichs bis zur Revolution 1848/49, in: »Ihre Kaiserliche Hoheit«. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schloßmuseum. Hrsg. von der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. 2. Teil. München und Berlin 2004, S. 85–96, hier S. 86. Vgl. Gersdorff, Dagmar von: Königin Luise und Friedrich Wilhelm III. Eine Liebe in Preußen. Berlin 2003, S. 157–161. Vgl. Demandt, Philipp: Luisenkult. Die Unsterblichkeit der Königin von Preußen. Köln, Weimar und Wien 2003, S. 231f.

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als Landesvater emporgehoben.284 Im Gegensatz zu Carl August, der die Rolle des Familienvaters »nicht zu spielen gedachte«285, verkörperte das preußische Königspaar das bürgerliche Ideal von Ehe und Familie.286 Carl August verstand es nicht, sich in dem gleichen Maße, wie seine Frau als fürsorgende Mutter und Landesmutter wahrgenommen wurde, als guter Haus- und Familienvater zu inszenieren. Die mütterliche Fürsorgepflicht der Großherzogin war für Falk die Ursache für ihr mutiges Ausharren in Weimar. Falk initiierte – analog zum preußischen – einen sachsen-weimarischen Luisen-Kult, der auf dem entschlossenen Auftreten Louises gegenüber Napoleon und dem letztendlichen Fortbestand der Dynastie basierte: Als Johannes Falk am 30. April 1823 den Grundstein für den zu restaurierenden Lutherhof legte,287 litt die Großherzogin an einer gefährlichen Herzbeutelentzündung,288 sodass Falk glaubte, die Großherzogin »lag in diesen Tagen auf dem Tode«289. Ihr zu Ehren wurde der Grundstein ›Luisenstein‹ genannt und Falk begründete diese Wahl mit dem verdienstvollen Mut der »hochgesinnte[n] fürstliche[n] Frau, die durch ihr Dableiben auf dem Schloß, nach der Schlacht von Jena« am 14. Oktober 1806 »ein unsterbliches Verdienst um ihr Volk erwarb«.290 Der späteren Großherzogin sei es gelungen, »Schonung für ihr Volk, nicht durch Gewalt der Waffen« zu erzwingen, »sondern durch wahrhafte Hochachtung«, die sie als »eine echte geborne deutsche Fürstin [...] dem Eroberer einflöste. Wie ein abgeschiedener Geist begegnete die Heldenfrau Luise, in den Hallen ihres Schlosses, mitten unter Brand und Plünderung, auf den Trümmern der sieben dienstbaren Jahren untergegangenen deutschen Freyheit dem Heerführer der Frankischen Stämme Napoleon dem 1ten Kaiser von Frankreich.«291 284

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Carl August fehlten bereits in seiner Kindheit die Tugenden, die man von einem späteren Landesvater erwartete. Vgl. Bode, Wilhelm: Carl August von Weimar. Jugendjahre. Berlin 1913, S. 31f. Rothe, Wolfgang: Der politische Goethe. Dichter und Staatsdiener im deutschen Spätabsolutismus. Göttingen 1998, S. 27. Vgl. Schorn-Schütte, Luise: Königin Luise. Leben und Legende. München 2003, S. 85f. Vgl. Wie Johannes Falk den Grundstein zum Betsaal legt, in: GSA NZ 19/07,1, S. 60–67, hier S. 62. Vgl. Jena: Quartett, S. 130. Wie Johannes Falk den Grundstein zum Betsaal legt, in: GSA NZ 19/07,1, S. 60–67, hier S. 64. Ebd., S. 65. Ebd.

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Die Großherzogin entsprach mit ihrem Verhalten den Vorstellungen Falks, der von einer Herrscherin nicht nur bürgerliche Familientugenden erwartete, sondern von ihr die gleiche Sorge auch für das ganze Volk verlangte, wie er es in den folgenden Versen zum Ausdruck brachte: »Die Landesmutter segne Gott, / Die bey uns blieb in Fahr und Tod, / Die Fürstin, die uns nie verließ, / (Gott segn’ es ihr im Paradies)«.292 Die innige Verbundenheit mit der »mutigen« Großherzogin, die die Zöglinge und Seminaristen des Instituts auch abseits des Stiftungstages artikulierten,293 wurde in einem Festgottesdienst in der Stadtkirche St. Peter und Paul zum Ausdruck gebracht, in dem die Festgemeinde aus dem Institut sowie der die Predigt haltende Oberkonsistorialrat Horn der »Landesmutter«, die als »wahrhaftige Freundin in der Noth«294 verehrt wurde, Gesundheit und Wohlergehen zum Geburtstag wünschten. Die Verantwortlichen des Instituts nahmen den Geburtstag der prominenten Schirmherrin zum Anlass, um die Öffentlichkeit über die Erfolge des Instituts zu informieren. Sichtbar für die Weimarer Bevölkerung demonstrierte Falk mit den Zöglingen die enge Verknüpfung zur Großherzogin, indem sie in einem Festzug zum Schloss zogen und der Jubilarin huldigten. Bei diesen Gelegenheiten wurden der Großherzogin Zöglingsarbeiten überreicht, wie es beispielsweise die Leiterin der Nähschule in Geisa, Anna Josepha Klingel, 1818 beabsichtigte.295 In einem Brief berichtete Caroline von und zu Egloffstein Henriette von Beaulieu-Marconnay von den entsprechenden Feierlichkeiten des Jahres 1818. »Ich komme eben von der Gratulation bei der Grosherzogin zurück, u. Falk zieht mit seinen 300 geretteten Kindern über den Schloßhof u. feiert den 3ten Stiftungstag – es ist sehr rührend zu sehen u. zu denken was ein Mensch vermag der mit vollem Willen das Gute bewürkt!«296

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Frauenverein oder die Freundinnen und Freunde in der Not, in: GSA 15/N 55, Bd. 1., Bl. 421r. Vgl. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 17. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 42r.–43r., hier Bl. 42r. Predigt zum 2ten Stiftungstag unserer Gesellschaft (den 30. Januar 1817), in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 23r.–25v., hier Bl. 23r. Vgl. Brief Anna Josepha Klingels an Johannes Falk, [Geisa 1818], in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 237r.–238v., hier Bl. 238r. Brief Caroline von Egloffsteins an Henriette von Beaulieu-Marconnay, [Weimar] 30. Januar 1818, in: GSA 13/33, 4. Für den freundlichen Hinweis auf diese Briefstelle danke ich Ariane Ludwig.

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Der Stiftungstag wurde ab 1816 jährlich als »fromme[s] und bürgerliche[s] Freudenfest«297 begangen, das weniger den Charakter eines exzesshaften Beisammenseins aufwies,298 sondern das der Weimarer Bevölkerung die wichtigsten Prinzipien des Rettungswerkes wie Arbeitsamkeit, Ordnung und Reinlichkeit vergegenwärtigte. Im Ablauf des Festaktes spiegelten sich Geschlechtervorstellungen wider, an denen sich das Falksche Institut formal orientierte. Das Institut verdeutlichte im Festzug, dass es als Hilfswerk jungen Frauen und Männern half, indem beide Geschlechter den Umzug gestalteten. Trotzdem integrierte der Festumzug die Geschlechter separierenden und spezifische Aufgaben zuweisenden Tendenzen, die andere Hilfswerke weitaus konsequenter mit ihrer Fokussierung auf eines der Geschlechter umsetzten. Paarweise stellten sich die heranwachsenden Frauen auf und führten in Begleitung ihrer Lehrerinnen vor ihren männlichen Kollegen den Festzug an, die ihnen, ebenfalls geordnet, folgten.299 Neben unterschiedlichen Schmuckelementen wie Kränzen und Blumen, mit denen die Teilnehmer des festlichen Umzuges ausgestattet waren, trugen die Heranwachsenden Kleidung, die sie mit ihren spezifischen Tätigkeiten in Verbindung brachten. Während die jungen Frauen selbst verfertigte Kleider präsentierten, waren die jungen Männer als Lehrlinge zu erkennen.300 Falk nutzte die mit dem Geburtstag der Großherzogin zur Verfügung stehende Bühne, auf die alle Augen des Großherzogtums gerichtet waren, und inszenierte sich und das Institut als unübersehbare Gratulanten. Er überhöhte Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach als Landesmutter, unter deren Obhut das Falksche Institut mittel- und längerfristig Bestand haben sollte. Dazu instrumentalisierte Falk die Vorstellung von einer Landesmutter, die als fürsorgende Hausfrau, Gattin und Mutter nicht nur ihrer leiblichen Familie, sondern dem gesamten Volk hilfreich zur Seite stand. Gleichzeitig dürfte Louise von Sachsen-Weimar-Eisenach wie die ver297

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National-Zeitung der Deutschen, 8. Stück vom 21.02.1816, Sp. 145. Zum Stiftungsfest vgl. Hain, Christian: Fürsorgeideen des 19. Jahrhunderts in Feiern und Festen. Johannes Daniel Falk und Johann Hinrich Wichern im Vergleich, in: Maurer, Michael (Hrsg.): Festkulturen im Vergleich. Inszenierungen des Religiösen und Politischen. Köln, Weimar und Wien 2010, S. 217–241, hier S. 235–238. Vgl. Gebhardt, Winfried: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXII; 143). Frankfurt am Main u. a. 1987, S. 37–39. Vgl. National-Zeitung der Deutschen, 8. Stück vom 21.02.1816, Sp. 145. Ebd.

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storbene Königin von Preußen jungen Frauen und Mädchen als Vorbild patriotischer Tugenden gedient haben.301 Unter dem Schutz der Landesmutter stilisierte Falk das Institut als einen Ort mit einer strikten geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, der heranwachsende und mit ›weiblichen Arbeiten‹ vertraute junge Frauen und einem Beruf nachgehende, arbeitsame Männer hervorbrachte. Im Gegensatz zur Großherzogin ist das soziale Engagement ihrer Schwiegertochter Maria Pawlowna, die am 3. August 1804 Carl Friedrich geheiratet hatte und mit einem festlichen Einzug im November desselben Jahres in Weimar eingetroffen war,302 häufig Gegenstand der historischen Aufarbeitung.303 Als Obervorsteherin leitete sie die Geschicke des Patriotischen Instituts der Frauenvereine, zu dem 1818 bereits 30 Vereine gehörten, die mehrere hundert Schülerinnen unterstützten.304 In den Jahrzehnten der Regierung ihres Mannes setzte sie sich für die Errichtung von Kleinkinder-Bewahranstalten, Erwerbs- und Industrieschulen, Suppenkoch- und Entbindungsanstalten ein. Zudem förderte sie die Etablierung des Sparkassenwesens im Großherzogtum.305 Wie ihre Schwiegermutter spendete Maria Pawlowna seit 1816 regelmäßig an das Falksche Institut bzw. übergab einmalige zweckgebundene Beiträge. Kurze Zeit nach der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not zahlte sie am 29. Juni 1813 beachtliche 200 Taler, deren Verwendung sie für besonders hart getroffene Ortschaften vorgesehen hatte.306 Aus ihrer Privatschatulle spendete sie in der Folgezeit im Quartal durchschnittlich 25 Taler an die Einrichtung. Sie unterstützte darüber hinaus die Renovierung des Lutherhofes, einzelne Perzipienten oder Falk per301 302 303

304 305

306

Vgl. Hagemann: Mannlicher Muth, S. 372. Vgl. Schedewie: Pavlovna, S. 287. Vgl. etwa Seifert, Rita: Privat oder Staat? Maria Pawlowna und die Frauen im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Weimar 2005. Vgl. Jena: Quartett, S. 177. Vgl. Seifert: Privat oder Staat, S. 46f. und 86–91. Jena, Detlef: Maria Pawlowna: Großherzogin an Weimars Musenhof. Graz, Wien und Köln 1999, S. 274; Müller-Harang, Ulrike: Der »märchenhafte« Reichtum der Maria Pawlowna und die Folgen. Zu den Finanzverhältnissen der Großfürstin, in: »Ihre Kaiserliche Hoheit«. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schloßmuseum. Hrsg. von der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. 2. Teil. München und Berlin 2004, S. 97–110, hier S. 105. Vgl. Dietsch, Ingrid: Brief Johannes Falks vom 9. Oktober 1813 an die Weimarer Erbherzogin Maria Pawlowna, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 1–7, hier S. 2 und Anmerkung 10 auf S. 4.

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sönlich mit außerordentlichen Zuwendungen.307 Vor Ort überzeugte sich Maria Pawlowna, wie ihre Gelder verwendet wurden, und besuchte den Unterricht der jungen Frauen, denen sie bei diesen Gelegenheiten persönlich ein Geschenk überreichte.308 Die Frage, ob die Spenden aus der Privatschatulle der Erbgroßherzogin stammten oder nicht, war keine finanztechnische Nebensächlichkeit, sondern das Ergebnis der dynastischen Konstellation und Ausdruck des herrschaftlichen Selbstverständnisses Maria Pawlownas, die in der wohltätigen Fürsorge nicht nur die Erfüllung eines »Fürstenethos«, sondern »eine große politische Aufgabe« sah, »die sie geschäftsmäßig bearbeitete«309. Als Erbgroßherzogin verteilte sie ihre Einkünfte aus der Hauptund Vorratskasse auf die ›Privatschatulle‹, woraus sie ihre persönlichen Ausgaben bestritt, und auf eine ›Gemeinschaftliche Hofkasse‹. Mit letzterer finanzierter sie die größte Last der erbgroßherzoglichen Hofhaltung, wozu auch die obligatorische Förderung sozialer bzw. pädagogischer Anliegen – wie persönliche Gnadengeschenke, Stipendien für begabte Schüler, der Unterhalt der Jenaer Universität und die Armenkasse der Residenzstadt – zählten, ohne dass diese immer in gesonderten Rubriken der Ausgaben auftauchten.310 Weil die Hofhaltung aber einen Großteil der Hofkasse beanspruchte, haben die karitativen Spenden Maria Pawlownas aus ihrer Privatschatulle, von denen auch das Falksche Institut profitierte, umso mehr den Charakter persönlicher Zuwendungen, die der Erbgroßherzogin ein wichtiges Anliegen waren. Mit dem Regierungsantritt Carl Friedrichs 1828 und der Entlastung der Hofhaltung durch die Kammer war Maria Pawlowna nicht nur in der Lage, mehr finanzielle Mittel für wohltätige Belange einzusetzen, sondern deklarierte diese als offizielle Ausgaben.311 Dass Maria Pawlowna, die anlässlich ihrer Hochzeit eine zu fünf Prozent verzinste Mitgift in Höhe von einer Million Rubeln erhalten hatte,312 307 308

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Vgl. ThHStAW HA XXV Maria Pawlowna 1815–1826. Vgl. Brief Ernst Bernhard Saals an Johannes Falk, Hardisleben 22. Februar 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 87r.–87v., hier Bl. 87r. Müller, Gerhard: Landesmutter oder Regentin im Hintergrund? Maria Pawlownas Rolle in der obersten Regierungssphäre des Großherzogtums SachsenWeimar-Eisenach, in: »Ihre Kaiserliche Hoheit«. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schloßmuseum. Hrsg. von der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. 2. Teil. München und Berlin 2004, S. 121–124, hier S. 121. Vgl. Müller-Harang: Reichtum, S. 101–105. Vgl. Müller-Harang: Reichtum, S. 110. Vgl. Müller-Harang: Reichtum, S. 98.

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im Vergleich zur Großherzogin als Spenderin über den größeren finanziellen Spielraum verfügte, liegt auf der Hand: Die Abstammung aus der russischen Zarenfamilie garantierte die materielle Grundlage ihres sozialen Engagements, das sie als herrschaftliche Tugend seit ihrer Kindheit kennen gelernt hatte. Maria Pawlownas Mutter, Maria Fjodorowna, »war ihren Töchtern ein lebendes Beispiel für die Verpflichtung des Hofes, sich der sozial Schwachen anzunehmen und erzog sie auch in diesem Sinne«313. Als Maria Fjodorowna Ende 1818 Weimar besuchte,314 unterstützte auch sie das Falksche Institut mit einem einmaligen Betrag von 100 Dukaten.315 Als Initiatorin und Vorsteherin der Frauenvereine im Großherzogtum war Maria Pawlowna mit der Leitung und Verwaltung einer karitativen Einrichtung bestens vertraut. Ihre Erfahrungen teilte sie mit Johannes Falk, dem sie riet, sich bei den Spendeneinnahmen nicht nur auf private Wohltäter zu verlassen. So sei eine »Subscription«316 geeignet, längerfristig Gelder für das Institut zu binden. Daraufhin versuchte Falk 1815 die Mitglieder, allen voran die herzogliche Familie, zur Unterzeichnung in einem »Subscriptionsbüchlein«317 zu bewegen, wobei Carl August und der Erbgroßherzog zögerlich auf diesen Vorstoß reagierten, während auswärtige Potentaten wie die vormundschaftlich regierende Herzogin Louise Eleonore von Sachsen-Meiningen rasch eine verbindliche Hilfe zusagten.318 Die Erbgroßherzogin gab damit den Anstoß für das spätere Subskriptions- bzw. Pränumerationsverfahren, das Falk zur Finanzierung des Umbaus des Lutherhofes praktizierte. Potentielle Käufer subskribierten im Vorfeld auf ein Werk, sodass Falk aus der Kaufszusage die Nachfrage seines Vorhaben abschätzen konnte, bzw. trugen sich in einem Pränumerandenverzeichnis ein, woraufhin sie bereits vor dem Buchdruck einen Teil oder die volle Summe des im Gegenzug vergünstigten Kaufpreises entrichteten.319 313 314 315

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319

Seifert: Privat oder Staat, S. 12. Vgl. Jena: Maria Pawlowna, S. 225. Vgl. Aktennotiz Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 10, Bl. 189r.; Dankschreiben Johannes Falks, Weimar Dezember 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 10, Bl. 182r. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Großherzog Carl August, Weimar 16. Oktober 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 440v. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Erbgroßherzog Carl Friedrich, Weimar o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 441r. Vgl. Schreiben des Sekretärs Henning an Johannes Falk, Meiningen 16. März 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 433r. Vgl. etwa zu diesem Verfahren Brief Fanny von Reitzensteins an Johannes Falk,

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Aus der Unterstützung heranwachsender Frauen und Männer entwickelte sich zwischen Maria Pawlowna und Johannes Falk zudem eine wechselseitige Zusammenarbeit. Die engen Kontakte wurden von Bedürftigen genutzt, die über Falk Bittschreiben an die Erbgroßherzogin richteten.320 Umgekehrt griff Maria Pawlowna auf die Strukturen des Falkschen Instituts zurück, um Heranwachsende unterzubringen, wenn die Möglichkeiten der örtlichen Frauenvereine ausgeschöpft waren.321 Durch die Zusammenarbeit boten die Erbgroßherzogin mit den Frauenvereinen und Johannes Falk mit der Gesellschaft der Freunde in der Not Heranwachsenden beiderlei Geschlechts eine karitative Hilfe. Großherzogin Louise äußerte sich mitunter »abfällig über die staatlich lizensierte Schnorrerei«322 des Patriotischen Instituts der Frauenvereine. Sie mag es gewöhnt gewesen sein, ihre Wohltaten ohne viel Aufsehen zu verteilen.323 Als ›amtierende Landesmutter‹ spürte sie den Mangel an eigenen finanziellen Mitteln, der zu den missbilligenden Äußerungen über die weitaus vermögendere Schwiegertochter beigetragen haben mag. Nach 1828 und dem personellen Wechsel an der dynastischen Spitze vereinten sich in Maria Pawlowna materielle Potenz und die bis dahin von ihrer Schwiegermutter wahrgenommene Funktion der fürsorglichen Landesmutter. Da zu Lebzeiten Falks diese Personalunion noch nicht exis-

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o. O. 1. August 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 208r.–209v., hier Bl. 208r. und Brief Fanny von Reitzensteins an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 198r.–199r., hier Bl. 198r.–198v.; Brief Louise Bruhls an Johannes Falk, Lich 6. Februar 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 784r.–784v., hier Bl. 784r.; Brief Carl Ludwig Collmanns an Johannes Falk, Kassel 7. Juni 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 31r.–32r., hier Bl. 31r.–31v. Vgl. Brief Carl Macks an Johannes Falk, Weimar 21. Februar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 153r.–154r., hier Bl. 153r.–153v. Brief Julius Adolf Völkels an Johannes Falk, [Weimar] 26. Januar 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 17, Bl. 350r. Jena: Quartett, S. 178. Vgl. Bojanowski: Großherzogin Louise, S. 401f. Vgl. Schedewie, Franziska: Maria Pawlownas erste Eindrücke in Weimar (1804–1806), in: »Ihre Kaiserliche Hoheit«. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schloßmuseum. Hrsg. von der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. 2. Teil. München und Berlin 2004, S. 27–33, hier S. 29; Berger, Joachim: Die Medienfürstin. Höfische Repräsentation im »bürgerlichen« Jahrhundert, in: »Ihre Kaiserliche Hoheit«. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schloßmuseum. Hrsg. von der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. 2. Teil. München und Berlin 2004, S. 125 und 142; Müller-Harang: Reichtum, S. 108f.

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tierte, wandte er sich an beide Frauen, um dem Falkschen Institut die Unterstützung der herzoglichen Familie auf breiter Basis – ideell wie materiell – zu sichern. Der regierenden Großherzogin, die in SachsenWeimar-Eisenach eine ähnliche Aura umgab wie die verstorbene Königin Luise in Preußen, trug Falk das Patronat über das Institut an. Sie übernahm die Sorgfaltspflicht für eine konkrete Wohltätigkeitinitiative, wie es den zeitgenössischen Erwartungen an eine fürsorgende Landesmutter entsprach. Für Falk spielten ihre vergleichsweise geringen materiellen Zuwendungen eine untergeordnete Rolle. Mit der Wahl des großherzoglichen Geburtstages als Stiftungstag stilisierte sich Falk im öffentlichen Bewusstsein als engagierter Wohltäter. In Maria Pawlowna fand Falk hingegen seit Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not eine Mitstreiterin in der Jugendfürsorge und eine finanzkräftige Förderin, die aufgrund ihres aktiven Engagements im Patriotischen Institut der Frauenvereine über die Arbeitsweise eines karitativen Unternehmens bestens Bescheid wusste. Über die finanziellen Zuwendungen hinaus entwickelte sich zwischen den Wohltätigkeitsinitiativen der beiden eine für alle Seiten fruchtbare Zusammenarbeit.

1.4 Gegenbeispiel: Die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not Das gemischtgeschlechtliche Engagement der Wohltäterinnen und Wohltäter der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not für heranwachsende Frauen und Männer bildete im Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach eine Ausnahme. Mit der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not soll im Folgenden der Weimarer Vereinigung ein karitativer Verein gegenübergestellt werden, der sich zwar selbst als »Zweigverein« der residenzstädtischen Gesellschaft verstand, sein Hauptaugenmerk aber auf die Unterstützung junger Männer richtete. Ein Vergleich der beiden Gruppierungen zeigt sehr deutlich, dass polare Geschlechtervorstellungen nach 1800 virulent, nicht jedoch überall wirkmächtig waren. Am 31. August 1816 wurde in Ilmenau eine Gesellschaft der Freunde in der Not nach dem Weimarer Vorbild ins Leben gerufen, wobei Falk ausdrücklich im Auftrag der Weimarer Gesellschaft die Gründungsdokumente unterzeichnete.324 Ähnlich wie die Weimarer Vereinigung setzten sich die Ilmenauer das Ziel, »alle Vierteljahre einen armen Knaben, bey 324

Vgl. Verhandlungen der Gesellschaften, 7. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 220r.–221v., hier Bl. 220r.

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irgend einem nützl[ichen] Gewerbe oder Handthierung, aufdingen zu laßen«325. Auch die Fürsorgepraxis für Heranwachsende in der Lebensphase »zwischen Schule und bürgerliche[m] Leben«326 scheint auf den ersten Blick dem Weimarer Vorbild gefolgt zu sein. So sollten die jungen Männer ihre Unterstützung bei den jeweiligen Wohltätern selbst abholen, als Lehrlinge bei einem Handwerksmeister ausgebildet werden und in dessen Familie leben. Die Erziehung außerhalb der Werkstätten übernahm der Ilmenauer Diakon August Thieme (1780–1860), der die Leitung der Ilmenauer Sonntagsschule innehatte. Diese Gemeinsamkeiten resultieren aus Johannes Falks Engagement, der sich in Ilmenau persönlich dafür eingesetzt hatte, einen karitativen Zusammenschluss von Wohltätern zu institutionalisieren. In Ilmenau konnte Johannes Falk mit der Unterstützung August Thiemes rechnen, mit dem er seit 1797 befreundet war.327 Der 1780 in Allstedt geborene August Thieme, Sohn eines Pfarrers, arbeitete zunächst als Hauslehrer im Norden Deutschlands und unterrichtete ab 1803 in der St. Petersburger Katharinenschule, später im finnischen Wiburg.328 1812 war August Thie325

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328

Zweck der Gesellschaft der Freunde in der Noth zu Ilmenau, Ilmenau 31. August 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 200r.–201r., hier Bl. 200r. Ebd., Bl. 200v. Falk berichtet seiner Frau 1797 aus Berlin von seinen Begegnungen mit August Thieme und dessen Verlobter Louise Henriette Auguste Wahl (1780–1843). Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Rosenfeld, Berlin 1797, in: GMD II, VI; Brief Johannes Falks an Elisabeth Rosenfeld, Mai 1797, in: GMD II, 8. Ich danke Ingrid Dietsch für die Transkription der beiden Briefe. Hausius, L.: Pfarrer Dr. August Thieme, der Poet von Allstedt, in: Heimat-Jahrbuch für den Regierungsbezirk Merseburg Querfurt 3 (1928), S. 93f., hier S. 93. Zu biographischen Angaben der Familienangehörigen Thiemes vgl. Thieme, Oskar: August Thieme und sein Zusammenstoß mit dem weimarischen Kirchenregiment um 1822, in: Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte 3 (1959), S. 128–170, hier S. 129 und 170. Vgl. Roessler, Johannes: Ein Stiller im Lande. Erinnerungen an August Thieme, in: Palmbaum 16 (2008), S. 99–108, hier S. 101f.; Hausius: Thieme, S. 93f. Quandt, Willy: Bedeutende Persönlichkeiten aus dem thüringischen Pfarrhaus. Versuch einer Zusammenstellung, in: Bedeutende Männer aus Thüringer Pfarrhäusern. Gabe der Thüringer Kirche an das Thüringer Volk. Hrsg. vom Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. Berlin 1957, S. 185–210, hier S. 207. Zu Thiemes hier nicht näher erläutertem literarischen Wirken vgl. Kirsten, Wulf: Verbrannte Gedichte, in: Kleinbub, Claudia / Lorenz, Katja / Mangei, Johannes (Hrsg.): »Es nimmt der Augenblick, was Jahre geben«. Vom Wiederaufbau der Büchersammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Göttingen 2007, S. 111–114.

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me aufgrund einer Erkrankung seiner Mutter in die Heimatstadt, die seit 1741 zum Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gehörte,329 zurückgekehrt, wo er zunächst in Lobeda tätig war, ehe er das Ilmenauer Diakonat übernahm.330 Obwohl Thieme im zeitgenössischen innerkirchlichen Konflikt weder für die Seite der Rationalisten noch die der Pietisten Partei ergriff,331 muss Johannes Falk von Thiemes religiöser und moralischer Integrität überzeugt gewesen sein, sodass Falk ihn im Gründungsdokument explizit mit der Leitung der neuen Vereinigung beauftragte.332 Zwischen beiden Vorstehern existierte eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, die sich beispielsweise in der Bereitschaft widerspiegelte, gegenseitig Heranwachsende aus dem jeweils anderen Ort aufzunehmen.333 Zwar führte die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not – wie auch die Vereinigungen in Eisenach und Jena – eine eigene Kasse,334 blieb jedoch der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not gegenüber unmittelbar rechenschaftspflichtig: »Zu dem Ende ist auch der jedes mahlige Ortsvorsteher einer solchen Anstallt, zu einer virteljährigen Berichtsabstattung in unsere Hauptgesellschaft verpflichtet. Auf zwey mahlige Verweigerung erfolgt die Einsetzung eines anderen Vorstehers und wir müßen das Geschäft des Ersten als beendigt ansehen.«335

Die Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not bildete für den Ilmenauer Zusammenschluss gleichsam eine »Mutter-Anstalt«336, sodass auf ähnliche Arbeitsweisen und Überzeugungen in beiden Vereinigungen zu schließen ist. Ausgehend von der Mitgliederstruktur der Ilmenauer Gesellschaft und der inhaltlichen Ausrichtung spiegelte sich zunächst unter 329

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Vgl. Facius, Friedrich / Schmidt-Thielbeer, Erika: Art. »Allstedt«, in: Schwineköper, Berent (Hrsg.): Provinz Sachsen Anhalt (= Handbuch der historischen Stätten Deutschlands; 11). Stuttgart 1987, S. 5–7, hier S. 6. Vgl. Quandt: Persönlichkeiten, S. 207. Vgl. Roessler: Thieme, S. 104; Herrmann: Kirchengeschichte, S. 452f. und 455f. Vgl. Zweck der Gesellschaft der Freunde in der Noth zu Ilmenau, Ilmenau 31. August 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 200r.–201r., hier Bl. 200r. Vgl. Protokoll der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, Ilmenau Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215v.–219v., hier Bl. 215v.–216r. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbuch des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. V und 262b. Zweck der Gesellschaft der Freunde in der Noth zu Ilmenau, Ilmenau 31. August 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 200r.–201r., hier Bl. 201r. Brief der Gesellschaft der Freunde in der Not, Weimar 1. September 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 222r.–222v., hier Bl. 222r.

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der Leitung von August Thieme das gemischtgeschlechtliche Engagement von Frauen und Männern für heranwachsende Jugendliche beiderlei Geschlechts wider. So zählten 1816 im Ilmenauer Gebiet mit der Bürgermeisterwitwe Rieth und der Frau Postmeister Hofmann auch zwei Frauen zu den insgesamt 25 regelmäßig spendenden Ilmenauer Freunden in der Not.337 Im Vergleich mit dem 10- bis 25-prozentigen Anteil weiblicher Mitglieder der Weimarer Gesellschaft beteiligten sich aber in Ilmenau weitaus weniger Frauen als in Weimar an der karitativen Vereinigung. Aus dem Jahresbericht für das Jahr 1816 ist außerdem zu entnehmen, dass auch die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not keinesfalls nur männliche Jugendliche, sondern ebenfalls junge Frauen unterstützte. Über die 15-jährige Schuhmachertochter Schmidt informierte Falk: »Unser würdiger Freund Thieme in Ilmenau versucht ihre Wiedergeburt. Möge sie den ihr zum letzten Mal erscheinenden Gnadenengel nicht durch bittern Hohn und eine schnöde Begegnung zurückweisen.«338 Trotz der gemeinsamen inhaltlichen Wurzeln und obwohl Falk die Ilmenauer Gesellschaft gegenüber einer sich zeitgleich in Jena entwickelnden Vereinigung als Musterbeispiel lobte,339 traten 1820 erste Unstimmigkeiten zwischen Weimar und Ilmenau zu Tage. Die Ursachen für diese Spannungen können nicht allein mit August Thiemes Rückzug aus der Gesellschaft begründet werden, nachdem er sich fortan verstärkt um die örtliche Sonntagsschule kümmerte. Die tieferliegenden Differenzen resultierten aus unterschiedlichen Vorstellungen über die Organisation von Sozialfürsorge, wie es sich am augenscheinlichsten in den stark voneinander abweichenden Geschlechterpraktiken artikulierte. Verschärft wurde diese Kontroverse, weil sich Thieme bereits zwei Jahre zuvor – in seiner Funktion als Rechnungsführer des Ilmenauer Zentralfrauenvereins – wegen derselben Fragen mit der Obervorsteherin des Patriotischen Instituts der Frauenvereine Maria Pawlowna zerstritten hatte.340 337

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Vgl. Ilmenauerbezirk (1816), in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 64v. Inwieweit die Ilmenauer Gesellschaft tatsächlich zu Beginn über 100 Mitglieder zählte, die auf 22 schrumpfte, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Vermutlich handelt es sich um eine spätere, künstliche Überhöhung der Mitgliederzahl im Zuge der auftretenden Konflikte mit der Weimarer »Mutter-Anstalt«. Vgl. Protokoll der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, Ilmenau Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215v.–219v., hier Bl. 216v. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. auch die Aufzeichnungen über die ausgetauschten Ilmenauer und Weimarer Zöglinge, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215v.–219v., hier Bl. 216r. Vgl. Jenaische Zöglinge, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 16r. Vgl. Reder: Frauenbewegung, S. 273.

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Der von der Forschung unberücksichtigte Konflikt zwischen Thieme und Falk entzündete sich einerseits an der inhaltlichen Ausrichtung der sozialfürsorglichen Arbeit, andererseits aber auch am Selbstverständnis der Ilmenauer Gesellschaft.341 So fällt auf, dass bis auf die noch unter August Thieme aufgenommene Schustertochter Schmidt keine andere junge Frau eine Unterstützung aus der Ilmenauer Gesellschaft erhielt. Die Gesellschaft lehnte Anfragen, jungen Frauen zu helfen, mit der Begründung ab, dass für diese Belange der jeweilige Frauenverein zuständig sei.342 Ilmenau gehörte zu einem der ersten Orte, an dem ein lokaler Frauenverein entstanden war, der später einen der sieben Central-Vereine bildete, aus denen sich wiederum das Patriotische Institut der Frauenvereine konstituierte.343 Die strikte Abgrenzung zwischen den eigenen Aufgaben und denen des Ilmenauer Frauenvereins untermauerten die Mitglieder anlässlich einer im Sommer 1820 einberufenen Mitgliederversammlung, in der über den Zweck und den Aufbau der Vereinigung grundlegend diskutiert wurde. Die Versorgung von Kindern und jungen Waisen gehörte keinesfalls in den Verantwortungsbereich der Gesellschaft, sondern zu den Aufgaben des Frauenvereins. Demgegenüber definierten die Mitglieder den eigentlichen Zweck ihres »Bürgervereins [...] armen Lehrlinge[n]«344 zu helfen. »Ich bleibe mit ganzem Herzen Mitglied des Vereins zu Unterstützung armer Knaben zu Erlernung eines Handwerks«345, bekräftigte auch der Justizrat Georg Philipp Friedrich Thon (1761–1834), der sich schon 1816 zu einem jährlichen Beitrag von 4 Talern bereit erklärt hatte, indem er die Hilfe für männliche Jugendliche ausdrücklich betonte. Eine derartig strikt formulierte Trennung unterschiedlicher Aufgabenbereiche nach Alter und Geschlecht lag der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not hingegen fern. Bereits vor der Gründung der Ilmenauer Gesellschaft hatte Falk August Thieme empfohlen, Spinnanstalten für junge Frauen einzurichten und karitative Hilfe auch Witwen und älteren Frauen angedeihen zu lassen.346 Die beiden sozialfürsorglichen Hilfswerke – Frauenverein und Il341

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Als Beispiel für das unreflektiert positive Verhältnis beider Männer vgl. Herrmann: Kirchengeschichte, S. 461. Vgl. Protokoll der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, Ilmenau Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215v.–219v., hier Bl. 215v. Vgl. Gräfe: Nachrichten, S. 35 und 44f.; Seifert: Privat oder Staat, S. 79–82. Protokoll der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, Ilmenau Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215v.–219v., hier Bl. 217r. Ebd., Bl. 218r.

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menauer Gesellschaft der Freunde in der Not – sollten sich nach dem Willen Falks nicht als separate Institutionen der Wohltätigkeit etablieren. Sein Ziel war es, dass zwischen beiden eine fruchtbringende Zusammenarbeit stattfand.347 Falks Wunsch erfüllte sich nicht. Zwar hatte auch Thieme 1818 eine Vereinigung der verschiedenen karitativen Institutionen Ilmenaus vor dem Stadtrat begrüßt, führte jedoch als Argumente dafür die schlechte Arbeit des örtlichen Frauenvereins und das fehlende Engagement seiner Mitglieder an. Sämtliche Almosen sollten nach Thiemes Willen unter Aufsicht der städtischen Almosenkommission zusammengetragen werden. Bedürftige erhielten die Gelder nach dem Besuch der Gottesdienste oder der Bibelstunden, sodass ihr Fernbleiben mit der Streichung der Unterstützung sanktioniert werden konnte. Insgesamt kamen Thiemes Vorschläge einer Abschaffung des in seinen Augen zu unchristlichen Frauenvereins gleich, weshalb es kaum verwundert, dass Maria Pawlowna Thiemes Äußerungen im Stadtrat zurückwies. Die Erbgroßherzogin betonte hingegen die Wirksamkeit der im Frauenverein geltenden Prinzipien der Eigenständigkeit, der Freiwilligkeit der Spende, der öffentlichen Transparenz, der überkonfessionellen Ausrichtung und nicht zuletzt den privaten Charakter des Patriotischen Instituts.348 Damit folgte das Patriotische Institut einem Großteil der Grundsätze, die auch in der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not galten. Die Unterschiede zu Thiemes Vorstellungen erschienen unüberbrückbar. Nachdem 1819 mit Maria Pawlownas Antwort auf Thiemes Vorstoß eine Zusammenarbeit des Patriotischen Instituts mit dem ›Männerverein‹ in weite Ferne gerückt war, spiegelten sich diese Differenzen zunehmend auch zwischen der Weimarer und der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not in den gelebten Geschlechterpraktiken wider. Strukturell unterschied sich die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not von ihrem Weimarer Vorbild im inneren Aufbau. Wenige Jahre nach der Gründung kämpfte die Ilmenauer Gesellschaft mit einer sinkenden Anzahl von Förderern und massiv einbrechenden Unterstützungszahlungen.349 August Thieme und seine Mitstreiter versuchten dieser Tendenz mit einer anderen Strategie als Falk entgegenzuwirken. Die Ilmenauer benannten exakt den Zweck der Gesellschaft und strukturierten die 346

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Vgl. Brief Johannes Falks an August Thieme [Weimar, 16. April 1816], in: GSA 15/N 12. Vgl. ebd. Vgl. Reder: Frauenbewegung, S. 274f. Vgl. Brief August Thiemes an Johannes Falk, Ilmenau 10. Januar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, 209r.–210r.

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Organisation des Zusammenschlusses, damit sich die einzelnen Mitglieder »gemeinschaftlicher finden und herzlicher binden möchte[n]«350. Abgesehen von der inhaltlichen Konzentration auf die Unterstützung männlicher Heranwachsender führte die verstärkte Institutionalisierung der Ilmenauer Gesellschaft bei August Thieme zu der Überzeugung, zwischen der Gesellschaft und ihren einzelnen Mitgliedern bestünde ein einklagbares vertragliches Verhältnis. Diese Auslegung verschlechterte das persönliche Verhältnis zwischen Thieme und Falk.351 Letzterer lehnte eine solche Reglementierung ebenso ab wie die Einsetzung eines Sekretärs und eines Rechnungsführers, die eine ordnungsgemäße Einsammlung der Gelder überwachten. Ursprünglich wurden – ähnlich wie in Weimar – die Spenden in Ilmenau von einer Frau eingesammelt, die das Rechnungsbuch umhertrug.352 Falk kritisierte die Schaffung zusätzlicher und in seinen Augen überflüssiger Ämter: »Es werden […] in Ilmenau nun mehr Beamten, als Kinder seyn, die jährlich versorgt werden. Bey Uns findet das Gegentheil statt: Wir haben einen Vorsteher aber – 300 Kinder.«353 Gleichzeitig führte die neue Entwicklung zur Verdrängung der wenigen Frauen, die in der Ilmenauer Gesellschaft eine Funktion innehatten bzw. zu den Mitgliedern zählten. Während in der Weimarer Gesellschaft Frauen und Männer Verantwortung übernahmen, verfestigte – verschärft durch den Eklat mit dem Frauenverein – dieser institutionelle Aufbau in Ilmenau polare Geschlechterbeziehungen, weshalb Frauen im Frauenverein, Männer hingegen in der von Männern geprägten Gesellschaft der Freunde in der Not wirkten. In Ilmenau entwickelte sich die Gesellschaft zu einem Hilfswerk, das ausnahmslos jungen Männern half. Falk erkannte, welche negativen Folgen eine auf polarisierenden Geschlechtervorstellungen aufbauende Sozialfürsorge nach sich ziehen konnte. »Indeß ist das Mädchen ja dreymal zur Hure geworden«354, kommentierte Falk die Untätigkeit seiner Kollegen in Ilmenau und instrumentalisierte damit jene geschlechtlich kon350

351

352

353

354

Brief August Thiemes an Johannes Falk, o. O. 26. Februar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 194r.–195r., hier Bl. 194v. Vgl. Brief Johannes Falks an Georg Philipp Friedrich Thon, Weimar 1. September 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 222r.–222v. Vgl. Brief August Thiemes an Johannes Falk, o. O. 26. Februar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 194r.–195r., hier Bl. 194v. Kommentar Johannes Falks auf Brief August Thiemes an Johannes Falk, Ilmenau 10. Januar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, 209r.–210r., hier Bl. 209v. Kommentar Falks auf dem Protokoll der Verhandlungen der Gesellschaften, 7. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 220r.–221v., hier Bl. 221v.

Die Gesellschaft(er) der Freunde in der Not

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notierten Argumentationsmuster, die auf eine nichtadäquate geschlechtliche Entwicklung junger Heranwachsender anspielten. Offenbar hoffte Falk mit diesen drastischen Sprachbildern sexuell entgleisender junger Frauen auf die von polaren Geschlechtervorstellungen geprägten Fürsorgepraktiken seiner Ilmenauer Kollegen einwirken zu können. Den Ilmenauern führte Falk vor Augen, wie nachteilig sich die auf junge Männer ausgerichtete Fokussierung auf den sozialfürsorglichen Hilfsgedanken auswirkte. Johannes Falk erklärte die persönliche Entwicklung junger Heranwachsender und deren erfolgreiche Integration in die Gesellschaft zu den obersten Zielen sozialfürsorglicher Maßnahmen, hinter denen geschlechterpolarisierende Tendenzen zurückstehen mussten. Es ist denkbar, dass die inhaltliche Einschränkung und die institutionelle Ausdifferenzierung von den wenigen Frauen der Ilmenauer Gesellschaft als Signal wahrgenommen wurden, sich zukünftig nicht mehr in der Gesellschaft, sondern im örtlichen Frauenverein zu engagieren. Für diese Vermutung spricht die sich um 1820 verändernde Mitgliederstruktur. Die anfängliche Vereinigung von Frauen und Männern wandelte sich zu einem reinen männlichen Zusammenschluss. Dabei handelte es sich nicht um eine zufällige oder vorübergehende Erscheinung, sondern um eine grundsätzlich veränderte Selbstwahrnehmung der versammelten Ilmenauer Männer, die sich explizit als Mitglieder eines »Männervereins«355 definierten. Demzufolge verwundert es nicht, dass im Sommer 1820 nur noch Männer,356 darunter Thieme und der Justizrat Thon, an der Beschlussfassung der neuen Ilmenauer Statuten beteiligt waren. Während ab 1813 in Weimar eine Gesellschaft der Freunde in der Not wirkte, die sowohl inhaltlich als auch strukturell jenseits erstarkender polarer Geschlechtervorstellungen und -beziehungen karitativ tätig wurde, kam es wenige Jahre später in Ilmenau zur entgegensetzten Entwicklung. Die Ilmenauer Gesellschaft folgte der Tendenz, ihre Zuständigkeiten und Strukturen sozialer Fürsorge an polaren Geschlechtervorstellungen auszurichten. Demgegenüber schlug Falk zum Wohle der persönlichen Entwicklung und angesichts der oft akuten Notlagen vor, ungeachtet von Alter oder Geschlecht eine rasche Hilfe zu gewähren. Nicht das Miteinander von Frauen und Männern für junge Heranwachsende beiderlei Geschlechts motivierte hingegen in Ilmenau das gemeinsame Handeln. Vielmehr prägte die Überzeugung, dass erwachsene Frauen weibliche 355

356

Protokoll der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, Ilmenau Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215v.–219v., hier Bl. 218v. Vgl. Verhandlungen der Gesellschaften, 7. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 220r.–221v., hier Bl. 221r.

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Heranwachsende sowie kleine Mädchen und Jungen, erwachsene Männer aber nur junge Männer am zweckmäßigsten unterstützen und erziehen könnten. Verstärkt wurden diese Geschlechtervorstellungen durch Thiemes Überzeugung von einer zentralistischen Fürsorgeidee, die reglementierend und sanktionierend auf Spender und Perzipienten einwirken sollte. Der dadurch 1818/19 hervorgerufene Eklat mit Maria Pawlowna und dem Patriotischen Institut der Frauenvereine verschärfte die Auseinandersetzung zwischen Thieme und Falk zusätzlich.

2. Die heterogene Perzipientenstruktur Im Falkschen Institut versammelten sich Heranwachsende ganz unterschiedlicher Herkunft: »Die Aufnahme band Falk weder an Alter, Geschlecht, Vaterland noch Confession, kein Kind wies er ab, sobald wirkliche Noth vorhanden war«357, lautete das Urteil der älteren Forschung, ohne dies im Einzelnen zu belegen. Falk nahm Heranwachsende ohne Unterschied des Geschlechts, Alters, der Religion, der sozialen und regionalen Herkunft auf. In der »National-Zeitung der Deutschen« vom 30. November 1820 informierte Falk, dass unter den Perzipienten »nicht nur kleine Sachsen, sondern auch Russen, Preußen, Baiern, Rheinländer, Böhmen, Katholiken, Lutheraner, Reformirte und Juden«358 waren. Die von der Gesellschaft der Freunde in der Not gewährte Hilfe richtete sich nicht nur an mittellose bedürftige Heranwachsende. Ebenfalls wurden besonders talentierte und zu fördernde Jugendliche unterstützt bzw. ermöglichte die Zahlung von »Pensionsgeldern«, eine Aufnahme im Institut zu finden. Die Spanne der Beiträge reichte von 50 bis 200 Talern jährlich und richtete sich nach der sozialen Herkunft des Einzelnen und den Erwartungen an eine adäquate Unterbringung.359 Die Chance, mit Pensionsgeldern eine Unterstützung durch das Falksche Institut zu erhalten, widerspricht auf den ersten Blick dem Bild des karitativen Hilfswerks, das seine Arbeit lediglich an Bedürftigen ausrichtete. Bedürftigkeit war keine notwendige Bedingung, um vom Institut gefördert zu werden. Die Aufnahme zahlungskräftiger Zöglinge eröffnete einerseits eine wich357 358 359

Heinzelmann: Falk, S. 37. National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 30.11.1820, Sp. 869. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Christian Wilhelm Schweitzer, Weimar 6. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 372r.–373v., hier Bl. 373v. Vgl. auch den Fall August Kiesewetters, der 200 Taler zu entrichten hatte. Vgl. Kapitel III.4.1.5.

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tige Einnahmequelle für das Institut. Andererseits förderte das Institut – vermutlich in Anlehnung an das Waisenhaus Halle – gezielt begabte Heranwachsende.360 Das Institut ähnelt weniger einem Waisen- oder Arbeitshaus, sondern eher einer Erziehungs- und Bildungsstätte für die verschiedensten Anforderungen bzw. der Einrichtung August Hermann Franckes, die nicht als Musteranstalt der Armenfürsorge, sondern der »Begabtenförderung«361 zu verstehen ist. Im Folgenden wird die Struktur der Unterstützten hinsichtlich des Geschlechts, des Alters, der regionalen Herkunft sowie der religiösen bzw. konfessionellen Zugehörigkeit untersucht. Diese Auswahl orientiert sich an der archivalischen Überlieferung, die eine Aufnahme der entsprechenden Parameter in ausreichender Menge ermöglicht. Für die in anderen Schichtungsmodellen gängige Berücksichtigung des väterlichen Berufs und zeitgenössischer Zuschreibungen fehlen statistische Übersichten.362 Auf Basis der Akten der Gesellschaft wird lediglich eine qualitative Aussage über die Bandbreite der väterlichen Berufe und demzufolge der vertikalen Schichtung innerhalb der Gruppe getroffen.363 Die quantitativen Angaben über die Zahl der versorgten Heranwachsenden variieren in der Forschungsliteratur erheblich und reichen von einigen 100 bis zu 500.364 Die zumeist gerundeten Näherungswerte be360

361

362

363

Vgl. Oberschelp, Axel: Das Hallesche Waisenhaus und seine Lehrer im 18. Jahrhundert. Lernen und Lehren im Kontext einer frühneuzeitlichen Bildungskonzeption (= Hallesche Forschungen; 19). Tübingen 2006, S. 88–95. Jacobi, Juliane: Der Blick auf das Kind. Zur Entstehung der Pädagogik in den Schulen des Halleschen Waisenhauses, in: Neumann, Josef N.; Sträter, Udo (Hrsg.): Das Kind in Pietismus und Aufklärung (= Hallesche Forschungen; 5). Tübingen 2000, S. 47–60, hier S. 49f. Vgl. etwa das von Margret Kraul favorisierte Schichtungsmodell, das nicht auf der »alten geburtsständischen Unterscheidung«, sondern der »faktischen ökonomischen und beruflichen Stellung« basiert. Kraul, Margret: Gymnasium und Gesellschaft im Vormärz. Neuhumanistische Einheitsschule, städtische Gesellschaft und soziale Herkunft der Schüler (= Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert; 18). Göttingen 1980, S. 70. Zur Differenzierung zwischen vertikaler und horizontaler Mobilität innerhalb einer Sozialstruktur vgl. Meinhardt, Matthias: Stadtgesellschaft und Residenzbildung. Aspekte der quantitativen Entwicklung und sozialen Struktur Dresdens im Residenzbildungsprozeß des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Ders. / Ranft, Andreas (Hrsg.): Die Sozialstruktur und die Sozialtopographie vorindustrieller Städte (= Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; 1). Berlin 2005, S. 49–75, hier S. 55; Mau, Steffen / Verwiebe, Roland: Die Sozialstruktur Europas. Konstanz 2009, S. 150f.

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legen, dass eine systematische Auswertung der seriellen Quellen noch nicht stattgefunden hat. Zudem fehlen in älteren und neueren Arbeiten wichtige Informationen, auf welcher Quellengrundlage die Ergebnisse beruhen. Konkrete Werte, etwa die Zahlen der entlassenen oder neu aufgenommenen Zöglinge eines Jahres, wurden den jeweiligen Jahresberichten entnommen,365 ohne in diesem Zusammenhang deren appellativen Charakter und die auf die Spendenakquirierung abzielende Intention der Berichte quellenkritisch zu hinterfragen bzw. dabei auch die im handschriftlichen Nachlass Falks überlieferten Dokumente hinreichend zu berücksichtigen. Eine quantitative Aussage gestaltet sich angesichts der ganz unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen mehr als schwierig. Zunächst bedürfte es einer Abgrenzung jener Hilfe, die besonders in den Anfangsjahren – etwa mit der Verteilung von Werkzeugen oder Saatgut – auch notleidenden Erwachsenen zugutegekommen ist. Bleibt diese außerordentliche Hilfsform unberücksichtig, stellt sich je nach Definition, was unter der Hilfe durch das Falksche Institut zu verstehen ist, die Frage, ob jede Form der Unterstützung an ein Kind oder einen Heranwachsenden quantitativ erfasst wurde. Bildete eine einmalige Sachspende, etwa in Form der Konfirmationskleidung oder des Schulgeldes, oder erst ein ausformulierter Unterstützungsvertrag zwischen Perzipient und Gesellschaft die Grundlage für die Zählung? Erschwerend kommt hinzu, dass einige Perzipienten sowohl in den Jahresberichten als auch in den Akten wiederholt bzw. an unterschiedlichen Stellen verzeichnet werden, sodass, um Mehrfachzählungen zu vermeiden, zunächst eine eindeutige Identifizierung vorzunehmen wäre. Angesichts dieses aufwendigen Verfahrens zur Datenerhebung muss nach dem Erkenntnisgewinn gefragt werden, der mit der konkret ermittelte Anzahl aller Unterstützten zu erzielen ist. Erst im Vergleich mit ähnlichen Institutionen gäbe die Anzahl Aufschluss über die quantitative Ausdehnung des Falkschen Instituts, weshalb im Folgenden darauf verzichtet wird, die Zahl exakt zu ermitteln. Mit Hilfe eines Näherungswerts, der auf den publizierten zeitgenössischen Werten basiert, wird die quantitative Entwicklung des Falkschen Instituts den Zahlen des Waisenhauses und des Patriotischen Instituts gegenübergestellt. Dem letzten, 1830 erschienen Jahresbericht ist zu entnehmen, dass seit der Gründung der Anstalt »zusammen 324 Zöglinge als tüchtige Gesellen aus derselben entlassen worden, wovon schon mehrere Meister, die an364

365

Vgl. Schmidt-Möbus; Möbus: Kulturgeschichte, S. 171; Flaischlen: Falk, S. 12; Oldenberg: Falk, S. 45. Vgl. Heinzelmann: Falk, S. 52; Heufert: Falk, S. 209.

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dern in und außerhalb Deutschland auf der Wanderung sind«366. 325 ist die Zahl, die einer jährlichen Unterstützung von 25 neu aufgenommen Handwerkerzöglingen über einen Zeitraum von 13 Jahren entspricht. Im 1816 begonnenen Monatsbuch der Gesellschaft notierte Falk, dass allein aus der zweiten Kasse, die von Subskriptionsgeldern gespeist wurde, 25 Heranwachsende unterstützt wurden.367 Die von Caroline Falk und Johann Georg Rettner 1830 veröffentlichte Zahl basiert vermutlich auf der von Falk im Monatsbuch beschriebenen Fürsorgepraxis zwischen den Jahren von 1816 bis 1829. Falk hatte zudem den Entschluss gefasst, jährlich 50 Heranwachsende aufzunehmen und die gleiche Anzahl als Gesellen wieder zu entlassen.368 Gerechnet auf eine Ausbildungsdauer von drei bis vier Jahren wären so jährlich maximal 200 Heranwachsende versorgt und über den gesamten Zeitraum mehr als 600 Heranwachsende verabschiedet worden. Offenbar war es für die Jahresberichte weder notwendig noch praktikabel, über die Auswahl einzelner Angaben oder Richtwerte hinaus eine exakte Zahl der Versorgten mitzuteilen. Um der Spendenbereitschaft der subskribierten Mitglieder, deren Namen genauso wie die der Perzipienten publiziert wurden, Rechnung zu tragen, wurde nur die Zahl der Heranwachsenden veröffentlicht, die durch subskribierte Mitglieder versorgt wurden. Diejenigen blieben ebenso wie Seminaristen, Mädchen und junge Frauen unberücksichtigt, die eine einmalige bzw. wiederholte, nicht jedoch vertraglich vereinbarte Hilfe erhielten. Die quantitative Auswertung des ersten Foliobandes der Gesellschaft der Freunde in der Not, in dem Falk die Unterlagen für sämtliche Hilfsleistungen der Anfangsjahre aufbewahrt hat, lässt erahnen, dass die Zahl der Unterstützten wesentlich höher zu veranschlagen ist.369 Unter Berücksichtigung eines weitgefassten Unterstützungsbegriffs, der sich nicht auf die vertraglich verpflichtete Hilfszusage beschränkt, ist es nicht vermessen zu behaupten, dass weit mehr als 600 Kinder und Jugendliche durch das Falksche Institut von seiner Entstehung bis 1829 unterstützt wurden. 366 367

368 369

Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 10 (1828/29). Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. IX. Vgl. ebd., S. XXI. Vgl. 1. Folioband der Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not, in: GSA 15/N 55, Bd. 1. Angesichts von Namensdopplungen und der nicht auf Vollständigkeit angelegten Aufnahme handelt es sich wiederum nur um einen Richtwert: Allein für die ersten Jahren sind Unterlagen für mehr als 400 verschiedene Kinder und Jugendliche überliefert, wobei nicht für alle die Frage zu beantworten ist, ob sie dann auch tatsächlich eine Hilfe aus dem Institut erhalten haben.

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Geschlecht als Vorbedingung

Im Vergleich zu den Zöglingszahlen des Waiseninstituts und der Frauenvereine fällt auf, dass das Falksche Institut einen nicht unerheblichen Anteil an der Versorgung der Heranwachsenden im Großherzogtum hatte. Im Zeitraum von 1816 bis 1824 verließen 723 Kinder das großherzoglichen Waiseninstitut,370 wobei sich die Angabe nur auf den Weimarer, Jenaer und Neustädter Kreis bezog, da die Vereinigung mit dem Waiseninstitut der Eisenacher Landesportion erst 1843 vollzogen wurde.371 Von wesentlich größerer Ausdehnung war das Patriotische Institut der Frauenvereine, das schon 1817 mehr als 800 Schülerinnen im Großherzogtum versorgte.372 Der vergleichende Blick auf die Anzahl der unterstützten Zöglinge in den drei verschiedenen Institutionen verdeutlicht, dass die Privatinitiative der Freunde in der Not einen wichtigen Beitrag im Großherzogtum leistete. Quantitativ glich das Institut dem großherzoglichen Waiseninstitut, rangierte aber aufgrund der geringeren finanziellen Ausstattung hinter dem Patriotischen Institut der Frauenvereine. Qualitativ hob es sich von den beiden anderen Einrichtungen durch die Alters-, Geschlechter- und Sozialstruktur ab.

2.1 Geschlecht Das Falksche Institut war keine karitative Einrichtung, in der ausschließlich Jungen und heranwachsende Männer versorgt wurden.373 Schon Falks Zeitgenossen reduzierten jedoch die Fürsorgetätigkeit der Gesellschaft der Freunde in der Not auf Jungen und heranwachsende Männer. So berichtete Heinrich Heine am 16. März 1822, dass in Berlin mehrere »Menschenfreunde« eine »Anstalt für verwahrloste Knaben« stifteten, »ähnlich der des Geheimrath Falk in Weimar«374. 370 371

372 373

374

Günther: Waisen, S. 133. Helmrich, Karl: Geschichte des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach für Schule und Haus. Weimar 1852, S. 133. Vgl. Reder: Frauenbewegung, S. 271; Gräfe: Nachrichten, S. 120–130. Vgl. auch die gegenteilige Meinung. Annette Seemann formuliert wider besseren Wissens, einen Absatz bevor sie auf die zum Falkschen Institut gehörende Strick-, Näh- und Spinnanstalt zu sprechen kommt: »Sie [Maria Pawlowna. Obwohl die Autorin diese für die Zeit um 1816 als Großherzogin bezeichnet, kann es sich nur um die Erbgroßherzogin gehandelt haben.] erfüllte also genau die Aufgabe für die Mädchen, die Falks Institut für die Jungen vorsah.« Seemann, Annette: Weimar. Eine Kulturgeschichte. München 2012, S. 160. Brief [in Fortsetzung] Heinrich Heines, Berlin 16. März 1822, in: RheinischWestfälischer Anzeiger, Beilage Nr. 18 (1822), Sp. 276–282, hier Sp. 279.

Die heterogene Perzipientenstruktur

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Die Auswertung der Jahresberichte zeigt, dass beide Geschlechter fast über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg eine Unterstützung erhielten. Die Jahresberichte 1821/23 und 1827 stellen eine Ausnahme dar, weil keine unterstützten weiblichen Zöglinge nachgewiesen sind. Es ist kaum vorstellbar, dass in diesen Jahren keine Unterstützung für ein Mädchen oder eine junge Frau gewährt wurde. Einerseits werden nach 1823 bzw. 1827 in späteren Jahresberichten junge Frauen als Perzipienten erwähnt, sodass ein zweimaliger plötzlicher Abbruch der Hilfe für weibliche Zöglinge sehr unwahrscheinlich ist. Andererseits besaßen die Jahresberichte weder den Anspruch auf Vollständigkeit, noch sollte sich in ihnen ein ausgewogenes und objektives Bild des Institutsalltags widerspiegeln. So wie in den Berichten eine große quantitative Spannbreite der absoluten Zöglingszahlen auffällt – die Zahlen schwanken zwischen mehreren hundert und kaum zehn Einzelschicksalen –, stand der werbende Charakter im Vordergrund, weshalb nicht für jedes Jahr die Unterstützung weiblicher Zöglinge belegt werden musste. Nachdem in den Anfangsjahren mehr als ein Drittel der versorgten Zöglinge weiblichen Geschlechts waren, sank diese Zahl ab 1816. Abgesehen von den zwei Jahresberichten ohne weibliche Zöglinge, lag der Anteil weiblicher Perzipienten bei etwa 10 Prozent. Eine Ursache für das Absinken des Anteils weiblicher Zöglinge stellt das verstärkte Engagement der Frauenvereine des Patriotischen Instituts Maria Pawlownas dar. Die im gesamten (Groß)Herzogtum seit den napoleonischen Kriegen entstandenen Vereinigungen konzentrierten sich auf die Unterstützung von Mädchen und jungen Frauen im Alter von 5 bis 17 Jahren.375 Gemeinsam mit den verantwortlichen Frauen des Patriotischen Instituts organisierte Falk die weitere Versorgung der schon durch das Falksche Institut aufgenommenen weiblichen Perzipienten. Danach ging zwar ihr prozentualer Anteil zurück, ohne dass die Unterstützung von Mädchen und jungen Frauen vollständig zum Erliegen kam. Des Weiteren dürfte die vergleichsweise aufwendige und lange Ausbildung der Handwerkerlehrlinge dazu beigetragen haben, dass Falk auf diese Zöglinge einen besonderen Fokus in den Jahresberichten gelegt hat. Während jungen Frauen schon in kurzer Zeit geholfen werden konnte und sie anschließend in Dienste entlassen wurden oder durch die Herstellung von Handarbeitsprodukten ein Auskommen fanden, traten die jungen Männer mit dem Beginn einer Lehre in ein mehrjähriges Abhängigkeitsverhältnis zum Falkschen Institut, sodass de375

Vgl. Gesetzliche Bestimmungen für das patriotische Institut der Frauenvereine, S. 13.

136

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ren Pflegeeltern, Lehrmeister und Förderer ein besonderes Interesse hatten, über Lernfortschritte informiert zu werden bzw. ihr Engagement in den Berichten in angemessener Weise öffentlich gewürdigt zu wissen. Um dem Quellenproblem zu begegnen, dass in den Jahresberichten vermutlich keine exakten Statistiken des Falkschen Instituts erfasst wurden, müssten sämtliche 27 Bände der Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not statistisch ausgewertet werden. Da es sich bei ihnen um Arbeitsunterlagen Falks handelte, die ohne außenwirksame Intention aufbewahrt wurden, dürften sie ein realistischeres Abbild der Perzipientenstruktur widergeben. Exemplarisch zeigt die quantitative Erhebung des ersten Bandes ein ganz ähnliches Bild zum prozentualen Verhältnis in dem entsprechenden Jahresbericht von 1815. Im Vergleich zum großherzoglichen Waiseninstitut und dem Patriotischen Institut der Frauenvereine ist das Falksche Institut hinsichtlich der Geschlechterstruktur der Zöglinge weder als gleichmäßig gemischtgeschlechtliche noch als eine ausschließlich auf männliche Heranwachsende ausgerichtete Institution zu beschreiben. Die Gesellschaft half den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg beiden Geschlechtern, wobei sich der Anteil weiblicher Zöglinge von anfangs über einem Drittel auf etwa zehn Prozent einpendelte. Das von Maria Pawlowna geleitete Patriotische Institut richtete im Unterschied dazu den Fokus auf Mädchen und junge Frauen, wobei eine detaillierte Analyse der Zöglingsstruktur noch aussteht und zu vermuten ist, dass auch Jungen im frühen Kindesalter versorgt wurden. Das Waiseninstitut dürfte annähernd paritätisch Mädchen und Jungen versorgt haben.376 Im Unterschied zum Waiseninstitut, das gleichsam von staatlicher und kirchlicher Seite einem umfassenden Fürsorgeauftrag verpflichtet war, konnten das Falksche und das Patriotische Institut eigene Schwerpunkte hinsichtlich der Hilfszusage setzen. Deutlich zeigt sich, dass das Falksche Institut die Hilfe für junge Frauen nicht einstellte und das Patriotische Institut diese Aufgabe nie vollkommen kompensierte. Die Befunde deuten aber auch darauf hin, dass in Einrichtungen, in denen nicht ausschließlich Kinder, sondern auch Jugendliche unterstützt wurden, eine viel stärkere Geschlechtersegregation stattfand. Die Trennung der Geschlechter korrelierte mit dem Alter der Zöglinge, die nach der Konfirmation endgültig in institutionell getrennte Geschlechterräume eintraten.

376

Auch Markus Meumanns Untersuchungen bestätigen, dass Geschlecht kein vorrangiges Zugangskriterium bei der Aufnahme in ein Waisenhaus darstellte. Vgl. Meumann: Findelkinder, S. 279–284.

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2.2 Alter Das Alter bildete in kirchlichen und staatlichen Institutionen eines der wichtigsten Zugangskriterien. Das Ein- und Austrittsalter in Waisenhäusern war klar reglementiert, weshalb Säuglinge und sehr junge Kinder ebenso wie – in protestantischen Gebieten – konfirmierte und aus der Schule entlassene Jugendliche keine Aufnahme mehr fanden.377 Für das Falksche Institut fehlen festgeschriebene Altersgrenzen, die die Gewährung oder die Ablehnung regelten. Dabei wurde zumeist Falks karitatives Engagement für Kinder hervorgehoben, ohne zu differenzieren, welchen Alters die Zöglinge im Weimarer Institut tatsächlich waren. Erschwerend kommt hinzu, dass in den gedruckten seriellen Quellen häufig die Angaben über das Alter fehlen. Wenn das Alter einzelner Zöglinge abgedruckt ist, handelt es sich um Kinder unter 14 Jahren. Für die Mehrzahl der Perzipienten, zwischen 80 bzw. in einzelnen Jahren 100 Prozent, sind keine konkreten Altersangaben vorhanden. Rückschlüsse auf das Alter lassen sich aus den kurzen Biogrammen entnehmen, die neben der familiären Herkunft über den eingeschlagenen Lehrberuf, den Grad der schulischen Bildung oder die Finanzierung des Lebensunterhalts informieren. Da sich ein Großteil der Unterstützten in einer handwerklichen Ausbildung befand, das Gymnasium besuchte oder in Dienste eintrat, war es für die Zeitgenossen offensichtlich, dass es sich bei den Perzipienten des Falkschen Instituts nicht um Kinder, sondern um Heranwachsende handelte, die aus der Kindheit in die Phase der Jugend traten. Der Vermutung liegt nahe, dass Falk in den Jahresberichten das Institut systematisch als Einrichtung inszenierte, die ihren Fokus auf Zöglinge im Jugendalter legte. Auf diese Weise grenzte sich das Institut deutlich vom großherzoglichen Waiseninstitut ab, indem beide Institutionen Anlaufstellen für Perzipienten unterschiedlichen Alters darstellten. Dass Falk das Institut absichtlich als eine auf die Jugend ausgerichtete Einrichtung inszenierte, ergibt sich aus dem Vergleich der Jahresberichte mit dem ersten Band der Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not. Darin spiegelt sich einerseits die Fokussierung auf Heranwachsende weitaus weniger deutlich wider als in den Jahresberichten. Andererseits zeichnet sich ein differenziertes Bild der Alterstruktur ab, weil in den Akten für etwa zwei Drittel der Perzipienten auch das Alter notiert wurde. Mehr als 30 Prozent der Unterstützten gehörte in die Altersgruppe der 0- bis 13-Jährigen. Entgegen der öffentlichen Profilierung in den Jahres377

Vgl. ebd., S. 280.

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berichten half die Gesellschaft der Freunde in der Not Kindern, wenngleich diese Gruppe keinesfalls den Schwerpunkt des Engagements bildete. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass etwa zwei Drittel derjenigen Zöglinge, bei denen kein konkretes Alter vorliegt, eine Ausbildung aufnahmen oder in Dienste vermittelt wurden, waren mehr als die Hälfte der Perzipienten ca. 14 Jahre oder älter. Die Fürsorge Jugendlicher stellte den Schwerpunkt, nicht aber die alleinige Ausrichtung der Arbeit des Falkschen Instituts dar. Bemerkenswert ist die Ausdifferenzierung an den Rändern: Jeweils drei Prozent der Zöglinge waren zwischen null und sechs Jahren alt bzw. älter als 18 Jahre. So finden sich unter den Zöglingen vereinzelt Säuglinge oder Kleinkinder, die das fünfte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, aber auch junge Erwachsene weit in den Zwanzigern. Die Werte bestätigen die Annahme, dass Falk mit dem Institut eine Lücke im großherzoglichen Erziehungs-, Ausbildungs- und Fürsorgewesen ausfüllte, die strukturell bedingt entstand, weil Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr nach dem Schulaustritt oder dem Verlassen des Waiseninstituts von kirchlicher oder staatlicher Seite kein besonderes Interesse mehr entgegengebracht wurde. Gleichzeitig verschloss sich das Institut nicht jüngeren oder älteren Hilfebedürftigen,378 obwohl dies öffentlich nicht kommuniziert wurde, um die Daseinsberechtigung des Instituts nach außen in Abgrenzung zum Waiseninstitut zu unterstreichen.

2.3 Regionale Herkunft Im Falkschen Institut wurden nicht nur Heranwachsende aufgenommen, die aus der Residenzstadt Weimar stammten. Dabei war um 1800 die Herkunft eines Hilfesuchenden das entscheidende Kriterium, wer für dessen Versorgung zuständig war.379 Dieses Herkunftsprinzip regelte, dass die Heimatgemeinde für die Unterstützung ihrer verarmten Mitglieder verantwortlich war. Obwohl Falk versuchte, auch in den Heimatgemeinden Spender für ortsfremde Zöglinge im Institut zu gewinnen, miss378 379

Vgl. ebd., S. 280. Zur Entwicklung des Herkunft-, Heimat- bzw. Gemeindeprinzips vgl. Schmidt, Sebastian: »Gott wohlgefällig und den Menschen nutzlich«. Zu Gemeinsamkeiten und konfessionsspezifischen Unterschieden frühneuzeitlicher Armenfürsorge, in: Ders. / Aspelmeier, Jens (Hrsg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit (= VSWG; 189). Stuttgart 2006, S. 61–90, hier S. 66f.; Meumann: Findelkinder, S. 281; Schläpfer: Armenreform, S. 76.

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fiel Magistrat und Konsistorium die von Falk betriebene Aufnahmepraxis: »Die größte Besorgnis kam von den vielen fremden Kindern her, die ich in’s Land zöge.«380 Zu seiner Rechtfertigung brachte Falk das Argument der christlichen und menschlichen Nächstenliebe vor, wonach es unangemessen sei, den Notleidenden fortzuschicken.381 Solange es wirtschaftlich möglich war bzw. die Aussicht auf eine finanzielle Unterstützung durch die Heimatgemeinde bestand, fand ein Landesfremder Aufnahme im Institut. Der Einzugsradius des Instituts erstreckte sich von der Stadt Weimar über das gesamte Großherzogtum. Auch aus den benachbarten ernestinischen Herzogtümern fanden Heranwachsende den Weg zu Falk. Darüber hinaus stammten die Perzipienten aus anderen, zum Teil weit entfernten Orten wie Erfurt, Merseburg, Bad Kösen, Leipzig, Quedlinburg, Fulda, Dresden, Wetzlar, Hamburg oder Prenzlau.382 Sie wurden aufgenommen, obwohl die Herkunftsgemeinden nicht zum Großherzogtum gehörten. Von Anbeginn der wohltätigen Arbeit richtete Falk das Augenmerk über die Stadt Weimar hinaus, indem er ohne Unterschied im gesamten Großherzogtum helfen wollte,383 was im Umkehrschluss auch einen größeren Kreis potentieller Spender zur Folge hatte. Später wies Falk Bittschreiben, die jenseits der Landesgrenzen abgefasst wurden, oder ortsfremde Hilfesuchende nicht zwangsläufig ab, nahm sie aber auch nicht bedingungslos auf. Er verwies auch auf Preußen, das »jedes Landeskind, was sich zwey Jahr in einem Lande verweilt, als dort einheimisch betrachte«384. Mit der Angliederung des Falkschen Instituts an das großherzogliche Waiseninstitut veränderte sich die Ausrichtung der karitativen Hilfe. Auf der einen Seite beschränkten die neuen Verantwortungsträger die Hilfe auf »verlassene und verwahrloste Kinder«385, die im Falkschen Institut versorgt werden sollten. Gleichzeitig dehnten sie auf der anderen Seite 380

381 382

383

384

385

Gedächtnisprotokoll Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 364r.–365v., hier Bl. 365r. Vgl. Schwab: Glaube ohne Liebe, S. 338f. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, verdeutlicht aber die geographischen Einzugsgebiete. Vgl. Pro Memoria an die Landstände, Weimar 6. Februar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 56r.–59v., hier Bl. 56r.–56v. Gedächtnisprotokoll, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 364r.–365v., hier Bl. 365v. Zum Umgang mit ortsfremden Armen und deren Versorgung vgl. Tennstedt / Sachse: Geschichte der Armenfürsorge, S. 196. Staatshandbuch 1830, S. 88.

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den lokalen Zuständigkeitsbereich auf das gesamte Großherzogtum aus, obwohl Falk dies de facto seit der Gründung des Instituts praktiziert hatte. Nachdem das Institut unter Falks Leitung mehr als 13 Jahre lang – oft gegen den Widerstand kirchlicher und staatlicher Behörden, die das Herkunftsprinzip verfochten – Kindern und Jugendlichen aus dem gesamten Großherzogtum (und darüber hinaus) unterstützte, folgten nun die Entscheidungsträger dem Vorbild Falks. Auch wenn der Einzugsradius des Falkschen Instituts über die Grenzen des Großherzogtums hinausreichte, konzentrierte sich die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen auf den mittel- und norddeutschen Raum. Die Vermutung liegt nahe, dass die konfessionelle Bindung der Heranwachsenden eine wichtige Rolle bei der Aufnahme spielte, weshalb eine besonders enge Zusammenarbeit des Instituts mit Heranwachsenden aus protestantisch geprägten Gebieten festzustellen ist.

2.4 Konfession und Religion Die meisten der landesfremden Perzipienten stammten aus den protestantischen Gegenden Deutschlands, sodass offensichtlich die Konfession ein Kriterium für die Aufnahme im Institut darstellte. Die Armenfürsorge gehörte seit Jahrhunderten in den Verantwortungsbereich der Kirche, der auf kommunaler Ebene umgesetzt wurde.386 Insbesondere in konfessionell zerrissenen Gebieten lehnten karitative Einrichtungen die Aufnahme andersgläubiger Bedürftiger oft ab, wobei die konkrete Praxis von Ort zu Ort verschieden sein konnte bzw. gegen eine Bezahlung auch Kinder und Jugendliche anderer Konfessionen unterstützt wurden.387 In den seriellen Quellen des Falkschen Instituts sind zumeist nur Aussagen zu Geschlecht, Alter und Herkunft überliefert. Größtenteils fehlen Vermerke zur Konfession, sodass keine absoluten quantitativen Aussagen getroffen werden können. Sachsen-Weimar-Eisenach war ein konfessionell homogenes, lutherisch geprägtes Land.388 Erst im Zuge der im Rahmen des Wiener Kongresses beschlossenen Gebietserweiterung um Geisa 386

387 388

Schnabel-Schüle, Helga: Vierzig Jahre Konfessionalisierungsforschung – eine Standortbestimmung, in: Blaschke, Olaf (Hrsg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970. Ein zweites konfessionelles Zeitalter. Göttingen 2002, S. 71–93, hier S. 83. Vgl. Meumann: Findelkinder, S. 282. Zur ähnlichen Zusammensetzung speziell der Weimarer Bevölkerung vgl. Henning: Weimar, hier S. 335.

Die heterogene Perzipientenstruktur

141

kamen »erstmals originär römisch-katholische Gemeinden zum Herrschaftsbereich des Weimarer Hofes«389. Abgesehen von den dort lebenden 8.000 Katholiken bestand für Falk nicht die Notwendigkeit, die ›richtige‹ Konfession der Kinder und Jugendlichen festzuhalten. Die Mehrzahl der Zöglinge gehörte der lutherischen Konfession an, weshalb nur die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bzw. zu einer anderen Konfession oder dem Judentum ausdrücklich von Falk in den Akten der Gesellschaft vermerkt wurde. Im Falkschen Institut orientierte sich der Umgang mit Kindern und Jugendlichen anderer Konfessionen an zeitgenössischen Entwicklungen, die ein Nebeneinander der verschiedenen Bekenntnisse gestatteten. Weder wurden sie abgelehnt, noch sollten sie aus Sicht der Institutsleitung in einem fremden Glauben unterrichtet werden. Die Aufnahme katholischer Perzipienten im Falkschen Institut düfte durch das im Oktober 1823 erlassene Gesetz zum Verhältnis der katholischen Kirche und Schule beeinflusst worden sein.390 Das Regulativ sah die einheitliche Erziehung von Geschwisterkindern vor und machte die Wahl bei gemischtkonfessionellen Elternpaaren von der Dauer der Gemeindezugehörigkeit bzw. von der Konfession des Vaters abhängig. Elternlose Kinder sollten entweder in der Konfession des Finders oder des finanziellen Förderers unterwiesen werden.391 Im August 1824 wandte sich die Immediatkommission für das katholische Kirchen- und Schulwesen mit der Bitte an Falk, den 17-jährigen Johannes Limpert im Falkschen Institut zu unterstützen. Die Kommission erwähnte Limperts Kenntnisse »in der katholischen Religion«392 ausdrücklich. Die konfessionelle Erziehung gab Hoffnung, dass sich der junge Mann nicht dem »Müßiggange und dem Strafbettel ergeben«, sondern im Falkschen Institut »ein Handwerk erlernen« 393 werde. 389

390

391 392

393

Vgl. Bleeke, Markus: Ehe- und Familienrecht zwischen protestantischem Territorialstaat und universellem katholischen Kirchenrecht. Ein Beitrag zur Etablierung des Katholizismus in Sachsen-Weimar-Eisenach, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 163–186, hier S. 164. Vgl. ebd., S. 167. Vgl. auch die von Falk gesammelten diesbezüglichen Unterlagen. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 16, 11. November 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 686r. Vgl. Bleeke: Katholizismus, S. 178f. Brief A. Horns an Johannes Falk, Eisenach 20. August 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 325r.–325v., hier Bl. 325r., Vgl. auch Aufnahmeschein für Limpert, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 326r. Brief A. Horns an Johannes Falk, Eisenach 20. August 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 325r.–325v., hier Bl. 325r.

142

Geschlecht als Vorbedingung

Wurden katholische Heranwachsende aufgenommen, so war allen Beteiligten die Gesetzeslage bewusst, dass »sie in dieser Confession erzogen werden müßen. Ueber diesen Punckt sind wir einig und es bedarf daher hierüber keiner weitern Erörterung, wohl aber einer freundlichen Empfehlung der armen Waisen an den katholischen Herrn Pfarrer in Weimar«394. Falk unterschied zwischen der handwerklichen Ausbildung und materiellen Unterstützung einerseits und der geistlichen Unterweisung andererseits, die unabhängig von der Aufnahme im Falkschen Institut fortgesetzt werden sollte.395 1820 schrieb Falk an den katholischen Pfarrer Johannes Gerling (1781–1840):396 »[E]s ist strenger und unabweichlicher Grundsatz des Instituts der Freunde in der Noth, daß sich ein jedes Kind zu der Confession halte, in welcher es geboren und erzogen ist.«397 Dass gerade bis zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen den Konfessionen in Sachsen-Weimar-Eisenach dieser Grundsatz nicht immer konfliktfrei umgesetzt wurde, deutet sich im Briefwechsel zwischen Falk und dem Pfarrer der katholischen Gemeinde in Weimar an. So forderte Gerling 1820 Falk ausdrücklich auf, die in der römisch-katholischen Konfession erzogenen Heranwachsenden in seinen Religionsunterricht zu schicken.398 Ähnliches galt auch für die wenigen jüdischen Heranwachsenden, die das Institut unterstützte. Auch sie erhielten ihren Religionsunterricht nicht im Institut, sondern in der Synagoge.399 1823 zählte Weimar 27 jüdische Einwohner, die das Gehalt des Lehrers für den Religionsunterricht finanzierten und sich im Haus Jakob Elkans trafen, der eine Synagoge eingerichtet hatte.400 394

395

396

397

398 399

400

Brief Georg Anton von Hardenbergs an Johannes Falk, Oberwiederstedt 27. November 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 17, Bl. 432r.–433v., hier Bl. 432r. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johannes Hohmann, in: GSA 15/N 55, Bd. 10, Bl. 53r. Vgl. Lautenschläger, Gabriele: Der Kirchenkampf in Weimar 1933–1945, in: Ehrlich, Lothar / John, Jürgen / Ulbricht, Justus H. (Hrsg.): Das Dritte Weimar. Klassik und Kultur im Nationalsozialismus. Köln, Weimar und Wien 1999, S. 293–310, hier S. 293. Brief Johannes Gerlings an Johannes Falk, Weimar 20. April 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 207r.–209v., hier Bl. 207r. Ebd. Vgl. Brief [Konzept] Johannes Falks an Johannes Gerling, Weimar 8. April 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 204r.–205v.; Empfehlungsschreiben Rektor J. Fr. Trinklers[?] für den Schüler Michael Gabriel, Blankenhain 20. Februar 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 91r. Vgl. Olbrich, Gabriele: Landrabbinate in Thüringen 1811–1871. Jüdische Schulund Kultusreform unter staatlicher Regie (= VHKTh KR; 9). Köln 2003, S. 58.

Die heterogene Perzipientenstruktur

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Falk und seinen Mitstreitern oblag die Versorgung und Erziehung der lutherischen jungen Frauen und Männer. Für die geistliche Entwicklung andersgläubiger Heranwachsender, die Falk nicht zur Konversion drängte, waren die Würdenträger anderer Konfessionen und Religionen verantwortlich.401 Am Vorabend des »Zweiten Konfessionellen Zeitalter[s]«402 existierte im Falkschen Institut eine nicht zuletzt durch normative Vorgaben bedingte konfessionelle und religiöse Akzeptanz, sodass die Annahme von Hilfsgesuchen nicht durch religiöse bzw. konfessionelle Überzeugung verwehrt wurde.403

2.5 Herkunftsfamilien Zu den wichtigsten Aufnahmekriterien zählte in vielen karitativen Einrichtungen die Frage, ob ein oder beide Elternteile verstorben waren bzw. die materielle Lage der jeweiligen Herkunftsfamilien.404 Für das Falksche Institut lässt sich in den Jahresberichten von 1816 und 1817 nachweisen, dass nur ein kleiner Teil der Zöglinge als Vollwaisen bzw. etwas mehr als ein Drittel als Halbwaisen aufgenommen wurden. Unmittelbar nach den napoleonischen Kriegen hatte noch gut die Hälfte der Heranwachsenden beide oder ein Elternteil verloren. In den anschließenden Friedenszeiten schrumpfte ihr Anteil auf zehn Prozent. Unter der Voraussetzung, dass Falk den Verlust eines oder beider Elternteile vermerkte, während er das Vorhandensein eines Elternpaares nicht immer explizit notierte, gewährte das Institut unabhängig von der familiären Zusammensetzung eine Unterstützung. Im Unterschied zum großherzoglichen Waiseninstitut existierte im Falkschen Institut zudem keine Einschränkung, wonach nur vaterlose Halbwaisen aufgenommen wurden.405 Ein Vergleich mit den über401 402

403

404 405

Vgl. Reis: Falk, S. 58. Blaschke, Olaf: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 38–75, zur Datierung vgl. besonders S. 57f. Vgl. auch Hain: Fürsorgeideen, S. 233. Vgl. auch Caroline Falks Eindrücke vom Besuch einer katholischen Messe in Würzburg. Zwar erschienen ihr die Gebräuche befremdlich, aber sie vermutete, dass auch Katholiken »glücklich dabey« seien. Brief Caroline Falks an Johannes Falk, Würzburg 5. August 1822 15/N 55, Bd. 22, Bl. 184r.–185v., hier Bl. 185v. Vgl. dazu ferner Brief Caroline Falks an Johannes Falk, 8. und 9. Juli Würzburg 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 22, Bl. 351r.– 353v. Vgl. Meumann: Findelkinder, S. 280f. Vgl. Günther: Waisen, S. 64.

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Geschlecht als Vorbedingung

lieferten Quellen aus dem ersten Band in den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not bestätigt die Beobachtung, wonach der Verlust oder die Abwesenheit eines oder beider Elternteile allenfalls eine untergeordnete Rolle bei der Aufnahme in das Institut spielte. In ähnlicher Weise ließen sich im Falkschen Institut aus einer legitimen bzw. illegitimen Geburt oder der sozialen Herkunft keine Zugangsberechtigungen oder -beschränkungen ableiten. Unter den Zöglingen finden sich eheliche und uneheliche Kinder, wobei sich die Vermittlung illegitim Geborener nicht nur aufgrund moralisch geprägter Vorurteile schwierig gestaltete. Unehelich geborene Kinder stellten zuweilen einen Hinderungsgrund dar, wenn Frauen in ein Dienstverhältnis treten wollten. Die Mutter der 12-jährigen Elisabeth Katharina Kirsten arbeitete zwei Jahre bei dem Gymnasialprofessor Riemer, bis das Mädchen zu einem »Anstoß«406 wurde, weshalb sich die Mutter entschied, die Tochter bei einer Pflegefamilie unterzubringen. Den 12 Talern, die die Unterbringung Elisabeth Katharina Kirstens jährlich kostete, standen nur 16 Taler Jahresgehalt der Mutter gegenüber. Daher verwundert es nicht, warum sie die Tochter kurze Zeit später wieder aus der Pflegefamilie herausnahm, und sich hilfesuchend an das Falksche Institut wandte. Zwar reagierte die Gesellschaft der Freunde in der Not mit ihren Hilfsangeboten auf die soziale Frage, die mit Verelendung und Massenarmut ihren Ursprung im 18. Jahrhundert hatte.407 Nur die wenigsten Heranwachsenden wuchsen in Familien auf, die vom Tagelohn oder Betteln lebten. Die Institutszöglinge stammten aus sämtlichen sozialen Schichten, wobei überwiegend Heranwachsende von Handwerkern, Lehrern und Pfarrern unterstützt wurden,408 ohne dass die Herkunft als Zugangskriterium fungierte, weshalb sich unter den Zöglingen auch Kinder von Hirten, Tagelöhnern, Adligen, Hofbediensteten oder Beamten befanden.

406

407 408

Aufzeichnungen Johannes Falks über Elisabeth Katharina Kirsten, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 483v. Vgl. Gall: Gesellschaft, S. 41f. Als wichtigster adliger Zögling ist Ferdinand von Könitz zu nennen. Vgl. die entsprechenden Ausführungen dazu in Kapitel III.4.1.4. Zum väterlichen Beruf vgl. die Angaben in den Jahresberichten und in den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not, in: GSA 15/N 55, Bd. 1–27.

Zusammenfassung

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3. Zusammenfassung Die in den Grundsätzen der Gesellschaft der Freunde in der Not unterbreiteten Hilfsangebote für Heranwachsende unterlagen polarisierenden Geschlechtervorstellungen. Heranwachsende beiderlei Geschlechts sollten über das Erlernen spezifischer Tätigkeiten in die Gesellschaft integriert werden. War für junge Männer in der Regel eine Handwerkslehre vorgesehen, wurden junge Frauen in den ›weiblichen Handarbeiten‹ unterrichtet. Die Zuweisung der Tätigkeitsbereiche orientierte sich weitestgehend am Ideal des (zunehmend außerhalb des familiären Umfeldes) arbeitenden Mannes und der überwiegend in der häuslichen Sphäre wirkenden Frau. Neben Arbeitsamkeit bildeten die Erziehung zum eigenverantwortlichen Bürger und die Vermittlung religiöser und moralischer Werte die obersten Ziele in der Fürsorgepraxis der Gesellschaft der Freunde in der Not. Die Aneignung dieser Werte sollte über ältere gleichgeschlechtliche Vorbilder geschehen, die junge Männer etwa in den Handwerksmeistern, junge Frauen in ihren Lehrerinnen der Näh- und Spinnstunden fanden. Diese klare Zielsetzung erklärt sich vor dem Hintergrund der im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert geführten Diskussion um das Fürsorgewesen. Arbeitsamkeit wurde als wichtigster Garant dafür angesehen, Bettelei zu verhindern. Aus diesem Grund hielt die Gesellschaft heranwachsende Frauen und Männer zur Arbeit an. Dennoch konstituierte Arbeit kein gleichwertiges Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Junge Frauen fertigten im Institut Kleidungsstücke für den Eigenbedarf an, um diese den männlichen Zöglingen ohne Gegenleistung zur Verfügung zu stellen. Heranwachsende Männer waren angehalten, ihre Produkte untereinander auszutauschen. In den Grundsätzen wurden die männlichen Zöglinge als Handwerkerlehrlinge einem größeren Wirtschaftskreislauf zugeordnet, junge Frauen hingegen mit der ihnen zugeschriebenen Tätigkeit auf einen häuslichen Wirkungsbereich verwiesen. Obwohl in den normativen Grundsätzen das Gebot der Arbeitsamkeit in einer geschlechterspezifischen Berufszuweisung zum Ausdruck kam, prägte die Kategorie ›Geschlecht‹ die Fürsorgekonzeption des Falkschen Instituts nicht so grundsätzlich wie etwa die der zeitgleich wirkenden Frauenvereine. Die Gesellschaft der Freunde in der Not machte die Gewährung einer Hilfe nicht vom Geschlecht abhängig. Die Analyse der Zöglingsstruktur zeigt, dass im Institut stattdessen ein wesentlich breiterer Fürsorgeansatz verfolgt und eine äußerst heterogene Zielgruppe gefördert wurde. Die seriellen Quellen des Falkschen Instituts und die von

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Geschlecht als Vorbedingung

Falk gesammelten Unterlagen bestätigen klar die These der älteren Forschung, wonach weder Geschlecht, Alter und Konfession noch die Herkunft bei der Auswahl der Hilfeempfänger eine tragende Rolle gespielt haben oder Kriterien für die Aufnahme ins Institut darstellten. Diese vergleichsweise pauschale Erkenntnis ließ sich noch weiter konkretisieren. Hinsichtlich des Alters füllte das Institut – gemeinsam mit dem finanzkräftigeren Patriotischen Institut der Frauenvereine – eine Lücke im städtischen und (groß-)herzoglichen Fürsorgeangebot, indem der Schwerpunkt auf die Hilfe für Jugendliche nach der Konfirmation gerichtet war. Das Institut half darüber hinaus von Fall zu Fall bei der Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern und unterstützte einzelne junge Frauen und Männer, die das 20. Lebensjahr erreicht hatten oder noch älter waren. Eine exakte quantitative Aussage hinsichtlich der Anzahl der Hilfeempfänger gestattet die Quellenlage nicht. Mit mehr als 600 versorgten Kindern und Heranwachsenden erreichte das Institut etwa ebenso viele Bedürftige wie das ausschließlich Kindern gewidmete großherzogliche Waiseninstitut. Zwar stammten die meisten Heranwachsenden des Instituts aus dem Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, doch folgten die Grundsätze der Gesellschaft nicht starr dem ›Heimatprinzip‹, das die Begrenzung auf Weimarer oder Landeskinder vorgeschrieben hätte. Die meisten landesfremden Zöglinge kamen aus dem protestantisch geprägten mittel- und norddeutschen Raum. Trotzdem war die Religionszugehörigkeit oder die Konfession der Heranwachsenden kein Hilfe ausschließendes Kriterium. Neu ist die Einsicht, dass Fürsorge im Institut nicht nur von der Bedürftigkeit eines Heranwachsenden abhängig gemacht wurde. Hilfe bei der Erziehung oder Ausbildung wurde auch dann gewährt, wenn Eltern, Verwandte oder die Heimatgemeinde entsprechende Pensionszahlungen leisten konnten, sodass auch Töchter und Söhne von Adligen und aus dem wohlhabenderen Bürgertum unter den Versorgten zu finden waren. Das Falksche Institut nahm im großherzoglichen Fürsorgewesen mit der Ausrichtung auf junge Frauen und Männer eine Sonderstellung ein, die im Laufe des 19. Jahrhunderts angesichts der zunehmenden geschlechterseparierenden Ausdifferenzierung von Fürsorgeangeboten immer schwerer aufrechtzuerhalten war. Deshalb stellte Falk die Gesellschaft in der Öffentlichkeit als eine mehrheitlich junge Männer unterstützende Organisation dar. Um dennoch eine Hilfe für junge Frauen zu rechtfertigen, betonte er in den Grundsätzen die strikte Trennung der Geschlechter im Unterricht und in den Räumlichkeiten des Instituts.

Zusammenfassung

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Falk reagierte auf das sich verändernde und an polaren Geschlechtervorstellungen ausgerichtete Fürsorgeverständnis des 19. Jahrhunderts mit dem von ihm tradierten Gründungsmythos der Gesellschaft. Er inszenierte sein karitatives Engagement als Reaktion auf den Tod von vier eigenen Kindern. Mystisch verklärt wurde der Verlust durch Falk selbst, der diesen Schicksalsschlag entgegen der historischen Tatsachen auf den Zeitraum eines Monats verengte und sich so zum ›Vater‹ der im Institut unterstützten Heranwachsenden stilisierte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts begründete Falks Nachfolger Johann Georg Rettner die Leistung der Gesellschaft nur noch ausschließlich mit dem Wirken Falks und des Stiftspredigers Karl Friedrich Horn. Aufgegriffen wurde diese Interpretation durch den Chronisten Guido Schnaubert und die Jubiläumsfeier von 1913. Der 11. Mai 1813, an dem Falk und Horn angeblich öffentlich zur Hilfe aufgerufen hatten, wurde als Gründungsdatum etabliert, wodurch allein zwei ›engagierte‹ Männer im Gedächtnis blieben und die Gesellschaft auf einen von Männern getragenen Zusammenschluss reduziert wurde. Die in besonderer Weise in der Gründungsphase mitarbeitenden Frauen gerieten so vollends in Vergessenheit. Tatsächlich entsprach die Gesellschaft auf der Ebene der Förderer und Spender einer gemischtgeschlechtlichen Vereinigung. Die Möglichkeit zu helfen war nicht qua Geschlecht reglementiert, sodass sowohl Frauen als auch Männer zu den Wohltätern zählten. Insbesondere die Gründung wurde von Frauen mitgestaltet, die im Vergleich zu ihren männlichen Mitstreitern sogar überproportional viele Spenden aufbrachten. Vor allem weibliche Mitglieder verbanden mit ihrer Spende den Wunsch, eine karitative Hilfe unabhängig vom Geschlecht des Hilfebedürftigen zu leisten. Frauen wie Sophie von Schardt oder Caroline von Hopffgarten besaßen noch ein ständisches und kein geschlechterspezifisches Verständnis von Fürsorge, die allein an der Bedürftigkeit der Notleidenden ausgerichtet war. Zumeist waren Männer aufgrund ihrer öffentlichen Ämter an einer Mitgliedschaft in der Gesellschaft interessiert, um so über die innere Entwicklung des Rettungswerks informiert zu werden. Für Frauen erschloss sich mit dem karitativen Engagement ein eigener Handlungsspielraum. Der hohe Anteil wohltätig agierender Frauen kann damit begründet werden, dass karitative Tätigkeiten traditionell als ›eher weiblich‹ verstanden wurden. Folglich konnten die Spenderinnen im Rahmen derartiger Vereinigungen eigenverantwortlich und selbstständig handeln, ohne damit das herrschende Geschlechterverhältnis offensiv zu hinterfragen.409 409

Vgl. Heinsohn, Kirsten: Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bür-

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Geschlecht als Vorbedingung

Die Gesellschaft der Freunde in der Not stützte sich auf den Beistand der Großherzogin und der Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, die in der gemischtgeschlechtlichen Hilfsorganisation unterschiedliche Funktionen erfüllten. Großherzogin Louise wurde von Falk zur Landesmutter stilisiert und der Stiftungstag der Gesellschaft ganz bewusst auf ihren Geburtstag gelegt. Mit der Vereinnahmung der Großherzogin wurde das Falksche Institut zu einem festen Bestandteil im Fürsorgewesen für Heranwachsende in Sachsen-Weimar-Eisenach und von den unter Maria Pawlownas Leitung stehenden Frauenvereinen abgegrenzt. In der Erbgroßherzogin fand Falk eine aktive Mitstreiterin, die sich in der Praxis mildtätiger Hilfe auskannte. Das Falksche Institut profitierte von ihren materiellen Zuwendungen und sachkundigen Hinweisen. So überzeugte Maria Pawlowna Falk von der Wirksamkeit der Subskription als Form der Spendenzusage. Falk sicherte sich mit Louise und Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach die materielle Unterstützung der großherzoglichen Familie und legitimierte das auf Bedürftige beiderlei Geschlechts ausgerichtete Fürsorgeangebot der Gesellschaft. Über die Zuwendungen und den Erfahrungsaustausch hinaus arbeiteten die Gesellschaft der Freunde in der Not und die Frauenvereine eng zusammen. Daraus resultierte keineswegs eine strikte Trennung der Aufgabenbereiche, indem die Gesellschaft um Falk etwa nur noch jungen Männern geholfen hätte. Für den gesamten Untersuchungszeitraum konnte eine gemischtgeschlechtliche Perzipientenstruktur im Falkschen Institut nachgewiesen werden. Auffallend ist allerdings ein allmählicher Rückgang weiblicher Zöglinge, nachdem in den Anfangsjahren noch mehr als ein Drittel der Versorgten weiblich gewesen war. Diese Entwicklung ist ein weiteres Anzeichen für sich allmählich ausdifferenzierende Fürsorgeangebote im 19. Jahrhundert, ohne dass das Patriotische Institut der Frauenvereine vollständig die Fürsorge für Mädchen und junge Frauen im Großherzogtum abdeckte. Das gemischtgeschlechtliche Engagement der Gesellschaft der Freunde in der Not, die enge Zusammenarbeit mit den Frauenvereinen und die gleichsam auf junge Frauen und Männer ausgerichtete wohltätige Hilfe stellten nur eine, und zwar keineswegs selbstverständliche Form des Fürsorgewesens nach 1800 dar. Nur wenige Kilometer von Weimar entfernt richteten sich Fürsorgepraktiken zeitgleich viel stärker an polaren Geschlechtervorstellungen aus. Eindrucksvoll veranschaulicht dies der gerlicher Frauenvereine in Hamburg (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs; 52). Hamburg 1997, S. 86.

Zusammenfassung

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Zweigverein der Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, der unter Mitwirkung Falks auf dem Weimarer Vorbild fußend gegründet wurde. Obwohl zunächst auch dort Frauen als Spenderinnen auftraten und anfangs auch Mädchen und junge Frauen unterstützt wurden, konzentrierte sich die Hilfe rasch auf junge Männer, die in einem Handwerk ausgebildet werden sollten. Die zunehmende normative Reglementierung verschärfte diese Tendenz ebenso wie der Konflikt zwischen dem Ilmenauer Vorsteher August Thieme und dem örtlichen Frauenverein. Thieme grenzte sich mit der Ilmenauer Gesellschaft vom Frauenverein ab, deren Hilfe auf Mädchen (sowie auf kleine Jungen) und junge Frauen abzielte. Mit dem Konfrontationskurs gegenüber dem Patriotischen Institut der Frauenvereine beanspruchten die Männer um Thieme die Kontrolle über die Fürsorge für junge Männer. Derartige Überlegungen waren Falk fremd. Vielmehr wies er seine Kollegen in Ilmenau auf die Gefahren hin, die eine nur auf junge Männer ausgerichtete Fürsorgepraxis nach sich zog. Ein umfassendes Hilfsangebot kam allen Bedürftigen zugute. Eine unterlassene oder verspätete Hilfe aufgrund geschlechterausgrenzender Tendenzen konnte dagegen fatale Folgen für den Einzelnen und langfristig für die Gesellschaft haben.

III. Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge im Falkschen Institut

1. ›Versagende‹ Mütter und Väter – ein Anlass zur Hilfe Die Entscheidung, wer eine Hilfe durch das Falksche Institut erhielt, war nicht nur durch äußere Rahmenbedingungen oder die persönliche Armut eines Heranwachsenden beeinflusst. In den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not notierten Falk, Lehrer, Kantoren, Pfarrer und andere Vertreter von Kirche und Staat häufig Hintergrundinformationen zur Herkunft der Zöglinge. Im Fokus der Darstellung standen die familiären Beziehungen, die einen Anlass zur Unterstützung bzw. Intervention gaben. Es ist davon auszugehen, dass im Falkschen Institut der Anspruch auf Hilfe und der Anlass zu einer Intervention durch zeitgenössische Vorstellungen über die Aufgaben von Müttern und Vätern und die Art und Weise, wie Eltern ihre Töchter und Söhne versorgten und erzogen, geprägt wurden. Dahinter stand die Annahme, dass im Elternhaus wichtige Grundlagen der Erziehung und damit einer erfolgreichen Integration der Heranwachsenden in die Gesellschaft gelegt wurden. Auf den Punkt brachte Falk diesen Zusammenhang mit der Formulierung: »Verfault Hausregiment, verfault Staatsregiment.«1 Falk unterstellte, dass nicht alle Eltern per se in der Lage waren, ihre Kinder gesellschaftskonform zu erziehen. Im Zuge der Reformation hatten sich die Vorstellungen über Mütter und Väter und ihre spezifischen Aufgaben verändert. Innerhalb der Ehe lebten und wirtschafteten Frau und Mann gemeinsam, um als Hausmutter und Hausvater die Versorgung und Erziehung der Kinder zu sichern.2 Konnten oder wollten Eltern diesen beiden Aufgaben – der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder – nicht nachkommen, half bzw. intervenierte die Gesellschaft der Freunde in der Not. 1 2

Falk: Von dem einen, S. 17. Vgl. Schorn-Schütte, Luise: »Gefährtin« und »Mitregentin«. Zur Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrfrau in der Frühen Neuzeit, in: Wunder, Heide / Vanja, Christina (Hrsg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 913). Frankfurt am Main 1993, S. 109–153, hier S. 116f.; Dülmen: Haus, S. 191.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

1.1 Existentielle Not und (fehlende) Erziehung vor dem Hintergrund eines bürgerlichen Familienbildes Am auffälligsten sind Aufzeichnungen über Eltern in existentieller Not, die nicht in der Lage waren, die alltäglichen Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen. Über die Familienverhältnisse des 15-jährigen Ernst Schüler notierte Falk: »Der Vater war Soldat, ist in Rußland geblieben, die Mutter tagelöhnert so in der Stadt herum.«3 Die Tatsache, dass die Mutter ihre Familie nicht materiell versorgen konnte, war ein hinreichendes Kriterium, um die Ausbildung Ernst Schülers zum Maurergesellen im Falkschen Institut zu rechtfertigen. Um eine Unterstützung in Anspruch nehmen zu können, musste nicht unbedingt ein Elternteil verstorben oder abwesend sein, wie es etwa im großherzoglichen Waiseninstitut die Regel war. Der 15-jährige August Gerber aus Buttstädt entstammte einer vermeintlich intakten Familie, an deren Spitze sein Vater, ein Friseur, stand. Dennoch notierte Falk über Gerbers Mutter, dass diese wie eine »Wittfrau«4 lebe. Falks Vergleich mit einer Witwe resultierte aus dem Verhalten des Vaters. Er sei ein »liederlicher Mann,« der alles, »was er verdient«5, in Wirtshäusern durchbrächte. Obwohl der Mann keine Verantwortung übernahm und auch sein Einkommen nicht der Familie zur Verfügung stellte und stattdessen die Mutter wie eine Alleinerziehende für die Kinder sorgte, lehnte sie – »der Kinder wegen«6 – eine Scheidung ab. In Falks Wahrnehmung entsprach August Gerbers Vater nicht dem Ideal des (materiell) fürsorgenden Vaters, woraus sich ein Hilfsanspruch des Heranwachsenden durch das Institut ableitete. Hinter der existentiellen Not, die schon auf den ersten Blick einen Anspruch auf Hilfe rechtfertigte, stand allerdings nicht allein ein materieller Mangel, der durch den Eintritt in das Institut behoben wurde. War ein Elternteil verstorben oder hatte die Familie verlassen, konnte der Alleinerziehende nur schwer die Versorgung und Erziehung der Kinder gewährleisten.7 Aus dem Zwang, für das Familieneinkommen zu sorgen, resultierte das Problem, Aufsicht und Betreuung der Kinder nicht ausreichend sicherstellen zu können. So notiert Falk in seinen Unterlagen 3

4 5

6 7

Aufzeichnungen Johannes Falks über Ernst Schüler, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 355. Bericht über August Gerber, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 23v. Ebd. Zum Motiv des »liederlichen Mannes« vgl. auch Aufzeichnungen Johannes Falks zu Freytag, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 37v. Bericht über August Gerber, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 23v. Vgl. etwa Aufzeichnungen Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 483r.

›Versagende‹ Mütter und Väter – ein Anlass zur Hilfe

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zum Beispiel über den 7-jährigen Fritz Barthel, dessen Bruder schon eine Lehrstelle durch das Institut erhalten hatte, dass seine Mutter »die ganze Woche hindurch mit dem Markt-Korbe an den Landstraßen ihr Gewerbe treibt«. Deshalb könne »sie sich aus sehr begreiflichen Ursachen nur wenig um ihre daheim sich selbst überlassenen Kinder bekümmern«, weshalb Falk einen »bessern Zustand, für dieß an Seel und Leib vernachläßigte, unsauber gehaltene Kind«8 einleiten wollte. In späteren Darstellungen der ›Erziehungs- und Rettungshäuser‹ wird der Zusammenhang zwischen existentieller Not und mangelnder elterlicher Erziehung nicht mehr berücksichtigt. Lediglich die moralische Disposition der Eltern wird als Ursache von Vernachlässigung hervorgehoben.9 Trafen Armut und die Vernachlässigung erzieherischer Pflichten zusammen, bezeichnete Falk die Tochter oder den Sohn solcher Eltern als »ein völlig elternloses Kind«10. Die Aufnahme solcher »Sozialwaisen«11 spiegelt die zeitgenössische skeptische Grundannahme wider, dass nicht alle Eltern von vornherein zur Erziehung ihrer Kinder befähigt waren und sich die elterlichen Aufgaben keinesfalls auf die materielle Existenzsicherung beschränkten.12 Schon Martin Luther hatte auch Väter zur Pflege und Erziehung der (kleinsten) Kinder ermahnt. In der Zeit der Aufklärung entwickelte sich der Vater zunehmend zum Vorbild und Vermittler aufklärerischer Werte, die er innerhalb der Familie verbreitete, weshalb sich nicht nur Mütter, sondern auch Väter ihren Kindern noch stärker zuwandten.13 Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Kinderstube für Väter zu einer »terra incognita«14. 8

9 10

11

12

13

Aufzeichnungen Johannes Falks über Fritz Barthel, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 192r. Vgl. etwa Schwabe: Grundsätze, S. 18–20. Brief von Johann Friedrich Lossius an Johannes Falk, Krautheim 1. September 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 383r. Vgl. Richter, Johannes: »Gute Kinder schlechter Eltern«. Familienleben, Jugendfürsorge und Sorgerechtsentzug in Hamburg 1884–1914. Wiesbaden 2011, S. 168. Zur Diskussion um die Rolle des Vaters um 1800 vgl. Schmale: Männlichkeit, S. 204–206. Opitz, Claudia: Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Münster u. a. 2002, S. 32–34. Vgl. Opitz: Aufklärung, S. 33f.; Schütze, Yvonne: Mutterliebe – Vaterliebe. Elternrollen in der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts, in: Frevert, Ute (Hrsg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 77). Göttingen 1988, S. 118–133, hier S. 119–123.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Die Erwartungen an die Erfüllung der unterschiedlichen elterlichen Aufgaben überlagerten sich mit einem veränderten Denken über Armut, die zunehmend als selbstverschuldetes Phänomen verstanden wurde. Die 13-jährige Rosina Pfeifer entstammte einer verarmten Tagelöhnerfamilie: Der Vater »verfertigt[e] Spielzeug«15 und die körperlich versehrte Mutter lebte von Almosen, während die kleineren Brüder einen Platz in der Freischule erhalten hatten. Obwohl beide Eltern mit Almosen, Betteln und den selbstverfertigten Waren notdürftig den Lebensunterhalt für sich und die Kinder bestritten, bezeichnete Falk die Eltern als »moralisch todt«16. Weil die Eltern Rosina Pfeifers nicht in der Lage waren, auch die Tochter in den ›weiblichen Arbeiten‹ zu unterrichten, zählte Falk die Eltern zu jenem »träge[n] Volk, bey dem es früh um fünfzehn [Uhr] Tag wird« und von dem »es in Weimar genug«17 gibt. Armut wurde als Resultat eines vermeintlich müßiggängerischen Lebenswandels identifiziert. Arbeitsamkeit wurde als anzustrebendes Erziehungsziel gedeutet, das dem elterlichen Erziehungsauftrag zu Grunde lag. Dass Rosina Pfeifers Eltern mit dem Betteln, der Almosenannahme, dem Freischulbesuch der Söhne und der Produktion kleiner Waren im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten den Versorgungsaufgaben tatsächlich nachkamen, erkannte Falk nicht. Arbeitsamkeit wurde von den Wohltätern als bürgerlicher Maßstab an untere und ärmere Bevölkerungsschichten gelegt, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden konnten und deshalb verallgemeinernd als ›unmoralisch‹ für den Erziehungsauftrag disqualifiziert wurden. Heranwachsende wurden auffallend oft aus Familien herausgelöst, wenn Mütter nicht für ihre Kinder sorgten. Ursächlich dafür waren Veränderungen im Mutterbild, erschien doch Ende des 18. Jahrhunderts »Mutterliebe wie ein neuer Begriff«18 am bürgerlichen ›Wertehimmel‹.19 14

15

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19

Schmid, Pia: »O, wie süss lohnt das Muttergefühl!« Die Bestimmung zur Mutter in Almanachen für das weibliche Publikum um 1800, in: Opitz, Claudia / Weckel, Ulrike / Kleinau, Elke (Hrsg.): Tugend, Vernunft und Gefühl. Geschlechterdiskurse der Aufklärung und weibliche Lebenswelten. Münster u. a. 2000, S. 107–125, hier S. 117. Aufzeichnungen Johannes Falks über Rosina Pfeifer, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 179v. Ebd. Ebd. Badinter, Elisabeth: Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute. München 1984, S. 113. Opitz: Aufklärung, S. 52. Die Frage nach dem Ideal und der Wirklichkeit von Mutterschaft um 1800 ist bislang nur unzureichend untersucht worden. Vgl.

›Versagende‹ Mütter und Väter – ein Anlass zur Hilfe

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Das mütterliche Gefühl, geprägt durch die Verantwortung für die Erziehung der Kinder sowie die liebevolle Hinwendung zu Töchtern und Söhnen, wurde mit natürlichen Zuschreibungen begründet.20 Allerdings kollidierte die Aufwertung der Mutterschaft mit den Lebensumständen innerhalb der Herkunftsfamilien.21 In den napoleonischen Kriegen erzogen viele Mütter, wie die Soldatenwitwe Maria Wilhelmine Boßky, die um eine Unterstützung für ihre 7-jährige Tochter Johanna Friederike bat, ihre Kinder allein. Obwohl Maria Wilhelmine Boßky »schon länger in Diensten war«22, konnte sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter nicht ausreichend sichern. Die Gesellschaft der Freunde in der Not sorgte für das Mädchen mit Kleidungsstücken, die es anlässlich ihres Schulbeginns erhielt.23 Entgegen der im Bürgertum verbreiteten Vorstellung gaben Mütter ihre Kinder bei Dienstantritt in fremde Haushalte. Bürgerliche Männer und Frauen hatten sich im zeitgenössischen Stilldiskurs gegen das Stillen und Aufziehen der Kinder durch eine Amme ausgesprochen und stattdessen die leibliche Mutter in der Pflicht gesehen. Dies führte zu einer Diskriminierung all jener Mütter, die nicht dem aufklärerischen Diskursideal entsprechen konnten.24 In den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not wird deutlich, dass das immer noch verbreitete Ammenwesen in adligen Familien, die gesteigerte Nachfrage von Dienstpersonal durch Bürgerliche und die Feminisierung der Dienstbotenarbeit im Laufe des 19. Jahrhunderts Mütter unterer Bevölkerungsschichten in eine prekäre Situation brachten, weil sie zur Sicherung der familiären Existenz einer Erwerbsarbeit nachgehen und ihre mütterlichen Aufgaben nur ungenügend ausüben konnten. So war die Mutter des 5-jährigen August Büchner gezwungen, den Sohn in die Obhut der Frau Hercher in der Weimarer Breiten Gasse am Jakobstor zu geben. August

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24

Opitz: Aufklärung, S. 40f. Zu neueren Arbeiten zählen Horn, Katrin: Leben zwischen Weiblichkeitsideal und sozialer Praxis – Handlungsspielräume einer ›Gattin, Hausfrau und Mutter‹ in Weimar um 1800, in: Frindte, Julia / Westphal, Siegrid (Hrsg.): Handlungsspielräume von Frauen um 1800 (= Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen; 10). Heidelberg 2005, S. 119–142. Vgl. Badinter: Mutterliebe, S. 113f. Vgl. ebd., S. 178f. Brief Maria Wilhelmine Boßkys an Johannes Falk, Weimar 29. Januar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 378r.–378v., hier Bl. 378r. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johanna Friederike Boßky, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 380r. Vgl. Opitz: Aufklärung, S. 44.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Büchners Mutter ging ihrerseits als Amme in Dienste und hatte für die Unterbringung ihres Sohnes einen Taler und 18 Groschen monatlich an die Pflegemutter zu zahlen. Obwohl sie zunächst in Weimar als Amme, später in Jena und Bürgel gearbeitet hatte, konnte die Mutter des kleinen August Büchner das Pflegegeld nicht aufbringen, was in Anbetracht des geringen Entgelts kaum verwundert.25 Falk bezeichnete die junge Mutter abwertend als »eine arme Hure«, die »aber doch für ihr Kind sorgen«26 sollte.27 Während Frauen unterer Bevölkerungsschichten mit ihrer Erwerbstätigkeit in einem Dienstverhältnis bürgerlichen Müttern erst ermöglichten, ausreichend Zeit für die Erziehung ihrer Töchter und Söhne zu haben, wurden dieselben Frauen für die daraus resultierende fehlende mütterliche Fürsorge für ihre eigenen Kinder diskriminiert. Gab eine Familie aufgrund ihrer Armut, ihres Lebenswandels oder fehlenden erzieherischen Engagements Anlass zur Intervention, unterstellten Falk und seine Zeitgenossen den Unterstützten nicht selten, dass ihre abweichenden Lebensweisen und Erziehungspraktiken nicht nur anerzogen, sondern geradezu ›weitervererbt‹ würden. »[D]iese Verwilderung führt«, konstatierte Falk, zu »Huren- und Bettelkinder[n] bis in’s dritte, vierte und fünfte Glied«28. Falk sah beide Elternteile in der Verantwortung. Den Männern galt der Vorwurf, weitere »tausend Hurenkinder«29 zu zeugen, für deren Versorgung sich Verwandte, Nachbarn oder die Gesellschaft der Freunde in der Not verantwortlich fühlten. In sehr drastischen Worten schilderte Falk die familiären Verhältnisse des Seminaristen Solbrig aus Troistedt. Dieser lebte bei seiner Großmutter, die mehr als acht »Hurenkinder«30 versorgte, weil eine ihrer Töchter bereits verstorben und über die Väter der zahlreichen Kinder nichts bekannt war. Die Ablehnung solcher Familienverhältnisse, die letztlich zum Anlass der Intervention wurden, war durch die Idealvorstellungen der bürgerlichen Familie – bestehend aus Mutter, Vater und (immer weniger) Kindern – 25

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Zur Einkommenssituation von Ammen und Mägden vgl. Eberhardt: Weimar, Anhang: gesellschaftliche Gliederung der Einwohnerschaft. Aufzeichnungen Johannes Falks über August Büchner, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 31r.–31v., hier Bl. 31r. Vgl. auch Falks hartes Urteil über die angeblich fehlende Trauer der Amme seines Sohnes Bernhard – nachdem deren in Pflege gegebenes Kind gestorben war – in seinem Brief an Caroline Falk vom 20. [Februar 1822], in: GSA 15/I, 2A, 2, St. 71, Bl. 142r.–143v., hier Bl. 143v. Aufzeichnungen Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 553r. Aufzeichnungen Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 551v. Aufzeichnungen Johannes Falks über Solbrig, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 175r.

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beeinflusst, wobei diese nur in den seltensten Fällen mit den realen Verhältnissen übereinstimmten.

1.2 Alkoholkranke und gewalttätige Mütter und Väter Wenngleich Alkoholabhängigkeit vergleichsweise selten als Ursache für eine Intervention durch das Falksche Institut in den Quellen benannt wurde, betraf das Phänomen dennoch Väter und Mütter.31 Die väterliche Trunksucht wurde häufig durch die Fürsorge und die alleinige Übernahme von Verantwortung der Mutter für Familie und Kinder kompensiert – ein Umstand, der Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts als Eklat gegen das bürgerliche Familienmodell gewertet wurde, dem mit therapeutischen Entzugsmaßnahmen begegnet werden sollte.32 In den Herkunftsfamilien der Zöglinge kam es nur selten zur Scheidung, wenn sich ein Ehemann »häufig dem Trunke«33 hingab. Weitaus einschneidender waren die Interventionsmaßnahmen für Zöglinge, die bei einer alkoholabhängigen Mutter aufwuchsen und deren Vater als Kompensationsfigur wegfiel. Die Verantwortlichen um Falk unterstellten solchen Müttern, dass diese nicht in der Lage wären, die Hauswirtschaft und die Erziehung der Kinder zu verantworten. Aus diesem Grund wurden Kinder alkoholabhängiger Mütter aus den Haushalten genommen: Die Mutter Hannah Petris, so Falk, »trinkt und taumelt oft, fünf Mal des Tags läuft sie mit der Schnapsbulle, es ist wohl nöthig, daß das Kind, was wohl die Krätze hat, von der Mutter köm[m]t, denn es ist ein Untergang im Hause«34. Die Konsumierung (größerer Mengen) Alkohols von Frauen und Männern wurde unterschiedlich bewertet: Ein alkoholabhängiger 31

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Vgl. etwa die Aufzeichnungen Johannes Falks über Theodor Knabe, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 354v. und Aufzeichnungen Johannes Falks über Hannah Petri, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 112r.; Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Andreas Bank, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 329v. Schaller, Sabine: Familie – Geschlecht – Alkoholismus. Geschlechterspezifische Ausdeutungen und der Blick auf die Familien (1880–1930), in: Labouvie, Eva / Myrrhe, Ramona (Hrsg.): Familienbande – Familienschande. Geschlechterverhältnisse in Familie und Verwandtschaft. Köln, Weimar und Wien 2007, S. 213–238, hier besonders S. 234. Aufzeichnungen Johannes Falks über Julie Ortmann, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 95r. Aufzeichnungen Johannes Falks über Hannah Petri, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 112r.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Vater gefährdete nicht per se die Erziehung der Kinder. Deswegen erhielten Kinder alkoholabhängiger Väter eine Unterstützung aus dem Institut, wurden aber nicht zwangsläufig von ihrer Herkunftsfamilie getrennt, solange Mütter für die Erziehung der Kinder sorgten. Im umgekehrten Fall erfolgte jedoch die Trennung von Kind und Mutter. In den Unterlagen, die Johannes Falk über einzelne Zöglinge sammelte, finden sich neben den Hinweisen auf Alkoholmissbrauch von Vätern und Müttern auch Belege für die körperliche und seelische Misshandlung von Heranwachsenden durch die eigenen Eltern.35 Dass gewaltsame elterliche Übergriffe »zu Zeiten des inneren wie äußeren Friedens«36 für Kinder und Heranwachsende zu alltäglichen Erfahrungen gehörten, betrachteten viele Historiker als eine Selbstverständlichkeit, die deshalb nicht weiter thematisiert wurde. Nur wenn Gewalt jeglicher Legitimation entbehrte und exzesshafte Ausmaße annahm, gewann sie als Ausnahmeerscheinung jenen Stellenwert, der sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen machte. In den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not finden sich Erziehungspraktiken, die als elterliche Gewalt gegenüber Heranwachsenden zu bewerten sind und die von Müttern und Vätern – wenn auch in unterschiedlicher Quantität und Qualität – ausgeübt wurden. Während in den Quellen körperliche Gewalt anwendende Väter belegt sind, erduldeten oder tolerierten Frauen diese Übergriffe oder übten ihrerseits psychische Gewalt aus. Falk notierte beispielsweise zu dem aus Gaberndorf gebürtigen Johann Nicolaus Kramer, dass seine »Eltern [...] ihn in den Tod nicht leiden, weil er zu allen handlichen Arbeiten ungeschickt sey, so hatten sie ihn so lange gequält, bis er fortgelaufen sey«37. Bevor Johann Nicolaus Kramer den Weg ins Falksche Institut gefunden hatte, musste der junge Mann körperliche Gewalt durch den eigenen Vater erleiden, die von der Mutter geduldet und als eine adäquate Form der elterlichen Erziehung akzeptiert wurde. Falks Notizen über die alltägliche Lebenswelt des späteren Zöglings Kramer zeigen, wie sehr »lieb gewonnene Gewißheiten in Frage zu stellen« sind, »denen zufolge die europäische Moderne mit einem allmählichen Übergang zur Gewaltvermeidung, wenn nicht 35

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Vgl. beispielsweise Brief Johann Georg Obstfelders, Weimar 28. März 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 66r.–67r. Lindenberger, Thomas / Lüdtke, Alf: Einleitung. Physische Gewalt – eine Kontinuität der Moderne, in: Dies. (Hrsg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1190). Frankfurt am Main 1995, S. 7–38, hier S. 16. Bericht über Johann Nicolaus Kramer, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 233v.

›Versagende‹ Mütter und Väter – ein Anlass zur Hilfe

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Gewaltfreiheit, gleichgesetzt wird«38. Aus den Beschreibungen des jungen Mannes geht hervor, dass die Eltern Kramers Gewalt und Ablehnung nicht unreflektiert, wohl aber als probates Erziehungsmittel einsetzten. Die elterliche Ablehnung richtete sich nur gegen diesen einen Sohn, nicht aber gegen dessen übrige Geschwister, die die Eltern beispielsweise ausreichend ernährten, während Johann Nicolaus Kramer diese obligatorische Fürsorge entbehrte.39 Welche Ursachen hatten zu diesem Verhalten der Eltern geführt? In erster Linie motivierte sie die rein wirtschaftliche Überlegung, inwieweit der junge Kramer selbst etwas zum Haushaltseinkommen beitragen konnte oder nicht. Sowohl der Vater, »von Profession ein Zimmermann«40, als auch die Mutter erwarteten – wie die meisten Heimarbeiterfamilien – von ihren Kindern, dass sich diese an der Aufbesserung des Haushaltseinkommens beteiligten.41 »[W]enn ich mir mein Brot nicht verdiente«42, so Johann Nicolaus Kramer, habe er Hunger leiden müssen. Daneben führten aber auch die unerfüllten beruflichen Erwartungen, die Kramers Eltern an ihren heranwachsenden Sohn stellten, zu körperlichen Übergriffen und Ausgrenzungen. Ihr Sohn sollte sich nicht auf irgendeine Weise, sondern mit zunehmendem Alter auf eine am Ideal eines tätigen Mannes ausgerichteten Art und Weise »mit harte[r] Arbeit« beschäftigten und so einen Teil seines Lebensunterhaltes von frühester Jugend an selbst verdienen. Kramer, der von Geburt an unter einer körperlichen Beeinträchtigung litt, die sich durch die Übergriffe des Vaters noch verschlimmerte, konnte nicht das väterliche Handwerk erlernen. Da er weder in die ›Fußstapfen‹ seines Vaters treten noch selbst sein Brot verdienen konnte – war doch beispielsweise auch sein Versuch des Kühehütens misslungen –, erfüllte der junge Mann nicht die Erwartungen seiner Eltern von einem arbeitenden Sohn. Bei ihnen entwickelte sich gegen ihn eine Abneigung, die sich insbesondere bei der Mutter in Form psychischer Gewalt artikulierte: »[Und] als ich auf keine andre Art mich zu nähren wußte, so wurde ich bald unter den größten Schmähungen meiner Mutter, die mir bey jeder Gelegenheit sagte: Sie könne mich nicht 38 39

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Lindenberger / Lüdtke: Physische Gewalt, S. 30. Vgl. Aufzeichnungen Johann Nicolaus Kramers, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 232r.–232v., hier Bl. 232r. Vgl. ebd. Vgl. Schneider, Lothar: Der Arbeiterhaushalt im 18. und 19. Jahrhundert. Dargestellt am Beispiel des Heim- und Fabrikarbeiters (= Beiträge zur Ökonomie von Haushalt und Verbrauch; 4). Berlin 1967, S. 25f. Vgl. Aufzeichnungen Johann Nicolaus Kramers, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 232r.–232v., hier Bl. 232r.

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vor Augen sehen, ausgestoßen und davon gejagt.«43 Kramers Vater übte eine nicht näher beschriebene körperliche Gewalt gegen seinen Sohn aus. Die Mutter praktizierte dagegen jene ›sanfte‹ Gewalt des 19. Jahrhunderts, die von den Opfern in Form von psychischen Anfeindungen erlitten wurden.44

1.3 Appell an den ›Vater‹ Falk – Anspruch auf Hilfe Es wäre zu kurz gegriffen, das Vaterbild im frühen 19. Jahrhundert mit dem zunehmenden Verlust väterlicher Autorität im inneren familiären Kreis gleichzusetzen.45 Gerade weil sich Väter weiterhin für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich fühlten, wandte sich eine Vielzahl von Vätern an Falk, um die eigenen Kinder in das Weimarer Institut zu vermitteln. Vermutlich hofften einige Väter aus dem Bürgertum damit, dem seit der Aufklärung geforderten Ideal des seine Erziehungsaufgaben erfüllenden Vaters nachzukommen.46 Das Eingeständnis, bei der Erziehung der Tochter oder des Sohnes gescheitert zu sein und sich deswegen Hilfe suchend an das Institut zu wenden, war sogar hilfreich, wie das Beispiel des 1804 geborenen Theodor Wilhelm Rosts belegt. Im Februar 1824 wandte sich der Leipziger Professor der Philosophie Friedrich Wilhelm Rost (1768–1835) an Johannes Falk, um ihm seinen Sohn Theodor Wilhelm zur weiteren Erziehung anzuvertrauen: »Ich lege den letzten Versuch meinen verlorenen Sohn zu retten mit unbegrenztem Vertrauen in Ihre treue Freundes Hand und bete zu dem, der die Herzen der Menschen wie Wasserbäche leitet, dass Er Ihre edlen Bemühungen segnen möge.«47 Zusammen mit dem Brief übersandte der Vater eine Charakterbeschreibung des Sohnes, sodass Falk sowohl über die bisher unternommenen Erziehungsversuche und Ausbildungswege als auch über die vom Vater wahrgenommenen Eigenschaften des jungen Mannes in43 44

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Vgl. ebd. Vgl. Hohkamp, Michaela: Häusliche Gewalt. Beispiele aus einer ländlichen Region des mittleren Schwarzwaldes im 18. Jahrhundert, in: Lindenberger, Thomas / Lüdtke, Alf (Hrsg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1190). Frankfurt am Main 1995, S. 276–302, hier S. 277. Vgl. Opitz: Aufklärung, S. 26–32. Vgl. Schütze: Elternrollen, S. 121f. Brief Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rosts an Johannes Falk, Leipzig 24. Februar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 588r.–590v., hier Bl. 588r.

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formiert wurde. Die Ausführungen Rosts unterscheiden sich in ihrer Ausführlichkeit und Differenziertheit deshalb von Beschreibungen anderer Eltern, Pfarrer oder Lehrer, weil Friedrich Wilhelm Rost, der ab 1800 auch das Rektorenamt an der Thomasschule zu Leipzig versah, durch Studium und Beruf mit aktuellen pädagogischen Fragen vertraut war.48 Doch obwohl er über fundierte Pädagogikkenntnisse verfügte, musste Friedrich Wilhelm Rost Falk das Scheitern bei der Erziehung des eigenen Sohnes eingestehen. »Mein innigster Wunsch ist es, daß er [Theodor Wilhelm Rost] gehorsam und arbeiten lerne, um für sich und die Welt nicht verloren zu gehen«49. Im Juli 1824 bat Rost noch einmal inständig, den Sohn zu einem bürgerlichen Beruf zu führen, indem er Falk alle väterliche Gewalt übertrug: »Führen Sie, edler Mann, ihm [Theodor Wilhelm Rost] dieses zu Gemüthe und bestehen darauf mit allem Gewichte des Nachdrucks, den Ihnen die von mir völlig überlassene väterliche Gewalt in die Hände giebt.«50 Traten einzelne Zöglinge in das Falksche Institut ein, war Falk für die Heranwachsenden nicht nur einfach verantwortlich, sondern übernahm ausdrücklich die Vaterrolle. Als zum Beispiel im Dezember 1825 die Gemeindevertreter Hohlstedts und Falk über die Aufnahme der 11-jährigen Tochter des Maurermeister Friedrich Matthei verhandelten, erwartete Falk, dass der leibliche Vater im Falle der Aufnahme auf sämtliche Vaterrechte an der Tochter verzichtete: »Ich muß aber freye Hand haben und er muß nicht kommen um mir darein zu reden sonst gebe ich sie ihm augenblicklich zurück.«51 Eine ähnlich lautende Regelung hatte es auch im Waisenhaus gegeben, aus der eindeutig hervorging, dass die Vereinbarung gegen den elterlichen Erziehungsanspruch im Besonderen gerichtet war, »wodurch die Zudringlichkeit solcher Mütter, denen die Erziehung des Kindes nicht überlassen werden kann, zurückgewiesen wird«52. 48

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Vgl. Lipsius, Carl Heinrich Adalbert: Art. »Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rost«, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 13 (1837), S. 169–181, hier S. 171f. Brief Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rosts an Johannes Falk, Leipzig 24. Februar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 588r.–590v., hier Bl. 590v. Brief Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rosts an Johannes Falk, Leipzig 28. Juli 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 566r.–567r., hier Bl. 566v. Brief [Entwurf] Johannes Falks an den Hohlstedter Schultheiß Johann Friedrich Jahn, Weimar 18. Dezember 1825, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 432r.–432v., hier Bl. 432v. Günther: Waisen, S. 84. Ganz ähnlich lautet die Regelung in der Nachfolgeinstitution des Falkschen Instituts im Großherzoglichen Waiseninstitut. Vgl. Schwabe: Grundsätze, S. 53–58.

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Mit der Übernahme der väterlichen Rechte und Pflichten grenzte sich Falk nicht nur gegenüber den leiblichen Eltern ab, indem er etwa die Zuweisung einer Lehrstelle und den Vertrag mit dem Lehrmeister ohne langwierige Diskussionen mit den Eltern entscheiden konnte. Mit der Berufszuweisung übte Falk ein Recht aus, das schon seit 1794 im Allgemeinen Preußischen Landrecht Vätern zugeschrieben wurde.53 Dahinter verbarg sich die seit der Frühen Neuzeit dominierende Erwartung an eine Gesellschaft der selbstständigen Hausväter, auf die sich Philosophen, Juristen oder Staatsrechtler beriefen.54 Zudem nutzte Falk seine väterliche Autorität, um erzieherisch auf die Heranwachsenden einwirken zu können. Falk begegnete Theodor Wilhelm Rost mit »väterliche[r] Strenge«55, um seinem pädagogischen Einwirken besonderes Gewicht zu verleihen. Die Gesellschaft übertrug ihrerseits dieses Recht auf die jeweiligen Pflegeeltern, weshalb jeder Zögling gelobte: »Meinen Meister, als meinen zweiten Vater und Versorger, so wie meine Frau Meisterin als meine zweite Mutter und Versorgerin zu achten, zu betrachten und in Ehren zu halten.«56 Die übernommene Vaterschaft strukturierte die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Instituts. Aus den zwischen den Lehrmeistern, den Zöglingen und dem Institut geschlossenen Verträgen ist zu entnehmen, dass die »Gesellschaft an diesen Kindern Elternstelle, folglich auch Elternrechte«57 übernahm. Im Falle von Streitigkeiten zwischen den Zöglingen und den Pflegeeltern war der Leiter der örtlichen Gesellschaft der Freunde in der Not »die erste väterliche Behörde«58, an die sich Beschwerde führende Pflegeeltern oder Lehrmeister zu wenden hatten. Die »zweite väterliche Behörde«59 war die Zunft, welcher der Lehrmeister und der Heranwachsende angehörten. Sollten die Streitigkeiten nicht von der Gesellschaft der Freunde in der Not und dem klagenden Handwerker ausgeräumt werden können, war der Schiedsspruch der Zunft von der Gesellschaft und dem Lehrmeister zu akzeptieren.

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Vgl. Speitkamp: Jugend, S. 63. Gall: Gesellschaft, S. 26f. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Theodor Wilhelm Rost, Weimar 24. März 1825, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 568r.–568v., hier Bl. 568r. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Ebd. Ebd. Ebd.

Das Personal

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2. Die praktisch Helfenden – das Personal 2.1 Arbeitende Frauen und Männer im Falkschen Institut Frauen und Männer engagierten sich sowohl in der Gesellschaft der Freunde in der Not als auch innerhalb des Falkschen Instituts, in dem sie verschiedene Aufgaben übernahmen. Die Zahl der im Bereich der Armenfürsorge Beschäftigten variierte im 18. Jahrhundert erheblich. So arbeitete etwa in Hospitälern finanzkräftiger Stiftungen viel Personal.60 In Waisenhäusern waren üblicherweise nur wenige Personen beschäftigt, die dazu noch oft aus dem familiären oder häuslichen Umfeld des Verwalters oder Vorstehers stammten.61 Im Falkschen Institut waren deutlich mehr Mitarbeiter, die ihren Dienst gegen Bezahlung versahen, als Familienangehörige beschäftigt. In der Personalstruktur des Falkschen Instituts spiegelt sich die Ausrichtung des Instituts auf Jugendliche beiderlei Geschlechts wider. Weil sich der Unterricht im Falkschen Institut nicht auf die Verinnerlichung christlicher Glaubensinhalte beschränkte und neben den Elementarkenntnissen im Schreiben, Lesen und Rechnen auch vertiefende mathematische oder sprachliche Fähigkeiten vermittelt wurden, benötigte das Institut zusätzliches Lehrpersonal. Falk griff auf Seminaristen zurück; für den Unterricht besonders begabter junger Männer engagierte er Fachleute. Carl Friedrich Christian Steiner, der seit 1797 an der Weimarer Zeichenschule arbeitete und geometrische Lehrbücher herausgab, übernahm in der Sonntagsschule den Unterricht in »angewandte[r] Meßkunst«. Sowohl für die Feldmesskunst als auch für handwerkliche Arbeiten bot die Berechnung geometrischer Objekte Vorteile,62 weshalb es nicht verwundert, dass Falk für die Ausbildung der Zöglinge auf Steiners Expertise zurückgriff. Falk vermittelte an Steiner etwa den 10-jährigen Michael Saal aus Kölleda, der durch sein vom Vater gefördertes »Geschick zu mechanischen Dingen« in der Lage war, »den ganzen Mechanismus« des Weimarer Laternensystems zu erfassen und die genaue Wirkungsweise »in 60 61 62

Vgl. Reiter: Armenfürsorge, S. 38–48 und 125–127. Vgl. Meumann: Findelkinder, S. 277. Vgl. Heinemann, Anne-Sophie: Angewandte Mathematik oder Ge´ome´trie descriptive unter Carl Friedrich Christian Steiner, in: Klinger, Kerrin (Hrsg.): Kunst und Handwerk in Weimar. Von der Fürstlichen Freyen Zeichenschule zum Bauhaus. Köln, Weimar und Wien 2009, S. 67–81, S. 68f.

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geschickten und anschaulichen Worten«63 wiederzugeben. Nachdem der bei einem Schuhmacher in Weimar untergebrachte Junge nicht länger bei diesem Meister bleiben konnte, schickte Falk Michael Saal zu Steiner, der den Jungen in »praktische[r] Geometrie«64 unterrichtete. Steiners Unterricht würde für die zukünftige Entwicklung des Jungen eine wichtige Grundlage legen und »von ausnehmendem Nutzen«65 sein. Die Anstellung im Falkschen Institut wurde nicht allein von der fachlichen Qualifikation eines Bewerbers, sondern ebenso von dessen charakterlichen Eigenschaften abhängig gemacht. In »Religion, Geschichte« und »Naturkunde«66 erteilte Falk selbst den Unterricht, ohne sich durch besondere fachliche Kenntnisse auszuzeichnen, wie dies noch bei der Einstellung Steiners der Fall gewesen war. Vielmehr legitimierte er seine pädagogische Arbeit mit der eigenen Vorbildwirkung auf die Heranwachsenden, indem er »jeden jungen Knaben durch väterliche Ermahnung und Beyspiele«67 unterrichte. Bei der Auswahl des Lehrers für Schreiben und Bibellesen achtete Falk weniger auf die Qualifikation, als vielmehr auf den »sanften Charakter« Friedrich August Borns, der dadurch jedem »Zögling der Anstalt unvergeßlich bleiben wird«68. 1815 muss Born allerdings die Arbeit für das Falksche Institut niedergelegt haben und eine Anstellung als Lehrer an der Haßlebener, später an der Apoldaer Mädchenschule gefunden haben.69 Vermutlich orientierte sich auch die Einstellung des Seminaristen Hoffmann, der den Unterricht im Rechnen verantwortete, und Fröhlich,70 der den abgegangenen Lehrer Born ersetzte, an moralischen und charakterlichen Eigenschaften der Kandidaten. 63

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Aufzeichnungen Johannes Falk über Michael Saal, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 99v. Ebd. Ebd. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Lehrer der Sonntagsschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r. Dabei kam es durchaus vor, dass sich potentielle Kandidaten schriftlich an Falk wandten und ihre Mitarbeit als Lehrer anboten. Vgl. etwa Brief von J. J. Kruse an Johannes Falk, Weimar 16. Februar 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 167r. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Lehrer der Sonntagsschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r. Ebd. Vgl. Staatshandbuch 1816–1835; Aufzeichnungen Johannes Falks über die Lehrer der Sonntagsschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r. Hoffmanns Identität lässt sich anhand der Staatshandbücher nicht zweifelsfrei feststellen. Bei Fröhlich handelt es sich vermutlich um Christian Gottlob Fröhlich. Vgl. Staathandbuch 1823–1835.

Das Personal

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Um den Unterricht in den ›weiblichen Arbeiten‹ zu organisieren, stellte Falk kurze Zeit nach der Gründung des Instituts drei Frauen als Lehrerinnen ein, die in Weimar jeweils den Unterricht im Nähen, Stricken und Spinnen erteilten. Damit unterschied sich das Falksche Institut von personellen Strukturen frühneuzeitlicher Waisenhäuser, in denen die Ehefrauen der jeweiligen Verwalter für den Handarbeitsunterricht verantwortlich waren.71 In der Weimarer Arbeitsschule des Patriotischen Instituts der Frauenvereine war der Unterricht in ähnlicher Weise wie im Falkschen Institut strukturiert: Zwei Lehrerinnen teilten sich anfangs das Nähen und Flachsspinnen bzw. das Stricken und das Bauwollspinnen.72 Die unterrichtenden Frauen zeichneten nicht nur ihre fachlichen Kenntnisse aus, sondern entsprachen den Erwartungen Falks und der Spender an eine für die Mädchen und jungen Frauen vorbildhafte Lehrerin, die sich wie die Unterrichtenden im Patriotischen Institut in »gesetzten Jahren«73 befand. Die Witwe des Pfarrers Scharf sei eine »brave still[e] und sittsame Frau«74 gewesen, die die Schülerinnen mittwochs und sonnabends im Sticken unterrichtet habe, wofür sie drei halbe Kopfstück erhielt.75 Außerhalb von Weimar betraute Falk diese Frauen eigenverantwortlich mit dem Unterricht.76 Gleichzeitig hatten die Lehrerinnen nach dem Verlust des Mannes für sich und die eigenen Kinder zu sorgen, sodass die Arbeit für das Falksche Institut eine wichtige Einnahmequelle darstellte.77 In früheren Jahrhunderten erteilten vornehmlich in wirt71 72

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Vgl. Meumann: Findelkinder, S. 277. Brief Henriette von Fritschs an Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Weimar 3. März 1816, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 422, Bl. 59r.– 62v., Bl. 60r. Pläne für eine Industrieschule, in: ThHStAW HA A XXV Akten 382, Bl. 1r.–8v., hier Bl. 4r. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Lehrerinnen der Näh-, Spinn- und Strickschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r. Auf vereinzelte Probleme im Handarbeitsunterricht deuten Äußerungen Falks hin, vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 8. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 109. Stück, Bl. 227r.–228v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Lehrerinnen der Näh-, Spinn- und Strickschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r. Zur Entlohnung der Lehrerinnen des Instituts vgl. die Quartalsrechnungen in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 2v.–10r. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Apoldaer Näh-, Spinn- und Strickschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 397r.; Brief Friederike Rosts an Johannes Falk, Apolda 6. März 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 2. Bl. 143r.–143v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Lehrerinnen der Näh-, Spinn- und Strickschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

schaftlich bedrängten Verhältnissen lebende Frauen wie Witwen, alte Dienstmädchen und Aufwartfrauen den Unterricht an Mädchenschulen.78 Die Auswahl der Lehrerinnen orientierte sich an dem Grundsatz der Gesellschaft der Freunde in der Not, eine Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Zu den Frauen, die für die Gesellschaft der Freunde in der Not und das Falksche Institut außerhalb des Unterrichts arbeiteten, zählte Frau Rudloff. Deren genauere Identität lässt sich anhand der Quellenlage nicht eindeutig belegen. Möglicherweise handelt es sich um Maria Friederike Rudloff, geb. Meißner, die 1792 den Tünchergesellen Johann Bernhard Rudloff geheiratet hat, der am 31. August 1812 verstorben ist.79 Frau Rudloff übernahm die wichtige Aufgabe, das Monatsbuch unter den Mitgliedern der Gesellschaft umherzutragen. Regelmäßig überbrachte sie für Falk auch andere Nachrichten wie Verträge und Zeugnisse oder verteilte Rechnungen und Quittungen, sodass auf diese Weise der Zahlungsverkehr und ein reibungsloser Arbeitsablauf gewährleistet wurde.80 Wenngleich Frau Rudloff mit diesem Dienst eine wichtige Funktion an der Schnittstelle zwischen Falk, den Lehrmeistern, Pfarrern und anderen Vertragspartnern innehatte, nahm sie dennoch keine herausragende Position ein. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein übermittelten üblicherweise Botenfrauen wie Frau Rudloff Nachrichten oder Briefe. Dadurch kompensierten sie in Sachsen-Weimar-Eisenach ein gravierendes Defizit der bis 1806 existierenden Kaiserlichen Reichspost, der Kurfürstlich Sächsischen Post und der Landespost, die zumeist nur die größeren Städte ihrer Postrouten bedienten.81 Weil die Gesellschaft der Freunde in der Not nicht nur Kontakte innerhalb Weimars oder zu größeren Städten wie Jena und Eisenach unterhielt, sondern auch mit Einwohnern vieler kleiner und entlegener Städte und Dörfer des Großherzogtums kommunizierte, war die Vereinigung dringend auf die Unterstützung einer Botenfrau angewiesen. 78

79

80

81

Vgl. Böhm, Albert: Die Jenaer »Schulweiber« im 17. Jahrhundert, in: Das Thüringer Fähnlein. Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat 7 (1938), Heft 1, S. 1–6, hier S. 2f. Vgl. Eintrag in KA WE SK HR, 1792, fol. 83v., Nr. 1. Falk bezeichnet Frau Rudloff wiederholt als Witwe. Vgl. Johannes Falks Stellungnahme an die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not, 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 341r.–344v., hier Bl. 344r. Vgl. beispielsweise Quartalsrechnungen vom Jahr 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 1r. und 4r. Vgl. Bühling, Werner: Die Post in Weimar. Das Postwesen und seine Entwicklung in und um Weimar in vier Jahrhunderten (= Weimarer Schriften; 51). Weimar 1995, S. 13–61.

Das Personal

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Für gewöhnlich kamen die Botenfrauen ein- bis zweimal in der Woche nach Weimar und nahmen bei Kaufleuten, Handwerkern oder Gastwirten Briefe entgegen bzw. überbrachten ihrerseits Briefe aus dem Weimarer Umland, die aus der Residenzstadt mit der regulären Post weiter transportiert wurden.82 Abgesehen davon, dass Johannes Falk mit Frau Rudloff individuell über die Entlohnung ihrer Dienste verhandeln konnte, transportierten Botinnen Nachrichten häufig schneller als die reguläre Post.83 Dies dürfte gerade für das zügig zu rotierende Monatsbuch von besonderer Bedeutung gewesen sein. Durch den Botendienst bekam Frau Rudloff Einblick in die Pflegefamilie, in denen die Jugendlichen des Instituts aufwuchsen. Über Schwierigkeiten mit Pflegeeltern oder moralische Verfehlungen der Zöglinge informierte sie Johannes Falk.84 Die räumliche Distanz, durch die sich das Institut mit den vielen angegliederten Handwerkerfamilien auszeichnete, wurden nicht allein die wöchentlichen bzw. monatlichen gemeinsamen Unterrichtseinheiten überbrückt, sondern letztendlich durch die Botin Rudloff kompensiert. Während Falk Frau Rudloffs Arbeit stets lobend erwähnte, äußerten die Seminaristen des Instituts Bedenken an dieser Verfahrensweise, weil ihre Mitarbeit weitere Bedürftige anzog. Im Oktober 1819 bedauerte der Seminarist Fiedler, Falk kein weiteres Geld nach Eisenach schicken zu können. Frau Rudloff, die für den Zahlungsverkehr der Gesellschaft verantwortlich war, kam »gemeinlich in Begleitung einiger alten Weiber85«, denen er finanziell aushelfen sollte. »Die Einsammlerin machte den Vorsprecher, und jene bettelten [...], ja sie drohten sogar mit nichtswürdigen Reden.«86 Fiedler »wurde von allen Seiten bestürmt, und mußte also auszahlen, so lange [er] etwas hatte«87. Rudloff nutzte die Abwesenheit Falks, um vom unerfahreneren Seminaristen Fiedler zusätzliche Gelder über den verabredeten Lohn hinaus zu erhalten.

82 83 84

85

86 87

Vgl. ebd., S. 90. Vgl. Bühling: Post, S. 91. Vgl. beispielsweise Aufzeichnungen Johannes Falks über den Zögling Fischer bei Meister Birke, Weimar 4. Februar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 128v.; Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 29. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 44r.–45r., hier Bl. 44r. Brief Fiedlers an Johannes Falk, Weimar 8. Oktober 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 343r.–344r., hier Bl. 343r. Ebd., Bl. 343r.–343v. Ebd., Bl. 343v.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Wie das Beispiel Fiedlers verdeutlicht, übernahmen Seminaristen im Falkschen Institut nicht nur den Unterricht und die Aufsicht über andere Zöglinge. Im Zuge der einsetzenden Qualifizierung angehender Lehrer wurden um 1800 Lehrern an Waisenhäusern Seminaristen als Hilfslehrer an die Seite gestellt.88 Zwar wurde von offizieller Seite betont, dass die angehenden Lehrer bis zur schulischen Anstellung wichtige berufspraktische Erfahrungen sammelten; andererseits darf der erzielte finanzielle Nutzen durch das Waisenhaus nicht unterbewertet werden, sodass auch Falks Entscheidung für den Einsatz von Seminaristen von unterrichtspraktischen und fiskalischen Gesichtpunkten geleitet gewesen sein dürfte. Die Seminaristen wurden zu wichtigen Vertrauten Falks, die in seiner Abwesenheit die Geschicke des Instituts leiteten.89 Nach ihrem Zusammenschluss 1813 unterstützten die Mitglieder der Gesellschaft das von Falk gemeinsam mit dem befreundeten Stiftsprediger Karl Friedrich Horn geleitete Falksche Institut.90 Vertragliche Dokumente und Auszahlungsbelege unterzeichneten beide Vorsteher gemeinsam.91 Aus den Akten der Gesellschaft ist zu entnehmen, dass sich Horn allmählich aus der aktiven Leitung zurückzog, während er aufgrund seiner öffentlich ausgeübten Ämter weiterhin mit dem Falkschen Institut zusammenarbeitete.92 88

89 90

91

92

Vgl. etwa die entsprechenden Ausführungen für die Seminaristen am Kasseler Waisenhaus, in: Grindel, Susanne / Speitkamp, Winfried (Hrsg.): Armenfürsorge in Hessen-Kassel. Dokumente zur Vorgeschichte der Sozialpolitik zwischen Aufklärung und Industrialisierung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; 62). Marburg 1998, S. 216f. Vgl. auch Meumann: Findelkinder, S. 277. Zur Praxis der Seminaristenausbildung vgl. Kapitel III.2.2. Vgl. etwa Aufzeichnungen über Schönings Kinder, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 23v.; Aufzeichnungen über Johann Wilhelm Stellenberg, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 38v.–40r., hier Bl. 40r. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Großherzog Carl August, Weimar 16. Oktober 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 440v.–441r., hier Bl. 440v. Zu dieser Praxis vgl. etwa Falks Ausführungen im Brief [Entwurf], [Weimar] 19. November 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 480v.–481r., hier Bl. 480v.; Vertrag für Michael Rost, Weimar 19. November 1814, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 77r.– 77v., hier Bl. 77v. Vgl. etwa Brief Karl Friedrich Horns an Johannes Falk, [Weimar] 4. Oktober 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 377r.–377v.; Brief Karl Friedrich Horns an Johannes Falk, [Weimar] 27. Mai 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 311r.–311v.; Zeugnis Horns für Johann Heinrich Paul Schulz, Weimar 20. Dezember 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 132r.

Das Personal

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Bis zu seinem Tod 1826 stand Falk dem Institut vor und verfügte testamentarisch, dass seine Frau und seine Tochter gemeinsam mit Johann Georg Rettner das Institut leiten sollten.93 In dem Wunsch spiegelt sich einerseits die Fortführung des Instituts als Privatanstalt wider, andererseits bildete Rettner gemeinsam mit den beiden Frauen ein gemischtgeschlechtliches Führungsgremium, was der Aufnahmepraxis weiblicher und männlicher Zöglinge entsprach. Mit Rettner wurde Caroline und Rosalie Falk ein männlicher Partner an die Seite gestellt, der die Interessen des Instituts gegenüber den Behörden vertrat. Caroline Falk partizipierte vor der testamentarischen Verfügung über den Bereich der wirtschaftlichen Haushaltsführung hinaus an der Arbeit des Falkschen Instituts. Falks Frau übernahm die wichtige Aufgabe, junge Frauen zu untersuchen, die ausgesagt hatten, von Familienangehörigen misshandelt worden zu sein.94 Caroline Falk wusste, welche Anstrengungen und Aufgaben auf die Frau eines Institutsleiters zukamen, weshalb sie Jahrzehnte später Reinthaler in Erfurt abriet, eine zu »sanfte Frau«95 zur Gattin zu wählen. Jungen Menschen, die durch das Falksche Institut versorgt wurden, brachten Caroline Falk eine besondere Wertschätzung entgegen. Anlässlich ihres Geburtstages oder mit Anbruch eines neuen Jahres drückten Heranwachsende ihren Dank für die Unterstützung Caroline Falks aus. Die »edle Frau«96 oder »Frau Legationsräthin«97 wurde von den Heranwachsenden als Ehefrau Falks und Pflegemutter wahrgenommen. Zum neuen Jahr 1829 wünschte etwa Christiana Matthäi der »theure[n] Mutter Glück und Freude«98. Wie ihr Mann die Rolle des Hausvaters, so übernahm auch Caroline Falk die Rolle der Hausmutter für die Zöglinge des Instituts.

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Vgl. Testament [Abschrift] Johannes Falks, Weimar 12. Februar 1826, in: GSA 15/N 22, unpag. Vgl. Protokoll Johannes Falks über die Ankunft Friedrike Heinemanns im 22. Juli 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 53r. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 23. Februar 1839, in: GSA 15/N 54, 33. Neujahrsglückwunsch 1829 für Caroline Falk, dargebracht von Friedrich Köhler, in: GSA: 15/III, 6, 1. Stück. Druckschrift »Am Geburtstage der Fr. Legationsräthin Caroline Falk den 14. Februar 1828, dargebracht von Ihrem Zögling Friedrich Bartholomäus«, in: GSA 15/III, 6, 17. Stück. Neujahrsglückwunsch 1829 für Caroline Falk, dargebracht von Christiana Matthäi, in: GSA 15/III, 6, 5. Stück.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Die Akquirierung der mitarbeitenden Frauen und Männer beschränkte sich nicht nur auf Familienangehörige. Johannes Falk nutzte das Potential von Weimarer Lehrern und Experten, die er für den Unterricht gewinnen konnte. Der Bedarf an weiblichem Lehrpersonal wurde mit erfahrenen bedürftigen Frauen gedeckt, die in der Lage waren, Unterricht in Handarbeiten zu erteilen. Witwen und ledigen Müttern bot sich mit der Anstellung eine Hilfe zur Selbsthilfe. Ohne an dieser Stelle auf die vielen Lehrmeister in den Werkstätten und Pflegefamilien eingegangen zu sein, verdeutlicht die gemischtgeschlechtliche Personalstruktur, dass sich das Falksche Institut mit seinem Hilfsangebot an beide Geschlechter wandte. Ebenfalls band Falk Frauen und Männer mit der Übertragung der Finanzabwicklung oder der zeitweisen Vertretung während seiner Abwesenheit in strukturelle Abläufe der Gesellschaft und des Falkschen Instituts ein.

2.2 Seminaristen – Vertreter Falks und (s)eines Männlichkeitsideals Die Seminaristen des Falkschen Instituts standen in einem engen Verhältnis zu Johannes Falk, der vorbildhaft auf die jungen Männer Einfluss nahm. Falks Idealbild eines moralisch gefestigten erwachsenen Mannes, der sowohl intellektuell als auch moralisch den Anforderungen seines Berufes gewachsen war, prägte den Ausbildungsweg der angehenden Schullehrer, wie es sich im Aufnahmeverfahren, den Erwartungen Falks und den Aufgaben der Seminaristen im Instituts widerspiegelte. Sowohl die jungen Seminaristen als auch deren Fürsprecher versuchten, Falks Erwartungen gerecht zu werden, um die Unterstützung durch das Institut zu erhalten. Nicht selten schlugen die Bemühungen der Seminaristen fehl, sodass einige vorzeitig das Institut verließen oder – wenn sie Falks Ideal folgten – in der eigenen Unterrichtstätigkeit an ihre persönlichen Grenzen stießen.

2.2.1 Aufnahmeverfahren Viele Seminaristen äußerten selbst den Wunsch, als Lehrer zu arbeiten.99 Solche Heranwachsenden zeichneten sich durch ein besonderes sprachliches und musikalisches Interesse aus, das Pfarrern oder Lehrern an ihnen aufgefallen war. So empfahl beispielsweise der Jenaer Jurist Ferdi99

Vgl. beispielsweise Aufzeichnungen über Georg Wilhelm Buckner, in: GSA:

Das Personal

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nand Asverus Johannes Falk den 10-jährigen Johann Gottlieb Kunze zur Seminaristenausbildung. Kunze, der sich durch seine rasche Auffassungsgabe auszeichnete, besaß eine Vorliebe für alles, »was über die gewöhnliche Bauer-Arbeit«100 hinausging. Asverus war überzeugt, dass sich Kunze ausgezeichnet für eine Seminaristenausbildung eignete und schlug deshalb vor: »Sollte es nicht möglich seyn, den Knaben zum Studiren zu verhelfen, so wird doch wenigstens ein tüchtiger Schulmeister aus ihm werden können u[nd] dann wär er ein sehr nützlicher Mann.«101 Asverus hob wie die Mehrzahl der Fürsprecher die intellektuellen Fähigkeiten des Seminaristen hervor, die eine Entwicklung vom talentierten und wissbegierigen Jungen zum erwachsenen Schullehrer garantierten. In der Regel lud Falk aufgrund ihrer Empfehlungsschreiben die Kandidaten zu einem persönlichen Gespräch nach Weimar ein. Von den Beurteilungen der Geistlichen, Lehrer und Eltern wollte er sich persönlich überzeugen. Im Fall Kunzes vermerkte er nach einem solchen Gespräch in seinen Unterlagen: »Ein wohlgebildeter und wie es scheint, sehr glücklich organisierter Knabe, aus dem vielleicht, laut Zeugnissen, etwas Rechts werden kann.«102 Nach dem ersten Treffen nahm Falk potentielle Kandidaten nicht sofort in das Institut auf. Abgesehen von der oftmals offenen Frage der Finanzierung – entweder als Pensionär unterstützt durch eine Gruppe von Förderern oder durch das Institut – waren es fehlende schulische Kenntnisse, die einer sofortigen Aufnahme im Wege standen. Defizite in der lateinischen Sprache sollten die zukünftigen Seminaristen eigenverantwortlich in ihren Herkunftsorten ausgleichen, sodass sie zumeist zu einem späteren Zeitpunkt wieder in das Institut bestellt wurden. Zeigten einzelne junge Männer eine besondere Begabung für Musik, indem sie etwa einen »hübsch[en] Discant«103 – also die höchste und zumeist führende Stimme eines Musikstücks – sangen, oder beherrschten sie ein Instrument, so empfahl ihnen Falk ausdrücklich eine Ausbildung zum Kantor.

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101 102 103

15/N 55, Bd. 3, Bl. 473r.; Brief Carl Gottfried Thielos an Johannes Falk, Weimar 10. Dezember 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 16, Bl. 20r.–20v., hier Bl. 20r. Brief von Ferdinand Asverus an Johannes Falk, Jena, 17. August 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 261r.–262r., hier Bl. 261v. Ebd., Bl. 262r. Aufzeichnungen über Johann Gottlieb Kunze, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 251v. Ebd. Vgl. Art. »Sänger (Discant-)«, in: Krünitz, Johann Georg: Ökonomischtechnologische Enzyklopädie. 136 (1824), S. 379f. (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/).

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Die Auswahl der Seminaristen erfolgte letztlich immer durch Johannes Falk, der die finanzielle Förderung der heranwachsenden Männer und deren Unterbringung in der Residenzstadt Weimar organisierte. Andererseits entschied aber auch Karl Friedrich Horn – Leiter des Weimarer Seminars – aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen dem Falkschen Institut und dem Landschullehrerseminar über die Aufnahme der jungen Männer. Bei der Beurteilung geeigneter Kandidaten legte Falk ein besonderes Augenmerk auf die moralische und geistliche Entwicklung der Heranwachsenden, während Horn in erster Linie über die intellektuellen Voraussetzungen der Anwärter entschied.104 Um einem von Falk im Weimarer Schullehrerseminar beobachteten Sittenverfall im Johanneum vorzubeugen,105 wählte Falk besonders religiöse Seminaristen aus, die sich dadurch zur Aufsicht und Erziehung der Zöglinge qualifizierten.106 »Händelmacher, Streitköpfe, Ränkeschmiede, Verleumder, [und] Lügner«107 galt es, innerhalb des Probejahres zu erkennen, damit ihnen eine andere Aufgabe – beispielsweise als Handwerker oder als Schreiber – zugewiesen werden konnte. Neben der moralisch-christlichen Integrität der zukünftigen Lehrer setzte Falk musikalische Fähigkeiten und Kenntnisse der deutschen Sprache, des Lateinischen oder des Griechischen voraus. Zu den wichtigsten Fertigkeiten der angehenden Lehrer zählte das Orgelspiel, das von jedem Seminaristen erlernt werden musste, weil diese den sonntäglichen Gottesdienst musikalisch zu begleiten hatten. »Des Stümperns ist schon jetzt kein Ende«, bemerkte Falk, der in der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen festgestellt hatte, dass »die Weimarische und Erfurtische Grenze […] nach dem guten und schlechten Orgelspiel«108 zu erkennen sei. Da das Schullehrerseminar nicht über eine eigene Orgel verfügte, übten die Seminaristen auf der Orgel im Gymnasium, in der Stadtkirche oder in der Hofkirche.109 104

105 106

107

108

Vgl. beispielsweise Zeugnis Karl Friedrich Horns für Johann Heinrich Paul Schulz, Weimar 20. Dezember 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 132r. Vgl. Kapitel III.3.4. Vgl. Brief [Abschrift] Johannes Falks an Herrn Gerichtssekretär, [Weimar] o. D., in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 158v.–160v. Falk, Johannes: Johanneum für zwölf junge christliche Landschullehrer, in: Johannes Falk. Pädagogische Schriften. Bearb. von Ernst Schering (= Kleine Pädagogische Texte; 40). Weinheim und Berlin 1967, S. 81. Anmerkungen zum Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 02.07.1819, in: ThHStAW B 4396, Bl. 59r.–60r., hier Bl. 59v.

Das Personal

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Schon im Aufnahmeverfahren wählte Johannes Falk unter den potentiellen Anwärtern diejenigen aus, die in seinen Augen am besten dem Idealbild eines zukünftigen Lehrers entsprechen würden. Falk orientierte sich nicht am jeweiligen Alter des Heranwachsenden, sondern prüfte von Fall zu Fall, wer in die engere Auswahl für das Seminar kam. Erst 1826 veröffentlichte das Eisenacher Oberkonsistorium eine Bekanntmachung, in der neben einer gesunden körperlichen Konstitution und religiösen, musikalischen, rhetorischen und orthographischen Kenntnissen auch die Vollendung des 18. Lebensjahres von den Anwärtern erwartet wurde.110 Trotz dieser genauen Auswahl eignete sich nicht jeder Seminarist für den Lehrerberuf. Wie unterschiedlich die Eignung eines Seminaristen beurteilt wurde, welchen großen Einfluss Falk auf diese Entscheidung hatte und wie auch Männlichkeitsvorstellungen in den Auswahlprozess einflossen bzw. sogar bewusst instrumentalisiert wurden, verdeutlicht der Fall des aus dem nordwestlich von Weimar gelegenen Ottstedt am Berge stammenden Johann Herbert Andreas Schmidt. Nach seiner ersten Begegnung mit dem 12-jährigen Sohn eines Schneidermeisters notierte Falk, dass sich Schmidt eine Unterstützung wünsche, »um in die Stadt zu kommen und ein Landschullehrer zu werden«111. Im Jahr 1818 legte Schmidt unter der Leitung Karl Friedrich Horns die Eignungsprüfung für das Seminar ab und stellte seine Fortschritte in der lateinischen und deutschen Sprache unter Beweis, sodass Horn Falk empfahl, den Heranwachsenden »auf sein [Schmidts] Begehren in das Seminarium auf[zu]nehmen«112. Karl Friedrich Horn wusste sehr genau, dass Falk nicht allein auf die intellektuellen Fähigkeiten der Heranwachsenden schaute, sondern persönliche Eigenschaften der jungen Männer in seine Beurteilung einfließen ließ. »Halten Sie es für ihn, seiner Persönlichkeit halber, für besser, dass dieß wieder zurückgehe, so kann dieß geschehen«113, schränkte 109

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Vgl. ebd. In anderen Seminaren gab es ebenfalls nur wenige Übungsorgeln, da die Anschaffungskosten erheblich waren. Vgl. Voltz, Karen: Orgelunterricht in der seminaristischen Lehrerbildung (= Beiträge zur Geschichte der Musikpädagogik; 12). Frankfurt am Main 2002, S. 97f. Vgl. Hercher, Karl Wilhelm: Die Gesetze und Verordnungen welche das Volksschulwesen im Großherzogthum S. Weimar-Eisenach betreffen und noch in Kraft sind. Jena 1845, S. 1f. Aufzeichnungen über Johann Herbert Andreas Schmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 368v.–370r., hier Bl. 368v. Brief Karl Friedrich Horns an Johannes Falk, [Weimar] 4. Oktober 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 377r.–377v., hier Bl. 377r. Ebd.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Horn seine Entscheidung für die Aufnahme Schmidts ins Seminar ein. Zu diesem Zeitpunkt konnte Falk noch nicht ahnen, dass Schmidt, den er als »artiges Bürschchen«114 wahrgenommen hatte, den moralischen Anforderungen an einen Seminaristen nicht entsprechen würde und sich deshalb zunächst dem Votum Karl Friedrich Horns anschloss. Wie kam Johannes Falk zu der Überzeugung, dass Schmidt als »artiges Bürschchen«, als sanftmütiger und ruhiger Junge die besten Voraussetzungen für das Seminar mitbrachte? Aus den Quellen geht nicht hervor, dass Falk Johann Herbert Andreas Schmidt über einen längeren Zeitraum persönlich kennen gelernt oder mit ihm zusammengelebt hat. Falks Einschätzung resultierte in erster Linie aus den Beurteilungen des Weimarer Handwerkermeisters Tittelbach, bei dem Schmidt lebte. Tittelbach beschrieb den jungen Schmidt als einen Heranwachsenden, »der nicht ohne Anlage sich dem Dienste der Kirche widmen will, und auch durch seine sittliche Aufführung die besten Hoffnungen regt«115. Auf dieses Urteil eines älteren Mannes, der Schmidt aus dem tagtäglichen Umgang kannte, hatte sich Falk verlassen, sodass er nicht an Schmidts Eignung zweifelte. Tittelbachs Aussage bestätigte Falks ersten Eindruck vom »artigen Bürschchen« Schmidt. Ein zweiter Umstand mag dazu beigetragen, dass Falks Wahrnehmung des jungen Mannes nachhaltig beeinflusst wurde. Beim ersten Zusammentreffen begleiteten Johann Herbert Andreas Schmidt dessen Vater und der Pfarrer Töpfer von Ottstedt am Berge, die sich gemeinsam für die Seminarausbildung des Sohnes bzw. des jungen Gemeindegliedes aussprachen. Die Anwesenheit der beiden erwachsenen Männer bestärkte Falk in der Annahme, dass Schmidt als moralisch geeigneter Kandidat in das Seminar aufzunehmen sei. Vermutlich traute Falk insbesondere dem Pfarrer zu, als glaubwürdigen Fürsprecher des Heranwachsenden aufzutreten. Sowohl Schmidts Vater, der seinen ältesten Sohn selbst im Schneiderhandwerk unterrichtete und seine Kinder zur Arbeitsamkeit anhielt, als auch der vertrauenswürdige Pfarrer entsprachen Falks Männlichkeitsideal, das sich durch Religiösität, Verantwortungsbewusstsein und Arbeitsamkeit auszeichnete und dem junge Seminaristen nachfolgen sollten. Geschlechterentwürfe wurden demzufolge als Konzepte interpretiert, die von der älteren Generation auf die jüngere Generation übertragen wurden. Aus diesem Grund traten der Schneidermeister Schmidt und Pfarrer Töpfer gemeinsam bei Falk auf, hofften sie doch mit ihrer Anwesenheit – 114

115

Aufzeichnungen über Johann Herbert Andreas Schmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 368v.–370r., hier Bl. 368v. Vgl. Quittung Meister Tittelbachs, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 378r.

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gleichsam als Referenz – Falks Wahrnehmung des jungen Schmidt nachhaltig zu beeinflussen. Die Instrumentalisierung positiver älterer Männlichkeitsbilder gelang in diesem Fall, denn Falk nahm den jungen Schmidt allein wegen der noch fehlenden und zu entwickelnden intellektuellen Fähigkeiten nicht sofort in das Seminar auf. Dass die Fürsprache älterer Männer aber nicht unbedingt ein Garant für die christlich-moralische Entwicklung eines heranwachsenden Mannes war, illustriert Johann Herbert Andreas Schmidts weiterer Werdegang sehr deutlich. Nach der Aufnahme in das Lehrerseminar zeigte Schmidt Verhaltensweisen, die dem Bild des »artigen Bürschchens« widersprachen. Schmidt nahm nicht an den obligatorischen Bibelstunden des Falkschen Instituts teil,116 sondern hielt »mit andern Schülern Spielgesellschaft«117. Das dabei eingesetzte und häufig verlorene Geld erschlich er sich von seinem Vater, der es ihm für den Kauf neuer Stiefel gegeben hatte. Ebenfalls änderte der Handwerksmeister Tittelbach seine Meinung über den Jugendlichen, der sogar im Haus seines Pflegevaters um Geld spielte und andere Seminaristen dazu verführte: »Auch brachte er [Schmidt] immer andere Seminaristen mit, lange hagere Menschen, sie nahmen die Stube mit dem Tisch und dem Kartenspiel ein; oft kamen sie schon Vormittag. Hätte ich es nun gelitten: so kamen sie schon ungefragt und setzten die Tische in die Mitte: da hätte ich das Kartenspielseminarium in meinem Hause gehabt.«118

Johannes Falk drohte dem Seminaristen mit dem Verlust der Unterstützung, sollte er dieses Verhalten nicht ändern. Johann Herbert Andreas Schmidt erkannte selbst, dass er Falks Erwartungen an einen zukünftigen Lehrer nicht entsprechen konnte und stimmte mit Falk überein, die Stelle einem »Würdigern«119 zu geben. Schmidt, der sich nie über seinen zukünftigen Beruf geäußert hatte, fasste den Entschluss, kein Kantor zu werden. Seine Entscheidung begründete er – vermutlich, um später wieder Unterstützung aus dem Falkschen Institut zu erhalten – jedoch nicht mit fehlender christlicher oder moralischer Integrität, sondern mit einem für den Beruf unpassenden Augenleiden und der lutherischen Überzeugung, »in jede[m] Stand was Gutes 116

117 118 119

Vgl. Aufzeichnungen über Johann Herbert Andreas Schmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 368v.–370r., hier Bl. 369r. Ebd. Notizen Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 376v. Brief Johann Herbert Andreas Schmidts an Johannes Falk, Weimar 3. Dezember 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 374r.–375r., hier Bl. 374v.

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leisten«120 zu können. Einen anderen Grund, später nicht als Lehrer zu arbeiten, nannte Schmidt jedoch seinem Pflegevater Tittelbach. »Wer mich zum Kantor macht, der hat es einmal bey Gott zu verantworten«121, erklärte Johann Herbert Andreas Schmidt. In seiner Selbsteinschätzung war es eben jene mangelnde Religiosität – ohne im Detail die Missachtung der christlichen Gebote oder einen unchristlichen Lebenswandel zu benennen –, die ihn für den Lehrerberuf disqualifizierte und die bei der ersten Begegnung zwischen Schmidt und Falk durch die Anwesenheit des Vaters und des Pfarrers in den Hintergrund getreten war. Im Auswahlverfahren war Johannes Falk durch die Instrumentalisierung adäquater Männlichkeitsideale derart beeinflusst worden, dass er Johann Herbert Andreas Schmidts Eignung, die angemessene Erziehung und Ausbildung des jungen Mannes sowie dessen potentielle Entwicklung nicht präzise beurteilen konnte. Weil Johann Herbert Andreas Schmidt selbst nicht gewillt war, sich dem im Falkschen Institut virulenten Männlichkeitsideal eines Landschullehrers anzupassen, verlor er alle Unterstützung. Johannes Falk beunruhigte weniger die negative Entwicklung des jungen Schmidt, sondern dass er sich so getäuscht hatte und nicht den Hoffnungen derer gerecht werden konnte, die vom Falkschen Institut moralisch gefestigte Landschullehrer erwarteten. Mit Seminaristen wie Schmidt stand letztlich der Ruf des ganzen Instituts auf dem Spiel, wenn »solche unsittlichen Menschen, als Spieler u[nd] Trunkenbolde u[nd] vielleicht noch etwas Schlimmeres i[m] Institut erzogen«122 werden. Entgegen seinem selbstgefassten und gegenüber Behörden immer wieder geäußerten Grundsatz, bei der Auswahl geeigneter Seminaristen Religiosität und moralische Integrität als oberste Maßstäbe anzulegen, ließ sich Falk in Aufnahmeverfahren von Zeugnissen und Empfehlungen anderer Erwachsener leiten bzw. durch deren vorbildhafte Männlichkeitsideale beeinflussen. Falk erkannte, dass die Fürsprache erwachsener Männer noch lange kein Garant für eine positive Entwicklung eines Heranwachsenden war, sondern letztlich immer der Wille eines jeden Einzelnen entschied, ob er zu einem Lehrer ausgebildet werden konnte.

120 121 122

Ebd. Notizen Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 376v. Aufzeichnungen über Johann Herbert Andreas Schmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 368v.–370r., hier Bl. 370r.

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2.2.2 Falks Erwartungen und seine eigene Vorbildhaftigkeit Erzieher und Lehrer sollten in Weimar am Beginn des 19. Jahrhunderts beispielhaft bürgerlich tugendhafte Männer verkörpern, die einerseits durch sittliche Aufführung, andererseits durch ihre verinnerlichte Religiosität vorbildhaft wirken konnten.123 Dementsprechend sollten die Lehrer des Instituts nicht ausschließlich als Wissensvermittler fungieren. Vermutlich wurde Falk durch die Eindrücke Karl Friedrich Horns in dieser Annahme bestärkt, der im Sommer 1819 die Erziehungsinstitute von Emanuel von Fellenberg und Johann Heinrich Pestalozzi besucht hatte.124 Zu den jungen Männern im Institut, die Falks Erwartungen an einen zukünftigen Lehrer am besten entsprachen, gehörte Johann Friedrich Kirchner.125 Es ist nicht präzise zu klären, in welchem Umfang Kirchner tatsächlich das Seminarium besuchte und zu den ›echten‹ Seminaristen zählte. Der Heranwachsende übernahm innerhalb des Instituts verantwortungsvolle Aufgaben, die Falk üblicherweise Seminaristen übertrug, weshalb Kirchner durchaus der Gruppe institutsinterner Seminaristen zuzuordnen ist.126 Bei dem 1804 oder 1805 in Brunnhartshausen geborenen Sohn einer Witwe war Falk dessen stark ausgeprägtes »sittl[iche] Wesen«127 aufgefallen.128 Aufgrund dieser vorteilhaften Anlagen entschied sich Falk, Kirchner intensiver als andere Seminaristen zu fördern und ihn in die Familie aufzunehmen. Dabei handelte es sich weniger um eine wohltätige Geste Falks, sondern um einen einvernehmlichen Vorgang, dem Johann Friedrich Kirchner ganz bewusst zugestimmt hatte.129 123

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Vgl. Protokoll der Immediatkommission das Unterricht- und Erziehungswesen betreffend, Weimar 09.04.1818, in: ThHStAW B 4396, Bl. 11r.–13v., hier Bl. 11v. Vgl. Bericht Karl Friedrich Horns an das Oberkonsistorium, [Weimar 1819], in: ThHStAW Bestand Nachlässe Karl Friedrich Horn 12, Bl. 9r.–44r., hier Bl. 23r.; Krumbholz: Volksschule, S. 14. Dieser ist nicht zu verwechseln mit Friedrich Gottlieb Kirchner, der ebenfalls Seminarist war. Friedrich Gottlieb Kirchner verstarb jedoch bereits am 8. März 1818 im Alter von 20 Jahren. Vgl. Sterberegistereintrag für Friedrich Gottlieb Kirchner, in: KA WE SR SK, 1818, fol. 132, Nr. 36. Ernst Schering und Georg Mlynek apostrophieren Kirchner als Gehilfen und Seminaristen. Vgl. Falk: Tagebuch, S. 166 und 269. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Christian Schreiber, Weimar 26. März 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 650r.–651r., hier Bl. 650v. Im Rahmen der Grundsteinlegung des Betsaales im Lutherhof 1823 notierte Falk, dass Kirchner 18 Jahre alt gewesen sei. Vgl. Wie Johannes Falk den Grundstein zum Betsaal legt, in: GSA NZ 19/07,1, S. 60–67, hier S. 61. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Christian Schreiber, Weimar 26. März

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Falk lag bezüglich seiner Einschätzung Kirchners richtig. Das »sittliche Wesen« des jungen Mannes zeichnete sich konkret dadurch aus, dass Kirchner unangebrachtes Verhalten Gleichaltriger oder jüngerer Zöglinge erkannte und Johannes Falk derartige Vorfälle meldete. Beispielsweise registrierte Kirchner unerlaubte sexuelle Beziehungen von weiblichen Zöglingen zu älteren Männern, die einander bei Festen begegneten.130 Hatte Kirchner nicht die Aufsicht über einen Zögling zu führen, so schlief er zusammen mit Johannes Falk in einem Zimmer, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft die jüngsten Kinder von der Amme betreut wurden.131 Zu Edmund, Gabriele und Bernhard Falk hatte Kirchner eine herzliche Beziehung, sodass er sie bei längerer Abwesenheit in Briefen ausdrücklich grüßen ließ.132 Falk berichtete seiner Frau, wie sich insbesondere Gabriele »ausnehmend mit Kirchner ergötzt« und »an ihm hängt«133. Aus diesem Grund gehörte ›Kirchner‹ zum ersten Wortschatz des Kleinkindes. Falk beschrieb den jungen Mann als kinderlieb. Er erlebte Kirchner im täglichen Umgang und charakterisierte ihn als einen »weiche[n] gute[n] Junge[n,] dem immer gleich die Thränen in die Augen kommen«134. Innerhalb des Falkschen Instituts wurde Kirchner zu einem wichtigen Gehilfen Falks, der anderen Zöglingen gegenüber Falks Meinung artikulierte.135 Kirchner verantwortete die Aufsicht über neue Zöglinge, die mitunter überraschend im Lutherhof eintrafen. Johannes Falk unterstellte Kirchner etwa den kriminellen und sogar einige Jahre älteren Johann Heinrich Pause, den der Seminarist auch unterrichten sollte. 136 Obwohl

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1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 650r.–651r., hier Bl. 650v.; Falk: Tagebuch, S. 166. Vgl. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 29. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 44r.–45r., hier Bl. 44r. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 10. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 107. Stück, Bl. 223r.–224r. Vgl. Brief Johann Andreas Banks an Johannes Falk, Weimar 17. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 334r.–335r., hier Bl. 335r. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 105. Stück, Bl. 215r.–218v., hier Bl. 215r. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 14. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 106. Stück, Bl. 219r.–222r., hier Bl. 2211r. Vgl. Brief Johann Gottlieb Kunzes an Johannes Falk, Weimar 7. April 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 257r. Vgl. Aufzeichnungen über Johann Heinrich Pause, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 192v.; vgl. Brief an Johannes Falk, Berka 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 200r.–200v., hier Bl. 200r.

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Kirchner die besten moralischen Voraussetzungen eines Seminaristen für die Erziehung auffälliger Zöglinge mitbrachte und als positives Vorbild auf die Heranwachsenden wirken konnte, resultierten in der Erziehungspraxis und im Zusammenleben mit anderen Zöglingen gerade aus Kirchners ruhigem Charakter nicht selten Probleme. Als Kirchner den im August 1821 neu aufgenommenen Johann Heinrich Pause vorübergehend auf einem Kanapee im Verwaltungszimmer137 des Lutherhofes übernachten ließ, traf er keine geeigneten Maßnahmen, ein heimliches Entlaufen des Zöglings zu verhindern. »Da aber kein Schlüssel dazu da ist, und nicht zugeschlossen werden könnte, wie ein Gefängniß, so war er [Johann Heinrich Pause] ehe Kirchner munter geworden, über alle Berge.«138 Kirchner war derartiges Verhalten wie das Stehlen oder Lügen unvertraut, sodass er als »Beobachter« über andere Zöglinge nie »etwas Schlechtes vermuthet«139 hat. Im Gegensatz zum Seminaristen Kirchner zeichnete sich Pause durch »viel Gewandtheit« aus und war darüber hinaus »verschmitzt«140, weshalb es ihm immer wieder gelang, trotz der Vorbildwirkung und Aufsichtsfunktion Kirchners aus dem Institut zu entlaufen oder Diebstähle zu verüben. Wenngleich Johannes Falk Kirchner wegen seines vorbildhaften Verhaltens ausgewählt hatte, verlangte die erzieherische Tätigkeit von einem Seminaristen weitergehende, Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen zeigende Charaktereigenschaften ab, die Kirchner, der etwas »Zartes und Verschüchtertes«141 an sich hatte, offenbar noch nicht entwickelt hatte. Von einer Reise nach Magdeburg, Bremen, Lübeck, Hamburg und Kopenhagen, auf der Kirchner für das 1822 erschienene »Vater unser«142 und den in Vorbereitung befindlichen »Allgemeinen christlichen Glauben«143 Subskribenten und Pränumeranden geworben hatte,144 kehrte er 1825 137

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Falk spricht von einer Expedition im Lutherhof, also von einem zweckbestimmten Zimmer, wie es bereits in der Esplanade existiert haben muss, vgl. Art. »Stube (Expeditions-)«, in: Zedler Bd. 40, Sp. 1166. Aufzeichnungen über Johann Heinrich Pause, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 192v.– 197v., hier Bl. 196v. Ebd., Bl. 197r. Ebd., Bl. 192v. Falk: Tagebuch, S. 173. Falk: Vater unser. Falk, Johannes: Der allgemeine christliche Glaube mit Chorälen und Kupfern, wie solcher im Luthershofe zu Weimar mit den Zöglingen der Freunde in der Noth gesungen und volksmäßig durchsprochen wird. Weimar 1826. Vgl. Heufert: Falk, S. 202–204.

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nicht mehr nach Weimar zurück.145 Kirchner engagierte sich mit großem Erfolg auf der Reise für das Falksche Institut, wie es die Übersichten der Subskribenten und Pränumeranden belegen, die entweder den Kauf eines der Werke zugesichert bzw. bereits konkrete Geldzahlungen geleistet hatten.146 Obwohl Kirchner wegen seiner moralischen und sittlichen Aufführung als Mitarbeiter und Seminarist ausgewählt wurde, bedeutete es nicht zwangsläufig, dass er sich auch für pädagogische Aufgaben qualifizierte. Kirchner verfolgte andere berufliche Ziele jenseits pädagogischer oder karitativer Aufgabenfelder. In Lübeck ließ er sich schließlich als Kunstgärtner nieder.147

2.2.3 Aufgaben der Seminaristen Innerhalb des Falkschen Instituts nahmen die Seminaristen eine Sonderstellung ein. Einerseits wurden sie selbst vom Institut unterstützt und ausgebildet, andererseits sollten sie anderen Zöglingen zum Vorbild dienen und ihrerseits Normen und Verhaltensweisen Falks weitergeben. Um den Prozess der Wertevermittlung optimal zu gestalten, schlug Falk vor, dass je zwei Zöglinge zusammen mit einem Seminaristen im Institut lebten.148 Weil sich die jungen Männer eine Stube teilten, waren die Heranwachsenden so auch außerhalb des Unterrichts unter der Aufsicht eines Älteren, der für die Erziehung der beiden Schutzbefohlenen zu sorgen hatte. In Weimar war es durchaus üblich, dass Seminaristen mit den von ihnen zu unterrichtenden Jungen zusammen wohnten, um diese »in müssigen Stunden«149 zu beaufsichtigen und ihnen »mit gutem Beispiel«150 voranzugehen. Ob diese Lebensweise in Kleingruppen tatsäch145

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Vgl. Denner, Johannes: Das Leben des württembergischen Pfarrers Johannes Denner, ehemaliger Schüler des Falk’schen Instituts zu Weimar, von ihm selbst beschrieben. Hrsg. von Heinrich Merz (= Lebensbilder aus der Geschichte der inneren Mission; 8). Hamburg 1860, S. 77. Vgl. Falk: Glaube, S. 75, 78–80. Für das »Vater unser« konnten 168, für den »Allgemeinen christlichen Glauben« 867 Subskribenten geworben werden. Im Voraus zahlten Pränumeranden für 3341 Exemplare des »Allgemeinen christlichen Glaubens« 4216 Taler. Vgl. Denner: Leben, S. 35. Vgl. Gegensätze 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 310v.–311r. und 322r.–323r., hier Bl. 322r. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 55 vom 10.07.1829, S. 340. Brief Andreas Götzes an Johannes Falk, Weimar 25. Januar 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 521r.–522v., hier Bl. 521r.

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lich in den Räumlichkeiten des Falkschen Instituts umgesetzt wurde, ist zu bezweifeln. Vor dem Kauf des Lutherhofes fehlten dafür die räumlichen Kapazitäten, damit Seminaristen und Zöglinge in Dreiergruppen zusammen wohnen konnten. Mit dieser Methode kompensierte Falk das Fehlen einer größeren Anzahl von ausgebildeten Lehrkräften. Die Seminaristen wohnten mit ein bis zwei Zöglingen in Pflegefamilien oder unterrichteten einen ihnen zugewiesenen Zögling.151 »So kam es denn, daß solch junge Seminaristen Führer und Erzieher der ganz Verwahrlosten wurden.«152 Aber nicht nur mit schwer zu erziehenden Zöglingen wohnten die Seminaristen zusammen: »Fiedler, aus Oberndorf, Seminarist. […] Es führt derselbe den kleinen Netz aus Jena, der ebenfalls ein Landschullehrer zu werden gedenkt und bey ihm wohnt, mit anscheinend gutem Erfolg.«153 Die Seminaristen wirken demzufolge ebenfalls vorbildhaft auf jüngere Seminaristen. Das zu Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen Gegenden Deutschlands aufgrund der großen Klassenstärke verbreitete Prinzip des wechselseitigen Unterrichtens setzte sich im Falkschen Institut auf allen Ebenen, auch außerhalb der eigentlichen Unterrichtsstunden, durch.154 Konflikte zwischen Seminaristen und auffälligen Jugendlichen waren erwartungsgemäß keine Seltenheit. Falk konstatierte aber auch Schwierigkeiten in Sozialisationsprozessen besonders talentierter Zöglinge. Waren Zöglinge in ihrer schulischen Ausbildung vorangeschritten, so widersetzten sie sich häufig den Erziehungsmaßnahmen der Seminaristen. »Es läuft nämlich wider die Ehre dieses wortnärrischen Geschlechts, sich von Seminaristen, als Primaner, etwas sagen zu sagen.«155 Ebenso hatte auch August Daniel von Binzer davon abgeraten, sämtliche Unterrichtsstunden von Seminaristen abhalten zu lassen, um die Aufmerksamkeit und die echte Religiosität der Schüler zu fördern.156 151

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So unterrichtete beispielsweise Seminarist Fiedler täglich den aus Eisenach stammenden und zu kriminellen Handlungen neigenden Brühl. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Brühl, [Weimar 1816], in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 52r.–59r., hier Bl. 57v. Reis: Falk, S. 40. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. Caruso, Marcelo: Geist oder Mechanik: Unterrichtsordnungen als kulturelle Konstruktionen in Preußen, Dänemark (Schleswig-Holstein) und Spanien 1800–1870. Frankfurt am Main 2010, S. 188–190. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 105. Stück, Bl. 215r.–218v., hier Bl. 215r. (Unterstreichungen im Original).

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Vertrauenswürdige Seminaristen unterstützten Johannes Falk bei der Verwaltung des Instituts. Ob die Seminaristen ihren Verpflichtungen nachkamen, beaufsichtigte einer der ältesten und von Falk sehr geschätzten Seminaristen Johann Georg Rettner. Der Seminarist meldete Falk schriftlich, wenn seine Kollegen nicht an den Bibelstunden im Institut teilnahmen oder zu erteilenden Unterricht ausfallen ließen.157 Diese Auskünfte erwartete Falk ebenso von den zukünftigen Schullehrern wie eine besondere Zuverlässigkeit, die sie bei der sorgfältigen Rechnungsführung des Monatsbuches unter Beweis stellen konnten.158 Vertrauenswürdige Seminaristen schickte Falk auf Reisen, um Subskribenten und Pränumeranden für erschienende oder im Entstehen begriffene literarische Werke zu werben.159 In Weimar nahm Falk die Dienste der jungen Männer oft bis tief in die Nacht hinein in Anspruch, die ihm als Sekretäre bei seinen Korrespondenzen behilflich waren. Sie wurden mit Falks unermüdlichem Arbeitsethos konfrontiert. In Falks Gegenwart versuchten sie, diesem Anspruch gerecht zu werden, wenn sie »manche liebe Nacht« mit ihm »durchwacht« und sich kaum »mürrisch darüber gezeigt«160 hatten. Zu den wichtigsten Aufgaben der Seminaristen im Falkschen Institut zählte der Unterricht jüngerer Zöglinge. Dies geschah sowohl im Einzelunterricht als auch in einer größeren Gruppe in der Bibelstunde bzw. in der Sonntagsschule.161 Neben elementaren Schulkenntnissen oder weiterführenden Fremdsprachen, die zum Besuch des Lehrerseminars oder einer Universität befähigen sollten, gaben einzelne Seminaristen wöchentlich bis zu vier Privatstunden Unterricht im Violinen-, Klavier- oder Klarinettenspiel.162 Dadurch erwarben die zukünftigen Landschullehrer jene methodischen und didaktischen Kompetenzen, die Falk bei den die Sonntagsschule abhaltenden Pfarrern vermisste.163 156

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Vgl. Brief August Daniel von Binzers an Johannes Falk, Jena 4. August 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 493r.–495v., hier Bl. 495r. Vgl. Billett Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 3. April 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, 254r. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. III. Vgl. Brief Andreas Götzes an Johannes Falk, Halle 26. August 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 529r. Brief Andreas Götzes an Johannes Falk, Weimar 25. Januar 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 521r.–522v., hier Bl. 522r. Vgl. beispielsweise Aufzeichnungen über Brühl, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 52r.– 59r., hier Bl. 57v.; Reis: Falk, S. 37. Vgl. Aufzeichnungen über Schöning, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 407v.; Billett Johann Georg Rettners an Johannes Falk, 3. April 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 254r.

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2.2.4 Das Scheitern an Falks Arbeitsethos Falk erwartete von seinen Seminaristen eine ähnlich aufopferungsvolle Hingabe für ihren zukünftigen Beruf, wie er es von sich selbst einforderte. Im Fall des aus Bürgel stammenden Seminaristen Johann Heinrich Krause zeigte sich 1820 sehr deutlich, wie stark die Grundsätze der Seminaristenausbildung an Falks eigenem Arbeitsethos ausgerichtet waren und dass sich Falk selbst als positives Vorbild stilisierte, dem jeder Seminarist nachzufolgen hatte. Im Jahr 1819 wurde Johann Heinrich Krause, der vom Pfarrer seiner Heimatgemeinde im Lateinischen und Griechischen unterrichtet wurde,164 unter Berücksichtigung des vom Bürgeler Bürgermeister eingesandten Empfehlungsschreiben in das Lehrerseminar aufgenommen und durch die Gesellschaft der Freunde in der Not materiell unterstützt,165 woraus für den jungen Seminaristen die Verpflichtung resultierte, sowohl an den Andachten und Unterrichtsstunden teilzunehmen als auch selbst Stunden für das Falksche Institut zu geben. Schon unmittelbar nach Aufnahme des neuen Seminaristen Krause im Frühjahr 1819 gab es erste Schwierigkeiten, als der Heranwachsende nur unregelmäßig bzw. gar nicht an den Stunden im Institut teilnahm. Krause, der eine schwache körperliche Konstitution und eine labile gesundheitliche Verfassung besaß, klagte im April 1819, dass er unmöglich zum nächsten Monatsanfang nach Weimar ins Institut kommen könne, da ihn ein »heftiger Schnupfen«166 befallen habe. Ungeachtet der Tatsache, ob diese Entschuldigung nur vorgeschoben oder gerechtfertigt war, versicherte Krause im selben Brief aufrichtig, dass bei Falk oder den Wohltätern nicht der Verdacht aufkeimen solle, dass er träge und faul sei. Trotz seiner gesundheitlichen Einschränkung wollte Krause als unablässig arbeitender junger Mann wahrgenommen werden, wodurch er Falks Erwartungen und denen der Wohltäter gerecht zu werden hoffte. Deshalb gab er einzelnen Schülern Lateinunterricht und nahm an den mittwochs 163

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Vgl. Brief [Entwurf] Falks an die Immediatkommission, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 487r.–488v., hier Bl. 487v.; Reis: Falk, S. 41. Vgl. Brief Georg Horns an Karl Friedrich Horn, Bürgel 10. März 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 336r.–337r., hier Bl. 336r.; Brief Georg Horns an Johannes Falk, Bürgel 2. April 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 340r.–340v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Heinrich Krause, [Weimar 1820], in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 341r.–346r., hier Bl. 341r. Brief Johann Heinrich Krauses an Johannes Falk, Bürgel 29. April 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 351r.–351v., hier Bl. 351r.

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und sonnabends im Institut stattfindenden Singstunden und den täglichen Andachtsübungen teil.167 Im Herbst desselben Jahres sah Johann Heinrich Krause ein, dass er den Anforderungen eines jungen Seminaristen nicht gewachsen war und entschied sich, das Institut zu verlassen. Als Gründe führte er seine sitzende Tätigkeit über den Lehrbüchern bis weit in die Nacht hinein an, die – ebenso wie die zwei bzw. drei von ihm zu gebenden Stunden – seiner Gesundheit sehr abträglich sei. »Denn dieses, wie Sie wohl selbst einsehen, hat nicht nur den größten Nachtheil für eine so kränkliche Brust, wie die meinige, sondern bewirkt auch bei mir die heftigsten Verstopfungen im Unterleibe, und zieht verschiedene krampfhafte Zufälle nach sich.«168 Krause rechtfertigte auch diese Entscheidung mit dem Hinweis auf seine Gesundheit, um nicht als »ein Fauler und Nichtsthuer [zu] erscheinen«169. Ohne die Pflicht, selbst weiter Zöglinge Falks zu unterrichten, wollte Krause trotz seiner körperlichen Defizite zumindest das Pensum des Landschullehrerseminars erfüllen. Die Aufnahme eines pädagogischen Berufes aufgrund einer schwachen körperlichen Konstitution war in den meisten Fällen die einzige Alternative zu einem körperlich anstrengenden Handwerksberuf oder einer Tätigkeit in der Landwirtschaft. Auch für diese Aufgaben fühlte sich Johann Heinrich Krause viel zu schwach.170 Sollte er weiter unter den in seinen Augen gesundheitsschädlichen Bedingungen im Institut arbeiten müssen, würde er sich »selbst aufreiben« und sein »Selbstmörder«171 werden. Mit diesem Vergleich überspitzte Krause seine körperlichen Gebrechen.172 Falk informierte – entgegen der gängigen Praxis – die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not, die Krause unterstützten. Falk, der Krauses Äußerung nicht als Selbstmordankündigung, sondern als drastische Schilderung seines gesundheitlichen Zustandes verstand, spottete: »Was will denn um Gottes Willen, besagter Krause werden, wenn er 167 168

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Vgl. Quittung Johann Heinrich Krauses, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 349r. Brief Johann Heinrich Krauses an Johannes Falk, o. O. 29. Oktober 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 356r.–357r., hier Bl. 356v. Ebd. Vgl. Brief [Kopie] Johannes Falks an Andreas Götze, Weimar 22. Januar 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 523r.–523v., hier Bl. 523v. Brief Johann Heinrich Krauses an Johannes Falk, o. O. 29. Oktober 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 356r.–357r., hier Bl. 356v. Vgl. Lind, Vera: Selbstmord in der Frühen Neuzeit. Diskurs, Lebenswelt und kultureller Wandel (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 146). Göttingen 1999, S. 144.

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durch 4 Lateinische Stunden, die er wöchentlich giebt, fürchtet, ein Selbstmörder zu werden.«173 Stattdessen bekräftigte Falk die »goldene alte Regel«174, wonach beispielsweise auch die Schüler in der Naumburger Klosterschule einander gegenseitig unterrichteten. Außerdem hatte das Institut Krauses Verpflichtungen in den Abendstunden bereits verringert, sodass »ihm nichts weiter ob[lag], als Stücken aus Hiob, aus dem Psalter aus Jesajas in Luthers kraftvoller Uebersetzung und dazwischen Chören […] zuzuhören und zugleich die jüngern Schüler in Ordnung und Ruhe zu erhalten, an welchem Allen, […] bis jetzt noch Niemand gestorben ist, freylich musste er hier eine Stunde stehen«175.

Diese Arbeitsanforderungen der Seminaristen resultierten aus Falks eigenen Erfahrungen in seiner Schulzeit und aus dem Arbeitsethos. »Ich habe als Schüler selbst 6 Stunden den Tag und nicht etwa bloß im Latein, sondern auch mitunter im A. B. C. unterrichten müßen und bin nicht gestorben«176, rechtfertigte Falk das Arbeitspensum der Seminaristen. Ungeachtet der fehlenden Quellen, die Falks eigene Unterrichtstätigkeit in dieser quantitativen Ausdehnung belegen würden, verdeutlicht der Hinweis, dass seine eigenen Vorstellungen von Arbeit und Leistung auch für die zukünftigen Lehrer galten, sodass die Erleichterungen für Krause als Zugeständnisse an den jungen Mann gewertet werden können. Weitergehende Vorteile oder gar einen vollständigen Erlass der Unterrichtspflicht konnte Falk Krause unmöglich zugestehen. »Wie will er [Krause] aber«, fragte sich Falk, »wenn ihm dieß jetzt schon zu schwer wird, und dem Selbstmord aussetzt, einst auf der Kanzel stehen, oder irgend einen Beruf in der Welt verwalten. Da ist am Besten, er geht nach Bürgel und läßt sich in einer Krankenanstalt verpflegen.«177

Krauses körperliche Defizite wurden nur so lange geduldet, wie sie dem Arbeitsethos Falks nicht im Wege standen. Noch 1795 hatte Falk den Abbruch seines Theologiestudiums in Halle mit einer gesundheitlich angeschlagenen Lunge begründet, um die dahinterliegenden Ursachen – seine Überzeugung, zum Dichter berufen zu sein, und die fehlenden geistlichen Voraussetzungen für das Pfarramt – nicht offenlegen zu müssen.178 173

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Aufzeichnungen über Johann Heinrich Krause, [Weimar 1820], in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 341r.–346r., hier Bl. 343r. Ebd. Ebd., Bl. 343v. Ebd. Ebd., Bl. 343v.–344r.

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Dass sich Krause in einer ähnlichen Lage wie er selbst einst befand, war Falk fremd. Vor dem Hintergrund der oft schwierigen persönlichen Lebensumstände, aus denen die Zöglinge des Instituts kamen, setzte Falk hohe Maßstäbe bei der Auswahl und Ausbildung der Seminaristen an, die christliche und moralische Tugenden sowie sein Arbeitsethos verinnerlichen sollten. Dass dieser Anspruch Falks nur die idealisierte Vorstellung vom Bild des Lehrberufes widerspiegelt, ohne die in der Unterrichtspraxis notwendige Durchsetzungskraft oder körperliche Gesundheit der zukünftigen Lehrer zu berücksichtigen, verdeutlichen die 1838 von Caroline Falk geäußerten und erstaunliche Parallelen zum Fall Krauses aufweisenden Bedenken, als es um die berufliche Zukunft ihres Sohnes Edmund ging. Edmund Falk hatte zunächst in Jena ein Jurastudium begonnen. Inzwischen hatte sich die angespannte finanzielle Situation der Familie in Weimar herumgesprochen, weshalb Caroline Falk geraten wurde, den Sohn zur Seminaristenausbildung nach Schnepfenthal zu schicken.179 Ob der Sohn den väterlichen Anforderungen an einen Seminaristen genügen würde, ließ Caroline Falk offen. Für sie selbst stand hingegen fest, dass »man bey den rohen Seminaristen u Schülern auf vielerley Weise zu imponieren wissen [muss], sowohl durch die Gestalt, als durch Kraft und Ausdauer in der Stimme«180. Dass der gesundheitlich angeschlagene Sohn unter diesen Bedingungen die Ausbildung bestehen würde, bezweifelte sie stark.

3. Orte der Geschlechtertrennung im Falkschen Institut Im Aufbau des Falkschen Instituts spiegelten sich recht deutlich normativ geprägte Vorstellungen über die Trennung der Geschlechter wider. Im Folgenden soll danach gefragt werden, welche räumlichen Strukturen sich im Falkschen Institut herausbildeten, um Geschlechtervorstellungen in die Praxis zu transformieren. Welche Räume waren entweder jungen Frauen oder Männern zugänglich? Welche Orte wurden von beiden Geschlechtern frequentiert? 178

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Vgl. Demandt, Johannes: Johannes Daniel Falk. Sein Weg von Danzig über Halle nach Weimar (1768–1799) (= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; 36). Mainz 1997, S. 138–140. Vgl. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 5. November 1838, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd.

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J. F. Lossius: [Ausschnitt] Grundriss und Cavalierperspektive der Stadt Weimar, 1785 (KSW KPh/6420). I: Markt 22 (›Bluhmsches Haus‹) II: Esplanade 20 (›Reitzensteinsches Haus‹) III: Lutherhof

3.1 Verortung: Das Falksche Institut oder das Institut der Freunde in der Not – Esplanade und Lutherhof Von der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not 1813 bis zu Johannes Falks Tod bewohnte Falk mit seiner Familie und den Institutsangehörigen drei verschiedene Weimarer Gebäude.181 Die Suche und die jeweilige Entscheidung für eine bestimmte Wohnung oder ein Haus verdeutlichen, welcher quantitativen Ausdehnung das Institut im Laufe seiner Entwicklung unterworfen war und welche Möglichkeiten sich daraus für die weitere Erziehung und Ausbildung der Heranwachsenden ergeben haben. Die wechselnden Lokalitäten dienten als zentrale Versammlungsorte einer lose strukturierten Institution. Außerhalb der Instituts181

Vor der Gründung des Falkschen Instituts bewohnten die Falks die 2. Etage im Haus Nr. 22 am Markt.

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wohnung bzw. später des -gebäudes pflegte Falk enge Kontakte zu Handwerkerfamilien, vermittelte Heranwachsende in Lehrstätten oder unterstützte Nähschulen, die ebenfalls Bestandteil des Hilfswerks waren. Im Folgenden konzentriert sich der Fokus auf das Institut als physisch klar umrissenen Raum, in dem das Familienleben der Falks und der Institutsalltag unmittelbar aufeinander trafen. Alle Beteiligten, die Familienmitglieder, die unterstützten Heranwachsenden, aber auch Wohltäter und kritische Beobachter der Aktivitäten des Instituts stellten eigene Ansprüche an die Lokalität, die es zu befriedigen bzw. auszuhandeln galt. Nachdem Caroline und Johannes Falk in Halle am 17. September 1797 geheiratet hatten, zog das Ehepaar nach Weimar und mietete zunächst eine Wohnung im sogenannten ›Bluhmschen Haus‹ (Markt 22) an, das dem Kaufmann Johann Ernst Bluhme (gest. 1801) gehörte.182 Die von der Forschung lange tradierte Vermutung, Falk habe zur Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not im links vom ›Elefanten‹ gelegenen ›Grimmschen Haus‹183 (Markt 18) gewohnt,184 enthält einen doppelten Irrtum. Einerseits bewohnten die Falks nie das ›Grimmsche Haus‹. Andererseits hatte die Familie im Frühjahr 1813 schon mehr als ein Jahr ihr Domizil am Markt verlassen und im ›Reitzensteinschen Haus‹ (Esplanade 20) gelebt.185 Im Dezember 1811 hatten Caroline und Johannes Falk eine Wohnung in dem Quartier gemietet, sodass das Falksche Institut erst nach dem Umzug in die Esplanade entstand. Anfangs lebten die hilfesuchenden Jugendlichen zumindest vorübergehend zusammen mit der Familie Falk, zu der bereits fünf leibliche Kinder zählten. Die angemieteten Zimmer des ›Reitzensteinschen Hauses‹ waren groß genug, um am 4. Februar 1816 – wenige Tage nach dem regelmäßig Ende Januar stattfindenden Stiftungsfest – der Weimarer Bevölkerung noch einmal jene Exponate zu präsentieren, die von den Zöglingen angefertigt worden waren.186 Nicht nur Förderer und Freunde konnten in den neuen Räumen empfangen werden. Die Räumlichkeiten beherbergten die Verwaltung des Hilfswerks, sodass Interessierte dort auch Eintrittskarten für die vom Institut veranstalteten Konzerte beziehen konnten.187 182 183 184

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Vgl. Dietsch: Last, S. 24–26. Friedrich Christian Grimm (1774–1843) Vgl. Elster: Fürsorgeerziehung, S. 98. Elster geht also davon aus, dass in der Wohnung am Markt 200 bis 300 Kinder vorübergehend erzogen wurden. Vgl. Dietsch, Ingrid: Markt, Esplanade und Luthergasse. Wo Falk wohnte, in: Falk-Jahrbuch 1 (2004/05), S. 107–110, hier S. 110. Vgl. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 10 vom 02.02.1816, S. 40. Vgl. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 82 vom 14.10.1817, S. 370.

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Das gemeinsame Zusammenleben der Heranwachsenden mit der Familie Falk in einer Weimarer Mietwohnung konnte nur eine vorübergehende Lösung sein. Abgesehen von den mehr oder weniger konfliktreichen zwischenmenschlichen Begegnungen, die das Leben in einem Mietshaus mit sich brachte,188 galt es auch für die Erziehung der Heranwachsenden besondere Vorkehrungen zu treffen. Das Zusammentreffen der Jugendlichen folgte unter der Aufsicht Falks durchaus normativen dichotomen Geschlechtervorstellungen, indem in der angemieteten Wohnung des ›Reitzensteinschen Hauses‹ junge Frauen und Männer voneinander getrennt unterrichtet wurden. So versammelten sich etwa in der »Unterstube«189 vierzig junge Frauen, um sich unterschiedliche Handarbeitstechniken anzueignen. Die architektonischen Gegebenheiten erlaubten einen nach Geschlechtern getrennten Unterricht, wobei ein unbeaufsichtigtes Aufeinandertreffen von weiblichen und männlichen Heranwachsenden im ›Reitzensteinschen Haus‹ vermutlich nicht vollständig zu unterbinden war, gingen doch zeitgleich andere Zöglinge im Institut ein und aus. Um einen normadäquaten Umgang zu gewährleisten, ist es wahrscheinlich, dass Falk, der mit seinen beiden Vermieterinnen Christiane Henriette von Reitzenstein und der Gräfin Friederike Caroline von Beust freundschaftlichen Kontakt pflegte und der ab 1811 als gerichtlicher Vormund der beiden Frauen fungierte,190 recht früh auf das auf demselben Grundstück befindliche Redoutenhaus zurückgegriffen hat, um so der immer weiter ansteigenden Zahl zu versorgender Kinder und Jugendlicher gerecht zu werden. Erst im Herbst 1817 zog Falk offiziell in das von der Weimarer Bevölkerung für Vergnügungsveranstaltungen genutzte Redoutenhaus ein. In den Quellen finden sich ab 1816 vermehrt Belege dafür, dass Falk für seine Art der Unterstützung die Selbstbezeichnung »Institut«191 wählte. 188

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Ein Beispiel dafür ist der 1819 eskalierende Streit mit einem Mieter, der alle anderen Bewohner physisch und psychisch bedrohte. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks, Weimar 8. November 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 471r.– 472r. Vgl. National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 27.11.1816, Sp. 909. Vgl. Dietsch: Markt, Esplanade und Luthergasse, S. 110. Beispielsweise Schreiben Johannes Falks an die Großherzogliche Weimarer Kammer, Weimar 18. Mai 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 100v.–105v., hier Bl. 100v.; Brief [Abschrift] Johannes Falks an den Erbgroßherzog [Carl Friedrich], Weimar 6. August 1816, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 3r.–4v., hier Bl. 3r.; Rechnung der Gesellschaft der Freunde in der Not an das Amt Großrudestedt, Weimar 15. März 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 213r.–213v., hier Bl. 213v.

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Der Begriff wurde im 18. Jahrhundert als »Einrichtung« aus dem lateinischen »institutum«192 abgeleitet. Als deutsches Äquivalent ist auch bei Falk der Begriff der »Anstalt« anzutreffen. Anders als heute besaßen beide Begriffe ein dynamisches Element, sodass die Anstalt nicht nur einen institutionellen Rahmen, sondern ein konkretes (Hilfs-)Projekt umschrieb.193 Falk verstand den Begriff in einem doppelten Sinne: Das Falksche Institut blieb im Laufe seiner Geschichte eine auf privaten Anstrengungen basierende Unternehmung, die gleichzeitig mit dem Institutsbegriff die besondere Nähe zum Herrscherhaus demonstrierte.194 Weil kein großherzogliches Privileg oder ein Beschluss des Magistrats vorlag, versuchte Falk mit dem Kauf des Lutherhofes dauerhafte Rechtssicherheit für das Institut zu gewinnen. Schließlich war mit der Eigentumsübertragung in der Regel auch der Erhalt des Bürgerrechts verbunden.195 Anders verhielt es sich im Fall des Lutherhofes. Da die jeweiligen Eigentümer des Lutherhofes – es handelte sich um das ›Söllnersche Freihaus‹196 – als Eximierte von städtischen Abgaben befreit waren, erhielt Falk mit dem Kauf nach 1822 nicht das städtische Bürgerrecht.197 Falk 192

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Eine weitere Bedeutungsebene des Begriffs geht auf die Zeit der Reformation zurück. »Institutio« bezeichnete demnach auch die »richtige« Lehre, die es zu bewahren galt. Vgl. Rössler, Dietrich: Grundriß der praktischen Theologie. New York 1994, S. 478f. Vgl. Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke. Der Stifter und sein Werk. Bearb. von Paul Raabe unter Mitw. von Hannelore Ruhle und Elke Stateczny. Ausstellung im Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen vom 21. März 1998 bis 31. Januar 1999. Halle 1998, S. 28f. Zur Wortbedeutung »Institut« vgl. Rymatzki, Christoph: Hallischer Pietismus und Judenmission. Johann Heinrich Callenbergs Institutum Judaicum und dessen Freundeskreis (1728–1736) (= Hallesche Forschungen; 11). Tübingen 2004, S. 32–34. Vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 51. Johann Nicolaus Söllner (1713/14–1783) Ein entsprechender Eintrag im Bürgerbuch Weimars fehlt. Vgl. Bürgerbuch, in: StdAW HA I–37–25. Zu den rechtlichen Besonderheiten von Freihäusern vgl. Art. »Frey-Haus«, in: Krünitz, Johann Georg: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie 15 (1778), S. 55–58 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/). Ich danke Jens Riederer, der mich auf diesen Zusammenhang für den Hauskauf Falks aufmerksam machte. Vgl. auch Günther: Chronik, S. 70; Gräbner, Karl: Die Großherzogliche Hauptund Residenz-Stadt Weimar. Nach ihrer Geschichte und ihren gegenwärtigen gesammten Verhältnissen dargestellt. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde. Erfurt 1830, S. 81. Erst Falks Ehefrau ist nach dessen Tod als Bürgerin

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war sich dieser Praxis nicht bewusst bzw. konnte in Ermangelung einer anderen geeigneten Immobilie nicht auf diesen Umstand Rücksicht nehmen. Am 6. Juli wandte sich Falk an das großherzogliche Stadtgericht.198 In den auf dem Gericht hinterlegten Bestimmungen bezeichnete Falk den Lutherhof als »Erziehungs-Institut armer verlassener Kinder«, dessen Methoden »in einer Zeit voll Gährung und Unruhen«199 hinlänglich erprobt und erfolgreich unter Beweis gestellt wurden. Falk, der mit der Reduzierung seine Arbeit auf arme und auffällige Kinder die Notwendigkeit seiner Festlegungen unterstrich, reklamierte für sich dieselben Vorteile aus dem Weimarer Bürgerrecht, »die mit dem Besitz eines rechtmäßig erworbenen Privateigenthums hiesiger Stadt verbunden sind.«200 Neben der freien Entscheidung über einen Verkauf oder die Besitzübertragung an Dritte bat Falk das Gericht, einen späteren Verkauf nur zu genehmigen, wenn das Institut seine Arbeit an einem anderen Ort unverändert fortsetzen könne.201 Inwieweit Falk mit seinem Anliegen Gehör fand, lässt sich aufgrund der fehlenden Quellenüberlieferung nicht belegen. Als der Weimarer Magistrat Falk 1824 schließlich das Bürgerrecht ehrenhalber übertrug,202 kam er offiziell in den Genuss der von ihm zwei Jahre zuvor eingeforderten Rechte. Wenige Jahre nach der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not wurde das Hilfswerk als eigenständige Institution wahrgenommen, die sich für Heranwachsende verantwortlich zeigte und mit den aufeinander folgenden räumlichen Zentren an der Esplanade und im Lutherhof lokal verknüpft war. Gleichzeitig definierte der Begriff als Selbstbezeichnung weniger einen begrenzten Raum, wie ein Waisen- oder Zuchthaus, sondern subsumierte alle in unterschiedlicher Art und Weise gewährten Hilfen für Jugendliche unter dem Namen Institut. Im Gegensatz zum Waiseninstitut wurde das Falksche Institut nicht in den Staatskalendern des (Groß-)Herzogtums geführt,203 sodass weder Rechte noch Pflichten

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Weimars verzeichnet. Vgl. Eintrag im Bürgerbuch vom 27.11.1827, in: StdAW HA I–37–25, Bl. 144v. Vgl. zur Einrichtung des Stadtgerichts Gesky: Weimar, S. 28. Vgl. Falk, Johannes: Gerichtlich bestätigte Bestimmung des Hauses, Weimar 6. Juli 1822, in: Falk: Glaube, S. 68–70. Die handschriftlichen Ausführungen befinden sich in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 485r.–486r. Falk: Bestimmung des Hauses, S. 68f. Ebd., S. 69. Vgl. ebd., S. 69f. Vgl. Bürgerdiplom Johannes Falks vom 4. Februar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 487r. Vgl. beispielsweise Staatshandbuch 1813, 1816 und 1823.

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der Einrichtung gegenüber staatlichen und kirchlichen Behörden klar geregelt waren. Erst am 1. April 1829 wurde das Institut als eine »Nebenanstalt«204 dem großherzoglichen Waiseninstitut angegliedert. Im Zuge dieser Entwicklungen erhielt das Institut offiziell den Namen »Falk’sches Institut«205, das fortan in einem Haus am Schwansee untergebracht wurde. Die Attributierung Falksches Institut ist hingegen in starkem Maße ein Resultat der späteren Wahrnehmung der karitativen Aktivitäten, als deren treibende Kraft Johannes Falk angesehen wurde. Falk selbst bezeichnete die neue Einrichtung als »Institut [...] der Freunde in der Noth«206, wodurch die große Gruppe der Wohltäter ebenfalls in Erinnerung gerufen wurde. Nicht nur anfänglich, sondern über den gesamten Zeitraum hinweg bot diese Bezeichnung den Spendern die Möglichkeit, sich mit ›ihrem‹ »Instituts der Freunde in der Noth«207 zu identifizieren. Ebenso findet sich diese Formulierung bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts als Fremdbeschreibung.208 Im Herbst 1817 entschloss sich Falk, das ebenfalls in der Esplanade gelegene Redoutenhaus des Reitzensteinschen Besitzes für 110 Taler anzumieten,209 um so auch räumlich die besten Voraussetzungen für die wachsende Zahl der Zöglinge und eine konsequent umgesetzte Geschlechtersegregation zu schaffen. Zusammen bewohnten die Familienmitglieder und die Dienstmädchen zwei Stuben, eine Schlafstube, eine Kammer und eine Vorratskammer, während das Institut fortan über zwei Säle verfügte.210 Falk war es dadurch möglich, die bereits im ›Reitzensteinschen Haus‹ praktizierte Geschlechtersegregation nun räumlich konsequenter umzusetzen, indem er die Räume den Zöglingsgruppen zuordnete – den »großen Saal für die Knaben« und ausdrücklich »der Absonderung wegen« den anderen Saal »für die Mädchen«211. 204 205 206 207

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Ebd. 1830. Ebd. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. II. Mitgliederverzeichnis zu einem Konzert anlässlich des Reformationsfestes 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 131r.–136v., hier Bl. 131r. Vgl. Schreiben der großherzoglichen Stadt-Polizey-Kommission, Weimar 12. Oktober 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 367r.–367v., hier Bl. 367r.; Spendenzusage der Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Weimar 6. September 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 24, Bl. 346r. Vgl. Dietsch: Markt, Esplanade und Luthergasse, S. 110. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XI; Tagebuch eines Freundes, der Falk’s Institut zu Weimar besuchte, Weimar 1820, in: GSA 15/V,9, S. 33f.

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Nach dem Umzug konnte das Falksche Institut am 30. Januar 1818 erstmals im »neuerbauten Saal«212 des angemieteten Redoutenhauses die von den Jugendlichen angefertigten Produkte ausstellen. Die Unterstützung der Heranwachsenden fand schon vor dem Umzug in das Redoutenhaus in viel stärkerem Maße außerhalb des falkschen Haushalts statt. Die meisten Zöglinge wurden in anderen Pflegefamilien untergebracht oder erhielten nur eine einmalige materielle Hilfe, ohne dass dafür eine besondere räumliche Infrastruktur nötig gewesen wäre. Obgleich mit dieser räumlichen Vergrößerung viel einfacher eine geschlechterseparierende Erziehung möglich war als in der früheren Wohnung, blieben die Geschlechtergrenzen durchlässig. Dieser Umstand wurde insbesondere von vielen Nachbarn des Grundstücks negativ wahrgenommen, sodass auch nach der Vergrößerung des Instituts strukturelle Defizite bei der von Falk angestrebten Geschlechtersegregation bestanden haben. Charlotte Leidenfrost kritisierte das unangebrachte Verhalten junger Frauen, die sich ohne Wissen der Lehrer oder Seminaristen heimlich mit jungen Männern im Institut trafen.213 Sie und ihr späterer Ehemann Carl Florentin Leidenfrost hatten beide als Erzieherin bzw. Hauslehrer des Grafen Carl Friedrich Wilhelm von Schlippenbach erste pädagogische Erfahrungen gesammelt und kannten zeitgenössische Vorstellungen über die richtige Erziehung der Geschlechter.214 Eine strikte Geschlechtersegregation bot beiden die wichtigste Richtschnur für ihre eigenen Erziehungspraktiken, die Charlotte Leidenfrost in verschiedenen Einrichtungen weiblicher Erziehung und Bildung bzw. Carl Florentin Leidenfrost als Lehrer am Weimarer Gymnasium,215 aber auch in dem von ihnen angestrebten Nationalerziehungsinstitut umsetzen wollten. 211 212

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Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XI. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 8 vom 27.01.1818, S. 31. Rechnungen belegen, dass vor der Nutzung des Saales größere Baumaßnahmen notwendig waren. Vgl. Rechnungen für Schlosserarbeiten, Backsteine und Tischlerarbeiten, Weimar 1817 und 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 36r.–44v. Vgl. Brief Fiedlers an Johannes Falk, Weimar 17. September 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 338r.–339v. Vgl. Schrickel, Prisca: Art. »Sophie Wilhelmine Charlotte Leidenfrost, geb. de Beaux (1788–1848)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 228–231. Vgl. Reskript Großherzog Carl Augusts an die großherzogliche Kammer, Weimar 7. Januar 1822, in: ThHStAW B 4761a1, Bl. 23r.; Reskript Großherzog Carl Augusts an die großherzogliche Kammer, Weimar 8. Mai 1825, in: ThHStAW B 4761a1, Bl. 26r.

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Charlotte Leidenfrost übernahm 1822 das von Wilhelmine Löbel in Jena 1816 gegründete »weibliche Erziehungs-Institut«216, das sie bis 1825 leitete. 1834 gründete Charlotte Leidenfrost schließlich eine Lehr- und Bildungsanstalt für Mädchen.217 Indem Charlotte und Carl Florentin Leidenfrost nur Heranwachsende des jeweils eigenen Geschlechts unterrichteten bzw. bestimmte Unterrichtsinhalte vermittelten, versuchten sie, den im Diskurs geforderten Ansprüchen einer adäquaten Geschlechtersozialisation für zukünftige Frauen und Männer des höheren Bürgertums bzw. des Adels gerecht zu werden.218 Ob Charlotte Leidenfrost auch aktiv Aufgaben im Falkschen Institut übernommen hat und damit in noch viel stärkerem Maße auf eine Separierung der Heranwachsenden insistieren konnte, ist bislang ungeklärt. Fest steht hingegen, dass ihr Ehemann in der Sonntagsschule des Falkschen Instituts Geschichtsunterricht erteilt hat,219 sodass er mit seinen Vorstellungen über die Erziehung Heranwachsender den Unterricht im Institut prägte. Im Frühjahr 1820 erfuhr Johannes Falk, dass sich die Eigentumsverhältnisse des Reitzensteinschen Grundstücks in naher Zukunft verändern würden, da sich die beiden Eigentümerinnen entschlossen hatten, ihr Erbe zu verkaufen.220 Obwohl Falk die Geschlechtsvormundschaft für Christiane Henriette von Reitzenstein und Friederike Caroline von Beust übernommen hatte, wählten die beiden Frauen Albert Joseph Ludwig Gabriel von Groß,221 der die Verhandlungen mit den potentiellen Käufern führte und der Falk die Kündigung für den 24. Juni 1820 aussprach.222 Stadtschreiber und Hofadvokat Wilhelm Ernst Schwabe, der schließlich 1820 den Zuschlag für 5000 Taler erhielt,223 kam Johannes Falk zuvor, der 216

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Reskript Großherzogs Carl August an die großherzogliche Kammer, Weimar 3. Juli 1818, in: ThHStAW B 4761a1, Bl. 13r. Vgl. Günther: Chronik, S. 77. Vgl. [Entwurf Johannes Falks] Ankündigung eines deutschen National-(Erziehungs)-Instituts zu Sachs. Weimar, in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 21r.–21v. Vgl. Entwurf Johannes Falks und Karl Friedrich Horns: Ueber die Möglichkeit der Fortdauer des Instituts der Freunde in der Noth, für verwilderte und verlassene Kinder sowie über dessen innige Verbindung mit dem hiesigen Schullehrer-Seminarium, in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 302r.–305r., hier Bl. 304v. Vgl. Dietsch: Last, S. 139f. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Baron und Steuerrat Albert Joseph Ludwig Gabriel von Groß, Weimar 22. November 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 210r.–210v. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falk an Großherzog Carl August, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 329r.–333v. Vgl. den entsprechenden Eintrag im Brandkataster des Jahres 1815, in: StdAW

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sich seinerseits mit dem Gedanken getragen hatte, den Reitzensteinschen Besitz selbst zu erwerben. Dadurch war Falk gezwungen, für sich, seine Familie und das Institut eine neue Unterkunft zu suchen.224 Das Auffinden einer geeigneten Immobilie gestaltete sich mehr als schwierig. Dieser Umstand erlaubt es, in zahlreichen Quellen die Entscheidungsfindung Falks für oder gegen ein Objekt nachzuvollziehen und so Rückschlüsse darauf zu ziehen, welchen Ansprüchen ein Quartier des Falkschen Instituts genügen musste. Auf die Kündigung vom Frühjahr 1820 folgte nicht der unmittelbare Auszug Falks, denn Schwabe verlängerte das Mietverhältnis zunächst, schränkte aber die Nutzung durch das Institut stark ein. Diejenigen Heranwachsenden, die noch zusammen mit den Falks das ›Reitzensteinsche Haus‹ bewohnten, mussten fortan bei anderen Pflegefamilien untergebracht werden. Eine Aufnahme neuer Zöglinge war untersagt und die weitere, aber für das Selbstverständnis wichtige und identitätstiftende Nutzung des Versammlungssaales von Schwabe nur geduldet.225 Weil Falk, der die Tische und Bänke aus den Sälen in seine Wohnung transportieren ließ, diesen Abmachungen nicht entsprechen konnte, verließ er das Haus zum 1. April 1821 endgültig.226 Alternativ fasste Falk zunächst die Nutzung eines großherzoglichen Gebäudes ins Auge.227 Ungeachtet seiner eigenen schwierigen finanziellen Lage und um nicht wieder den »Launen jedes Hauswirthes preisgegeben«228 zu sein, entschloss er sich im Sommer 1820, selbst ein nach seinen Wünschen konzipiertes Gebäude zu errichten oder zu kaufen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass die vielen ein- und ausgehenden jungen Menschen die Mietsache mitunter stark beanspruchen und gegebenenfalls

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HA I–4–2. Ich danke Sebastian Hunstock für seinen freundlichen Hinweis auf diese Quelle. Vgl. Schreiben [Abschrift] Christian Wilhelm Schweitzers an Großherzog Carl August, Weimar 28. April 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 337r.–337v.; Schreiben Christian Wilhelm Schweitzers an die großherzogliche Kammer, [Weimar] 28. April 1820, in: ThHStAW B4761a, Bl. 50r.–50v. Vgl. Brief [Abschrift] Johannes Falks an Großherzog Carl August, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 354r.–355v., hier Bl. 354v.; Mietkontrakt zwischen Schwabe und Johannes Falk, Weimar 30. Mai 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 366r.–336v. Vgl. Dietsch: Last, S. 142. Vgl. ebd., S. 140–142. Brief [Abschrift] Johannes Falks an Großherzog Carl August, [Weimar vor dem 22. März 1821], in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 349r.–350v., hier Bl. 349r.

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sogar beschädigen könnten.229 Deshalb wollte er nicht länger auf die Gunst eines Hausbesitzers angewiesen sein und mit der ständigen Angst vor einer ausgesprochenen Kündigung zu leben. Gegenüber Großherzog Carl August skizzierte Falk, welche Anforderungen ein solches Anwesen erfüllen musste. »Ich würde mir meinen Platz, wo möglich, vor dem Frauenthor erbitten, der außer einen Versammlungssaal, Vorhalle auf Säulen und einer [...] Stube auch einen gegenwärtigen Hof zum Spielen u[nd] wo irgend möglich, auch etwas Garten enthielt.« 230

Johannes Falk lehnte es ab, das Institut weit außerhalb der Stadtmauern anzusiedeln, da ein zu großer Abstand zur Stadt bzw. die Unterbringung in einer anderen Stadt vermutlich das Ende des gesamten Hilfswerks bedeutet hätte.231 Zu wichtig war ihm der unmittelbare Kontakt zwischen den Wohltätern und den unterstützten Zöglingen.232 Neben mindestens einem Versammlungssaal sollte das Gelände über einen weitläufigen Garten verfügen, der sowohl als Arbeitsort eine wichtige didaktische Funktion besaß, den Heranwachsenden aber auch gleichzeitig einen erholsamen Aufenthalt ermöglichte. Falks Idealvorstellungen wurden schließlich 1829 verwirklicht, als das Institut im Zuge der Angliederung an das Waiseninstitut in ein Anwesen am Schwansee umzog. Dort befanden sich – etwas abgelegen – nicht nur Unterrichts- und Wohnstätten, sondern auch ein Garten.233 Mit dem Einzug und dem späteren Kauf des Lutherhofes234 erhielt das Institut einen äußeren Rahmen, der es »mitten in der Stadt« und nach 229

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Vgl. Nöthige Nachschrift zu dem durch die versorgten Kinder des Instituts der Freunde in der Noth zu Weimar selbst zu erbauenden Bethsaales, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 168r.; Johannes Falks ergebenstes Pro Memoria an die hohen Landstände, Weimar 1817, in: ThHStAW Bestand Landtag Sachsen-WeimarEisenach 68, Bl. 305r.–307v., hier Bl. 307r. Brief [Abschrift] Johannes Falks an Großherzog Carl August [Weimar vor dem 22. März 1821], in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 349r.–350v., hier Bl. 350r. Es ist fraglich, ob Falk an die Schlösser in Tiefurt, Tonndorf oder Ettersburg gedacht hatte. Vgl. Elster: Fürsorgeerziehung, S. 98. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Christian Wilhelm Schweitzer, Weimar 6. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 372r.–373v., hier Bl. 372r. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XVIII; Dietsch: Last, S. 141. Vgl. Staatshandbuch 1830, S. 88; Brief Paul Reinthalers an den Weimarer Stadtrat, Weimar 3. Februar 1899, in: StdAW, NA I–32–27, Bl. 5r.–6v. Falk selbst und seine Zeitgenossen bezeichneten den Komplex als Luthershof.

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Außen »doch gesondert«235 als eigenständige Institution klar abgegrenzte. Durch die exponierte Lage des ›Reitzensteinschen Hauses‹ in der Esplanade, die sich zu einer wichtigen öffentlichen Promenade entwickelte,236 standen Falk, die Heranwachsenden und die jeweiligen Erziehungspraktiken unter der fortwährenden Beobachtung von Nachbarn, Untermietern und nicht zuletzt der Weimarer Bevölkerung. Das neue Anwesen bot hingegen einen gewissen Schutz für seine Bewohner, sodass die »Jungens lärmen« konnten, »wie sie wollen«237, ohne dass Falk ein allzu schnelles Eingreifen der Behörden fürchten musste. Die zentrale Lage und gleichzeitige Distanz zum städtischen Leben bildeten den großen Vorteil des neu erworbenen Hauses, sodass »es schon wegen der klösterlichen Abgezogenheit in der Stadt völlig unmöglich sey, eine ähnliche Lage aufzufinden.«238 Trotz der hinzugewonnenen Freiheit, die Falk nun im Vergleich zu seinem Dasein als schikanierter »Sklave«239 an seinen früheren Wohnorten besaß, brachte der Kauf des Lutherhofes nur einige wenige grundlegende Veränderungen der räumlichen Zuschneidung des Instituts mit sich. Rückblickend schrieb Johannes Falk im Sommer 1822 seiner Frau, dass das »alte Haus« ihm »recht zu wider ist« und er »um Alles in der Welt nicht wieder hinziehen«240 möchte. Zu den Vorteilen, die das neue Anwesen bot, gehörte die Möglichkeit, innerhalb des Lutherhofes einzelne Werkstätten einzurichten, sodass heranwachsende junge Männer unab-

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Vgl. beispielsweise Falk: Glaube. Dennoch wird in der vorliegenden Studie als Anpassung an sprachliche Entwicklungen auf den Gebrauch des Genitiv-s’ verzichtet. Vgl. auch Schädlich, Christian: Art. »Lutherhof«, in: Günther, Gitta / Huschke, Wolfram / Steiner, Walter (Hrsg.): Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte. Weimar 1998, S. 285. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 105. Stück. Vgl. Schädlich, Christian: Art. »Schillerstraße«, in: Günther, Gitta / Huschke, Wolfram / Steiner, Walter (Hrsg.): Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte. Weimar 1998, S. 382f. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 105. Stück. Aufzeichnungen zum Ankauf des Hauses im Jahr 1821, in: GSA NZ 19/07,1, S. 12–21, hier S. 20. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 105. Stück. Leidenfrosts blieben letztlich im ›Reitzensteinschen Haus‹ wohnen. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 17. Juni 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 37. Stück, Bl. 72r.–73r. Ebd., Bl. 72r.

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hängig von einer freien Lehrstelle bei einem geeigneten Lehrmeister in einem Handwerk unterrichtet werden konnten.241 Die räumliche Vergrößerung eröffnete eine zusätzliche Einnahmequelle mit der Aufnahme sogenannter ›Pensionäre‹. Gegen »billige Bedingungen«242 konnten Eltern und Vormünder Heranwachsende im Lutherhof wohnen lassen, sodass diese unter ständiger Aufsicht Falks und der Seminaristen standen. Bereits vor dem Kauf des Lutherhofes nahmen Falk und seine Familie einzelne Zöglinge auf. Nun konnte Falk auch im Jahresbericht der Gesellschaft der Freunde in der Not öffentlich für diese Form der Fürsorge werben.243 Das Institut war eine offene Einrichtung, die im Zentrum der Residenzstadt angesiedelt war und den Kontakt zur Weimarer Lebenswelt ermöglichte. Eine dauerhafte Unterbringung der jungen Menschen, wie beispielsweise in Waisenhäusern, war nicht vorgesehen, weshalb größere, in einzelne Stuben aufgeteilte Gebäudekomplexe unnötig waren. Fließend gestalteten sich auch die Übergänge im Zusammenleben zwischen der Familie Falk, den Seminaristen und den zu unterstützenden jungen Frauen und Männern innerhalb des Instituts. Wie eng das Falksche Institut und die Familie Falk in ihren ersten Domizilen gelebt haben müssen, verdeutlicht die für die Zeit um 1800 charakteristische Differenzierung und Individualisierung der Wohnbereiche.244 Für die Falks, insbesondere für Caroline Falk, verwirklichte sich schließlich mit dem Einzug in den Lutherhof der lang ersehnte Wunsch einer gewissen räumlichen Trennung zwischen der eigenen Wohnung und den Räumen des Instituts.245 Abgesehen von der Neugestaltung der Wohnräume wurde im Rahmen der Umbaumaßnahmen auch eine Tür des Versammlungssaales zugemauert,246 um die geringe Distanz zumindest mit einer gewissen Separierung der Lebensbereiche zu kompensieren. Caroline Falk lehnte zu viel Kontakt zwischen Familienangehörigen und Perzipienten des Instituts ab. Falk schätzte gerade die erzieherischen Vorteile, die solch ein enges Zusammenleben mit sich brachte. Er oder sein späterer Nachfolger Rettner 241

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Vgl. Brief Caroline Falks an Wilhelm Körte, Weimar 30. März 1826, in: GSA 15/II, 2A,1, 1. Stück. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 7 (1824). Vgl. ebd. Vgl. Roeck: Lebenswelt, S. 18. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 20. November 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 102. Stück, Bl. 207r.–210v., hier Bl. 209r. Vgl. Expeditions-Nachrichten, [Weimar] in, GSA 15/N 55, Bd. 21, 29r.–31v., hier Bl. 29r.

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konnten frühzeitig bei Lärm oder Unruhen eingreifen, grenzten doch Unterrichts- und Privaträume unmittelbar aneinander.247 Bis zu Falks Tod konnten die Bauarbeiten im Lutherhof nicht beendet werden.248 Neben einem repräsentativen Empfangsbereich für Besucher des Instituts blieben insbesondere der sich in einer höher gelegenen Etage befindende Betsaal sowie ein Schlafsaal auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes, wo sich beim Kauf des Anwesens ursprünglich ein Holzstall befand, unvollendete Projekte, deren Fertigstellung Falk in seinem Testament verfügte.249 Zwar versuchte Caroline Falk, dem Wunsch ihres Ehemannes zu entsprechen, aber die fehlende ideelle persönliche Unterstützung Falks und weiter sinkende Einnahmen verhinderten eine Umsetzung dieses Vorhabens.250 Die schon im Reitzensteinschen Anwesen theoretisch angedachte und teilweise praktizierte Geschlechtersegregation wurde im Lutherhof fortgesetzt. Weil Falk auf Mieteinnahmen zur Tilgung der Kreditzahlungen angewiesen war, blieb das Institut im Lutherhof ein semiöffentlicher Raum, dessen Regeln und Praktiken von den Mietern genauestens beobachtet wurden. So wäre etwa ein experimenteller, nicht an dichotomen Vorstellungen ausgerichteter Umgang der Geschlechter von Charlotte Leidenfrost nicht geduldet worden, die 1821 gewillt war, auch in den Lutherhof einzuziehen, sollte Falk den Gebäudekomplex erwerben.251 Nach dem Kauf des Lutherhofes im November 1821252 vermietete Falk einzelne Räume, neben Schneidermeister Friedrich Hoch auch an Profes247

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Vgl. Testament [Abschrift] Johannes Falks, Weimar 12. Februar 1826, in: GSA 15/N 22, unpag. Vgl. beispielsweise Brief Carl Reinthalers an Johannes Falk, Erfurt 5. Juli 182[3], in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 794r. Vgl. Testament [Abschrift] Johannes Falks, Weimar 12. Februar 1826, in: GSA 15/N 22, unpag. und [unvollendetes] Testament Johannes Falks, Weimar 09.10.1825, in: GSA 15/V, 8a, S. 1–8, hier S. 8. Vgl. zu den einzelnen Räumlichkeiten das Namensverzeichniß der Knaben die im Hause gearbeitet haben, in: GSA NZ 19/07,1, S. 22–38, hier S. 25f.; Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 8. September 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 15. Stück, Bl. 29r.–30v., hier Bl. 30r. Vgl. Brief Caroline Falks an Wilhelm Körte, Weimar 30. März 1826, in: GSA 15/II, 2A,1, 1. Stück. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 105. Stück. Vgl. Dietsch: Last, S. 155. Zu den Modalitäten des Verkaufs vgl. auch Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 20. November 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 102. Stück, Bl. 207v.–210r.

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sor Johann Gottfried Melos,253 dessen Frau Wilhelmina in einem Teil der Räumlichkeiten junge Mädchen unterrichtete.254 Das Falksche Institut war keine hermetisch abgeschlossene Institution, sondern aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten und vielfältiger personeller Verflechtungen ein durchlässiger Raum. Weil deshalb die Erziehungspraktiken im Institut von Wohltätern, Mietern oder Weimarer Einwohnern beobachtet wurden, suchte Falk nach geeigneten Lokalitäten, um auch architektonisch – etwa mit der Anmietung zweier für die Geschlechter getrennter Unterrichtssäle – die besten Bedingungen zu schaffen, um dichotomen Geschlechtervorstellungen gerecht zu werden. Dagegen war es bis ins 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich, Elementarunterricht – vergleichbar mit den Inhalten in der Weimarer Sonntagsschule – abzuhalten.255 Ohne Bedeutung waren im Falkschen Institut rein pragmatische Überlegungen, im Zuge einer Lerngruppenverkleinerung geschlechtersegregatorische Strukturen zu schaffen, wie sie anderenorts in protestantischen Bildungsinstitutionen geäußert wurden.256

3.2 Sonntagsschule Die Initiative zur Gründung von Sonntagsschulen im weimarischen Landesteil ging maßgeblich von Johannes Falk aus, nachdem 1790 das Eisenacher Konsistorium unter dem Generalsuperintendenten Christian Wilhelm Schneider257 die Einführung von Sonntagsschulen beschlossen hatte, deren flächendeckende Etablierung aber rasch an einer Mischung aus Desinteresse der Schüler und Unfähigkeit der Lehrenden gescheitert war.258 Am 26. April 1816 wandte sich Falk mit der Eingabe zur Förde253

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Vgl. Mietkontrakt zwischen Johannes Falk und Johann Gottfried Melos, Weimar 11. Oktober 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 245r.–246r. Vgl. Dietsch: Last, S. 183f. Vgl. etwa Rutz, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte; 210). Mainz 2006, S. 280 und 294. Vgl. Fiegert, Monika: Pragmatische Geschlechtertrennung. Die Anfänge elementarer Mädchenbildung im geistlichen Fürstentum Osnabrück. Ein Beitrag zur Historischen Mädchenforschung (= Interdisziplinäre Frauenforschung; 1). Bochum 1999, S. 188f. und 192f. (1734–1797)

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rung der Sonntagsschulen an die ständischen Deputierten. Er kritisierte, dass Heranwachsende von den verantwortlichen kirchlichen und staatlichen Behörden nach der Konfirmation nicht weiter gefördert wurden, sondern allenfalls abweichendes jugendliches Verhalten mit Zuchthausund Arbeitsstrafen sanktioniert wurde. Falk bezweifelte, dass »diese Individuen, die nun zeitlebens für eine höhere Zukunft verloren sind, dadurch gebeßert«259 werden. Die seit 1814260 im Falkschen Institut existierende Sonntagsschule und von Falk als »Grundstein, aller künftigen bürgerlichen Veredlung«261 bezeichnete Einrichtung stellte eine Alternative zur bloßen Verwahrung von Jugendlichen dar. Im Bericht der Deputation an den zuständigen Staatsminister von Fritsch vermerkten die Deputierten, dass das Institut mit seiner »von Hr. Stiftsprediger und [Falk] gestifteten Sonntagsschule«262 dem Staat als »eine Musterschule«263 diene. In Erwartung des sich 1817 neu konstituierenden und die Deputation ablösenden Landtags264 bewilligten die Ständevertreter nur für ein Jahr eine Unterstützung von 500 Talern für das Falksche Institut.265 Johannes Falk, der sich um Unterstützung für die Sonntagsschule bittend ausdrücklich an die Deputierten, nicht aber an eine kirchliche Institution wandte, knüpfte an unterschiedliche Vorläufer der Sonntagsschulbewegung an. Die praktischen Anfänge des Sonntagsschulwesens 258

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Vgl. Krumbholz, Paul: Geschichte des Weimarischen Schulwesens. Berlin 1934, S. 89–92. Johannes Falks Eingabe an die Landständische Deputation, Weimar 26. April 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I 205 Protokolle 1816, Bl. 129r.–134r., hier Bl. 129r. Vgl. Falk: Kriegsbüchlein, S. 52. Johannes Falks Eingabe an die Landständische Deputation, Weimar 26. April 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I 205 Protokolle 1816, Bl. 129r.–134r., hier Bl. 142v. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Christoph Kötschau, Weimar 1814, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 17v. Bericht der ständischen Deputation an Carl Wilhelm von Fritsch, Weimar 17. Mai 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I 205 Protokolle 1816, Bl. 138r.– 145r., hier Bl. 140r. Vgl. Müller, Gerhard: Heinrich Luden als Parlamentarier. Ein Beitrag zur frühen Parlamentsgeschichte Sachsen-Weimar-Eisenachs 1816–1832, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen 10 (1998), S. 11–177, hier S. 25–38. Vgl. Bericht der ständischen Deputation an Carl Wilhelm von Fritsch, Weimar 17. Mai 1816, in: ThHStAW Vereinigte Landschaft I 205 Protokolle 1816, Bl. 138r.–145r., hier Bl. 140v.

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gehen bis in das ausgehende 17. und 18. Jahrhundert zurück, wobei erste Überlegungen durch reformatorische und humanistische Ideen vorangetrieben wurden.266 Um 1800 lassen sich zwei große Entwicklungslinien nachzeichnen, denen unterschiedliche Intentionen zu Grunde lagen. Einerseits entstand im englischen Gloucester 1780 die erste, vom Verleger und Journalisten Robert Raikes267 konzeptionell entworfene Sonntagsschule.268 Verbreitete Kinderarbeit und fehlender oder defizitärer Schulunterricht motivierten Raikes, das Analphabetentum unter didaktischer Berücksichtigung biblischer Texte insbesondere bei Kindern der Unterschicht zu beseitigen.269 Methodisches Kennzeichen, das sich auch in der Sonntagsschule des Falkschen Instituts niederschlug, bildete das gegenseitige Unterrichten der Kinder, indem talentierte Schüler als Mentoren einer kleineren Gruppe vorstanden.270 Schon wenige Jahre später eröffnete Caspar von Voght nach Raikes’ Vorbild in Hamburg eine Sonntagsschule, die sich dem Unterricht »der arbeitenden Kinder der Unterschicht«271 widmete. Um die Jahrhundertwende wurden – abweichend vom englischen Entwurf – nur noch solche Inhalte wiederholt, die die Schüler unter der Woche in den Abendstunden kennen gelernt hatten.272 Der ursprünglichen Idee Raikes’ folgend, engagierte sich schließlich Johann Gerhard Oncken 1826 für die (Wieder-)Eröffnung von Sonntags266

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Vgl. Kliss, Oliver: Art. »Sonntagsschule«, in: TRE Bd. 31, S. 472–476, hier S. 472. Vgl. Voigt, Karl Heinz: Internationale Sonntagsschule und deutscher Kindergottesdienst. Eine ökumenische Herausforderung. Von den Anfängen bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs (= Kirche – Konfession – Religion; 52). Göttingen 2007, S. 20. Vgl. Schotte, Alexandra: Die Genese des Rettungshausansatzes bei Johannes Daniel Falk – Einige Gedanken zur Kinder- und Jugendfürsorge im 19. Jahrhundert, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 105–123, hier S. 112f. Eine zeitgleiche Entwicklung eines weiteren Sonntagsschulsystem fand in Nordamerika statt, das den Unterricht von Kinder und Heranwachsenden gleichermaßen und eine besondere Mitverantwortung einzelner Kirchgemeinden vorsah. Da Falk mit diesen Ideen, die erst nach dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in Deutschland verbreitet wurden, nicht vertraut war, wird auf eine weitere Erörterung des amerikanischen Sonntagsschulsystems an dieser Stelle verzichtet. Vgl. Berg, Carsten: Gottesdienst mit Kindern. Von der Sonntagsschule zum Kindergottesdienst. Gütersloh 1987, S. 45. Vgl. Voigt: Internationale Sonntagsschule, S. 18–21. Vgl. Berg: Gottesdienst, S. 24. Ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 29f.

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schulen in Hamburg und Bremen, um sich wiederum solcher Kindern anzunehmen, die unter der Woche nicht am Schulunterricht teilnahmen.273 Andererseits entwickelte sich unabhängig von Raikes’ Ideen in Deutschland eine Sonntagsschulbewegung, die in der Forschung nicht in diese Traditionslinie gestellt wird, weil sich die Träger der Initiative, die Zielgruppe und die Intention vom englischen Modell unterschieden. Im Herzogtum Württemberg sah eine Synodalverordnung vom 13. Januar 1739 die Sonntagsschulpflicht für Heranwachsende vor, damit erlernte Schulkenntnisse wiederholt und die Beaufsichtigung der Jugend in der arbeitsfreien Zeit gewährleistet wurde.274 Im Unterschied zu Raikes’ Idee zielte das von kirchlicher und staatlicher Seite initiierte Vorhaben auf Heranwachsende, die bereits eine hinlängliche (Volks-)Schulbildung genossen hatten. Ähnliche Schulen entstanden im badischen und bayrischen Raum.275 Die im Falkschen Institut abgehaltene Sonntagsschule und Falks 1816 vor den Deputierten geäußerten Vorschläge weisen Ähnlichkeiten zu beiden Entwicklungslinien auf, wobei eine besondere strukturelle wie inhaltliche Nähe zu den Sonntagsschulen des süddeutschen Territoriums festzustellen ist, weshalb Autoren neuerer Arbeiten zur Geschichte der Sonntagsschule, die sich mehrheitlich auf die englischen und amerikanischen Ursprünge konzentrieren, nicht auf Falks Beispiel eingehen.276 Da in Weimar wie in den meisten anderen deutschen Gebieten eine allgemeine Schulpflicht und ein »leidlich funktionsfähiges und funktionierendes Volksschulwesen«277 existierten, richteten Falk und die süddeutschen Initiatoren den Fokus auf die aus der Schule entlassene Jugend. Falks Eingabe an die Deputierten verdeutlicht zudem, dass er sein Vorhaben nicht als Privatunternehmung verstanden wissen wollte, sondern auch staatliche Vertreter in der Pflicht sah, sich der heranwachsenden Jugend anzunehmen. Zusammen mit dem Oberkonsistorialrat Horn und drei Seminaristen278 unterrichtete Falk – sofern nicht die Methode des in den 273 274

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Vgl. Voigt: Internationale Sonntagsschule, S. 29f. Vgl. Knapp, Albert M.: Sammlung der bestehenden Verordnungen für den evangelisch-deutschen Schulstand Würtembergs und die damit verbundenen VolksBildungs-Anstalten. Tübingen 1828, S. 243. Vgl. Berg: Gottesdienst, S. 17–20. Vgl. Voigt: Internationale Sonntagsschule; Berg: Gottesdienst; Kliss: Sonntagsschule. Berg: Gottesdienst, S. 40. Bei den Seminaristen handelte es sich um Friedrich August Born, Hoffmann und

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englischen Schulen üblichen »discendo discimus«279 angewandt wurde – nach dem sonntäglichen Gottesdienst jene Heranwachsende im Lesen, Schreiben, Zeichnen, der Mathematik, Geschichte und den Naturwissenschaften, die von der Gesellschaft der Freunde in der Not versorgt wurden und sich vertragsgemäß zum Besuch der Sonntagsschule verpflichtet hatten.280 Baten Heranwachsende um Unterstützung, wussten sie um den unmittelbaren Zusammenhang von materieller Hilfe und fortgesetztem Unterricht in der Sonntagsschule, sodass sie bei Hilfsgesuchen ihrerseits den gewissenhaften Besuch der Sonntagsschule zusicherten.281 Die Unterrichtseinheiten erstreckten sich, nur unterbrochen von einer einstündigen Pause am Mittag, von zehn Uhr am Morgen bis vier Uhr am Nachmittag.282 Weil nicht alle von der Gesellschaft der Freunde in der Not unterstützten Zöglinge in Weimar untergebracht waren, wurde am ersten Sonntag eines jeden Monats die ›Große Sonntagsschule‹ abgehalten, an der dann auch alle auswärtigen Lehrlinge und die vom Institut unterstützten Seminaristen teilnahmen.283 Eine ähnliche Regelung einer ›Großen Sonntagsschule‹ ist für Eisenach belegt.284

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– nachdem Born 1815 als Lehrer nach Haßleben gegangen ist – Christian Gottlob Fröhlich. Vgl. Brief Friedrich August Borns an Johannes Falk, Apolda 11. November 1814, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 126r.; Lehrer der Sonntagsschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 5r. Vgl. Falk: Kriegsbüchlein, S. 53. Aufsatzentwurf mit Anmerkungen Falks., in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 300r.– 305v., hier Bl. 301r. Vgl. Falk, Kriegsbüchlein, S. 52. Hinweis auf die Verträge im Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. Aufzeichnungen über Theodor Eckardt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 123r. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. ebd.; Einnahme- und Ausgabenbuch des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 262r.; zur Einrichtung der »großen Sonntagsschule« vgl. beispielsweise Brief [Johann Nicolaus] Ziers an Johannes Falk, Blankenhain 24. Juli 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 88r.–88v., hier Bl. 88v.; Aufzeichnungen Johannes Falks über Friedrich Andreas Maul, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 139r.; Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Heinrich Reite, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 148v.; Aufzeichnungen Johannes Falks über Heinrich Waldmann, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 328r.; Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottlob Becker, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 87r. Eine Auflistung der in der Stadt bzw. auf dem Lande untergebrachten Sonntagsschüler findet sich im Entwurf Falks und Horns über den Fortbestand des Instituts und die Verbindung zum Lehrerseminar, in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 302r.–305r., hier Bl. 304v.–305r. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Johann August Nebe, Weimar 20. Februar 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 290r.–290v., hier Bl. 290r.

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Falks Vorschläge zur Eröffnung weiterer Sonntagsschulen fanden allerdings nicht sofort Gehör. Erst ein Jahr später beschloss das Oberkonsistorium, im gesamten Großherzogtum nach Pfingsten 1817 Sonntagsschulen einzurichten.285 Die vor Ort in der Kirche oder Schulwohnung stattfindenden Unterrichtseinheiten hatten nicht nur religiöse Inhalte zum Gegenstand, sondern zielten auch auf »das Erkennen der wichtigsten Obliegenheiten des bürgerlichen Lebens«286 wie etwa der Gesetze und Verordnungen.287 Mit dieser inhaltlichen Fokussierung zielten die Reformen des Schulwesens in Sachsen-Weimar-Eisenach am Beginn des 19. Jahrhunderts in erster Linie auf die aus der Schule entlassene Jugend. Der im Regierungsblatt veröffentlichte Beschluss, 11- bis 13-jährige Mädchen und Jungen nicht nur vor, sondern auch noch ein Jahr nach der Konfirmation zu unterrichten,288 führte nicht überall zu den beabsichtigten Sonntagsschulgründungen. Eltern und andere Erwachsene, denen ein Besuch der Sonntagsschule freistand,289 lehnten diese als »Entheiligung des Sabbaths«290 ab. Die Schüler nahmen ohne Freude an den Stunden teil. Zudem erregten die Unterrichtsgegenstände Unmut, weil »ein Unterricht über weltliche und bürgerliche Dinge nicht in die Kirche gehöre, sondern nur Religion als Glaubens- und Sittenlehre«291. Die vom Landtag verfolgte Absicht, längerfristig auf die Heranwachsenden Einfluss zu nehmen, ließ sich nicht in der Realität umsetzen. Als Anfang der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts die Landesdirektion über den Fortbestand der Sonntagsschulen debattierte, empfahlen die Verantwortlichen Jugendliche weiterhin einer besonderen Fürsorge: »Die Sonntagsschulen in Weimar und Eisenach anlangend, halten wir deren Fortbestehen für unerläßlich nöthig, hauptsächlich aus dem Grunde, weil allgemeine 285

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Vgl. Grosherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 8 vom 27.05.1817, S. 51; Vgl. auch Göckel Bd. 2.1, S. 374–376. Grosherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 8 vom 27. Mai 1817, S. 51. Vgl. auch Landtagsprotokoll, Weimar 14. Februar 1817, in: ThHStAW Bestand Landtag 67 1817 Protokolle, Bl. 74r.–85r., hier Bl. 79r. Vgl. Krumbholz: Volksschule, S. 24. Auch Falk vertrat die Ansicht, dass Sonntagsschulen sowohl der Jugend als auch den Erwachsenen offenstehen müssten. Vgl. Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 5.03.1818, in: ThHStAW B 4396, Bl. 1.–6v., hier Bl. 5r.–5v. Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 12.11.1818, in: ThHStAW B 4396, Bl. 35r.–39v., hier Bl. 37r. Ebd.

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Erfahrungen dafür sprechen, daß der Schul-Unterricht noch keinesweges zu der Stufe von Vollkommenheit gediehen ist, von welcher man annehmen könnte, daß der, nach zurückgelegten 14ten Lebensjahre, aus der Schule entlassen, die Erlernung einer Profession beginnende Knabe in seinem Wissen soweit vorbereitet sey, als er es zu seiner künftigen Existenz als Bürger, Meister und Familienvater bedarf.«292

Trotz der ablehnenden Haltung von Eltern und Schülern engagierte sich Falk für die Einrichtung von Sonntagsschulen und die Umsetzung des Oberkonsistorialbeschlusses von 1817. Falk gab den Pfarrern, denen es an der nötigen Motivation und den pädagogischen Kenntnissen mangelte, eine Mitschuld am Scheitern der Neueinrichtung von Sonntagsschulen.293 In Eisenach wurden erste Vorbereitungen zur Gründung einer Sonntagsschule 1817 getroffen,294 die wiederum von Johannes Falk angeregt und von der dortigen Gesellschaft der Freunde in der Not finanziert und in den kommenden Jahren beaufsichtigt wurde.295 Im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach entstanden ebenfalls in Ilmenau, Jena und Stadtsulza unterschiedlich große Sonntagsschulen, die von Vertretern der örtlichen Gesellschaften der Freunde in der Not beaufsichtigt wurden, um »die an Sonn- und Feyertagen umherschweifende, oft dem Verderben Preis gegebene Jugend zu einer ernsten Betrachtung und zu frommer Erbauung«296 anzuhalten. Ebenso hatten sich 1819 in Camburg und spätestens seit dem Sommer 1820 auch in Erfurt Sonntagsschulen etabliert.297 292

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Bericht der Landesdirektion an Großherzog Carl Friedrich, Weimar 23. Oktober 1832, in: ThHStAW B 4762, Bl. 35r.–55v., Bl. 45v. Vgl. Brief [Entwurf] Falks [an ein Mitglied der Immediatkommission], Weimar 5. oder 9. Dezember 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 487r.–488v. Vgl. Briefauszug des [Wilhelm August] Voppel, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 232v. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 4 (1820). Im Bericht der Landesdirektion aus dem Jahr 1832 wird 1818 als Gründungsjahr angegeben, während im Bericht der Gesellschaft die Gründung auf das Jahr 1819 datiert ist. Vermutlich kommt es aufgrund der länger andauernden Vorbereitungsphase zu diesen unterschiedlichen Angaben. Vgl. Bericht der Landesdirektion an Großherzog Carl Friedrich, Weimar 23. Oktober 1832, in: ThHStAW B 4762, Bl. 35r.– 55v., hier Bl. 35r.–36r. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 4 (1820). Vgl. Brief Johannes Falks an Großherzogin Louise, Weimar 15. August 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 366v.–368r., hier Bl. 366v.; Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 23. Januar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 259r.– 259v., hier Bl. 259v. In Stadtsulza unterrichtete Eisenach beispielsweise nur zwei junge Männer. Vgl. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 7. August 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 54r.

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Die Sonntagsschulen der Gesellschaft der Freunde in der Not (insbesondere außerhalb Weimars) entwickelten sich zu geschlossenen und fast nur männlichen Zöglingen offenstehenden Geschlechterräumen, obwohl dies im 1817 veröffentlichten Beschluss des Oberkonsistoriums nicht vorgesehen war und sowohl Raikes’ englische als auch die ersten württembergischen Sonntagsschulen beiden Geschlechtern zugänglich waren.298 Während etwa in Jena und Erfurt nur männliche Heranwachsende an der Sonntagsschule teilnahmen,299 versuchte Falk dem Anspruch gerecht zu werden, beiden Geschlechtern den Zugang zum Sonntagsschulunterricht zu ermöglichen. Ihm waren die englischen Sonntagsschulen300 und die in München gegründete sogenannte ›Feyertagsschule‹301 bekannt, in der – seit 1793 Jungen, ab 1801 dann auch Mädchen – beide Geschlechter voneinander getrennt lernten. In der Sonntagsschule des Falkschen Instituts versammelten sich die »Lehrburschen«302 zum Unterricht. Junge Frauen erhielten in den Näh- und Spinnstunden, die mitunter in denselben Räumlichkeiten wie die Sonntagsschule abgehalten wurde, ebenfalls den Elementarunterricht. Aus diesem Grund schuf Falk räumliche Strukturen, die separate Unterrichtsmethoden gewährleisteten. Diesbezügliche 297

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Vgl. Brief Abraham Worms an Johannes Falk, [Camburg 1819], in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 256r.–256v., hier Bl. 256v.; Brief Carl Reinthalers an Johannes Falk, Erfurt 26. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 769–770. Vgl. Berg: Gottesdienst, S. 18 u. 24. Auch in der Diskussion um die Sonntagsschulen in der Regierungszeit Carl Friedrichs existiert die Vorstellung, Sonntagsschulen seien von beiden Geschlechtern zu besuchen. Vgl. beispielsweise Bericht des Oberkonsistoriums an Großherzog Carl Friedrich, Weimar 10. Juli 1832, in: ThHStAW B 4762, Bl. 28r.–29v., hier Bl. 29r.; Bericht des Eisenacher Oberkonsistoriums an Großherzog Carl Friedrich, Eisenach 25. März 1831, in: ThHStAW B 4762, Bl. 6r.–9v., hier Bl. 7v. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 4 (1820); Brief Carl Reinthalers an Johannes Falk, Erfurt 3. September 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 20, Bl. 791r.–792r., hier Bl. 791r. Vgl. Brief [Entwurf] Falks an die Immediatkommission, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 487r.–488v., hier Bl. 488r.; Berg: Gottesdienst, S. 24. Ein Bericht der Münchener Feyertags-Schule ist in den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not überliefert. Vgl. Jahres-Bericht über den Zustand der männlichen, wie auch der weiblichen Feyertags-Schule in München. München den 7.9.1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 378r. Vgl. auch Hübner, Lorenz: Beschreibung der kurbaierischen Haupt- und Residenzstadt München und ihrer Umgebungen, verbunden mit ihrer Geschichte. Zweite Abtheilung. Statistik. München 1805, S. 390f. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817).

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Überlegungen berücksichtigte Falk etwa bei der Errichtung des neuen Betsaals im Lutherhof, in dem eine ähnliche Geschlechtersegregation praktiziert wurde wie schon in der Sonntagsschule auf dem Reitzensteinschen Anwesen. Der Versammlungsraum muss groß genug gewesen sein, dass die jungen Frauen und Männer zwar im selben Raum versammelt waren, aber nicht gemischt, sondern getrennt voneinander Platz nahmen.303 Als zweites charakteristisches Merkmal trafen in den Sonntagsschulen der Gesellschaft der Freunde in der Not nicht Lehrer und Schüler aus verschiedenen Generationen, sondern Gleichaltrige aufeinander. In der Eisenacher Sonntagsschule wurden im Anschluss an den sonntäglichen Vormittagsgottesdienst ausnahmslos junge Männer im Schreiben und Rechnen unterrichtet, die bereits bei Handwerkern in die Lehre gingen.304 Die Seminaristen, von denen die Sonntagsschule geleitet wurde, sollten als männliche Vorbilder für die Heranwachsenden fungieren, die nicht nur elementare Unterrichtsinhalte, sondern auch normative Sittlichkeitsund Geschlechtervorstellungen thematisierten. Da zwischen den Unterrichtenden und den Erziehenden nur ein unwesentlicher oder gar kein Altersunterschied bestand, zweifelten die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not in Eisenach und Weimar, ob die Seminaristen diesem Anspruch gerecht werden könnten. Um die Arbeit der Seminaristen zu unterstützen und die Vermittlung entsprechender Inhalte und Werte zu gewährleisten, beaufsichtigten einzelne erwachsene Vertreter der Gesellschaft der Freunde in der Not zusätzlich zu den Seminaristen die Sonntagsschüler und »ermuntern die Lehrlinge durch Belehrung u[nd] Ermahnung zu gutem Verhalten.«305 In der Weimarer Diskussion um die Sonntagsschule blieb die Frage nach dem Verhältnis von unterrichtenden Seminaristen und zu unterweisenden Schülern immer aktuell. Der Buchbinder und Ratsdeputierte Adam Henß brachte am 3. Mai 1833 seine Skepsis zum Ausdruck. Obwohl oder gerade weil Henß mit der Sonntagsschule des Falkschen Instituts vertraut gewesen war, lehnte er es ab, dass Seminaristen unterrichteten, denn – so Henß – »Seminaristen, welche mit vielen Lehrlingen in gleichem Alter stehen, mangelt die Autorität dazu«306. 303

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Vgl. Gottesdienstliche Vorlesungen vom Joseph, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 285v. Vgl. Bericht der Landesdirektion an Großherzog Carl Friedrich, Weimar 23. Oktober 1832, in: ThHStAW B 4762, Bl. 35r.–55v., hier Bl. 36r. Ebd., hier Bl. 36r. Votum des Ratsdeputierten Adam Henß, Weimar 3. Mai 1833, in: ThHStAW B 4762, Bl. 98r.–101r., hier Bl. 99r.

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3.3 Bibelstunde und Gottesdienst Abgesehen vom wöchentlich bzw. monatlich stattfindenden Unterricht in der Sonntagsschule wurden die Heranwachsenden im Falkschen Institut an Wochentagen in der ›Bibel-‹ bzw. ›Singstunde‹ mit der christlichen Lehre vertraut gemacht.307 Eine Differenzierung der Lerneinheiten zwischen musikalischen Übungen und biblischer Lehre fand nicht statt. Beide Aspekte wurden integrativ unterrichtet. Falk, der die Singstunden auch anderen pädagogischen Einrichtungen empfahl, beabsichtigte mit dem Unterricht »Elemente eines bessern Kirchengesanges«308 zu entwickeln. Als Versammlungsort diente jeweils der größte Raum, so etwa der Saal des Redoutenhauses.309 In den Sing- und Bibelstunden erteilten die Seminaristen des Falkschen Instituts bzw. des Weimarer Seminars den Unterricht,310 in dem nacheinander verschiedene Bücher der Bibel Gegenstand des Unterrichts waren.311 Gemeinsam mit den Zöglingen trafen sie sich nach 18 Uhr in den Räumlichkeiten des Falkschen Instituts.312 Im Vergleich zu ähnlichen Einrichtungen im Großherzogtum – so hatte sich etwa in Eisenach keine tägliche Bibelstunde durchgesetzt – war es im Falkschen Institut eine Besonderheit, dass sich die Heranwachsenden, die in Weimar untergebracht waren,313 täglich – mit Ausnahme des Mittwochs und des Sonnabends – zu Erbauungsstunden trafen.314 Da in den Schulen des Großherzogtums sonn307

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Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VIII. Falks Vorschläge in der Immediatkommission, Weimar 16. Juni 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 499r.–499v., hier Bl. 499r. Vgl. Brief des Hofadvokats Schwabes an Johannes Falk, Weimar 27. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 316r.–317r.; Mietkontrakt zwischen Schwabe und Johannes Falk, Weimar 30. Mai 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 366r.–366v. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817); Bericht Johannes Falks und Karl Friedrich Horns, in: ThHStAW B 4850aa, Bl. 8r.–9v., hier Bl. 8r. Vgl. Brief Christian Biernstiels an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 368r.–368v. Vgl. Brief Johann Nicolaus Ziers an Johannes Falk, Blankenhain 27. Juli 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 88r.–88v., hier Bl. 88r. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks zu Gottlob Vater, [Weimar 1819], in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 341v. Vgl. Brief Friedrich Schröters an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 812r.–815r., hier Bl. 812v.: Brief Friedrich Schröters an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 820r.–823r., hier Bl. 823r.; Falks Empfehlung an die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde in der Not für den

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abends und mittwochs Evangelien gelesen und die Schüler im Katechismus unterwiesen wurden,315 ist es denkbar, dass die Zöglinge zusätzlich an diesen Veranstaltungen teilnahmen. Gleichzeitig waren die Räumlichkeiten des Instituts an beiden Wochentage den Schülerinnen des Näh-, Strick- und Spinnunterrichts vorbehalten. Vermutlich war die Teilnahme an regelmäßigen Unterrichtseinheiten der Sing- und Bibelstunden obligatorisch, wobei nicht mehr zu klären ist, ob außer den Lehrburschen, den künftigen Lehrern und Kantoren auch junge Frauen zum Besuch der Bibelstunden verpflichtet waren. Ähnlich wie in Eisenach, wo die Bibelstunde auf Anweisung des Generalsuperintendenten Johann August Nebe aber nicht wochentags, sondern Sonntagnachmittag abgehalten wurde,316 versammelten sich in Weimar zu diesem Unterricht mehrheitlich Jungen und junge Männer. Die Lehrenden verfolgten im Bibelunterricht das Ziel, Heranwachsende mit religiösen Grundsätzen vertraut zu machen. In den Stunden befanden sich die jungen Frauen und Männer unter der Aufsicht Falks, der Seminaristen und anderer Erwachsener, die im Falkschen Institut tätig waren oder dort lebten. Dadurch gingen die Heranwachsenden nur solchen Aktivitäten außerhalb der praktischen Arbeit in den Handwerksstätten oder in den Nähstunden nach, die für eine adäquate religiöse und moralische Entwicklung der Jugendlichen angebracht waren. »Wir haben des Abends Bibelstunden und Gesang eingeführt, welche beide, als ein treffliches Mittel erfunden worden, nicht nur die schlummernde Religiosität zur [sic!] erwecken, sondern auch eine sich allzu häufig des Abends selbst überlassenen Jugend, vor unnützen, ja gefährlichen Zerstreuungen zu bewahren.«317

Ein wesentlicher Bestandteil des Bibelunterrichts bildete das Auswendiglernen von Liedern und der Gesang, der die Bibelstunden ausfüllte.318 Über das Liedgut wurden den Heranwachsenden christliche Werte und Geschichten vermittelt. In den Zusammenkünften wechselten Liederund Textvortrag einander ab, worüber ein Besucher des Falkschen Instituts in seinem Tagebuch berichtete:

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Seminaristen Krause, [Weimar 1819], in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 341r.–344v., hier Bl. 341v.; Heinzelmann: Falk, S. 37. Vgl. Ranitzsch, Hermann: Das Großherzogliche Lehrerseminar zu Weimar in dem ersten Jahrhundert seines Bestehens. Weimar 1888, S. 6. Vgl. Brief Friedrich Schröters an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 812r.–815r. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VIII. Vgl. ebd.

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»Ich wohnte einigen religiösen Stunden, so auch der Sonntags Schule bei, wo ein Knabe nach jedesmaligem überaus schönen ChorGesang hervortretend eine Stelle aus den Evangelien, einen Psalm oder sonst einen erhabenen religiösen Gegenstand declamirte. Ich kann wohl sagen, daß ich keine Vorstellung von einem solchen Eindruck hatte. Alle, die ich hörte mit aufrechter, männlicher Richtung, sonst geschloßnen Händen, nach Oben gehefteten [...] Blick, EngelsKlarheit und himmlischer Wohllaut in der Stimme.«319

Der Vortrag und die Wiederholung der Texte und Lieder bildeten die Grundlage für die Verinnerlichung christlicher Werte, wobei Falk den älteren vortragenden Zöglingen aufgab, dass alles »sanft, still, zärtlich, innbrünstig gesprochen und gesungen«320 werde. Diese Methode zielte nicht nur auf das bloße Repetieren ausgewählter Textstellen. Die Melodie und die emotional aufgeladene Rezitation trugen zur Stärkung des christlichen Glaubens der Zöglinge bei. Deshalb gab Falk seinen Seminaristen auf den Weg: »Ich will sehen[,] ob ihr aus eigenem Gefühl die heilige Erhebung des Herzens die in diesem herrlichen Vermächtniß Christi liegt, treffen werdet.«321 Die institutsinternen Bibelstunden dienten als Vorbereitung auf die Teilnahme an den öffentlichen Gottesdiensten in der Residenzstadt. Der Gottesdienstbesuch war für Falk – im Unterschied etwa zum Oberkonsistorialdirektor Peucer, der für Heranwachsende einen separaten Gottesdienst vorschlug – Teil der religiösen Unterweisung, den er vor allem den Gymnasiasten empfahl.322 Der Besuch öffentlicher Gottesdienste war eine erste Bewährungsprobe der Heranwachsenden und ermöglichte den anderen Kirchgängern, die christlich-moralische Entwicklung der jungen Frauen und Männer des Instituts zu beurteilen. Falk hatte ein besonderes Interesse, dass die Zöglinge seines Instituts nicht durch unangebrachtes Verhalten auffielen, um die Kollektensammlung im Gottesdienst anlässlich des Stiftungstages nicht zu gefährden.323 Zu dem feierlichen Gottesdienst lud Falk die Eltern der Zöglinge ein, die dann auch aus dem gesamten Großherzogtum nach Weimar kamen.324 Zwar hielt etwa 1820 der 319

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Tagebuch eines Freundes, der Falk’s Institut in Weimar besuchte, 1820, in: GSA 15/V,9, S. 11. Brief Johannes Daniel Falks an die Kinder des Falkschen Instituts, [Eisenach 1819], in: GSA 161/144, S. 1–8, hier S. 8. Ebd., S. 8. Vgl. Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 5.03.1818, in: ThHStAW B 4396, Bl. 1r.–6r., hier Bl. 4r. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Großherzog Carl August, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 332r.–334v., hier Bl. 334v.

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Oberkonsistorialrat Horn die Predigt, aber die Ausgestaltung liturgischer Elemente durch Gesang, Musik und Gebet übernahmen Zöglinge des Instituts. Im Gottesdienst hatten Zöglinge die Pflicht, sich als Christen und heranwachsende Frauen und Männer zu bewähren, indem sie dem liturgischen Ablauf folgten und sich nicht ablenken ließen. Zudem bewegten sich die Heranwachsenden in der Kirche in einem geschlechterseparierenden Raum. Das Weimarer Oberkonsistorium hatte am 27. November 1817 bekannt gegeben, dass Frauen und Männer – wie es in den übrigen Gottesdiensten schon üblich war – getrennt voneinander sitzend den Gottesdienst am Heiligen Abend feiern sollten, um den andächtigen Charakter der Zusammenkunft nicht zu stören.325 Die Geschlechtertrennung im Gottesdienst war den Heranwachsenden aus der Sonntagsschule und den Bibelstunden bekannt, an denen die weiblichen und männlichen Zöglinge teilnahmen, »die übrigens abgesondert sitzen«326. Einerseits unterstützte diese Sitzordnung die musikalische Rahmengestaltung der Unterrichtseinheiten, denn die jungen Frauen begannen mit den mehrstimmigen Chorliedern, bis die jungen Männer den Gesang, verstärkt durch Posaunenmusik fortsetzten. Andererseits folgte diese Sitzordnung der geschlechterpolaren Trennung, um die Kontakte zwischen den Zöglingen unterschiedlichen Geschlechts so gering wie möglich zu halten.

3.4 Das Johanneum – »Die Verbindung unserer Anstalt, mit dem künftigen Seminarium, […] würde ein Triumph der Menschheit seyn.« Johannes Falks Ziel war es, die Ausbildung der vom Falkschen Institut unterstützten Lehrer dauerhaft zu sichern bzw. zu professionalisieren. Neu war die Idee eines Weimarer Schullehrerseminars,327 die Falk dabei vorschwebte, keinesfalls, sondern ging auf eine lange Tradition zurück, 324

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Vgl. Gesuch Johannes Falks an das Oberkonsistorium, Weimar [Januar 1817], in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 323r. Vgl. Bekanntmachung des Großherzoglichen Oberkonsistoriums zu Weimar vom 27.11.1817, in: Göckel Bd. 2.1, S. 426. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Sonntagsschule 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 285v. Vgl. Schriften der geheimen Kanzlei betr. den Antrag des weimarischen Landausschußtages auf Gründung eines Schullehrerseminars, [Weimar] 1783, in: ThHStAW B 4439.

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die in der Seminarausbildung der katholischen Klosterschulen ihren Ursprung hatte.328 1726 zog Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar in Erwägung, nicht nur zukünftige Geistliche, sondern auch Lehrer in einem eigenen Seminar ausbilden zu lassen.329 In der 1733 erlassenen »Gymnasien- und Schulordnung« verfügte Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar, dass Schullehrer für einen Teil ihrer Schulzeit das Gymnasium besucht haben sollten.330 Außer im Schreiben, Rechnen, der Bibelkunde, der Vokal- und Instrumentalmusik erhielten die angehenden Lehrer Unterricht in Methodik und sammelten eigene Erfahrungen, indem sie Schüler der unteren Klassen stundenweise im Katechismus unterwiesen.331 Der Grundstein für eine über die Inhalte des Gymnasiums hinausgehende Berufsbildung der Land- oder Dorfschullehrer war gelegt.332 Die enge Verbindung zwischen Gymnasium und Schullehrerausbildung brachte jedoch nicht den erhofften Erfolg einer fundierteren Schullehrerausbildung. Offenbar überforderten die intellektuellen Anforderungen des Gymnasiums die meisten Seminarschüler, obwohl sie de facto Gymnasiasten waren, weshalb ein Großteil von ihnen mehrmals Klassen wiederholte oder den Unterricht massiv störte.333 Diese Auseinandersetzungen resultierten vermutlich aus zwei entgegengesetzten Zielstellungen, die mit dem Lehrerseminar verbunden waren. Anfangs war der Fokus auf die Ausbildung von Landschullehrern gerichtet. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich in Weimar immer mehr die Vorstellung durch, am Seminar zukünftige Kantoren und Organisten für die Städte auszubilden, die Elementarkenntnisse im Lateinischen vermitteln sollten.334 Mit der überarbeiteten Schulordnung aus dem Jahr 1770 war es Seminaristen erlaubt, bereits nach Sekunda bzw. schon nach Tertia in den Schuldienst zu wechseln.335 Im Gegensatz zu den 1779 in Meiningen und 1780 in Gotha eingerichteten Seminaren entstand 1771 unter Herzogin 328 329 330

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Vgl. Art. »Seminarium«, in: Zedler Bd. 36, Sp. 1753–1755, hier Sp. 1753f. Vgl. Ranitzsch: Lehrerseminar, S. 5. Vgl. § V, in: Fürstliche Sachsen-Weimarische Gymnasien- und Schulordnung. Weimar 1733. Vgl. Krumbholz: Schulwesen, S. 53f. Vgl. Thiele, Gunnar: Geschiche der Preußischen Lehrerseminare. 1. Teil. Allgemeine Voraussetzungen zur Geschichte der Preußischen Lehrerseminare. Berlin 1938, S. 147. Vgl. Krumbholz: Schulwesen, S. 82; Thiele: Lehrerseminare, S. 146f. Vgl. Thiele: Lehrerseminare, S. 148. Vgl. Krumbholz: Schulwesen, S. 82.

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Anna Amalia in der Residenzstadt kein vom Gymnasium institutionell losgelöstes Seminar.336 Die zögerlichen Bemühungen der herzoglichen Familie und des Konsistoriums, in Sachsen-Weimar-Eisenach Seminare für Anwärter des niederen Schuldienstes zu gründen, bildeten keine Ausnahme. Auch in anderen deutschen Territorien blieben die staatlichen und kirchlichen Ausgaben für diese Vorhaben im überschaubaren Rahmen.337 Erst in der Regierungszeit Carl Augusts wurde die Idee vorangetrieben, einen Plan für ein Lehrerseminar zu entwerfen. Johann Gottfried Herder, der 1780 mit der Abfassung eines solchen Entwurfes beauftragt war, empfahl Carl August, das Seminar enger mit anderen Bildungseinrichtungen der Stadt zu verknüpfen.338 Herder kritisierte die Arbeit Johann Georg Hertz’ (1726–1800)339, der schon von Anna Amalia mit der Einrichtung und Betreuung eines Seminars beauftragt worden war. Hertz überfordere diese Aufgabe und beschränke den Unterricht der Seminaristen auf ein paar wenige Stunden, die sie in der Mädchenschule zu hospitieren hatten.340 Herders Vorschläge beinhalteten die strukturelle Stärkung des Seminars und eine gründliche Eignungsprüfung der Kandidaten.341 Am 31. März 1788 öffnete im Erdgeschoss der Mädchenschule hinter der Stadtkirche in Weimar erstmals ein Schullehrerseminar.342 Anfänglich wurden die ersten 28 Seminaristen vor ihrer Aufnahme von Herder, nach dessen Tod von Karl Friedrich Horn geprüft und mussten in öffentlichen Examina ihre Fortschritte unter Beweis stellen.343 Unter336 337 338

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Vgl. Ranitzsch: Lehrerseminar, S. 7. Vgl. Thiele: Lehrerseminare, S. 131. Vgl. Krumbholz: Schulwesen, S. 88; Kessler, Martin: Johann Gottfried Herder – der Theologe unter den Klassikern. Das Amt des Generalsuperintendenten von Sachsen-Weimar. 1. Teil (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 102/I). Berlin und New York 2007, S. 428–434. Vgl. Saupe: Signale, S. 116. Vgl. Fischer, Konrad: Geschichte des deutschen Volksschullehrerstandes. Bd. 1. Vom Ursprunge der Volksschule bis 1790. Hannover 1892, S. 298. Vgl. Ranitzsch, Hermann: Herder und das Weimarer Seminar, in: Pädagogische Blätter für Lehrerbildung und Lehrerbildungsanstalten 32 (1903), S. 584–610, hier S. 587. Vgl. Kessler: Herder, S. 433. Vgl. Ranitzsch: Lehrerseminar, S. 10; Krumbholz: Volksschule, S. 2. Vgl. auch ThHStAW B 4439; ThHStAW B 44391; Ranitzsch: Herder, S. 594 und 598. Vgl. Krumbholz: Schulwesen, S. 88 und 125; Reichard, Susanne: Bürgerliches Humanitätsideal und Schulwirklichkeit. Die pädagogischen Anschauungen Johann Gottfried Herders und sein Einfluß auf das Schulwesen des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Maschinenschriftl. Mskr. Diss. Jena 1989, S. 119.

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kunft fanden sie in Wohnungen Weimarer Bürger. Für gewöhnlich unterrichteten die ältesten Seminaristen, die zuvor die Unterrichtsstunden in Latein, Singen und Rechnen am Gymnasium besucht hatten, ihrerseits jüngere Schüler am Gymnasium, an der Garnisonsschule, der Freischule344 und an der Mädchenschule.345 Abgesehen von den didaktischen Vorteilen, die den Seminaristen im Gegensatz zu einer theorielastigen Ausbildung aus den praktischen Unterrichtseinheiten erwuchsen, hielt sich die finanzielle Belastung des Lehrerseminars durch die Teilnahme am öffentlichen Schulunterricht in Grenzen.346 Zudem vermutete Herder schon um 1800, dass die Weimarer Bevölkerung einer ausschließlich von Seminaristen geleiteten Freischule sehr kritisch gegenüber stünde, weil die angehenden Lehrer den zahlreichen Schulversäumnisse nichts entgegenzusetzen hätten.347 Besonders talentierte junge Männer aus dem Falkschen Institut beabsichtigten, später als Schullehrer zu arbeiten. Für deren Ausbildung griff Falk auf die Infrastrukturen des staatlichen Lehrerseminars zurück. Die Lehrerausbildung im Falkschen Institut zählte demzufolge zu jenen ›angelehnten‹ Privatanstalten, von denen staatliche und behördliche Vertreter Kenntnis hatten.348 Die Praxis des gegenseitigen Unterrichtens – wie es auch Herders Ideen entsprach – und die dadurch eingeführte Ausbildung zukünftiger Schullehrer konstituierten eine Art internes Seminar innerhalb des Falkschen Instituts.349 »Johanneum heißt diejenige Anstalt der Freunde in der Not, aus welcher zwölf Knaben freie Kost, Wohnung, Unterricht, Kleidung erhalten. Sie bestehen sämtlich ein Probejahr und widmen sich sodann als künftige Landschullehrer oder, sollten ganz ausgezeichnete Anlagen dafür entscheiden, als künftige Landgeistliche dem Dienst der Kirche.«350

Nachfolgende Generationen bezeichneten die Ausbildung und Mitarbeit junger Seminaristen im Falkschen Institut als Johanneum351, das jedoch 344

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Vgl. Brief Gerhard Heinrichs an Wilhelm Christoph Günther, Weimar 3. April 1819, in: StdAW HA I–27–119, unfol. Vgl. Ranitzsch: Lehrerseminar, S. 10. Vgl. Reichard: Humanitätsideal, S. 120. Vgl. Aktenfragmente betr. den Herderschen Vortrag, [Weimar] 1800, in: ThHStAW B 44391, Bl. 1r.–2r., hier Bl. 1v. Vgl. Moderow, Hans-Martin: Volksschule zwischen Staat und Kirche. Das Beispiel Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert. Köln, Weimar und Wien 2007, S. 377. Vgl. Reis: Falk, S. 39. Vgl. Falk: Johanneum, S. 81. Vgl. Falk: Erinnerungsblätter, S. 89.

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nicht als eine räumlich abgegrenzte Institution einer Schulanstalt innerhalb des Falkschen Instituts zu begreifen ist, wie dies in der Forschung kolportiert wird.352 Denn obwohl Falk 1817 um staatliche Unterstützung für ein baulich abgetrenntes Seminar bat,353 in dem zwölf – entsprechend der Anzahl der Jünger Jesu – junge Seminaristen mit dem Vorsteher des Falkschen Instituts zusammenlebten, wurde dieser Plan nie verwirklicht. Im Nachlass Falks lässt sich die Verwendung des Begriffs Johanneum, den Falk vermutlich von der 1529 in Hamburg gegründeten gleichnamigen und ganz den Ideen Luthers verpflichteten Gelehrtenschule kannte,354 nur vereinzelt belegen. Gegenüber Thieme bezeichnete Falk im Jahr 1821 mit diesem Namen das gesamte Falksche Institut,355 sodass die Begriffe Falksches Institut und Johanneum bei Falk synonyme Verwendung fanden.356 Symbolisch versinnbildlichte die Namenswahl die religiösen Wertvorstellungen, auf denen die Lehrerausbildung basieren sollte. So wie der Evangelist Johannes in besonderer Nähe zu Jesus stand und ihm nachfolgte,357 sollten sich auch die zukünftigen Lehrer durch einen göttlichen Auftrag berufen fühlen und in ihrem Lebenswandel den christlichen Geboten entsprechen.358

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Vgl. beispielsweise Oldenberg: Falk, S. 69; Götzelmann, Arnd: Die soziale Frage, in: Brecht, Martin / Deppermann, Klaus / Gäbler, Ulrich (Hrsg.): Geschichte des Pietismus. Bd. 3. Der Pietismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Göttingen 2000, S. 272–307, hier S. 279; Eckart, Rudolf: Johannes Falks Reise nach Jena und Weimar im Jahre 1794. Jena 1913, S. 1. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XVIII; Johannes Falks ergebenstes Pro Memoria an die hohen Landstände, Weimar 1817, in: ThHStAW Bestand Landtag Sachsen-Weimar-Eisenach 68, Bl. 305r.–307v., hier Bl. 307r.; Reis: Falk, S. 41. Vgl. Calmberg, Ernst Philipp Ludwig: Das Johanneum zu Hamburg. Hamburg 1829, S. 20f. Vgl. Brief [Abschrift] Johannes Falks an August Thieme, Weimar 3. Juli 1821, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 41v.–44r., hier Bl. 41v.–42r. Vgl. Garland, Henry / Garland, Mary: Art. »Falk, Johannes Daniel«, in: Dies. (Hrsg.): The Oxford Companion to German Literature. New York 1997, S. 218. Den Begriff ›Seminarium‹ verwendet Falk zur Bezeichnung des Landschullehrerseminars. Vgl. Testament [Abschrift] Johannes Falks, Weimar 12. Februar 1826, in: GSA 15/N 22, unpag. Vgl. Naundorfer, Georg: Der Lieblingsjünger Johannes. Auf den Spuren des Judas Iskariot. Norderstedt 2010, S. 107–122. Vgl. Brief [Abschrift] Johannes Falks an August Thieme, Weimar 3. Juli 1821, in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 41v.–44r., hier Bl. 42r.

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Weil Falk die Seminaristenausbildung eng mit anderen städtischen und kirchlichen Institutionen verzahnte, lebten die jungen Männer nicht isoliert im Falkschen Institut. Als Angehörige des Lehrerseminars standen die Mitglieder des Johanneums mit Zöglingen des Instituts, mit Schülern Weimarer Bildungseinrichtungen sowie mit anderen, nicht zum Johanneum gehörenden Seminaristen in engem Austausch.359 Indem die Seminaristen wichtige Aufgaben innerhalb und außerhalb des Instituts in Schulen und privaten Haushalten übernahmen, kamen sie mit unterschiedlichen Generationen in Kontakt. Es war nicht ungewöhnlich, dass Eltern in der Tagespresse inserierten, um für den Privatunterricht ihrer Kinder nach geeigneten Seminaristen zu suchen.360 Johannes Falk erwartete von den zukünftigen Lehrern einen moralisch gesitteten Lebenswandel, wozu auch ein angemessener Umgang zwischen den Geschlechtern gehörte. Liebesbeziehungen oder sexuelle Kontakte zu jungen Frauen waren ebenso unerwünscht wie durch Seminaristen hervorgerufene illegitime Schwangerschaften, die Falk als Kennzeichen eines unmoralischen Lebenswandels am Weimarer Schullehrerseminar beschrieben hatte.361 »Mit den großen Knaben, so wie sie in’s Seminar kommen, ist vollends nichts, wie Unflath. Wie man sie anfaßt, besudelt man sich.«362 Weil sich die Seminaristen mit dem Musizieren bei Tänzen und in Gastwirtschaften einen Teil ihres Lebensunterhaltes verdienten, standen sie in der andauernden Gefahr, bei diesen oft ausschweifenden Zusammenkünften normative Geschlechtervorgaben zu unterlaufen. Im Johanneum des Instituts sah Falk hingegen die Umsetzung derartiger Vorgaben in angemessener Weise realisiert. Ob die Unterschiede im sittlich-moralischen Betragen und die Geschlechterpraktiken zwischen dem Johanneum und dem öffentlichen Seminar voneinander abwichen bzw. im Johanneum besonders ethisch gefestigte Lehrer ausgebildet wurden, ist zu bezweifeln. Schließlich gehörte der Stiftsprediger Karl Friedrich Horn nicht nur dem Falkschen Institut an, sondern fungierte spätestens seit 1816 auch als Inspektor des öffent359

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Dies war auch dem Oberkonsistorium nicht verborgen geblieben, weshalb es von Falk eine genaue Übersicht dieser Wechselbeziehungen verlangte. Vgl. Schreiben des Oberkonsistoriums an Johannes Falk, Weimar 29. Juni 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 191r. Vgl. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 55 vom 10.07.1829, S. 340. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VII. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, [Weimar] 4. Juli 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 30. Stück.

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lichen Lehrerseminars,363 sodass auch auf Ebene der Verantwortlichen personelle Verflechtungen existierten und ein Ideenaustausch stattfand. Verantwortlichen wie Horn war es ebenfalls bewusst, dass angehende Lehrer den Schülern gegenüber eine gewisse Vorbildwirkung besaßen,364 sodass normabweichendes Verhalten, wie es Falk beobachtet haben wollte, auch im Lehrerseminar Weimars vermutlich nicht ohne Sanktionen blieb. Ein Teil der Seminaristen des Landschullehrerseminars gehörte als Gruppe der finanziell unterstützte Perzipienten auch zum Falkschen Institut, sodass »vielleicht die Hälfte des ganzen künftigen Schullehrerseminariums unter die Aufsicht der Freunde in der Noth gekommen«365 ist. 1818 besuchten das Landschullehrerseminar etwa 70, zeitweilig sogar 77 Seminaristen; in den frühen 20er Jahren des 19. Jahrhunderts stagnierte die Anzahl bei ca. 75 zukünftigen Lehrern.366 Ob tatsächlich mehr als 35 Seminaristen zeitgleich dem Johanneum des Falkschen Instituts angehörten oder durch die Gesellschaft der Freunde in der Not unterstützt wurden, ist fraglich. In den Jahresberichten der Gesellschaft werden für die Jahre 1815, 1816 und 1819 lediglich zwölf, elf bzw. vier Seminaristen oder junge Männer verzeichnet, die anderen Unterricht erteilen.367 Zwar wurden Zöglinge des Falkschen Instituts auch von Seminaristen des Landschullehrerseminars oder von Söhnen Weimarer Künstler – wie etwa Moritz Heinrich Unrein, Sohn des Musikdirektors Johann Adam Gottfried Unrein – unterrichtet, aber auf die Hälfte der Weimarer Seminaristen oder dort ansässigen jungen Lehrer dürfte Falk weder unmittel- noch mittelbar Einfluss gehabt haben. 363

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Vgl. Brief [Entwurf] Karl Friedrich Horns an das Oberkonsistorium, Weimar 14. Mai 1819. in: ThHStAW Bestand Nachlässe Karl Friedrich Horn, 12, Bl. 5r.–6r.; Staatshandbuch 1816. Vgl. [Auszug] Plan zu einer Industrie-Schule, [Weimar 1805], in: ThHStAW HA A XXV, Akten 382, Bl. 1r.–8v., hier Bl. 7r. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VIII. Vgl. Nachricht Johann Gottfried Melos, Weimar 29. Mai 1818, in: ThHStAW B 44392, Bl. 3r.; Nachricht Johann Gottfried Melos, Weimar 24. Oktober 1818, in: ThHStAW B 44392, Bl. 4r.; Nachricht Johann Gottfried Melos, Weimar, in: ThHStAW B 44392, Bl. 6r.; Nachricht Johann Gottfried Melos, Weimar o. D., in: ThHStAW B 44392, Bl. 7r.; Nachricht Johann Gottfried Melos, Weimar 23. Mai 1820, in: ThHStAW B 44392, Bl. 8r. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816); Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817); Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 3 (1819).

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Als die Frage nach dem Verhältnis des Falkschen Instituts zu anderen karitativen Einrichtungen und staatlichen Behörden aktuell wurde, verwies Falk auf jene Vorteile, die aus einer institutionellen Beziehung zwischen dem Johanneum und dem Lehrerseminar erwachsen könnten. »Die Verbindung unserer Anstalt, mit dem künftigen Seminarium, das schon halb in ihr enthalten ist, würde ein Triumph der Menschheit seyn.«368 De facto fand bereits eine enge Zusammenarbeit zwischen den Seminaristen des Schullehrerseminars und des Johanneums im Falkschen Institut statt, wo ein Großteil der angehenden Pädagogen unterrichtete.369 Von Seiten der großherzoglichen Regierung wurde der im Falkschen Institut praktizierte Grundsatz »docendo discimus«370 durchaus wohlwollend wahrgenommen, gelang es doch Falk mit Hilfe der im Institut ausgebildeten Seminaristen, »ganz verwilderte[,] von moralische[m] Schlamm halb erstickte Kinder«371 zu erziehen. Falk führte in seiner Argumentation nicht nur die positiven Ergebnisse in der Entwicklung jener Schüler an, die von Seminaristen unterrichtet und beaufsichtigt wurden, sondern hob auch die Vorteile hervor, die jedem einzelnen Seminaristen erwuchsen. Im Falkschen Institut könne die Lehrerausbildung zentralisiert organisiert werden, was sich in erster Linie positiv auf das didaktische Geschick und die moralische Entwicklung der Seminaristen auswirke.372 Falk kritisierte vor den Landständen, dass die Seminaristen des Schullehrerseminars in verschiedenen Unterkünften der Stadt wohnten, die allein mit Blick auf einen günstigen Mietzins ausgesucht wurden.373 Die Frage, inwieweit sie dort auf Vermieter oder Nachbarn trafen, deren Lebensweise oder Ansichten den Anforderungen an einen zukünftigen Lehrer entgegenstanden, spielte im Landtag hingegen kaum eine Rolle. Weil sich das sittliche Betragen der Seminaristen des Falkschen Instituts bewährt habe und eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrerseminar, Johanneum und Weimarer Bildungseinrichtungen bereits bestünde, solle 368

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Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. VIII (Unterstreichungen im Original). Vgl. Bericht Johannes Falks an Karl Friedrich Horn, in: ThHStAW B 4850aa, Bl. 8r.–9v., hier Bl. 8r. Vgl. Bericht der großherzoglichen Kammer an das 2. Departement, 9.Mai 1818, in: ThHStAW B 4761a, Bl. 25r.–26v., hier Bl. 26r.–26v. Vgl. ebd., Bl. 26r. Vgl. Elster: Fürsorgeerziehung, S. 91. Vgl. Johannes Falks ergebenstes Pro Memoria an die hohen Landstände, Weimar 1817, in: ThHStAW Bestand Landtag Sachsen-Weimar-Eisenach 68, Bl. 305r.– 307v., hier Bl. 307r.

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diese Verbindung dauerhaft institutionell gefestigt werden.374 Falk schwebte im Gegensatz zur Eisenacher Lösung, derzufolge die Seminaristen unter der Leitung Friedrich Schröters zunächst in einer kleinen Gruppe im ›Frenzelschen Haus‹ wohnten, dann aber im weniger geeigneten Zuchthausgebäude untergebracht wurden,375 ein nicht zu zentral liegendes und mit einem Garten versehenes Anwesen vor.376 Die Ausbildung der Lehrer wurde ab 1818 im eisenachischen Landesteil mit der Einrichtung eines Seminars staatlich reglementiert.377 Falk kannte das 1817 in Potsdam gegründete Lehrerseminar, in dem genügend Platz vorhanden war, um allen Seminaristen eine Unterkunft zu bieten.378 Als vorbildlich wird er 1819 auch das Fuldaer Landschullehrerseminar wahrgenommen haben, das unter der Leitung des dortigen Benediktinerordens stand. Mit dem Seminar waren andere Fuldaer Bildungseinrichtungen auf das Engste verbunden, sodass die religiöse Unterweisung der Schüler, die Ausbildung der Seminaristen und der von ihnen praktizierte Unterricht unablässig beaufsichtigt wurden.379 1821 wurde im Rahmen des Schulhausneubaus für die Frei- und Arbeitsschule darüber nachgedacht, ein Seminargebäude in Weimar anzulegen. Dort sollte neben einzelnen Seminaristen auch Johann Gottfried Melos eine Unterkunft finden, da er in diesem Haus die Seminaristen in zwei Klassen unterrichten könnte.380 Erst mit der Eröffnung der Bürgerschule im Jahr 1825 nahm der Plan eines eigenständigen Seminars konkretere Formen an. Ziel war es, die Seminaristen enger an die ausbilden374

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Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. XVIIf. Vgl. Eberhardt, K. Friedrich: Geschichte und Lehrplan des Eisenacher Schullehrer-Seminars zusammengestellt bei Gelegenheit der 50jährigen Seminar-Jubelfeier am 4. und 5. August dieses Jahres und der am 5. August stattfindenden Grundsteinlegung des neuen Seminar-Gebäudes. Eisenach 1868, S. 15–17. Vgl. Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 10.12.1823, in: ThHStAW B 4396, Bl. 134r.–139v., hier Bl. 137r. Vgl. Krumbholz: Volksschule, S. 14. Vgl. Einladung Carl Friedrich von Klödens zur Einweihung der Orgel im Seminar, [Potsdam] 7. Juli o. J., in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 43r.–47v.; Schmidt, Heinrich Karl Philipp: Geschichte und Topographie der Königl. Preussischen Residenzstadt Potsdam. Potsdam 1825, S. 172. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Fulda 7. Oktober 1819, GSA 15/V, 1a, Bl. 33r.–34r. Vgl. Schreiben Christoph Wilhelm Günther [an den Weimarer Magistrat], Weimar 1821, in: StdAW HA I–27–80, Bl. 2r.–5v., hier Bl. 5v.; Art. »Johann Gottfried Melos«, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 6 (1828), S. 900–902.

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den Lehrer zu binden, die dadurch ihrerseits frühzeitig bemerken würden, welche Heranwachsenden besonders für den Lehrerberuf geeignet wären.381 Am zweckmäßigsten sei die zusätzliche Einrichtung einer in der Bürgerschuldirektorwohnung untergebrachten »Selecta«382, in der zwölf Seminaristen unter der strengsten Aufsicht wohnen und unterrichten sollten. Diese Forderung entsprach Falks Vorschlägen, die er in der Immediatkommission mehrfach geäußert hat. Eine Unterbringung aller Seminaristen in einer Anstalt konnte hingegen nicht realisiert werden.383 Die Einrichtung einer eigenen Vorschulklasse wurde für das Weimarer Seminar nicht in Erwägung gezogen, da die Mehrheit der Kommissionsmitglieder der Ansicht war, dass der Erwerb der notwendigen Kenntnisse »Sache eines jeden Individuums sey«384. Die 60 Seminaristen, die nach der zeitgenössischen Vorstellung nötig waren, um den Unterrichtsbetrieb in Weimar und im Umland aufrecht zu erhalten, sollten jeweils zwei Jahre in einer Unter- und in einer Oberklasse unterrichtet werden. Der Ausbildungsgang sah vor, dass sich Seminaristen nicht nur im Lesen, Schreiben, in der Religion, der Pädagogik, der Musik oder dem Orgelspiel weiter qualifizierten, sondern dass sie sich auch thematisch mit Geographie, der Kirchengeschichte sowie der deutschen, europäischen und großherzoglichen Geschichte auseinandersetzten. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Falk 1825 nicht mehr persönlich an der in der Immediatkommission geführten Diskussion zur Neuordnung des Lehrerseminars teilnehmen.385 Seine schon 1821 artikulierte Forderung nach Seminarstunden in der »Physik«386 fand dennoch Gehör. Lehrer wurden mit physikalischen Erscheinungen, wozu die »Würckungen in der Natur«387 zählen, vertraut 381

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Vgl. Bericht über die Sitzung der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 11. Oktober 1825, in: ThHStAW B 4396, Bl. 166r.– 167r. Vg. Protokoll über Sitzung der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 19.10.1825, in: ThHStAW B 4396, Bl. 172r.–177r., hier Bl. 174r. Im 1820 in Erfurt eröffneten Seminargebäude wurden alle 40 Seminaristen untergebracht. Vgl. N. N.: Etwas von der Einrichtung und dem bisherigen Gange des Volksschullehrerseminars zu Erfurt, in: Allgemeine Thüringische Vaterlandskunde. 3. Stück vom 15.06.1822, S. 17–21, hier S. 18. Protokoll über Sitzung der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 19.10.1825, in: ThHStAW B 4396, Bl. 172r.–177r., hier Bl. 174v. Vgl. ebd., Bl. 172r. Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 30.04.1821, in: ThHStAW B 4396, Bl. 74r.–83r., hier Bl. 78v.

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gemacht, um abergläubischen Tendenzen entgegenzuwirken.388 So lernten die Seminaristen beispielsweise astronomische Zusammenhänge – wie die Konstellationen der Gestirne und die »daher kommende[n] Erscheinungen« – kennen.389 Diese volksaufklärerischen Ideen hatte bereits Herder in seinem Plan für ein Landschullehrerseminar geäußert.390 Während Johann Gottfried Melos als einziger ausschließlich im Seminar arbeitender Lehrer die meisten Stunden erteilte, gehörten die anderen Lehrer des Seminars verschiedenen Weimarer Institutionen an. Ernst Ludwig Schweitzer, der zunächst Theologie studiert und erst in Leipzig sein Interesse für pädagogische und didaktische Themen entdeckt hatte, gab als Lehrer und Inspektor des Seminars nicht nur die Religions- und Methodikstunden, sondern versah zugleich an der Bürgerschule das Amt des Direktors.391 Johann Adam Zipffel, Lehrer für Musik am Gymnasium sowie Kammermusiker Herzog Carl Augusts,392 Johann Gottlob Töpfer, Organist in der Stadtkirche, und Carl Eberwein, der Musikdirektor der Hofkapelle, unterrichteten Instrumentalmusik, Gesang bzw. Orgelspiel.393 Mit Karl Friedrich Horn, der den Seminarunterricht sowohl in der Unter- als auch in der Oberklasse unterstützte, behielt auch das Oberkonsistorium einen unmittelbaren Einfluss auf den Unterricht im Schullehrerseminar.394

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Vgl. Art. »Natur-Lehre, Natur-Kunde, Natur-Wissenschaft, Physick«, in: Zedler Bd. 23, Sp. 1147–1167, hier Sp. 1147. Protokoll der Immediatkommission für das Unterricht- und Erziehungswesen, Weimar 30.04.1821, in: ThHStAW B 4396, Bl. 74r.–83r., hier Bl. 78v. Vgl. Art. »Aberglaube«, in: Zedler Bd. 1, Sp. 107–111, hier Sp. 109. Entwurf [Abschrift] zur Einrichtung des Großh. Landschullehrer-Seminars zu Weimar, [Weimar um 1825], in: ThHStAW B 4396, Bl.192r.–196r., hier Bl. 192v. Vgl. auch Art. »Natur-Lehre«, Sp. 1148. Vgl. Reichard: Humanitätsideal, S. 119. Vgl. Staatshandbuch 1827. Vgl. ebd. 1823 und 1827. Für Töpfer und Eberwein vgl. jeweils Staatshandbuch 1827; Entwurf [Abschrift] zur Einrichtung des Großh. Landschullehrer-Seminars zu Weimar, [Weimar um 1825], in: ThHStAW B 4396, Bl.192r.–196r., hier Bl. 192v.–193r. Vgl. Staatshandbuch 1827.

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3.5 Näh- und Spinnanstalt Zum Falkschen Institut gehörten die ›Näh- und Spinnanstalten‹395, in denen Mädchen und junge Frauen in verschiedenen Handarbeiten unterrichtet wurden. Witwen und bedürftige Mütter erhielten – so wie im Patriotischen Institut der Frauenvereine – aus dem Institut hingegen Flachs oder Baumwolle ausgeteilt, um sich mit der Verarbeitung der Naturmaterialien zu Garn einen Beitrag für ihren Lebensunterhalt hinzuzuverdienen.396 Diese Hilfe für Arme sah lediglich die Austeilung von Arbeitsmaterialien vor, war aber selbst kein Bestandteil der im Folgenden dargestellten Spinn- und Nähanstalten des Instituts. Eine ähnliche Differenzierung unterschiedlicher Hilfsansätze kannte auch der Weimarer Frauenverein: In den Spinnanstalten arbeiteten bedürftige Personen dauerhaft oder nur in den Wintermonaten. In den Sommermonaten verdienten gesunde Bedürftige ihren Lebensunterhalt durch Feldarbeit.397 Sogenannte ›verschämte Arme‹, wobei es sich ausnahmslos um Frauen handelte,398 erhielten Flachs zur Weiterverarbeitung. Seit dem 2. Januar 1816 fanden sich junge Frauen in einer in den Räumlichkeiten der Freischule eingerichteten Industrieschule ein, um dort im Anfertigen von Kleidungsstücken unterwiesen zu werden.399 Schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden im thüringischen Raum erste Spinnstuben, in denen in den Wintermonaten ledige Frauen arbeiteten.400 Etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich all395

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Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. auch den Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817); Dietsch: Last, S. 127f.; Bericht des Central-Frauen-Vereins Weimar vom 1. Quartal 1825, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 424, Bl. 122r.–124v., hier Bl. 122v. Vgl. Brief Henriette von Fritschs an Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Weimar 29. April 1818, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 422, Bl. 126r.–128r., hier Bl. 126v. Vgl. Bericht Carl Schwabes, [Weimar] 28. Juli 1821, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 8, Bl. 70r.–75r., hier Bl. 71r. Vgl. Übersicht von dem Patriotischen Institute der Frauenvereine in dem Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 8, Bl. 25r.–26v., hier Bl. 25r.; Votum Ottilie von Goethes, [Weimar 1821], in: ThHStAW ebd., Bl. 86r.–87v.; Brief Henriette von Fritschs an Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Weimar 3. März 1816, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 422, Bl. 59r.–62v., Bl. 59v.; Reder: Frauenbewegung, 1998, S. 257.

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mählich auch ›Kinder- und Jugendspinnstuben‹, die von Konfirmandinnen besucht wurden. Ein logistisches Problem stellte die Unterbringung der platzeinnehmenden Spinnräder dar.401 Deshalb ist es durchaus wahrscheinlich, dass der Spinnunterricht für die wachsende Zahl der Schülerinnen nur in den Anfangsjahren direkt im Falkschen Institut in der Esplanade abgehalten wurde, wo sich in einer geheizten Stube jeweils mittwochs und sonnabends bis zu maximal 16 junge Frauen einfanden.402 Ab 1817 konnten die etwa 100 Spinnerinnen kaum mehr vollständig in den Räumlichkeiten des Instituts ausgebildet werden, sodass einzelne Heranwachsende Unterricht in Häusern erfahrener älterer Frauen erhielten.403 Trotz der Anschaffungskosten besaßen auch ärmere Frauen ein Spinnrad,404 weil es die einzige Möglichkeit für einen Hinzuverdienst darstellte, sei es durch den Verkauf des Garnes oder den Unterricht jüngerer Frauen, dessen Finanzierung Falk sicherstellte.405 Johannes Falk reagierte auf die Nachfragen aus Weimar oder den umliegenden Ortschaften und zog immer dann in Erwägung, eine Näh- oder Spinnschule einzurichten, wenn vor Ort eine ausreichende Anzahl lernwilliger junger Frauen vorhanden war.406 Bei diesen Zusammenkünften handelte es sich nicht um Schulstunden in einer dafür eingerichteten institutionalisierten Bildungsstätte, sondern um Unterrichtseinheiten, die in den Privaträumen einer unterrichtenden Frau abgehalten wurden. 400

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Vgl. Stahl, Ernst: Spinnstuben in Thüringen. Vorwiegend im 19./20. Jahrhundert. Erfurt 1988, S. 22. Vgl. Einrichtung einer Spinnschule, in: ThHStAW B 4756a, Bl. 21r.–28v., hier Bl. 281r.–281v. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Auch in einem Brief an die Großherzogin Louise aus dem Jahr 1815 spricht Falk von zwanzig »ziemlich erwachsenen Mädchen«, die sich durch Spinnen eigene Kleider anfertigten. Vgl. Brief Johannes Falks an Großherzogin Louise, Weimar 15. August 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 366v.–368r., hier Bl. 368r. Vgl. Aufzeichnungen über die Geschwister Quensel, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 282v. Vgl. etwa Bericht an das Oberkonsistorium, Rastenberg 26. März 1828, in: ThHStAW B 4878d, Bl. 50r.–50v., hier Bl. 50r. Die Kosten für ein Spinnrad dürften nur wenige Taler betragen haben. So versprach Falk beispielsweise Maria Sophie Meissner einen Zuschuss zu einem Spinnrad von 12gr. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Meißner aus Eckstedt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 430r. Vgl. Aufzeichnungen über Susanna Louise Mühle, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 296v. Vgl. Aufzeichnungen über Amalia Harz, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 361r.

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Wie aus Rechnungsbelegen hervorgeht, trafen sich die jungen Frauen bald nicht mehr nur im Institut, sondern versammelten sich auch außerhalb der Residenzstadt in Apolda, Buttelstedt, Geisa, Remda und Stadtsulza in den Wohnungen erfahrener Lehrerinnen, die aus der Kasse der Gesellschaft der Freunde in der Not für Handarbeitsunterricht bezahlt wurden.407 In den Nähstunden wurden keine Garne gesponnen, sondern unter Anwendung unterschiedlicher Handarbeitstechniken verschiedene Produkte angefertigt, wobei die Mehrzahl der Mädchen und jungen Frauen Socken strickte oder andere Bekleidungsstücke zusammennähte.408 Eine weitere Ausdifferenzierung des Unterrichts – beispielsweise zwischen Näh- oder Strickschulen – war um 1800 nicht üblich, sodass verschiedene Arbeitstechniken parallel oder nacheinander an einem Unterrichtsort vermittelt wurden.409 Die Näh- und Spinnanstalten können folglich nicht auf einen einzigen konkreten geographischen Ort im Falkschen Institut reduziert werden. Der Unterricht fand an unterschiedlichen Lokalitäten Weimars und des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenachs statt. Ebenso wenig handelte es sich um feste Institutionen, die einem ausgearbeiteten gemeinsamen Regelwerk – abgesehen beispielsweise von den regelmäßigen Versammlungstagen – folgten. Dagegen bildeten diese Zusammenkünfte homogene Geschlechterräume, in denen ausnahmslos junge Frauen praktische Fähigkeiten wie das Stricken von Strümpfen erlernten, »die dreyzehn Jahre alt, aus der Schule entlassen sich zu ihrem künftigen Eintritt in’s bürgerliche Leben, wo ihnen so selten eine liebreiche väterliche Hand entgegen kommt, vorbereiten und geschickt machen soll.«410

Es ist zu vermuten, dass kleine Mädchen, aber auch Jungen ebenfalls in den Nähschulen des Instituts unterrichtet wurden, wie es beispielsweise in der 1781 eingerichteten und zur Garnisonsgemeinde gehörenden Weimarer Spinnschule lange Zeit üblich war.411 407

408 409 410

Vgl. Quittungen von Rosina Ingbern, Buttelstedt, 1. April 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 502r. und 503r.; Quittung von Charlotte Fischer, Remda 27. Juli 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 506r.; Aufzeichnung Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 511r.; Brief Anna Josepha Klingels an Johannes Falk, [Geisa 1818], in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 237r.–238v.; Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 7. August 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 54r.; Aufzeichnungen über die Geschwister Böttiger, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 294r. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. beispielsweise ThHStAW B 4758a. Ideen zu einer bürgerlichen Gewerbeschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1., Bl. 339v.– 340r., hier Bl. 339v.

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Zwischen den Spinn- und Nähanstalten des Patriotischen Instituts der Frauenvereine und des Falkschen Instituts bestand eine Zusammenarbeit, deren Qualität von der Forschung nur undifferenziert charakterisiert wurde.412 Abgesehen von dem aus der Privatschatulle Maria Pawlownas bestrittenen Beitrag unterstützten sich beide Hilfsprojekte wechselseitig, wie es ein Bericht über die Einnahmen der verschiedenen Frauenvereine aus dem Jahr 1816 belegt. Caroline Ludecus und Luise von Ziegesar bestätigten in dem Bericht, dass die Vereine auch von der Gesellschaft der Freunde in der Not unterstützt wurden und mehr als 18 Ellen Leinwand für Schürzen erhielten.413 Im Gegenzug profitierten junge männliche Zöglinge des Falkschen Instituts vom Patriotischen Institut, das Hosen, Hemden, Halstücher, Jacken und Strümpfe zur Verfügung stellte.414 Es ist anzunehmen, dass die durch das Falksche Institut unterstützten jungen Frauen auch von der Spinnanstalt des Patriotischen Instituts der Frauenvereine Materialien zur Weiterverarbeitung erhielten. Im Weimarischen Wochenblatt von 1819 teilte etwa Ottilie von Goethe als Vorsteherin der Spinnanstalt des Patriotischen Fraueninstituts mit, dass am 15. Dezember die Spinnanstalt der Frauenvereine wieder öffne und jeden Mittwoch und Sonnabend zwischen 10 und 13 Uhr Flachs abgeholt und Garn wieder abgegeben werden könne.415 Schon 1816 äußerte Falk in einem Brief an den Ilmenauer Diakon August Thieme, dass eine Vereinigung der unterschiedlichen Fürsorgeeinrichtungen, namentlich der Spinnanstalten, wünschenswert sei: »Ich dächte, die sämtlichen Frauenvereine des Landes ließen sich kurz und gut mit den Freunden in der Noth […] trauen, und Thieme müßte sie kopulieren.«416 Ob es in Weimar 1817 tatsächlich zu einer Vereinigung kam oder die Näh- und Strickstunden an das Patriotische Institut angegliedert wurden und nur die Spinnanstalten beim Falkschen Institut verblieben,417 411

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Vgl. Böhm: »Schulweiber«, S. 5; Einrichtung der Spinnschule, Weimar 07.03.1783, in: ThHStAW B 4756a, Bl. 21r.–28r., hier Bl. 28r. Vgl. Reis: Falk, S. 42; Elster: Fürsorgeerziehung, S. 89; Heufert: Falk, S. 107f. Vgl. Vortrag über die verschiedenen Frauenvereine, Weimar 6. Januar 1816, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 422, Bl. 51r.–53r., hier Bl. 51v. Vgl. Rechnungsmanual über Einnahme und Ausgabe bei dem Frauenverein 1815–1816, in: ThHStAW Hauptfrauenvereine Weimar 1. Vgl. Weimarisches Wochenblatt, Nr. 100 vom 14.12.1819, S. 444. Brief [Konzept] Johannes Falks an August Thieme [Weimar 1816], in: GSA 15/N, 12. Vgl. die Entwicklungen in Ilmenau im Kapitel II.1.4. Vgl. Reis: Falk, 1931, S. 42; Elster: Fürsorgeerziehung, S. 89; Heufert: Falk, S. 107f.

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ist fraglich. Eine vollständige oder gar aufoktroyierte Übernahme der weiblichen Zöglinge in die Frauenvereine fand nicht statt. Vielmehr tauschte sich Johannes Falk mit Henriette von Fritsch418, Mitglied im Weimarer Zentralverein und im Direktorium des Patriotischen Instituts, über die zukünftige Zusammenarbeit beider Organisationen aus, weil einige Heranwachsende sowohl vom Falkschen Institut als auch durch die Frauenvereine unterstützt wurden. Falk und von Fritsch vereinbarten 1817, dass Falk weiterhin diejenigen jungen Frauen unterstützen würde, die zum Institut gehörten und für die Falk die nötigen Kapazitäten besäße.419 Diese Vereinbarung fand Eingang in den Regelkatalog der gesetzlichen Bestimmungen des Patriotischen Instituts der Frauenvereine, wonach vom Falkschen Institut versorgte junge Frauen keinen Anspruch auf eine Hilfe der Frauenvereine hatten.420 In den Jahren zuvor hatte Falk immer wieder junge verwaiste Mädchen an die regional organisierten Frauenvereine vermittelt.421 Dagegen spiegelte sich die Wahrnehmung geschlechterspezifischer Hilfe in den Hilfsanfragen sehr viel stärker wider. Unterstützungssuchende baten Falk ausdrücklich, sich für die Vermittlung einer jungen Frau in den Frauenverein einzusetzen. Diesen Wünschen kam Falk nicht in jedem Fall nach. Fanden weibliche Zöglinge allein den Weg ins Institut, wurden sie weiterhin von der Gesellschaft der Freunde in der Not versorgt.422 Angesichts der begrenzten Ressourcen und des großen Ansturms auf Unterstützung durch die Frauenvereine, über den Henriette von Fritsch klagte,423 ist es aber unwahrscheinlich, dass alle unterstützungsbedürftigen jungen Frauen Weimars ausschließlich durch die Frauenvereine versorgt wurden. Vielmehr belegen die Quellen, dass Johannes Falk und die 418

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Vgl. Kreutzmann, Marko: Art. »Henriette Antonia Albertine Freiin Wolfskeel von Reichenberg, verh. von Fritsch (1776–1859)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 397–399. Vgl. Brief Henriette von Fritschs an Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Weimar 11. August 1817, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 422, Bl. 72r.–74v., hier 74r. Vgl. Gesetzliche Bestimmungen für das patriotische Institut der Frauenvereine, S. 13. Vgl. Rechnungsmanual über Einnahme und Ausgabe bei dem Frauenverein 1815–1816, in: ThHStAW Hauptfrauenvereine Weimar 1. Vgl. etwa den Fall der 11-jährigen Tochter des Maurermeisters Friedrich Matthei aus Hohlstedt, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 427r.–433v. Vgl. Brief Henriette von Fritschs an Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, Weimar 11. August 1817, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 422, Bl. 72r.–74v., hier 74v.

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Gesellschaft der Freunde in der Not auch nach 1817 junge Frauen unterstützten oder Handarbeitsunterricht im Falkschen Institut finanzierten.424 Zwischen beiden Hilfswerken bestand ein vertrauensvolles Verhältnis der Zusammenarbeit, ohne dass eine Organisation in der anderen aufging. Caroline Ludecus, Mitglied im Frauenverein, und Johannes Falk beaufsichtigten beispielsweise 1818 gemeinsam die Arbeit der Lehrerin Charlotte Fischer in der Remdaer Nähschule, die für ihre Arbeit aus der Kasse des Falkschen Instituts entlohnt wurde.425 An anderen Orten – wie etwa in Stadtsulza – waren die Infrastrukturen für weiblichen Unterricht auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet, weshalb sich die Kompetenzbereiche des Falkschen Instituts und der Frauenvereine nicht überschnitten, sondern einander ergänzten. In Stadtsulza bestanden parallel eine vom Frauenverein geleitete Industrieschule für Mädchen und eine von der Gesellschaft der Freunde in der Not unterhaltene Nähschule. In der Industrieschule wurden junge Mädchen bis zur Konfirmation unterrichtet. Junge konfirmierte Frauen fanden in der Nähschule des Falkschen Instituts in Stadtsulza anschließend eine fortgesetzte Unterstützung.426 Obgleich diese Zusammenarbeit in den meisten Fällen konfliktfrei verlief, bestand der Stadtsulzaer Pfarrer Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenach427 auf der Beibehaltung dieser strikten Trennung beider Einrichtungen und wies jede Behauptung über die Vereinigung beider Organisationen 1817 als ein »falsches Gerücht«428 zurück, weil sie sich einerseits unterschiedlichen Zielgruppen zuwandten, andererseits die Lehrerinnen in der Industrieschule im Unterschied zur Lehrerin der Nähschule kein Gehalt für ihren Unterricht erhielten. Über die Gründe, warum der Unterricht in der Stadtsulzaer Nähschule im Frühjahr 1820 auf Anraten Falks endgültig endete, kann nur spekuliert werden. Welche Ursachen zur Einstellung des Unterrichts führten oder ob sogar – so wie es in Ilmenau der Fall war – die Vorstellung existierte, dass weibliche Erziehung eine Aufgabe der Frauenvereine, männliche hingegen eine Obliegenheit des Falkschen Instituts sei, lässt sich nicht 424

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Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. März 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 64. Stück, Bl. 126r.–127v. Vgl. Brief J. L. Burkharts, Remda 27. Juli 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 504r. Vgl. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 7. August 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 54r. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen 1838. Weimar 1840, S. 317–321. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 7. August 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 54r.

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mehr rekonstruieren. Der Stadtsulzaer Pfarrer Eisenach hatte seine Meinung von 1817 bezüglich der Nähschule grundlegend geändert und äußerte neben seiner Zufriedenheit über die erfolgte Schulschließung nun auch Geschlechter separierende Gedanken, die auf eine zunehmende Polarisierung in der Beurteilung von Geschlechterbeziehungen hinweisen: »Uebrigens ist’s mir sehr angenehm, daß Sie die Einstellung dieser Nähstunden verlangen; ich habe dieß längst gewünscht, um für die Lehrburschen dieses Geld gewinnen zu können.«429 Noch 1817 hatte der Pfarrer gegen die Ausgliederung weiblicher Erziehung an den Frauenverein votiert. Drei Jahre später führte er genau das entgegengesetzte Argument an, um eine Fokussierung auf männliche Zöglinge zu forcieren. Obwohl die Gesellschaft der Freunde in der Not, wie Falk selbst betonte, auch die Erziehung und Ausbildung weiblicher Zöglinge praktizierte,430 führte offensichtlich die langfristige Etablierung der Frauenvereine zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer differenzierten Aufgabenzuweisung, die nur die Erziehung eines der Geschlechter erlaubte.

4. Geschlechter (er)arbeiten – Tätigkeit, Arbeit und Beruf Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wurde um 1800 neu verhandelt und zu Gunsten eines polaren Geschlechterverhältnisses ausgelotet. Auch wenn das Melken von Kühen oder Handarbeiten noch nicht per se weiblich konnotierte Aufgabenfelder darstellten, verfestigten sich die zugewiesenen Tätigkeitsbereiche.431 Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich ein ausdifferenziertes System geschlechterbezogener Arbeitsteilung etabliert, sodass Frauen und Männer als Arbeits- oder Erntepaar zusammen wirtschafteten und aufeinander wechselseitig angewiesen waren.432 Ein gesteigertes Augenmerk legte die Geschlechtergeschichte seither auf »solche Konstellationen, in denen Männer traditionelle ›Frauen429

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Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 2. März 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 270r. (Unterstreichungen im Original). Vgl. Brief [Konzept] Johannes Falks an August Thieme [Weimar 1816], in: GSA 15/N, 12. Vgl. Wikander, Ulla: Von der Magd zur Angestellten. Macht, Geschlecht und Arbeitsteilung 1789–1950 (= Europäische Geschichte; 60153). Frankfurt am Main 1998, S. 27. Vgl. Beck, Rainer: Unterfinning. Ländliche Welt vor dem Anbruch der Moderne. München 1993, S. 554.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

arbeiten‹ oder Frauen ›Männerarbeiten‹ übernahmen.«433 Wo diese Befunde zu Tage treten, gilt es nach den Gründen zu fragen, die hergebrachte, anerkannte Geschlechterbeziehungen konterkarierten.

4.1 Heranwachsende Männer im Beruf Ausgehend von der Frage, wie sich der Übergang am Ende des 18. Jahrhunderts von einer ständisch organisierten zu einer bürgerlichen Gesellschaft vollzog, wurde die Bedeutung von Arbeit in erster Linie im bildungsbürgerlichen Milieu analysiert. Kaufmännische Handelsbeziehungen, (akademische) Lehrtätigkeiten, aber auch Selbstbildung wurden als vorwiegend männliche Arbeiten identifiziert. Zweifelsohne prägten diese Betätigungsfelder, in denen sich Männer außerhalb der Familie in einem öffentlichen Raum engagierten und ihren Lebensunterhalt sicherten, das Selbstverständnis bürgerlicher Männer. Die Ergebnisse beruhen auf Analysen, die Lebensentwürfe von erwachsenen Männern zum Untersuchungsgegenstand wählten, d. h. dass sich Aussagen über das Wechselverhältnis von Arbeit und Männlichkeit auf die Erwerbstätigkeit oder selbstständige unternehmerische Aktivitäten von Männern ab dem dritten Lebensjahrzehnt beziehen. Unbeachtet blieb indessen, wie sich der Entwicklungsweg vom heranwachsenden Jungen zum arbeitenden Mann vollzog. Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorherrschenden theoretischen Überlegungen hinsichtlich einer zukünftigen Wirtschaftsform beeinflussten – wie sich im Folgenden zeigen wird – die Ausbildungswege im Falkschen Institut. Physiokraten wie Franc¸ois Quesnay wiesen der Landwirtschaft eine herausgehobene Stellung innerhalb ihres wirtschaftsliberalen Ideensystems zu.434 Wirtschaftstheoretiker wie Adam Smith forderten eine in größeren betrieblichen Formationen angesiedelte arbeitsteilige Produktionsweise, der die vorhandene »Symbiose von korporativ organisiertem Handwerk, Klein- und Fernhandel«435 nicht mehr gerecht wurde. 433

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Wunder, Heide: Arbeiten, Wirtschaften, Haushalten: Geschlechterverhältnisse und Geschlechterbeziehungen im Wandel der deutschen Agrargesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Prass, Reiner u. a. (Hrsg.): Ländliche Gesellschaften in Deutschland und Frankreich. 18.–19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 187). Göttingen 2003, S. 187–204, hier S. 197. Vgl. Söllner, Fritz: Die Geschichte des ökonomischen Denkens. Berlin u. a. 20012, S. 19–24. Vgl. Gall: Gesellschaft, S. 25.

Geschlechter (er)arbeiten

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Es ist zu vermuten, dass um 1800 die berufliche Tätigkeit eines jungen Mannes und die damit einhergehende Integration in die bürgerliche Gesellschaft maßgeblich zum Selbstverständnis eines Heranwachsenden beitrugen. Im Folgenden soll danach gefragt werden, welche Bedeutung tätiges Handeln, Arbeiten und die Ausübung eines bestimmten Berufes in den Fürsorgepraktiken junger Männer einnahmen. Welchen Einfluss besaßen ökonomische Gegebenheiten und Zwänge, gesellschaftliche Zuschreibungen und die individuellen Interessen bei der Entscheidung, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, und in welchem Wechselverhältnis standen diese einzelnen Parameter? Dabei ist zu berücksichtigen, dass junge Männer im Falkschen Institut nicht nur in handwerkliche Lehrberufe vermittelt wurden. Einerseits erhielten talentierte Heranwachsende die Möglichkeit, als Lehrer und Kantor ausgebildet oder auf den Besuch der Universität vorbereitet zu werden. Ihnen standen andererseits all jene ›unprofessionellen‹ und durchaus vielfältigen Tätigkeiten gegenüber, die ein Jugendlicher beispielsweise innerhalb der Familie vor dem Eintritt in das Berufsleben ausübte, ohne dass diese seinen Weg zum ›Mannsein‹ einschränkten. Um das Wechselverhältnis von Arbeit und Männlichkeit in der Lebensphase zwischen Schulaustritt und dem Beginn einer Lehre zu beschreiben, wird der Analyse ein erweiterter Arbeitsbegriff zu Grunde gelegt: Einerseits konnten am Beginn des 19. Jahrhunderts nur die wenigsten Männer einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Vielmehr sahen sich Väter vor die Aufgabe gestellt, nach dem Krieg ihre Familien mit wechselnden Tätigkeiten eines Tagelöhners zu ernähren oder als Eigenversorger die Güter des täglichen Bedarfs zu erwirtschaften. Andererseits erfordert der dynamische Prozess des Heranwachsens, Arbeit nicht allein auf Erwerbstätigkeiten zu reduzieren oder bestimmte Tätigkeiten von jungen Männern als ›Nichtarbeit‹ im Vorfeld per se auszuschließen. Inwieweit wurden bestimmte Arbeiten oder Berufe im Sinne männlicher Identitätsstiftung gekennzeichnet oder unablässiges Tätigsein unabhängig von der konkreten Arbeit zu einem Merkmal männlicher Identität?

4.1.1 Handwerk als männliche Domäne Die um 1800 einsetzenden Industrialisierungsprozesse wie die Mechanisierung von Arbeitsabläufen veränderten den Alltag im ländlichen und städtischen Handwerk grundlegend. Neue Untersuchungen widerlegen die These, dass das Handwerk im Zuge der Industrialisierung flächendeckend bedroht gewesen sei.436 Einerseits setzten sich neue Produkti-

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

onsverfahren nicht überall sofort durch bzw. entwickelten sich aus dem kleinbetrieblichen Umfeld fabrikmäßige Produktionsformen. Andererseits führte die Industrialisierung zu einer verstärkten Nachfrage handwerklicher Leistungen.437 Die vielschichtigen Entwicklungsprozesse in Handwerk, Handel und Industrie waren auch an den thüringischen Kleinstaaten nicht spurlos vorübergegangen und einzelne Wirtschaftszweige wie die porzellan- oder textilproduzierende Industrie erlebten im Laufe des 19. Jahrhunderts einen rasanten Aufschwung.438 Dass dieser Prozess nur allmählich vonstattenging und längst nicht in allen Regionen der thüringischen Staaten gleichförmig verlief,439 zeigt sich am Beispiel der Berufsausbildung im Falkschen Institut. Falks Ziel war es noch, die Mehrzahl der jungen Männer in einem traditionellen Handwerk unterzubringen. In der Residenzstadt Weimar, wo das »Konzept einer bürgerlichen Gesellschaft selbständiger mittlerer Existenzen«440 weithin gegenwärtig blieb und 1821 das Gesetz über die Innungen und Zünfte die Rechte des Handwerks festigte,441 verlor das Zunfthandwerk nur allmählich bis in die 1890er Jahre an Einfluss, sodass die Vermittlung Heranwachsender in ein Handwerk durchaus erfolgversprechend war. Um eine ausreichende Anzahl an Lehrlingsstellen anbieten zu können, wandte sich Falk direkt an die Lehrmeister, die ihrerseits wieder Kollegen auf freie Stellen ansprachen.442

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Vgl. Pierenkemper, Toni: Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert (= EDG; 29). München 2007, S. 61–73. Vgl. Deter, Gerhard: Handwerk vor dem Untergang? Das westfälische Kleingewerbe im Spiegel der preußischen Gewerbetabellen 1816–1861 (= Studien zur Gewerbe- und Handelsgeschichte; 25). Stuttgart 2005, S. 109–118. Vgl. Burkhardt, Falk: Gewerbe, Industrie und Industrialisierung im 19. Jahrhundert in den thüringischen Residenzen, in: Scheurmann, Konrad / Jördis, Frank (Hrsg.): Neu entdeckt: Thüringen – Land der Residenzen. 1485–1918. 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen 15. Mai–3. Oktober 2004. Bd. 3. Essays. Mainz 2004, S. 425–444, hier S. 427 und 442f. Vgl. ebd., S. 442f. Ebd., S. 443. Vgl. Fink, Fritz: Das Geschäftsleben Weimars im Wandel der Zeit, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Weimar 2 (1932), S. 141–157, hier S. 147. Brief des Buchdruckers Schreiber an Johannes Falk, Jena 24. März 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 31r.–31v.

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Handwerk oder Landwirtschaft Obwohl Falk anfangs auch eine Vermittlung an Bauern in Erwägung gezogen hatte, lehnte er dies jedoch wegen der jahreszeitlich schwankenden Beschäftigungsmöglichkeiten ab. Die Konzentration auf eine städtische Lebenswelt verstärkte zudem die Tendenz zur Verbürgerlichung männlicher Lebenswege. Trotz der Bedenken von Seiten der Landstände lehnte er deshalb eine Unterbringung junger Männer bei Bauern auf dem Land durchweg ab. Lediglich im Monatsbuch, aber nicht in den gedruckten, öffentlich kursierenden Berichten der Gesellschaft der Freunde in der Not formulierte Falk für junge Männer, die bei Landwirten untergebracht werden könnten, einen anderen, sich vom bürgerlichen Ideal unterscheidenden Männlichkeitsentwurf. Einen auf dem Lande heranwachsenden Mann, der keine weiterführende Ausbildung z. B. im Veterinärbereich anstrebte, bezeichnete Falk als »Gesell in der Landwirthschaft«443, der künftig überall in Dienste treten könnte. Trotz seines Alleinstellungsmerkmals verdeutlicht dieser Hinweis, dass Falk sich der Problematik zumindest bewusst war, die aus der Fokussierung auf die Ausbildung junger Männer zu selbstständigen Handwerkern, Schullehrern, Kantoren oder Geistlichen erwuchs. Sie stellte lediglich die Idealform einer von bürgerlichen Vorstellungen geprägten Lebensweise dar, die aber mit den Gegebenheiten und Anforderungen des frühen 19. Jahrhunderts kaum in Übereinstimmung gebracht werden konnte. Gewerke Traten die Lehrberufe der vom Falkschen Institut unterstützten Zöglinge in den Fokus der wissenschaftlichen Aufarbeitung, so fällt eine verallgemeinernde Tendenz auf. Entweder wird pauschal vom Handwerk gesprochen,444 das die Zöglinge ergreifen sollten, ohne konkrete Gewerke zu nennen, oder die Aufzählung beschränkt sich auf die von Falk zu Lebzeiten postulierte Fokussierung auf Leineweber, Schuhmacher und Tischler.445 Zwar befanden sich besonders häufig Leineweber, Tischler, Schuhmacher und Schneider unter den Lehrberufen der Zöglinge, allerdings ist ebenso fast die gesamte Bandbreite der handwerklichen Gewerke ver443 444 445

Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 262s. Vgl. beispielsweise Nagy: Luther, S. 32. Falk: Vater unser, S. 67. Entgegen der Ausführungen Falks finden sich auch kaum Schmiede unter den Zöglingen. Vermutlich wirkten im Schmiedehandwerk ähnliche Mechanismen wie bei Bäckern und Fleischern. Vgl. Reis: Falk, S. 35.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

treten.446 Zu den Bekleidungs- und Textilberufen im Umfeld des Falkschen Instituts zählten nicht nur Leineweber, Schneider und Schuhmacher, sondern auch Hutmacher und Strumpfwirker.447 Quantitativ überragten die Textilgewerke andere Handwerkszweige, was mit Blick auf diese ohnehin in den thüringischen Kleinstaaten zahlenmäßig stark vertretenen Zünfte kaum verwundert.448 Andererseits ist die Überrepräsentation der Textilberufe unter den Lehrlingen auf die – gerade bei Schneidern – geringen Kosten für die Anschaffung und den Unterhalt der gewerblichen Infrastruktur zurückzuführen. Zudem konnte das Institut nur Lehrstellen anbieten, wenn sich die jeweiligen Handwerksmeister dazu freiwillig bereiterklärten. Mit der Aussicht, ein regelmäßiges Lehrgeld für den Zögling zu beziehen, wandten sich dann vornehmlich die ›ärmeren‹449 Gewerke wie Schneider oder Weber an Falk. Günstig dürften sich auf die Vermittlung in die Bekleidungs- und Textilindustrie auch die lockeren Zunftregelungen ausgewirkt haben. Schneidern und Schuhmachern war im Großherzogtum gestattet, sich auf dem Lande niederzulassen. Die Produktion und der Verkauf von Leinwand waren völlig vom Zunftzwang befreit.450 Im Bereich des Metallbaus wurden Lehrlinge zu Schlossern, Nagel-, Huf-, Waffen- oder Kupferschmieden geschickt. Das Baugewerbe war mit Maurern, Malern (Tünchern) und Zimmermännern vertreten. Böttcher, Tischler und Drechsler arbeiteten mit dem Werkstoff Holz. Im Le446

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Die im Folgenden aufgeführten Berufsbezeichnungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vgl. die Berufe in den Berichten der Gesellschaft der Freunde in der Not und im ersten Band der Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not, in: GSA 15/N 55, Bd.1. Zur Bedeutung des Textilgewerbes vgl. Pierenkemper: Gewerbe, S. 22f. Vgl. Burkhardt: Gewerbe, S. 427. Zur beruflichen Gliederung des Handwerks um 1800 vgl. Kaufhold, Karl Heinrich: Umfang und Gliederung des deutschen Handwerks um 1800, in: Abel, Wilhelm (Hrsg.): Handwerksgeschichte in neuer Sicht (= Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; 1). Göttingen 1978, S. 27–63, hier S. 40–43. Die Einkommensverteilung in den unterschiedlichen Gewerken ist bei Eberhardt für Weimar aufgearbeitet, vgl. Eberhardt: Weimar, S. 25–28 und gesellschaftliche Gliederung der Einwohnerschaft; exemplarisch für den Raum Braunschweig-Wolfenbüttel vgl. Assmann, Klaus / Stavenhagen, Gerhard: Handwerkereinkommen am Vorabend der industriellen Revolution. Materialien aus dem Raum Braunschweig-Wolfenbüttel (= Göttinger handwerkswirtschaftliche Studien; 15). Göttingen 1969. Vgl. auch Hunstock: Residenzstadt, S. 154–163. Vgl. Möslein, Paul: Die Gewerbegesetzgebung der Thüringer Herzogtümer im 19. Jahrhundert bis zur Einführung der Gewerbefreiheit. Weimar 1909, S. 32.

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der verarbeitenden Bereich gingen Lehrlinge des Instituts zu Sattlern, Beutlern oder Gürtlern. Daneben wurden junge Männer zu Buchdruckern, -bindern und Schriftsetzern vermittelt. Auch das Kunsthandwerk und diesem verwandte Bereiche waren mit Steinmetzen, Uhrmachern und Instrumentenbauern vertreten. Obwohl Bäcker und Fleischer relativ große Gewerbezweige repräsentierten, arbeiteten nur sehr wenige Zöglinge in diesen Handwerken. Da die Kosten für die Anschaffung und den Unterhalt der Arbeitsmittel relativ hoch und bei Hungersnöten, Kriegen und Plünderungen besonders bedroht waren,451 übernahmen zumeist die Söhne die väterliche Werkstatt, sodass keine fremden Lehrlinge in diesen Gewerken ausgebildet wurden. Das Falksche Institut griff für die Ausbildung von Heranwachsenden auf die wirtschaftliche Infrastruktur Weimars zurück. Maßgeblich wurde diese durch das 1791 von Friedrich Justin Bertuch gegründete LandesIndustrie-Comptoir dominiert, das zeitweise bis zu 500 Mitarbeiter beschäftigte.452 So unterstützte Falk den zweiten Sohn der Witwe Frank aus Buttstädt, indem er sich für eine Ausbildung des Jugendlichen zum Landkartenstecher im Landes-Industrie-Comptoir einsetzte.453 Weil das Landes-Industrie-Comptoir die seit Ende des 18. Jahrhunderts zunehmende und in Folge der napoleonischen Kriege ansteigende Nachfrage nach Landkarten befriedigte, sah Falk für Jugendliche, die »ein Handwerk lernen«454 wollten und etwa durch ein gesteigertes Interesse am Schnitzen die besten Voraussetzungen für den Beruf mitbrachten, langfristig positive Beschäftigungsmöglichkeiten für Kartenstecher. Zudem bestand zwischen dem Institut und dem am Landes-IndustrieComptoir angestellten, später aber in finanzielle Not geratenen Kupferstecher Carl August Schwerdgeburth, für dessen Notlage sich Falk per451

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Vgl. Fink, Fritz: Aus der Geschichte des Weimarer Bäckerhandwerkes, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Weimar 3 (1933), S. 1–13, hier S. 5–7. Zur Situation der Bäcker in Weimar vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 159f. Vgl. Burkhardt: Gewerbe, S. 439. Zur Gründung des Landes-Industrie-Comptoir vgl. Christoph, Andreas: Die Ökonomisierung des Naturwissens zwischen 1790 und 1830. Geographika und Kartographika aus dem Hause Bertuch. Maschinenschriftl. Mskr. Diss. Jena 2010, S. 45–50. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Kinder der Witwe Frank, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 123r. Andere Beispiele für im Landes-Industrie-Comptoir beschäftigte Zöglinge vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 118r. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Kinder der Witwe Frank, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 123r.

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sönlich beim Großherzog eingesetzt hatte,455 eine enge Beziehung. Schwerdgeburth bildete selbst junge Zöglinge aus.456 Den 26-jährigen Johann August Andreas Gläser nahm er auf, um diesem während einer fünfjährigen Lehrzeit das Kupferstechen beizubringen.457 Außer in den aufgeführten Handwerken vermittelte Falk Zöglinge in Ausbildungsstätten, die aufgrund der residenzstädtischen Infrastruktur existierten. Die Gärten des nahe Weimar gelegenen Schlosses Belvedere waren z. B. Orte, an denen Zöglinge des Instituts die »Gärtnerkunst«458 erlernen konnten. So verhandelte Falk mit den Brüdern Johann und Johann Christian Sckell, um den jungen Jacobi und Johann Andreas Gottfried Ehricht als Lehrlinge im Gartenbau unterzubringen.459 Während Jacobi aufgrund von Holzdiebstählen wieder entlassen wurde,460 konnte Ehricht nicht aufgenommen werden, weil die Brüder Sckell im Jahr 1817 schon zehn »Gartensubjecte«461 beschäftigten. Ehrbarkeit des Handwerks Die in ein Handwerk vermittelten Zöglinge erlernten nicht nur fachliche Kenntnisse für den späteren Beruf. Sie machten auch die Erfahrung, durch eigene Produktivität Werte zu schaffen. In einem Brief an die in Dresden wohnende Spenderin Christiane Engel sandte Falk 1824 ein Gedicht, aus dem die positive Wirkung der handwerklichen Ausbildung hervorgeht. Darin heißt es unter anderem: »Heraus ihr muntern Buben, / Mit Tod u Gefahren vertraut. / So reifen zu Männern die Buben / So werden die Städte gebaut.«462 Im Brief würdigte Falk die Tatkraft der 455 456

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Vgl. Hain: Sozialfürsorge, S. 63f. Vgl. etwa die entsprechenden Notizen in den Berichten der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816), 2 (1817), 8 (1825/26) und 10 (1828/29). Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann August Andreas Gläser, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 461r. Vgl. auch andere Fälle von Kupferstecherausbildern: Brief von Kupferstecher Hess an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 17, Bl. 210r.–211r. Zeugnis Karl Abels für Johann Andreas Gottfried Ehricht, Eisleben 15. Oktober 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 124r. Zu den Brüdern Sckell vgl. Schau: Belvedere, S. 46f. und 49. Vgl. Brief Joh[ann] Christian oder Konrad Sckell an Johannes Falk, Belvedere bei Weimar 20. Dezember 1817, in: GSA 15/ N 55, Bd. 4, Bl. 405r. Brief Joh[ann] Christian oder Konrad Sckell an Johannes Falk, Belvedere bei Weimar 17. Oktober 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 125r. Brief Johannes Falks an Christiane Engel, Weimar 3. Oktober 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 672r.–673v., hier Bl. 672v.

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Zöglinge, als ob sie die wichtigsten Arbeiten auf dem bereits zwei Jahre andauernden Bau des Lutherhofes ausübten, »was man sonst nur von Männern zu fo[r]dern sich berechtigt fühlte«463. Wie wichtig Falk die Selbsttätigkeit jedes Einzelnen war, die das alte Stadtbürgertum mit seinem Handwerk par excellence verkörperte,464 verdeutlicht ebenfalls seine Abneigung gegen technische Neuerungen. In der Einführung von Baumwollspinnmaschinen sah Falk nicht nur eine Konkurrenz zum Handwerk. Die Eingriffe veränderten Arbeitsabläufe, die der im Handwerk über Jahrhunderte eigenen Selbstwirksamkeit der Meister, Gesellen und Lehrlinge konträr gegenüberstand.465 Handwerkliche Tätigkeiten, wie das Bauen von Kanälen und Brunnen, der Abriss eines Hauses oder der Wiederaufbau von Mauern und Säulen, konstituierten Johannes Falks Bild eines jungen heranwachsenden Mannes, der auch bei Wind und Wetter nicht von diesen Tätigkeiten ablassen kann. »Der jungen männlichen Natur ist dieses eigen, daß Regen und Schnee ihr Feuer nicht auslöscht, sondern es noch immer mehr entzündet. Wenn wir dieselbe nur recht verstehen lernen wollen, was können wir nicht alles Gesegnetes und Gottgefälliges mit ihr ausrichten; aber so verkümmert sie größtentheils, hinter unsern trocknen Schulbänken, oder im Schmu[t]z der Gefängnisse.«466

Die Ausbildung in einem Handwerk bedeutete nicht nur, einen Beruf zu erlernen. Vielmehr sollten Lehrlinge und Gesellen an Normen und Werte der jeweiligen Zunft gewöhnt werden. Falk knüpfte mit der Ausbildung in einem (alt-)ständischen Handwerk an dessen »Ehrbarkeit« an, die der »wahrhafte BürgerAdel sei«467. Die ehrbaren Handwerke distanzierten sich von entehrenden Berufsgruppen wie den Abdeckern, Totengräbern oder Scharfrichtern.468 »›Ehrbarkeit‹ umfaßt in gleicher Weise ehrliche 463 464

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Ebd. Vgl. Zerback, Ralf: Die wirtschaftliche Position als Konstituierungsfaktor des Bürgertums, in: Gall, Lothar (Hrsg.): Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft (= Stadt und Bürgertum; 4). München 1993, S. 203–222, hier S. 208f. Vgl. Reis: Falk, S. 36f. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 7 (1824). Tagebuch eines Freundes, der Falk’s Institut in Weimar besuchte, 1820, in: GSA 15/V,9, S. 10. Vgl. Lenger, Friedrich: Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800. Frankfurt am Main 1988, S. 13–15; Möller, Helmut: Handwerk und Industrie im Fürstentum Sachsen-Weimar und in der Jenaischen Landesportion während des 18. Jahrhunderts. Maschinenschriftl. Mskr. Diss. Jena 1951, S. 32–34. Vgl. Stadelmann, Rudolf / Fischer, Wolfram: Die Bildungswelt des deutschen

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Geburt, frommen und tugendhaften Lebenswandel, handwerkliche Meisterschaft, Zunft- und Bürgerrecht.«469 Deutlich zeigte sich diese doppelte Ausbildung am Ende der Lehrzeit, als der Lehrling nach bestandener Prüfung feierlich losgesprochen, d. h. zum Gesellen ernannt wurde. »Hiebei erhielt er seinen Lehrbrief, der nicht selten gute Ratschläge für sein weiteres Benehmen enthielt.«470 Johannes Falk sprach der handwerklichen Ausbildung Heranwachsender eine doppelte Funktion zu.471 Der Lehrmeister war nicht nur Vermittler von handwerklichen Fertigkeiten, sondern persönliches Vorbild für die Verwirklichung bürgerlicher Tugenden, an dem sich die heranwachsenden jungen Männer orientieren sollten. Die jungen Männer waren nicht nur Auszubildende, die sich bei ihrem Lehrmeister bestimmte fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen sollten, sondern sie lebten auch im Familienverband des Meisters, der wiederum für die Vermittlung bürgerlicher und religiöser Werte verantwortlich war.472 Den Handwerkern oblag nicht nur die Aufsicht in den Arbeitsstunden, sondern auch in der übrigen freien Zeit. »Trif[f]t es sich, daß der Meister Spazieren geht[,] [s]o nimmt [er] sie [die Lehrburschen] mit an die freie Luft«, wo »sie nicht von seiner Seite« können, sodass »unzuberechnende Vortheile[,] die kein Werkhaus in der Welt ersetzen kann[,] aus dieser einfachen Einwilligung in die Erziehung erwachsen.«473 Im Falkschen Institut standen sich die althergebrachte Ehrbarkeit des Handwerks und die neue (bürgerliche) Leistungsfähigkeit nicht konträr gegenüber,474 sondern ergänzten einander, indem von den jugendlichen Handwerkern einerseits tugendhaftes Verhalten, andererseits qualitativ hochwertig angefertigte Produkte erwartet wurden.

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Handwerkers um 1800. Studien zur Soziologie des Kleinbürgers im Zeitalter Goethes. Berlin 1955, S. 81f. Ebd., S. 84. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 198. Vgl. Heinzelmann: Falk, S. 38. Vgl. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 232f. Brief Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 18. Mai 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 100v.–105v., hier Bl. 103v. Vgl. Stadelmann / Fischer: Bildungswelt, S. 84.

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Handwerk als männliches Betätigungsfeld Männlichkeitsvorstellungen von Jugendlichen wurden grundlegend durch Arbeit geprägt. Unterschiedliche Erwerbstätigkeiten differenzierten diese nicht weiter. Der Beruf des Maurers stiftete nicht mehr männliche Identität als der des Schneiders oder des Schullehrers. Sowohl körperliche als auch geistige Tätigkeiten, die seit dem 18. Jahrhundert unter dem Arbeitsbegriff subsumiert wurden,475 integrierten heranwachsende Männer in ihr Verständnis eines geschlechtsadäquaten Arbeitsbegriffes. Nachdem noch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit Frauen selbstverständlich handwerkliche Berufe im Goldspinnen, der Textil- und Lederwarenproduktion ausübten (bzw. wo dies nicht möglich war, zumindest die hergestellten Waren vertrieben),476 herrschte im Falkschen Institut eine strikte, an den Geschlechtern ausgerichtete Trennung zwischen einer handwerklichen Ausbildung, die allein den männlichen Zöglingen gewährt wurde, und allen anderen Formen der Unterstützung. Das Verhältnis zwischen dem Falkschen Institut, den als Lehrlingen unterstützten Zöglingen und den Lehrmeistern wurde vertraglich geregelt. Die im zweiten Jahresbericht der Gesellschaft der Freunde in der Not veröffentlichten Verträge zwischen Institut und Zögling bzw. Institut und Lehrmeister geben über die Dauer der Unterstützung und die Erziehungsziele Auskunft. Je nach Gewerk lagen die Lehrzeiten zwischen drei und fünf Jahren und konnten verlängert werden, wenn das Lehrgeld nicht beglichen wurde.477 Die Verträge regelten, dass das Institut für das Aufdingen und Lossprechen am Beginn bzw. am Ende der Lehrzeit eines Zöglings die Kosten übernahm und für die Unterkunft sorgte.478 Für gewöhnlich zahlte das Institut die Hälfte der Kosten am Beginn, den Rest am Ende der Lehrzeit. Diese Form der Unterstützung war allein für männliche Zöglinge vorgesehen. Obwohl für junge Frauen keine offiziellen, vertraglich kodifizierten Ausbildungswege existierten, wurden alle angefertigten Produkte der 475 476

477 478

Vgl. Conze: Arbeit, S. 189. Vgl. Wensky, Margret: Die Stellung der Frau in der stadtkölnischen Wirtschaft im Spätmittelalter (= Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte; 26). Köln und Wien 1980, S. 33–47. Zum Aufdingen und Lossprechen vgl. Möller: Handwerk, S. 61–69. Vgl. Lenger: Handwerker, S. 31. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vereinzelt baten Zöglinge nur um diesen finanziellen Vorschuss, ohne eine Vermittlung durch das Institut zu wünschen. Vgl. Brief Johann Fabian Zänker, Erfurt 6. April 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 13r.

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jungen Frauen und Männer in einer gemeinsamen Ausstellung zum Stiftungsfest präsentiert: »Die Ausstellung von Arbeiten unserer Zöglinge aus den verschiedensten Zweigen des menschlichen Gewerbefleißes, bestehend in Tuch, Leinewand, Tischen, Stühlen, Leuchtern, Toiletten mit eingelegten Kupferstichen, Wagen, Mühlen, Pflugschaaren, Aexten, Stickereyen, Zeichnungen etc. nimmt den 30. Januar im Saale des Instituts ihren Anfang.«479

4.1.2 Ökonomie. Professionalisierte Arbeit in der Landwirtschaft Im Zusammenhang mit Johannes Falk und dem gleichnamigen Institut in Weimar fehlen bislang Untersuchungen, welche die Landwirtschaft als ein mögliches Beschäftigungsfeld für junge Männer thematisieren. In den Quellen nehmen Ausbildungswege junger Männer in der Landwirtschaft nur einen verhältnismäßig kleinen Teil ein. Die politischen Vertreter der Stadt Weimar und des Großherzogtums fürchteten, Falk enthielte der Landwirtschaft wichtige Arbeitskräfte dauerhaft vor und vergrößere gleichzeitig die Konkurrenz der bestehenden städtischen Werkstätten.480 Dagegen argumentierte Falk, dass die vom Institut geschickten jungen Männern aufgrund des jahreszeitlich schwankenden Arbeitspensums lediglich in der Ernte von den Landwirten beschäftigt seien und sie sich den Rest des Jahres selbst überlassen blieben.481 Die Beschäftigung mit landwirtschaftlichen Fragen – etwa der Bewirtschaftung einer größeren Landwirtschaft – zählte für die Zeitgenossen Falks nicht nur zu einem Betätigungsfeld Adliger.482 So gilt der Celler Arzt Albrecht Thaer als einer der wichtigsten Wegbereiter der Anfänge der Landbauwissenschaften.483 Ebenso wurde mit der Einrichtung des 479

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Weimarisches Wochenblatt, Nr. 7 vom 25.01.1820, S. 28 und Weimarisches Wochenblatt, Nr. 8 vom 28. 12.1820, S. 32. Vgl. Bericht Carl Freiherr von Lynckers [1816], in: ThHStAW Landschaft und Landtag 148a, Bl. 158r.–162v., hier Bl. 159v. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbücher des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 262r.–262v. Vgl. Popplow, Marcus: Die Ökonomische Aufklärung als Innovationskultur des 18. Jahrhunderts zur optimierten Nutzung natürlicher Ressourcen, in: Ders. (Hrsg.): Landschaften agrarisch-ökonomischen Wissens. Strategien innovativer Ressourcennutzung in Zeitschriften und Sozietäten des 18. Jahrhunderts (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt; 30). Münster u. a. 2010, S. 2–48, hier S. 6. Vgl. Abel, Wilhelm: Die Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen

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ersten landwirtschaftlichen Instituts an einer deutschen Universität 1826 in Jena der Ausgangspunkt für die Institutionalisierung des neuen Wissenschaftszweiges gelegt.484 Falk stand der Landwirtschaft nicht grundsätzlich abgeneigt gegenüber,485 sondern wandte sich in einem undatierten Aufruf an Landwirte, die mehrere »gut geartete Knaben in einem Alter von 13 bis 15 Jahren« zu sich nehmen und »mit Kleidungsstücken u[nd] Unterricht contractmäßig«486 unterstützen sollten. Im Gegensatz zu jungen Frauen, denen in der Landwirtschaft explizit dienende Funktionen zugeschrieben wurden, bildeten die drei bis vier Jahre Aufenthalt bei einem Bauern für junge Männer im Idealfall den Ausgangspunkt für eine weiterführende Ausbildung. Die Heranwachsenden würden den Landwirten nicht wie Knechte oder Tagelöhner dienen, die auf Zuruf saisonale Engpässe ausglichen, sondern sich in einem zunehmend professionalisierten Ausbildungsweg qualifizieren. »Wir wollen noch weiter gehen u[nd] diesen Knaben, so bald sie das practische der Landwirthschaft gelernt auch die Gelegenheit an die Hand geben, die Elemente der Vieharzneikunst praktisch zu erlernen, auf daß die verständige Behandlung eines erkrankten Schaafes oder Pferdes zu deren Heilung in entfernten Dörfern oft so wenig Gelegenheit ist, denselben nicht fremd bliebe.«487

Vermutlich hatte Falk nicht unbedingt die seit Mitte des 18. Jahrhunderts bestehende Möglichkeit eines institutionalisierten Studiums im Blick,488

484 485

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Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (= Deutsche Agrargeschichte; 3). Stuttgart 1978, S. 292f.; Uekötter, Frank: Die Wahrheit ist auf dem Feld. Eine Wissenschaftsgeschichte der deutschen Landwirtschaft (= Umwelt und Gesellschaft; 1). Göttingen 2010, S. 45f. Zum Interesse Bürgerlicher an den Landbauwissenschaften vgl. auch den Brief von Dir. Goetz an Johannes Falk, Leipzig 22. März 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 107r.–108v und 110r., hier Bl. 107r.–107v. Vgl. Uekötter: Wahrheit, S. 43. So hatte er z. B. im Oktober 1799 über Bekannte nach einer landwirtschaftlichen Lehrstelle für den Bruder Fritz seiner Frau gesucht, vgl. Dietsch: Last, S. 39f. Aufforderung an die Hr. Gutsbesitzer, Oeconomen und Landleute von Seiten der Gesellschaft der Freunde in der Noth zu Weimar [Entwurf], in: GSA 15/N 55, Bd. 8, Bl. 252r.–253r., hier Bl. 525r. Ebd. Vgl. Art. »Vieh-Arzney-Kunst«, in: Zedler Bd. 48, Sp. 1055; Driesch, Angela von den / Peters, Joris: Geschichte der Tiermedizin. 5000 Jahre Tierheilkunde. Stuttgart u. a. 2003, S. 133. Seit dem Jahr 1783 war Friedrich Ludwig Herold als erster Tierarzt in Sachsen-Weimar-Eisenach tätig. Vgl. Uthe, Dieter: Chronik des Veterinärwesens des Kreises Weimar, in: Symposium zur Veterinärgeschichte Thüringens der Arbeitsgemeinschaft Veterinärgeschichte der Landestierärzte-

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das ab 1816 auch an der vom Professor für vergleichende Anatomie und Tierarzneikunde Theobald Renner489 geleiteten Tierarzneischule in Jena aufgenommen werden konnte.490 Vielmehr ging es um die Aneignung ganz praktischen Wissens, das die jungen Männer langfristig zu Multiplikatoren neuer veterinärmedizinischer Erkenntnisse machte.491 Unberücksichtigt blieb bislang, dass Zöglinge des Falkschen Instituts durchaus landwirtschaftliche Arbeiten ausübten. Bemerkenswerterweise spiegelt sich in den Ausbildungsgängen jene Professionalisierung wider, von denen die Landwirtschaft im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert generell erfasst wurde.492 Junge Männer, die eine zukünftige Tätigkeit in der Landwirtschaft anstrebten, benötigen als Voraussetzung vertiefte Grundkenntnisse im Schreiben, Rechnen, Zeichnen und der Geometrie, 493 wobei sich Falk gegen eine bloße Wissensvermittlung aussprach und eine mit praktischen Erfahrungen verzahnte Ausbildung bevorzugte.494 Der Blankenhainer

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kammer Thüringen am 30. Oktober 2008 im Hauptgebäude der FriedrichSchiller-Universität Jena. Hrsg. von der Landestierärztekammer Thüringen. Jena 2009, S. 39–47, hier S. 39–42. Rotermund, Heinrich Wilhelm: Art. »Renner, (Theobald)«, in: Ders. (Hrsg.): Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben. Nebst Nachrichten von gebohrnen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten. 2. Theil. Bremen 1818, S. XCIX. Vgl. Günther, Manfred / Ludewig, Werner / Röhlinger, Peter: Zur veterinärmedizinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung in Thüringen, in: Symposium zur Veterinärgeschichte Thüringens der Arbeitsgemeinschaft Veterinärgeschichte der Landestierärztekammer Thüringen am 30. Oktober 2008 im Hauptgebäude der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Hrsg. von der Landestierärztekammer Thüringen. Jena 2009, S. 49–62, hier S. 49. Oelsnitz, Gerd von der: Zu den Anfängen des Veterinärwesens in den ehemaligen Fürstentümern Reuß (= Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Familienforschung e.V.; 40). Hanau 2004, S. 8f. Lebensmittelteuerung, -knappheit und Bevölkerungsanstieg riefen die ›agrarische Bewegung‹ hervor, sodass landwirtschaftliche Techniken und Fragestellungen zum Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung wurden, entsprechende Gesellschaften zur Förderung der Landwirtschaft gegründet und deren Erkenntnisse sachlich und verständlich an Bauern vermittelt wurden. Vgl. Abel: Landwirtschaft, S. 288–292. Vgl. Brief Caroline Gruners an Johannes Falk, Jena 13. Juli 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 24, Bl. 23r.–23v., hier Bl. 23v. Vgl. Falks Kritik auf der Ankündigung Carl Christian Rommerdts einer zu Gotha in Thüringen zu errichtenden Vorbereitungs-Lehranstalt, für künftige Ca-

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Amtsekretär Johann Nicolaus Zier bat bei Falk explizit um die Unterstützung seines Sohnes Friedrich, damit dieser zukünftig die »Verwalterstelle eines Guths verwalten«495 könne. Die Ausführungen des Vaters zeugen von dem facettenreichen Wissen des 15-jährigen Sohnes, das sich dieser in Blankenhain nicht nur in den verschiedenen Fremdsprachen, wie beispielsweise im Französischen oder Lateinischen, sondern auch im Schreiben, Rechnen, Zeichnen und in den Elementarkenntnissen der Geometrie angeeignet hatte, die seit dem 18. Jahrhundert in der Feldmesskunde nicht mehr nur Adligen vorbehalten war.496 Drei Tage später, am 7. Februar, schickte Johann Nicolaus Zier erneut einen Brief, in dem er noch einmal ausführlich darlegte, dass er seinen Möglichkeiten entsprechend bereit war, auch für die Ausbildung seines Sohnes Pensionsgelder zu bezahlen. Vermutlich hatte Falk dem Vater mitgeteilt, dass die Ausbildung zu einem Ökonomen unmittelbar nach den Kriegsjahren und der Hungersnot nicht zu den dringendsten Aufgaben des Falkschen Instituts zählte. Zier beteuerte, dass Friedrich auf ein »groses Guth kommen« wolle, um »theils die Oeconomie gleich practisch zu erlernen und theils nach und nach einige Aufsicht mit zu führen«, weshalb der Sohn »die ihm noch abgehenden Wißenschaften, als die Geometrie, Zeichnen pp zu erlernen«497 wünsche. Weil in Blankenhain »die Gelegenheit dazu fehlt«498, könne Falk unter Umständen sowohl mit dem entsprechenden Unterricht als auch mit einem finanziellen Zuschuss aushelfen. Um dem Gesuch Ziers zu entsprechen, griff Falk auf die personellen Strukturen der Residenzstadt Weimar zurück und vermittelte Friedrich Zier an den seit Oktober 1797 als Lehrer am freien Zeicheninstitut arbeitenden Baumeister Carl Friedrich Christian Steiner,499 der den jungen Mann im Zeichnen unterrichten sollte.500

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meralisten, Forstmänner, Baumeister, Künstler, Kaufleute und Oeconomen, o. O. [ca. 1822], in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 611r.–611v. Brief Johann Nicolaus Ziers an Johannes Falk, Blankenhain 4. Februar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 85r.–85v., hier Bl. 85r. Vgl. Philipp, Klaus Jan: Um 1800. Architekturtheorie und Architekturkritik in Deutschland zwischen 1790 und 1810. Stuttgart und London 1997, S. 18. Brief Johann Nicolaus Ziers an Johannes Falk, Blankenhain 7. Februar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 84r.–84v., hier Bl. 84r. Ebd. Vgl. Heinemann: Mathematik, S. 67. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Friedrich Zier, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 89r.

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Die Zeitgenossen verstanden unter einem Ökonomieverwalter »eine der Landwirtschaft verständige Person, welche die Aufsicht über ein oder mehrere Vorwerke und Landgüter führt«501. Die normativen Anforderungen, die etwa Johann Georg Krünitz in der Ökonomischen Enzyklopädie an eine solche Person stellte, könnten kaum größer sein. Neben den rein wirtschaftlichen Aufgaben, wie der Gewinn- und Verlustrechnung oder der genauen Aufzeichnung der Lohnzahlungen, verlangte der Beruf nicht nur Kenntnisse in den je nach Jahreszeit anfallenden Tätigkeiten, sondern auch ein Höchstmaß an Fleiß, Ordnung und Gewissenhaftigkeit. Gleichzeitig hatte ein Ökonomieverwalter auch das Gesinde anzuleiten und deren Arbeiten zu überwachen. Daneben wurde ein angemessener Umgang zwischen Milde und Strenge erwartet. Das Falksche Institut muss sogar für die Ausbildung derartig qualifizierter Ökonomen so bekannt gewesen sein, dass Adlige wie Sophie von dem Busche bei Johannes Falk um die Vermittlung entsprechend ausgebildeter junger Männer nachfragten. 1824 bat von dem Busche Falk, ihr einen »Zögling, der in der Oekonomie schon Erfahrungen und besondere Ordnungsblicke besitzt, wie dies letztere bei Ihren Zöglingen wohl immer vorausgesetzt werden konnte, zum künftigen März, spätestens April zu senden«502.

Der Verwalter sollte den nicht verpachteten Besitz der Adligen so zweckdienlich bewirtschaften, dass für sie und ihre Kinder Einkünfte erzielt und das Vermögen dauerhaft bewahrt würde. Deswegen hoffte von dem Busche, einen derart integren jungen Mann aus dem Falkschen Institut zu erhalten, von dessen fachlichen Qualitäten sie nicht nur überzeugt war, sondern zu dem sie aufgrund seines moralisch aufrichtigen und ordnungsliebenden Charakters auch das nötige Vertrauen aufbauen könnte.503 Inwieweit die Heranwachsenden längerfristig mit diesen Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, bleibt ungeklärt, da von dem Busche aufgrund der geringen Fläche der zu bewirtschaftenden Güter jährlich nur 60 Taler auszahlen konnte, sodass etwa die Anstellung als Schullehrer mit einem Jahreseinkommen von 100 Talern weitaus attraktiver wirkte.504 501

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Art. »Ökonomieverwalter«, in: Krünitz, Johann Georg: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie. Band 105 (1807), S. 13–29, hier S. 13 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/). Brief Sophie von dem Busche an Johannes Falk, Naumburg 19. Januar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 162r.–162v., hier Bl. 162r. Vgl. ebd.

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Die zunehmende Professionalisierung – durch die Aneignung umfangreichen Spezialwissens – führte zu einer Aufwertung der Landwirtschaft. Gleichzeitig verloren körperlich anstrengende Beschäftigungen auf dem Lande ohne jegliche fachliche Ausbildung an Attraktivität. So berichten die Quellen über den wissbegierigen 10-jährigen Johann Gottlieb Kunze, der sich bei einer Schulvisitation durch seine »Vorliebe« auszeichnete, »die er zu alledem äußert, was über die gewöhnliche Bauer-Arbeit«505 hinausreicht. Deswegen, so die Meinung der Visitatoren, könnte der Heranwachsende in einem höheren Dienst dem Staate nützlicher sein, »als die Beschäftigungen eines gemeinen Landmanns sind«506. Zweckmäßig sei es, dem Jungen ein Studium zu finanzieren, damit sich dieser zum Schullehrer geeignete Schüler einst als ein »sehr nützlicher Mann«507 auszeichne. Mittellose Zöglinge formulierten ähnliche Wünsche und baten um Unterstützung bei einer Ausbildung zum Ökonomen. In solchen Fällen war es üblich, dass sich die Heranwachsenden – um eine kostenintensive Ausbildung zu umgehen – als Knechte vermieteten, damit sie »die Oeconomie von unten herauf am besten erlernen«508. Inwieweit sie sich auf diese Weise tatsächlich zur Übernahme einer Verwalterstelle qualifizierten bzw. ob sich nicht vielmehr dauerhaft in einem dienenden Verhältnis einrichteten, sei dahin gestellt. Zwischen der Ausbildung zum Verwalter und den Tätigkeiten eines Knechts bestand offenbar nur eine schmale Gratwanderung. Die ökonomischen Ressourcen und das Maß der Professionalisierung entschieden, welchen Berufsweg ein junger Mann einschlagen konnte.

4.1.3 Intellektuelle Berufe Seit der Aufklärung hatte sich die Vorstellung durchgesetzt, Arbeit gleichermaßen als körperliche und geistige Tätigkeiten zu verstehen, weshalb im 18. Jahrhundert stände- und professionsübergreifend alle zielgerichteten Tätigkeiten als Arbeit definiert wurden.509 Dementsprechend baten 504

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Vgl. Eberhardt: Weimar, Anhang: gesellschaftliche Gliederung der Einwohnerschaft. Brief von Ferdinand Asverus an Johannes Falk, Jena, 17. August 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, 261r.–262r., hier 261v. Ebd., Bl. 262r. Ebd. Brief H. Heinemanns an Johannes Falk, Großrudestedt 1. Mai 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 182r.–182v., hier Bl. 182r. Vgl. Ehmer, Joseph / Gutschner Peter: Befreiung und Verkrümmung durch

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im Falkschen Institut vorsprechende jugendliche Männer auch um Unterstützung in einem Beruf, der nicht mit einer handwerklichen Tätigkeit verknüpft war. Das Falksche Institut verließen neben Handwerkergesellen ebenfalls Lehrer, Kantoren oder intellektuell besonders stark geförderte Heranwachsende, die auf ein Studium der Medizin, Juristerei oder Theologie vorbereitet wurden.510 In den allgemeinen Bemerkungen des siebenten Jahresberichts ist über die Vielfalt der unterschiedlichen Berufe jenseits der Handwerkerstuben Folgendes zu lesen: »Sechs Zöglinge sind auf Universitäten. Krause zu Jena studirt Philologie. Biernstiel ebendas. Philologie. Beyer ebendas. Theologie[.] Zimmer ebendas. Theologie. Hertel ebendas. Jura. Pfeifer zu Berlin Medicin. Als Landschullehrer sind folgende Zöglinge angestellt und wirken mit Segen, in ihrem Fache. Fiedler in Oberndorf. Paul in Rothenstein. Fuchs in Isseroda.«511

Die Differenzierung zwischen körperlichen und geistigen Berufen wurde im Falkschen Institut äußerlich sichtbar. Zwar begegneten alle Zöglinge des Instituts einander in der Sonntagsschule, aber junge Männer, die sich »der Kirche oder Schule« widmen wollten, trugen bei diesen Zusammenkünften einen »schwarze[n] Rock«512, der sie als äußerliches Kennzeichen von den anderen unterschied. Entsprechend dieser formalen Abgrenzung ist zu bezweifeln, ob tatsächlich alle Schüler der Sonntagsschule neben Lesen und Schreiben auch in der Geschichte, Naturkunde, Geometrie und sogar in Rhetorik und Stilistik unterrichtet wurden,513 oder ob stattdessen die Unterrichtsinhalte ebenfalls an die jeweiligen Ausbildungswege angepasst wurden. Wer nicht für den Besuch der Universität oder des Seminariums geeignet war, dem wurde zum Verlassen der Schule und stattdessen zur Wahl »irgend ein[es] freie[n] und nützliche[n] Gewerbe[s] geraten«514. Mit Wissensdurst, intellektuellen Begabungen und Talent fielen einige der von Falk unterstützten jungen Männer im Unterricht auf. Johann Friedrich Rost, der ein Studium der Theologie anstrebte, besaß große sprachliche Fähigkeiten, sodass ihn seine Mitschüler in Weimar als »Ci-

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Arbeit, in: Dülmen, Richard van (Hrsg.): Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500–2000. Wien u. a. 1998, S. 283–303, hier S. 289. Vgl. Oldenberg: Falk, S. 91. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 7 (1824). Quittung von J. Hügel, Weimar 4. Januar 1817, in: GSA 15/54 76. Vgl. Döring: Falk, S. 69. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Carl Traugott Serbser, Weimar 9. November 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 32r.–32v., hier Bl. 32r.

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cero«515 hänselten. Obwohl Rost materiell wie ideell durch Falk unterstützt wurde, verließ er Weimar in Richtung Frankreich und England. Wieder andere Zöglinge mit dem Wunsch, einen Beruf jenseits des Handwerks zu ergreifen, waren wie Karl Wilhelm Böhse »weich und am Wasser gebaut«516. Im Falkschen Institut fanden junge intellektuelle Männer eine Unterstützung, die keinen handwerklichen Beruf ergreifen wollten, wenngleich sie sich dadurch von der Mehrzahl der Unterstützten unterschieden. Der Mutter des aus Krautheim stammenden Johann Andreas Bank war die Isolierung des Sohnes schon vor der Aufnahme in das Falksche Institut aufgefallen, da dieser nicht an den Spielen der Dorfjugend teilnahm und deshalb nur »wenige Freunde« hatte. Stattdessen war Bank »sehr fleißig und wendet alle Minuten an«.517 Falk notierte den Gegensatz zwischen handwerklicher Ausbildung und intellektueller Begabung ausdrücklich: »Er möchte gern ein Schreiber werden oder ein Cantor; eine Profession will er nicht lernen.«518 Bank übernahm einen Teil der Verwaltungsaufgaben im Institut.519 »Bei einer Betrachtung der Berufe, zu denen eine akademische Bildung den jungen Mann in Deutschland im achtzehnten Jahrhundert führen konnte, kann die Frage nach seiner sozialen Herkunft nicht übergangen werden. Von irgendwelcher Gleichberechtigung kann gewiß nicht gesprochen werden.«520 Söhne höherer sozialer Schichten widmeten sich zumeist juristischen Studien. Junge Männer aus unteren und armen Schichten wurden – wie der eben erwähnte Johann Andreas Bank – zu Schreibern oder Kantoren ausgebildet, nahmen ein Studium der Theologie auf oder konzentrierten sich auf den sich allmählich vom geistlichen Amt lösenden Lehrerberuf.521 Dennoch baten auch angehende Juristen im Institut um eine finanzielle Unterstützung, wie Constantin Lairitz, der Sohn des Remdaer Inspektors und Pfarrers Jonathan Friedrich Lairitz.522 Falk organisierte nach dem Tod des Vaters für Lairitz 1819 einen Studi515

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Brief Johann Friedrich Rosts an Johannes Falk, Olbersleben 22. Mai 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 68r. Bericht Johannes Falk über Karl Wilhelm Böhse, in: GSA 15/N 54, 76. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Andreas Bank, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 329v.–337v., hier Bl. 329v. Ebd. Vgl. Brief Johann Andreas Banks an Johannes Falk, Weimar 17. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 334r.–335r. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 248. Vgl. ebd., S. 248f. Vgl. Staatshandbuch 1793–1813.

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enaufenthalt in Weimar, obwohl für Juristen »bey Uns eigentlich keine Unterstützung offen«523 ist, weshalb Lairitz die Infrastruktur des Instituts nur gegen Zahlung einer Pension nutzen konnte. »Pfarrer und Schulmeister, das waren die wichtigsten Kulturträger des Dorfes.«524 Dennoch wirkte der Beruf des Schullehrers bei einer jährlichen Besoldung von 100 Talern, die bereits gezahlte Schulgelder und weitere Akzidenzien beinhalteten,525 nicht gerade attraktiv. Dagegen gehörten die Befreiung vom Militärdienst, das Recht zur Verehelichung vor dem 24. Lebensjahr oder Steuervorteile zu jenen Privilegien, auf die angehende Lehrer hoffen konnten.526 Die Väter der meisten Seminaristen des Landschullehrerseminars arbeiteten selbst als Schullehrer, sodass es wenig verwundert, dass die Mehrzahl der Seminaristen einem armen familiären Umfeld entstammte.527 »Häufig wurde der Lehrerberuf auch gewählt, weil dem jungen Mann Muskelkraft und handfeste bürgerliche Tüchtigkeit fehlten.«528 Anstatt etwa eine Tätigkeit in der Landwirtschaft aufzunehmen, bevorzugten Zöglinge des Instituts den Lehrerberuf, wenn sie »für die schweren Arbeiten des Landbaues zu schwach«529 waren. Im Falkschen Institut unterrichteten Schüler des Gymnasiums jüngere Kinder in elementaren Grundkenntnissen wie Kopfrechnen und Schreiben. Falk sah in dieser Methode in erster Linie einen Gewinn für die angehenden Lehrer. Denn »schon die oft so schwer zu erlangende Fertigkeit eine Klasse zusammenzuhalten ist schätzenswerth, ohne Rücksicht auf das, was vorgetragen wird.«530 Älteren Schülern kam eine Leitungs- und Erziehungsfunktion zu. Besonders wichtig war es, dass ein zukünftiger Lehrer »eine Klasse von wilden Jungen Hand haben lernt«531. Dieser Aufgabe sei nur eine bestimmte Art von Lehramtsanwärtern gewachsen, die sich, wie der »Secundaner Hügel«, durch »Körper«, »Athem« und »natürliche Anlagen«532 eigneten. 523

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Aufzeichnungen Johannes Falks über Constantin Lairitz, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 52r. Vgl. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 124. Vgl. Krumbholz: Volksschule, S. 14f. Vgl. ebd., S. 20; Hercher: Gesetze, S. 56–58. Vgl. Ranitzsch: Lehrerseminar, S. 21. Saupe: Signale, S. 118. Brief Johann Daniel Balthasar Schmidts an Johannes Falk, Isserstedt 8. Juni 1813, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 429r.–429v., hier Bl. 429r. Erklärung über den Sekundaner Hügel, [Weimar] 3. Januar 1817, in: GSA 15/N 54, 2, 3. Stück. Ebd. Ebd.

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Im Nachfolgenden werden mit der Schriftstellerei und der Chirurgie zwei Ausbildungswege skizziert, die bislang von der Forschung völlig unberücksichtigt geblieben sind. Dadurch wird einerseits die Bandbreite der Unterstützungs- und Förderungsangebote des Falkschen Instituts unterstrichen, andererseits aber auch die Wahlfreiheit illustriert, die Falk jungen Männern zugestand. Schriftsteller Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Schriftstellerei zu einem eigenen Beruf.533 Selbigen wünschte der aus dem wenige Kilometer nördlich von Weimar gelegenen Ramsla stammende Albrecht Heinrich Pfeiffer zu erlernen und auszuüben. Dessen verwitwete Mutter Katharina Pfeiffer, die aus Hamburg stammte, versorgte ihre drei weiteren Kinder allein.534 Im Gegensatz zur Mehrzahl der Zöglinge wurde Albrecht Heinrich Pfeiffer nicht in einem Handwerk ausgebildet. Auf einer 1816 ausgestellten Spendenquittung ist vermerkt, dass er zwar beim Schlossermeister Spangenberg535 in Weimar wohnte, dort aber nicht die Schlosserprofession erlernt hat.536 Falk folgte dem Wunsch der Mutter sowie dem Ratschlag eines ehemaligen Lehrers des jungen Mannes, der dessen schulische Fähigkeiten gelobt hatte, und schickte Albrecht Heinrich Pfeiffer auf das Gymnasium.537 Außerdem besuchte er die im Falkschen Institut angebotenen Unterrichtsstunden. Hier in Weimar fand Albrecht Heinrich Pfeiffer die geistigen Impulse, die ihn zu eigenen schriftstellerischen Arbeiten anregten. Auf dem Gymnasium rezipierte er verschiedene ältere und zeitgenössische literarische Werke in deutscher, griechischer und englischer Sprache. Im Unterricht studierte er formale Aspekte der Literatur wie den Versbau oder die Gattungseinteilungen.538 Außerdem lernte er in diesem Zusammenhang die verschiedenen Praktiken der Literaturkritik kennen. Im Ergebnis dieser schulischen Förderung fertigte Albrecht Heinrich Pfeiffer selbst Gedichte an, wozu Johannes Falk den jungen Mann ausdrücklich ermutigt hatte.539 533 534 535

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Vgl. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 272f. Vgl. Bericht Johannes Falks, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 305r. Vermutlich handelt es sich um Ehrenfried Christian Bernhard Spangenberg (geb. 1781). Vgl. Quittung unterzeichnet, Spangenberg, Karl Friedrich Horn und Johannes Falks. o. O. 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 278r. Vgl. Brief Albrecht Heinrich Pfeiffers an Johannes Falk, Weimar 30. Juni 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 283r.–283v. Vgl. Brief Albrecht Heinrich Pfeiffers an Johannes Falk, o. O. 12. März, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, 284r.–285r., hier Bl. 284v.

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Zwischen Johannes Falk und Albrecht Heinrich Pfeiffer entwickelte sich auf literarischer Ebene ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, das viele zeitgenössische Beziehungen zwischen einem Schriftsteller und einem jungen aufstrebenden Talent charakterisierte.540 Albrecht Heinrich Pfeiffer übersandte Falk seine Gedichte, die dieser zum Anlass nahm, einzelne Passagen zu redigieren, obwohl der Heranwachsende ihn darum nicht ausdrücklich gebeten hatte. »Sie haben mir Winke gegeben, die für mich recht nützlich sind, ich meine aber auch, daß der junge Adler nur dann erst Kraft bekommt sich über schwebende Regen- und Schneegefilde zu erheben, wenn er sich erst in den untern Regionen herumgetummelt hat, und von den alten fluggewohnten Adlern, in spottendem Ton eines Bessern belehrt worden ist.«541

Albrecht Heinrich Pfeiffer dachte bei seinen Schreibversuchen zunächst nicht daran, später einmal als Schriftsteller zu arbeiten und damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vermutlich wurde er dazu jedoch durch das Vorbild Falks angeregt. Augenscheinlich sah Pfeiffer in Johannes Falk nicht nur den sich karitativ engagierenden Weimarer Bürger, sondern auch den Satiriker und Schriftsteller, der selbst allerdings diesen Lebensentwurf seit 1813 nicht mehr verfolgte wie noch bei seiner Ankunft in Weimar 1797. Gleichwohl gestattete Pfeiffer, dass Falk ihm Korrekturvorschläge unterbreitete. Nach den ersten lyrischen Versuchen begann Albrecht Heinrich Pfeiffer »an etwas Ganzem«542, möglicherweise an einer Erzählung oder an einem Roman zu arbeiten. Egal, was er veröffentlichen wollte, alles sollte vorher von Falk beurteilt und – wenn nötig – redigiert werden. Allerdings lehnte Albrecht Heinrich Pfeiffer übermäßigen Einfluss Falks auf seine literarischen Arbeiten ab. Einerseits wünschte er sich zwar die Überarbeitung seiner unfertigen Produkte, andererseits sollte Falk nicht zu vieles verändern, weil sich Pfeiffer sonst schäme, »selbiges für das Meinige auszugeben«543. Der junge Mann schwankte zwischen Di539 540

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Ebd. Bereits Goethe sah im Schüler immer auch den Dilettanten, der unter dem Einfluss des Lehrers geformt werden konnte. Vgl. Haischer, Peter-Henning: Dichterinnen, Dilettanten: Episch-Weibliches im Umfeld Schillers und Goethes, in: Hammerstein, Katharina von / Horn, Katrin (Hrsg.): Sophie Mereau. Verbindungslinien in Zeit und Raum. Heidelberg 2008, S. 61–80, hier S. 63f. Brief Albrecht Heinrich Pfeiffers an Johannes Falk, o. O. 12. März, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, 284r.–285r., hier 284r. Ebd.

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stanz und Nähe zu seinem Vorbild Johannes Falk, dessen literarisches Urteil er hoch schätzte. Ganz im Sinne der Genieästhetik verstand er sein literarisches Werk als ein Original, das an einem individuellen Stil zu erkennen sein sollte. Um die eigenen literarischen Fähigkeiten zu verfeinern, las Albrecht Heinrich Pfeiffer Texte von Goethe, Homer und Shakespeare.544 Anscheinend lag Pfeiffer viel daran, nicht nur als rezipierender und damit lediglich dilettierender, sondern als kreativer Künstler wahrgenommen zu werden.545 Wenngleich der Dilettantismusbegriff in der zeitgenössischen Diskussion nur an wenigen Stellen mit Geschlechterkategorien in Verbindung gebracht wurde,546 bezeichnete Dilettantismus besonders häufig weibliche Arbeiten.547 Ende des 18. Jahrhunderts hatten Karl Philipp Moritz und Wilhelm von Humboldt die Verschiedenartigkeit von männlicher schöpferischer Schaffenskraft und künstlerischer Empfänglichkeit von Frauen betont, die lediglich nachahmten.548 Weibliche Autorinnen wie Amalie von Helvig, Caroline von Wolzogen oder Sophie Mereau konnten in den Augen Goethes und Schillers mit der Nachahmung literarischer Formen eine gewisse Qualität erreichen, niemals aber das Niveau ihrer schöpferisch genialen männlichen Kollegen.549 Für Albrecht Heinrich Pfeiffer war es ein besonderes Anliegen, nicht nur nachahmend zu produzieren und lediglich weiblich-dilettantischer Künstlerschaft zu entsprechen, sondern als Genie anerkannt zu werden. »Es ist aber doch eigen, daß deine Nähe lauter Genies zieht«550, bemerkte Caroline Falk über Albrecht 543

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Brief Albrecht Heinrich Pfeiffers an Johannes Falk, Weimar 17. März 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, 286r. Vgl. Brief Albrecht Heinrich Pfeiffers an Johannes Falk, o. O. 12. März o. J., in: GSA 15/N 55, Bd. 1, 284r.–285r., hier 284v. Zur Dilettantismus-Diskussion um 1800 vgl. Krückeberg, E.: Art. »Dilettantismus«, in: Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 2. Basel und Stuttgart 1972, Sp. 248–249. Vgl. grundlegend zum Dilettantismus: Vaget, Rudolf H.: Der Dilettant. Eine Skizze der Wort- und Bedeutungsgeschichte, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 14 (1970), S. 131–158. Vgl. Haischer: Dichterinnen, S. 63. Vgl. ebd., S. 67f. Moritz benutzte den Begriff ›Dilettantismus‹ noch nicht. Vgl. ebd., S. 69. Für Goethe ist der Dilettantismus-Begriff keineswegs eindeutig negativ konnotiert, schließlich bezeichnete er sich selbst auf verschiedenen Fachgebieten als Dilettanten. Vgl. Vaget: Dilettant, S. 145; Golz, Jochen: »Dilettantismus« bei Goethe. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs, in: Blechschmidt, Stefan / Heinz, Andrea (Hrsg.): Dilettantismus um 1800. Heidelberg 2007, S. 27–39, hier S. 28f. und 37.

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Heinrich Pfeiffer. Albrecht Heinrich Pfeiffers Formenstudien am Weimarer Gymnasium und unter Falks Anleitung boten dem jungen Mann die besten Voraussetzungen, sein schriftstellerisches Talent auszubauen und sich zu einem Genie zu entwickeln. Im persönlichen Umgang mit Falk lernte Albrecht Heinrich Pfeiffer ebenso die Schwierigkeiten beim Vertrieb literarischer Werke kennen. Auf mehreren Reisen warb der junge Mann in Magdeburg, Nordhausen, Quedlinburg und Blankenburg für Falks Texte, die dem Falkschen Institut zusätzliche Einnahmen sichern sollten.551 Womöglich mag die anstrengende Suche nach Subskribenten und Pränumeranden dazu beigetragen haben, dass sich Pfeiffer trotz unablässiger Förderung durch Falk letztlich gegen den Beruf des Schriftstellers entschied. Chirurgie Im Falkschen Institut finden sich Hinweise, dass sich ein Teil der jungen Männer zum »Chirurgus«552 ausbilden wollte. Mit dieser Bezeichnung war nicht der der Beruf eines akademisch ausgebildeten Arztes gemeint. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterschieden sich studierte Mediziner und die in einer Zunft ausgebildeten Chirurgen voneinander. Letztere befanden sich mit den Hebammen auf einer niedrigeren sozialen Position und genossen keineswegs das Ansehen eines Arztes.553 Obwohl die zukünftigen ›Chirurgen‹ mit chemischen und medizinischen Wirkstoffen vertraut gemacht wurden, durften sie keine inneren Krankheiten therapieren, sondern versorgten Wunden oder schröpften ihre Patienten.554 550

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Brief Caroline Falks an Johannes Falk, 16. April 1822 Würzburg, in: GSA 15/N 55, Bd. 22, Bl. 323r.–324v., hier Bl. 324v. Vgl. Brief August Wilhelm Franckes an Johannes Falk, Magdeburg 29. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 251r.–251v.; Brief Albrecht Heinrich Pfeiffers an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 294r.–296v. Vgl. Reis: Falk, S. 74. Aufzeichnungen Johannes Falks über Caroline Hergern und ihren Bruder, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 246v. Vgl. auch Aufzeichnungen Johannes Falks über Günther aus Apolda, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 618v. Vgl. Jütte, Robert: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit. München und Zürich 1991, S. 19f.; Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 258f.; Huerkamp, Claudia: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten. Das Beispiel Preußens (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 68). Göttingen 1985, S. 34–40. Vgl. Jütte: Ärzte, S. 20; Sander, Sabine: Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte

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Streng genommen war die Chirurgie ein Handwerk, wie es sich beispielsweise in dem charakteristischen Ausbildungsweg mit Lehre, Gesellenzeit und Meisterprüfung widerspiegelte. Andererseits erwarben die Chirurgen fundiertes medizinisches Fachwissen und Lateinkenntnisse und waren angehalten, sich in Residenz- und Universitätsstädten weiterzubilden, sodass sie sich von den anderen Handwerken deutlich unterschieden.555 Eine wichtige finanzielle Einnahmequelle bot sich den Handwerkschirurgen mit dem Rasieren,556 bei dem nicht nur fachliches Wissen gefragt war. So bemerkte Johannes Falk über den Zögling Carl Philipp Geibel, dass dieser »flüchtig und etwas plapprig« sei, »was indeß für einen Barbier nicht übel ist«557. Offensichtlich wurde von angehenden Chirurgen eine gewisse gesellige Kompetenz bei der Ausübung ihrer Dienstleistung erwartet, deren Kunden aus fast allen gesellschaftlichen Schichten stammten.558

4.1.4 ›Unter die Soldaten‹. Das Militär als ›Schule der Männlichkeit‹? Im 18. Jahrhundert zählte das Militär weder zur Lebenswirklichkeit der gesamten Bevölkerung, noch sahen alle männlichen Bewohner eines Territoriums eine längere Militärzeit oder den Dienst in der Armee als notwendigen Bestandteil des persönlichen Lebensentwurfs an.559 Abgesehen von der Offizierslaufbahn des Adels war der Dienst an der Waffe zwar eine zeitlich befristete, aber unattraktive und lästige Tätigkeit, mit der Männer unterer Schichten wirtschaftliche Engpässe überbrückten. Die Vertreter des städtischen Bürgertums störten sich am Dünkel und Habitus der Offiziere, die, von staatlicher Seite legitimiert, als ›Militärstand‹ in Distanz zur Zivilgesellschaft eigene Privilegien genossen.560 Erst in Folge

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einer verdrängten Berufsgruppe (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 83). Göttingen 1989, S. 57. Vgl. Sander: Handwerkschirurgen, S. 236. Vgl. ebd., S. 93–96 und 233. Aufzeichnungen Johannes Falks über Carl Philipp Geibel, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 95v. Vgl. Sander: Handwerkschirurgen, S. 95. Vgl. Frevert, Ute: Das Militär als »Schule der Männlichkeit«. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte; 58). Stuttgart 1997, S. 145–173, hier S. 146. Vgl. Frevert, Ute: Das jakobinische Modell. Allgemeine Wehrpflicht und Na-

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der Französischen Revolution und unter dem Druck der sich anschließenden Kriege wandelte sich das Misstrauen gegen stehende Fürstenheere.561 Die Gesellschaft wurde von einer zunehmenden Militarisierung erfasst, bis sich am Ende des 19. Jahrhunderts ein hegemoniales Männlichkeitsbild durchsetzte, das auf der patriotischen Idee basierte, für den Staat den Märtyrertod zu sterben.562 Das Militär avancierte nicht in erster Linie zu einer »Schule der Nation«563, sondern entwickelte sich zu einer nunmehr nur noch Jugendlichen offenstehenden »Schule der Männlichkeit«564, in der Geschlecht einerseits das Zugangskriterium, andererseits das Erziehungsziel bildete.565 Die Trennung zwischen Militär und Gesellschaft sollte durch ein reformiertes, nicht mehr ständisch abgestuftes Rekrutierungsverfahren überwunden werden, das eine Dienstpflicht für alle jungen Männer vorsah, ohne dass sich – wie es im 18. Jahrhundert üblich war – Angehörige mittlerer und höherer Schichten mit einem Stellvertreter davon befreien

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tionsbildung in Preußen-Deutschland, in: Dies. (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte; 58). Stuttgart 1997, S 17–47, hier S. 19. Vgl. Jansen, Christian: Die Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.): Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert. Ein internationaler Vergleich (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung; 3). Essen 2004, S. 9–23, hier S. 10; Kater, Thomas: Bürger-Krieger. Immanuel Kant, Adam Smith und Adam Ferguson über Militär und Gesellschaft, in: Jansen, Christian (Hrsg.): Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert. Ein internationaler Vergleich (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung; 3). Essen 2004, S. 27–46, hier S. 30f. Vgl. Schmale: Männlichkeit, S. 195. Dagegen wurden etwa Soldatinnen, deren Existenz für die Frühe Neuzeit belegt ist, marginalisiert. Als Beispiel sei auf die ablehnende Haltung der französischen Nationalversammlung verwiesen, die im April 1793 gegen die Aufstellung einer bewaffneten Fraueneinheit votierte. Vgl. Füssel, Marian: Frauen in der Schlacht? Weibliche Soldaten im 17. und 18. Jahrhundert zwischen Dissimulation und Sensation, in: Latzel, Klaus / Maubach, Franka / Satjukow, Silke (Hrsg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute (= Krieg in der Geschichte; 60). Paderborn u. a. 2011, S. 159–178, hier S. 178. Fehrenbach, Elisabeth: Vom Ancien Re´gime zum Wiener Kongress (= Oldenburg Grundriss der Geschichte; 12). München 2001, S. 123. Frevert: Schule der Männlichkeit, S. 145f. Vgl. Loriga: Militärerfahrung, S. 46.

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konnten.566 Allein ihre geschlechtliche Zugehörigkeit öffnete prinzipiell allen Männern den Weg zum Militär. Diese Prämisse habe, so Ute Frevert, konfessionelle, soziale oder regionale Unterschiede egalisiert.567 Neuere Untersuchungen konstatieren dagegen die Fortdauer der Ungleichheiten zwischen den Militärangehörigen, von denen ein Teil auch im 19. Jahrhundert durch die Zahlung einer hohen Geldsumme oder den Nachweis der Unabkömmlichkeit, wie sie zumeist Fabrikanten- oder Bauernsöhne für sich reklamierten,568 ihre Dienstpflicht deutlich verkürzte.569 Folgerichtig prägte das Militär keineswegs den einen Typus Mann mit soldatischen Idealen, sondern ließ aufgrund der Binnendifferenzierung seinerseits unterschiedliche Formen von Männlichkeit entstehen.570 Neuere Forschungen zeigen, dass Militarisierung kein »von oben«571 geleiteter, sondern ein in starkem Maße vom Bürgertum getragener Prozess war, in dessen Verlauf militärische Sekundärtugenden Eingang in den ›Wertehimmel‹ des bürgerlichen Mannes fanden. Anfangs fürchteten noch viele Bürgerliche, von den in der Wahrnehmung mit dem ›Militärstand‹ zugeschriebenen negativen Einflüssen verdorben zu werden.572 Im Laufe des 19. Jahrhunderts verschmolzen bürgerliche und soldatische Tugenden als Ausdruck einer wehrhaften Nation zu einer neuen Form von »patriotisch-wehrhafte[r]«573 Männlichkeit, die auf der einen Seite von »Ehrgeiz, Gemein- und Familiensinn«574 – neben der Vaterlandsliebe der wich566

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Zu den Ausnahmebestimmungen in der Dienstpflicht vgl. Koselleck, Reinhart: Adel und eximiertes Bürgertum. Die höheren Stände in Preußen um 1800, in: Vogel, Barbara (Hrsg.): Preußische Reformen 1807–1820 (= Neue wissenschaftliche Bibliothek; 96). Königstein 1980, S. 168–187, hier S. 178. Vgl. Frevert, Ute: Gesellschaft und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Sozial-, kultur- und geschlechtergeschichtliche Annäherungen, in: Dies. (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte; 58). Stuttgart 1997, S. 7–14, S. 12. Vgl. Frevert, Ute: Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland. München 2001, S. 66. Vgl. Pröve: Militär, S. 3–11 und S. 33. Vgl. Schmale: Männlichkeit, S. 197. Vgl. Jansen: Militarisierung, S. 11. Vgl. Frevert: Nation, S. 28f. Hagemann, Karen: Der »Bürger« als »Nationalkrieger«. Entwürfe von Militär, Nation und Männlichkeit in der Zeit der Freiheitskriege, in: Dies. / Pröve, Ralf (Hrsg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (= Geschichte und Geschlechter; 26). Frankfurt am Main und New York 1998, S. 74–102, hier S. 81. Frevert: Nation, S. 45.

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tigste Antrieb zum Dienst – und von Leistungsbereitschaft und »Königstreue, Dienstethos und Opfergeist«575 auf der anderen geprägt war. Anfänge dieses Prozesses, auf den die Niederlage gegen die Grande Arme´e am Beginn des 19. Jahrhunderts wie ein Katalysator gewirkt hatte, sind Jahrzehnte zuvor im aufklärerischen Diskurs sowie in der Praxis der Philanthropen und Pädagogen zu finden, die trotz aller Skepsis gegen das Militär Wert auf die Entwicklung einer gleichermaßen von Mut, Kraft, Stärke, Körperbewusstsein sowie kultureller Bildung geprägten Männlichkeit legten.576 Ganz ähnlich verlief das Zusammenwachsen von Militärstand und Bürgertum in Sachsen-Weimar-Eisenach. Die Anfänge eines stehenden Heeres gehen in Sachsen-Weimar auf das Jahr 1702 zurück, als Herzog Wilhelm Ernst den Aufbau einer Garde-Infanterie verfügte.577 Im Unterschied zum preußischen Kantonreglement, bei dem sich die Zahl der wehrpflichtigen jungen Männer nach der Anzahl der Feuerstellen richtete, wurden je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eines Gebietes Wehrpflichtige rekrutiert, was häufig zu Klagen der betroffenen Dörfer führte, da sie trotz wirtschaftlicher Stärke nicht zwangsläufig in der Lage waren, Freiwillige in ausreichender Zahl zu stellen.578 Unter dem Einfluss der kriegerischen Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts und nach dem Beitritt des Herzogtums zum Rheinbund wurde auch in SachsenWeimar-Eisenach das Militärwesen reformiert.579 Vorbildhaft wirkten die preußischen Reformen auf die neue Organisation des Militärs, sodass seit Juni 1817 allgemein verbindliche Regelungen für den Militärdienst existierten, dessen Dauer 1824 von vier auf sechs Jahre erhöht wurde.580 Im 19. Jahrhundert verlagerten sich die Militärjahre in die Zeit zwischen Jugend und Erwachsenenalter, weshalb das Falksche Institut die Zeit zwischen Schulabgang und Militäreintritt mit der Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten überbrücken sollte.581 In den Quellen des Instituts 575 576 577

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Hahn / Berding: Reformen, S. 91. Vgl. Frevert: Schule der Männlichkeit, S. 148–150. Vgl. ebd., S. 12; Frevert: Gesellschaft und Militär, S. 8. Vgl. Brief Carl Naumanns an Johannes Falk, Halle 23. Januar 1826, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. Vgl. Müller, Hermann: Das Heerwesen im Herzogtum Sachsen-Weimar von 1702–1775. Ein Beitrag zur Thüringischen Geschichte des 18. Jahrhunderts. Weimar 1935, S. 2f. Vgl. ebd., S. 22. Vgl. Müller: Übersicht, S. 7. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Brief Carl Naumanns an Johannes Falk, Halle 23. Januar 1826, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 123r.–123v.

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ist zudem belegt, wie Johannes Falk mit dem Wunsch junger Männer konfrontiert wurde, im Militär zu dienen. Vor Beginn einer entsprechenden Laufbahn sollten die angehenden Soldaten im Falkschen Institut bürgerliche Werte verinnerlichen. In seinen Unterlagen notierte Falk, dass einige junge Männer aus dem Institut »unter den Soldaten«582 seien. Der Militärdienst bedeutete für junge Männer, die aus niederen Schichten kamen, jedoch nicht den Einstieg in eine Militärlaufbahn, sondern stellte in erster Linie eine reine Versorgungsmöglichkeit dar.583 Ein Teil der jungen Männer glaubte den Versprechungen der in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Weimar einquartierten Soldaten, dass sie im Militär »golden[e] Berge«584 verdienen würden. Wieder andere traten aus einer konkreten materiellen Not heraus in den Dienst und übernahmen zumeist untergeordnete Aufgaben, indem sie beispielsweise bei Offizieren als Reitknechte unterkamen. Der 18-jährige Adam Sommer etwa »hatte weder zu broden, noch zu beißen«585, weshalb er als Reitknecht in einem französischen Regiment diente und so auf den Heerzügen durch ganz Europa herumkam, bevor er nach Kriegsende vom Falkschen Institut unterstützt wurde. In erster Linie übernahm das Militär also zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Sachsen-Weimar-Eisenach eine wichtige Versorgungsfunktion für heranwachsende Söhne, die, dadurch materiell abgesichert, ihren Familien nicht mehr zur Last fielen. Abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen, die ein Unterkommen beim Militär bot, sah Falk auch die Schwierigkeiten, die z. B. ein Adam Sommer hatte, am Ende der Militärzeit wieder ins bürgerliche Leben zurückzukehren. Nach der Niederlage seines Regiments und dem Tod seines Offiziers bot das Militär dem jungen Mann weder eine Zukunftsperspektive, noch hatte er selbst Vorkehrungen für einen Weg ins zivile Leben getroffen, weshalb er im Falkschen Institut grundlegende Kenntnisse wie Schreiben und Lesen erneut erwerben musste. 582

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Aufzeichnungen Johannes Falks über Louise Hahnemann, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 157r. Vgl. Loriga, Sabina: Die Militärerfahrung, in: Levi, Giovanni / Schmitt, JeanClaude (Hrsg.): Geschichte der Jugend. Bd. 2. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 1997, S. 20–55, hier S. 28; Gestrich: Jugendkultur, S. 123. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Georg Brückner, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 47v.–60r., hier Bl. 51r. Aufzeichnungen Johannes Falks über Dorothea und August Sommer, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 239v.–240r., hier Bl. 239v.

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Folgenschwerer als schulische und berufspraktische Defizite wog in Falks Augen die moralische Fehlentwicklung der jungen Männer innerhalb des Militärs, wodurch eine Wiedereingliederung in das bürgerliche Leben mitunter sehr erschwert wurde. Der unregelmäßige Lebenswandel, insbesondere das Herumziehen, widersprach einem von Arbeitsamkeit und Kontinuität geprägten Leben als Handwerker oder Gewerbetreibender. Heranwachsende gingen nach dem Militär als »Müßiggänger«586 meist keiner zivilen Arbeit nach. Trotzdem hoffte Johannes Falk, den 19-jährigen Johann Georg Brückner, »nach der unruhigen Lebensart, die er bereits in den Feldlägern geführt«587 habe, erfolgreich beim Weimarer Leinewebermeister Johann Heinrich Apfelstedt ausbilden zu lassen. Vor Ausbildungsbeginn hatte Brückner als Reitknecht einem französischen Soldaten gedient, den er von Weimar bis in die Schlacht von Leipzig begleitet hatte. Ende Dezember 1814 notierte Falk, dass Brückners Meister mit dessen Arbeiten zufrieden sei, sodass Falk trotz aller Bedenken davon ausgehen konnte, dass der junge Mann mit dem erlernten Handwerk seinen Weg in ein bürgerliches Leben finden würde. Vier Monate später wendete sich das Blatt erneut. Als Ende März 1815 die Nachricht in Weimar eintraf, Napoleon habe die Insel Elba verlassen und sei »in Paris eingerückt«588 und daraufhin wieder ein alliiertes Militäraufgebot zusammengerufen wurde, an dem auch sachsen-weimar-eisenachische Truppen teilnahmen,589 »konnte sich Brückner, da die Trommel erklang, nicht länger halten«590. Sowohl die zeitgenössische Publizistik als auch spätere historische Untersuchungen sehen den Grund dafür, dass viele junge Männer (freiwillig) Militärdienst leisteten, in patriotischen Motiven. Falk ließ solche Erklärungen für Brückners übereilten Aufbruch vom Webstuhl in Weimar nicht gelten. Nach seiner Einschätzung sei in dem jungen Mann nicht »der Trieb für’s Vaterland zu streiten, als [vielmehr] das alte Vagabundenleben«591 erwacht. Das Militär, dessen Anzie586

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Bericht des Superintendenten Johann August Bertram [an das Oberkonsistorium], Bürgel 6. Mai 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 54r.–54v., hier Bl. 54r. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Georg Brückner, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 47v.–60r., hier Bl. 55v. Brief Sophie von Schardts an Karl von Stein, Weimar 23. bis 26. März 1815, in: Fleischer, Horst (Hrsg.): Napoleon oder Das Welttheater kommt nach Thüringen (= Kleine kulturgeschichtliche Reihe; 4). Kranichfeld 2002, S. 327–330, hier S. 329. Vgl. Helmrich: Geschichte, S. 124. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Georg Brückner, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 47v.–60r., hier Bl. 60r. Ebd.

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hungskraft sich die Heranwachsenden nicht erwehren konnten, bildete für junge Männer wie Brückner einen Fluchtpunkt aus dem bürgerlichen Leben. Sie faszinierte die Vorstellung, unter den Soldaten einen Lebenswandel führen zu können, der sich von einer bürgerlichen Existenz unterschied. Neben der Beschäftigung als Reitknecht strebten junge Männer oft eine Aufnahme als Musiker im Militär an. ›Trommler‹ und ›Pfeifer‹, so die zeitgenössische Quellenbezeichnung, gaben im Kampfgeschehen die entscheidenden Signale und unterhielten in Friedenszeiten mit ihrem Spiel die Truppe oder warben neue Soldaten an.592 Da die Militärmusik erst im Laufe des 19. Jahrhunderts an repräsentativer Bedeutung gewann,593 entsprach solch eine berufliche Orientierung im Umfeld des Militärs nicht den damaligen Erwartungen der Eltern, Lehrer, verantwortlichen Pfarrer bzw. der Förderer des Falkschen Instituts, die Heranwachsenden mit solchen Berufswünschen häufig Müßiggang und »keine Lust zur Arbeit« 594 nachsagten. Auch das Leben im unmittelbaren Umfeld des Heeres übte eine große Anziehungskraft auf die Heranwachsenden aus. Der aus Umpferstedt stammende junge Preller »zeigte große Lust zum Schuhmacherhandwerk«595, das er bis 1816, unterstützt von der Gesellschaft der Freunde in der Not, beim Schuhmachermeister Scheidinger596 in der Weimarer Wurstgasse erlernt hatte.597 Obwohl der junge Mann die Ausbildung in einem zivilen Beruf erfolgreich abgeschlossen hatte, suchte er gerade mit dieser Ausbildung den Kontakt zum Militär: »Ein massiver Kerl will Preller immer werden, kein Damenschuster, sondern einer gut für Komißarbeit, im Krieg, wo alles drunter und drüber geht«598, lautete die 592

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Vgl. Höfele, Bernhard: Kleine Geschichte des Militärmusik-Festivals. Norderstedt 2008, S. 11f. Vgl. Heidler, Manfred Franz: Militärreformen im Spiegel der Militärmusik, in: Lutz, Karl-Heinz / Rink, Martin / Salisch, Marcus von (Hrsg.): Reform, Reorganisation, Transformation. Zum Wandel in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr. München 2010, S. 523–543, hier S. 523–525. Brief Carl Joseph Hartmanns an Johannes Falk, Erfurt 29. März 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 260r.–260v., hier Bl. 260v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Carl Heinemann, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 178r. Vertrag der Gesellschaft der Freunde in der Not für Preller aus Umpferstedt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 135r.–135v., hier Bl. 135r. Vermutlich handelt es sich um Johann Gottlieb Scheiding (gest. 1818). Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816).

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Einschätzung Falks. Im Gegensatz zur Arbeit im zivilen Leben war die »Komißarbeit«599 – in Prellers Fall das Anfertigen von Stiefeln für das Militär – durch das Herumziehen im Tross die weitaus attraktivere Tätigkeit. Seit der Renaissance wurden mit dem soldatischen Männlichkeitsbild nicht nur Unmoral oder Gewalt, sondern auch physische Stärke und Potenz verbunden.600 Kraft, Stärke, Tapferkeit und Abenteuerlust strahlten als soldatische Werte und Idealisierungen in zivile Berufsfelder aus. Am Ende des 19. Jahrhunderts prägte die Militarisierung viele gesellschaftliche Bereiche, sodass der »soldatische Habitus« nicht nur »im Beruf, bei öffentlichen Begegnungen von Frauen und Männern, beim Bergsteigen usw. gefragt« war, sondern auch zu einer »Renaissance des Ehrduells«601 führte. Prellers Begeisterung rührte konkret »aus der Zeit her wo 1806 Preußen bey seiner Mutter im Quartier lagen, worunter noch ein Schuhmacher war«602. Durch die Kontakte, die zwischen den Militärangehörigen – den Soldaten und den im Tross Mitreisenden – sowie der für die Einquartierung und Verpflegung der durchziehenden Truppen verantwortlichen Zivilbevölkerung zustande kamen, entwickelte sich das Militär zu einer wichtigen Sozialisationsinstanz für junge Männer. Prellers Wunsch, mit der Annäherung ans Heer die eigene Männlichkeit zu betonen, ist symptomatisch für die im 19. Jahrhundert einsetzende Verschmelzung von Militärdienst und bürgerlicher Männlichkeitsvorstel598

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Vertrag der Gesellschaft der Freunde in der Not für Preller aus Umpferstedt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 135r.–135v., hier Bl. 135r. Zum Begriff des Kommiss vgl. Transfeldt, Walter / Brand, Karl Herman Freiherr von: Wort und Brauch im deutschen Heer. Geschichtliche und sprachkundliche Betrachtungen über Gebräuche, Begriffe und Bezeichnungen des deutschen Heeres in Vergangenheit und Gegenwart. Jever 1967, S. 4f. Vgl. Rogge, Matthias: »Wol auff mit mir, du schoenes weyb«. Anmerkungen zur Konstruktion von Männlichkeit im Soldatenbild des 16. Jahrhunderts, in: Hagemann, Karen / Pröve, Ralf (Hrsg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (= Geschichte und Geschlechter; 26). Frankfurt am Main und New York 1998, S. 51–73, hier S. 65f. Schmale: Männlichkeit, S. 199. Vertrag der Gesellschaft der Freunde in der Not für Preller aus Umpferstedt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 135r.–135v., hier Bl. 135r. Zum Aufenthalt der preußischen Truppen im thüringischen Raum vgl. Müller, August: Geschichtliche Übersicht der Schicksale und Veränderungen des Großherzogl. Sächs. Militairs während der glorreichen Regierung Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs Carl August zur ehrerbietigsten Feyer Höchst Dessen funfzigsten Regierungs-Festes. Weimar 1825, S. 4.

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lung.603 Erst die Partizipation an einer Institution, die allein Männern vorbehalten war, vervollkommnete die Selbstwahrnehmung der Heranwachsenden als ›ganze Männer‹.604 Charakteristisch ist hingegen die Entscheidung Ferdinand von Könitz’, ein »Militär«605 werden zu wollen. Adligen garantierte die Tätigkeit im Militär »das wohl höchste Maß an symbolischem Kapital«606 weit vor anderen Diensten in der Verwaltung oder am Hof, weshalb auch Könitz’ Vater, Anton Franz Friedrich von Könitz,607 den Wunsch des Sohnes ausdrücklich unterstützte. Obwohl der berufliche Werdegang vor dem Hintergrund der oft traditionell eingeschlagenen Militärlaufbahn feststand und der junge Mann »in die Militärschule nach Cölln kommen« sollte, hatten Außenstehende – wie Könitz’ Lehrer, der Pfarrer Friedrich Ernst Kleffel608 – dem Vater »von der Ausführung dieses Vorsatzes abgerathen«609. Gegen eine frühzeitige Unterbringung in einer Militärschule spräche Ferdinand von Könitz’ fehlende »moralische Festigkeit«. Er stünde in der Gefahr, »durch Befleckung seiner Ehre sein ganzes künftiges Glück zu zerstören«610. Das Verhalten der zukünftigen Militärangehörigen sollte einem spezifischen Ehrbegriff entsprechen, wofür von Könitz die notwendigen Voraussetzungen fehlten. Während des fast dreijährigen Aufenthalts im Falkschen Institut würde Ferdinand von Könitz hingegen – so die Hoffnung Kleffels – die traditionell ständischen Werte eines auf Tapferkeit, Wagemut, Gottesfurcht und Gehorsam beruhenden militärischen Berufsethos verinnerlichen.611 Für den Adligen von Könitz, dem es an bürgerlichen Werten wie Fleiß, Arbeitsamkeit, Redlichkeit und Ehrlichkeit mangelte, wurde der Bürger Falk zum »Engel u[nd] Retter«.612 Durch die Fürsorge im Falkschen Institut sollte der junge Mann 603

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Pröve, Ralf: Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (= EDG; 77). München 2006, S. 80. Vgl. Frevert: Schule der Männlichkeit, S. 173. Aufzeichnungen Johannes Falks über Ferdinand Könitz, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 105r.–107v., hier Bl. 105v. Kreutzmann: Lebenswelt, S. 230. Vgl. Hohenlohe-Schillingsfürst, Franz-Josef Fürst zu (Hrsg.): Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels. Bd. 2. Schellenberg bei Berchtesgaden 1951, S. 171. Vgl. Herzogl. Sachsen-Coburg Saalfeldisches Regierungs- und Intelligenzblatt, 53. Stück vom 30.12.1820, Sp. 652f. Brief Friedrich Ernst Kleffels an Johannes Falk, Eyba 7. Februar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 101r.–102r., hier Bl. 101r.–101v. Ebd. Vgl. Pröve: Militär, S. 34.

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Werte eines bürgerlichen Ehrbegriffs verinnerlichen, der von den Militärreformern des 19. Jahrhunderts einer allgemeinen Wehrpflicht zu Grunde gelegt wurde.613 Unter der stärkeren Einbeziehung des Bürgertums sollte die verlorengegangene Reputation des Militärs in der Bevölkerung wieder hergestellt werden.614 Als mit der Niederlage der preußischen Armee gegen die französischen Truppen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die – nicht zuletzt auf moralischen Dispositionen beruhenden – Defizite im Heereswesen offenbar wurden, verlor das Militär vollends seine Sozialisierungsfunktion für junge Adlige und »ungeratene Söhne«615 des städtischen Bürgertums. Von nun an reglementierten nicht mehr ständische Unterschiede den Zugang zum oder die Befreiung vom Militärdienst. Bürgerliche Werte avancierten zum Zugangskriterium in den Heeresdienst, weshalb Ferdinand von Könitz, bevor er seine Militärlaufbahn begann, in das Falksche Institut geschickt wurde. Diese Praktik entsprach in gewisser Weise der 1816 von Carl von Rotteck geäußerten Idee einer ruhenden bzw. allgemeinen Landwehr, die nur im Kriegsfall zusammentreten solle und nicht nur an der Waffe geübt sei, sondern in öffentlichen oder privaten Erziehungsinstituten jene bürgerlichen Tugenden internalisiert habe, die für das militärische wie gesellschaftliche Zusammenleben gleichermaßen von Bedeutung waren.616 Im Jahr 1823 verließ Ferdinand von Könitz das Institut eigenmächtig. Er schlug allerdings nicht die Militärlaufbahn auf einer Militärschule ein, sondern fand bei Soldaten in Coburg ein Unterkommen,617 ohne die vor Eintritt bei Falk an den Tag gelegte Faulheit oder seinen Hang zu Diebstählen abgelegt und die von den Eltern angestrebten Werte verinnerlicht zu haben. Inwieweit Falk die Soldaten in Coburg für befähigt hielt, positiv auf Ferdinand von Könitz einzuwirken, ist nicht überliefert. Weil das aus dem 18. Jahrhundert übernommene Aushebungsverfahren häufig Vagabunden, Diebe oder andere für ungeeignet befundene Dienstwillige anzog,618 erwartete Falk vermutlich nicht, dass der junge Mann in deren Gegenwart jene Werte internalisierte, die zur Aufnahme in eine Militär612

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Brief Friedrich Ernst Kleffels an Johannes Falk, Eyba 7. Februar 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 101r.–102r., hier Bl. 101v. Vgl. Pröve: Militär, S. 34. Vgl. Frevert: Modell, S. 21f. Ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. Nachtrag Johannes Falks über Ferdinand von Könitz, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 141r.–142r., hier Bl. 141r. Vgl. Jansen: Militarisierung, S. 13.

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schule befähigten. Ferdinand von Könitz’ Fall verdeutlicht, wie männliche Sozialisationsformen sich jenseits der ständischen Ordnung neu formierten, unterschiedliche Männlichkeitsvorstellungen vermischten und schließlich bürgerliche Werte auch für Angehörige des Adels prägend wurden. Obwohl die von Anton Franz Friedrich und Christiane619 von Könitz für ihren Sohn angestrebten Erziehungsziele verfehlt wurden, spricht aus der Entscheidung für das Weimarer Institut die feste Überzeugung, dass erst ein durch Falk vermitteltes bürgerliches Männlichkeitsideal die Eintrittskarte für eine adlige Militärlaufbahn darstellte. Insofern als Erziehung zur Männlichkeit ein erklärtes Ziel innerhalb des Militärdienstes war, unterschied sich dieser von anderen männlich geprägten Institutionen wie etwa der Universität.620 »Die Idee, dass das Heer als ›Schule der männlichen Nation‹ fungieren sollte, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgesprochen worden, umgesetzt wurde sie aber erst nach 1860.«621 Dass das Militär im Laufe des 19. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle im Rahmen der Sozialisierung junger Männer spielen würde, deutete sich schon innerhalb des Falkschen Instituts an. Obwohl Falk das Militär nicht per se als ideale Sozialisationsinstanz für junge Männer ansah, instrumentalisierte er Arbeiten in der Armee oder in ihrem Umfeld, wenn andere Berufszuweisungen versagt hatten. Zählte etwa das »Soldaten-Ingenieur- und Feldmeßwesen« zum »Lieblingswunsch« eines jungen Mannes, so war das Institut zur Verwirklichung desselben »behülflich«622. Die Neigung eines Heranwachsenden zu einer bestimmten Tätigkeit überwog Falks Vorurteile gegenüber dem Militärdienst, wusste er doch, dass »das erstorbene Ehrgefühl« oft »auf eine völlig unerwartete Weise«623 wieder erweckt würde. In solchen Fällen widersprach Falk aufgrund seiner Erfahrungen auch Befürchtungen von Angehörigen, die im »Hang zum Militair« nur die »Schlechtigkeit«624 der jungen Männer erkennen wollten. Diese Beispiele belegen, wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts bürgerliche Werte in das bis dahin vom Adel bzw. 619

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Christiane von Könitz wurde am 8. April 1773 als eine von der Tann geboren und starb am 3. Januar 1844. Vgl. Hohenlohe-Schillingsfürst (Hrsg.): Genealogisches Handbuch, S. 171. Vgl. Pröve: Militär, S. 81. Schmale: Männlichkeit, S. 196. Brief Johannes Falks an Johann Wilhelm Carl Ludecus, Weimar 11. November 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 26r.–27v., hier Bl. 27r.–27v. Ebd., Bl. 26v. Brief Johann Wilhelm Carl Ludecus an [?] Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 32r.

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von unteren Bevölkerungsschichten geprägte Militär eindrangen und so ein auf militärischem Gehorsam und Treue basierendes Männlichkeitsbild mit bürgerlichen Werten verknüpft wurde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchliefen noch nicht alle Männer diese ›Schule der Männlichkeit‹, weil die strukturellen Defizite aus dem 18. Jahrhundert in der Rekrutierungsmaßnahme und die grausame und abschreckende militärische Strafpraxis erst durch die Reformbemühungen im Zuge der Befreiungskriege behoben wurden. Deshalb wurde nur allmählich ein größerer Teil der männlichen Bevölkerung zum Dienst herangezogen. Das Militär entwickelte sich schrittweise zu einer Institution, die im Idealfall von allen Männern durchlaufen wurde, weshalb der Dienst im oder für das Militär von vielen Heranwachsenden explizit mit Männlichkeit konnotiert wurde, sodass dieselben Tätigkeiten – etwa die eines Schneiders – im zivilen Leben unattraktiv wirkten. Dagegen lebte die Vorstellung vom unmoralischen Vagabundenleben der Soldaten in weiten Teilen der Bevölkerung fort; ein Vorurteil, das gerechtfertigt, ja bestätigt schien, wenn aus dem Militär zurückkehrende junge Männer keiner beruflichen Tätigkeit nachgingen oder eine eingeschlagene bürgerliche Existenz für weitere Jahre im Militär allzu leichtfertig aufgaben. Damit das Militär nicht länger eine Art von Männlichkeit generierte, die den Erwartungen des Bürgertums, aber auch des Adels im 19. Jahrhundert widersprach, galt es bürgerliche Werte ins Militär zu überführen. Aus diesem Grund übernahmen Erziehungs- und Bildungsanstalten wie das Falksche Institut einen der militärischen Ausbildung vorgelagerten Unterricht, in dem die jungen Männer Fleiß, Arbeitsamkeit und Pflichtbewusstsein erlernen sollten, die als Grundlage zur Herausbildung soldatischer Eigenschaften wie Gehorsam, Ehrgefühl und Vaterlandstreue fungierten.

4.1.5 Schauspieler: August Kiesewetter »Ein […] völlig weibischer Junge«? Im Falkschen Institut bildete die Unterstützung eines ambitionierten Schauspielers eine Ausnahme, die nur den wenigsten Heranwachsenden zuteil wurde.625 Die Ausbildung in einem Handwerk folgte mit der Suche nach einem geeigneten Lehrmeister, der Kontraktsausfertigung und der regelmäßigen Visitation einer bestimmten institutsinternen Routine. An 625

Vgl. etwa auch Fall Theodor Wilhelm Rosts, in: GSA 15/N 55, Bd. 25. Vgl. auch Reis: Falk, S. 57 und 60.

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der Frage, ob ein Jugendlicher Schauspieler werden sollte oder nicht, entzündeten sich zahlreiche Konflikte, weil dieser Beruf nicht unbedingt mit dem bürgerlichen Männlichkeitsideal korrespondierte. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es üblich, dass wandernde Schauspielergruppen von einem Aufführungsort zum nächsten herumreisten.626 In den Augen vieler Weimarer Zeitgenossen unterschieden sich Schauspieler kaum von Vagabundierenden. Seit aber Goethe 1791 die Leitung des neugegründeten Weimarer Hoftheaters übernommen hatte, das bis dahin von verschiedenen Ensembles bespielt wurde,627 entwickelte sich in Weimar die Aufführungspraxis eines kontinuierlich arbeitenden Schauspiels. Mit der Institutionalisierung des Theaterwesens bot sich Schauspielern zunehmend die Aussicht, als Darsteller regionales und überregionales Ansehen zu erwerben und damit auch ihren Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern.628 Weimars Ruf als Theaterstadt übte auf den um 1806/07 in Hannover geborenen August Kiesewetter eine starke Anziehungskraft aus.629 Seit der Sohn des Violinisten und Konzertmeisters Christoph Gottfried Kiesewetter630 am 19. Juli 1821 zum ersten Mal nach Weimar kam, war er von dem Wunsch erfüllt, Schauspieler zu werden.631 Bei seinem ersten Besuch in Falks Wohnung in der Luthergasse überraschte er die Anwesenden mit seiner Kenntnis literarischer Texte. »Er declamirte […] den Monolog des Hamlet ›Seyn oder Nichtseyn‹ ingl. aus den Räubern den Monolog des Carl Moor ›Geister meiner Erwürgten‹ der sich im 626

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Vgl. Wahle, Julius: Das Weimarer Hoftheater unter Goethes Leitung (= Schriften der Goethe-Gesellschaft; 6). Weimar 1892, S. 9; Roeck: Lebenswelt, S. 41. Vgl. Heinz, Andrea: Liebhabertheater, Wandertruppe oder Hoftheater? Theater in den Residenzstädten Weimar und Gotha um 1800, in: Greiling, Werner / Klinger, Andreas / Köhler, Christoph (Hrsg.): Ernst II. von SachsenGotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung (= VHKTh KR; 15). Köln, Weimar und Wien 2005, S. 239–249, hier S. 247–249. Vgl. Alt, Peter-Andre´: Klassische Endspiele. Das Theater Goethes und Schillers. Ulm 2008, S. 14. Weimar zog um 1800 vermehrt junge Menschen an, die eine Bühnenlaufbahn einschlagen wollten. Vgl. Wahle: Hoftheater, S. 159f. Zu Kiesewetter vgl. auch Reis: Falk, S. 60f. Reis geht irrtümlich davon aus, dass Kiesewetter im September angekommen sei. Vgl. Eitner, Robert: Art. »Kiesewetter, Christoph Gottfried«, in: Ders. (Hrsg.): Biographisch-Bibliographisches Quellen-Lexikon. Bd. 5, Graz 1959, S. 361. Vgl. Bericht Johannes Falks über August Kiesewetter, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, 700v.

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Munde dieses Kindes so seltsam ausnahm, daß die Gräfin Beust laut auflachen mußte, wo er denn plötzlich aufhörte u nur auf wiederholte Bitte fortfuhr, endlich denn aber doch abbrach u erklärte: das Weitere vom Stücke sey nicht für seine Jugend.«632

Kiesewetter gab nicht nur unaufgefordert Proben seines eigenen schauspielerischen Talents zum Besten, sondern kritisierte sogar die Qualität des Weimarer Schauspiels. Angesichts seiner ausgeprägten Begabung, Texte zu rezitieren, und seiner genauen Kenntnisse des Weimarer Theaterlebens, drängt sich die Frage auf, ob Kiesewetter bewusst den Entschluss getroffen hatte, nach Weimar zu gehen, um hier seinen Wunsch vom Leben als Schauspieler zu verwirklichen. Im Gegensatz zu den meisten Hilfesuchenden führte er weder einen Brief der Eltern noch ein Empfehlungsschreiben eines angesehenen Bürgers seiner Heimatstadt mit sich, was auf seine bewusste Wahl Weimars und den eigenmächtigen Aufbruch aus Hannover hindeutet. Die möglichen Vorzüge eines Lebens in Weimar dürfte er in erster Linie Erzählungen seiner Freunde in Göttingen und Hannover entnommen haben. Anfang der 1820er Jahre hielt sich August Kiesewetter vorübergehend in Göttingen auf, wo sich sein Bruder Carl Theodor Kiesewetter (geb. um 1802)633 1821 als Student der Jurisprudenz immatrikuliert hatte.634 Dieser war sowohl mit Johann Peter Eckermann als auch mit Ernst Ludwig Große635 (1802–1871) befreundet, die sich beide knapp zwei Wochen nach Carl Theodor Kiesewetter am 16. Mai 1821 an der Göttinger Universität eingeschrieben hatten, um dort Rechtswissenschaft zu studieren.636 Mit Eckermann und Große kannte August Kiesewetter 632 633

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Vgl. ebd. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 13. Dezember 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 93. Stück, 186r.–187v., hier 187v. Vgl. Brief August Kiesewetters an Johannes Falk, Göttingen 21. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, 715r.–716r. Vgl. Selle, Götz von (Hrsg.): Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen. 1734–1837. Text (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen; 9). Hildesheim und Leipzig 1937, S. 648. Zur Biographie Großes vgl. Hecker, Rolf R. A.: Ernst Ludwig Grosse. Ein Redner auf dem Hambacher Fest am 27. Mai 1832 wurde vor 199 Jahren in Osterode am Harz geboren. Eine biographische Recherche über ihn und seine Frau Caroline. München 2001. Vgl. Heufert: Falk, S. 183; Borcherdt, Hans Heinrich: Art. »Johann Peter

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zwei junge Männer, die in ihrer Jugend- und Studienzeit die Freiheit hatten, zwischen völlig verschiedenen Lebensplänen zu wählen: Einerseits bot beiden das rechtswissenschaftliche Studium die Aussicht auf eine Gelehrtenlaufbahn. Andererseits spielten beide, da sie literarische Texte verfassten, mit dem Gedanken, das Leben als Künstler, frei von universitären Verpflichtungen, zu führen. Große übersandte am 6. Februar 1821 Goethe das Trauerspiel »Bertha«, das dieser mit dem Hinweis auf seine zahlreichen Verpflichtungen ungelesen zurückschickte.637 Ein Jahr später versuchte Große noch einmal und wiederum vergeblich, sich Goethe mit dem Drama »Graf Gordo«638 zu nähern. Wesentlich mehr Erfolg bei dem Versuch, in Weimar Anschluss und Kontakt zu Goethe zu finden, hatte Johann Peter Eckermann mit Falks Hilfe, dem er erste Gedichte übersandt hatte.639 Eckermann unterstützte Goethe später bei redaktionellen Aufgaben und gab bis 1833 den Nachlass des Dichters heraus.640 Johann Peter Eckermann steht paradigmatisch für jene Gruppe junger Männer, deren Wünsche und Erwartungen sich in Weimar erfüllten.641 August Kiesewetter kannte ältere Männer, die, wie sein Vater, ihren Lebensunterhalt durch die Ausübung eines künstlerischen Berufs bestrit-

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Eckermann«, in: NDB Bd. 4, S. 289–290, hier S. 289; Selle: Matrikel, S. 654. Es ist durchaus möglich, dass die beiden Brüder Karl und August Kiesewetter Johann Peter Eckermann schon vorher in Hannover kennen gelernt hatten, wo Eckermann sich nach dem Elementarunterricht in Privatstunden und am Gymnasium weitergebildet hatte. Vgl. Brosius, Dieter: Die Industriestadt. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des I. Weltkriegs, in: Mlynek, Klaus / Röhrbein, Waldemar R. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Hannover. Bd. 2. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Hannover 1994, S. 273–403, hier S. 304. Brief [Konzept] Johann Wolfgang von Goethes an Ernst Ludwig Große, Weimar 8. Februar 1821, in: FA, Bd. 36, S. 145. Zuvor hatte Große Gedichte übersandt. Vgl. Art. »Grosse, Ernst Ludwig«, in: DBE, Bd. 4, S. 194; Goedeke, Karl: Grundriss zur deutschen Dichtung aus Quellen. 3. Bd. Heft 5. Dresden 1877, S. 907; Houben, Heinrich Hubert: Goethes Eckermann. Die Lebensgeschichte eines bescheidenen Menschen. Berlin, Wien und Leipzig 1934, S. 52.; Houben, Heinrich Hubert: J. P. Eckermann. Sein Leben für Goethe. Leipzig 1925, S. 84. Grosse, Ernst Ludwig: Graf Gordo. Trauerspiel. Hannover 1822. Vgl. Heufert: Falk, S. 183–187; Houben, Heinrich Hubert: Eckermanns erster Brief aus Weimar, in: Goethe-Kalender 28 (1935), S. 231–240, hier S. 231; Houben: Goethes Eckermann, S. 57f.; Rattner, Josef: Goethe. Leben – Werk – Wirkung. Würzburg 1999, S. 236. Vgl. Borcherdt: Eckermann, S. 289. Vgl. Houben: Brief, S. 240.

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ten. In Hannover hatte er die Bekanntschaft mit dem Schauspieler Carl Leo gemacht, der für kurze Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Weimarer Theater aufgetreten war.642 Leo, dessen schauspielerische Darstellungsfähigkeit sowohl von Goethe als auch von Theaterkritikern hervorgehoben wurde, war ab dem Jahr 1821 erneut in Weimar engagiert.643 Dass von Weimar auf den jungen Kiesewetter eine starke Anziehungskraft ausging, blieb auch seiner Mutter nicht verborgen, die Falk berichtete, dass ihr Sohn »vor Begierde brannte, sobald nur irgend möglich Ihnen nahe zu seyn«644. Zeitgleich mit ihrem Sohn wandte sie sich über Ernst Ludwig Große Hilfe suchend an Falk, weil sie sich mit der Erziehung und weiteren Ausbildung dieses Kindes überfordert fühlte. Deshalb bat sie um die Aufnahme ihres Sohnes ins Institut, »wo schon hundert Bösartige vom gänzlichen Versinken zu guten nützlichen Menschen gebildet wurden«645. Im Unterschied zu den anderen Zöglingen habe Kiesewetter »seine Eigendünkel«646, die aus seinen schöngeistigen Interessen resultierten, weshalb der Sohn einem Mann anvertraut werden sollte, »der einen solchen Knaben zu heilen im Stande wäre«647. Kiesewetters Mutter hatte das zeitgenössische Bild von einem lasterhaften Schauspielerleben verinnerlicht. Sie riet davon ab, ihren Sohn in diesem Metier unterrichten zu lassen: »Er hat sich in den Kopf gesetzt ein großer Schauspieler zu werden, [...], wo er ein völliger unmoralischer Taugenichts seyn werde.«648 Ihr Ziel war es, den Sohn »zu einem brauchbaren Mann«649 – womöglich wie den Bruder zu einem Juristen – zu bilden, indem sich August Kiesewetter an Falk orientieren sollte. Die Mutter nahm Falk als einen sich durch Arbeit für die Gesellschaft engagierenden Bürger wahr. Dabei wollte Falk noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Weimar selbst das Leben eines freiberuflichen Schriftstellers verwirklichen.

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Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. Dezember 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 90. Stück, 181r.–182v., hier 182r. Simon-Pelanda, Hans: Art. »Karl Friedrich Leo«, in: NDB. Bd. 14. Berlin 1985, S. 245. Brief L. Kiesewetters an Johannes Falk, Hannover 17. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 713r.–714r., hier Bl. 713v. Brief Ernst Ludwig Großes an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 712r.–712v., hier Bl. 712v. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., hier Bl. 712r.

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Im August 1821 einigte sich Falk mit Kiesewetters Mutter, dass der Heranwachsende für einen halbjährlichen Betrag von 100 Talern als ›Pensionär‹ ab dem 1. November im Institut aufgenommen werde. 650 Falk stand vor dem Problem, wie die weitere Ausbildung dieses Jungen konkret auszusehen habe und welchen Beruf dieser am besten ergreifen sollte. Einerseits kannte er Kiesewetters Wünsche und Fähigkeiten. Andererseits wusste er, wie sehr sich die für die Erziehung zahlende Mutter um die moralische Entwicklung ihres Sohnes sorgte, sollte er die Schauspielerlaufbahn einschlagen. Falk zweifelte, ob der künstlerische Werdegang die beste Wahl sei. »Er muß Lateinisch lernen«, erklärte Falk seinen Plan, »er muß auf die Universität gebracht werden […]«651. Zu diesem Zweck verfolgte Falk eine doppelte Strategie: Einerseits diskutierte er mit Kiesewetter bis tief in die Abendstunden dramatische Werke Goethes oder Shakespeares.652 Andererseits musste Kiesewetter wie ein Sekretär Falks Interpretationen niederschreiben.653 Durch die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dramatischen Stoffen hoffte Falk, dass sich Kiesewetter doch noch gegen den Schauspielerberuf und für ein geisteswissenschaftliches Studium an der Universität entscheiden würde. »Daß der Weg, den ich bisher mit ihm einschlug der rechte war, beweist der Umstand, daß er von der Raserey des Comödiantenlebens, worin er bis dahin seine Bestimmung suchte, glücklich geheilt ist. Ich werde ihn langsam weiter leiten.«654

Der persönliche Umgang mit Falk wird auf August Kiesewetter gleichermaßen faszinierend wie irritierend gewirkt haben. Einerseits genoss Kiesewetter Falks Gegenwart, der ihn förderte.655 Andererseits musste er erfahren, wie Falk Vorstöße bezüglich seiner schauspielerischen Studien immer wieder ablehnte. Im Unterschied zu Kiesewetters Mutter, die ih650

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Vgl. Brief L. Kiesewetters an Johannes Falk, Hannover 17. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 713r.–714r., hier Bl. 713r. Brief [Entwurf] Johannes Falks an L. Kiesewetter, Weimar 30. November 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, 763r.–763v., hier 763v. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 20. März 1822, in: GSA 15/I,2 A,2; 63. Stück, Bl. 124r.–125v., hier Bl. 125v. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 1. April 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 60. Stück, Blatt 118r.–119r., hier Bl. 118v. Brief [Entwurf] Johannes Falks an L. Kiesewetter, Weimar 30. November 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 763r.–763v., hier Bl. 763v. Vgl. Brief August Kiesewetters an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 704r.–705v., hier Bl. 705r.

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ren Sohn vom Ideal eines bürgerlichen, erwerbstätigen Mannes weit entfernt sah, bemühte Falk keine geschlechtlich konnotierten Zuschreibungen, um die Berufswahl August Kiesewetters abzuwerten oder die Einstellung des jungen Mannes zu beeinflussen. Dies geschah erst in dem Augenblick, als sich Kiesewetters Aufenthalt im Falkschen Institut schwieriger gestaltete, als Falk es erwartet hatte. Erste Probleme traten in Kiesewetters neuer Unterkunft auf. Er wohnte außerhalb des Instituts bei der Witwe Johanna Friederike Creutzburg und den beiden Kindern des aus Buttstädt stammenden Geleitsinspektors Johann Caspar Creutzburg (gest. 1790).656 Falk hatte die Familie des verstorbenen Geleitsinspektors gerade deswegen ausgesucht, weil sie »sehr ordentliche Leute«657 waren und er sichergehen wollte, dass er dem für seine Unterstützung zahlenden Pensionär Kiesewetter eine adäquate Unterkunft bieten konnte, wo dieser neben Brot, Butter und Tee auch Kaffee erhielt. Nach kurzer Zeit kam es zum Eklat, worüber sich die Tochter der Witwe Creutzburg empörte: »Er tadelte […] im eigentlichsten Verstande, daß es gar nicht auszuhalten sey – sie [die Creutzburgs, Anm. C. H.] lebten von ihm hat er den Leuten vorgeworfen, die deßhalb ganz außer sich gewesen.«658 Kiesewetter war davon überzeugt, mit der Pensionszahlung einen Anspruch auf eine Dienstleistung zu haben und verlangte etwa eine Wärmflasche, wenn er im Bett fror.659 Falk war es gewohnt, dass Zöglinge die Unterstützung aus dem Institut ohne ein Wort des Dankes und als Selbstverständlichkeit annahmen. Kiesewetters Klagen befremdeten ihn aber dermaßen, dass er nur konstatierte: »Ein ganz verweichlichter, völlig weibischer Junge!«660 Aus welchen Verhaltensweisen resultierte Falks plötzliche, abwertende Beurteilung der »Eigendünkel« des jungen Mannes, dessen theatralische Fähigkeiten ihn noch wenige Monate zuvor begeistert hatten? In der Regel bat im Falkschen Institut ein männlicher Zögling um eine Lehrstelle, 656

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Vgl. KA WE SR SK, 1790, fol. 257v.; Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 6. Dezember 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 97. Stück, 195r.–196v., hier 196r. Nicole Kabisius danke ich für den Hinweis zu den Vornamen der Witwe Creutzburg. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 6. Dezember 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 97. Stück, 195r.–196v., hier 196r. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 9. Dezember 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 96. Stück, 193r.–194v., hier 193v. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. Dezember 1821, in: GSA 15/I,2 A,2, 90. Stück, 181r.–182v., hier 181v. Ebd.

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Werkzeug oder Unterricht, nicht aber um eine warme Unterkunft, in der er sich von den weiblichen Familienangehörigen bedienen ließ. Von den Pensionären der Anstalt erwartete Falk, dass sie die Gegenleistung dankbar annahmen und sich in das Familienleben ihrer Gastgeber integrierten. Nicht der Berufswunsch war für Falk die Ursache, die geschlechtliche Entwicklung des 15-jährigen Kiesewetters in Frage zu stellen. Vielmehr stand August Kiesewetters Verhalten im Alltag den Vorstellungen von der Dankbarkeit, die Falk bei Zöglingen seines Hilfswerks als selbstverständlich voraussetzte, konträr entgegen. Indem er also das deviante Betragen des jungen Mannes als weibisch diskreditierte, funktionalisierte er auf diese Weise die Entwicklung von männlicher Identität als erzieherisches Mittel. Im Institut bemerkten gleichaltrige Heranwachsende recht schnell, worin die »Eigendünkel« Kiesewetters bestanden: »[…] er zankt sich mit allen Jungen im Institut und ist Jedem dadurch verhaßt.«661 Ein friedliches Beisammensein mit anderen jungen Männern des Instituts war nicht möglich, da er sie in der Öffentlichkeit auf eine am Beginn des 19. Jahrhunderts nur von Frauen erwartete Art verbal beschimpfte.662 Die Mehrzahl der männlichen Zöglinge distanzierte sich von ihrem Geschlechtsgenossen. Unter den Institutsangehörigen bestand offenbar ein Konsens darüber, wodurch sich männliche Identität konstituierte und welche Verhaltensmuster mit dieser Vorstellung übereinstimmten oder nicht. Als Sohn bürgerlicher Eltern unterschied sich Kiesewetter, der »[d]as gar zu ärmliche nicht«663 gewohnt war, von den anderen Zöglingen des Instituts. Die Mehrzahl der jungen Männer entstammte keinem Künstlerhaushalt, konnte kaum lesen und beschäftigte sich im Rahmen der Bibelstunde nur widerwillig mit Texten. Von diesen jungen Männern unterschied sich Kiesewetter, dessen intellektuelle und künstlerische Fähigkeiten, sein Berufswunsch und Verhalten befremdlich gewirkt haben müssen. Diese wahrgenommene Fremdheit äußerten die Jugendlichen, indem sie Kie661 662

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Ebd. Vgl. Eberhard, Johann August / Maass, Johann Gebhard Ehrenreich: Versuch einer allgemeinen teutschen Synonymik in einem kritisch-philosophischen Wörterbuche der sinnverwandten Wörter der hochteutschen Mundart. Bd. 3. Leipzig 1826, S. 273; Vgl. auch Reinsberg-Düringsfeld, Otto Freiherr von: Die Frau im Sprichwort. Leipzig 1862, S. 18 u. 100; Polytechnisches Journal 7 (1822). Heft 1, S. 389. Brief Caroline Falks an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 22, Bl. 223r.–224v., hier Bl. 224v.

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sewetters Verhalten als unmännlich interpretierten oder misstrauisch Distanz zu dem jungen Mann hielten. Große Faszination übte auf den angehenden ambitionierten Schauspieler Johann Wolfgang von Goethe aus, der junge Talente förderte.664 Goethe und Kiesewetter begegneten sich erstmals im Jahr 1822. Das genaue Datum ist nicht überliefert.665 Der Dichter, der von Kiesewetters schauspielerischen Talent überzeugt war, lehnte es nur wegen seines fortgeschrittenen Alters ab, dessen Fähigkeiten persönlich zu fördern.666 Als Theaterdirektor hatte Goethe frühzeitig die Professionalisierung des Schauspielerberufes sowohl mit der Ausfertigung von Verträgen als auch durch eine reglementierte Ausbildung der Darsteller vorangetrieben.667 Letztere konzentrierte sich nicht nur auf die Vermittlung von Techniken der Stimmmodulation, sondern auch auf die Formung von Mimik und Gestik. Als ebenso wichtig erachtete Goethe eine integre Persönlichkeit des Schauspielers, die den hohen Ansprüchen des höfischen und bürgerlichen Publikums genügen sollte. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, sittsames Verhalten und der Verzicht auf Alkohol waren Werte, die einen Schauspieler auf und abseits der Bühne auszeichnen sollten.668 Offenbar hatte Goethe keinen Zweifel daran, dass August Kiesewetter diese Anforderungen erfüllen konnte, würde er zunächst die technischen Fertigkeiten erworben haben. Neben Goethe und Carl Leo, der Kiesewetter Schauspielunterricht erteilte, gewann der junge Mann mit Eckermann, der Kiesewetter zum Durchhalten ermutigte,669 einen weiteren Fürsprecher in Weimar. Ecker664

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Vgl. etwa den Brief Ulrike Amalia Sophie Bachmanns, die für ihre 17-jährige Tochter Helena Friederika Charlotta um Aufnahme als Schauspielerin beim Weimarer Hoftheater bat. Brief Ulrike Amalia Sophie Bachmanns an Johann Wolfgang von Goethe, Halberstadt 30. Januar 1818, in: GSA 28/77, Bl. 133f. Aus den Quellen geht nur hervor, dass sich beide vermutlich im ersten Halbjahr 1822 persönlich begegnet sind, vgl. Brief August Kiesewetters an Johann Peter Eckermann, Weimar 20. Februar 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 766r.–768r., hier Bl. 766r.; Brief Johannes Falk an Caroline Falk, Weimar 3. Juni 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 41. Stück, 80r.–81v., hier 81r. Goethe selbst erwähnt August Kiesewetter in seinem Tagebucheintrag vom 28.09.1824, in: WA, Abth. 3, Bd. 9, S. 275; Falk, Johannes: Goethe aus näherem persönlichen Umgange dargestellt. Ein nachgelassenes Werk. Berlin 1911, S. 195–202. Vgl. Brief Johannes Falk an Caroline Falk, Weimar 3. Juni 1822, in: GSA 15/I,2 A,2, 41. Stück, Bl. 80r.–81v., hier Bl. 81r. Vgl. Alt: Endspiele, S. 21. Vgl. ebd., S. 47–49. Vgl. Houben: Brief, S. 231–240.

Geschlechter (er)arbeiten

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mann fragte Falk, »was er denn eigentlich aus Augusten zu bilden gedächte, ob er denn kein Schauspieler werden solle«670. Der sich an dieser Frage entzündende Streit verdeutlicht, dass Falk und Eckermann völlig konträre Vorstellungen von Männlichkeitsentwürfen vertraten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Weimar gedacht und verwirklicht werden konnten. Eckermann, der einst selbst nach Weimar gekommen war, um in Goethes Nähe als Schriftsteller tätig zu sein, wollte Kiesewetters Wunsch unterstützen, ein Leben als Künstler zu führen. Falk hingegen problematisierte diesen Wunsch, weil seiner Einschätzung zufolge moralische Eigenschaften Kiesewetters gegen eine Schauspielerkarriere sprachen und dieser sich über kurz oder lang zu einem lasterhaften Darsteller entwickeln würde. Obwohl Falk de facto die Verantwortung für den jungen Mann übernommen hatte, wurde die Entscheidung, wie Kiesewetters zukünftiges Leben verlaufen solle, von dessen Förderern außerhalb des Falkschen Instituts getroffen. Weil ein Engagement am Weimarer Theater aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden konnte, half Caroline von Heygendorff, August Kiesewetter eine Anstellung zu verschaffen. Die Opernsängerin und Schauspielerin hatte den talentierten August Kiesewetter in Weimar kennen gelernt.671 Heygendorff war mit Großherzog Carl August liiert,672 sodass ihre Fürsprache am Weimarer Hof dazu geführt haben mag, dass August Kiesewetter, finanziell abgesichert, am 3. November 1823 nach Dresden aufbrechen konnte, um am dortigen Theater zu debütieren.673 August Kiesewetters berufliche Wünsche wurden zwar nicht in Weimar, aber zumindest mit der Unterstützung unterschiedlicher Persönlichkeiten aus dem Umfeld des Weimarer Theaters und Hofes erfüllt. Dagegen hatte Falk versucht, Kiesewetter von seinem Vorhaben abzubringen, um den Befürchtungen von dessen Mutter gegenzusteuern.

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Ebd., S. 235. Falk berichtete, dass August Kiesewetter bekannte Schauspielerinnen traf, ohne deren Namen explizit zu nennen. Vermutlich handelte es sich auch um Caroline von Heygendorff. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an [vermutlich] L. Kiesewetter, Weimar 27. Oktober 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, 721r.–722v., hier 721v.; Houben: Brief, S. 234. Vgl. Schmidt, Beate A.: Art. »Caroline Jagemann-Heygendorff«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 201–204. Vgl. Houben: Brief, S. 238.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

4.1.6 Unqualifizierte Arbeiten, dienende Knechte, Tagelöhner und Hirten Das Falksche Institut befürwortete in den öffentlichen Jahresberichten diejenigen Ausbildungswege junger Männer, die als zukünftige Handwerker, Kantoren, Lehrer oder Geistliche in die bürgerliche Welt integriert wurden. Ebenso wie die Unterstützung von Schauspielern, Soldaten, Ökonomen, Medizinern oder Juristen nur eine Randerscheinung bildete, die dennoch in den überlieferten Dokumenten der Gesellschaft der Freunde in der Not nachweisbar ist, fehlt in den normativen Texten des Falkschen Instituts der Fokus auf all jene jungen Männer, die keinen Lehrberuf oder ein Studium ergreifen wollten oder konnten. Abseits der öffentlich inszenierten handwerklichen oder geistigen Berufswege und abgesehen von den wenigen Ausnahmen, die Schauspieler, Mediziner oder Ökonomen darstellten, unterstützte das Institut Heranwachsende, die einst als Knechte bzw. Tagelöhner ihren Lebensunterhalt verdienten. Andere Einrichtungen, wie z. B. das 1808 gegründete Friedrichsstift in Berlin, forcierten die Erziehung zum Gesinde ausdrücklich.674 Das Falksche Institut beabsichtigte, junge Männer durch die gewährte Unterstützung mittelfristig auf einen der ›offiziellen‹ Ausbildungswege zu führen bzw. die Zeit bis zur Aufnahme in einen Lehrberuf zu überbrücken. Darin spiegelt sich die Tendenz wider, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einem größeren Anteil von weiblichen Bediensteten immer weniger männliche Bedienstete gegenüberstanden, bis sich der Dienstbotenberuf um 1900 gänzlich »zu einer Domäne für weibliche Arbeitskräfte entwickelte«675. Nur vereinzelt wurden von Falk dienende, unqualifizierte Tätigkeiten als probates Erziehungsmittel anerkannt, wenn andere Maßnahmen versagt hatten. Die Übernahme einer rein dienenden Tätigkeit war von Seiten des Instituts nicht vorgesehen, sondern zielte auf eine zunehmende fachliche Ausbildung im Bereich der Landwirtschaft. Für Johannes Falk waren Tagelöhner, die für Lohn »zu einer ungemessenen Arbeit gedungen«676 wurden, Teil einer überkommenen ständischen Lebenswelt, von denen allenfalls Pacht- oder Rittergutsbesitzer 674

675 676

Vgl. Müller, Heidi: Dienstbare Geister. Leben und Arbeitswelt städtischer Dienstboten (= Schriften des Museums für Deutsche Volkskunde Berlin; 6). Berlin 1895, S. 44. Ebd., S. 29. Art. »Tagelöhner, oder Tage- und Lied-Löhner«, in: Zedler Bd. 41, Sp. 1479f. Vgl. eine ähnliche Formulierung auch im Art. »Knecht«, in: Zedler Bd. 15, Sp. 105–1093, hier Sp. 1065.

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profitierten, die »im August auf dem Daumen« pfeifen, sodass »gleich ein paar hunderte« Tagelöhner »herbeygelaufen kommen«677. Die sogenannten – die Begrifflichkeit ist irreführend – »freien Tagelöhner«678, die kein Haus oder Ackerland gepachtet hatten, konnten im Gegensatz zu den landarmen Tagelöhnern weder genossenschaftliches Eigentum nutzen noch durch Selbstversorgung einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestreiten.679 Mit Hilfe von unsteten Beschäftigungsverhältnissen versuchten sie ihre Existenz zu sichern.680 In den dazwischen liegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit würden Tagelöhner die Gesellschaft mit Hunger, Verelendung und zunehmender Kriminalität destabilisieren, weshalb – von Falk nicht ohne Ironie ausgedrückt – »die großen Tagelöhnerinstitute, Zuchthaus u Criminale«681 massiven Zulauf erhielten. Dagegen standen Knechte im Idealfall nicht nur über einen längeren Zeitraum kontinuierlich in ein- und demselben Beschäftigungsverhältnis, sondern unterwarfen sich gleichzeitig der hausherrlichen Gewalt, die, im positiven Fall, erzieherisch, motivierend und moralisierend auf den Lebenswandel des gesamten Gesindes Einfluss nahm.682 Da im Tagelöhnertum jene Kontinuität und fortgesetzte Kontrolle nicht gewährleistet werden konnte, hielt Falk die Verdingung als Knecht für ein probates Erziehungsinstrument für junge Männer. Die Beschäftigung als Tagelöhner schloss er aus, obwohl sich die konkreten Arbeitsabläufe zumeist kaum voneinander unterschieden.683 677

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Brief [Entwurf] Johannes Falks an Johann August Nebe, Weimar 21. Februar 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 293r.–294r., hier Bl. 293v. Simon, Sema: Die Tagelöhner und ihr Recht im 18. Jahrhundert (= Berliner Juristische Universitätsschriften. Reihe Zivilrecht; 2). Berlin 1995, S. 31. Vgl. auch Schildt, Gerhard: Tagelöhner, Gesellen, Arbeiter. Sozialgeschichte der vorindustriellen und industriellen Arbeiter in Braunschweig 1830–1880 (= Industrielle Welt; 40). Stuttgart 1986, S. 33. Vgl. Simon: Tagelöhner, S. 25–33. Dies dürfte um 1800 einem gesunden und arbeitswilligen Tagelöhner gelungen sein, wie die Gegenüberstellung der Lebenshaltungskosten mit dem Lohn belegt. Vgl. Kraus, Antje: Die Unterschichten Hamburgs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Entstehung, Struktur und Lebensverhältnisse. Eine historischstatistische Untersuchung (= Sozialwissenschaftliche Studien; 9). Stuttgart 1965, S. 57. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Johann August Nebe, Weimar 21. Februar 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 293r.–294r., hier Bl. 294r. Vgl. Simon: Tagelöhner, S. 24. Vgl. ebd., S. 23–25.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Wenngleich die Verdienstmöglichkeiten für Knechte nur gering waren,684 eröffnete die Anstellung die Option, unter gewissen Umständen vorübergehend oder dauerhaft aus dem Abhängigkeitsverhältnis herauszutreten. Für sie bestand ebenso wie für Gesellen und Lehrlinge die Aussicht, im Todesfall des Meisters den Betrieb so lange zu führen, bis sich die Witwe oder Tochter des Meisters (wieder) verheiratete bzw. der Sohn an die Stelle des verstorbenen Vaters trat.685 Die Unterbringung eines jungen Mannes als Knecht bildete keine Ausnahme, konterkarierte aber augenscheinlich das bürgerlich-patriarchalisch geprägte Bild vom Zusammenleben der Geschlechter in SachsenWeimar-Eisenach. Der unselbstständige und ungelernte Knecht entsprach nicht der Vorstellung vom tätigen Bürger,686 der einem geregelten Tagwerk nachging. Dabei war es im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nicht unüblich, dass männliche Waisen für die gewährte Hilfe Aufgaben von Knechten übernahmen. Der 17-jährige Friedrich Schmidt, dessen Mutter, nachdem der Vater sie verlassen hatte, verstorben war, lebte vor Aufnahme in das Falksche Institut bei Apoldaer »Strumpfwirkersleute[n]«, die ihn »aus christlicher Liebe erzogen«. Dort musste Schmidt »Kartoffeln stoppeln« und »das Vieh hüthen«687. Ebenso existierte in Sachsen-Weimar wie in vielen anderen deutschen Territorien eine Gesindeordnung, die nicht nur unter den ehemaligen Landständen einen heftig diskutierten Tagesordnungspunkt darstellte.688 Das Verhältnis von Dienerschaft und Herrschaft wurde für das Großherzogtum unter Einbezie684

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Zum niedrigen Verdienst und der Verarmungsgefahr von Tagelöhnern vgl. ebd., S. 109–112; Schröder, Rainer: Gesinderecht im 18. Jahrhundert, in: Frühsorge, Gotthardt / Gruenter, Rainer / Wolff Metternich, Beatrix Freifrau (Hrsg.): Gesinde im 18. Jahrhundert (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 12). Hamburg 1995, S. 13–39, hier S. 21–23; Eberhard: Weimar, Anhang: gesellschaftliche Gliederung der Einwohnerschaft. Vgl. Eder, Franz: Gesindedienst und geschlechterspezifische Arbeitsorganisation in Salzburger Haushalten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Frühsorge, Gotthardt / Gruenter, Rainer / Wolff Metternich, Beatrix Freifrau (Hrsg.): Gesinde im 18. Jahrhundert (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 12). Hamburg 1995, S. 41–68, hier S. 51; Mitterauer, Michael: Grundtypen alteuropäischer Sozialformen. Haus und Gemeinde in vorindustriellen Gesellschaften (= Kultur und Gesellschaft; 5). Stuttgart 1979, S. 115. Zur Selbstständigkeit des Bürgers vgl. Schulz: Werte, S. 32; Lepsius: Soziologie, S. 96. Aufzeichnungen Johannes Falks über Friedrich Schmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 359v. Vgl. Ventzke: Herzogtum, S. 430.

Geschlechter (er)arbeiten

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hung der Landstände in der neuen Gesindeordnung von 1823 geregelt. Das Gesinde unterstand arbeitsrechtlich nicht nur der Herrschaft, sondern hatte sich bei Aufnahme einer Beschäftigung in Weimar in der dortigen Polizeikommission zu melden.689 1821 hatte Carl August verfügt, dass der »auf dem Grunde von Gesetzen, Verträgen und Herkommen« beruhende Zwangs-Gesindedienst abgeschafft würde.690 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts setzte sich mit der reichsweiten Einführung der ›Gesinde-Dienstbücher‹, in denen neben Namen, Alter und äußeren Kennzeichen auch die Dauer früherer Dienstzeiten und die Gründe für die Beendigung eines Dienstverhältnis verzeichnet wurden, die Tendenz fort, »den privatrechtlichen Vertrag obrigkeitlichen Verhältnissen zu unterstellen«691. Problematisch – von den Zeitgenossen allenfalls als Übergangslösung angesehen – wurden derartige Dienstverhältnisse immer dann, wenn sie sich nicht an polaren Geschlechterordnungen orientierten oder nicht in anerkannte Abhängigkeitsverhältnisse eingebunden waren. Der Hardislebener Adjunkt und spätere Pfarrer Ernst Bernhard Saal berichtete dem großherzoglichen Waisen-Direktorium Ende 1822 vom 12-jährigen in Rüdersdorf lebenden Waisen Carl Köhler, der von der ansässigen Leichenwäscherin zum »Gänsehüten gebraucht«692 wurde. Dass Heranwachsende längerfristig oder vorübergehend mit dienenden Tätigkeiten beschäftigt wurden, mag auf den ersten Blick nicht verwundern, gehörten doch Knechte und für einen längeren Zeitraum beschäftigte Tagelöhner selbstverständlich zum ›ganzen Haus‹.693 An dem kurzen Bericht des Pfarrers ist bemerkenswert, dass der Heranwachsende unmittelbar einer Frau unterstellt wurde. In der Regel war das weibliche Gesinde eines 689

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Vgl. Verhandlungen des zu Weimar am 9. März 1823 und am 25. May 1823 geendigten dritten Landtags im Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach. Hrsg. von den dazu beauftragten Landtags-Mitgliedern. Weimar 1823, S. 85–99; Gesinde-Ordnung, in: Regierungs-Blatt, Nr. 5, 18. Juli 1823, S. 37–70. GesindeOrdnung vom 18. Juni 1823, in: Göckel Bd. 2.2, S. 1079–1105; Gesinde-Polizei, in: Justiz-, Kameral- und PolizeiFama. Nr. 35 und 36 (Dezember 1823), S. 537–542, hier S. 539. Vgl. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 24 vom 8. Juni 1821, S. 541–545. Budde, Gunilla-Friederike: Das Dienstmädchen, in: Frevert, Ute / Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.): Der Mensch des 19. Jahrhunderts. Essen 2004, S. 148–175, hier S. 151. Bericht Ernst Bernhard Saal, Hardisleben 15. Februar 1822, in: ThHStAW B 4847a, Bl. 13r.–14r. Vgl. Simon: Tagelöhner, S. 23–25.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Hauses geschlechtersegregatorisch der Hausmutter bzw. männliches dem Hausvater zugeordnet. Vermutlich fehlte in dem Haushalt der Leichenwäscherin ein männliches Oberhaupt, da Totenfrauen, deren Funktion als kommunales Amt im 18. Jahrhundert entstand, in der Mehrzahl alt und verwitwet waren.694 Auf diese Weise erhielt die Totenfrau mit Carl Köhler eine – angesichts ihres geringen Verdienstes willkommene und von der Stadt subventionierte – Unterstützung zur Haushaltsführung. Es entsprach noch einer ständischen Ordnung, wenn sich eine Witwe erst längere Zeit nach dem Tod des Mannes wieder verheiratete oder sogar den Haushalt allein weiterführte.695 Im Übergang zum 19. Jahrhundert überlagerte diese Ordnung bürgerliche Geschlechterbeziehungen, die durch ein Dienstverhältnis, wie es Carl Köhler und die Leichenwäscherin praktizierten, konterkariert wurden. Anders ist es wohl kaum zu verstehen, warum der Hardislebener Pfarrer explizit betonte, dass es sich bei dieser Form der Unterbringung um eine Übergangslösung handele, weil bislang keine andere Unterkunft bzw. Wirtschaft mit einem männlichen Oberhaupt für Carl Köhler gefunden werden konnte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts strukturierten nicht mehr ständische Unterschiede das Wechselverhältnis zwischen Herrschaft und Dienerschaft.696 Größeren Einfluss hatte fortan die Vorstellung, dass Gesinde und Bedienstete geschlechtersegregatorisch entweder von Hausfrau bzw. Hausvater beaufsichtigt werden sollten, »denn selten thut es gut, wenn sich der Hausherr mit den Angelegenheiten des weiblichen Gesindes eifrig beschäftigt, und ebenso führt es zu Mißverhältnissen und Unannehmlichkeiten, wenn die Hausfrau auf solche Weise mit den männlichen Dienstboten in Berührung tritt«.697 694

695

696

697

Vgl. Kreter, Karljosef: »... das ich doch die Todten auf hiesiger Neustadt alle bekommen möge«. Totenfrauen – Geschlechterfragen beim Dienst an Toten, in: Ehrich, Karin / Schröder, Christiane (Hrsg.): Adlige, Arbeiterinnen und ... Frauenleben in Stadt und Region Hannover vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (= Materialien zur Regionalgeschichte; 1). Bielefeld 1999, S. 87–111, hier S. 88 und S. 96. Vgl. Dilcher, Gerhard: Die Ordnung der Ungleichheit. Haus, Stand und Geschlecht, in: Gerhard, Ute (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München 1997, S. 55–72, hier S. 60. Zur standesspezifischen Herrschaft der Hausmutter vgl. Wunder, Heide: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Gerhard, Ute (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München 1997, S. 27–54, hier S. 34–38 und 54; Dilcher: Ordnung, S. 72. Sydow, Friedrich von: Herrschaft und Gesinde. Weimar 1844, S. 145.

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Eltern baten im Falkschen Institut darum, heranwachsende Männer nicht länger in ungelernten, dienenden Beschäftigungsverhältnissen zu belassen, sondern sie in einem Ausbildungsberuf zu qualifizieren. Zumeist hatten die jungen Männer in früheren Dienstverhältnissen körperliche Schäden davongetragen, weshalb sie nicht mehr als Knechte oder Tagelöhner arbeiten konnten. Im Idealfall vermittelte das Institut solche Zöglinge in geeignete Handwerksberufe.698 Gleichzeitig sprachen sich junge Männer selbst gegen unqualifizierte Tätigkeiten aus, weil insbesondere Hirten im Verdacht standen, einen unsteten und unmoralischen Lebenswandel zu führen, den die ständig wechselnden Aufenthaltsorte,699 die baufälligen und kleinen Unterkünfte, Nahrungsmittelknappheit sowie die Holz- bzw. Lebensmitteldiebstähle nahelegten. »Das Alles«, so Falk über den zeitweise als Hirte beschäftigten, damals 18-jährigen Johann Gottlieb König, »muß man ansehen, anhören und schweigen zu solcher Dieberey, mir aber ist es nicht gegeben ein Hutmann zu seyn, ich möchte, obwohl arm und dürftig, ein ehrliches Handwerk«700 ausüben. Redlichkeit, Ehrlichkeit und eine gewisse (bürgerliche) Unabhängigkeit zählten zu den Aspekten eines Männlichkeitsideals, das von den jungen Männern des Instituts angestrebt wurde bzw. den Erwartungen der finanzierenden (adligen und bürgerlichen) Wohltäter entsprach. Besonders die Hoffnung auf ein (weitgehend) selbstbestimmtes Leben kollidierte mit dienenden Arbeiten, weil sich wiederum innerhalb des Gesindes eine Rangordnung herausbildete, woraus neue, über die Beziehung Knecht und Herrschaft hinausgehende, Abhängigkeitsverhältnisse entstanden, die ihrerseits zu Konflikten zwischen den älteren Knechten und den neuen, heranwachsenden, dienenden Männern führten.701 Obwohl die Mehrzahl der Heranwachsenden nicht als Knecht oder Tagelöhner arbeiten wollte, instrumentalisierte Falk diese Beschäftigungsverhältnisse vorübergehend, um junge Männer auf diese Weise zu erziehen, wenn andere Hilfsmaßnahmen versagt hatten. Für Johann Gottfried Kranz, dessen Vater in Tirol gefallen war und der seine an epileptischen Anfällen leidende Mutter pflegte, bis diese im Siechhaus aufgenommen 698

699 700

701

Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Tobias Braune, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, 44r. Vgl. Simon: Tagelöhner, S. 83f. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottlieb König, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 114v.–117r., hier Bl. 117r. Vgl. Aufzeichnungen über Johann Heinrich Pause, in: GSA 15/N 55, Bd. Bd. 1, Bl. 192v.–197v., hier Bl. 196r.

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wurde, lassen sich die für die Unterbringung in der Landwirtschaft angeführten Entscheidungsgründe bzw. die am Ende dagegen sprechenden Argumente rekonstruieren. Dabei kristallisiert sich heraus, dass Falk das im Gesindeverhältnis typische hausherrliche Kontrollsystem nutzte, wonach »Dienstboten wie unmündige Kinder«702 behandelt wurden. Der junge Johann Gottfried Kranz diente in Isseroda 1816 Friedrich Kessler als »Hausknecht«, wozu Kranz »Lust aber kein Geschick«703 bezeigte. Falk wollte Kranz, der unter anderem durch Tierquälerei und Diebstähle auffällig geworden war, »durch Ackerpflug Kühehüten und Viehzucht auf andere Gedanken bringen«704. Man versuchte deshalb, heranwachsende junge Männer durch eine dauerhafte, außerhalb der Stadt angesiedelte, beaufsichtigte Beschäftigung von vermeintlich negativen Einflüssen fernzuhalten. Anfangs nahm Kranz tatsächlich am Unterricht der monatlichen ›Großen Sonntagsschule‹ in Weimar teil. Doch Kranz erzielte im Verlauf seiner Ausbildung langfristig keinesfalls die erhofften Ergebnisse und Kessler lehnte es folgerichtig in seinem Brief vom 2. Mai 1816 ab, den Heranwachsenden weiter zu beaufsichtigen, weil sich Kranz durch »Lug und Trug«705 unbeliebt gemacht hatte. In der institutsinternen Diskussion über die Zukunft des jungen Mannes wurde die Rückkehr zu einem Pächter ebenso ausgeschlossen, wie die Vermittlung an einen Handwerksmeister als ungeeignet angesehen wurde. Der Fall Kranz’ verdeutlicht, wie verschiedene Lösungsansätze favorisiert wurden. Nachdem Falk zunächst entschieden hatte, Kranz auf einem landwirtschaftlichen Gut auszubilden, gelangte man nach kürzester Zeit zu einer anderen Ansicht. Offensichtlich führte die Unterbringung auf dem Lande nicht zwangsläufig zu den gewünschten Verhaltensweisen, weil Heranwachsende wie Kranz – folgt man den Quellen – durch den Umgang mit Hirten und Knechten auf moralische Abwege gerieten. Kessler schloss die weitere Unterbringung des jungen Mannes auf dem Gut aus, damit zukünftig weder Pächter, Landwirte noch Handwerksmeister für die moralische Entwicklung des Heranwachsenden verantwortlich sein sollten. Mit dieser Entscheidung wich das Falksche Institut vereinzelt von den erprobten Erziehungspraktiken der familiären und handwerklichen Unterbringung bei Lehrmeistern ab. 702 703

704 705

Vgl. Budde: Dienstmädchen, S. 150. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottfried Kranz, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 180r.–183r., hier Bl. 183r. Ebd., Bl. 181r. Ebd., Bl. 181r.

Geschlechter (er)arbeiten

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»Auf der anderen Seite ist ebenso bedenklich, den Krantz im Tagelohn zu laßen.«706 Die letzte Alternative sahen die Verantwortlichen darin, Kranz in einem Arbeitshaus unterzubringen, wo er unter ständiger Aufsicht, abgeschirmt vor der potentiellen Gefahr des unmoralischen Lebenswandels eines Knechts oder Tagelöhners bzw. vor den Verlockungen des städtischen Lebens beschäftigt wurde. Das Ideal eines arbeitenden, tätigen Mannes würde Kranz nicht auf bewährte Weise erreichen, weil ihn ein »individuelles Fehlverhalten«707 daran hindere. Hier überlagerten sich Argumentationslinien, die ihren Ursprung weit vor dem 19. Jahrhundert hatten und Massenarmut nicht als strukturelles, sondern persönliches Verschulden jedes Einzelnen interpretierten. Vieles spricht dafür, dass die moralischen Bedenken nur ein, wenn nicht sogar ein untergeordnetes, Motiv darstellten, mit dem die Verantwortlichen und Falk ihre Entscheidung für das Arbeitshaus zu legitimieren versuchten, obwohl vordergründig ökonomische Überlegungen berücksichtigt wurden. Schließlich, so Falk, leiste Kranz im Arbeitshaus durch den Verkaufserlös der dort hergestellten Waren dem »Staat noch gut Dienste«708. Mit der Einweisung in ein Arbeitshaus konnte nicht nur disziplinierend Einfluss genommen, sondern die Arbeitskraft des Heranwachsenden optimal genutzt werden. Durch die Einrichtung von Arbeitshäusern gelang es, »einen öffentlich kontrollierten Sektor billiger Arbeitskraft zu schaffen«709. In den Unterlagen des Falkschen Instituts finden sich auch Hinweise, dass junge Männer Aufgaben, die eigentlich solche des weiblichen Gesindes waren, ausführten, wenn es die einzige Möglichkeit zum Erwerb des Lebensunterhalts darstellte oder äußere Umstände – etwa der Tod naher Verwandter – ein derartiges Verhalten notwendig machten.710 Der elternlose Anton Neumann verpflichtete sich, nicht nur seine Geschwister, 706

707 708

709

710

Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottfried Kranz, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 180r.–183r., hier Bl. 182r. Aderbauer: Spital, S. 173. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottfried Kranz, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 180r.–183r., hier Bl. 182r. Mörke, Olaf: Daseinsvorsorge in Städten der Niederländischen Republik. Bemerkungen zur Persistenz des alteuropäischen Gemeindekorporatismus, in: Johanek, Peter (Hrsg.): Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800. Köln, Weimar und Wien, S. 125–150, hier S. 131. Vgl. beispielsweise den Fall des 15-jährigen Johann Heinrich Christoph Eiser. Er »vermiethete sich« vor der durch das Institut geförderten Schneiderlehre bewusst »beym Vieh«. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Heinrich Christoph Eiser, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 127r.

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sondern auch die Großmutter und den Großvater, den Landschullehrer Johann Heinrich Schau711, zu bekochen und die beiden bis zu deren Tod, der um das Jahr 1813 eintrat, zu pflegen. Mit der Pflege des Großvaters, »dem« – wie Falk es ausdrückte – »er als Magd diente«712, übernahm Anton Neumann ein Dienstverhältnis, das ihn in den Augen Falks auf eine Stufe mit dem des weiblichen Gesindes stellte. Dennoch problematisierte Falk im Unterschied zum Hardislebener Pfarrer Saal diese Tätigkeiten nicht per se als für einen jungen Mann unangebrachte Arbeit, bezeichnete er doch Anton Neumann als einen »charmante[n] Junge[n]«713. Im Unterschied zu Carl Köhler trat Anton Neumann mit den pflegenden und dienenden Aufgaben allerdings in kein Abhängigkeitsverhältnis, sondern versorgte seine Familie geradezu eigenverantwortlich. Neumann erfüllte dadurch die Vorstellungen eines für die Familie sorgenden Vaters in doppelter Hinsicht, weil er sämtliche, Müttern wie Vätern gleichermaßen zugeschriebene Aufgaben übernahm. In den Unterlagen des Falkschen Instituts spiegelt sich die Tendenz wider, dass junge Männer nicht längerfristig in dienenden, unqualifizierten Beschäftigungsverhältnissen arbeiteten sollten. In Folge der Agrarreformen sahen sich unqualifizierte Jugendliche mit einer größeren Zahl an Landarbeitern konfrontiert, mit denen sie nur konkurrieren konnten, indem sie sich vertiefte landwirtschaftliche Kenntnisse aneigneten.714 Allenfalls als vorübergehende Lösung oder erzieherische Maßnahme wurden Heranwachsende in Dienste geschickt. Nach 1800 setzte die Entwicklung ein, – ausgehend von dienenden Tätigkeiten auf Gütern und Wirtschaften – Heranwachsende als junge Ökonomen zu qualifizieren. Obwohl etwa dienende junge Männer des Falkschen Instituts wie Johann Gottfried Kranz die Arbeiten eines Knechts erledigten, betonte schon dessen Pächter Friedrich Kessler, den Heranwachsenden nicht als Knecht angestellt zu haben, der »seiner Herrschaft zu den geringsten und beschwerlichsten Diensten verbunden ist«715, sondern ihn »in der ökonomischen Arbeit«716 unterrichten zu wollen. 711 712

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715

Vgl. Staatshandbuch 1804–1813. Aufzeichnungen Johannes Falks über Anton Neumann, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 320v. Ebd. Vgl. Pierenkemper, Toni: Beschäftigung und Arbeitsmarkt, in: Ambrosius, Gerold / Petzina, Dietmar / Plumpe, Werner (Hrsg.): Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen. München 2006, S. 235–256, hier S. 247. Art. »Knecht«, in: Krünitz, Johann Georg: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie 41 (1787), S. 272–364, hier S. 276 (elektronische Ausgabe der Uni-

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Noch am Beginn des 18. Jahrhunderts bildeten Knechte und Tagelöhner einen integrativen Bestandteil der nach Besitz und geburtsständischen Gesichtspunkten differenzierten Gesellschaft. Ein Jahrhundert später marginalisierten die Reformen im Bereich der Landwirtschaft diese Erwerbsmöglichkeiten durch die zunehmende Konkurrenz der frei verfügbaren Arbeitskräfte, die sich nunmehr durch die Qualität und Quantität des angeeignetes Fachwissen voneinander unterschieden. Gleichzeitig überdauerte das Konzept der hausväterlichen (und -mütterlichen) Sorgfaltspflicht für Bedienstete bis in das 19. Jahrhundert, weshalb diese Tätigkeiten ungeachtet vormaliger ständischer Schranken als probates Mittel anerkannt wurden, um Heranwachsende zu arbeitsamen Männern zu erziehen. Das Verhältnis zwischen Herrschaft und Gesinde wurde zunehmend durch die Kategorie ›Geschlecht‹ geprägt. Nachdem in früheren Jahrhunderten ständische Prämissen – etwa die Zugehörigkeit der Herrschaft zu einem bestimmten Stand oder die Größe des Hauses bzw. des Besitzes – das Zusammenleben organisierten, bestimmten fortan geschlechterpolare Vorstellungen, inwieweit Männer in dienenden Tätigkeitsbereichen anerkannt waren.

4.2 Weibliche Arbeit(en) Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts – das Aufbrechen der ständischen Ordnung und die rasante industrielle Entwicklung – veränderten die Vorstellungen über angemessene Arbeiten für Frauen. Im Spannungsfeld zwischen dem bürgerlichen Ideal der Hausfrau, Gattin und Mutter und der Notwendigkeit von Mägden, Dienstbotinnen und Arbeiterinnen aus unteren sozialen Schichten, sich mit Lohnarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, stellt sich die Frage nach dem Wechselverhältnis von Erwerbstätigkeit und Weiblichkeitsvorstellungen.717 Die Herausbildung einer weiblichen Identität ist eng verknüpft mit dem Erlernen spezifischer Tätigkeiten, die im frühen 19. Jahrhundert als typisch weiblich konnotiert wurden.

716

717

versitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/). Brief Friedrich Kesslers an Johannes Falk, o. O.. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 180v. Vgl. Riederer, Jens: Mädchenpensionate Töchterheime Frauenschulen. Wege weiblicher Bildung in Weimar 1850–1950. Stadtmuseum Weimar im Bertuchhaus. 23. Oktober 2010–16. Januar 2011. Weimar 2010, S. 11.

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4.2.1 ›Weibliche Arbeiten‹: Zwischen bürgerlichem Ideal und Existenzsicherung Tätigkeiten wie Spinnen, Nähen, Stricken und Sticken zählten weit vor dem 18. Jahrhundert zu Arbeiten, die Frauen zugeordnet und von ihnen ausgeführt wurden. Im Unterschied zu der Zeit nach 1800 beschränkte sich jedoch der Wirkungskreis von Frauen weder auf den Haushalt noch auf die Familie, da sie »in allen Bereichen städtischen Gewerbes tätig«718 waren. Obwohl Frauen seit dem 14. Jahrhundert systematisch aus den textilverarbeitenden Zünften wie dem Goldspinnen oder Garnmachen herausgedrängt wurden,719 sind es bemerkenswerterweise jene ehemals im zünftigen Rahmen ausgeübten Tätigkeiten, welche um 1800 unter den ›weiblichen Arbeiten‹ subsumiert wurden, weil diese offensichtlich weitestgehend einem anzustrebenden Weiblichkeitsideal entsprachen bzw. stellvertretend für alle weiblichen Tätigkeitsbereiche standen.720 Dabei ist festzustellen, dass Handarbeiten von der Forschung zumeist im Lebensumfeld bürgerlicher Frauen untersucht wurden: Die Verarbeitung von Flachs, Wolle oder Garn und das Ausbessern oder Verzieren von Kleidungsstücken strahlte im 18. Jahrhundert als »nützliches Tun schlechthin«721 am bürgerlichen ›Wertehimmel‹ auf. Diese Einstellung wandelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, als Handarbeit lediglich für unnütze Zeitverschwendung angesehen wurde bzw. allenfalls eine adäquate Beschäftigung für die auf den arbeitenden Ehemann wartende Gattin darstellte. Welchem konkreten Ablauf die Unterrichtseinheiten folgten, ist anhand des falkschen Nachlasses im Einzelnen nicht mehr zu ermitteln. Das 718 719

720

721

Lerche-Renn: Nadel, S. 13. Vgl. Schlüter, Anne: Von der Spinnschule zur beruflichen Ausbildung von Arbeitermädchen in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Dickmann, Elisabeth / Friese, Marianne (Hrsg.): Arbeiterinnengeschichte im 19. Jahrhundert. Studien zum sozio-kulturellen Wandel und zum politischen Diskurs in den Frauenbewegungen in Deutschland, England, Italien und Österreich. Vorträge eines Workshops an der Universität Bremen 1993 (= Frauenforschung interdisziplinär – Historische Zugänge zu Biographie und Lebenswelt; 1). Münster und Hamburg 1994, S. 296–309, hier S. 297; Lerche-Renn: Nadel, S. 14–16; Vgl. Schmid, Pia: »Weibliche Arbeiten«. Zur Geschichte von Handarbeiten, in: Hoff, Walburga / Kleinau, Elke / Schmid, Pia (Hrsg.): Gender-Geschichte/n. Ergebnisse bildungshistorischer Frauen- und Geschlechterforschung (= Beiträge zur Historischen Bildungsforschung; 37). Köln, Weimar und Wien 2008, S. 49–71, hier S. 50. Ebd., S. 55f.

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öffentliche Zuschaustellen der Arbeitsleistung im Falkschen Institut spricht allerdings dafür, dass sich der Spinnunterricht an gängigen Unterrichtspraktiken orientierte, wie sie schon im späten 18. Jahrhundert in Weimar verbreitet waren. In der zur Garnisonsschule gehörenden Spinnschule erhielt jede Heranwachsende ein Spinnrad zugeteilt, das mit einer Nummer versehen war und ebenso wie die einzelnen Garne zweifelsfrei einer bestimmten jungen Frau zugeordnet werden konnten, sodass sowohl bei Beschädigung des Spinnrades Ersatz geleistet werden musste, als auch die Leistung einer jeden einzelnen überprüft werden konnte.722 Zunächst erlernten junge Frauen das Treten des Spinnrades, wobei nur der vordere Teil des Fußes, jedoch bei richtiger Ausführung nie das gesamte Bein bewegt wurde. Erst wenn sie das Spinnrad betätigen konnten, lernten junge Frauen, zunächst mit einer, dann mit beiden Händen den Faden zu spinnen: »Dieses geschieht zwischen dem vorderen Finger und dem Daumen, und zwar nicht zierlich mit den äußersten Spizen derselben, sondern so daß der Daumen und vordere Finger dabey fast gestreckt sind.«723 Junge Frauen spannen auf kleineren Rädern ein Garn aus Flachs, weil die Verarbeitung von Flachs eine geringere körperliche Kraftanstrengung als die Herstellung eines Wollfadens voraussetzte.724 Jüngere Mädchen des Falkschen Instituts, wie die 7-jährige Caroline Hippert,725 erlernten deswegen zuerst das Stricken, ehe sie mit dem richtigen Umgang des Spinnrades vertraut gemacht wurden.726 Eine ähnliche quantitative Verteilung der konkreten Handarbeitstechniken spiegelte sich auch in den Frauenvereinen Weimars wider, wo die Mehrzahl nähte und strickte, dagegen nur ein kleinerer Teil der älteren Mädchen Flachs und Baumwolle spann.727 Trotz der mit dem Quellenbegriff intendierten Verallgemeinerung, dass ›weibliche Arbeiten‹ von allen Frauen auszuüben seien, variierte der Unterricht in der Spinn- und Nähschule. Die vermittelten ›weiblichen Arbeiten‹ unterschieden sich in ihren Techniken, sodass in den ersten Jahren 722

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725 726 727

Vgl. Einrichtung der Spinnschule, 7. März 1783, in: ThHStAW B 4756a, Bl. 21r.– 28v., hier Bl. 23v. Ebd., Bl. 25r. Vgl. Aufzeichnungen über Bernhard Krippendorf, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 108r. Vgl. Verzeichnis Mädchen aus der Spinnstunde, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 339r. Vgl. Aufzeichnungen über Ernestine Lorbeer, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, 353v. Vgl. Bericht des Central-Frauen-Vereins, Weimar 18. November 1832, in: ThHStAW Patriotisches Institut der Frauenvereine 425, Bl. 102r.–105v., hier Bl. 102v.

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des Falkschen Instituts drei Lehrerinnen die Schülerinnen entweder im Spinnen, Nähen oder Stricken unterwiesen.728 Einige erfahrene junge Frauen, die ›Spinnmädchen‹,729 erhielten lediglich die Arbeitsmaterialien. Die von den Lehrerinnen unterrichteten Verarbeitungsformen bildeten die grundlegenden Elemente weiblicher Handarbeitstechniken: Dazu gehörten das Spinnen eines Fadens mit einem Spinnrad oder einer Spindel ebenso wie das Nähen und Säumen unterschiedlicher Materialien wie etwa Leinwand zu zweckmäßigen Kleidungsstücken sowie das Stricken von Mützen, Handschuhen und Strümpfen aus Wolle, Zwirn oder Seide mit Messing-, Stahl oder Eisennadeln.730 Erste Erfahrungen in ›weiblichen Arbeiten‹ sammelten viele der jungen Frauen schon im Kleinkindalter von vier Jahren. Nicht selten waren sie später in der Lage, Textilien anzufertigen, die ihre eigene Körpergröße um ein Vielfaches überstiegen.731 Falk notierte in seinen Berichten über diese Mädchen lediglich, dass sie »entschiedene Neigung zu weiblichen Arbeiten«732 besäßen. Die Herausbildung bzw. das Vorhandensein eines natürlichen und gleichsam angeborenen Interesses junger Frauen für diese Tätigkeiten wird dadurch relativiert, dass ältere Frauen diese ›Neigung‹ aktiv förderten. So war es im bürgerlichen und bäuerlichen Umfeld üblich, jungen Frauen und Mädchen ›Modelltücher‹ bzw. Mustertücher zu schenken.733 Auf diesen Beispieltüchern fertigten erfahrene Stickerinnen besonders kunstvolle Arbeiten an, die den Heranwachsenden aber nicht als konkrete Handlungsanweisung dienten, wie etwa ein bestimmtes Ornament zu sticken sei, denn ohne persönliche Einweisung »läßt sich da freylich nichts machen«734. Ein sorgfältig gearbeitetes Modelltuch weckte den Ehrgeiz, durch den die heranwachsenden Frauen für Handarbeiten gewonnen werden sollten. Das Modelltuch bildete die Referenz einer jeden Frau, um die Qualität ihrer Arbeit und ihre Handarbeitsfähigkeiten beurteilen zu können.735 728 729 730

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Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. Schülerverzeichnis, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 337v.–339r., hier Bl. 338r. Vgl. Brief Wilhelm Heinrich Gottlieb Eisenachs an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 234r.; Art. »Nehen«, in: Zedler Bd. 23, Sp. 1604–1606; Art. »Spinnen«, in: Zedler Bd. 39, Sp. 40–42, hier Sp. 40; Art. »Stricken«, in: Zedler Bd. 40, Sp. 953. Vgl. Aufzeichnungen über Frau Doctor Krause, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 397r. Aufzeichnungen über Caroline Haubeil, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 244v. Vgl. Art. »Modell-Tuch«, in: Zedler Bd. 21, Sp. 715. Vgl. Aufzeichnungen über Caroline Haubeil, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 244v.

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Johannes Falk thematisierte nicht diese grundlegenden Sozialisationserfahrungen junger Frauen, sondern argumentierte mit biologischen Zuschreibungen, wonach ein bestimmter weiblicher Entwicklungsweg quasi natürlich vorgezeichnet sei. Weil Mustertücher häufig von den weiblichen Mitgliedern einer Familie an ihre jüngeren Geschlechtsgenossinnen vererbt wurden, generierte diese Praxis – etwa mit den überlieferten Initialen – weibliche Genealogien,736 wodurch ein alle weiblichen Familienmitglieder betreffendes Gemeinschaftsgefühl gestiftet und die Existenz eines scheinbar natürlichen weiblichen Geschlechtscharakters gefestigt wurde. Im Falkschen Institut verschenkten ältere Frauen Modelltücher auch an fremde jüngere Frauen,737 sodass über den familiären Zusammenhalt hinaus Modelltücher das Bewusstsein der Heranwachsenden stärkten, zur Gruppe der erwachsenen Frauen zu gehören, die sich durch Fleiß, Sauberkeit und Sorgfalt auszeichneten. Durch ein von einer älteren Frau geschenktes Mustertuch intensivierte sich bei einem Mädchen oder einer jungen Frauen der Wunsch, ebenfalls Handarbeiten auszuüben,738 weshalb Falk in den Quellen das Ergebnis des Sozialisationsprozesses als natürliche weibliche Eigenschaft festhielt. Weibliche Handarbeiten bildeten »das wesentliche Stück im weiblichen Elementarunterricht«739. Um dieser Überzeugung Nachdruck zu verleihen, bemühte Johannes Falk neben biologistischen auch gesellschaftliche, christliche und antike Argumentationsfiguren, die scheinbar alle auf die Universalität weiblicher Handarbeiten verwiesen. Eine zarte weibliche Physiognomie prädestiniere Frauen gleichsam von Natur aus, sich den Tätigkeitsfeldern des Strickens, Spinnens und Nähens zu widmen.740 »›Denn sie [die Frau]‹«, so Falk weiter, »›versteht mit Wolle und Flachs umzugehen.‹ Diesen schönen Salomonischen Lobspruch sollen sich die frommen Weiber aller Zeiten und Stände niemals von uns entwenden lassen. Die Königin Penelopeia ordnet sinnig das Tagewerk ihrer Mägde und gehet denselben an ihrem Webstuhl mit einem guten Beispiel voran: denn wo die Königssäle in diesen Dingen vorangehen, werden die Hütten wahrscheinlich nicht zurückbleiben.«741 735

736 737 738 739 740 741

Vgl. Quittung Charlotte Heylands über Sticklektionen, Stadtsulza 30. September 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 500r.–501r, hier Bl. 501r. Vgl. Schmid: »Weibliche Arbeiten«, S. 64–68. Vgl. Aufzeichnungen über Caroline Haubeil, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 244v. Vgl. ebd. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. ebd. Ebd. Als Musterbeispiel der mit Weben beschäftigten Frau führte Falk Penelope,

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Unabhängig von Stand und sozialer Herkunft zeigten in Falks Argumentation alle Frauen ein Interesse für diese Aufgabenbereiche.742 Zudem untermauerte Falk die feste Überzeugung der Gesellschaft der Freunde in der Not, ebenfalls junge Frauen in den entsprechenden Handarbeitstechniken zu unterweisen, mit dem biblischen Ursprung dieser vermeintlich weiblichen Grunddisposition, indem er auf den Spruch Salomos im Alten Testament verwies.743 Die mit dem Quellenbegriff ›weibliche Arbeiten‹ versehenen Tätigkeiten wie Stricken, Nähen oder Spinnen werden von der Forschung bis in die Gegenwart unreflektiert als Arbeiten definiert, die von Mädchen und Frauen ausgeübt wurden.744 Ob dies im Umkehrschluss bedeutete, dass Jungen und Männer von diesen Arbeiten ausgeschlossen waren, blieb bislang unberücksichtigt.745 Beispielsweise strickten Männer unterer sozialer Schichten, um in den arbeitsarmen Wintermonaten der Landwirtschaft einen Teil zum Einkommen beizutragen. Auch Schäfer nutzten die Hütezeiten zum Stricken.746 Auf dem Lande war es keine Seltenheit, wenn Jungen den Flachs weiterverarbeiteten.747 Heimarbeit bot insbesondere in Gegenden mit schlechten Bodenverhältnissen ein zusätzliches Einkommen.748

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die Gattin Odysseus’, an, die – um sich vor ihren Freiern zu schützen – nachts das von ihr Gewebte immer wieder auftrennte. Ihre herrschaftliche Herkunft hinderte sie weder daran, selbst weiblichen Arbeiten diszipliniert nachzugehen, noch andere Frauen darin anzuleiten. Vgl. Volkmann, Helga: Purpurfäden und Zauberschiffchen. Spinnen und Weben in Märchen und Mythen. Göttingen 2008, 145f.; Troje, Hans Erich: Penelope. Zur Archäologie der Ehe I (1988), in: Ders.: Gegenpositionen. Aspekte zur Zukunft von Ehe und Familie (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung; 10). Hrsg. von Stephan Meder. Köln, Weimar und Wien 2009, S. 121–134, hier S. 122. Vgl. Stahl: Spinnstuben, 1988, S. 19. Vgl. Sprüche, 31, 10. Obwohl Sylvia Greiner strickende arme Familienväter und Hirten um 1800 anführt, definiert auch sie in ihrer Zusammenfassung weibliche Arbeiten indirekt als Arbeiten, die ausschließlich von Frauen ausgeführt werden, wenn sie darauf hinweist, dass Stricken gegenwärtig »nicht mehr zwingend als weibliche Arbeit angesehen« wird. Vgl. Greiner, Sylvia: Kulturphänomen Stricken. Das Handstricken im sozialgeschichtlichen Kontext. Freiburg 1993, S. 124. Zumeist begnügen sich die entsprechenden Darstellungen mit einem kurzen Hinweis auf diesen Umstand, ohne näher darauf einzugehen. Vgl. beispielsweise Lerche-Renn: Nadel, S. 27f. Vgl. Greiner: Stricken, S. 38–40. Vgl. Brief an Johannes Falk, 29. Januar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 45r.– 45v.

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Mit Blick auf Geschlechterpraktiken im Falkschen Institut lässt sich die These aufstellen, dass erst im Laufe des 19. Jahrhunderts die eben erwähnten Beschäftigungen ausschließlich Frauen zugeschrieben wurden. Dagegen besaß die bereits existierende geschlechtliche Apostrophierung insbesondere in den Kriegs- und Krisenjahren des frühen 19. Jahrhunderts weit weniger Wirkmächtigkeit, weil die Bedrohung der Existenzgrundlagen eine derartige geschlechtliche Arbeitsteilung unterminierte, sodass Jungen und Männer durchaus ›weiblichen Arbeiten‹ nachgingen.749 Falk schlug auch Jungen vor, sich durch Spinnarbeiten für das Falksche Institut den Anspruch auf Kleidungsstücke selbst zu verdienen.750 Häufig gingen junge Männer einer Handarbeitstätigkeit nach, wenn sie die Zeit bis zur Aufnahme in ein Handwerk überbrückten oder – aufgrund einer Erkrankung – ihren zugewiesenen Ausbildungsplatz wieder verlassen mussten.751 Wenngleich Falk nicht im Detail erläuterte, wie viele junge Männer den jungen Frauen beim Spinnen gegenüberstanden, verweisen die Jahresberichte der Gesellschaft der Freunde in der Not auf jene männlichen Zöglinge, die sich und ihren Familien durch das Spinnen den Unterhalt hinzuverdienten.752 Während alle Heranwachsenden die neuen Kenntnisse, die sich hauptsächlich auf die Herstellung von Kleidungsstücken beschränkten, in ihrem alltäglichen Umfeld der eigenen oder zukünftigen Familie anwenden konnten, blieben andere Tätigkeiten einigen wenigen Frauen vorbehalten. Im 19. Jahrhundert wurde der Unterricht in filigraneren Handarbeiten an höheren Töchterschulen gegeben und von zeitgenössischen Autoren wie August Hermann Niemeyer nur Vertreterinnen höherer Stände zuerkannt, sodass in der Forschung die Beherrschung dieser Fertigkeiten mitunter als Ausdruck einer sozialen Differenzierung interpretiert wurde.753 Zwar hätten sich standesübergreifend alle Frauen Kenntnisse in der Herstellung von Kleidungsstücken und ihrer Instandhaltung erworben, 748 749

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Vgl. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 173. Vgl. Bericht über Johann Gottlieb Schumann, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, 353v.; vgl. auch Greiner: Stricken, S. 25. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Sophia Maria Benzgen, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 99v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Kinder der Witwe Frank, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 123r. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Vgl. Wand-Seyer, Gabriele: Zwischen Nutz und Putz. Handarbeit und Handarbeitsunterricht 1750–1950. Herne 2000, S. 20 und 24; Schmid: »Weibliche Arbeiten«, S. 56f.

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aber insbesondere das Sticken sei Frauen aus höheren sozialen Schichten vorbehalten geblieben. In der zeitgenössischen Argumentation besaß Sticken keine besondere Funktion für den Werterhalt von Kleidung, sondern diente lediglich der Verzierung von Bekleidungsstücken, weshalb junge Frauen unterer Schichten diese Techniken nicht ausübten. »Man argwöhnte, durch die Kenntnis solcher Handarbeitstechniken würden die Standesgrenzen verwischt und das bestehende Sozialgefüge in Frage gestellt.«754 Im Falkschen Institut fehlen Beispiele dafür, dass junge Frauen aufgrund ständischer Unterschiede bestimmte Handarbeiten nicht erlernen durften. Doch Falk erkannte, dass unmöglich alle jungen Frauen in aufwendigen Handarbeitstechniken wie dem Sticken unterrichtet werden konnten. Vor allem ökonomische Aspekte beeinflussten diese Entscheidung, weil kostspieligere Materialen wie Seide oder gold- und silberfarbenes Garn angeschafft werden mußten, um dann zu kunstvollen Textilbildern verarbeitet zu werden.755 In erster Linie führte Johannes Falk jedoch das individuelle Geschick als Unterscheidungsmerkmal förderungswürdigerer junger Frauen an: »Wofern auch Eine Sonntag den Strickstumpf in der Hand führt, oder spinnt und Hemden zuschneidet: so ist sie darum noch lange keine Nätherin! Vom einfachen Nähen eines Bauernhemdes, bis zum Stickrahmen ist ungefähr eben so weit, wie vom Einmaleins der Dorfschulen, bis zum Herschelschen Spiegel-Telescop. […] Wir haben z. B. 100 Mädchen, die spinnen und stricken, und unter diesen kaum 6, […] die Talent genug besitzen, in die feineren weiblichen Arbeiten, als Sticken, Weißnähen, usw. überzugehen und etwas Ausgezeichnetes zu leisten.«756

Zeigten einzelne junge Frauen das Talent zu aufwendigeren Verarbeitungsformen, so erhielten sie innerhalb und außerhalb des Falkschen Instituts einen fortgesetzten Unterricht in den sogenannten »feinere[n] weibliche[n] Arbeiten«757.

754 755 756

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Wand-Seyer: Nutz und Putz, 2000, S. 25. Vgl. Art. »Sticken«, in: Zedler Bd. 40, Sp. 10. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Das Weißnähen oder Weißsticken gehörte zu einer recht neuen Arbeitstechnik im 18. Jahrhundert. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wird diese Technik durch die gröbere RichelieuStickerei abgelöst. Vgl. Stradal, Marianne / Brommer, Ulrike: Mit Nadel und Faden durch die Jahrhunderte. Aus der Kulturgeschichte vom Sticken, Stricken und Häkeln. Heidenheim 1990, S. 95 und 102. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 5 (1821).

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Der Handarbeitsunterricht im Falkschen Institut zeigt deutlich, dass die Interpretation zu kurz greift, soziale Differenzierung über das Erlernen bestimmter weiblicher Handarbeitstätigkeiten zu konstruieren. Im Falkschen Institut erlernte eine Vielzahl junger nichtadliger und nichtbürgerlicher Frauen filigrane Handarbeitstechniken jenseits des Spinnens von Garn oder des Nähens und Strickens von Bekleidungsstücken, wobei sie diese Tätigkeiten mit einer anderen Intention als ihre Geschlechtsgenossinnen aus dem Bürgertum oder Adel ausübten. Für adlige und bürgerliche Frauen waren Stickarbeiten in erster Linie eine künstlerische Geschmacksbildung.758 Junge Frauen sozial niedriger Schichten qualifizierte zuallererst die Beherrschung dieser Tätigkeiten zur Aufnahme eines Dienstverhältnisses. Der 13-jährigen Christiana Heidloff attestierte Falk ein ausgesprochenes Talent im Nähen, das die junge Frau bereits im Unterricht der Institutsnähschule unter Beweis gestellt hatte, weshalb sie nun täglich eine Stunde Unterricht im ›Putzmachen‹ – im Gegensatz zu den Nutzarbeiten – erteilt bekam.759 Nachdem Sticken im Zuge einer sich grundlegend wandelnden ständischen Gesellschaft nicht mehr nur zu den ›Freizeitbeschäftigungen‹ adliger Frauen zählte, sondern immer mehr Bürgerinnen dieser Tätigkeit nachgingen, blieb es auch für zukünftige Dienstmädchen zunehmend unerlässlich,760 diese Technik zu beherrschen und die Frauen des Bürgertums bei der Stickerei zu unterstützen. Die Ausbildung in den ›feineren weiblichen Arbeiten‹ garantierte jungen Frauen des Falkschen Instituts die spätere Aufnahme eines Dienstverhältnisses in einem Haushalt.761 Demzufolge verlief der Wandel von den ›nützlichen weiblichen Arbeiten‹ im 18. Jahrhundert zur ›zeitverschwendenden Beschäftigung‹ am Ende des 19. Jahrhunderts längst nicht so geradlinig, wie bislang angenommen. Insbesondere im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Handarbeitstechniken eine viel größere Bedeutung bei der Sozialisation junger Frauen außerhalb des Bürgertums beigemessen.762 Nutzarbeiten und feinere Handarbeitstechniken prägten das Bild des Handarbeitsunterrichts im Falkschen Institut, ein Umstand, der 758 759 760

761 762

Vgl. Wand-Seyer: Nutz und Putz, 2000, S. 19. Vgl. Aufzeichnungen über Christiana Heidloff, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 171v. Vgl. Stradal / Brommer: Nadel und Faden, 1990, S. 7; Greiner: Stricken, 2002, S. 44. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 5 (1821). Vgl. etwa die Studie von Bärbel Ehrmann-Köpke, die ebenfalls Handarbeiten im bürgerlichen Umfeld zum Gegenstand hat. Ehrmann-Köpke, Bärbel: »Demonstrativer Müßiggang« oder »rastlose Tätigkeit«? Handarbeitende Frauen im hansestädtischen Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Münster u. a. 2010.

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der Vermutung widerspricht, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts habe die Herstellung luxuriöser Artikel den Handarbeitsunterricht bestimmt.763 In den Näh- und Spinnschulen des Falkschen Instituts bestand Konsens darüber, den Schülerinnen neben den Handarbeitsarbeitstechniken weitere Inhalte und Verhaltensweisen beizubringen. So beklagte sich z. B. Anna Josepha Klingel, Lehrerin in der Geisaer Nähschule, 1818 bei Falk, dass ihr noch keine konkreten Handlungsanweisungen vorlägen, die es ihr ermöglichten, mit dem Unterricht zum »wa[h]ren Ziele«764 zu gelangen. Offensichtlich ging es der Lehrerin Kling nicht darum, Falk zu einer genauen Auflistung der anzufertigenden Handarbeiten zu bewegen, verfertigte sie doch mit ihren Schülerinnen unterschiedliche Produkte, darunter auch Brieftaschen. Vielmehr bat sie bei Falk um Verhaltensregeln, mit denen sie die jungen Frauen moralisch erziehen konnte. Weil die Gesellschaft der Freunde in der Not und das Falksche Institut über keine programmatische Schrift verfügte, die prägnante inhaltliche und methodische Anweisungen enthielt, orientierte sich Anna Josepha Klingel am »Kinderfreund«765. Um 1800 entstanden mehrere literarische Werke und Periodika mit dem von der Lehrerin Kling erwähnten Titel.766 Es ist nicht mehr mit Sicherheit zu rekonstruieren, um welches Werk es sich konkret handelte. Vermutlich las Anna Josepha Klingel den jungen Frauen Abschnitte aus Friedrich Eberhard von Rochows Buch vor, das explizit als »Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen«767 verwendet wurde. Ro763 764

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Vgl. ebd., S. 378. Brief Anna Josepha Klingels an Johannes Falk, [Geisa 1818], in: GSA 15/N 55, Bd. 9, Bl. 237r.–238v., hier Bl. 237v. Ebd., Bl. 238r. Es lagen lediglich Falks Kriegsbüchlein und die bis dahin erschienenen gedruckten Jahresberichte der Gesellschaft der Freunde in der Not vor, die zumindest einen Einblick in Falks pädagogische Idee hätten geben können. Falks »Vorrede an die Erzieher des neunzehnten Jahrhunderts« in seiner Zeitschrift Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire dürfte wohl kaum zu der von Lehrerin Klingel erbetenen Lektüre zählen. Vgl. Falk, Johannes: Vorrede. An die Erzieher des neunzehnten Jahrhunderts, in: Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire 7 (1803), S. III – XIV. Vgl. beispielsweise das von Christian Felix Weisse herausgegebene Wochenblatt »Der Kinderfreund«; Carl Engelhardts und Dankegott Merkels »Neuer Kinderfreund«, der in den Franckeschen Stiftungen gedruckte »Christliche Kinderfreund« oder der von Johann Wilhelm Ausfeld herausgegebene »Kinderfreund aus Schnepfenthal«. Rochow, Friedrich Eberhard von: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch für den Gebrauch in Landschulen. 2 Teile. Frankfurt am Main 1778/79.

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chows Buch enthält keine Anweisungen zur Handarbeit, sondern in Form kurzer Erzählungen oder Gedichte wichtige Hinweise für das angebrachte Verhalten zukünftiger Hausmütter bzw. -väter, aber auch für Mägde und Knechte.768 Anna Josepha Klingel ließ die jungen Frauen die Texte auswendig lernen, um sie anlässlich eines Besuches der Großherzogin Louise vorzutragen. Bei diesem Anlass bewiesen die Schülerinnen, dass sie erstrebenswerte weibliche Eigenschaften verinnerlicht hatten. Über die Vermittlung von Handarbeitskenntnissen hinaus verinnerlichten junge Frauen in diesen Unterrichtseinheiten Werte, die Falk und die Lehrerinnen als wichtige weibliche Sozialisationsziele definierten. »Handarbeitsunterricht erwies sich im Vergleich zu anderen Unterrichtsfächern besonders zur Einübung weiblicher Tugenden wie Fleiß, Geduld und Ausdauer sowie einen ›Sinn für das Kleine‹ geeignet.«769 Die in größerer Auflage herausgegebenen und Anfang des 18. Jahrhunderts erschienenen Musterbücher für Stickereien enthielten neben den konkreten Arbeitsvorlagen Hinweise für einen adäquaten weiblichen Lebenswandel,770 sodass weibliche Arbeitstechniken mit spezifischen Werten in Verbindung gebracht wurden. Arbeitsamkeit, Sauberkeit und Fleiß galten als erstrebenswerte Tugenden, denen die jungen Frauen nacheifern sollten. Um ihnen dazu einen Anreiz zu geben, erhielten junge Frauen des Falkschen Instituts ihre eigenen Kleidungsstücke nur dann gleichsam als eine Art Arbeitslohn ausgehändigt, wenn sie ihren männlichen Kollegen ebenfalls ein Paar Strümpfe gestrickt oder ein anderes Kleidungsstück angefertigt hatten. »Fleißige Kinder, wie z. B. die kleine Bröder und die jüngste Jordan, sind weit über diese Bedingung hinausgegangen«,771 lobte Falk 1816 im Jahresbericht der Gesellschaft der Freunde in der Not besonders arbeitsame Schülerinnen. Außer der Aussicht auf ein Kleidungsstück motivierte Falk die jungen Frauen mittels einer aufgestellten Tafel, »worauf die sämtlichen Namen der Spinnerinnen verzeichnet waren«772. Das Gesponnene wurde »auf der Tafel bemerkt, so daß man gleich auf einen 768

769 770 771 772

Vgl. beispielsweise: Die schlechte Hauswirthin aus Unreinlichkeit, in: Rochow, Friedrich Eberhard von: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen. 2. Teil Frankfurt am Main 1779, S. 28; Morgenlied einer frommen Magd, in: Rochow, Friedrich Eberhard von: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen. 2. Teil Frankfurt am Main 1779, S. 156f. Ehrmann-Köpke: Müßiggang, S. 377. Vgl. Stradal / Brommer: Mit Nadel und Faden, 1990, S. 104. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1 (1816). Ideen zu einer bürgerlichen Gewerbeschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1., Bl. 339v.– 340r., hier Bl. 340r.

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Anblick sehen könnte, wer faul und fleißig wäre«773. Obwohl in den Quellen nicht überliefert ist, ob eine solche Tafel tatsächlich für alle sichtbar aushing, verdeutlichen diese Idee Falks und die in den Jahresberichten abgedruckten Resultate, dass Transparenz und öffentliche Kontrolle als Garanten für gelingende Fürsorgepraktiken galten. Ähnliche Kontrollinstanzen existierten in anderen Näh- und Spinnschulen, die von »verständigen Person[en]« visitiert wurden, wobei es sich ausnahmslos um »Frauenzimmer von Verstand«774 handelte, die auf eine korrekt ausgeführte Spinntechnik achteten. Sie überprüften sowohl die Qualität der Arbeiten als auch die Sauberkeit der Arbeitskleidung und teilten Weihnachten kleine Geschenke an die Mädchen aus.775 Transparente Kontrolle und die Vorbildwirkung erwachsener Frauen waren die zwei wichtigsten Pfeiler, auf denen die erziehende Fürsorge junger Frauen basierte. In besonderer Weise sollten diese zwei Prinzipien durch das Gemeinschaft stiftende Element der Treffen unterstützt werden. Obwohl die Zusammenkünfte junger Frauen in den Falkschen Näh- und Spinnstuben in erster Linie das Ziel hatten, Arbeitstechniken und Werte zu vermitteln, förderten diese Treffen auch immer das Gemeinschaftsgefühl, das nicht zuletzt durch das gemeinsame Arbeiten, Singen und die in der Gruppe eingenommene Mahlzeit hervorgerufen wurde. Auf diese Weise knüpfte der Spinnunterricht an traditionelle Geselligkeitspraktiken innerhalb der seit der Frühen Neuzeit existierenden Spinnstuben an, um so Produktivität und Geselligkeit zu verknüpfen.776 Im Unterschied zu früheren Jahrhunderten trafen an diesem Ort der »Arbeitsgeselligkeit«777 im Falkschen Institut ausnahmslos junge unverheiratete Frauen zusammen, die allenfalls auf theoretischer Ebene durch die Übernahme eines Weiblichkeitsideals die »Regeln des ›Spiels der Geschlechter‹«778 verinnerlichten. So versammelten sich im Falkschen Institut an der Esplanade zum Stricken regelmäßig etwa vierzig Mädchen, die im »Chor jugendlicher Stimmen den Choral singen: Befiehl du deine Wege«779. Einerseits verinnerlichten 773 774 775

776

777 778

Ebd. Einrichtung der Spinnschule, in: ThHStAW B 4756a, Bl. 21r.–28v., hier Bl. 24v. Vgl. Caroline von Wolzogens Plan zu einer Anstalt für Mädchen, [Weimar] 30. September 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 343r.–345r., hier Bl. 343v. Vgl. Medick, Hans: Spinnstuben auf dem Dorf. Jugendliche Sexualkultur und Feierabendbrauch in der ländlichen Gesellschaft der frühen Neuzeit, in: Huck, Gerhard (Hrsg.): Sozialgeschichte der Freizeit. Untersuchungen zum Wandel der Alltagskultur in Deutschland. Wuppertal 1980, S. 19–49, hier S. 35. Ebd., S. 19. Ebd., S. 38.

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die Heranwachsenden das christliche Liedgut, was in den Augen der Erziehenden die positive Entwicklung zur gläubigen Christin förderte. Andererseits besaßen die Lieder aber auch einen didaktischen Effekt, weil sich die Schülerinnen durch den »geselligen Gesang erheitern«780, weshalb sie die ihnen auferlegten Aufgaben nicht als Last, sondern als willkommene Abwechslung von der allzu oft harten körperlichen Arbeit in ihren Herkunftsfamilien empfunden haben. Caroline von Wolzogen unterbreitete Johannes Falk am 30. September 1819 den Vorschlag, dass ältere Frauen abwechselnd die Heranwachsenden verköstigen und zwischen dem Handarbeitsunterricht für Frühstück, Mittagessen und ein Vesperbrot sorgen könnten.781 Sie war es auch, die Falk auf die positiven didaktischen Effekte hingewiesen hatte, die sich aus einem abwechslungsreichen Handarbeitsunterricht ergäben, da nichts ermüdender sei als eine immer gleichförmige Tätigkeit, während unterschiedliche Arbeitsvorgänge hingegen »den Geist munter«782 hielten. Der Plan sah vor, dass die Wohltäterinnen sechs Heranwachsende ein halbes Jahr lang jeweils an den Unterrichtstagen um 9 Uhr, 14 Uhr und 17 bzw. 18 Uhr empfingen und ihnen gesunde Lebensmittel, morgens aber auch ein Stück Kuchen reichten. Das gemeinsame Essen diente nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern die Gastgeberinnen nutzten die Gelegenheit, um sich mit »ihnen zu besprechen«783. Über welche Themen ganz konkret gesprochen werden sollte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es ist aber zu vermuten, dass die geselligen Runden wichtige Institutionen weiblicher Sozialisation bildeten, in denen sich die Gastgeberinnen von der angestrebten Entwicklung der jungen Frauen überzeugen bzw. diese dementsprechend beeinflussen konnten. Der eigentliche Unterricht fand dann nicht mehr bei den Gastgeberinnen, sondern den Lehrerinnen statt, wobei zwei der sechs Unterrichtsstunden für die Festigung orthographischer und mathematischer Kenntnisse zu verwenden waren. Den Gastgeberinnen oblag eine gewisse Kontrollfunktion, mit der sie die Entwicklung der jungen Frauen beaufsichtigten und gegebenenfalls intervenierten. So wollten die gastgebenden Frauen unregelmäßig am Unterricht 779

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National-Zeitung der Deutschen, 48. Stück vom 27.11.1816, S. 909–910, hier Sp. 909. Ebd., Sp. 910. Vgl. Ideen zu einer bürgerlichen Gewerbeschule, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 339v.–340r., hier Bl. 340r. Caroline von Wolzogens Plan zu einer Anstalt für Mädchen, [Weimar] 30. September 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 343r.–345r., hier Bl. 344r. Ebd., Bl. 343r.

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der Heranwachsenden teilnehmen und sonntags die jungen Frauen in ihren Familien aufsuchen, um störende Einflussfaktoren im familiären Umfeld zu minimieren.784 Ob Caroline von Wolzogens Vorschlag zur Gründung einer »Anstalt für Mädchen« von Falk eins zu eins umgesetzt wurde, ist nicht überliefert. Von Wolzogens Idee, weibliche Handarbeiten in geselligen Runden zu praktizieren, sodass für die heranwachsenden Frauen mit den Näh-, Spinn- oder Strickarbeiten nicht mehr die Anfertigung eines Produktes, sondern – wie im Laufe des 19. Jahrhunderts üblich – die »angenehme[n] Unterhaltungen«785 in den Mittelpunkt rückten, widersprach Falks Intention, mit Handarbeiten junge Frauen auf eine spätere Anstellung als Dienstmädchen oder auf die Ausführung nützlicher Aufgaben im Haushalt vorzubereiten. Mit Blick auf die weitreichende Kontrolle, die ältere Frauen über weibliche Zöglinge und ihre Entwicklung in den Nähschulen ausübten, ist zu vermuten, dass sich verschiedene Konzepte von Weiblichkeit überlagerten, die miteinander konkurrierten. Karitativ engagierte adlige und bürgerliche Frauen wie Caroline von Wolzogen oder Amalie Batsch786, die sich für das Falksche Institut engagierten, forderten mit ihrem Einsatz indirekt die Deutungshoheit und Entscheidungskompetenz darüber, welcher Weiblichkeitsentwurf für die heranwachsenden Frauen angemessen sei. Obwohl der Ereignisraum Weimar-Jena Frauen ideale Voraussetzungen bot, ein selbstbestimmtes Leben zu führen,787 galt diese Maxime nicht für jene jungen Frauen, die eine Förderung erhielten. So unterstützte etwa 1814 Amalie Batsch, Ehefrau des Naturforschers Carl Batsch, zusammen mit Frau Martini die 11-jährige Sophia Friederika Carolona Weise788, deren Mutter Sophia Appolonia Weise als Magd im Schloss arbeitete. Obwohl Amalie Batsch selbst die sich ihr bietenden vielfältigen Handlungsspielräume in Weimar zu nutzen wusste, indem sie sich aktiv an den Forschungen ihres Ehemannes beteiligte, als Illustratorin in Bertuchs Landes-Industrie-Comptoir arbeitete bzw. als Gouvernante die 784 785

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Vgl. ebd., Bl. 344v. Holm, Christiane: Handarbeiten – Luxusarbeiten, in: Ananieva, Anna / Böck, Dorothea / Pompe, Hedwig (Hrsg.): Geselliges Vergnügen. Kulturelle Praktiken von Unterhaltung im langen 19. Jahrhundert. Bielefeld 2011, S. 71–89, hier S. 71. Vgl. Robin, Nicolas: Art. »Amalie Sophie Caroline Batsch, geb. Pfündel (1765–1852)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 53–55. Frindte: Handlungsspielräume, S. 307–313. Vgl. Taufregistereintrag für Sophia Friederika Christiana Weise, in: KA WE TR HK1803, fol. 272.

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Kinder Maria Pawlownas und Carl Friedrichs betreute, spendete sie Sophia Friederika Carolona Weise lediglich ein Spinnrad und Flachs, ohne an einer Förderung ihrer schulischen bzw. intellektuellen Entwicklung Interesse zu zeigen. Friederike Weiß standen damit keine unterschiedlichen Handlungsspielräume offen. Ihr wurde allein die Anstellung als Magd ermöglicht. Ohne die vorhandenen Möglichkeiten weiterer Handlungsspielräume für Sophia Friederika Carolona Weise, die sogar die Stadtschule bei Kantor Johann Christian Remde besuchte, zu überschätzen, verdeutlicht dieses Beispiel, dass Weiblichkeitsentwürfe in starkem Maße mit sozialen und ökonomischen Distinktionskriterien korrespondierten. Caroline von Wolzogen und Amalie Batsch schlossen mit der Vermittlung bestimmter weiblicher Handarbeitspraktiken junge Frauen nicht aus der sich wandelnden Gesellschaft aus, sondern befähigten sie, einen spezifischen, dienenden Platz einzunehmen, gleichsam spezialisierte Arbeiten als Näherin oder Flickerin in fremden Haushalten auszuüben.789 Sauberkeit, Arbeitsamkeit, Fleiß und Ordnung wurden dabei als notwendige und zu erlernende Werte angesehen. Aber die, wie in der Forschung immer wieder zu lesen,790 betonte Erziehung zu Passivität als charakteristische Entwicklung innerhalb der Erziehung bürgerlicher junger Frauen in der Mitte des 19. Jahrhunderts muss zurückgewiesen werden. Unmittelbar nach 1800 garantierte das Erlernen von Handarbeitstechniken die spätere Anstellung, weil ›weibliche Arbeiten‹ im Falkschen Institut durchaus den Charakter von Arbeit besaßen und nicht, wie später im Bürgertum weit verbreitet, »auf der Vorderbühne bürgerlicher Selbstdarstellung«791 zur Schau gestellt wurden. Die in den Unterrichtsstunden entstandenen Produkte dienten sowohl dem Eigenbedarf der jeweiligen Produzentin als auch dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes durch den Verkauf der Waren. Mit dieser Ausrichtung zielte der Handarbeitsunterricht im Institut nicht ausschließlich auf die seit der Reformation einsetzende Erziehung der Heranwachsenden zu Hausfrauen, die zur Häuslichkeit und Fleiß angeleitet wurden.792 In der Regel fertigten bürgerliche junge Frauen im häuslichen Lebensbereich 789 790 791

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Vgl. Lerche-Renn: Nadel, S. 27. Vgl. Schmid: »Weibliche Arbeiten«, S. 60f. Ebd., S. 63. Neuere Studien belegen, dass auch im mittleren und unteren Bürgertum Frauen nicht nur zum Zwecke der Repräsentation Handarbeiten anfertigten, sondern aus Sparsamkeit und finanzieller Knappheit gezwungen waren, mit Handarbeiten einen Teil des Familieneinkommens zu erwirtschaften. Vgl. Ehrmann-Köpke: Müßiggang, S. 376. Vgl. Lerche-Renn: Nadel, S. 20f.

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Handarbeiten an, die nicht für den Tausch oder Verkauf bestimmt waren, sondern ausschließlich den Eigenbedarf der Familie deckten.793 Weil sich die meisten Herkunftsfamilien jedoch in einer existentiellen Notlage befanden und häufig Elternteile verstorben waren, trugen diese jungen Frauen mit ihren Spinn-, Näh- und Strickarbeiten den größten Teil zum Familieneinkommen bei. Mitunter war ihr Beitrag die einzige Möglichkeit, den wirtschaftlichen Bankrott der Familie abzuwenden, denn »von einem Spinnfaden kann ein fleißiges Mädchen ein Haus erhalten, daß es nicht umfällt«794. Dem Landtag erklärte Falk, wie groß die Bedeutung des Spinnens für die Sicherung der Lebensgrundlage sei. »Zwey und dreißig Häuser sind bloß im vergangenen Jahr vom gerichtlichen Anschlage errettet worden.«795 Das von den heranwachsenden Frauen gesponnene Garn wurde im Institut gegen Nahrungsmittel eingetauscht. Nicht selten erhielten sie jeweils für die Arbeit eines halben Jahres im Herbst eineinhalb bis zwei Scheffel Korn,796 die die Weimarer Kammer dem Institut bewilligt hatte. In Folge der seit 1806 geltenden Kontinentalsperre veränderten sich die Absatzmöglichkeiten für Textilprodukte auf unterschiedliche Weise: Während etwa in Sachsen die Baumwollproduktion florierte, verlor Leinwand zunehmend an Bedeutung; der Überseehandel kam zum Erliegen und Importe von Garn aus England wurden verboten.797 Angesichts dieser schwierigen und unsicheren ökonomischen Situation garantierte Falk den jungen Frauen, das gesponnene Garn für den doppelten Lohn abzukaufen.798 »Die ärmsten Kinder haben Gelegenheit sich Strümpfe [und] Mäntel zur Confirmation, Hemden, Bibel, Katechißmen, Schulgeld, Intereßen einer Capitalschuld, alles auf doppeltem Spinnlohn zu verdienen und selbst zu verschaffen.«799 793 794 795

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Vgl. Greiner: Stricken, S. 18. Aufzeichnungen über Hannah Petri, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 112r. Promemoria Johannes Falks an die Landstände, Weimar 6. Februar 1817, in: ThHStAW Landtag Sachsen-Weimar-Eisenach 68, Bl. 305r.–307v., hier Bl. 305v. Vgl. auch das entsprechende Konzept in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 56r.–59v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks zu Friederike und Maria Barthel, Louise und Amalie Güntschel sowie Rosina Böhm, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 192r.– 192v. Vgl. Hahn / Berding: Reformen, S. 60f.; Töppel, Roman: Die Sachsen und Napoleon. Ein Stimmungsbild 1806–1813. Köln, Weimar und Wien 2008, S. 101f.; Gömmel, Rainer: Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800 (= EDG; 46). Oldenburg 1998, S. 35. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an das großherzogliche Almosenkollegium, Weimar, nach dem 24. Oktober 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 37r.–37v.; Bericht über Elisabeth Bürger, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 177v.

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Die Gesellschaft traf diese Absprachen keinesfalls nur mit jungen Frauen, sondern sicherte auf diese Weise auch den männlichen Zöglingen des Instituts den Ankauf von Hemden und Tuchen zu.800 Für die Zeit, in der die Unterstützung durch das Falksche Institut andauerte, garantierte der Absatz der hergestellten Waren eine (zeitlich befristete) Einnahmequelle. Auf Dauer konnten Heranwachsende allerdings ihren Lebensunterhalt allein als Spinnerin oder Schneiderin nur schwer bestreiten. Konnte eine solche junge Frau mit den erworbenen Kenntnissen in Dienste vermittelt werden, so bot dies ein vergleichsweise sicheres ökonomisches Auskommen, wenngleich weibliche Bedienstete mit einem Jahreseinkommen von weit unter 100 Talern um 1800 zur untersten Einkommensgruppe gehörten.801 Die Beherrschung von Handarbeiten bildete nicht nur eine wichtige Ausgangsbasis für die Eigenversorgung in der Heimproduktion oder die Aufnahme eines Dienstverhältnisses, sondern eröffnete Frauen auch die Möglichkeit, sich mit dem Handel von Textilprodukten zu ernähren.802 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gewann der Vertrieb durch Frauen an Bedeutung. Gleichzeitig war auch die Produktivität weiblicher Arbeitskräfte in der Textilindustrie Sachsen-Weimar-Eisenachs nicht zu unterschätzen.803 Die Existenz einer Nähschule führte nicht selten zu Konflikten zwischen dem Falkschen Institut und männlichen Herstellern ähnlicher Produkte, weil die jungen Frauen mit ihren Produkten die Löhne der männlichen Konkurrenz unterboten.804 In Stadtsulza, wo am 13. November 1816 eine Nähschule des Falkschen Instituts eröffnet worden war,805 beklagten sich bereits vor dem Ende des ersten Unterrichtsjahres die Schneider über eine starke Konkurrenz aus der Nähschule.806 Der Bür799

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Brief [Entwurf] Johannes Falks an Großherzog Carl August, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 332r.–334v., hier Bl. 332v. Vgl. Pro Memoria [Falk, 1824], in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 210r.–211v., hier Bl. 210r. Vgl. Eberhardt: Weimar, Anhang: gesellschaftliche Gliederung der Einwohnerschaft. Vgl. Brief [Kopie] Ernst Bernhard Saals an [?] Johannes Falk, Hardisleben 12. November 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 93r.–93v., hier Bl. 93r. Vgl. Kaiser: Strumpfwirkermeister, S. 272–275. Vgl. Schlüter: Spinnschule 298. Vgl. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 17. Dezember 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 260r.–261v., hier Bl. 260r. Im mittelalterlichen Köln waren Frauen als Konkurrentinnen aus der Schneiderzunft ausgeschlossen oder nur unter bestimmten Umständen geduldet. Vgl. Wensky: Frau, S. 49–53.

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germeister der Stadt, der seine Forderung mit Nachdruck vor den Landständen vertreten wollte, verlangte im Namen der Handwerker, dass die Unterrichtsinhalte der Schülerinnen beschränkt würden.807 Die jungen Frauen sollten fortan nur noch Westen, aber keine Kamisole, d. h. kurze Jacken mehr herstellen. Die Schneider sicherten sich mit einer aus dem Mittelalter bekannten angebotsseitigen Beschränkung ein wichtiges Monopol für das schmal geschnittene und den Rock im 19. Jahrhundert ablösende Kleidungsstück,808 das auch im Militär getragen wurde, und überließen die preisgünstigeren Westen ihrer weiblichen Konkurrenz.809 Der »eifrige[...] Fleiß der Rektorin Heiland«810 und die Geschicklichkeit der Schülerinnen bildeten die Voraussetzung für die Anfertigung hochwertiger Produkte, die dem Vergleich mit den Arbeiten ansässiger Schneider standhielten. »Ist das nicht das beste Lob für die Lehrerin«811, fragte der Stadtsulza Pfarrer Eisenach noch 1817. Die Herstellung oder Ausbesserung von Kleidungsstücken, die ein wesentlicher Bestandteil weiblicher Sozialisation ausmachte, überlagerte sich mit den Produktionsformen von Schneidern. Während Ulrike Kugel den wirtschaftlichen Aufstieg der Leipziger Schneiderinnen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Bedürfnis der weiblichen Kundschaft begründete, die hergestellten Produkte von Frauen maßgeschneidert zu bekommen,812 handelte es sich im Fall Stadtsulzas vielmehr um einen qualitativen Vorteil der weiblichen Waren: Junge Frauen kompensierten ihre Unerfahrenheit in diesen Tätigkeitsbereichen durch ihre besondere Sorgfalt und Sauberkeit im Umgang mit den Werkstoffen, also mit jenen Werten, die im Zuge der Erlernung weiblicher Handarbeiten außerdem vermittelt werden sollten und schließlich zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren männlichen Kollegen führten. Obwohl es nicht die Absicht Falks war, junge Frauen 807

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Vgl. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 11. Mai 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 265r. Zur Produktionsbeschränkung vgl. Wensky: Frau, S. 51. Vgl. Keller-Drescher, Lioba: Die Ordnung der Kleider. Ländliche Mode in Württemberg 1750–1850. Tübingen 2003, S. 212–217. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 11. Mai 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 265r. Ebd. Vgl. Kugel, Ulrike: Leipziger Näherinnen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Weibliche Erwerbsarbeit im Widerstreit mit der Schneiderinnung, in: Schötz, Susanne (Hrsg.): Frauenalltag in Leipzig. Weibliche Lebenszusammenhänge im 19. und 20. Jahrhundert (= Geschichte und Politik in Sachsen; 4). Weimar, Köln und Wien 1997, S. 79–100, hier S. 91.

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zu Schneiderinnen auszubilden – sollten diese doch lediglich für den eigenen Bedarf oder allenfalls in ihrer Funktion als Dienstmädchen Handarbeitstätigkeiten nachgehen –, erregte das Vorhandensein einer Nähschule den Unmut der ansässigen Schneider. Seit dem 18. Jahrhundert grenzten Schneider aufgrund einer sich verschlechternden Absatzsituation Frauen von der Mitarbeit in ihren Betrieben aus.813 Falk wollte junge Frauen in erster Linie auf ihre Arbeit in der Familie bzw. in einem familiären Umfeld vorbereiten. Die Schneider fürchteten die aus ihrer Sicht ernstzunehmende zusätzliche weibliche Konkurrenz. Begünstigt wurde diese Sorge durch die fehlende Positionierung der Gesellschaft der Freunde in der Not, welche Ziele sie mit den im Großherzogtum eingerichteten Nähschulen verfolgte. Der im Falkschen Institut und in den angegliederten Nähschulen angebotene Unterricht in Handarbeitstechniken glich den Praktiken der zeitgleich entstehenden Industrieschulen. Obwohl der Handarbeitsunterricht des Falkschen Instituts ebenso wie die Ausbildung in Industrieschulen »auf der der Industrie eher abgewandten Schattenseite des großen Transformationsprozesses zur Moderne«814 stand, ist dessen Reproduktion zweier für das 19. Jahrhundert charakteristischen Weiblichkeitsbilder nicht zu unterschätzen. Einerseits generierten solche Formen weiblicher Sozialisation das Ideal zukünftiger, über die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten zur Haushaltsführung verfügender bürgerliche Hausfrauen, Gattinnen und Mütter, die nicht nur Handarbeitstechniken praktisch beherrschten, sondern bürgerliche Werte des Fleißes und der Arbeitsamkeit internalisiert hatten. Andererseits eröffnete derselbe Handarbeitsunterricht für Heranwachsende niederer Stände vorindustrielle bzw. protoindustrielle »Berufs- und Erwerbsperspektiven«815, die zumeist in einem Dienstverhältnis bzw. im Verlauf des 19. Jahrhunderts in der Fabrik mün813 814

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Vgl. Eder: Gesindedienst, S. 50. Leschinsky, Achim: Industrieschulen, in: Zeitschrift für Pädagogik 24 (1978), S. 89–100. Mayer, Christine: »Indüstriebildung« als Erziehung zur Erwerbstätigkeit von Mädchen im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland. Eine Analyse theoretischer Konzeptionen und institutioneller Gestaltungsformen, in: Dickmann, Elisabeth / Friese, Marianne (Hrsg.): Arbeiterinnengeschichte im 19. Jahrhundert. Studien zum sozio-kulturellen Wandel und zum politischen Diskurs in den Frauenbewegungen in Deutschland, England, Italien und Österreich. Vorträge eines Workshops an der Universität Bremen 1993 (= Frauenforschung interdisziplinär – Historische Zugänge zu Biographie und Lebenswelt; 1). Münster und Hamburg 1994, S. 271–295, hier S. 286.

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deten. Dementsprechend erschöpften sich die Unterrichtspraktiken nicht in der Vermittlung von Handarbeitstechniken, sondern beinhalteten die Verinnerlichung von Werten und ›beruflichen‹ Kenntnissen.

4.2.2 Junge Frauen ›im Dienst‹: Mägde und Dienstmädchen Johannes Falk informierte in den Jahresberichten darüber, dass junge Frauen erfolgreich in Dienstverhältnisse vermittelt werden konnten.816 Ähnliche Praktiken sind aus dem Weimarer Waiseninstitut überliefert, aus dem entlassene Mädchen ebenfalls in »Dienste«817 traten. Im Unterschied zum Patriotischen Institut der Frauenvereine sahen die Grundsätze des Falkschen Instituts keine über Handarbeiten hinausgehenden hauswirtschaftlichen Unterrichtsgegenstände vor. Es ist zu vermuten, dass Tätigkeiten wie Waschen, Kochen und Bügeln erst nach der Vermittlung in eine Anstellung erlernt wurden.818 Mägde und Dienstmädchen gehörten zum festen Bestandteil des frühneuzeitlichen ›ganzen Hauses‹, die als weibliches Gesinde unter der Herrschaft der Hausmutter standen.819 Am Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich unterschiedliche Aufgabenbereiche ausdifferenziert, in denen Mägde tätig waren. In »großen und vornehmen Häusern«820 gingen Mägde den Frauen bei ihren täglichen Aufgaben im Haushalt zur Hand, indem sie sich zumeist mit dem Säubern des Hauses oder dem Waschen und Ausbessern der Kleidung beschäftigten. Andere, sogenannte ›Jungfer-Mägde‹, dienten ausschließlich den jüngeren Frauen eines Hauses.821 Für die Pflege der kleineren Kinder war die ›Kinder-Magd‹ bzw. – sofern sie selbst nicht mehr kinderlos oder ledig war – die Muhme verantwortlich.822 Ebenso subsumierte der Begriff ›Magd‹ weibliche Arbeiten, die nicht explizit innerhalb eines Haushalts verrichtet wurden. In Badehäusern, in denen ab dem 18. Jahrhundert restriktiver auf die Trennung der Geschlechter geachtet wurde, um der bis dahin weitverbreiteten Prostitution 816 817 818

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Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 7 (1824). Staatshandbuch 1830, S. 87. Vgl. die entsprechenden Praktiken in: Gesetzliche Bestimmungen für das patriotische Institut der Frauenvereine, S. 13–15. Vgl. Werkstetter, Christine: Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert. Berlin 2001, S. 38. Art. »Junge Magd«, in: Zedler Bd. 14, Sp. 1601. Vgl. Art. »Jungfer-Magd«, in: Zedler Bd. 14, Sp. 1612. Vgl. Art. »Kinder-Magd«, in: Zedler Bd. 15, Sp. 649.

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in Bädern vorzubeugen,823 trockneten sogenannte ›Bade-Mägde‹ die Badenden ab. Desgleichen konnte eine Gastwirtschaft nicht auf die Dienste einer ›Bier-‹ bzw. ›Keller-Magd‹ verzichten,824 die für den Ausschank und den Transport des Bieres verantwortlich war. Körperliche Arbeiten in der Landwirtschaft verrichteten hingegen ›Grase-Mägde‹, die mit einer Sichel das Gras schnitten und in Körben heimbrachten.825 Die verschiedenen weiblichen Arbeitsfelder orientierten sich an den unterschiedlichen Lebenswelten um 1800. Zudem stieg mit der zunehmenden Bedeutung bürgerlicher Haushalte die Nachfrage nach Personal, sodass die Aufnahme eines Dienstverhältnisses eine stabile berufliche Perspektive für junge Mädchen darstellte. In Weimar spiegelt sich die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Tätigkeiten und die anhaltend starke Nachfrage nach weiblichem Dienstpersonal etwa in der im März 1823 im Frauenverein geführten Diskussion um die Qualität des vom Frauenverein angebotenen Spinnunterrichts wider. In Abwesenheit der erkrankten Leiterin der Vereinsschule Caroline Ludecus wurde überlegt, »wie künftig der Unterricht im Feinspinnen in der Vereins-Schule gegeben werden könnte, ohne womöglich den Kosten-Aufwand zu vermehren«826. Die Mitglieder des Frauenvereins zogen in Erwägung, den Unterricht im Feinspinnen zu beaufsichtigen und gegebenenfalls selbst zu erteilen, wenn zur Kosteneinsparung die Lehrerin »an der Spinnschule entlassen«827 würde. Der Vorschlag fand unter den Mitgliedern keine Zustimmung, weil dadurch »die hier gewöhnliche Art zu Spinnen«828 nicht mehr in ausreichendem Maße angeboten würde. Vermutlich wiesen in erster Linie bürgerliche Frauen darauf hin, dass die meisten unterstützten Mädchen und jungen Frauen »als 823

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Vgl. Frey, Manuel: Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760–1860 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 119). Göttingen 1997, S. 186f.; Sorge, Wolfgang: Die Geschichte der Prostitution bis ins 19. Jahrhundert. Bremen 2011, S. 284; Dülmen: Haus, S. 193. Vgl. Art. »Bier-Magd oder Keller-Magd«, in: Zedler. Supplement S3, Sp. 1205; Habarta, Gerhard: Es war die Frau. Die Erfindungen der Technologie durch die Frauen. Seebenstein 2002, S. 101. Vgl. Art. »Grase-Magd«, in: Zedler. Bd. 11, Sp. 607. Vortrag Henriette von Fritschs, Weimar 14. März 1823, in: ThHStAW Bestand Patriotisches Institut der Frauenvereine 424. Zentralverein zu Weimar und die demselben gehörigen Lokalvereine Bd. 3 1823–1829, Bl. 7r.–8v., hier Bl. 7r. Ebd., Bl. 8r. Ebd.

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Haus-Mägde oder Kindermädchen unterzukommen« strebten, weshalb das grobe Spinnen »für den Bedarf eines bürgerlichen Haußwesens«829 ebenso wichtig sei wie das Feinspinnen für das Dienstverhältnis in einem adligen Haus. Ab dem 19. Jahrhundert wurden von bürgerlichen Haushalten Dienstmädchen in stärkerem Maße nachgefragt, um Frauen aus dem Bürgertum nicht nur beim Stricken oder Ausbessern der Kleidung, sondern auch bei der zum Teil körperlich anstrengenden und schmutzigen Hausarbeit zu entlasten.830 Gleichzeitig war die Mehrzahl auf dem Lande bzw. im städtischen Handwerk angesiedelt, wo Mägde Aufgaben wahrnahmen, die über Tätigkeiten innerhalb des Hauses hinausgingen, indem sie etwa landwirtschaftliche Arbeiten oder Transport- und Botendienste ausübten. Ganz ähnlich ist im Falkschen Institut die Tendenz zu beobachten, dass junge Frauen in adlige und bürgerliche Dienstverhältnisse vermittelt wurden, wo sie unterschiedliche Tätigkeiten ausübten. Welche Aufgaben sie konkret übernahmen, richtete sich nach der körperlichen Konstitution der Heranwachsenden. Eine junge Frau musste »groß und stark« sein, wenn sie das »Vieh«831 ziehen wollte. Frauen versorgten nicht nur das Federvieh, sondern auch Ziegen, Schafe oder Schweine. Nicht selten trieben Mägde Rinder zur Tränke,832 wo sie in den Wintermonaten das Eis freihackten oder – wenn keine Tränke vorhanden war – das Wasser von der nächsten Wasserstelle mit schweren Eimern zur Herde trugen. Umgekehrt verlangten deshalb die aufnehmenden Herrschaften, unversehrte und gesunde Mägde zu erhalten. So konnte die 18-jährige Anna Maria Matthäi aus Wickerstedt »zu keiner Herrschaft in Dienste ziehen«833, da sie in jungen Jahren Kinder getragen hatte, wovon sie langfristig körperliche Schäden davon getragen hatte. Dienstmädchen arbeiteten nicht nur als bezahlte Kräfte auf der ländlichen Wirtschaft oder im bürgerlichen Haushalt. Vielmehr gehörten sie zur Familie, mit der sie eng zusammenlebten.834 Sie beteiligten sich an der Kindererziehung und nahmen an Festen der Familie teil. In ihren unter829 830

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Ebd. Schildt, Gerhard: Frauenarbeit im 19. Jahrhundert (= Frauen in Geschichte und Gesellschaft; 27). Pfaffenweiler 1993, S. 40. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Elias Gernhard und dessen Familie, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 146r. Vgl. Schildt: Frauenarbeit, S. 58f. Aufzeichnungen Johannes Falks über Anna Maria Matthäi, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 76v. Vgl. Maurer: Dienstmädchen, S. 164–168.

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schiedlichen Aufgabenbereichen kamen sie weit öfter als ihre männlichen Kollegen mit Familienmitgliedern, Verwandten, Freunden oder Nachbarn des Hauses in Kontakt, sodass bei der Auswahl auf ein gepflegtes und attraktives Äußeres geachtet wurde. Aus diesem Grund stellten Dienstherren ungern ein »äußerlich abstoßendes Mädchen«835 ein. Johannes Falk achtete bei der Vermittlung von jungen Frauen in ein Dienstverhältnis auf den Zusammenhang von körperlicher Verfassung und Schwere der jeweiligen Arbeiten. In den Herkunftsfamilien war dies nicht immer der Fall gewesen. Wenn Söhne die Familie – etwa aufgrund ihres Militärdienstes – verlassen hatten oder verstorben waren, übernahmen Töchter, oft »kleine Mädchen« wie die junge Katharina Stiebnitz, »welche die größten Körbe puckelt«836, anstrengende Arbeiten, obwohl sie diesen körperlich nicht gewachsen waren. Wieder andere zogen sich bei den Arbeiten Verletzungen zu, wenn sie etwa »Disteln auf dem Felde« suchten, »womit sie die Gänse fütterten; so daß sie sich die Hände oft über und über blutig«837 ritzten. Die Mitglieder des Weimarer Frauenvereins beobachteten »auf dem Lande« die Tendenz, dass »dergleichen Supjecte rahr werden, indem sonst ein jedes junges Landmädchen sich zum Dienst der Stadt drängt, um auf dem Lande die schwere Arbeit zu vermeiden« 838. Die vermeintliche Aussicht auf körperlich leichtere Tätigkeiten in städtischen Haushalten führte zu einer Landflucht des weiblichen Dienstpersonals. Innerhalb der Akten des Falkschen Instituts stand hingegen weniger die von den Zeitgenossen Falks beobachtete Landflucht im Mittelpunkt. Neben den körperlichen Voraussetzungen galt es, die moralische Entwicklung der jungen Frauen zu berücksichtigen, wenn sie in einem Dienstverhältnis aufgenommen werden sollten. Die ›innere Neigung‹ galt für junge Frauen nicht in gleichem Maße als Voraussetzung, wenn sie in ihrem zukünftigen Leben in ein Dienstverhältnis treten wollten. Im Gegenteil galt diese ›Berufung‹ nicht als Garant einer erfolgreichen Integration in die bürgerliche Gesellschaft, sondern als Ausdruck moralischer Defizite, die mit fehlenden intellektuellen Fähigkeiten einhergingen. Falk 835

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Verpflichtung [Kopie] Wilhelmine Rosenfeld und Carl Friedrich Rosenfeld, Daasdorf 23. März 1834, in: ThHStAW 4762a, Bl. 22r.–22v., hier Bl. 22v. Aufzeichnungen Johannes Falks über Katharina Stiebnitz, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 353r. Aufzeichnungen Johannes Falks über die Geschwister Johann Georg Brückners, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 47v.–60r., hier Bl. 56r. Verpflichtung [Kopie] Wilhelmine Rosenfeld und Carl Friedrich Rosenfeld, Daasdorf 23. März 1834, in: ThHStAW 4762a, Bl. 22r.–22v., hier Bl. 22r.

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notierte, dass die »einzig Lust« der um 1806 geborenen Caroline Straßburg »das Grasen, der Stall und das Vieh«839 gewesen seien, ohne bis dahin schulische Fortschritte erzielt zu haben. Zwar wandelte sich um 1800 die Vorstellung, dass moralische Defizite des Gesindes auf einer angeborenen »teuflischen Besessenheit« basierten, aber das Symptom blieb Kennzeichen einer »gesamtgesellschaftlichen ›corruption ge´ne´rale‹«840, der Falk entgegenwirkte, indem er die jungen Frauen in vorbildhafte Haushalte vermittelte und unterrichten ließ. Im Alter von etwa 16 Jahren vermittelte er die ab 1821 vom Falkschen Institut unterstützte Caroline Straßburg deswegen »zu einer tüchtigen Bauernwirthschaft auf’s Land«841. Im Gegensatz zur Anstaltserziehung bot sich dort den Heranwachsenden in den Familien die Gelegenheit, die vielfältigen Aufgaben einer späteren dienenden Beschäftigung zu erlernen.842 In den bäuerlichen Hausgemeinschaften des frühen 19. Jahrhunderts übernahmen Mägde unterschiedliche Aufgaben. Den Bäuerinnen gingen sie bei der Verarbeitung des Flachs zu Garn, beim Buttern – einer je nach Witterung anstrengenden und bis zu einer Stunde dauernden Arbeit – oder der Käseherstellung zur Hand. Eigenverantwortlich waren Mägde hauptsächlich mit der Versorgung des Viehs beschäftigt oder sie unterstützten die Erntearbeiten.843 Caroline Straßburg, Tochter des in erbgroßherzoglichen Diensten stehenden Reitknechts Johann Christian Straßburg und dessen 1809 verstorbener Frau Rosina,844 waren die Aufgaben einer Magd nicht fremd. Sommer wie Winter versäumte Caroline Straßburg in der Mädchenschule Unterrichtsstunden, weil sie bei der Ernte bzw. im Haushalt half.845 Die von 839

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Pro Memoria Johannes Falks an das Großherzogliche Stadtgericht Weimar, Weimar 27. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 306r.–306v., hier Bl. 306r. Münch, Paul: Tiere, Teufel oder Menschen? Zur gesellschaftlichen Einschätzung der »dienenden Klassen« während der Frühen Neuzeit, in: Frühsorge, Gotthardt / Gruenter, Rainer / Wolff Metternich, Beatrix Freifrau (Hrsg.): Gesinde im 18. Jahrhundert (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 12). Hamburg 1995, S. 83–107, hier S. 106. Pro Memoria Johannes Falks an das Großherzogliche Stadtgericht Weimar, Weimar 27. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 306r.–306v., hier Bl. 306r. Vgl. Türk, Wilhelm von: Über die Vorsorge für Waisen, Arme und Nothleidende. Berlin 1839, S. 18. Vgl. Schildt: Frauenarbeit, S. 56–59. Vgl. Sterberegistereintrag für Rosina Straßburg, in: KA WE SR SK 1809, fol 139r., Nr. 1. Vgl. Brief Johann Christian Rempts an [?] Johannes Falk, Weimar 18. April 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 305r.–305v.; Brief Straßburg [Stiefmutter] an Johann Georg Rettner, Weimar 24. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 310r.

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Falk an Caroline Straßburg wahrgenommene »Lust« zur Feld- oder Stallarbeit stand in Diskrepanz zu ihren bis zum 16. Lebensjahr unzureichend entwickelten intellektuellen Fähigkeiten. Obwohl sie seit ihrem achten oder neunten Lebensjahr die Weimarer Mädchenschule besucht hatte, konnte Caroline Straßburg »kaum buchstabiren, geschweige lesen«846. Straßburg gehörte zu jenen Schülerinnen, die trotz der 1817 eingeführten Schulpflicht847 für Mädchen bis zum 13. Lebensjahr nur unregelmäßig, allenfalls in den arbeitsarmen Wintermonaten, am Unterricht teilnahmen. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg die Quote der tatsächlichen Schulbesuche merklich an,848 sodass Caroline Straßburg zu ihrer Zeit weder Lesen und Schreiben lernte, noch sich bürgerliche Werte oder christliche Gebote aneignen konnte. Unrechtmäßig entwendete die junge Frau Gemüse von Äckern auf dem Faulrasen in der Nähe des Schwansees.849 Ihr kriminelles Verhalten sah Falk in direktem Zusammenhang mit ihren Hilfsarbeiten auf dem Feld. Dabei kam sie mit anderen Frauen in Kontakt, die ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau und Verkauf von Obst und Gemüse verdienten, weshalb Caroline Straßburg anstatt die Schule zu besuchen, »halbe Tage lang« in einer »Obstbude«850 zubrachte, wo sie womöglich hoffte, ihr Diebesgut verkaufen zu können. Falks Prognose für die Heranwachsende sah düster aus: »Wir wollen keine Mühe und keine Seife sparen, um diesen Mohren weiß zu waschen. Zweiflen aber, daß etwas mehr, als höchstens ein Mulatte heraus kommen wird.«851 Johannes Falk beabsichtigte, die Heranwachsende auf zwei verschiedenen Wegen in die Gesellschaft zu integrieren. Einerseits sollte Caroline Straßburg regelmäßig den Unterricht besuchen und versäumte Schulkenntnisse nachholen. Andererseits sollte sie weiterhin den ihr bereits bekannten Tätigkeiten in der Ernte auf dem Feld oder bei der Tierhaltung im Stall nachgehen. Um sie den Einflüssen des residenzstädtischen Alltags zu entziehen, sah Falk jedoch die Unterbringung Straßburgs auf dem Lande außerhalb von Weimar vor. Auf diese Weise würde Straßburg nicht 846

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Pro Memoria Johannes Falks an das Großherzogliche Stadtgericht Weimar, Weimar 27. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 306r.–306v., hier Bl. 306r. Vgl. Henning: Weimar, S. 331. Vgl. Herrlitz, Hans-Georg u. a.: Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart. Eine Einführung. Weinheim und München 2005, S. 49f. Vgl. Hänse, Günther: Die Flurnamen im Weimarer Land. Herkunft, Bedeutung und siedlungsgeschichtlicher Wert. Gehren 2001, S. 64. Pro Memoria Johannes Falks an das Großherzogliche Stadtgericht Weimar, Weimar 27. Juli 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 306r.–306v., hier Bl. 306v. Ebd.

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nur aus dem elterlichen Haushalt genommen, wo es zwischen ihr, dem Vater und der Stiefmutter zu Auseinandersetzungen gekommen war, weil die Eltern die Tochter nach eigener Aussage angeblich zum Schulbesuch anhielten und sie die Heranwachsende für eine »liederliche Dirne«852 hielten. Zudem würde Caroline Straßburg nicht mehr in Kontakt mit dem Weimarer Markttreiben kommen, sondern im Idealfall abgeschieden ihren Aufgaben auf dem Feld oder im Stall nachgehen, wo sie unter der Aufsicht einer älteren Hausfrau stünde. Die Unterbringung auf dem Lande führte jedoch nicht zwangsläufig zu einer erfolgreichen Ausbildung künftiger Mägde und Dienstmädchen. Nur eine überschaubare Größe der Wirtschaft konnte gewährleisten, dass die Heranwachsenden unter der ständigen Aufsicht einer Hausfrau standen. Die jungen Frauen sollten keinesfalls auf »größere Güther« geschickt werden, weil sie »daselbst unter eine Masse und Classe von Menschen kommen, wo Moralität, nicht die Oberhand hat« 853. Der Kontakt mit anderem Gesinde – so etwa die Meinung der Mitglieder des Frauenvereins – gefährde »ein unschuldiges Geschöpf« und führe es »sehr leicht auf Abwege«, was »eine Hausfrau, bey dem besten Willen und größter Strenge nicht verhindern kann«854. Was genau sich hinter den Beschreibungen eines unmoralischen Lebenswandels, der Faulheit oder Verdorbenheit des Mitgesindes verbarg, unter dessen Einfluss eine heranwachsende Frau geraten konnte, ist in den Quellen nicht näher erläutert. Solche und ähnliche Klagen zählten zur weit verbreiteten Vorstellung, die Dienstherrschaften über das Gesinde hatten. Letztlich sind solche Äußerungen weniger als Beschreibung einer realen Wirklichkeit zu interpretieren, sondern als ein Reflex auf das vielschichtige Wechselverhältnis zwischen Gesinde und Dienstherrschaft zu verstehen. So konnte es durchaus vorkommen, dass Knechte und Mägde auf geringe Löhne mit Arbeitsverweigerung reagierten, was aber nicht heißt, dass per se von einer unwilligen Gruppe des Gesindes um 1800 ausgegangen werden kann.855 Im Idealfall wurde eine Magd allein der Bäuerin auf einer Wirtschaft zugeordnet, damit die Heranwachsende nicht nur »von allen Andern abgezogen« und die »zur Landwirthschaft gehörenden Handgriffe« 856 852

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Brief Frau Straßburg [Stiefmutter] an Johann 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 310r. Verpflichtung [Kopie] Wilhelmine Rosenfeld Daasdorf 23. März 1834, in: ThHStAW 4762a, Ebd., Bl. 22v. Vgl. Schröder: Gesinderecht, S. 127–134. Verpflichtung [Kopie] Wilhelmine Rosenfeld Daasdorf 23. März 1834, in: ThHStAW 4762a,

Georg Rettner, Weimar 24. Juli und Carl Friedrich Rosenfeld, Bl. 22r.–22v., hier Bl. 22r.

und Carl Friedrich Rosenfeld, Bl. 22r.–22v., hier Bl. 22v.

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im Sinne praktischer Fähigkeiten erlerne. Vielmehr sollte die junge Frau eine für die Herrschaft einseitig vorteilhafte Arbeitseinstellung verinnerlichen, wohingegen sie vermutlich von älteren Frauen aus dem Gesinde über ihre Rechte informiert worden wäre.857 Das folgende Beispiel Juliana Bauers verdeutlicht, dass die Vermittlung in ein Dienstverhältnis keine Option ausschließlich unterer sozialer Schichten darstellte, sondern auch für Töchter höherer Schichten in Erwägung gezogen wurde. Juliana Bauer, die 1808 in dem im westlichen Teil des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach gelegenen Oechsen geboren wurde, zählte zu den Pensionären der Anstalt. 1817 wandten sich, nach dem Tod des Vaters, ihre Stiefmutter Johanne Bauer und der Weilarer Pfarrer Grobe an Falk, damit das Kind ein »Plätzchen finden könnte, wo es Erziehung und Bildung erhielt«858. Dem Wunsch entsprach Falk, indem die Tochter eines Pfarrers nicht nur in den ›weiblichen Arbeiten‹ unterwiesen, sondern ebenso in der Weimarer Mädchenschule unterrichtet wurde. 859 Falk knüpfte an die frühere Schulausbildung an, die dem Mädchen von einer Eisenacher Spenderin finanziert wurde.860 Für die Unterstützung durch das Falksche Institut hatten die Vormünder jährlich 25 Taler zu entrichten, die sie aus einer der Heranwachsenden schon früher zugefallenen Erbschaft zu finanzieren beabsichtigten.861 Obwohl Juliana Bauer seit Ostern 1817 eine Unterstützung durch das Falksche Institut erhielt, blieben die zuvor zugesicherten Pensionsgelder aus bzw. kam es zu Unregelmäßigkeiten bei der Zahlung, weshalb Johannes Falk mit Carl Julius Emil Appelius, dem Vormund der jungen Frau, in Streit geriet.862 Aus diesem Anlass erörterten beide die weitere Förderung der inzwischen 16-jährigen Heranwachsenden. Der Vormund hatte in Erwägung gezogen, Juliana Bauer zeitnah in Dienste zu bringen. Die Entscheidung dafür war in erster Linie durch finanzielle Überlegungen motiviert, weil 857 858

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Vgl. Schröder: Gesinderecht, S. 99–124. Brief von Salomo Grobe an Johannes Falk, Weilar 28. Januar 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 27r.–27v., hier, Bl. 27v. Vgl. Zeugnis für Juliana Bauer, ausgestellt von Johann Christian Rempt, Weimar 23. Februar 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 21r. Vgl. Brief von Charlotte Hauß, Eisenach 30. Mai 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 13r. Vgl. Brief von Salomo Grobe an Johannes Falk, Weilar 12. April 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 3r.–3v. Vgl. Brief Carl Wilhelm Christian Mays an Johannes Falk, Eisenach 13. Oktober 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 32r.–33r.

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Appelius, der für die Jahre 1822 und 1823 nur jeweils 12 Taler an das Institut ausgezahlt hatte, entgegen der Prognose der Stiefmutter und des Pfarrers Grobe nicht in der Lage war, mit dem Erbzins die Pensionsgelder zu bestreiten. Appelius’ Vorschlag war keineswegs ungewöhnlich. Mit Blick auf die soziale Herkunft ist festzuhalten, dass sich schon in der Frühen Neuzeit nicht nur Kinder unterer sozialer Schichten verdingten, sondern beispielsweise Pfarrer, Gewerbetreibende und Ratsherren ihre Töchter in Dienste schickten, sodass der weibliche Gesindedienst kein »Unterschichtenphänomen«863 darstellte. Auch das Eintrittsalter in das Dienstverhältnis war keineswegs unüblich. Etwa ein Drittel der Mädchen begaben sich ab dem 10. Lebensjahr in ein Dienstverhältnis. Einige junge Frauen verdingten sich erst am Ende ihres zweiten Lebensjahrzehnts.864 Trotzdem warnte Johannes Falk den Vormund eindringlich, Juliana Bauer in Dienste zu geben, da ihr schwächlicher Körperbau noch nicht den Anforderungen an die weibliche Arbeitskraft genüge.865 Welche Vorstellungen die Stiefmutter Johanne Bauer und der Pfarrer Grobe für das zukünftige Leben und die Tätigkeit der 16-Jährigen hatten, lässt sich nur mutmaßen. Möglicherweise schwebte den beiden für Juliana Bauer ein Leben als Pfarrfrau vor, die im 19. Jahrhundert aktiv das Gemeindeleben mitgestaltete und die Arbeit ihres Ehemannes unterstützte.866 Die Pfarrfrau übernahm nicht nur ihre hausmütterlichen Pflichten wie die Erziehung oder das wirtschaftliche Haushalten, sondern wurde adäquat zur Funktion ihres Mannes als vorbildhafte Mutter der Gemeinde wahrgenommen.867 Eine vorübergehende – und im Fall Juliana Bauers auf Aufgaben innerhalb des Haushalts beschränkte – Dienstzeit konnte durchaus von Vorteil sein, indem ältere Frauen das grundlegende Wissen über die Zubereitung, Lagerung und Konservierung von Lebensmitteln tradierten.868 »Wer in der alteuropäischen Gesellschaft etwas lernen will, 863

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Dürr, Renate: Mägde in der Stadt. Das Beispiel Schwäbisch Hall in der Frühen Neuzeit (= Geschichte und Geschlechter; 13). Frankfurt am Main und New York 1995, S. 154. Vgl. ebd., S. 160–162; Mitterauer: Arbeitsteilung, S. 315. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Carl Julius Emil Appelius, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 66, Bd. 6, Bl. 34r.–36r. Vgl. Pichler, Dietlind: Bürgertum und Protestantismus. Die Geschichte der Familie Ludwig in Wien und Oberösterreich. 1860–1900 (= Bürgertum in der Habsburgermonarchie; 10). Wien, Köln und Weimar 2003, S. 233; SchornSchütte: Gefährtin, S. 145. Vgl. Schorn-Schütte: Gefährtin: Gefährtin, S. 112. Vgl. Wikander: Magd, S. 29; Dürr, Renate: Von der Ausbildung zur Bildung.

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tut dies primär dadurch, daß er in Dienst geht«869, konstatierte Michael Mitterauer. Für heranwachsende Frauen stellte die Dienstzeit ebenfalls eine Phase des Lernens dar. Gleichzeitig ist nicht von der Hand zu weisen, dass Bauer als Pensionärin – trotz der anfänglichen Zahlungsrückstände, die Appelius 1824 ausglich – für das Institut eine wichtige finanzielle Einnahmequelle darstellte, weshalb sich Falk gegen eine frühzeitige Entlassung aus dem Institut aussprach.870 Falk nutzte die Möglichkeit, Mädchen und heranwachsende Frauen ohne finanziellen Rückhalt rasch in Dienstverhältnissen unterzubringen, um einerseits Kosten der Unterbringung zu sparen, andererseits überhaupt eine Form der Unterstützung und fortgesetzten Erziehung für die Heranwachsendenden zu ermöglichen. Ähnlich verfuhr der Frauenverein, der Mägde gegen »billigen Lohn«871 in der Landwirtschaft oder auf Kammergütern unterbrachte, sie aber weiterhin beaufsichtigte. Heranwachsende verdingten sich als Gänsemägde, um ihren Herkunftsfamilien nicht als »zusätzliche[...] Esser«872 zur Last zu fallen. Viele junge Frauen dienten bereits, bevor sie im Falkschen Institut aufgenommen wurden, indem sie den »Grasekorb« getragen oder Heu »gestoppelt«873 haben. Bis 1800 verlor der Gesindedienst »den Charakter einer altersspezifischen Übergangsphase im Lebenszyklus«874, sodass immer ältere Mägde immer länger dienten, wenn sie nicht zuvor geehelicht wurden.875 Mit diesen Tätigkeiten sicherten sich die heranwachsenden Frauen ihren Lebensunterhalt, wie etwa die 10-jährige und in einem nahe Jena gelegenen Dorf geborene Caroline Helene Ziegler, Tochter eines 1814 von den Kosaken erstochenen Schäfers.876 Nach dem Tod des Vaters – die

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Erziehung zur Ehefrau und Hausmutter in der Frühen Neuzeit, in: Kleinau, Elke / Opitz, Claudia (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1. Vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Frankfurt am Main und New York, S. 189–206, hier S. 197–199; Mitterauer: Arbeitsteilung, S. 331. Mitterauer: Gesindedienst, S. 201. Vgl. Brief von Carl Julius Emil Appelius an Johannes Falk, Eisenach 19. Februar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 41r.–41v. Schreiben Großherzog Carl Friedrichs an die großherzogliche Kammer, Weimar 11. Februar 1834, in: ThHStAW B 4762a, Bl. 1r.–3r., hier Bl. 1v. Schröder, Rainer: Das Gesinde war immer frech und unverschämt. Gesinde und Gesinderecht vornehmlich im 18. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1992, S. 59. Aufzeichnungen Johannes Falk über Hanna Dorothea Maria Werner, Heichelheim o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 328v. Eder: Gesindedienst, S. 44. Vgl. Maurer: Dienstmädchen, S. 179.

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Mutter war schon zuvor verstorben – verdingte sich das Hirtenmädchen, das vom Vater nie zum Schulbesuch angehalten wurde, in mehreren Haushalten, wo sie nicht nur Gänse hütete, sondern auch Kinder versorgte. Der Umpferstedter Pfarrer vermittelte die junge Ziegler an Falk, nachdem ihr geraten worden war: »Geh nur nach Weimar, da nehmen sie solche Mädchen auf.«877 Nicht nur in den großen Messe- und Handelsstädten blieb die Nachfrage nach Dienstpersonal konstant, weshalb es vereinzelt junge Frauen aus Weimar in größere Städte wie Leipzig zog,878 um dort eine Anstellung zu finden. Als Residenzstadt zählte Weimar auch zu jenen Orten, an denen im Gegensatz zu vielen ländlichen Gebieten um 1800 die Nachfrage nach weiblichem Dienstpersonal weiterhin hoch blieb. Gerade bürgerliche Haushalte verpflichteten aber nur noch so viel Personal, wie sinnvoll beschäftigt werden konnte.879 Gleichzeitig stellten Herrschaften in Städten ab 1800 verstärkt Gesinde vom Lande ein, weil sich jene Dienstmädchen im Gegensatz zu ihren aus den Städten stammenden Kolleginnen durch Ehrlichkeit, Fleiß, Treue und fehlende Putzsucht auszeichneten.880 Die Zahl der Dienstboten überragte in Weimar im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die Zahl der Gesellen und Lehrlinge; Mitte des Jahrhunderts gehörte ein Viertel aller in Weimar Beschäftigten zu dieser Gruppe.881 Weil zudem für Männer die Aussicht auf eine selbstständige Arbeit oder die Ausübung eines städtischen Gewerbes lukrativer erschien,882 kam es zu einer allmählichen »Feminisierung«883 des Dienstpersonals. Weibliches Gesinde arbeitete nicht nur besonders häufig in Haushalten höherer Beamter, wo ihre Aufgaben ein »weites Spektrum von Arbeiten«884 in der Hauswirtschaft oder der Kinderfürsorge abdeckten. Auch 876

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Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Caroline Helene Ziegler, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 319v.–320r. Ebd., Bl. 320r. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Elisabeth Albert, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 254v. Vgl. Maurer: Dienstmädchen, S. 180. Vgl. Müller: Geister, S. 33. Vgl. Kocka, Jürgen: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert (= Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts; 2). Bonn 1990, S. 120. Vgl. ebd., S. 165. Ebd., S. 122; Budde: Dienstmädchen, S. 153. Eder: Gesindedienst, S. 46.

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Bedienstete des Hofes, von denen etwa ein Drittel ihrerseits Gesinde im Haushalt aufnahmen, beschäftigten fast ausnahmslos Frauen.885 Das Hirtenmädchen Caroline Helene Ziegler wurde bei Henrietta Dorothea Eleonora Mangner, der Frau des großherzoglichen Hofkutschers Johann Michael Mangner, untergebracht, wo sie allem Anschein nach im Haushalt mit ihr bisher unbekannten Arbeiten betraut wurde. Erste Kenntnisse in Nadelarbeiten hatte das Mädchen zwar selbst erworben, aber mit den vielfältigen Aufgaben innerhalb des Hauses war sie offensichtlich überfordert. Während die Herrschaft ihr Verhalten als Trägheit bewertete, hoffte Caroline Helene Ziegler, wieder auf dem Feld oder bei der ihr vertrauten Tierhaltung eingesetzt zu werden.886 Das Beispiel der Heranwachsenden verdeutlicht, dass auf dem Lande bzw. in Städten unterschiedliche Anforderungen an Dienstmädchen gestellt wurden. Mitunter gestaltete sich ein flexibler Einsatz schwierig, wenn Heranwachsende seit dem Kindesalter an spezifische Aufgaben gewöhnt waren, die im neuen Umfeld fehlten. Neben der moralischen Entwicklung gewann die fachliche Qualifizierung einer jungen Frau zunehmend an Bedeutung. So war es etwa für Botendienste unerlässlich, dass die jungen Frauen Adressen lesen konnten, um Briefe richtig zuzustellen. Die Auswertung städtischer Gesindetaxen ergab, dass unterschiedliche Qualifikationsmerkmale – wie etwa die Fähigkeit zu feineren Handarbeiten – zu unterschiedlichen Entgelten führten.887 Caroline Helene Ziegler entsprach mit ihren Kenntnissen nur bedingt den Anforderungen an städtisches Gesinde. Trotz ihrer vorbildhaften Einstellung, aus dem Dienstverhältnis »nicht fortlaufen«888 zu wollen, qualifizierte sie sich durch ihr fehlendes praktisches und fachliches Wissen nicht für die Tätigkeit in einem residenzstädtischen Haushalt. Johannes Falks Sorge hinsichtlich der moralischen Entwicklung von Mägden einerseits und deren zweckdienlicher Ausbildung andererseits teilten ebenfalls die Mitglieder des Weimarer Frauenvereins, wo die Diskussion darüber in den Jahrzehnten nach Falks Tod fortgesetzt wurde. Den Ausgangspunkt für die Debatte bildete eine – in Folge der anhalten885

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Die für die fürsterzbischöfliche Residenzstadt Salzburg erhobenen Zahlen von 1794 dürften sich in der Tendenz kaum von Weimar unterscheiden. Vgl. Eder: Gesindedienst, S. 63. Aufzeichnungen Johannes Falks über Caroline Helene Ziegler, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 319v.–320r., hier Bl. 320r. Vgl. Mayer: »Indüstriebildung«, S. 288. Aufzeichnungen Johannes Falks über Caroline Helene Ziegler, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 319v.–320r., hier Bl. 320r.

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den Nachfrage durch bürgerliche Haushalte entstehende – spürbare Verknappung an weiblichem Personal.889 In der Residenzstadt Weimar herrschte, so Großherzog Carl Friedrich 1834, ein »nachtheiliger Mangel an thüchtigen Haus- und Viehmädchen«, weshalb Weimarer Handwerker und Bürger mit empfindlichen »Schäden in Folge ungeschickter Behandlung des Viehes durch Viehmägde, welche die Wartung der Thiere nicht verstehen«890, zu rechnen hätten. Zur Abhilfe formulierten die Mitglieder des Frauenvereins um die Großherzogin Maria Pawlowna einen Ausbildungsweg für zukünftige Dienstmädchen, die eine zweijährige, jeweils Ostern beginnende Lehrzeit antraten, um anschließend »so weit vorgerückt« in »selbstständigen Dienste«891 zu treten, wofür sie »im zweyten Lehrjahre, neben der freyen Kost, einen kleinen Lohn«892 erhielten. Außerdem setzte der Frauenverein ein gewisses Interesse für die Arbeiten als Vieh- und Hausmagd bei den aus der Weimarer Industrieschule rekrutierten potentiellen Anwärterinnen voraus.893 Abgesehen von den Professionalisierungstendenzen, die in ähnlicher Weise bei Köchinnen und Näherinnen zu beobachten waren,894 blieb weiterhin die moralische Entwicklung des künftigen weiblichen Personals von besonderem Interesse, weshalb der Ausbildungsgang die Heranwachsenden zum obligatorischen Gottesdienstbesuch oder Katechismusübungen ebenso verpflichtete wie die »Haußfrauen«895 das sittliche Verhalten der Mägde beaufsichtigen sollten. Die moralische Entwicklung und die fachliche Qualifizierung bildeten die zwei wichtigsten Gesichtspunkte bei der Sozialisation junger Frauen, 889

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Zur konstanten Nachfrage von Dienstpersonal durch bürgerliche Haushalte im 19. Jahrhundert vgl. Möller, Frank: Bürgerliche Herrschaft in Augsburg 1790–1880 (= Stadt und Bürgertum; 9). München 1998, S. 55f.; Maurer: Dienstmädchen, S. 184f. Großherzog Carl Friedrich und Großherzogin Maria Pawlowna an die großherzogliche Kammer, Weimar 11. Februar 1834, in: ThHStAW B 4762a, 1r.–3r., hier Bl. 1r. Bericht Henriette von Fritschs an die großherzogliche Kammer, Weimar 11. April 1836, in: ThHStAW B 4762a, Bl. 32r.–32v., hier Bl. 32r. Bericht Henriette von Fritschs an die großherzogliche Kammer, Weimar 15. März 1834, in: ThHStAW B 4762a, Bl. 13r.–14r., hier Bl. 13v. Großherzog Carl Friedrich und Großherzogin Maria Pawlowna an die Weimarer Kammer, Weimar 11. Februar 1834, in: ThHStAW B 4762a, 1r.–3r., hier Bl. 1v. Wunder: Arbeiten, Wirtschaften, Haushalten, S. 199. Bericht Henriette von Fritschs an die großherzogliche Kammer, Weimar 15. März 1834, in: ThHStAW B 4762a, Bl. 13r.–14r., hier Bl. 13r.

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die in Dienste gebracht wurden. Einerseits bot eine solche Anstellung die Möglichkeit einer dauerhaften Unterbringung junger Frauen, die zumeist in ihrer Kindheit erste Erfahrungen mit ihren zukünftigen Aufgaben als Magd gesammelt hatten. Andererseits stellte das Dienstverhältnis kein Unterschichtenphänomen dar, sondern wurde von bürgerlichen Töchtern als Übergangszeit genutzt, um den elterlichen Haushalt finanziell zu entlasten und gleichzeitig Erfahrungen in der Haushaltsführung zu sammeln. In beiden Fällen erwarben junge Frauen nicht nur die Kenntnisse der praktischen Arbeitsabläufe im Haus, auf dem Feld oder im Stall. Die in Diensten stehenden jungen Frauen internalisierten von älteren Frauen, denen sie unterstellt waren, wichtige Werte eines moralischen Lebenswandels. Zukünftige Mägde wurden so von vermeintlich negativen Einflüssen des als unmoralisch apostrophierten Mitgesindes ferngehalten. Zukünftige Vorsteherinnen eines bürgerlichen Haushalts wurden auf ihre Rolle innerhalb des Hauses vorbereitet. Auf diese Weise reproduzierte die Praxis der Dienststellenvermittlung mit der Ausbildung von Mägden und der Anleitung zukünftiger Hausfrauen die zwei verschiedenen – sich quasi als Pole gegenüberstehenden – Weiblichkeitsentwürfe, die dem System des weiblichen Dienstverhältnisses zu Grunde lagen, wodurch die für das 19. Jahrhundert charakteristische »Feminisierung des Dienstbotenberufs«896 befördert wurde. Obwohl vor allem städtische Dienstmädchen am Ende des 19. Jahrhunderts wie Relikte »aus alter Zeit«897 erschienen, trug ihre Existenz zur Familialisierung bürgerlicher Frauen bei, die mit der Beaufsichtigung und Ausbildung des weiblichen Gesindes auf den häuslichen Aktionsradius beschränkt wurden. Verfestigt wurden diese hierarchischen Weiblichkeitsentwürfe durch die Formalisierung von Ausbildungswegen zukünftiger Haus- oder Viehmägde, die nach 1800 in den größeren Handels- und Residenzstädten verstärkt nachgefragt wurden. Dementsprechend ist für den Zeitraum das Nebeneinander von einer Dienstzeit als Übergangsphase und von einem lebenslangen Beschäftigungsverhältnis junger Mägde zu beobachten.898

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Friese, Marianne: »Die osteuropäische Akademikerin, die im westeuropäischen Haushalt dient«, in: Modelmog, Ilse / Grässel, Ulrike (Hrsg.): Konkurrenz und Kooperation. Frauen im Zwiespalt? (= Frauenforschung interdisziplinär; 1). Münster 1995, S. 171–194, hier S. 177. Budde: Dienstmädchen, S. 175. Vgl. Wikander: Magd, S. 30.

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4.2.3 Ammen und Gouvernanten. Die ›professionalisierte Mutterschaft‹ Frauen übernahmen vor dem 19. Jahrhundert unterschiedliche pädagogische Aufgaben. In Klöstern wurden heranwachsende Mädchen von Nonnen unterrichtet. Seit dem 17. Jahrhundert waren Gouvernanten für die Erziehung und Bildung der Töchter des höheren Adels verantwortlich, ab dem 18. Jahrhundert auch für die des Landadels, wobei die jüngeren Kinder von Ammen und Dienstmädchen versorgten wurden. Frauen erteilten ebenfalls Unterricht in ›privaten‹ Winkelschulen oder – wie in der Jenaer Mägdeleinschule – an offiziellen Einrichtungen.899 Seit dem späten 18. Jahrhundert entwickelte sich nicht nur ein größeres Interesse für die Erziehung von Mädchen und jungen Frauen. In zunehmendem Maße trat die zweckmäßige Ausbildung qualifizierter (weiblicher) Lehrkräfte in den Mittelpunkt des Interesses. Pädagogische Arbeit – insbesondere der Lehrerberuf – erfuhr im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts neben der Professionalisierung eine verstärkte Feminisierung. Die physische Mutterschaft der Frau wurde als ›geistige Mütterlichkeit‹ auf außerfamiliäre Bereiche übertragen, sodass die Ausübung pädagogischer Tätigkeiten als genuin weibliche Aufgaben erschien.900 Nicht nur in der Zeit der napoleonischen Kriege waren Frauen in den reichsweit entstehenden Frauenvereinen karitativ tätig. Im Laufe des 19. Jahrhunderts engagierten sich Frauen wie Amalie Sieveking in pflegenden und erzieherischen Berufen.901 Zudem stieg in Folge der konsequenter umgesetzten 899

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Vgl. Barth-Scalmani, Gunda: Geschlecht: weiblich, Stand: ledig, Beruf: Lehrerin. Grundzüge der Professionalisierung des weiblichen Lehrberufs im Primarschulbereich in Österreich bis zum Ersten Weltkrieg, in: Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hrsg.): Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert (= L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft; 2). Köln, Weimar und Wien 1995, S. 343–400, hier S. 348; Böhm: »Schulweiber«, S. 1; Albisetti, James C.: Deutsche Lehrerinnen im 19. Jahrhundert im internationalen Vergleich, in: Jacobi, Juliane (Hrsg.): Frauen zwischen Familie und Schule. Professionalisierungsstrategien bürgerlicher Frauen im internationalen Vergleich (= Studien und Dokumentationen zur vergleichenden Bildungsforschung; 55). Köln, Weimar und Wien 1994, S. 28–53, hier S. 31f. Vgl. Enzelberger, Sabina: Sozialgeschichte des Lehrerberufs. Gesellschaftliche Stellung und Professionalisierung von Lehrerrinnen und Lehrern von den Anfängen bis zur Gegenwart. Weinheim und München 2001, S. 81–86; Kuhn, Bärbel: Familienstand ledig. Ehelose Frauen und Männer im Bürgertum (1850–1914). Köln, Weimar und Wien 2002, S. 75–79; Wendt: Geschichte, S. 480f. Götzelmann: Soziale Frage, S. 289–291.

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Schulpflicht die Nachfrage nach ausgebildeten Lehrkräften. Auch Eltern aus bürgerlichen Kreisen verlangten nach pädagogisch erfahrenen Erzieherinnen. Obwohl viele Pädagoginnen selbst gebildeten, zumeist aber verarmten bürgerlichen Familien entstammten, vertrauten viele bürgerliche Mütter erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Erziehung ihrer Kinder einer fremden Person an.902 Karitative bzw. pädagogische Einrichtungen wie das Falksche Institut reagierten auf die neuen Anforderungen mit einer zweckmäßigen Ausbildung. Mit zunehmender Professionalisierung sammelten die jungen Frauen fachliches Wissen, aber auch praktische Erfahrungen, um so als Gouvernanten, Ammen und Lehrerinnen in Familien oder eine Erziehungsanstalt vermittelt zu werden. Der Eisenacher Französischlehrer Johann Heinrich Mey903 wandte sich genau deswegen mit der Bitte an Falk, seine 16-jährige Tochter Amalie, der aufgrund des frühen Todes der Mutter noch »einige weibliche Geschicklichkeiten«904 fehlten, weiter zu unterrichten. Vermutlich hatte er seine Tochter bereits im Französischen unterwiesen, weshalb die junge Frau die besten Voraussetzungen für eine spätere Tätigkeit als Gouvernante mitbrachte. Die junge Frau wurde nicht nur im Falkschen Institut untergebracht, sondern lebte und arbeitete in der Familie Falk. Neben den Handarbeiten zeichnete sie sich durch ein besonderes pädagogisches Geschick aus. Weil sie zudem »mit seltener Gewandtheit« schrieb und sprach, konnte Falk die junge Frau an den Weimarer Frauenverein vermitteln, wo sie erste didaktische Erfahrungen sammelte, indem sie »Kinder, aus den niedrigsten Volksklassen unterrichtete und bildete«905. Amalie Mey erwarb bei den Falks und durch den Unterricht für den Frauenverein wichtige pädagogische Qualifikationen, die die Voraussetzungen zur Anstellung in einem pädagogischen Institut oder adligen Haushalt bildeten. Wenngleich dieser ›Ausbildungsweg‹ in Weimar noch auf keiner institutionellen Grundlage basierte, glichen die Inhalte sowie die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis den zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen entstehenden Ausbildungsschulen für zukünftige Hauslehrerinnen.906 902

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Vgl. Schulz, Günther: Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert (= EDG; 54). München 2000, S. 24. Vgl. Staatshandbuch 1806–1813. [Brief Johann Heinrich Meys an Johannes Falk, o. O. u. o. D.], in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 443r.–444r., hier Bl. 443v. Brief [Konzept] Johannes Falks an Johann Wilhelm Volkmann, Weimar 29. September 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 453r. Vgl. Hardach-Pinke, Irene: Die Gouvernante. Geschichte eines Frauenberufs

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Eine geeignete Stelle bot sich Amalie Mey in den frühen 20er Jahren des 19. Jahrhunderts durch eine Anfrage Jakob Bernhard Limburgers.907 Der Kaufmann und Senator Limburger leitete seit 1814 das Leipziger Georgenhaus, eine Art Waisen-, Arbeits-, Zucht- und Krankenhaus, dessen Ursprünge bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen.908 Limburger hatte bei Falk um die Vermittlung einer Frau gebeten, die sich für die Tätigkeit als Waisenmutter eignete. Die in Weimar erworbenen fachlichen Kenntnisse und Meys »einnehmendes Wesen, im Umgang mit jungen Leuten«909 prädestinierten sie für eine solche Stelle, die Amalie Mey tatsächlich auch zur Zufriedenheit Limburgers in seiner institutionellen Einrichtung ausfüllte,910 in der Kinder unterer gesellschaftlicher Schichten erzogen wurden. Wäre die Stelle im Georgenhaus allerdings zwischen der Anfrage Limburgers und Meys Ankunft in Leipzig schon besetzt worden, so war sich Falk sicher, Amalie Mey »unbedenklich in eine höhere Familie, als Erzieherin«911 vermitteln zu können. Denn eine vielseitige pädagogische und sprachliche Ausbildung qualifizierte junge Frauen durchaus auch zum Eintritt in das Dienstverhältnis bei einer adligen oder bürgerlichen Familie. Nachdem die pädagogisch qualifizierte Amalie Mey einige Jahre zur Zufriedenheit der Verantwortlichen die Stelle im Georgenhaus ausgefüllt hatte, verstarb ihr leibliches Kind. So berichtete im Februar 1823 Johann Wilhelm Volkmann aus Leipzig Johannes Falk über diesen Schicksalsschlag: »Es mußte doch wohl zu ihrer Erziehung gehören, diese Prüfung zu bestehen; u[nd] ich machte sie auf Ihr Beyspiel aufmerksam, wie Sie erst durch den uner-

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(= Geschichte und Geschlechter; Sonderband). Frankfurt am Main 1993, S. 146–150. Vgl. Brief [Konzept] Johannes Falks an Johann Wilhelm Volkmann, Weimar 29. September 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 453r. Vgl. Haupt, Rolf / Gahr, Annegret / Hartig, Wolfgang: Die Geschichte des Hospitals von 1212 bis 1908. Eine Geschichte für Leipzig, in: Vom Hospital des Chorherrenstifts St. Thomas zum medizinisch-sozialen Zentrum (Unternehmensgruppe St. Georg Leipzig). 800 Jahre in Leipzig 1212–2012, 100 Jahre nach Neubau 1913. Ein Lesebuch. Hrsg. im Auftrag des Klinikums St. Georg. Leipzig 2011, S. 21–49, hier S. 42. Brief [Konzept] Johannes Falks an Johann Wilhelm Volkmann, Weimar 29. September 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 453r. Vgl. Brief Jakob Bernhard Limburgers an Johannes Falk, Leipzig 6. August 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 94r.–95r. Brief [Konzept] Johannes Falks an Johann Wilhelm Volkmann, Weimar 29. September 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 453r.

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hörten Verlust mehrerer Kinder auf 1 mahl, so recht den Aufruf zur Vaterschaft für verlaßene Kinder vernommen, u[nd] ihm gemäß gehandelt hätten.«912

Wenngleich Volkmann dem Tod des Kindes vermutlich nur einen die Mutter tröstenden Sinn geben wollte, wertete er damit Amalie Meys in Weimar erworbenes fachliches pädagogisches Wissen und Geschick ab. Nicht die Mitarbeit in der Familie Falk oder im Frauenverein qualifiziere Amalie Mey mit ihrem pädagogischen Wissen für diesen Beruf, sondern durch den Verlust des eigenen Kindes folge sie ihrer natürlichen Bestimmung zur Mutterschaft, wenn auch für fremde Kinder. Obwohl Johannes Falk die Erzieherinnenausbildung im Falkschen Institut professionalisierte, indem er die zukünftigen Erzieherinnen in den verschiedenen Fächern ausbildete und praktische Erfahrungen in den pädagogischen Einrichtungen Weimars sammeln ließ, wurden die jungen Frauen nicht als ausgebildete und einen Beruf ausübende Fachkräfte, sondern als ihrer natürlichen Bestimmung im öffentlichen Raum nachkommende Mütter angesehen. Trotzdem bildete die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht noch kein hinreichendes Kriterium, um zwangsläufig eine Anstellung zu finden. Schon die Aufnahme in die ersten Institute zukünftiger Erzieherinnen wurde noch von ständischen Unterschieden bzw. der sozialen Herkunft der Schülerinnen abhängig gemacht. In dem 1775 in Sankt Pölten gegründeten Officierstöchter-Erziehungs-Institut wurden Töchter von Militärangehörigen unterrichtet, von denen die Mehrzahl später als Erzieherinnen arbeitete.913 Auch für das im Jahr 1786 gegründeten Wiener Civil-Mädchen-Pensionat für Töchter oder Waisen »von Beamten und Offizieren«914 stellte die soziale Herkunft ein wichtiges Aufnahmekriterium dar, sodass ab 1800 nur noch Töchter von Staatsbediensteten aufgenommen wurden,915 die nach 10-jähriger Unterrichtzeit als Erzieherinnen und Lehrerinnen entlassen wurden. 912

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Brief des Johann Wilhelm Volkmann an Johannes Falk, Leipzig 14. Februar 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 457r.–458r., hier Bl. 458r. Vgl. Flich, Renate: »Die Erziehung des Weibes muß eine andere werden«. Mädchenschulalltag im Rahmen bürgerlicher Bildungsansprüche im 19. Jahrhundert, in: Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hrsg.): Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert (= L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft; 2). Wien, Köln und Weimar 1995, S. 269–299, hier S. 270–274. Ebd., S. 274. Vgl. Langer-Ostrawsky, Gertrude: Die Bildung, der Beruf und das Leben. Lebenszusammenhänge und Absolventinnen des Civil-Mädchen-Pensionates zwischen Staatsräson und Bildungspolitik 1786–1803, in: Hohkamp, Gabriele / Jancke, Gabriele (Hrsg.): Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit. Königstein 2004, S. 39–59, hier S. 47f.

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Die beobachtete Feminisierung pädagogischer Tätigkeiten bedeutete im Umkehrschluss nicht, dass alle Frauen jeden erzieherischen Beruf ergreifen konnten. Nur wenige heranwachsende Frauen wie die bereits erwähnte Amalie Mey übten während oder nach der Unterstützung durch das Falksche Institut eine erzieherische Tätigkeit aus.916 Vermutlich entsprachen von ihnen nur die wenigsten den Anforderungen, die an eine künftige Gouvernante oder Lehrerin gestellt wurden, weil im Gegensatz etwa zum Wiener Civil-Mädchen-Pensionat auch die Töchter von Vätern aufgenommen wurden, die nicht als Lehrer, Beamte oder Militärs gearbeitet hatten. Trotzdem beschränkte sich im Falkschen Institut die professionelle Ausbildung qualifizierter Erzieherinnen auf einen kleinen Kreis ökonomisch privilegierter junger Frauen. In erster Linie erlernten die wenigen Pensionärinnen in Weimar genau jene Fähigkeiten, die ihnen später eine entsprechende Anstellung garantierte. Das Arbeitsprofil der Gouvernante verlangte neben der Beherrschung der üblichen ›weiblichen Arbeiten‹ auch Kenntnis der englischen und französischen Sprache. Aus diesem Grund wurde die 14-jährige Emilie Schilling von ihrer Stiefschwester Amalie von Mottet zur Erziehung in das Weimarer Institut empfohlen, um aus dieser »ein thätiges und brauchbares Mädchen zu bilden«917. Für jährlich 200 Taler erhielt Emilie Schilling Unterricht im Englischen und Französischen, sodass sie später nicht als Magd, Dienstoder Kindermädchen, sondern vermutlich als Gouvernante »unter fein gebildeten Menschen in der Gesellschaft ihr Unterkommen«918 finden würde. Daneben förderte das Falksche Institut auch junge Frauen, die nicht nur als qualifizierte Gouvernanten, sondern als Kindermädchen arbeiten wollten. Abseits eines mehr oder weniger strukturierten Ausbildungsweges übernahmen viele junge Frauen die ›Aufwartung‹ als eine Gegenleistung für ihre materielle Unterstützung, indem sie die kleineren Kinder ihrer Wohltäterfamilien versorgten. Davon abgesehen erlernten sie so wichtige Fähigkeiten, um später als Kindermädchen eingestellt zu werden. Als die bei ihrer Stiefmutter in der Schlossgasse wohnende Christi916

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Zu den wenigen – im Folgenden aber nicht aufgeführten – Beispielen zählt auch ein 1816 aus der Stadtsulzaer Nähschule entlassenes Kindermädchen. Vgl. Brief Wilhelm Heinrich Gottlob Eisenachs an Johannes Falk, Stadtsulza 17. Dezember 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 260r.–261v., hier Bl. 260r. Brief der Amalie von Mottet an Johannes Falk, Dresden 10. Januar 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 137r.–138r., Bl. 137v. Aufzeichnungen Johannes Falks über Emilie Schilling, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 136v.

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ane Reineck noch die Freischule besuchte, versorgte sie nicht nur ihren jüngeren Bruder, sondern auch das Kind einer am Hof Bediensteten. Diese Arbeiten bildeten die Grundlage, um »einst als Kindermädchen« in Dienste zu gehen.919 Obwohl im pädagogischen Bereich eine zunehmende Feminisierung einsetzte, zeigen die Beispiele aus dem Falkschen Institut, dass nach 1800 die soziale Herkunft den Ausschlag gab, welche junge Frau eine Arbeit als Lehrerin, Gouvernante, Amme oder Kindermädchen ausüben konnte. Besonders oft wurden junge Frauen von ihren adligen Verwandten oder Fürsprechern als Gouvernanten empfohlen, wobei auch nichtadlige Väter, die selbst als Lehrer arbeiteten, für eine Ausbildung ihrer Töchter zur Gouvernante oder Lehrerin plädierten. Dienstmädchen und in Pflegefamilien lebende junge Frauen halfen zumeist spontan bei den anfallenden Aufgaben der Kleinkindererziehung, ohne eine dafür vorausgesetzte Ausbildung genossen zu haben. Für Gouvernanten, Erzieherinnen und Lehrerinnen setzte eine Professionalisierung der pädagogischen Berufe ein, wobei Theorie und Praxis – die Aneignung von Unterrichtsinhalten wie Fremdsprachen, Religionskenntnissen und Handarbeiten einerseits und die Lehrtätigkeit andererseits – Hand in Hand gingen. Mit dieser Legitimierung war für Töchter höherer und mittlerer Herkunft der Lehrerinnenberuf einer der ersten »zugänglichen öffentlichen Berufe«920, der jedoch im Spannungsfeld zwischen einer selbstständig ausgeübten Tätigkeit und dem weiblichen Geschlechtscharakter der Hausfrau, Gattin und Mutter stand. Wie das Beispiel Amalie Meys sehr deutlich zeigt, wurde von den Zeitgenossen im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht das fachliche Wissen oder das erworbene pädagogische Geschick, sondern die natürliche Bestimmung zur Mutterschaft als (berufliche) Qualifizierung für diese Tätigkeiten angesehen.

4.3 Berufswahl – Berufsqual Die freie Berufswahl, die im preußischen Oktoberedikt von 1807 garantiert wurde und damit den Wandel von einer geburtsständischen Gesellschaft zu einer Leistungs- und Berufsgesellschaft beförderte, kennzeichnete die sich verändernde gesellschaftliche Ordnung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.921 Die an den persönlichen Interessen ausgerichtete 919

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Aufzeichnungen Johannes Falks über Christiane Reineck, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 160v. Vgl. Enzelberger: Lehrerberuf, S. 95.

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Berufswahl war Teil eines Individualisierungsprozesses, der die Grundlage für die Leistungsbereitschaft und den Erfolg des Einzelnen bildete.922 Obwohl dieser verfassungsrechtlich verankerte Anspruch auf einen selbst gewählten Beruf oder eine Beschäftigung zu den wichtigsten Bestandteilen der persönlichen Freiheit zählte, kann die Berufswahl noch weit in das 19. Jahrhundert hinein nicht als freie persönliche Wahl eines Individuums interpretiert werden. Einerseits reglementierten überkommene gesetzliche Bestimmungen der Zünfte oder des Gewerbezwanges diesen Prozess. Andererseits beeinflussten aber auch die »natürlichen und durch die Verhältnisse, z. B. durch das Geschlecht und Alter, […] begründete Beschränkungen«923 die Entscheidung für oder gegen die Zuweisung einer beruflichen Tätigkeit. Im Folgenden stellt sich die Frage, inwieweit innerhalb des Falkschen Instituts Heranwachsende tatsächlich einen bestimmten Beruf erwählten oder ob ihnen dieser zugewiesen wurde. Neben ›äußeren Faktoren‹ – beispielsweise wirtschaftlichen Aspekten oder persönlichen Dispositionen – gewann die individuelle Neigung der Heranwachsenden bei der Berufszuweisung um 1800 eine größere Bedeutung. In welchem Wechselverhältnis stand diese Entwicklung mit zeitgenössischen Geschlechtervorstellungen? Denn »[w]elchem Geschlecht unter welchen Umständen eine Tätigkeit zugeordnet wird, hängt von wechselnden Zweckmäßigkeiten und sich wandelnden kulturellen Deutungsmustern von männlichweiblich ab«924.

4.3.1 Ökonomische Aspekte Eine freie Wahl des Berufes war angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation am Beginn des 19. Jahrhunderts nicht die Regel, sondern vielmehr von ökonomischen Rahmenbedingungen abhängig. Viele Hand921

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Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte. 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1994, S. 43f.; Kost, Jürgen: Wilhelm von Humboldt. Weimarer Klassik. Bürgerliches Bewusstsein. Kulturelle Entwürfe in Deutschland um 1800. Würzburg 2004, S. 43. Vgl. Hahn, Hans-Werner: »Aus uns selbst muß das Gute hervorgehen, was gedeihen soll...« Werterezeption und Wertevermittlung in bürgerlichen Milieus der Residenzstadt Weimar, in: Ders. / Hein, Dieter (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption. Köln, Weimar und Wien 2005, S. 337–362, hier S. 343. Art. »Berufsfreiheit«, in: Staats-Lexikon Bd. 2, S. 589. Wunder, Heide: Arbeiten, Wirtschaften, Haushalten, S. 191.

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werker und Gewerbetreibende schoben die Aufnahme eines Zöglings aus dem Falkschen Instituts für eine gewisse Zeit hinaus, bis sie abschätzen konnten, ob sie den Lehrling unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte beschäftigen konnten. So sicherte der Jenaer Schriftsetzer Johann Georg Schreiber Falk im Frühjahr 1823 zu, Eduard Müller in die Lehre zu nehmen. Schreiber gab aber zu bedenken, dass er zu diesem Zeitpunkt noch keine Prognose über seine zukünftige wirtschaftliche Entwicklung geben könne, wovon er aber die Aufnahme abhängig mache: »Allein bey dem jetzigen Abschnitt der Messe, wo das bischen Arbeit fertig wird, ohne daß man noch etwas Neues weiß, muß man sich vorsehen, denn die Arbeit, und vorzüglich solche, die einem Anfänger nöthig ist, mangelt sehr.«925 Einerseits zweifelte Schreiber, ob nach der wichtigsten deutschen und im Frühjahr in Leipzig stattfindenden Buchmesse genügend neue Aufträge eingehen würden.926 Andererseits musste Schreiber sehr genau prüfen, inwieweit er für einen anzulernenden Lehrling überhaupt geeignete Tätigkeiten anbieten konnte, ohne dass die Qualität seiner Bücher darunter litt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu paradox, dass Falk die Zöglinge häufig an Leineweber, Schneider und Schuhmacher vermittelte. Diese Gewerke waren in Weimar zu Beginn des 19. Jahrhunderts überrepräsentiert bzw. mussten sich gegenüber einer großen Konkurrenz behaupten.927 Dennoch boten sich gerade die wirtschaftlich bedrängten Gewerke häufig an, einen Lehrling aufzunehmen. Durch den vergleichsweise geringen infrastrukturellen Aufwand, der mit der Lehrlingsausbildung in diesen Gewerken verbunden war, und die Aussicht auf finanzielle Vergütung vom Institut wurde diese Bereitschaft begünstigt. Weil Falk auf die bereitwillige Mitarbeit der Lehrmeister angewiesen war, folgte die Lehrstellenvergabe den angebotenen Stellen, wenngleich dadurch die spätere berufliche Existenz nicht unbedingt gesichert wurde. Auf diese Weise generierte das Falksche Institut ein Stück weit selbst die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und gebot dem Überangebot an Waren und Lehrlingen in einzelnen Gewerken keinen Einhalt. 925

926

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Brief [Johann Georg] Schreibers an Johannes Falk, Jena 24. April 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 31r.–31v. Vgl. Kaufhold, Karl Heinrich: Messen und Wirtschaftsausstellungen von 1650 bis 1914, in: Johanek, Peter / Stoob, Heinz (Hrsg.): Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit (= Städteforschung, 39). Köln, Weimar und Wien 1996, S. 239–294, hier S. 248–252. Vgl. Hunstock: Residenzstadt, S. 160f.; Eberhardt: Weimar, S. 26.

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4.3.2 Beruf und moralische Entwicklung Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte bei der Berufszuweisung die Frage, inwieweit die Heranwachsenden den moralischen Anforderungen entsprachen, die mit einem bestimmten Beruf verbunden waren bzw. inwieweit die unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten die moralische Entwicklung eines Heranwachsenden förderte. Bei der Berufszuweisung für den 17-jährige Johann Töpfer, der vor dem Eintritt in das Falksche Institut eine Vielzahl von Diebstählen verübt hatte,928 ließen Falk und Verantwortliche diese Überlegungen einfließen. Obwohl der junge Mann gern zu einem Schlosser in die Lehre gegangen wäre, riet der Buttstädter Stadtrat August Reimann davon ab, weil diese Beschäftigung »seinen Neigungen nicht beförderlich«929 sei. Ebenso wurden andere Gewerke – wie Maurer oder Zimmerleute – ausgeschlossen, da aufgrund der witterungsabhängigen Beschäftigungsverhältnisse keine durchgehende Beaufsichtigung Töpfers gewährleistet war. Der Wunsch von Eltern und Familienangehörigen nach einer guten moralischen Entwicklung eines Jugendlichen nahm häufig mehr Raum ein als die Bitte, dass ein Sohn oder Schüler in eine konkrete Lehrstätte vermittelt wurde. Im Herbst 1819 schilderte Landesdirektionsrat Ludecus der Gesellschaft der Freunde in der Not den Fall des 14-jährigen Johann Robert Constantin Aulhorn. Dessen Vater August Ludwig Constantin Aulhorn,930 ein fürstlich-sächsischer Kommissionssekretär, saß wegen eines ungeklärten Kassenausfalls im Zuchthaus, sodass der Junge zunächst von seiner Tante Caroline Sophia Antonetta Gruner, geborene Aulhorn, und Ehefrau des Jenaer Konsistorialrats Ludwig Gottlieb Friedrich Gruner, aufgenommen wurde. Nachdem Johann Robert Constantin Aulhorn Geld aus der Schule entwendet hatte, schien es vollends unmöglich, in Jena eine Lehrstelle für ihn zu finden: »Dieses Vergehen ist hier zu bekannt als daß jemand hier sich finden sollte ihn in die Lehre zu nehmen. Ob der Bursche Tischler, Buch928

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Vgl. Brief K. Schmiths an Johannes Falk, Buttstädt 14. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 27, Bl. 145r.–145v. Brief August Reimanns an Johannes Falk, Buttstädt 6. Juli 1820, in: GSA 15/N Bd. 55, 27, Bl. 149r.–150r., hier Bl. 149v. August Ludwig Constantin Aulhorn wird seinerseits als Spender der Gesellschaft der Freunde in der Not ausgewiesen. Vgl. Einnahme- und Ausgabenbuch des Falkschen Instituts, in: GSA 15/X, S. 260t. Zu den näheren familiären Umständen vgl. Brief Anton von Ziegesars an Julius Adolf Völkel, Jena 20. Mai 1822, in: ThHStAW Hausarchiv A XXV, 348, Bl. 2r.–3v.

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binder, Drechsler wird, ist einerley.«931 Ludecus wandte sich an Falk, der zu dieser Zeit in Eisenach weilte, um dort nach einer geeigneten Lehrstelle zu suchen. Mit der räumlichen Veränderung war der Wunsch verbunden, dem jungen Mann einen Neuanfang im bürgerlichen Leben abseits der über ihn gefassten Vorurteile zu ermöglichen. Welche konkrete Lehrstelle Aulhorn zugewiesen wurde und ob diese seinen Interessen entsprach, spielte keine Rolle. »In seiner Lage«, so Ludecus’ Urteil über den jungen Mann, »dürfte er sich selbst gar keine Wahl über seine zukünftige Bestimmung anmaaßen, sondern die ihm angebotene Gelegenheit freudig und dankbar ergreifen.«932 Ähnlich argumentierte auch Caroline Sophia Antonetta Gruner, die Tante Aulhorns. Sie hoffte, dass der junge Mann »in gute Hände und scharfe Aufsicht kann«933. Allerdings schlug sie im Gegensatz zu Ludecus konkrete Berufe vor, für die sich der junge Mann begeisterte: »Er kann ein Buchdrucker oder Buchbinder [werden], oder ein Oeconom, wo zu er Lust bezeichnet, da er doch der Schule Kenntniße hat, auch etwas Rechnen und Schreiben kann, auch ein bisgen Geometrie gelernt hat, was einen Oeconom nützlicher sein könnte.«934

Falk gelang es schließlich, Johann Robert Constantin Aulhorn – der Empfehlung der Tante entsprechend – in einer Gothaer Buchhandlung unterzubringen.935 Dass die Berufszuweisung unter ausschließlicher Berücksichtigung der moralischen Entwicklung aber nicht immer erfolgversprechend war, zeigte der weitere Weg Johann Robert Constantin Aulhorns, dem die Arbeit in der Gothaer Buchhandlung nicht gefiel. »Wie er nach Gotha kam, sagte er gleich beym Eintritt in den Buchladen […]; es sey ihm nie eingefallen ein Buchhändler zu werden.«936 Nur aus Furcht vor seinen Verwandten habe er sich dennoch widerwillig entschlossen, die ihm zugewiesene Stelle anzutreten. Unabhängig von der Frage, welche 931

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Brief von Johann Wilhelm Carl Ludecus an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 1r.–1v., hier Bl. 1r. Brief von Johann Wilhelm Carl Ludecus an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 32r. Brief Caroline Gruners an Johannes Falk, Jena 13. Juli 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 23r.–24r., hier Bl. 23v. Ebd. Vgl. Brief von Johann Wilhelm Carl Ludecus an Johannes Falk, o. O. 26. Oktober 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 3r.–4r.; Aufzeichnungen über Robert Aulhorn, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 20r.–20v. Aufzeichnungen über Robert Aulhorn, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 20r.–20v., hier Bl. 20r.

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Interessen Aulhorn wirklich verfolgte, scheiterte der erste Versuch, ihn zu einem arbeitenden und sich seinen Lebensunterhalt redlich verdienenden Bürger zu erziehen. Daraus zog Falk die Konsequenz, die persönliche Neigung des jungen Mannes zu beachten. Im November 1819 hatte Falk Ludecus darauf hingewiesen, dass sich Aulhorn für das Militär und die Kartographie interessiere. Falk riet Ludecus, dies bei künftigen »Verirrungen, die nach meiner Ansicht und mit an dem Subjecte gemachten Erfahrungen, kaum ausbleiben können,«937 zu berücksichtigen. In der Tat half Falk dem jungen Mann bei der Erfüllung dieses »Lieblingswunsch[es]«938 und trat mit dem großherzoglichen Militär in Kontakt, um Aulhorn dahin zu vermitteln. Ohne dass die Quellen exakt darüber Aufschluss geben, welchen beruflichen Werdegang Johann Robert Constantin Aulhorn letztlich eingeschlagen hat, attestierte Anton von Ziegesar 1822 Aulhorn ein »sehr gutes Lob«939, das ihm in Eisenach ausgesprochen wurde. Offensichtlich trug die Berücksichtigung der individuellen Neigungen Aulhorns zu dieser Entwicklung bei.

4.3.3 ›Innere Neigung‹ als Legitimation für oder gegen einen Beruf Die berufliche Entwicklung eines Zöglings korrespondierte nicht nur mit ökonomischen Rahmenbedingungen oder moralischen, körperlichen oder geistigen Dispositionen. Auffallend häufig finden sich in den Quellen Hinweise, dass Heranwachsende solche Tätigkeiten ausübten, die ihren Wünschen entsprachen. Inwieweit diese Vorlieben der Jugendlichen als individuelle oder natürliche Neigung – wie es häufig in den Quellen heißt – zu interpretieren sind, kann aus historisch-geisteswissenschaftlicher Perspektive nicht beurteilt werden. Es muss jedoch gefragt werden, welche konkreten Interessen Falk, Lehrer und Eltern, aber auch die Heranwachsenden selbst verfolgten, wenn sie die Entscheidung für eine bestimmte Tätigkeit mit einer inneren Neigung begründeten. ›Naturalisierte‹ der Topos der Neigung andere Aspekte der Berufswahl bzw. -zuweisung? Im 18. Jahrhundert vollzog sich ein Wandel von der Ergebung in einen Beruf zur – wenngleich noch eingeschränkten – Wahl eines Berufes, die sich fortan an den von Natur aus vorgegebenen Fähigkeiten orientieren 937

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Brief Johannes Falks an Johann Wilhelm Carl Ludecus, Weimar 11. November 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 26r.–27v., hier Bl. 27r.–27v. Ebd., Bl. 27v. Brief Anton von Ziegesars an Julius Adolf Völkel, Jena 20. Mai 1822, in: ThHStAW Hausarchiv A XXV, 348, Bl. 2r.–3v.

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sollte, um sowohl das individuelle Glück als auch gesellschaftlichen Nutzen zu mehren.940 Obwohl Johann Heinrich Zedler bemerkt hatte, dass sich »bey dem Beruffe die unmittelbare Hand Gottes so deutlich nicht mehr äußern« wollte, konnte der von seiner theologischen Bedeutung losgelöste Berufsbegriff einer ursprünglichen göttlichen ›vocatio‹ nicht vollständig entbehren. An die Stelle der göttlichen Berufung trat die Vorstellung eines innerlichen Berufs, den es aufzuspüren galt. Berufung »ist nicht mehr der Ruf Gottes an den Menschen, sondern die subjektive Eignung für einen bestimmten Beruf«941. Während im Luthertum die Vorstellung einer relativ starren, göttlich legitimierten weltlichen Ordnung weiterhin existierte, betonten insbesondere der Pietismus und der Calvinismus den Einfluss biographischer Faktoren bei der Entscheidung für oder gegen eine berufliche Tätigkeit.942 Einem inneren Trieb oder der eigenen Neigung nachzufolgen implizierte ein sich ›berufen Fühlen‹ durch die von Gott gegebene Freude oder Fähigkeit zu einer Tätigkeit, einer bestimmten Lebensart oder einem Amt. In der Folge wurde die den eigenen Fähigkeiten entsprechende Berufswahl nicht mehr durch den Verweis auf Herkunft oder Privilegien, sondern durch Leistung legitimiert.943 In der Frühen Neuzeit wandelte sich die christlich begründete Berufsergebung zu einer Berufswahl, wobei maßgeblich Eltern in der Verantwortung standen, genau zu prüfen, ob ein von obrigkeitlicher Seite vorgeschlagenes Amt oder eine vom Kind selbst angestrebte Tätigkeit am zweckmäßigsten sei.944 Die Vorstellung, dass Arbeit und Neigung korrespondierten, schlug sich auch in den Rechtsmassen um 1800 nieder. Das Allgemeine Preußische Landrecht sah etwa vor, dass Väter bei der Bestimmung des Berufsziels ihrer Söhne deren Wünsche berücksichtigen sollten.945 Viele Eltern überließen Falk diese Wahl, weil sie damit überfordert waren oder hofften, so ihre Chance auf eine Unterstützung zu verbessern. Falk versprach solchen unschlüssigen Verwandten dann, die »Neigung auszumitteln«946 und zu »erforschen«947. Aus dem täglichen 940

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Vgl. Conze, Werner: Art. »Beruf«, in: GG Bd. 1, S. 490–507, hier S. 500; Müller, Hans Martin: Art. »Vokation«, in: TRE, Bd. 35, S. 187–190, hier S. 188. Schrey, Heinz-Horst: Art. »Beruf. Protestantismus und Katholizismus der Neuzeit«, in: TRE. Bd. 5, S. 671–676, hier S. 671. Vgl. Müller: Vokation, S. 188. Vgl. Conz: Beruf, S. 490–507. Vgl. ebd., S. 498. Vgl. Speitkamp: Jugend, S. 63. Aufnahmevertrag, Weimar 22. Juli 1825, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 74r.

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Umgang mit dem Heranwachsenden glaubte Falk erkennen zu können, welcher Beruf sich für einen jeden Zögling eignete.948 Falk verstand die Neigung des Einzelnen nicht als Ausdruck eines Individuums, sondern als göttliche Anlagen, »die jedem von uns von der Wiege eigen gewesen«949 seien. Diese noch ganz in lutherischer Tradition stehende Überzeugung, wonach der Wille Gottes jedem Menschen einen festen (beruflichen) Platz in der Welt zugewiesen hat und dieser nur mit Zustimmung anderer und unter Ausschluss egoistischer Absichten gewechselt werden könne,950 legitimierte Falks Kompetenz, Hilfesuchende an geeignet erscheinende Lehrstellen zu vermitteln. Die Vorliebe eines Zöglings konnte sich auch auf intellektuelle Tätigkeiten beziehen. So empfahl beispielsweise Pfarrer Wuttig aus Schwerstedt dem Falkschen Institut einen 15-jährigen Jugendlichen, der eine »große Neigung zum Schreiben und Rechnen«951 besaß und deswegen einen Beruf erlernen sollte, beim dem er diesen Tätigkeiten weiter nachgehen konnte. Zudem äußerten Heranwachsende ihre Wünsche mitunter selbst und teilten ihren Förderern ganz konkret mit, wenn sie »Lust und Neigung«952 zur Erlernung eines Berufes hatten. Auch Mütter traten als Fürsprecher ihrer Söhne an Falk heran und verwiesen auf das ausgesprochene »Talent«953 ihrer Kinder, der Schule zu folgen. Als besonders talentiert beschriebene Jugendliche besaßen – so die zeitgenössische Vorstellung – entweder ein natürliches Geschick für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten oder die kognitiven Voraussetzungen, um sich neue Sachverhalte anzueignen.954 Implizit hieß dies, dass sich ein Heranwachsender besonders gut für einen bestimmten Beruf eignete, weil er die intellektuellen Fähigkeiten besaß, um dem im Vorfeld notwendigen schulischen 947

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Aufzeichnungen Johannes Falks über den 14-jährigen Sonnenschmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 24, Bl. 471r. Vgl. beispielsweise Brief [Entwurf] Johannes Falks, Weimar 31. Dezember 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 16, Bl. 22r.–23v., hier Bl. 22v. Tagebuch eines Freundes, der Falk’s Institut in Weimar besuchte, 1820, in: GSA 15/V,9, S. 66. Meireis, Torsten: Tätigkeit und Erfüllung. Protestantische Ethik im Umbruch der Arbeitsgesellschaft. Tübingen 2008, S. 80f. Brief August Wuttigs an Johannes Falk, Schwerstedt 12. Februar 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 111r. Zeugnis für Gotthilf Püschel, Gaberndorf 6. Februar 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 24r. Vgl. auch Aufnahmebescheinigung für Melchior und Johannes Luther, Weimar 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 12, Bl. 473. Aufzeichnungen Johannes Falks, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 305r. Art. »Talent«, in: Zedler Bd. 41, Sp. 1561.

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Unterricht zu folgen, und in der Lage war, die Arbeitsanweisungen eines Handwerksmeisters besonders sorgsam auszuführen. Nicht nur fachliches Geschick für die Ausübung eines Handwerksberufes oder die intellektuellen Fähigkeiten, sondern auch moralische Dispositionen, die zur Aufnahme einer geistigen Arbeit vorausgesetzt wurden, konnten als angeborene Eigenschaften eines jungen Menschen interpretiert werden, wenn es sich um die Entscheidung für einen pädagogischen oder geistlichen Beruf wie Kantor, Lehrer oder Pfarrer handelte.955 Im zweiten Jahresbericht der Gesellschaft der Freunde in der Not schrieb Falk über den aus Hottelstedt stammenden Seminaristen Götze, dass dieser eine »[a]ngebohrene Freundlichkeit der Sitten und viel Eifer für die gute Sache«956 besäße. Umgekehrt konnte eine »angeborene Trägheit«, die einen Jugendlichen »von Natur« aus für den Schulunterricht »ungeschickt« 957 macht, dazu führen, dass Falk von einem Studium, dem Lehrerberuf oder einer geistigen Tätigkeit abriet. »Es ist nicht wohlgethan den Schwarm von Müssiggängern zu mehren, die sich auf die Schreiberbänke drängen, und aus verschrumpften Gänsekiel, und oft auch noch aus verschrumpften Herzen Bürger und Bauer zu quälen.«958 Mit dem Hinweis auf die weiter zu fördernden »Anlagen« und »löbliche Neigungen«959 war gleichzeitig der Wunsch verbunden, Hilfe und Unterstützungsgelder von der Gesellschaft der Freunde in der Not zu erhalten. Ausgehend von der Intention der Hilfesuchenden ist es verständlich, dass sie recht deutlich persönliche Vorlieben der jungen Männer für bestimmte Aktivitäten artikulierten, ließ sich doch eine Unterstützung aus dem Falkschen Institut für einen engagierten Heranwachsenden leichter rechtfertigen als für einen desinteressierten Jugendlichen. Mit der Betonung einer inneren Motivation glaubten Heranwachsende, Eltern, Lehrer und Pfarrer der Erwartung Falks und seiner Mitstreiter zu entsprechen, dass aus einer mit den persönlichen Interessen korrespondierenden beruflichen Förderung zwangsläufig zuverlässig arbeitende Handwerker, Bauern, Lehrer oder Kantoren resultierten. 955

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Falks Vorschläge in der Immediatkommission, Weimar 16. Juni 1818, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 499r.–499v. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Vgl. im selben Bericht auch die Notizen über den Ludwig Schuhmann. Brief Johannes Falks an Carl Traugott Serbser, Weimar 9. November 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 32r.–32v., hier Bl. 32r. Brief [Entwurf] Johannes Falks an Pfarrer Carl Gottlob Ludwig Frotscher, Weimar 2. Dezember 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 36r. Brief Magdalena Schramms an Philipp von Motz, Weimar 14. Juni 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 7, Bl. 251r.–251v.

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Dennoch können diese zeitgenössischen Formulierungen von Hilfebedürftigen und Fürsprechern nicht allein als Strategie interpretiert werden, unabhängig von einer tatsächlich existierenden Neigung den Anspruch auf Hilfe zu legitimieren. In einigen Empfehlungsschreiben rieten Pfarrer und Lehrer ausdrücklich von einem Betätigungsfeld ab, weil junge Männer »nicht nur keine Lust, sondern auch die größte Abneigung«960 gegen eine bestimmte Arbeit hegten. Die seit Luther viel stärker von der ›vocatio externa‹ unterschiedene ›vocatio spiritualis‹ blieb als »säkularisiert-idealistisches Derivat«961 bei der Entscheidungsfindung für eine berufliche Tätigkeit als ›innere Neigung‹ virulent. Die individuellen Vorlieben oder das Desinteresse eines Zöglings wurden von Eltern, Lehrern und Pfarrern als ernst zu nehmende Argumente bei der Wahl eines Berufes berücksichtigt. Falk wollte den Jugendlichen »kein Hinderniß bey dieser Neigung in den Weg legen«962, wusste er doch aus eigener Erfahrung nur allzu gut, was passieren konnte, wenn Jugendliche wider die eigene Motivation »mit Gewalt«963 in einem Handwerk untergebracht wurden: Nach mehreren Fluchtversuchen und Wochen des Herumschweifens fanden solche Zöglinge meist zufällig einen Lehrmeister, bei dem sie bereitwillig in die Lehre gingen. Das ursprüngliche Desinteresse stellte sich oft erst nach einer gewissen Zeit ein, als der Jugendliche bereits in dem ungeliebten Beruf gearbeitet hatte. Wenn Heranwachsende in ihrer Kindheit keinerlei eigene Erfahrungen mit dem später eingeschlagenen Beruf gesammelt hatten, wichen häufig die Vorstellungen über einen Beruf eklatant von den konkreten Arbeitsabläufen und dem Arbeitsumfeld ab.964 Genau diese fehlenden praktischen Erfahrungen, die auf das spätere Alltags- und Berufsleben vorbereiten sollten, waren das Problem im ehemaligen Weimarer Waisenhaus, das erst durch die Unterbringung der Kinder in Pflegefamilien gelöst werden konnte. Selbiges beobachtete Fritz Hartung für 960

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Brief Pfeifers an Johannes Falk, Dienstedt 3. November 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 482r.–482v., hier Bl. 482r. Conze: Beruf, S. 501. Zur Unterscheidung der vocatio externa und spiritualis vgl. Feeser-Lichterfeld: Berufung. Eine praktisch-theologische Studie zur Revitalisierung einer pastoralen Grunddimension (= Theologie und Praxis; 26). Münster 2005, S. 216; Müller: Vokation, S. 188. GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 63r. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Andreas Schellert, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 546v. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Gottlieb Holle, [Weimar] 1815, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 23r.

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die Zöglinge des Weimarer Waisenhauses, die sich nach der Schließung des Waisenhauses einer freieren Berufswahl erfreuen konnten,965 was vermutlich auf die individuellen Berührungspunkte mit unterschiedlichen Gewerken in den Pflegefamilien zurückzuführen ist. Im Idealfall korrespondierte das Talent mit der Vorliebe eines Heranwachsenden für eine berufliche Tätigkeit oder geistige Arbeiten, weshalb in den Quellen kaum zwischen einem individuellen Interesse und den tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten differenziert wurde, sondern Falk und Fürsprecher beide Gesichtspunkte unter dem Begriff der ›Neigung‹ subsumierten. Nur in den seltensten Fällen divergierten diese beiden Aspekte der inneren Neigung. Sehr deutlich zeigte sich dann, dass Falk dem persönlichen Interesse und den Fähigkeiten bei der Berufswahl eine unterschiedliche Gewichtung beimaß. Einem Heranwachsenden, der »Lust[,] aber kein Geschick«966 besaß, attestierte er nur eine bedingte Eignung für die von ihm angestrebte Arbeit, sodass in solchen Fällen ein Lehrmeister eines anderen Gewerks gesucht wurde. Erlernte im umgekehrten Fall ein junger Mann zwar mit Erfolg einen handwerklichen Beruf, ohne jedoch dafür das geringste Interesse zu zeigen, hatte dies nicht zwangsläufig den Wechsel der Lehrstelle zur Folge. Der 14-jährige Carl Knauer lernte beispielsweise bereits mehrere Jahre bei einem Tischler und stand – trotz des fehlenden Interesses für diesen Beruf – kurz vor dem erfolgreichen Abschluss seiner Lehre. »Man muß diesen Burschen sehen Lust zu machen, mit Loßsprechen, Kleidungsstücken usw.«967, argumentierte Johannes Falk. Dem Desinteresse des jungen Mannes für seine Tätigkeit begegnete Falk mit materiellen Anreizen, indem er ihm die Unterstützung mit Hosen und Jacken aus dem Institut oder einen Beitrag zusicherte, der beim Lossprechen aus der Lehre an die jeweilige Zunft gezahlt werden mussten.968 Zöglinge, die erfolgreich dem Schulunterricht folgten, erhielten analog dazu als Anreiz für weitere gute Leistungen und strebsames Lernen kostenlos Schulbücher.969 Die fehlende Begeisterung 965 966

967

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Hartung: Großherzogtum, S. 98. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Gottfried Kranz, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 180r.–183r., hier Bl. 183r. Aufzeichnungen Johannes Falks über Carl Knauer, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 133r. Vgl. Brohm, Ulrich: Die Handwerkspolitik Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (= Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; 21). Stuttgart 1999, S. 153–158. Vgl. Brief von Johann Friedrich Lossius an Johannes Falk, Krautheim, 28. September 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 415r.–415v.

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für einen Beruf sollte folglich durch den persönlichen Vorteil und die Aussicht auf weitgehende wirtschaftliche Unabhängigkeit kompensiert werden, auf die ein Jugendlicher mit einer abgeschlossenen Ausbildung hoffen konnte. Oberstes Ziel des Falkschen Instituts war es, junge Männer erfolgreich auszubilden, weshalb die vorhandenen, erlernten oder noch anzueignenden handwerklichen Fähigkeiten, aber auch die intellektuellen Voraussetzungen den wichtigsten Maßstab bei der Lehrstellenverteilung bildeten, nicht aber eine persönliche Vorliebe oder die idealisierte Vorstellung über bestimmte Berufszweige. In den Aufzeichnungen der Gesellschaft der Freunde in der Not finden sich zahlreiche Belege, dass die persönliche Motivation sowohl bei jungen Männern als auch bei jungen Frauen berücksichtigt wurde. Über die fast 10-jährige Caroline Haubeil notierte Johannes Falk, dass diese »entschiedene Neigung zu weiblichen Arbeiten«970 zeigte, während ihm bei Friederike Heinemann »gute Anlagen«971 und bei einem 16-jährigen Mädchen aus Kleinschwabhausen ein »Geschick«972 für diese Aufgaben aufgefallen seien. Im Unterschied zu den vielfältigen Tätigkeitsbereichen, zu denen männliche Zöglinge in Briefen an Falk ein besonderes Interesse bekundeten, fehlt dieser Facettenreichtum in den Beschreibungen zukünftiger Tätigkeiten für junge Frauen. Offensichtlich war die Auswahl unter verschiedenen Aufgabenbereichen eine Option, die jungen Männern vorbehalten war. Wie selbstverständlich scheinen hingegen Frauen ein natürliches Geschick zu ›weiblichen Arbeiten‹ besessen zu haben,973 ohne dass wie im Fall Dorothea Spannemanns immer im Detail auf ihre »große Lust zum Nähen«974 eingegangen wurde. Während die Lehrstellenvergabe heranwachsender junger Männer an vorhandenen oder potentiellen Fähigkeiten ausgerichtet wurde, legitimierte die geschlechtliche Zugehörigkeit junger Frauen die Zuweisung handarbeitlicher Tätigkeiten. Dennoch finden sich versteckte Hinweise, dass junge Frauen nicht qua Geschlecht für Handarbeitstätigkeiten geeignet waren. So begründete die Mutter der 970 971

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Aufzeichnungen über Caroline Haubeil, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 244v. Brief [Entwurf] Johannes Falks, Weimar 19. Dezember 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 211r.–212v., hier Bl. 211v. Aufzeichnungen über Brendel, [Weimar] 1814, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 18v. Vgl. auch die Beschreibungen der Mädchen und jungen Frauen in den ersten beiden Jahresberichten der Gesellschaft der Freunde in der Not. Vgl. beispielsweise Aufzeichnungen über Louise und Lotte Jordan, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 109r.–109v. Aufzeichnungen über Dorothea Spannemann, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 128v.– 129r., hier Bl. 128v.

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12-jährigen Christiana Taubenecken, dass ihre Tochter, »zu weiblichen Arbeiten angehalten werde«, »weil sie fein ist«975. Mit dieser Begründung implizierte die Mutter, dass ›weibliche Arbeiten‹ mit einem charakteristischen Weiblichkeitsideal der Sorgsamkeit und des häuslichen Fleißes verbunden wurden, das sich von anderen bäuerlichen und dienenden Weiblichkeitsentwürfen durchaus unterschied. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass Interessen und Neigung nicht unabhängig vom jeweiligen Geschlecht Berücksichtigung fanden: Denn Berufung und Arbeitsamkeit blieben im Falkschen Institut ein männliches Privileg, das sich in den Prinzipien widerspiegelte, die der Lehrstellenvergabe zu Grunde lagen: »Unsre Einrichtung ist nämlich diese: die verwilderten Knaben werden geprügelt, zu welcher Handthierung sie die meiste Lust bezeugen.«976 Im Idealfall sollte keinem heranwachsenden Mann eine Lehrstelle angeboten werden, die nicht mit seinem inneren Antrieb korrespondierte. Das zu entwickelnde Männlichkeitsverständnis basierte auf dem Bewusstsein, dass durch die Erlernung eines selbst gewählten Handwerks längerfristig Armut verhindert und Wohlstand geschaffen werden könne. Denn entgegen der jahrhundertealten Zunfttradition mit ihren protektionistischen Reglementierungen hätten sich zu allen Zeiten – so die zeitgenössische Vorstellung – gerade im Handwerk »Talent und Geschicklichkeit hervorgethan«977, weshalb die innere Neigung eines Heranwachsenden eine Voraussetzung für die Aufnahme einer längerfristigen Beschäftigung darstellte. Für junge Frauen bestand weder die Wahlfreiheit für einen bestimmten Beruf, noch existierte ein Bewusstsein, wonach auch Frauen gleichsam einem inneren Antrieb folgend sich für eine zukünftige Tätigkeit außerhalb des Hauses oder abseits ›weiblicher Arbeiten‹ entscheiden konnten. Zwar sollten auch sie ihr Leben durch Arbeitsamkeit gestalten und sich so für andere einsetzen, dies aber im Gegensatz zu heranwachsenden Männern ohne die Alternative, aus mehreren und den Neigungen jeder Einzelnen angemessenen Berufen auswählen zu können.

975 976

977

Aufzeichnungen über Christiana Taubenecken, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 153v. Brief Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 18. Mai 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 100v.–105v., hier Bl. 103v. Lette, W. A.: Art. »Handwerk«, in: Staats-Lexikon Bd. 7, S. 418–422, hier S. 419.

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4.3.4 ›Innere Neigung‹ und männliche Vorbilder Trotz der in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten unterschiedlichen Aspekte, die die Berufswahl bzw. -zuweisung beeinflussten, geht aus den Akten des Falkschen Instituts hervor, dass viele Väter der Jugendlichen bereits als Handwerker in dem Gewerk arbeiteten, das ihre Söhne bei der Aufnahme im Falkschen Institut präferierten. Obwohl die persönliche Vorliebe eines jungen Mannes für bestimmte Arbeiten gleichsam als angeborenes Interesse gedeutet wurde, woraus die Wahl für einen beruflichen Werdegang resultierte, waren diese Wunschvorstellungen offenbar das Ergebnis eines in der frühesten Kindheit einsetzenden Sozialisationsprozesses, in dessen Verlauf entweder Väter oder andere erwachsene Männer als Vorbilder das Interesse bei Heranwachsenden für oder gegen bestimmte Tätigkeiten beeinflusst haben. In welchem konkreten Wechselverhältnis der väterliche Beruf mit der Wahl der zukünftigen Tätigkeit des Zöglings stand, soll im Folgenden untersucht werden. Häufig entsprach der väterliche Beruf dem angestrebten Beruf eines jungen Mannes. Falk notierte dann nur knapp: »Der Bursche will durchaus Sattler werden, was auch sein Vater war.«978 Anscheinend folgten Söhne ihren Vätern ganz selbstverständlich in der beruflichen Laufbahn, ohne die konkreten Gründe für diese Entscheidung zu nennen. Die Entscheidung, den väterlichen Beruf zu ergreifen, war in erster Linie ein rein pragmatischer und an ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichteter Entschluss, der aufgrund einer intakten handwerklichen Produktionsstätte getroffen wurde. War beispielsweise ein Vater verstorben, so war es durchaus üblich, dass die Ehefrau ihren Sohn aufforderte, nicht nur die Fertigkeiten des Vaters zu erlernen, sondern auch die Werkstatt fortzuführen. Sogar kinderlose Witwen baten beim Falkschen Institut für fremde Zöglinge um Unterstützung, die nach Beendigung der Lehre das Gewerbe des verstorbenen Ehemannes fortführen sollten.979 Junge Männer folgten mit dem väterlichen Beruf nicht zwangsläufig einer Familientradition, der sich alle männlichen Mitglieder unterzuordnen hatten. Vor 1800 war die Vererbung der Werkstatt vom Vater an den Sohn vor allem in Gewerken mit teuren Produktionsmitteln wie Schmieden oder Brauereien anzutreffen, obwohl strukturelle Bedingungen – wie die Wanderpflicht – der Begründung einer Traditionslinie im Wege standen.980 Erst 978 979

980

GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 136r. Vgl. den Fall des 17-jährigen Friedrich Gottlieb Gerhard, dessen Vater in seinem 3. Lebensjahr verstorben war und der die Werkstatt der Witwe Krause in Weimar übernehmen sollte. Vgl. GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 126r. Vgl. Mitterauer: Grundtypen, S. 113f. und 116–118.

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nach dem Abschluss einer Lehre bestand für die jungen Männer die Aussicht, auf eine bereits vorhandene handwerkliche Infrastruktur zurückzugreifen oder rechtmäßig Eigentum daran zu erwerben und damit in die »Fußstapfen«981 ihrer Väter zu treten. Allein die berufliche Qualifikation legitimierte den berechtigten Anspruch des Sohnes auf das väterliche oder außerfamiliäre Handwerk oder Gewerbe. Aus den Beschreibungen der Zöglingsschicksale ist jedoch zu entnehmen, dass über diese wirtschaftlichen Überlegungen hinaus auffallend oft die persönlichen Interessen der Heranwachsenden mit den Berufen der Väter übereinstimmten. »Der Mann war Sattler, der Junge bezeigt große Lust zu seines Vaters Handwerk, das ist sein eigenes und größtes Wohlgefallen.«982 Die väterliche Arbeit prägte wahrscheinlich den Berufswunsch junger Männer, weil Heranwachsende aus dem ländlichen und städtischen Handwerk von Kindheit an mit den Arbeitsabläufen ihrer Eltern vertraut waren.983 Über diesen Zusammenhang vermerkte Falk mit Blick auf den jungen Michael Saal, Sohn eines Zimmermannes: »Dieses neunte Kind zeigt seine Anlagen und ein besonders Geschick zu mechanischen Dingen […]«984 Diese Eigenschaften waren dem Jungen aber keineswegs angeboren, sondern ein über den Vater vermitteltes Interesse an technischen Zusammenhängen, »weil [ihn] sein Vater, der Zimmermann beständig mit auf die Arbeit genommen«985 habe. Nach 1800 bildete sich nur sehr langsam ein ›öffentlicher‹ und von der Familie separierter ›Raum des Arbeitens‹ heraus,986 sodass bis weit in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts hinein Familienleben und handwerkliche Produktion auf das Engste miteinander verbunden blieben.987 Weil Söhne ärmerer Bevölkerungsschichten ihre Väter weiterhin im Alltag unmittelbar als ar981

982

983

984 985 986

987

Aufzeichnungen über Johann Christoph Daniel Thiele, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 162v. Aufzeichnungen über Johann Georg Theobald Höhne, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 254r. Vgl. Geisthövel, Alexa: Restauration und Vormärz 1815–1847. Seminarbuch Geschichte (= UTB; 2894), Paderborn u. a. 2008, S. 172. GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 99v. Ebd. Vgl. Ruhne, Renate: Raum Macht Geschlecht. Zur Soziologie eines Wirkungsgefüges am Beispiel von (Un)Sicherheiten im öffentlichen Raum. Opladen 2003, S. 95f.; Budde, Gunilla-Friederike: Harriet und ihre Schwestern. Frauen und Zivilgesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Jessen, Ralph / Reichardt, Sven / Klein, Ansgar (Hrsg.): Zivilgesellschaft als Geschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2004, S. 327–344, hier S. 328–331. Vgl. Schlumbohm: Kinderstuben, S. 213.

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beitende Männer erlebten, konnten diese bei der Berufswahl vorbildhaft auf ihre Söhne wirken. Innerhalb des Bildungsbürgertums hatte sich bereits die gegenläufige Tendenz verbreitet, dass sich junge Männer für einen anderen als den väterlichen Beruf entschieden.988 Der von einer Generation auf die nächste Generation übertragene berufliche Lebensweg blieb aber im städtischen und ländlichen Handwerk die Regel. Die Heranwachsenden nahmen nicht nur passiv an den Produktionsprozessen des Handwerks eines männlichen Verwandten teil, sondern wurden von ihren Vätern oder Großvätern aktiv in die Arbeitsabläufe eingebunden. Der junge Johann Andreas Stachelrodt aus Markvippach arbeitete beispielsweise für seinen Großvater, der als Schneider seinen Lebensunterhalt verdiente. »Er mußt ihm früher in seiner Werkstatt einfädeln helfen.«989 Daraus resultierte Stachelrodts »Lust zu einem Schneider«990, weshalb Falk auch die Ausbildung in diesem Handwerk empfahl. Umgekehrt befürworteten ältere männliche Verwandte die Ausbildung von Söhnen und Enkelsöhnen in ihrem Gewerbe, weil die jungen Männer »bey diesem Handwerk aufgewachsen«991 waren. Neben Vätern und Familienangehörigen konnten auch andere erwachsene Männer vorbildhaft auf Heranwachsende wirken und deren Entscheidungsfindungen für oder gegen einen Beruf beeinflussen. Das fachliche Interesse heranwachsender Männer wurde in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ebenfalls durch Soldaten geprägt, die in den Wohnungen der Weimarer Bevölkerung einquartiert waren. Abgesehen von den zu erwartenden Unannehmlichkeiten, die – unabhängig ob es sich um feindliche oder landeseigene Truppen handelte – für die Quartiergeber entstanden, trafen im alltäglichen Zusammenleben Militär- und Zivilbevölkerung unmittelbar aufeinander.992 Die um 1800 einquartierten 988 989

990 991

992

Vgl. Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums, S. 93–98. Aufzeichnungen über Georg Friedrich Pabst, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 129r. Vgl. auch den Eintrag für Johann Andreas Stachelrodt unter der Nummer 122 im Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817), sowie die Aufzeichnungen über Maria Elisabeth und Johanna Magda Stachelrodt, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 170r.–170v. Aufzeichnungen über Georg Friedrich Pabst, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 129r. Brief Johann Gottfried Baumgartens an Johannes Falk, Isserstedt 10. Juni 1813, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 219r.–219v., hier Bl. 219r. Vgl. Pröve, Ralf: Landesherrliche Soldaten in Göttingen. Die Stadt als fürstliche Garnison und Festung 1641–1762, in: Denecke, Dietrich (Hrsg.): Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt. Bd. 2. Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluss an Preußen – Der Wiederaufstieg als Universitätsstadt. Göttingen

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Soldaten unterschieden sich jedoch von den oft durch die Bevölkerung als parasitär empfundenen Söldnern früherer Jahrhunderte. So gingen zwangsverpflichtete Soldaten in Phasen der Beurlaubung und Einquartierung nicht selten ihren im zivilen Leben erlernten Beruf nach.993 Häufig arbeiteten Soldaten dann in solchen Gewerken, die ohne eine eigene Werkstatt oder aufwendige Werkzeuge auskamen. Die heranwachsenden Söhne der Quartiergeber müssen die einquartierten Soldaten als arbeitende Handwerker erlebt haben, sodass etwa ein als Schuster arbeitender Soldat das Interesse eines jungen Mannes für diesen Beruf weckte. »Diese Lust schreibt sich aus der Zeit her wo 1806 Preußen […] im Quartier lagen, worunter noch ein Schuhmacher war. Hierdurch wurde […] für Leisten und Pechdrath eine unüberwindliche Neigung in der Seele des Kindes gelegt.«994 Das Interesse für eine bestimmte Tätigkeit wurde nicht nur durch die Gegenwart eines arbeitenden erwachsenen Mannes geweckt, sodass eine männliche, insbesondere väterliche Vorbildwirkung nicht überbetont werden darf. Arbeitsvorgänge, die Heranwachsende aus ihrer alltäglichen Lebenswelt kannten und mit denen sie vertraut waren, ohne dass diese explizit durch einen älteren Mann vermittelt wurden, konnten ebenfalls den späteren Berufswunsch prägen. So zeigten auffallend viele junge Männer ein »angeborenes natürliches Talent dazu, […] Hosen und […] Mützen«995 selbst anzufertigen oder auszubessern, ohne dass ihre Väter als Schneider arbeiteten. Die Vermutung liegt nahe, dass junge Männer in der Kindheit und im Jugendalter mit solchen Tätigkeiten in Kontakt kamen und deswegen besonders geschickt mit Nadel und Stoffen umgehen konnten. Einen solchen Fall verzeichnen die Quellen für den 13-jährigen Friedrich Klimpert, der zunächst ein Schneider werden wollte.996 »Er

993

994

995

996

2002, S. 479–521, hier S. 504; Hochedlinger, Michael: Rekrutierung – Militarisierung – Modernisierung. Militär und ländliche Gesellschaft in der Habsburger Monarchie im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus, in: Kroll, Stefan / Krüger, Kersten (Hrsg.): Militär und ländliche Gesellschaft in der Frühen Neuzeit (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; 1). Hamburg 2000, S. 327–375, hier S. 348. Vgl. Rathjen, Jörg: Soldaten im Dorf. Ländliche Gesellschaft und Kriege in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1625–1720. Kiel 2007, S. 186. Vertrag der Gesellschaft der Freunde in der Not für Preller aus Umpferstedt, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 135r.–135v., hier Bl. 135r. Aufzeichnungen über Johann Friedrich Gottschalk, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 224r. Vgl. Aufzeichnungen über Friedrich Klimpert, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 67v.

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macht sich alles selbst zurecht. Er flickt sich alles selbst. Es ist sein Leben, wenn er Lappen und Nadel ansehen kann, das ist von der Morgenstunde sein [...] Trachten, bis es spät wird.« 997 Die Mutter des Jungen hatte den verarmten Vater und die Kinder verlassen und so musste Friedrich Klimpert ihre Aufgaben – wozu auch das Nähen und Stricken für die Familie gehörte – übernehmen, während sein Vater einer Arbeit außerhalb der Familie nachging. Obwohl Friedrich Klimpert die Handarbeitstätigkeiten aus einer familiären Notsituation heraus ausführte, entwickelte sich daraus eine Vorliebe für diese Aufgaben und der Wunsch, einen Handwerksberuf zu erlernen, in dem er die ihm vertrauten Arbeitsabläufe weiterhin anwenden konnte. Den arbeitenden Vater erlebte Friedrich Klimpert nie innerhalb der Familie, sodass der väterliche Beruf nicht beispielhaft auf den Berufswunsch des Jungen einwirken konnte. Die Herauskristallisierung eines konkreten Berufswunsches bildete einen wichtigen Prozess im Erwachsenwerden eines jungen Mannes, der sich über mehre Jahre hinziehen konnte, sodass es wenig verwundert, wenn heranwachsende Männer des Falkschen Instituts ihren einmal gefassten Berufswunsch wieder änderten. Der zuvor erwähnte Friedrich Klimpert konnte beispielsweise aufgrund einer zeitweiligen Erkrankung zunächst nicht an einen Schneider vermittelt werden. Nach seiner Genesung verdiente er sich deshalb vorübergehend etwas Geld bei einem Oßmannstedter Maurer und half anschließend als Handlanger dem Weimarer Maurermeister Christian Theodor Hieronymus Reineck.998 Der direkte Kontakt zu den Maurern beeinflusste den Jugendlichen in seinem Berufswunsch so sehr, dass Klimpert »dabei größere Lust zu dieser Profession der Maurer«999 bekommen habe, weshalb er schließlich nicht bei einem Schneider aufgedungen wurde, sondern in die Maurerlehre zu Meister Reineck ging. Individuelle Neigungen und Wünsche waren in den seltensten Fällen etwas »Angeborenes«1000, sondern wurden vielmehr durch männliche Vorbilder oder durch Erfahrungen mit arbeitenden Männern bestimmt.1001 Arbeitende Väter und Männer aus der unmittelbaren Le997

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1000

1001

Brief Johann Christian Marschalls an Johannes Falk, Oßmannstedt, 10. August 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 68r.–68v., hier Bl. 68r. Vgl. ebd. Vgl. Heiratsregistereintrag für Christian Theodor Hieronymus Reineck, in: KA WE HR SK 1807, fol. 240v. Brief Johann Christian Marschalls an Johannes Falk, Oßmannstedt, 10. August 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 68r.–68v., hier Bl. 68r. Das Motiv des »Angeborenen« oder einer natürlichen Veranlagung wird in Bezug auf den Wunschberuf nur äußerst selten bemüht. Vgl. GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 12v. Vgl. Kocka: Arbeitsverhältnisse, S. 224.

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benswelt der Heranwachsenden prägten die Vorstellungen vom zukünftigen Berufsweg junger Männer. Die Wahl eines Berufes ist demzufolge auch nicht als unumstößliches Resultat eines frühkindlichen Sozialisationsprozesses zu verstehen, weshalb ein Zögling des Instituts seinen Wunsch nach einem anderen Handwerk äußern konnte. Das Institut ermöglichte in solchen Fällen, den selbst gewählten Berufswunsch zu überdenken, auch wenn sich ein Zögling zuvor fest zur Aufnahme eines anderen Gewerks entschlossen hatte. Obwohl Falk die Lehrstellenvergabe an der individuellen Neigung eines Jugendlichen ausrichtete, waren deren Wünsche durch das Vorbild eines Vaters, eines arbeitenden Verwandten oder tatkräftigen Bürgers beeinflusst. Damit wirkte Arbeit im höchsten Maße identitätstiftend auf einen heranwachsenden Jugendlichen.

4.3.5 ›Berufung‹ zum Mann und Vater: Arbeit für die Familie – Arbeit in der Familie Das Falksche Institut praktizierte keine Anstaltpädagogik wie es die Bezeichnung Institut oder Anstalt suggeriert. Die Familie blieb der wichtigste Ort der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, wenn letztere in Handwerkerfamilien untergebracht wurden oder in Kleingruppen mit familiären Strukturen aufwachsen sollten, sodass Berufsarbeit und Familienleben eine untrennbare Einheit bildeten. In bildungsbürgerlichen Kreisen wurde Müttern eine immer wichtigere Rolle bei der Kindererziehung zugesprochen, während sich Väter aufgrund eines außerfamiliären Berufes davon weitgehend zurückzogen.1002 Väter und Mütter aus dem (verarmten) städtischen und ländlichen Handwerk engagierten sich hingegen gleichermaßen für die Familie. Söhne erlebten ihre Väter als arbeitende Männer und arbeitende Väter. Die Vorstellung, dass der Vater einer Familie diese als Oberhaupt zu ernähren hatte, kommt auch in einer Vielzahl von Berichten des Falkschen Instituts zum Ausdruck. Söhne unterstützten ihre unermüdlich am Webstuhl arbeitenden Väter, indem sie sich selbst als Tagelöhner verdingten und den Lohn ihrer Arbeit der Herkunftsfamilie überließen. Verstarb der Vater, so musste der älteste Sohn an dessen Stelle treten und die Versorgung seiner Mutter und der Geschwister sichern, wie im Fall des jungen und noch ungelernten Heinrich Scheit, der seinem Vater noch »auf dem Todtenbette unter Darreichung der Hand angeloben« musste, »daß er sich auf seines Vaters Stuhl setzen und die Kleinen in die Höhe bringen 1002

Vgl. Gestrich: Werteerziehung, S. 128f.

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wollte«1003. In diesem Versprechen deutet sich an, dass der Sohn die väterlichen Pflichten nicht allein dadurch erfüllt, dass er einer geregelten Arbeit nachgeht und seine Geschwister sowie die verwitwete Mutter finanziell absichert. Um seiner zukünftigen Aufgabe als »Ersatzvater« gerecht werden zu können, müsse er die beiden jüngeren Schwestern und den kleineren Bruder »in die Höhe bringen«. Obwohl die Quellen für den beschriebenen Fall keine Auskunft darüber geben, wie und durch welche Tätigkeiten Heinrich Scheit diesem väterlichen Vermächtnis entsprechen konnte, gab ihm der Vater dadurch indirekt zu verstehen, sich aktiv an der Erziehung der jüngeren Geschwister zu beteiligen und die Mutter dabei zu unterstützen. Aus den Beschreibungen der Herkunftsfamilien geht hervor, dass die von Vätern praktizierte Kindererziehung durchaus üblich war, insbesondere dann, wenn diese verwitwet waren.1004 Als Begleiterscheinung des Krieges konnten sich Männer nicht mehr auf die ihnen von der Aufklärung zugeschriebene Rolle als Vernunfts- und Moralerzieher beschränken,1005 ging es doch um die ganz praktische Erziehung, die nun von ihnen ausgeführt werden musste. Die Erziehung von Kindern und die damit verbundenen Aufgaben wurden auch von den Zeitgenossen als wertzuschätzende männliche Arbeit wahrgenommen, während dieselben Tätigkeiten von Frauen lediglich eine zu erbringende Pflicht darstellten. Deshalb erweiterte sich der Arbeitsbegriff, der nicht mehr nur die Herstellung von Gütern bezeichnete. »Die Arbeit ist productiv, entweder indem sie Tauschwerthe hervorbringt, oder indem sie die productiven Kräfte vermehrt. Wer Pferde groß zieht, producirt Tauschwerthe, wer Kinder lehrt, producirt productive Kräfte.«1006

Dabei war es egal, ob ein Schullehrer Kinder unterrichtete oder ein Vater seine Kinder zur Arbeit anhielt – beide arbeiteten. Schließlich begründete bereits eine Vaterschaft gleichsam berufliche Pflichten dem eigenen Kind gegenüber. So gehörte beispielsweise für einen an Falk schreibenden Pfarrer ein Schuhmacher »unter die Art pflichtvergeßner und ihres hohen Elternberufs unwürdiger Menschen, die gar nicht für die Erfüllung ihrer desfallsigen Obliegenheiten sorgen wollen«1007, weil jener seine Kinder nicht das Schuhmacherhandwerk lehrte. 1003 1004 1005 1006 1007

Vgl. GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 513r. Vgl. GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 353v. Vgl. Gestrich: Werteerziehung, S. 128. Friedländer: Arbeit, 648. Brief Gotthilf Gottfried Christian Labes an Johannes Falk, Ramsla, 8. Juni 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 265r.–266r., hier Bl. 265r.

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Familialisierung im Sinne einer ideellen Familienorientierung prägte den männlichen Arbeitsbegriff grundlegender als bislang vermutet. Obwohl Jugendliche erwerbstätig arbeiteten, um dem Bild des männlichen Ernährers zu entsprechen, scheuten sie sich gleichzeitig auch nicht, alltägliche Aufgaben innerhalb der Familie zu übernehmen. Die Aufwertung der Vaterschaft als Beruf, der auf die Integration der eigenen Kinder in die Gesellschaft abzielte, beförderte diese Bereitschaft junger Männer insbesondere dann, wenn ein oder beide Elternteile verstorben waren.

5. Geschlechtergrenzen im Falkschen Institut 5.1 Diszipliniertes Geschlecht – Geschlecht diszipliniert Um 1800 veränderte sich der Einsatz von Gewalt als Sanktionsmittel im öffentlichen wie im privaten Lebensumfeld gleichermaßen, indem immer weniger direkte Gewalt in Form von massiven körperlichen Übergriffen praktiziert wurde, sondern ›symbolische‹ bzw. ›sanfte‹ Gewalt – beispielsweise im Sinne von materieller Belohnung oder Selbstkontrolle – an Bedeutung gewann.1008 Zwar gehörte die Ausübung körperlicher Gewalt im 19. Jahrhundert weiterhin zum Bestandteil eines väterlich-männlichen Habitus, aber das sich verfestigende institutionalisierte Gewaltmonopol bot Kindern und Heranwachsenden in gewisser Weise Schutz vor gewalttätigen Eltern. Ohrfeigende Hausväter übten keine zu verachtende brutale Gewalt aus, sondern entsprachen mit diesen Formen der »kleine[n] Gewalt«1009 dem Bild des harten Mannes, der die ihm unterworfenen Personen durch Gewaltanwendung strafte. Auf behördlicher Seite hatte sich die Einsicht durchgesetzt, dass ein Wegsperren oder Strafen nicht zur Integration jugendlicher Diebe oder Arbeitsverweigerer in die Gesellschaft führte, sodass Gefängnis- oder Körperstrafen vergleichsweise maßvoll verhängt wurden. Wo körperliche Strafen ausgeübt wurden – etwa beim Ein- und Austritt ins Weimarer Zuchthaus, die von den Zeitgenossen euphemistisch als ›Willkommen‹ und ›Abschied‹1010 bezeichnet wurden –, reflektierten die Verantwortlichen über die Angemessenheit und die Möglichkeit der Vermeidung gesundheitlicher Langzeitschäden. 1008

1009 1010

Vgl. Lindenberger / Lüdtke: Physische Gewalt, S. 17; Döbler: Blutige Spuren, S. 314. Lindenberger / Lüdtke: Physische Gewalt, S. 24f. Vgl. ThHStAW B 2360c. Zur Geschichte des Zuchthauses am Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Ventzke: Herzogtum, S. 440–446.

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Zur Disziplinierung von Zöglingen bediente sich Falk institutionalisierter Gewaltmonopole außerhalb des Falkschen Instituts. Die Bestrafung von Zöglingen war im »Falkschen Erziehungsplan nicht ausgeschlossen, allerdings überließ er diese Aufgabe den Behörden«1011. Dazu gehörten neben Gerichten und Polizeikommissionen auch Arbeitshäuser und Gefängnisse.1012 Ebenso wie brutale elterliche Gewalt innerhalb der Familie nicht länger als adäquates Erziehungsmittel von staatlicher Seite geduldet wurde,1013 sollte körperliche Gewalt im Falkschen Institut keine Anwendung finden. Weil Falks fürsorglicher Ansatz auf die Integration der Heranwachsenden in die Gesellschaft abzielte, sprach er sich ebenfalls gegen längere Unterbringung in einem Gefängnis aus, weil dadurch die bürgerliche Ehre jedes Einzelnen dauerhaft beschädigt würde.1014 Ganz ähnlich argumentierte Friedrich Schwabe, als er 1833 bei der Anwendung von Körperstrafen in der Weimarer »Erziehungsanstalt für verlassene und sittlich-verwahrloste Kinder« darauf insistierte, dass der »Sträfling nicht dem Spotte oder Hohngelächter der anderen ausgesetzt werden soll«.1015 Im Falkschen Institut wurden in der Mehrzahl Vergehen gegen die vertraglich zwischen Zögling, Lehrmeister und Institut vereinbarten Verabredungen geahndet. Entfernten sich Heranwachsende ohne Erlaubnis aus der Pflegefamilie oder kehrten sie nicht aus den Ferien zurück, so mussten sie öffentlich vor den anderen Schülern und Zöglingen im Betsaal ihre Taten gestehen und Besserung geloben. Wer sich weigerte, die »Erklärung abzulegen«, wurde »förmlich aus dem Institut entlassen« und verlor »alle bisherige Unterstützung«1016. Sollte es zu »einem abermaligen Rückfall«1017 kommen, wurde der erneute Regelverstoß mit dem sofortigen Ausschluss des Heranwachsenden aus dem Institut bestraft. Auf die fristlose Entlassung aus dem Institut folgten für die ehemaligen Zöglinge nicht selten vor allem finanzielle Schwierigkeiten, da Falk sich weigerte, weiterhin die Schulgelder bzw. Lehrgelder zu bezahlen.1018 Auch das öf1011 1012 1013 1014

1015 1016

1017 1018

Reis: Falk, S. 51. Vgl. Lindenberger / Lüdtke: Physische Gewalt, S. 10f. Vgl. Döbler: Blutige Spuren, S. 336. Schreiben Johannes Falks an die großherzogliche Kammer, Weimar 18. Mai 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 100v.–105v., hier Bl. 102r. Schwabe: Grundsätze, S. 74. Aufzeichnungen Johannes Falks über Lorbeer, Weimar 1. Mai 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 2, Bl. 40r.–40v., hier Bl. 40v. Ebd. Vgl. Brief [Entwurf] Johannes Falks an das Oberkonsistorium, Weimar 14. Januar 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 10, Bl. 218r.–219v., hier Bl. 218v.

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fentliche Vorlesen der Briefe von Eltern, Pfarrern und Pflegefamilien, in denen die Verfehlungen der Heranwachsenden thematisiert wurden, war üblich.1019 Die Sanktionierung festgelegter Regeln scheint aus der Retrospektive wenig verwunderlich, sondern verdeutlicht allenfalls, ob und wie normative Vorgaben in der Praxis überschritten wurden bzw. welche Bedeutung einzelnen Ge- und Verboten zukam. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass im Falkschen Institut sanktionierende und disziplinierende Methoden mit Geschlechtervorstellungen korrespondierten, obwohl das Verhältnis der Geschlechter in den wenigen normativen Schriften der Gesellschaft oder in den Verträgen zwischen dem Falkschen Institut und den Zöglingen keineswegs klar ausformuliert war. Die im Falkschen Institut implizit vorhandenen Geschlechternormen – etwa die angestrebte, aber nie konsequent umgesetzte separierende räumliche Aufteilung oder die geschlechtersegregatorische Unterrichtsgestaltung – beeinflussten auf paradoxe Art die disziplinierenden Maßnahmen in zweifacher Hinsicht. Die Überschreitung struktureller Geschlechternormen gab Anlass zu disziplinierender Intervention. Die räumliche Separierung der Geschlechter sollte ein unkontrolliertes Aufeinandertreffen der männlichen und weiblichen Zöglinge verhindern. Falk und die aufsichtführenden Seminaristen billigten körperliche Gewalt, um jede Form der Grenzüberschreitung zu sanktionieren. Der geschlechtersegregatorische Unterricht und die räumliche Trennung junger Frauen und Männer im Institut war keinesfalls eine bloße organisatorische Formalität, wie ein »unangenehme[r] Vorfall[...]«1020 verdeutlicht, der sich im Anschluss an die sonntägliche Betstunde am 18. Juli 1819 ereignet hatte. Der Schneiderlehrling »Kuppe« war »so unverschämt, und wollte sich mit durch die Mädchen zum Saal hinaus drängen«1021. Weil Kuppe damit die Grenzen des sittlichen Verhaltens innerhalb des Instituts überschritten hatte, indem er gemeinsam mit den weiblichen Zöglingen das Institut verließ, verwarnte ihn der Seminarist Fiedler, »er sollte warten, aber vergebens«1022. Fiedler ergriff den Flüchtenden, und während der sich anschließenden verbalen Auseinandersetzung ohrfeigte der Seminarist den Schneiderlehrling. Die 1019

1020

1021 1022

Vgl. Johann Georg Rettners Nachtrag auf dem Brief Christian Straßburgs an Johannes Falk, Weimar 18. März 1823, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 307r.–308r., hier Bl. 308r. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 21. Juli 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 333r.–334r., hier Bl. 333v. Ebd. Ebd.

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Übertretung von Geschlechternormen hatte ein disziplinierendes Einschreiten des Seminaristen zur Folge. Diese Praxis als solche überrascht noch nicht. Allerdings hatte sich Johannes Falk dafür »selbst ausgesprochen«1023, unter Anwendung körperlicher Gewalt auch die Einhaltung geschlechterseparierender Regeln im Institutsalltag umzusetzen. Der Vorfall verdeutlicht, dass den auf normativer Ebene – etwa im Monatsbuch – ausformulierten geschlechterseparierenden Grundsätzen vergleichsweise rigide disziplinierende Praktiken gegenüberstanden, wobei in anderen Fällen nur ein öffentlicher Verweis ausgesprochen wurde.1024 Mit ihrem harschen Vorgehen gegen Regelverstöße männlicher Jugendlicher beugten Falk und die Seminaristen unerlaubten (sexuellen) Kontakten zwischen den Heranwachsenden vor, die letztlich dem Ruf des ganzen Instituts geschadet hätten. Wurden junge Frauen einer Beziehung zu einem oder zu mehreren Männern überführt, ermahnten Falk und die Seminaristen die Heranwachsenden. Dagegen prügelten Pflegemütter mit Schlägen auf die jungen Frauen ein, wenn diese normative Geschlechtergrenzen überschritten hatten.1025 Die Ausübung körperlicher Strafen orientierte sich strikt an geschlechtersegregatorischen Vorstellungen, sodass Pflegemütter, die junge Frauen schlugen, vom Institut geduldet wurden. Männer durften junge Frauen auch dann nicht züchtigen, wenn letztere unsittliches Verhalten an den Tag gelegt und die Ehre der Familie gefährdet hatten.1026 Geschlechternormen wurden im Zusammenhang mit Disziplinarmaßnahmen von den Verantwortlichen im Falkschen Institut auch ganz bewusst überschritten, um korrigierend auf Heranwachsende Einfluss zu nehmen. Als der 14-jährige Johann Heinrich Pause im Dezember 1814 des Diebstahls überführt und zu einer 14-tägigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde, war es ausdrücklicher Wunsch der Behörden, dass er anschließend eine Lehre beginnen sollte. Während der zweiwöchigen Arrestzeit sollte Pause zudem zwei Mal mit »fünfzehn seiner Leibesconstitution angemessenen Hieben durchhauen«1027 werden. In Ansehung des Heranwachsenden und seiner Vergehen wurden Strafen in ihrer 1023 1024

1025 1026

1027

Ebd. Vgl. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 29. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 44r.–45r., hier Bl. 44r. Ebd. Vgl. Protokoll über Friederike Heinemann, Weimar 22.07.1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 53r. Aufzeichnungen über Johann Heinrich Pause, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 192v.–197v., hier Bl. 195v.

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Quantität und Qualität individuell verhängt, wobei im 19. Jahrhundert eine zunehmende psychologische Gewaltanwendung zu beobachten ist, die eine Folge des aufklärerischen Erziehungsideals darstellte.1028 Aus den Akten des Falkschen Instituts geht hervor, dass diese Strafe keineswegs die beabsichtigte Verhaltensänderung Pauses zur Folge hatte und dass er keine Lehre absolvierte, sondern unter wechselnden Herrschaften als Knecht diente und in den nächsten Jahren wieder ins Zuchthaus kam.1029 Als Falk 1821 den Jugendlichen, der auf Wunsch der Mutter eine Schneiderlehre beginnen sollte, zu sich ins Institut nahm, wusste er »in dem Augenblick keinen Schneidermeister [...], der ihn in die Lehre nehmen wollte«1030. Abgesehen von der Tatsache, dass andernorts (junge) Männer ›weibliche Arbeiten‹ zur Überbrückung arbeitsarmer Zeiten ausübten, funktionalisierte Falk explizit Frauen zugeschriebene Tätigkeiten, um die Wartezeit Pauses auf eine passende Lehrstelle zu überbrücken. In seinem Fall besaß die vorübergehende Beschäftigung mit Handarbeiten innerhalb des Instituts sanktionierende, disziplinierende und erzieherische Funktionen. Die mit weiblichen Handarbeiten verbundenen Erziehungsziele wie Sauberkeit, Sparsamkeit und Fleiß sollte Johann Heinrich Pause solange verinnerlichen, bis er bei einem Meister untergebracht werden konnte. Pause, der vor Eintritt in das Falksche Institut im Zuchthaus gesessen hatte und mittlerweile 20 Jahre alt war, sollte mit »kleinen Handarbeiten [...] immer beschäftigt« sein, damit er »gegen böse Gedanken geschützt würde«1031. Ob Pause tatsächlich zusammen mit weiblichen Zöglingen unterrichtet wurde bzw. wer den Unterricht in ›weiblichen Arbeiten‹ erteilte, ist nicht überliefert. Obwohl im Falkschen Institut die Geschlechterräume nicht strikt voneinander getrennt waren, ist es kaum vorstellbar, dass sich Pause gemeinsam mit den jungen Frauen des Instituts versammelte. Da er eine Zeit lang direkt im Lutherhof untergebracht wurde, ist es denkbar, dass Pause, der von den Seminaristen auch im Schreiben, Rechnen und Lesen unterrichtet wurde, von Caroline Falk in den Handarbeiten angeleitet wurde. In ähnlicher Weise wurde unter bestimmten Umständen die Erziehung weiblicher Zöglinge situativ angepasst, wie der Fall Luise Schmidts verdeutlicht. Die 15-jährige Tochter eines Weimarer Schuhmachers war mehrerer Diebstähle überführt worden. Sie hatte unter anderem der Herrin, 1028 1029

1030 1031

Vgl. Döbler: Blutige Spuren, S. 314. Aufzeichnungen über Johann Heinrich Pause, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 192v.–197v., hier Bl. 196r. Ebd. Ebd.

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bei der sie in Diensten stand, Geld gestohlen. Für dieses Vergehen wurde sie von ihrem Vater zwar bestraft, doch sah dieser keinen anderen Ausweg im Hinblick auf die Zukunft der Tochter, als im Falkschen Institut Hilfe zu suchen. Entgegen der gängigen Praxis, Mädchen und junge Frauen in ihren Elternhäusern wohnen zu lassen und in Handarbeiten durch erfahrene Frauen zu unterrichten, entschloss sich Falk in diesem Fall zu einer anderen Erziehungsmethode, um die Diebereien Luise Schmidts zu beenden. »In ihrer hiesigen Umgebung wird schwerlich etwas aus ihr werden. Sofern der Vater und die Großhzl. Regierung es genehmigt, wollte ich dieselbe nach Ilmenau, unter die geschärfte Aufsicht unser[e]s [...] dortigen Vorstehers des Adjunctus und Predigers Thieme setzen«.1032

Tatsächlich entfernte Falk die Heranwachsende »zur Correctur«1033 aus ihrem familiären Umfeld. In Ilmenau erlernte Luise Schmidt nicht zusammen mit anderen Mädchen und jungen Frauen ›weibliche Arbeiten‹, sondern diente dem Tuchmacher Wagner und Meister Stohwasser,1034 bei dem sie auch wohnte. Sie wurde also nicht von Frauen unterwiesen und erzogen, sondern ganz bewusst unter die Aufsicht eines Handwerksmeisters gestellt, weil andere Erziehungsmaßnahmen versagt hatten. Luise Schmidts Erziehung glich den Ausbildungswegen der männlichen Zöglinge. Die Tatsache, dass sich die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not zu einer Vereinigung von Männern zur Hilfe für junge heranwachsende Männer entwickelte, zeigt deutlich, dass für Luise Schmidt ganz bewusst eine von der ›weiblichen Fürsorge‹ der Weimarer Gesellschaft abweichende Interventionsmaßnahme gewählt wurde.

5.2 Geschlecht(er) in Beziehung Um 1800 setzte die Tabuisierung der Sexualität, die Unterdrückung sinnlich-erotischen Verlangens und die Diskriminierung vorehelicher Geschlechtlichkeit ein, während zuvor ein freizügigerer Umgang mit Sexu1032

1033

1034

Aufzeichnungen Johannes Falks über Luise Schmidt, Weimar 1816, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 69v.–71r., Bl. 70r. Aufzeichnungen über die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215r.–219v., hier Bl. 216r. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Luise Schmidt, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 69v.–71r., Bl. 70r.; Aufzeichnungen über die Ilmenauer Gesellschaft der Freunde in der Not, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 215r.–219v., hier Bl. 216.

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alität den Alltag der Menschen bestimmt hatte.1035 Welche Praktiken als adäquate bzw. unangemessene sexuelle Umgangsformen der Geschlechter galten, war vor 1800 keineswegs in allen Bevölkerungsschichten in gleicher Weise normiert. Beispielsweise fanden »Mädchen des Handwerkerstandes, die sich vergangen hatten, [...] ohne Schwierigkeiten einen Mann aus ihrer eigenen Schicht«1036. Im Zuge der Konfessionalisierung des 17. Jahrhunderts, mit der eine Aufwertung der Ehe in protestantischen Gebieten einherging, wandelten sich allmählich die Vorstellungen von Sexualität; von erlaubten und unerlaubten Formen körperlicher Kontakte,1037 wobei noch bis ins frühe 19. Jahrhundert Liebe, Ehe und Sexualität keine notwendige Einheit bildeten. Erst nach 1800 war die Ehe der Raum für sexuelle Praktiken.1038 Im Folgenden gilt es danach zu fragen, inwieweit sich diese Tendenz in Fürsorgepraktiken junger Frauen und Männer des Falkschen Instituts niederschlug. Dahinter steht die Annahme, dass sexuelle Kontakte verboten wurden, um Verhaltensweisen und Lebensformen der Heranwachsenden reglementierend zu beeinflussen.1039 Die Erforschung sexueller 1035 1036 1037

1038

1039

Vgl. Dülmen: Haus, S. 184f.; Maurer: Biographie, S. 239. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 231f. Vgl. Flüchter, Antje: Eine katholische Ordnung der Sexualität? Konkurrierende Deutungsmuster um den Priesterzölibat im 17. Jahrhundert, in: Mommertz, Monika / Opitz-Belakhal, Claudia (Hrsg.): Das Geschlecht des Glaubens. Religiöse Kulturen Europas zwischen Mittelalter und Moderne. Frankfurt am Main 2008, S. 201–226, hier S. 207; Vocelka, Karl: Überlegungen zum Phänomen der »Sozialdisziplinierung« in der Habsburgermonarchie, in: Erlach, Daniela / Reisenleitner, Markus / Vocelka, Karl (Hrsg.): Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit (= Frühneuzeit-Studien; 1). Frankfurt am Main 1994, S. 31–45, hier S. 32. Vgl. Nipperdey: Deutsche Geschichte, S. 127f.; Muchembled, Robert: Die Verwandlung der Lust. Eine Geschichte der abendländischen Sexualität. München 2008, S. 40–42. Vgl. dagegen das ältere, durch Vertrautheit, Freundschaft und ökonomische Unterstützung geprägte Ehekonzept in: Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Köln, Weimar und Wien 2002, S. 471f.; Hull, Isabell V.: »Sexualität« und bürgerliche Gesellschaft, in: Frevert, Ute (Hrsg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 77). Göttingen 1988, S. 49–66, hier besonders S. 66. Für Ökonomen des 18. Jahrhunderts lag darin der Garant für die Entwicklung einer leistungsfähigen Bevölkerung. Vgl. Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität (= Beck’sche Reihe; 1453). München 2002, S. 137.

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Geschlechterpraktiken früherer Jahrhunderte steht vor unterschiedlichen Problemen, die ihren Ursprung in den überlieferten Quellen bzw. in der wissenschaftlichen Darstellung haben. In den wenigen überlieferten Quellen, die Sexualität explizit thematisieren, kommen meist nur normative Vorstellungen zum Ausdruck, die keine Rückschlüsse auf konkrete Sexualpraktiken und deren Bewertung zulassen. Dagegen spiegelt sich die »›dunkle‹ Seite des Sexuellen« in den überlieferten Quellen weitaus häufiger wider »als das konsensuelle und konfliktfreie sexuelle Leben«1040. Historiker stehen ihrerseits in der Gefahr, mit der Auswahl und der Interpretation eigene moralische Überzeugungen an die Quellen heranzutragen,1041 weshalb Themen wie Onanie, Homosexualität, Prostitution oder andere ›normabweichende‹ Formen sexuellen Verhaltens im Vergleich zu bürgerlichen Sexualpraktiken recht gut erforscht sind.1042

5.2.1 Bürgerliche Ehre und Sittlichkeit: Von ›Huren und Spitzbuben‹ In den Quellen der Gesellschaft der Freunde in der Not wird Sexualität, wobei sich der Terminus erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierte,1043 nur selten ausdrücklich thematisiert. Wenn Falk, Pfarrer, Lehrer, Eltern oder Seminaristen das sexuelle Verhalten Heranwachsender ansprachen, so bezogen sich diese Äußerungen mehrheitlich auf unsittliche Verhaltensweisen von Frauen, die dann »entweder um des Geldes willen, oder zur Erfüllung ihrer Geilheit ohne Unterschied mit allerhand MannsPersonen Unzucht«1044 treibend als »Huren«1045 bezeichnet wurden. Impliziter und weniger drastisch in der Formulierung wurden anerkannte Formen der Sexualität im Sprachgebrauch des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts häufig mit dem Begriff der Sittlichkeit umschrieben, der nicht nur allgemein das Vermögen, nach anerkannten Regeln zu leben, sondern die Beherrschung der Triebe und Lüste beinhaltete.1046 Die Mut1040 1041

1042 1043 1044 1045

1046

Ebd., S. 24. Vgl. Rath, Brigitte: Von Huren, die keine sind..., in: Erlach, Daniela / Reisenleitner, Markus / Vocelka, Karl (Hrsg.): Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit (= Frühneuzeit-Studien; 1). Frankfurt am Main 1994, S. 349–366, hier S. 349f. Vgl. Eder: Kultur der Begierde, S. 23–25. Vgl. ebd., S. 138. Art. »Hure«, in: Zedler Bd. 13, Sp. 1265–1267, hier Sp. 1265. Vgl. beispielsweise Johannes Falks Notizen auf dem Verhandlungsprotokoll der Weimarer und Ilmenauer Gesellschaften, 7. Juni 1820, in: GSA 15/N 55, Bd. 5, Bl. 220r.–221v., hier Bl. 221r. Vgl. Gestrich: Werteerziehung, S. 135.

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ter der 17-jährigen taubstummen Michaeli bemerkte bei der Tochter einen ausgeprägten Sexualtrieb. Sie kommuniziere nur gestikulierend, weshalb Michaeli von Falk als eine »förmliche Wilde« bezeichnet wurde, die »von Natur sehr heftig«1047 sei. Die Interpretation sittlichen Verhaltens als Zügelung der Triebe und körperlicher Affekte mag ein Grund gewesen sein, warum auffallend häufig übermäßige sexuelle Begierde im Zusammenhang mit körperlichen und geistigen Defiziten beschrieben wurde. Seit dem Ende des Mittelalters bekam der Begriff der Ehre, die durch unsittliches Verhalten gefährdet war, für Frauen und Männer eine zentrale Bedeutung, die sich in Abhängigkeit von der (sozialen) Herkunft, dem Beruf oder dem Geschlecht durch verschiedene Qualitäten auszeichnete.1048 Während die Ehre eines Mannes etwa durch den Vorwurf des Diebstahls in Frage gestellt wurde, diskreditierten sich Frauen aller sozialen Schichten mit unangebrachten sexuellen Verhaltensweisen.1049 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bürgerliche Vorstellungen über Treue und Monogamie sowohl in adlige als auch in untere soziale Schichten ausstrahlte.1050 Die enge Verknüpfung von Ehre, Schande und sexuellen Praktiken war längst keine bürgerliche Erfindung des 19. Jahrhunderts, wie Ute Frevert zu Recht bemerkte: »Neu und ›bürgerlich‹ war hingegen die Verengung und immer rigidere Zuspitzung des weiblichen Ehrbegriffs auf das Moment absoluter sexueller Integrität.«1051 Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass männliche Ehre nicht in gleichem Maße durch ungezügelte Lust gefährdet war. Die beiden Bedeutungsvarianten des Sittlichkeitsbegriffs wurden den polaren Geschlechtscharakteren entsprechend Frauen und Männern zugeschrieben, sodass unsittliche Frauen ihre Lüste nicht kontrollierten, unsittliche Männer ihrerseits gegen andere (moralische) Normen verstie1047

1048

1049 1050 1051

Aufzeichnungen Johannes Falk über Michaeli, in: GSA 15/N 55, Bd. 10, Bl. 184v. Vgl. Frevert, Ute: Ehre – männlich/weiblich. Zu einem Identitätsbegriff des 19. Jahrhunderts, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 21 (1992), S. 21–68; Frevert, Ute: »Mann und Weib, und Weib und Mann«. Geschlechter – Differenzen in der Moderne (= Beck’sche Reihe; 1100). München 1995, S. 169f. Vgl. Rath: Huren, S. 361. Vgl. Bruford: Grundlagen der Goethezeit, S. 231f. Frevert: Ehre, S. 54. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden kriminelle Delikte junger Frauen mit dem Drang sexueller Befriedigung in Verbindung gebracht, deshalb »sittliche Verwahrlosung« besonders häufig als Interventionsgrund für junge Frauen genannt wurde.

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ßen. Ohne das Eingreifen der Gesellschaft für in Not geratene oder von den Eltern vernachlässigte Heranwachsende »aus guten und ansehnlichen Bürgerfamilien« würden sich junge Frauen entweder zu »Huren« oder junge Männer zu »Spitzbuben«1052 entwickeln. Bei der in den Quellen des Falkschen Instituts erwähnten »Hurerei« wird es sich vermutlich kaum um jene Form von gewerbsmäßiger Prostitution gehandelt haben, wie sie um 1800 in größeren Städten wie Berlin oder Wien anzutreffen war.1053 Durch diese verallgemeinernde und zugespitzte Formulierung kriminalisierte Falk voreheliche Kontakte Heranwachsender. Deren sexuelle Beziehungen waren zwar aufgrund der großherzoglichen Gesetzeslage bzw. der zünftigen Bestimmungen nicht erwünscht,1054 aber keinesfalls mit den sexuellen Dienstleistungen von Frauen und der Inanspruchnahme durch Männer vergleichbar.1055 Dennoch zielten die Fürsorgepraktiken zuallererst auf die sexuelle Integrität der heranwachsenden jungen Frauen, die Falk von Prostitution und wechselnden Sexualpartnern abhalten wollte. Als defizitär bezeichnete er in diesem Zusammenhang die Fürsorgepraxis des Waisenhauses, dessen Aufsicht für die Heranwachsenden mit dem 13. bzw. 14 Lebensjahr endete, weshalb Falk ein unangemessenes sexuelles Verhalten prognostizierte, »wenn man sich um die Mädchen nicht mehr bekümmert, sobald sie konfirmiert sind«1056. 1052

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Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Heinrich Eichmann, in: GSA 15/N 55, Bd. 1, Bl. 239r. Den gleichen Gegensatz zwischen »Zuchthaus Candidaten und Huren« formulierte auch 1832 der Armenpfleger Johann Friedrich Scheitz, vgl. Eingabe Scheitz’ an den Weimarer Stadtrat, Weimar 14. Mai 1832, in: StdAW: HA I–33–17, Bl. 19r.–20v., hier Bl. 19v. Zur gewerblichen Prostitution in Berlin vgl. etwa: Hüchtker, Dietlind: Prostitution und städtische Öffentlichkeit. Die Debatte über die Präsenz von Bordellen in Berlin 1792–1846, in: Weckel, Ulrike u. a.: Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa; 6). Göttingen 1998, S. 345–364. Wie auch das Beispiel Kiesewetters im selben Kapitel verdeutlicht, handelte es sich zumeist lediglich um voreheliche Kontakte, nicht aber um sexuelle Dienstleistungen junger Frauen. Vgl. etwa Kocka, Jürgen: Weder Stand noch Klasse. Unterschichten um 1800 (= Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts; 1). Bonn 1990, S. 199f. Zur Strafbarkeit von Prostitution in Weimar des 18. Jahrhunderts vgl. Huschke, Wolfgang: Politische Geschichte von 1572–1775, in: Patze, Hans / Schlesinger, Walter (Hrsg.): Geschichte Thüringens. Bd. 5. Politische Geschichte der Neuzeit. Teil 1.1. Köln und Wien 1982, S. 1–589, hier S. 311. Aufzeichnungen Johannes Falks über Hanne Christiane Friederike Seiler, in: GSA 15/N 55, Bd. 1., Bl. 179r.

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Zu einer derart starken Fokussierung auf die Integrität der weiblichen Sexualität trug einerseits die Abgrenzung zwischen beruflicher und familiärer Lebenswelt, andererseits die Idealisierung von Liebe als Grundlage der Ehe im 19. Jahrhundert bei.1057 Im Sinne des weiblichen Geschlechtscharakters reduzierten Ärzte und Philosophen die Sexualität der Frau auf ihre Reproduktionsfähigkeit, die sie nur als passiver Gegenpart des aktiven Mannes erfüllte.1058 Durch die Abwesenheit des Mannes im bürgerlichen Haus waren Mädchen und Frauen »sich selbst überlaßen den augenscheinlichsten und größten Gefahren«1059 ausgesetzt. Der Mann, der sein Recht »auf sexuelle Exklusivität«1060 gefährdet sah, verlor somit einen Teil der ehelichen Kontrolle.1061 Daneben widersprach unsittliches sexuelles Verhalten dem Prinzip der Liebesehe in mehrfacher Hinsicht: So deutete sexuelle Untreue auf mangelnde Liebe der Frau zum Partner bzw. ein ausschweifendes Sexualleben auf bloße Triebbefriedigung ohne Fähigkeit zu wahrer Liebe hin.1062 Wenngleich männliche Sexualität um 1800 noch weniger stark durch sittliche Vorstellungen normiert war, wurden außereheliche Sexualkontakte genutzt, um Männer zu verleumden. Ferdinand von Könitz bezeichnete seinen Vater Anton Franz Friedrich von Könitz als »spottschlechte[n] Kerl« und argumentierte mit dessen »Hurenregister«1063, das den außerehelichen Beischlaf des Vaters dokumentiere. Offensichtlich war der männliche Ehrbegriff nicht allein durch Tapferkeit und Mut geprägt,1064 sondern basierte auf monogamem Verhalten des erwachsenen – egal ob bürgerlichen oder adligen – Mannes,1065 das letztlich aus demselben und die sexuelle Integrität der Frau begründenden Ideal der Liebe1057 1058 1059

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Vgl. Frevert: Ehre. Vgl. Eder: Kultur der Begierde, S. 140–143. Aufzeichnungen Johannes Falks zur Lancastermethode, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 300r.–305v., hier Bl. 303v. Frevert: Ehre, S. 59. Ebd., S. 48. Vgl. ebd., S. 60. Bericht Johannes Falks über Ferdinand von Könitz, in: GSA 15/N 55, Bd. 15, Bl. 141r.–142r., hier Bl. 141v. Vgl. Frevert: Ehre, S. 63f. Die im Hochadel lange geduldete Mätressenwirtschaft wurde zunehmend von Bürgerlichen negativ konnotiert. Vgl. etwa Kell, Eva: Bürgertum und Hofgesellschaft. Zur Rolle »bürgerlicher Höflinge« an kleineren deutschen Fürstenhöfen (1780–1860), in: Fehrenbach, Elisabeth (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848 (= Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien 31). München 1994, S. 187–201, hier S. 194.

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sehe herrührte. Die Vermutung liegt nahe, dass an Könitz’ Vater ein derartiger Ehrbegriff gerade deshalb angelegt wurde, weil er als 43-jähriger Mann verheiratet war, während zahlreiche sexuelle Kontakte bei unverheirateten jungen Männern geduldet wurden.1066 Dass dies keineswegs so war, sondern junge Männer zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem Spannungsfeld zwischen sexueller Freizügigkeit und bürgerlichem Ideal der monogamen Paarbeziehung aufwuchsen, zeigt sich am Beispiel August Kiesewetters, der in Folge sexueller Kontakte an einer Geschlechtskrankheit litt. Der 16-jährige August Kiesewetter besuchte Ostern 1822 den Gymnasiasten Carl Tenner, dem er sich mit seinem Leiden anvertraute. Als Kiesewetter plötzlich begann, »auf der Stube die Hosen« zu öffnen, schlug Tenner aus Angst, »durch Befleckung der Meuble«1067 angesteckt zu werden, vor, die Auswirkungen des Krankheit im Freien in Augenschein zu nehmen: »Hier knöpfte nun Kiesewetter unter vier Augen ohne Weiteres die Hose auf und brachte mit viel Vorsicht vor Berührungen, aber doch nicht ohne Schmerz seine Herrlichkeiten an’s Tageslicht. Alle Einzelheiten, die ich schon damals mit höchst gleichgültigem Interesse betrachtete kann ich nicht mehr sagen, weßen ich mich aber ganz bestimmt erinnere ist weiter nichts, als daß das membrum virile im Ganzen dick, äußerst entzündet und vermuthlich vom Reiben wund war, an einigen Flecken war es wie mit Blut unterlaufen blaulich roth.«1068

Trotz der Schmerzen scheute Kiesewetter vor einem Besuch des Weimarer Arztes Friedrich Wilhelm Wahl zurück. Tenner riet dem Freund, »um seine bürgerliche Ehre zu schonen«1069, mit warmer Milch, Wasser und einem Schwamm die Linderung der Anschwellung abzuwarten, die sich wenige Tage darauf einstellte. Kiesewetters Zögern, sich einem Arzt anzuvertrauen, und Tenners Rat, stattdessen die Symptome mit hygienischen Maßnahmen zu therapieren, standen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ursache für Kiesewetters Erkrankung, der zuvor eine »Huhre stuprirt«1070 habe. Das sexuelle Verhalten – darin waren sich die beiden jungen Männer einig – beschädige, wenn es durch die ärztliche 1066

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Vgl. Schulte, Regina: Sperrbezirke: Tugendhaftigkeit und Prostitution in der bürgerlichen Welt. München 1994, S. 152. Brief Carl Tenners an Johannes Falk, Weimar 15. Dezember 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 760r.–762v., hier Bl. 760v. Ebd., Bl. 761r. Ebd. Ebd., Bl. 760v. Stuprum umschrieb um 1800 verschiedene Formen der Unzucht bzw. »fleischlichen Vermischung«. Art. »Schändung derer Weibs-Personen«, in: Zedler Bd. 34, Sp. 761–769, hier Sp. 761.

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Therapie öffentlich würde, Kiesewetters Ehre, weshalb Tenner zunächst auch Falk den Vorfall nicht meldete, da das womöglich »unglückliche Folgen für den leichtsinnigen Kiesewetter«1071 nach sich zöge. Tenner, der den sexuell-sittlich aufgeladenen Ehrbegriff für sich stärker verinnerlicht hatte, was seine panische Angst vor einer Ansteckung erklärt, schilderte Kiesewetter die »scheuslichen Folgen, die solche Ausschweifungen für seine bürgerliche Ehre haben könnten«1072. Sollte bekannt werden, dass Kiesewetter mit Prostituierten verkehrte, drohte ihm der Verlust der Unterstützung durch das Falksche Institut. Beispiele dafür gab es genug: 1817 hatten die Gärtner in Belvedere die weitere Ausbildung eines Zöglings aus dem Institut abgelehnt, weil dieser nicht nur durch »Saufen und Stehlen«, sondern durch »Huren«1073 aufgefallen war. Auf Tenners Nachfrage, warum er »sogar kein sittliches edleres Gefühl«, sondern die »Unverschämtheit« besitze, »einem Mädchen und wenn sie in Lumpen an der Landstraße bettelt, einen solchen Antrag ins Gesicht zu sagen«1074, habe Kiesewetter geantwortet, »dieß sei der mächtige Naturtrieb, dieß sei männlich, er habe immer die Wirkungen im [Unterleib] gespürt, es habe ihn gepeinigt, stuprum in ire cum puella«1075. Kiesewetters Erklärung, mit der er auf den – die ausschweifenden sexuellen Kontakte legitimierenden – ›natürlichen‹ Geschlechtscharakter des Mannes anspielte, stand im Gegensatz zum sittlichen Ehrbegriff, dem junge Männer im Falkschen Institut nachfolgen sollten. Kiesewetters Argumentation deutete auf die im 19. Jahrhundert anerkannte stabilisierende Ventilfunktion von Prostitution hin.1076 Gegen Bezahlung sammelte Kiesewetter als eine Art Initiationsritus erste sexuelle Erfahrungen.1077 Weil Kiesewetter weiterhin mit Prostituierten verkehrte, informierte Tenner Falk schließlich doch über Kiesewetters Verhalten, wobei er vermutlich weniger Kiesewetters Ruf, sondern den des Instituts wahren wollte. Die Parallele zum Ehrverlust des Mannes bzw. der Familie durch unsittliches Verhalten der Frau oder der Tochter ist offensichtlich. Der 1071

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Brief Carl Tenners an Johannes Falk, Weimar 15. Dezember 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 760r.–762v., hier Bl. 760v. Ebd. Brief Johann Konrads oder Johann Christian Sckells an Johannes Falk, Belvedere 20. Dezember 1817, in: GSA 15/N 55, Bd. 4, Bl. 405r. Brief Carl Tenners an Johannes Falk, Weimar 15. Dezember 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 760r.–762v., hier Bl. 761r. Ebd. Schulte: Tugendhaftigkeit, S. 151. Ebd., S. 152.

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mit Prostituierten Umgang pflegende Zögling stellte eine Gefahr für das gesamte Institut und dessen öffentliche Wahrnehmung dar. Im Fall August Kiesewetters sprach der junge Mann Frauen aktiv an, ob sie sich gegen eine finanzielle Vergütung auf sexuelle Praktiken mit ihm einließen. Dagegen sind in den Unterlagen des Instituts auch Quellen überliefert, die ein »Verführtwerden« junger Männer durch Frauen belegen. »Dem hübschen Schlosserburschen Eltner« seien die Frauen »so lange nachgelaufen und haben ihm gesagt, daß er schön sey« [...] bis er sich mit einem Mädchen [...] vergessen hat«1078. Weil sich Eltner zudem selbst der Verführung auf Tänzen oder in Gastwirtschaften aussetzte, musste Falk ihn »des Beyspiel’s wegen ausschließen«1079, sodass Eltner keine Bekleidungsstücke mehr aus dem Institut erhielt.1080 Egal ob, wie in Kiesewetters Fall, eine (anscheinend) natürliche männliche Anlage oder in Eltners Fall das ›lockende weibliche Geschlecht‹ ursächlich für das sexuelle Verhalten waren, belegen diese Beispiele Michael Maurers These, dass die auf »Sexualmoral« eingeschränkte Tugend »für das Selbstverständnis des deutschen Bürgertums von höchster Bedeutung«1081 war. Die Akzeptanz oder Ablehnung sexuellen Verhaltens prägte beide Geschlechter in allen gesellschaftlichen Schichten.

5.2.2 Feste und Tänze als Orte sexueller Begegnungen Junge Frauen und Männer des Falkschen Instituts sollten ein moralischsittliches Verhalten verinnerlichen, das die Ausübung sexueller Kontakte nur im Rahmen einer Ehe erlaubte.1082 Um diesem Anspruch gerecht zu werden, verbot Falk beiden Geschlechtern die Teilnahme an städtischen Vergnügungen, kurz das »zerstreute Leben einer Residenz«1083. Feste wie 1078

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Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 10. Juni 1822, in: GSA 15/I, 2A, 2, 39. Stück, 76r.–77v., hier Bl. 76v. Ebd., Bl. 77r. In einem ähnlichen Fall wandte sich der Betroffene Zögling Hilfe suchend an Johannes Falk. Zuvor wurde er von seiner Wirtin zum Spiel »Blättchen der Liebe« überredet, »wobey sie sich sehr wohl zu befinden schien, wenn sie nämlich einen Kuß mit weg nehmen konnte.« Brief G. Luthers an Johannes Falk, o. O. u. o. D., Bl. 505r.–506r., hier Bl. 503r. Maurer: Biographie, S. 239. Zu dieser Vorstellung in protestantischen Kreisen vgl. Gleixner, Ulrike: Zwischen göttlicher und weltlicher Ordnung. Die Ehe im lutherischen Pietismus, in: PuN 28 (2002), S. 147–184, hier S. 175–178. Pro Memoria Johannes Falks an die Landstände, Weimar 6. Februar 1817, in:

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das Vogelschießen oder Tänze boten jugendlichen Frauen und Männern die Möglichkeit des gegenseitigen Kennenlernens, der Kontaktaufnahme und der körperlichen Annäherung.1084 Aus diesem Grund war es etwa im eisenachischen Landesteil Vorschrift, dass das Oberkonsistorium über Tanzveranstaltungen vorab informiert wurde, damit die Pfarrer die Gelegenheit bekamen, »vor Unsittlichkeiten zu warnen«1085. Johann Georg Rettner, Seminarist im Institut, berichtete über das Verhalten einer jungen Frau aus dem Institut während des Vogelschießens – ein Fest, das unabhängig von ständischen Schranken von einem Großteil der Weimarer besucht wurde: »Sie geht rechts und links mit Liebhabern umgeben, auf und ab, zuweilen ins Gebüsch, auch sollen ihr solche Kerls das Kleid in ihrer Wohnung zerrissen haben, die sie Nachts mit nach Hause genommen, und schändl. Dinge mit ihr getrieben haben; so daß sie Schläge von ihrer Pflegemutter bekommen hat.«1086

Rettners moralisierende Beschreibung galt dabei nicht der gefährdeten Ehre der jungen Frau, sondern dem Prestige des Instituts, schließlich müsse er »sich schämen, solche Menschen im Institut zu haben«1087. Obwohl Falk »Ressourcen, Ball, [und] Schießhäuser« als Orte der »verletzte[n] Ehrbarkeit der Frauen und Jungfrauen«1088 stigmatisierte, galt das Besuchsverbot auch für männliche Zöglinge. Jeder von den Weimarern zusätzlich eingerichtete Tanzsaal sei »weiter nichts, als ein neues

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GSA 15/N 55, Bd. 6, Bl. 56r.–59v., hier Bl. 59r. Vgl. etwa die Darstellung von Tänzen in Berlin als Orte für das Zusammentreffen von Prostituierten und Freiern, Filzmoser, Ramona: Blickwechsel. Zur Bildpolitik der Berliner Prostitutionsdebatte um 1800, in: Grenz, Sabine / Lücke, Martin (Hrsg.): Verhandlungen im Zwielicht. Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart (= GenderCodes; 1). Bielefeld 2009, S. 209–222, hier S. 210. Vgl. Hain: Fürsorgeideen, S. 224. Zur Ablehnung des Tanzes vgl. Roeck: Lebenswelt, S. 38; Nitschke, August: Gymnastik, Fechten und Tanz im 18. Jahrhundert. Die Ausbildung des Körpers auf den Schulen von August Hermann Francke, in: Neumann, Josef N.; Sträter, Udo (Hrsg.): Das Kind in Pietismus und Aufklärung (= Hallesche Forschungen; 5). Tübingen 2000, S. 333–347, hier S. 334f. Umlauf Fürstl. Oberconsistorii zu Eisenach an die Unterbehörden des Fürstenth. Eisenach vom 17. Oct. 1800, in: Göckel Bd. 1, S. 404. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 29. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 44r.–45r., hier Bl. 44r. Ebd. Aufzeichnungen Johannes Falks zur Lancastermethode, in: GSA 15/N 55, Bd. 19, Bl. 300r.–305v., hier Bl. 303v.

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Hurenhaus für ihre Söhne und Töchter«1089. Gemäß der abgeschlossenen Verträge zwischen den Lehrburschen und der Gesellschaft der Freunde in der Not war es folgerichtig den jungen Männern ausdrücklich verboten, an Sonntagen und kirchlichen Feiertagen Wirtshäuser oder andere Orte der Vergnügung zu besuchen.1090 Dies galt in erster Linie für die Seminaristen, die für die anderen Zöglinge mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Oberste Pflicht eines angehenden Lehrers war es, sich von Kartenspielen, Tänzen und den »Thorheiten der Mode« fernzuhalten, »denen die Menge in den Städten vom Morgen bis zum Abend so dirftiglich nachläuft«1091. Ihnen war der Besuch von Festen und geselligen Veranstaltungen auch dann verboten, wenn sie dort nur musizierten, um sich etwas hinzuzuverdienen. So erhielt ein Seminarist vom Institut einen Verweis, weil er beim Vogelschießen und in einer »Tanzbutiek« aufgespielt habe, »wo alle Handwerksbursche, Knechte, Mägde überhaupt alles Gesindel tanzt und wie das wilde Vieh tobt und brüllt«1092. Der Seminarist trug allein durch seine Anwesenheit und sein Spiel zu einer Atmosphäre sexueller Ausschweifung bei. Die im Falkschen Institut geltenden Verbote, an öffentlichen Tanzveranstaltungen und Festen teilzunehmen, besaßen präventiven Charakter, um das unbeaufsichtigte Aufeinandertreffen Heranwachsender zu verhindern.

5.2.3 Verbotene und erlaubte Kontakte: Moralische oder ökonomische Dimension? Mit Ausnahme der höchsten Staatsbeamten und des Adels galt auf normativer Ebene für jeden Einwohner Sachsen-Weimars seit 1768 eine Verordnung,1093 wonach eine Ehe nur nach Vollendung des 24. Lebensjahres und unter der Voraussetzung, für den Lebensunterhalt der künftigen Fa1089

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Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 10. Juni 1822, in: GSA 15/I, 2A, 2, 39. Stück, Bl. 76r.–77v., hier Bl. 77r. Vgl. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 2 (1817). Johannes Falks ergebenstes Pro Memoria an die hohen Landstände, Weimar 1817, in: ThHStAW Bestand Landtag Sachsen-Weimar-Eisenach 68, Bl. 305r.– 307v., hier Bl. 307v. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 29. August 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 44r.–45r., hier Bl. 44r. Vgl. Verordnung vom 11. Februar 1768, wie es mit Verlöbnissen, Hochzeiten, Kindtaufen, Kirmsen, Jahrmärkten, Handwerks-Zusammenkünften und Musik gehalten werden soll, in: Göckel Bd. 1, S. 202–222, hier S. 202–214.

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milie sorgen zu können, legal geschlossen werden konnte. Die meisten Gesellen, Tagelöhner und Dienstboten konnten diese Vorgaben unmöglich erfüllen.1094 1821 wurden die Bestimmungen – insbesondere das Alter betreffend – auf das gesamte Großherzogtum ausgeweitet.1095 Die Regeln der Sittlichkeit und das Verbot vorehelicher Kontakte zwischen jungen Frauen und Männern sollten im Falkschen Institut eingehalten werden, weshalb Falk versuchte, die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zwischen den Heranwachsenden unterschiedlichen Geschlechts innerhalb des Instituts zu unterbinden. Dies spiegelte sich in den Räumlichkeiten des Instituts wider. Obwohl das Reitzensteinsche Anwesen auf der Esplanade nur begrenzte räumliche Kapazitäten besaß, bildeten sich geschlechtlich separierende Strukturen heraus. Jungen Frauen und Männer betraten und verließen den Unterrichtsort immer getrennt.1096 Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass sich junge Frauen und Männer im Institut begegneten. Als der Seminarist Fiedler von seinen Ferien im September 1819 ins Institut zurückkehrte, fiel ihm eine nicht akzeptierte Form des Zusammentreffens der Heranwachsenden im Institut auf: »Gleich bei meinem Hereintreten in die Expedition erblickte ich ein Mädchen aus Eisenach, das unter den Schülern, Götz, Lorbeer, Bank, Schack, Pfeiffer und Gehrhard saß. Es war mir ganz zuwider, so etwas wahrzunehmen, vorzügl. viel es mir vor Götz auf.«1097

Vor den Ferien hatte sich die Eisenacherin zwischen den männlichen Zöglingen aufgehalten, was außerhalb des Instituts auch Charlotte Leidenfrost negativ aufgefallen war, die in Weimar ein Erziehungsinstitut für junge Mädchen unterhielt.1098 »Endlich was das schlimmste noch ist, haben sie im Saale getanzt«1099, berichtete Fiedler weiter, womit er vermut1094

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König, Denise: Zum Problem der Illegitimität in Weimar, in: Ries, Klaus (Hrsg.): Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800. Weimar 2007, S. 59–78, hier S. 65. Vgl. Gesetz vom 15. Mai 1821 über das zum Heirathen erforderliche Alter, in: Göckel Bd. 2.2, S. 870–872. Vgl. Brief Johann Georg Rettners an Johannes Falk, Weimar 21. Juli 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 333r.–334v., hier Bl. 333v. Brief Fiedlers an Johannes Falk, o. O. 17. September 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 338r.–339v., hier Bl. 338r. Vgl. Schrickel: Leidenfrost, S. 229. Brief Fiedlers an Johannes Falk, o. O. 17. September 1819, in: GSA 15/N 55, Bd. 13, Bl. 338r.–339v., hier Bl. 338r.

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lich auf die körperliche Annäherung zwischen den jungen Männern und der Eisenacherin anspielte. »Ich muß ein solches Benehmen als äußerst elend nennen.«1100 Fiedler und Falk lehnten die heimliche Annäherung ab, weil sie zu oft erlebt hatten, dass in der Folge männliche Institutsangehörige uneheliche Kinder zeugten oder weibliche Zöglinge uneheliche Kinder zur Welt brachten, deren Versorgung nicht gesichert war. Weil viele Zöglinge, die als Handwerkergesellen, Dienstboten oder Mägde entlassen wurden, unverheiratet und kinderlos in eine Anstellung eintreten sollten1101 – wie es den Produktionsabläufen im Handwerk und der Vorstellung der hausväterlichen Gewalt im ›ganzen Haus‹ entsprach1102 –, war es für die Vermittlung der Zöglinge und die erfolgreiche Arbeit des Instituts notwendig, dass sexuelle Kontakte der Heranwachsenden unterbunden wurden. Junge Frauen und Männer in Dienststellen lebten in Hausgemeinschaft mit anderen, »denen gegenüber kein Inzesttabu«1103 bestand, weshalb strikte Normen das sexuelle Verhalten reglementierten. Zeigte also ein Zögling große sexuelle Aktivität, so hatte Falk ihn »in der Geschwindigkeit zum Gesellen machen laßen, damit der Scandal aus dem Institut kommt«1104. Das Institut durfte keinesfalls als Hort ›wilder Ehen‹ stigmatisiert werden.1105 Die 1786 erfolgte Gesetzesänderung der »Bestrafung der FleischesVerbrechen«1106 sah vor, dass der Kindsvater für sämtliche Kosten der werdenden Mutter aufzukommen hatte.1107 Die bis dahin üblichen enteh1100 1101

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Ebd. Vgl. Mitterauer, Michael: Ledige Mütter. Zur Geschichte unehelicher Geburten in Europa. München 1983, S. 68. Vgl. Ehmer, Josef: Soziale Traditionen in Zeiten des Wandels. Arbeiter und Handwerker im 19. Jahrhundert (= Studien zur Historischen Sozialwissenschaft; 20). Frankfurt am Main und New York 1994, S. 40f. Mitterauer: Arbeitsteilung, S. 332. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 4. Juli 1822, in: GSA 15/I, 2A, 2, 30. Stück, Bl. 59r.–60v., hier Bl. 59r. Zur Ablehnung des außerehelichem Zusammenlebens bis weit in das 19. Jahrhundert vgl. Gröwer, Karin: »Wilde Ehen« in den hansestädtischen Unterschichten 1814–1871, in: Archiv für Sozialgeschichte 38 (1998), S. 1–22. Reskript Herzogs Carl August an die Regierung vom 15. Mai 1786, Bestrafung der Fleisches-Verbrechen betr., in: Göckel Bd. 1, S. 277f. Vgl. auch die entsprechenden Erläuterungen in: Wahl, Volker (Hrsg.): »Das Kind in meinem Leib«. Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August. Eine Quellenedition 1777–1786. Weimar 2004, besonders S. 47–49. Vgl. König: Illegitimität, S. 63.

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renden weltlichen und geistlichen Strafen gegen die Frauen und der Zwang, sich im Jenaer Accouchierhaus einzufinden, wurden mit Blick auf das Kindeswohl abgeschafft. Im Falkschen Institut dürfte diese Gesetzeslage eine Ursache für das strikte Verbot sexueller Kontakte gewesen sein. Dabei spielte vermutlich weniger das Wohl des Ungeborenen, sondern der ökonomische Aspekt eine maßgebliche Rolle, sexuelle Kontakte zwischen den Zöglingen zu verbieten.1108 So waren Zöglinge, die als Mutter oder Vater ein eigenes Kind versorgten oder gezeugt hatten, nur noch schwer als Handwerker, Dienstboten oder Mägde zu vermitteln. Unter Berücksichtigung jener ökonomischen Gesichtspunkte und unter Einbeziehung Johannes Falks war eine Annäherung zwischen jungen Frauen und Männern im Falkschen Institut dennoch nicht ausgeschlossen. Am 7. Dezember 1822 wandte sich der Tischlergeselle August Andreas Günther an Falk. Günther hatte zwei Jahre im Institut gelebt, wobei bislang ungeklärt ist, ob er dort lediglich zur Miete wohnte oder er zu jenen Handwerkern gehörte,1109 die an der Renovierung des Lutherhofes beteiligt waren. Die räumliche Nähe brachte es mit sich, dass Günter »zufällig« mit Emilie Wintruf, eine von Falks »Zöglinginnen«1110, bekannt geworden war. In seinen weiteren Ausführungen legte Günther dar, dass die Zuneigung gegenseitig war und Emilie Wintruf beabsichtigte, Günthers Frau zu werden, wenngleich dieser als Tischlergeselle aus einem verarmten Elternhaus kaum finanziell für sich bzw. eine (spätere) eigene Familie sorgen konnte. Zwei Dinge erhoffte sich Günther von Falk. Einerseits bat er um Falks vermittelnde Fürsprache zur Erlangung der Einwilligung der Pflegemutter Emilie Wintrufs, die entsprechend der »Innungsgesetze in Betreff des Heirathens« einer Ehe zustimmen musste.1111 Andererseits hoffte Günther auf eine finanzielle Unterstützung seines Planes, sich als Tischlermeister niederzulassen, die von weitaus größerer Bedeutung war als die Zustimmung der Pflegemutter. Die Verheiratung eines Gesellen war nicht die Norm, und mitunter drohte bei einer Verheiratung sogar der Ausschluss aus der Zunft.1112 Indem Günther Falk glaubhaft versicherte, dass er mit der Meisterprüfung und dem Erwerb des Bürgerrechts in der Lage sein würde, seine zukünftige Familie zu 1108 1109

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Vgl. ebd. Für Günther fehlen bislang Unterlagen, die seine Perzipientenstellung im Institut belegen würden. Brief August Andreas Günthers an Johannes Falk, Weimar 7. Dezember 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 25, Bl. 141r.–142v., hier Bl. 141r. Vgl. ebd., Bl. 141r.–142v. Vgl. Ehmer: Traditionen, S. 28–33.

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ernähren, gab es für Falk keinen Grund, der Verbindung zwischen Günther und Emilie Wintruf zu widersprechen.

6. Zusammenfassung Obwohl die Kategorie ›Geschlecht‹ in der Perzipienten- und Mitgliederstruktur sowie in den Grundsätzen der Gesellschaft der Freunde in der Not nur eine untergeordnete Rolle spielte,1113 wurde in diesem Kapitel auf unterschiedlichen Ebenen gezeigt, dass die praktische Hilfe im Falkschen Institut sehr wohl an sich wandelnden Geschlechtervorstellungen ausgerichtet wurde. Geschlechterseparierende Fürsorgepraktiken konnten nur umgesetzt werden, weil die Räume des Falkschen Instituts mehrheitlich nach geschlechtersegregatorischen Vorstellungen gegliedert waren. Eine solche räumliche Aufteilung manifestierte die nach Geschlechtern getrennten Fürsorge- und Erziehungspraktiken im Institut. Gleichzeitig darf aber nicht unterschätzt werden, dass insbesondere für Heranwachsende in der Zeit nach 1800 nur auf diese Weise überhaupt eine an junge Frauen und Männer ausgerichtete Hilfe angeboten werden konnte. Die räumliche Separierung Heranwachsender sollte die Verinnerlichung stereotyper bipolarer Geschlechtervorstellungen durch die Abgrenzung zum anderen Geschlecht unterstützen.1114 Konkret spiegelten sich diese Überlegungen bei der Suche nach geeigneten Lokalitäten für das Institut wider. Trotz der räumlichen Enge an der Esplanade sollte ein Zusammentreffen junger Frauen und Männer verhindert werden, weshalb nicht allein aufgrund der quantitativen Ausweitung des Instituts die Anmietung des benachbarten Redoutenhauses in Erwägung gezogen wurde. In dem neuen Domizil konnten geschlechterseparierende Praktiken weitaus leichter umgesetzt werden, weil zwei verschiedene Räume zur Verfügung standen, um heranwachsende junge Frauen und Männer getrennt voneinander zu unterrichten. Nachdem der Mietvertrag in der Esplanade für 1821 gekündigt worden war, ließ Falk sich auch bei der Suche nach einer neuen geeigneten Unterkunft und der Entscheidung für den Lutherhof von geschlechtersegregatorischen Überlegungen leiten. 1113 1114

Vgl. Kapitel II. Vgl. Metz-Göckel, Sigrid: Koedukation – nicht um jeden Preis. Eine Kritik aus internationaler Perspektive, in: Behm, Britta L. / Heinrichs, Gesa / Tiedemann, Holger (Hrsg.): Das Geschlecht der Bildung – Bildung der Geschlechter. Opladen 1999, S. 131–147, hier S. 144.

Zusammenfassung

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Ebenfalls spiegelten sich dichotome Geschlechtervorstellungen in der Aufteilung der konkreten Unterrichtsorte innerhalb des Instituts wider. Mit dem Bau des Betsaals im Lutherhof war der Gedanke verbunden, einen ausreichend großen Versammlungsraum zu schaffen, in dem zwar alle Heranwachsenden gemeinsam, aber getrennt nach Geschlechtern sitzend an der Sonntagsschule oder den Andachten teilnahmen. Das Institut orientierte sich mit dieser Praxis an zeitgenössischen Vorgaben, die etwa die Sitzordnung von Frauen und Männern in Gottesdiensten reglementierten. Im Institut existierten mit dem Johanneum und der Näh- und Strickschule zwei Einrichtungen, die ausschließlich je einem der Geschlechter vorbehalten waren. Im Johanneum sammelten die Seminaristen erste Unterrichtserfahrungen mit anderen Zöglingen. Dagegen wurden die Näh-, Spinn- und Strickschulen eigens für die Mädchen und jungen Frauen des Instituts eingerichtet. Nachdem für den Handarbeitsunterricht zunächst Räume innerhalb des Falkschen Instituts genutzt wurden, verlagerten sich die Unterrichtseinheiten in die Wohnungen der unterrichtenden Frauen in der Residenzstadt und im Umland. Die auf junge Frauen und Männer ausgerichtete Fürsorge kam ebenfalls in der Personalstruktur des Falkschen Instituts zum Ausdruck. Im Unterschied zu Waisenhäusern arbeiteten im Institut nicht nur Falk und seine Frau (mit wenigen Gehilfen). Das Institut beschäftigte zusätzlich Frauen und Männer, um den segregatorischen Unterricht sowie die reibungslose Organisation des Institutsalltags zu gewährleisten. Die Einstellung von Pädagogen und Spezialisten für bestimmte Fächer zeigt zudem, dass die Ausbildung der jungen Männer ein Niveau erreicht hatte, das Fürsorgepraktiken überstieg, die lediglich der Erziehung armer oder auffälliger Heranwachsender dienten. Während etwa der Baumeister Carl Friedrich Christian Steiner und die männlichen Lehrer des Instituts nicht selbst in einer prekären Situation lebten, galt dies (fast ausnahmslos) für sämtliche unterrichtenden Frauen, die mit dem Lohn für den Unterricht ihrerseits von Almosen unabhängig wurden. Eine wichtige Säule in der Personalstruktur des Falkschen Instituts bildeten die Seminaristen (des Johanneums). Diese für den Dienst als zukünftige Landschullehrer ausgewählten männlichen Zöglinge erteilten den Unterricht in den Abend- oder Bibelstunden des Instituts. Zudem waren sie einzelnen Heranwachsenden zugeteilt worden, mit denen sie gemeinsam im Lutherhof oder bei Pflegefamilien lebten. Die Seminaristen dienten den jüngeren, gleichaltrigen oder im Einzelfall sogar älteren Schülern als Vorbilder, damit letztere neben den fachlichen Kenntnissen auch einen tugendhaften Lebenswandel verinnerlichten. Weil die Semi-

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naristen im Institut ihrerseits in direktem Kontakt zu Johannes Falk standen und sich dessen Pflichtbewusstsein, Arbeitsamkeit und Religiosität durch die Mitarbeit im Institut im Idealfall aneigneten, wirkten sie auf die Zöglinge als Multiplikatoren von Falks Selbstverständnis als arbeitender und sich für die Gesellschaft engagierender Mann. Eine ähnliche Aufgabe kam auch den Lehrmeistern zu, die als Vertreter eines ›ehrbaren Handwerks‹ neben fachlichen Kenntnissen in ihrem Handwerk Werte eines moralischen Lebenswandels vermitteln sollten. Deshalb lernten die Zöglinge nicht nur in der Werkstatt, sondern lebten in den Familien der Lehrmeister. Auch aus diesem Grund sprach sich Falk gegen die Unterbringung junger Männer in der Landwirtschaft aus, weil dort nicht das ganze Jahr hindurch genügend Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung standen und die Heranwachsenden womöglich zeitweise unbeaufsichtigt sich selbst überlassen blieben. Die zeitgenössischen Vorstellungen einer geschlechterspezifischen Hilfe kamen nicht allein in den personellen und räumlichen Strukturen des Falkschen Instituts zum Ausdruck. Ebenfalls beeinflusst durch sich verändernde Geschlechtervorstellungen argumentierten Falk und andere Verantwortungsträger für eine Intervention durch die Gesellschaft bzw. rechtfertigten Bedürftige ihren Anspruch auf Hilfe. Die Gesellschaft begründete ein ›Aktivwerden‹ mit den Vorstellungen über Mütter und Väter sowie das familiäre Zusammenleben. Weil Eltern eine besondere Sorgfaltspflicht bei der Erziehung ihrer Kinder zugeschrieben wurde, erkundigte sich Falk sehr genau nach den familiären Verhältnissen seiner potentiellen Zöglinge. Kamen Mütter und Väter der materiellen Versorgung und der (›moralischen‹) Erziehung ihrer Kinder nicht nach, griff die Gesellschaft der Freunde in der Not ein, um diese ›Sozialwaisen‹ zu unterstützen. Die Aufgaben der Väter erschöpften sich nicht in der materiellen Versorgung der eigenen Kinder, erwarteten doch Falk und seine Mitstreiter von den Vätern, dass sie ihre Kinder zur Arbeit anhielten und ihnen Werte vermittelten. Die Vorstellung des erziehenden Vaters war am Beginn des 19. Jahrhunderts so wirkmächtig, dass um Unterstützung bittende (zumeist bildungs-)bürgerliche Väter ihr Scheitern als Erzieher der eigenen Kinder gegenüber Falk freimütig offenbarten. Das Eingeständnis, als Vater versagt zu haben, rechtfertigte die Bitte um Hilfe. Falk seinerseits reklamierte für sich – wie auch viele Vertreter anderer Fürsorgeinstitutionen – sämtliche ›väterlichen‹ Rechte, wodurch ihm weitreichende Handlungsmöglichkeiten gegeben wurden. Wieder andere Väter und männliche Fürsprecher stilisierten sich in Bittschreiben dagegen als be-

Zusammenfassung

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sonders tugendhafte und pflichtbewusste Männer, die ihren Aufgaben als Väter und arbeitende Männer uneingeschränkt nachkamen, um mit dem Hinweis auf das eigene Selbstverständnis die Aufnahme eines Heranwachsenden in das Institut – beispielsweise in das Seminar – zu begründen. In weitaus stärkerem Maße schlug sich das Bild der liebenden und für ihre Kinder sorgenden Mutter im Entscheidungsprozess nieder, wann eine Hilfsmaßnahme eingeleitet werden sollte. Alleinerziehende Mütter, so die Vorstellung, könnten unmöglich die Aufgaben der materiellen Existenzsicherung und der Erziehung ihrer Kinder gleichzeitig erfüllen, weshalb Soldatenwitwen, ledige und von den Vätern ihrer Kinder verlassene Mütter einen Anspruch auf Hilfe besaßen. Das Engagement der Mütter wurde so stark aufgewertet, dass eine fürsorgende Mutter erzieherische Defizite des Vaters, bedingt etwa durch Alkoholabhängigkeit oder fehlenden beruflichen Einsatz, kompensierte. Das Ideal der für die Familie sorgenden Mutter stand in extremem Widerspruch zur Lebenswirklichkeit der meisten Zöglinge. Einerseits hinderten die Ehe- und Zunftbestimmungen viele Eltern an einer legalen Eheschließung. Andererseits waren Mütter aufgrund materieller Zwänge genötigt, einer Erwerbstätigkeit in einem Dienstverhältnis nachzugehen, sodass sie sich nicht in ausreichendem Maße um die Erziehung ihrer Kinder kümmern konnten. Aus diesen Zwängen resultierten die Zuschreibungen eines vermeintlich ›unmoralischen‹ Lebenswandels vieler Mütter, die ohne Männer ihre Kinder großzogen und als Erwerbstätige im Vergleich zur ›bürgerlichen Mutter‹ nur wenig Zeit für ihre Kinder besaßen. Dass dabei weniger die moralische Einstellung der Mütter, sondern äußerliche Zwänge zu einem aus bürgerlicher Sicht ›unmoralischen‹ Verhalten führten, übersahen viele Wohltäter. Der starke Einfluss polarisierender Geschlechtervorstellungen wurde insbesondere an den konkreten Hilfsangeboten sichtbar, die den Zöglingen unterbreitet wurden. Die berufliche Ausbildung der jungen Männer in einem Handwerk bildete in der Fürsorgepraxis des Instituts den wichtigsten Bestandteil, der in den Grundsätzen der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht wurde.1115 Im Vergleich zu den jungen Frauen zugewiesenen Arbeiten wird deutlich, dass junge Männer nicht in dienende Arbeitsverhältnisse vermittelt werden sollten. Die Selbstständigkeit einer beruflichen Tätigkeit konstituierte bürgerliche Männlichkeit, die ein Knecht oder Tagelöhner niemals erreichen konnte. 1115

Vgl. Kapitel II.1.2.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

Wie sehr die Vorstellung einer selbstständigen beruflichen Existenz Männlichkeitsvorstellungen prägte, wird insbesondere an der Vielfalt der Berufe deutlich, die männlichen Zöglingen angeboten wurde und sich nicht auf handwerkliche Tätigkeiten beschränkte. So wurden talentierte Heranwachsende auch zu Lehrern, Kantoren oder in anderen Berufsfeldern ausgebildet bzw. auf den Universitätsbesuch vorbereitet. Im Unterschied zu den Zöglingen, die ein Handwerk erlernten, finden sich unter den jungen Männern, die einen geistigen Beruf anstrebten, viele Pensionszahler. Ein regelmäßiger Beitrag durch Familienangehörige oder selbst akquirierte Förderer sicherte ihnen die Unterstützung des Falkschen Instituts, weshalb auch wenige Chirurgen und Juristen von Falk gefördert wurden. Obwohl diese unterschiedlichen Ausbildungswege für männliche Zöglinge formal gleichberechtigt nebeneinander standen, wurden den einzelnen Berufsgruppen durch die Heranwachsenden selbst bestimmte Verhaltensweisen zugeschrieben, woraus nicht selten Konflikte zwischen den Zöglingen des Instituts (oder zwischen Eltern und Kindern) resultierten. Besonders eindrucksvoll illustrierte der Fall August Kiesewetters, dass mit der Berufswahl unterschiedliche Männlichkeitsvorstellungen verknüpft waren. Im Gegensatz zu den meisten Zöglingen interessierte sich der junge Mann für Literatur und Dramatik und wollte später als Schauspieler arbeiten. Im Institut, in dem er zumeist mit jungen Lehrlingen zusammentraf, geriet Kiesewetter mit den Gleichaltrigen in Konflikt, die sein intellektuelles Gebaren verspotteten und ihn als zanksüchtigen und unmännlichen Außenseiter ablehnten. In dem Maße, wie Arbeit und Beruf eine immer größere Bedeutung für die Integration Heranwachender in die Welt der Erwachsenen erlangten, gewann auch das Argument der inneren Neigung einen immer stärkeren Einfluss. Obwohl die Zuweisung einer Ausbildungsstätte in erster Linie durch äußere ökonomische oder zünftige Rahmenbedingungen bestimmt wurde, berücksichtigte Falk die Wünsche der jungen Männer. Für die erfolgreiche Ausbildung eines männlichen Heranwachsenden war es geradezu unerlässlich, dass sich dieser für die Tätigkeit interessierte bzw., wo dies noch nicht der Fall war, für einen bestimmten Beruf begeistert wurde. In der Analyse wurde deutlich, dass männliche Zöglinge durch ältere Männer wie Väter, Verwandte oder – durch Einquartierung in den Familien lebende – Soldaten in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst wurden. Dagegen kann für junge Frauen nicht davon gesprochen werden, dass sie mit dem Erlernen weiblicher Arbeiten, der Aufnahme eines Dienstverhältnisses oder der Einstellung als Erzieherin, aus verschiedenen Tä-

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tigkeitsfeldern auswählen konnten. Vielmehr wurden Frauen diese Tätigkeiten allein aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit als ›natürliche‹ Bestimmung zugewiesen. Gleichwohl zeigte sich in der Praxis, wie weibliche Zöglinge durch den Umgang mit älteren Frauen, die Weitergabe von Modelltüchern oder das gesellige Beisammensein mit Handarbeitstechniken vertraut gemacht wurden. Durch den Hinweis auf ein natürliches Interesse, das qua Geschlecht alle jungen Frauen besäßen, manifestierten die Fürsorgepraktiken im Falkschen Institut polarisierende Geschlechterbeziehungen. Dennoch ist insbesondere mit Blick auf junge Frauen am Beginn des 19. Jahrhunderts eine strikte Instrumentalisierung von geschlechtlich konnotierten Begründungen als zu einseitig zu relativieren. Zeigten junge Frauen »mehr Neigung zu körperlichen, als zu geistigen Anstrengungen und Arbeiten«1116, mussten sie nicht allein aufgrund ihres Geschlechts unter allen Umständen diffizile Handarbeitstechniken erlernen, sondern wurden beispielsweise in die Landwirtschaft vermittelt. Um die von polaren Geschlechtervorstellungen durchzogenen Fürsorgepraktiken im Falkschen Institut umzusetzen, bedurfte es nicht nur erfahrener Lehrkräfte oder geeigneter Unterrichts- und Versammlungsräume. Im Falkschen Institut galt es, Geschlechternormen unter allen Umständen einzuhalten. Überschritten Zöglinge diese im Institut geltenden Geschlechtergrenzen – wie das Verbot sexueller Kontakte –, so wurde dieser Verstoß mit disziplinierenden Maßnahmen bestraft. Falk beharrte auf diesem Verbot, weil nur durch die Einhaltung der in Zunftgeboten und Heiratsvorschriften kodifizierten Regeln eine Vermittlung der Zöglinge zu Handwerksmeistern oder in Dienste möglich war. Die Beziehungen zwischen jungen Frauen und Männern des Instituts konnten nur legalisiert werden, wenn junge Gesellen die Meisterprüfung anstrebten. Alle anderen Formen des Zusammentreffens von weiblichen und männlichen Zöglingen waren unerwünscht und widersprachen dem (bürgerlichen) Ehr- und Sittlichkeitsbegriff, weshalb der Ausschluss einzelner Hilfebedürftiger in Kauf genommen wurde, wenn die Grenzen der Geschlechterbeziehungen überschritten wurden. Gleichzeitig funktionalisierten die Erziehenden des Falkschen Instituts Geschlechterpraktiken, um disziplinierend das Verhalten Heranwachsender zu verändern. So diente die bewusste Überschreitung von Geschlechterzuschreibungen als sanktionierendes Element in der karitativen Fürsorge. Junge Männer wurden mit ›weiblichen Arbeiten‹ beschäftigt, um 1116

Bericht Johann Ernst Anton Gottfried Görings, Wormstedt 1823, in: ThHStAW B 4878a, Bl. 7r.

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Geschlechtsspezifisch ausgerichtete Fürsorge

sie zu Sauberkeit und Fleiß zu erziehen und gleichzeitig zur Passivität anzuhalten. Umgekehrt wurden junge Frauen nicht alternativlos mit ›weiblichen Arbeiten‹ beschäftigt, wenn diese für Frauen typische Form der Fürsorge im Institut ohne Erfolg blieb. Wie ihre männlichen Kollegen wurden junge Frauen aus ihrem familiären Umfeld herausgelöst und bei Handwerksmeistern untergebracht, die gemeinsam mit ihren Ehefrauen für die Erziehung der jungen Frauen verantwortlich waren.

IV. Falk als Grenzzieher – Ein personaler Erklärungsversuch für geschlechterspezifische Hilfe nach 1800

Da Johannes Falk der wichtigste Initiator und Gestalter des aus der Gesellschaft der Freunde in der Not hervorgegangenen Falkschen Instituts geworden ist, soll im Folgenden danach gefragt werden, wie Falk sozialisiert wurde. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass seine Einstellung zu bürgerlichen Werten wie Arbeit und Sittlichkeit, zum karitativen Engagement, aber auch zu spezifischen Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen in seiner Kindheit und Jugend erstmals geprägt wurden. Ebenso gilt es zu skizzieren, mit welchen geistigen Strömungen seiner Zeit er sich auseinandersetzte, die seine Vorstellungen vom Aufwachsen der Geschlechter beeinflusst haben. Auf dieser Grundlage wird Falks eigener Männlichkeitsentwurf beschrieben, der zwischen dem Schriftsteller einerseits und dem ›Vater der Waisen‹ andererseits changierte und die Basis für die vielfältigen Unterstützungen junger Männer im Rahmen des Falkschen Instituts bot.

1. Falks Aufwachsen im Umbruch traditioneller Wirtschaftszweige Der Fokus richtet sich im Folgenden auf Falks frühe Lebensjahre in Danzig und die Studienzeit in Halle, um die Frage zu beantworten, inwieweit in diesem Lebensabschnitt erste Grundlagen für Falks spätere karitative Arbeit gelegt wurden. Väterliches Handwerk und soziale Unterschiede Johannes Falk, am 28. Oktober 1768 in eine Danziger Familie geboren,1 erlebte seinen Vater Johann Daniel Falk (1737–1808), der den Lebensunterhalt seiner Familie als Perückenmacher verdiente.2 Wenngleich nach der Französischen Revolution das Perückenmacherhandwerk einen wirt1

Oskar Leistikow verwies bereits 1952 auf den abweichenden Danziger Kirchen-

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Ein personaler Erklärungsversuch

schaftlichen Einbruch erlitt,3 konnte Falks Vater, dessen finanzielle Lage es ihm gestattete, in der Werkstatt zwei Gesellen zu beschäftigen, die Familie ernähren.4 Es ist richtig, von bescheidenen Lebensverhältnissen zu sprechen,5 in die Falk hineingeboren wurde, aber verklärend zu behaupten, Falk sei »sehr ärmlich«6 oder in »ärmlichsten Verhältnissen«7 aufgewachsen. Falk erfuhr nicht nur seit frühester Kindheit, wie der Vater mit der Ausübung des Handwerks für sich und die Familie sorgte, sondern wurde frühzeitig selbst in die Arbeitsabläufe einbezogen. Nach einem dreijährigen Besuch der untersten Klasse des Danziger Gymnasiums nahmen ihn die Eltern aus der Schule, damit Falk dem Vater in der Werkstatt und beim Austragen der Perücken half.8 Falk, der »zu dem Gewerbe, welches sein Vater trieb«9, angehalten wurde, sollte als erstgeborener Sohn den väterlichen Beruf ergreifen. Zu gegebener Zeit könne er selbst die vorhandene Infrastruktur, wie etwa die Werkstatt, Werkzeuge (Scheren, Kämme oder Perückenköpfe) bzw. vorhandene Werkstoffe

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bucheintrag, in dem der 26. Oktober 1768 als Geburtstag verzeichnet wurde. Woher diese Abweichung resultiert, ist bislang nicht geklärt. Vgl. Leistikow: Falk, S. 193f. Zur Problematik des Geburtstages vgl. auch Demandt: Falk, S. 17. Heinrich Döring benennt 1770 als Geburtsjahr Falks. Vgl. Döring, Heinrich: Lebensumrisse von Carl August, Großherzog von Sachsen-Weimar, und von Möser, Falk, Seume, Lichtenberg und von Matthisson. Quedlinburg und Leipzig 1840, S. 129. Zur wirtschaftlichen Situation der Perückenmacher vgl. Reith: Lohnformen, S. 283–285. Vgl. Albrecht, Peter: Fürsorge und Wohlfahrtswesen, in: Berg, Christa (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 3: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches. München 1987, S. 421–483, hier S. 422. Vgl. Demandt: Falk, S. 19f. Vgl. Leistikow: Falk, S. 195; Demandt: Falk, S. 19. Merten, Werner: Art. »Falk, Johannes Daniel«, in: Herbst, Wolfgang (Hrsg.): Wer ist wer im Gesangbuch? Göttingen 2001, S. 89. Vgl. auch Glaue, Paul: Johannes Daniel Falk. 1768–1826, in: Franz, Günther (Hrsg.): Thüringer Erzieher. Köln und Graz 1966, S. 113–128, hier S. 113; Schäfer, Th.: Diakonik oder Theorie und Geschichte der inneren Mission, in: Zöckler, Otto (Hrsg.): Handbuch der theologischen Wissenschaften in encyklopädischer Darstellung mit besonderer Rücksicht auf die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Disziplinen. Bd. 4. Praktische Theologie. München 1890, S. 511–597, S. 532. Sembdner, Helmut: Johann Daniel Falks Bearbeitung des Amphitryon-Stoffes. Ein Beitrag zur Kleistforschung. Berlin 1971, S. 10. Vgl. Demandt: Falk, S. 29. Danziger Kanzelabkündigung, 1826, in: GSA 15 V, 8b, unfol.

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übernehmen.10 Ab dem frühen 19. Jahrhundert galt jedoch die Perücke als »Unnatürlichkeit«11 – ein Trend, der zum Niedergang des Gewerbezweigs führte. Falks jüngerer Bruder David Wilhelm ergriff zwar noch den väterlichen Beruf, verdiente sich dann aber, vermutlich aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Situation, wie sein Bruder August als Kaufmann den Lebensunterhalt.12 Johannes Falk waren diese Überlegungen fremd, weil er sich von Anfang an nicht für den väterlichen Beruf interessierte. Dagegen strebte er den Besuch der Universität an, wofür sein Vater »kein Ohr«13 hatte. Im Gegensatz zur Mutter missfiel dem Vater,14 dass Falk in seiner Kindheit heimlich Werke Gellerts, Wielands und Lessings aus der Danziger »Lesebibliothek«15 Heinrich Karl Brückners rezipierte.16 Lediglich gegen eine musikalischen Ausbildung Falks an der Violine und im Chor hatte der Vater nichts einzuwenden.17 Falks Wissensdurst wurde durch religiöse Praktiken verstärkt, die er von seiner Mutter kennen lernte. Dazu gehörten in seinem pietistischen Elternhaus das tägliche Bibellesen und die Lektüre der moralischen Erbauungs- und Gebetsliteratur Johann Arndts oder Benjamin Schmolcks.18 Der Erste Pastor der reformierten Gemeinde Samuel Ludwig Majewski förderte Falks intellektuelle Fähigkeiten, nachdem schon der Vater den Englischunterricht erlaubt und der Sohn erste literarische Übersetzungen angefertigt hatte. Schließlich besuchte Falk 1783 zur Vorbereitung auf ein 10

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Vgl. Stolz, Susanna: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg 1992, S. 193–196; Jedding-Gesterling, Maria: Der Perückenmacher. Vom höfischen Haarkünstler zum zünftigen Handwerker, in: Kümmel, Birgit / Hüttel, Richard (Hrsg.): Arolsen. Indessen will es glänzen. Eine barocke Residenz. Korbach 1992, S. 155–163, hier S. 157–159. Art. »Perücken«, in: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für gebildete Stände (= Conversations-Lexikon) in zwölf Bänden. Achter Band O bis Q. Leipzig 1835, S. 427A. Eckart: Falks Reise, S. 1.; Falk: Geheimes Tagebuch, S. 107. Falk, Johannes: Leben, wunderbare Reise und Irrfahrten des Johannes von der Ostsee. Tübingen 1805, S. 117. Vgl. ebd., S. 117. Ebd., S. 120. Vgl. Döring: Lebensumrisse, S. 130; Grzes´kowiak-Krwawicz, Anna: Die Aufklärung in Danzig. Skizzen über die Danziger Literaturpflege im Zeitalter der Aufklärung. Warszawa 1998, S. 83. Vgl. Flaischlen: Falk, S. 3. Vgl. Demandt, Johannes: Johannes Daniel Falks Verhältnis zum christlichen Glauben, in: PuN 33 (2007), S. 148–165, hier S. 148.

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Ein personaler Erklärungsversuch

H. Westermayr: Johannes Daniel Falk, 1805 (KSW KGe/00464)

Aufwachsen im Umbruch

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Theologiestudium die Petri-Schule der reformierten Gemeinde. Inwieweit hier Absprachen zwischen Falks Eltern und dem Geistlichen Majewski getroffen wurden, ist nicht überliefert.19 Nachdem Falk am 26. September 1786 die Petri-Schule erfolgreich verlassen hatte und am Akademischen Gymnasium aufgenommen wurde, spürte er die Folgen sozialer Unterschiede, deren Ursachen in der materiellen Unterversorgung seiner Herkunftsfamilie zu suchen sind. Die aufzubringenden Schulgelder und Entgelte für Privatstunden erhielt Falk von unterschiedlichen Zuwendungsgebern.20 Darüber hinaus war er darauf angewiesen, jüngeren Schülern selbst Unterricht gegen ein Honorar zu erteilen.21 Abgesehen von diesen zusätzlichen Anstrengungen wurde ihm seine missliche finanzielle Lage durch das ablehnende Verhalten besser situierter Schüler deutlich vor Augen geführt: »Und was sie so gegen mich aufgebracht, ist blos mein Stand, und daß ich nicht von Jugend an mit ihnen studirt habe. [...] ich möchte mich mit der ganzen Welt herum schlagen, wenn sie nur kämen [...], die Söhne der Reichen und der Patricier.«22 Gleichzeitig überragte er seine Mitschüler intellektuell durch seine sehr guten schulischen Leistungen.23 Dass soziale Ausgrenzung aufgrund unterschiedlicher ökonomischer Handlungsspielräume ebenfalls Geschlechterbeziehungen determinierte, realisierte Falk in seiner Geburtsstadt, in der seine frühe Jugendliebe genau deshalb sehr abrupt endete. Von diesem Ereignis berichtet Falk in seiner autobiographischen Schrift »Johannes von der Ostsee«, in der er seine Liebesbeziehung zur Ratsherrentochter Johanna Constantia Zernecke24 literarisch verarbeitet hat. Falk, der mit dem Violinenspiel Zugang in das väterliche Haus Jeanettes – so der Name der Geliebten in der Erzählung – erlangt hatte, interpretierte die Sorge der Mutter Jeanettes 19 20 21

22 23 24

Vgl. Demandt: Falk, S. 35. Vgl. ebd., S. 37. Vgl. Aufzeichnungen Johannes Falks über Johann Heinrich Krause, [Weimar 1820], in: GSA 15/N 55, Bd. 11, Bl. 341r.–346r., hier Bl. 343v. Vgl. auch Demandt: Falk, S. 49. Falk: Ostsee, S. 144. Vgl. Demandt: Falk, S. 37f. Vermutlich handelt es sich um Johanna Constantia Zernecke (1774–1855). Sie war die Tochter des Sekretärs des Rats der Stadt Danzig und späteren Bürgermeisters Daniel Andreas Zernecke (1745–1821) und dessen Frau Anna Paulina Zernecke (1749–1818). Vgl. Art: Zernecke aus Bergen auf Rügen, in: Westpreußisches Geschlechterbuch 182 (1980), S. 401–448, hier S. 416. Demandt: Falk, S. 44.

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Ein personaler Erklärungsversuch

vor einer zu frühen Liebesbeziehung als vorgeschobenen Grund, »dabey wußte sie den Unterschied meines [Falks] Standes und des ihrigen«25. Unter Androhung des Verlusts seiner finanziellen Unterstützung, die maßgeblich von den einflussreichen Patrizierfamilien Danzigs abhing, musste Falk der Jugendliebe entsagen.26 Arbeit zwischen Handwerk und geistiger Tätigkeit – Falks Weg zum (Theologie-)Studium Im September 1791 verließ Falk Danzig, um in Halle Theologie zu studieren. Die hohe Reputation der Hallenser Universität und das Fehlen eines Lehrstuhls für reformierte Theologie im näher gelegenen Königsberg dürften den Danziger Rat dazu bewogen haben, Falk an die Saale zu schicken.27 Nach zwei Semestern, in denen er möglicherweise Vorlesungen Johann August Nösselts und August Hermann Niemeyers – zwei Vertreter des gemäßigten Rationalismus – besucht hatte, brach Falk sein Studium ab und wandte sich der Literatur zu.28 Offensichtlich bestärkten die aufklärerisch ausgerichteten Vorlesungen Falk nicht in seiner ursprünglichen Absicht, Theologie zu studieren. Ein zweiter Grund für Falks Entscheidung, das Studium der Theologie im Frühsommer 1792 abzubrechen,29 ist in den Gesprächen mit dem reformierten Pastor Majewski zu sehen, der nicht nur Falks schulischen Entwicklungsgang, sondern auch dessen geistliche Einstellung beeinflusst hat. Für Johannes Falk wurde Majewski zu einem Gesprächspartner, mit dem er wichtige religiöse Fragen diskutieren konnte. Als Vertreter einer aufgeklärten Frömmigkeit sah Majewski zwischen Vernunft und Glaube keinen Widerspruch, sondern zwei grundlegende Haltungen, die den Gläubigen zu christlich-moralischem Handeln verpflichteten.30 Johannes Falks kritische Positionierung gegenüber der aus dem Elternhaus vertrauten Konfession wurde durch die Bekanntschaft mit Majewski noch verstärkt, sodass Falk ohne geistliche Überzeugung sein Theologiestudium begann. »Majewski verstand es offensichtlich nicht, seine eigene rationalistische Grundhaltung mit einer Glaubensüberzeugung zu verbinden, die dem nach Klarheit strebenden Falk die Theologie als Studienfach 25 26 27 28 29 30

Falk: Ostsee, S. 17. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. Demandt: Falk, S. 126f. Vgl. Demandt: Glauben, S. 151. Vgl. Demandt: Falk, S. 310. Vgl. Demandt: Glauben, S. 150.

Aufwachsen im Umbruch

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und das Pfarramt als mögliche berufliche Perspektive vor Augen geführt hätte.«31 Die von Majewski vertretenen Ideale der Aufklärung waren Falk nicht fremd. Dass jedoch der Verstand als legitimes Deutungsmuster übersinnliche Glaubenserfahrungen erklären sollte, widerstrebte Falk zeitlebens, der in kantischer Manier das menschliche Urteilsvermögen auf die Dinge der Erscheinungswelt beschränkte.32 Ein dritter Grund ist in der Bekanntschaft Falks mit dem Philosophen und Mitdirektor des Berliner Königlichen Nationaltheaters Johann Jakob Engel zu sehen.33 Auf einer Reise nach Berlin lernte Falk den Professor für Moralphilosophie kennen, der sich selbst vom ursprünglich begonnenen Theologiestudium abgewandt hatte.34 Der wichtige Vertreter der Berliner Aufklärung dürfte ebenso wie Jean Paul, ein Freund Falks,35 und August Wilhelm Schlegel zu Falks Vorbildern gezählt haben, die sich schnell vom Studium der Theologie distanzierten und eine schriftstellerische Tätigkeit begannen.36 Ungeachtet der Tatsache, dass Falk die Mehrzahl seiner biographischen Selbstzeugnisse über Kindheit und Jugend aus der Rückschau des gereiften Weimarer Bürgers verfasst hat, wodurch die Darstellung nachträgliche, der Erinnerung geschuldete – im positiven wie im negativen Sinne – Verzerrungen erfahren hat, prägte seine Kindheit und Jugend die Dichotomie zwischen Arbeit, verstanden als praktischer, handwerklicher 31 32

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Demandt: Falk, S. 309. Vgl. Schering, Ernst: Die innere Schaukraft. Träume, Erscheinungen des Zweiten Gesichts und Visionen des Johannes Falk. München und Basel 1953, S. 32. Zu Falks wechselnder Einstellung zur kantischen Philosophie vgl. Witte, Ernst: Falk und Goethe. Rostock 1912, S. 18 und 22. Vgl. Demandt: Falk, S. 122–126; Kosˇenina, Alexander / Wehrhahn, Matthias: Johann Jakob Engel (1741–1802). Leben und Werk des Berliner Aufklärers. Ausstellung zum 250. Geburtstag (= Ausstellungsführer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin; 22). Berlin 1991, S. 18. Vgl. Kaelcke, Wolfgang: Johann Jakob Engel in Mecklenburg, in: Völker, Wolf (Hrsg.): Johann Jakob Engel (1741–1802). Ein mecklenburgischer Spätaufklärer. Interdisziplinäre Tagung der Universität Rostock zum 200. Todestag von Johann Jakob Engel. Norderstedt 2004 S. 6–12, hier S. 8. Vgl. Brief Fanny Reitzensteins an Johannes Falk, o. O. u. o. D., in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 196r.–197r., hier Bl. 196v. Vgl. Demandt: Falk, S. 136f. Zu Engels Berliner Zeit vgl. Kosˇenina, Alexander: Einführung: Johann Jakob Engel und die Berliner Aufklärung, in: Ders. (Hrsg.): Johann Jakob Engel (1741–1802). Philosoph für die Welt, Ästhetiker und Dichter (= Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800; 7). Hannover-Laatzen 2005, S. 1–26.

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Tätigkeit einerseits, und geistiger Selbstbildung andererseits. Falk entsprach nicht dem väterlichen Vorbild, indem er den Beruf des Perückenmachers verschmähte und eine eigene Berufswahl traf. Vielmehr folgte er seinen eigenen Interessen und Neigungen, die er durch Selbstbildung, Schriftstellerei und Übersetzungen zu verwirklichen suchte. Das Spannungsverhältnis zwischen väterlicher Vorbildwirkung und individueller beruflicher Bestimmung eines jungen Mannes schien Falk für sich zu Gunsten der persönlichen Interessen gelöst zu haben.

2. Erziehung als geschlechtersegregatorischer Prozess Weit vor der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not hatte sich Johannes Falk als Student und Schriftsteller mit zeitgenössischen pädagogischen Ideen vertraut gemacht. Bislang fehlen Untersuchungen, die sich mit Falks pädagogischen Überzeugungen eingehender beschäftigen, weil zum einen die Trias vom Schriftsteller, Diplomaten und Pädagogen den Blick auf jene didaktischen Vorstellungen versperrt, die Falk vor 1813 geäußert hat. Zum anderen dominiert in ideengeschichtlich ausgerichteten Untersuchungen die Fokussierung auf Falks religiöse und konfessionelle Einstellung. Dabei konnte sich Falk durchaus zeitgenössischen, von Aufklärung und Humanismus geprägten Ideen nicht entziehen. »Außer dem christlichen Glauben spielte in Falks Denken beispielsweise auch der Humanismus eine wichtige Rolle.«37 Inwieweit sich dieser Einfluss auf pädagogische Ideen Falks auswirkte, blieb bisher unberücksichtigt. In Falks Œuvre finden sich an verschiedenen Stellen literarisch verarbeitete Überlegungen zur Erziehung und Bildung des Menschen, die bestätigen, dass Falks Auseinandersetzung mit pädagogischen Fragen nicht erst zum Zeitpunkt seiner Weimarer Fürsorge begann. Falks frühe Auseinandersetzung mit der Pädagogik 1804 erschienen Falks in Versen abgefasste Mahnungen »An die Erzieher des neunzehnten Jahrhunderts«38, in denen er sich über die besondere Verantwortung von Lehrern und Eltern im Erziehungsprozess geäußert hat: »Sind die Erzieher nur erst selbst erzogen: Gleich wird’s mit der Erziehung besser seyn!«39 Dieser Gedanke wurde Ende des 18. Jahrhun37 38

Vgl. Demandt: Glauben, S. 148. Falk, Johannes in: Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire

Erziehung als geschlechtersegregatorischer Prozess

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derts in der um Joachim Heinrich Campe entstehenden »Allgemeinen Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens«40 geäußert und später von Christian Gotthilf Salzmann in seinem »Ameisenbüchlein«41 wieder aufgegriffen.42 Schon in seinen Hallenser Studienjahren hatte Johannes Falk zuvor August Hermann Niemeyer – einen Urenkel August Hermann Franckes – kennen gelernt. Niemeyer, der nach Abschluss seines Theologiestudiums zum Mitdirektor der Franckeschen Stiftungen ernannt wurde, verfasste zu der Zeit pädagogische Werke, in denen er die wichtige Vorbildwirkung der Erziehenden thematisierte.43 In Falks späterer karitativer Arbeit nahm diese Idee konkrete Formen an, indem er ein besonderes Augenmerk auf die Ausbildung von jungen Heranwachsenden zu geeigneten Lehrern und Erziehern richtete. Falk vertrat in der pädagogischen Debatte die Vorstellung, dass die innere Anlage die geistige Entwicklung eines jungen Menschen vorbestimme. Die Aufgabe von Eltern und Lehrern sei es, diesen vorbestimmten Weg zu akzeptieren, keinesfalls aber mit unnützem Wissen zu befrachten. »Weder der Lehrer, noch die Eltern sollten die Erziehung des Geistes bestimmen; er bestimme sie schon von selbst nach seinen eigenen Polaritäten.«44 Dementsprechend formulierte Falk didaktisch-methodische Ansätze, die das eigenständige Denken fördern sollten, wohingegen vorgesagtes und wiederholtes Wissen der menschlichen Natur zuwiderliefe.45 Nicht durch das Auswendiglernen von Büchern könne der Heranwachsende erzogen und gebildet werden, habe er doch angesichts der Menge des enzyklopädischen Wissens nur eine begrenzte Zeit zum Lernen. »So gebt denn Abschied einem wüsten Wissen«46, lautete der formulierte Ratschlag. Die Alternative sah Falk in einer ästhetischen Erzie-

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7 (1803), S. III. Ebd., S. IV. Campe, Joachim Heinrich (Hrsg.): Allgemeine Revision des gesammten Schulund Erziehungswesens. Hamburg 1785–1792. Salzmann, Christian Gotthilf: Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher. Schnepfenthal 1806. Vgl. Austermann, Simone: Die »Allgemeine Revision«. Pädagogische Theorieentwicklung im 18. Jahrhundert (= Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft; 32). Bad Heilbronn 2010, S. 93–104. Vgl. Demandt: Falk, S. 129–131. Johannes Daniel Falk zitiert nach: Döring: Lebensumrisse, S. 172. Vgl. Döring: Lebensumrisse, S. 174. Falk, Johannes in: Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire 7 (1803), S. Sammlung, S. XIII.

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hung, denn »[n]ur durch das Schöne lernt der Mensch das Recht!«.47 Konkret setzte er diese Überlegungen bei der Erziehung seiner eigenen Kinder um, die nicht nur Texte abschrieben und auf diese Weise auswendig lernten. Indem Falk wenige Merksprüche auswählte und deren biblischen und antiken Zusammenhang darbot, dachten seine Kinder eigenständig über das Gelernte nach.48 »Wollt ihr aber doch Elementarbücher«, fügte Falk hinzu, »o ihr habt deren zwei – die Bibel und die Ilias. Nährt eure Kinder mit diesen Kraftspeisen, labt sie mit diesem frischen, lebendigen Quell; sie werden gesund werden und stark und groß, und an der losen Kost der neuern Philanthropen mit gerechtem Ekel vorübergehen.«49 Die christliche Lehre und das antike humanistische Erbe bildeten für Falk die beiden inhaltlichen Schwerpunkte bei der Erziehung Heranwachsender. Falks pädagogische Ideen waren zudem von Geschlechtervorstellungen geprägt, die eine strikte polare Trennung der Geschlechter und eine bewusste Erziehung Heranwachsender zu anerkannten Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsentwürfen vorsahen. »Behandelt eure Knaben gleich anfangs männlich, und ihr werdet junge Männer haben; tändelt ihr aber und spielt mit ihnen zu lange, so erzieht ihr euch alle Kinder«50, lautete eine Forderung Falks, die als Reaktion auf die zunehmende Ausdifferenzierung unterschiedlicher Entwicklungsphasen Heranwachsender zu verstehen ist. Weil Jungen in ihrer Kindheit und Jugend viel zu spät an Männlichkeitsentwürfe herangeführt würden und stattdessen wichtige Unterrichtszeiten nutzlos vergeudeten, was die Zeitgenossen als weiblich konnotierte Tändelei bezeichneten,51 könnten sie nicht dem Bild eines erwachsenen Mannes entsprechen. Die Entwicklung von Jungen zu erwachsenen Männern bedurfte einer gewissen Lenkung, galt es doch als »nicht angebracht, sich der Unbekümmertheit der Kindheit einfach nur anzupassen«52. Ähnliche Vorstellungen prägten auch Falks Ideen, wie Mädchen und junge Frauen heranwachsen sollten. Schon im Spätsommer 1811 entlieh 47 48 49 50 51

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Ebd., S. XIV. Vgl. Döring: Lebensumrisse, S. 174. Falk zitiert nach: Döring: Lebensumrisse, S. 199. Ebd. Vgl. Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Vierter Theil Seb – Z, Wien 1808, Sp. 528; Frankfurter Konversationsblatt, 25 August 1843, Nr. 234, S. 935. Arie`s, Philippe: Geschichte der Kindheit. München und Wien 1975, S. 216.

Erziehung als geschlechtersegregatorischer Prozess

377

Johannes Falk zwei Bücher des französischen Schriftstellers Franc¸ois de Salignac de La Mothe-Fe´nelon aus der Herzoglichen Weimarer Bibliothek.53 Vermutlich war Falk 1801 von Herder auf den Franzosen aufmerksam gemacht worden,54 dessen theologische, die quietistische Mystik verteidigende Schriften Falk in seiner Fürsorgetätigkeit bestärkten.55 Der französische Erzbischof und Leiter eines Pariser Internats zur Erziehung junger Mädchen betonte in seiner pädagogischen Schrift »Die Erziehung der Töchter«56 die Bedeutung von Arbeitserziehung und -ethik für Frauen aller Schichten.57 Ein weiteres Augenmerk lenkte Fe´nelon auf die Ausprägung eines weiblichen Sittlichkeitsbewusstseins, sodass Falk vermutlich auch deshalb ausschweifende Exzesse oder Tänze ablehnte, wie sie in adligen Kreisen noch üblich waren. Im Gegensatz dazu empfahl Fe´nelon, die Geschmacksbildung und die Kunstfertigkeit einer jeden Frau in Handarbeiten zu fördern. Diese sollten aber nicht um ihrer selbst willen betrieben werden, sondern im Ergebnis repräsentative Funktionen der Ehemänner unterstützen.58 Ohne eigene Erfahrungen in der pädagogischen Praxis gesammelt zu haben, setzte sich Falk mit verschiedenen Aspekten von Erziehung in seinem literarischen Werk auseinander bzw. rezipierte Werke pädagogischen Inhalts. Den Pädagogen sprach er die entscheidende Verantwortung für gelingende Erziehung zu. Während sich Falk in der Auseinandersetzung mit den Ideen seiner Zeit gegen das einseitige Repetieren von Wissen wandte und einen engen Zusammenhang zwischen den individuellen Voraussetzungen eines Heranwachsenden und den Möglichkeiten und Grenzen von Erziehung und Bildung sah, bedurfte die Geschlechtersozialisation einer frühzeitigen Steuerung, damit sich Mädchen und Jungen anerkannte zeitgenössische Geschlechterentwürfe zu eigen machten. 53

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Vgl. Schulz, Franziska: Johannes Daniel Falk – Eine Leserskizze. Im Anhang: Falks Entleihungen aus der (Groß-)Herzoglichen Bibliothek in Weimar, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 9–43, hier S. 21 und 36. Vgl. Demandt: Falk, S. 299; Brief Johannes Falks an Caroline Herder, Weimar Juni 1801, in: Arnold, Günter: Ungedruckte Briefe aus Herders Nachlaß, in: Impulse, 13 (1990), S. 264–318, hier S. 302–303. Vgl. Schering: Schaukraft, S. 53f. Fe´nelon, Franc¸ois de Salignac de la Mothe: Die Erziehung der Töchter (= De l’ e´ducation des filles). Lübeck 1735. Bei der anderen Entleihung handelte es sich um: Fe´nelon, Franc¸ois de Salignac de la Mothe: Explication des maximes des Saints sur la vie interieure. Amsterdam 1698. Vgl. Lerche-Renn: Nadel, S. 41f.; Greiner: Stricken, S. 67. Vgl. Lerche-Renn: Nadel, S. 43.

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Ein personaler Erklärungsversuch

Falks pädagogische Expertise in der zeitgenössischen Wahrnehmung Nach Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not setzte sich Falk in theoretischen Abhandlungen und in seiner praktischen Arbeit mit pädagogischen Fragestellungen auseinander, weshalb seine Expertise in der Leipziger Pädagogischen Gesellschaft, die ihn am 5. Dezember 1819 zu ihrem Ehrenmitglied ernannte,59 oder in der Immediatkommission für das Erziehungs- und Unterrichtswesen geschätzt wurde. Johannes Falk gehörte der Immediatkommission von 1815 bis zu seinem Tod 1826 an, in der er beispielsweise Kontakte mit Staatsminister Ernst August von Gersdorff, Konsistorialdirektor Peucer, den Konsistorialräten Wahl, Günther, Zunkel und Horn, mit dem Geheimen Referendar Helbig, Gymnasialdirektor Lenz und Gymnasialprofessor Hand pflegte.60 In der Kommission versammelten sich nicht nur kirchliche oder staatliche Vertreter, die schon vor dem 19. Jahrhundert das Schulwesen beaufsichtigten. Die Immediatkommission stand bürgerlichen »Laien« wie Johannes Falk offen, die sich »mit Erziehung u[nd] Unterricht aus Liebhaberey«61 beschäftigten, wodurch sie die Entscheidungsprozesse förderten. Falk hatte durch sein karitatives Engagement ab 1813 praktische Erfahrungen gesammelt, sodass er von seinen Zeitgenossen als nicht zu vernachlässigende Stimme im pädagogischen Diskurs wahrgenommen wurde. Mit seinen in der Immediatkommission geäußerten und mitunter »paradoxen«62 Ansichten stieß Falk nicht immer auf Verständnis. Dass er in Fragen der Volksschullehrerausbildung oder der Sonntagsschule dennoch Gehör fand, ist Kennzeichen eines Bürgertums, das sich »zumindest auf der Ebene der Volks- und Realschulen zu einer wichtigen schulpolitischen Macht«63 entwickelte. Diese Einschätzung teilten die Mitglieder der Immediatkommission nach dem Tode Falks, als sie sein Engagement als fruchtbringend hervorhoben. »In unserer Mitte ist durch sein Ausscheiden eine Lücke entstanden, die um so fühlbarer wird, als die eigenthümliche Art seiner Meinungsäußerung fast immer zu fruchtbarer Beleuchtung des Gegenstandes führte, wodurch unser Geschäft 59

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Aufnahmediplom der Pädagogischen Gesellschaft, Leipzig 5. Dezember 1819, in: GSA, 15/V, 7, Bl. 11. Vgl. Krumbholz, Paul: Die Immediatkommission für das Erziehungs- und Unterrichtswesen im Großherzogtum Sachsen. (1815–1837), in: Kirchen- und Schulblatt in Verbindung 65 (1916). Heft 18, S. 281–288, hier S. 283. Votum [Weimar; nach 14. Februar 1826], in: ThHStAW B 4396, Bl. 211r. Protokoll der Immediatkommission für das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Weimar 19.04.1826, in: ThHStAW B 4396, Bl. 219r.–230v., hier Bl. 221v. Hahn / Berding: Reformen, S. 347.

Zwischen Schriftsteller und ›Vater der Waisen‹

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gewann und die Lösung unserer Aufgaben nur scheinbar erschwert und verwickelt, im Grunde aber befördert und erweitert wurde.«64

3. Falks Männlichkeitsentwurf zwischen Schriftsteller und ›Vater der Waisen‹ Die Jahre um 1813 markieren in den biographischen Arbeiten über Falk einen Wandel in Falks Leben vom Schriftsteller zum »Vater der Waisen«. Den Tod der eigenen Kinder, das Kriegsjahr 1813 und seine Erkrankung an Nervenfieber65 – so die zeitgenössische Umschreibung für Typhus66 – habe Falk als Auslöser »seine[r] Berufung« zu einer neuen »Lebensaufgabe«67 verstanden. Inwieweit diese persönlichen und politischen Ereignisse tatsächlich zu einem Wandel in Falks Selbstverständnis bzw. – wie es die markante Zäsur 1813 suggeriert – zu einem Bruch in Falks Leben geführt haben, ist fraglich. Gewiss wandte sich Falk seit dieser Zeit anderen Aufgaben zu, die zuvor in seinem Leben nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. Dennoch lässt sich Falks Engagement in einem karitativen Hilfsprojekt nicht allein mit den äußeren Rahmenbedingungen des frühen 19. Jahrhunderts erklären, ohne Falks ursprünglichen Lebensentwurf eines anerkannten Schriftstellers in Weimar zu berücksichtigen. Der starke Wunsch, mit seiner schriftstellerischen Arbeit in Weimar Anerkennung zu finden, erfüllte sich für Falk nur teilweise, sodass die Frage berechtigt ist, inwieweit ebenfalls der ausbleibende berufliche Erfolg Falks Neuorientierung beeinflusste. »Falk mochte selbst fühlen, daß er als Dichter im Schatten Goethes nicht bestehen konnte.«68 Im Folgenden soll es jedoch nicht darum gehen, Falks »Wandlung, die ihn zu seiner eigentlichen Lebensaufgabe [...] führte«69, zu skizzieren, bedeutet dies doch lediglich, der von Falk und späteren Zeitgenossen wie Goethe oder Döring propagierten »Zersplitterung seines Charakters« zu 64

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Bericht [Entwurf] der Immediatkommission des Erziehungswesens an das 1. Staatsministerium, Weimar 21. Februar 1826, in: ThHStAW B 4396, Bl. 212r.– 213r., hier Bl. 212v. Vgl. Falk: Erinnerungsblätter, S. 46; Henze: Leben und Tod, S. 88. Vgl. Eckart, Wolfgang Uwe: Illustrierte Geschichte der Medizin. Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart. Heidelberg 2011, S. 91. Schering: Schaukraft, S. 42. Leistikow: Falk, S. 194. Ebd.

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Ein personaler Erklärungsversuch

folgen.70 Mit dem karitativen Engagement – so die These – kompensierte Falk einerseits die fehlende Anerkennung als Schriftsteller, wie es sich in den unterschiedlichen Fürsorgeangeboten für junge Männer des Falkschen Instituts niederschlug. Andererseits stehen das Modell des Schriftstellers und des »Vaters der Waisen« einander nicht diametral gegenüber, sondern bilden zwei integrale Bestandteile von Falks persönlichem Männlichkeitsverständnis, wie es sich letztlich in den vielfältigen Hilfsleistungen des Falkschen Instituts widerspiegeln sollte. Als Falk am Ende des Sommersemesters 1792 nicht mehr an theologischen Vorlesungen in Halle teilnahm, hatte er eine feste Vorstellung von seinem zukünftigen Leben. Nicht die Arbeit in einer Pfarrstelle, sondern das Verfassen eigener literarischer Texte schwebte ihm als geeignete Existenz für sein weiteres Leben vor. Um diesem Ziel näher zu kommen, entschloss er sich im Juli 1792, von Halle aus nach Weimar aufzubrechen.71 Bis 1796 besuchte er die Residenzstadt an der Ilm insgesamt drei Mal und nutzte seine Aufenthalte, um sich mit den in Weimar und Jena lebenden Schriftstellern und Professoren bekannt zu machen. In Jena wandte er sich wahrscheinlich gezielt an Anna Henriette Schütz,72 die Frau des Professors Christian Gottfried Schütz, und an Gottlieb Hufeland, die beide aus Danzig stammten,73 damit ihm seine Landsleute den Zutritt in die gelehrten und geselligen Kreise der Doppelstadt WeimarJena ermöglichten.74 Christian Gottfried Schütz vermittelte den Kontakt 70

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Vgl. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Heinrich Döring, [Weimar 7. April 1826], in: WA 4. Abt. 41. Bd., S. 272. Goethe spricht von drei Epochen (Schriftsteller, engagierter Bürger in den Befreiungskriegen und Pädagoge) im Leben Falks. Vgl. Demandt: Falk, S. 140. Von dem vertrauensvollen Verhältnis zu Anna Henriette Schütz zeugt auch ein Brief Falks an sie vom 10. Januar 1802, in HAB Briefsammlung M I, 21. Vgl. Döring, Heinrich: Art. »Falk«, in: Gruber, J. G. (Hrsg.): Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge. Erste Section A–G. 41. Theil Fabrik–Farvel. Leipzig 1845, S. 211–234, hier S. 220. Vgl. Demandt: Falk, S. 144. Ein ähnliches Verhaltensmuster ist für Johanna Schopenhauer festzustellen, die aus Danzig über Hamburg nach Weimar kommend den Kontakt zu ihrem Danziger »Landsmann« Falk suchte. Siehe dazu: Brief Johanna Schopenhauers an Arthur Schopenhauer, 19. Oktober 1806, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 2 1805–1817. München 1998. S. 144. Vgl. Gilleir, Anke: Johanna Schopenhauer und die Weimarer Klassik. Betrachtungen über die

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zwischen Falk und Schiller, dem der junge Student seine Gedichte übersandte.75 Zudem bestand die Aussicht, dass Christian Gottfried Schütz und Gottlieb Hufeland als Herausgeber bzw. Mitherausgeber eines der wichtigsten Rezensionsorgane des 18. Jahrhunderts,76 der »Allgemeinen Literaturzeitung«,77 Falks Werke einem größeren Publikum vorstellen würden. Im Dezember 1794 schickte Falk dem Ehepaar Schütz seine Satire »Der Mensch«78. Diesen Text, der auf einer Vorlage des französischen Schriftstellers Nicolas Boileau-Despre´aux beruhte, las zunächst das Ehepaar Schütz.79 Während die Rezension zu »Der Mensch« von Christian Gottlob Heyne ein Jahr später in den »Göttingischen Anzeigen« erschien,80 wurden schließlich 1797 das erste Mal im »Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung« zwei Werke Falks angekündigt.81 Der »Teutsche Merkur« warb neben dem »Taschenbuch der Freunde des Scherzes und der Satire« für Falks fantastische Gedichte »Die heiligen Gräber zu Kom und die Gebete«. Der Herausgeber Christoph Martin Wieland, der Falk »viel Genie und Feuer«82 attestiert hatte, war es auch, der Falk den Umzug von Halle nach Weimar nahelegt hatte,83 worauf sich die während der früheren Reisen an die Ilm geknüpften Kontakte Falks intensivierten.84 Für Falk eröffneten sich mit dem Wohnortwechsel neue Betätigungsfelder. Als vertraglich verpflichteter Beiträger der JALZ warb er nach 1800 um Beiträge für die »Literaturzeitung«, wobei der Abdruck von

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Selbstpositionierung weiblichen Schreibens (= Germanistische Texte und Studien; 64). Hildesheim, Zürich und New York 2000, S. 248; Leistikow: Falk, S. 193. Vgl. Brief von Christian Gottfried Schütz an Johannes Falk, Jena 17. Dezember 1794, in: GSA 15/II, 1D,9, 1. Stück. Vgl. Middell, Katharina: »Diese Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben«. Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-IndustrieComptoir um 1800, Leipzig 2002, S. 50. Vgl. Demandt: Falk, S. 144. Falk, Johannes: Der Mensch. Eine Satyre. Frei nach Boileau. Leipzig 1795. Vgl. Brief von Christian Gottfried Schütz an Johannes Falk, Jena 17. Dezember 1794, in: GSA 15/II, 1D, 9, 1. Stück. Vgl. Demandt: Falk, S. 187. Vgl. Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 9, 21. Januar 1797, Sp. 65f. Der Neue Teutsche Merkur. 4. Stück, April 1796, S. 446. Vgl. Witte: Falk und Goethe, S. 15. Vgl. Brief von Christian Gottfried Schütz an Johannes Falk, Jena 19. Januar 1800, in: GSA 15/II, 1D,9, 2. Stück.

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Ein personaler Erklärungsversuch

Falks eigenen Rezensionen aufgrund ihres polemischen Charakters durch Goethe mehrmals untersagt wurde.85 Kritische Äußerungen rief auch die Quantität der Beiträge Falks hervor. An dem 1804 unter Falks Pseudonym Johannes von der Ostsee in der JALZ abgedruckten Aufsatz »Reformen Österreichs im Kriegsfach«86 kritisierte der Herausgeber Heinrich Carl Abraham Eichstädt die für die Zeitschrift unpassende Länge des Beitrags.87 Goethe schloss sich der wiederholt von Eichstädt vorgetragenen Kritik an: »Daß ein so guter Kopf, wie Freund Falk ist, so wunderliche Dinge schreibt, die man in keinem Sinne billigen kann, ist betrübt und verdrießlich.«88 Zensur und Kritik mögen den Beiträger schließlich bewogen haben, 1806 seine eigene Zeitschrift »Elysium und Tartarus«89 herauszugeben, die sich zunächst »auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft bewegte«90. Falk, dessen schriftstellerische Arbeit mit der Herausgabe der Zeitschrift auch eine politische Dimension erhielt,91 verfasste literarische Texte nie um ihrer selbst willen, sondern funktionalisierte sie bewusst in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Themen, wie es sich bereits im »Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire« angedeutet hatte.92 1806 bezog er in seiner Zeitschrift »Elysium und Tartarus« eine so pro-preußische Position, dass Staatsminister Goethe Christian Gottlob von Voigt im Oktober des Jahres bat, »daß Falken verboten werde, sein Elysium und Tartarus fortzusetzen«93. 85

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Vgl. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Heinrich Carl Abraham Eichstädt, [Weimar 22. September 1803], in: WA 4. Abt. Bd. 16, Nr. 4728, S. 310; Witte: Falk und Goethe, S. 32–34, 40f.; Ab 1804 entstand unter dem Namen Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung (JALZ) ein konkurrierendes Periodikum zur Allgemeinen Literatur-Zeitung (ALZ), die 1803 nach Halle verlegt wurde. Vgl. Schmidt-Funke, Julia Annette: Der Konflikt um die Verlegung der Allgemeinen Literatur-Zeitung nach Halle im Jahr 1803, in: ZVThG(A) 57 (2003), S. 105–126. Falk, Johannes: Reformen Österreichs im Kriegsfach, in: JALZ, Nr. 62 13. März 1804, Sp. 489–494. Vgl. Brief Heinrich Carl Abraham Eichstädts an Johann Wolfgang von Goethe, Jena 4. Januar 1804, in: GSA 30/243, Bl. 195f. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Heinrich Carl Abraham Eichstädt, Weimar 21. März 1804, in: WA 4. Abt. Bd. 17 S. 89–103, hier S. 100. Elysium und Tartarus. Eine Zeitung für Poesie, Kunst und neuere Zeitgeschichte. Weimar 1806. Witte: Falk und Goethe, S. 44. Vgl. Merseburger, Peter: Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht. Stuttgart 1998, S. 125. Vgl. Schmitz, Rainer: Nachwort und Dokumentation, in: Ders. (Hrsg.): Die ästhetische Prügeley. Streitschriften der antiromantischen Bewegung. Göttingen 1992, S. 245–313, hier S. 264.

Zwischen Schriftsteller und ›Vater der Waisen‹

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Im Laufe der Weimarer Jahrzehnte erfuhr Falks selbst gewählter Männlichkeitsentwurf eine grundlegende Veränderung. Nach seinem Umzug in die Residenzstadt an der Ilm im Herbst 1797 versuchte er zunächst als Schriftsteller ein selbstbestimmtes Leben im Umkreis Goethes, Schillers und besonders Wielands zu führen. Am 7. Januar 1798 lernte er auch den Weimarer Superintendenten Herder und dessen Frau kennen. Er war den beiden durch Ludwig Gleim, einen finanziellen Förderer des jungen Schriftstellers, empfohlen worden.94 Ungeachtet aller literarischen Anstrengungen erntete Falk mit seinen schriftstellerischen Arbeiten nicht jene Anerkennung, die er sich dafür erhofft hatte. Von den Romantikern, von deren künstlich verkrampfter und oberflächlicher Schwärmerei er sich distanziert hatte,95 wurde Falks Werk spöttisch betrachtet. Clemens Brentano bemalte bei der Taufe Bettina von Savignys im Oktober 1805 die Wände eines Zimmers des in Trages zwischen Hanau und Gelnhausen gelegenen Guts der Savignys. 93

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Das Original des Briefes ist laut Auskunft des ThHStAW nicht mehr auffindbar. Auszüge, Drucke bzw. Paraphrasierungen finden sich in zahlreichen Publikationen. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Christian Gottlob Voigt, Weimar [Oktober 1806], in: WA 4. Abt. Bd. 19, S. 435; Ogris, Werner: Verbietet mir keine Zensur! Goethe und die Preßfreiheit, in: Wilke, Dieter (Hrsg.): Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin. Berlin und New York 1984, S. 509–527, hier S. 521. Vgl. auch Witte: Falk und Goethe, S. 45f. Am ausführlichsten und mit editorischen Anmerkungen versehen sowie die Bezugsschreiben Voigts, in: Goethes amtliche Schriften. Veröffentlichung des Staatsarchivs Weimar. 2. Band. Die Schriften der Jahre 1788–1819. Goethes Tätigkeit im Geheimen Consilium. 2. Halbband 1789–1819. Bearb. von Helma Dahl. Weimar 1970, 724f. Vgl. auch die entsprechenden Erläuterungen sowie Falks Anmerkungen auf dem bei ihm eingegangenen Schreiben im 3. Band Goethes amtliche Schriften. Bearb. von Helma Dahl. Weimar 1972, S. 337–339. Vgl. Brief Caroline Herders an Ludwig Gleim, Weimar 8. Januar 1798, in: Herder, Johann Gottfried: Briefe. 7. Bd. Januar 1793–Dezember 1798. Bearb. von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Weimar 1982, Nr. 371. Mit Herder tauschte sich Falk nicht nur über literarische Texte, sondern ebenfalls über religiöse Fragen aus. Vom Herbst 1800 ist ein Brief Johann Gottfried Herders an Falk überliefert, der die Konversion protestantischer Christen zum Katholizismus thematisiert. »Sind Katholische nicht Christen?«, fragte Herder, der Falk zu einer gewissen Gelassenheit im Umgang mit Konvertierten wie Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg riet. Vgl. Brief Johann Gottfried Herders an Johannes Falk, Weimar Herbst 1800, in: Herder, Johann Gottfried: Briefe. 8. Bd. Januar 1799–November 1803. Bearb. von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Weimar 1984, Nr. 169. Vgl. Schering: Schaukraft, S. 40.

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Zur Belustigung der anwesenden Taufgesellschaft skizzierte Brentano eine Karikatur, die auf Falks Gedicht »Der Wanderer von der Ostsee. Am Grabe Herders (Weimar, den 21sten December, Abends um 9 Uhr)«96 anspielte und versah seine Zeichnung mit einer eigenen Strophe im Stile des Falkschen Gedichtes.97 Wie Herder hatte Falk gegen die Romantiker Position bezogen und 1800 in seinem »Taschenbuch« die unscharf konturierten Romanfiguren und die Zweideutigkeit in der Sprache von Friedrich Schlegels »Lucinde« kritisiert.98 Falks Urteil über die Romantiker schätzte ebenfalls Johann Wolfgang von Goethe,99 der Falk andererseits nur eine schriftstellerische Mittelmäßigkeit attestierte.100 Als Falk 1798 sein Lustspiel »Othas« an den Dichterfürsten übersandte,101 sprach sich Goethe gegen die Aufführung des Stückes aus, weil es »dem Ganzen [...] an einer fortschreitenden Handlung«102 fehle. Ähnlich ernüchternd äußerte sich Goethe über Falks Versuche in anderen literarischen Gattungen, wenn er etwa über ein 1823 96

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Herder war am 18. Dezember 1803 gestorben. Falk veröffentlichte sein Gedicht »Der Wanderer von der Ostsee am Grabe Herders« bereits kurz danach, am 23. Dezember 1803 im Weimarischen Wochenblatt und ein zweites Mal in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 1 vom 3. Januar 1804, Sp. 4–6. Vgl. Schultz, Hartwig: Die Frankfurter Brentanos. Stuttgart und München 2001, S. 226. Eine Abbildung der Karikatur enthält der Ausstellungskatalog: Perels, Christoph (Hrsg.): »Ein Dichter hatte uns alle geweckt«. Goethe und die literarische Romantik. Ausstellung im Frankfurter Goethe-Museum 19. Juni – 31. Juli 1999. Frankfurt am Main 1999, S. 23; Zschiedrich, Bettina: »...und das Geschwätz hat eine Seele bekommen« Johannes Daniel Falk und die »Wunderhornmänner«, in: Falk-Jahrbuch 2 (2006/07/08), S. 61–71, hier S. 62f. Vgl. Brief Johann Gottfried Herders an Ludwig Gleim, Weimar 6. Oktober 1800, in: Herder, Johann Gottfried: Briefe. 8. Bd. Januar 1799 – November 1803. Bearb. von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Weimar 1984, Nr. 155.; Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe. Bd. 3. Schriften aus der Berliner Zeit. Hrsg. von Günter Meckenstock. Berlin 1988, S. LXV. Vgl. Brief Peter Andreas Heibergs an Knud Lyhne Rahbek, o. O. 2. Juli 1802, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998. S. 855f. Vgl. Heufert: Falk, S. 61f. Vgl. Brief Johannes Falks an Johann Wolfgang von Goethe, Weimar vor dem 16. März 1798, in: GSA 28/20 Bl. 99. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Johannes Falk, Weimar 16. März 1798, in: WA 4. Abt. Bd. 13, Nr. 3754, S. 95.

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entstandenes Gedicht anlässlich einer möglicherweise tödlich endenden Erkrankung der Großherzogin seine Geringschätzung zum Ausdruck brachte.103 Dabei hatte Falk noch 1795 Karl Morgenstern von der »Liebe und Freundschaft« berichtet, mit der er von Goethe im Sommer 1794 empfangen worden war,104 weshalb er hoffte, mit Goethe »vielleicht Hand in Hand unter den geheiligten Schatten des Helikons lustwandeln«105 zu dürfen. Der persönliche Kontakt zwischen Goethe und Falk, der Einladungen des Geheimrats gemeinsam mit seiner Frau Caroline annahm,106 intensivierte sich tatsächlich nach dem Umzug 1797; ab 1801 zeugen davon die regelmäßigen Einträge in Goethes Tagebuch.107 Goethes Skepsis Falks literarischen Arbeiten gegenüber blieb dennoch unverändert. Falks Satiren brachte Goethe ebenso wenig Verständnis entgegen wie dem 1804 in Weimar zunächst anonym aufgeführten Marionettenspiel »Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel«.108 Mit den darin enthaltenen parodistischen Anspielungen auf Goethes »Faust« sowie Schillers »Jungfrau von Orleans« und »Wilhelm Tell« zog Falk den Zorn der Hofschauspieler auf sich,109 sodass Goethe weitere Aufführungen untersagte 103

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Vgl. Reis: Falk, S. 80; Äußerungen Friedrich von Müllers, 22. Februar 1830, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 3. Zweiter Teil 1825–1832. München 1998, S. 571f., hier S. 572. Vgl. Schultze, Siegmar: Falk und Goethe. Ihre Beziehung zu einander nach neuen handschriftlichen Quellen. Halle 1900, S. 16–19. Vgl. Brief Johannes Falks an Karl Morgenstern, 27. September 1795, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998, S. 618. Vgl. Reisebericht Karl Morgensterns, 30. April 1798, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998. S. 694; Oehlenschläger, Adam Gottlob: Meine Lebens-Erinnerungen 1850, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 2 1805–1817. München 1998, S. 70f. Vgl. WA 3. Abt. Bd. 3 – Bd. 9. Vgl. auch Schultze: Falk und Goethe, S. 30f. Vgl. Falk, Johannes: Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Mit einer Einführung von Gerhard Heufert. Weimar 2010, S. 14f.

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Ein personaler Erklärungsversuch

und – allerdings ohne Erfolg – Falks Landesverweis bei der Regierung beantragte.110 Trotz dieser vielfältigen Differenzen zwischen Falk und Goethe brach die Verbindung beider Männer nicht ab, sondern intensivierte sich mit anhaltendem Interesse für die Arbeiten des jeweils anderen bis 1813. In jenen Jahren diskutierten beide nicht nur Falks Übersetzungsversuche der Shakespeare-Tragödie »Coriolanus«.111 Falk traf Goethe vermutlich auch bei Experimenten zur »Farbenlehre« an.112 Goethes Interesse an naturwissenschaftlichen Fragestellungen dürfte Falks Selbstwahrnehmung nachhaltig beeinflusst haben, der an sich selbst eine allmähliche Entwicklung vom »Dichter« zum »Naturforscher«113 bemerkte. Im Februar 1809 wandte sich Falk an Goethe, den er u. a. gemeinsam mit seiner Frau Caroline und dem Ehepaar Bertuch um »Vorlesungen über einige wichtige Capitel der Naturlehre«114 im Rahmen der Mittwochsvorträge bat, da Goethe regelmäßig mittwochvormittags interessierten Zuhörerinnen um die Herzogin Vorträge hielt.115 Nachdem am 16. Mai 1810 Goethes Werk zur Farbenlehre erschienen war,116 verfasste Falk im »Morgenblatt für 109

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Vgl. Falk, Johannes: Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel. Hrsg. von Paul Saupe. Berlin 1988, S. 652f. Vgl. Witte: Falk und Goethe, S. 35–40; Schering: Schaukraft, S. 43; Ludecus, Johann August: Aus Goethes Leben, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998, S. 956f. Falk bat vermutlich Goethe im Mai 1804 um dessen Zustimmung, damit die Polizeibehörde weitere Vorstellungen genehmige. Vgl. Brief Johannes Falks an [?] Johann Wolfgang von Goethe, Weimar 17. oder 18. Mai 1804, in: GSA 15/NZ 19/07, in Mappe 5; vgl. auch Schultze: Falk und Goethe, S. 39. Vgl. Goethes Tagebucheintragung 13. Januar 1810, in: WA 3. Abt. Bd. 4, S. 87; 1. März 1811, in: WA 3. Abt. Bd. 4, S. 188. Vgl. Witte: Falk und Goethe, S. 60–62. Vgl. Tagebucheintrag vom 9. Februar 1807, in: WA 3. Abt. Bd. 3, S. 192; 20. Februar 1810, in: WA 3. Abt. Bd. 3, S. 194. Autobiographische Notizen Johannes Falks, in: GSA 15/IV, 5, Bl. 19r.–22v., hier Bl. 22v. Ich danke Gerhard Heufert für die mir überlassene Transkription. Brief Johannes Falks u. a. an Johann Wolfgang von Goethe, Weimar 21. Februar 1809, in: GSA 26/LIX, 10, 2, Bl. 3. Vgl. die Antwort Goethes in, WA 4. Abt., Bd. 51, Nr. 5688a. Vgl. Goethe, Johann Wolfgang von: Die Schriften zur Naturwissenschaft. Hrsg. im Auftrage der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Zweite Abteilung. Ergänzungen und Erläuterungen Bd. 4. Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil und Tafeln. Weimar 1973, S. 253.

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gebildete Stände« ein »Erstes Sendschreiben über die Goethe’sche Farbenlehre«117. Falk, der Goethes naturwissenschaftliche Abhandlungen studierte und experimentell nachvollzog, »belehrte« – wie Charlotte von Schiller berichtete – »die Damen seines Kreises«118 darüber. Christiane von Goethe beobachtete, wie er seine Wohnung stets mit einem Prisma in der Hand verließ. Sie lieh ihm ebenfalls »die großen Schirme«119 Goethes aus, damit Falk die Versuchsanordnung selbst nachstellen konnte. Für die darauffolgenden Jahre von 1813 bis 1826 fehlt bislang eine tiefgreifende Analyse des Verhältnisses, sodass etwa Ernst Witte zu der Einschätzung kam, Goethe sei »bis zu Falks Tode« dessen »wohlgeneigter Freund«120 gewesen. Das ausführlicher von Trude Reis skizzierte »freundschaftlich[e]«121 Verhältnis beider Männer während Falks karitativen Engagements muss allerdings mit Blick auf die soziale Aktivität Falks konkretisiert werden. Goethe äußerte seine Bedenken gegenüber der Gesellschaft der Freunde in der Not, die er, wie die Frauenvereine, zu jenen »Staaten im Staate«122 zählte, die trotz ihrer positiven Absichten eigennützige und der ehemals ständischen Ordnung zuwiderlaufende Ziele verfolgten.123 Dennoch – und darin zeigt sich Goethes ambivalentes Verhältnis zum karitativen Wirken Falks – legte Goethe etwa Joseph Se116

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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Nebst einem Hefte mit sechzehn Kupfertafeln. Tübingen 1810. Vgl. Wenzel, Manfred: Natur – Kunst – Geschichte. Goethes Farbenlehre als universale Weltschau, in: Goethe-Jahrbuch 127 (2007), S. 115–125. Falk, Johannes: Erstes Sendschreiben über die Goethe’sche Farbenlehre, in: Morgenblatt für gebildete Stände (1810) 20. September 1810 Nr. 226, S. 901f.; 21. September 1810 Nr. 227, S. 905–907. Brief Charlotte von Schillers an Johann Wolfgang von Goethe, Weimar 18. Juni 1810, in: GSA 28/802, 2. Stück. Brief Christiane von Goethes an Johann Wolfgang von Goethe, Weimar 19.–20. Juni 1810, in: Goethes Briefwechsel mit seiner Frau. Hrsg. von Hans Gerhard Gräf. 2. Bd. 1807–1816, Frankfurt am Main 1916, S. 147–151, hier S. 150; Brief Johann Wolfgang von Goethes an Christiane von Goethe, Karlsbad 27. Juni 1810, in: WA 4. Abt. Bd. 21, S. 331–333, hier S. 332. Vgl. Witte: Falk und Goethe, S. 60. Goethe hatte beispielsweise auch Lichtenberg jene Schirme geliehen. Vgl. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Georg Christoph Lichtenberg, Weimar 11. Mai 1792, in: WA 4. Abt., Bd. 30, Nr. 2915a. Witte: Falk und Goethe, S. 66. Reis: Falk, S. 80. Brief [Konzept] Johann Wolfgang von Goethes an Fritz von Stein, [14. März 1819], in: WA 4. Abt. Bd. 31, Nr. 99. Vgl. Berger: Medienfürstin, hier S. 135.

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Ein personaler Erklärungsversuch

bastian Grüner den Besuch des Falkschen Instituts dringend ans Herz und lobte Falk ausdrücklich, »der sich dieser Anstalt mit ganzer Seele widmet und seine Schriftstellerei ganz aufgegeben hat«124. Den noch 1797 eingeschlagenen Lebensentwurf eines Schriftstellers sah Goethe bei Falk demzufolge vollständig in den Hintergrund getreten, ohne jedoch die karitative Arbeit Falks in irgendeiner Weise abzuwerten. Tatsächlich beteiligte sich Goethe aktiv an dem Hilfswerk, indem er nicht nur vom 30. März 1817 bis zum 1. April 1828 zu den monatlichen Spendern gehörte,125 sondern ganz gezielt 1816 für die Unterstützung der 11-jährigen Johanna Maria Schmidt pro Quartal einen Taler und zehn Groschen spendete.126 Das Engagement des Geheimrats beschränkte sich jedoch nicht allein auf die mildtätige Gabe einer Geldspende. So beobachtete Goethe »Falks erzieherische Tätigkeit«127 immer dann sehr genau, wenn sie über die rein subsidiäre Hilfe hinausging, indem sie beispielsweise die Ausbildung schauspielerisch talentierter junger Männer tangierte. Nicht immer war Goethe mit Falks Erziehungsmethoden einverstanden und äußerte deswegen gelegentlich sein Unverständnis.128 Goethe konstatierte bei Falk ab 1813 einen vollständigen Wesenswandel vom Schriftsteller zum karitativen Wohltäter, der alle literarische Tätigkeit aufgegeben habe.129 Achim von Arnim traf Falk im Weimarer Institut 1820 an, »wo er endlich wirklich zu einem schöne Berufe gelangt zu sein scheint«130. Einer von Arnim überlieferten Äußerung Falks zufolge habe Goethe Falk »durch seine stete Anmahnung an das Objektive von den kleinlichen Zeitforderungen, die ihn längere Zeit beherrscht, allmählich abgelöst, bis er sein Heil in etwas Ewigem gefunden«131. Ob sich Falk 124

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Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 3. Erster Teil 1817–1825. München 1998, S. 820. Vgl. Rechnungsbücher Goethes aus den Jahren 1817 bis 1828, in: GSA 34. Vgl. Heufert: Falk, S. 141–144. Reis: Falk, S. 80. Vgl. Kapitel III.4.1.5. Vgl. Goethes Gespräche. Gesamtausgabe. Hrsg. von Flodoard Freiherr von Biedermann. Bd. 3. Leipzig 1910, S. 223. Brief Achim von Arnims an Wilhelm Grimm, 26. Dezember 1820, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 3 Erster Teil 1817–1825. München 1998, S. 228f., hier S. 229. Ebd.

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jemals derart pathetisch über seine karitative Tätigkeit und Goethes Einfluss ausgesprochen hat, ist fraglich. Schließlich irrte Goethe mit seiner Behauptung, Falk habe nach 1813 die Schriftstellerei aufgegeben. In den Akten der Gesellschaft der Freunde in der Not befinden sich Aufzeichnungen, in denen Falk Anstaltsbegebenheiten literarisch verarbeitet hat.132 Falk nutzte sein schriftstellerisches Talent, um mit Publikationen Gelder für den Lutherhof des Falkschen Instituts einzuwerben. Schriftstellerisches Schaffen und karitative Hilfe bildeten für Falk demzufolge keinen Gegensatz, sondern ergänzten einander. Im Jahr 1819 erschien die von Adolf Wagner herausgegebene Werkausgabe Falks in drei Bänden.133 Falk war sich sehr wohl der beiden Lebensentwürfe bewusst, die er in Weimar ab 1813 gleichzeitig verwirklichte und die sich einander nicht gegenseitig ausschlossen. Diesen Gedanken aufgreifend, stilisierte sich Falk in Abgrenzung zu den Weimarer Vier – »[z]wey kamen aus Schwaben und Biberach / Die Dritte, wo Frankfurt am Mayne lag, / Die Vierte gar von der Ostsee Strand«134 – in dem 1816 verfassten balladenhaften Gedicht »Musenzeche« als fünfte und »jüngste Muse« Weimars. Zwar »ergötzt[en]« Schiller, Wieland, Goethe und Herder mit ihren Werken das Volk, ohne jedoch zu bemerken, dass ihre Zuhörer unter den alltäglichen Nöten der Lebensmittelknappheit und des Hungers litten, »schieden« sie »im Abendstrahl«135. Nur die fünfte Muse nahm sich der Sorgen der leidenden Bevölkerung an. Dennoch führte dieses unterschiedliche Verhalten nicht zu einem Bruch im Beziehungsgeflecht zwischen Falk, den anderen vier Schriftstellern und der Bevölkerung: »Johannes ist es, der dieses schrieb, / Er stand dem Volk in Nöthen bey, / Er bleibt dem Volk und den Musen treu; / Ja segne Gott das Thüringer Land, / Zu welchem so fromm sich die Musen gewandt.«136

Falks Hilfe blieb nicht diffus in der literarischen Sphäre, sondern äußerte sich ganz konkret im Entstehungsjahr des Gedichts. Als er am 30. Januar 1816 den von Ernst August von Sachsen-Weimar 1732 gestifteten und von Carl August nach dem Wiener Kongress erneuerten Orden der Wachsamkeit oder vom weißen Falken verliehen bekam,137 nutzte er die 132

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Vgl. etwa die Akten zum »Vagabundenkind Catharina Kaiser«, in: GSA 15/N 55, Bd. 27, Bl. 312r.–326r. Falk, Johannes: Auserlesene Werke. In drei Teilen. Herausgegeben von Adolf Wagner. Leipzig 1819. Musenzeche, in: GSA 15/N 55, Bd. 3, Bl. 82v. Ebd. Ebd. Vgl. Kästner: Elitenintegration, S. 54f.

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Ein personaler Erklärungsversuch

Gelegenheit, um die anderen Ordensträger – unter ihnen auch Goethe – zur tätigen Hilfe der Not leidenden Bevölkerung aufzurufen.138 Falk bat einerseits um Unterstützung verarmter und von den Kriegsfolgen gezeichneter Handwerker- und Bauernwitwen. Andererseits schlug er vor, gemeinsam mit dem Hofprediger Wilhelm Christoph Günther die Verantwortung für sechs zu erziehende Soldatenjungen zu übernehmen.139 Abgesehen von dem Jahre zuvor publizierten Aufruf stilisierte sich Falk in diesem Appell zum fürsorgenden Wohltäter Heranwachsender, indem er sich gleichwertig auf einer Stufe stehend mit Günther verglich, der 1801 das Amt des Direktors des Weimarer Waiseninstituts übernommen hatte. Falks Inszenierung als ›Vater der Waisen‹ spiegelte sich bereits zu dessen Lebzeiten in zeitgenössischen Abhandlungen über das Falksche Institut wider. So ist 1825 im »Führer durch Weimar und dessen Umgebung« über das Falksche Institut zu lesen: »Kann es auch wohl etwas Rührenderes geben als ein, durch herbe Leiden gepreßtes und schwergeprüftes Vaterherz, in der Mitte von mehr als hundert aus dem Lasterpfuhl herausgezogenen und so vom unmittelbaren Verderben geretteten Kindern!«140 In einem Brief an seinen Zögling Johannes Denner beschrieb Falk seine beruflichen Aufgaben im Institut als »Gutes mit Einfalt zu reden, und noch viel lieber Gutes mit Einfalt des Herzens zu thun.«141 Im Gegensatz zu seinem schriftstellerischen Wirken wollte sich Falk fortan als Mann der Tat verstanden wissen,142 der »in einem Monat vier blühende Kinder verlohren«143 hatte, weshalb seine Motivation scheinbar allein aus einem persönlich erlittenen Schicksal herrührte. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Falk seinen Lebensentwurf eines erfolgreichen Schriftstellers in Weimar nicht wie erhofft verwirklichte, weshalb er womöglich mit dem neuen Betätigungsfeld seine gekränkte schriftstellerische Eitelkeit befriedigte. Für sein karitatives Engagement erhielt er von seinen Zeitgenossen, allen voran von Goethe, jene Anerkennung, die ihm bis dahin verwehrt geblieben war. 138

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Vgl. Vorschläge an die Mitglieder des Falkenordens zur Linderung der Kriegsnot, Weimar 17. Oktober 1816, in: GSA 15/N23. Vgl. ebd. Goullon, Johanna le: Der Führer durch Weimar und dessen Umgebung. Zum Nutzen der anwesenden Fremden und zur angenehmen Rückerinnerung für alle die, welche einst hier waren. Weimar 1825, S. 44. Brief Johannes Falks an Johannes Denner, [Weimar] 12. Februar 1825, in: Denner: Leben, S. 59–62, S. 61. Vgl. Demandt: Glauben, S. 154. Goullon: Führer, S. 44.

Zwischen Schriftsteller und ›Vater der Waisen‹

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Mit Blick auf Falks Kindheit und Jugend drängt sich die berechtigte Frage auf, inwieweit die Wurzeln seines späteren karitativen Engagements nicht bereits in dieser Phase zu suchen sind. Schließlich engagierte sich Falks Vater ehrenamtlich als Armenvorsteher der reformierten Gemeinde und versorgte beispielsweise notleidende Kinder mit Kleidungsstücken. »Man darf davon ausgehen, daß das väterliche und gemeindliche Vorbild praktischer Nächstenliebe Johannes Daniel Falk sein Leben lang in Erinnerung blieb.«144 Gewiss wird sich Falk nach 1800 während seines karitativen Wirkens des Vaters als Armenvorsteher erinnert haben. Fraglich ist jedoch, inwieweit Vater und Sohn tatsächlich aus einer ähnlichen Motivation heraus wohltätig agierten. Während Johannes Falks praktische Nächstenliebe aus persönlichen, religiösen und politischen Beweggründen resultierte,145 ist nicht auszuschließen – obwohl die Quellen darüber keine Auskunft geben –, dass Falks Vater aus dem Ehrenamt persönliche finanzielle Vorteile für seine berufliche Tätigkeit zog. Die Perückenindustrie versuchte dem ›Beschaffungsnotstand‹ großer Mengen von Haaren nicht nur in Gefängnissen, Irrenanstalten, auf Friedhöfen, Schlachtfeldern oder Exekutionsplätzen abzuhelfen.146 In den ärmeren Bevölkerungsschichten sahen Perückenhersteller eine einfache Möglichkeit, kostengünstig an den wichtigen Werkstoff zu gelangen.147 Insofern ist durchaus ein gewisser Zweifel berechtigt, ob das väterliche Vorbild so wirkmächtig wurde, dass es im Erwachsenenalter Falks wohltätiges Werk beeinflusste. In Falks Lebensentwurf, der nicht in die von Goethe vorgeschlagenen Trias vom Schriftsteller, Diplomaten und Pädagogen zerfiel, spiegelten sich nach 1813 diese unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen wider. ›Schriftsteller‹ und ›Vater der Waisen‹ bildeten für ihn keine unüberwindbaren Gegensätze, die ihn vor eine ›Entweder-Oder-Entscheidung‹ gestellt hätten. Stattdessen vereinte er beide Lebenskonzepte gewinnbringend, wenngleich seine Zeitgenossen nach der Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Not Falk nur noch als karitativen Helfer und Haus144 145 146

147

Demandt: Falk, S. 20. Vgl. insbesondere Kapitel II.1.1. Vgl. Antoni-Komar, Irene: »Die Ohren ganz nackt und frey.« Zur Rezeption der Frisur a` la Titus am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Janecke, Christian (Hrsg.): Haar tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Köln, Weimar und Wien 2004, S. 209–231, hier S. 219–221; Tiedemann, Nicole: Haar-Kunst. Zur Geschichte und Bedeutung eines menschlichen Schmuckstücks. Köln 2007, S. 172. Vgl. Tiedemann: Haar-Kunst, S. 172.

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Ein personaler Erklärungsversuch

vater notleidender Kinder und Jugendlicher wahrnahmen. Falks doppelt ausgerichtetes Lebenskonzept sollte sich auch in der pädagogischen Arbeit widerspiegeln. Künstlerisch, schauspielerisch oder schriftstellerisch interessierte junge Menschen wurden von Falk ebenso gefördert wie Handwerkerlehrlinge oder verarmte Waisen. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen religiösen und geistigen Strömungen seiner Zeit, in der er eine ganz eigene, oftmals kritische Position bezog, bestärkte ihn in seinem Weimarer Lebensentwurf. In diesem Sinne trifft es zu, ihn zwar nicht als einen »genialen, aber doch originalen Denker zu begreifen«148.

4. Zusammenfassung Die Art und Weise der durch das Institut gewährten Unterstützung wurde maßgeblich von Johannes Falk bestimmt. Mit dem Wissen um seine persönliche Entwicklung lassen sich einzelne Aspekte der Fürsorge genauer charakterisieren. So ist die berufliche Vielfalt, die den jungen Männern geboten wurde, nicht zuletzt auf Falks eigene Erfahrung zurückzuführen – das heißt, auf das Spannungsverhältnis zwischen väterlichem Beruf, elterlichen Erwartungen und eigenen Neigungen. Falks Vater verdiente den Lebensunterhalt für die Familie als Perückenmacher und die Eltern erwarteten, dass der Sohn denselben Beruf ergriff. Johannes Falk löste sich von den Erwartungen der Eltern und folgte seinen persönlichen Interessen, indem er zunächst Theologie studierte, sich dann aber als freier Schriftsteller in Weimar niederließ. Im Institut versuchte Falk, die Wünsche und Fähigkeiten der jungen Männer bei der Vergabe der Ausbildungsplätze zu berücksichtigen, wenn auch dieser Vorsatz mitunter am Fehlen geeigneter Lehrstellen scheiterte. Besonders begabten Schülern verhalf er zu einer Ausbildung zum Lehrer oder Kantor, wobei für Falk handwerkliche Berufe und geistige Tätigkeiten in ihrer Bedeutung gleichberechtigt nebeneinander standen. Obwohl Falk seinen literarischen Interessen nachgegangen ist, blieb ihm der Erfolg als Schriftsteller in Weimar letztlich versagt. Erst mit seinem diplomatischen149 und später karitativen Engagement als Wohltäter erntete Falk jene Anerkennung, die ihm bis dahin immer verwehrt geblieben war. Die Erfahrung, dass die eigenen künstlerischen Interessen 148 149

Schering: Schaukraft, S. 57. Vgl. etwa Falks Ernennung zum Legationsrat oder die Verleihung des Bürgerrechts ehrenhalber im Kapitel II.1.1.

Zusammenfassung

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und das (vermeintliche) kreative Talent nicht zwangsläufig eine unabhängige Existenz garantierten, schlug sich ebenfalls in der Fürsorgekonzeption des Falkschen Instituts nieder. Einerseits förderte Falk junge begabte Männer, indem er deren literarische, musische oder schauspielerische Talente weiter ausbildete. Andererseits kannte er die Schwierigkeiten, als Schriftsteller oder Schauspieler für sich oder eine Familie zu sorgen. In vielen Fällen folgte Falk deshalb auch den Wünschen der Eltern und versuchte, die Heranwachsenden für einen ›bodenständigeren‹ Beruf zu begeistern. Dennoch wäre es ein Fehlschluss, Falks schriftstellerisches und karitatives Wirken (weiterhin) voneinander losgelöst zu betrachten, so wie es Goethe dem Biographen Heinrich Döring vorschlug.150 Falks literarisches Schaffen beschränkte sich weder auf die Zeit vor 1813, noch setzte sein Interesse an pädagogischen und karitativen Fragen erst mit dieser Zäsur ein. Dass sich Falk dazu entschloss, wohltätige Hilfe zu leisten, wurde kaum durch die ehrenamtliche Tätigkeit seines Vaters als Armenvorsteher in der Gemeinde beeinflusst. Den um 1800 geführten Erziehungsdiskurs aufgreifend und pädagogische Ratgeberliteratur rezipierend, betonte Falk in seinen eigenen Texten die große Verantwortung der Erzieher für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Umgekehrt nutzte Falk nach der Entstehung des Falkschen Instituts seine schriftstellerischen Fähigkeiten, um beispielsweise einzelne Zöglingsschicksale literarisch zu verarbeiten. Mit diesen Texten führte Falk den Zöglingen Beispiele positiven bzw. unerwünschten Verhaltens vor Augen oder warb bei Spendern um Unterstützung.

150

Vgl. auch die Ausführungen zu Heinrich Dörings schriftstellerischem Engagement im Kapitel V.2.

V. Die Wirkmächtigkeit und Durchlässigkeit von Geschlechtergrenzen: Zwei Lebenswege aus dem Falkschen Institut

In den vorangegangenen Kapiteln wurde untersucht, wie Geschlechtervorstellungen innerhalb des Falkschen Instituts wirkten, wie sich die Fürsorge der Gesellschaft der Freunde in der Not an Geschlechtervorstellungen ausrichtete und welche Handlungsspielräume jungen Frauen und Männern durch Hilfsangebote gegeben waren. Neben den Förderern und den Perzipienten standen bisher die Hilfs- und Unterstützungsangebote im Mittelpunkt der Untersuchung, die sich auf den Zeitraum zwischen 1813 bis 1829 erstreckte. Konsequenterweise bedarf die Analyse einer erweiternden, längerfristigen Perspektive,1 indem anhand von Biographien nach der Wirkmächtigkeit einzelner Hilfs- und Erziehungsmechanismen gefragt wird, die Leben und Bewusstsein der Heranwachsenden dauerhaft prägten. Nur von wenigen Heranwachsenden sind ausreichend Selbstzeugnisse aus späteren Lebensphasen überliefert, in denen solche Reflexionen über die Zeit im Falkschen Institut implizit oder explizit zum Ausdruck gebracht werden. Einige wenige männliche Zöglinge verschriftlichten nach ihrem Austritt aus dem Institut ihre Erinnerungen an die Weimarer Jugendzeit bzw. hinterließen darüber Aufschluss gebende Selbstzeugnisse.2 Zu diesen gehört Johannes Denner, später Pfarrer im württembergischen Kirchheim unter Teck. Er notierte seine Erfahrungen in einer autobiographischen Schrift, die schon im Untertitel auf sein Leben als ehemaliger Schüler »des Falk’schen Instituts zu Weimar« verweist. Für weibliche Zöglinge blieb die Suche nach den entsprechenden Quellen bisher erfolglos. Wegen fehlender Selbstzeugnisse von jungen Frauen aus dem Falkschen Institut werden im Folgenden alternativ die Erinnerungen Rosalie Falks an ihre Kindheit und Jugend im Falkschen Institut herangezogen. Gleichwohl muss berücksichtigt werden, dass Rosalie Falk als Tochter des Vorstehers des Falkschen Instituts eine Sonderstellung innehatte und demzufolge eine Erziehung erhielt, die sich von den auf die 1 2

Vgl. Gestrich: Vergesellschaftungen, S. 52–65 und 117f. Vgl. etwa die entsprechenden Quellen zu Johann Georg Rettner oder den Kunstgärtner Johann Friedrich Kirchner.

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Zwei Lebenswege

›echten‹ weiblichen Zöglinge angewandten Praktiken unterschied. Dennoch hat sie als Mitglied des Falkschen Instituts, in dem Familien- und Institutsleben auf das Engste miteinander verknüpft waren, aus erster Hand erlebt, welche Handlungsspielräume gleichaltrigen Mädchen und jungen Frauen offenstanden und wie sich Geschlechtervorstellungen ihrer Elterngeneration in der karitativen Hilfe niedergeschlagen haben. Aufgrund der retrospektiven Überlegungen beider Heranwachsender lässt sich die Frage beantworten, inwieweit mit Fürsorgepraktiken die späteren Überzeugungen von Geschlechtervorstellungen und der Umgang der Geschlechter miteinander in dieser frühen Lebensphase geprägt wurden. Es ist allein der Quellenlage geschuldet, dass mit Johannes Denner und Rosalie Falk Lebenswege herangezogen werden, die im bürgerlichen Umfeld angesiedelt sind, sodass der (langfristige) Blick auf untere soziale Schichten versperrt bleibt. Allerdings kam zumindest Denner als Sohn eines Leinewebers und zeitweiligen Tagelöhners aus einfacheren Verhältnissen.

1. »...als Kind hat er sie verlassen, und als ein so wohlgerathener Mann kehrt er zurück und predigt ihnen Gottes Wort von der Kanzel.« Der Pfarrer Johannes Denner Johannes Denner hinterließ eine autobiographische Skizze, in der er rückblickend seine Erinnerungen an das Falksche Institut reflektierte. Die Zeit im Institut und in Falks Nähe prägten Denners Entwicklung und seine Vorstellungen von polaren Geschlechterbeziehungen nachhaltig. Die 1860, ein Jahr nach Denners Tod, erschienene Biographie wurde von Heinrich Merz herausgegeben, der im Vorwort betonte, dass er die Lebenserinnerungen in authentischer Form publiziert habe, weil er das »Manuscript mit vorsichtig sichtender Hand« durchgegangen sei, sodass die »getroffenen Aenderungen [...] nirgends etwas Wesentliches, weder am Inhalt noch an der Form«3 beträfen. In der Tat haben Merz’ Eingriffe vermutlich nur erklärenden, nicht aber sinnentstellenden Einfluss auf die Darstellung. In Denners teleologischer Beschreibung bekommen Falk und das Weimarer Institut eine zentrale Bedeutung für den weiteren Lebensweg, in dessen Verlauf der Sohn eines armen Leinewebers zum gottesfürchtigen württembergischen Pfarrer wurde. »Der Briefwechsel, den 3

Denner: Leben, S. VII.

Johannes Denner

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er unterwegs mit Falk unterhielt, bildet eine der interessantesten Partien des Buchs«4, so das Urteil in den »Blättern für literarische Unterhaltung«. Einzelne Originalbriefe oder deren Entwürfe lassen sich heute im Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs nachweisen.5 Denner schildert in seinen Beschreibungen Johannes Falk nicht nur, »wie er in seinen letzten Jahren war«6, sondern veranschaulicht das enge Verhältnis zwischen ihm und seinem Mentor. »Nichts Liebenswürdigeres, als die vertrauliche, durch und durch herzliche Weise, mit welcher der gereifte Mann, der Freund Göthes, der Kenner der Welt und allerlei Wissenschaft, mit dem Jüngling verkehrt«7, spreche aus Denners biographischen Notizen. Trotz dieser von Wilhelm Baur konstatierten verklärenden Sicht Denners auf seine Jugendzeit im Falkschen Institut wird sich einerseits zeigen, welche von den in Weimar kennen gelernten Geschlechternormen und -praktiken Denner in seinem späteren Leben langfristig prägten. So stand es für Denner außer Frage, sein Leben arbeitsam zu gestalten. Ebenso hatte er als erwachsener Mann Falks ablehnende Haltung gegenüber Festen und Tänzen verinnerlicht, obwohl er sich seinerzeit in Weimar bei solchen Gelegenheiten durch das Musizieren etwas hinzuverdient hatte. Andererseits lassen sich die in den vorangegangenen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse über spezifische Geschlechterbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten junger Männer anhand von Denners Aufzeichnungen bestätigen oder korrigieren. Denner richtete in seiner Dienstzeit Gottesdienste und Bibelstunden an jenen geschlechtersegregatorischen Strukturen aus, die ihm bereits aus der Zeit im Falkschen Institut bekannt gewesen waren. Dagegen lernte er auf seinen Reisen auch andere, ihm unbekannte Formen der Geschlechterbeziehungen kennen. Der am 29. November 1806 in Brunnhartshausen als Sohn eines Leinewebers und Tagelöhners geborene Johannes Denner8 zählte zu jenen jungen Männern, die keinen handwerklichen Beruf einschlugen, sondern trotz ihrer Herkunft, die sie allenfalls für ein Handwerk prädestinierte, die eigenen intellektuellen und künstlerischen Anlagen verwirklichen wollten. Am Beispiel Johannes Denners zeigt sich deutlich, wie Falk auf 4 5 6

7 8

Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 2 vom 09.01.1862, S. 39. Vgl. die von Falk gesammelten Unterlagen in, GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 643–657. Baur, Wilhelm: Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den deutschen Befreiungskriegen. Bd. 2. Hamburg 1866, S. 480. Ebd. Vgl. Zeugnis für Johannes Denner, ausgestellt von Christian Theuer, Neidhartshausen 29. April 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 654r.–654v. Vgl. auch Denner: Leben, S. 1.

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Zwei Lebenswege

individuelle Fähigkeiten und Neigungen eines Heranwachsenden einging, gleichzeitig aber auch Bedenken von Familienangehörigen bezüglich eines künstlerischen Lebensentwurfes berücksichtigte. Als Zeitzeuge erinnerte sich Denner daran, welche vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten jungen Männern im Weimarer Hilfswerk offenstanden: »So kam es, daß mancher Arme studirte, Schullehrer wurde, ein Handwerk oder eine Kunst erlernte.«9 Im Gegensatz zur Wahrnehmung des Instituts durch andere Zeitgenossen, aber auch in der späteren wissenschaftlichen Betrachtung als Ausbildungsstätte, in der verwahrloste oder arme Kinder ausnahmslos zu Handwerkern ausgebildet wurden, erinnerte sich Johannes Denner daran, dass das Institut auch die Grundlage für ein Universitätsstudium oder eine künstlerische Laufbahn eines Heranwachsenden schaffen konnte. Im Weimarer Institut hatte Denner noch eine berufliche Wahlfreiheit, die im Laufe des 19. Jahrhunderts durch zunehmende Industrialisierung im ursprünglichen Umfang nicht mehr existierte. 1862 nahmen die Rezensenten von Denners autobiographischer Beschreibung nicht mehr die dort geschilderte Ausbildungsvielfalt zur Kenntnis, sondern lasen diesen Text nur noch als Lebensentwurf eines protestantischen Pfarrers und als Zeugnis der tiefen Frömmigkeit des Heranwachsenden, ohne auf Denners selbst wiederholt zum Ausdruck gebrachte künstlerische Neigung einzugehen.10 Denners Biographie verdeutlicht, welche Konflikte sich aufgrund der Wahlmöglichkeiten für einen jungen Mann ergaben. Die Verantwortlichen des Falkschen Instituts wogen in der Fürsorgepraxis für junge Männer das individuelle Interesse der Heranwachsenden und die ökonomischen Gegebenheiten gegeneinander ab, um eine Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, die eine (selbsttätige) Existenz jenseits des Tagelöhnertums und des Gesindedienstes ermöglichte. Als Johannes Denner während einer Schulvisitation durch den Superintendent Christian Schreiber und den Pfarrer Christian Theuer durch sein ausgezeichnetes Orgelspiel auffiel,11 riet der Superintendent, den Schüler nach Weimar zu Johannes Falk zu vermitteln, damit dieser ihn weiter fördere. Es war Johannes’ Vater, der Tagelöhner Johann Georg Denner,12 der in dem Sohn das Interesse für 9 10 11

12

Denner: Leben, S. 14. Vgl. Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 2 vom 09.01.1862, S. 39. Vgl. auch Brief Christian Theurers an Christian Schreiber, Neidhartshausen am 26. September 1821, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 644r.; Brief Christian Schreibers an Johannes Falk, Stadtlengsfeld 6. März 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 648r.–649r. Vgl. Aufzeichnungen über Johannes Denner, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, 647r.

Johannes Denner

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Musik geweckt und schließlich dem Vorschlag des Schullehrers zugestimmt hatte, dem Jungen eine Violine zu kaufen. Im Musikunterricht sollte der Grundstein für den späteren beruflichen Werdegang als Schullehrer und Kantor gelegt werden. Falks an Superintendent Schreiber gerichteter Brief, der das Aufnahmegesuch beantwortet, entsprach jedoch nicht den Erwartungen Denners und seiner Förderer und verdeutlicht, dass Falk jungen Männern nicht bedingungslos die Wahl ließ, ihre eigenen Interessen zu verwirklichen: »Wollte Denner sich entschließen ein Handwerk zu lernen, oder in eine solide Handlung zu treten, so könnte ich eher die Hand dazu bieten, ja ich biete sie schon, indem ich hierdurch sage: er komme sogleich. Anders ist es aber mit dem Vorsatze, ein Cantor zu werden, oder der Schule zu folgen. Hierzu ist eine Reihe von Jahren nötig und die Kosten sind so bedeutend, daß ein einziger solcher Bursche zwölf andern, die Handwerke lernen wollen, den Weg versperrt. Viele kamen zu uns in derselben Absicht, und da wir jahrelang Mühe und Geld an ihnen verschwendet hatten, wurden sie uns untreu. Anstatt ihre Schuld einigermaßen durch Unterricht an der Anstalt abzutragen [...], traten sie aus der Anstalt [...] wurden Pfeifer, Geiger und Comödianten und wir erlebten wenig Freude an ihnen. [...] Deshalb muß ein Jeder, [...] ein Probejahr bestehen, von dem abhängt, ob wir ihn abweisen, oder uns seiner annehmen. Bleibt nun Denner bei seinem Vorsatz, so kann er zwar kommen; doch muß er ein Bett mitbringen und zusehen, ob Freunde oder Verwandte das Kostgeld ein Jahr lang für ihn decken.«13

Überlegungen, die Falk unter Einbeziehung wirtschaftlicher Gesichtspunkte anstellte, begrenzten die von Denner so hervorgehobene berufliche Wahlfreiheit, die jungen Männern im Falkschen Institut angeblich gewährt wurde. Falk wog die Kosten und die Dauer handwerklicher, universitärer oder künstlerischer Ausbildungen gegeneinander ab. Die Ausgaben für einen jungen Lehrling hielten sich mit dem Aufdingen, Lossprechen und dem täglichen Unterhalt für Falk in überschaubaren Grenzen, und mit den von ihnen hergestellten Produkten zahlten die Heranwachsenden einen Teil der Kosten zurück. Mit Zöglingen in geistigen und künstlerischen Ausbildungswegen hatte Falk durchaus andere Erfahrungen gesammelt. Weil einzelne Seminaristen im Gegenzug nicht andere Zöglinge unterrichteten, sondern stattdessen eigennützig gegen ein Entgelt Weimarer Bürgerkindern Stunden erteilten, wollte Falk Denner nur dann unterstützen, wenn dieser als Pensionär zunächst selbst für seinen Unterhalt sorgte. »Wir können einen solchen Burschen nicht unter 50rl. in Golde hier in Weimar erhalten«14, begründete Falk seine 13

Brief Johannes Falks an Christian Schreiber, o. O. u. o. D., in: Denner: Leben, S. 16f.

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Entscheidung, dass Denner eine wesentlich preiswertere Lehre in einem Handwerk beginnen sollte. »Es frißt also ein einziger solcher Kantor jährl. 2 Handwerkerlehr[linge] in 25rl gerechnet und dauert dieses 6 Jahre, so hat er 12 Lehrburschen verspeißt«15, entwirft Falk ein düsteres Bild vom Verhältnis zwischen Handwerkern und Zöglingen, die einen geistigen Beruf ergriffen. Anhand dieser ehrlichen Einschätzung Falks offenbart sich, dass nicht jeder junge Mann den Beruf selbst wählen konnte, sondern die Möglichkeit einer eigenständigen Entscheidung von der eigenen wirtschaftlichen Situation abhing, ob Eltern, Verwandte oder Freunde die entsprechenden finanziellen Mittel aufbringen oder andere Wohltäter gewonnen werden konnten. Falk führte in seinem Antwortschreiben an den Superintendenten neben wirtschaftlichen Überlegungen aber noch einen zweiten Grund an, weshalb junge Männer nicht bedingungslos einen ihren Neigungen entsprechenden Weg einschlagen sollten. Obwohl im Falkschen Institut auch Schriftsteller, Musiker und Schauspieler unterstützt wurden, sorgte sich Falk um den moralischen Lebenswandel der »Pfeifer, Geiger und Comödianten«. Damit stimmte Falk den Befürchtungen zu, die Anna Barbara Denner,16 die Mutter Denners, hinsichtlich der musikalischen Ausbildung ihres Sohnes geäußert hatte. Denner »möchte zuletzt gar ein Musikant werden, was ihr in der Seele zuwider gewesen wäre«17. Falks Bedenken gegen das Künstlerleben prägten auch die Überzeugung des erwachsenen Johannes Denner. Mit seinem Orgel- oder Violinenspiel gestaltete er in der Jugend nicht nur den sonntäglichen Gottesdienst, sondern musizierte auch auf Hochzeiten und Tänzen. Rückblickend resümierend hielt Denner über diese Veranstaltungen fest: »Das waren gefährliche Versuchungen für einen noch unerfahrenen Knaben von zwölf oder dreizehn Jahren, der weder rechts noch links wußte.«18 Denner übernahm Falks Haltung bezüglich öffentlicher und privater Feste, die er als Orte sexueller Ausschweifungen und hemmungsloser Exzesse für heranwachsende junge Männer ablehnte.19 Falk stellte Denner vor das Problem, entweder als Pensionär den Schullehrerberuf einzuschlagen oder aber als ein von der Gesellschaft der 14

15 16 17 18 19

Brief [Entwurf] Falks an Christian Schreiber, Weimar 26. März 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 650r.–651r., hier Bl. 650r. Ebd. Vgl. Aufzeichnungen über Johannes Denner, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, 647r. Vgl. Denner: Leben, S. 5. Ebd., S. 12. Vgl. Kapitel III.5.2.

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Freunde in der Not unterstützter Zögling ein Handwerk zu erlernen. Der junge Mann erkannte, wie sehr sein weiterer Lebensweg von den ökonomischen Verhältnissen abhing, in die er hineingeboren worden war. Die moralischen Bedenken der Mutter schwächte Falk ab, indem er ihr versicherte, der Sohn stünde in Weimar unter der Aufsicht eines erfahrenen Mannes. Das finanzielle Problem ließ sich nicht so leicht lösen, da im Thüringer Wald »wohl viele Steine, aber wenig Geld«20 zu finden seien. Infolgedessen passte Denner seinen Berufswunsch an und entschied, persönlich bei Falk vorzusprechen und diesem seinen Wunsch, Kantor oder Organist zu werden, zu eröffnen.21 Gemeinsam mit seinem Vater trat Denner die erste Reise nach Weimar an und erreichte die Residenzstadt des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach am 1. Mai 1822.22 Johannes Denner musste sich – wie die meisten neuen Zöglinge, die bei Falk persönlich vorsprachen – einer genauen Prüfung durch Johannes Falk unterziehen. Dem potentiellen Zögling waren in erster Linie Schreibübungen und die Fragen nach konkreten Lerninhalten in Erinnerung geblieben. Falk wollte mit diesem ›Examen‹ jedoch nicht nur einfach erlerntes Wissen abfragen. Vielmehr versuchte Falk bereits bei der ersten Begegnung, den neuen Zögling und dessen Charakter kennenzulernen. Indem Falk den jungen Denner Psalm 139 aufsagen ließ, thematisierte er auf subtile Weise, dass der weitere Entwicklungsweg Denners göttlich begründet sei. Damit gab Falk seiner Verantwortung für den Heranwachsenden eine religiöse Dimension, indem nicht die irdischen Zwänge, denen Falk unterworfen war – wie zum Beispiel die permanente finanziell angespannte Kassenlage –, Denners zukünftigen Beruf und Lebensweg determinieren, sondern Gott den Heranwachsenden immerwährend »erforsche« und »prüfe«23. Dass Falk mehr Interesse an den persönlichen Eigenschaften des Einzelnen als an den angeeigneten Wissensinhalten hatte, war Denner rückblickend klar geworden. Vermutlich zog Falk nicht nur aus der religiösen Überzeugung der Zöglinge Rückschlüsse über deren moralische Eigenschaften, sondern nutzte auch die seit der Antike verbreiteten Erkenntnisse der Physiognomik. Während Vertreter der Aufklärung, wie etwa Gotthold Ephraim Lessing, es ablehnten, aus der »Beschaffenheit des Physischen auf seelische oder charakterliche Eigenschaften zu schlie20 21 22 23

Denner: Leben, S. 16. Ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 18. Psalm 139.

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ßen«24, erlebte die Physiognomik am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert allgemein eine neue Hochphase. Es ist anzunehmen, dass Falk von den Ideen beeinflusst wurde, die Johann Caspar Lavater in seinen ab 1775 erschienenen »Physiognomischen Fragmenten«25 äußerte und wonach Haar und Körpererscheinung auf die seelische und körperliche Verfassung eines Menschen hindeuten. Ob Falk, wie im Fall Denners, beim ersten Kennenlernen immer auffallend oft das Haar der Zöglinge berührte, ist nicht überliefert. Ein Freund erklärte Denner später, »daß der Herr Legationsrath Falk nach den Haaren den Charakter eines Jeden beurtheile«26. Nachdem Falk sich im obligatorischen Aufnahmegespräch vom schulischen Wissen, dem musikalischen Talent, den vorhandenen Religionskenntnissen und der Persönlichkeit Johannes Denners überzeugt hatte, nahm er den 16-Jährigen im Mai 1822 als Zögling in das Institut auf, ohne jedoch über den weiteren beruflichen Weg Denners abschließend entschieden zu haben.27 In Weimar war Johannes Denner eine »neue Welt« aufgegangen, in welcher ihm alles »so spanisch vorkam, als einst den Spaniern die neu entdeckte Welt«28. Denner wunderte sich über die zwischenmenschlichen Umgangsformen innerhalb des Instituts, »die Begrüßungen, die ›schönen guten Morgen‹, und ›schönen guten Abend‹, die Höflichkeitsbezeugungen, die Bücklinge, die Knicklinge«29. Dieses residenzstädtische Benehmen konnte Denner nicht kennen, weder aus seinem Elternhaus noch vom persönlichen Umgang mit anderen Bekannten aus seinem Heimatort. Es ist davon auszugehen, dass Denner im Institut kaum Kontakt zu den Zöglingen hatte, die lediglich ein Handwerk ergriffen oder aufgrund ihrer geringeren intellektuellen Fähigkeiten erst das Schreiben und Lesen erlernten. Offensichtlich hatte Falk den jungen Mann »zu etwas Höherem bestimmt«, sodass Denner von einem anderen begabten und in den bürgerlichen Verhaltensformen geübten jungen Zögling in die »städtische [...] Lebensart«30 eingeführt wurde. 24

25

26 27 28 29 30

Junkerjürgen, Ralf: Haarfarben. Eine Kulturgeschichte in Europa seit der Antike. Köln, Weimar und Wien 2009, S. 51. Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Leipzig und Winterthur 1775–1778. Vgl. Junkerjürgen: Haarfarben, S. 51–70. Denner: Leben, S. 19. Vgl. ebd., S. 20. Ebd., S. 21. Ebd. Ebd.

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Während sich Denner im Selbststudium Fachwissen – etwa in »Bröders kleiner Grammatik«31 – aneignete, legte Falk im Alltag großen Wert auf die Erlernung kultivierter Umgangsformen, die Teil eines Denner bislang unbekannten, d. h. nicht explizit vorgelebten Männlichkeitsentwurfes waren. Um dieses Ziel zu erreichen, wohnte Denner mit dem gleichaltrigen »Instructeur«32 unmittelbar neben dem Zimmer Falks im Lutherhof. Falk suchte immer wieder das direkte Gespräch mit dem jungen Mann, interessierte sich für dessen Lernfortschritte, thematisierte aber auch das möglicherweise einsetzende Heimweh Denners. Aus Falks Verhalten resultierte Denners uneingeschränktes Vertrauen zu dem Leiter des Falkschen Instituts: »Das that mir wohl und ich faßte allmählig ein Herz zu ihm, merkte bald, daß er mir wohl erlaube, ihn zu lieben, zu fragen, zu bitten.«33 Der intensive Kontakt zu Falk bildete durchaus eine Ausnahme im Vergleich zu Falks Umgang mit den vielen Zöglingen, die zwar als angehende Handwerker im Lutherhof arbeiteten, Falk aber vor allem als vielbeschäftigten Koordinator der Bauarbeiten im Lutherhof erlebten. Dass es sich bei dieser besonderen Hinwendung Falks zu einem Zögling um einen Einzelfall handelte, verdeutlicht Falks testamentarisch festgehaltener, Denner betreffender Wunsch. So empfahl er, dass Denner als Lehrer in der Anstalt angestellt werde und das Seminarium besuchen solle, um so einst eine Lehrerstelle auf dem Lande zu finden. Denner hatte sich Falks Vertrauen erworben, weil er der Anstalt viele Dienste geleistet hatte. Dafür erhielt er schon zu Lebzeiten Falks eine besondere Belohnung, indem er in die Familie integriert wurde: »Er ißt täglich zur Auszeichnung mit an unserm Tische.«34 Innerhalb des Falkschen Instituts wurde Johannes Denner mit unterschiedlichen Aufgaben betraut, erhielt seinen persönlichen Eigenschaften entsprechend mehr Verantwortung übertragen und musste, um Johannes Falk zu entlasten, »bald das Departement des Innern übernehmen«35. Dabei führte Denner nicht nur Schreibarbeiten aus, sondern vertrat Falk, indem er Bittstellern Gehör schenkte, Geld auszahlte und Rechnungen oder Quittungen ausfertigte. Weil Johannes Denner als eine Art Sekretär für Falk fungierte, intensivierte sich der Kontakt zwischen Zögling und 31 32 33 34

35

Ebd., S. 22. Ebd., S. 21. Ebd., S. 22. Testament [Abschrift] Johannes Falks, Weimar 12. Februar 1826, in: GSA 15/N 22, unpag. Ebd., S. 23.

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Förderer. Zunächst diktierte Falk dem jungen Denner Antworten auf Anfragen an die Gesellschaft der Freunde in der Not, Bittgesuche und andere Dokumente. Später »fertigte« Denner selbst »Leute ab, hörte Bitten und Wünsche an, erstattete Bericht und zahlte Geld aus, schrieb Rechnungen und Quittungen, führte die Anstaltsbücher fort«36. Denner sah in Falk einen väterlichen Freund, der »unermüdlich thätig war«37, was zur Folge hatte, dass Falk »noch lange aufzubleiben« pflegte, »wenn andere Leute schliefen«38. Dieses Verhalten Falks adaptierte Denner, indem er Schreibarbeiten bis weit in die Nacht ausführte und die frühen Morgenstunden für den eigenen Klavierunterricht nutzte, um so mehr Zeit für seine Verpflichtungen Falk gegenüber zu haben. In dieser Zeit veränderten sich einerseits Denners persönliche Zielsetzungen für sein zukünftiges Leben, andererseits aber auch die Erwartungen an das Institut. In das Institut war Denner noch mit dem Vorsatz gekommen, dort seinem musischen Talent zu folgen und dereinst als Organist zu arbeiten. Durch Falks Gegenwart wurde Denner tiefgreifend geprägt: »Immer mehr lebte und liebte ich mich in ihn [Falk, Anm. C. H.] hinein«, reflektierte Denner, »und wurde von seinen menschenfreundlichen Ideen ergriffen«39. Der »Plan [...], eine Anstalt zu gründen, in welcher noch in fernen Geschlechtern eine hülflose oder verwahrloste Jugend Erziehung und Unterricht finden sollte«40, begeisterte Denner. Obwohl der junge Mann aktiv an der Organisation der Anstaltsangelegenheiten im Lutherhof teilnahm, empfand er als Defizit, nicht über das notwendige Schulwissen zu verfügen, um den ihm im Lutherhof gestellten Aufgaben gerecht werden zu können. Falk beruhigte Denner lediglich, der auf diese Weise zwar weniger konkrete Lerninhalte vermittelt bekam als ursprünglich gewünscht, sich aber die Lebenserfahrung und Menschenkenntnis erwarb, die einen guten Schullehrer und Pfarrer auszeichneten. In Falks Augen war Johannes Denner sein »kleiner Apostel«41, der später auch Aufgaben außerhalb Weimars erfüllte und das Falksche Institut zudem weit über die Grenzen des Großherzogtums hinaus bekannt machte. In den verschiedenen Landesteilen Sachsen-Weimar-Eisenachs 36 37 38 39 40 41

Ebd., S. 24. Ebd., S. 25. Ebd., S. 28. Ebd., S. 30. Ebd. Brief [Abschrift] Johannes Falks, [Weimar] o. D., in: GSA 15/I, 2 a–z, Bl. 129v.– 131r., hier Bl. 129v.

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sammelte Johannes Denner als »Cassirer« die Beiträge von jenen Mitgliedern ein, die sich zu einer regelmäßigen Spende entschlossen hatten, wobei er mit »Adligen, Pfarrern, Förstern, Amtleuten, [...] Schultheißen, Gutsbesitzern und Pächtern«42 in Kontakt kam. Vermutlich hatte Falk ganz bewusst Johannes Denner als einen der wenigen Zöglinge ausgewählt, die sich aufgrund ihres tadellosen Betragens besonders eigneten, für das Rettungswerk im Großherzogtum und in ganz Deutschland zu werben. Falk hatte sich in Denner nicht getäuscht. Im Herbst 1824 brach dieser zu seiner ersten größeren Reise auf, die ihn unter anderem von Dessau über Wittenberg, Berlin, Stettin, Stralsund und Greifswald nach Dresden führte, wo der junge Mann den Unterstützern des Instituts Briefe übermittelte.43 Dabei fungierte der Bote Johannes Denner gleichzeitig als positives Beispiel für den Erfolg des Instituts auf Heranwachsende. Denner wurde von Auswärtigen als »ein guter und reiner Jüngling« wahrgenommen, der Falk »von ganzen Herzen liebt [und] verehrt«44. Da er die Erwartungen der Wohltäter an einen jungen, gesitteten Mann erfüllte, traf er seinerseits auf Spender und Freunde des Instituts, die sich durch ähnliche Eigenschaften – wie Falk sie besaß – auszeichneten und Falks Boten gegenüber väterlich und gastfreundschaftlich zeigten, wie etwa der Stettiner Konsistorial- und Schulrat Bernhardt, bei dem Denner im Winter 1825 logierte.45 Vermutlich kann dieses Entgegenkommen auf Falks Fürsprache in den Briefen an die potentiellen Förderer zurückgeführt werden, wenn er Denner etwa der mütterlichen Fürsorge der in Dresden lebenden Christiane Engel empfahl.46 Nicht immer hatte Denner die Möglichkeit, bei Bekannten von Falk zu übernachten. »Da ich hierbei immer möglichst sparte, so lebte ich sehr gering und gerieth mitunter in nicht gar noble Gesellschaft, so, daß ich so ziemlich mit allen Classen der menschlichen Gesellschaft auf meinen Wanderungen verkehren mußte, vom Staatsminister bis zum Proletarier, vom tugendhaften und frommen Mann bis zum gottlosesten Wüstling.«47 42 43

44

45 46

Denner: Leben, S. 31. Vgl. beispielsweise Brief Johannes Falks an Christiane Engel in Dresden, Weimar 3. Oktober 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 672r.–673v., den Denner übermittelte. Brief Carl Blochmanns an Johannes Falk, Dresden 18. August 1825, in: GSA 15/N 55, Bd. 14, Bl. 416r.–417r., hier Bl. 417r. Vgl. Denner: Leben, S. 46. Vgl. Brief Johannes Falks an Christiane Engel in Dresden, Weimar 3. Oktober 1824, in: GSA 15/N 55, Bd. 23, Bl. 672r.–673v., hier Bl. 673v.

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Auf den Reisen lernte Denner ihm bis dahin noch fremde Geschlechterbeziehungen kennen, die sich von denen, die ihm aus dem Falkschen Institut vertraut waren, unterschieden. Als Denner im Greifswalder universitären Milieu Gelder für das Falksche Institut einwarb, traf er auf die Frau eines Gelehrten, die – für Denner überraschend – eigenmächtig entschied, das Rettungswerk nicht zu fördern und keinen Kontakt zu ihrem Mann herzustellen. »Sie verstand, wie ich erfuhr«, so Denner später, »den Spruch: ›Ihr Weiber seid unterthan‹ & umgekehrt, und der gelehrte Herr mußte es sich gefallen lassen, wenn es die strenge Gebieterin also verlangte, die Milch zum Caffee holen zu müssen«48. Denner war ein solches Geschlechterverhältnis zwischen Eheleuten fremd, ein Verhältnis, das sich keineswegs an dem christlich fundierten Ideal der gehorsamen und ihrem Mann folgsamen Frau orientierte, wie es beispielsweise Paulus im Brief an die Epheser zum Ausdruck gebracht hatte: »Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleich wie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde.«49 Ob im Falkschen Institut wirklich Paulus’ Forderung gelebt wurde, ist fraglich. Gerade die jüngsten Forschungsarbeiten zum Thema »Ereignisraum Weimar-Jena« haben deutlich gemacht, welche vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten Frauen im Ereignisraum um 1800 hatten.50 Falk hatte Johannes Denner davor gewarnt, die biblische Aussage als soziale Realität vorauszusetzen. Denner wurde von Falk »die Regel mit auf den Weg gegeben«, dass er es sich »ja nirgends mit den Frauen verderben«51 solle. Offensichtlich beschränkten sich am Beginn des 19. Jahrhunderts die Einflussmöglichkeiten von Frauen nicht nur auf den häuslichen Bereich, sonst hätte Falk dem jungen Denner diesen Rat wohl kaum gegeben. Zudem galt es für Denner, Frauen als Spenderinnen zu gewinnen, machten sie doch in der Weimarer Gesellschaft der Freunde in der Not eine wichtige finanzielle Stütze aus. Auf seiner zweiten Reise im Jahr 1825 an den Rhein und nach Holland spürte der noch nicht 19-jährige Denner die körperlichen Veränderungen, die der Prozess des Erwachsenwerdens mit sich bringt. Nachdem er »bisher noch immer einem Knaben gleichgesehen hatte«, gelangte Denner nun »zu einer mittelmäßigen Größe«52. Ebenso hatte er sich die von Falk 47 48 49 50

51 52

Denner: Leben, S. 45. Ebd., S. 48. Eph 5, 22f. Vgl. Frindte: Handlungsspielräume; Freyer / Horn / Grochowina: FrauenGestalten; Hammerstein / Horn: Mereau. Denner: Leben, S. 48. Ebd., S. 106.

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vermittelten Geschlechterentwürfe angeeignet und urteilte dementsprechend. In der Postkutsche auf dem Weg nach Utrecht lernte Denner eine Frau kennen, die für ihn nur »entsetzliches Zeug schwatzte«53. Vermutlich erinnerte er sich in dieser Situation an Falks Ratschlag, seine unverdorbene Seele vor der »Welt und Sünde« zu beschützen und bezeichnete die Mitreisende deshalb abwertend als »liederliche Dirne«54, mit der er keinen Umgang pflegen wollte. Ein ähnliches Erlebnis hatte Denner auf seiner dritten Reise am Vierwaldstättersee, als in seiner Unterkunft eine »sehr leichtsinnige und frivole Gesellschaft«55 von Studenten gastierte. Dieser hatte sich eine mit Schmuck und seidenem Gewand gekleidete Frau angeschlossen, die »sich schon mehrere Tage mit diesen sauberen Studenten herumgetrieben hatte«56. Dagegen prägten andere, nicht namentlich genannte Frauen, die aus tiefer christlicher Überzeugung Falks oder andere karitative Unternehmungen unterstützten, Denners Berufswahl.57 Denners Wunsch, einst als Pfarrer tätig zu werden, wurde zunächst von der Todesnachricht des »theuersten Vater[s]«58 Falk überlagert. »Aber [...] es war nicht gleich ein Mann da, der es hätte wagen können, in die Fußstapfen Falks zu treten«59, beschrieb er den Verlust Falks für das Institut. In dieser ungewissen Situation verzichtete Denner – vorerst – auf seinen Berufswunsch und folgte Caroline Falks Empfehlung, aufgrund seines fortgeschrittenen Alters einen anderen Beruf zu wählen bzw. weiter für das Institut tätig zu bleiben. Tatsächlich zählte Johannes Denner zu den wenigen Mitstreitern, auf die sich Caroline und Rosalie Falk nach dem Tod des Ehemannes und Vaters verlassen konnten. »Denner ist heute wieder bey uns wohl, und munter eingetroffen. Sein Erscheinen war mir sehr erfreulich, da es doch ein begeistertes vernünftiges Wesen ist, was mit uns fühlt, und uns versteht.«60 Der junge Mann fühlte sich weiterhin dem Institut verpflichtet, wobei er sehr genau wusste, in welch schwieriger Lage sich selbiges befand. Deshalb entschied er sich, am 7. Juni 1826 eine dritte Reise in Richtung Süddeutschland und die Schweiz anzutreten, und 53 54 55 56 57 58 59 60

Ebd., S. 101. Ebd. Ebd., S. 149. Ebd. Vgl. etwa ebd., S. 95 und 119. Ebd., S. 122. Ebd., S. 132. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 26. September 1826, in: GSA 15/N 54, 33.

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dies mit der Absicht, Korrespondenzen zu verteilen und Spenden für das Weimarer Institut einzuwerben.61 Dabei war es dem jungen Mann vergönnt, in Beuggen Christian Heinrich Zeller und im schweizerischen Hofwyl Emanuel Fellenberg kennen zu lernen, die alle mit Falks Rettungswerk vertraut waren und sich ausnahmslos positiv über Falk äußerten. Im Dezember 1826 verabschiedete sich Johannes Denner für eine längere Zeit von Caroline Falk. Er hielt Falks Witwe über seinen weiteren Lebensweg auf dem Laufenden, sodass sie ihrer Tochter Rosalie mitteilen konnte, dass Denner als »Hofmeister bey dem Sohn des Herrn Le Grand62 in der Schweiz«63 arbeitete. Diese Anstellung sicherte dem jungen Mann den Lebensunterhalt, was Caroline Falk positiv hervorhob. »Auf den Reisen die er mit Le Grand gemacht hat, ist ihm das Geld nicht zugezählt worden, sondern er hat so viel verbrauchen können als er gewollt hat. Kurz es ist ihm sehr wohl gegangen.«64 Da Johannes Denner auf dieser letzten Reise in Württemberg Unterstützer gefunden hatte, begann er nach einigen Jahren der Vorbereitung im Frühling 1829 in Tübingen das Studium der Theologie.65 »Für Denner wäre es am Besten er blieb in Württemberg, da paßt er wohl am Besten hin«66, urteilte Caroline Falk. Insbesondere schätzte sie an ihm, dass er »seine Ansicht über Religion nicht immer im Munde« trägt, weil dies »für Andere gewöhnlich drückend«67 sei. Die Nähe zu Falk und die in dessen Institut gewährte Hilfe beeinflussten Denners polare Geschlechtervorstellungen, die für ihn Teil seiner späteren bürgerlichen Existenz wurden. Dabei wird der direkte Zusammenhang zwischen der Aufnahme eines Berufes und der Gründung einer Familie offensichtlich. Erst nachdem Denner materiell für sich und eine zukünftige Familie sorgen konnte, entschloss er sich zu einer Liebesheirat. Erstmals bekleidete Johannes Denner im August 1838 das Pfarramt in Lauterburg, wo er gemeinsam mit seiner aus Weilheim stammenden Frau Sophie, geborene Vögelen, das Pfarrhaus bezog. Die beiden hatten einan61 62

63 64

65 66

67

Vgl. Denner: Leben, S. 133. Johann Lukas Legrand (1755–1836), Schweizer Fabrikant und Politiker, Unterstützer von Pestalozzi. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk [Weimar o. D.], in: GSA 15/N 54, 33. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 24. bis 28. Januar 1835, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Denner: Leben, S. 151–166. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 24. bis 28. Januar 1835, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd.

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der 1837 kennen gelernt, ohne dass Denner in der jungen Frau seine zukünftige Ehefrau wahrgenommen hatte, weil er die Entscheidung getroffen hatte, sich »vor leeren Liebschaften möglichst in Acht«68 zu nehmen. Erst als er sich von der Religiosität Sophie Vögelens überzeugt und eine realistische Chance auf eine Pfarrstelle hatte, verlobte sich Johannes Denner am 22. Dezember 1837 mit ihr. Aus der Ehe gingen fünfzehn Kinder hervor, von denen viele bereits im Kindesalter verstorben sind.69 Sophie Denner, die unter einer schwachen gesundheitlichen Konstitution litt, versuchte dennoch die Erwartungen ihres Mannes zu erfüllen. So erlebte Johannes Denner seine Frau als »treue Gattin, besorgte Hausfrau und zärtliche Mutter«70, weshalb er bei jedem ihrer Krankheitsschübe auf Genesung hoffte. Ein Weiblichkeitsbild, wie es Sophie Denner lebte und es von beiden Eheleuten anerkannt wurde, nahm um 1800 immer mehr Kontur an und verfestigte sich in bildungsbürgerlichen Kreisen im Laufe des 19. Jahrhunderts. Wie sehr Johannes Denner als erwachsener Mann von polaren Geschlechtervorstellungen überzeugt war, verdeutlich die Methodik seiner Arbeit. In seiner zweiten Pfarrstelle in Winzerhausen hielt er die im Rahmen der Märzrevolution besonders stark frequentierten Bibelstunden nach Geschlechtern getrennt ab. »Sonntag Abend eine Bibelstunde für die Weiber und Töchter und zweimal in der Woche für Männer und Söhne.«71 Am Nachmittag des 22. Juni 1859 verstarb Johannes Denner im 53. Lebensjahr.72 Dass sein Lebensweg und seine persönlichen Überzeugungen durch Johannes Falk in Weimar langfristig geprägt wurden, bemerkten auch andere Wegbegleiter. Nachdem Denner am 31. Juli 1838 von Johnathan Friedrich Bahnmaier in Kirchheim unter Teck getraut wurde, lehnte letzterer den Ehrenplatz an der Tafel ab: »Nein, der ist für Ihren Vater Falk, welcher heute, wenn es ihm vergönnt ist, gewiß mit Wohlgefallen aus jener Welt herüberschaut!«73 Aus dem musikalisch begabten Sohn eines Leinewebers wurde unter dem Einfluss Falks ein protestantischer Pfarrer, der in der Ausübung seines Berufes eine für die christliche Gemeinde verantwortungsvolle Aufgabe sah. Seine berufliche Laufbahn ermöglichte ihm im Sinne polarer Geschlechtervorstellungen eine bür68

69 70 71 72 73

Denner: Leben, S. 242. Vgl. auch Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 5. Februar 1839, in: GSA 15/N 54,33. Vgl. Denner: Leben, S. 328. Ebd., S. 310. Ebd., S. 305. Vgl. ebd., S. 345. Ebd., S. 257.

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gerliche Existenz, die Eheschließung und die Gründung einer Familie. Alternative Geschlechterentwürfe nahm er wahr und lehnte sie unter Verweis auf seine bei Falk und im Institut gesammelten Erfahrungen ab. So wie sich das Leben im protestantischen Pfarrhaus der Denners an dem Ideal bürgerlicher Geschlechterbeziehungen orientierte, gestaltete der Pfarrer Denner seine Gemeindearbeit. Caroline und Rosalie Falk attestierten, dass sich die Einwohner in Denners Heimatgemeinde über die positive Entwicklung des Mannes, der »groß u[nd] stark« geworden sei, herzlich gefreut haben: »[A]ls Kind hat er sie verlassen, und als ein so wohlgerathener Mann kehrt er zurück und predigt ihnen Gottes Wort von der Kanzel.«74 Caroline Falk war fest davon überzeugt, dass es allein Johannes Falks Verdienst war, Denner einen bürgerlichen Männlichkeitsentwurf vermittelt zu haben: »Jetzt ist er nun wohlbestalter Pfarrer und glücklicher Ehemann & so wird denn einer nach dem Andern von des lieben Vaters Zöglingen versorgt, die gewiß ohne ihn einen solchen Weg nicht eingeschlagen haben würden.«75

2. »... es wäre besser gewesen wenn der liebe Gott Dich statt einem Sohne zu sich genommen hätte.« Rosalie Falk – Erzieherin und Nachlassverwalterin des Falkschen Erbes Die älteste Tochter Johannes Falks wurde am 5. Oktober 1803 in Weimar geboren und lebte zusammen mit den Zöglingen im Institut, wobei bislang noch nicht untersucht wurde, mit welchen Aufgaben sie ganz im Rettungswerk betraut wurde.76 Für Rosalie Falk überschnitten sich familiäre und institutionelle Lebenswirklichkeit, sodass sie nicht nur durch ihre Familie, sondern auch durch die Erfahrungen im Institut geprägt wurde. Ähnliche Konstellationen finden sich bei Kindern anderer Pädagogen. So wuchs etwa Claude Philibert Edouard Mounier bei seinem Vater Jean Joseph Mounier im gleichnamigen Institut im Schloss Belvedere bei Weimar auf und pflegte enge Kontakte zu den Schülern seines Vaters.77 74

75 76

Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 24. bis 28. Januar 1835, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd. Vgl. Taufregistereintrag für Rosalia Falk, in: KA WE TR HK, 1803 fol. 292r. Nr. 1. Horn, Katrin: Art. »Rosalie Falk (1803–1879)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 129–133, hier S. 130.

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Da zwischen den Wohnräumen der Familie Falk und dem Institut keine strikte räumliche Trennung bestand, erhielt Rosalie Falk erst im Zuge der Lutherhofrenovierung eine eigene Stube in demselben Gebäude,78 das den unterstützten Heranwachsenden eine Anlaufstätte oder im Einzelfall eine Unterkunft bot. Wie ihre Mutter begegnete sie dem väterlichen Unternehmen mit einer gewissen Portion Skepsis. Nach ihrer Rückkehr in den Lutherhof im Herbst 1822 aus Würzburg, wohin sie ihre Mutter und den dort ärztliche Hilfe in Anspruch nehmenden Bruder begleitet hatte, fürchtete sie, auf eine Baustelle zu ziehen.79 Im Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester Gabriele heiratete Rosalie Falk nicht,80 sondern verdiente ihren Lebensunterhalt als Erzieherin, wodurch sie ihre Herkunftsfamilie materiell unterstützte. Ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts unterrichtete sie zunächst die vier Kinder der Gräfin Christiane Mary Emilie Schönburg-Wechselburg. Ab 1834 unterrichtete sie die drei Kinder im Haushalt des Langensalzaer Kaufmann Louis Weiß, bis sie schließlich im September 1838 als Erzieherin der beiden unehelichen Töchter des Prinzen August von Preußen, Klara und Elise von Prillwitz, in Berlin eine Anstellung fand.81 Rosalie Falk hatte selbst eine Ausbildung erhalten, die einerseits weit über die Unterrichtsinhalte im Institut hinausging. Andererseits ließ ihr Vater sie in gemischtgeschlechtlichen kleinen Lerngruppen unterrichten, sodass Rosalie Falk ihre Weiblichkeit nicht als Hindernis für die Entwicklung ihrer intellektuellen Fähigkeiten erlebt hatte. Wie sehr sich Rosalie Falks Unterricht von den sonst im Institut praktizierten Methoden weiblicher Bildung unterschied, geht aus einem Brief Johannes Falks an den Weimarer Kanzler Friedrich von Müller hervor, in dem er von Müller vorschlug, seine Tochter Rosalie und von Müllers Sohn Adalbert (1805–1850) gemeinsam zu unterrichten: »Haben Sie vielleicht Lust verehrtester Herr und Freund, ihr Söhnlein an einem Unterricht, den die gleichaltrigte Rosalia 2. Stunden des Tags, im Lesen, Schreiben, Rechnen, Auswendiglernen von Fabeln und zweckmäßigen Vorübungen auf eine classische echt deutsche Geschmacksbildung, unter meiner speciellen Leitung empfangen wird, theil nehmen zu lassen.«82 77 78

79

80 81

Vgl. Tümmler: Klassisches Weimar, S. 45. Vgl. Expeditions-Nachrichten, [Weimar], in: GSA 15/N 55, Bd. 21, Bl. 29r.–31v., hier Bl. 29r.; Dietsch: Last, S. 172. Zur Tendenz der individuellen und ausdifferenzierten Wohnbereiche vgl. Roeck: Lebenswelt, S. 18. Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 105 Stück, Bl. 215r.–218v., hier Bl. 217r. Vgl. Dietsch: Last, S. 251. Vgl. Horn: Falk, S. 130.

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Obwohl die jungen Frauen und Männer im Institut getrennt voneinander lernten, war es für Johannes Falk durchaus vorstellbar, seine Tochter in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe zu unterrichten. Falk interessierte folglich weniger die Frage, ob seine Tochter gemeinsam mit anderen Mädchen oder Jungen unterrichtet wurde. Über Erfolg oder Misserfolg des Unterrichts entschied nach seiner Überzeugung vor allem die Gruppengröße. So »läßt sich in einem so kleinen Kreise, von 2 bis 3 Kindern Manches leisten, was anderweitig völlig unmöglich ist«83. Vermutlich erkannte Johannes Falk, dass in Kleingruppen die Unterrichtsinhalte über die bloßen Elementarkenntnisse wie Lesen, Schreiben und Rechnen hinausgehen konnten, weshalb Rosalie Falk im Gegensatz zu den jungen Frauen im Institut ihres Vaters eine Ausbildung in alten Sprachen genoß. Sie las Texte deutscher und antiker Autoren, darunter die »Fahrten des Thiodolfs des Isländers«84 von Friedrich de La Motte-Fouque´ oder Homers »Odyssee«. Daneben übersetzte sie fremdsprachige Werke und verfasste eigene »kleine Prosastücke, Märchen und Gedichte«85. Die Inhalte und Methoden im Unterricht Rosalie Falks glichen der Erziehung und dem Bildungsweg ihres Bruders Edmund. An diesem Beispiel zeigt sich, dass »eine classische echt deutsche Geschmacksbildung«86 unabhängig von der Kategorie ›Geschlecht‹ das Charakteristikum eines bürgerlichen Bewusstseins war. Falk überließ also die Erziehung seiner Tochter nicht allein der Mutter, die bei den Unterrichtsstunden stets zugegen war und zum Beispiel während des Aufenthalts in Würzburg vom Juni 1821 bis Anfang November 1822 für ihre Tochter geeignete Singstunden auswählte.87 So wie er sich ganz selbstverständlich um die Gesundheit Rosalies sorgte, interessierten ihn auch unentwegt ihre Lernfortschritte, die er »doch als Vater besser, ja von Grund aus kenne«88. Rosalie Falk wurde von ihrem Vater teils selbst 82

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Brief Johannes Falks an Friedrich von Müller, Weimar Juni 1810, in: GSA 68/122, 6. Stück (Unterstreichungen im Original). Ebd. Fouque´, Friedrich de La Motte: Fahrten des Thiodolfs des Isländers. Hamburg 1815. Vgl. Brief Caroline Falks an Johannes Falk, Würzburg 11. August 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 22, Bl. 354r.–357r., hier Bl. 355v. Horn: Falk, S. 129; Schulz: Eine Leserskizze, S. 15. Brief Johannes Falks an Friedrich von Müller, Weimar Juni 1810, in: GSA 68/122, 6. Stück (Unterstreichungen im Original). Vgl. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 18. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 105. Stück, Bl. 215r.–218v., hier Bl. 218v. Brief Johannes Falks an Caroline Falk, Weimar 20. November 1821, in: GSA 15/I, 2A, 2, 102. Stück, Bl. 207r.–210v., hier Bl. 207r.

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Rosalie Falk

Rosalie Falk (KSW KPh/6892)

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unterrichtet, teils suchte Falk nach geeigneten Kandidaten für diese Aufgabe. Dabei hatte er z. B. an den Jenaer Studenten Wendel gedacht, der zuvor Caroline von Schiller Unterrichtstunden gegeben hatte.89 Wendel »hat schon, eh er auf die Universität ging, 2 Jahr in meinem Haus unterrichtet, und von seinem ernsten Wesen, von seiner Solidität von seiner Methode, wie er es mit den Kindern angreift, die eher zu ernst, als zu spielend von mir erfunden ist, läßt sich, wenn Sie meiner Erfahrung glauben wollen, nicht Gutes genug sagen«,90

lobte Falk die Arbeit des jungen Mannes. Sein didaktisches Geschick qualifizierte Wendel demzufolge für die Hauslehrertätigkeit bei den Falks. Rosalie Falk hatte nicht nur Kontakt zu Heranwachsenden, die von ihrem Vater unterstützt wurden. Sie selbst verkehrte mit den Prinzessinnen Maria und Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, den Töchtern Maria Pawlownas und Carl Friedrichs. Während eines Aufenthaltes in Eisenach im Sommer 1819 wurde Rosalie Falk gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Angelika und ihrer Mutter von der Großherzogin Louise in Schloss Wilhelmsthal zum Tee empfangen. Bei diesen Gelegenheiten erkannte Rosalie Falk, wie stark sich höfische Verhaltensweisen von der bürgerlichen Lebenswelt unterschieden. »[E]s ist erstaunend wie sehr diese Kinder in die Hofetiquette eingerückt sind«91. Nach dem zuvor vertrauensvollen ›Du‹ wurde von nun an das förmliche Siezen praktiziert. Rosalie Falks Beruf(ung): Erzieherin Rosalie Falks Erlebnisse in ihrer Kindheit und Jugend wirkten sich langfristig auf ihre erzieherische Tätigkeit aus. Ebenso wie die heranwachsenden jungen Frauen im Falkschen Institut Fleiß, Arbeitsamkeit und Handarbeitstätigkeiten als Elemente eines anzustrebenden Weiblichkeitsideals wahrnahmen, wurde auch Rosalie Falk dementsprechend sozialisiert, weshalb sie bereits im Alter von sechs Jahren Socken stricken konnte.92 Diese weiblichen Unterrichtspraktiken brachte Rosalie Falk nun als Erzieherin den ihr anbefohlenen jungen Mädchen ebenfalls bei. 89

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Vgl. Brief Johannes Falks an Friedrich von Müller, Weimar Juni 1810, in: GSA 68/122, 6. Stück. Ebd. (Unterstreichungen im Original). Rosalie Falk, Bericht aus Eisenach, in: GMD Rosalie Falk, Aufzeichnungen 1819, Stück 14–15, hier Stück 15. Ich danke Ingrid Dietsch, die mir diese Quelle freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Vgl. Horn: Falk, S. 129; Dietsch: Last, S. 92.

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Erste Erfahrungen im Unterrichten sammelte Rosalie Falk in der eigenen Familie. In Würzburg 1821/22 wünschte sich der künstlerisch talentierte Bruder Edmund, der aus Bertuchs Bilderbuch Tiere abmalte,93 Zeichenunterricht von der älteren Schwester. Diesem Wunsch stand sie skeptisch gegenüber, duldete Edmund doch »keine Vorschrifften«94. Als Unterrichtende nahm Rosalie Falk didaktische Hinweise der Mutter entgegen, von der sie als Kind im Umgang mit Nadel und Faden unterwiesen worden war. Caroline Falk hatte ihre pädagogischen Überzeugungen dabei nicht nur aus den Erfahrungen durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder oder der Arbeit im Falkschen Institut gewonnen. Sie kannte ebenso zeitgenössische Sentenzen aus pädagogischen Schriften, so etwa die aus Christian Gotthilf Salzmanns »Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher«95 entnommene Einsicht, dass man »erst selbst erzogen seyn« muss, »um Andere erziehen zu können«96. Dem entsprechend formulierte die Mutter Ratschläge, die konkret dem Verhalten der Tochter als Erziehende galten. Rosalie Falk musste den Kindern während der Handarbeiten mit viel Geduld begegnen, um die noch lebhaften Mädchen nicht mit zu vielen Übungseinheiten zu überfordern.97 Stattdessen sollte sich die Lehrerin ganz auf die Lektion konzentrieren, damit die Mädchen Freude an ihrer Arbeit gewönnen. Rosalie Falk erinnerte sich der verschiedenen didaktischen Ansätze in Weimar und im Falkschen Institut, um diese in ihrer Anstellung zu praktizieren. Mit ihrer Mutter reflektierte sie Unterrichtsmethoden, »wie es beym seligen Vater war«98. Abgesehen von den Handarbeiten empfahl Caroline Falk, dass die jungen Mädchen »durch Vorsagen etwas auswendig lernen«99 sollten. 93

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Vgl. Bertuch, Friedrich Justin: Bilderbuch für Kinder. Enthaltend eine angenehme Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrichtenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Künste und Wissenschaften; alle nach den besten Originalen gewählt, gestochen, und mit einer kurzen wissenschaftlichen, und den Verstandes-Kräften eines Kindes angemessenen Erklärung begleitet. Weimar 1792–1827. Brief Caroline Falks an Johannes Falk, [Würzburg] 1822, in: GSA 15/N 55, Bd. 22, Bl. 210r.–214v., hier Bl. 211r. Salzmann: Ameisenbüchlein. Vgl. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 10. März oder Mai 1833, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 13. Januar 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd. Ebd.

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Im Frühling 1832 fasste Rosalie Falk den Entschluss, in Weimar »eine ordentliche Pensionsanstalt für junge Mädchen zu errichten«100. Die Arbeit mit den Töchtern der Gräfin Schönburg-Wechselburg hatte in ihr diesen Wunsch reifen lassen, während gleichzeitig Maria von Teuber – eine ehemalige Schauspielerin und zeitweilige Untermieterin der Falks – dieses Vorhaben mit ihr gemeinsam realisieren wollte. Rosalie Falk lehnte dieses Angebot ab, da sie einer Zusammenarbeit mit der unausgeglichenen und sprunghaften Maria von Teuber mit Bedenken entgegensah, passten doch, ihrer Einschätzung nach, ihre Charaktere nicht zu einander. Rosalie Falks erzieherische Tätigkeit wurde von ihrer Mutter als schöner »Beruf« bezeichnet, mit dem sie sich selbst eine gewisse materielle Unabhängigkeit erarbeite und gleichzeitig »unter guten Menschen lebt«101. Während Johannes Falk die Berufswahl im Falkschen Institut von ökonomischen Rahmenbedingungen, wie dem Vorhandensein der jeweils angestrebten Lehrstelle, und der inneren Neigung eines Zöglings abhängig machte, begründete Caroline Falk den beruflichen Werdegang der Tochter religiös, wodurch im 19. Jahrhundert weibliche Berufsarbeit überhaupt legitimiert wurde.102 »Wem also Gott ein solches Talent gegeben hat, der muß es auch anwenden«103, lautete der mütterliche Ratschlag. Caroline Falks Äußerung implizierte, dass sich die Tochter in die von Gott gegebenen Aufgabenbereiche zu fügen habe. Rosalie Falk sollte bedenken, dass Gott, »ohne dessen Wille kein Haar auf unserm Haupte gekrümmt wird,« sie »an diese Stelle gesetzt«104 habe. Dadurch rechtfertigte Caroline Falk den gelebten Weiblichkeitsentwurf ihrer Tochter, der sich durch Tätigkeit und aufopferungsvolle Hingabe für den Dienst am Nächsten und der eigenen Familie auszeichnete. Mit der religiösen Legitimation überdeckte Caroline Falk aber auch die wirtschaftlichen Zwänge, aus denen heraus Rosalie Falk nach dem Tod des Vaters etwas für die Familie hinzuverdienen musste, während die Mutter die Tochter lieber in Weimar gesehen hätte. 100

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Brief Rosalie Falks an Caroline Falk, Wechselburg 28. März oder April 1832, in: GSA 15/N 54, 34. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 31. Juli 1831, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Schmidt, Jutta: »Die Frau hat ein Recht auf die Mitarbeit am Werke der Barmherzigkeit«, in: Röper, Ursula / Jüllig, Carola (Hrsg.): Die Macht der Nächstenliebe. Einhundertfünfzig Jahre Innere Mission und Diakonie. 1848–1998. Berlin 1998, S. 138–149, hier S. 141. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 28. September 1831, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd.

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Wie sehr diese Form weiblicher Demut anerkannt war, unterstreicht die Äußerung Caroline Louise Weilands, Frau des Landschaftskollegiumspräsidenten Philipp Christian Weiland, die Rosalie Falks »Streben unendlich lobte,« würde sie doch bei einer eventuellen Rückkehr nach Weimar nicht untätig bleiben, sondern sofort »zu unterrichten anfangen«105. Demgegenüber sei die Frau zu bedauern, die »kein Geschäft hat, und zwecklos in der Welt ist«106. In dem unablässigen Arbeiten Rosalie Falks spiegelt sich möglicherweise die väterliche Tatkraft wider, die einst Johannes Falks Engagement im Institut ausgezeichnet hatte und von der Tochter verinnerlicht wurde. Gleichzeitig warnte Caroline Falk ihre älteste Tochter vor der bedingungslosen Hingabe in einen Beruf, schließlich seien die menschlichen Kräfte endlich, wie es Mutter und Tochter an Johannes Falks Biographie erfahren mussten. Abgesehen von der materiellen Unabhängigkeit sah Caroline Falk für ihre Tochter noch einen zweiten Vorteil, wenn diese weiterhin ihrem »ernsten Beruf«107 nachginge. Rosalie Falk musste nicht die Anbahnung einer Versorgungsehe sehnsüchtig erwarten, sodass ihr wohl die »eheliche[n] Freuden und Leiden«108 auf diese Weise erspart blieben. Rosalie Falk stand wiederholt vor der Wahl, eine Ehe einzugehen oder weiterhin als Erzieherin für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Anders als zuvor war es im Laufe des 19. Jahrhunderts durchaus nicht unüblich, dass Frauen erst Mitte des 3. Lebensjahrzehnts oder um die 30 eine Ehe schlossen, sodass die Zeitspanne des Ledigseins allmählich anwuchs.109 Falks Tochter entschied sich bewusst für ein Leben als ledige Frau und lehnte das Heiratsangebot eines verwitweten Vaters mehrerer Kinder ab.110 Als ledige ältere Dame reiste sie nach Amerika, lebte in Berlin und später wieder in Weimar, wo sie ab 1868 als Stiftsdame des Kromsdorfer CarlFriedrich-Damenstifts eine jährliche Zuwendung in Höhe von 200 Talern bezog.111 Ihre Idee einer Pensionsanstalt konnte sie jedoch nicht umsetzen. Wenngleich Rosalie Falk mit dem durch ihre Arbeit verdienten Geld einen gewissen Grad von weiblicher Selbstbestimmung verwirklichte, hatte sie gleichzeitig das von ihrer Mutter vorgelebte Weiblichkeitsideal 105 106 107 108 109 110 111

Ebd. Ebd. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 21. Juli 1835, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd. Vgl. Kuhn: Familienstand, S. 40. Vgl. Dietsch: Last, S. 201. Vgl. Horn: Rosalie Falk, S. 131.

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der Hausfrau, Gattin und Mutter verinnerlicht, ein Umstand, der in ihren Klagen über die emotionale Distanz seitens der ihr anbefohlenen Kinder zum Ausdruck kam. Rosalie Falk hoffte, dem Bild einer sich für die Familie und Haushalt ›aufopfernden‹ Frau zu entsprechen. Vermutlich ermöglichte überhaupt nur die Übertragung dieses Ideals auf das Dienstpersonal, dass »Legionen von Dienstmädchen«112 und Gouvernanten so lange in Beschäftigungsverhältnissen standen. Als Gouvernante übertrug Rosalie Falk nicht nur ihre pädagogischen Erfahrungen aus Weimar auf die Erziehung der von ihr beaufsichtigten Kinder. Trotz der im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmenden Tendenz zur Separierung113 des Dienstpersonals aus dem häuslichen Lebensbereich – wobei Gouvernanten in der Hierarchie noch über dem anderen Personal standen – nahm sie am familiären und geselligen Leben teil, musste sich jedoch an die örtlichen Gepflogenheiten anpassen. In Wechselburg hatte Rosalie Falk weder die Gelegenheit sich fortzubilden, noch konnte ihre Erziehungsarbeit den Mangel an intellektuellen und kulturellen Anreizen wettmachen, weil die Tochter des Hauses den Unterrichtseinheiten nur widerwillig folgte. Ein von gegenseitigem Vertrauen geprägter Austausch mit den Eltern über die mangelnde Disziplin war Rosalie Falk nicht möglich, begegnete ihr doch der Graf stets mit einem Hochmut, der sich auf die Tochter übertrug.114 Zu alledem langweilte und befremdete Rosalie Falk das gesellschaftliche Leben in Wechselburg. Im Unterschied zu den Erfahrungen während ihrer Weimarer Kindheit und Jugend erlebte sie in Wechselburg, wie ständische Attitüde – »veraltete steife Formen [...], die 1832 noch einmal zum Vorschein kommen«115 – neue (bürgerliche) polare Geschlechterpraktiken außer Kraft setzten. So empörte Rosalie Falk, dass sie anlässlich einer von ihr vorbereiteten Geburtstagsfeier »zuletzt noch gar selbst einen Stuhl zum sitzen hohlen«116 musste. Caroline Falk erklärte der Tochter, »je kleiner der Ort, je steifer und beschränkter sind die Formen u Verhältniße«117. Dennoch sei es, in Ermangelung eines Dieners durchaus zu erwarten gewesen, dass ungeachtet Rosalie Falks Stellung als Gouvernante 112 113 114

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Budde: Dienstmädchen, S. 175. Vgl. Eder: Gesindedienst, S. 61. Brief Rosalie Falks an Caroline Falk, Wechselburg 3. Mai 1833, in: GSA 15/N 54, 34. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 1. Februar 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd. Ebd.

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ein »Wechselburger Herr so artig« sei, ihr »seinen Stuhl anzubieten«118. Als angestellte Gouvernante erlebte Rosalie Falk, dass nicht in erster Linie ihre Weiblichkeit, sondern ihre berufliche und soziale Stellung den zwischenmenschlichen Umgang prägte. Die während ihrer Anstellung erfahrenen Zweifel und Irritationen über die sich verändernden Geschlechterbeziehungen nahm Rosalie Falk ebenfalls in ihrem familiären Weimarer Umfeld wahr. In späteren Jahren zweifelte sie stark, ob sie den Hoffnungen und Erwartungen ihrer Eltern, die den Tod von drei Söhnen – darunter der erstgeborene Eduard – zu Lebzeiten Falks hinnehmen mussten, gerecht geworden sei.119 Ihre Zweifel basierten vor allem auf polaren Geschlechterverhältnissen, geprägt von der Vorstellung eines aktiven männlichen Familienoberhauptes und einer eher passiv der Familie dienenden Frau, obwohl ihr Vater diese dichotome Geschlechterbeziehung im Falkschen Institut so nie umgesetzt hatte, sondern diese erst ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts immer einflussreicher wurde. An Rosalies Geburtstag 1838 antwortete Caroline Falk in diesem Sinne ihrer Tochter, die zur Nachlassverwalterin des väterlichen Erbes werden sollte. »Ach, Gott hat gewiß seine weisen Absichten dabey gehabt, gerade Dich mir zu erhalten; obgleich Du immer sagst: es wäre besser gewesen wenn der liebe Gott Dich statt einem Sohne zu sich genommen hätte. Es ist nicht geschehen darum hat es der Allweise nicht gewollt.«120

Die ledige Rosalie Falk ließ den Kontakt zu ihrer Familie nie abbrechen, sondern unterstützte die Weimarer Angehörigen mit dem Einkommen aus ihrer Arbeit. Trotz ihrer angegriffenen Gesundheit ließ sie sich außerhalb Weimars anstellen, um mit der dadurch gewonnenen materiellen Unabhängigkeit der »Mutter die Last des Lebens zu erleichtern«121. Ganz konkret richteten sich die Hoffnungen Caroline Falks darauf, dass Rosalie im Falle ihres Todes für die jüngeren Geschwister sorgen würde.122 Deshalb zerstreute sie alle Selbstzweifel der Tochter, dem Anspruch des 118 119

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Ebd. 1838 lebte nur noch Rosalie Falks Bruder Edmund (1815–1844). Nach Roderich (1812–1813), Guido (1810–1813) und Eduard (1799–1819) war der letztgeborene Bruder Bernhard 1837 verstorben. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 5. Oktober 1838, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd. Vgl. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 19. Oktober 1831, in: GSA 15/N 54, 33.

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H. Westermayr: Caroline Falk, 1803 (KSW KGe/00455)

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an sie gestellten Weiblichkeitsideals nicht gerecht zu werden: »Du thust gewiß mehr für Deine Familie als ein Sohn hätte thun können, denn Du opferst Dich ganz für sie auf.«123 Caroline Falk wertete das Engagement der Tochter für die Familie nicht nur auf, sondern stellte es über den familiären Einsatz eines Sohnes. Aufopferung und Hingabe, so kann man im Umkehrschluss folgern, prägten demnach nicht nur das Weiblichkeitsideal einer Hausfrau, Gattin und Mutter. Mit der bedingungslosen Unterstützung der Herkunftsfamilie, in der Caroline Falk allein mit drei Kindern lebte, erfüllte die Tochter die Erwartungen ihrer Mutter an eine erwachsene Frau, obwohl sie aufgrund ihrer Ehe- und Kinderlosigkeit nicht die Voraussetzungen für die Verwirklichung dieses bürgerlichen Weiblichkeitsideals besaß. Rosalie Falks Selbstzweifel beruhten jedoch nicht nur auf der Sorge, die eigene Mutter und die Geschwister nur unzureichend unterstützen zu können. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod ihres Vaters hatte sie selbst erfahren, wie schwer das väterliche Erbe im Sinne Falks zu bewahren und für die Familie lukrativ einzusetzen war. Die Nachlassverwalterin Vor Falks Tod am 14. Februar 1826 zeichnete sich ab, dass Rosalie Falk eine immer wichtigere Funktion für den schwächer werden Vater einnehmen sollte, indem sie ihn bei der Leitung des Instituts unterstützte. Als der von Krankheitssymptomen gezeichnete Falk nicht mehr in der Lage war, selbst die Feder zu führen, schrieb Rosalie Falk das vom Vater Diktierte – in den letzten Tagen etwa das Testament und den von Falk verfassten Grabspruch – nieder. Nachdem der erstgeborene Sohn Eduard 1819 verstorben war, ruhten Johannes Falks Hoffnungen auf seiner ältesten Tochter: »Weiter, meine Tochter, sei mein Heldenmädchen«124, ermunterte er sie, die nur unter Tränen das Niedergeschriebene in Gegenwart von Carl Florentin Leidenfrost – dem von Falk für seine Frau bestimmten Geschlechtsvormund, mit dessen Beistand Frauen bestimmte Rechtsgeschäfte überhaupt erst ausüben durften – vorlesen konnte.125 Vater und Tochter verband nicht nur eine äußerliche Ähnlichkeit, aufgrund derer Caroline Falk schon im Säuglingsalter in der Tochter ihren Mann »en miniature«126 erkannte. Es entwickelte sich über die Jahre hinweg ein 123

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Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 5. Oktober 1838, in: GSA 15/N 54, 33. Denner: Leben, S. 129. Vgl. Dietsch: Last, S. 190f. Brief Caroline Falks an Marie Ursinus, Ettersburg 15. Juli 1804, in: GSA 15/I, 1B, 4–5 (Unterstreichungen im Original).

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vertrauensvolles Verhältnis, sodass Falk ganz bewusst mit der Unterstützung seiner Tochter für das Institut rechnete. Als Falk am 14. Februar 1826 verstarb, hinterließ er ein privatwohltätiges Institut, das nicht nur von dem vertrauenswürdigen Rettner geleitet, sondern – so legte es das Testament fest – in Caroline und Rosalie Falks Verantwortung weitergeführt werden sollte. Nach dem Tod ihres Vaters wurde Rosalie Falk als wertgeschätzte Ansprechpartnerin von Hilfesuchenden wahrgenommen, die nicht allein Caroline Falk als Witwe des verstorbenen Wohltäters oder Johann Georg Rettner, sondern explizit auch sie als Tochter Falks in den Bittgesuchen grüßten.127 Einzelne literarische Projekte Falks blieben unvollendet bzw. erlebte Falk die Veröffentlichung eines seiner wichtigsten Spätwerke nicht mehr, für dessen Publikation nun Caroline und Rosalie Falk als Erben die Verantwortung übernahmen. Schon im Juni 1824 hatte Johannes Falk mit dem in Leipzig ansässigen Verlag »F. A. Brockhaus« einen Vertrag über eine spätere Veröffentlichung seines Manuskripts »Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt« aufgesetzt,128 wonach eine Publikation des Werkes erst nach Goethes Tod oder mit einem Abstand von drei Jahren nach Vertragsschluss vorgesehen war.129 Nachdem Falk 1826 verstorben und die Drei-Jahres-Frist im Juni 1827 abgelaufen war, verzichtete der Verlag auf eine vorzeitige Publikation zu Goethes Lebzeiten. Nach Goethes Tod am 22. März 1832 schrieb Caroline Falk der Tochter: »Nun wird wohl auch das Werk schnell erscheinen was der gute selige Vater an Brockhaus verkauft hat.« Falks Goethe-Buch wurde »gerade zu rechter Zeit«130 im Mai 1832 veröffentlicht, um – wie der Verlag offen zugab – das Publikumsinteresse zu befriedigen, wobei nicht zu vernachlässigen ist, welch finanzieller Vorteil sich für »F. A. Brockhaus« aus dem Verkauf nach Goethes Ableben ergab. In der »Weimarischen Zeitung« erschien am 28. April 1832 ein Vorabdruck der bald käuflich zu erwerbenden Publikation, in dem Goethes Gedanken zum Verhältnis zwischen den französischen Truppen und den deutschen Herrschern zum Ausdruck kamen.131 Das Buch wurde in Weimar nicht nur mit großer Begeis127

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Vgl. Brief Eduard Müllers an Caroline Falk, [Jena] 12. Januar 1827, in: GSA 15/N 55, Bd. 18, Bl. 24r.–24v., hier Bl. 24v. Vgl. Heufert: Falk, S. 187. Vgl. Schulz: Leserskizze, S. 21. Falk: Goethe, S. 10f.; Witte: Falk und Goethe, S. 69f. Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung, Nr. 17 vom 20.10.1832, S. 144. Vgl. Weimarische Zeitung, Nr. 8 vom 28. April 1832.

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terung gelesen, sondern auch von dort als »Geschenk«132 – etwa von Ottilie von Goethe nach Berlin – verschickt.133 Caroline Falk bemerkte, dass der Zeitpunkt der Publikation »gewiß die passenste Zeit« war, »um das Buch ins Publikum zu bringen«134. Kurze Zeit nach Erscheinen des Buches trat Rosalie Falk mit Johann Christian Hüttner in Kontakt, der mit »F. A. Brockhaus« über eine zweite Auflage verhandelte und ihr in Aussicht stellte, dass die Erben mit einem Honorar rechnen könnten.135Als 1836 das Buch in der zweiten Auflage gedruckt werden sollte, weigerte sich der Verlag jedoch, die vertraglich vereinbarte Summe von rund 180 Talern zu bezahlen. Erst mit anwaltlichem Beistand war der Verlag bereit, nicht nur 50, sondern 100 Taler anzuweisen.136 Die Leserschaft begeisterte sich anfangs nicht nur für die Schilderungen über den Dichterfürsten, sondern interessierte sich auch für den Autor des Buches,137 weshalb Caroline Falk ihrer Tochter vorschlug: »Wenn Du herkommst, wollen wir es auf jeden Fall betreiben, daß der Nachlaß gedruckt wird«138. Die zeitnahe Herausgabe der falkschen Schriften war durch die ökonomische Überlegungen motiviert, im Zuge des GoetheGedenkens Profit aus weiteren Veröffentlichungen des Nachlasses Falks zu ziehen. In Weimar gab es von verschiedenen Seiten Bestrebungen, den literarischen Nachlass Falks zu veröffentlichen. Zunächst zeigte sich Kanzler Friedrich von Müller »behülflich«139, der sich als Nachlassverwalter Goethes vermutlich in erster Linie für die Bezüge zum verstorbenen Dichter in den hinterlassenen Unterlagen Falks interessierte. Dabei profitierte er von Abschriften, die – zu seiner Verwunderung – Rosalie Falk angefertigt hatte.140 Offensichtlich besaß von Müller ernsthafte Ambiti132 133

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Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 1. Juni 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Falk: Goethe, S. 12; Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 8. Mai 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 8. Mai 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Brief Rosalie Falks an Caroline Falk, Wechselburg 9. November 1832, in: GSA 15 N 54, 34. Vgl. Dietsch: Last, S. 222f. Das anfänglich positive Urteil wandelte sich, nachdem Riemer dem Buch, dem es an gebotener Objektivität mangele, 1841 »zu günstige Meinungen« attestierte. Riemer, Friedrich Wilhelm: Mitteilungen über Goethe. Auf Grund der Ausgabe von 1841 und des handschriftlichen Nachlasses hrsg. von Arthur Pollmer. Leipzig 1921, S. 39. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 27. April 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Ebd. Vgl. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar o. D., in: GSA 15/N 54, 33.

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onen, einen Teil des Nachlasses zu veröffentlichen oder sogar eine Biographie Falks zu erarbeiten. Als sich der aus Danzig stammende und in Jena wohnende Heinrich Döring, »des sel. Vaters Landmann«141, 1832 anbot, Falks Lebensgeschichte niederzuschreiben, holte Caroline Falk zuerst den Rat Kanzler von Müllers ein.142 Dabei war es Goethe selbst, der Döring als geeigneten Autor für eine Falk-Biographie empfohlen und unterstützt hatte. Am 7. April 1826 tauschten sich Goethe, Rosalie Falk und Wilhelmina Melos über eine in der Verantwortung Dörings entstehende Biographie Falks aus.143 Aus dem daraufhin von Goethe konzipierten Brief an Döring ist jene dreiteilige Gliederung der Vita Falks überliefert, die bis in die Gegenwart den Blick auf Falk beeinflusst: »Denn er [Falk] wäre in drey Epochen zu schildern, 1) als Schriftsteller, 2) als thätig in gefährlichen Kriegsläuften eingreifend, 3) als Pädagog verwilderter Kinder, und Unternehmer eines frommen Instituts in diesem Sinne.«144

Vergessen ist hingegen, dass als Folge dieses Gesprächs Rosalie Falk ihre Unterstützung für Döring zusicherte145 und in diesem Kontext vermutlich als Vorarbeit handschriftliche Aufzeichnungen ihres Vaters in Reinschrift übertrug. Nach Goethes Tod dürften jedoch Differenzen hinsichtlich der Intention einer künftigen Falk-Biographie das Verhältnis zwischen den Nachfahren Falks und Döring getrübt haben, der im »Neuen Nekrolog der Deutschen« für das Jahr 1826 und in einer eigenen Publikation 1840 zwei biographische Skizzen Falks veröffentlicht hatte.146 Rosalie Falk erfuhr 1843 von ihrem Bruder Edmund, dass Döring, der bei Reinthaler um Unterstützung für sein Vorhaben gebeten hatte, eine Biographie des Vaters konzipierte, ohne dass die Geschwister wussten, was »für einen Zweck«147 Döring eigentlich verfolgte. Hinzu kam für Rosalie Falk die Aussicht, die väterlichen Schriften selbst gewinnbringend zu publizieren, weshalb sie entgegen der in Gegenwart Goethes getroffenen Unterstüt141

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145 146 147

Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 18. Dezember 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Brief Caroline Falks an Rosalie Falk, Weimar 18. Dezember 1832, in: GSA 15/N 54, 33. Vgl. Tagebucheintrag vom 7. April 1826, in: WA 3. Abt. Bd. 10, S. 180. Brief Johann Wolfgang von Goethes an Heinrich Döring, [Weimar 7. April 1826], in: WA 4. Abt. 41. Bd., S. 272. Vgl. ebd. Vgl. Döring: Falk; Döring: Lebensumrisse. Brief Edmund Falks an Rosalie Falk, 4. Februar 1843, in: GSA 15/N 54, 55.

Rosalie Falk

425

zungszusage für Döring die vom Vater hinterlassenen Schriften selbst sichtete, um eine Auswahl seiner literarischen Arbeiten, Selbstzeugnisse oder reflektierenden Texte einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Zuvor hatte 1826 der mit den Falks freundschaftlich verbundene Carl Reinthaler (1794–1864) »den guten Vorsatz eine Lebensgeschichte«148 Falks niederzuschreiben, gefasst. Die Leitung des Erfurter Martinsstifts ließ Reinthaler, der sich in der Biographie hauptsächlich auf das letzte Lebensjahrzehnt des Verstorbenen beschränken wollte, jedoch keine Zeit zur Verwirklichung dieses Vorhabens. Rosalie Falk und ihre Mutter wandten sich deshalb an Wilhelm Körte, einen Freund Falks aus Studienzeiten.149 »Ich möchte eine solche Biographie meines Vaters wohl schreiben können!«, versicherte Rosalie Falk Wilhelm Körte im Mai 1828 nicht ohne einen Seitenhieb auf den im selben Jahr publizierten Nekrolog Dörings, den sie vermutlich zu jenen wenigen bis dato erschienenen biographischen Skizzen150 zählte, deren Autoren weder Falks »Seelenentwicklung« kannten, noch »den Satyriker Falk, mit dem im Feuer des Trübsals, in Krieg Noth und Tod, geläuterten und verklärten Falk, [...] zu vereinigen wußten«151. Mühselig arbeitete sich Rosalie Falk durch den »ungeheuern Wust von Papieren« des Vaters und scheiterte daran, das, was nach ihrem »schwachen Urtheil interessant erscheint«152, aufzuschreiben. Die Selbstzweifel Rosalie Falks bezogen sich weniger auf ihre literarische Darstellungskraft, sondern vielmehr auf die richtige Auswahl der für das Publikum geeigneten Themen, aus denen in der Zusammenschau ein facettenreiches Bild ihres verstorbenen Vaters entstehen sollte. Die »ordnende sichere Männerhand [und] der Kennerblick«153 Körtes, »der da weiß was für eine öffentliche Mittheilung und was nicht dafür passend ist«, fehlten ihr, wes148 149 150

151 152 153

Brief Rosalie Falk an Wilhelm Körte, Weimar 4. Mai 1828, in: GSA 15/II,3 A,1. Vgl. Demandt: Falk, S. 211. Ob Rosalie Falk eine der nachfolgend aufgeführten biographischen Skizzen konkret im Blick hatte, wird von ihr nicht ausgeführt: Vgl. beispielsweise Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1826 Nr. 96 vom 6. April 1826 und Nr. 97 vom 7. April 1826, worin es z. B. über Falk heißt: »Falk war ein deutscher Biedermann; treuer Gatte, Freund, Bürger.« (Nr. 97); Schütze, Stephan: Johannes Falk, in: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode. Heft 21. Februar 1826, S. 113–116; Der Bayerische Landbote, Nr. 113 vom 21. September 1826 und Nr. 114 vom 23. September 1828; bereits zu Lebzeiten erschien Wagner: Falks Liebe. Brief Rosalie Falks an Wilhelm Körte, Weimar 4. Mai 1828, in: GSA 15/II,3 A,1. Ebd. Ebd.

426

Zwei Lebenswege

halb sie wünschte, dass Körte, der mit der Biographie seines Großonkels Ludwig Gleim Jahre zuvor die nötigen Erfahrungen für ein solches Vorhaben gesammelt hatte, sie mit Rat und Tat unterstützte.154 Körte ermutigte Rosalie Falk, indem er ihr versicherte, dass die Biographie Falks bei ihr in den »geweihtesten Händen«155 liege, und entkräftete Rosalie Falks Zweifel, die sie als im Schreiben wenig erfahrene Frau hegte: »Aus den Papieren zu wählen was Ihnen werth und wichtig ist, um es der Biographie einzuordnen nach Ihrem Sinn und Gemüth, wird Ihnen Arbeit, soll Ihnen aber nicht Sorge machen. Die Liebe ist das erste aller Gebote, welches selbst der Kunst als solches heilig ist; die Liebe zu diesem Vater wird Sie recht leiten, Sie bedürfen des männlichen Rathes gewiß weniger als Sie glauben.«156

Trotz der Fürsprache Körtes sah sich Rosalie Falk nicht in der Lage, zeitnah die Herausgabe des väterlichen Nachlasses zu übernehmen, weil sie durch ihre Anstellung als Erzieherin in Wechselburg daran gehindert wurde.157 Letztlich veröffentlichte Rosalie Falk 1868 eine Auswahl der väterlichen Schriften.158 Rosalie Falks gelebter Weiblichkeitsentwurf, der durch frühe und vielseitige geistige Bildung und spätere weitreichende materielle Unabhängigkeit gekennzeichnet war, resultierte nicht aus den unmittelbaren Einflüssen des Lebens im Umfeld des Falkschen Instituts. Zu sehr unterschieden sich die Lerninhalte und Methoden in der von ihr genossenen Erziehung, und nur die wenigsten jungen Frauen verließen überhaupt als Erzieherinnen das Institut. Vielmehr reflektierte die 27-Jährige, dass ihre Erziehung und der ihr dadurch ermöglichte Weiblichkeitsentwurf Ausnahmen darstellten, weil von der Tochter Johannes Falks – des Weimarer Bürgers, Schriftstellers und Organisators eines beispiellosen karitativen Hilfswerks – weitaus mehr Wissen und Bildung erwartet wurde als von anderen gleichaltrigen Frauen, die vom Institut unterstützt wurden. Diese Überzeugung brachte sie 1831 zum Ausdruck, als sie der Mutter gegenüber den weiteren Bildungsweg der 14 Jahre jüngeren Schwester Gabriele thematisierte:

154 155

156 157

158

Vgl. Dietsch: Last, S. 197. Brief Wilhelm Körtes an Rosalie Falk, Halberstadt 17. Mai 1828, in: GSA 15/II,3 A,1. Ebd. Vgl. Brief Caroline Falks an Wilhelm Körte, Weimar 18. Juni 1831, in: GSA 15/II, 2A,1, 5. Stück. Vgl. Falk: Erinnerungsblätter.

Rosalie Falk

427

»Sie darf als Falks Tochter nicht ganz unwissend seyn, aber es wäre wohl ihrem Naturell gemäßer, das so etwas zu Phlegma geneigt ist, wenn sie mehr zu weiblichen Beschäftigungen angehalten würde; ich meine nicht blos weibliche Handarbeiten, sondern kleine Geschäfte im Haushalte, wenn sie z. B. schon jetzt irgend etwas unter sich hätte z. B. das Bier ziehen, wenn Du noch welches einlegst.«159

Rosalie Falk empfahl der Schwester, an der sie einen phlegmatischen Charakterzug bemerkt haben wollte, nicht nur weibliche Handarbeiten zu erlernen, sondern auch andere Aufgaben im Haushalt eigenverantwortlich zu übernehmen. Andererseits sah Rosalie Falk die Notwendigkeit, dass die Heranwachsende weiterhin Fremdsprachen erlernte und eine musikalische Ausbildung erhielte, selbst wenn Gabriele dazu keine rechte Lust habe.160 Der ideale Weiblichkeitsentwurf, den Rosalie Falk für ihre Schwester mit der facettenreichen Ausbildung und der frühzeitigen Verantwortungsübertragung verband, orientierte sich an der Frage, »welche Art von Selbstständigkeit Gabriele dereinst in der Gesellschaft erlangen soll und kann?«161 Das Prinzip der Selbstständigkeit prägte tiefgreifend die bürgerliche Vorstellung von der »societas civilis«, die ursprünglich im »Selbstverständnis als die Gemeinschaft der im materiellen wie übertragenen Sinn selbständigen Hausväter verstanden«162 wurde. Vor diesem Hintergrund überrascht es umso mehr, dass Rosalie Falk diese Form bürgerlicher Autonomie für die Schwester und sich in Anspruch nahm. Aus eigener Erfahrung wusste Rosalie Falk jedoch, dass in der Kindheit und Jugend mit einem entsprechenden Bildungsweg die Grundlage für ein späteres selbstbestimmtes Leben gelegt wurde, das nicht nur ihr, sondern auch der Schwester einmal zuteil werden sollte. Obwohl im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts Selbstständigkeit längst nicht mehr die materielle Unabhängigkeit garantierte,163 adaptierte Rosalie Falk dieses Prinzip einer bürgerlichen Lebenswelt und integrierte es in ihren Weiblichkeitsentwurf. Die in Weimar aufgewachsene und das Falksche Institut aus nächster Nähe kennende Rosalie Falk sah für junge bürgerliche Frauen wie sich selbst und ihre Schwester die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens. »Klasse und Geschlecht«164 sollten erst im Lau159

160 161 162

163

Brief Rosalie Falk an Caroline Falk, Wechselburg 16. März 1831, in: GSA 15/N 54, 34. Vgl. ebd. Ebd. Mettele, Gisela: Bürgertum in Köln 1775–1870 (= Stadt und Bürgertum; 10). München 1998, S. 10. Vgl. ebd., S. 134.

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Zwei Lebenswege

fe des 19. Jahrhunderts zu jenen einschränkenden Kriterien werden, die Frauen von persönlicher und politischer Selbstständigkeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ausschlossen.

3. Zusammenfassung Die Frage, inwieweit durch das Fürsorgeangebot im Falkschen Institut bestimmte Geschlechtervorstellungen langfristig geprägt wurden, lässt sich nur bedingt beantworten. Weil von Zöglingen mit den für das Falksche Institut charakteristischen Biographien keine schriftlichen Zeugnisse ihrer späteren Lebenswege überliefert sind, können die von der Sozialisationsforschung eingeforderten überdauernden Entwicklungen für diese jungen Menschen nicht rekonstruiert werden. Johannes Denner und Rosalie Falk, deren Biographien bekannt sind, zählten zwar nicht zu den ›typischen‹ Heranwachsenden des Instituts, beide lebten jedoch in seiner unmittelbaren Einflusssphäre, sodass die Auswahl ihrer Biographien gerechtfertigt ist. Johannes Denner, Sohn eines Leinewebers, lebte zusammen mit Falk im Lutherhof. Er unterstützte Johannes Falk bei der Arbeit für die Gesellschaft und das Institut und erhielt – gewissermaßen als Gegenleistung – die nötigen Kenntnisse, um später als Kantor, Schullehrer oder Pfarrer tätig zu werden. Rosalie Falk, die älteste Tochter von Caroline und Johannes Falk, erlebte den Institutsalltag unmittelbar. Zugleich genoss sie eine für ein Mädchen aus bürgerlichem Haus typische Ausbildung, die sich von der anderer Mädchen und junger Frauen im Institut grundlegend unterschied. Gerade durch diese fremde Perspektive gewinnen die ›gewöhnlichen‹ Fürsorgepraktiken im Institut an Kontur und zeigen, wie vielfältig die Geschlechtervorstellungen am Beginn des 19. Jahrhunderts waren. Die Analyse der beiden Lebenswege verdeutlicht, wie Heranwachsende im Institut und in der Residenzstadt Weimar mit bürgerlichen Verhaltensweisen, polaren Geschlechterpraktiken und mit Weiblichkeitsund Männlichkeitsvorstellungen konfrontiert wurden, die kurz nach 1800 noch keineswegs festgeschrieben waren. Die Nähe zu Falk beeinflusste Johannes Denners Geschlechtervorstellungen nachhaltig und langfristig. In den Augen Caroline Falks entwickelte er sich in adäquater Weise vom 164

Kocka, Jürgen: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft. Stuttgart 2001, S. 135.

Zusammenfassung

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unterstützten Zögling des Instituts zu einem erwachsenen, arbeitenden Mann. Denner verinnerlichte durch die Mitarbeit im Falkschen Institut Falks uneingeschränkte Leistungsbereitschaft für berufliche Aufgaben, während Falks Ehefrau im Hintergrund wirkend für die Familie sorgte. Diese Vorstellung vom Familienleben adaptierte Denner, der auf seinem weiteren Lebensweg mit der Übernahme einer Pfarrstelle zunächst die beruflichen Grundlagen schuf, um eine Familie zu ernähren. Erst danach konnte er mit Sophie Vögelen eine Liebesheirat eingehen, die wiederum als Hausfrau, Gattin und Mutter ihre Bestimmung im Haushalt und in der Familie fand. Johannes Denners weiterer Lebensweg entsprach mit Arbeitsamkeit und Familiensinn jenem bürgerlichen Männlichkeitsideal, das er wie die meisten jungen Männer in den Fürsorgepraktiken des Falkschen Instituts kennen gelernt hatte. Hingegen unterschied sich Rosalie Falks Ausbildung grundlegend von den Fürsorgepraktiken junger Frauen im Institut. Die Tochter Falks erlernte zwar auch wie die anderen jungen Frauen ›weibliche‹ Handarbeiten, genoss aber in koedukativer Unterrichtsform eine über die Elementarbildung hinausgehende schulische Ausbildung durch einen Hauslehrer. Im Unterschied zu den jungen Frauen im Institut, denen lediglich eine Anstellung als Dienstmädchen und nicht immer ein Leben als Hausfrau, Gattin und Mutter möglich war, wählte Rosalie Falk für sich einen (weitgehend) selbstbestimmten Lebensentwurf jenseits eines dienenden Abhängigkeitsverhältnisses oder der bürgerlichen (Liebes-)Ehe. Als Erzieherin nutzte sie die in ihrer Kindheit und Jugend erworbenen Kenntnisse und verdiente sich, ohne auf die Versorgung durch einen Mann angewiesen zu sein, ihren Unterhalt, den sie der Mutter und den jüngeren Geschwistern zur Verfügung stellte. Gleichzeitig kompensierte sie mit ihrer erzieherischen Arbeit die eigene Kinderlosigkeit, indem sie die ›geistige Mutterschaft‹ für die ihr anvertrauten Kinder übernahm. Rosalie Falk und Johannes Denner hatten in ihrer Weimarer Jugend im Institut polarisierende Geschlechterbeziehungen kennen gelernt, die sie auf ihrem späteren Lebensweg nicht überall vorfanden. Auf seinen Reisen verwunderte Denner beispielsweise das selbstbewusste Auftreten von bürgerlichen Ehefrauen, die beispielsweise eigenmächtig über die Spendenzu- oder -absage ihrer Männer entschieden. Ebenso lehnte er, der vor dem Eintritt in das Institut noch bei Geselligkeiten musiziert hatte, – ganz nach Falks Vorbild – das Zusammentreffen junger Frauen und Männer bei Festen und Tänzen entschieden ab. Gewiss nahm Denner durch die Nähe zu Falk eine besondere Position innerhalb der Gruppe der Zög-

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Zwei Lebenswege

linge ein, die nur wenigen Seminaristen zuteil wurde. Es ist davon auszugehen, dass durch die Fürsorgepraktiken Falks Vorstellungen von Arbeit und vom familiären Zusammenleben auch an andere junge Männer vermittelt wurden. Inwieweit sie allerdings wie Denner ein selbstbestimmtes Leben – etwa als Handwerksmeister mit einer eigenen Familie – führen konnten, ist nicht überliefert. Wie sehr die Geschlechtervorstellungen nach 1800 im Umbruch waren und je nach Situation ausgestaltet wurden, zeigen auch Rosalie Falks Zweifel an ihrer Eignung als Nachlassverwalterin ihres Vaters. Obwohl Falk einen Großteil der Institutsaufgaben an Seminaristen übertragen hatte, verließ er sich auf seine älteste Tochter, der er das Testament diktierte und von der er ein besonderes Engagement für seine Hinterlassenschaften erwartete. Wenngleich Rosalie Falk sich selbst wegen ihres Geschlechts zu dieser Aufgabe nicht ›berufen‹ fühlte, gab sie – unter dem Zuspruch vieler männlicher Freunde ihres Vaters – schließlich 1868 Falks Schriften heraus. Einen solchen unabhängigen und selbstbestimmten Lebensweg wird vermutlich keine weitere junge Frau aus dem Falkschen Institut eingeschlagen haben. Gerade die Einzigartigkeit zeigt, wie unterschiedlich die Lebenswege von Frauen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlaufen konnten. Die im Falkschen Institut angebotene Hilfe war für junge Frauen von Weiblichkeitsvorstellungen beeinflusst, die sich weitaus weniger durch ›Selbstbestimmung‹ auszeichneten. Mit der ausschließlichen Erlernung ›weiblicher Arbeiten‹ blieben die jungen Frauen im Falkschen Institut von weiterführenden Bildungsinhalten – wie etwa Fremdsprachen – ausgeschlossen, sodass sie im Unterschied zu Rosalie Falk allenfalls eine dienende Erwerbstätigkeit aufnehmen konnten.

VI. Resümee

Am Ausgangspunkt der Untersuchung stand die Beobachtung, dass die Geschichtswissenschaft (Armen-)Fürsorge allenfalls am Rande unter geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen betrachtet hat. Ältere Forschungsarbeiten betonten einerseits, dass Fürsorge im Verlauf des 19. Jahrhunderts aus dem kirchlichen Verantwortungsbereich gelöst und zunehmend ein wesentlicher Bestandteil politischen (kommunalen) Handelns wurde. Andererseits prägten im Unterschied zu früheren Jahrhunderten die Vorstellungen über Frauen und Männer die Fürsorgepraktiken in dem Maße, wie polarisierende Geschlechterbeziehungen nach 1800 an Bedeutung gewannen. Im Ergebnis dieser Studien wurden erwachsene Frauen als Objekte von Fürsorgepraktiken und als Akteurinnen der karitativen Hilfe gleichermaßen identifiziert, während Männer als Normgeber Armenfürsorge zumeist politisch strukturierten. Unbeachtet blieb hingegen, inwieweit die auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten Fürsorgepraktiken ebenfalls durch Geschlechtervorstellungen beeinflusst wurden. Dieses Forschungsdesiderat griff die vorliegende Studie auf. Anhand der Gesellschaft der Freunde in der Not und des Falkschen Instituts, zwei auf das Engste miteinander verbundene Untersuchungsgegenstände, konnte Fürsorge für junge Menschen auf unterschiedlichen Ebenen untersucht werden. Während die Gesellschaft, in der sich unter der Leitung Johannes Falks Förderer und Spender zusammengefunden hatten, in den Kriegszeiten um und nach 1813 zunächst allen Notleidenden half, konzentrierte sich die spätere karitative Arbeit auf Heranwachsende beiderlei Geschlechts, woraus sich allmählich das Institut entwickelte. Mit seiner Hilfe für Jugendliche füllte die Institution eine bestehende Lücke im Fürsorgeangebot der Residenzstadt und des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Dass Geschlechtervorstellungen die Fürsorgepraxis im Falkschen Institut noch nicht so stark normierten, wie es in späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in ähnlichen Einrichtungen der Fall war, konnte für den Untersuchungszeitraum nachgewiesen werden. Die Gesellschaft der Freunde in der Not proklamierte einen umfassenden Fürsorgeauftrag, der von der Überzeugung getragen war, eine wohltätige Gabe unabhängig von Alter, Geschlecht oder Konfession zu gewähren. Gleichzeitig sind

432

Resümee

erste Tendenzen einer sich nach Geschlechtervorstellungen ausdifferenzierenden Fürsorgepraxis zu erkennen. Die Ideen der polarisierenden Geschlechtscharaktere des Bürgertums prägten die Fürsorge im Falkschen Institut. Zudem trug wiederum die Fürsorgepraxis dazu bei, die (bürgerliche) Ordnung der Geschlechter langfristig zu festigen. Diese gleichzeitigen Entwicklungstendenzen wurden auf unterschiedlichen Ebenen der karitativen Hilfe deutlich. Ohne die Einzelergebnisse der vorangegangenen Kapitel noch einmal zu wiederholen, werden abschließend übergreifende Charakteristika der Jugendfürsorge im Falkschen Institut hervorgehoben. Sie verdeutlichen das unmittelbare Wechselverhältnis zwischen der karitativen Hilfe, die langfristig bürgerliche Geschlechtervorstellungen stabilisierte, und den immer mehr an Bedeutung gewinnenden bürgerlichen Geschlechterbeziehungen, die ihrerseits Fürsorgepraktiken für Heranwachsende prägten. In seiner quantitativen Ausdehnung glich das Falksche Institut dem großherzoglichen Waiseninstitut. Es ist anzunehmen, dass unter Verwendung eines weiten Hilfebegriffs weitaus mehr als 600 Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts versorgt wurden. Das Hilfsangebot richtete sich auf die schulentlassene Jugend, weshalb aufgrund dieser inhaltlichen Ausrichtung der Kategorie ›Geschlecht‹, im Unterschied zu den kodifizierten Grundsätzen, im Institutsalltag und in den konkreten Fürsorgepraktiken eine große Bedeutung zukam. Dementsprechend verwundert es nicht, dass eine Überschreitung der Geschlechtergrenzen institutsintern sanktioniert wurde. Gleichzeitig wurden Geschlechterzuschreibungen in der Erziehung der Heranwachsenden bewusst funktionalisiert. Gemäß der modernen Soziologie war die Berücksichtigung der geschlechtlichen Entwicklung in der Fürsorgepraxis sogar äußerst sinnvoll. Nach heutigen Erkenntnissen befähigt vor allem die Aneignung einer ›anerkannten‹ Geschlechtsidentität Heranwachsende zur Integration in die Welt der Erwachsenen. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive bleibt festzuhalten, dass privat initiierte Fürsorge am Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend von bürgerlichen Vorstellungen über das Zusammenleben von Frauen und Männern durchdrungen war. Das Ideal der Hausfrau, Gattin und Mutter sowie des arbeitenden Mannes, der für seine Familie sorgt, wurde zum Maßstab, um eine karitative Intervention zu rechtfertigen oder den Anspruch auf eine Unterstützung zu begründen. In ähnlicher Weise bestimmten bürgerliche Geschlechtervorstellungen die Ziele der wohltätigen Hilfsangebote: Junge Männer wurden durch das Institut in unterschiedliche Lehrberufe vermittelt oder durch Unterricht auf ein Studium

Fürsorge und Geschlecht

433

vorbereitet. Vermutlich strahlte das bürgerliche Verständnis von männlicher Selbsttätigkeit auf alle gesellschaftlichen Gruppen aus, sodass – abgesehen von dienenden Tätigkeiten in der Landwirtschaft als Knecht oder Tagelöhner – handwerkliche Berufe gleichberechtigt neben geistigen Berufen eine Option für junge Männer darstellten. Für junge Frauen beschränkte sich das normativ kodifizierte Angebot auf die Unterweisung in häuslichen Tätigkeiten, den ›weiblichen Arbeiten‹. Während Männern also eine gewisse Selbstständigkeit zugestanden wurde, hatten Frauen sich in untergeordneten Positionen einzufügen. Der starke Einfluss von (bürgerlichen) Geschlechtervorstellungen auf die Begründung einer Hilfsmaßnahme und auf die konkret angebotene Hilfe stand in großem Widerspruch zur Lebenswirklichkeit vieler Zöglinge. Sie entstammten Elternhäusern, die diesen ›idealen‹ Geschlechterbeziehungen in ihrem täglichen Leben nicht genügen konnten. Nach der Entlassung aus dem Institut waren viele Heranwachsende gezwungen, andere und vom bürgerlichen Ideal abweichende Lebensentwürfe einzuschlagen. So gingen später viele Frauen und Männer dienenden Tätigkeiten nach bzw. wurde ihnen eine Heirat oder berufliche Selbstständigkeit aufgrund von kirchlichen, staatlichen oder zünftigen Reglementierungen gänzlich versagt. Zudem bedurfte die Erfüllung eines beschränkten weiblichen Aktionsradius, wie es der bürgerlich-weibliche Lebensentwurf vorsah, stabiler ökonomischer Rahmenbedingungen. Davon waren die Lebensverhältnisse in Sachsen-Weimar-Eisenach nach den napoleonischen Kriegen und der Hungersnot von 1816/17 weit entfernt. Demzufolge lebten viele junge Frauen nach einem Familienmodell, das den im Falkschen Institut erlernten bürgerlichen Werten widersprach: Entgegen dem propagierten Ideal der Hausfrau, Gattin und Mutter agierten sie als ökonomische Familienoberhäupter, indem sie als Mütter, Tanten und Schwestern mit ihrer Arbeit zur Ernährung bzw. materiellen Absicherung der Familie beitrugen. Umgekehrt übernahmen junge Männer Aufgaben innerhalb der Familie, wie die Pflege jüngerer Geschwister, wenn Mütter oder Schwestern abwesend oder verstorben waren. Die Fürsorgepraxis im Falkschen Institut war am Prinzip der gleichgeschlechtlichen Vorbildhaftigkeit ausgerichtet. Der Gedanke, dass gleichgeschlechtliche Vorbilder Heranwachsende beeinflussten und somit eine wichtige Rolle bei der Aneignung einer Geschlechtsidentität spielten, spiegelt sich etwa in den Bittbriefen von Vätern wider. Sie schrieben Falk von ihrem eigenen durch Arbeitsamkeit und Verantwortung geprägten Lebenswandel, mit dem sie auf ihre Söhne vorbildhaft einwirkten, um so die Aufnahme im Institut zu legitimieren. Ebenso setzte sich die Über-

434

Resümee

zeugung durch, dass das berufliche Interesse eines Heranwachsenden durch erwachsene männliche Vorbilder aus dem unmittelbaren Umfeld geprägt wurde. Das Gleiche wurde auch für junge Frauen angenommen. Allerdings beschränkte man deren Ambitionen ganz auf die ›weiblichen Arbeiten‹, als handele es sich um eine natürliche Bestimmung. Tatsächlich wirkten ältere Frauen in der Fürsorgepraxis vorbildhaft auf die weiblichen Zöglinge ein. Auch die Vermittlung zu Handwerksmeistern beruhte auf dem Prinzip der gleichgeschlechtlichen Vorbilder. Neben den fachlichen Kenntnissen vermittelten die Handwerksmeister, bei denen die jungen Männer auch in der Familie lebten, Werte des ›ehrbaren‹ Handwerks. Dieselbe Funktion übernahmen die Lehrerinnen der Näh-, Spinn- und Strickschulen oder die Hausfrauen für weibliche Zöglinge. Welche Bedeutung dem Modell der gleichgeschlechtlichen Vorbilder zugemessen wurde, verdeutlichen zudem die Seminaristen. Die in unmittelbarer Nähe zu Falk stehenden angehenden Lehrer übernahmen Falks Selbstverständnis, das sich durch Arbeitsamkeit, Religiosität und Pflichtgefühl auszeichnete. Diese Werte sollten die Seminaristen ihrerseits an die männlichen Zöglinge weitergeben. Gerade der nicht immer erfolgreiche Unterricht von Zöglingen durch gleichaltrige oder jüngere Seminaristen deutet jedoch an, dass die Sozialisation durch gleichgeschlechtliche und gleichaltrige Vorbilder mitunter an ihre Grenzen stieß. Die Trennung der Geschlechter bildete ein zweites Prinzip in der Fürsorgepraxis des Instituts. Zwar waren die normativen Vorgaben für die Gesellschaft der Freunde in der Not und das Falksche Institut vom Grundsatz geleitet, unabhängig vom Geschlecht der Perzipienten eine Hilfe zu gewähren. Aber die alltägliche Fürsorgepraxis erforderte eine Geschlechterseparierung, um überhaupt eine Hilfe für junge Frauen und Männer anbieten zu können. Diesen Gedanken verfolgte Falk auch bei der Suche nach einem geeigneten Quartier für sein Institut, das sehr weitläufig sein und verschiedene Unterrichtsräume aufweisen sollte. In der Untersuchung wurden Geschlechterbeziehungen im Falkschen Institut, dessen institutionelle Anfänge in das Jahr 1813 reichen, analysiert. Damit trägt die Studie einen Aspekt zum Ereignis »Weimar-Jena« bei, das im Sonderforschungsbereich 482 an der Friedrich-Schiller-Universität von 1998 bis 2010 untersucht wurde. Wenn das Ereignis eine »Kategorie von Vorfall« darstellt, der »die Strukturen signifikant verändert«1, stellt sich die Frage nach der Wechselwirkung zwischen dem Er1

Fabiani, Jean-Louis: Ereignis, in: Kwaschik, Anne / Wimmer, Mario (Hrsg.):

Fürsorge und Geschlecht

435

eignis »Weimar-Jena« und einem zeitgleich sowie räumlich identisch verorteten historischen Gegenstand wie dem Falkschen Institut mit den dort gedachten und gelebten Geschlechterbeziehungen. Obwohl dem Falkschen Institut mit seiner breiten gesamtgesellschaftlichen und gemischtgeschlechtlichen Unterstützung und dem facettenreichen Hilfsangebot für junge Frauen und Männer selbst der Charakter eines Ereignisses im Ereignis zukommt, wäre es für das Institut unangebracht, von ereignishaften Veränderungen der Geschlechtervorstellungen zu sprechen. »Kontinuität und Kontingenz, kurzfristige Konjunkturen und langfristige Traditionslinien« ergeben erst zusammen betrachtet ein »wissenschaftlich vertretbares Bild des ›Wandels der Geschlechterordnung um 1800‹«2. Dennoch kann der Einfluss Weimars auf die Fürsorgepraktiken im Falkschen Institut wohl kaum von der Hand gewiesen werden. Falk nutzte in Zusammenarbeit mit dem Lehrerseminar oder Bertuchs Landes-Industrie-Comptoir die Infrastruktur der Residenzstadt. Auch die ›Inanspruchnahme‹ der Großherzogin in ihrer Rolle als fürsorgende Landesmutter – ein Bild, das Parallelen zum preußischen Luisen-Kult assoziiert – dürfte vornehmlich durch die spezifischen historischen Ereignisse am Weimarer Hof während der napoleonischen Kriege begründet sein. Ebenso ist die materielle Unterstützung durch die Erbgroßherzogin Maria Pawlowna eine Besonderheit des Instituts, die aus den dynastischen Verbindungen der großherzoglichen Familie Weimars mit dem russischen Zarenhaus herrührt. Gleichzeitig eröffnete die Residenzstadt Weimar den Heranwachsenden individuelle Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung, die über die vom Falkschen Institut angebotenen Hilfsmaßnahmen hinausgingen. Der persönliche Kontakt zu Hofschauspielern und Künstlern bestärkte männliche Zöglinge in ihren Wünschen, ein Leben als Schauspieler oder Schriftsteller zu führen. Das Weimarer Umfeld hebelte in diesem Fall das im Institut propagierte Ideal des selbstständig in einem handwerklichen Beruf arbeitenden Mannes aus. Inwieweit die Geschlechtervorstellungen und -beziehungen der Heranwachsenden langfristig durch die Fürsorgepraktiken des Falkschen Instituts geprägt wurden, lässt sich aufgrund der bruchstückhaften Überlieferung entsprechender Quellen nur bedingt einschätzen. Die beiden hier untersuchten Lebenswege Rosalie Falks und Johannes Denners warfen ein neues Licht auf karitative Tätigkeiten in Weimar. Im Abstand erkannten beide jungen Menschen, dass die im Weimarer Institut und in der

2

Von der Arbeit des Historikers. Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Bielefeld 2010, S. 59–63, hier S. 59. Opitz: Aufklärung, S. 15.

436

Resümee

Familie Falk vermittelten und gelebten polaren Geschlechterbeziehungen keineswegs statisch festgeschrieben waren. Besonders deutlich zeigte sich dies im Leben Rosalie Falks, die trotz aller Selbstzweifel, die von einem an Passivität und Familie ausgerichteten Weiblichkeitsideal herrührten, zur Nachlassverwalterin ihres Vaters wurde. Für die Forschung stellt sich drängender denn je die Aufgabe, nach diesen längerfristigen Entwicklungslinien bei Heranwachsenden zu suchen, die durch Fürsorgeinstitutionen unterstützt wurden. Die vorliegende Studie verdeutlicht, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts Fürsorgepraktiken für Jugendliche von polaren Geschlechtscharakteren durchdrungen waren und zugleich zur Stabilisierung einer an dichotomen Geschlechtervorstellungen ausgerichteten Gesellschaft dienten. In diesem Sinne sind die ›Geschlechter-Geschichten‹ des Falkschen Instituts als ein vielgestaltiger Prozess im Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach zu verstehen. In ihnen kommt der Wandel der Geschlechterbeziehungen um und nach 1800 als ein Nebeneinander unterschiedlicher »Entwicklungstempi«, »Erfahrungswelten« und »Kausalketten«3 zum Ausdruck. Als der Korrespondent der »National-Zeitung der Deutschen« im November 1816 die vielen ›Bürgerinnen und Mütter‹ pries,4 die aus dem Falkschen Instituts entlassen würden, beruhte seine Einschätzung genau auf den Prinzipien der gleichgeschlechtlichen Vorbildhaftigkeit, der Geschlechtertrennung und eines bürgerlichen Familien- und Geschlechterverständnisses. Ohne zu berücksichtigen, woher die im Institut versorgten weiblichen Zöglinge stammten und in welche Lebenswirklichkeit sie mehrheitlich nach dem Austritt aus dem Institut wieder entlassen wurden, sollte die Fürsorge für junge Frauen am bürgerlichen Ideal der Hausfrau, Gattin und Mutter ausgerichtet werden. Doch der Korrespondent irrte in seinem Urteil. Tatsächlich zielte die im Falkschen Institut praktizierte Hilfe für weibliche Zöglinge bereits auf ein weitaus differenzierteres Frauenbild: Die jungen Frauen wurden nicht nur auf die Rolle der bürgerlichen Hausherrin, sondern auch auf die Tätigkeiten einer Dienstmagd vorbereitet. Schließlich konstatierte Wilhelm von Türk rund ein Vierteljahrhundert später den für viele Frauen des 19. Jahrhunderts unüberwindbaren Konflikt zwischen bürgerlichem Ideal und alltäglicher Lebenspraxis – ein Gegensatz, dem Falk kurz nach 1800 in der Fürsorge für Heranwachsende gerecht werden wollte: 3

4

Raphael, Lutz: Jenseits von Strukturwandel oder Ereignis? Neue Sichtweisen und Schwierigkeiten der Historiker im Umgang mit Wandel und Innovation, in: Historische Anthropologie. 17 (2009). Heft 1, S. 110–120, hier S. 119. Vgl. Kapitel I.

Fürsorge und Geschlecht

437

»Wer je einen Blick in das Familien-Leben der niederen Stände gethan hat, der wird wissen, daß die Töchter eine ihrer künftigen Bestimmung als Dienstboten, Hausfrauen und erste Erzieherinnen der Kinder vollkommen angemessene Bildung nur im häuslichen Kreise erhalten können. [...] So lernt das Mädchen tausend kleine Geschäfte in einem Tage besorgen [...] – was ihr künftig bevorsteht und ihr als Dienstmagd, als Ehefrau und Mutter einen hohen Werth giebt [...].«5

5

Türk: Vorsorge, S. 16f.

VII. Verzeichnisse

1. Abkürzungsverzeichnis Art. Bd. BFR Bl. DBE

EDG FA

GG

GK GMD Göckel

gr. GSA HK HR JALZ KA WE KSW Mskr. NDB

Artikel Band Berner Forschungen zur Regionalgeschichte Blatt Deutsche Biographische Enzyklopädie. Hrsg. von Walther Killy und Rudolf Vierhaus. 13 Bde. München u. a. 1995–2003 Enzyklopädie deutscher Geschichte Johann Wolfgang von Goethe. Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde. Hrsg. von Karl Eibl u. a. Frankfurt am Main 1985–1999 Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Stuttgart 1972–1997 Garnisonskirche Goethe-Museum Düsseldorf Sammlung Großherzogl. S. Weimar-Eisenachischer Gesetze, Verordnungen und Circularbefehle in chronologischer Ordnung. Hrsg. von Ferdinand von Göckel. Bd. 1–17. Jena 1828–1868 Groschen Goethe- und Schiller-Archiv Hofkirche Heiratsregister Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung Kirchenarchiv Weimar Klassik Stiftung Weimar Manuskript Neue Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 24 Bde. Berlin 1953–2010

440 PuN r. rl S. SK Sp. SR Staatshandbuch

Staats-Lexikon

StdAW ThHStAW TR TRE v. VHKTh KR VSWG WA

Zedler

ZVThG(A)

Verzeichnisse

Pietismus und Neuzeit. Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus recto Reichstaler Seite Stadtkirche Spalte Sterberegister Hochfürstlich S. Weimar- und Eisenachischer Hofund Adreß-Calender. Jena 1757–1806. Herzoglich S. Weimar- und Eisenachischer Hof- und Adreß-Calender. Jena 1807–1813. Großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenachisches Hofund Staats-Handbuch. Weimar 1816–1819. Staatshandbuch für das Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach. Weimar 1823–1913. Rotteck, Carl von / Welcker, Carl (Hrsg.): Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands. 14 Bde. Leipzig 1856–1866 Stadtarchiv Weimar Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Taufregister Theologische Realenzyklopädie verso Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen; Kleine Reihe. Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Abt. I–IV. (Weimarer Ausgabe). Nachträge und Register zur IV. Abt. Hrsg. von Paul Raabe. Bd. 51–53. Weimar 1887–1919 und München 1990 Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. 64 Bde. und vier Supplementbände. Leipzig und Halle 1732–1754 Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte (und Altertumskunde)

441

Quellen- und Literatur

2. Quellen- und Literaturverzeichnis 2.1 Ungedruckte Quellen Goethe- und Schiller-Archiv Weimar (GSA) 13 (Egloffstein) 15 (Falk) 26 (Goethe, Naturwissenschaftliche Werke) 28 (Goethe, Eingegangene Briefe) 29 (Goethe, Ausgegangene Briefe) 30 (Goethe, Akten) 34 (Goethe, Rechnungen) 68 (von Müller) 161 (Schüddekopf) Stadtarchiv Weimar (StdAW) HA I–4–2 HA I–27–91

HA I–27–79 HA I–27–119

HA I–27–80 HA I–27–84 NA II–11a–35 NA I–32–27

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW) Großherzogliches Hausarchiv A XXV Akten 382 Konsistorialsachen B 3724 B B 4756a B B 4761a B B 4762a B B 4878d

4396 4757 4761a1 4850aa

B B B B

44391 4757a 4761c 4847a

Landschaft und Landtag 148a Landtag von Sachsen-Weimar-Eisenach 67 68

B B B B

44392 4758a 4762 4878a

442

Verzeichnisse

Nachlass Karl Friedrich Horn Patriotisches Institut der Frauenvereine 422 424 425 Polizeisachen B 5499a Rechtspflege B 2360c

B 285618

Vereinigte Landschaft I. 205 Kirchenarchiv Weimar (KA WE) Tauf-, Heirats- und Sterberegister der Weimarer Kirchen

2.2 Gedruckte Quellen Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Äußerungen Friedrich von Müllers, 22. Februar 1830, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 3. Zweiter Teil 1825–1832. München 1998. Arnim, Achim von an Wilhelm Grimm, 26. Dezember 1820, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 3 Erster Teil 1817–1825. München 1998, S. 228f., hier S. 229. Arnold, Günter: Ungedruckte Briefe aus Herders Nachlaß, in: Impulse 13 (1990), S. 264–318. Baur, Wilhelm: Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den deutschen Befreiungskriegen. Bd. 2. Hamburg 1866.

Quellen- und Literatur

443

Beilage zur Allgemeine Zeitung 1826 Nr. 96 vom 6. April 1826 und Nr. 97 vom 7. April 1826. Bertuch, Friedrich Justin: Bilderbuch für Kinder. Enthaltend eine angenehme Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrichtenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Künste und Wissenschaften; alle nach den besten Originalen gewählt, gestochen, und mit einer kurzen wissenschaftlichen, und den Verstandes-Kräften eines Kindes angemessenen Erklärung begleitet. Weimar 1792–1827. Bertuch, Friedrich Justin: Wie versorgt ein kleiner Staat am besten seine Armen und steuert der Bettelei? Nachdruck der 1782 anonym erschienenen Schrift. Hrsg. von Paul Kaiser (= Weimarer Schriften zur Heimatgeschichte und Naturkunde; 39). Weimar 1978. Bode, Wilhelm: Carl August von Weimar. Jugendjahre. Berlin 1913. Calmberg, Ernst Philipp Ludwig: Das Johanneum zu Hamburg. Hamburg 1829. Campe, Joachim Heinrich (Hrsg.): Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens. Hamburg 1785–1792. Denner, Johannes: Das Leben des württembergischen Pfarrers Johannes Denner, ehemaliger Schüler des Falk’schen Instituts zu Weimar, von ihm selbst beschrieben. Hrsg. von Heinrich Merz (= Lebensbilder aus der Geschichte der inneren Mission; 8). Hamburg 1860. Die schlechte Hauswirthin aus Unreinlichkeit, in: Rochow, Friedrich Eberhard von: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen. 2. Teil Frankfurt am Main 1779. Dietsch, Ingrid: Brief Johannes Falks vom 9. Oktober 1813 an die Weimarer Erbherzogin Maria Pawlowna, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 1–7. Döring, Heinrich: Art. »Falk«, in: Gruber, J. G. (Hrsg.): Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge. Erste Section A–G. 41. Theil Fabrik–Farvel. Leipzig 1845, S. 211–234. Döring, Heinrich: Johann Daniel Falk, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 4 (1826), S. 40–80. Döring, Heinrich: Lebensumrisse von Carl August, Großherzog von Sachsen-Weimar, und von Möser, Falk, Seume, Lichtenberg und von Matthisson. Quedlinburg und Leipzig 1840. Eberhard, Johann August / Maass, Johann Gebhard Ehrenreich: Versuch einer allgemeinen teutschen Synonymik in einem kritisch-philosophischen Wörterbuche der sinnverwandten Wörter der hochteutschen Mundart. Bd. 3. Leipzig 1826.

444

Verzeichnisse

Eberhardt, K. Friedrich: Geschichte und Lehrplan des Eisenacher Schullehrer-Seminars zusammengestellt bei Gelegenheit der 50jährigen Seminar-Jubelfeier am 4. und 5. August dieses Jahres und der am 5. August stattfindenden Grundsteinlegung des neuen Seminar-Gebäudes. Eisenach 1868. Eckart, Rudolf: Johannes Falks Reise nach Jena und Weimar im Jahre 1794. Jena 1913. Einsiedel, Johannes: Kurzweiliger und lehrreicher Schulmeisterspiegel. Zum Nutzen und Vergnügen für Schullehrer in Stadt und Land, Professores und Inspektores, Schulräthe, Scholarchen und Cultusminister. München. Ewald, Clara: Johannes Falk. Zur Hundertjahr-Feier 1913. Weimar 1913. Falk, Johannes (Hrsg.): Aufruf, zunächst an die Landstände des Großherzogthums Weimar und sodann an das ganze deutsche Volk und dessen Fürsten, über eine der schauderhaftesten Lücken unserer Gesetzgebungen, die durch die traurige Verwechselung von Volkserziehung mit Volksunterricht entstanden ist. Leipzig 1818. Falk, Johannes: Auserlesene Werke. In drei Teilen. Hrsg. von Adolf Wagner. Leipzig 1819. Falk, Johannes: Das Spinnrad, ein Mittel zur Seelenrettung armer Mädchen, in: Johannes Falk. Pädagogische Schriften. Bearb. von Ernst Schering (= Kleine Pädagogische Texte; 40). Weinheim und Berlin 1967. Falk, Johannes: Das Vater unser, in Begleitung von Evangelien und uralten christlichen Chorälen. Wie solches in der Weimarischen Sonntagsschule mit den Kindern gesungen wird, durchsprochen und gelebt wird. Im Anhange eine kurze Geschichte der Anstalt der Freunde in der Noth zu Weimar. Weimar 1822. Falk, Johannes: Der allgemeine christliche Glaube mit Chorälen und Kupfern, wie solcher im Luthershofe zu Weimar mit den Zöglingen der Freunde in der Noth gesungen und volksmäßig durchsprochen wird. Weimar 1826. Falk, Johannes: Der Mensch. Eine Satyre. Frei nach Boileau. Leipzig 1795. Falk, Johannes: Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel. Hrsg. von Paul Saupe. Berlin 1988. Falk, Johannes: Erinnerungsblätter aus Briefen und Tagebüchern. Gesammelt von dessen Tochter Rosalie Falk. Weimar 1868. Falk, Johannes: Erstes Sendschreiben über die Goethe’sche Farbenlehre, in: Morgenblatt für gebildete Stände (1810).

Quellen- und Literatur

445

Falk, Johannes: Geheimes Tagebuch. 1818–1826. Hrsg. von Ernst Schering unter Mitwirkung von Georg Mlynek. Stuttgart 1964. Falk, Johannes: Geheimes Tagebuch von Johannes Falk oder Mein Leben vor Gott. Erster Teil 1818–1820. Hrsg. von Siegmar Schultze, Halle 1898. Falk, Johannes: Geheimes Tagebuch von Johannes Falk oder Mein Leben vor Gott. Zweiter Teil 1821–1822. Hrsg. von Siegmar Schultze, Halle 1900. Falk, Johannes: Gerichtlich bestätigte Bestimmung des Hauses, Weimar 6. Juli 1822, in: Falk: Glaube. Falk, Johannes: Gespräch eines Hausvaters mit seinen Kindern, in: Ders.: Erziehungsschriften. Hrsg. von Rudolf Eckart. Halle 1913, S. 162–192. Falk, Johannes: Goethe aus näherem persönlichen Umgange dargestellt. Ein nachgelassenes Werk. Berlin 1911. Falk, Johannes: Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Mit einer Einführung von Gerhard Heufert. Weimar 2010. Falk, Johannes: Johanneum für zwölf junge christliche Landschullehrer, in: Johannes Falk. Pädagogische Schriften. Bearb. von Ernst Schering (= Kleine Pädagogische Texte; 40). Weinheim und Berlin 1967. Falk, Johannes: Kriegsbüchlein Nr. 1. Darstellung der Kriegsdrangsale Weimar’s in dem Zeitraum von 1806 bis 1813, nach den Schlachten von Jena, Lützen und Leipzig. Aus Actenstücken und Original Briefen einiger deutschen Männer an ihre Freunde in England gesammelt. Weimar 1815. Falk, Johannes: Leben, wunderbare Reise und Irrfahrten des Johannes von der Ostsee. Tübingen 1805. Falk, Johannes: Reformen Österreichs im Kriegsfach, in: JALZ, Nr. 62 13. März 1804. Falk, Johannes: Von dem einen, was unsern Gymnasien und Volksschulen in ihrem jetzigen Zustande Noth thut, in: Johannes Falk. Pädagogische Schriften. Bearb. von Ernst Schering (= Kleine Pädagogische Texte; 40). Weinheim und Berlin 1967. Falk, Johannes: Vorrede. An die Erzieher des neunzehnten Jahrhunderts, in: Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire 7 (1803). Falk, Johannes an Karl Morgenstern, 27. September 1795, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1. 1749–1805. München 1998.

446

Verzeichnisse

Fe´nelon, Franc¸ois de Salignac de la Mothe: Die Erziehung der Töchter (= De l’ e´ducation des filles). Lübeck 1735. Fe´nelon, Franc¸ois de Salignac de la Mothe: Explication des maximes des Saints sur la vie interieure. Amsterdam 1698. Fouque´, Friedrich de La Motte: Fahrten des Thiodolfs des Isländers. Hamburg 1815. Friedländer, E. D.: Art. »Arbeit«, in: Staats-Lexikon Bd. 1, S. 644–651. Fürstliche Sachsen-Weimarische Gymnasien- und Schulordnung. Weimar 1733. Gesetzliche Bestimmungen für das patriotische Institut der Frauenvereine in dem Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach. Weimar 1817. Gesky, Franz David: Weimar von unten betrachtet. Bruchstücke einer Chronik zwischen 1806 und 1835 aufgezeichnet von Franz David Gesky. Hrsg. von Hubert Erzmann und Rainer Wagner. Jena 1997. Goethe, Johann Wolfgang von: Die Schriften zur Naturwissenschaft. Hrsg. im Auftrage der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Zweite Abteilung. Ergänzungen und Erläuterungen Bd. 4. Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil und Tafeln. Weimar 1973. Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Nebst einem Hefte mit sechzehn Kupfertafeln. Tübingen 1810. Goethe, Johann Wolfgang von an Heinrich Carl Abraham Eichstädt, [Weimar 22. September 1803], in: WA 4. Abt. Bd. 16, Nr. 4728. Goethe, Johann Wolfgang von an Johannes Falk, Weimar 16. März 1798, in: WA 4. Abt. Bd. 13, Nr. 3754. Goethes amtliche Schriften. Veröffentlichung des Staatsarchivs Weimar. 2. Band. Die Schriften der Jahre 1788–1819. Goethes Tätigkeit im Geheimen Consilium. 2. Halbband 1789–1819. Bearb. von Helma Dahl. Weimar 1970. Goethes Briefwechsel mit seiner Frau. Hrsg. von Hans Gerhard Gräf. 2. Bd. 1807–1816, Frankfurt am Main 1916. Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 3. Erster Teil 1817–1825. München 1998, S. 820. Goethes Gespräche. Gesamtausgabe. Hrsg. von Flodoard Freiherr von Biedermann. Bd. 3. Leipzig 1910, S. 223. Goullon, Johanna le: Der Führer durch Weimar und dessen Umgebung. Zum Nutzen der anwesenden Fremden und zur angenehmen Rückerinnerung für alle die, welche einst hier waren. Weimar 1825.

Quellen- und Literatur

447

Gräbner, Karl: Die Großherzogliche Haupt- und Residenz-Stadt Weimar. Nach ihrer Geschichte und ihren gegenwärtigen gesammten Verhältnissen dargestellt. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde. Erfurt 1830. Gräfe, Heinrich: Nachrichten von wohlthätigen Frauenvereinen in Deutschland. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts. Kassel 1844. Grosse, Ernst Ludwig: Graf Gordo. Trauerspiel. Hannover 1822. Günther, Wilhelm Christoph: Die Waisen im Großherzogthum Sachsen-Weimar. Geschichte der Versorgungsanstalt der Waisen durch Privaterziehung in Familien, nebst ihrem Erfolg binnen vierzig Jahren. Weimar 1825. Heidberg, Peter Andreas Heibergs an Knud Lyhne Rahbek, o. O. 2. Juli 1802, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998. Heine, Heinrich, Berlin 16. März 1822, in: Rheinisch-Westfälischer Anzeiger, Beilage Nr. 18 (1822), Sp. 276–282. Helmrich, Karl: Geschichte des Großherzogthums Sachsen-WeimarEisenach für Schule und Haus. Weimar 1852. Henss, Adam: Die Stadt Weimar, ihr Communenwesen und ihre städtischen Institute. Weimar 1837. Hercher, Karl Wilhelm: Die Gesetze und Verordnungen welche das Volksschulwesen im Großherzogthum S. Weimar-Eisenach betreffen und noch in Kraft sind. Jena 1845. Herder, Johann Gottfried: Briefe. 7. Bd. Januar 1793–Dezember 1798. Bearb. von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Weimar 1982. Herder, Johann Gottfried: Briefe. 8. Bd. Januar 1799–November 1803. Bearb. von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Weimar 1984. Houben, Heinrich Hubert: Eckermanns erster Brief aus Weimar, in: Goethe-Kalender 28 (1935), S. 231–240. Hübner, Lorenz: Beschreibung der kurbaierischen Haupt- und Residenzstadt München und ihrer Umgebungen, verbunden mit ihrer Geschichte. Zweite Abtheilung. Statistik. München 1805. Jahres-Bericht über den Zustand der männlichen, wie auch der weiblichen Feyertags-Schule in München. München den 7.9.1817. Knapp, Albert M.: Sammlung der bestehenden Verordnungen für den evangelisch-deutschen Schulstand Würtembergs und die damit verbundenen Volks-Bildungs-Anstalten. Tübingen 1828.

448

Verzeichnisse

Krünitz, Johann Georg: Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft. 242 Bände. Berlin 1773–1858 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/). Lauckhard, Carl Friedrich: Johannes Falk, in: Duller, Eduard (Hrsg.): Männer des Volks dargestellt von Freunden des Volks. Bd. 3 Frankfurt am Main 1847, S. 237–252. Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Leipzig und Winterthur 1775–1778. Lette, W. A.: Art. »Handwerk«, in: Staats-Lexikon Bd. 7, S. 418–422. Lipsius, Carl Heinrich Adalbert: Art. »Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rost«, in: Neuer Nekrolog der Deutschen 13 (1837), S. 169–181. Ludecus, Johann August: Aus Goethes Leben, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998, S. 956f. Morgenlied einer frommen Magd, in: Rochow, Friedrich Eberhard von: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen. 2. Teil Frankfurt am Main 1779. Müller, August: Geschichtliche Übersicht der Schicksale und Veränderungen des Großherzogl. Sächs. Militairs während der glorreichen Regierung Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs Carl August zur ehrerbietigsten Feyer Höchst Dessen funfzigsten Regierungs-Festes. Weimar 1825. Oehlenschläger, Adam Gottlob: Meine Lebens-Erinnerungen 1850, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 2 1805–1817. München 1998. Rechenschafts-Bericht über die Wirksamkeit der Allgemeinen WaisenVersorgungs-Anstalt des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach und des Falk’schen Instituts zu Weimar. Weimar 1863. Reinsberg-Düringsfeld, Otto Freiherr von: Die Frau im Sprichwort. Leipzig 1862. Reisebericht Karl Morgensterns, 30. April 1798, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 1 1749–1805. München 1998. S. 694.

Quellen- und Literatur

449

Riemer, Friedrich Wilhelm: Mitteilungen über Goethe. Auf Grund der Ausgabe von 1841 und des handschriftlichen Nachlasses hrsg. von Arthur Pollmer. Leipzig 1921. Rochow, Friedrich Eberhard von: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch für den Gebrauch in Landschulen. 2 Teile. Frankfurt am Main 1778/79. Rotermund, Heinrich Wilhelm: Art. »Renner, (Theobald)«, in: Ders. (Hrsg.): Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben. Nebst Nachrichten von gebohrnen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten. 2. Theil, Bremen 1818, S. XCIX. Salzmann, Christian Gotthilf: Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher. Schnepfenthal 1806. Schardt, Sophie von an Karl von Stein, Weimar 23. bis 26. März 1815, in: Fleischer, Horst (Hrsg.): Napoleon oder Das Welttheater kommt nach Thüringen (= Kleine kulturgeschichtliche Reihe; 4). Kranichfeld 2002, S. 327–330. Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe. Bd. 3. Schriften aus der Berliner Zeit. Hrsg. von Günter Meckenstock. Berlin 1988. Schmidt, Heinrich Karl Philipp: Geschichte und Topographie der Königl. Preussischen Residenzstadt Potsdam. Potsdam 1825. Schopenhauer, Johanna Schopenhauers an Arthur Schopenhauer, 19. Oktober 1806, in: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hrsg. von Wolfgang Herwig. Bd. 2 1805–1817. München 1998. Schütze, Stephan: Johannes Falk, in: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode. Heft 21. Februar 1826, S. 113–116. Schultze, Siegmar: Falk und Goethe. Ihre Beziehung zu einander nach neuen handschriftlichen Quellen. Halle 1900. Schwabe, Johann Friedrich Heinrich: Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts sittlich verwahrloster und verlassener Kinder in Beschreibung einer diesem Zwecke gewidmeten Anstalt. Eisleben 1833. Schwabe, Johann Friedrich Heinrich: Jahres-Bericht ueber den Zustand des Großherzoglichen Saechs. Waisen-Instituts und der damit verbundenen Erziehungsanstalt für verlassene und sittlich-verwahrloste Kinder ingleichen des Landschulfonds und der Versorgungs-Anstalten fuer Pfarr- und Schullehrer-Wittwen im Verwaltungsbereiche des Oberconsistoriums zu Weimar. Weimar 1829. Sydow, Friedrich von: Herrschaft und Gesinde. Weimar 1844.

450

Verzeichnisse

Triest, L.: Art. »Jugendliche Verbrecher«, in: Staats-Lexikon Bd. 8, S. 675–688. Türk, Wilhelm von: Über die Vorsorge für Waisen, Arme und Nothleidende. Berlin 1839. Verhandlungen des zu Weimar am 9. März 1823 und am 25. May 1823 geendigten dritten Landtags im Großherzogthume Sachsen-WeimarEisenach. Hrsg. von den dazu beauftragten Landtags-Mitgliedern. Weimar 1823, S. 85–99. Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke. Der Stifter und sein Werk. Bearb. von Paul Raabe unter Mitw. von Hannelore Ruhle und Elke Stateczny. Ausstellung im Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen vom 21. März 1998 bis 31. Januar 1999. Halle 1998. Wagner, Adolph (Hrsg.): Johannes Falks Liebe, Leben und Leiden in Gott. Zu Luthers Gedächnis. Hrsg. von einem seiner Freunde und Verehrer im Jahre unseres Herrn 1817. Altenburg 1817. Welcker; Rotteck: Art. »Geschlechtsverhältnisse«, in: Staats-Lexikon Bd. 6, S. 434–447. Wichern, Johann Hinrich: Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder (1833), in: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 4. Teil 1. Die Schriften zur Sozialpädagogik. Hrsg. von Peter Meinhold. Berlin 1958, S. 47–95. Wit, Johannes: Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit. Bd. 1. Leipzig 1830.

2.3 Zeitschriften und Periodika Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für gebildete Stände in zwölf Bänden (Conversations-Lexikon). Leipzig 1833–1837. Allgemeines Repertorium der neuesten in- und ausländischen Literatur für 1826. Allgemeine Thüringische Vaterlandskunde. Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung. Bericht der Gesellschaft der Freunde in der Not 1–10 (1816–1829). Blätter für literarische Unterhaltung. Christliche Kinderfreund. Der Bayerische Landbote. Der Kinderfreund. Der Neue Teutsche Merkur. Deutsche Revue.

Quellen- und Literatur

451

Elbinger Anzeiger. Elysium und Tartarus. Eine Zeitung für Poesie, Kunst und neuere Zeitgeschichte. Weimar 1806. Frankfurter Konversationsblatt. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt. Herzogl. Sachsen-Coburg Saalfeldisches Regierungs- und Intelligenzblatt. Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung. Justiz-, Kameral- und PolizeiFama. Kinderfreund aus Schnepfenthal. National-Zeitung der Deutschen. Neuer Kinderfreund. Neuer Nekrolog der Deutschen. Polytechnisches Journal. Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire. Weimarische Zeitung. Weimarisches Wochenblatt. 2.4 Literatur Abel, Wilhelm: Die Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (= Deutsche Agrargeschichte; 3). Stuttgart 1978. Abrams, Lynn / Harvey, Elizabeth: Introduction. Gender and Gender Relations in German History, in: Dies. (Hrsg.): Gender Relations in German History. Power, Agency and Experience of the Sixteenth to the Twentieth Century. London 1996, S. 1–37. Ackermann, Astrid: Art. »Caroline Louise (Luise) Friederike Marezoll (1792–1867)«, in: Freyer / Horn / Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten, S. 234–238. Aderbauer, Herbert: Das landstädtische Spital in der frühen Neuzeit und die Entwicklung seiner sozialen Funktion am Beispiel Tübingen, in: Johanek, Peter (Hrsg.): Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800 (= Städteforschung; 50). Köln, Weimar und Wien 2000, S. 151–179. Albisetti, James C.: Deutsche Lehrerinnen im 19. Jahrhundert im internationalen Vergleich, in: Jacobi, Juliane (Hrsg.): Frauen zwischen Familie und Schule. Professionalisierungsstrategien bürgerlicher Frauen im internationalen Vergleich (= Studien und Dokumentationen zur vergleichenden Bildungsforschung; 55). Köln, Weimar und Wien 1994.

452

Verzeichnisse

Albrecht, Peter: Fürsorge und Wohlfahrtswesen, in: Berg, Christa (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 3: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches. München 1987, S. 421–483. Alt, Peter-Andre´: Klassische Endspiele. Das Theater Goethes und Schillers. Ulm 2008. Antoni-Komar, Irene: »Die Ohren ganz nackt und frey.« Zur Rezeption der Frisur a` la Titus am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Janecke, Christian (Hrsg.): Haar tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Köln, Weimar und Wien 2004. Arie`s, Philippe: Geschichte der Kindheit. München und Wien 1975. Assmann, Klaus / Stavenhagen, Gerhard: Handwerkereinkommen am Vorabend der industriellen Revolution. Materialien aus dem Raum Braunschweig-Wolfenbüttel (= Göttinger handwerkswirtschaftliche Studien; 15). Göttingen 1969. Austermann, Simone: Die »Allgemeine Revision«. Pädagogische Theorieentwicklung im 18. Jahrhundert (= Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft; 32). Bad Heilbronn 2010. Badinter, Elisabeth: Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute. München 1984. Barth-Scalmani, Gunda: Geschlecht: weiblich, Stand: ledig, Beruf: Lehrerin. Grundzüge der Professionalisierung des weiblichen Lehrberufs im Primarschulbereich in Österreich bis zum Ersten Weltkrieg, in: Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hrsg.): Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert (= L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft; 2). Köln, Weimar und Wien 1995. Bartsch, Robert: Karitative und soziale Fürsorge, in: Polligkeit, Wilhelm / Scherpner, Hans / Webler, Heinrich (Hrsg.): Fürsorge als persönliche Hilfe. Festgabe für Prof. Dr. Christian Jasper Klumker zum 60. Geburtstag am 22. Dezember 1928. Berlin 1929, S. 25–31. Baumer, Matthias: Private und nichtstaatliche Armenfürsorge in der Berner Landgemeinde Worb im 19. Jahrhundert (= BFR; 4). Nordhausen 2004. Beck, Rainer: Unterfinning. Ländliche Welt vor dem Anbruch der Moderne. München 1993. Benninghaus, Christiana: Verschlungene Pfade – Auf dem Weg zu einer Geschlechtergeschichte der Jugend, in: Dies. / Kohtz, Kerstin (Hrsg.): »Sag mir, wo die Mädchen sind...« Beiträge zur Geschlechtergeschichte der Jugend. Köln, Weimar und Wien 1999, S. 9–32.

Quellen- und Literatur

453

Benrath, Gustav Adolf: Mut zu Taten der Liebe! Johannes Daniel Falk (1768–1826) in Weimar. Weimar 2001. Berg, Carsten: Gottesdienst mit Kindern. Von der Sonntagsschule zum Kindergottesdienst. Gütersloh 1987. Berger, Joachim: Die Medienfürstin. Höfische Repräsentation im »bürgerlichen« Jahrhundert, in: »Ihre Kaiserliche Hoheit«. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schloßmuseum. Hrsg. von der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. 2. Teil. München und Berlin 2004. Blaschke, Olaf: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000). Blecher, Jens: »Der Beruf der Frauen ist allein das Werk der Liebe«. Weibliche Religiosität und Wohltätigkeit in Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Schötz, Susanne (Hrsg.): Frauenalltag in Leipzig. Weibliche Lebenszusammenhänge im 19. und 20. Jahrhundert (= Geschichte und Politik in Sachsen; 4). Weimar, Köln und Wien 1997, S. 181–206. Bleeke, Markus: Ehe- und Familienrecht zwischen protestantischem Territorialstaat und universellem katholischen Kirchenrecht. Ein Beitrag zur Etablierung des Katholizismus in Sachsen-Weimar-Eisenach, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 163–186. Böhm, Albert: Die Jenaer »Schulweiber« im 17. Jahrhundert, in: Das Thüringer Fähnlein. Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat 7 (1938), Heft 1, S. 1–6. Bojanowski, Eleonore von: Louise. Großherzogin von Sachsen-Weimar und ihre Beziehungen zu den Zeitgenossen. Nach grösstenteils unveröffentlichten Briefen und Niederschriften. Stuttgart und Berlin 1905. Bojanowski, Paul von: Großherzogin Maria Paulowna und die Tätigkeit der Frauen in der Wohlfahrtspflege, in: Deutsche Rundschau 31 (1904), S. 196–216. Borcherdt, Hans Heinrich: Art. »Johann Peter Eckermann«, in: NDB Bd. 4, S. 289–290. Brohm, Ulrich: Die Handwerkspolitik Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (= Göttinger Beiträge zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte; 21). Stuttgart 1999. Brosius, Dieter: Die Industriestadt. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des I. Weltkriegs, in: Mlynek, Klaus / Röhrbein, Waldemar R. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Hannover. Bd. 2. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Hannover 1994, S. 273–403. Bruford, Walter H.: Die gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit (= Literatur und Leben. Lebensformen/Menschengestaltung/Soziologie des Schrifttums; 9). Weimar 1936.

454

Verzeichnisse

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Verzeichnisse

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Quellen- und Literatur

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Verzeichnisse

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Quellen- und Literatur

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Quellen- und Literatur

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Verzeichnisse

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Verzeichnisse

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Quellen- und Literatur

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Verzeichnisse

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Quellen- und Literatur

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Quellen- und Literatur

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Verzeichnisse

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Quellen- und Literatur

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Verzeichnisse

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Verzeichnisse

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493

Orte

3. Ortsverzeichnis Nachfolgend sind bis auf Weimar alle Orte verzeichnet, die im Text Erwähnung fanden. Orte aus Fußnoten wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie nicht bereits im Haupttext erwähnt wurden. Amerika 202f., 417 Apolda 41, 50f., 81, 164f., 203, 225, 252, 276 Bad Kösen 139 Belvedere 92, 236, 353, 410 Berka 178 Berlin 24, 123, 134, 246, 274, 350, 373, 405, 411, 417, 423 Beuggen 408 Blankenburg 252 Blankenhain 142, 242f. Bremen 179, 203 Brunnhartshausen 177, 397 Bürgel 156, 183, 185, 258 Buttelstedt 225 Buttstädt 152, 235, 270, 324 Camburg 206 Celle 240 Coburg 262 Daasdorf 305, 308 Danzig 58, 98, 367–369, 371f., 380, 424 Dessau 405 Dresden 139, 236, 273, 320, 405 Düsseldorf 33 Eckstedt 224 Eisenach 27, 44, 49, 53, 124, 134, 141, 166f., 173, 181, 200, 204–211, 220, 309, 311, 317, 325f., 355, 357f., 414

Eisleben 236 Elba 258 England 96, 203, 247, 298 Erfurt 139, 169, 172, 199, 206f., 239, 259, 425 Ettersburg 196, 421 Europa 59, 75, 85, 96, 257 Frankreich 43, 115, 247 Fulda 139, 220 Gaberndorf 158, 328 Geisa 116, 140, 225, 292 Gelnhausen 383 Gloucester 202 Gotha 213, 242, 325 Göttingen 266, 381 Greifswald 405f. Großrudestedt 189, 245 Halberstadt 272, 426 Halle 33, 131, 182, 185, 188, 256, 367, 372, 375, 380–382 Hamburg 110, 139, 179, 202f., 216, 249, 380 Hanau 383 Hannover 265f., 268f. Hardisleben 119, 277f., 282, 299 Haßleben 164, 203 Heichelheim 311 Hofwyl 408 Holland 406 Hottelstedt 329

494 Ilmenau 27, 40, 62, 122–129, 149, 206, 226, 228, 346, 348 Isseroda 246, 280 Isserstedt 248, 336 Jena 18f., 27, 32, 43, 49, 75f., 107–109, 115, 119, 124f., 134, 156, 166, 170f., 181, 186, 194, 206-f., 232, 241f., 245f., 311, 316, 323–326, 359, 380–382, 414, 422, 424 Kirchheim unter Teck 395, 409 Kopenhagen 179 Krautheim 153, 247, 331 Langensalza 411 Lauterburg 408 Leipzig 33, 139, 160f., 222, 240, 258, 300, 312, 318f., 323, 378, 422 Lobeda 124 London 96, 98 Lübeck 179f. Magdeburg 179, 252 Markvippach 336 Meiningen 120, 213 Merseburg 139 München 90, 207 Naumburg 56, 109, 185, 244 Neidhartshausen 397f. Nordhausen 252 Oberndorf 181, 246 Oberwiederstedt 142 Olbersleben 246 Oßmannstedt 57, 338

Verzeichnisse

Ottstedt am Berge 173f. Paris 258, 377 Prenzlau 139 Preußen 91, 95, 139, 260, 317, 337 Quedlinburg 139, 252 Ramsla 249, 340 Rastenberg 224 Remda 225, 228, 247 Russland 108, 112 Salzburg 313 Sankt Pölten 319 Schnepfenthal 186 Schweiz 407f. Schwerstedt 328 Stadtlengsfeld 398 Stadtsulza 206, 225, 228f., 286, 299f., 320 Stettin 405 Stralsund 405 Tiefurt 196 Tonndorf 196 Trages 383 Troistedt 156 Tübingen 33, 408 Umpferstedt 259, 312, 337 Utrecht 407 Wechselburg 416, 418f., 423, 426f. Weilar 309 Weilheim 408 Wetzlar 139 Wiegendorf 57 Wien 85, 140, 319f., 350, 389

Orte

Wiesbaden 32 Wilhelmsthal 414 Winzerhausen 409 Wittenberg 405

495 Wormstedt 365 Württemberg 90, 203, 207, 395f., 408 Würzburg 143, 251, 411f., 415

496

Verzeichnisse

4. Personenverzeichnis Nachfolgend sind bis auf Johannes Falk alle Personen verzeichnet, die im Text Erwähnung fanden. Personen aus Fußnoten wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie nicht bereits im Haupttext erwähnt wurden. Rufnamen sind gesperrt. Abel, Karl 236 Ackermann, Rudolf 98 Albert, Elisabeth 312 Andlaw-Birseck, Familie 43 Apfelstedt, Johann Heinrich 258 Appelius, Carl Julius Emil 309–311 Arndt, Johann 369 Arnim, Carl Joachim ( A c h i m ) Friedrich Ludwig von 388 Asverus, Ludwig Christoph F e r d i n a n d 170f. Aulhorn, August Ludwig 324 Aulhorn, Johann Robert Constantin 324–326 Ausfeld, Johann Wilhelm 292 Bachmann, Helena Friederika Charlotta 272 Bachmann, Ulrike Amalia Sophie 272 Bahnmaier, Jonathan Friedrich 409 Bank, Johann Andreas 247 Bank, Zögling 357 Barthel, Friederike 298 Barthel, Fritz 153 Barthel, Maria 298 Batsch, August Johann Georg C a r l 296 Batsch, Sophia Carolina A m a l i e , geb. Pfündel 296f.

Bauer, Johanne 309f. Bauer, Juliana 309–311 Baumbach, Sophie von 94 Baumgarten, Johann Gottfried 336 Baur, Wilhelm 397 Beaulieu-Marconnay, H e n r i e t t e Sophie Franziska Friederike Albertine von, geb. von und zu Egloffstein, gesch. Gräfin von und zu Egloffstein 116 Bechtolsheim, Juliane ( J u l i e ) Auguste Christiane von Mauchenheim genannt [B.], geb. von Keller 91 Becker, Johann Gottlob 204 Benzgen, Sophia Maria 289 Bernhardt, Ernst 405 Bernstorff, Charitas Emilie Gräfin von, geb. von Buchwald 97 Bertram, Johann August 258 Bertuch, Friederike Elisabeth C a r o l i n e , geb. Slevo(i)gt 386 Bertuch, F r i e d r i c h Johann J u s t i n 19, 59, 80, 235, 296, 386, 415, 435 Beust, Carl Leopold Graf von 98 Beust, Friederike Caroline Gräfin von, geb. von Reitzenstein 92, 187–189, 192, 194f., 197, 199, 208, 266, 357 Beyer, Zögling 246

Personen

Biernstiel, Christian 209 Biernstiel, Zögling 246 Binzer, August Daniel von 181 Birke, Handwerksmeister 167 Blochmann, Carl 405 Bluhme, Johann Ernst 187f. Böhm, Rosina 298 Böhse, Karl Wilhelm 247 Böttiger, Carl August 92 Böttiger, Geschwister 225 Boileau-Despre´aux, Nicolas 381 Bonaparte (Buonaparte), Napoleon 43, 52f., 59, 89, 112, 114f., 135, 143, 155, 235, 258, 316, 433, 435 Born, Friedrich August 164 Boßky, Johanna Friederike 155 Boßky, Maria Wilhelmine 155 Braune, Tobias 279 Brendel, Bedürftiger 332 Brentano, C l e m e n s Wenzel (Wenzeslaus) Maria 383f. Broeder, Christian Gottlieb 403 Bröder, Zögling 293 Brückner, Heinrich Karl 369 Brückner, Johann Georg 258f. Brühl, Zögling 181f. Bruhl, Louise 120 Buckner, Georg Wilhelm 170 Büchner, August 155f. Büttner, Friedrich Carl 100 Büttner, Friedrich Christian August 100 Busche, Sophie von dem 109, 244 Campe, Joachim Heinrich 375 Collmann, Carl Ludwig 120 Creutzburg, Johanna Friederike 270

497 Creutzburg, Johann Caspar 270 Denner, Anna Barbara 400f. Denner, Georg 41 Denner, Johannes 390, 395–410, 428–430, 435 Denner, Johann Georg 398, 401 Denner, Sophie, geb. Vögelen 409, 429 Döring, H e i n r i c h Johann Michael 98, 379, 393, 424f. Eberhard, Johanne Wilhelmine Pauline 106 Eberhardt, Anna Dorothea Friederica, geb. Heusinger 106 Eberhardt, Johann F r i e d r i c h Günter 106 Eberwein, Franz C a r l Adalbert 222 Eckardt, Theodor 204 Eckermann, Johann Peter 266f., 272f. Edling, Albert Cajetan Graf von 99 Egloffstein (E. auf Lamgarben und Arklitten), C a r o l i n e (Line) Henriette Gräfin von und zu 116 Ehricht, Johann Andreas Gottfried 236 Eichmann, Johann Heinrich 350 Eichstädt, Heinrich Carl Abraham 382 Einsiedel (E.-Scharfenstein), Friedrich Hildebrand von 99 Eisenach, Wilhelm Heinrich Gottlob 228f., 300 Eiser, Johann Heinrich Christoph 281

498 Elkan, Jakob 142 Eltner, Zögling 354 Engel, Christiane 236, 405 Engel, Johann Jakob 373 Engelhardt, Carl 292 Engelhardt, Johann Daniel Christian 53 Ewald, Clara 61 Exius, Magdalena, geb. Wiener 106 Exius, Samuel David Wendel 106 Falk, Adelaide Rosamunde C a e c i l i e 58f., 61, 147, 390 Falk, Angelika 414 Falk, A u g u s t Theodor 369 Falk, B e r n h a r d Johann Eduard 178, 419 Falk, Constantia, geb. Chailloux 368f., 371 Falk, David Wilhelm 369 Falk, E d m u n d Roderich 178, 186, 411f., 415, 424 Falk, Edmund R o d e r i c h 58–61, 147, 390, 419 Falk, Elisabeth Charlotte C a r o l i n e , geb. Rosenfeld 27, 169, 186, 188, 198f., 251, 345, 386, 407f., 410–412, 414–419, 421–424, 428f. Falk, Eugenie 58f., 61, 147, 390 Falk, G a b r i e l e Adelaide, verh. Sältzer 178, 411, 426f. Falk, G u i d o Adelbert 58f., 61, 147, 390, 419 Falk, Johann Daniel 367–369, 371 Falk, Paul E d u a r d 419, 421 Falk, Rosalie 27, 169, 395f., 407f., 410–412, 414–419, 421–430, 435f.

Verzeichnisse

Faselius, Johann Christian Wilhelm 59 Fellenberg, Philipp E m a n u e l von 177, 408 Fe´nelon, Franc¸ois de Salignac de La Mothe-[F.] 377 Fiedler, Seminarist 167f., 181, 246, 343, 357–358 Fischer, Charlotte 228 Fischer, Zögling 167 Fouque´, F r i e d r i c h Heinrich Carl de la Motte-[F.] 412 Francke, August Hermann 131, 375 Francke, August Wilhelm 252 Frank, Witwe 235, 289 Frenzel, Franz Christoph 220 Freytag, Zögling 152 Fritsch, Carl Wilhelm von 201 Fritsch, H e n r i e t t e Albertine Antonie von, geb. Wolffskeel von Reichenberg 227, 314 Fröhlich, Christian Gottlob 164, 203 Frommann, J o h a n n a Charlotte, geb. Wesselhöft 75 Frotscher, Carl Gottlob Ludwig 329 Fuchs, Seminarist 246 Funke, Carl 107 Gabriel, Michael 142 Gehrhard, Zögling 357 Geibel, Carl Philipp 253 Gellert, Christian Fürchtegott 87, 369 Gerber, August 152 Gerhard, Friedrich Gottlieb 334 Gerling, Johann Baptist ( J o h a n n e s ) 142

Personen

Gersdorff, Diana von, geb. Waldner von Freundstein, verw. Gräfin Rabe von Pappenheim 97, 106 Gersdorff, E r n s t Christian A u g u s t von 96f., 99, 106, 378 Gesky, Franz David 111 Gläser, Johann August Andreas 236 Gleim, Johann Wilhelm L u d w i g 383, 426 Göring, Johann Ernst Anton Gottfried 365 Goethe, Johann Wolfgang von 110, 113f., 251, 265, 267–269, 272f., 379, 382–391, 393, 397, 422–424 Goethe, Johanna Christiana ( C h r i s t i a n e ) Sophia von, geb. Vulpius 387 Goethe, Ottilie Wilhelmine Ernestine Henriette von, geb. von Pogwisch 226, 423 Götz, Zögling 357 Götze, Andreas 180, 184, 329 Gottschalk, Johann Friedrich 337 Goullon, J o h a n n a Christi(a)na Antonetta (Le), geb. Ortelli 94 Goullon, Rene´ Franc¸ois (Le) 99 Griesbach, Friederike Juliane, geb. Schütz 75 Grimm, Friedrich Christian 188 Grimm, W i l h e l m Carl 388 Grobe, Salomo 309f. Groß, Albert Joseph Ludwig Gabriel von 194 Großbritannien, Georg IV. König von 96 Große, Johann E r n s t Christian Ludwig (Ernst Ludwig) 266–268

499 Grüner, Joseph Sebastian 387 Gruner, Caroline Sophia Antonetta, geb. Aulhorn 324f. Gruner, Ludwig Gottlieb Friedrich 324f. Günther, August Andreas 359f. Günther, Wilhelm Christoph 48, 96, 378, 390 Günther, Zögling 252 Güntschel, Amalie 298 Güntschel, Louise 298 Hahnemann, Louise 257 Hamisch, Johann Christoph 50 Hand, F e r d i n a n d Gotthelf 378 Hardenberg, Georg Anton von 142 Hartmann, Carl Joseph 259 Harz, Amalia 224 Haubeil, Juliana Carolina Henrietta 332 Hauß, Charlotte 309 Heerdegen, Johann Friedrich 42, 83 Heiberg, Peter Andreas 384 Heidloff, Christiana 291 Heiland, Lehrerin 300 Heine, Johann Christian H e i n r i c h 134 Heinemann, Carl 259 Heinemann, Friederike 332 Heinemann, H. 245 Heinrich, Gerhard 215 Helbig, Carl Emil 378 Helldorff (Helldorf), C a r l Heinrich Anton von 99 Helvig, Anna Amalia ( A m a l i e ), geb. von Imhoff 251 Hemleb, Wilhelm Friedrich 105

500 Henning, Sekretär 120 Henß, Adam 52, 208 Hercher 155 Herder, Johann Gottfried von 80, 113, 214f., 222, 377, 383f., 389 Herder, Maria Carolina ( C a r o l i n e ) von, geb. Flachsland 383 Hergern, Caroline 252 Hertel, Zögling 246 Hertz, Johann Georg 214 Hess, Kupferstecher 236 Heusinger, Christiane Dorothea Wilhelmine 106 Heygendorff, Henriette C a r o l i n e Friederike von, geb. Jagemann 273 Heyland, Charlotte 286 Heyne, Christian Gottlob 381 Hippert, Caroline 285 Hoch, Friedrich 199 Höhne, Johann Georg Theobald 335 Hoffmann, Carl August 99 Hoffmann, Seminarist 164 Hofmann 125 Hohmann, Johannes 142 Holle, Gottlieb 330 Homer 251, 412 Hopffgarten, Sophie C a r o l i n e von, geb. von Fritsch 107f., 147 Horn, A. 141 Horn, Georg 183 Horn, Heinrich Carl Ernst 74, 103 Horn, Karl Friedrich 62, 64–66, 69, 74, 91f., 116, 147, 168, 172–174, 177, 203, 212, 214, 217f., 222, 378 Horny, Josepha, geb. Ortelli 94

Verzeichnisse

Hose (Hoße, Hosse), Christiane C h a r l o t t e Friederika Philippine 49 Hose (Hoße, Hosse), Johann H e i n r i c h 49 Hügel, Sekundaner 248 Hüttner, Johann Christian 423 Hufeland, Carl Friedrich Viktor 102 Hufeland, Gottlieb 380f. Humboldt, Friedrich W i l h e l m Christian Karl Ferdinand von 251 Huschke, Wilhelm Ernst Christian 98f. Ingbern, Rosina 225 Jacobi, Zögling 236 Jahn, Johann Friedrich 161 Jean Paul: s. Richter, Johann Paul Friedrich Jordan, Lotte 332 Jordan, Louise 332 Jordan, Zögling 293 Kaiser, Catharina 389 Kessler, Friedrich 280, 282 Kiesewetter, August 264–273, 352–354, 364 Kiesewetter, Carl Theodor 266 Kiesewetter, Christoph Gottfried 265 Kiesewetter, L. 268f., 273 Kirchner, Friedrich Gottlieb 177 Kirchner, Johann Friedrich 177–180 Kirms, Carl 102 Kirms, Franz 99

501

Personen

Kirsten, Elisabeth Katharina 144 Kleffel, Friedrich Ernst 261 Klimpert, Friedrich 337f. Klingel, Anna Josepha 116, 292f. Klöden, Carl Friedrich von 220 Knabe, Theodor 157 Knauer, Carl 331 Köhler, Carl 277f., 282 Köhler, Friedrich 169 König, Johann Gottlieb 279 Könitz, Anton Franz Friedrich von 261, 263, 351f. Könitz, Christiane von, geb. von der Tann 263 Könitz, Ferdinand von 261–263, 351f. Könneritz, H a n s Heinrich Graf von 99 Körte, Friedrich Heinrich W i l h e l m 425f. Kötschau, Johann Christoph 201 Kotzebue, A u g u s t Friedrich Ferdinand von 32 Krackow (Krakow), Erdmute Sophie ( C a r o l i n e ) 106 Kramer, Johann Nicolaus 158–160 Kranz, Johann Gottfried 279–282 Krause, Christiana 51, 286 Krause, Johann Heinrich 183–186, 209 Krause, Witwe 334 Krause, Zögling 246 Krippendorf, Bernhard 285 Krippendorf, Franz 41 Krünitz, Johann Georg 244 Kruse, J. J. 164 Kuhn, Bernhard Friedrich Rudolph 96 Kunze, Johann Gottlieb 171, 245

Kuppe, Schneiderlehrling 343 Labes, Gotthilf Gottfried Christian 340 Lairitz, Constantin 247f. Lairitz, Jonathan Friedrich 247 Lavater, Johann Caspar 402 Legrand, Johann Lukas 408 Leidenfrost, C a r l Gottlieb F l o r e n t i n 193f., 421 Leidenfrost, Sophie Wilhelmine C h a r l o t t e , geb. de Beaux 193f., 199, 357 Lenz, Christian Ludwig 378 Lenz, Jakob Michael Reinhold 113 Leo, C a r l Friedrich 268, 272 Lessing, Gotthold Ephraim 369, 401 Limburger, Jakob Bernhard 318 Limpert, Johannes 141 Löbel, Wilhelmine 194 Löwe, Christian August 50 Löwe, Johanna Wilhelmine 50f. Lorbeer, Ernestine 285 Lorbeer, Zögling 357 Lossius, Johann Friedrich 153, 187, 331 Ludecus, Johann W i l h e l m Carl 44, 324–326 Ludecus, Johanna C a r o l i n e Amalie, geb. Kotzebue 226, 228, 303 Luther, G. 354 Luther, Martin 153, 185, 216, 330 Mack, Carl 121 Majewski, Samuel Ludwig 369, 371–373

502 Mangner, Henrietta Dorothea Eleonora, geb. Cornicelius 313 Marezoll, Caroline L o u i s e Friederike 75, 108f. Marschall, Johann Christian 338 Martin, Susanne Marianne L o u i s e 92 Martini, Wohltäterin 296 Matthäi, Anna Maria 304 Matthäi, Christiana 169 Matthei, Friedrich 161 Maul, Friedrich Andreas 204 May, Carl Wilhelm Christian 309 Meissner, Maria Sophie 224 Melos, Johann Gottfried 200, 220, 222 Melos, Justina W i l h e l m i n a , geb. Baumann 200, 424 Menge, Gottlob Friedrich 113 Mereau, S o p h i e Friederike, geb. Schubart, später verh. Brentano 251 Merkel, Dankegott 292 Merz, Heinrich 396 Mey, Amalie 317–321 Mey, Johann Heinrich 317 Meyer, Johann H e i n r i c h 53 Meyer, Rosine Marie, geb. Weidner 49 Michaeli, Zögling 349 Morgenstern, Johann Simon K a r l 385 Moritz, Karl Philipp 251 Mottet, Amalie von 320 Motz, P h i l i p p Wilhelm von 329 Mounier, Claude Philibert (Philippe) E d o u a r d 410 Mounier, Jean Joseph 49, 92, 410 Müffling genannt Weiß, Philipp Friedrich C a r l Ferdinand von 85

Verzeichnisse

Mühle, Susanna Louise 224 Müller, August Wilhelm Friedrich A d a l b e r t Gottlob von 411 Müller, Eduard 323 Müller, F r i e d r i c h Theodor Adam Heinrich von 56, 91, 411, 423f. Napoleon: s. Bonaparte (Buonaparte) Naumann, Carl 256 Nebe, Johann August 210 Netz, Zögling 181 Neumann, Johann A n t o n 281f. Niemeyer, August Hermann 289, 372, 375 Nösselt, Johann August 372 Obstfelder, Johann Georg 158 Oncken, Johann Gerhard 202 Ortelli, Wilhelm Andreas Franz 104 Ortmann, Julie 157 Otto, P h i l i p p Christian 32f. Pabst, Georg Friedrich 336 Paul, Seminarist 246 Paulus 406 Pause, Johann Heinrich 178f., 344f. Pestalozzi, Johann Heinrich 177 Petri, Hannah 157 Peucer, Heinrich Carl F r i e d r i c h 102, 211, 378 Pfeifer, Rosina 154 Pfeiffer, Albrecht Heinrich 246, 249–252 Pfeiffer, Katharina 249

Personen

Pfeiffer, Zögling 357 Pogwisch, H e n r i e t t e Ottilie Ulrike von, geb. Gräfin Henckel von Donnersmarck 92 Preller, Zögling 259f. Preußen, Friedrich Wilhelm Heinrich A u g u s t Prinz von 411 Preußen, Friedrich Wilhelm III. König von 114f. Preußen, Luise Auguste Wilhelmine Amalie Königin von, geb. Prinzessin von MecklenburgStrelitz 114f., 118, 122, 435 Prillwitz, K l a r a Auguste Luise von, verh. von Arnim 411 Prillwitz, Louise Auguste Elisabeth ( E l i s e ), verh. von Arnim 411 Püschel, Gotthilf 328 Quensel, Geschwister 224 Quesnay, Franc¸ois 230 Rahbek, Knud Lyhne 384 Raikes, Robert 202f., 207 Reimann, Johann A u g u s t 324 Reineck, Christiane 320 Reineck, Christian Theodor Hieronymus 338 Reinthaler, C a r l Christian Wilhelm 169, 424f. Reite, Johann Heinrich 204 Reitzenstein, Christiane Henriette ( T i n e t t e ) von 91, 187–189, 192, 194f., 197, 199, 208, 357 Reitzenstein, Margaretha F a n n y Franziska von, geb. von Kaufmann 120, 373

503 Remde, Johann Christian 297 Rempt, Johann Christian 306, 309 Renner, Theobald 242 Rettner, Johann Georg 27, 62f., 65, 133, 147, 169, 182, 198, 355, 422 Richter, Johann Paul Friedrich (genannt Jean Paul) 373 Ridel (Riedel), Kornelius Johann Rudolf 99 Riemer, Friedrich Wilhelm 144 Rieth 125 Rochow, Friedrich Eberhard von 292 Rommerdt, Carl Christian 242 Rosenfeld, Carl Friedrich 305, 308 Rosenfeld, Carl Friedrich ( F r i t z ) Heinrich Mathaeus 241 Rosenfeld, Caroline Caterine Judith E l i s a b e t h Theodore, geb. Janssen 123 Rosenfeld, Wilhelmine 305, 308 Rost, Friederike 165 Rost, F r i e d r i c h W i l h e l m Ehrenfried 160f. Rost, Johann Friedrich 246f. Rost, Michael 90, 168 Rost, Theodor Wilhelm 160–162, 264 Rotteck, C a r l Wenzeslaus Rodeckher von 262 Rousseau, Jean Jacques 43 Rudloff, Johann Bernhard 166 Rudloff, Maria Friederike, geb. Meißner 166f. Rühlmann (Rühlemann), Johann August Bernhard 99 Rußland, Maria Fjodorowna Zarin von, geb. Prinzessin Sophie

504 Dorothea Augusta Louise von Württemberg 120 Saal, Ernst Bernhard 277, 282 Saal, Michael 163f., 335 Sachsen-Weimar, Ernst August I. Herzog von 213, 389 Sachsen-Weimar, Wilhelm Ernst Herzog von 47, 213, 256 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl August Großherzog von 18, 43, 45, 50f., 56f., 85, 92, 98, 101f., 112, 114f., 120, 196, 214, 222, 236, 273, 277, 389 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl Bernhard Herzog von 98 Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl Friedrich Erbgroßherzog von 98, 112, 118–120, 297, 314, 414 Sachsen-Weimar-Eisenach, Ida Herzogin von, geb. Prinzessin von Sachsen-Meiningen 98 Sachsen-Weimar-Eisenach, L o u i s e Augusta Großherzogin von, geb. Prinzessin von Hessen-Darmstadt 86, 94, 98f., 111–118, 120–122, 148, 293, 385f., 414, 435 Sachsen-Weimar-Eisenach, M a r i a Louise Alexandrine Prinzessin von 414 Sachsen-Weimar-Eisenach, Maria Luise A u g u s t a Katharina Prinzessin von 414 Sachsen-Weimar-Eisenach, Maria Pawlowna Erbgroßherzogin von 20, 52, 89, 96, 98, 106, 111f., 118–122, 125, 127, 130, 135f., 148, 226, 297, 314, 414, 435

Verzeichnisse

Sachsen-Weimar und Eisenach, Anna Amalia Herzogin von, geb. Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel 99, 214 Sältzer, Gabriele: s. Falk, G a b r i e l e Adelaide Salomo 287f. Salzmann, Christian Gotthilf 375, 415 Savigny, Bettina 383 Schack, Zögling 357 Schardt, Friederike S o p h i e Eleonore von, geb. von Bernstorff 92, 97, 147 Scharf, Pfarrerswitwe 165 Schau, Johann Heinrich 282 Scheiding, Johann Gottlieb 259 Scheit, Heinrich 339f. Scheitz, Johann Friedrich 350 Schellert, Johann Andreas 330 Schiller, C a r o l i n e Henriette Louise 414 Schiller, Johann Christoph F r i e d r i c h 251, 381, 383, 385, 389 Schiller, Luise Antoinette C h a r l o t t e von, geb. von Lengefeld 387 Schilling, Emilie 320 Schlegel, August Wilhelm 373 Schlegel, Carl Wilhelm F r i e d r i c h 384 Schlippenbach, Carl Friedrich Wilhelm Graf von 193 Schmidt, Friedrich 276 Schmidt, Johann 51 Schmidt, Johanna Maria 388 Schmidt, Johann Daniel Balthasar 248

Personen

Schmidt, Johann Herbert Andreas 173–176 Schmidt, Luise 125f., 345f. Schmith, K. 324 Schmolck, Benjamin 369 Schnaubert, Guido 63f., 147 Schneider, Christian Wilhelm 200 Schneider, Immanuel Ernst Friedrich 51 Schönburg-Wechselburg, Carl Heinrich Alban Graf von 418 Schönburg-Wechselburg, Christiane Mary Emilie Gräfin von, geb. von Jennison-Walworth 411, 416 Schöning, Geschwister 168 Schöning, Zögling 182 Schopenhauer, Arthur 380 Schopenhauer, J o h a n n a Henriette, geb. Trosiener 380 Schramm, Magalena 329 Schreiber, Johann C h r i s t i a n 398f. Schreiber, Johann Georg 232, 323 Schröter, Johann Julius F r i e d r i c h 220 Schüler, Ernst 152 Schütz, Anna Henriette, geb. Danovius 380f. Schütz, Christian Gottfried 380f. Schulz, Johann Heinrich Paul 168, 172 Schumann, Johann Gottlieb 289 Schwabe, Carl Lebrecht 76 Schwabe, Johann F r i e d r i c h Heinrich 342 Schwabe, Wilhelm Ernst 194f. Schwanitz, Johann Carl Christoph 105

505 Schweitzer, Christian Wilhelm 130, 195f. Schweitzer, Ernst Ludwig 222 Schwerdgeburth, Carl August 235f. Sckell, Johann Christian 236 Sckell, J o h a n n Konrad 236 Seiler, Hanne Christiane Friederike 350 Serbser, Carl Traugott 246, 329 Shakespeare, William 251, 269, 386 Sieveking, A m a l i e Wilhelmine 316 Smith, Adam 230 Söllner, Johann Nicolaus 190 Solbrig 156 Sommer, Adam 257 Sommer, Dorothea 257 Sonnenschmidt, Zögling 327 Spangenberg, Ehrenfried Christian Bernhard 249 Spannemann, Dorothea 332 Spiegel von und zu Pickelsheim, Carl Emil 97, 99, 106 Spiegel von und zu Pickelsheim, Wilhelmine E m i l i e , geb. von Rotberg 97, 106 Stae¨l-Holstein, Anne Louise G e r m a i n e de, geb. Necker 113 Stachelrodt, Johann Andreas 336 Stachelrodt, Johanna Magda 336 Stachelrodt, Maria Elisabeth 336 Stein, C h a r l o t t e Albertine Ernestine von, geb. von Schardt 92, 94, 113 Stein, Gottlob Friedrich ( F r i t z ) Constantin von 387

506 Stein, Gottlob K a r l Wilhelm Friedrich von 258 Steiner, Carl Friedrich Christian 163f., 243, 361 Steinkopf, Carl Friedrich Adolf 98 Stellenberg, Johann Wilhelm 168 Stichling, Carl Wilhelm C o n s t a n t i n 92 Stichling, L o u i s e Theodora Emilie von, geb. Herder 92 Stiebnitz, Katharina 305 Stiebritz, Auguste Wilhelmine Caroline 103f. Stiebritz, Johann Barthold 103f. Stohwasser, Handwerksmeister 346 Straßburg, Caroline 306–308 Straßburg, Johann Christian 306, 308 Straßburg, Rosina 306 Stromeyer (Strohmeyer), Johann H e i n r i c h (auch Karl genannt) 99 Taubenecken, Christiana 333 Tenner, Carl 352f. Teuber, Maria von 416 Thaer, A l b r e c h t Daniel 240 Theuer, Jesaias Wilhelm C h r i s t i a n 397f. Thiele, Johann Christoph Daniel 335 Thielo, Carl Gottfried 170 Thieme, Gotthard Christian A u g u s t 123–130, 149, 216, 226, 346 Thieme, Louise Henriette Auguste, geb. Wahl 123

Verzeichnisse

Thiersch, Friedrich Wilhelm von 90 Thon, Georg Philipp Friedrich 126, 129 Tittelbach, Handwerksmeister 174–176 Töpfer, Johann 324 Töpfer, Johann Gottlob 222 Töpfer, Pfarrer 174 Türk, Wilhelm von 436 Unrein, Johann Adam Gottfried 218 Unrein, Moritz Heinrich 218 Ursinus, Marie, geb. Ducheˆsne, verw. Janssen 421 Vater, Gottlob 209 Vent, Johann C h r i s t o p h G o t t l o b (Gottlieb) 99 Vilain, Charles Joseph Franc¸ois 56 Villain, Pierre Franc¸ois 56 Völkel, Julius Adolf 121, 324, 326 Voght, Caspar von 202 Vogt, Johann Ludwig Gottfried 96 Voigt, Christian Gottlob von d. Ä 98f., 382 Volkmann, Johann Wilhelm 318f. Wagner, Adolf 389 Wagner, Tuchmacher 346 Wahl, Johann Georg Anton 378 Waldmann, Heinrich 204 Waldner von Freundstein, Louise Adelaide (Laide) 99 Watzdorf, Louise Armgard von, geb. von Könneritz 73

Personen

Weiland, Caroline Louise, geb. Rehfeld 417 Weiland, Philipp Christian 417 Weise, Johann Christian 99 Weise, Sophia Appolinia 296 Weise, Sophia Friederika Carolina 296f. Weiß, Ludwig ( L o u i s ) Ferdiand 411 Weisse, Christian Felix 292 Wendel, Student 414 Werner, Hanna Dorothea Maria 311 Westermayr, Christiane H e n r i e t t e Dorothea 370, 420 Wichern, Johann Hinrich 20, 61 Wieland, Christoph Martin 56, 369, 381, 383, 389 Wintruf, Emilie 359f. Wolzogen, Friederike Sophie C a r o l i n e Augusta von, geb. von Lengefeld, gesch. von Beulwitz 94, 251, 295–297 Worm, Abraham 206

507 Wuttig, Carl A u g u s t Gottlieb 328 Wuttig, Caroline, geb. Heinze 49 Zänker, Johann Fabian 239 Zedler, Johann Heinrich 327 Zeller, Christian Heinrich 408 Zernecke, Anna Paulina 371 Zernecke, Daniel Andreas 371 Zernecke, Johanna Constantia 371 Ziegesar, Anton von 90, 99, 102, 324, 326 Ziegesar, L u i s e Amalie Friederike Auguste von, geb. von Stein zu Nord- und Ostheim 226 Ziegler, Caroline Helene 311–313 Zier, Friedrich 243 Zier, Johann Nicolaus 243 Zimmer, Zögling 246 Zimmermann, Christian 50 Zipffel, Johann Adam 222 Zunkel, Johann Gottfried 102f., 378

L’HOMME EUROPÄISCHE ZEITSCHRIFT FÜR FEMINISTISCHE GESCHICHTSWISSENSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON: C. ARNI, G. BARTH-SCALMANI, I. BAUER, M. BOSCH, S. BURGHARTZ, B. CHOLUJ, C. HÄMMERLE, G. HAUCH, H. HAVELKOVÁ, U. KRAMPL, M. LANZINGER, S. MASS, C. OPITZ-BELAKHAL, R. SCHULTE, G. SIGNORI, C. ULBRICH

L’HOMME

erscheint seit 1990 als erste deutschsprachige Zeitschrift für

feministische Geschichtswissenschaft. In Themenheften werden Forschungsprobleme und Forschungsergebnisse der Frauen- und Geschlechtergeschichte vom Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit erörtert. Neben deutschen werden auch englische Texte veröffentlicht sowie Übersetzungen aus anderen Sprachen. Ein Anliegen der Zeitschrift ist es, die verschiedenen Wissenschaftskulturen sichtbar zu machen. BAND 25,2 (2014)

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BD. 15 | VOLKER WAHL (HG.) DAS STAATLICHE BAUHAUS IN WEIMAR

BD. 20 | HERBERT KÜHNERT

DOKUMENTE ZUR GESCHICHTE

FORSCHUNGEN ZUR

DES INSTITUTS 1919–1926

GESCHICHTE DES JENAER GLASWERKS

2009. VI, 820 S. 36 S/W-ABB. AUF 32 TAF.

SCHOTT & GENOSSEN

BEGLEITBD. AUF CD-ROM. GB.

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ISBN 978-3-412-20170-8

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BD. 16 | FRIEDHELM TROMM

UND ERNST WERNER

DIE ERFURTER CHRONIK DES

2012. 511 S. 6 S/W-ABB. MIT CD-ROM. GB.

JOHANNES WELLENDORF (UM 1590)

ISBN 978-3-412-20910-0

EDITION – KOMMENTAR – UNTERSUCHUNG 2013. LXII, 911 S. 1 S/W-ABB. 1 FARB. KT. AUF VORSATZ. GB.

TT093

ISBN 978-3-412-20230-9

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VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. KLEINE REIHE HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING EINE AUSWAHL

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THÜRINGEN IM VORMÄRZ (1815–1848)

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EIN REGIONALES ZENTRUM

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WETTINISCHER LANDESHERRSCHAFT 2012. IV, 278 S. 43 S/W-ABB. UND EINE

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GB. | ISBN 978-3-412-22141-6

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SABINE JENZER

DIE »DIRNE«, DER BÜRGER UND DER STAAT PRIVATE ERZIEHUNGSHEIME FÜR JUNGE FRAUEN UND DIE ANFÄNGE DES SOZIALSTAATES IN DER DEUTSCHSCHWEIZ, 1870ER BIS 1930ER JAHRE (ZÜRCHER BEITRÄGE ZUR GESCHICHTSWISSENSCHAFT, BAND 3)

Junge Frauen wurden oftmals wegen Abweichens von der eng gefassten sexuellen Norm in ein Erziehungsheim eingewiesen. Neben vermeintlichen und tatsächlichen »Dirnen« gerieten u. a. ledige Mütter in den Fokus fürsorgerischer Maßnahmen sowie Frauen, die gefährdet schienen, eines Tages zu »fallen«. Die Studie beleuchtet die Heimerziehung junger Frauen in den Anfängen des Sozialstaates in der Deutschschweiz. Ein bedeutender Akteur in der Fürsorge für junge Frauen war die ab den 1870er Jahren auf kommende Sittlichkeitsbewegung, aus der zahlreiche Heime für »sittlich gefährdete« und »gefallene Mädchen« hervorgingen. Nach der Jahrhundertwende spielte der Staat in diesem Fürsorgefeld eine zunehmend wichtige Rolle. Die Autorin analysiert die Ausprägung der privaten Fürsorge am Beispiel der evangelischen Vereine zur Hebung der Sittlichkeit von Basel, Bern und Zürich sowie die Rolle des Staates und das Zusammenwirken dieser beiden Akteure. 2014. 449 S. 37 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22238-3

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